Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen: Wiederentdeckungen jenseits von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung [1. Aufl.] 9783839429099

Every day, approximately 2.5 million hours of classroom instruction take place in Germany. How the students and teachers

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Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen: Wiederentdeckungen jenseits von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung [1. Aufl.]
 9783839429099

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung. Kontrapunkte und Potentiale
Muster der Herstellung von Beziehung durch Lehrer_innen
»I just speak English« Anerkennung in Abhängigkeitsverhältnissen
»Da kommt ein Kurs, der ist in der Chemie so richtig gut« Wertschätzung von Schüler_innen im Spannungsverhältnis zwischen Sach- und Beziehungsebene
Ironie
»Die Elektronen sind eigentlich wie ihr« Ironie als Modus des Umgangs mit antinomischen Spannungen im Lehrberuf
»Dann lachen wir alle ZUSAMMEN (.) und nicht nur EINER« Orientierungsmuster von Schüler_innen zur Beziehungsgestaltung und Ironie im Unterricht
Die Sicht der Lehrer_innen
»Partnerschaft – ein Stück weit« Orientierungsmuster von Lehrpersonen zur Beziehungsgestaltung mit ihren Schüler_innen
»Vielleicht so'ne Gleichheit fast« Rekonstruktion von Umgangsweisen mit antinomischen Spannungen des Lehrberufs
Die Sicht der Schüler_innen
»Wenn man's nicht will, dann soll man's nicht sagen« Respekt und andere reziproke Erwartungsstrukturen bei Schüler_innen
»Das klingt jetzt total schleimerisch nervig« Die Rückmeldung einer Schülerin
»Wir waren die Schüler, Sie die Lehrerin« Rekonstruktion eines kollektiven Abschiedsbriefes
Zusammenschau
Bemerkenswerte Koinzidenz. Versuch einer abschließenden Bilanzierung
Autor_innen

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Tobias Leonhard, Christine Schlickum (Hg.) Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen

Pädagogik

Tobias Leonhard, Christine Schlickum (Hg.)

Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen Wiederentdeckungen jenseits von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung

Finanziert mit Mitteln der Vodafone Stiftung Deutschland und des Deutschen Philologenverbandes

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Tobias Leonhard, Christine Schlickum Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck Print-ISBN 978-3-8376-2909-5 PDF-ISBN 978-3-8394-2909-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort

Annedore Prengel | 7 Einleitung Kontrapunkte und Potentiale

Tobias Leonhard & Christine Schlickum | 13

MUSTER DER HERSTELLUNG VON BEZIEHUNG DURCH L EHRER_ INNEN »I just speak English« Anerkennung in Abhängigkeitsverhältnissen

Susanne Matejka | 25 »Da kommt ein Kurs, der ist in der Chemie so richtig gut« Wertschätzung von Schüler_innen im Spannungsverhältnis zwischen Sach- und Beziehungsebene

Sabrina Holz, Karina Paul, Jessica Trost & Johanna Uhrmacher | 37

I RONIE »Die Elektronen sind eigentlich wie ihr« Ironie als Modus des Umgangs mit antinomischen Spannungen im Lehrberuf

Adrian Wolfgang Ulmcke | 55 »Dann lachen wir alle ZUSAMMEN (.) und nicht nur EINER« Orientierungsmuster von Schüler_innen zur Beziehungsgestaltung und Ironie im Unterricht

Elsa-Louisa Becker, Susanne Emig & Maike Maier | 73

DIE S ICHT DER LEHRER_ INNEN »Partnerschaft – ein Stück weit« Orientierungsmuster von Lehrpersonen zur Beziehungsgestaltung mit ihren Schüler_innen

Jana Fischer, Deana Grubesic, Aleksandra Maslak, Alisa Staub & Jeannette Steinkopf | 89 »Vielleicht so ’ne Gleichheit fast« Rekonstruktion von Umgangsweisen mit antinomischen Spannungen des Lehrberufs

Hanna Nürnberger | 119

DIE S ICHT DER SCHÜLER_INNEN »Wenn man’s nicht will, dann soll man’s nicht sagen« Respekt und andere reziproke Erwartungsstrukturen bei Schüler_innen

Mike Kästli | 143 »Das klingt jetzt total schleimerisch nervig« Die Rückmeldung einer Schülerin

Kim Krämer, Elisa Krieg & Liv Schuler | 163 »Wir waren die Schüler, Sie die Lehrerin« Rekonstruktion eines kollektiven Abschiedsbriefes

Sabrina Hopp & Denise Kornbrust | 175

ZUSAMMENSCHAU Bemerkenswerte Koinzidenz Versuch einer abschließenden Bilanzierung

Moritz Frank, Katharina Huhn, Ulrike Meyer & Jörn-Anders Müller | 191 Autor_innen | 203

Vorwort A NNEDORE P RENGEL

Fürsorgliche Liebe und anerkennende Zuwendung gehören zu einem ethisch verantwortlichen Leben. Die Sozialphilosophin Martha Nussbaum stellt klar: »Keine Gesellschaft kann es sich leisten, diese Gefühle nicht zu kultivieren. Gewiss bedarf eine Gesellschaft, die sich bemüht, ein Erbe schlimmer Ungerechtigkeit zu überwinden, aller Liebe und Sympathie, die sie aufbieten kann« (Nussbaum 2002: 12). Die Frage nach der Qualität von Beziehungen ist von existentieller Bedeutung, denn Menschen sind unter allen Lebensbedingungen von anerkennenden Beziehungen zu anderen Menschen abhängig. Lebenslagen des Aufwachsens am Anfang des Lebens, des Alterns am Ende des Lebens, der Behinderung und der Not in jeder Lebensphase sind in ganz besonderem Maße von Beziehungen der Abhängigkeit geprägt. Über die biografische Ebene hinaus ist die Qualität persönlicher Beziehungen gesellschaftlich einflussreich, denn die in unzähligen intersubjektiven Interaktionen aufgeschichteten Erfahrungen tragen zur Konstitution gesellschaftlicher Verhältnisse bei, indem sie die für die Demokratie lebenswichtige Fähigkeit zur wechselseitigen Achtung stärken oder zur Ausbreitung menschenfeindlicher Verachtung beitragen. Wie sehr Prozesse des Aufwachsens und Lernens der jüngeren Generationen von vielschichtiger Relationalität bestimmt sind, hat Jürgen Habermas herausgearbeitet. Im Generationenverhältnis zeigen sich ältere und jüngere Menschen gegenseitig Aspekte der Welt, in der sie leben. »Auf der horizontalen Ebene übernehmen die Beteiligten mit der Blickrichtung auch die Intention des jeweils anderen, sodass eine soziale Perspektive entsteht, aus der beide in vertikaler Richtung ihre Aufmerksamkeit zugleich auf das angezeigte Objekt richten. Auf diese Weise gewinnen sie von dem gemeinsam identifizierten und wahrgenommenen Gegenstand ein intersubjektiv geteiltes Wissen.« (Habermas 2009: 45)

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In dieser Analyse zeigt sich der triadische Charakter der Generationenbeziehungen, die durch eine »Gleichursprünglichkeit von Intersubjektivität und Objektivität« (ebd.: 45) geprägt sind und die es möglich machen, dass kulturelle Errungenschaften durch die ältere Generation weitergegeben und durch die jüngere Generation angeeignet und zugleich auch transformiert werden. In den Bildungssystemen moderner Gesellschaften hat sich – aufgrund des in allen gesellschaftlichen Sphären komplexen Reichtums an historisch aufgeschichteten symbolisch gefassten Wissensbeständen – eine lebensgeschichtlich lang andauernde Phase der Wissensvermittlung an die nachwachsenden Generationen herausgebildet. Enorme Anstrengungen werden auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene unternommen, um die Aufgabe der Vermittlung zwischen den Generationen zu bewältigen und um die neuen Generationen auch zu Transformationen zu befähigen. Eine Fülle von interdisziplinären Erkenntnissen liegt dazu vor, dass die junge Generation umso besser aufwachsen und mündig werden kann, je besser ihre leiblichen, emotionalen und kognitiven Bedürfnisse durch die ältere Generation berücksichtigt werden. Hier können nur einige der einschlägigen Denk- und Forschungsrichtungen benannt werden: Vom Philanthropismus des 18. Jahrhunderts und Teilen der Reformpädagogik, der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, der medizinische Pädiatrie, der Entwicklungspsychologie, der pädagogischen Psychologie über die Erziehungsstilforschung, die Bedürfnisforschung, die Vorurteilsforschung, die Bindungsforschung bis zu einigen Studien der aktuellen Schulleistungsforschung reichen die heterogenen Strömungen, denen gemeinsam ist, dass sie – in der jeweiligen Sprache ihrer Denkkollektive formuliert – einen unterstützenden, freundlichen, liebevollen Umgang der lehrenden älteren mit den lernenden jüngeren Menschen für notwendig erachten. Auf der normativen Ebene kommen diese Erkenntnisse in der gleichzeitig mit ihnen nach und nach sich herausbildenden und schließlich auch gesetzlich verankerten Kinderrechtskonvention zum Tragen, die jede Form der Gewalt gegen Kinder ächtet. Während gegenwärtig körperliche und sexualisierte Gewalt zunehmend öffentlich thematisiert werden, ist die Aufmerksamkeit für seelische Gewalt in Familien, vor allem aber in pädagogischen Institutionen zurzeit gering. Obwohl Fragen der Qualität pädagogischer Beziehungen im Mainstream aktueller Forschungen zum Bildungswesen recht wenig beachtet werden, liegen Belege dafür vor, dass die Qualität pädagogischer Beziehungen in Schulen und auch in anderen Bildungseinrichtungen von tiefgreifenden Spaltungen bestimmt ist. Pädagog_innen, die das pädagogische Verhältnis angemessen liebevoll und fürsorglich gestalten, arbeiten Tür an Tür mit Lehrpersonen, deren Stil von Missachtung oder schädlich-inkonsistentem Wechsel zwischen destruktiven und

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zugewandten Handlungsmustern geprägt ist (Krumm/Eckstein 2002; Schubarth 2014, Pianta 2014, Prengel 2013). Vermutlich liegen die Ursachen für diese problematischen Befunde in Mängeln hinsichtlich der ethischen Orientierung, der Ressourcenausstattung, der Teamarbeit, der Leitung und Aufsicht, der Schüler_innenpartizipation sowie der Schulkultur und Schulentwicklung. Wesentliche Gründe für viel zu verbreitetes, Entwicklung und Lernen schädigendes Handeln auf der Ebene pädagogischer Beziehungen sind darüber hinaus in Ausbildungsmängeln zu suchen. Während in frühpädagogischen Studiengängen einschlägige Erkenntnisse z. B. der Bindungsforschung intensiv vermittelt werden, kommen beziehungsrelevante Forschungsrichtungen vor allem in Lehramtsstudiengängen viel zu selten vor, so dass wissenschaftliches Wissen über die große existentielle und gesellschaftliche Bedeutung der Gestaltung pädagogischer Beziehungen und praxisrelevante Modelle zur Realisierung genügend guter professioneller Beziehungen viel zu wenig vermittelt werden. Auf diesem Hintergrund kommt der vorliegenden Publikation eine besondere Bedeutung zu. Die hier versammelten, aus dem Vorhaben einer Forschungswerkstatt zum Umgang von Lehrer_innen und Schüler_innen miteinander hervorgegangenen Beiträge, zeichnen sich durch vier bemerkenswerte Charakteristika aus: • •





In den involvierten Lehramtsstudiengängen werden Forschungsstände zu Fragen pädagogischer Beziehungen umfassend thematisiert. Neben einer gründlichen theoretischen Fundierung wird das Thema in LehrForschungsprojekten mit empirisch-qualitativen Fallstudien behandelt. In sensiblen Feinanalysen werden konkrete alltägliche Interaktionsformen im Kontext ihrer institutionellen Bedingungen sichtbar gemacht. Die Studien richten ihren Fokus auf gelingendes professionelles Beziehungshandeln, indem Erhebungen zu mit dem deutschen Lehrerpreis ausgezeichneten Lehrkräften durchgeführt werden. Auf diese Weise haben die forschenden Studierenden die Chance, als vorbildlich eingestuftes pädagogisches Handeln zu beobachten und zu reflektieren. Anerkennungsverhältnisse in Generationenbeziehungen werden in den verwobenen Dimensionen ihrer »vertikal-unterordnenden« Machthierarchie und ihrer »horizontal-freiheitlichen« Egalität reflektiert, so dass nicht imaginär idealisierende, sondern erreichbare und ausreichend gute Muster pädagogischer Handlungsweisen gewürdigt werden können.

In einem solchen Projektzuschnitt werden die Kompetenzen von Studierenden vielseitig anerkannt. Sie können ihre jahrelangen Erfahrungen als Schüler_innen

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sowie als Spielregeln kennende Gesellschaftsmitglieder für die Interpretation der Szenen nutzen. Dem verbreiteten Wunsch »Praxis« im Studium kennenzulernen, wird durch das Lehr-Forschungsvorhaben entsprochen, denn die Studierenden begeben sich als Forschende in pädagogische Arbeitsfelder und widmen sich den Perspektiven der dort handelnden Akteure. Zugleich tragen sie zur Erweiterung wissenschaftlicher empirischer und theoretischer Forschungsstände bei und haben so eine Chance, die konventionelle unproduktive Konstruktion einer Trennung zwischen »Theorie und Praxis« zu überwinden. Wenn in diesem Ausbildungsprojekt dazu angeleitet wird, Erkenntnisse zu ausgezeichneten Lehrerpersönlichkeiten und ihren Handlungskontexten zu sammeln, werden im Sinne »immanenter Kritik« (Stahl 2013) zukunftsweisende empirisch vorfindliche Situationen in den Blick genommen. Sie zeigen den Studierenden pädagogischer Studiengänge, dass und wie Ansätze gelingender, lern- und entwicklungsförderlicher Handlungsformen in pädagogischen Beziehungen – trotz der auch in ihnen erkennbaren Probleme – möglich sind. Damit wird ein wesentlicher neuer Beitrag zur Verbesserung pädagogischer Beziehungen mit hohem lern-, entwicklungs- und demokratieförderlichem Potential zur Diskussion gestellt.

L ITERATUR Habermas, Jürgen (2009): »Es beginnt mit dem Zeigefinger«, in: Die Zeit. Feuilleton. 10. Dezember 2009, Nr. 51, S. 45. Krumm, Volker/Eckstein, Kirstin (2002): Geht es Ihnen gut oder haben Sie noch Kinder in der Schule?, URL: www.sbg.ac.at/erz/salzburger_beitraege/herbst %202002/krumm_202.pdf (11.08.2014). Nussbaum, Martha C. (2002): Konstruktionen der Liebe, des Begehrens und der Fürsorge, Stuttgart: Reclam. Pianta, Robert C. (2014): »Children cannot be successful in the classroom unless they are successful in relationships – Analysen und Interventionen zur Verbesserung von Lehrer-Schüler-Beziehungen«, in: Annedore Prengel/Ursula Winklhofer (Hg.): Kinderrechte in Pädagogischen Beziehungen. Band 2: Forschungszugänge, Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich (im Erscheinen). Prengel, Annedore (2013): Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz, Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich. Schubarth, Wilfried (2014): »Lehrerhandeln und Gewalt. Zum Zusammenhang von »Lehrer«- und »Schülergewalt«, in: Annedore Prengel/Ursula Winklho-

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fer (Hg.): Kinderrechte in Pädagogischen Beziehungen. Band 2: Forschungszugänge, Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich (im Erscheinen) Stahl, Titus (2013): Immanente Kritik: Elemente einer Theorie sozialer Praktiken. Frankfurt: Campus.

Einleitung Kontrapunkte und Potentiale T OBIAS L EONHARD & C HRISTINE S CHLICKUM

Jeden Tag (sic!) finden allein in Deutschland etwa 2,5 Millionen Stunden Unterricht statt1. Wie Schüler_innen und Lehrer_innen dabei miteinander umgehen, ist durch die Ergebnisse internationaler Schulleistungsvergleichsstudien und das sich daran anschließende »Reformgewitter« (Gruschka 2011: 7) aus dem Blick geraten. Um die Leistungen der Schüler_innen im internationalen Vergleich zu steigern, wurden trotz Föderalismus in beispielloser Einigkeit und Konsequenz nationale Bildungsstandards entwickelt und »implementiert«. Kompetenzen und die Frage ihrer Messbarkeit bestimmen wesentliche Teile der bildungspolitischen Debatte und führen im Schulalltag mit regelmäßigen standardbezogenen Leistungstests zu einer Fokussierung schulischer Interaktionen auf den »Output« im Sinne standardisiert erfassbaren Wissens und Könnens. Der vorliegende Band setzt hierzu in mehrfacher Hinsicht einen Kontrapunkt. Trivialerweise zunächst, weil es nicht um messbare Leistung geht, sondern um die zum Titel gewordene Frage, wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen. Vertiefter betrachtet aber auch deshalb, weil hier die unterrichtliche Interaktion als reziprokes und in geteilter Verantwortung emergierendes soziales Phänomen im Mittelpunkt der Analyse steht, und nicht eine personal zugeschriebene Leistung. Unsere Perspektive auf den Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass das Geschehen im Unterricht als Interaktion und Ko-Konstruktion aller Beteiligten betrachtet wird sowie, dass Lehrpersonen und Schüler_innen den Unterricht und die in ihm realisierten Beziehungen gleichermaßen aushandeln wie ausgestalten

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Quelle: Statistisches Bundesamt. Die Daten beziehen sich auf allgemeinbildende Schulen.

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(vgl. Meyer/Jessen 2000, Breidenstein 2006, Wulf u. a. 2007). Der Unterricht wird als Sozialsystem betrachtet, das sich durch konstitutive Ungewissheit auszeichnet und sich damit einer Steuerbarkeit im technischen Sinne entzieht (vgl. Herzog 2006, Meseth/Proske/Radtke 2012), wohlbemerkt sowohl durch die anwesenden Akteure selbst, als auch durch bildungspolitische Vorgaben im Modus der sogenannten »Neuen Steuerung« (vgl. Altrichter/Maag Merki 2010). Darüber hinaus betrachten wir Schule als einen Kontext, der konstitutiv durch ein Generationenverhältnis und – qua gesetzlicher Schulpflicht – für die Schüler_innen durch Unfreiwilligkeit gekennzeichnet ist, und dessen organisatorische Verfasstheit Unterricht sowohl ermöglicht als auch zugleich beeinträchtigt (vgl. Vanderstraeten 2004, Helsper u.a.. 2008). Methodologisch setzt der Band einen Kontrapunkt, weil wir in der Tradition qualitativ-rekonstruktiver Unterrichtsforschung (vgl. Combe/Helsper 2004) Aussagen über »in der Wirklichkeit selbst operierende Sequenzierungsregelungen, objektive Bedeutungen und Sinnstrukturen« (Oevermann 2002: 21) treffen. Einfacher formuliert geht es im Kern um vertiefte Einblicke in die Unterrichtswirklichkeit. Diese sollen jedoch weder gesetzesförmig erfasst und unter ein vorgängig definiertes Allgemeines subsumiert werden, noch als »Einzelfälle« lediglich in ihrer Einzigartigkeit gewürdigt werden (vgl. Wernet 2006: 57 f.). Vielmehr geht es darum, bezüglich des Umgangs zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen im Unterricht die Invarianzen aufzuspüren, die sich trotz der Diversität des besonderen Samples, das diesem Band zugrunde liegt, am empirischen Material rekonstruieren lassen. Gleichwohl stehen am Ende weder »10 Merkmale guter Beziehungsgestaltung« (vgl. Meyer 2004, kritisch dazu Gruschka 2011), noch Empfehlungen für die Praxis. Vielmehr liegt das Ziel »in einer an Geltungsfragen orientierten Verständigung über den Zustand der pädagogischen Praxis und den Zustand der mit ihr verknüpften und an sie herangetragenen Erwartungen« (Wernet 2006: 181), eine Verständigung, die wir im Rahmen der Lehrer_innenbildung als gewinnbringend, ja sogar unumgänglich erachten. Aussagen zur Konstitution und Gestaltung der Lehrer_innen-Schüler_innenBeziehung sind notwendig auf eine Bezugnahme zu normativen Konzepten wie Vertrauen, Achtung, Wertschätzung und Anerkennung verwiesen. Sowohl programmatische Aussagen darüber, wie diese Beziehung zu gestalten sei, als auch theoretische und empirische Arbeiten operieren mit diesen Konzepten (zum Vertrauen vgl. Thies 2002, 2014, zur Anerkennung Helsper/Sandring/Wiezorek 2005, Prengel 2002, 2005, 2006). Die gemeinsam geteilte Überzeugung, dass das qualitativ-rekonstruktionslogische Vorgehen ein hohes lehrer_innenbildnerisches Potential besitzt (vgl. Dausien 2007), führte zur Entscheidung, diese Konzepte zwar als Rekonstruktionsfokus zu verwenden, sie aber gerade nicht vorgängig zu

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definieren, zu operationalisieren und die Vielfalt der Phänomene dann subsumptionslogisch zu kategorisieren. Vielmehr geht es uns darum, die Wirklichkeit selbst zu Wort kommen zu lassen und aufmerksam der Gestaltung der dort zum Ausdruck gebrachten Sinnkonstruktionen zu lauschen. »Die Daten sind nicht dazu da, die Theorie, sondern die Wirklichkeit selbst authentisch zum Ausdruck zu bringen. Erst wenn diese unverstellte Wirklichkeit, wie sie uns in authentischen, »natürlichen«, aufgezeichneten Protokollen begegnet, durch je lückenlose Sequenzanalyse als Totalität rekonstruiert worden ist, wobei nicht ein einziger objekttheoretischer Begriff explikativ verwendet wird, sondern ausschließlich in der »Sprache des Falles«, d.h. ausschließlich mit Bezug auf die lesbaren, hörbaren und sichtbaren Zeichen und Markierungen des je zu rekonstruierenden Protokolls operiert wird, bringen wir die innere Struktur der Wirklichkeit selbst als abstrakte Sinnkonfigurationen vor uns, die dann schon als reale Strukturen den Gehalt von theoretischen Begriffen und Modell ausmachen.« (Oevermann 2002: 21)

G ENESE

DES

B ANDES

UND DER

B EITRÄGE

Die Idee zu diesem Band entstand aus einer Nachfrage von Lehramtstudierenden der Universität Mainz. Die Mainzer Lehrer_innenbildung zeichnet sich durch einen konsequent fallrekonstruktiven Zugang aus. Dieser Zugang und die dort thematisierten Fälle befriedigen jedoch nur selten das studentische Bedürfnis, »vorbildliches« Handeln nachvollziehen zu können, sondern verdeutlichen zumeist die Spannungen und Ungewissheiten, die als konstitutiv für das Lehrerhandeln angenommen werden (vgl. z.B. Helsper 1996, 2004, Herzog 2006, Meseth/Proske/Radtke 2012). Nicht im Sinne von »best practice«-Beispielen, aber doch mit dem Ziel, Lehrpersonen zu finden, die möglicherweise manches anders machen, begann die Suche nach einem empirischen Sample. Nach anfänglichen Recherchen über die Plattform »spickmich.de«, in der Schüler_innen Lehrpersonen Zeugnisse ausstellen können, kam der Deutsche Lehrerpreis2 in den Blick. In zwei Kategorien werden dort vom Philologenverband und der Vodafone-Stiftung jährlich Preise vergeben. Als in Bezug auf den Titel des Bandes besonders passend erschien die Kategorie »Schüler zeichnen ihre Lehrer aus«, weil Schüler_innen dort Lehrpersonen als preiswürdig vorschlagen. Diese »bottom-up«-Perspektive, dass hier gegebenenfalls Lehrpersonen sichtbar werden, die weder aus der Sicht

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Vgl. http://www.lehrerpreis.de vom 07.07.2014.

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empirischer Unterrichtsforschung, noch aus meritokratischer Sicht einer Schulverwaltung, sondern von den Adressat_innen des Schulsystems selbst als herausragend qualifiziert werden, war bestechend.3 Die Preisträger_innen werden auf der Homepage des Lehrerpreises veröffentlicht, was die Herausgebenden bewog, mit diesen Personen in Kontakt zu treten. Vier Lehrpersonen wurden schließlich in ihren Schulen im gesamten Bundesgebiet besucht, zwei Lehrerinnen, zwei Lehrer, aus zwei Gymnasien, einer Realschule und einer beruflichen Schule4. Bei den Besuchen wurden jeweils mindestens zwei Unterrichtsstunden videographiert, sowie im Anschluss ein Interview mit der Lehrperson und eine Gruppendiskussion mit den Schüler_innen ohne Anwesenheit der Lehrperson geführt. Das Datenmaterial wurde mit Unterstützung der internen Forschungsförderung des Instituts für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in wesentlichen Teilen transkribiert und stand damit zur Auswertung zur Verfügung. Die in diesem Band versammelten Beiträge sind Ergebnisse der forschenden Auseinandersetzung von Studierenden mit diesem Datenmaterial. Entstanden sind die Beiträge als Ergebnisse von Gruppenprojekten, die in einer Forschungswerkstatt von Absolvent_innen des Masterstudiengangs Bildungswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz erarbeitet wurden oder im Rahmen von Qualifikationsarbeiten entstanden sind. Alle Beiträge enthalten methodisch kontrollierte Rekonstruktionen des empirischen Materials, das mit sequenzanalytischen Verfahren wie Objektiver Hermeneutik und Dokumentarischer Methode ausgewertet wurde.

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Das Vorschlagsverfahren ist nur für Abschlussklassen möglich, was systematisch dazu führt, dass nur Lehrpersonen der Sekundarstufe, bzw. beruflicher Schulen vorgeschlagen werden. Es hat aber den großen Vorteil, dass der Verdacht, Schüler_innen würden eine Lehrperson mit dem strategischen Hintergedanken eines eigenen Vorteils vorschlagen, ausgeschlossen werden kann. Die Notwendigkeit, diese Aussage zu treffen, sagt bereits viel über die Institution Schule aus, als tema con variazione wird sie noch mehrfach Gegenstand der Betrachtung in diesem Band sein. Die zu begründenden Vorschläge der Schüler_innen werden von einer Jury aus Bildungspolitik, Wissenschaft, Stiftung und Verbänden kriteriengeleitet gesichtet und die Preisträger_innen gekürt.

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Die insgesamt kleine Anzahl der Preisträger verbietet zur Wahrung der Anonymität nähere Angaben zu den Personen.

E INLEITUNG

Z IELSETZUNG

UND

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DES

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B ANDES

Der Band zielt auf drei Ebenen ab und macht auf jeder dieser Ebenen spezifische Potentiale sichtbar. Auf der inhaltlichen Ebene enthält der Band empirische Beiträge zu der Frage, welche(n) strukturellen Logiken Lehrer_innen und Schüler_innen im Umgang miteinander (ver)folgen, welche Handlungs- und Orientierungsmuster in Bezug auf das Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis zum Ausdruck gebracht werden und mit welchen Bedeutungsstrukturen diese unterlegt werden. Es geht um die Erfassung der inneren Struktur der Schulwirklichkeit als abstrakter Sinnkonfiguration. Das Potential sehen wir dabei in den vertieften Einblicken in das Denken und Handeln von Lehrpersonen, die aus Sicht von Schüler_innen »anders« und »besonders« sind, sowie in die kollektiven Erfahrungsräume von Schüler_innen, die eben nicht nur bei diesen Lehrpersonen Unterricht haben. Die Tatsache, dass mit Unterrichtsvideographien, Lehrpersoneninterviews und Gruppendiskussionen verschiedene Sichtweisen und Wirklichkeitskonstruktionen systematisch aufeinander bezogen werden können, ermöglicht die Triangulation und Validierung der zu gewinnenden Aussagen. Aus forschungsmethodologischer Sicht verdeutlicht der Band das Erkenntnispotential qualitativ-rekonstruktiver Zugänge. Dabei werden die Protokolle der Wirklichkeit und die dort zum Ausdruck gebrachten Differenzsetzungen nicht von vornherein auf eine zu prüfende Hypothese oder ein im Vorhinein fixiertes theoretisches Konstrukt hin zugeschnitten. Vielmehr werden semantisch nichtselektiv Strukturgesetzlichkeiten rekonstruiert, die Einblicke in die Vielschichtigkeit unterrichtlicher Interaktionen erlauben. Der Frage der Repräsentanz relevanter Phänomene wird dabei der Vorrang vor der Repräsentativität eingeräumt, die die vorliegenden Ergebnisse nicht beanspruchen. In hochschuldidaktischer Perspektive ist der Band zunächst ein Ausweis studentischer Forschungs- und Lernprozesse. Die Beiträge sind Beleg für eine in allen Fällen engagierte und methodisch angeleitete Auseinandersetzung angehender Lehrpersonen mit einer zentralen Anforderung des Lehrberufs. Inwieweit die mit diesem Zugang verbundene hochschuldidaktische Erwartung realisiert wurde, dass sich über mehrere solcher Prozesse tatsächlich ein »wissenschaftlich-reflexiver Habitus« entwickelt (vgl. Beck u. a. 2000, Helsper 2001, Dausien 2007), muss offenbleiben. Dass sich durch die sequenzanalytische Vorgehensweise bei den beteiligten Studierenden ein »Gespür« für Sinn und Bedeutung von Worten »zwischen den Zeilen« entwickelt hat, und dass die Erfahrung, dass eine syntaktisch unwesentlich erscheinende sprachliche Variation semantisch

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von großer Wichtigkeit sein kann, Spuren hinterlassen hat, wird aus Sicht der Herausgebenden in den Beiträgen deutlich. Der Voraussetzungsreichtum eines solchen Abschlussdokuments einer Forschungswerkstatt soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Forschungspragmatisch konnten nur durch das bereits vorliegende Datenmaterial die Zeiträume für die umfangreichen Analysen verwendet werden. Eine grundlegende Verständigung in weiten Teilen des Instituts für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität zur methodologischen Ausrichtung der Lehrer_innenbildung kann als weitere Gelingensbedingung dafür genannt werden, dass eine so kohärente Arbeit entstehen konnte. An dieser Stelle danken die Herausgebenden zuerst den beteiligten Lehrpersonen und ihren Schüler_innen, ohne deren Offenheit und Ermöglichung der Einblicknahme in das Handeln im Unterricht und das Denken über Unterricht das gesamte Vorhaben unmöglich gewesen wäre. Wir danken den Studierenden, die mit ihrer Einlassung und ihrem Engagement maßgeblichen Einfluss auf das Gelingen dieses Bandes genommen haben. Susanne Matejka, Kevin Weiss und Adrian Ulmcke haben uns bei der Erhebung und Aufbereitung der Daten sehr unterstützt, Alexander Altevoigt und Ulrike Meyer danken wir für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Überarbeitung und Formatierung der Beiträge. Frau Prof. Dr. Annedore Prengel danken wir herzlich für das Vorwort dieses Bandes. Unser Dank gilt auch dem Institut für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg Universität Mainz, das die Datenerhebung und deren Transkription finanziert hat. Nicht zuletzt danken wir dem Philologenverband und der Vodafone-Stiftung für die finanzielle Unterstützung dieses Bandes.

AUFBAU

DES

B ANDES

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert, in denen jeweils unterschiedliche Perspektiven der Beziehung zwischen Lehrpersonen und ihren Schüler_innen fokussiert werden. Im ersten Kapitel wird auf der Basis von Unterrichtstranskripten nach den Mustern der Herstellung von Beziehung in der Lehrer_innen-Schüler_innenInteraktion gefragt. Dabei spielen, in allen drei analysierten Transkripten Muster der Anerkennung und Wertschätzung der Schüler_innen im Wechselverhältnis zwischen Nähe und Distanz sowie diffusen und spezifischen Interaktionsstrukturen eine besondere Rolle. Susanne Matejka rekonstruiert in ihrem Beitrag »I just speak English« eine Interaktion im Verlauf einer Gruppenarbeit. Anhand eines kurzen Transkripts

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arbeitet sie heraus, wie Anerkennungsmuster der Fürsorge und Verantwortungsübernahme in der Schule in einer Spannung zu institutionellen Rollen und bereits erlangter Autonomie auf Seiten der Schüler_innen steht. Sabrina Holz, Karina Paul, Jessica Trost und Johanna Uhrmacher rekonstruieren auf der Basis zweier Eröffnungsszenen des Unterrichts Typiken der Wertschätzung von Schülerinnen und Schülern als »Fachkompetente«, »Wissende« versus »Lernende«. Dabei kommt die Frage der Verantwortungsübernahme und Fürsorge von Lehrer_innen in Bezug auf die methodische und fachliche versus die emotionale Ansprache in den Blick. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Ironie als Phänomen der Beziehungsgestaltung im Unterricht. Das im Kontext Schule in erster Hinsicht ambivalente Konzept erfährt in den beiden Beiträgen eine interessante Wendung. Adrian Ulmcke fragt auf der Basis einer transkribierten Unterrichtssequenz mit deutlich ironischen Momenten auf Seiten der Lehrperson, inwieweit Ironie als Modus des Umgangs mit den spannungsreichen Anforderungen an das Lehrerhandeln zu verstehen ist. Er rekonstruiert, dass der durch die Ironie entstehende semantische Schwebezustand zwischen Gesagtem und Gemeintem von den adressierten Schülern nicht nur decodiert werden kann, sondern die Beziehung zwischen der Lehrperson und den Schüler_innen zu stärken vermag. Elsa-Louisa Becker, Susanne Emig und Maike Maier erarbeiten anhand von Daten aus der Gruppendiskussion mit den Schüler_innen derselben Lehrperson die Sichtweise der vermeintlich »Betroffenen«. In der Gruppendiskussion werden die Ergebnisse der Rekonstruktion von Adrian Ulmcke validiert. Zugleich wird sichtbar, dass die von den Schüler_innen als positiv wahrgenommene Beziehung zur Lehrperson vor einem Vergleichshorizont mit anderen Lehrpersonen entwickelt wird, der die Herausforderungen verdeutlicht, vor denen Schüler_innen jenseits fachlicher Anforderungen im Unterricht zeitweise auch stehen. Im dritten Kapitel werden die Daten aus den Interviews mit den Lehrpersonen einer jeweils zunächst internen, im zweiten Schritt aber auch komparativen Analyse unterzogen. Die mit weitgehend identischer Anfangsfrage und Erzählaufforderung gewonnenen Daten entbergen unter einem systematischen Blick sowohl individuelle Orientierungen der einzelnen Lehrpersonen in Bezug auf die Beziehungsgestaltung zu ihren Schüler_innen, aber auch völlig unabhängig voneinander generierte und dennoch ähnliche Konzepte zwischen den einzelnen Lehrpersonen. Jana Fischer, Deana Grubesic, Aleksandra Maslak, Alisa Staub und Jeannette Steinkopf nehmen alle vier Interviews des empirischen Samples in ihrem Beitrag in den Blick und rekonstruieren anhand ausgewählter Sequenzen die individuel-

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len Orientierungsmuster der Lehrpersonen und untersuchen diese im weiteren Verlauf dann auf Kontrastierungen und Gemeinsamkeiten in den Perspektiven. Einen ähnlichen Weg beschreitet Hanna Nürnberger. Sie analysiert zwei der Interviews mit den Lehrpersonen und befasst sich dabei anhand etwas ausführlicherer Sequenzen mit der Rekonstruktion antinomischer Spannungen in den Aussagen der Lehrpersonen. Auch hier erfolgt zunächst die Betrachtung der einzelnen Interviews, bevor sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im sichtbar werdenden Umgang der Lehrpersonen mit den Antinomien des Lehrerhandelns kontrastiv herausarbeitet. Das vierte Kapitel fokussiert die Sicht der Schüler_innen. Im ersten Beitrag dieses Kapitels arbeitet Mike Kästli anhand von Daten einer Gruppendiskussion heraus, welche kollektiven Orientierungen die Schüler_innen einer Klasse zum Thema Respekt entwickeln. In dieser Gruppendiskussion wurden jedoch die Aussagen über das Erleben der Schüler_innen bei anderen Lehrpersonen als der Preisträgerin diskursiv dominant. Der in diesen Daten sichtbar werdende konjunktive Erfahrungsraum zeigt, dass Schüler_innen in der Schule keinesfalls ausschließlich mit Anforderungen kognitiven Lernens konfrontiert sind, sondern dass gerade auch die gemeinsame Gestaltung der Beziehung innerhalb der Institution Schule und des Unterrichts erhebliche Anforderungen der Situationsbewältigung an die Schüler_innen stellt. Die beiden folgenden Beiträge beschäftigen sich mit Briefen, die Schüler_innen zum Abschluss ihrer Schulzeit an ihre Lehrerin geschrieben haben. Diese Briefe waren ursprünglich nicht Gegenstand des Datenkorpus der hier vorliegenden Untersuchung, wurden aber von der Lehrerin zur Verfügung gestellt und erwiesen sich als ebenfalls sehr ergiebiges empirisches Material. Kim Krämer, Elisa Krieg und Liv Schuler rekonstruieren die Rückmeldung einer einzelnen Schülerin, Sabrina Hopp und Denise Kornbrust die Rückmeldung einer Schüler_innengruppe. Im Fokus der Betrachtung beider Beiträge steht die Frage nach den Modi der Gestaltung von Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung aus Sicht der Schüler_innen. Das Buch endet mit dem Beitrag von Moritz Frank, Katharina Huhn, Ulrike Meyer und Jörn-Anders Müller. Der Schwerpunkt dieses abschließenden Beitrages liegt auf der wechselseitigen Bezugnahme der Perspektiven des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses. In den Blick genommen werden die Orientierungsmuster der Lehrer_innen sowie die Sicht der Schüler_innen, auf der Basis gemeinsam geteilter Erfahrungsräume.

E INLEITUNG

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Muster der Herstellung von Beziehung durch Lehrer_innen

»I just speak English« Anerkennung in Abhängigkeitsverhältnissen S USANNE M ATEJKA

E INLEITUNG In Anlehnung an die Überlegungen von Helsper, Sandring und Wiezorek zur Anerkennung in pädagogischen Beziehungen (dies. 2005: 197) fragt der folgende Beitrag nach den Modi der Anerkennung in Lehrer_innen-Schüler_innenBeziehungen. Dabei gilt es, der Frage nachzuspüren, inwiefern sich anerkennungstheoretische Überlegungen auf die Beziehungsstruktur zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen übertragen lassen, die gekennzeichnet ist durch Asymmetrie, Statusungleichheit und Zwang, und in welchem Verhältnis die verschiedenen Dimensionen zueinander stehen (ebd.). Moralische Anerkennung zwischen Erwachsenen erfolgt immer als Austauschprozess unter Gleichen. Lehrer_innen und Schüler_innen dagegen sind als Erwachsene und Kinder durch ihre Generationendifferenz immer Ungleiche. Dass die Schüler_innen im Heranwachsen erst die moralischen Strukturen ihres Selbst herausbilden müssen und entsprechende Kompetenzen noch zu erwerben sind, der Lehrer diese aber schon hat, erzeugt eine grundlegend asymmetrische Beziehung. Wie kann unter diesen Umständen Anerkennung bestimmt werden? Der Beitrag beginnt mit der Vorstellung der für diese Arbeit geltenden Definition des Anerkennungsbegriffs, es folgt die Interpretation einer Unterrichtssequenz mithilfe der Objektiven Hermeneutik nach Wernet (2000). Während der Interpretation wird eine Fallstrukturhypothese aufgestellt, die nach jeder Interpretation eine Erweiterung erhält. Die theoretische Rahmung dieser Fallstrukturhypothese erfolgt im Anschluss daran.

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D ER ANERKENNUNGSBEGRIFF IN 1 DER L EHRER _ INNEN -S CHÜLER _ INNEN -B EZIEHUNG Helsper, Sandring und Wiezorek diskutieren die Übertragbarkeit anerkennungstheoretischer Überlegungen in Anlehnung an Honneth entlang der drei Dimensionen: »Liebe, Achtung des Anderen als Gleichen und soziale Wertschätzung als Person« (Helsper/Sandring/Wiezorek 2005: 179). Die Dimension der »Liebe« wird dabei als professionelle Form emotionaler Anerkennung gefasst, die auf Kontinuität, Bindung und Zuwendung basiert (vgl. ebd.: 188). Dabei wird emotionale Anerkennung zugleich als Voraussetzung für die »Genese von Autonomie und Selbstakzeptanz« sowie als Grundlage für die Wahrnehmung der eigenen Rechte und eigenen Wertschätzung und der Rechte und Wertschätzung anderer verstanden (vgl. ebd.: 190). Kinder bedürfen für ihre Individuation – über den Rahmen der Familie hinaus – konkreter Anderer, mit denen sie in eine kontinuierliche Interaktionsstruktur eingebunden sind: Aus dieser positionalen Zuordnung des Kindes in Bezug auf Erwachsene konstituiere sich das Recht des Kindes auf die Anerkennung durch Andere (vgl. ebd.: 182 f.). Schulische Anerkennungsprozesse lassen sich also nur verstehen, wenn die Beziehung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen als wechselseitige Anerkennung unterschiedlicher, an den Status der Personen gebundener Rechte und Pflichten verstanden wird (ebd.). Dabei gründet die Dimension der »Achtung des Anderen als Gleichen« auf dem Recht des Kindes auf Hinführung zur autonomen Handlungsfähigkeit, der Fähigkeit zur gleichberechtigten Teilnahme am öffentlichen Leben und verweist damit zugleich auf die Pflicht der Erwachsenen, beziehungsweise der Gesellschaft, für eben diese Fähigkeit die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich diese Fähigkeiten herausbilden können. Damit geht auch das Recht auf Bildung einher, welches es Kindern ermöglichen soll, als autonome Mitglieder eines Gemeinwesens in Zukunft zu handeln (vgl. ebd.: 183 f.). Der Verpflichtung zum Schulbesuch steht also die Verpflichtung gegenüber, für die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler_innen Sorge zu tragen (ebd.: 184). So stehen sich Lehrer_innen und Schüler_innen bezüglich ihrer rechtlichen Anerkennung symmetrisch gegenüber. In enger Verflechtung zur Dimension der »Achtung des Anderen als Gleichen« verstehen Helsper, Sandring und Wiezorek auch die Struktur der Dimension der »sozialen Wertschätzung«, die Bewertung von Eigenschaften und Fähigkeiten einer Person in Bezug auf das kulturelle Selbstverständnis der jeweili-

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Die theoretischen Überlegungen sind in enger Zusammenarbeit mit Christine Schlickum entstanden.

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gen Gesellschaft (vgl. ebd.: 185 ff.): Mit Blick auf die Generationendifferenz zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen, kann diese jedoch nicht als Bewertung schon vorhandener Kompetenzen gedeutet werden, sondern muss als Erwartungshaltung in Bezug auf zukünftige Fähigkeiten und Leistungen, die beispielsweise im Bildungsauftrag oder in curricularen Bestimmungen ausformuliert sind, verstanden werden. Für das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen bedeutet dies, dass Schüler_innen gezwungen2 sind, sich der Lehrperson unterzuordnen, indem sie der Lehrperson in Bezug auf Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihnen selbst noch verwehrt sind, Überlegenheit zusprechen. In dem die Lehrperson den Schüler_innen signalisiert, inwieweit die Einsozialisation schon gemeistert wurde, das notwendige Wissen angeeignet wurde, besteht dann die Anerkennung der Lehrer_innen gegenüber den Schüler_innen (vgl. ebd. 186). Die Anerkennung der Schüler_innen hängt also ab von der Anpassung an die gesellschaftlichen – durch die Lehrperson vermittelten – Wert- und Normvorstellung (vgl. ebd.: 186). Die Positionen von Lehrer_innen und Schüler_innen in Bezug auf Fertigkeiten und Fähigkeiten verweist also auf die Asymmetrie der Beziehungsgestaltung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen. Indem die Schüler_innen die Überlegenheit der Lehrperson anerkennen, folgt aber, dass sie das Recht haben, die Erfüllung der Verpflichtungen einzufordern (vgl. ebd. 187). Aus anerkennungstheoretischer Perspektive zeichnet sich Schule also durch die enge Verflechtung der Dimensionen »Anerkennung als Gleichen« und »soziale Wertschätzung« aus. Beide Anerkennungsmodi fokussieren aber ausschließlich auf universalistische Anforderungsstrukturen, während die Anforderung pädagogischer Interaktion weit über die rollenförmigen Anforderungen hinaus reichen. Schulische Interaktionen sind also immer auch unter Aspekten der emotionalen Anerkennung, als Voraussetzung für die Bildung moralischer Kompetenzen und Strukturen des Selbst der Heranwachsenden zu betrachten (vgl. ebd.: 193). In Bezug auf pädagogische Interaktionen stellt sich also die Frage, wie sich in schulischen Interaktionen die Übergänge zwischen moralischer Achtung, institutioneller Anerkennung und sozialer Wertschätzung gestalten lassen, wenn die spezifischen Eigenschaften der Person – hier der Schüler_innen – noch nicht klar vom Stand der Identitätsentwicklung getrennt werden können (vgl. ebd. 191, 194). Ausgehend von diesen Überlegungen wird anhand eines Unterrichtsaus-

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Aufgrund der Schulpflicht sind Schüler_innen gebunden, die Werte der Gesellschaft im Rahmen der Schule als Bewertungsmaßstab ihrer Person zu akzeptieren, sie können sich dem nicht entziehen (ausführlich Helsper, Sandring und Wiezorek 2005: 186, 194 ff.).

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schnitts nach den Möglichkeiten der Gestaltung von Anerkennungsbeziehungen in pädagogischen Interaktionen gefragt. Besonderes Augenmerk gilt dabei Schüler_innen an der Schwelle vom Jugendlichen zum Erwachsenen.

I NTERPRETATION

EINER

U NTERRICHTSSEQUENZ

Der vorliegende Fall dokumentiert eine kurze Schüler_innen-Lehrer-Interaktion während einer der letzten Englischunterrichtsstunden eines Abschlussjahrgangs einer beruflichen Schule. Diese Interaktion wurde auf Video aufgezeichnet und im Folgenden transkribiert. Die Situation ist folgende: Die Schüler_innen haben einen Arbeitsauftrag erhalten und arbeiten an ihren Gruppentischen zusammen in Gruppen. Die Sequenz beginnt damit, dass der Lehrer sich zu einer der Gruppen an den Tisch setzt und schweigt. Die Schüler_innen reden und arbeiten weiter. Dann flüstert der Lehrer oder bewegt nur die Lippen (nicht verständlich) in Richtung des Schülers S: S: I just speak English L: Okay okay right just it’s one of the last possibilities for you to train your English you know S: (dazwischen) I know L: tomorrow we have the last two lessons. Okay I can take this with me again (nimmt ein Papier vom Gruppentisch) S: Yes you can L: Okay S: You can take this too if you want (reicht Lehrer ein Blatt) L: Okay thank you [00:38:14-2_00:38:55-2]

Betrachtet man die Beobachtung »Lehrer setzt sich zu den Schüler_innen an den Gruppentisch. Er sagt erst einmal nichts« kontextfrei, können folgende Geschichten erzählt werden: (1) Ein Restaurantbesucher hat den Tisch, an dem seine Freunde sitzen, verlas-

sen, um auf die Toilette zu gehen. Als er wiederkommt, möchte er nicht das laufende Gespräch stören und sagt deswegen erst einmal nichts. (2) Die Mensa ist sehr voll und es gibt keine freien Einzeltische mehr. Also setzt sich ein Student zu fremden Studenten an den Tisch. Weil er seine Sitznachbarn nicht kennt, sagt er erst einmal nichts.

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(3) Auf einer Hochzeit sucht ein Gast einen Sitzplatz. Er setzt sich an einen

Tisch, aber weil er schüchtern ist, sagt er erst einmal nichts. (4) Wegen eines Staus kam einer der Freunde zu spät zum wöchentlichen Knei-

penabend. Wegen der Verspätung, hat er nicht mitbekommen, worüber sich seine Freunde unterhalten, deswegen sagt er, nachdem er im Stehen alle begrüßt hat und sich dann erst gesetzt hat, erst einmal nichts und hört nur zu. (5) Der Vorgesetzte der Firma kommt unerwartet zu Besuch in eins der Büros seiner Angestellten. Einige Angestellte sitzen gemeinsam am Tisch. Der Vorgesetzte setzt sich zu den Personen an den Tisch. Er sagt erst einmal nichts. Alle Geschichten haben gemein, dass sich jemand zwar zu anderen Personen an einen Tisch setzt, also auf die anderen Personen zukommt, darüber hinaus aber kein Kontakt hergestellt wird. In den Geschichten hat es unterschiedliche Gründe, wieso die Person erst einmal nichts sagt: Sie möchte entweder nicht stören, es sind fremde Personen am Tisch, die Person ist schüchtern oder möchte erst einmal nur zuhören und beobachten, um herauszufinden, worüber gesprochen wird. In einem Hierarchie-Verhältnis, wie dem zwischen den Angestellten und dem Vorgesetzten in der letzten Geschichte, ist es dagegen eher unwahrscheinlich, dass das Schweigen des Vorgesetzten keine Auswirkungen auf die Interaktion der Mitarbeiter_innen hat. Wahrscheinlicher wäre sogar, dass das Gespräch der Mitarbeiter_innen verstummt und alle sich dem Vorgesetzten zuwenden werden. Die Geschichten zeigen, dass das Schweigen, nachdem man sich an einen Tisch zu anderen Personen gesetzt hat, zumeist eine beobachtende Haltung ist, bei der man nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken möchte. Lediglich in der letzten Geschichte zeigt sich, dass bei Vorgesetzten das Gegenteil der Fall sein kann. Mit Hierarchie geht zumeist eine Selektions- und Bewertungsfunktion in Bezug auf das Arbeitsverhältnis einher. Das heißt, die Gespräche unter den Mitarbeiter_innen stehen, wenn eine vorgesetzte Person anwesend ist, unter einer »bewertenden« Beobachtung. Was kommt also zum Ausdruck, wenn sich eine Lehrperson zu Schüler_innen an den Tisch setzt und erst einmal nichts sagt? In jedem Fall hat sie sich an den Tisch der Schüler_innen gesetzt und sich damit physisch auf die gleiche Ebene wie ihre Schüler_innen begeben. In dem er schweigt, bindet er sich jedoch nicht aktiv in das Geschehen ein, sondern nimmt eine beobachtende Position ein. Die Erkenntnis aus den Lesarten der Geschichten führt zu einer ersten Fallstrukturhypothese: Wenn die Lehrperson in einem hierarchischen Verhältnis zu

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ihren Schüler_innen steht, werden diese in Situationen, in denen die Lehrperson sich zu ihnen setzt und schweigt, ebenfalls in Schweigen verfallen. Falls sie aber mit dem Arbeiten und Reden fortfahren, könnte es bedeuten, dass sie die Lehrperson als ein gleichgestelltes Gegenüber sehen, ohne auf das hierarchische Verhältnis einzugehen. Interessant ist es nun natürlich, im Verlauf der Sequenz zu beobachten, wie die Schüler_innen auf das Schweigen ihres Lehrers reagieren. Die nächste Beobachtung des Falls ist: »Die Schüler_innen reden und arbeiten weiter«. Was bedeutet diese Beobachtung im Kontext der aufgestellten Hypothese? Indem die Schüler_innen scheinbar keine Reaktion auf den Lehrer zeigen, wird der Eindruck einer Gleichheit vermittelt. Die darauf folgende Beschreibung lautet: »Dann flüstert der Lehrer oder bewegt nur die Lippen (nicht verständlich) in Richtung des Schülers S«. Da es unverständlich ist, was und ob der Lehrer überhaupt etwas laut sagt, möchte ich nur darauf eingehen, dass er die Kontaktaufnahme zu einem der Schüler_innen initiiert. Ab hier beginnen nun die ersten verständlichen Äußerungen der Schüler_innen-Lehrer-Interaktion. Auf die (unverständliche) Ansprache des Lehrers reagiert der Schüler mit der Äußerung »I just speak English«. Folgende Geschichten sind für die Äußerung »I just speak English« denkbar: (6) Zwei sich fremde Menschen treffen in einer Stadt aufeinander, der eine ist

Tourist und fragte nach dem Weg, der zweite antwortet: I just speak English. (7) Auf einem deutschen Flughafen werden die Einreisenden kontrolliert. Sie mussten auflisten, was sie zu verzollen haben. Ein Mann hat nichts angegeben, in seinem Gepäck findet sich aber etwas, das er hätte angeben müssen. Er sagt daraufhin zum Zollbeamten: I just speak English. (8) Zwei Au-pair-Mädchen treffen sich auf dem Spielplatz mit ihren Gastkindern. Die Eltern der Kinder sind nicht anwesend, haben aber die Au-pairs angewiesen mit den Kindern nur Englisch zu reden und sich untereinander nicht in ihrer Muttersprache Deutsch zu unterhalten. Das eine Au-pair spricht trotzdem gerade Deutsch und unerwartet steht auf einmal die Gastmutter des anderen Au-pairs neben ihnen und hat mitbekommen, dass sie Deutsch gesprochen hat. Das Au-pair der Gastmutter sagt: I just speak English. Gemein haben die Geschichten, dass die Sprecher_innen jeweils betonen, dass Englisch gesprochen wurde bzw., zumindest zu dem Zeitpunkt, keine andere Sprache. Es ist ihnen also wichtig, aus welchem Grund auch immer, zu vermit-

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teln, dass ausschließlich Englisch als Kommunikationsform gebraucht wurde. Der Satz »I […] speak English« hätte nicht ausgereicht, um die Ausschließlichkeit dieser Aussage zu betonen. »Just«, das mit dem deutschen Adverb nur übersetzt werden kann, betont, dass entweder keine andere Sprache als Englisch beherrscht wird oder zumindest in dem Moment keine andere Sprache als Englisch gesprochen wurde. Die Aussagen der Sprecher_innen haben also unterschiedliche Intentionen, sie werden als Erklärung für fehlende Hilfe, Rechtfertigung oder Verteidigung genutzt. Die Aussage wird immer mit einem bestimmten Antrieb getroffen und im Gegenzug wird eine bestimmte Reaktion erwartet. Zurück zur Sequenz: Ursprünglich wurde die Äußerung in einer der letzten Englischstunden des Abschlussjahrgangs gemacht. Die Schüler_innen arbeiteten in Gruppen an einem Arbeitsauftrag und der Lehrer setzte sich zuvor neben den Schüler, flüsterte etwas Unverständliches oder bewegte nur die Lippen und die kurze Interaktion begann verbal mit der Schüleraussage. Wenn ich nun die Lesart mit dem Kontext der Aussage konfrontiere, ergibt sich das Besondere der vorliegenden Fallstruktur, nämlich, dass der Schüler betont, dass er nur Englisch gesprochen hat. Es stellt sich also die Frage, ob es sich hierbei um eine schlichte Erklärung, Begründung oder um eine Rechtfertigung handelt. Rechtfertigungen erfolgen meist nach einer Aussage von jemand anderem, man fühlt sich angegriffen und sieht sich deswegen gezwungen, sich zu rechtfertigen. Wenn sich Schüler_innen rechtfertigen, bedeutet es, dass sie sich in solch einem Verhältnis zur Lehrperson befinden, in dem sie sich kontinuierlich erklären müssen. Sie müssen verteidigen und begründen, warum sie etwas tun und betonen, dass sie etwas tun, das positiv bewertet wird. Das bedeutet auch, dass sie sich der Lehrer_innen-Schüler_innen-Hierarchie bewusst sind, weil sie glauben, dass sie die Lehrperson ständig mit bewertenden Augen beobachtet. Dies übt natürlich Druck auf Schüler_innen aus, weil sie sich nicht frei verhalten können und dadurch versuchen, sich ständig ins bestmögliche Licht zu rücken. Ist die Äußerung des Schülers eine Begründung beziehungsweise Erläuterung des Zusammenhangs und keine Rechtfertigung vor dem Lehrer, haben wir eine andere Ausgangssituation. Bei einer Begründung gibt man einen Grund dafür an, weswegen man auf eine bestimme Art und Weise gehandelt hat, man befindet sich aber nicht unter dem Druck sich rechtfertigen zu müssen, weil man sich angegriffen gefühlt hat. Der Schüler könnte also erläutert haben, dass er gerade oder nur Englisch sprach, weil er die Situation erklären möchte. Interessant ist es nun zu klären, wieso sich der Schüler dann in der Situation fühlt, seine Handlung erklären zu müssen, er ist ja schließlich im Englischunterricht und spricht regelkonform Englisch.

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Woher kommt also diese Ausführung des Schülers, dass er gegenüber seinem Lehrer hervorhebt, Englisch zu sprechen? Eine mögliche Erklärung liefern die Überlegungen von Helsper, Sandring und Wiezorek zu der Dimension »sozialer Wertschätzung«: Demnach haben Lehrpersonen bestimmte Erwartungshaltungen gegenüber ihren Schüler_innen, entlang welcher sie messen, wie weit sich Schüler_innen schon in die Gesellschaft eingegliedert haben (dies. 2005: 6 f.). Im vorliegenden Fall könnten die Anforderungen, die mit dieser Erwartungshaltung verbunden sind, den Schüler dazu veranlasst haben, zu betonen, dass er sich seiner Aufgabe bewusst ist, um entweder nicht in die Kritik zu geraten, oder um seine Eigenständigkeit als Leistung hervorzuheben. Eher unwahrscheinlich erscheint es dagegen, dass die Schüleraussage lediglich eine Beschreibung der Situation enthält. Nach dieser Schüleraussage folgt in der Transkription: »Okay okay right just it’s one of the last possibilities for you to train your English you know«. »Okay okay right« bedeutet in den meisten Fällen eine Zustimmung oder ein Einverständnis. Es kann auf unterschiedliche Weise benutzt werden: beruhigend und deeskalierend; nachdenklich; um sich mehr Überlegungszeit zu verschaffen; als Zusammenfassung und um im Gespräch voranzukommen. Es drückt aber auch Akzeptanz gegenüber dem zuvor Gesagten aus. Die Wiederholung von okay betont zudem, dass man etwas gehört und verstanden hat. Der Lehrer zeigt also durch sein »Okay okay right«, dass er definitiv gehört hat, was der Schüler gesagt hat. Nun stellt sich die Frage, ob er es deeskalierend beziehungsweise beruhigend, zusammenfassend oder nachdenklich beziehungsweise abwägend verwendete. Da der Lehrer unter anderem Englisch unterrichtet und somit eine umfangreiche englische Sprachpraxis hat, kann es bedeuten, dass er »right«, ähnlich wie ein Muttersprachler, als semantisch leere Floskel verwendet. »Right« bedeutet demnach in seiner Aussage nicht unbedingt, dass er dem Schüler Recht gibt, aber es bedeutet in jedem Fall, dass er anerkennt, was der Schüler gesagt hat, weil er ihm zu verstehen gibt, dass er ihn gehört hat. Verwendet der Lehrer »Okay okay right« beruhigend bzw. deeskalierend, kann es sogar ein Indiz dafür sein, dass der Lehrer seinem Schüler signalisieren möchte, dass kein Zwang besteht, sich zu rechtfertigen. Dies würde belegen, dass die zuvor getroffene Schüleraussage »I just speak English« vom Lehrer als Rechtfertigung wahrgenommen wurde, ob es nun eine Erklärung, Rechtfertigung oder Begründung war. Durch diese Erkenntnis kann die Fallstrukturhypothese bezüglich der Anerkennung erweitert werden: Der Lehrer nimmt die Schüleraussage als Rechtfertigung wahr und versucht die Situation zu entschärfen, zugleich erteilt er dem Schüler Anerkennung, indem er zeigt, dass er wahrnimmt, was dieser gesagt hat.

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Der zweite Teil der zunächst getrennt behandelten Aussage des Lehrers »Okay okay right just it’s one of the last possibilities for you to train your English you know« kann nun interpretiert werden. Folgende Geschichten ergeben sich: (9) Eine Mutter spricht mit ihrem Kind über ein Reitturnier am folgenden Tag.

Das Kind hat keine Lust zu trainieren, obwohl es eine bestimmte Übung noch nicht beherrscht. Die Mutter sagt: just it’s one of the last possibilities for you to train it you know. (10) Eine werdende Mutter hat ein Medikament bekommen, um die Geburt einzuleiten. Bevor die Wehen kommen, bemerkt die Hebamme: just it’s one of the last possibilities for you to train it you know. Die beiden Geschichten unterscheiden sich in einem wesentlichen Merkmal: In der ersten Geschichte hat die Aussage die Funktion das Kind trotz Lustlosigkeit zu motivieren. Indem die Mutter auf die eingeschränkte Zeit verweist, übernimmt sie Verantwortung für die Interessen des Kindes. In der zweiten Geschichte ist die Aussage eine schlichte Bemerkung. Da beide Seiten motiviert sind und wissen, dass es das Beste ist, noch einmal zu üben, muss kein Überreden stattfinden. Dadurch, dass der Sprecher hier noch einmal wiederholt, wovon er aus Erfahrung antizipieren kann was gesagt werden wird, vergewissert er sich lediglich noch einmal, dass beide wirklich das Gleiche meinen. Im tatsächlichen Äußerungskontext bestätigt der Lehrer dem Schüler, dass es gut ist, dass er Englisch gesprochen hat, was er ja zuvor zur Kenntnis genommen hat, da es eine seiner letzten Möglichkeiten sein wird, noch einmal Englisch zu üben. Durch die Wiederholung der offensichtlichen Tatsache, dass es eine der letzten Möglichkeiten sein wird, Englisch zu üben, impliziert der Lehrer, dass er weiß, dass der Schüler sich darüber im Klaren ist. Somit ist es, im Anschluss an die zuvor interpretierte Aussage »Okay okay right«, eine einfache Bemerkung des Lehrers, eine Überredung muss nicht stattfinden. Er signalisiert also, dass beide Seiten wissen, dass das Beste, was der Schüler jetzt machen kann, ist, noch einmal Englisch zu üben. Dadurch, dass der Lehrer den Schüler nicht explizit auffordern muss, Englisch zu üben, erkennt er die Selbstständigkeit seines Schülers an. Er zeigt dem Schüler damit, dass er anerkennt, dass der Schüler selbst weiß, dass es das Beste ist. Nach der Aussage folgt ein Einwurf des Schülers in die Aussage des Lehrers: »(dazwischen) I know«. Der Schüler wiederholt an dieser Stelle also nochmal explizit, dass er es wisse, und bestätigt damit erneut die Erwartungshaltung, die an ihn gestellt ist. Darüber hinaus kann diese Äußerung als eine Art Wertschät-

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zung des Lehrers durch den Schüler verstanden werden, da er ihm mit diesem eingeschobenen Einwand zu verstehen gibt, dass er ihm aufmerksam folgt, zuhört und zustimmt. Es kommt zum Ausdruck, dass ihm die Meinung des Lehrers wichtig ist und er seine Rolle anerkennt. Deutlich wird an dieser Stelle aber auch das Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen des Lehrers für die Zukunft der Schüler_innen Sorge zu tragen und der Anerkennung der Autonomie des Schülers. Die Unsicherheit des Lehrers ob der Selbstständigkeit des Schülers wird für den Schüler zur Zumutung. Anerkennung kann in dieser Situation also nur stattfinden, wenn sowohl die Aufgabe und Funktion des Lehrers als auch die Position des Schülers als solche Berücksichtigung finden. Daraufhin folgt in der Transkription die Aussage des Lehrers »tomorrow we have the last two lessons. Okay I can take this with me again (nimmt ein Papier vom Gruppentisch). Mit der Aussage »tomorrow we have the last two lessons« knüpft der Lehrer erneut an die vorliegende Interaktion an. Erst dann folgt ein Themenwechsel: »Okay« dient hier als einleitendes, aber semantisch leeres Füllwort. Das Angebot »I can take this with me again« wird als Ankündigung verwendet, dass etwas mitgenommen wird und klammert damit gleichzeitig die Bitte um Erlaubnis aus. Das Einverständnis des Adressaten wird vorausgesetzt. Im tatsächlichen Äußerungskontext hält der Lehrer ein Papier hoch, welches schon seit Beginn der Englischstunde auf dem Tisch liegt und nicht von den Schüler_innen in der Gruppe benutzt wird. Er bezieht sich verbal mit dem Demonstrativpronomen »this« auf das Papier. Auffällig an dieser Sequenz ist die Tatsache, dass der Lehrer performativ äußert, dass er es tut. Schließlich hätte er einfach das Blatt Papier mitnehmen können. Indem er seine Handlung jedoch verbalisiert, eröffnet er so den Schüler_innen die Option zu reagieren. Meine Erkenntnisse aus der Interpretation schlagen sich in der vollständigen Fallstrukturhypothese nieder: Indem der Lehrer sich zu seinen Schüler_innen an den Tisch setzt, eröffnen sich zwei sich widersprechende Sinnstrukturen: Einerseits begibt er sich physisch auf die Ebene der Schüler_innen, andererseits kann er seiner Rolle als Lehrer nicht entgehen. In dieser Figur zeigt sich die Spannung der asymmetrischen Beziehungsstruktur zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen zum ersten Mal: Dadurch, dass die Schüler_innen ihm keine Aufmerksamkeit zukommen lassen, kann geschlossen werden, dass sie ihn, zumindest in dieser speziellen Situation, als gleichgestelltes Gegenüber wahrnehmen. »I just speak English« impliziert eine Rechtfertigung oder zumindest eine erklärende Haltung der Schüler_innen. Das ist nur verständlich, vor dem Hintergrund der asymmetrischen Beziehungsstruktur zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen.

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Die Lehrperson trägt gegenüber dem Entwicklungsprozess der Schüler_innen Verantwortung. Aus der Figur der Verantwortungsübernahme ergibt sich dann aber für den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin die Notwendigkeit, sich als autonom handelnd darstellen zu müssen. Dies zeigt sich auch in der zweiten Interaktion: Der Lehrer nimmt die Schüleraussage als Rechtfertigung wahr und versucht die Situation zu entschärfen, indem er die Selbstständigkeit des Schülers, Englisch zu üben, anerkennt. Gleichzeitig betont er jedoch erneut die Notwendigkeit, Englisch zu üben angesichts anstehender Prüfungen. In den Fokus gestellt wird also die Übernahme der Verantwortung für den Lernprozess der Schüler_innen. Auch hier bleibt dem Schüler nur die Rechtfertigung, will er seine Position als autonom handelnd zur Darstellung bringen. Mit dem Einschub »I know« gibt er aber auch zu verstehen, dass er dem Lehrer aufmerksam folgt und zuhört. Er bringt dem Lehrer Anerkennung in Bezug auf seine Rolle als Träger der Verantwortung für den Lernprozess entgegen. Die Spannung, die in dieser Interaktion auffällig wird, löst sich erst wieder mit dem Themenwechsel.

F AZIT Anerkennungsverhältnisse in schulischen Interaktionen lassen sich nur verstehen, wenn man berücksichtigt, dass die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen aufgrund der Generationendifferenz auf einer asymmetrischen Struktur gründet. Soziale Wertschätzung, verstanden als Ausdruck der Einordnung von Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Anforderungen, verweist in pädagogischen Interaktionen auf die Aufgabe der Lehrperson, für die Entwicklung eben dieser Eigenschaften Sorge zu tragen. Herauszustellen ist also als Pflicht der Lehrperson die Verantwortungsübernahme für den Lern- und Entwicklungsprozess der Schüler_innen. Dies beinhaltet natürlich auch, Rahmenbedingungen zu schaffen in Bezug auf die Gestaltung von Lernprozessen. Im vorliegenden Fall das Üben von Englisch. An der Grenze zum Erwachsenwerden zeigt sich jedoch, dass die Verantwortungsübernahme und vermeintliche Unterstützungsleistung der Lehrperson mit Blick auf den Entwicklungsprozess der Schüler_innen zugleich als Aberkennung oder Infragestellung schon vorhandener Kompetenzen verstanden werden kann. Anerkennung unter diesen Bedingungen scheint also nur möglich, wenn Schüler_innen und Lehrpersonen sich ihrer jeweiligen Rollen bewusst sind. Die Anerkennung der Schüler_innen beruht also auf der Anerkennung der Verantwortungsübernahme der Lehrperson in Bezug auf den eigenen Entwicklungspro-

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zess. Wollen Schüler_innen Anerkennung vom Lehrer erfahren, sind sie gleichzeitig gezwungen sich als autonom Handelnde zu präsentieren, die Verantwortung des Lehrers also von sich zu weisen.

L ITERATUR Helsper, Werner/Sandring, Sabine/Wiezorek, Christine (2005): »Anerkennung in institutionalisierten, professionellen pädagogischen Beziehungen. Ein Problemaufriss«, in: Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 179-209. Hericks, Uwe (2007): »Anerkennung im Fachunterricht«, in: Jenny Lüders (Hg.), Fachkulturforschung in der Schule, Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich, S. 209-228. Holzkamp, Klaus (1991): »Lehren als Lernbehinderung?«, in: Forum Kritische Psychologie 27, S. 5-22. Hopf, Christel (2010): »Qualitative Interviews – ein Überblick«, in: Uwe Flick/Ernst von Kardoff/Ines Steinke (Hg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg: Rowohlt, S. 349-360. Ittel, Angela/Raufelder, Diana (2008): Lehrer und Schüler als Bildungspartner. Theoretische Ansätze zwischen Tradition und Moderne, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Meibauer, Jörg u.a. (2007): Einführung in die germanistische Linguistik, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler. Rambow, Riklef & Bromme, Rainer (2000). »Was Schoens »reflective practitioner« durch die Kommunikation mit Laien lernen könnte«, in: Georg Hans Neuweg (Hg.), Wissen – Können – Reflexion: Ausgewählte Verhältnisbestimmungen, Innsbruck: Studienverlag, S. 245-263. Wentzel, Kathryn R. (2003): »Motivating Students to Behave in Socially Competent Way«, in: Theory into Practice 42, H. 4, S. 319-326. Wernet, Andreas (2000): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik, Opladen: Leske, & Budrich.

»Da kommt ein Kurs, der ist in der Chemie so richtig gut« Wertschätzung von Schüler_innen im Spannungsverhältnis zwischen Sach- und Beziehungsebene S ABRINA H OLZ , K ARINA P AUL , J ESSICA T ROST & J OHANNA U HRMACHER

E INLEITUNG Die Schüler_innen-Lehrer_innen-Beziehung stellt in vielerlei Hinsicht ein komplexes und spannendes Forschungsfeld dar, anhand dessen sich unterschiedliche Aspekte der Beziehungsqualitäten und Beziehungsgestaltung untersuchen lassen. Vor allem die sozialen Beziehungen im Rahmen der Schule oder des Unterrichts erweisen sich als relevant für den individuellen Lernprozess und sind sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden von zentraler Bedeutung (vgl. Raufelder, 2010: 188). Dabei ist einerseits »das Gelingen oder Scheitern persönlicher Beziehungen […] für Lehrer […] zugleich Voraussetzung und Konsequenz erfolgreichen beruflichen Handelns«, andererseits sind für Schülerinnen und Schüler »funktionierende menschliche Beziehungen als identitätsbildende Erfahrungen in der Schule zentral und reichen in ihrer Bedeutung weit über die positiven Aspekte auf den Lernerfolg hinaus« (ebd.). Ausgehend von der schon im Beitrag von Matejka vorgestellten reflexiven Auseinandersetzung zu den verschiedenen Dimensionen schulischer Anerkennung und deren Verflechtungen fokussiert der vorliegende Beitrag auf Prozesse der Gestaltung von Anerkennungsverhältnissen im schulischen Kontext. Dabei liegt der Schwerpunkt der theoretischen Reflexion auf der Herstellung eines Arbeitsbündnisses, von Vertrauen sowie Nähe und Distanz.

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F RAGESTELLUNG , D ATENMATERIAL , M ETHODE Professionelles Handeln greift zwangsläufig in die Integrität der Adressaten, in unserem Falle der Schüler_innen ein, wodurch die Herstellung eines gemeinsamen Arbeitsbündnisses als grundlegend verstanden werden muss (vgl. Oevermann 2003; 2008). Das Arbeitsbündnis, zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen ist als Rahmung stets vorausgesetzt und muss interaktiv sowie kommunikativ eingeholt werden. Es lässt sich definieren als »ein fortwährend offener Prozess, der faktisch zu jedem Zeitpunkt auch fraglich und in die Krise geraten kann« (Helsper, 2004: 65). Neben der Errichtung eines Arbeitsbündnisses stellt auch das Vertrauen einen wichtigen Bestandteil zur Gestaltung der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung dar. Dabei sind fünf Elemente ganz wesentlich am Aufbau und Erhalt von Vertrauen beteiligt: Fürsorge, Respekt, Kommunikation, Kooperation und Aufrichtigkeit der Lehrkraft (vgl. Schweer 2008: 560). Neben dem Arbeitsbündnis und dem Vertrauen sind für die nachfolgende Analyse vor allem die Begriffe Nähe und Distanz als zwei sich widersprechende Anforderungen an den Lehrerberuf von zentraler Bedeutung. Häufig kommt es zu einer Spannung zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig, was in der Regel Enttäuschung und negative Effekte nach sich zieht (vgl. Helsper 2007: 22). Der Fragestellung entsprechend wird das Schüler_innen-Lehrer_innenVerhältnis dabei vor allem in Bezug auf Fragen der Gestaltung von Anerkennungsverhältnissen rekonstruiert. Die Fallstruktur und deren latente Sinnstruktur, d.h. die dem Handeln zugrunde gelegten und im Handeln zum Ausdruck gebrachten Bedeutungen, sollen mit Hilfe der objektiven Hermeneutik rekonstruiert werden (vgl. Wernet 2009). Die Methode der objektiven Hermeneutik ermöglicht sowohl die Herausarbeitung latenter Sinnstrukturen als auch der Merkmale der sinnstrukturierten Welt. Die Erhebung der Daten erfolgte zunächst via Filmaufnahme der Unterrichtsstunden. Rekonstruiert werden die ersten Minuten der Unterrichtsstunden. Als konkreter Forschungsgegenstand, mithilfe dessen wir diesen Aspekt untersuchen, dienen Unterrichtstranskripte aus einer 5. Klasse im Englischunterricht und einer neunten Klasse im Chemieunterricht. Kennzeichnend für die Lehrenden beider Klassen ist es, dass sie vor Beginn der Datenerhebung mit dem Deutschen Lehrerpreis auf Vorschlag ihrer Schüler_innen ausgezeichnet wurden. Dies lässt den Schluss zu, dass die Schüler_innen-Lehrer_innen-Beziehung zumindest von Schüler_innenseite aus als positiv eingeschätzt wird.

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»But just ignore them, don't worry about, okay« Bei dem nun folgenden Transkript handelt es sich um einen Englischunterricht in einer 5. Klasse. Eingeleitet wird die Unterrichtsstunde mit folgenden Worten: L: (legt Finger an den Mund) Pscht. (5) So, we have a guest or two guests here today. (Schulglocke ertönt) Professor P. and Misses (?). (unv.). And so, good morning everybody. (gibt Schülern Zeichen, sich zu erheben) (Schüler stehen auf und sagen gemeinsam): Good morning, Misses W. and Misses (unv.) and (unv.) Mister/ P: (.) P.. (Schüler gemeinsam): P.. (Schüler setzen sich wieder) L: (unv.) (.) So, these two are here today just to (you know?) see how our lesson (is?) going on (and what?) we are doing and/ (.) But just ignore them, don't worry about, okay? I'm also trying not to worry about it. A little nervous, but (.) I try to completely (macht Scheuklappengeste) focus on you and not on them, okay? (.) All right? Ähm (.) so, I have a little game for you. (einige Schüler freuen sich) L: So. (.) (unv.), (.) come up here. (Schüler steht auf und geht vor Klasse) [00:00:27-7_00:01:21-7]

Eingeleitet wird die Lehrer_innen-Schüler_innen-Interaktion mit einer offensichtlich ritualisierten Begrüßungssequenz: Frau W. gibt ein Handzeichen und macht: »Pscht«, es folgt die Begrüßung der Schüler_innen inklusive des Winkes sich zu erheben. Kurz unterbrochen wird die Begrüßungssequenz mit dem Hinweis auf die ungewohnte Situation: »So, we have a guest oder two guests here today. (Schulglocke ertönt) Professor P. and Misses (?). (unv.)«. Weitergeführt wird die Erklärung der Situation allerdings erst nachdem das Begrüßungsritual beendet wurde, die Schüler_innen sich wieder gesetzt haben: »So, these two are here today just to (you know?) see how our lesson (is?) going on (and what?) we are doing and/ (.)«. Die Erklärung endet mit dem Hinweis: »But just ignore them, don’t worry about, okay?«. Durch die Äußerung »just ignore them, don’t worry about« legt die Lehrerin einen Aufforderungscharakter in das Gesagte, den sie durch die Frageform des Satzendes »okay?« relativiert. Als Konsequenz ergeben sich für die Schüler_innen zwei unterschiedliche Konventionen innerhalb einer Äußerung: Mit der Aufforderung ruft die Lehrerin zu einer gewünschten Handlung auf, durch die anschließende Frage am Ende der Äußerung räumt die Lehrerin den Schü-

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ler_innen auf wortwörtlicher Ebene eine Wahlmöglichkeit ein. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei »keine Sorgen um etwas machen« nicht um eine Handlung im eigentlichen Sinne handelt, sondern vielmehr um eine emotionale Haltung, welche die Lehrerin von ihren Schüler_innen einfordert. Entscheidend in dieser Situation ist, dass die Lehrerin sich vorher in die Schüler_innen hineinversetzt haben muss, um überhaupt feststellen zu können, dass diese aufgrund der ungewöhnlichen Unterrichtssituation verunsichert sein könnten. Diese Kombination aus Aufforderung und Entscheidungsfrage kommt einer Bitte oder einem Wunsch der Lehrerin an ihre Schüler_innen gleich. Im Anschluss an die Äußerung offenbart die Lehrerin, dass auch sie versucht nicht nervös zu sein und sich ganz auf die Klasse zu konzentriert. Diese Äußerung ist als Ausdruck der eigenen Betroffenheit der Lehrerin und somit als solidarische Äußerung gegenüber der Klasse zu verstehen. Anschließend leitet die Lehrerin den regulären Unterricht ein, indem sie ein Spiel ankündigt. Weitergeführt wird die Sequenz, indem ein Schüler von der Lehrerin aufgefordert wird nach vorne zu kommen. Die Situation des Spiels scheint somit hergestellt. Es folgt die Umschreibung des angekündigten Spiels. L: Ähm we played this game before. I think last year, ne? When we talked about things that we do at the moment. So, things that we ARE DOING NOW, okay? So, you ask him questions and you can’t say anything, you just mime. S1: //Okay.// L: //You// just pretend you’re doing something, okay? S1: (unv.). (L zeigt ihm Kärtchen) Also (nur?) was hier (draufsteht?)? L: Mhm (bejahend) [00:01:36-8_00:01:41-2]

Bei der Äußerung »Ähm we played this game before« handelt es sich zunächst um eine Feststellung, gleichzeitig lässt sich diese Äußerung im schulischen Kontext aber auch als Appell an das Vorwissen der Schüler_innen verstehen. In den darauffolgenden Sätzen werden weitere Hinweise gestreut, die an Vorwissen der Schüler_innen gebunden werden: Die Lehrerin erwähnt, dass sie das Spiel letztes Jahr gemeinsam gespielt haben und dass es darum ging, Dinge zu beschreiben, ohne dabei zu sprechen. Die Beschreibung des Spiels endet mit einer kurzen Rückfrage durch den »exponierten« Schüler. Die Schüler_innen beginnen, das Spiel ohne weitere Aufforderung zu spielen: Während des Spiels bekommt jeweils ein Schüler eine Karte mit einem Begriff gezeigt, den er anschließend pantomimisch darstellt, während der Rest der Klasse versucht den Begriff zu erraten. Das Spiel verläuft weitestgehend in Eigenverantwortung der Schüler_innen mit der Lehrerin als Moderatorin:

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(Schüler macht etwas vor und einige melden sich) S1: S.. S2: Are you cycling? L: Yes, but it’s a different word, isn’t it? S1: Yes. (.) (unv.). S3: Are you ride a bike? S1: Yes. S: Äh riding. L: Did he say the right tense? S3: (All right?). Äh are you/ (.) Are you (..) (ridden?) a bike? S: Nee. L: Nein. (..) Pick someone else. S1: (unv.). S4: Are you riding a bike? S1: Yes. L: Yeah. (.) RIDING, ne? So, (unv.) (come?) S4: (geht vor Klasse, L zeigt ihm Kärtchen, Schüler macht etwas vor und einige melden sich) (10) Ähm (M.?). S5: Are you (dreaming?) something? S4: No. L: Try to pick a girl. S4: (unv.). S6: Ähm are you eating a ice cream? S4: Yes. L: (.) AN ice cream. S6: AN ice cream. L: Okay. S6: (geht vor Klasse, L zeigt ihr Kärtchen, Schülerin macht etwas vor und einige melden sich) (11) Ähm (unv.) äh L. S7: Are you brushing your teeth? S6: Yes. L: Okay. Excellent. S7: (geht vor) L: (Äh?) clean your teeth. (You can say?) clean your teeth, but it said BRUSH your teeth on the card, (therefore/ ?)

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S7: (L zeigt Kärtchen) Oh. (Schülerin macht etwas vor und einige melden sich) (4) Ähm N. S8: Are you (playing tennis?)? S7: Yes. L: Yes, I AM. S7: Yes, I am. [00:01:44-8_00:03:12-1]

Das Spiel beginnt mit der Aufführung einer Pantomime und dem Aufruf einer Schülerin durch S1: Mit »Are you cycling?« gibt die aufgerufene Schülerin ihren Tipp ab. An dieser Stelle wird zum ersten Mal die Interaktion der Schüler_innen unterbrochen. Mit der Äußerung »Yes, but it‘s a different word, isn‘t it?« nimmt die Lehrerin Bezug auf die Aussage Schülerin. Die erste Hälfte der Äußerung der Lehrerin bestätigt und würdigt die Schülerantwort mit »Yes«. Die zweite Hälfte der Aussage »but it‘s a different word« relativiert diese Bestätigung und macht darauf aufmerksam, dass die Antwort zumindest mit Blick auf das Spiel nicht vollständig korrekt ist, dabei richtet sich ihre Rückfrage »isn‘t it?« direkt an die derzeitige »Spielführerin«. Weitere Schüler werden aufgerufen und geben ihre Tipps ab. Nach einer erneuten Korrektur durch die Lehrerin und der Anweisung auch andere Schüler zu Wort kommen zu lassen, endet die Sequenz, indem die Lehrerin die Interaktion abschließt und den Wechsel der Rollen der Schüler_innen initiiert. Das Spiel beginnt von vorne, indem ein weiterer Schüler eine Handlung vorführt. Auch in dieser Spielsequenz zeigt sich erneut der Einfluss der Lehrperson sowohl in Bezug auf den Spielverlauf »Try to pick a girl«, als auch mit Blick auf die fachliche Ebene des Spiels: »AN ice cream« statt »a ice cream«; Der Schüler nimmt die Verbesserung der Lehrerin an, indem er scheinbar ohne Irritation die Aussage wiederholt. Mit einem »Okay« lässt die Lehrkraft das Spiel fortlaufen. Das Spiel nimmt seinen gewohnten Lauf bis ein Schüler aufgerufen wird, der offensichtlich am vorherigen Tag nicht in der Schule war. L: (unv.) N.. S8: (geht vor) L: Are you feeling better today? (.) (unv.) You weren’t here yesterday. Do you feel better? S8: (unv.) (L zeigt ihm Kärtchen) (unv.) (hinlegen?)? L: (zuckt mit Schultern) (unv.) this is really difficult. S8: (Schüler macht etwas vor und einige melden sich) (4) (unv.) S9: Are you chilling? S8: (No?).

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L: No, I’m not. S8: No, I’m not. Äh M. S5: Are you relaxing? S8: No. L: THIS is difficult. S8: S. S2: Are you sleeping? S8: No. L: Did it look like he’s sleeping with eyes open? (einige Schüler verneinen) S8: Äh (J.?). S10: Are you (thinking?)? S8: (.) No. L: (unv.) (Is he?) sinking (macht sinken vor) (..) or thinking. S10: Thinking. L: Are you thinking? S8: No. S: Are you (unv.) laying on the sofa? S8: No. (..) Ähm (E.?). S11: Are you laying in the sun? L: (.) Ah close. You’re getting there. (.) So, N.. Do it again but maybe another (.) handmovement. S8: (Schüler macht etwas vor und einige melden sich) S: (unv.). S8: Äh (unv.). S11: Are you (talking?)? (einige Schüler reden durcheinander und lachen) S12: Are you lying in the sun? S8: (.) No. L: It has to do something with the last (.) ähm text that we read. (.) Something //(in our school?).// S8: //M..// S5: //Are you// having (a sauna?)? S8: Yeah. L: Excellent. Very good. [00:03:13-2_00:04:41-0]

Der Schüler S8 wird von der Lehrerin aufgerufen und geht nach vorne: Die Lehrerin fragt ihn: »Are you feeling better today? (.) you weren‘t here yesterday«. Damit wechselt die Lehrerin von der fachlichen Ebene auf die Bezie-

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hungsebene. Nicht mehr das Spiel sondern der Schüler selbst steht jetzt im Mittelpunkt ihres Interesses, aber nur kurz. Denn schon mit der nächsten Äußerung wechselt die Lehrerin sofort wieder auf die Ebene des Spiels. Mit der Aussage, »this is really difficult« greift sie jedoch nicht mehr direkt in das Geschehen ein, sondern kommentiert auf einer Metaebene den Anstieg der Komplexität des Spiels und eröffnet den Schüler_innen damit Raum für weitere Fehler. Gleichzeitig entlastet diese Aussage aber auch den Pantomimenspieler in seiner Verantwortung für den Spielerfolg. Die Schüler_innen geben verschiedene Tipps ab, die sich jedoch zunächst als falsch erweisen. Erst mit Unterstützung der Lehrerin wird der Begriff schließlich erraten. Die Lehrerin kommentiert den Spielverlauf mit »Excellent. Very good«. Insgesamt zeugt das gesamte Transkript von der Dichte der Einflussnahme der Lehrerin auf die Unterrichtsinteraktion. Dies zeigt sich schon in der Begrüßungssequenz die durch einen stark ritualisierten Ablauf gekennzeichnet ist. Fasst irritierend zeugen die Haltungen der Schüler_innen von einer ungebrochenen Akzeptanz: Ein »pscht«, die Klasse ist leise, ein Fingerzeig, die Klasse steht auf. Initiiert wird in dieser ersten Sequenz die Rahmung des Unterrichts als übergreifendes Ritual. Der Unterricht selbst wird im Gegensatz dazu als »Spiel« eingeführt. Aber auch das Spiel zeugt von einer starken Steuerung durch die Lehrerin: Sie übernimmt die Regie und damit die volle Verantwortung für den Interaktionsverlauf: So korrigiert sie sowohl den Ablauf des Spiels als auch die Aussagen der Schüler_innen hinsichtlich ihrer Passung zum Spiel und grammatikalischen Richtigkeit, wobei weder die Aufführungen der Schüler_innen noch die Antworten als defizitär eingeordnet werden, sondern den Schüler_innen einfach der Weg vorgegeben wird, der als passend verstanden wird. So wird der »Lauf« der Schüler_innen nicht unterbrochen, sondern lediglich wie von unsichtbarer Hand in die richtige Richtung gelenkt. Darüber hinaus antizipiert die Lehrerin die Perspektive der Schüler_innen indem sie mit Blick auf das Spiel die Komplexität der Aufgabenstellung einräumt und damit den Schüler_innen so Raum für Fehler zur Verfügung stellt. Die Schüler_innen werden so als Lernende angesprochen. In der Ansprache als Lernende ist enthalten, dass Fehler zum (Lern-)Prozess gehören. Komplementär dazu steht die in zwei Sequenzen zum Ausdruck gebrachte »Sorgebeziehung«: der Hinweis sich von der ungewohnten Unterrichtssituation nicht irritieren zu lassen sowie die Nachfrage in Bezug auf die Gesundheit des Schülers S8. Die Struktur der in dem vorliegenden Beispiel zum Ausdruck gebrachten Beziehungsgestaltung lässt sich also vor allem mit Blick auf die hohe Verantwortungsübernahme der Lehrerin in Bezug auf die Passung zum Ablauf und zum Inhalt des Unterrichts verstehen. Dabei werden die Abweichungen

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jedoch nicht als Störungen, sondern als integraler Bestandteil des Entwicklungsund Lernprozesses der Schüler_innen verhandelt. Die scheinbar ungebrochene Akzeptanz der Schüler_innen zeugt dabei von einem hohen Vertrauensvorschuss in Bezug auf die fachliche vor allem aber auch pädagogische Kompetenz der Lehrperson, einer unwidersprochenen Einbindung der Schüler_innen in die asymmetrische Beziehungsstruktur ohne die ein solcher Interaktionsverlauf wohl nicht möglich wäre. Ausgehend von diesen Überlegungen zeigt sich in dem zweiten von uns betrachteten Transkript eine grundlegend andere Herangehensweise in der Ansprache zwischen Lehrperson und Schüler_innen. »Da kommt ein Kurs, der ist in der Chemie so richtig gut« Das folgende Transkript entstammt einer Chemieunterrichtsstunde in der neunten Klasse einer Realschule. Eingeleitet wird die Unterrichtsstunde mit folgenden Worten: L: (..) So, ich habe ja gesagt, dass wir/ machen alles wie normal auch. Das heißt (.) (unv.). (Schüler stehen auf und reden durcheinander) L: Einen wunderschönen guten Morgen zusammen. (Schüler gemeinsam): Guten Morgen, Herr M.. (Schüler setzen sich) L: Wie angekündigt Besuch heute. (.) (Von der Universität?) Mainz (...) Ihr sollt euch aber/ (.) die meisten so benehmen wie sonst auch immer. (.) (Lachen) (lachend) Der ein oder andere soll sich besser benehmen. (.) [00:00:08-3_00:01:03-1]

Ähnlich wie in der zuvor betrachteten Unterrichtsstunde wird auch diese Lehrer_innen-Schüler_innen-Interaktion mit einem Begrüßungsritual eingeleitet. Die Initiierung des Rituals erfolgt dabei durch den Hinweis auf eine eingespielte Routine: »So, ich habe ja gesagt, dass wir/ machen alles wie normal auch. Das heißt (.) (unv.) «. Die Schüler_innen stehen auf, werden vom Lehrer begrüßt und grüßen den Lehrer im Kollektiv zurück. Die Begrüßungssequenz wird durch das Hinsetzen der Schüler_innen als abgeschlossen markiert. Direkt darauf folgt die Ankündigung eines Besuchs von der Universität Mainz. Abgeschlossen wird die Ankündigung mit dem Hinweis: »Ihr sollt euch aber (.) die meisten so benehmen wie sonst auch immer«. Der Satzteil »Ihr sollt euch aber« rekurriert auf das bestehende Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis im Rahmen institutionell, hierarchischer Beziehung. Dies wird mithilfe des Verbs »sollen« dargestellt und bedeutet, dass

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der Lehrer eine Anweisung an die Schüler_innen gibt. Dabei wird durch das »aber« ein Gegensatz, hier in Bezug auf eine antizipierte Erwartungshaltung angesichts des »gefilmt Werdens«, eingeleitet. Der Satz wird fortgeführt mit den Worten: »die meisten so benehmen wie sonst auch immer«. Die Aussage »so benehmen wie sonst auch immer« weist darauf hin, dass innerhalb des Unterrichts ein bestimmter Verhaltensmaßstab existiert, den die Schüler_innen kennen und normalerweise auch befolgen. Eingeschränkt wird dieses so verstandene Lob mit dem Hinweis auf »die meisten«. Entscheidend ist, dass »die meisten« im vorliegenden Satz seitens des Lehrers nicht eindeutig definiert werden, da »die meisten« als eine Gruppe von mehreren Schüler_innen zu verstehen ist. In diesem Fall wird die Gruppe aber nicht klar zugeordnet, so dass es möglich ist, dass sich jeder oder aber auch kein Schüler angesprochen fühlt. Welche Schüler_innen genau sich so benehmen sollen wie sonst auch immer, beziehungsweise welche sich anderes benehmen sollen, bleibt also unklar. Diesem Widerspruch liegt eine positive Deutung zugrunde. Der Lehrer geht mit dieser Aussage das Risiko ein, dass Schüler_innen, die sich »nicht immer gut benehmen«, auch in der jetzigen Situation keine Verbesserung aufzeigen. Dennoch zeigt die Kombination aus klarer Aufforderung und unklarer Abgrenzung der Schüler_innen, dass der Lehrer seine Aufforderung an die Schüler_innen offen gestaltet. Im Zusammenhang mit dieser Vermutung ist es den Schüler_innen selbst überlassen, sich als potenzielle Empfänger_innen der Nachricht zu identifizieren. In diesem Fall bedeutet das auch, dass der Lehrer seine Schüler_innen gut kennt und ihnen diese Wahlmöglichkeit bietet, sich selbst einzuschätzen. Er legt somit automatisch die Verantwortung in die Hände der Schüler_innen. Er investiert demnach Vertrauen in die Schüler_innen und hofft, dass diese den gleichen Grad an Vertrauen investieren. Die Schüler_innen quittieren die Aussage des Lehrers mit einem Lachen. Sie haben verstanden. Ebenfalls »lachend« führt der Lehrer seine Überlegungen dann auch weiter: »der ein oder andere soll sich besser benehmen«. An dieser Stelle wird erneut erkennbar, dass sich der Lehrer mit der klaren Ansprache an die eigentlich gemeinten Schüler_innen zurückhält und ihnen erneut die Chance gibt, sich selbst als der Eine oder Andere zu identifizieren. Das Verb »besser« ist eine Art der Wertung, wobei sich diese Wertung auf einen vorherigen Zustand bezieht. Im Zusammenhang mit dem Verb »benehmen« korreliert dieser Zustand abermals mit einem Verhaltensmaßstab, der sich anscheinend als »nicht angemessen« herausgestellt hat und aus diesem Grund nicht mehr beachtet werden soll. Im Gegenteil, die Schüler_innen sollen diesen »nicht angemessenen« Zustand positiv überschreiten, indem sie sich »besser benehmen« als sonst. Im

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Vergleich zum ersten Satzteil kann der zweite als eine Korrektur betrachtet werden. Da der zweite Satzteil ebenfalls mit einem Lachen einhergeht, kann auch hier vermutet werden, dass trotz der in der Anweisung steckenden ernsten Botschaft, die Bedeutung dieser Anweisung gemindert wird. Er vermeidet jegliche Kritik, womit er die Verantwortung wieder in die Hände der Schüler_innen legt. Demnach kann auf ein eher längeres vertrautes Lehrer-Schüler-Verhältnis geschlossen werden, bei dem sich sowohl der Lehrer als auch die Schüler_innen gegenseitig einzuschätzen wissen. Beide Seiten scheinen ein gleiches Maß an Vertrauen ihrem Gegenüber entgegenzubringen. (Lachen, L geht kurz in Nebenraum und holt Molekülmodell, Schüler reden durcheinander) L: Der Dr. P. ist (unv.) Chemiker und ich habe gesagt/ S2: Wer ist eigentlich der Dr. P.? L: Der Mann, der (mit?) euch gerade gesprochen hat. S2: Hat der uns/ Hat der sich vorgestellt? (lacht) L: Äh macht ja nichts. Der Dr. P. also Chemiker und ich habe gesagt, also, in der vierten Stunde, (.) da kommt ein Kurs, der ist in der Chemie so richtig gut. (Lachen) L: Also, wenn jemand rausgehen will (lachend) (unv.). Nein. S3: Nein? Boah. L: So, da (müssen?) wir mal gucken ähm/ (..) (Hast du jetzt auch verstanden?) (Lachen) [00:01:22-8_00:01:54-0]

Die Interaktion wird fortgeführt, indem der Chemielehrer den Schüler_innen ein Molekülmodell zeigt. Dabei erklärt er den Schüler_innen, dass der Besuch aus Mainz ebenfalls Chemiker sei. Diesem Besuch habe er Folgendes erzählt: »da kommt ein Kurs, der ist in der Chemie so richtig gut«. Eröffnet wird mit dieser Sequenz eine Zuschreibung in Bezug auf die fachliche Kompetenz der Schüler_innen in Form einer »Überhöhung« »so richtig gut«. Auch dieser Kommentar des Lehrers wird von den Schüler_innen mit einem Lachen quittiert. Dies bedeutet, dass die Schüler_innen, die sowohl den Kurs kennen und diesen einzuschätzen wissen, als auch dessen Leistungen und Kenntnisse im Fach Chemie einschätzen können, die Aussage des Lehrers als Übertreibung markieren. Das allgemeine Lachen verweist somit auf eine Differenz zwischen der Ansprache und der Selbsteinschätzung der Schüler_innen, gleichzeitig wird so aber auch eine Erwartungshaltung gegenüber den Schüler_innen sowie der anwesenden dritten Person etabliert.

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Die Interaktion wird seitens des Lehrers wie folgt weitergeführt: »Also, wenn jemand rausgehen will«. Das Wort »also« stellt den Bezug zum vorherigen Satz her: Mit Blick auf die vorher vom Lehrer formulierte Erwartungshaltung in Bezug auf die fachliche Kompetenz wird den Schülerinnen zumindest verbal die Chance eröffnet, sich dieser zu entziehen. Die Schüler_innen können selbst entscheiden, ob sie – unter diesen Umständen – den Unterricht verlassen möchten oder nicht. Die Schüler_innen hingegen, die den Unterricht nicht verlassen, werden demnach offiziell als gute Schüler_innen identifiziert. Abermals wird es den Schüler_innen überlassen, sich selbst zu positionieren. Auf diese Weise wird, ob gewollt oder nicht, eine kollektive Identität innerhalb der Kursgruppe erzeugt. Ein Dazugehören erscheint als Handlungsoption weitaus umsetzbarer als ein Verzicht auf Gruppenzugehörigkeit. Sie verstärkt die Erwartungshaltung des Lehrers. Verließe tatsächlich ein_e Schüler_in den Raum, käme dies einer Selbststigmatisierung gleich. Die Unterrichtssequenz wird fortgeführt, indem der Kurs gemeinsam anhand eines Molekülmodells die Kohlenwasserstoffe und deren Nomenklatur behandelt. Dabei betont Herr M. die fachliche Ebene des Unterrichts: L: So, da wollen wir einfach schauen, ob äh ihr mitarbeitet und vielleicht euch auch melden könnt. Ich möchte einfach (hält Modell hoch) kommentarlos mehr oder weniger das hochhalten. (..) Und jeder, der meint, was dazu sagen zu können, (..) FACHLICH (...) (wollen wir mal?) (unv.). (einige Schüler melden sich) L: J.. S4: Also ist ein C7H16-Molekül. L: (.) Wow. C7H6. C7 H6 was (ist das?)? S4: H16. L: Okay. (unv.) 16. (zählt durch) (..) RICHTIG. Ja. (.) Gibt es noch andere, C7H16. (..) Wie nennen wir denn so die (Zeichen?), die du gerade genannt hast, da gibt es ein Fachwort für? (.) Wenn man sagt C7H16. S4: (unv.). L: Nein, ähm ich könnte ja auch sagen C8H18 oder C1H4. (..) Wie nennt man solche Bezeichnungen, wo die (.) Symbole mit mit mit Koeffizienten versehen sind, mit Zahlen? S: (leise) Buthan, Ethan, Methan? L: (...) J.? S5: Ähm das sind Alkane L: (.) In dem Fall sind es Alkane. S6: Nomenklaturen. S7: Summenformel.

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L: Ja, jetzt sammeln wir alles querbeet. (.) Nomenklatur machen wir jetzt gleich auch. Habt ihr euch auch (vorher super?) drauf vorbereitet. Aber wenn man einfach nur die äh äh Anzahl der einzelnen Atome in einem Molekül bekannt gibt mit C7 (.) H16, (.) das hat eine allgemeine Bezeichnung. Ich (will ja jetzt?) (unv.) Fachwort (unv., Schüler flüstern) (zu kommen?). S8: Kohlenwasserstoff? L: (.) Richtig, die können wir bei/ diese Dinger können wir bei den Kohlenwasserstoffen sehr gut anwenden. Ich möchte/ S7: Summenformel. L: (seufzt) Ich hätte es schon fast selbst gesagt. (Dann hättet ihr keinen Anschiss bekommen?). Die SUMMENformel. (.) Ja, also/ Ja, natürlich (hier war also?) die die Summenformel für dieses äh Molekül genannt. Was fällt euch NOCH jetzt so ein? Also C7H16 haben wir (hier?). (einige Schüler melden sich) L: Jetzt hatten wir einige Sachen durch meine Raterei gerade schon gesagt, aber müssen wir eventuell noch mal wiederholen. Was fällt euch hier zu diesem Gerüst dann noch mal ein? (.) (K.?). S9: Äh das ist ein Dimethylpentan. L: (.) Wow. (unv.). Ich habe ja auch gesagt, ihr seid tolle Chemiker. [00:02:149_00:04:12-7]

Der Unterricht wird fortgeführt, indem der Lehrer die Schüler_innen dazu auffordert ihr Wissen zum Molekülmodell preiszugeben »jeder, der meint, was dazu sagen zu können, (…) FACHLICH (…) (wollen wir mal?)«. Den Schüler_innen wird so der Raum eröffnet sich, der Ansprache entsprechend, als fachlich kompetente Schüler_innen zu präsentieren. Einige Schüler_innen melden sich und präsentieren ihre Antworten. Die Interaktion endet mit der Aussage »Wow. (unv.). Ich habe ja auch gesagt, ihr seid tolle Chemiker«. Unabhängig der individuellen Leistungsbewertung der einzelnen Schüleräußerungen wird hier erneut die gesamte Klasse unter die Konstruktion einer kollektiven fachlichen Identität wertgeschätzt. Herr M. spricht die Schüler_innen als Wissende an, seine Anerkennung basiert auf seiner Erwartungshaltung den Schüler_innen gegenüber. Er konstruiert mithilfe bedingungsloser Kollektivanerkennung einen Raum, in dem jede_r Teil eines erfolgreichen Kollektivs ist. Dass die Schüler_innen kompetent sind, ist die Grundlage seines Lehrerhandelns. Für das Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz bedeutet dies, dass eine reale Einschätzung eventuell vorliegender Wissenslücken kaum wahrnehmbar ist. Das Verhältnis ist von wertschätzender Nähe geprägt. Ausdruck findet dies insbesondere in der Ansprache als »tolle Chemi-

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ker«. Damit werden die Schüler_innen explizit ihrer Rolle als ebendiese verwiesen und treten als fast schon gleichberechtigt kompetente Fachleute auf den Plan.

F AZIT Wir haben uns in diesem Artikel der Frage der Gestaltung von Anerkennungsverhältnissen gewidmet. Dabei lag unser Schwerpunkt auf der Herstellung von Arbeitsbündnissen, Fragen des Vertrauensverhältnisses sowie Nähe und Distanz. In der Auseinandersetzung mit den zwei vorliegenden Fällen, die an unterschiedlichen Schulformen und in unterschiedlichen Altersstufen erhoben wurden, beeindruckte uns vor allem die grundlegend andere Ansprache der Lehrer_innen. Die dort zum Ausdruck gebrachte Konstruktionsleistung in Bezug auf Schüler_innenidentitäten ebenso wie der Prozess der Gestaltung einer offensichtlich »funktionierenden« Schüler_innen-Lehrer_innen-Beziehung schien uns dabei von besonderem Interesse. Im Vergleich der Lehrpersonen fällt als aller erstes die Ebene Unterrichtsinteraktion bzw. Kommunikation auf: Der Unterricht von Herrn M. ist gekennzeichnet durch eine vergleichsweise »lockere«, tendenziell »ironische« Kommunikation(-skultur). Die Schüler_innen werden von ihm als »Wissende« konstruiert, ihnen wird so die Möglichkeit geboten, sich als solche auch wirklich jederzeit präsentieren zu können. Durch die in der Ansprache enthaltene sichtbare »Überhöhung« oder »Übertreibung« wird eine Erwartungshaltung präsentiert, die ihnen einerseits Raum zur Verfügung stellt sich selbst »richtig« einzuschätzen und auch Energie aufzuwenden, wenn gewünscht, sich als solche zu präsentieren, andererseits beinhaltet die Erwartungshaltung aber auch eine Entlastung, sie können diesem Anspruch gar nicht gerecht werden, d.h. sie können nicht scheitern. Im Gegensatz zu Herrn M. löst Frau D. das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz, Sach- und Beziehungsebene indem sie eine klare Trennlinie zwischen den beiden Sphären zieht: Das reguläre Unterrichtsgeschehen ist sehr sachlich und diszipliniert strukturiert, es fallen keine sarkastischen Äußerungen, keine Scherze. Gleichzeitig übernimmt die Lehrerin durch ihre klare Führung die Verantwortung für das Unterrichtsgeschehen: Dies betrifft sowohl die fachliche Ebene der Schüler_innenantworten als auch die Steuerung des Interaktionsverlaufs. Betont wird so der Lernprozess. Das wiederholt auch dieselben Fehler auftauchen, wird weder von ihr noch von den Schüler_innen in Frage gestellt.

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L ITERATUR Helsper, Werner (2004): »Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit – ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln«, in: : Barbara Koch-Priewe/Fritz-Ulrich Kolbe/Johannes Wildt (Hg.), Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung, Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S. 49-98. Ders. (2007): »Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne«, in: Heinz-Hermann Krüger(Hg.), Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich, S. 15-34. Oevermann, Ulrich (2003): »Brauchen wir heute noch eine gesetzliche Schulpflicht und welches wären die Vorzüge ihrer Abschaffung?«, in: Pädagogische Korrespondenz, Heft 30, S. 54-70. Ders. (2008): »Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule«, in: Werner Helsper u.a. (Hg.), Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmung am Beispiel der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 55-79. Raufelder, Diana (2010): Soziale Beziehungen in der Schule – Luxus oder Notwendigkeit?, in: Angela Ittel/Hans Merkens/Ludwig Stecher (Hg.), Jahrbuch Jugendforschung (Online), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 187-202. Schweer, Martin K. W. (2008): »Vertrauen im Klassenzimmer«, in: Ders. (Hg.), Lehrer-Schüler-Interaktion. Inhaltsfelder, Forschungsperspektiven und methodische Zugänge, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 547564. Wernet, Andreas (2009): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Ironie

»Die Elektronen sind eigentlich wie ihr« Ironie als Modus des Umgangs mit antinomischen Spannungen im Lehrberuf A DRIAN W OLFGANG U LMCKE

»We don’t need no education. We don’t need no thought control. No dark sarcasm in the class room. Teacher leave them kids alone!« (PINK FLOYD)

E INLEITUNG Mit der ersten Strophe des Liedes »Another brick in the wall« schuf Pink Floyd die musikalische Manifestation der Themen Antinomie und Sarkasmus, der verletzenden Form der Ironie. Beschrieben wird, wenn auch sehr einseitig, das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Zwang (vgl. Helsper 2004: 82 f.). Braucht man wirklich Erziehung, um sich zu entwickeln? Die Brisanz dieser Themen scheint ihre Aktualität nie zu verlieren. Gerade im Bereich der universitären Lehrer_innenbildung muss man sich die Frage stellen, wie der Umgang mit dieser, wenn auch in den Liedzeilen überspitzt dargestellten, Thematik zu gestalten sei. Dass ein Umgang mit diesen Spannungen und paradoxen Handlungsanforderungen möglich ist und damit der Beruf des Pädagogen nicht unmöglich erscheint, wird in den Überlegungen zu professionellem pädagogischen Handeln deutlich. Durch eine differenzierte Betrachtungsweise ließe sich der Umgang mit paradoxen Anforderungen entdramatisieren (vgl. ebd.: 89). Um Handlungsfähigkeit zu ermöglichen, ist entweder von einer Balance zwischen den gegensätzlichen Polen oder einer abwechselnden Berücksichtigung der Pole die Rede (vgl. Bräu 2008: 192). Zudem soll eine rekonstruktiv-reflexive Vorgehensweise spezifische Sinnstrukturen dieser – unter immer wieder neuen, komplexen Bedingun-



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gen entstehenden – Umgangsformen einer handlungsorientierten Diskussion zugänglich machen (vgl. Helsper 2004: 90). In diesem Beitrag wird die ironische Interaktion im Klassenzimmer als ein Modus des Umgangs mit antinomischen Handlungsanforderungen rekonstruiert. Dazu werden zunächst die Konzepte der Ironie und der Antinomie auf der Basis relevanter, theoretischer Erkenntnisse elaboriert und das Verhältnis zwischen ihnen diskutiert. Dem folgt eine objektiv-hermeneutische Analyse eines Fallbeispiels. Die Bedeutung der empirisch gewonnenen Ergebnisse wird schließlich in der Konklusion in der Auseinandersetzung mit diesen theoretischen Konzepten verdeutlicht.

I RONIE

UND

ANTINOMIE

Um sich dem Phänomen der Ironie in seiner Komplexität nähern zu können, ist ein Überblick über den geschichtlichen Hintergrund hilfreich. Japp zeigt diesbezüglich auf, dass der Ursprung der Ironie in der »Mäeutik« des Sokrates zu finden ist, welcher selbständiges Reflektieren zur Prämisse der Erkenntnisförderung erhebt (vgl. Japp 1983: 91 ff.). In der Romantik avanciert Ironie dann zu einem universellen Prinzip mit dem Ziel, Sinn jenseits der Sprache zu konstruieren (vgl. ebd.: 84). Sprache wird damit als Grenze verstanden, die es durch Ironie zu überwinden gelte (vgl. ebd.: 185 ff.). Die Ironie der Moderne sei dagegen vom Sprachzweifel geprägt. Dieser ist Ausdruck des Vorbehaltes, ob die Welt wirklich so ist, wie sie vorgibt zu sein. Ironie versteht sich nun also als ein Ausweg (unter anderen) für die Problemstellungen des modernen Menschen, wie Kontingenz, Orientierungs- und Identitätsverlust (vgl. ebd.: 244). Auch im pädagogischen Kontext ist der Gebrauch der Ironie einem Diskurs unterworfen. Auf der einen Seite herrscht die Auffassung, Ironie sei zutiefst unpädagogisch, da sie ähnlich dem Spott, ein Ausdruck von Überlegenheit darstelle (vgl. Nohl 2002: 193 f.) und zudem im Grunde verwerflich sei, da sie als eine Täuschung auf Kosten des Kindes aufzufassen sei (vgl. Baacke 1985: 207). Sie sei, dem Diskurs folgend, ebenso »nicht verständlich«, wie »nicht verständ1 nisvoll« (Krüger 2011: 122 f.). Ausgehend von der These, dass der Diskurs über

 1

Das Argument, Kinder seien nicht in der Lage, Ironie zu verstehen, konnte revidiert werden. So können Ackermann und Vesper zeigen, dass Kinder ab dem Alter von 6 Jahren fähig sind, Ironie auszumachen und je nach Komplexität auch zu deuten (vgl. Ackermann 1983: 507; Vesper 1997: 216). Kotthoff bestätigt dies, weist jedoch darauf hin, dass eine »explizite Deutung« meist scheitert (vgl. Kotthoff 2007: 6).

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Ironie in der Pädagogik von einer mangelnden Abgrenzung zu den Kategorien Spott und Humor geprägt sei, wird auf der anderen Seite die These vertreten, dass Ironie nützlich sei, um den theoretischen Dialog über die »(Un-)Möglichkeiten von Pädagogik« und der »strukturellen Ungewissheitsproblematik« zu fördern (Aßmann/Krüger 20011: 12f.). Ironie wird somit auf theoretischer und auch pragmatischer Ebene zu einem Modus pädagogischer Reflexion (vgl. ebd.). In Anlehnung an Krieger und Mikulla verweisen Aßmann und Krüger überdies auf den beziehungsstiftenden Sinn von Ironie. Ironie verweise, vorausgesetzt sie wird vom Gegenüber geteilt, auf »etwas Gemeinsames; eine Solidarität der Distanz, [die] die Subjekte nicht festschreibt auf Begriffe, Jugendliche nicht auf ihre nur experimentellen Selbstinszenierungen, Jugendarbeiter nicht auf ihre administrativen Rollen« (Krieger/Mikulla 1994: 137 f. zit. n. Aßmann/Krüger 2011: 14). Ausgangspunkt der Überlegungen stellt die Betrachtung der Ironie als Sprechakt dar. Ausgehend von der Absicht als Ursprung der Kommunikation lässt sich mit Blick auf einen ironischen Sprachakt die Bedeutung des Gesagten von der des Gemeinten sowie der Erwartung unterscheiden. Während also die Bedeutung sich auf die Aussage selbst bezieht, geht der Sinn des Gemeinten jedoch über die Wörter hinaus. Diese Differenz aufzudecken liegt jedoch auf der Seite des Empfängers (vgl. Japp 1983: 58). In die Konstruktion des Sinns einer ironischen Äußerung mit eingeschlossen ist also die Annahme der Abweichung der Erwartungshaltung sowie deren Auflösung durch den Empfänger (vgl. Lapp 1997: 32 f.). Ironische Äußerungen lassen sich somit als »riskante Unternehmungen« bezeichnen (Aßmann 2008: 127), da es sich bei der Ironie um einen Kommunikationsmodus handelt, »in dem es der Sprecher dem Adressaten überlässt und überlassen muss, das verdeckt Gemeinte zu verstehen« (ebd.: 279). Gründe, diese Kommunikationsform »trotzdem« zu nutzen, liegen darin, etwas nicht sagen zu dürfen, sagen zu wollen oder sagen zu können, aber dieses Etwas doch zum Ausdruck bringen zu wollen (vgl. Aßmann/Krüger 2011: 185). Um auferlegte Grenzen, im Besonderen die »Sprachgrenze«, überschreiten zu können, diene Ironie der »Potenzierung« der Möglichkeiten zur Versprachlichung der Welt. Durch diese Befreiung der Sprache soll schließlich auch die Befreiung aus weltlichen Zwängen und Widersprüchen gelingen (vgl. Japp 1983: 184). Engeler äußert dazu: »Ironisches Sprachbewusstsein ist die Reflexion darüber, dass Sprache Setzung ist und dass neue Setzung möglich ist, dass das, was als unwandelbares Sprachmedium erscheint, einschränkende und nicht notwendige Norm ist« (Engeler 1980: 45). Damit wird die Widersprüchlichkeit an sich angezweifelt und gleichzeitig werden neue Möglichkeiten der Beschreibung entworfen, die wiederum auf eine andere Setzung von Welt verweisen.

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Diese Setzung darf aber nicht vollständig von der Welt und ihrer Wirklichkeit entkoppelt sein, sondern entsteht gerade durch die Auseinandersetzung mit ihr (Japp 1983: 25). Vor diesem Hintergrund lässt sich dann auch der Einsatz von Ironie in pädagogischen Settings verstehen. Hier gilt der Fokus insbesondere der Frage nach einem Modus des Umgangs mit den antinomischen Anforderungen an das Lehrerhandeln. Antinomie wird nach Helsper als »Kontradiktion eines Satzes in sich oder zweier Sätze zueinander verstanden« (Helsper 2004: 61). In Bezug auf professionelles pädagogisches Lehrerhandeln werden darunter die konstitutiven und damit nicht-hintergehbaren, »idealtypischen, einander widersprechenden Anforderungen« verstanden, welche für das pädagogisch professionelle Handeln »gleichermaßen relevant sind und Anspruch auf Gültigkeit erheben« (Helsper 1996: 521ff.; Helsper 2004: 61). So beschrieb den wohl größten Widerspruch pädagogischen Handelns schon Kant, als er die Frage stellte: »Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?« (Kant 1978: 711). Bei Benner findet sich zudem als pädagogische Grundparadoxie, «den Zuerziehenden zu etwas aufzufordern, was er noch nicht kann und ihn als jemanden zu achten, der er noch nicht ist, sondern allererst vermittels eigener Selbsttätigkeit wird« (Benner 1987: 71). Daraus folgt in der konkreten Unterrichtssituation, dass die Lehrperson dazu aufgefordert ist, Schüler_innen dazu zu bringen (d.h. »zu zwingen«), selbstständig zu arbeiten und ihr Tun zu hinterfragen. Dabei stellt sich immer die Frage, wie genau Schüler_innen den Weg zur Freiheit selbst finden sollen, wenn jeder Schritt dorthin vorgegeben wird. Falls diese kritische Selbstständigkeit schließlich erreicht ist, kann sie wiederum eine Opposition gegen die Art und den Inhalt der pädagogischen Absicht erzeugen und schließlich zur Verzichtbarkeit der Lehrperson führen, da Schüler_innen nun selbstständige Persönlichkeiten sind, die auch selbstständig lernen können, was ja die ausgehende Absicht war. Man könnte pointiert auch sagen, Lehrer_innen müssen die Selbstständigkeit ihrer Schüler_innen erzwingen, um sich schließlich selbst überflüssig zu machen (vgl. Helsper 1996: 536; Nohl 2002: 166). Ironie verstanden als Modus pädagogischer Reflexion erzeugt in seiner Differenz von Gesagtem und Gemeintem aus der Perspektive des Empfängers die Möglichkeit des selbstständigen Bearbeitens dieser Spannungsverhältnisse. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive lässt sich Ironie im Umgang mit »irreduziblen Spannungen im pädagogischen Verhältnis« auch als »Modalisierungsinstrument« im Sinn einer Aushandlung des Geltungsanspruchs einer zuvor als gültig akzeptierten Aussage verstehen (Grammes 1998: 778 zit. nach Aßmann/Krüger 2011: 14). Diese Modalisierung wird dadurch erreicht, dass sich der Handelnde »im Tun selbst über die Schulter schaut« und in der so deutlich

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werdenden Meta-Kommunikation eine Distanz zu dem Gesagten hergestellt wird (Aßmann/Krüger 2011: 13). So wird eine instantane Reflexion hervorgerufen, die einen kritisch-konstruktiven Umgang ermögliche (vgl. Engeler 1980: 232). In gesellschaftlich widersprüchlichen Rahmenbedingungen zeichnet sie sich durch die Möglichkeit aus, neben der offensichtlichen Bedeutung eine andere zum Ausdruck zu bringen, und fungiert somit als »Befreiung aus Zwangslagen« und als »Konfliktlösung« (ebd.: 172/178). Damit ermögliche Ironie die Erhaltung der Kommunikationsfähigkeit, ohne dabei ein bestimmtes Regelverständnis oder die Höflichkeit zu verletzen. Aßmann verweist schließlich noch auf die immanente »Kontingenz von Sinn«: Wüsste der Sender, auf welchen Sinn er sich ganz genau festlegen wollte, könnte er dies genauso sagen. Ironiker stellen den Sinn aber zur Disposition. Diese Handlung lässt nun eine Überprüfung gemeinsamer Wissensbestände zu, auf deren Basis »neue Kontextinterpretationen und neue Handlungsformen« etabliert werden können (Aßmann 2008: 279 f.). In Anbetracht dieser allgemeinen Zusammenhänge stellt sich nun noch die Frage, inwiefern Ironie im Sinn eines unterrichtsspezifischen Umgangsmodus mit antinomischen Handlungsanforderungen bisher behandelt wurde. Mecheril und Hoffarth greifen als bestimmendes Charakteristikum antinomisch geprägter Unterrichtssituationen die konstitutive »Unbestimmtheit« auf (Mecheril/Hoffarth 2011: 28). Aus der schon behandelten Grundparadoxie pädagogischen Handelns nach Benner (1987) resultiert, mit den Lernenden umzugehen, als ob sie Autonomie schon besäßen, um diese schließlich hervorzurufen. Genau diese Figur des »als ob« erweist sich als typisch ironische Kommunikationsform, welche durch die zusätzliche Bedeutung der Implikatur ermöglicht werde. (vgl. Mecheril/Hoffarth 2011: 34; Helsper 2004: 58; Helsper 1998: 20) Auch die Näheantinomie, welche in »soziale Unbestimmtheit« führt und durch die konstitutive Asymmetrie zwischen Lehrperson und Lernenden noch verschärft wird, findet in der erwähnten Ironiestruktur als Befreiung aus Zwangslagen und einem Spiel mit Rollen2 und jeweiligen Bedeutungen ihre handlungsorientierte Entsprechung (vgl. Mecheril/Hoffarth 2011: 29). Dies bedeutet aber nicht, dass diese Verweise eine »Lösung« dieser Antinomien darstellen, da es sich hier um konstitutive und damit unhintergehbare Antinomien handelt. Vielmehr kann Ironie in diesen Fällen eine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit innerhalb der Antinomie eröffnen (vgl. Mecheril/Hoffarth 2011: 30). Die Verständnisbestimmung schließt an die Überlegungen zur Professionalisierung von Helsper an, welche gerade den reflexiven

 2

Zum Einsatz der Ironie als sprachliche Kennzeichnung des Rollentauschs s. Kotthoff 2007: 18.

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Umgang mit diesen Ausprägungen von Handlungsfähigkeit in antinomischen Kontexten zum Ziel hat (vgl. Helsper 2004: 67). In der Praxis bedeutet dies: »Der Widerspruch muß – theoretisch und praktisch – ausgetragen werden, nicht einfach gelöst, sondern immer wieder neu gelöst werden« (Klingberg 1990: 74). Innerhalb des dargelegten Diskurses über Ironie und Antinomie stellt sich die pragmatische Frage, inwiefern sich Ironie als Modus des Umgangs mit der Unsicherheit sozialer Interaktion (vgl. Herzog 2009: 166) unter den unterrichtsspezifischen, antinomischen Handlungsanforderungen (vgl. Helsper 1998: 15) verstehen lässt. Im Besonderen stellt sich die Frage, ob bzw. inwiefern sich im Zusammenhang ironischer Kommunikation eine bestimmte Beziehungsqualität oder sogar »etwas Gemeinsames« (Krieger/Mikulla 1994: 137f. zit. nach Aßmann/Krüger 2011: 14.) zwischen der Lehrperson und den Schüler_innen rekonstruieren lässt.

O BJEKTIV - HERMENEUTISCHE R EKONSTRUKTION Das vorliegende Transkript stellt einen Ausschnitt einer Chemieunterrichtsstunde in der neunten Klasse einer Realschule dar. Das Thema der Stunde besteht in der Erweiterung des Kern-Hülle-Modells, wie Rutherford es entwickelt hat, zu einem sogenannten Schalenmodell. Hierzu ist ein Verständnis der Ionisierungsenergien erforderlich, deren Messung zur Modifikation der Modellvorstellungen über den Aufbau der Atome beigetragen hat. In dem gewählten Ausschnitt erklärt der Lehrer anhand einer Analogie, die ironische Züge trägt, den Prozess der Energiezufuhr bei Elektronen. L: […] Die Elektronen sind eigentlich wie ihr. (…) S2m: ffFf (einatmend, schmunzelnd) L: Die wollen den möglichst energiearmen Zustand erreichen. So hier sitzen, nichts tun, in Ruhe gelassen werden und zuhören. Jetzt kommt dann der blöde LEHRER, das ist jetzt die Energie und stupst immer wieder einen von euch an und bringt euch dann in einen aktiven Zustand. Indem ich euch zum Beispiel drannehme und sage: »S3m, was liest du da?« Und auf einmal kriegst du von mir, zack, einen Energieschub. Das heißt der Energiezustand von dir ändert sich. Du musst reden S3m: Ja. L: Und dabei auch noch denken. S3m: Ja S4m: Oh Gott, wie schrecklich. [00:00:09-3_00:00:47-6]

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Die Lehrperson beginnt die Erklärung der Ionisierungsenergie mit den Worten »Die Elektronen sind eigentlich wie ihr.« Bei genauerem Hinsehen besteht diese Sequenz aus zwei sinntragenden Einheiten, nämlich »Die Elektronen sind wie ihr« und »eigentlich«. Hier lohnt es sich, diese Einheiten separat zu betrachten. Beginnend mit der ersten sinntragenden Einheit, sind folgende Geschichten denkbar: (1) Zwei Frauen unterhalten sich über Männer und eine sagt: »Männer sind wie

guter Wein. Je älter, desto besser«. (2) Auf dem Workshop »Internet 2.0 – Chancen und Risiken« erklärt der Do-

zent: »Social Communities sind wie Kneipen«. Gemeinsam ist diesen Geschichten, dass partielle Strukturidentitäten vorliegen, die in einer Analogie dargelegt werden. Im Speziellen bedient Geschichte (1) eine von Stereotypen geleitete Haltung gegenüber Männern. Diese wird in einer mit der Analogie verbundenen Pointe offenbart. Die Satzkonstellation besitzt Ähnlichkeit zur Scherzfrage. Geschichte (2) lässt eine didaktisch motivierte Analogie zur Verdeutlichung und Vereinfachung einer unbekannten Struktur durch eine bekannte erkennen. Durch die bekannte Struktur soll die Lebenswelt der Adressaten berücksichtigt und Vorwissen aktiviert werden. Schließlich genügt eine Analogie, um alles zu sagen. Nun lohnt es sich, die sinntragende Einheit »eigentlich« zunächst isoliert zu betrachten. Hierzu ist wieder das Aufstellen von Geschichten notwendig. (3) Nach einem Geschäftsessen sagt ein Kollege zu dem gerade eben noch

Verhandelnden: »Der Chef der Firma heißt eigentlich Meier und nicht Müller«. (4) Mittags treffen sich zwei Schüler. »Eigentlich wollten wir heute lernen, aber das neue Computerspiel ist einfach so spannend«. (5) Zwei Apfelliebhaber unterhalten sich darüber, welche Apfelsorte die beste ist. »Ob Golden Delicious oder Pink Lady, die beiden sind eigentlich auch nur Äpfel«. Gemeinsam ist den Geschichten, dass »eigentlich« als ein Verweis auf eine andere oder sogar konträre Bedeutung als die oberflächlich ausgedrückte und direkt sichtbare, verstanden werden kann. »Eigentlich« hat in Geschichte (3) die Bedeutung von »in Wahrheit«. In Geschichte (4) ist ein halbherzig gemeinter Einwand zu erkennen, der schließlich nicht überzeugend genug erscheint, das neue Computerspiel dem Lernen zu opfern. Die fünfte Geschichte verweist

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schließlich noch auf die Bedeutung von »eigentlich« als »im Prinzip«. Schließlich muss noch eine Geschichte betrachtet werden, in der die sinntragenden Einheiten aufgrund der Wohlgeformtheit nicht getrennt werden können. (6) In dem Reptilienbereich eines Zoos sagt ein Zoowärter: »Die Schlangen

sind eigentlich wie ihr. Die haben gerade genauso viel Angst vor euch wie ihr vor ihnen«. Hier lässt sich nun, wie auch in Geschichte (2), ein pädagogischer Impetus feststellen. Ein »Wissender« erklärt etwas und sorgt bewusst dafür, dass dieses Etwas auch angenommen bzw. verstanden wird. Dabei besteht ein (wissens-) asymmetrisches Verhältnis, da der Wissende zunächst durch »Schlangen sind wie ihr« Anspruch auf die Richtigkeit seiner Aussage erhebt. Jedoch gebietet das »Wohlgeformtheitsurteil« (vgl. Wernet 2009: 52) »eigentlich« hier nicht wegzulassen, da diese Äußerung aufgrund der persönlichen Involvierung (»wie ihr«) der Schüler_innen sonst als Beleidigung aufgefasst werden könnte. Diese Notwendigkeit verweist auf die Funktion von »eigentlich« als Abtönungspartikel. Das Einstreuen dieses Wortes mildert die Prägnanz des Satzes ab. In Hinblick auf die Tatsachenbeschreibung kann das bedeuten: »Versteht mich nicht falsch! Ich sage nicht, dass ihr genau wie Schlangen seid.« Durch die Abmilderung der Tatsachenbeschreibung wird ein Hinweis darauf gegeben, dass die Aussage in dieser Form für den Sprecher selbst keinen Anspruch auf vollkommene Richtigkeit hat. So kann der Partikel auch die Funktion erfüllen, das Risiko eines Missverständnisses zu reduzieren. Die persönliche Involvierung lässt nun auf das Motiv einer Identifikation schließen. Zwischen Personen und einem (emotional) distanzierten Gegenstand soll eine Form von Nähe durch Ähnlichkeit hergestellt werden. Aus allen Aspekten lassen sich zusammenfassend drei Lesarten erkennen. Lesart (I) beinhaltet eine von Stereotypen geleitete Analogie, die durch einen Scherzcharakter der Spannungs- und Aufmerksamkeitserzeugung dient. Lesart (II) lässt der Analogie eine (alltags-)lerntheoretische Bedeutung zukommen. Es wird Neues an Bekanntes geknüpft und gleichzeitig werden Strukturen vereinfacht, um einen schnellen Lernerfolg hervorzurufen. Lesart (III) beschreibt die Sinnstruktur einer Identifikation. Da das Angebot zur Identifikation die Möglichkeiten eröffnet, angenommen oder abgelehnt zu werden, wird die Beeinflussung der Dekodierung der Aussage in Bezug auf den erzieherischen Impetus durch einen Abtönungspartikel begleitet. Durch die Überprüfung der Lesarten am Kontext der Schule lässt sich eine erste riskante Fallstrukturhypothese aufstellen. Im Unterricht versucht die Lehr-

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person, das Konzept der Elektronen durch eine an die Schüler_innen persönlich adressierte Analogie als didaktische Strategie mit einer darin enthaltenen Vermutung über die Struktur- bzw. Persönlichkeitsmerkmale der Schüler_innen auf anschauliche Weise zu vermitteln. Diese Analogie soll einen neuen Sachverhalt an Bekanntes knüpfen und durch die Adressierung eine persönliche, sympathiegeleitete Involvierung hervorrufen. Die Einbeziehung und Adressierung an eine vereinheitlichte Gruppe macht jede Beschreibung jedoch zu einem Balanceakt zwischen fachlichen Informationen und Zuschreibungen von Persönlichkeitsmerkmalen. »Eigentlich« dient somit nicht nur als Anzeiger einer prinzipiellen Ähnlichkeit oder verweist auf eine nicht offensichtliche Bedeutung, sondern zeigt auch ein Dekodierungsmoment, durch welches das Risiko eines Missverständnisses minimiert werden soll. Die Bedeutungsähnlichkeit der Schüler_innen mit Elektronen als nahezu masselose Elementarteilchen ist zunächst nicht ersichtlich, was die Semantik eines Scherzes etabliert. In der nächsten Sequenz atmet S1 schmunzelnd mit einem »ffFf«-Laut ein. Die Lesart lässt sich hier als ein Ausdruck eines von Sympathie geleiteten Verständnisses ausmachen. Neben dem »äußeren Kontext«, der durch die Interaktionseinbettung bestimmt wird, liegt nun auch durch die vorausgegangene extensive Analyse der ersten Sequenz ein »innerer Kontext« vor (vgl. Wernet 2009: 69). Nach diesem inneren Kontext, der durch die schon betrachtete Analogie gegeben ist, deutet die Lesart auf ein Verstehen des Scherzmomentes hin. Ein Verständnis der Analogie in seiner fachlichen Dimension scheint an dieser Stelle jedoch noch fraglich. Das Verständnis bezieht sich somit vor allem auf die Figur der Analogie. So weist diese Äußerung darauf hin, dass die noch nicht weiter beschriebene Analogie zumindest von einer bzw. einem Schüler_in als humorvoll verstanden wird. Dies festigt die Hypothese des Scherzcharakters. Zudem lässt sich darin eine Reaktion auf den riskanten Vorstoß einer persönlichen Involvierung und Adressierung der Schüler_innen erkennen. Nun spricht die Lehrperson weiter: »Die wollen den möglichst energiearmen Zustand erreichen«. Die Konfrontation mit dem inneren und äußeren Kontext zeigt, dass hier die zuvor postulierte Analogie weiter expliziert wird. Den Elektronen wird im Modus animistischer Formulierung die Tendenz zugeschrieben, einen möglichst energiearmen Zustand zu erreichen. Der animistische Modus lässt sich in der Zuschreibung des »Wollens« zu den Elektronen als rein sachliche Objekte erkennen. Dies stellt wiederum eine Vereinfachung und Veranschaulichung des sonst nur mit zusätzlichem Wissen zu verstehenden Prozesses dar. Unausgesprochen, aber im Anschluss an die vorherige Analogie, wird der Wunsch nach einem »energiearmen Zustand« damit den Schüler_innen unterstellt. Die Pointe des Scherzes scheint damit aufgedeckt, zugleich impliziert

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diese einen latenten Vorwurf von Passivität, welche gleichbedeutend ist mit mangelnder Mitarbeit. Weitergeführt wird die Sequenz mit: »So hier sitzen, nichts tun, in Ruhe gelassen werden und zuhören«. Als spezifische Bedeutungskomponente taucht eine Trivialisierung der beschriebenen Handlung »so hier sitzen« auf. Der Handelnde führt seine Tätigkeit so unbedarft und naiv aus, dass er aus der Sicht des Sprechers keine echte Leistung erbringt. Darin wird auch die Beliebigkeit, welcher dieses Tun unterworfen ist, deutlich. Das Handeln folgt weder einem reflektierten, durchdachten oder gar professionellen Duktus, noch lässt sich eine kontextuell sinnvolle Absicht erkennen. »Nichts tun« steht hier im Gegensatz zu etwas tun. Dieses Etwas ist durch einen bestimmten Sinn charakterisiert. Das reine »Nichtstun« ist in diesem Fall Selbstzweck. Dass das »Nichtstun« einer Tätigkeit damit eine Absichts- oder Sinnlosigkeit zuschreibt, erscheint hier schließlich als überzeugende Lesart. Das »in Ruhe gelassen werden« hängt indes von einer anderen Person ab. Diese wird als Störfaktor wahrgenommen. Die Erfüllung der eigentlichen Absicht, nämlich des Zuhörens, scheint durch die Störung verhindert zu werden. Dadurch kommt zudem ein Gegensatz zwischen dem gewollten Zuhören im Sinn von »sich berieseln lassen« und einer nicht gewollten, aktiven Auseinandersetzung mit der Darbietung zum Ausdruck. Die Konfrontation mit dem inneren und äußeren Kontext zeigt nun, dass diese Sequenz den energiearmen Zustand der Schüler_innen expliziert. Hierbei wird die bisherige fachliche, animistische Beschreibung der Elektronen verlassen. Die Ausführungen beziehen sich auf einmal nur noch auf die Schüler_innen, obwohl es eigentlich um die Elektronen geht. Der energiearme Zustand wird anhand von drei Passivitätsmomenten expliziert. Er wird dabei dem Konzept gegenübergestellt, in dem die Adressierten »einfach so« anwesend sind, nichts im schulischen Kontext Sinnvolles tun und mit ihrer Anwesenheit keine andere Absicht verfolgen als die der Berieselung. Jede aktive Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsinhalt wird als Belästigung wahrgenommen. Die beschriebene Passivität kann schließlich für den schulischen Kontext als kontraintentional betrachtet werden. »Nichts tun« ist im Unterricht dem allgemeinen Konsens nach erwartungswidrig und damit potentiell kritikwürdig. Dass es im Unterricht »nichts zu tun«, also keine Aufgaben oder Lerngelegenheiten gibt, kann ausgeschlossen werden. Die Pointe des Scherzes stellt sich nun für die Schüler_innen nicht gerade als vorteilhaft dar. Ihnen allen wird latent und uniform das stereotype Merkmal der Faulheit (nach dem Zerrbild: fauler vs. fleißiger Schüler) untergeschoben. Als mögliche Folge könnte sich in der Klasse Protest gegen die Lehrperson formieren oder die Klasse könnte sich dafür entscheiden, diesem Bild zu entsprechen

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und jede Mitarbeit abzulehnen. Betrachtet man diese Sequenz jedoch als Weiterführung der Lesart des Identifikationsmotivs aus der ersten Sequenz, kommt zum Ausdruck, dass die Identifikation nun anhand des beschriebenen Passivitätskonzeptes erfolgen soll. Dies setzt jedoch die Zustimmung der Schüler_innen zu diesem Konzept voraus. Somit liegt hier eine risikobehaftete Positionierung der Lehrperson in Hinblick auf die mit diesem Verhalten einhergehenden Persönlichkeitsmerkmale vor. Falls die Lernenden diesem Konzept zustimmen, glückt die Identifikation. Falls sie es ablehnen, könnte die Positionierung die weitere Interaktion im Unterricht erheblich stören. Die Lehrperson spricht weiter: »Jetzt kommt dann der blöde LEHRER, das ist jetzt die Energie, und stupst immer wieder einen von euch an und bringt euch dann in einen aktiven Zustand« Im Kontext der Schule überraschen diese Äußerungen gerade aus dem Munde der Lehrperson sehr. Im Modus einer kritischen Distanzierung durch die Verwendung des Stereotyps »blöder Lehrer« wertet die Lehrperson ihre eigene Rolle wörtlich verstanden ab. Eine Selbstauskunft kann hier aber nicht vorliegen, da sie in der dritten Person Singular spricht. Zudem geschieht die Beschreibung, angezeigt durch »dann«, in deutlich distanzierter Weise, genauer in Form eines Meta-Kommentars. Die eingenommene Perspektive verweist schließlich auf die vermeintliche Perspektive der stereotypen »faulen Schüler«. Gerade im schulischen Kontext, der zuvor rekonstruierten Abgrenzung und immanenten Kritik an der Schüler_innen-Präferenz erscheint diese Äußerung widersprüchlich und lässt somit eine ironische Färbung erkennen. Die protokollierte besondere Betonung des Wortes »LEHRER« unterstützt den ironischen Charakter dieser Äußerung. Schließlich kommt damit eine Einnahme der Schüler_innenperspektive in einem ironischen Modus zum Ausdruck. Wiederum wird hier ein Bild der Lehrer-Schüler_innen-Beziehung beschrieben, obwohl die Analogie eigentlich die Elektronen behandelt. Im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht die Verhandlung über das »typische« Rollenverständnisses im Unterricht: Der »blöde Lehrer« dient dabei zugleich der Veranschaulichung der Ionisierungsenergie wie der Eröffnung eines gemeinsam geteilten Erfahrungsraumes, während das »Stupsen«, analog zum »Aufrufen« und »Drannehmen«, auf einen eher lockeren und freundschaftlichen Charakter der Lehrer-Schüler_innen-Interaktion hindeutet. Das Bild des Lehrer-Schüler_innen-Verhältnisses bekommt damit die Dimension eines Spiels im Sinn von »Verstecken und Fangen«, nämlich »Nicht-Melden und Aufrufen«. Der Passivitätslogik folgend, ist das Ziel der Schüler_innen nun, sich möglichst zu verstecken und falls man doch gefunden wird, schnellstmöglich dem Lehrer zu entkommen und damit den »möglichst energiearmen Zustand [wieder zu] erreichen«.

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Interessant ist, dass in der nächsten sinntragenden Einheit »und bringt euch dann in einen aktiven Zustand« die Lesart im Gegensatz zu einem Spiel zwischen Opponenten auf eine Unterstützung verweist. Die Differenz zwischen einem Spiel gegeneinander und einer pädagogischen Unterstützung kommt hier durch die unterstellte Gegensätzlichkeit der Schüler- bzw. Lehrerabsicht zustande. Im schulischen Kontext ist die Lesart der pädagogischen Hilfestellung hin zu einem aktiven Zustand zunächst passend. Jedoch scheint die »Aktivierung« in dem vermittelten Bild der beiden Stereotypen »blöder Lehrer« und »faule Schüler« für die Schüler_innen keine Wahlfreiheit zu beinhalten, diese »Hilfe« anzunehmen oder nicht. Somit erweist sich der »aktive Zustand« als Zumutung, welche von den Schüler_innen bestmöglich umgangen bzw. mit minimalem Aufwand bewältigt werden muss. Dieses Verständnis zeichnet das Bild eines ambivalenten Arbeitsbündnisses im Unterricht. In diesem ist es Aufgabe des Lehrers, eine unmotivierte und passive, homogene Gruppe immer wieder in die Lage einer aktiven Auseinandersetzung mit Lerninhalten zu versetzen. Die Ironie eröffnet hierbei die Möglichkeit, dieses Konzept als solches wörtlich zu verstehen oder aber das vermittelte Bild als parodierendes Zerrbild zu interpretieren. In den folgenden Sequenzen wird ein Beispiel dargelegt, welches die vorherige Überlegungen weiter erläutert: »Indem ich euch zum Beispiel drannehme und sage: S2, was liest du da?«. Das Beispiel bestätigt das »stupsen« als »drannehmen«. Bemerkenswert ist, dass der Begriff »drannehmen« darauf verweist, dass die Schüler_innen im Normalfall »nicht dran« sind. Erst die Lehrperson gibt den Schüler_innen in Form von »Drannehmen« einen Grund, aktiv zu werden, während die Lehrerfrage »Was liest du da?« als Beispiel für eine Energiezufuhr dient und gleichzeitig eine Diskrepanz zwischen gewollten und unterrichtsfremden, und damit nach der Lesart des »Nichtstuns« kritikwürdigen Tätigkeit markiert. Die Tätigkeit, die der in dem Beispiel konkret angesprochene Schüler S2 in seinem »passiven« Zustand ausführt, entspricht offensichtlich nicht der institutionell erwünschten Aktivität und wird deswegen durch die Ansprache markiert und offengelegt. Dies verlangt von dem Schüler, sich rechtfertigen zu müssen. Diese Rechtfertigung folgt in der Logik des pädagogischen Spiels dem Fluchtwillen bzw. der Wiedererlangung des »möglichst energiearmen Zustands«. Die Analogie wird hierdurch immer mehr verfeinert. Von einem Postulat der strukturellen Ähnlichkeit zwischen Elektronen und Schüler_innen zur typischen Rollenverteilung, zur konkreten Situation. Die nächste Sequenz beschreibt die Aktivierung durch die anklagende Frage als überraschendes Moment: »und auf einmal kriegst du von mir, zack, einen Energieschub«. Die Onomatopoesie »zack« verdeutlicht, dass das Drannehmen

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plötzlich den unvorbereiteten Schüler trifft. Dadurch wird wiederum die Figur des »sinnlosen sich Aufhaltens« im Unterricht betont: Erst die Frage der Lehrperson zwingt die Schüler_innen in die Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgeschehen. In Folge wird der Schüler in einen anderen Energiezustand, nämlich dem der Beteiligung und einer daraus resultierenden Fluchtbewegung, versetzt. »Du musst reden« veranschaulicht, dass der Schüler keine Wahl hat, das Spiel nicht mitzuspielen. Das Spiel bekommt ernste Züge. Die Schüler_innen müssen, den Regeln des Spiels folgend, einen Ausweg finden, diesen Zustand schnellstmöglich zu verlassen. Als einzig akzeptierte Lösung stellt sich das Reden, als sich erklären, sich rausreden oder eine richtige unterrichtsbezogene Antwort geben, dar. S2 bestätigt die Ausführungen des Lehrers mit »Ja«. Von den Möglichkeiten, die immanente Kritik der Ausführungen der Lehrperson aufzugreifen oder das als Opponentenbeziehung dargelegte Lehrer-Schüler_innen-Verhältnis als parodierendes Zerrbild zu identifizieren, wählt der Schüler S2 die zweite Möglichkeit. Selbst Resignation kann hier nicht vorliegen, da auch bei einem gewissen Äußerungszwang eine weniger explizit bestätigende Äußerung genügt hätte. Wären die Lehrperson und die Schüler_innen wie in dem vermittelten Zerrbild wirklich in einer offenen Opponentenbeziehung, hätten die Äußerungen der Lehrperson leicht zum Auslösen eines Wortgefechts genutzt werden können. Statt der Formierung einer Opposition, findet sich hier aber (rein sprachlich) nur der Hinweis auf Zustimmung. Die Zustimmung und das deutlich gewordene Verständnis lassen das Bild einer die Interaktion begleitenden Vertrautheit entstehen. Dabei ist »Ja« eine sehr kurze und auch widerstandsarme Antwort, um der unausweichlichen Lage eines »Energieschubs«, nämlich reden zu müssen, zu entkommen. S2 wird durch die Aussage so selbst Teil des Spiels und bestätigt durch sein Handeln genau das Konzept des unausweichlichen, aber möglichst knappen Antwortens. Nun spitzt die Lehrperson die Zumutung durch »und dabei auch noch denken« zu, wobei »denken«, eine Tätigkeit, die als Minimalanforderung an eine sprachliche Äußerung vorausgesetzt werden kann, erneut auf den ironischen Modus der Interaktion verweist. Die hier erzeugte Differenz thematisiert die Anforderung institutionell gerahmter Kommunikation, demnach Reden nicht einfach irgendetwas, sondern möglichst etwas Sinnvolles, an die inhaltliche Auseinandersetzung Gebundenes beinhalten soll. In Konfrontation mit dem schulischen Kontext erscheint, »reden und auch noch denken müssen« weder eine große Überraschung darzustellen, noch dass dieses Denken als eine Tragödie zu verstehen ist. Die »eigentliche« Bedeutung, nämlich, dass Denken und

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Reden keine Zumutung darstellen, sondern im Unterricht eher trivialen Charakter haben, wird so entlarvt. Die Sequenz endet mit der Aussage »Oh Gott, wie schrecklich«. Die Schüler_innen selbst antworten schließlich in einem eindeutig ironischen Modus. In dieser abschließenden Sequenz wird deutlich, dass die Lehrperson und ihre Schüler_innen eine gemeinsame Bedeutungsebene in Bezug auf die Lästigkeiten institutionell gerahmter Interaktion entwickelt haben, die zugleich eine Beziehungsebene darstellt. Es könnte hierbei auch der Gedanke aufkommen, dass die Herstellung der gemeinsamen Bedeutungs- und Beziehungsebene auch im Hinblick auf die beschriebene Bedeutungsrelativierung der eigenen Berufsrolle Züge einer Anbiederung enthalte. Dem steht jedoch innerhalb der mehr oder weniger latenten Kritik der Lehrperson an den Schüler_innen die Formulierung eindeutiger, schulischer Erwartungsmomente entgegen. Insgesamt lässt sich daraus schließen: Lehrperson und Schüler_innen verstehen sich im doppelten Sinne gut. Das vorliegende Fallbeispiel zeugt von einer reflexiven Auseinandersetzung mit den je unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungshaltungen von Lehrern und Schüler_innen. Das elementare Risiko, die Schüler_innen mit der teils impliziten, teils expliziten Kritik gegen sich aufzubringen, macht die für Ironie typische »Kontingenz von Sinn« deutlich (Aßmann 2008: 279). Möglich ist hier, dass die Schüler_innen Protest erheben, sich mit dieser Ausführung einverstanden zeigen oder aber die Kritik wahrnehmen und sich durch die latente Form der Kritik im Gestus des Scherzes, im Gegensatz zu einer konkreten Anschuldigung, einer selbstständigen Reflexion nicht verschließen. Zwar kann die Lehrperson das Verständnis seiner Äußerungen nicht steuern, aber doch wenigstens diese Möglichkeiten eröffnen, die durch eine konkrete, eindeutige Formulierung verschlossen geblieben wären. Die angedeutete Kritik kann hier also als Einladung zur »reflexiven Aushandlung dieser das Verhältnis der Beteiligten sowie ihr Handeln beeinflussenden Ordnung« darstellen (Mecheril/Hoffarth 2011: 37). Helsper verweist in seiner Theorie zu Antinomie auf den »permanenten Kampf um ein Arbeitsbündnis« (Helsper 2004: 65), welcher entweder in anhaltenden, ständigen Kämpfen verbleibt oder sich als »latent bleibendes Scheitern in das doppelte Spiel der Vortäuschung eines Arbeitsbündnis als strategisch[es] Arrangement zwischen Lehrern und Schülern« etabliert (ebd.). Letzterer Art ist das, was sich im vorliegenden Fall als ein ambivalentes pädagogisches Spiel herausstellt. Was sich in der Rekonstruktion als zwiespältiges Lehrer-Schüler_innen-Verhältnis herausgestellt hat, lässt sich nun als antinomisch verstehen. Die Rollen der Beteiligten sind darin in der Form des »indirekten Weg[es] der Ironie« (Japp 1983: 25) charakterisiert, was dann notwendig wird, wenn eine direkte Charakterisierung aufgrund von Widersprüchlichkeit nicht möglich ist.

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Hier zitiert die Lehrperson eine fiktive Rolle (vgl. Mecheril/Hoffarth 2011: 40), aus deren Sicht der Lehrer als »blöd« erscheint und das Drannehmen der Schüler_innen durch das »Anstupsen« als Spiel interpretiert wird. Diese Rolle nimmt die Dimension einer Parodie an. Diese Parodie greift nun auch die Problematik der konstitutiven Asymmetrie im Unterricht auf. Durch die Bedeutungsrelativierung und Distanzierung von der eigenen Berufsrolle wird die Asymmetrie von Seiten der Lehrperson abgeschwächt. Das »Stupsen« des ironisch dargelegten pädagogischen Spiels bewegt dabei die Schüler_innen zur Handlung, lässt aber im Gegensatz zu einer konkreten Aufforderung den Spielraum zur autonomen Handlung offen. Das ironische Verständnis von Unterricht als »pädagogisches Spiel« kann somit als Beispiel dafür gelten, »paradoxe Handlungsgrundlagen in heilsamer Weise zu entschärfen« (Aßmann 2008: 67). Die Sequenz »Und dabei auch noch denken« lässt sich im Anschluss an »Du musst reden!« eindeutig als ironisch kennzeichnen. Damit lässt sich in diesem Sprechakt nur auf den ersten Blick eine Zumutung erkennen. Die »eigentliche« Bedeutung, nämlich, dass Denken mit dem Reden meist verbunden ist und diese Tätigkeiten allein keine Zumutung darstellen können, wird nur durch die Reflexion der Aussage am gegebenen Kontext deutlich. Gerade in dieser Reflexion liegt eine »Autonomiezumutung« (Aßmann 2011: 189), die schon durch den Zumutungscharakter des Denkens im vorliegenden Fall rekonstruiert wurde. Ohne die Selbsttätigkeit des Empfängers kann der vollständige Sinn einer ironischen Äußerung nicht erfasst werden. Hier wird die Autonomieantinomie auf der Antinomie-Ebene der »potenzierte[n], stellvertretende[n] und diffus-spezifische[n], vermittelnden Lebenspraxis« (Helsper 2000: 157), sozusagen im Kleinen auf sprachlicher Ebene, verhandelt. Ganz im Sinne der sokratischen Mäeutik erzwingt die Äußerung durch ihre paradoxe Gestalt das Nachdenken. Den letztlichen Schluss müssen die SuS selbst (und damit autonom) ziehen. Dass diese von der Lehrperson zu erreichende Autonomiezumutung nun für die SuS doch keine Zumutung darstellt, wird in der Sequenz »Oh Gott, wie schrecklich« deutlich. Neben der impliziten Bedeutung lässt sich hier zudem auf eine Art Komplizenschaft schließen: Der Schüler wird zum »Helfershelfer, der üblichen Rede ein Schnippchen zu schlagen« (Mecheril/Hoffarth 2011: 37 f.). »Als Einladung sich auf das Gemeinsame einzulassen« führt hier Ironie aufgrund einer deutlich werdenden gemeinsamen Basis nicht etwa zur Trennung, sondern zur Gemeinschaft von Lehrperson und Schüler_innen (vgl. ebd.: 37 f.) Dies fügt dem vorher bestimmten Arbeitsbündnis die Komponente hinzu, dass dieses durch das »Kernmoment der Professionellen-Adressaten-Beziehung« (Helsper 2004: 64), nämlich gegenseitige Anerkennung und damit einer positiven Beziehungsqualität, gestützt und vielleicht sogar begründet wird.

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F AZIT Am Anfang dieses Kapitels stand die Frage nach einem Modus des Umgangs mit antinomischen Handlungsanforderungen und diesbezüglich auch nach der Art des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses. Dass dieser Beitrag Ironie als Ausgangspunkt dieser Fragestellung gewählt hat, mag überrascht haben. War doch Ironie lange Zeit und zum Teil bis heute negativ konnotiert, tragen Arbeiten von Aßmann (2008) und Krüger (2011) zu einem differenzierten, teils konstruktiven Verständnis von Ironie bei. Der vorliegende Fall ließ ironische Elemente vermuten, wodurch diese Sequenzen auf Grundlage objektiv-hermeneutischer Rekonstruktion und der Theorie von Ironie und Antinomie regelrecht zu einer Untersuchung herausforderten. Der Weg der Untersuchung führte über die Darlegung theoretischer Grundlagen und einer Synthese von Verweisungszusammenhängen der Konzepte von Ironie und Antinomie zu der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion des vorliegenden Falls bis die empirisch gewonnenen Ergebnisse schließlich anhand einer theoriegeleiteten Diskussion zusammengefasst werden konnten. Die Aussagekraft des vorliegenden Falles kann schließlich in der fallspezifischen Struktur der Ironie als Umgangsmodus mit antinomischen Handlungsanforderungen erkannt werden. Was hier über den Fall hinaus deutlich wurde, lässt sich nur im Sinn des reflexiven Umgangs mit Antinomien verstehen (vgl. Helsper 2004). Falls bestimmte Rahmenbedingungen, wie eine unterstützende Beziehungsqualität zwischen Lehrperson und Lernenden, erfüllt sind, kann spontan aufkommende Ironie in widersprüchlichen Kontexten und antinomischen Handlungsanforderungen eine Form der Handlungsfähigkeit ermöglichen. Vielleicht zeigt gerade die aktuelle Diskussion um Ironie und um Antinomien, dass das, was wir zu einer bestimmten Zeit für »gesunden Menschenverstand« halten, wie eine kategorische Ablehnung von Ironie in der Pädagogik oder das den Pädagog_innenenalltag zu einem »unausweichlichen Scheitern« verdammende Verständnis von Antinomie (vgl. Helsper 2004) gerade nicht »gesund« für die Menschen ist. Das Neue, vielleicht »Heilsame«, wird nur dann entdeckt, wenn man das, was in einer bestimmten Zeit für »gesunden Menschenverstand« gehalten wird, kritisch hinterfragt und dadurch Platz macht für neue Möglichkeiten.

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L ITERATUR Ackermann, Brian (1983): »Form and function in children‘s understanding of ironic utterances«, in: Journal of Experimental Child Psychology, Band 35, S. 487-508. Aßmann, Alex (2008): Pädagogik und Ironie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Ders. (2011): »Die Ironisierung. Das Gegenmodell zur Instruktion und ihr pädagogischer Sinn«, in: Alex Aßmann/Jens Oliver Krüger (Hg.), Ironie in der Pädagogik. Theoretische und empirische Studien zur pädagogischen Bedeutsamkeit der Ironie, Weinheim: Juventa, S. 181-200. Ders./Krüger, Jens Oliver (2011): »Ironie in der Pädagogik. Annäherungen und Perspektiven«, in: Ders./Jens Oliver Krüger (Hg.), Ironie in der Pädagogik. Theoretische und empirische Studien zur pädagogischen Bedeutsamkeit der Ironie, Weinheim: Juventa, S. 7-24. Baacke, Dieter (1985): »Bewegung beweglich machen. Oder Plädoyer für mehr Ironie«, in: Ders. (Hg.), Am Ende – postmodern? Next Wave in der Pädagogik, Weinheim: Juventa, S. 190-215. Benner, Dietrich (1987): Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns, Weinheim: Juventa. Bräu, Karin (2008): »Die Betreuung selbständigen Lernens – vom Umgang mit Antinomien und Dilemmata«, in: Georg Breidenstein/Fritz Schütze (Hg.), Paradoxien in der Reform der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 179-200. Engeler, Urs (1980): Sprachwissenschaftliche Untersuchungen zur ironischen Rede. Dissertation, Zürich. Grammes, Tillman (1998): Kommunikative Fachdidaktik. Politik, Geschichte, Recht, Wirtschaft, Opladen: Leske & Budrich. Helsper, Werner (1996): »Antinomien des Lehrerhandelns in modernisierten pädagogischen Kulturen. Paradoxe Verwendungsweisen von Autonomie und Selbstverantwortlichkeit«, in: Arno Combe/Werner Helsper (Hg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 521-569. Ders. (1998): »Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne«, in: Werner Helsper/Heinz-Hermann Krüger (Hg.), Einführung in die Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Opladen: Leske & Budrich, S. 15-34.

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Ders. (2000): »Antinomien des Lehrerhandelns und die Bedeutung der Fallrekonstruktion - Überlegungen zu einer Professionalisierung im Rahmen universitärer Lehrerausbildung«, in: Ernst Cloer/Dorle Klika/Hubertus Kunert (Hg.), Welche Lehrer braucht das Land? Notwendige und mögliche Reformen der Lehrerbildung, Weinheim: Juventa, S. 142-177. Ders. (2004): »Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit - ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln«, in: Barbara Koch-Priewe/Fritz-Ulrich Kolbe/Johannes Wildt (Hg.), Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung, Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S. 49-98. Herzog, Walter (2009): »Schule und Schulklasse als soziale Systeme«, in: Rolf Becker (Hg.), Lehrbuch der Bildungssoziologie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 155-194. Japp, Uwe (1983): Theorie der Ironie. Frankfurt am Main: Klostermann. Kant, Immanuel (1978): »Über Pädagogik«, in: Wilhelm Weischedel (Hg.), Kant. Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2. Werkausgabe Band XII, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 695-767. Klingberg, Lothar (1990): Lehrende und Lernende im Unterricht. Zu didaktischen Aspekten ihrer Positionen im Unterrichtsprozess, Berlin: Volk und Wissen. Kotthoff, Helga (2007): Ironieentwicklung unter interaktionslinguistischer Perspektive, Konstanz: Bibliothek der Universität Konstanz. Krieger, Wolfgang/Mikulla, Jutta (1994): Offene Jugendarbeit und die Krise der Moderne. Von der Bedürfnisorientierung zur Akzeptanz, Berlin: VWB. Krüger, Jens Oliver (2011): Pädagogische Ironie – Ironische Pädagogik, Paderborn: Schöningh. Lapp, Edgar (1997): Linguistik der Ironie, Tübingen: Gunter Narr Verlag. Mecheril, Paul/Hoffarth Britta (2011): »Ironie. Erkundung eines vergnüglichen Bildungsereignisses«, in: Alex Aßmann/Jens Oliver Krüger (Hg.), Ironie in der Pädagogik. Theoretische und empirische Studien zur pädagogischen Bedeutsamkeit der Ironie, Weinheim: Juventa, S. 25-48. Nohl, Hermann (2002): Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie, Frankfurt am Main: Klostermann. Vesper, Daniela Octavia (1997): Ironieverstehen bei Kindern. Untersuchung zur Bedeutung von situativem Kontext, Mimik und Intonation. Dissertation, Tübingen. Wernet, Andreas (2009): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

»Dann lachen wir alle ZUSAMMEN (.) und nicht nur EINER« Orientierungsmuster von Schüler_innen zur Beziehungsgestaltung und Ironie im Unterricht E LSA -L OUISA B ECKER , S USANNE E MIG & M AIKE M AIER

E INLEITUNG Ironie im Schulalltag zu verwenden, bedeutet einen schmalen Grat zu wählen: Sie kann beleidigend, gleichzeitig aber auch humorvoll und gesprächsauflockernd sein. Meist wird das Gegenteil von dem gemeint, was gesagt wurde (vgl. ausführlich dazu Ulmcke in diesem Band). Lehrer_innen und Schüler_innen müssen erkennen, dass es sich beim Gesagten um Ironie handelt. Ironie muss entschlüsselt werden, um das zu verstehen, was intendiert ist. Der unausgesprochene Sinn einer ironischen Äußerung ist nun im Besonderen von der Verortung derselben im Kontext abhängig: Erst durch das Verständnis der Adressat_innen kann eine eindeutige Zuordnung stattfinden. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit der Rezeption der Schüler_innen auf die ironische Ansprache eines Lehrers. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, wie genau die Schüler_innen das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz beschreiben. Damit liegt der Fokus der Interpretation auf der Frage nach der Beziehungsgestaltung: Mit Blick auf das von Ulmcke in diesem Band aufgezeigte Arbeitsbündnis zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen soll gezeigt werden, dass gegenseitiges Verständnis von Schüler_innen explizit bestätigt wird und darüber hinaus ein von Sympathie und Respekt geleiteter Umgang deutlich wird. Dazu widmet sich dieser Beitrag nach der Klärung der Fragestellung, Methode und des Datenmaterials zunächst einer inhaltsanalytischen Auseinandersetzung einer Unterrichtssequenz, woran sich die Interpretation einer Gruppendiskussion anschließt. Dies ermöglicht im Fazit möglichst vielperspektivisch



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die Frage nach einer spezifischen Beziehungsgestaltung im Anbetracht ironischer Kommunikation zu beantworten.

F RAGESTELLUNG , M ETHODE

UND

D ATENMATERIAL

Im vorliegenden Beitrag steht die Sicht der Schüler_innen auf die Beziehung zu ihrem Chemielehrer im Mittelpunkt des Interesses. Dieses Interesse entzündete sich zunächst daran, dass die im Unterricht beobachtete Interaktion zwischen dem Lehrer und seinen Schüler_innen einen in wesentlichen Teilen ironischen Unterton hatte. In der sich an die Unterrichtsstunde anschließenden Gruppendiskussion wurden die Schüler_innen gebeten ihre Erfahrungen zur Frage »Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen« auszutauschen. Die Bezugnahme der Schüler_innen auf eine Interaktionssituation aus dem Unterricht führte zur Nachfrage bezüglich der Ironie dieser Interaktion. Im Folgenden wird zunächst die ironische Szene aus dem Unterricht dokumentiert und inhaltsanalytisch kommentiert, auf die die Schüler_innen in der Gruppendiskussion Bezug nahmen. Daran schließen sich Ausschnitte aus dem Transkript der Gruppendiskussion mit den beteiligten Schüler_innen an, die mit der Dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack 2010, Nohl 2012) daraufhin untersucht werden, welche kollektiven Orientierungsmuster die Schüler_innen bezüglich einer aus ihrer Sicht »guten Lehrperson« entwickeln und wie sie den ironischen Unterton der Lehrperson rahmen. Als Datengrundlage diente für die unterrichtliche Interaktion der Videomitschnitt des Unterrichts, die Gruppendiskussion wurde als Video- und Audiodatei aufgezeichnet. Beide Materialien wurden transkribiert. »Die Elektronen sind eigentlich wie ihr« Die folgende Sequenz zeigt einen Ausschnitt aus einem Chemie-Unterricht einer neunten Klasse einer Realschule (siehe dazu auch Ulmcke in diesem Band). Bei dem Ausschnitt handelt es sich um Herr M.eine Erklärungsphase im schulischen Kontext: Der Lehrer Herr M. führt zur Verdeutlichung des Sachverhaltes eine Analogie ein, sprachlicher Ausgangspunkt sind dabei die Elektronen. L: […] Die Elektronen sind eigentlich wie ihr. (…) S2m: ffFf (einatmend, schmunzelnd) L: Die wollen den möglichst energiearmen Zustand erreichen. So hier sitzen, nichts tun, in Ruhe gelassen werden und zuhören. Jetzt kommt dann der blöde LEHRER, das ist jetzt

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LACHEN WIR ALLE

ZUSAMMEN (.)

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die Energie und stupst immer wieder einen von euch an und bringt euch dann in einen aktiven Zustand. Indem ich euch zum Beispiel drannehme und sage: »S3m, was liest du da?« Und auf einmal kriegst du von mir, zack, einen Energieschub. Das heißt der Energiezustand von dir ändert sich. Du musst reden S3m: Ja. L: Und dabei auch noch denken. S3m: Ja S4m: Oh Gott, wie schrecklich. [00:00:09-3_00:00:47-6]

In dem gewählten Ausschnitt erklärt Herr M. anhand einer Analogie den Prozess der Energiezufuhr bei Elektronen. Dabei werden die Schüler_innen zugleich zum Gegenstand der Betrachtung erhoben »Die Elektronen sind eigentlich wie ihr«. Herr K. hat dadurch, dass er diese Äußerung tätigt, eine Vorstellung davon, was unter Elektronen zu verstehen ist und ein Bild der Schüler_innen. Damit eröffnet Herr M. eine Metakommunikation – indem er als Lehrender auf die Schüler_innen in ihrer Rolle als Lernende im unterrichtlichen Kontext verweist. Mit »sitzen«, »nichts tun«, »nicht gestört werden« und »zuhören« folgt eine Aufzählung von Passivitätsmotiven der Schüler_innen, analog zum Bestreben der Elektronen nach einem energiearmen Zustand. Erneut wird hier die Erwartungshaltung vom Bild der Schüler_innen deutlich, indem über die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung der Schüler_innen verhandelt wird. Demnach werden hier gleichermaßen Erklärung und Erziehung seitens Herrn M. betrieben. An dieser Stelle ist bemerkenswert, dass keine negative Reaktion der Schüler_innen folgt (Empörung o.ä.), was auf eine Vertrauensbasis zwischen den Gesprächspartnern schließen lässt. In der nächsten Sequenz wird dann der Lehrer analog zur Energie eingeführt: Interessant ist hierbei, dass Herr M. von sich selbst distanziert in der dritten Person spricht, indem er sich selbst beziehungsweise seine Rolle als »der blöde LEHRER« kennzeichnet. Es findet also ein Perspektivwechsel statt, indem er sich aus der vermeintlichen Sicht der Schüler darstellt. »Blöd« gehört außerdem ins umgangssprachliche, also diffuse Sprachrepertoire. Weitergeführt wird die Analogie mit »und stupst immer wieder einen von euch an und bringt euch dann in einen aktiven Zustand«. An dieser Stelle wird der Vergleich in der bisherigen getrennten Darstellung durchbrochen: Explizit werden nun die angesprochenen Schüler_innen und nicht die Elektronen in einen aktiven Zustand gebracht. Mit »indem ich euch dran nehme und sage zum Beispiel ‘Schüler(m1), was siehst du da?‘« wird die Ausführung von Herrn M. weitergeführt. Bemerkenswert an dieser Äußerung ist, dass Herr M. von sich nicht mehr in der dritten Person spricht, sondern in die erste Person wechselt.

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Auch die adressierte Personengruppe verändert sich, indem ein Schüler direkt angesprochen wird, wobei jedoch der direkte Bezug durch die Funktion als Beispielschüler aufgerufen worden zu sein, abgeschwächt wird: Jeder beliebige Schüler hätte an dieser Stelle von Herrn M. genannt werden können. Die Analogie schließt ab mit der Sequenz: »Und auf einmal kriegst du von mir, zack, einen Energieschub. Das heißt, der Energiezustand von dir ändert sich, du musst reden. […] Und dabei auch noch denken«. Die Äußerung »reden […] und dabei auch noch denken« erzeugt eine Widersprüchlichkeit, da man nicht reden kann ohne zu denken, spätestens hiernach sollte eine Reaktion hinsichtlich einer Abweisung oder Bestätigung der Zumutung von der Schülergruppe bzw. dem angesprochenen Schüler erfolgen. Mit: »Oh Gott, wie schrecklich« kommentiert ein Schüler dann auch die Analogie des Lehrers und schließt damit direkt an das erzeugte Bild an. Der Schüler handelt so im Sinne der bisherigen Vorstellungen des Lehrers, indem er das vorher hergestellte Schüler_innenbild auf einer vergleichbaren Ebene kommentiert. Ob und inwiefern das in der Aussage des einen Schülers zum Ausdruck kommende Verstehen auf semantischer wie auf der Ebene der Beziehung, als Ausdruck einer kollektiven Orientierung der gesamten Gruppe zu verstehen ist, sollen die nachfolgenden Interpretationen zeigen. »Wir lachen alle ZUSAMMEN« In der Gruppendiskussion reflektieren die Schüler_innen die Art und Weise, wie der Lehrer in den vorhergehenden Stunden mit ihnen interagiert und wie er persönlich auf sie gewirkt hat. Dabei bringen die Schüler_innen auch ihre allgemeinen Erfahrungen aus dem Schulalltag mit ein. Eingeleitet wird die Sequenz mit der Aussage einer Schülerin: Bw: Ja. (.) Der Herr *(unv.) ist auch im PRIVATEN Leben nett. Also, so über (.) dieses lonet mit uns immer //in Kontakt// Bm: //(unv.) lonet// Bm: //lonet// (kichert) Bw: (unv.) (unsere Facebook-Gruppe?). (B lachen leise) Bm: (unv.) Facebook (unv.). Bw: Ich glaube, der hat Spaß an seinem Job. Bw: (unv.) Bm: Mhm (bejahend). Bw: (lacht) (unv.) keinen Spaß dran (unv.).

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Bw: Ja. Bw: (5) Ja, irgendwie ist der einfach LOCKERER als andere Lehrer, die nicht so/ keine Ahnung! (.) Er kann auch ERNST sein, wenn/ aber nur, wenn WIR nicht mitmachen. [00:11:31-5_00:12:02-1]

Eröffnet wird die Diskussion, indem gesagt wird, dass Herr M. »auch im PRIVATEN Leben nett« sei. Hier zeigt sich, dass die Schülerin auf einer persönlichen Ebene argumentiert, um den Lehrer zu beschreiben. Das Augenmerk liegt hier auf dem »auch«, welches den Nebensatz einleitet. Es wird deutlich, dass das Verhalten, welches als »nett« im privaten Leben beschrieben wird, durch die Verwendung des Wortes »auch« in Relation zu einer typischen Vorstellung konstruiert wird. Weitergeführt wird die Aussage mit »Also, so über (.) dieses lonet mit uns immer//in Kontakt«. In dieser ersten Auseinandersetzung der Schüler_innen untereinander wird die Hinwendung auf die Haltung des Lehrers außerhalb institutioneller Rahmungen explizit. Als Beispiel angeführt wird das soziale Netzwerk Facebook. Die Sequenz endet mit der Aussage: »Ja, irgendwie ist der einfach LOCKERER als andere Lehrer, die nicht so/ keine Ahnung!«. Hierbei handelt es sich um einen Vergleich, den die Schülerin verwendet, um ihren Lehrer zu beschreiben. Als Bezugspunkt zu diesem Vergleich werden andere Lehrer herangezogen. Herr M. wird in Relation zu anderen Lehrer_innen als »LOCKERER« beschrieben. Zudem wird ihre Aussage noch erweitert durch die zweite Aussage, in welcher sie den Aspekt der Ernsthaftigkeit nennt: »Er kann auch ERNST sein, wenn/ aber nur, wenn WIR nicht mitmachen«. Auffallend ist hier, dass diese zweite Aussage die erste relativiert beziehungsweise nahezu als Antonym zur ersten Aussage gelesen werden kann. Sie weist Herrn M. also zwei gegenpolige Eigenschaften zu: er ist »locker« kann aber auch »ernst» sein. Der Aspekt der Ernsthaftigkeit wird jedoch auf eine bestimmte Situation hin eingeschränkt. Herr M. sei nämlich nur ernst, »wenn WIR nicht mitmachen«. Mit dem Personalpronomen »wir«, welches von ihr besonders hervorgehoben wird, betont sie eine Personengruppe, welche mitmachen soll. Sie hat eine Vorstellung davon, dass von ihr und anderen Mitgliedern der Personengruppe erwartet wird mitzumachen. Sollte dies nicht der Fall sein, legitimiert dies durchaus die Ernsthaftigkeit des Lehrers, der diese Seite neben seiner Lockerheit auch zeigen kann. Eröffnet werden an dieser Stelle also zwei Orientierungsrahmen, an welchen sich die Schüler_innen in der vorliegenden Gruppendiskussion orientieren. Zum einen die Haltung des Lehrers im Unterricht und mit Blick auf die Beteiligung der Schüler_innen im Unterricht, zum anderen aber auch die Haltung des Lehrers außerhalb institutioneller Rahmungen, die hier von besonderem Interesse zu

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sein scheint. Weitergeführt werden die Bemühungen der Schüler_innen die Besonderheit von Herrn M. adäquat zu beschreiben in der folgenden Sequenz: I: (5) (Lasst?) uns noch ein bisschen (.) an dem Herrn *(unv.) bleiben. (.) Was IST das/ Ihr/ ihr sagt, (.) ähm: (.) Der braucht eigentlich gar nichts machen und ihr hört TROTZDEM zu. Warum? Bw: Weil (unv.)/ Bw: (unv.) interessante Sachen erzählt. Bm: Kommt sympathisch rüber. Bm: (unv.) Bw: (Der ist halt, ja wie soll man sagen?), sympathisch und der kommt (.) halt auch auch so rüber. Weiß nicht. So (.) MENSCHLICH, halt (unv) (B lachen) Bm: (unv.) (auf?). (B lachen) Bw: (Nein, aber?) (unv.) die anderen/ der ist halt so (.) ein bisschen PRIVATER, (so?), weiß nicht. Bw: Und erzählt mal was (.) von seinen Kindern, oder so Bw: (unv.) vorstellen, wie es im Privatleben (lachend) (aussieht?). Bw: Die andern kann man halt nicht so richtig einschätzen, ob wir (.) (unv.)/ wir von einem halten (unv.) (weiß er?), dass er (eben so/gegen so?) Gleichberechtigung/ Bw: Ja, bei ihm SIEHT man das. Er WEISS, dass er/ was er da macht. Und nicht so, (.) wie bei manch anderen Lehrern. Bw: Ja, vielleicht auch, weil er SELBER Kinder hat und WEISS, dass/ dass man (.) (unv.) in der ersten Stunde noch müde ist und (also nicht?) zuhört. Andere Lehrer (.) (unv.) (oder so?). Bm: Ja, aber/ Bw: Aber andere Re/ Lehrer haben ja AUCH Kinder und die sind NICHT so. [00:15:39-3_00:16:33-6]

Eingeleitet wird die Passage durch die Nachfrage des Interviewers nach einer Begründung für die Aufmerksamkeit der Schüler_innen in Bezug auf den Unterricht des Lehrers. Schnell wird deutlich, dass nicht der Inhalt des Unterrichts, der als interessant gekennzeichnet wird, sondern wiederum persönliche Eigenschaften als ausschlaggebend genannt werden: Herr M. wird als »sympathisch« und »MENSCHLICH« beschrieben. Dies zeigt eine schon bekannte Bezugsebene seitens der Schüler_innen: Sie charakterisieren Herrn M. auf persönlicher Ebene und in Bezug auf seine ganze Person.

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Eine weitere Schülerin führt diesen Gedanken aus und verhandelt quasi mit sich selbst und den anderen Mitschüler_innen über die genau passende Beschreibung des Lehrers. Dies wird dadurch deutlich, dass sie nach dem passenden Begriff suchen muss und selbst äußert, dass sie nicht genau weiß, wie sie ihre Gedanken ausdrücken kann »(Nein, aber?) (unv.) die anderen/ der ist halt so (.) ein bisschen PRIVATER, (so?), weiß nicht«. Erneut wird ein Komparativ verwendet, um den Lehrer zu charakterisieren. Im Vergleich zu anderen Lehrer_innen wird Herr M. als privater eingeschätzt. Eine weitere Schülerin bestätigt die private Ebene als relevant, indem sie ein konkretes Beispiel hinzufügt, welches die Aussagen der anderen verifiziert. So sagt sie: »Und erzählt mal was (.) von seinen Kindern, oder so«. Den Lehrer als Menschen verstehen zu können, sich vorstellen zu können wie er im Privatleben ist, ihn richtig einschätzen können, werden als relevante Faktoren genannt. In den Auseinandersetzungen der Schüler_innen wird deutlich, dass sie eine ähnliche Auffassung darüber haben müssen, was unter »privat« zu verstehen ist, da Herr M. für alle vier dieses Kriterium erfüllt. Es zeigt sich also, dass sie in einem ähnlichen Bezugsrahmen argumentieren. Eine weitere Schülerin eröffnet in der darauf folgenden Aussage einen neuen Bezugsrahmen. Es wird gesagt: »Ja, bei ihm SIEHT man das. Er WEISS, dass er/ was er da macht. Und nicht so, (.) wie bei manch anderen Lehrern«. Denkbar ist es hier, dass zum ersten Mal auf die fachliche Kompetenz des Lehrers eingegangen wird. Dennoch kann es auch als pädagogische Kompetenz gedeutet werden. Die Schülerin geht also davon aus, dass Herr M. in seinem Verhalten sichtbar sicher ist und demnach weiß, was er tut und wie er sich verhält. Hier zeigt sich also auch ein gewisses Vertrauen, was diese Schülerin dem Lehrer entgegenbringt. Erneut wird hier auch ein Vergleich zu anderen Lehrer_innen gezogen. Dadurch, dass die Negation »und nicht so« in Bezug auf die anderen Lehrer_inner verwendet wird, charakterisiert sie die Lehrperson. Neu ist hier also die Orientierung an den spezifischen Kompetenzen des Lehrers. Dies eröffnet den Gegenhorizont zu der privaten Ebene, auf welcher der Lehrer bisher beschrieben wurde. Anzumerken ist jedoch, dass die Sprecherin nicht genau spezifizieren kann, was Herr M. genau macht, sie ist sich lediglich sicher, dass er genau weiß, was er macht. Dies deutet auf ein gewisses Vertrauen hin, welches die Schülerin dem Lehrer hier entgegenbringt, indem sie seine Kompetenz nicht anzweifelt und laut eigener Aussage bemerkt, dass der Lehrer kompetent handelt. Weitergeführt wird die Überlegung durch eine andere Schülerin: Konkret wird die oben noch vage eingeführte Kompetenz des Lehrers als pädagogische ausgewiesen: »Ja, vielleicht auch, weil er SELBER Kinder hat und WEISS, dass/

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dass man (.) (unv.) in der ersten Stunde noch müde ist und (also nicht?) zuhört« Als Kompetenz des Lehrers ausgewiesen wird also das Verstehen der Situation der Schüler_innen. Der Wechsel der Perspektive zeigt sich auch in der folgenden Sequenz: Bw: Bei dem macht irgendwie Lernen Spaß; nicht so wie bei anderen. I: (..) Weil? (.) Genau DER Punkt interessiert uns: (.) Was ist es/ (.) Was ist es/ (.) Versucht mal wirklich zu BESCHREIBEN, oder ein bisschen darüber in die Diskussion zu kommen: Warum (.) Lernen bei ihm Spaß macht. Bw: (Zum Beispiel, wenn man jetzt?)/ Man hat überhaupt keine Angst haben, wenn man jetzt aufzeigt und mal was Falsches sagt, dass man (jetzt sofort?) so (.) als DUMM oder so dasteht, weil der (dann sagt?) (unv.) und manchmal macht er dann halt so ein BILD (unv.) (lustig?). Braucht man halt keine Angst haben, wenn man aufzeigt und wenn man was Falsches sagt. Bm: Ja, irgendwie: ANDERE Lehrer machen sich darüber lustig, wenn man was falsch sagt. Und der nimmt es halt so hin: ja. Bw: Er macht sich (Sorgen?)/ Also, er macht sich nicht darüber lustig; wir machen uns alle/ wir lachen alle ZUSAMMEN, (.) wenn einer irgendwas sagt, was so, (.) weiß ich nicht, (irgendwie?) lustig ist oder nicht stimmt oder so. Dann lachen wir alle ZUSAMMEN (.) und nicht nur EINER. Bw: (unv.) wenn man auch Fragen hat, dann kann man wirklich immer aufzeigen (unv.) (hinkommt?). (Die?) meisten Lehrer (die haben auch keine Zeit für uns?) und dann sagen die immer: nächste Stunde. Und das wird dann eh nichts. Bm: (flüstert) (unv.) Bw: Ja. Und der macht auch den Unterricht interessant für uns. Also, nicht so: (.) Er erklärt uns was und, äh (.) wir verstehen dann nichts und wenn wir dann nachfragen, so: Ja, da müsst ihr WOANDERS nachfragen, ob ihr das noch mal (erklären?) (unv.). Sondern: Der geht dann auch meistens auf unsere Fragen mal EIN, wenn wir jetzt irgendwie mal GAR nichts verstanden haben, dann erklärt er es auch noch mal. Bw: (Erklärt?) uns das auch SO lange, bis wir das verstanden haben. Bw: Ja, manche sagen: Hättest du besser aufpassen müssen. (Bm murmeln unv.) Bw: (unv.) obwohl man (.) das gemacht hat und das trotzdem nicht verstanden hat. Bw: Ja, macht einfach bei dem Spaß, weil man (.) merkt, (.) dass ihm das AUCH Spaß macht. Weil der bringt das halt richtig gut rüber/ Bw: Ja/ . [00:23:42-1_00:25:05-5]

Eine Schülerin setzt mit der Aussage, dass Lernen bei Herrn M. »irgendwie Spaß« mache, eine weitere positive und diesmal unterrichtsbezogene Proposition. Der begleitende negative Gegenhorizont »nicht so wie bei den anderen«

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verdeutlicht die Besonderheit. Der Interviewer fragt nun nach, warum Lernen bei ihm Spaß mache. Als Antwort wird die Abwesenheit von Angst beschrieben, der Eindruck, nicht als »DUMM« dazustehen, wenn man sich im Unterricht melde und etwas Falsches sage. Das Positive der Interaktion mit Herrn M. wird durch die Abwesenheit von als negativ erfahrenen Praktiken anderer Lehrpersonen charakterisiert. »Ja, irgendwie: ANDERE Lehrer machen sich darüber lustig, wenn man was falsch sagt. Und der nimmt es halt so hin«. Eine weitere Schülerin führt das Konzept der »Sorgen« ein, in dem schülerbezogene Empathie zum Ausdruck kommt, der Kontrast zum darüber lustig machen wird explizit formuliert. So erklärt sie: »Er macht sich (Sorgen?)/ Also, er macht sich nicht darüber lustig; wir machen uns alle/ wir lachen alle ZUSAMMEN, (.) wenn einer irgendwas sagt, was so, (.) weiß ich nicht (irgendwie?) lustig ist oder nicht stimmt oder so. Dann lachen wir alle ZUSAMMEN (.) und nicht nur EINER«. Insbesondere der Aspekt des gemeinsamen Lachens scheint besonders wichtig in dieser Aussage. Statt des »wir machen uns alle [lustig])«, in dem ein »lustig machen« immer über etwas oder jemanden erfolgt, verbessert sie die eigene Aussage zu »wir lachen alle ZUSAMMEN« und betont doppelt, »ZUSAMMEN (.) und nicht nur EINER«. Das gemeinsame Lachen wird zweimal genannt und beide Male hervorgehoben. Statt der Erfahrung öffentlicher Beschämung, betont sie das Gegenteil: das gemeinsame Lachen als Ausdruck sozialer Eingebundenheit und Entlastung von dem Risiko, etwas Falsches zu sagen. Neben der Erfahrung nicht ausgelacht zu werden wird das Bemühen von Herrn M. um das Verstehen der Schüler_innen, die Möglichkeit der Nachfrage, »und das SO lange, bis wir das verstanden haben« betont. Das Bemühen um das Verstehen korrespondiert mit dem zuvor formulierten »Sorge-Konzept«, im Gegensatz dazu würden die meisten anderen Lehrer_innen das Verstehen an die Schüler_innen selbst binden: »hättest du besser aufpassen müssen«. Die Sequenz wird abgeschlossen durch folgende Aussage: »Ja, macht einfach bei dem Spaß, weil man (.) merkt, (.) dass ihm das AUCH Spaß macht. Weil der bringt das halt richtig gut rüber«. Der nun folgende letzte Ausschnitt vertieft die dargestellten Momente des Bemühens von Herrn M. um das Verstehen der Schüler_innen nochmals. Zugleich wird am Ende von einer Schülerin der Bezug zur aktuellen Unterrichtsstunde hergestellt. Dies veranlasst den Interviewer zur Nachfrage nach der konkreten Situation und der eingangs dargestellten Analogie zwischen Elektronen und den Schüler_innen.

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Bw: Herr *(unv.) MERKT auch, wenn einer nicht zuhört, dann sagt er: Hör ZU, das ist wichtig. Und andere Lehrer, (wie gesagt?), die erzählen, erzählen, erzählen und (fast alle schlafen?) und die MERKEN das nicht. Bw: Vielen ist es irgendwie EGAL, auch. (unv.) Bw: Hauptsache, er macht seine Stunde; seinen Stoff zieht er DURCH (.) und hat er die 45 Minuten hinter sich und Herr *(unv.) möchte, dass wir das VERSTEHEN. (.) Ja, (.) und sagt dann auch (immer wieder?): Habt ihr das VERSTANDEN? Fasst noch mal ZUSAMMEN? Und dann erklärt er uns das NOCH mal (.) und das macht ein/ viele Lehrer halt NICHT. Die erzählen dann/ machen ihre Stunde, was die in der Stunde schaffen müssen und hauen dann AB und, ja. (.) GUT ist. I: (unv.) Bemühen darum, (.) dass ihr die Dinge auch VERSTEHT. Bw: Ja. Bm: Ja. I: Und (.) der Eindruck bei EUCH, dass er MÖCHTE, dass ihr es versteht. (B murmeln Zustimmung) I: ist dann (.) so (.) AUCH so ein Moment Bw: Ja/ Bw: (Er?) erklärt das ja auch immer so, dass wir das verstehen. Wenn wir Fachbegriffe (nicht verstehen?), dann (versucht?) er immer so, Vergleiche zu machen. So, wie man sich das MERKEN kann, so Eselsbrücken und so. (.) Wie jetzt mit dem (Energie?), wenn er uns DRANnimmt (.) und (unv.) zur Tafel geht oder Referat (hält?), dass das dann immer so WEITER/ (.) (unv.) so Vergleiche, dass wir es/ uns das MERKEN können, dass wir das VERSTEHEN. Bw: Er machts auch für etwas/ (.) für Leute, die NICHT so schnell (.) (unv.) etwas verstehen, ein bisschen (lachend) verständlicher. I: Ähm, (...) ich hab, ehrlich gesagt, ein bisschen geschluckt (.) in der STUNDE vorhin. (.) Weil ich gedacht habe, den Vergleich, den er gezogen hat, (.) WAR ja, (..) ähm, (unv.) irgendwie einleuchtend. (.) Aber auf der anderen Seite habe ich gedacht, (.) äh, das, was DARÜBER, (.) was er über EUCH damit sagt, (.) so nach dem Motto: Ihr seid ja DIEJENIGEN, die DAsitzen und am liebsten //(unv.))// //(Bw hustet)// I: haben. Und die dann sozusagen von AUSSEN angeregt werden/ (.) Da hab ich gedacht: Ist das ein BILD, ähm (..) das ich als Schüler gern GEHABT hätte? (.) Also, (unv.) so ein VERGLEICH. Bm: Nein. (.) Der macht das ja mit Humor, so. Also/ Bm: (unv.) Bm: So, (unv.) der sagt das ja nicht so (.) komplett ERNST. Bw: //Und der lächelt dabei oder so. Und der sagt dann nicht: Ja, ihr sitzt ja EH nur rum, wollt nur SCHLAFEN. (unv.) euch ja die Energie geb//

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//(Bm murmeln unv.)// Bw: (unv.) lächelt dabei, so als Vergleich? so, dass (unv.) Spaß (unv.). auch so/ Bw: Das ist mehr Spaß, als Ernst, so. Bw: Wir nehmen das alles nicht so ERNST, was er sagt/ So, jetzt (unv.). Wenn er jetzt sagt, (.) äh: Du bist die ganze Zeit am SCHLAFEN (.) und dann komm ICH und WECK dich (unv.) irgendwie so, (.) das nehmen wir nicht so ERNST. (unv.) VERSTEHEN. I: Du hast das/ (.) Du hast (.) IRONISCH verstanden. Bm: Ja. Bw: Hat JEDER. [00:36:27-9_00:39:02-3]

Der Abschnitt beginnt mit der Aussage, dass Herr M. wieder im Kontrast zu anderen Lehrer_innen wahrnimmt, wenn Schüler_innen nicht zuhören, ihm ist es nicht »egal«, sondern er fordere sie dann sogar dazu auf zuzuhören, und zwar mit dem sachlichen Argument »das ist wichtig«. Die Aussage der folgenden Schülerin macht den Kontrast nochmals deutlich. Auf der einen Seite Herr M., dessen Bemühen um Verstehen, auf der anderen Seite »viele« Lehrpersonen, die ihren »Stoff durchziehen«: »Die erzählen dann/ machen ihre Stunde, was die in der Stunde schaffen müssen und hauen dann AB und, ja. (.). GUT ist«. Implizit wird damit das ernsthafte Bemühen der Lehrperson, zum Verständnis der Schüler_innen beizutragen, als Orientierung deutlich. Die paraphrasierende Rückfrage des Interviewers nach dem Bemühen wird von den Schüler_innen mehrfach bestätigt. Die Aussage der folgenden Schülerin stellt den Bezug zur vorherigen Unterrichtsstunde her, macht aber dadurch, dass Herr M. »immer so versucht, Vergleiche zu machen« deutlich, dass es sich bei der dokumentierten Stunde nicht um einen Einzelfall handelt, und dass die Schülerin diese Vergleiche positiv als Verstehens- und Merkhilfe rahmt. So wird gesagt, dass er darum bemüht sei, den Schüler_innen etwas verständlich zu machen: »Erklärt das ja auch immer so, dass wir das verstehen«. Dazu verwendet er laut der Aussage der Schülerin verschiedene Mittel: »Wenn wir Fachbegriffe (nicht verstehen?), dann (versucht?) er immer so, Vergleiche zu machen. So, wie man sich das MERKEN kann, so Eselsbrücken und so«. Hier wird allgemein auf Situationen eingegangen, in denen der Lehrer den Schüler_innen das Erlernen spezifischen Fachwissens erleichtert. Auffallend ist hier erneut die Verwendung des Plurals. Die Sprecherin bezieht diese Aussage also nicht nur auf sich persönlich, sondern auch auf die anderen Mitglieder der Gruppe. Dies zeigt wiederum, dass die Schülerin davon ausgeht, dass die anderen ebenfalls dieser Meinung sind, was wiederum auf einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund hinweist. In ihrer weiteren Aussage geht sie auf eine spezielle Situation ein (»Wie jetzt mit dem

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(Energie?)«), bleibt aber in der weiteren Aussage auf der gleichen Ebene der Argumentation. In der Anschlussaussage unterstützt eine Mitschülerin die Aussage, bestätigt damit die kollektive Orientierung, dass Herr M. um Verstehen bemüht ist, und führt dies am Beispiel derjenigen Mitschüler_innen aus, die nicht so schnell verstehen. Die Gruppendiskussion abschließend wird von dem Interviewer noch einmal explizit auf die vorliegende Unterrichtsstunde Bezug genommen. Mit der Aussage »Da hab ich gedacht: Ist das ein BILD, ähm (..) das ich als Schüler gern GEHABT hätte? (.) Also, (unv.) so ein VERGLEICH« wird fragend die These eröffnet ob ein solcher Vergleich nicht als problematisch zu sehen sei. Dies wird von den Schüler_innen kollektiv verneint. Dabei wird der Modus, in dem der Vergleich dargestellt wird, zunächst als »mit Humor« gerahmt, als »nicht so komplett (.) ERNST« beziehungsweise »mehr Spaß als Ernst« beschrieben. Hier wird also abschließend erneut auf den Aspekt der Ernsthaftigkeit des Lehrers eingegangen, gleichzeitig wird dieser Aspekt aber durch »nicht so (.) komplett« relativiert. Dabei benennen die Schüler_innen nonverbale Signale (»lächelt dabei«) und zeigen, dass sie sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der sprachlichen Ebene durchaus differenzieren können: »der sagt dann nicht: Ja, ihr sitzt ja EH nur rum«. Die doppelte und unwidersprochene Verwendung des »wir« macht deutlich, dass hier eine kollektiv geteilte Orientierung vorliegt. Die Nachfrage, ob die Schülerin das ironisch verstanden habe, wird von einem Mitschüler eindeutig bejaht, und die adressierte Schülerin formuliert »hat JEDER«. Die Auseinandersetzungen der Schüler_innen in der vorliegenden Gruppendiskussion zeugen ganz offensichtlich von dem Ringen derselben, die Besonderheit des Lehrers adäquat zu beschreiben. Der Einstieg in diese Auseinandersetzung erfolgt über eine Relation, Herr M. sei auch im PRIVATEN Leben nett, sei LOCKERER als andere Lehrer, habe Spaß an seinem Job, könne aber auch ERNST sein, er komme sympathisch rüber, »so MENSCHLICH, halt«. Als Beispiel führen die Schüler_innen Facebook sowie Erzählungen des Lehrers von seinen Kindern auf. Darüber hinaus betonen die Schüler_innen aber ebenso eine Haltung des sich »Sorgens«, des Bemühens des Lehrers, Verstehensprozesse zu begleiten, während die anderen Lehrer_innen dazu keine Zeit hätten, oder die Verantwortung dafür allein an die Schüler_innen selbst abgeben würden. Aus der Perspektive der Schüler_innen werden also zweierlei Aspekte relevant, wenn es um die Frage der Besonderheit einer guten Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung geht: Erstens eine anerkennende Haltung Schüler_innen gegenüber, auch außerhalb institutioneller Rollenzuweisungen, die wir als symmetrisch verstehen. Der Verweis auf die Menschlichkeit des Lehrers impliziert ja

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gerade die Notwenigkeit, dass der Lehrer die Schüler_innen auch als gleichberechtigt anerkennen muss, sich für diese interessiert. Zweitens der Verweis auf die pädagogische Haltung des Lehrers. In dem Bemühen, Verstehensprozesse zu begleiten, der Abwesenheit von Angst davor, Fragen zu stellen, falsche Antworten zu geben und dafür ausgelacht zu werden, zeigt sich die Sorgebeziehung des Lehrers zu den Schüler_innen, während das »Zusammen Lachen« als Ausdruck der Vergemeinschaftung zwischen Lehrer und Schüler_innen_ verstanden werden muss.

F AZIT Die Basis der Beziehung der in der Gruppendiskussion befragten Schüler_innen zu ihrem Lehrer gründet nach den Aussagen der Schüler_innen selbst auf gegenseitigem Respekt: »wir respektieren DEN (.) und er respektiert UNS auch, deshalb (.) geht der mit uns so um, wie wir mit IHM umgehen«. Um auf die Eingangsfrage, inwieweit die Wertschätzung, welche die Schüler_innen dem Lehrer entgegenbringen, mit Ironie zusammenhängt, zurückzukommen, kann festgehalten werden, dass die Schüler_innen die Ironie dekodieren können und diese nicht als Übergriff deuten. Trotz der allgemeinen Annahme, dass Ironie in der Pädagogik negativ konnotiert wird, zeigt dieses Beispiel eine positive Verwendung der Ironie, da die Schüler_innen das ironische Spiel des Lehrers mitmachen und zu schätzen wissen. Auf der Metakommunikationsebene, die der Lehrer herstellt, wird seine eigene Person in distanzierter Sichtweise mit einbezogen. Als zentraler Aspekt wird das »Zusammen-Lachen«, welches durch gegenseitigen Respekt und Verständnis begründet wird, auf der gemeinsamen Vertrauensbasis genannt. Daher erkennen die Schüler_innen den Lehrer einerseits als Privatperson, andererseits aber auch in seiner Rolle als Lehrer an. Aus ihrer Sicht stellt dies aber keinen Widerspruch dar, da er auf der persönlichen Ebene eine angemessene Nähe schafft, die seine Professionalität wahrt, und so präsentieren sie eine für sie »funktionierende« Lehrer_innenSchüler_innen-Beziehung.

L ITERATUR Bohnsack, Ralf (2010): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich.

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Ders./Marotzki, Winfried/Meuser, Michael (Hg.) (2003): Hauptbegriffe Qualitative Sozialforschung. Ein Wörterbuch, Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich. Nohl, Arnd-Michael (2012): Interview und dokumentarische Methode. Anleitung für die Forschungspraxis, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Oevermann, Ulrich (2003): »Brauchen wir heute noch eine gesetzliche Schulpflicht und welches wären die Vorzüge ihrer Abschaffung?«, in: Pädagogische Korrespondenz, Heft 30, S. 54-70. Przyborski, Aglaja (2004): Gesprächsanalyse und dokumentarische Methode. Qualitative Auswertung von Gesprächen, Gruppendiskussionen und anderen Diskursen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Püttschneider, Martin/Lück, Gisela (2004): »Die Rolle des Animismus bei der Vermittlung chemischer Sachverhalte«, in: CHEMKON 11, S. 167-174.

Die Sicht der Lehrer_innen

»Partnerschaft – ein Stück weit« Orientierungsmuster von Lehrpersonen zur Beziehungsgestaltung mit ihren Schüler_innen J ANA F ISCHER , D EANA G RUBESIC , A LEKSANDRA M ASLAK , A LISA S TAUB & J EANNETTE S TEINKOPF

E INLEITUNG »Welche Lehrerin hat euch besonders gefördert? Welcher Lehrer hat euch unterstützt und auf eurem Weg positiv beeinflusst? […] Euer Lehrer verdient einen Preis? Dann macht mit!« (http://www.lehrerpreis.de)

Mit diesen Fragen werden auf der Internetpräsenz des Deutschen Lehrerpreises Schüler_innen im Abschlussjahrgang aufgefordert, eine Lehrperson zu würdigen. Die Schüler_innenschaft nominiert eine Lehrperson, je mehr Schüler_innen beteiligt sind, desto höher sind hierbei die Erfolgschancen, von der Jury zum Preisträger bzw. zur Preisträgerin gekürt zu werden. Die mit einer Nominierung verbundenen Aktivitäten der Koordination, Verständigung und Abstimmung unter den Schüler_innen verweisen auf ein »besonderes« Verhältnis derselben zur Lehrperson, denn sonst würden sie sich die Mühe nicht machen. Dieser Beitrag beschäftigt sich jedoch mit der Frage, wie sich dieses Verhältnis für die Preisträger_innen selbst konstituiert, wie sie es beschreiben und was in diesen Beschreibungen zum Ausdruck kommt. Nach einer kurzen Einordung in den Forschungsstand und die verwendete Methode werden zunächst Ausschnitte aus den Interviews mit den einzelnen Preisträger_innen rekonstruiert, bevor diese in einer komparativen Gesamtschau betrachtet werden.

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F RAGESTELLUNG , M ETHODE

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D ATENMATERIAL

Bisherige Forschungsbefunde belegen, dass soziale Beziehungen im Kontext der Schule für den individuellen Lernprozess von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. Raufelder 2010: 88). So wurde bereits in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts in der Erziehungsstilforschung unter Lewin & Co. aufgezeigt, dass verschiedene Führungsstile seitens der Lehrperson eine Auswirkung auf die Schüler_innenleistungen haben. Diese Annahme beeinflusste die Forschung bis in die Sechziger- und Siebzigerjahre hinein. Im Fokus stand hierbei allerdings alleinig das Handeln der Lehrpersonen (vgl. Raufelder 2008: 67 ff.). Erst Anfang der Achtzigerjahre wurde das Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis in Nickels Transaktionalem Modell als ein komplexes, sich gegenseitig bedingendes Gefüge betrachtet, das zusätzlich vom soziokulturellen Umfeld beeinflusst wird (vgl. Raufelder 2008: 76 ff.). In den Metaanalysen von John Hattie unter dem Motto »what works best« wurden 138 Einflussfaktoren auf den Lernerfolg identifiziert (vgl. Steffens 2011: 1 ff.). Auf der Ebene des Unterrichtsklimas zählt zu diesen Faktoren ein positives Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis. Die bisherigen Forschungen sind überwiegend quantitativ ausgerichtet und auf die Lernleistungen der Schüler_innen fokussiert. Die Art und Weise, wie das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schüler_innen hergestellt wird, kam dabei jedoch seltener in den Blick. Der vorliegende Beitrag verfolgt deshalb das Ziel, qualitativ-rekonstruktiv die soziale Wirklichkeit aufzuzeigen, indem die Befragten durch die Form des narrativen Interviews Themen in ihrem persönlichen Relevanzsystem entfalten können. Mit der Leitfrage »Anhand welcher Orientierungsmuster gestalten Lehrkräfte die Beziehung zu ihren Schüler_innen?« liegt vor allem das sog. atheoretische Wissen im Interesse, vor dessen Hintergrund die Lehrkräfte ihre Handlungspraxis vollziehen, und welches sich vom theoretisch-abstrakten Wissen über einen Sinnzusammenhang abgrenzt. Das habitualisierte Wissen als Orientierungsrahmen einerseits und das theoretisch-abstrakte Wissen als Orientierungsschema andererseits konstituieren gemeinsam das Orientierungsmuster (vgl. Nohl 2006: 132). Der forschende Zugang zu diesem atheoretischen Wissen wird dabei durch die Dokumentarische Methode ermöglicht. Das Datenmaterial, dem wir uns zuwenden, bilden narrative Interviews mit vier Lehrpersonen, die nach dem videographierten Unterricht geführt wurden. In ihnen wurde durch eine bewusst offene Fragestellung nach dem generellen Erleben des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses sowie nach dessen persönlicher Gestaltung, Antworten in einer beschreibenden oder erzählenden Art und Weise initiiert.

»P ARTNERSCHAFT –

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Aus den vier vorliegenden Interviews wurden jeweils einzelne Ausschnitte unter zwei Gesichtspunkten ausgewählt. Zunächst wurden die ersten Reaktionen auf die Eingangsfrage untersucht, da in diesen ersten Aussagen bereits Ansätze des Orientierungsschemas der Befragten deutlich werden. Die weiteren Abschnitte wurden unter dem Kriterium inhaltlich dichter Aussagen gewählt, die zudem eng mit der Frage der Beziehung verknüpft waren, so dass sich insgesamt ein Orientierungsmuster herauskristallisiert. Frau P.: »Das müssen einfach meine Partner sein« Das vorliegende Interview mit Frau P. wurde durch die Frage nach dem Erleben des Verhältnisses zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen und dabei wichtigen Aspekten eingeleitet. Als eine erste Antwort, anhand derer sich bereits ein erstes Orientierungsmuster erkennen lässt, soll folgende Sequenz aus dem Interview dienen. »Und ähm (.) also das, was für mich ganz entscheidend ist, das ist der Blick auf die Schüler. Also jetzt von meiner Seite aus betrachtet. (..) Ähm (.) Schüler dürfen keine Feinde sein, sondern das müssen einfach meine Partner sein. Und ähm (.) ich hab mal eine/ ein Erlebnis gehabt in der zweiten Klasse (.) mit äh (..) mit kleinen/ eben Zweitklässlern. Da gings um die Theodizee-Frage. Und äh ich war platt. Ich war fertig nach dieser Dreiviertelstunde. Wie intensiv die gfragt haben, wie sie selber nach Antworten gesucht ham, (.) wie sie selber versucht ham, so dieses wahnsinnig schwierige Thema irgendwie zu fassen. Und (.) da war mir dann so/ i hab selber kei Antwort dadrauf, warum gibts dieses und jenes Chaos, warum gibts diese Katastrophe. Und in diesen (.) Suchversuchen von den Kindern (..) hab ICH Antworten auch dadurch gekriegt. Und das ist so etwas, was mir generell wichtig ist im Unterricht. Also (..) ich find, ich kann/ natürlich weiß ich bestimmte Sachen mehr als die Schüler, aber die Erfahrungen, die sie gemacht ham, äh die sind nicht weniger wert wie die, die ich habe.« [Z. 46-59]

Zu Beginn geht Frau P. zunächst auf den zweiten Teil der Ausgangsfrage ein, nämlich was ihr persönlich beim Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis wichtig sei. Wenn es nach der Lehrperson geht, ist ein maßgeblicher Faktor der persönliche Blickwinkel auf die Schüler_innenschaft. Sie betont, dass es sich dabei um ihre Sichtweise handle und dass die Schüler_innen »Partner« sein sollten, indem sie sie gegen »Feinde« abgrenzt. Mit Hilfe des Ausdrucks »ganz entscheidend« wird der Wichtigkeit des Blickes auf die Schüler_innen Nachdruck verliehen. Betont wird hierbei die Subjektivität dieser Sichtweise (»für mich«, »von meiner Seite aus«). Dadurch, dass sie

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dies als ihre persönliche Meinung kennzeichnet, wird gleichzeitig deutlich, dass diese Perspektive nicht auf jede Lehrperson zutreffen muss. Die Verneinung des Verbs »dürfen« drückt im Allgemeinen ein Verbot aus, das sich im schulischen Kontext auf eine von der Lehrperson oder der Institution aufgestellte Regel bezieht. Das Verbot nimmt hierbei eine universelle Dimension ein, die durch die unpersönliche Aussage »Schüler dürfen keine Feinde sein« zum Ausdruck kommt. Mit Hilfe des Gegensatzpaares »Feinde« und »Partner« wird eine semantische Opposition entwickelt. Auffällig ist hierbei, dass nur das Wort Partner mit einem Possessivbegleiter versehen ist. »[M]eine« drückt gemeinhin eine Zugehörigkeit aus und verstärkt somit, dass es sich hierbei um ein Verhältnis zwischen Frau P. und ihren »Partner[n]« handelt. Das Verb »müssen« drückt zudem eine Form von Zwang, Notwendigkeit oder Verpflichtung aus. Partnerschaft zwischen Lehrerin und Schüler_innen wird somit als zwingend notwendig herausgestellt. Frau P. berichtet dann von einem Erlebnis mit »kleinen Zweitklässlern«, die sich mit der Theodizee-Frage1 beschäftigt hätten. Sichtbar wird der fundamentale Eindruck, den diese Diskussion auf Frau P. selbst gemacht hat (»ich war platt«). Sichtbar wird darin auch ein hohes Maß an Einlassung auf die Fragen wie Antwortversuche der Schüler_innen sowie eine Unterrichtsgestaltung, die Zweitklässlern eine schwierige Frage zumutet, zutraut und die es gilt, »zu fassen«. Frau P. konstituiert sich darin als ebenso Fragende (»selber kei Antwort dadrauf«) und damit auf inhaltlicher Ebene eine Symmetrie, die eine hohe Übereinstimmung mit dem Konzept der Partnerschaftlichkeit aufweist. Inhaltlich sagt Frau P. im dritten Teil der Sequenz, dass sie in der Antwortsuche der Schüler_innen selbst »Antworten« fände. Daraus entwickelt sie die generelle Aussage, dass der eigene inhaltliche Gewinn für sie bedeutsam ist. Obwohl die Lehrperson sich ein Mehrwissen im Vergleich zu den Schüler_innen zuspricht, erachtet sie ihre und deren Erfahrungen als gleichwertig. Wenn auch die Schüler_innen einerseits »Partner« sein sollen, so werden sie andererseits auch als »Kinder« bezeichnet. Da Kindern die Eigenschaft zukommt, noch nicht erwachsen zu sein, wird auf diesem Wege eine klare Abgrenzung zur Lehrperson vorgenommen, die dem Kreis der Erwachsenen angehört. In der Kennzeichnung konstituiert sich ein Generationsverhältnis. Auffällig ist hierbei, dass die Schüler_innen zu Beginn dieses Abschnitts nicht in ihrer Rolle

 1

»Der Begriff Theodizee benennt das Problem der Rechtfertigung Gottes angesichts einer gegen ihn vorgetragenen Anschuldigung wegen des in der Welt begegnenden Übels«

(http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-at/theodizee/)

vom 09.07.2014.

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innerhalb der Schule, also als Schüler_innen bezeichnet werden, sondern in ihrem Status innerhalb der Gesellschaft. Dass Frau P. als Lehrerin ein Mehrwissen hinsichtlich gewisser Dinge, welche jedoch seitens der Lehrperson nicht spezifiziert werden, besitzt, wird als eine gegebene und selbstverständliche (»natürlich«) Tatsache dargestellt. Mit Hilfe eines Vergleiches (»mehr als«) werden die »Schüler« in der Position benannt, die sie in der Schule einnehmen, und nicht länger als Kinder. Betont wird, dass selbst wenn ein Ungleichgewicht zwischen Lehrperson und Schüler_innen bezüglich des Wissens besteht, dennoch eine Gleichrangigkeit bezüglich der Wichtigkeit ihrer Erfahrungen und somit eine gewisse Symmetrie herrsche. Die Gleichwertigkeit der Erfahrungen wird durch die Worte »nicht weniger wert« hergestellt. Das sprachliche Stilmittel der Litotes (»nicht weniger«) drückt dann eine vorsichtige Behauptung, im Gegensatz zur inhaltlich gleichen Formulierung »mindestens genauso viel wert«, aus. Darüber hinaus wird durch die Negation ein Bezug zur Gegenthese, die Erfahrungen der Schüler_innen seien »weniger wert«, hergestellt, welcher sich die Lehrperson entgegenstellt. Nach der Analyse der ersten Sequenz des Interviews lässt sich bereits ein Orientierungsmuster von Frau P. erkennen. In der Kennzeichnung ihrer Schüler_innen als Partner wird bereits ein Symmetriekonzept hinsichtlich der Stellung der Lehrperson und der Schüler_innen sichtbar. Dies kommt auf der Ebene der Erfahrungen ebenso zum Ausdruck, wie durch Antworten, die die Lehrperson von ihren Schüler_innen bekommt. Hinsichtlich des Wissens und des Generationsunterschieds markiert die Lehrperson gleichwohl eine Differenz. »Und ähm (..) mir hilfts dann einfach im Unterricht auch (.) das sind ja nicht meine eigenen Kinder. Das heißt meine Emotionen äh über irgend n bestimmtes Verhalten (.) die müssen da überhaupt net vorkommen. Weil ähm ob mich das jetzt nervt, dass der in der Nase bohrt oder nicht, dann geh i halt her und sag »och, gefällt mir jetzt nicht so gut«. Als Mutter eines Kindes […]2 da spielen ja ganz andere Emotionen und ganz andere Aspekte noch mit ne Rolle. Und die find i, die können einfach dann im Unterricht (.) die brauchen da gar kei/ gar nicht da sein. (.) Und dann dann ist da VIEL son son Negativballast einfach gar net vorhanden. (.)« [Z. 85-92]

An dieser Stelle des Interviews wird von der Lehrperson herausgestellt, dass die Tatsache, dass die Schüler_innen nicht ihre eigenen Kinder sind, eine Hilfe für die Lehrperson darstellt. Aus diesem Grunde kämen gewisse Emotionen, die durch ein »bestimmtes Verhalten« der Schüler_innen ausgelöst würden, gar

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Kurze Unterbrechung im Interview.

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nicht auf. Bei einer Mutter würden andere Emotionen und Aspekte eine Rolle spielen, die nach Meinung der Lehrerin im Unterricht gar nicht aufzukommen brauchen. So bliebe viel »Negativballast« erspart. Wenn man sich von der inhaltlichen Ebene der Aussage von Frau P. distanziert, zeigt sich, dass die Tatsache, dass die Schüler_innen nicht die eigenen Kinder sind, der Lehrerin auf eine unkomplizierte Art und Weise hilft (»einfach«). Die Differenz, die die Lehrperson somit zwischen ihren eigenen Kindern und den Schüler_innen setzt, ermöglicht es auch auf emotionaler Ebene eine Abgrenzung vorzunehmen, um ein professionelles Handeln zu ermöglichen. Das Verb »müssen« zeigt, dass es nicht zwangsläufig notwendig ist, gewisse Emotionen zu einem Verhalten offen zu zeigen, wenn diese Differenzierung vorgenommen wird. Obwohl der Gebrauch des verneinten Modalverbs müssen hier Bezug auf ein wünschenswertes Verhalten impliziert, so bleibt doch stets die Möglichkeit offen, dass dies nicht immer eintreten wird. Auffällig ist an dieser Stelle, dass die Lehrperson mit dem Ausdruck »überhaupt net« erneut eine Verstärkung zur Untermauerung ihrer Aussage wählt. Diese Betonung akzentuiert eine strikte Differenz zwischen den eigenen Kindern und den Schüler_innen hinsichtlich der emotionalen Involviertheit. Der Einschub »find i« bringt zum Ausdruck, dass es sich bei der nachfolgenden Aussage um die subjektive Meinung der Lehrperson handelt. Nach dieser Aussage werden zwei Modalverben im Zusammenhang mit dem Verb sein verwendet, nämlich »können« und »brauchen«. Während das erste Verb primär eine Möglichkeit ausdrückt, manifestiert sich durch das zweite Verb eine Notwendigkeit. Diese wird unterstrichen, indem der von der Lehrperson begonnene Satz für den Einschub des zweiten Modalverbs brauchen unterbrochen, und dadurch eine Korrektur vorgenommen wird. Auch innerhalb dieses Satzes findet man wieder eine Verstärkung in Form von »gar kei/ gar nicht«. Dies bekräftigt die durch die Lehrperson propagierte Zurückhaltung der Emotionen gegenüber den Schüler_innen, um »VIEL« unnötige, negative Last in der Beziehung zu den Schüler_innen erst gar nicht entstehen zu lassen. Diese Sequenz des Interviews hilft dabei, das Orientierungsmuster von Frau P. weiter zu elaborieren. Es wird deutlich, dass sie die Partner, die ihre Schüler_innen für sie darstellen, streng vom familiären Bereich abgrenzt. Diese Differenzierung ermöglicht es Frau P., professionell im Rahmen der Schule zu handeln und somit Konfliktpotential aus der Lehrer_innen-Schüler_innenBeziehung zu nehmen, welches die Symmetrie zwischen beiden Parteien erleichtert. Konstituiert sich im Konzept der Partnerschaft ein Verhältnis der Nähe, wird durch die vorgenommene Differenzsetzung zu den »eigenen Kindern«

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zugleich wieder eine Distanzierungsfigur eingeführt. Diese kommt auch im folgenden Ausschnitt zur Geltung. »Also so diese Personengrenzen (.)versuch ich selber, so es mir möglich ist und ich es bewusst merke, zu achten. Und versuch aber auch dafür Sorge zu tragen, dass das von den Schülern genauso gemacht wird.« [Z. 108-111]

Dadurch, dass der Satz mit dem Objekt, nämlich der Erwähnung der »Personengrenzen« beginnt, kommt diesem eine besondere Bedeutung zu. In einem nächsten Schritt wird deutlich, dass die Lehrperson zunächst Bezug auf sich selbst nimmt. Sie ist das Subjekt des Satzes, durch die Verwendung der Partikel »selbst« wird nochmals der Bezug zur ihr deutlich. Obwohl der Gebrauch des Verbs »versuchen« bereits impliziert, dass man sich zwar Mühe gibt, aber nicht sicher sein kann, ob es gelingt, zeigt es gleichsam auch, dass man selbst das Begonnene so weit wie möglich ausführt. Des Weiteren nimmt die Lehrerin eine Elaboration vor. Der Versuch der Achtung ist ihrer Auffassung nach sowohl durch die Möglichkeit der Realisierung als auch die Wahrnehmung der Personengrenzen voraussetzungsvoll. Zudem wird ersichtlich, dass das Einhalten eben dieser Grenzen in der Verantwortung der Lehrperson steht. Obwohl die Realisierung offenbar nicht ganz einfach ist und die Lehrperson sich daher nicht gänzlich ihres Erfolges sicher sein kann, trägt sie – soweit möglich – Sorge dafür, dass die Schüler_innen diese Form des respektvollen Umgangs genauso umsetzen wie ihre Lehrperson. Die Schwierigkeit und die Unsicherheit hinsichtlich der Umsetzung manifestieren sich in der Wahl des Verbs »versuchen«. Das Bemühen der Lehrerin um die Realisierung auf beiden Seiten deutet darauf hin, dass die generelle Achtung von Personengrenzen eine augenscheinlich wichtige Rolle spielt. Frau P. zeigt sich in dieser Aussage in doppelter Verantwortungsübernahme, da sie nicht nur ihrerseits, sondern auch auf Seiten der Schüler_innen dafür sorgt, dass die Personengrenzen eingehalten werden. Durch den Gebrauch des Adverbs »genauso« manifestiert sich dabei wieder eine Gleichrangigkeit für Lehrperson und Schüler_innen. Die Wichtigkeit der gegenseitigen Achtung geht demnach von der Lehrperson aus, sie setzt die Maßstäbe, die wiederum für alle in der Lerngruppe in gleicher Weise gelten. Hinsichtlich des Orientierungsmusters von Frau P. lässt sich festhalten, dass sich das Symmetrie-Konzept bezüglich des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses nicht nur auf der Ebene der Erfahrungen, sondern auch auf der Ebene der Persönlichkeit findet. Diese Symmetrieperspektive nivelliert gleichwohl nicht, dass der Lehrperson hier eine besondere Rolle zukommt. Sie ist die Instanz, die diese gegenseitige Achtung initiiert und sie ist es auch, die dafür Sorge

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und Verantwortung trägt, dass eben Personengrenzen auch von den Schüler_innen eingehalten werden. Das Konzept der »Personengrenzen« präzisiert die Näheperspektive des Konzepts »Partnerschaftlichkeit«. »Aber insgesamt denke ich schon: je mehr Respekt man (.) den Schülern entgegenbringt und sie (..) auf ihrem Stand in ihrem So-Sein und achtet und ihnen immer wieder Chancen gibt, ähm desto mehr kommt dann auch von ihrer Seite zurück.« [Z. 129-132]

Die Lehrperson vertritt in dieser Sequenz, die durch die einleitenden Worte »aber insgesamt« einen konklusiven Charakter aufweist, die generalisierte Auffassung, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt zwischen der Achtung und dem Respekt, den man den Schüler_innen entgegenbringt, und dem, was seitens der Schüler_innen zurückgegeben wird. Die Präpositionalkonstruktion »[J]e mehr . . . desto mehr« bringt dies klar zum Ausdruck. Unabhängig von der Person der Lehrkraft kann also im Rahmen der Institution Schule ein Verhältnis gegenseitiger Achtung im Umgang miteinander bestehen. Ferner wird zwar erläutert, dass man den Schüler_innen drei Dinge entgegenbringt, nämlich »Respekt«, Achtung in ihrem »So-Sein« und »Chancen«, allerdings wird nicht spezifiziert, was dies genau beinhaltet oder ausmacht. Das Orientierungsmuster von Frau P. verdichtet sich weiter. Das Reziprozitätskonzept, das im letzten Ausschnitt zum Ausdruck kommt, beinhaltet die klare Zuschreibung der Verantwortung an die Lehrperson, auch als generelle Orientierung. Unter der Voraussetzung, dass die Lehrperson den Schüler_innen mit Respekt und Achtung »in ihrem So-Sein« gegenübertritt, erwartet sie ähnliches von den Schüler_innen. Gleichwohl »gibt« sie »immer wieder Chancen«, was neben der Notwendigkeit derselben auch die Zuständigkeit der Chancenvergabe klar bei der Lehrperson selbst verortet. »Und das ist dann wirklich in dem Moment, da spiel ich auch nicht, sondern das ist dann wirklich in dem Moment einfach einmal ganz/ eine heftige Reaktion und dann muss wieder in die Reflexionsposition gegangen werden. Und selbstverständlich braucht der ne Chance, derjenige. (.) Äh dass er wieder/ dass er einfach auch merkt äh ja? Jetzt ist er in die andere Richtung gegangen. Und wie wichtig es ist, dass man dann wieder als Person respektiert wird und dass man dann wieder drüber redet und was ist jetzt da eigentlich falsch gelaufen? (.) Also ich kann nicht in dieser Schreihaltung bleiben.« [Z. 441-448]

Laut Frau P. kommt es in bestimmten Situationen innerhalb der Unterrichtsinteraktion zu einer »ganz […] heftige[n] Reaktion«, welche von der Lehrperson nicht gespielt wird, sondern natürlicherweise erfolgt. Wenn es zu eben solch

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einer Lage kommt, muss die Lehrerin unmittelbar folgend jedoch wieder eine »Reflexionsposition« einnehmen. Den betroffenen Schüler_innen müsse eine Chance gegeben werden, so dass sie merken, dass sie »in [eine] andere Richtung« gegangen sind. Des Weiteren sei es von Wichtigkeit, dass »man« wieder Respekt als Person erlange und sich der Ursachen des Schieflaufens bewusst werde. Sie persönlich kann nicht in einer »Schreihaltung« verbleiben. Auch auf der semantischen Ebene scheint die erläuterte Reaktion nur ein zeitlich begrenztes Geschehen zu sein, was durch die doppelte Verwendung von »wirklich in dem Moment« ersichtlich wird. Mit der Aussage »da spiel ich auch nicht« wird ein Gegenhorizont zu einer spontanen Reaktion aus dem Affekt heraus gebildet. Nachdem es zu einer »heftige[n] Reaktion« gekommen ist, welche an dieser Stelle nicht näher spezifiziert wird, »muss« dieser Zustand jedoch wieder geändert werden. Die Verwendung des Verbs müssen impliziert, dass dies eine Notwendigkeit darstellt. Besonders auffällig ist an der Stelle, dass zu diesem Verb kein Subjekt erwähnt wird. Dadurch erscheint dies wie eine allgemeingültige Regel, die die Lehrerin über sich hinaus geltend macht. Wenn Frau P. zudem davon spricht, dass »wieder« die »Reflexionsposition« eingenommen werden muss, drückt dies aus, dass diese Position vor der beschriebenen Reaktion der Normalzustand war. Für die Lehrperson erscheint es selbstverständlich, dass »der [betroffene Schüler]« eine Chance benötigt, um zu realisieren, dass er »in die andere Richtung« gegangen ist. Indem die Lehrperson also eine Chance gibt, kann der jeweils betroffene Schüler zu einer Einsicht kommen. Das Temporaladverb »dann« signalisiert, dass die erneute Respektierung erst infolge der Vergabe einer Chance erfolgt, somit bedingt hier das eine Handeln (»Chance«) das andere (»respektiert wird«). Wiederum mit der Verwendung des Adverbs »dann« zeigt die Lehrperson den nächsten Schritt, die gemeinsame Besprechung auf. Durch die unpersönliche Formulierung (»man«; »was«) erweist sich dieses Zwiegespräch auf einer sachlich-distanzierten Ebene. Ferner scheint sich aufgrund der unpersönlichen Formulierung wiederum eine allgemeingültige Regel zu dokumentieren. Deutlich wird an dieser Sequenz, dass es durchaus Situationen in der Lehrer_innenSchüler_innen-Interaktion gibt, die kurzzeitig, heftig und laut von der Regel gegenseitiger Achtung abweichen. Diese Situationen erscheinen im Modus, ein eindrückliches Zeichen setzen zu wollen, die Zuständigkeit und Initiative zur Normalisierung des Verhältnisses wird bei Lehrperson gesehen. Fasst man die obigen Rekonstruktionen zusammen, konstituiert sich bei Frau P. ein Orientierungsmuster in Bezug auf die Gestaltung der Beziehung zu Ihren Schüler_innen, als Konzept einer spezifischen Partnerschaftlichkeit. Besonders

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deutlich wird diese Symmetrie hinsichtlich der Gleichwertigkeit der »Erfahrungen«, die die Lehrperson und die Schüler_innen gemacht haben, der Achtung der »Personengrenzen«, des »Respekt[s]« und der Achtung des »So-Sein[s]«. Das antinomisch erscheinende Gegenkonzept ist das einer gleichzeitigen Distanzierung: emotional (»das sind ja nicht meine eigenen Kinder«), in Bezug auf den Wissensvorsprung und die Generationendifferenz. Als weiteres Moment der Orientierungen ist die (Erst-)Verantwortung sichtbar, für die Achtung der Personengrenzen ebenso wie für die Vergabe erneuter »Chancen« auch und gerade dann, wenn es um die Wiederherstellung des gegenseitigen Respekts im Modus des gemeinsamen Gesprächs geht, Sorge zu tragen. Herr K.: »Von meim Denken her muss ich den Schüler als Gegenüber sehen« In diesem Kapitel werden Transkriptausschnitte aus dem narrativen Interview mit Herrn K. vorgestellt und diskutiert. Eingeleitet wurde das Interview ebenfalls durch die Frage, wie er das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen generell erlebt und wie er es persönlich gestaltet. »(..) Also ich erle/ erlebe das Verhältnis Schüler-Lehrer als sehr positiv, (..) es ist ein Geben und ein Nehmn. (..) Also das heißt in erster Linie muss ich natürlich als Pädagoge für die/ für das SETTING sorgen. Also für die Rahmenbedingungen. Dass (.) gutes Lernn möglich ist. Also mir ist ganz wichtig, natürlich, die Rahmenbedingungen müssen stimmen, (.) äh damit ich (.) guten Unterricht machen kann. Das mal so/ ich sprech von guten Unterricht, (.) der DEFINIERT sich bei mir aber allerdings (.) in erster Linie natürlich (.) äh über das Schüler-Lehrer-Verhältnis (..) und auch über die Ziele, die ich mir formuliere in der Planung, und ich dann auch immer wieder überprüf. Also für mich is dann schon wichtig, dass im Unterricht, was passiert, (.) dass Änderungn stattfinden, dass die Schüler bereichert (.) oder mit einer neuen Idee, mit Anstößen (.) die ja den Unterricht von mir wieder verlassen.« [Z. 39-49]

Herr K. reagiert zunächst auf den ersten Teil der Eingangsfrage nach dem allgemeinen Erleben des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses und beantwortet diese Frage subjektiv evaluationslogisch, d.h. im Modus der Bewertung. Daraufhin erfolgt eine Elaboration des Verhältnisses als »Geben und Nehmen«, welches durch die gleichrangige Beiordnung »und« als ein Symmetriekonzept gedeutet werden kann. Die hier gewählte Reziprozitätsmetapher impliziert darüber hinaus neben der Aufgabe des eigenen Gebens auch die Erwartung, etwas (von den Schüler_innen) zu bekommen. Bei dieser als erste Orientierung der Lehrper-

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son auftretenden Beschreibung manifestiert sich also die Erwartungshaltung einer ausgewogenen Wechselbeziehung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen. In der Überleitung »also das heißt« schließt sich eine Konkretisierung dieses Verhältnisses an, in welcher sich dokumentiert, dass Herr K sich als Initiator dieser Beziehung versteht (»muss ich«, »damit ich«,), er ist das Subjekt der Handlungen. Dies wird jedoch durch die Formulierungen »in erster Linie« und »natürlich« wieder abgeschwächt, so dass lediglich eine Priorisierung der Verantwortung seitens der Lehrperson festgestellt werden kann. Die Wortwahl »Bedingungen« impliziert, dass die hierunter fallenden Faktoren dem eigentlichen Unterricht zeitlich vorgeordnet und somit auf einer organisatorischen Ebene zu verstehen sind. Es wird ein Ungleichgewicht im Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnis deutlich, da die Lehrperson als einzig Gebender und alleiniger Verantwortungsträger in diesem Geschehen erscheint. Eine Rolle der Schüler_innen, die über die der Nehmenden hinausgehen würde, bleibt bisher ungeklärt, da zunächst ausschließlich Herr K. als Handelnder in Bezug auf seinen Unterricht sichtbar wird (»damit ich (.) guten Unterricht machen kann«). Diese vermeintliche Asymmetrie wird jedoch in einer Definition guten Unterrichts relativiert, welcher sich »in erster Linie natürlich« und somit für Herrn K. scheinbar selbstverständlich durch das Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnis auszeichnet. Herr H. ist demnach nicht der einzig Handelnde, sondern die Schüler_innen scheinen an der Herstellung guten Unterrichts zu partizipieren, wobei die ihnen dabei zukommende Rolle nicht näher erläutert wird. Der Wichtigkeit des Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnisses untergeordnet wird im Hinblick auf die Qualitätsbestimmung »guten Unterrichts« nun ein zweiter Aspekt angeführt, nämlich jener, dass im Unterricht »Änderungen stattfinden« sollen. Durch die Verwendung des Partizips »bereichert« mit passivischer Bedeutung wird den Schüler_innen dabei explizit die Rolle der Nehmenden zugeschrieben. Auch die Formulierung »den Unterricht von mir wieder verlassen« verweist auf Herrn K. als Unterrichtenden, eine Reziprozität im Sinne eines gemeinsamen Erkenntnisprozesses wird hier nicht sichtbar. In der Unbestimmtheit der Formulierung (»was passiert«, (.) »dass Änderungen stattfinden«) spricht die Lehrperson, im Gegensatz zu bisherigen Beschreibungen, nicht mehr in der ersten Person Singular, was als Ausdruck der Wahrnehmung eines begrenzten Einflusses ihrerseits auf Lernprozesse gedeutet werden kann. Die vorbereitenden Handlungen des Lehrers, die Rahmenbedingungen, sind demnach kein Garant für den Lernerfolg der Schüler_innen. Das Geben des Lehrers impliziert nicht das (An-)Nehmen durch die Schüler_innen. Dieses kann nicht von der Lehrperson beeinflusst werden.

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Als Hypothese kann hier ein Orientierungsmuster konstatiert werden, nach welchem trotz der zunächst stark reziproken Figur des Gebens und Nehmens die Lehrperson als Verantwortungsträger, vorrangig Agierender, als Gebender gegenüber den »nehmenden« Schüler_innen im Unterrichtsgeschehen auftritt. Durch die Einräumung eines hohen Stellenwertes des Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnisses partizipieren jedoch auch die Schüler_innen an diesem, treten jedoch bislang hinter der Lehrperson als Handlungs- und Verantwortungsträger zurück. Nachdem Herr H. in dieser ersten Passage oftmals das Subjekt des Satzes und somit den Handelnden verkörpert, werden seine Aufgaben und Handlungen im folgenden Interviewausschnitt auf der inhaltlichen Ebene spezifiziert. »Also ich muss auch (.) gut VORbereitet sein, ich muss mein Beitrag dazu leisten, ich muss (.) durch die Ausbildung, die ich naich (schwäbisch: »natürlich«) genossen hatte auch ein gewisses f/ einen VORsprung auch habm, (lachend) meistens zumindest gegenüber den Schülern, (.) dass ich ihn (druckst) ihnen auch was vermitteln KANN, die Sache klärn kann. (.) So, und dann kommt, wie transportier ich das Ganze und das geht natürlich über meine Persönlichkeit. (.) Das ist ganz wichtig, also ich brauch da natürlich ne (.) von meim Kopf her, von meim Denken her muss ich den Schüler als Gegenüber sehen, (.) nich äh hierarchisch, sondern als LernPARTNER, (.) ist ganz wichtig.« [Z. 59-66]

In diesen Ausführungen wird ein weiteres Mal hervorgehoben, dass die Lehrperson, im ersten Satz durchgängig grammatikalisch als Subjekt auftretend, sich vorrangig (»meistens«) als Gebender versteht. Die Existenz eines »VORsprung[s]« gegenüber den Schüler_innen autorisiert Herrn K. als gebenden Vermittler, eine »strukturell gegebene (…) Asymmetrie« (Helsper 2004: 74), eine »Überlegenheit […] des Professionellen« (ebd.: 75) wird deutlich. Die dreifache Verwendung des Modalverbs müssen (»ich muss«), welche dem Modalverb können (»was vermitteln kann«; »die Sache klärn kann«) vorausgeht, fordert jeweils einen Infinitiv, welcher in diesem Fall Handlungen der Lehrperson konkretisiert, da diese hier das agierende Subjekt darstellt. Die Wahl des Verbs müssen verweist auf bestehende Überzeugungen Herrn K.s über das Lehrer_innenhandeln. Dass ein dreifaches »ich muss« dem »ich kann« vorausgeht, impliziert, dass es Voraussetzungen für die Vermittlung gibt. Die Aufgabe des Unterrichtens erweist sich als voraussetzungsreich auf Seiten der Lehrperson, wiederum ein wenig reziproker Aspekt innerhalb des Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnisses. Im Unterricht selbst verkörpert die Lehrperson, demnach auch Subjekt des Satzes, den Weg der Vermittlung (»wie transportier ich das Ganze«), sie erweist

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sich als Medium der Inhalte. Die Lehrinhalte stellen das Objekt und damit den Handlungsgegenstand dar. Die Handlung des Lehrers als Subjekt bezieht sich somit also nur mittelbar auf die Schüler_innen, unmittelbar aber auf die Lehrinhalte. Dieser Transport von Inhalten funktioniert wiederum nur unter dem Primat der Partnerschaft zu den Schüler_innen (»ich brauch da«), wobei jene ein Konzept darstellt, welches auf der kognitiven Ebene zu verorten ist (»von meim Kopf her, von meim Denken her«) und somit einerseits als eine Theorie und andererseits als eine Umschreibung einer Haltung erscheint. Diese Partnerschaft tritt als innere Verpflichtung der Lehrperson (»muss ich«) und zugleich als Notwendigkeit (»brauch«) zutage. Es wird deutlich, dass erfolgreiche Vermittlung im Unterricht »symmetrischer Verhältnisse« (ebd.) bedarf. In der Wahl des Begriffs Partner manifestiert sich eine Gleichwertigkeit und Gegenseitigkeit, eine Beziehung auf Augenhöhe, die aber aufgrund der Betonung als »LernPARTNER[schaft]« funktional limitiert ist. Darüber hinaus wird das Konzept der Partnerschaft explizit als Gegenhorizont zur Hierarchie (»nich äh hierarchisch, sondern als LernPARTNER«) konstruiert. In der Polarität dieses Begriffspaares Partnerschaft versus Hierarchie, wobei Hierarchie eine organisatorische Rangfolge bezeichnet, manifestiert sich die Betrachtung des Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnisses auf institutioneller, nicht jedoch auf persönlicher oder emotionaler Ebene. Die Schüler_innen werden im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bzw. eines »Arbeitsbündnisses« (Oevermann 2008: 64) gesehen. Die Erwähnung einer Hierarchie verweist auf die Existenz einer solchen in der Institution Schule. Die Negierung dieser scheint dabei zunächst im Widerspruch zu dem »VORsprung« an Wissen zu stehen, welcher sich in der Erwähnung der Ausbildung seitens des Lehrers dokumentiert. Wiederum zeigt sich die »Überlegenheit […] des Professionellen« (Helsper 2004: 75) und die asymmetrische Struktur der Schüler_innen-Lehrer_innenBeziehung. Von diesem Symmetriegefälle, das jenem Arbeitsbündnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen durch die Institution Schule innewohnt, distanziert sich die Lehrperson allerdings durch ihr kognitives Konstrukt von Partnerschaft, dem begrifflich eine Gleichwertigkeit zugrunde liegt. In den bisher untersuchten Ausschnitten zeigt sich ein wiederkehrendes Muster, nämlich eine Proposition von Symmetrie und Reziprozität im Schüler_innenLehrer_innen-Verhältnis. Im Sinne Helspers kann diese Argumentationsbewegung als Auseinandersetzung der Lehrperson mit der Symmetrieantinomie beschrieben werden. Eine Antinomie ist bei Helsper durch einander widersprechende Anforderungen gekennzeichnet, die beide gleichermaßen Anspruch auf Gültigkeit besitzen (ebd.: 61; 74 f.). Die Ausführungen von Herrn K. verdeutlichen eine Bewegung zwischen der konstitutiven Asymmetrie, die durch das

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Generationenverhältnis und den Wissensvorsprung entsteht und der Anforderung einer symmetrischen Interaktionsbeziehung zwischen Lehrperson und Schüler_innen. Der nächste Ausschnitt des Interviews greift die Idee der Partnerschaft zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen nochmals auf und beschreibt diese durch zwei Rollenbilder des Lehrers, jenes des Coaches und jenes des Lernbegleiters. Des Weiteren nimmt Herr H. an dieser Stelle die Perspektive seiner Schüler_innen ein – ein Seitenwechsel, der einer Interpretation bedarf. »dass die sehen, äh (.) der Schüler, »Ich bin angenommn, auch bei dem Lehrer, ich bin ernstgenommn, ich/ ich werde WAHRgenommn, auch mit meinn (.) Defizitn, oder meinn Stärkn«, je nachdem, und äh (.) vielleicht auch das Bild des Coaches, äh, ein Stück weit, ne, äh, dass ich die beg/ dass ich Lernbegleiter bin, ja.« [Z. 144-147]

Die Lehrperson versucht hier, sich in die Rolle der Schüler_innen hineinzudenken und zitiert mögliche Gedanken derselben. In diesem Perspektivwechsel spiegelt sich die Vorstellung des Lehrers von gutem Unterricht: Die Schüler_innen sollen sich »angenommen«, »ernstgenommen« und »wahrgenommen« fühlen. Im Umkehrschluss kann demnach festgestellt werden, dass die Lehrperson es als ihre Aufgabe betrachtet, die Schüler_innen anzunehmen, ernst zu nehmen und wahrzunehmen, sodass sie hier aktiv handelt, während die Schüler_innen als »Genommene« eine passive Rolle einnehmen. Die Lehrperson schreibt sich darüber hinaus die Rolle des »Coaches« im Unterrichtsgeschehen zu. In dieser Begriffswahl wird der Aspekt des Dienstes gegenüber dem »Team« stark gemacht: Ein Coach leitet an und motiviert, konzentriert sich jedoch in allem auf die Belange seines Teams. Gleichzeitig liegen die Fähigkeiten des Coaches in seiner aktivierenden und aufzeigenden Funktion, nicht jedoch beispielsweise in derselben sportlichen Leistung seines Teams, die Leistungsbereiche von Coach und Team differieren. Die Rolle des Coaches wird von Herrn K. auch sogleich durch die Aussage »ein Stück weit« wieder relativiert und durch den nachfolgenden Begriff des »Lernbegleiter[s]« in seiner Bedeutung konkretisiert. Den Lernbegleiter kennzeichnet ein Involviertsein in den Prozess des Lernens. Lernbegleiter und Lernende agieren im selben Leistungsbereich, der Lernbegleiter jedoch ist den Lernenden hierarchisch übergeordnet, da seine Leistungen ihn qualifiziert haben, andere bei ihrer Leistungserbringung zu begleiten. Der Aspekt des Ausgerichtetseins auf die Belange der Lernenden, der dem Begriff des Coaches innewohnt, kann auch für den Lernbegleiter festgestellt werden, da dessen Begleiten an den Prozess des Lernens gebunden und auf diesen abgestimmt ist. Darüber hinaus ist die Aufgabe des Lernbegleiters jedoch

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auch auf die Aktion des Lernens limitiert und in dieser Beschränkung auf eine Handlung hebt sich der Begriff des Begleiters von jenem des Partners ab, welchem zunächst keine zeitliche oder handlungsbezogene Beschränkung innewohnt. Die Hypothese eines vorrangig gebenden Lehrers und demnach vorrangig nehmenden Schüler_innen bestätigt sich in der Untersuchung dieses Abschnittes. Gleichzeitig wird dieses Geben durch die Bilder des Coaches und des Lernbegleiters als im Dienst der Schüler_innen stehend konkretisiert; diese sollen in ihrem Lernen von dem Lehrenden begleitend unterstützt werden. Das Konzept der Partnerschaftlichkeit, welches Herr H. wiederholt aufgreift, zeigt sich an dieser Stelle also durch Unterstützung im Lernprozess. Auch im folgenden Ausschnitt des Interviews, das sich auf den Unterricht bezog, der zuvor stattfand, findet sich das Konstrukt der Partnerschaft zwischen Lehrer und Schüler_innen wieder. »hab ich DA am andern Punkt nochmal bisschen nach(.)gehakt, wenns grammatikalisch nich so stimmig war, oder (..) Bereich Judentum, wie so die ein oder andere (.) Sache sich eingeschlichn hattn, die nich ganz richtig war, aber generell geht’s äh (.) auch den Schülern zuzumuten, das mein ich auch partnerschaftlich, dass die auch/ wenn ich die Lernprozesse initiiert habe, dass die dann auch laufen, und auch manchmal vielleicht auch inne Richtung laufn, wie ichs vielleicht gar nich so geplant hätte, oder gewünsch/ Aber einfach dann (.) dass auch mal manchmal so s/ (.) stehen zu lassen. Und sag »Okay, so is jetzt, so haben DIE das jetzt auch gesehn« und DAdurch auch f/ wieder selber zum Lernenden zu werden.« [Z. 161-169]

In den abgeschwächten Formulierungen bezüglich der Korrektur von Schüler_innenbeiträgen (»bisschen nach(.)gehakt«; »nich so stimmig«; »nich ganz richtig«) spiegelt sich trotz partiellen Zurücknehmens des Lehrers aus dem Unterrichtsgeschehen und einer Beschränkung seines Eingreifens grundsätzlich die Übernahme der rollenförmigen Erwartung wider, zu wissen und zu sagen, was »richtig« ist. In dieser Phase sind die Schüler_innen die Handlungsträger des Unterrichts. Das Konzept der Partnerschaft wird an dieser Stelle erneut aufgegriffen. Als »partnerschaftlich« beschrieben wird die Haltung des Lehrers, den Schüler_innen etwas »zuzumuten«, wobei wiederum die Lehrperson das grammatikalische Subjekt, Initiator und somit Träger dieser Partnerschaft darstellt, während die Schüler_innen das Objekt und somit die Bezugsgröße bilden. Auch hier tritt die Idee der Partnerschaft wiederum als Primat der Vermittlung von Lerninhalten auf. In der Verwendung der passivischen Haltung (»stehen zu lassen«) dokumentiert sich erneut ein Zurücknehmen des Lehrers, soweit, dass

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die Schüler_innen zu Verantwortlichen (»dass die dann auch laufen«) werden und der Lehrer die Rolle des »Lernenden« einnimmt. Es gibt also eine partielle Rollenumkehrung, in der der Lehrer als Lernender und die Schüler_innen als für den Lernprozess Verantwortliche auftreten. Hiermit wird den Schüler_innen eingeräumt, die Rolle der Gebenden einnehmen zu können, wobei die Initiative hierzu vom Lehrer ausgeht (»wenn ich die Lernprozesse initiiert habe«). Auffällig ist an dieser Stelle weiterhin, dass hier erstmals der Begriff der »Lernprozesse« explizit erwähnt wird. Die Verwendung des Konjunktiv II (»hätte«) dient dem Vergleich der eigenen Planung mit dem von den Schüler_innen gestalteten Unterricht, welcher dem Vorhaben des Lehrers durchaus entgegenstehen kann (»gar nich so geplant hätte, oder gewünsch«). Somit bilden die Lernprozesse das bzw. bleiben die Lehrinhalte im Zentrum, jedoch zeigt sich die Möglichkeit einer Variation bezüglich der Vermittlung. Es wird nicht nur nach dem Plan des Lehrers oder durch die Person des Lehrers gelernt, sondern auch durch von Schüler_innen gelenkte Prozesse, in denen der Lehrer zum Nehmenden wird und von den Schüler_innen lernt. Bei klarer Anerkennung seiner Verantwortung als Lehrer für die vorausgehenden Rahmenbedingungen und die Initiierung des Lernprozesses kann Herr H. selbst dennoch die Rolle eines Nehmenden annehmen, sofern die Vermittlung von Lehrinhalten bewahrt bleibt. Situativ existieren also eine Reziprozität in der Schüler_innenLehrer_innen-Interaktion und ein symmetrischer Ausgleich von Geben und Nehmen. »Aber generell gehts einfach umne, (.) ja, dass/ dass ich als Mensch (.) auch da/ dahinter stehe, was ich mache, aber auch freundlich/ ich denk auch Freundlichkeit, Herzlichkeit, äh (.), das is GRUNDbedingung eines Lehrers, ja?« [Z. 293-296]

In der verallgemeinerten Notwendigkeit von »Freundlichkeit« und »Herzlichkeit« als »GRUNDbedingung eines Lehrers« tritt wiederum die Lehrperson in die Rolle des Handelnden. Es wird nicht erwähnt, dass eine solche Haltung auch von den Schüler_innen erwartet wird. Das Handeln des Lehrers bezieht sich also auf die Schüler_innen, es ist auf sie ausgerichtet. Diese werden jedoch an dieser Stelle weder explizit noch implizit genannt, sie treten nicht als Interaktionspartner auf. Der Begriff der Bedingung verweist wiederum auf etwas zeitlich Vorgeordnetes, erneut wird ein dem Unterricht vorausgehendes Handeln des Lehrers erwartet. In dieses Handeln sind die Schüler_innen noch nicht mit einbezogen, Freundlichkeit und Herzlichkeit erscheinen im Rückgriff auf das erste Zitat von Herrn K. als weitere Rahmenbedingungen.

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Insgesamt lassen sich die rekonstruierten Ausschnitte des Interviews mit Herrn K. als Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Anforderungen des Lehrer_innenhandelns reformulieren. Die anfangs postulierte Orientierung eines »Geben[s] und Nehmn[s]« erweist sich nicht durchgängig als reziprok, es kann keine gleichgewichtete Wechselseitigkeit dieser beiden Faktoren in der Schüler_innen-Lehrer_innen-Interaktion festgestellt werden. Vielmehr dokumentiert sich zunächst hinsichtlich der Voraussetzungen guten Unterrichts eine primäre Verantwortungsübernahme seitens des Lehrers. Gleichzeitig erachtet Herr K. das Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnis auf inhaltlicher Ebene als maßgeblich für guten Unterricht. Seiner Auffassung nach sollen auch die Schüler_innen am Unterrichtsgeschehen partizipieren, jedoch treten diese zunächst hinter der Lehrperson als Handlungsträger zurück. Das Orientierungsmuster von Herrn K. zeigt ihn nicht nur vor, sondern auch im Unterrichtsgeschehen selbst als Verantwortungsträger und Initiator der Schüler_innen-Lehrer_innen-Beziehung. In der Rolle des Lehrers wird er größtenteils als Gebender sichtbar, während den Schüler_innen die Rolle der Nehmenden zukommt. Diese Konstellation ergibt sich als Resultat der strukturell vorhandenen Asymmetrie, welche durch die Überlegenheitsposition des Lehrers gegenüber den Schüler_innen auf der Ebene des Wissens meistens gegeben ist. Bezüglich der Unterrichtspraxis wird der Lehrer hingegen als Lernbegleiter in einer Lernpartnerschaft beschrieben. Diese grenzt einerseits das Aktionsfeld der Partnerschaft ein, stellt aber andererseits das Handeln des Lehrers in den Dienst der Schüler_innen. Darüber hinaus wird die Hierarchie als Gegenhorizont zur Partnerschaft konstruiert, so dass die Überlegenheitsposition aus erstgenanntem Aspekt relativiert wird und ein symmetrisches Verhältnis begrifflich erfasst wird. Auch die Haltung, den Schüler_innen etwas zuzutrauen, wird als Umsetzung von Partnerschaft beschrieben, so dass an dieser Stelle die Verantwortungshoheit der Lehrperson relativiert wird. Nachdem die Lehrperson die Rahmenbedingungen gesteckt und den Lernprozess initiiert hat, wird die Führung dieses Prozesses teilweise den Schüler_innen überlassen, so dass der Lehrer selbst zum Lernenden werden kann. Diese partielle Rollenumkehrung, in welcher die Schüler_innen zu Verantwortlichen, Lehrenden und die Lehrperson zum Lernenden wird, findet bei der Vermittlung von Lehrinhalten statt, die für Herrn K. das Zentrum des Unterrichts bilden. In dem Muster des Gebens und Nehmens konstituiert sich eine Haltung der Offenheit, neben seiner rollenförmigen Verantwortung auch Lernender sein zu können, zugleich zeigt sich in der Narration des Erlebens im Unterricht, dass das »annehmen«, »wahrnehmen« und »ernstnehmen« gerade auch dann handlungswirksam wird, wenn die Lernprozesse erwartungswidrig verlaufen.

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Herr M.: »Dass man da jemand da in seiner persönlichen Entwicklung so grundsätzlich begleitet« Zum Einstieg in das Interview wird Herr M. gefragt, wie er das Schüler_innenLehrer_innen-Verhältnis erlebt und was ihm bei der Gestaltung wichtig ist. »Ja. (.) Also grundsätzlich denke ich, dass das Verhältnis Lehrer/Schüler viel besser ist, als man vielleicht im Allgemeinen annimmt. (.) Weil man ja äh wie (.) wie so häufig im Leben immer nur äh von den Dingen erzählt, die (.) für Außenstehende erzählenswert sind. Und das sind meistens immer Sachen, die dann außergewöhnlich und leider dann auch außergewöhnlich negativ sind. Das erleb ich so als/ gerade jetzt als Schulleiter in der Form - ist ja auch vielleicht nochmal spannend äh - (.) auch eher selten. Das heißt ich hab 40 Kollegen hier. (.) Und ich hab 35 Kollegen, da kommen zum Beispiel so gut wie nie Elternbeschwerden. Das heißt äh genau das Gegenteil: bei Elternsprechtagen, hatten wir vorgestern, bekomme ich dann äh (.) auch durchaus positive Rückmeldung. »Also bei dem Lehrer klappt das ja gut und bei dem Lehrer klappts gut«. (…)Und ähm (..) ja da gibt es auch wirklich einfach (.) kei/ unter/ zwei unterschiedliche äh Kategorien. Also es gibt wahrscheinlich mehrere. Aber zwei Hauptkategorien von Lehrern. Die einen, denen tatsächlich so (..) äh Lernbegleiter sind. (.) Die das also wirklich auch so sehen, dass man da jemand da in seiner persönlichen Entwicklung so grundsätzlich begleitet. Aber - das klingt natürlich n bisschen blöd - so auf Augenhöhe. Weils natürlich nurn Gefühl so auf Augenhöhe ist, weil tatsächlich ist der eine halt Lehrer. Und da ist ein hierarchisches Verhältnis einfach vorhanden. Aber äh man kann das ja versuchen sozusagen (.) nicht so deutlich äh äh rüber zu geben, sodass die Schüler wirklich jemanden da auch als als als Helfer akzeptieren und die Hilfe/ Hilfe dann auch wirklich annehmen, weil sie dann auch (.) keine Berührungsängste haben (.) und auch Zutrauen haben und auch vertrauliche Sachen mal sagen. Das ist ja durchaus wichtig.« [Z. 177-198]

Zunächst beantwortet Herr M. den ersten Teil der Frage sehr allgemein. Er selbst bewertet das Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnis als positiver als man es, wie er vermutet, in der Regel annehme. Was genau diese positive Lehrer_innenSchüler_innen-Beziehung ausmache, erläutert er hier nicht näher. Auch den zweiten Teil der Frage, wie er selbst das Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnis gestalte, beantwortet er nicht direkt. Er nimmt hierzu zunächst eine Differenzierung unterschiedlicher Lehrertypen vor. Dabei geht er grundsätzlich von zwei Kategorien von Lehrern aus. Er führt an, dass der erste Lehrertyp den Schüler_innen das Gefühl vermittle, mit ihnen auf »Augenhöhe« zu stehen. Hierbei räumt er jedoch selbst ein, dass ein solches Verhältnis real nicht möglich sei, da immer ein hierarchisches Gefälle zwischen Lehrperson und Schüler_innen herr-

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sche. Die entscheidende Rolle, die Herr M. der ersten Lehrerkategorie zuschreibt, ist die des »Lernbegleiter[s]«. Nach seinem subjektiven Empfinden ist es diesem Lehrertyp möglich, den Schüler_innen als Helfer zur Seite zu stehen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Bemerkenswert ist hier, dass es nach Herrn M. eben nur diesem Lehrertypus wichtig ist, die Schüler_innen in ihrer persönlichen Entwicklung zu begleiten. Dies wird verdeutlicht durch den Ausdruck »tatsächlich […] Lernbegleiter«. Das Adjektiv tatsächlich spricht durch eine verstärkende Differenzsetzung, etwa zu einem »vorgeblich« dem ersten Lehrertyp, dass ihm wirklich etwas an der Entwicklung seiner Schüler_innen liegt. Gleichzeitig wird diese Ernsthaftigkeit infolgedessen dem zweiten Lehrertyp abgesprochen. Auf welche Weise dieses Vertrauensverhältnis und das Gefühl mit dem Lehrer auf »Augenhöhe« zu sein konkret vermittelt werden soll, ohne das hierarchische Verhältnis dabei zu vernachlässigen, bleibt zunächst jedoch unklar. Auch wie der beschriebene Lehrertyp der zweiten, von Herrn M. erwähnten Lehrerkategorie gegenübergestellt wird, muss noch geklärt werden. »Ja da gibts dann halt den zweiten Typ von Lehrern. (.) Die haben ganz klare Vorstellung, wie das Lehrer-Schüler-Verhältnis sein sollte und zwar hierarchisch. Äh (…) die bestimmen, wos lang geht. Und äh (.) sehr auf auf Regeln einhalten und fordern höchste Disziplin ein so maln bi/ überspitzt natürlich vorzu/ äh (.) es zu beschreiben. Wo dann die Schüler nicht direkt immer das Vertrauen haben und ähm (..) das sind auch die Kollegen, die relativ schnell bei mir sind, weil sie mit irgendwelchen Schülern nicht klar kommen. […]3 Und ähm ja das sind dann die Lehrer, die man sei/ aus der eigenen Schulzeit vielleicht kennt, die dann eher unnahbar sind. (.) Hochkorrekt in der Regel. Und äh (.) sicherlich äh äh sehr toll lernzielorientiert und äh wissensvermittelnd äh in jeder Form. (.) Aber (..) nicht unbedingt immer dann so ähm (.) dass die Schüler sich dort wohl fühlen.« [Z. 250-264]

Als Pendant zur erstbeschriebenen Lehrerkategorie führt Herr M. hier seine Erläuterungen des zweiten Lehrerbildes aus. Er stellt deutlich heraus, was seines Erachtens aus der Sicht einer Lehrperson dieser Kategorie das Lehrer_innenSchüler_innen-Verhältnis ausmacht. Es definiert sich demnach durch die Hierarchie. Die Interaktion basiert auf klaren Regeln und höchster Disziplin. In den Aussagen von Herr M. wird jedoch deutlich, dass diese Definition seinerseits überspitzt sei. Es wird dennoch deutlich, dass er dieser zweiten Kategorie des Lehrertypus ein größeres Machtgefälle gegenüber den Schüler_innen zuschreibt.

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Kurze Unterbrechung im Interview.

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In der Betrachtung beider aufgeführter Textpassagen kann man erkennen, dass Herr M. zunächst auf einer Metaebene und aus Sicht der Schulleitung auf das Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis eingeht. Er unterscheidet zwei Typen von Lehrer_innen und die Auswirkungen der einzelnen Handlungszüge, die jedoch zugleich als Wesenszüge erscheinen. Er nimmt hier Bezug zu seinen eigenen Erfahrungsräumen als Schüler und als Lehrer und stellt darüber zwei Gegenhorizonte auf, anhand derer er im weiteren Verlauf auch seine eigene Zuordnung zu einem Lehrertypus vornimmt. »Ich jetzt für mich (.) ich denke, das hört man auch raus, also ähm (..) fühle mich eher zur Kategorie A, also schülernah in der Form. Also ich war ja selbst Schüler. Hatte (.) da auch unterschiedlichste Erfahrung gesammelt. Habe natürlich auch Lehrer beider Kategorien gehabt. Und äh weiß also, das ist zumindest meine Erfahrung gewesen, dass die Lehrer, die halt n bisschen strenger waren, wo ich Probleme hatte, dass ich da ungern hingegangen bin. Aber da ist auch ne Menge hängen geblieben, so wissensmäßig. Aber so richtig geprägt haben mich tatsächlich die Lehrer ähm, (..) ja, die mich als Mensch so angenommen haben, so wie ich war. (.)« [Z. 345-353]

Hier leitet Herr M. ein, dass er sich selbst in die erste beschriebene Lehrerkategorie einordnen würde. Dieser von ihm dargestellte Typus stellt also seinen positiven Gegenhorizont dar. Die Beschreibung der zweiten Lehrerkategorie nimmt somit die Rolle eines negativen Gegenhorizontes ein. Ein zentraler Punkt, der bei der Beschreibung der beiden Lehrerkategorien immer wieder auftaucht, ist der des Vertrauens. Die Herstellung einer vertrauensvollen Beziehung ist vom individuellen Handeln einer Lehrperson abhängig. In Bezug auf diesen Aspekt findet eine Bewertung der unterschiedlichen Lehrerkategorien statt. Lehrertypen der zweiten Kategorie gewinnen nach Herrn M. nicht so schnell das Vertrauen der Schüler_innen wie Lehrpersonen der ersten Kategorie. Ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrerperson und Schüler_innen aufzubauen bietet für Herrn M. also einen Orientierungsrahmen, der sich auf seine eigens gemachten Erfahrungen stützt. Ein Aspekt, der dem des Vertrauens vorangeht, ist jener, dass Herr M. sich selbst in der Rolle des Schülers als Mensch angenommen gefühlt habe. Während er auch bei den anderen Lehrer_innen etwas gelernt habe, »geprägt« im Sinne einer viel bedeutungsvolleren und dauerhaften Veränderung, sei er nur dort worden, wo die Lehrperson ihn angenommen habe, »so wie ich war«. Dies bezieht er im weiteren Verlauf auch auf sein eigenes Auftreten als Lehrer. Die beiden folgenden Zitate führen die Aussage zu einer Art Konklusion:

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»Und das ist meine oberste Maxime immer gewesen: Bleib wie de bist. [Z. 400-401] Und und das Schlagwort für mich ist ähm - aber das kommt ja jetzt aus den ganzen (.) äh Beschilderungen heraus - äh der Begriff der Authentizität.« [Z. 434-435]

Herr M. bringt die Grundvoraussetzung für ein gutes Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis auf den Punkt. Er selbst drückt deren Wichtigkeit aus, indem er es »immer« als »oberste Maxime« bezeichnet, sich nicht zu verstellen. Das »Schlagwort« »Authentizität« verleiht seiner Aussage noch einmal Nachdruck. Den Begriff der Authentizität bezieht Herr M. dabei sowohl auf die Schüler_innen- als auch auf die Lehrer_innenseite. In seiner eigenen Schullaufbahn konnte er sich geben, wie er war und wurde auch so von der Lehrperson akzeptiert. Dies gilt nun wiederum als »oberste Maxime« für sein jetziges, eigenes Lehrerhandeln. Um dies zu verdeutlichen geht Herr M. auf seine Erfahrungen als Lehrer ein und stellt diese seinem sich davon abgrenzenden Gegenhorizont, der zweiten Lehrerkategorie, gegenüber. »Also (.) die wissen wenn ich da so stehe, dann bin ich so, wie ich bin. Ich hab auch mal n flachsigen Spruch. Hab auch schon oft gesagt je nachdem/ (.) also (.) wenn ich das sage (.) (unv.) sich kein Schüler, die lachen höchstens oder man kriegt dann irgendwie n netten Spruch zurück. Der muss natürlich immer angemessen sein und respektvoll. Ich wüsste, wenn das son Lehrer sagt Kategorie B, dann hätte ich die Eltern hier stehen. »Ja der Lehrer XY der hat DAS zu meinem Schüler vor der ganzen Klasse«. Ne? Das würd bei mir überhaupt keiner machen, dass da einer kommt. Ich hab gesagt die müssten schon so oft müssten Eltern kommen. Aber die Schüler wissen ganz genau, dass ichs gar nicht so meine.« [Z. 439-447]

Die Schüler_innen »wissen ganz genau« wie seine »flachsigen Sprüche« gemeint seien. Hier gibt der Lehrer einen Einblick in den konjunktiven Erfahrungsraum zwischen ihm und den Schüler_innen. Ferner stellt Herr M. auch hier wieder beide Lehrerkategorien gegenüber. Während die Schüler_innen bei einem »flachsigen Spruch« seinerseits wüssten, dass er »es gar nicht so meine«, würden sich bei einer derartigen Äußerung durch die Lehrperson der Kategorie B die Eltern beschweren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Herrn M. von den Erzählungen und Beschreibungen seiner als Schüler gemachten Erfahrungen zur Argumentation und Bewertung seines eigenen, heutigen Lehrerhandelns übergeht. Seine biographischen Erfahrungen mit den von ihm beschriebenen unterschiedlichen Lehrerkategorien machen deutlich, an welchen positiven Gegenhorizont er sich anlehnt und von welchem negativen Gegenhorizont er sich abgrenzen möchte. Der zent-

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rale Aspekt der gemachten Erfahrungen ist der einer Vertrauensbasis zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen, die einen authentischen Umgang miteinander erlaubt. Er selbst überträgt seine Erfahrungen als Schüler bezüglich der Vertrauensbasis zwischen ihm und seinen Lehrer_innen auf sein heutiges Handeln oder Bestreben als Lehrer. Somit stellt er sich als Vertreter der Kategorie A der von ihm ebenso erfahrenen Lehrerkategorie B gegenüber. Frau D.: »Und bin immer überrascht, wie wie gut alles klappt« Das vierte Interview wurde mit Frau D geführt. Auch dieses Interview wurde mit der Frage nach dem Erleben des Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnisses und der hierbei als wichtig erachteten Aspekte eingeleitet. »Okay. Also für MICH, ich bin sehr, sehr positiv überrascht muss ich sagen. Also ich hab ja im Vorgespräch ja auch schon gesagt, dass ich gar nicht ganz sicher war, ob ich überhaupt n Lehrertyp bin. Und das denke ich eigentlich auch immer noch nicht, dass ich das bin. Ich fühl mich eigentlich nur (.) wie so jemand, der das mal ausprobiert. Und (.) merk, dass es total viel Spaß macht. Und bin immer überrascht, wie wie gut alles klappt s/ immer noch jetzt. Also.« [Z. 86-91]

Durch die Verwendung zweier Personalpronomina in der ersten Person Singular (»MICH«, »ich«) wird deutlich, dass im Folgenden subjektiv aus der Erfahrungswelt der Lehrperson berichtet wird. In der Verwendung des Partizips »überrascht« dokumentiert sich ein erwartungswidriges Erleben der Lehrperson, die in der Betonung der Überraschung als »sehr, sehr positiv« verstärkt wird. Die Wahl des Präteritums (»nicht ganz sicher war«) hinsichtlich der Unsicherheit der Lehrperson legt eine Beschränkung dieser auf eine vergangene Phase nahe. Jedoch wird durch den Gebrauch des Präsens im nachfolgenden Satz verdeutlicht, dass diese Unsicherheit weiterhin anhält. Zusätzlich wird diese Aussage durch die Adverbialkonstruktion »immer noch« unterstrichen. Die Benutzung des Indikativs »bin« verdeutlicht zudem, dass es sich hierbei um eine nach Meinung der Lehrperson feststehende Tatsache handelt, die durch den Gebrauch des Adverbs »eigentlich« wiederum relativiert wird. In der Verwendung des Begriffs »(Lehrer-)Typ« entsteht eine Differenzfigur, die Lehrer_innen generell etwas »Typisches« zuschreibt, das auf die Befragte selbst jedoch nicht zutrifft. Hierbei ist allerdings nicht ersichtlich, ob es sich um einen einzigen Typus von LehrerSein handelt oder um mehrere. Der nachgeschobene Objektsatz (»dass ich das bin«) spiegelt in jedem Fall eine betonte Abgrenzung ihrerseits hiervon wider. Es zeigt sich eine Distanzierung zu ihrem Empfinden, indem darüber hinaus eine

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Formulierung des Vergleichs gewählt wird (»wie so jemand«). Die Ausübung des Lehrerberufs wird als temporärer Versuch dargestellt (»mal ausprobiert«). Verdeutlicht wird diese Annahme durch den Gebrauch des Adverbs »nur«, der das zeitliche Ausmaß noch einmal zu beschränken scheint. In der Wortwahl »ausprobieren« wird eine Unverbindlichkeit und eine Ungewissheit bezüglich der Dauer des Lehrerseins deutlich. Diese steht im Kontrast zu den darauffolgenden Beschreibungen des Ist-Zustandes. Die Differenz zwischen anfänglichem Zweifel und dem Erfolgserleben (»total«; »immer«; »alles«) plausibilisiert zugleich das Moment der Überraschung. »Und ich denke, einer der (.) oder einer der wesentlichen Aspekte von meiner LehrerSchüler-Beziehung ist, dass ich (.) innerlich glaube ich gar nicht der typische Lehrer bin. (..) Also da/ dass ich n/ ist halt schwer zu beschreiben, aber ich glaube ich ich beobachte mich und die Schüler und das ganze System auch immer son bisschen von außen. (..) Und ähm versuch dann auch wenn mal irgendwas anders läuft, als ichs geplant hab, zu gucken, worans liegt. Aber (.) ähm ich glaub, dass diesen Blick von außen, dass ich den (.) ganz gut mir bewahrt habe.« [Z. 100-107]

Durch die erneute mehrmalige Verwendung von Personalpronomina in der ersten Person Singular wird deutlich, dass die Lehrperson das Verhältnis, zu dem sie eingangs befragt wurde, zunächst einmal über ihre Persönlichkeit angeht. Diese konstituiert sich erneut in expliziter Abgrenzung von dem, was sie als typisch für eine Lehrperson ansieht. Die Fokussierung auf ihre eigene Person zeigt sich auch in der Verwendung des Possessivpronomens »meiner«, als sie von der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung spricht. Die Nicht-Zugehörigkeit zu einem Lehrertypus konstituiert »eine[n] der wesentlichen Aspekte« wenn auch nicht den einzigen Gesichtspunkt einer gelingenden Beziehung zu den Schüler_innen. Zudem dokumentiert sich in dieser Formulierung, dass es nicht nur weitere gibt, sondern auch ebenso wichtige und eventuell auch wichtigere, da die Lehrperson diesen Aspekt nicht als obersten auszeichnet. Der unterbrochene Satz (»Also da/ dass ich n/«) kann als eine angesetzte Erklärung zu dem genannten Typ Lehrer gesehen werden, den die Lehrerin oben erwähnt, jedoch nicht weiter charakterisiert. Durch die darauf folgende Aussage wird neben dem mehrmals genutzten Personalpronomen »ich« insbesondere durch die verwendete Konjunktion »aber« die adversative Bedeutung zu dem genannten Lehrertyp bestärkt. Die Eigenschaft, das ganze System der Schule, in welches die Lehrerin selbst und ihre Schüler_innen inbegriffen sind, von außen betrachten zu können, dokumentiert sich als relevante und maßgebliche Orientie-

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rung dieser Lehrperson. Unterdessen schwächt die Verwendung des Verbs »glauben« sowie das Indefinitpronomen »bisschen« diese Aussage wiederum ab, was durch die Pauschalisierung »immer« weiter verstärkt wird. Zudem wird durch die hergestellte Distanz zu dem angedeuteten Typus Lehrer deutlich, dass die hier befragte Lehrerin davon ausgeht, dass ebendieser Typ Lehrer eine derartige Metaperspektive nicht hat. Während der näheren Erläuterung dieser Außenperspektive wird durch die Verwendung des Verbs »versuchen« eine weitere Unsicherheit deutlich, welche sich in der letzten Äußerung, insbesondere durch das Adjektiv »ganz«, verstärkt. Das verwendete Partizip Perfekt »bewahrt habe« dokumentiert wiederum das Bemühen um aktive Erhaltung der Fähigkeit zur Einnahme einer Metaperspektive, die damit erneut als wertvoll, zugleich aber durch die faktische Zugehörigkeit auch als gefährdet sichtbar wird. Im folgenden Verlauf des Interviews weist die Lehrerin auf einen weiteren Aspekt hin, der ihrer Auffassung nach das Verhältnis zwischen Lehrerin und Schüler_innen maßgeblich beeinflusst. »Dass ich natürlich viel weiß, was aber/ was ich auch weitergeben (.) will. Man muss als Lehrer auch Fachwissen haben. Natürlich. Viel, viel mehr als Schüler. Aber nicht den Anspruch haben, es immer aufs letzte I-Tüpfelchen alles/ alles zu wissen oder sowas. (.) Ja, sondern selber noch dazu lernen zu können auch zum Beispiel.« [Z. 209-213]

In der Verwendung des Adjektivs »natürlich« dokumentiert sich, dass die Lehrperson es als selbstverständlich erachtet, über mehr Wissen zu verfügen als die Schüler_innen. Zudem wird durch das im Aktiv stehende Modalverb »wollen« deutlich, dass die Lehrerin nicht nur die Bereitschaft hat, ihr Wissen mit den Schüler_innen zu teilen, sondern es bewusst an sie »weiterzugeben«. Im Verlauf ihrer Schilderung macht sie erneut von dem Adjektiv »natürlich« Gebrauch, um die Relevanz der fachlichen Kompetenz einer Lehrperson zu unterstreichen. Ferner wird diese Äußerung durch das Modalverb »müssen« bekräftigt. In der Formulierung »man« zeichnet sich eine Generalisierung ab, die für alle Lehrer_innen gilt. Die darauf folgende Aussage wird durch die adversative Konjunktion »aber« eingeleitet und verdeutlicht eine Relativierung des vorherigen Satzes. Ferner wird die Relativierung unterstützt durch das Adjektiv »immer«, das doppelt genutzte Indefinitpronomen »alles« und über das Bild des »I-Tüpfelchen«. Hierin dokumentiert sich eine Distanz gegenüber einer perfektionistischen Erwartung an Lehrpersonen. Als Lehrer_in dazu zu lernen wird durch den Adversativsatz (»sondern«) als Gegenentwurf zu überhöhten Ansprüchen dargestellt.

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»Ich denke die Mischung machts. (.) Und wenn man (.) oft Methoden wechselt, es muss jetzt nicht wie im Referendariat immer alles perfekt in einer Stunde passieren auf die Minute genau getimed, ja? Sondern das muss son Flow haben. Über die Woche gesehen oder auch über den Monat mal. Dass man von allem mal was, von allen Methoden mal was ausprobiert. Und dann, denke ich, kommt die Interaktion von alleine. Dann hat man ja Lehrer-Schüler-Gespräch, was dann sehr zentral von der Lehrperson gesteuert wird. (.) Aber auch ähm Gruppenarbeit, wo man sich mal ganz raus nimmt und die Schüler untereinander machen lässt.« [Z. 312-320]

Der erste Satz des Abschnitts wird durch das Personalpronomen in der ersten Person Singular eingeleitet, was den folgenden Verlauf der Sequenz als eine subjektive Annahme der Lehrperson kennzeichnet. Die »Mischung« die hier zum Programm erhoben wird, bezieht sich auf den Methodenwechsel, welcher nicht von zeitlichen Abfolgen bestimmt, sondern sich von einem gewissen »Flow« leiten lassen sollte. Der Flow zeigt sich hier als Flexibilisierungsfigur im Einsatz der Methoden, die im Sinne eines flüssigen Ablaufs als Wert und zugleich Gegenhorizont einer akribischen Planung und Taktung sichtbar wird. Dieser Horizont wird als Erwartungsstruktur des Referendariats beschrieben. Derartig entspannte Methodenvielfalt führt zur »Interaktion«, die dann mit einen Spektrum von lehrerzentriertem »Lehrer-Schüler-Gespräch« und »Gruppenarbeit« plausibilisiert wird. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Kommunikationsmöglichkeiten wird vor allem durch den Elativ des Adjektivs »zentral« aufgezeigt, mittels dessen die aktive und steuernde Rolle des Lehrers in erstgenannter Methode beschrieben wird. Bezüglich der Gruppenarbeit wird betont, dass sich die Lehrperson hier »mal ganz raus [nehme]« .An dieser letzten Formulierung wird deutlich, dass die Lehrperson überwiegend die zentrale Rolle im Unterricht einnimmt. Im weiteren Verlauf geht die Lehrperson erstmals auf die persönliche Beziehung zu ihren Schüler_innen ein. »Im Referendariat wars halt so: man hatte wenige Klassen. Konnte man sich natürlich in jeden Schüler total hineinversetzen und wusste über diesen/ dessen äh Familiengeschichte, was zu Hause so läuft, wos Probleme gibt, welche Eltern geschieden sind und so. Das wird schon schwieriger im Laufe der/ der Zeit. Ist schon so. Oder jetzt auch (.) die jetzigen Abiturienten (.) sind jetzt auch schon n bisschen (.) ja, das sind jetzt mehr durch den Doppeljahrgang gewesen. Und da merk ich schon, ich wusste nicht mehr bei jedem alles.« [Z. 356-363]

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Es wird deutlich, dass die Schilderung der Lehrerin, im Referendariat wenige Klassen unterrichtet zu haben, aktuell nicht mehr zutrifft, da sie eine ausgebildete Lehrperson ist. Ferner wird durch das Präteritum signalisiert, dass sie in der Phase der Lehrerausbildung über mehr Wissen bezüglich des Privatlebens ihrer Schüler_innen verfügte. In der Formulierung des »total hineinversetzen« dokumentiert sich großes Interesse und eine umfassende Empathie welche die Lehrperson ihren Schüler_innen gegenüber während des Referendariats entwickeln konnte. Durch die Aufzählung der genannten Bereiche des Hintergrundwissens (»Familiengeschichte«, »was zu Hause so läuft«, »Probleme«) wird die herausgestellte Empathie verstärkt und als Wert für die Lehrperson sichtbar. Ferner wird durch das verwendete Präteritum die gegenwärtige Unvollständigkeit des Hintergrundwissens über ihre jetzigen Schüler_innen thematisiert. Der Tempuswechsel zum Futur deutet darauf hin, dass es eine Entwicklung ab dem Referendariat bis hin zum Berufsalltag gibt, die ein zunehmendes Wissensdefizit über das Privatleben der Schüler_innen mit sich bringt, das für die Befragte als Verlust sichtbar wird. Bereits einen Satz darauf wird im Präsens formuliert, was diesbezüglich den aktuellen Entwicklungsstand der Lehrperson darstellt. Durch den Gebrauch des Adjektivs »schon« wird signalisiert, dass der zuvor beschriebene Stand eines detaillierten Wissens über den jeweiligen Lebenslauf der Schüler_innen zu einem lückenhaften geworden ist. Dies wird durch die folgende Formulierung »jetzt auch« unterstrichen, welche sich auf die derzeitigen Abiturienten der Lehrperson bezieht. Offenbar wird der Lehrperson deutlich, dass sie über ihre gegenwärtigen Schüler_innen weniger weiß als in ihren vorherigen Klassen. Zudem wird dieses Bewusstsein als Abschluss und Verstärkung der Sequenz genutzt: »Und da merk ich schon, ich wusste nicht mehr bei jedem alles«. Bilanziert man die Orientierungen, die in den Interviewausschnitten von Frau D. sichtbar werden, fallen mehrere Aspekte auf: In Absetzung von der Figur einer typischen Lehrperson, mit einer Semantik der Vorläufigkeit und unter aktiver Aufrechterhaltung der Distanz zum Kontext, in dem sie gleichzeitig arbeitet, konstituiert sich das Handeln von Frau D. sowie ihr Verhältnis zu den Schüler_innen. Mit erheblichem Wissensvorsprung und gelassener Methodenvielfalt, »kommt die Interaktion von alleine«. Während die Aspekte unterrichtlicher Gestaltung von Flexibilität gekennzeichnet sind, wird in Bezug auf das Wissen um die Schüler_innen ein absoluter Wert sichtbar, der darin besteht »bei jedem alles zu wissen«, um sich »total« in die Schüler_innen »hineinversetzen« zu können. Dies wegen der großen Zahl der Schüler_innen nicht mehr zu können stellt aus Sicht von Frau D. einen Verlust dar.

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K OMPARATIVE Z USAMMENFÜHRUNG Die in der Einleitung aufgeworfene Frage danach, wie die befragten Lehrpersonen das Verhältnis zu ihren Schüler_innen beschreiben und welche Orientierungsmuster darin zum Ausdruck kommen, wurde im vorigen Kapitel detailliert dargelegt. Nun soll es darum gehen, gemeinsame Muster zwischen den Lehrkräften aufzuzeigen, um womöglich eine allgemeinere, empirisch fundierte Aussage darüber treffen zu können, woran sich von den Schüler_innen als gut bewertete Lehrpersonen in der Gestaltung des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses orientieren. Mittels dieses letzten Schrittes soll der Versuch unternommen werden, die bisher fallspezifischen Orientierungen der einzelnen Lehrkräfte auf eine Metaebene zu abstrahieren, um fallübergreifend Invarianzen zu identifizieren. Wenngleich die Interviews mit den einzelnen Befragten darauf schließen lassen, dass es sich um sehr unterschiedliche Lehrerpersönlichkeiten handelt, so finden sich doch einige der aufgezeigten Schemata bezüglich der Lehrer_innenSchüler_innen-Interaktion nahezu durchgängig bei allen vier Lehrkräften wieder. Nicht nur bei Frau P. konstituiert sich bereits zu Beginn des Interviews das zwingend notwendige Konzept einer Partnerschaft zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen, auch Herr K. sieht in der Partnerschaftlichkeit eine Voraussetzungshaltung zur Vermittlung von Lehrinhalten, wobei er deutlich macht, dass es sich hierbei um ein kognitives Konstrukt in Form einer inneren Verpflichtung handelt, während diese Haltung bei Frau P. offenbar mit einer höheren emotionalen Involviertheit einhergeht. Wenn auch die Schüler_innen bei Herrn M. nicht explizit als Lernpartner_innen benannt werden, so verweist sein sich auf den Aspekt des Vertrauens stützender Orientierungsrahmen und das Konzept der »Augenhöhe« doch deutlich auf ein partnerschaftliches Verhältnis in der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung. Lediglich bei Frau D. ist eine derartige Konstitution einer Partnerschaft zwischen Lehrerin und Schüler_innen nicht rekonstruierbar. Stattdessen manifestiert sich in ihren Äußerungen eine Distanz zum schulischen Kontext im Allgemeinen wie auch in Bezug auf eine Lehrertypisierung ihrerseits. Anstelle eines partnerschaftlichen Konzeptes dokumentiert sich bei Frau D. die Einnahme einer Metaperspektive als maßgebliche Orientierung zur Gestaltung der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung. Die vorangegangene Gegenüberstellung der beiden unterschiedlichen Orientierungen innerhalb der Lehrer_innen-Schüler_innen-Interaktion liefert einen direkten Verweis auf die antinomische Brechung des mehrheitlich proponierten Konzepts der Partnerschaft. Die durch das partnerschaftliche Verhältnis evozierte Nähe zu den Schüler_innen erfordert notwendigerweise gleichermaßen eine gewisse Distanz, die professionelles Lehrerhandeln erst möglich macht. So lässt

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sich über Frau D. hinaus auch in den Ausführungen Frau P.s eine Distanzierungsfigur ausmachen, welche sich aber nicht als Distanzierung vom »typischen Lehrerdasein« und den kompletten institutionellen Rahmen bezieht, sondern sich als Differenzierung zwischen den diffusen (»eigene Kinder«) und spezifischen Sozialbeziehungen (»Schüler«) beschreiben lässt, und reflektiert und konkret in der Lehrerin-Schüler_innen-Beziehung zum Tragen kommt. Ein von allen Befragten ausnahmslos geteiltes Orientierungsmuster, welches direkt ineinandergreift mit dem an der Distanzmarkierung »brechenden« Konzept der Partnerschaftlichkeit ist die Bewusstheit um ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Lehrperson und Schüler_innen. Recht unterschiedlich fallen wiederum die konkreten Umgangsformen mit dieser strukturell vorgegebenen Asymmetrie aus. Während Frau P. sich als ebenso »Fragende« im Unterrichtsgeschehen konstituiert und auf der Basis der Erfahrungen sogar von einem nahezu gleichberechtigten Verhältnis zwischen ihr und den Schüler_innen spricht, ist dieser Faktor bei den anderen Befragten weniger ausgeprägt. Die übrigen Lehrkräfte sprechen zwar auch deutlich von einer angestrebten Gleichberechtigung, arbeiten jedoch auch ganz eindeutig den Hierarchieaspekt heraus. Ausnahmslos allen ist bewusst, dass sie aufgrund der institutionellen Struktur wie auch aufgrund des Generationenverhältnisses als Lehrer_innen nicht mit ihren Schüler_innen auf einer Ebene stehen können. Herr M. drückt dies mit einem »Gefühl so auf Augenhöhe« aus und auch wenn er den rein hierarchisch strukturierten Lehrertypus als negativen Gegenhorizont zu dem seinen aufzieht, so muss er auch klar hervorheben, dass eine komplette Egalität zwischen Lehrer und Schüler_innen nicht möglich ist. Auch bei Herrn K. wird dieses Muster sehr deutlich. Zwar spricht er unter Anführung der Reziprozitätsmetapher des »Geben und Nehmens« davon, dass beide Parteien voneinander profitieren, jedoch wird anhand der Beschreibungen der jeweiligen Handlungsräume deutlich, dass meist der Lehrer der Gebende ist und die Schüler_innen die davon Profitierenden. Die Gemeinsamkeit ist an dieser Stelle die Haltung des Interesses an den Schüleräußerungen und der Offenheit, auch von den Schüler_innen lernen zu können. Die Orientierung an einer Priorisierung der Verantwortung auf Seiten der Lehrkraft dokumentiert sich wiederum gleichermaßen in den Ausführungen Frau P.s sowie in Frau D.s Beschreibungen. Bei allen Befragten entsteht infolgedessen ein Konflikt zwischen angestrebter Symmetrie sowie einem situativ hergestellten Verhältnis auf Augenhöhe mit den Schüler_innen, und der de facto vorliegenden Asymmetrie, die die vorherrschenden Strukturen an den Schulen vorgibt. Die Interviewten versuchen jeweils, dieses Machtgefälle so weit wie möglich zu überwinden, indem sie ihren Schüler_innen mit Respekt und Vertrauen gegenübertreten. Jedoch wird deut-

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lich, dass im Rahmen professionellen Lehrerhandelns auch eine Distanz zwischen Lehrenden und Schüler_innen eingehalten werden muss. Dieses Denken in Antinomien gehört zum reflektierten Lehrerhandeln. Bei zwei Personen zeichnet sich eine weitere Orientierung ab, die als Spannung zwischen spezifischem rollenförmigem Handeln als Lehrperson einerseits und dem Handeln als »Mensch« sichtbar wird. Herr M. beschreibt dies als »Authentizität«, bei Frau D. formt sich dieser Gedanke als Distanzierungsmoment »keine typische Lehrerin« zu sein und die Außenperspektive auf das Schulsystem bewahren zu wollen. Drei der vier interviewten Lehrkräfte streben explizit ein partnerschaftliches Verhältnis zu ihren Schüler_innen an, welches auf Vertrauen und Respekt aufbaut. Allen von ihnen ist allerdings bewusst, dass sie als Lehrperson eine professionelle Position einnehmen, die sich auf einen Wissensvorsprung gegenüber ihren Schüler_innen gründet. Sie stehen somit in der Position des Gebenden, der in der Funktion eines Lernbegleiters Wissen vermittelt. Des Weiteren darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass Lehrpersonen und Schüler_innen üblicherweise nicht auf freiwilliger Basis in der Schule zusammenkommen. Keine der befragten Lehrpersonen nutzt jedoch ihre Machtposition den Schüler_innen gegenüber aus, sondern versucht stattdessen aktiv diesem Asymmetrieverhältnis entgegenzuwirken, indem sie den Erfahrungen der Schüler_innen eine gleichwertige Berechtigung in der unterrichtlichen Interaktion einräumt und gegenüber dem Lernprozess eine Offenheit wahrt, die ihm selbst situativ die Rolle des Lernenden zukommen lässt.

L ITERATUR Helsper, Werner (2004): »Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln«, in: Barbara Koch-Priewe/Fritz-Ulrich Kolbe/Johannes Wildt (Hg.), Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung, Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S. 49-98. Ittel, Angela/Raufelder, Diana (2008): Lehrer und Schüler als Bildungspartner. Theoretische Ansätze zwischen Tradition und Moderne, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Nohl, Arnd-Michael (2006): Interview und dokumentarische Methode: Anleitungen für die Forschungspraxis, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Oevermann, Ulrich (2008): »Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der

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Schule«, in: Werner Helsper u.a. (Hg.), Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmung am Beispiel der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 55-79. Raufelder, Diana (2010): Soziale Beziehungen in der Schule – Luxus oder Notwendigkeit?, in: Ittel, Angela/Merkens, Hans/Stecher, Ludwig (Hg.), Jahrbuch Jugendforschung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 187-202. Steffens, Ulrich/Höfer, Dieter (2011): »Zentrale Befunde aus der Schul- und Unterrichtsforschung – Eine Bilanz aus über 50.000 Studien«, in: SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 16, Heft 10, S. 267-271. http:// www.lehrerpreis.de/?id=5 (10.04.2014)

»Vielleicht so ‫ތ‬ne Gleichheit fast« Rekonstruktion von Umgangsweisen mit antinomischen Spannungen des Lehrberufs H ANNA N ÜRNBERGER

E INLEITUNG Der tägliche Umgang mit Schüler_innen und die Gestaltung der Beziehung zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen ist eine der zentralen Aufgaben professionellen pädagogischen Handelns. Als angehende Lehrperson Einblick in die Orientierungsmuster von Lehrkräften zu bekommen, die von ihren Schüler_innen als »herausragend« eingeschätzt wurden, ist eine große Chance, die die Mühen der systematischen Rekonstruktion lohnt. Ausgehend von der Basis pädagogisch-theoretischen Wissens wird versucht, das professionelle Lehrer_innenhandeln aus zwei Perspektiven heraus zu verstehen: zum einen die strukturellen Anforderungen des professionellen Handelns in der Theorie und zum anderen die Dimension der Deutung der in der Praxis auftauchenden Herausforderungen und Handlungsprobleme durch die Lehrer_innen selbst. Welche Orientierungen im Sinne atheoretischer handlungsleitender Wissensbestände bei den befragten Lehrpersonen sichtbar werden, ist Gegenstand dieses Beitrags. Anhand von in Form narrativer Interviews festgehaltener Beschreibungen, Erzählungen und Erfahrungen zweier mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichneter Lehrpersonen werden gezielt Situationen fokussiert, in denen die Anforderungen des Lehrberufs ebenso sichtbar werden wie die Umgangsweisen der befragten Lehrpersonen mit denselben. Mittels der Dokumentarischen Methode werden dabei die Orientierungen der beiden Lehrpersonen rekonstruiert, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu identifizieren.

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T HEORETISCHE B EZÜGE Auf der Basis strukturtheoretischer Überlegungen zur Professionalisierung von Lehrpersonen werden im Folgenden ausgewählte widersprüchliche Anforderungen skizziert, in denen sich das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen konstituiert. Als eines der Grundmerkmale professionellen Handelns wird die Klientenorientierung (z.B. Combe/Helsper 2002) genannt. Zu den Besonderheiten pädagogisch professioneller Klientenorientierung zählt, »die (unvermeidliche) Überlegenheitsposition preiszugeben und mit ihrem jeweiligen Adressaten in Verhandlungen über den Sinn und die Geltung kultureller Sachverhalte einzutreten« (Combe/Helsper 2002: 43). Schüler_innen anzuerkennen und zudem sich gegenseitig anzuerkennen ist eine der Gelingensbedingungen im Beruf. Die Beziehung zu ihren Klienten ist das wichtigste Instrument der Lehrer_innen, so Combe und Helsper (2002). Ausgangspunkt professionellen Lehrerhandelns ist ein in interaktiven Bezügen stattfindender Vermittlungsprozess von Kompetenzen, Inhalten und Haltungen, der mit Macht-, Wissens- und Kompetenzunterschieden einhergeht. Diese Vermittlung ist mit Ungewissheitsrisiken versehen. Ein pädagogischer Erfolg kann nicht technisiert werden und unterliegt einer Spannung von abstraktem Regelwissen und spezifischen Fallbezügen, so Helsper (2007). Professionelles Handeln sei sehr anfällig für Fehler, weil immer neue Krisenkonstellationen auftauchen. Combe (1997) hat dies als ein zyklisches Modell beschrieben, bei dem jeweils zwischen konfligierenden Wertvorstellungen und Zielen entschieden werden muss, obwohl das angestrebte Ziel ungewiss ist (vgl. Helsper 2002). Aus strukturtheoretischer Sicht wird professionelles Handeln als Handeln in antinomischen Spannungen konzeptualisiert. Im Folgenden werden die für den Aspekt der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung relevanten Antinomien vorgestellt und kurz erläutert. Mit der Symmetrieantinomie wird die Spannung zwischen einer strukturell gegebenen Asymmetrie auf der einen Seite und einer für gelingende Vermittlungsprozesse strukturell erforderlichen Symmetrie gekennzeichnet. Zum einen hat der Professionelle eine überlegene und mächtigere Position inne, zum anderen bedarf es trotz der Abhängigkeit der Schüler_innen von der Lehrperson immer wieder symmetrischer Verhältnisse, um Problemlösungen für Verstehen und Handeln zu entwickeln (vgl. Helsper 2002: 75). Die Beziehung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen ist auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen. Dieses muss jedoch erst hergestellt werden und ist von Fragilität gekennzeichnet. Die Bedeutung von Vertrauen wird vor allem durch Fehler, Unwissen und das Scheitern bei Lösungsversuchen deutlich. Die

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Schüler_innen werden mit ihren Schwächen sichtbar und müssen darauf vertrauen, dass die Lehrperson sich trotz Überlegenheit qua Mehr-Wissen nicht gegen die Schüler_innen wendet, sondern die sichtbar werdenden Unzulänglichkeiten zum Anlass nimmt, Wissenszuwachs zu ermöglichen. Die Lehrkraft ihrerseits muss darauf vertrauen, dass die Lernenden ihr vertrauen (vgl. Helsper 2002: 75 f.). Neben Vertrauen erfordert dieses Arbeitsbündnis zudem eine emotionaldiffuse Haltung der Nähe der Lehrkraft zu den Schüler_innen bei gleichzeitiger Wahrung einer spezifischen Distanz, diese Spannung wird als Näheantinomie beschrieben. Sie resultiert daraus, dass Lehrer_innen mit Schüler_innen in Interaktion stehen. Hierbei ist ein Prozess der kognitiven Kompetenzentfaltung in Kombination mit einer Ausdifferenzierung von sozialen Emotionen erwünscht. Trotzdem müssen Lehrer_innen versuchen, eine gewisse Distanz zu bewahren, um eine universalistische Haltung einzunehmen, die alle Schüler_innen mit gleichem pädagogischem Recht bei ihrer Entfaltung unterstützt. Die Balance zwischen diesen beiden Positionen zu finden, ist schwierig, da in jeder Situation und mit allen Schüler_innen eine individuelle Variante der Nähe-DistanzSpannung realisiert wird (Helsper 2002: 77). Einhergehend mit der Näheantinomie ist das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Heteronomie, welches »grundlegend dadurch gekennzeichnet [ist], dass auf Seiten der Heranwachsenden in aller Regel die verbliebene Heteronomie und Abhängigkeit im Rahmen kognitiver und emotionaler Bildungsprozesse abnimmt, es aber immer noch verbliebene Heteronomie gibt, so dass es auf Seiten der Lehrer_innen zu immer neuen Ausbalancierungen von Autonomie und Heteronomie kommen muss, die in der Aushandlung mit den Schülern und in rekonstruktiven Verstehensprozessen auf Seiten der Pädagogen fundiert sein müssen« (Helsper 2002: 83). Diese, als Autonomieantinomie beschriebene Spannung stellt Lehrpersonen gerade in Bezug auf die Gestaltung der Beziehung zu den Schüler_innen vor weitere Herausforderungen. Die in den meisten Ländern herrschende Schulpflicht verstärkt diese Antinomie zusätzlich: Oevermann (2008) verdeutlicht dies in seiner Kritik an der Schulpflicht, in der er eine grundsätzliche Aberkennung von Interesse und Motivation der Schüler_innen sieht, denn sonst müssten sie ja nicht zum Schulbesuch gezwungen werden. »Jegliches pädagogisches Handeln wird damit heteronom gerahmt und die Einforderung von selbstständiger Mitwirkung und Mitgestaltung wird damit tendenziell paradox« (Helsper 2002, S. 83). Mit Blick auf die fachlich zu vermittelnden Inhalte erweist sich die Sachantinomie als relevant. Hier sieht sich die Lehrperson konfrontiert mit einem Spannungsfeld zwischen der Sachdimension, wie den kodifizierten Inhalten und dem

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organisatorischen Rahmen, wie dem Lehrplan, und somit den Richtlinien des Fachwissens einerseits und »den alltagsweltlichen, lebensweltlichen und biographisch gefärbten »inoffiziellen Weltversionen« (Rumpf 1979) und Rahmungen von Gegenstandbedeutungen auf Seiten der Schüler_innen andererseits (Helsper 2002: 78). Die Herausforderung der Lehrperson besteht nun darin, die fachsystematischen Bezüge des unterrichtlichen Gegenstands mit der Individualität der Sachstrukturen der Schüler_innen in produktiven Austausch zu bringen. Da eine rein sachliche Interaktion zwischen Menschen nicht möglich ist, erweist sich auch diese Antinomie als bedeutend bezüglich der Beziehungsgestaltung. Vor dem Hintergrund der skizzierten antinomischen Spannungen werden im Folgenden Ausschnitte zweier Interviews mit Lehrpersonen rekonstruiert.

D ATENMATERIAL

UND

M ETHODE

Der Beitrag rekonstruiert die Orientierungsmuster zweier Lehrpersonen, die Preisträger_innen des Deutschen Lehrerpreises sind. Sie wurden im Unterricht besucht und im Anschluss daran mittels narrativer Interviews dazu befragt, wie sie das Lehrer_innen-Schüler_innenverhältnis erleben, was aus ihrer Sicht dabei bedeutsam ist und wie sie dieses gestalten. Die Darstellung findet in einem erzählerischen Raum statt, um die Befragten in ihrer Schilderung alle Freiheiten zu lassen. Die Erzählstruktur des Materials ermöglicht den Einblick in verschiedene Themenbereiche, innerhalb derer sich Handlungsmuster aufzeigen lassen, die sich sowohl auf biografische Aspekte als auch auf Erfahrungen stützen. Die Interviews wurden im Anschluss transkribiert und werden in diesem Beitrag in Anlehnung an die Dokumentarische Methode rekonstruiert. Die Rekonstruktion zielt darauf ab, die individuellen Orientierungsmuster der Lehrpersonen herauszuarbeiten. Diese Orientierungsmuster werden im Sinne atheoretischen Wissens als handlungsleitend betrachtet. Wichtig ist dabei, anschließend an die formulierende Interpretation, die sich mit dem »Was«, also den Inhalten der Aussagen beschäftigt, den Fokus im zweiten Schritt der reflektierenden Interpretation (vgl. Nohl 2009: 47) auf das »Wie« zu richten, als darauf, vor welchem Hintergrund die Lehrpersonen ihre Erfahrungen rahmen, und was als Bezug und Orientierung in den Blick kommt. Die Kontrastierung zweier Interviews hilft, die Standortbezogenheit der eigenen Sichtweise, vor deren Hintergrund bestimmte Aspekte eines Interviews auffallen und damit zum Fall werden, zu relativieren. Durch die Analyse zweier Interviews können so sowohl differierende Orientierungen aufgezeigt werden, also auch Ähnlichkeiten heraus gearbeitet werden. Als Rekonst-

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ruktionsfokus steht die Frage im Mittelpunkt inwieweit die beschriebenen antinomischen Strukturen die Orientierungen der Lehrpersonen fundieren. Herr K.: »Vielleicht so'ne Gleichheit fast« Das Interview beginnt mit der Frage, wie Herr K. das »Lehrer-SchülerVerhältnis« erlebe und wie er es gestalte. Herr K. antwortet mit folgender Eröffnung: »(..) Also ich erle/ erlebe das Verhältnis Schüler-Lehrer als sehr positiv, (..) es ist ein Geben und ein Nehmn. (..) Also das heißt in erster Linie muss ich natürlich als Pädagoge für die/ für das SETTING sorgen. Also für die Rahmenbedingungen. Dass (.) gutes Lernn. möglich ist. Also mir ist ganz wichtig, natürlich, die Rahmnbedingungen müssen stimmen,(.) äh damit ich (.) guten Unterricht machen kann.« [Z. 39-43]

Der Lehrer reagiert auf die indirekte Fragestellung nach dem gegenseitigen Umgang von Lehrer_innen und Schüler_innen mit einer Proposition im Modus einer Evaluation, die dieses Verhältnis als »sehr positiv« beschreibt. Es folgt im Sinne einer Erläuterung der Ausdruck des »Gebens und Nehmens« Das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen wird von Herrn K. somit gleich zu Beginn als ein symmetrisches beschrieben. Im nächsten Satz wird die Aussage als Elaboration (»das heißt«) begonnen, jedoch zugleich durch einen Gegenhorizont relativiert: »Also das heißt in erster Linie muss ich natürlich als Pädagoge für die/ für das SETTING sorgen«. Durch die Priorisierung der Aufgabe und Verantwortung der Lehrperson »als Pädagoge« für »das Setting« zu sorgen, wird wie selbstverständlich (»natürlich«) eine Führungsverantwortung sichtbar, die sich zunächst auf die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen bezieht. Die final orientierte Äußerung »damit ich guten Unterricht machen kann« deutet auf die Fokussierung der eigenen Person hin und stärkt damit die Position des »Gebens« in der ersten Proposition. »Das mal so/ ich sprech von guten Unterricht, (.) der DEFINIERT sich bei mir aber allerdings (.) in erster Linie natürlich (.) äh über das Schüler-Lehrer-Verhältnis (..) und auch über die Ziele, die ich mir formuliere in der Planung, und ich dann auch immer wieder überprüf.« [Z. 44-47]

Im Anschluss wird erneut »guter Unterricht« mit dem Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis definiert. Diese Differenzierung wird deutlich, indem der Befragte das Verhältnis zwischen Lehrerperson und Schüler_innen als primären

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Faktor beschreibt. Des Weiteren bedeutet guter Unterricht für Herrn K. »die Ziele, die ich mir formuliere […], und ich dann auch immer wieder überprüf[e]«. Das heißt, dass die Ziele für den Unterricht von Herrn K. genau definiert werden und deren Erreichen durch regelmäßige Überprüfungen kontrolliert wird. Deutlich wird darin erneut, dass den Aussagen von Herr K. im Kontrast zu seiner anfänglich proponierten Symmetriefigur des Gebens und Nehmens ein asymmetrisches Verständnis seiner Aufgaben zugrunde liegt. Die Formulierung und Planung der Ziele des Unterrichts sowie deren Überprüfung gehört in die Verantwortung der Lehrkraft. »B: Also für mich is dann schon wichtig, dass im Unterricht was passiert, (.) dass Änderungn stattfinden, dass die Schüler bereichert (.) oder mit einer neuen Idee, mit Anstößen (.) die ja den Unterricht von mir wieder verlassen. Das GELINGT bestimmt nich in jeder Stunde, (.) ist mir aber (..) sehr, sehr wichtig, dass also wirklich ein Lernzuwachs (..) da ist, der auch überprüfbar ist.« [Z. 48-52]

Mit dem Wechsel zur Schüler_innenperspektive betont Herr K. den bei diesen zu erzielenden Lernzuwachs, der in jeder Stunde erfolgen soll. Ein Mehrwert soll erkennbar sein und die Schüler_innen auch nach der Stunde noch beschäftigen, wenn sie »den Unterricht […] wieder verlassen«. Auch in dieser Formulierung zeigt sich Herr K als der aktive Part, von dem die Schüler_innen »bereichert« werden. In der Einschränkung »das gelingt bestimmt nich[t] in jeder Stunde« wird zugleich die Orientierung sichtbar, dass das Ziel von seiner Seite aus nicht erzeugt werden kann. Der Wunsch nach einem Lernzuwachs, der zudem »überprüfbar ist« bildet mit »sehr sehr wichtig« eine zentrale Orientierung als Fluchtpunkt ab. Das Verhältnis zu den Schüler_innen bestimmt sich darin funktional: »dass also wirklich ein Lernzuwachs da ist.« »(..) Äh, also das heißt, was die Rahmnbedingungen betrifft, äh, ich hab hier ein schönes Beispiel von Hartmut von Hentig, ne, (.) »Die Sache klären, den Menschen stärken«. Also d/Eins bedingt das Andere. Also ich äh (druckst) Schüler-Lehrer-Verhältnis ist für mich natürlich elementar, aber zuvor müssn die Rahmnbedingungen stimmn. //GANZ wichtig.« [Z. 53-57]

Erneut kommen thematisch die Rahmenbedingungen in den Blick, sie rahmen aber ihrerseits das Zitat von Hartmut von Hentig: »Die Sache klären, den Menschen stärken«, das die doppelte Zielperspektive von Schule verdeutlicht. Die Klärung der Sache schließt dabei an die vorherige Aussage an. Interessanterweise variiert Herr K. die Reihenfolge des Diktums von Hentigs, der seine Vortrags-

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sammlung mit »Die Menschen stärken, die Sache klären« betitelt (vgl. von Hentig 1986). Durch das umgekehrte Wiedergeben des Titels wird deutlich, dass der Befragte die Sachebene an erster Stelle sieht. Mit der Aussage »Eins bedingt das Andere« erfolgt allerdings keine klare Priorisierung, sondern wird die gegenseitige Bedingtheit der beiden Aspekte sichtbar Mit einem »aber« wird eine Antithese eingeleitet, denn Herr K. nennt die Rahmenbedingungen als Voraussetzung für ein gutes Arbeitsbündnis zwischen Lehrperson und Schüler_innen. Hierzu zählt auch die Planung und Organisation durch die Lehrperson, die vor der eigentlichen Unterrichtsstunde stattfindet. »B: Also ich muss auch (.) gut VORbereitet sein, ich muss mein Beitrag dazu leisten, ich muss (.) durch die Ausbildung, die ich naich (schwäbisch: »natürlich«) genossen hatte auch ein gewisses f/ einen VORsprung auch habm, (lachend) meistens zumindest gegenüber den Schülern, (.) dass ich ihn (druckst) ihnen auch was vermitteln KANN, die Sache klärn kann. (.)« [Z. 58-62]

Im Sinne der Rahmenbedingungen geht Herr K. auf seine eigenen Voraussetzungen ein, die in der Vorbereitung des Unterrichts liegen. Hierbei wird die Asymmetrie qua Wissensvorsprung sichtbar, die zwischen ihm und seinen Schüler_innen herrscht. Dieser Vorsprung wird als notwendig (»muss«) und als Voraussetzung dafür genannt, dass Herr K. »ihnen auch was vermitteln KANN, die Sache klärn kann«. Insgesamt stabilisiert sich ein Muster, das Herrn K. konform mit der institutionellen Rolle als Hauptverantwortlichen zeigt. Die Rolle der Schüler_innen strukturiert sich eher als die »Nehmenden«, wenngleich die Figur des »einen Beitrag dazu leisten« auf eine geteilte Verantwortung hinweist. Die Grundlage der Wissensvermittlung beruht auf der Asymmetrie des Wissens zwischen Lehrperson und Schüler_innen. Ohne diese kann Herr K. keinen Unterricht halten und Wissen vermitteln. »So, und dann kommt, wie transportier ich das Ganze und das geht natürlich über meine Persönlichkeit. (.) Das ist ganz wichtig, also ich brauch da natürlich ne (.)von meim Kopf her, von meim Denken her muss ich den Schüler als Gegenüber sehen, (.) nich äh hierarchisch, sondern als LernPARTNER, (.) ist ganz wichtig.« [Z. 63-66]

Mit »So, und dann« stellt Herr K. implizit fest, dass er im vorherigen Abschnitt die Grundlage für die nun folgende Argumentation gelegt hat. Die Aussage »wie transportier ich das Ganze und das geht natürlich über meine Persönlichkeit« zeigt, dass auf der Basis des Wissensvorsprungs quasi selbstverständlich die

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Persönlichkeit des Befragten das Transportmedium der Inhalte ist. Der Stellenwert der Persönlichkeit ist für den Befragten »ganz wichtig«. Dann wird die Sichtweise der Schüler_innen in diesem Prozess thematisch. Die Aussage »von meinem Kopf, von meinem Denken her« konstituiert dabei eine rationale Konstruktion der Sicht auf die Schüler_innen, die zugleich als notwendige Haltung erscheint. Die Schüler_innen werden als »Gegenüber« gesehen, was Distanz ebenso zum Ausdruck bringt wie eine elementare Form der Anerkennung, schlicht dadurch, dass gegenüber jemand ist. Der vorherigen Asymmetrie durch Wissensvorsprung und Verantwortung für die Rahmenbedingungen wird im Folgenden explizit ein Symmetriekonzept gegenüber gestellt: »nicht äh hierarchisch, sondern als LernPARTNER«. Der Begriff des Lernpartners macht im Gegensatz zur Benennung »Partner« oder »Lebenspartner« erneut die rollenförmig funktionale Bestimmung der Partnerschaft zu den Schüler_innen deutlich. Es geht ums Lernen, und in diesem Kontext gilt es, die Schüler_innen als Partner zu sehen. Der Unterschied in der Wahrnehmung der Schüler_innen bezüglich der Unterrichtsplanung einerseits und der tatsächlichen Interaktion mit ihnen andererseits wird hier deutlich. Je nach Situation wechselt Herr K. zwischen einer asymmetrischen und einer symmetrischen Konstituierung des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses. »Auch als (.) egal, ich hab die Erfahrung gema/ jetzt hab ich ja eher ältere Schüler hier an der Fachschule für * oder am *Gymnasium drüben, aber früher war ich ja auch in meim Referendariat an der Realschule, hatte da mit Sekundarschüler I zu tun, oder auch in der Schweiz die drei Jahre, 7., 8., 9. Klasse auch DA,(.) obwohls vielleicht (druckst) Anführungszeichen, schwierigeres Alter ist, auch da vielleicht so 'ne Gleichheit fast herzustellen, äh, war mir IMMER wichtig, den Schüler zu sehen: (.)« [Z. 67-73]

Es findet eine Elaboration statt, bei der Herr K. seine zuvor getroffene Aussage dadurch in ihrer generellen Gültigkeit verstärkt, dass er sie auf verschiedene Schulen und Altersstufen ausdifferenziert. In seiner Berufskarriere hat er schon verschiedene Schularten und Altersstufen der Schüler_innen kennengelernt. Immer und auch trotz des »schwierigen Alters« der Schüler_innen versucht Herr K. »vielleicht so 'ne Gleichheit fast herzustellen«. Die sprachliche Fassung des Konzepts, die zugleich inhaltliche Proposition wie auch deren Relativierung ist, zeigt die Differenziertheit der Sichtweise von Herrn K. auf. Mit dem Wort »fast« wird deutlich, dass ein Bewusstsein für die Unmöglichkeit der Realisierung einer tatsächlich ebenbürtigen Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung vorliegt, diese dennoch Leitfigur für ein symmetrisches Arbeitsverhältnis im Unterricht sein sollte.

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»War mir IMMER wichtig, den Schüler zu sehen« bringt nun ein neues Konzept zum Vorschein: Die Wahrnehmung der Schüler_innen hat für Herrn K. universelle subjektive Bedeutung, zugleich kommt das Gegenüber darin in seiner rollengemäßen Bestimmung als »Schüler« (und nicht etwa als »Mensch« oder »Jugendliche«) in den Blick. »Was bringt er mit, (.) äh, was äh, (druckst) an Voraussetzungen oder auch an (.)ja, auch an/ Emotionn, die bringn auch gewisse Dinge von natürlich immer wieder von zu Hause mit, äh, und das ist nicht isoliert zu sehn. Also n/ den Schüler ABzuholn, das ist ganz, ganz entscheidend, und das geht halt mit ner, wie ich gesagt hab, inner positiven Einstellung muss ich da ran.« [Z. 74-78]

In der Elaboration dessen, was Herr K. bei den Schüler_innen sieht, wird diese funktionale Bestimmung auch relativiert. Es wird sichtbar, dass Schüler_in und Mensch in ihrer biographischen Gebundenheit nicht zu trennen sind, das Zuhause kennzeichnet den außerschulischen Kontext als relevante Einflussgröße, das »ist nicht isoliert zu sehn«, so der Befragte. Probleme und Emotionen werden von den Schüler_innen mit in den Unterricht gebracht und beeinflussen ihr Verhalten. Auch auf die Lernleistung wirken die Emotionen sich aus. Die pädagogische Figur des »Abholens« impliziert hier die Berücksichtigung der emotionalen und familiären Ausgangslage für die Interaktion mit den Schüler_innen und ist »ganz, ganz entscheidend«. Die positive Einstellung, die zuvor mit »in meinem Kopf, in meinem Denken« als bewusste Hinwendung zu den Schüler_innen beschrieben wurde, wird hier zu einer notwendigen Voraussetzung. Auch in diesen Beschreibungen deutet sich eine antinomische Spannung an. Das Arbeitsbündnis zwischen Schüler_innen und Lehrperson steht in der Spannung von Nähe und Distanz. Zum einen muss eine emotionale Nähe zu jeder einzelnen Person aufgebaut werden und zum anderen muss eine rollenförmige Distanz zu den Schüler_innen eingehalten werden. Bei Herrn K. tritt eine Balance dieses Spannungsverhältnis dadurch zutage, dass die Wahrnehmung der Emotionen der Personen ihren Ausgleich darin finden, dass die Schüler_innen bei ihm gleichzeitig als Lernpartner konzipiert sind, die es zu »bereichern« gilt. »Und da muss ich halt manchmal auch übern Berg gehn erst oder muss mich halt mal (druckst) gumpe mache, (lachend) in der Schweiz, einfach mal (.) über meinn eigenen Schatten springen, weil (.) man is nich immer gut drauf, ganz klar. Man bringt oft selber wieder von zu Hause emotionale Dinge mit, is/ irgendwie läuft vielleicht im KOLLEGIUM was nich, aber diese Dinge gilts äh um, sagen wir mal, professioNELL auch zu arbeiten, einfach auch (.) stückweit zur Seite zu stelln und dann wirklich zu sagn, »Okay,

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jetzt sind die (.) Schüler da, jetzt ist äh Zeit für sie, für jeden einzelnen vor allem und jetzt ist wichtig, dass äh da Kommunikation in der Aktion stattfindet.« [Z. 80-88]

Nun kommt Herr K. selbst als Person in den Blick. Auch er hat »schlechte Tage«, emotionale Belastungen von zuhause und Konflikte im Kollegium werden als Ursachen der Stimmungsschwankungen genannt. Die dreifache Umschreibung der dann erforderlichen Maßnahmen macht sichtbar, dass es keineswegs trivial, zugleich aber sein Anspruch im Sinne »professioneller Arbeit« ist, die Schüler_innen an erste Stelle zu setzen. Eigene Probleme müssen in den Hintergrund treten, um einen guten Unterricht sicherzustellen. Professionelles Handeln ist möglich, wenn das Schülerwohl an erster Stelle steht, so der Befragte. Durch Kommunikation soll jede_r einzelne Schüler_in beachtet werden und ausreichend Aufmerksamkeit erhalten. Indem die eigene persönliche Verfassung reflektiert wird und eine Distanz zu den eigenen Emotionen aufgebaut wird, wird »guter Unterricht« ermöglicht. »(.) Also wie gesagt, es kommt auf (.) meine innere HALTUNG auch an. (..) Äh, natürlich gibts Schüler, wo ich vielleicht Haltungen (.)hab, die mir etwas schwieriger falln, ne, aber generell ist auch wichtig, dass die Schüler merken, »Es gibt (.) keine Lieblinge, es gibt keine Sonderwege, sondern jeder ist gleich, egal (.) äh (druckst) klar, (druckst) brauchn jetzt nicht über die kulturellen Hintergründe oder äh Migrationshintergrund sprechn, auch, waser mitbringt an Einstellungn, auch die Einstellung muss mir letztendlich auch ein Stück weit äh (.)nich egal sein, aber äh, die die darf ich nich WERTEN, sondern ich muss pf/ versuchn auch die (.) etwas Unmotivierten zu motiviern. (..) Und jeden/ jeden Schüler in seiner Singularität zu sehn, also in seiner Einzigartigkeit. (.) Und das is GANZ, ganz entscheidend. Also DA ist für mich (.) enorm wichtig, äh/ Und DANN hab ich ne Basis geschaffen, (.)« [Z. 90-100]

Zum dritten Mal wird die Haltung gegenüber den Schüler_innen als zentrale Orientierung sichtbar. Durch unterschiedliche Charaktere in der Schule fällt es dem Befragten teils schwer, eine positive innere Haltung zu bewahren und den Schüler_innen authentisch gegenüberzutreten. Doch auch wenn es schwer ist, ist es besonders wichtig, alle »gleich« zu behandeln. Weder »Lieblinge« noch »Sonderwege« sind akzeptabel, damit die Schüler_innen merken, dass sie gleich behandelt werden. Dem Konzept der Gleichbehandlung, die hier für die Ebene der Schüler_innen formuliert wird, steht unmittelbar danach wieder ein Kontrapunkt gegenüber, weil Herr K. drei Differenzkriterien formuliert. So selbstverständlich wie der Gleichbehandlungsgrundsatz ist die Anerkennung der Differenz »brau-

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chen jetzt nicht [dar]über sprechen«. Der Befragte möchte die Schüler_innen in ihrer »Singularität« wahrnehmen, der Differenz wird (»'n Stück weit«) als Anspruch normativ indifferent begegnet: »nicht egal, aber ich darf sie nicht WERTEN«. Der darin sichtbar werdende Widerspruch zwischen der Gleichbehandlung der Schüler_innen einerseits und Berücksichtigung ihrer Singularität andererseits kann wiederum als antinomisch beschrieben werden. Die eigene »innere HALTUNG«, der bewusste Bezug auf das, was für Herrn K. professionell ist, und das permanente Bemühen »über den eigenen Schatten [zu] springen« konstituiert das Bild einer Person in diesen konstitutiven Spannungen und zugleich einen Modus des Umgangs damit. Das eigene Denken und Fühlen und somit auch Handeln wird von dem Befragten stark reflektiert. »wenn vertroffe/ das sch/ das gelingt natürlich nich immer gleich von Anfang an, es ist je nach Klasse, wemma wieder neu bekommt, (räuspert sich) wenne Klasse nen Abschluss hier macht und hat die wieder ganz neu, (.) kommt neue Schüler, neue Mischung, äh, neue äh Zusammenstellung (.) äh, brauchts natürlich ne Anlaufphase, aber generell is einfach, das sin solche Grundprämissn. Einstellungn, die im Kopf anfürsich sein müssen, ein/ MEINES Erachtens jeden/ jeden Lehrers, jeden Pädagogen, ja. (.)« [Z. 101-107]

Die Prozesshaftigkeit in der Zusammenarbeit mit den Schüler_innen wird sichtbar. Die Beschreibung »neue Schüler, neue Mischung, äh, neue äh Zusammenstellung« macht die sprachliche Sensibilität deutlich, das Wort Mischung wird im Zusammenhang mit Schüler_innen in »Zusammenstellung« variiert. Hier zeigt sich einerseits, dass Herrn K. der Begriff der »Mischung« im Zusammenhang mit Schüler_innen unangemessen erscheint, es wird aber auch die organisatorische Verfasstheit und Rahmung von Schule sichtbar, die nicht auf freier Wahl beruht. Schüler_innen werden zu Klassen »zusammengestellt«. Die Kernaussage erfährt in diesem Abschnitt trotz Differenzierung bezüglich der Prozesshaftigkeit und erforderlicher »Anlaufphase« eine Konklusion: Die auch unter der Bedingung des Klassenwechsels erforderliche Einstellung und Haltung der Lehrperson stellt eine Grundprämisse und Voraussetzung dar, die Herr K. von allen Lehrer_innen und Pädagog_innen einfordert. Die damit eröffnete Differenz wird im Folgenden und letzten Interviewabschnitt thematisch. »Um dann auch die Sache, und ich denk viele von uns äh, von meinen Kollegen sind FACHLICH einfach (.) EXTREM fit, ja, ham extrem gutes Wissen auch von der universitären Schiene bringn sie ENORM viel (.) Wissenschaftlichkeit mit. Ja. Aber die Frage ist, ne, kommt das vom Kopf (.) auch in das Herz und bring ichs dann rüber, ja. (.) Und DA,

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denkich gibts beim ein oder andern schon noch nachholbe/ auch bei MIR manchmal, natürlich, is so/ nich alles, dass immer alles RUND läuft, ja, auch immer wieder neu kucken, (.) äh stimmt jetzt auch die/ der Mensch, ja, isses/ bin ich jetzt da auch/ ERREICHICH die jetzt auch, ja, bin ich jetzt auf deren Ebene. Das is ganz wichtig (..).« [Z. 108116]

Wenn man diese Situation genauer betrachtet, wird eine neue Kontrastierung sichtbar. Der Kontrast zwischen der Leidenschaft zur Vermittlung und dem Fachwissen an sich verdeutlicht ein Konzept, das Fachlichkeit zweifelsohne anerkennt und als notwendig erachtet, zugleich aber verdeutlicht, dass »Wissenschaftlichkeit« allein keine hinreichende Bedingung darstellt. »Vom Kopf ins Herz« wird als Metapher dafür verwendet und macht deutlich, dass für Herrn K. Kognition und Emotion für den »Pädagogen« zusammengehören, während der »Lehrer« (der »ein oder andere« Kollege, er selbst aber auch »manchmal«) diesbezüglich »Nachholbe[darf]« haben. Zwei sprachliche Besonderheiten lassen sich an die bisherigen Rekonstruktionen anschließen: Die erstmalige Kennzeichnung als »Mensch« stellt eine Differenz zum »Schüler« her, die zuvor schon beschriebene Unterscheidung zwischen rollenförmig spezifischer Sichtweise auf die Schüler_innen, im Gegensatz dazu aber auch die Berücksichtigung der ganzen Person in ihrer jeweiligen Singularität wird hier erneut aufgegriffen. Ebenfalls wird hier wieder der Anspruch und das Bemühen sichtbar, die Schüler_innen auf »deren Ebene zu erreichen«. Frau P.: »Und dann kommen unheimlich interessante Gedanken« Auch mit Frau P. wurde ein narratives Interview zur Frage nach dem Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis geführt. Das Interview beginnt ebenfalls mit der Aufforderung des Interviewers, zu erzählen, wie die Lehrperson das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen erlebt und was ihr dabei wichtig ist, und führt zu folgender Aussage: »Mhm (bejahend). (..) Also ich muss vielleicht dazu sagen: ich arbeite jetzt seit 22 Jahren. (.)Ähm ich hab angefangen in der Grund- und Hauptschule. Hab dann Gymnasialstudium noch oben drauf gesetzt und ähm (.) arbeite jetzt seit '99 im Gym/ gymnasial – nee, eigentlich '97 komplett im gymnasial Bereich. Und ähm (.) also das, was für mich ganz entscheidend ist, das ist der Blick auf die Schüler. Also jetzt von meiner Seite aus betrachtet. (..) Ähm (.) Schüler dürfen keine Feinde sein, sondern das müssen einfach meine Partner sein.« [Z. 43-49]

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Die Erläuterung des beruflichen Werdegangs, die Dauer der Tätigkeit und die Tatsache, dass sie ursprünglich an Grund- und Hauptschulen gearbeitet hat, gewinnt hier die Rolle einer Präambel. Im Anschluss wird der primäre Faktor (»ganz entscheidend«) für einen Umgang mit den Schüler_innen genannt: »Schüler dürfen keine Feinde sein, sondern das müssen einfach meine Partner sein«, wobei im »einfach« eine Haltung der Selbstverständlichkeit sichtbar wird. Hiermit konstituiert sich das Verhältnis zwischen der Lehrerin und ihren Schüler_innen als symmetrisch und gleichrangig. »Und ähm (.) ich hab mal eine/ ein Erlebnis gehabt in der zweiten Klasse (.) mit äh (..) mit kleinen/ eben Zweitklässlern. Da gings um die Theodizee-Frage. Und äh ich war platt. Ich war fertig nach dieser Dreiviertelstunde. Wie intensiv die gfragt haben, wie sie selber nach Antworten gesucht ham, (.) wie sie selber versucht ham, so dieses wahnsinnig schwierige Thema irgendwie zu fassen. Und (.) da war mir dann so/ i hab selber kei Antwort dadrauf, warum gibts dieses und jenes Chaos, warum gibts diese Katastrophe. Und in diesen (.) Suchversuchen von den Kindern (..) hab ICH Antworten auch dadurch gekriegt.« [Z. 5057]

In der Erzählung einer zurückliegenden Unterrichtsstunde wird das Partnerverhältnis zwischen Schüler_innen und Lehrerin exemplifiziert, es wird erläutert, wie auch Schüler_innen Einfluss auf ihre Lehrer_innen haben. Durch eine anregende Diskussion der Schüler_innen und das Suchen nach Antworten lernt auch Frau P. durch den Unterricht. Durch die Gedankengänge der Schüler_innen bekommt auch die Lehrerin einen neuen Blick auf Themen, die im Unterricht durchgenommen werden. Dieses Beispiel stellt dar, dass die Schüler_innen als Lernpartner_innen wahrgenommen werden. Dieses partnerschaftliche Verhältnis zwischen Frau P. und ihren Schüler_innen ist das erste zu erkennende Orientierungsmuster der Lehrerin. »Und das ist so etwas, was mir generell wichtig ist im Unterricht. Also (..) ich find, ich kann/natürlich weiß ich bestimmte Sachen mehr als die Schüler, aber die Erfahrungen, die sie gemacht ham, äh die sind nicht weniger wert wie die, die ich habe. Und dann biete ich ihnen eben Material, also Informationen an Wissen an, aber bewerten und einsortieren müssen sies selber. Und dadurch krieg ich eigentlich unheimlich viel ausem Unterricht. MEHR Erkenntnisse, mehr Einsichten als ich mir die je selber am Schreibtisch so überlegen könnte. Und ähm das ist so für mich son Grundmotor. (..) Ähm weil ich einfach weiß, dass i ganz viele Sachen selber auch keine Ahnung hab oder manchmal au äh vielleicht die Zeit, um das jetzt bis zum/ bis zum Exzess durchzudeklinieren, au gar net hab. Und ich gebs dann gern an die Schüler – net aus Faulheit, sondern wirklich, weil weil ich denke,

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sie wissen da ja selber was oder sie müssen da damit was anfangen – (.) äh weiter. Und dann kommen unheimlich interessante Gedanken. Und in dem Moment, wo das passiert, (..) hab ich schon den Eindruck äh, dass die Schüler dadurch unheimlich tief einsteigen. Auch unwahrscheinlich ernsthaft dabei sind.« [Z. 58-72]

Die Aussage der Befragten »Und das ist so etwas, was mir generell wichtig ist im Unterricht« bezieht sich auf den zuvor genannten Abschnitt, in dem ein symmetrischer Umgang mit den Schüler_innen dargestellt wird. Unmittelbar anschließend wird mit »natürlich weiß ich bestimmte Sachen mehr als die Schüler« im Modus der Selbstverständlichkeit die Asymmetrie des Wissensstandes formuliert. Diese Asymmetrie zwischen den Schüler_innen und Frau P. wird aber zugleich nur als partiell differenziert: »aber die Erfahrungen, die sie gemacht ham, äh die sind nicht weniger wert wie die, die ich habe«. Die folgende Beschreibung konstituiert den Unterrichtsmodus von Frau P. als Angebotsstruktur von »Informationen« und »Wissen«, die Schüler_innen bewerten dieses und sortieren es selbst ein. Das Bild, das hier von den Schüler_innen sichtbar wird, kennzeichnet diese als aktive Konstrukteure des eigenen Wissens. Die Erfahrungen und Einsichten der Schüler_innen in diesem Prozess sind für Frau P. genauso wichtig wie ihr eigener Wissensstand und ermöglichen ihr »unheimlich viel, MEHR Erkenntnisse, mehr Einsichten«. Die Sichtweisen der Schüler_innen sind ihr wichtig und erzeugen bei der Lehrkraft selbst einen Perspektivenwechsel bzw. einen Lernzuwachs. Diese Situation wird als »Grundmotor« bezeichnet. Nicht aus »Faulheit«, sondern als Wissensansporn werden oft Fragen im Unterricht an die Schüler_innen zurückgegeben. Frau P. konstituiert die Schüler_innen damit als leistungsstark und -bereit, sobald sie sich mit dem Thema beschäftigen. Die Erfahrungen und Blickwinkel der Schüler_innen sind als ein wesentlicher Bestandteil jeden Unterrichts von Bedeutung. In diesen Aussagen wird eine Orientierung sichtbar, die sich als Interesse an den Sichtweisen der Schüler_innen kennzeichnen lässt, vom Unterricht als inhaltlicher Auseinandersetzung profitieren Schüler_innen und Lehrerin gleichermaßen, wobei die Ermöglichung dieser Auseinandersetzung in der Zuständigkeit und Verantwortung der Lehrperson liegt. Die rollenförmige Verantwortungsübernahme dafür, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden kann, beruht auf der Asymmetrie des Wissensvorsprungs, gleichwohl zeigt sich die Interaktion im Klassenraum als ein »miteinander und voneinander lernen«, und damit tendenziell symmetrisch.

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»Natürlich kommts auch mal vor, dass sich n einzelner Schüler irgendwie ausklinkt. Aber ich habs eigentlich sehr, sehr selten. (.) Ähm (.) mein gut, jeder hat mal n schlechten Tag und klinkt sich mal kurzfristig aus, aber (.) ähm die sind relativ schnell wieder bei der Sache. (.) Also wenn i dann hergeh und sag »ja jetzt beurteilt das mal oder bewertet das mal«, mein dann kommt vielleicht »ey tschuldigung, ich hab jetzt grad vorher net zugehört«. (.) Äh ich geb dann eben das Ganze nochmal zu den Schülern zurück und sag »wer kanns nochmal kurz zusammen fassen?« Und dann jetzt »nimm ne/ nimm Stellung dazu!«. (.) Ich mein, es gibt schon Situationen, (.) äh wo man mal ziemlich deutlich werden muss, dass einem dieses oder jenes nicht passt. Aber (..) eigentlich sind die relativ selten.« [Z. 73-82]

In diesem Abschnitt stellt Frau P. Unaufmerksamkeit und Ablenkung im Unterricht von Schüler_innen mit »eigentlich sehr, sehr selten« als Ausnahme dar, die gleichwohl unaufgeregt und normal dargestellt wird, denn »jeder hat mal [eine]n schlechten Tag«. In dieser Ausnahmesituation, die ja formal eine Pflichtverletzung darstellt, zeigt sich die unmissverständliche Verbindlichkeit der Lehrperson in Bezug auf ihre Erwartung zur Beteiligung am Unterricht (»nimm Stellung dazu« als Imperativ), die sie durch Einbindung der Klasse erreicht. Die Darstellung dieser Interaktion durch die Lehrperson markiert eine kognitiv anspruchsvolle Aufgabenstellung, eine Anerkennung der Pflichtverletzung durch den Schüler bzw. die Schülerin und eine jugendsprachlich formulierte Entschuldigung. Ein Ärgernis für die Lehrperson oder ein Tadel anlässlich dieser Situation werden nicht sichtbar. Es macht den Eindruck, dass dies seitens der Lehrerin nur geringfügig missbilligt wird, da eine inhaltliche Zusammenfassung des Unterrichtsstoffs durch Mitschüler_innen eben auch zeigt, ob das Thema verstanden wurde. Situationen, »wo man mal ziemlich deutlich werden muss« werden als vorkommend, aber selten beschrieben. »Also wenn wenn so die Struktur unter den Schülern klar ist, dass sie einfach das selber oder dann gegenseitig einspringen können und dieses Bloßstellen, jetzt hast wieder mal net aufgepasst und jetzt hast mal wieder nicht gewusst, was jetzt die richtige Antwort ist. Also für mich ist es mehr ein Prozess und nicht das Rätselraten, was (.) was meint jetzt die Lehrerin, was jetzt richtig zu sein hat. (.) Und von daher ist es wirklich n/ ne sehr partnerschaftliche Sache. Auch wenn natürlich ein Wissensgefälle da ist, ganz klar.« [Z. 83-89]

Die Befragte beginnt mit einer Differenzierung zu den zuvor genannten Themen. Die vorher sichtbar werdende Beteiligung der Klasse wird als »Struktur« gegenseitiger Unterstützung charakterisiert. Dann wird ein negativer Gegenhorizont aufgezeigt. Durch eine Bloßstellung einzelner Schüler_innen entstehe ein nega-

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tives Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis. Statt des Rätselratens, was die Lehrerin für richtig hält, beschreibt sie das Lernen als »wirklich 'ne sehr partnerschaftliche Sache«, um direkt die Gegenposition des Wissensgefälles als erneuten Kontrapunkt einzuführen. Die Antinomie von einer nicht negierbaren Asymmetrie und der Herstellung einer Symmetrie zur Erzeugung eines Arbeitsbündnisses wird hier durch das Ausbleiben von Bloßstellungen dargestellt und als ein Prozess des gemeinsamen Lernens dargestellt, der Frau P. durchaus bewusst ist. »Und ähm (..) mir hilfts dann einfach im Unterricht auch (.) das sind ja nicht meine eigenen Kinder. Das heißt meine Emotionen äh über irgend n bestimmtes Verhalten die müssen da überhaupt net vorkommen. Weil ähm ob mich das jetzt nervt, dass der in der Nase bohrt oder nicht, dann geh i halt her und sag »och, gefällt mir jetzt nicht so gut«. Als Mutter eines Kindes da spielen ja ganz andere Emotionen und ganz andere Aspekte noch mit ne Rolle. Und die find i, die können einfach dann im Unterricht (.) die brauchen da gar kei/ gar nicht da sein. (.) Und dann dann ist da VIEL son son Negativballast einfach gar net vorhanden. (.)« [Z. 90-98]

In der Aussage »das sind ja nicht meine eigenen Kinder« zeigt sich eine Distanz zu den Schüler_innen. Trotz der Nähe, die durch ein vertrauensvolles Verhältnis hergestellt wird, muss das Arbeitsbündnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen mit einer professionellen Distanz versehen werden. Frau P. stellt dies durch den Vergleich von eigenen Kindern und Schüler_innen dar. Hier wird ein Gegenhorizont aufgezeigt, denn die eigenen Kinder gehören zur Familie. Die Beziehung zu ihnen ist von einer sehr emotionalen Bindung geprägt. Frau P. zeigt auf, dass die Schüler_innen eben nicht ihre eigenen Kinder sind und sie deshalb emotional eine Distanz zu ihnen aufbaut. Die Lehrkraft ist sich diesem Konflikt durchaus bewusst und stellt diesen als Vergleich zu den eigenen Kindern dar, die kritischer erzogen werden. Dargestellt wird auch, dass durch eine permanente Kritik zu viel »Negativballast« vorhanden wäre, der das Arbeitsbündnis unnötig belasten würde. Die Grenzziehung im Umgang mit den Schüler_innen spiegelt eine Bewusstheit der Lehrperson in der Spannung zwischen Nähe und Distanz wider. »Und ich finds zwar immer interessant, wie sich die Schüler dann selber gegenseitig da eigentlich auch korrigieren. Oder wie sie dann hergehen und sagen »äh Moment, das geht ja so eigentlich gar nicht«. (.) Und mir ist auch wichtig, dass die sich gegenseitig ähm kommentieren. (..) Und klar, komme ich natürlich da von Kommunikations ähm (.) Ebenen her oder vom Kommunikationstraining. Dass es einfach eigentlich überhaupt nicht

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geht, dass ich jemand runter mache, dass ich jemand bloß stelle. Sondern dass jeder einfach dann die Möglichkeit hat, zu sagen, also was ist jetzt gut dadran, was gefällt mir dadran und was äh (.) wo wo fehlts vielleicht noch. Und das halt i scho fürn enormen Unterschied zu »nee, das ist jetzt alles Schmarrn, was de jetzt erzählt hast«. (..) Und ich hab auch so den Eindruck, dass da sehr viel differenzierteres dann (.) bei den Schülern auch untereinander (.) wenigstens im Rahmen des Unterrichts passiert.« [Z. 98-109]

Erneut wird auf die Situation im Unterricht und das Verhalten der Schüler_innen eingegangen. Hierbei legt Frau P. besonderen Wert auf den Umgang der Schüler_innen untereinander. Die Aussage »Dass es einfach eigentlich überhaupt nicht geht, dass ich jemand runter mache, dass ich jemand bloßstelle« zeigt ihre Ablehnung gegenüber unfairem Verhalten und personenbezogener Kritik. Dieser stellt sie eine Rückmeldungskultur gegenüber: »Sondern dass jeder einfach dann die Möglichkeit hat, zu sagen, also was ist jetzt gut dadran, was gefällt mir dadran und was äh (.) wo wo fehlts vielleicht noch«. In der Beschreibung wird sichtbar dass Frau P. eine Vorbildfunktion in Anspruch nimmt. Des Weiteren beschreibt sie die Wahrnehmung, dass durch ihre Aufmerksamkeit auf diese Prozesse der Rückmeldung »sehr viel differenziertes« stattfindet. Die Wahrnehmung beschränkt sie jedoch explizit auf den Unterricht. »Was natürlich dann schon auch ne Rolle spielt: also ich achte da unheimlich dadrauf, dass ähm irgendwelche Anflüge von Mobbing oder despektierlichem Verhalten, das mag ich nicht. Und das wissen sie auch. Ähm und dass das wirklich/ das wird geahndet. (.) Jetzt nicht im Sinne von Strafen, sondern einfach nur (.) äh stop, hier wird ne Grenze überschritten. Also so diese Personengrenzen (.) versuch ich selber, so es mir möglich ist und ich es bewusst merke, zu achten. Und versuch aber auch dafür Sorge zu tragen, dass das von den Schülern genauso gemacht wird. Also, dass wirklich die sehen »nee, das geht jetzt zu weit, sowas kann ich nicht sagen, darf ich nicht sagen«. (.) Und wenn jemand die Grenze überschreitet, dass das einfach dann thematisiert wird. (.) Und von daher, also in 22 Jahren hab ich einen Verweis erteilt. Und den musste ich, weil der damalige Chef mir das aufs Auge gedrückt hat, dass ich das machen MUSS. Weil er eigentlich den hätte erteilen wollen oder müssen oder wie auch immer. Äh für mich war das (.) ich brauch das Mittel eigentlich (.) eigentlich nie. (..) Weil ich denke im Zweifelsfall muss da/ muss da zwischen uns was passieren, ja? Und dann nützt das eigentlich nichts dieser Zettel. Sondern i muss her gehen und sagen »also das und das hat mir gefallen oder das oder das hat mir nicht gefallen«. [Z. 110-126]

Frau P. erweitert nach der vorgängigen Einschränkung ihre Verantwortung über den Unterricht als inhaltliche Auseinandersetzung hinaus und begegnet Formen

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des Mobbings schon im Frühstadium (»Anflüge«). Ihr diesbezügliches Konzept der »Personengrenze« markiert eine Schwelle, für deren Achtung sie sich bei sich selbst und bei ihren Schüler_innen aktiv einsetzt. Falls sie dennoch eine Grenzüberschreitung wahrnimmt, wird dies »geahndet«. Das formale Konzept der »Ahndung« macht die Unbedingtheit der Folge deutlich, wird jedoch ausdrücklich nicht mit einer formalen Strafe belegt, erfolgt vielmehr als Aufzeigen des Überschreitens einer »Personengrenze« im Gespräch. Nun zeigt Frau P. einen Gegenhorizont zu der von ihr verfolgten Strategie auf: das zwingende Vergeben eines Verweises als rechtlich-formale und offizielle Form schulischer Strafmaßnahmen, den sie auf Drängen ihres Vorgesetzten erteilen musste. Frau P. stellt diese Form der Ahndung als bedeutungslos dar, da für sie eine direkte kommunikative Konfliktlösung gefunden werden muss. »Und nen gewisses Maß an Ausprobieren bei den Schülern gestehe ich ihnen schlichtweg zu. (..) Ähm ja, dass sie sich mal im Ton vergreifen oder so. Aber gut, jetzt hier in *(Name der Stadt) ham wir eh nun mal ne Sondersituation. Also mir ham ausgesprochen (.) nette, ausgesprochen höfliche, ausgesprochen freundliche Schüler. (..) Aber also ich hab dieses/ dieses Verhalten auch damals in der Hauptschule bei ner sehr, sehr schwierigen achten Klasse genauso von meiner Seite her gefahren. Die haben mich wahnsinnig (.) gefordert. Da bin ich schier an meine Grenzen gekommen und hab mir echt überlegt, ob i eigentlich alles stecke. (.) Ähm aber schlussendlich ist das Konzept wieder aufgegangen. Also es hat allerdings n dreiviertel Jahr gedauert. (lachen) Aber da war au ne ganz, ganz schwierige Vorgeschichte da. Aber insgesamt denke ich schon: je mehr Respekt man (.) den Schülern entgegenbringt und sie (..) auf ihrem Stand in ihrem So-Sein und achtet und ihnen immer wieder Chancen gibt, ähm desto mehr kommt dann auch von ihrer Seite zurück.« [Z. 127139]

Frau P. toleriert das Austesten der Grenzen und »im Ton vergreifen«, denn in ihren Augen handelt es sich bei Schüler_innen um Heranwachsende, die im Prozess des Erwachsenwerdens sich selbst austesten müssen, um ihre eigenen Grenzen kennenzulernen. Eine solche Austestungsphase wird von Frau P. geduldet, was die »Personengrenzen« nicht nivelliert, aber eine gewisse Breite an noch akzeptablen Verhaltensweisen verdeutlicht. Die folgende Kontrastierung zwischen den dreifach »ausgesprochen« unkomplizierten Schüler_innen des Gymnasiums und den früheren Erfahrungen mit Schüler_innen einer Hauptschule, in der sie aber gleiche »Verhalten gefahren« habe, macht die Stabilität der Orientierungen und die bewusste Gestaltung einer Strategie ebenso deutlich, wie die Anfechtung und Zweifel (»da bin ich schier an meine Grenzen gekommen«) im geschilderten Extremfall. Der Erfolg

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des als Strategie sichtbar werdenden Handelns in diesem schwierigen Fall führt zur generalisierenden Konklusion: »Aber insgesamt denke ich schon: je mehr Respekt man (.) den Schülern entgegenbringt und sie (..) auf ihrem Stand in ihrem So-Sein und achtet und ihnen immer wieder Chancen gibt, ähm desto mehr kommt dann auch von ihrer Seite zurück«. Die Formulierung dieser These in einer je-desto-Struktur stellt das reziproke Verhältnis zwischen der Lehrkraft und ihren Schüler_innen heraus. Frau P. macht deutlich, dass das Verhalten der Schüler_innen ihr gegenüber maßgeblich von ihrem eigenen Umgang mit der Lerngruppe abhängt: Begegnet sie ihren Schüler_innen in ihrer Vorbildfunktion mit Respekt und Toleranz, legt sie damit den Grundstein für ein positives Verhältnis. Die Konzeptualisierung als Vor-Bild, das als Voraus-Setzung für die Gestaltung der Beziehung formuliert wird, verdeutlicht die Übernahme einer Führungsrolle durch die Lehrkraft.

V ERGLEICH

DER BEIDEN I NTERVIEWS

Im Folgenden werden die beiden Fallrekonstruktionen verglichen, um die Orientierungen von Herrn K und Frau P. auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu betrachten und so vor allem kontrastierende Erscheinungen in den jeweiligen Ausdifferenzierungen der Orientierungsmuster zu identifizieren. Sowohl Herr K. als auch Frau P. eröffnen das Interview mit der Proposition eines symmetrischen Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses. Während sich dieser Leitgedanke bei Frau P. verdichtet und als erstes Orientierungsmuster das Konzept einer Partnerschaft zwischen Lehrperson und Schüler_innen erkennen lässt, wird bei Herrn K. allerdings eine Priorisierung der Lehrkraft deutlich, die gegenüber den Schüler_innen die gebende Position im Gefüge von »Geben und Nehmen« einnimmt. Dieser Gegenhorizont zur eingangs proponierten Symmetrie wird vor allem durch Herrn K.s asymmetrisches Verständnis der Aufgabenverteilung ersichtlich. So sieht Herr K. seine Verantwortlichkeit als Führungsrolle nicht nur auf Seiten der Rahmenbedingungen, wie Planung und Zielsetzung des Unterrichts, sondern auch bezüglich des Lernzuwachses seitens der Schüler_innen nimmt er eine tragende Rolle ein. Die Beziehung des Lehrers zu seinen Schüler_innen offenbart sich hier zunächst also als ein funktionales Verhältnis. Das zutage tretende asymmetrische Verhältnis ist vor allem im Rahmen der Wissensvermittlung von Bedeutung. Einhergehend mit dem persönlichen Stellenwert der Lehrperson erweist sich das Wissensgefälle zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen als voraussetzungsvoll zur Vermittlung von Lerninhalten. Herr K. tritt hier konform mit der institutionellen Rolle als Hauptverantwortli-

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cher in Erscheinung, während den Schüler_innen vorranging die Rolle der »Nehmenden« zukommt. Auch Frau P. nimmt auf die Asymmetrie des Wissensstandes als Bedingung für die Vermittlung von Lerninhalten Bezug. Indem sie allerdings auf die Gleichwertigkeit der Erfahrungen der Schüler_innen mit den ihrigen verweist, schränkt sie dieses asymmetrische Verständnis partiell ein. Die Erfahrungen und die differenzierte Wahrnehmung der Schüler_innen ergeben einen erweiterten Erkenntnishorizont zu den Unterrichtsmaterialien und beinhalten sogar einen Lernzuwachs für Frau P. Im Modus einer »Angebotsstruktur« von Informationen und Wissen ihrerseits schreibt sie den Schüler_innen die Rolle aktiver Konstrukteure des eigenen Wissens zu. In diesem »Grundmotor« des Unterrichts konstituiert sich ein Bild leistungsstarker und -williger Schüler_innen. Als für den Lernprozess entscheidend offenbart sich also eine Orientierung Frau P.s an den Sichtweisen ihrer Schüler_innen. Infolge dieses tendenziell symmetrischen Verhältnisses profitieren Schüler_innen und Lehrperson gleichermaßen von der inhaltlichen Auseinandersetzung, wenngleich deren Initiierung in den Zuständigkeitsbereich der Lehrkraft fällt. Dieses Spannungsverhältnis um den zu vermittelnden Lerngegenstand lässt sich als Symmetrieantinomie zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen beschreiben. Dies dokumentiert sich bei Herrn K. vor allem in seiner Differenzierung der Wahrnehmung der Schüler_innen in Abhängigkeit zur Unterrichtsphase: Trotz des Bewusstseins für die Unmöglichkeit der Realisierung einer tatsächlich ebenbürtigen Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung fungiert diese für ihn als Leitfigur für ein positives Arbeitsbündnis. Im Unterricht wird ein symmetrisches Verhältnis hergestellt, indem durch Kommunikation eine Interaktion entsteht, in der Wissen vermittelt wird. Das Handlungsmuster basiert also auf einer konstitutiv asymmetrischen Beziehung, die durch die Schüler_innen-Lehrer_innen-Interaktion dennoch situativ als (tendenziell) symmetrische Beziehung gestaltet wird. In den Beschreibungen Frau P.s wird keine Schülerwahrnehmung dieser Art ersichtlich, stattdessen werden konkrete Haltungen, wie das Ausbleiben von Bloßstellungen und die Auffassung des Lernprozesses als ein gemeinschaftliches Projekt angeführt, die als Versuch gedeutet werden können, im Bewusstsein der antinomischen Spannung interaktiv und situativ ein symmetrisches Arbeitsbündnis zu gestalten. Bei beiden Lehrkräften zeigt sich in diesem Kontext zudem eine implizite Auseinandersetzung mit der Näheantinomie, deren Bewältigung wiederum jeweils unterschiedlich erfolgt. In Abgrenzung zu ihren eigenen Kindern markiert Frau P. zur Herstellung eines positiven Arbeitsbündnisses eine Distanz zu den Schüler_innen, die es ermöglicht, potentiellen »Negativballast« zu umgehen.

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Andererseits wird durch Frau P.s Konzept der »Personengrenze« nicht nur eine Verantwortung der Lehrkraft über die inhaltliche Auseinandersetzung hinaus, sondern auch eine gewisse Nähe zu den Schüler_innen deutlich. Bei Nichteinhaltung dieser Grenzen zieht Frau P. eine kommunikative Konfliktlösung einem rechtlich-formalen Verweis vor, worin der Stellenwert der persönlichen Beziehung zu den Schüler_innen zum Ausdruck kommt. Mit einem fairen Handeln ihrerseits wird zudem vorbildhaft ein Umgang vorgelebt, der die Schüler_innen in ihrem Handeln positiv beeinflussen soll. Dieses Handlungsmuster zeigt eine Orientierung der Lehrkraft an der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen ihr und den Schüler_innen in Form von Kommunikation. In dieser Konzeptualisierung als Vorbildfunktion wird ein reziprokes Lehrer_innen-Schüler_innenVerhältnis ersichtlich, wenn auch die führende Position der Lehrkraft deutlich zutage tritt. Bei Herrn K. erfolgt hingegen die Bearbeitung dieser Näheantinomie – wie auch schon die Gestaltung innerhalb der Symmetrieantinomie – durch eine zweifache Wahrnehmung der Schüler_innen: Einerseits betrachtet er die Schüler_innen in ihrer individuellen, subjektiven Singularität, die beispielsweise auch die biographischen Gegebenheiten umfasst, andererseits sind diese gleichermaßen in ihrer funktionalen Rolle als Schüler_in und damit universell definiert. Der kontinuierliche Balanceakt dieser beiden Sichtweisen auf die Schüler_innen ermöglicht Herrn K. einen Umgang mit der antinomischen Spannung von Nähe und Distanz. Ferner ordnet er seine eigenen emotionalen Belange der Gestaltung des Unterrichts mit den Schüler_innen in der Bedeutung nach. Mit der Distanz zu seinen eigenen Gefühlen grenzt sich Herr K. von seinen Schüler_innen ab und ermöglicht auf diese Weise die Herstellung eines positiven Arbeitsbündnisses. Hier zeigt sich sein professionelles Handeln, das sich auf die Selbstreflexion im Schulalltag gründet. Obgleich auch Herr K. auf den Stellenwert der Kommunikation für ein positives Arbeitsbündnis verweist, erscheint die Bedeutung derselben bei ihm geringer, als dies bei Frau P. der Fall ist. Während Kommunikation und Interaktion bei Frau P. die »Fäden« sind, die die Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler_innen auf der Basis eines reziproken Verhältnisses sichern, stellt die selbstreflektierte Haltung der Lehrkraft gegenüber den Schüler_innen die zentrale Orientierung Herr K.s dar. Die Grundprämisse aller Pädagog_innen und damit auch Lehrer_innen liegt nach ihm neben der institutionellen und organisatorischen Rahmung in der persönlichen Einstellung der Lehrperson gegenüber den Schüler_innen, welche ein hohes Maß an stetiger Selbstreflexion erforderlich macht.

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L ITERATUR Combe, Arno/Helsper, Werner (2002): »Professionalität«, in: Hans-Uwe Otto/Thomas Rauschenbach/Peter Vogel (Hg.), Erziehungswissenschaft: Professionalität und Kompetenz, Opladen: Leske & Budrich, S. 29-48. Helsper, Werner (2002): »Lehrerprofessionalität als antinomische Handlungsstruktur«, in: Margret Kraul/Winfried Marotzki/Cornelia Schweppe (Hg.), Biographie und Profession, Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 64-102. Ders. (2007): »Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne«, in: Heinz-Hermann Krüger (Hg.), Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft. Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich, S. 15-34. Hentig, Hartmut v. (1986): Die Menschen stärken, die Sachen klären: Ein Plädoyer für die Wiederherstellung der Aufklärung, Stuttgart: Reclam. Nohl, Arnd-Michael (2009): Interview und Dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Oevermann, Ulrich (2003): »Brauchen wir heute noch eine gesetzliche Schulpflicht? «, in: Pädagogische Korrespondenz, Heft 30, S. 54-70. Ders. (2008): »Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule«, in: Werner Helsper (Hg.), Pädagogische Professionalität in Organisation. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 55-78. Steffens, Ulrich/Höfer, Dieter (2012): Aufschlussreiche und kontrovers diskutierte Befunde der Hattie-Studie, »Visible Learning«, URL: http://lsa.hessen. de/irj/LSA_Internet?uid=7ce7499b-f5db-f317-9cda-a2b417c0cf46 (18.12.2013).

Die Sicht der Schüler_innen

»Wenn man‫ތ‬s nicht will, dann soll man‫ތ‬s nicht sagen« Respekt und andere reziproke Erwartungsstrukturen bei Schüler_innen M IKE K ÄSTLI

E INLEITUNG Die hier vorgestellten Daten entstammen der Gruppendiskussion, die mit den Schüler_innen von Frau P. geführt wurden. Aus forschungspragmatischen Gründen wurde sie mit allen 30 Schüler_innen einer 6. Klasse eines Gymnasiums durchgeführt. Die Lehrperson war bei der Diskussion nicht anwesend. Bemerkenswert an dieser Gruppendiskussion war, dass sich nach der inhaltlich offenen Fragestellung nach den Erfahrungen der Schüler_innen (wörtlich) »zur Frage wie Schüler und Lehrer im Unterricht miteinander umgehen«, eine Dynamik entwickelte, in der die Schüler_innen viel intensiver von alltäglichen als negativ erlebten und beschriebenen Erfahrungen berichteten als von positiven Eindrücken. Diese Dynamik war umso bemerkenswerter, als die Gruppendiskussion ja kontextualisiert war vom Unterricht einer mit dem Lehrerpreis ausgezeichneten Lehrkraft1. Diese Lehrperson wurde dann auch nicht Gesprächsgegenstand der Gruppendiskussion. Aus einer Reihe von Themen wie »Respekt« oder dem Gefühl des Ernstgenommen-Werdens im Unterricht wird in diesem Beitrag ein schulisches Kernthema aufgegriffen, nämlich die Frage danach, wie Schüler_innen ihre Beziehung zur Lehrperson erleben, wenn im Unterricht gegenseitiger Respekt ausgeübt wird. Als Beziehung wird hier die Gesamtheit intendierter wie transintentio-

 1

Die befragten Schüler_innen standen nicht im Zusammenhang mit Nominierung und Auszeichnung, wussten gleichwohl, dass die Lehrperson ausgezeichnet worden war.

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naler Momente sozialer Interaktion zwischen anwesenden Akteure verstanden, die den Unterricht auch emotional fundiert. An Ausschnitten des Transkripts soll gezeigt werden, welche kollektiven Orientierungsmuster der befragten Schüler_innen sich zu diesem Kernaspekt unterrichtlicher Interaktion in der Gruppendiskussion rekonstruieren lassen. Alle Namen sind dabei anonymisiert.

M ETHODISCHES V ORGEHEN Das Gruppendiskussionsverfahren als Erhebungsinstrument fokussiert im Gegensatz zu qualitativen Interviews keine Einzelmeinungen, sondern Gruppenmeinungen. Man geht davon aus, dass tieferliegende oder »latente« Meinungen erst Kontur gewinnen, wenn Diskussionsteilnehmer_innen in einem Gespräch gegenseitig aufeinander Bezug nehmen, oder anders gesagt: wenn sie sich gezwungen sehen, ihren eigenen Standpunkt zu behaupten und zu bezeichnen. Als Repräsentanten einer Klasse sind sie durch eine gemeinsame Erlebnisschichtung miteinander verbunden und teilen einen »konjunktiven Erfahrungsraum«. Über die dokumentarische Interpretation einer solchen Gruppendiskussion zeigen sich homologe Muster von milieuspezifischen Sinnzuschreibungen und Orientierungen, die sich erst im Zusammenspiel der Einzeläußerungen dokumentieren. So eröffnet die Interpretation einer Gruppendiskussion den Zugang zu den »kollektiven Orientierungsmustern« einer Gruppe. Welche kollektiven oder milieuspezifischen Gemeinsamkeiten der Erlebnisschichtung durch den Diskurs zum Ausdruck kommen, ist dabei vom Einzelfall abhängig (vgl. Bohnsack 2010: 372 ff.). Der Diskursverlauf – und damit das Hervorbringen geteilter Orientierungen – geschieht selbstläufig und sollte von den Interviewer_innen so wenig wie möglich beeinflusst werden. Dieser Verlauf war bei den hier vorgestellten Daten eindeutig festzustellen. Die dokumentarische Methode ist ein Verfahren der rekonstruktiven Sozialforschung, welches dem Anspruch nach einen Zugang zum handlungsleitenden Wissen der Akteure und somit zu ihrer Handlungspraxis eröffnet. Die Rekonstruktion der Handlungspraxis offenbart das dieser Praxis zugrundeliegende habitualisierte und zum Teil auch inkorporierte Orientierungswissen, welches das Handeln der Akteure relativ unabhängig vom subjektiv gemeinten Sinn strukturiert (vgl. Bohnsack/Marotzki/Meuser 2003: 40). Handlungsleitendes Wissen ist dabei vom theoretischen Wissen der Akteure zu unterscheiden. Ersteres ist »atheoretisch«, weil die Akteure in ihrer Handlungspraxis darüber verfügen, ohne dass sie es alltagstheoretisch auf den Punkt bringen und explizieren müssten.

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»Atheoretisches Wissen« verbindet Menschen eines gleichen Milieus, da es auf einer gleichartigen Handlungspraxis und Erfahrung beruht. Deshalb spricht man auch von den »konjunktiven Erfahrungen«, die man mit anderen Menschen teilt (vgl. Nohl 2013: 4). »Die dokumentarische Methode ist darauf gerichtet, einen Zugang zum konjunktiven Wissen als dem je milieuspezifischen Orientierungswissen zu erschließen« (Bohnsack/Marotzki/Meuser 2003: 43). Die Passagen, die Gegenstand der hier vorliegenden Analyse sind, wurden im Sinne eines diskursanalytischen Vorgehens nach formalen und thematischen Gesichtspunkten ausgewählt (vgl. Przyborski 2004: 52 f.). Bei der Auswahl nach formalen Gesichtspunkten wurden Passagen identifiziert, die »Fokussierungsmetaphern« aufwiesen und sich durch eine hohe interaktive und metaphorische Dichte (hohe Intensität in Gesprächen und Interaktionen, Wechsel zwischen argumentativem und erzählendem Stil, besonders lange Behandlung eines Themas) auszeichneten. Diese Indikatoren weisen darauf hin, dass sich die Gruppe auf Zentren des gemeinsamen Erlebens eingependelt hat und damit zum Kern konjunktiver Erfahrungen vorgedrungen ist. Im zweiten Schritt wurden für diesen Beitrag nur jene Passagen ausgewählt, in denen die Schüler_innen von Erfahrungen im Unterricht berichten und im Besonderen Fragen des Ernstnehmens und gegenseitigen Respekts thematisieren. Den nächsten Arbeitsschritt bildete die formulierende Interpretation. In der zusammenfassenden Reformulierung des immanenten, generalisierenden, sozusagen allgemein verständlichen Sinngehalts wird der Inhalt möglichst knapp in einer allgemein verständlichen Sprache wiedergegeben, um so die thematische Struktur des Textes, die sich meist unmittelbar erschließt, nachzuzeichnen. Mit der daran anschließenden reflektierenden Interpretation erfolgt die Herausarbeitung des dokumentarischen Sinngehalts beziehungsweise des Dokumentsinns. Ziel ist die Rekonstruktion von Orientierungen und Habitus der Befragten (vgl. ebd.: 53 ff.). Die systematisch folgenden Schritte der sinn- und soziogenetischen Typenbildung als Vergleich der Orientierungen zwischen unterschiedlichen Gruppendiskussionen sind nicht Gegenstand dieses Beitrags. In diesem Beitrag ist die reflektierende Interpretation des folgenden Transkripts zusammenfassend ausgeführt, um das Vorgehen und die Gewinnung der Ergebnisse zu plausibilisieren.

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R EKONSTRUKTION DER AUSSCHNITTE DER G RUPPENDISKUSSION Im Folgenden werden zunächst die Ausschnitte des Transkripts vorgestellt und dann jeweils interpretiert. »Iw: Also ihr habt ja davon gesprochen, dass ihr gerne hättet, dass Schüler Respekt vor den Lehrern haben, aber dass die Lehrer auch Respekt vor euch haben. Könnt ihr dazu noch ein bisschen was sagen? Und habt ihr vielleicht ein Beispiel dazu? Vielleicht auch heute aus dem Unterricht, wo wir dabei waren. (.) Erzählt/ es muss jetzt nicht nicht aus dem Unterricht heute sein. Eure Erfahrungen, wenn ihr 'n Beispiel für heute habt oder generell 'n Beispiel. Also redet dann wieder so untereinander. « [00:24:30-8_00:24:40-8]

Die Interviewerin (Iw) greift im Sinne einer immanenten Nachfrage einen Begriff auf, den die Diskutanten bereits in einem vorherigen Diskussionsabschnitt gebraucht haben, um das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schüler_innen genauer zu klären: Respekt. Die Schüler_innen sprachen in diesem hier nicht aufgeführten Abschnitt von dem Wunsch, dass Schüler_innen und Lehrpersonen sich Respekt entgegenbringen sollten. Die Interviewerin fordert die Schüler_innen dazu auf, sich zum Thema Respekt genauer zu äußern und ihre Ausführungen mit Beispielen vom heutigen Tag oder vergangenen Zeiten zu belegen. Die Aufforderung zielt dabei weniger auf eine Erklärung der kausalen Zusammenhänge der Respektbeziehung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen als auf die Erzählung von »Erfahrungen« ab. Die Schüler_innen sollen also von Situationen berichten, aus denen hervorgeht, warum der Wunsch nach gegenseitigem Respekt ein zentrales Thema im Erfahrungsraum der Gruppe darstellt. So wird keine Proposition vorgegeben, aber dennoch das Thema initiiert. Die Themeninitiierung der Interviewerin endet mit der Aufforderung an die Schüler, die Diskussion erneut selbst zu organisieren, um so das selbstläufige Hervorbringen homologer Erfahrungen zu unterstützen. »Steven: Berthold? Berthold: Äh ja, also wenn man meinetwegen andere Lehrer grüßt, also ich/ das ist mir bis jetzt nur zwei Mal oder ein Mal passiert. Da habe ich ihn gegrüßt und da/ oder also n anderer guckt einen so an, als hätte man was verbrochen. Oder der //andere (unv.) sagen, sondern// Schülerin: //Ja gell?// Berthold: rennt einfach weiter, als hätt keiner was gesagt. « [00:24:40-8_00:24:59-0]

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Steven übernimmt die Moderation der Beiträge, was als Indikator für die Selbstläufigkeit der Gruppendiskussion gelten kann und erteilt Berthold das Wort. Dieser beginnt seinen Wortbeitrag mit »Äh ja, also wenn man meinetwegen einen Lehrer grüßt«. Der holprige Beginn seiner Äußerung macht den Eindruck, als wäre der Schüler mit der Fülle an präsenten und passenden Beispielen im Zusammenhang mit dem Thema »gegenseitiger Respekt in Schule und Unterricht« überfordert. Das »Äh« zeigt, dass er zu einem genaueren Nachdenken über ein passendes Beispiel gezwungen ist, um dann mit »meinetwegen« eine für ihn mehr oder weniger zufriedenstellende Auswahl zu treffen. Er wählt dabei das Beispiel einer Begrüßungssituation, die ihm nach eigener Aussage »nur zwei Mal oder ein Mal passiert« ist. Schon zu Beginn seiner Ausführung relativiert der Schüler den Allgemeingültigkeitsanspruch seines Erlebnisses und rahmt es als singulär auftretend und individuell. Dies lässt zwei Deutungen zu: zum einen, dass sich der Schüler nicht sicher über die Ausgewogenheit seiner Erfahrung ist, da die darin enthaltene Orientierung noch nicht von anderen Diskussionsteilnehmern durch wechselseitige Bezugnahme in den Erfahrungsraum der Gruppe eingeordnet wurde, zum anderen ein grundsätzliches Bemühen um eine Ausgewogenheit der Darstellung, die der Annahme entgegensteht, dass die Schüler_innen die Situation nutzen würden, um undifferenziert über ihre Lehrer_innen zu schimpfen oder zu »lästern«. Trotz dieser Differenzierungsbemühungen zeigt sich in der Formulierung »und da habe ich ihn gegrüsst und da/oder also n anderer guckt einen so an«, dass hier zumindest zwei analoge Erlebnisse gemeinsam verhandelt werden. Die Reaktion der Lehrperson auf seine Begrüßung beschreibt Berthold als nonverbal-mimische Zurückweisung. Der Gruß, der hier als übliches und beiläufiges Element schulischer Interaktion zwischen den Unterrichtsstunden sichtbar wird, erfährt eine erwartungswidrige Reaktion. Die Erwartung, dieser Gruß würde erwidert, wird zunächst nicht erfüllt, die Wahrnehmung, dass der Lehrer ihn nach der Begrüßung anblickte »als hätte man was verbrochen«, enthält aber eine Botschaft, die deutlich über die Nichtbeachtung hinausgeht. In der Metaphorik des »Verbrechens« erlebt der Schüler in der Reaktion der Lehrperson den Vorwurf, gegen die schulische Ordnung verstoßen zu haben, was deshalb so erwartungswidrig ist, weil der Gruß als Ausdruck der Wahrnehmung und höflicher Anerkennung des Gegenübers zugleich als Ausdruck gelungener Erziehungsbemühungen interpretiert werden kann. Dass gerade Protagonisten der für diesen Bereich auch zuständigen Institution Schule dies nicht anerkennen, sondern nonverbal negativ sanktionieren, führt beim Schüler zur Irritation.

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Die erste an dieser Stelle sichtbar werdende Orientierung des Schülers, die sich innerhalb der Proposition dokumentiert, ist die einer Reziprozitätserwartung, die an dieser Stelle jedoch nicht erfüllt wird. Eine nicht näher identifizierbare Diskussionsteilnehmerin bestätigt an dieser Stelle die Richtigkeit der Orientierung mit der Unterbrechung »Ja gell?«. Sie nimmt dabei Bezug auf Bertholds Beschreibung, nach der in der Mimik der Lehrerperson der Vorwurf der Täterschaft durch einen Ordnungsverstoß mitschwingt. Sie validiert damit die Orientierung, dass Schüler_innen ihren Teil einer reziproken Erwartungsstruktur erfüllen, manche Lehrpersonen diese aber ihrerseits nicht erfüllen, und fragt mit »gell?« nach Bestätigung im Kreis der Mitschüler_innen. Berthold setzt seine Proposition nach diesem bestätigenden Einwurf fort. Die Formulierung stellt sich dabei ähnlich dar: Die Lehrperson »rennt einfach weiter, als hätt keiner was gesagt«. Auch wenn die Drastik der vorherigen Aussage fehlt, zeigt sich erneut die Erwartung des Schülers, dass ein Gruß erwidert wird sowie die Wahrnehmung der Missachtung derselben. »Steven: Mika? Mika: Ja ich hab auch immer die/ ähm jemanden gegrüßt, ne Lehrerin. Und die hat mich so angeguckt als (.) ähm hätte ich jetzt irgendwie ähm was kaputt gemacht oder die geschlagen. Steven: (..) Ähm Ida? Ida: Irgendwie denken die dann immer, dass wir was von denen wollen oder so. Wenn wir Hallo sagen einfach nur, dann sagen die ähm überhaupt nichts und so. ?« [00:25:001_00:25:18-8]

Mika berichtet unter Bezugnahme auf Bertholds Proposition von einer identisch gelagerten Erfahrung. Ein bemerkenswertes Detail ist dabei, dass er die im ersten Anlauf sich andeutende Namensnennung vermeidet. Ob dies aus Unsicherheit über die in der Einführung der Gruppendiskussion zugesicherte Anonymisierung geschieht, oder Ausdruck dessen ist, dass hier »keine schmutzige Wäsche gewaschen werden soll«, ist nicht abschließend zu entscheiden. Inhaltlich geht Mika erneut auf den Aspekt der nonverbal-mimischen Lehrer-Reaktion ein und unterstreicht den empfunden Vorwurf der Täterschaft eines Regelverstoßes (»als (.) ähm hätte man was kaputt gemacht«). Er fasst den Erfahrungshorizont dabei noch etwas weiter als Berthold, indem er betont, dass sich Lehrpersonen scheinbar auch persönlich durch die Begrüßung angegriffen fühlen (»oder die geschlagen«). Es wird deutlich, dass die Orientierung bereits in Bertholds Proposition treffend herausgearbeitet wurde und hier innerhalb einer Elaboration durch die Formulierung einer identischen Erfahrung lediglich nochmals hervorgehoben

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werden muss. Somit erfüllt die Elaboration auch die Funktion einer Validierung der Orientierung. Die Orientierung wird als Produktionsregel deutlicher. Die erwartungswidrige Erfahrung der Missachtung oder sogar strafende Blicke durch Lehrpersonen als Reaktion auf die Regeln der Höflichkeit konformes Schülerhandeln tritt nun als geteilte Orientierung im kollektiven Erfahrungsraum des Klassenverbandes hervor. Ida formuliert als nun dritte Diskussionsteilnehmerin die anfangs von Berthold entworfene Proposition in homologer Weise erneut, die Orientierung wird also wiederholt bekräftigt (»Wenn wir Hallo sagen, dann sagen die ähm überhaupt nichts oder so«). Innerhalb der Wiederholung stellt sie allerdings zusätzlich Überlegungen zu den Gründen für die als Missachtung erlebten Reaktionen der Lehrpersonen an: »Irgendwie denken die dann immer, dass wir was von denen wollen oder so« Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, ist sie doch Ausdruck einer doppelten Zuschreibung: Ida vermutet hinter der merkwürdigen Reaktion der Lehrpersonen die Unterstellung, »dass wir was von denen wollen«. Die Missbilligungs- und Missachtungserfahrung wird hier damit erklärt, dass die Lehrpersonen hinter dem einfachen Gruß (»Hallo sagen einfach nur«) weitere Motive vermuten, weshalb sie ablehnend reagieren. Die Aussage der Schülerin bringt eine zentrale Schwierigkeit in der Beziehungsgestaltung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen zum Ausdruck, nämlich die durch den Zwangscharakter der Institution Schule konstitutiv angelegte Unentscheidbarkeit, ob Freundlichkeit und Höflichkeit seitens der Schüler_innen aufrichtig oder vor dem Hintergrund strategischer Motive erfolgen. Der oder die »Schleimer_in« als strategisch-opportunistische Figur in hierarchisch untergeordneter Position ist die verbreitete Begrifflichkeit im Kontext Schule, die für alle Beteiligten dilemmatische Situationen erzeugt und bei Schüler_innen wie Lehrer_innen zu Formen der Situationsbewältigung führen können, die für die jeweils anderen zu Irritationen führen und als Ablehnung oder Missachtung erlebt werden können (vgl. auch den Beitrag von Krämer/Krieg/Schuler in diesem Band). Lehrpersonen ihrerseits können aufgrund der Intransparenz der psychischen Systeme ihrer Schüler_innen (vgl. Luhmann 1986) nicht wissen, ob sich hinter der Freundlichkeit von Schüler_innen nicht Motive verbergen, die auf einen individuellen Vorteil abzielen. Die konkrete Situationsbewältigung, wie sie von den Schüler_innen am Beispiel des Grußes berichtet wird, derartige Interaktionen zu vermeiden, führt bei den »betroffenen« Schüler_innen zu Missachtungserfahrungen. Das vorliegende Material verdeutlicht eindrücklich, wie das Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Schüler_innen durch den Zwangscharakter der

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Institution Schule in Frage gestellt wird und welche Auswirkungen die Schüler_innen dadurch erleben. Auch Idas Aussage beinhaltet durch ihre erneute und explizite Darlegung des gemeinsamen Orientierungsrahmens eine Validierung der kollektiven Orientierung. Thema und Orientierung erscheinen damit als hinreichend durch verschiedene Gruppenmitglieder bestätigt und elaboriert. Aufgrund des parallelen Diskursschemas, in dem für die Diskutanten kein Anlass zur Formulierung eines oppositionellen Orientierungsrahmens bestand, besteht wenig Zweifel daran, dass die Orientierung innerhalb des homologen Erfahrungsraums der Gruppe geteilt wird. Die Orientierung wurde damit zu einem Abschluss gebracht, weshalb man von einer Konklusion sprechen kann. »Martha: Also ich find auch manchmal, wenn man zum Beispiel die Hausaufgabe jetzt mal nicht hat, weil (.) keine Ahnung, weil man zum Beispiel keine Zeit hatte, weil/ keine Ahnung, die Mutter hat ein Kind gekriegt oder man (unv.) oder was weiß ich was. Äh und äh dann sagt/ dann dann äh stellt die ei/ dann stellt sie/ dann wird man vor der Klasse irgendwie so bloß gestellt. So »ja du hast schon total viele Striche, du musst dich mehr //anstrengen. Ja da kann ich doch nichts für.// Elisa: //Das kann man nicht vor der Klasse sagen?// Martha: Dann muss/ musst du einfach mehr Zeit einbauen. (.) Ja mir doch egal, ob deine Mutter n Kind gekriegt hat. Schüler: //Ja und selber (unv.)// Elisa: //Du muss/ muss/ musst halt mehr Zeit einbauen.// Ist ja nicht meine Schuld.« [00:27:26-2_00:27:59-0]

Martha formuliert mit der Thematik der Hausaufgaben eine neue Proposition. Die Formulierung »wenn man zum Beispiel die Hausaufgabe jetzt mal nicht hat«, konstituiert sprachlich eine Ausnahmesituation, die den Sinn der Hausaufgaben nicht in Frage stellt und die Anfertigung derselben als Regelfall impliziert. Es folgen verschiedene Gründe, die zu deren Nichterledigung führen können: »weil man zum Beispiel keine Zeit hatte, weil/ keine Ahnung, die Mutter ein Kind gekriegt hat oder man (unv.) oder was weiß ich was«. Sie entwirft hier eine Orientierung, in der die Schüler_innen durch private Vorfälle keine Zeit zur Anfertigung der an sie gestellten Aufgaben haben. Das einzige konkrete Beispiel mit der Geburt eines Kindes stellt einen in mehrfacher Beziehung besonders tiefgreifenden Einschnitt in die Alltagsplanung der Schülerin dar. Die letztgenannte Formulierung »oder was weiß ich was« drückt aus, dass es eine Vielzahl verschiedenster Faktoren gibt, die der Beschäftigung mit Hausaufgaben im Wege stehen können.

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Die Reaktion der Lehrpersonen auf die begründbare Nichtanfertigung der Schulaufgaben wird von Martha so erlebt, dass sie »vor der Klasse irgendwie bloßgestellt« wird. Sie gibt sinngemäß eine Lehreräußerung wieder »ja, du hast schon total viele Striche, du musst dich mehr // anstrengen.« Mehrere Aspekte sind an diesen Aussagen einer vertiefenden Analyse wert: 1. Der beachtliche sprachliche »Anlauf«, den Martha bis zur Aussage der Bloß-

stellung nimmt, verweist auf intensive sprachliche Elaborierungsbemühungen. Der erste Anlauf der Wiedergabe einer Aussage »dann sagt« wird zur Interpretation transformiert, die das Konzept der Bloßstellung schon enthält. Die aktivische Konstruktion, nach der »die«, dann »sie« den Hinweis auf eine konkrete Lehrerin enthält, wird abschließend zur Passivkonstruktion, in der »man bloßgestellt wird«. Diese syntaktische Variation erweist sich auch als semantisch bedeutsam, weil die Schülerin sich hier als passiv, und damit fast ausgeliefert konstituiert. 2. Die Dokumentation und Verwaltung von Verstößen gegen die Ordnung des Unterrichts wird mit dem Konzept der »Striche« sichtbar. Hausaufgaben sind aus dieser Perspektive Teil der Schülerpflichten, die aus der Schulpflicht erwachsen. Es geht ausschließlich darum, dass man seine Hausaufgaben »hat«, dass sie erledigt sind, und dass man sie bei einer Kontrolle zeigen kann. Der inhaltliche Sinn der Hausaufgaben kommt in dieser Organisationslogik gar nicht in den Blick. Die Unterschiedlichkeit der Sichtweisen zwischen Lehrperson und Schülerin wird auch in der Differenz sichtbar, dass erstere mit »total viele Striche« zitiert wird, während letztere die Hausaufgaben »jetzt mal nicht hat«. 3. Die Figur der Bloßstellung entsteht durch die Öffentlichkeit, die jede Aussage im Klassenverband erfährt. Hier beschreibt Martha explizit, dass sie sich durch die öffentliche Bekanntgabe ihrer Verfehlungen bloßgestellt fühlte. Elisa verweist mit dem Einwurf, der zugleich Aussage und Frage ist und damit semantisch nicht eindeutig bestimmbar, möglicherweise auf die Möglichkeit eine solche Aussage auch außerhalb des Klassenverbandes im Einzelgespräch zu formulieren. Mit der Äußerung »Ja, da kann ich doch nichts für« rahmt Martha die Einstellung der Lehrperson gegenüber den besonderen außerschulischen Lebensumständen als ignorant. Die Erklärungsversuche für die Nichtanfertigung der Hausaufgaben erfahren in ihren Augen keine Berücksichtigung, stattdessen erlebt sie die Unterstellung einer mangelnden Anstrengungsbereitschaft. Die Orientierung verdichtet sich auch in den beiden kommenden Aussagen die fast identisch von

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Martha und Elisa formuliert werden. Die Aufforderung »einfach mehr Zeit einzubauen« und der Eindruck, dass der Umstand der Geburt eines Geschwisterteils schlicht »egal« zu sein scheint, führt bei beiden Schülerinnen einvernehmlich zu einer Missachtungserfahrung. Die Unterstellung schlechter Zeitplanung erlebt die Schülerin als kränkend. Insgesamt wird im vorstehenden Abschnitt folgender Orientierungsgehalt aufgeworfen: Die Schülerin rahmt die Welten des schulischen und privaten in einem Spannungsverhältnis, in dem private Herausforderungen der Erledigung schulischer Aufgaben im Wege stehen. Das Beharren der Lehrperson auf der Einhaltung der Anforderungen und auf den jeweiligen Konsequenzen bei Nichteinhaltung wird als Missachtung und Kränkung erlebt. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Einwurf eines in der Ton- und Videoaufzeichnung nicht auszumachenden Schülers, der mit »Ja« zunächst die Darstellung der Nichtberücksichtigung der privaten Lebensumstände der Schüler_innen unterstützt Anschließend unternimmt er mit »und selber« den Versuch die Orientierung zu elaborieren, wobei er allerdings unterbrochen wird. Trotzdem lassen sich schon aus dem Ansatz der Elaboration Rückschlüsse ziehen. An einer früheren Stelle der Diskussion, die in diesem Beitrag nicht aufgeführt ist, haben die Schüler_innen bereits ihre Probleme damit geäußert, dass Lehrpersonen häufig hohe Ansprüche an die zeitnahe Erledigung von Aufgaben an die Schüler_innen legen, selbst allerdings ihre eigenen Pflichten (z.B. bei der Korrektur von Klassenarbeiten) schleifen lassen. »[U]nd selber« bezieht sich hier in der gleichen Weise auf die Wahrnehmung, dass das Phänomen der Nichterfüllung der rollenförmigen Pflichten nicht auf Schüler_innen beschränkt ist. Auch hier rahmt der Schüler Gegenseitigkeit als immanenten Teil seiner Normalitätsvorstellung, dem das Handeln der Lehrpersonen allerdings nicht immer entspricht. Während die Schüler_innen dazu angehalten werden, bei ausstehenden Leistungsrückmeldungen Verständnis für die beruflich und privat stark belasteten Lehrpersonen aufzubringen, zeigen die Lehrpersonen kein Verständnis für die Umstände, die bei den Schüler_innen einer zeitnahen Erfüllung der schulischen Aufgaben im Wege stehen. Dadurch, dass die Reziprozität in den Augen des Schülers von einigen Lehrpersonen nicht eingelöst wird, es also keine Gegenseitigkeit in der Einhaltung der jeweiligen Rollenerwartung gibt, wird dieses Konzept hier erst thematisch. Der Orientierungsrahmen tritt durch die Betonung der einseitig verlangten beziehungsweise einseitig ausgeübten Berücksichtigung privater Belastung deutlicher hervor, weshalb wir hier von einer Elaboration der Proposition sprechen. Inhalt und Orientierungsgehalt werden durch Elisa durch eine fast identische Wiederholung der bereits zuvor geäußerten Lehrerreaktionen bestätigt (»Du

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muss/ muss/ musst halt mehr Zeit einbauen. Ist ja nicht meine Schuld«). Es wird deutlich, dass die geschilderten Erfahrungen auf eine geteilte Orientierung im kollektiven Erfahrungsraum der Gruppe hinweisen. Die Nichtberücksichtigung der außerschulischen Lebensumstände tritt als dominierende Dimension für das Empfinden von Bloßstellung und Kränkung hervor. Die Orientierung wird damit in ihrem Kern bestätigt und zu einem Abschluss gebracht. Auch die kommende Sequenz stellt eine Wiederaufnahme des Themas »gegenseitiger Respekt in Schule und Unterricht« dar: »Steven: (...) Dorothea? Dorothea: Äh (..) ahja. Ähm bei bei der/ bei Reli ähm da haben Michelle und ich auch irgendwie gesagt, dass wir unsere Noten nicht wissen wollen, gell? Anna: Ja. Elisa: Oh, ja. Dorothea: Und ja, dann haben //wir die ganze Zeit bestimmt zehn Mal// Elisa: //und die hats einfach ignoriert.// Dorothea: rein geschrien »bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht.« Also es war jetzt nicht, dass es ne GANZ schlimme Note war, aber WENN dann wäres //halt// Anna: //Diese (unv.)// »stop, stop« Dorothea: »Stop, stop, stop, stop, stop« Schülerin: Ja. « [00:28:00-7_00:28:33-5]

Dorothea erzählt einen Vorfall aus dem Fach Religion im Zusammenhang mit der Bekanntgabe von Noten. Sie berichtet davon, dass sie und ihre Mitschülerin Anna der Lehrkraft für das Fach Religion mitgeteilt hätten, ihre Noten nicht wissen zu wollen. Nach dieser Schilderung der Ausgangssituation unterbricht sie ihre Proposition mit Fragepartikel »gell?«, um sich der Zustimmung zu ihrer bisherigen Ausführung durch ihre Mitschüler_innen und vor allem durch Anna zu vergewissern. Sie fordert also eine Validierung der Darstellung des Inhaltes. Allerdings kann man die Versicherungsfrage auch schon als Aufforderung zur Validierung des Orientierungsgehaltes interpretieren, da sie ihre Frage explizit an jene Mitschüler_innen richtet, die dieselbe Situation miterlebt haben und damit auch die gleiche Erfahrung und Orientierung teilen könnten. Anna kommt der Aufforderung nach und bestätigt mit »Ja« die Darstellung des Inhalts als zutreffend und richtig. Ob sie auch bereits den sich anbahnenden Orientierungsgehalt bestätigt, kann allein am Antwortpartikel »Ja« nicht geklärt werden. Die daran direkt anschließende Validierung durch Elisa verhält sich dabei schon anders. Hier wird durch »Oh, ja« ebenfalls die Richtigkeit der Darstellung des Inhalts betont, die Interjektion »Oh« bezieht sie jedoch auf den sich

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konstituierenden Orientierungsgehalt, der bereits in der unvollendeten Proposition mitschwang. »Oh« macht deutlich, dass die Darstellung der Situation bei Elisa etwas ins Gedächtnis ruft, das einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat und mit negativen Gefühlen besetzt ist. Die sich anbahnende Schilderung einer negativen Erfahrung im Zusammenhang mit der Bekanntgabe von Noten durch Dorothea wird von ihr ebenfalls als negativ empfunden. Damit bestätigt sie vorausahnend die Orientierung. Dorothea setzt die Formulierung der Proposition nach der geforderten Validierung ihrer Darstellung fort. Sie berichtet davon, dass die Lehrperson durch die Schüler_innen mehrmalig und deutlich darum gebeten wurde, die Note nicht laut vor der gesamten Klasse zu äußern (»die ganze Zeit«, »bestimmt zehn Mal rein geschrien«). Elisa schaltet sich in die Formulierung der Proposition ein und berichtet von der Reaktion der Lehrperson auf den Wunsch der Schülerinnen: »und die hats einfach ignoriert«. Auch das Handeln dieser Lehrerin wird somit als missachtend und ignorant erlebt. Obwohl die Bitte nach einer nichtöffentlichen Leistungsrückmeldung deutlich gemacht wurde, ignorierte die Lehrerin diese. Dass der Wunsch deutlich formuliert wurde, wird durch die Beschreibung des flehentlichen Bittens durch Dorothea nochmals betont (»bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht«). Weiter beschreibt sie damit eine Lehrperson, die sich trotz eindeutiger Hinweise bewusst gegen den Willen der Lernenden entschieden haben muss. Anschließend fährt Dorothea mit der Formulierung der Proposition durch die Schilderung ihrer Erfahrung fort. Sie gibt an, dass es sich bei der mitgeteilten Note um keine »GANZ schlimme Note« handelte, wobei sie »GANZ« betont. Hierbei wird deutlich, dass nicht die mitgeteilte Note das eigentliche Problem darstellt, sondern die Missachtungserfahrung, da ihr Wunsch nach einer privaten Mitteilung der Note, deren öffentliche Bekanntgabe offensichtlich mit Angst besetzt war, nicht beachtet wurde (»aber WENN dann wärs halt«). Der entworfene Orientierungsgehalt bezieht sich hier erneut auf das Handeln der Lehrperson, das als missachtend und ignorant von den Schüler_innen beschrieben wird. Die Lehrerin wird als eine Person gerahmt, die trotz besseren Wissens die Wünsche und Ängste der Schüler_innen in Bezug auf Leistungsrückmeldungen nicht berücksichtigt. Anna nimmt im Anschluss an Dorotheas Proposition zunächst wertend Bezug auf die Lehrerin aus dem obigen Beispiel. Mit der Formulierung »Diese (unv.)« unternimmt sie wahrscheinlich den Versuch, die Lehrperson mit einer Beleidigung zu belegen. Die an dieser Stelle festzustellende Unverständlichkeit wird dabei nicht durch das Tondokument hervorgerufen, sondern ist bewusst Teil ihrer Äußerung. Sie äußert die Beleidigung letztendlich nicht verständlich,

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da sie wahrscheinlich im Rahmen der Video- und Tonaufzeichnung und unter Aufsicht der Interviewerin nicht in jener Form offen sprechen möchte, wie sie es vermutlich in ihrer Peergroup täte. Trotzdem wird deutlich, wie emotionsbesetzt das Thema und die geschilderte Situation für sie ist. Die bewusste Nichtberücksichtigung des Wunsches nach einer nicht-öffentlichen Leistungsrückmeldung löst massiv negative Gefühle bei der Schülerin aus. Sie empfindet die Bekanntgabe der Note als verletzend, missachtend und im weitesten Sinne wohl auch respektlos und hegt dadurch selbst den Wunsch, sich gegenüber der Lehrperson ebenfalls respektlos zu verhalten. Anschließend beschreibt sie, wie bereits Dorothea zuvor, dass die Aufforderung an die Lehrperson mehrmals und deutlich erfolgte (»stop, stop«) und validiert damit auch die Bewusstheitsdimension der Orientierung. Es besteht wenig Zweifel daran, dass die Schüler_innen das Handeln der Lehrperson als bewusste Form der Missachtung innerhalb des Themenbereichs »Respekt in Schule und Unterricht« rahmen. Dorothea, die die Proposition eingangs formuliert hatte, übernimmt die Rhetorik aus der Validierung von Anna und äußert ebenfalls »Stop, stop, stop, stop, stop«. Sie unterstreicht also nochmals die Deutlichkeit, mit der die Bitte nach der nicht-öffentlichen Bekanntgabe der Note hervorgebracht wurde. Dadurch, dass sie hier direkt Bezug auf die Validierung von Anna nimmt, kann diese Äußerung als Bestätigung der Validierung interpretiert werden. Abschließend bestätigt noch eine aufgrund der Ungenauigkeiten des Videodokuments nicht genauer identifizierbare Schülerin mit »Ja« die Richtigkeit der Darstellung von Inhalt und Orientierungsgehalt. Dorothea bleibt auch in der nächsten Sequenz thematisch und inhaltlich bei der kollektiv entworfenen Orientierung und elaboriert diese: »Dorothea: »Drei, drei«. Und so. Und wir so/ wir haben davor schon rum geschrien, »wir wollens nicht« und so. Und dann (unv.) oha es war so schlimm, es ist nicht normal. Auch wenn‘s jetzt ne Eins wär irgendwie. Wenn man das nicht will, dann //soll mans// Schülerin: //Ja.// Dorothea: nicht sage« [00:28:21-6_00:28:34-0]

Die Schülerin stellt zunächst erneut heraus, mit welcher Deutlichkeit der Wunsch nach der nicht-öffentlichen Rückmeldung der Note an die Lehrperson herangetragen wurde: »wir haben davor schon rumgeschrien, wir wollens nicht und so«. Mit der Drastik, die in dem umgangssprachlichen Begriff des »Rumschreiens« zum Ausdruck kommt, rahmt sie den Zustand der Gruppe als hoch emotional. Der Umstand, dass sich die Lehrerin trotzdem für die Bekanntgabe entschloss, scheint ihr immer noch Bauchschmerzen zu bereiten. Sie beschreibt

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ihren damaligen Gefühlszustand als »so schlimm« und bezeichnet das Handeln der Lehrperson als »nicht normal«. Auch hier kollidiert das Lehrerhandeln mit der Normalitätsvorstellung einer Schülerin, was an dieser Stelle auch sprachlich explizit wird. Es ist für sie kein »normales« Verhalten, dem Wunsch anderer Personen, die sich sichtbar vor einem gewissen Ereignis fürchten, in solch grober Form zuwiderzuhandeln. Die hier erlebte bewusste Missachtung der Gefühle und Wünsche einer anderen Person lehnt sie ab. Nach dieser Darlegung der Bedeutung der missachtenden Lehrerhandlung geht Dorothea zur Entwicklung eines positiven Gegenhorizontes über. Mit »Auch wenn‘s ne Eins gewesen wäre irgendwie« macht sie erneut deutlich, was für sie das eigentliche Problem darstellt: Die verletzende Dimension der Handlung liegt nicht primär darin, dass eine schlechte Note geäußert wird, sie liegt vielmehr in der bewussten Zuwiderhandlung gegen den vorgetragenen Wunsch der Schüler_innen. Was dagegen ein »normales« Handeln darstellt, wird von der Schülerin wie folgt beschrieben: »Wenn man das nicht will, dann soll mans nicht sagen«. Hier erscheint nun ein positiver Horizont, der in Opposition zu der bisher vorgetragenen Orientierung steht. Darin stellt sich das Handeln von Lehrpersonen so dar, dass den Wünschen der Schüler_innen schlicht entsprochen wird. Sie rahmt damit Achtung und Respekt vor der Gefühlslage der Schüler_innen als entscheidendes Kriterium für korrektes Lehrerhandeln, auch wenn dafür mit einer verbreiteten Praxis im Schulalltag (wie dem öffentlich Bekanntgegeben von Prüfungsleistungen) gebrochen werden muss. In der Formulierung des positiven Gegenhorizonts entwirft sie eine wünschenswerte Form des gegenseitigen Umgangs, der sich innerhalb ihrer Normalitätsvorstellungen bewegt. Zusammenfassend: Dorothea schließt an die kollektiv entworfene Orientierung aus der Proposition an, ergänzt und bekräftigt diese, um im Anschluss die Orientierung durch die Formulierung eines positiven Gegenhorizontes genauer zu fassen. Eine im Video- und Tondokument nicht genau zu identifizierende Schülerin bestätigt mit »Ja« die Orientierung an jener Stelle, an der Dorothea den positiven Gegenhorizont formuliert. Damit validiert sie den Orientierungsrahmen umfassend und wertet die Elaboration insgesamt als gültig. Es zeigt sich, dass die bewusste Zuwiderhandlung gegen klar kommunizierte Wünsche der Schüler_innen als eine Form der Missachtung und Respektlosigkeit erlebt wird und eine kollektive Orientierung im geteilten Erfahrungsraum der Gruppe darstellt. Die Orientierung ist damit hinreichend bearbeitet und wird an dieser Stelle beendet.

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Z USAMMENFASSUNG UND R AHMUNG Die Interpretation der Diskussionssequenzen führte zu einigen bemerkenswerten Befunden, die an dieser Stelle theoretisch gerahmt werden sollen. Auffällig zunächst die von den Schüler_innen berichteten Erlebnisse mit ihren Lehrer_innen. Zentren des gemeinsamen Erlebens fanden sich an jenen Diskussionsabschnitten, an denen das Handeln von Lehrpersonen als missachtend, bloßstellend, ignorant und allgemein als kritikwürdig von den Gruppenmitgliedern erlebt und beschrieben wurde. Innerhalb des von der Interviewerin initiierten Themas »Gegenseitiger Respekt« kontrastierten die Schüler_innen das eigene Handeln mit Situationen, in denen sie zum Teil von erheblichen Abweichungen von ihren Normalitätserwartungen berichten. Diese Normalitätsvorstellungen bilden einen normativen Bezugsrahmen der Schüler_innen ab, der neben sozialen Verhaltenskonventionen (z.B. auf einen Gruß erfolgt ein Gegengruß) auch Reziprozitätskonzepte beinhaltet. Die Aussagen der Schüler_innen, die in weiten Teilen nicht als »Lästern« beschrieben werden können, lassen auf einen Erfahrungsraum mit Lehrerhandlungen schließen, der in der schulbezogenen Gewalt- und Mobbingforschung als verbale und nonverbale Formen psychischer Gewalt (vgl. Schubarth 2013: 17) diskutiert wird. Neben Wilfried Schuberts Bemühungen um einen Überblick über Gewalt an Schulen einschließlich Lehrer_innengewalt ist es im deutschsprachigen Raum der Österreicher Volker Krumm, dessen Befunde einen bedeuteten Anteil an der Erforschung des Fehlverhaltens von Lehrer_innen haben. Krumm und Eckstein (2003) gewannen ihre Daten durch die rückwirkende Befragung von Studierenden sowie von Schüler_innen, aber auch durch Lehrer_innen- und Elternbefragungen. Sie entwickelten eine aufschlussreiche Kategorienliste zum Fehlverhalten der Lehrer_innen. Sie enthält u.a.: Zuschreibung unerwünschter Eigenschaften und Vorurteile, Bloßstellungen, Vorwürfe vor der Klasse, Ausgrenzung, Einschüchterung, Demotivierung, Schreien, Beschimpfen, Schimpfwörter, Beleidigen, Lächerlich machen oder Beschämen, Ignorieren, Missachten und ungerechtes und unfaires Verhalten. Ferner beobachteten die Autor_innen auch die Nichtberücksichtigung von leistungshemmenden Faktoren bei Prüfungen, Verletzung von Rechten (zum Beispiel Eingriff in das Privatleben) und die Unterstellung von Fehlhandlungen und Straftaten. Die Befunde Krumms und Ecksteins decken sich teilweise mit den Erfahrungen der Schüler_innen aus der hier behandelten Gruppendiskussion, wenn diese von indirekter Zurückweisung durch Mimik, vom Ignorieren nach einer Begrüßung, von der Unterstellung strafbarer Handlung, von der Nichtberücksichtigung leistungshemmender Faktoren des Privatlebens, von Bloßstellung und Missachtung durch

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Bekanntgabe von Verfehlungen oder dem Ignorieren von Ängsten und Wünschen im Unterricht berichten. Krumm (1999: 39) weist treffend darauf hin, dass nicht die physische oder gar schwere körperliche Gewalt von Seiten der Lehrer_innen das Hauptproblem darstellt, vielmehr sind es Formen psychischer oder verbaler Gewalt, die im Klassenzimmer in Erscheinung treten und vom dem Typ des »verbal gewalttätigen Lehrers« ausgeübt werden: »Das ist jener Typ von schlechtem Lehrer, der Schüler beschimpft, beleidigt, ignoriert, schikaniert, ungerecht beurteilt oder unfair behandelt ..., der sich auf eine Weise verhält, die Schüler als verletzend erleben« (ebd.: 40). Auch die Interpretationsergebnisse der hier vorgestellten Gruppendiskussion machen auf eine Schieflage innerhalb der Diskussion um Gewalt an Schulen aufmerksam: Wann immer in diesem Kontext von Gewalt die Rede ist, geht es meist um Gewalt von Schüler_innen gegen Lehrpersonen, Mitschüler_innen oder Schuleigentum. Die Lehrperson tritt als »Täterin« hingegen selten in den Blick. »Lehrer-Schüler-Interaktionen, und vor allem Missachtung, werden in relevanten Feldern schulbezogener Forschung ausgeblendet« (Prengel 2012: 183). Eine deutungsmächtige Erklärung für die Spannungen und Probleme im schulischen Alltag, die sich in den Erfahrungen der Schüler_innen dokumentieren, liefert das Konzept der Antinomien des Lehrerhandelns nach Helsper (1996: 530 ff.). Wenn die Schüler_innen beispielweise von Begrüßungssituationen berichten, in denen sie selbst zwar höflich auf die Lehrpersonen zugehen, diese aber »einfach weiterrennen«, einen anblicken »als hätte man was verbrochen« oder etwas »kaputt gemacht«, so offenbaren sich Misstrauensverhältnisse, die auf ein nachhaltig belastetes Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis hinweisen. Die Schülerin Ida erkennt treffend, worin sich das Misstrauen gegenüber den hintergründigen Absichten der Schüler_innen begründet, wenn sie feststellt, dass die Lehrer_innen immer denken »dass wir was von denen wollen«. Es ist die antinomische Spannung zwischen Interaktion und Organisation, die hier zum Ausdruck kommt. Die Organisation Schule, mit ihren zahlreichen formellen Reglungen, weist ihren Mitgliedern teilweise widersprüchliche Rollen zu. So stehen Lehrer_innen in einem Spannungsverhältnis zwischen ihrer Rollen als Wissensvermittler und Selektionsinstanz. Zwangsläufig ergibt sich aus der organisierten Rahmung weiter, dass der zwischenmenschliche Kontakt aus anderen Motiven als in privaten oder beruflichen Sphären stattfindet. Die Wahlmöglichkeiten für die Schüler_innen sind in der Schule stark reglementiert, sodass sie weder über die Anwesenheit in der Organisation noch über die jeweilige Lehrperson, die sie unterrichten und bewerten soll, selbst entscheiden können. Die

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wiederkehrenden Treffen im Unterricht basieren rein formell nicht auf Interesse oder Sympathie der Lehrperson gegenüber, sondern sind durch andere Faktoren innerhalb der Organisationsstruktur bestimmt (zum Beispiel Alter, Wohnsitz, Wissenstand), auf die Schüler_innen wenig Einfluss nehmen können. Aus der Anwesenheitspflicht in der Organisation folgt, »dass der Streber sich systematisch nicht unterscheiden lässt von dem Kind oder dem Schüler, der freudig lernen will und nicht aus Unterwerfung unter den Lehrer« (Oevermann 2008: 67). Ähnlich verhält es sich bei den Lehrer_innen-Schüler_innen-Interaktionen während den Begrüßungssituationen, von denen die Diskussionsteilnehmer_innen berichten. Für die Lehrpersonen ihrerseits ist es systematisch nicht auszumachen, ob sich ihnen die Schüler_innen nun aus intrinsischen Interesse und sympathischer Zuneigung näherten, oder ob extrinsische oder strategische Motive der Begrüßung zugrunde liegen. Die Heranwachsenden könnten sich ja schließlich auch Vorteile im Bewertungs- und Selektionsprozess aus einer guten Beziehung zu der Lehrperson erhoffen. Auch an den Stellen der Gruppendiskussion, an denen Gleichgültigkeit und Desinteresse in den Aussagen der Lehrpersonen zum Ausdruck kommen bzw. eine prioritäre Fokussierung auf den Pflichtcharakter der Hausaufgaben stattfindet, zeigen sich weitere Antinomien der pädagogischen Praxis. Hier sind es jene Spannungsverhältnisse, die unter den Begriffen Differenzierungs- bzw. Subsumtionsantinomie (vgl. Helsper 1996: 531 f.) diskutiert werden. Die Subsumtionsantinomie wird dann für die Lehrperson thematisch, wenn die Forderung nach der Orientierung auf die individuelle Bildungsgeschichte des Heranwachsenden mit der Forderung nach der Orientierung an einem universalistischen Gleichbehandlungsgrundsatz kollidiert. Wenn sich Martha daran stößt, dass es der Lehrerin »egal« ist, dass ihre Mutter ein Kind bekommen hat, so zeigt sich hier eine Strategie seitens der Lehrperson, mit der antinomischen Spannung ihrer pädagogischen Tätigkeit umzugehen. Das »Nicht-Wissen« um den jeweiligen Einzelfall erfüllt hierbei eine Schutzfunktion, denn »je weniger der Lehrer über den Schüler weiß, umso sicherer kann er sich sein, weil potentielle Unangemessenheit des Handelns gar nicht erst in den Reflexionshorizont geholt werden muss« (ebd.: 533). Würde die Lehrerin aus Marthas Beispiel die Klagen der Schüler_innen über die privaten Belastungen ernst nehmen, so müsste sie auch liebgewonnene Routinen (wie hier die Erteilung von Konsequenzen bei Nichterledigung der Hausaufgaben) auf ihre Fallangemessenheit hin prüfen, was die Ungewissheit über die Richtigkeit ihrer Handlung und den Legitimationsdruck zunächst einmal erhöhen würde (vgl. ebd.). Im Diskurs um die Angemessenheit der Priorisierung des Pflichtcharakters bei der Hausaufgabenerledigung wurde das Lehrer_innenhandeln von den Dis-

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kutanten auch als Bruch mit ihren Reziprozitätsvorstellungen gerahmt. Hier zeigt sich die Wichtigkeit demokratischer und menschenrechtlicher Angemessenheit alltäglicher Interaktion im Klassenzimmer und in den Pausen für die Beziehung zwischen Lehrpersonen und ihren Schüler_innen. Prengel (2012: 180) stellt dazu fest, dass »die kognitiv vermittelten menschenrechtlichen Inhalte mit den Lehrerhandlungen auf der Beziehungsebene kongruent sein müssen, um sich selbst nicht zu desavouieren«. Auch wenn im Unterricht die Wichtigkeit des Respekts vor den Lebenssituationen anderer und von gegenseitiger Rücksichtnahme betont wird, werden die Lehrer_innen aufgrund der Widersprüche in der pädagogischen Praxis diesen Ansprüchen selbst nicht zwingend gerecht. Im organisatorischen Rahmen verfängt sich kongruentes Lehrer_innenhandeln häufig zwischen der Nähe zum Heranwachsenden und der pädagogischer Realität der universalistischen Selektionsorientierung (vgl. Helsper 1996: 530). Nicht zuletzt lenken die Ergebnisse der Interpretation den Blick auf die Notwendigkeit einer professionalisierten pädagogischen Praxis. Wie Oevermann (2008) feststellt, sind es nicht grundsätzlich die formalen Organisationsmerkmale von Schule, die einer Professionalisierung im Wege stehen, es sind vielmehr die aus der gesetzlichen Schulpflicht erfolgenden Momente der formalen Organisation, die Professionalisierung erodieren und verhindern. Die antinomischen Spannungen, die sich aus der gesetzlichen Schulpflicht ergeben, wirken sich nachteilig auf das Klassenklima und die Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung aus. Die Motive des Handelns von Einzelnen bleiben durch den formal erzwungenen Kontakt fragwürdig: »Die gesetzliche Schulpflicht bedeutet, dass dem Kind die Neugierde als Hauptmotiv dafür, in der Schule zu sein, aberkannt wird« (Oevermann 2008: 66). Während die Lehrpersonen sich nicht sicher sein können, ob die Interaktionen mit den Lernenden auf freundschaftlicher Ebene oder aus wahrem Interesse am Lerninhalten stattfinden, steht auf der anderen Seite das Interesse der Lehrenden am Lernstand und an der Weiterentwicklung der Schüler_innen unter dem Verdacht, im Hinblick auf die Selektionsfunktion als Leistungsabfrage missbraucht zu werden.

L ITERATUR Bohnsack, Ralf (2010): »Gruppendiskussion«, in: Udo Flick/Ernst von Kardorff/ Ines Steinke (Hg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek: Rowohlt, S. 369-384. Ders./Marotzki, Winfried/Meuser, Michael (Hg.) (2003): Hauptbegriffe Qualitative Sozialforschung. Ein Wörterbuch, Opladen: Leske & Budrich.

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Helsper, Werner (1996): »Antinomien des Lehrerhandelns in modernisierten pädagogischen Kulturen. Paradoxe Verwendungsweisen von Autonomie und Selbstverantwortlichkeit«, in: Arno Combe/Werner Helsper (Hg.), Pädagogische Professionalität: Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 521-569. Luhmann, Niklas: »Systeme verstehen Systeme«, in: Ders./Karl E. Schorr (Hg.), Zischen Intransparenz und Verstehen. Fragen an die Pädagogik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 72-117. Krumm, Volker (1999): »Machtmissbrauch von Lehrern – Ein Tabu im Diskurs über Gewalt in der Schule«, in: Journal für Schulentwicklung 03/99, S. 3852. Ders./Eckstein, Kirstin (2001): »Geht es Ihnen gut oder haben Sie noch Kinder in der Schule? Befunde aus einer Untersuchung über Lehrerverhalten, das Schüler und manche Eltern krank macht«, Ausarbeitung eines Vortrags auf der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Interdisziplinäre

Familienforschung (ÖGIF) in Kooperation mit der Gesellschaft zur Förderung der Kindes- und Jugendneuropsychiatrie in Kärnten, URL: https:// www.sbg.ac.at/erz/salzburger_beitraege/herbst%202002/krumm_202.pdf (03.08.2014). Nohl, Arnd-Michael (2013): Interview und dokumentarische Methode. Anleitung für die Forschungspraxis, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Oevermann, Ulrich (2008): »Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule«, in: Werner Helsper u.a. (Hg.), Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 55-77. Prengel, Annedore (2012): »Respekt und Missachtung. Interaktionen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen«, in: Sabine Andresen/Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Zerstörerische Vorgänge. Missachtung und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Institutionen, Weinheim/Basel: Juventa, S. 178194. Przyborski, Aglaja (2004): Gesprächsanalyse und dokumentarische Methode. Qualitative Auswertung von Gruppendiskussionen, Gesprächen und anderen Diskursen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Schubarth, Wilfried (2013): Gewalt und Mobbing an Schulen. Möglichkeiten der Prävention und Intervention, Stuttgart: Kohlhammer.

»Das klingt jetzt total schleimerisch nervig« Die Rückmeldung einer Schülerin K IM K RÄMER , E LISA K RIEG & L IV S CHULER

E INLEITUNG Der vorliegende Artikel entstand im Kontext einer Forschungswerkstatt an der Universität Mainz zum Thema Lehrerprofessionalität. Dabei stellte sich uns zunächst die Frage nach einer Definition des Begriffs Lehrerprofessionalität. »Die beruflichen Anforderungen, die von Lehrpersonen zu bewältigen sind, lassen sich mit den Begriffen Unterrichten, Beurteilen, Erziehen und Beraten, Mitwirken an der Schulentwicklung und professionelle Ethik zusammenfassen. Um sie zu bewältigen, wird fachwissenschaftliches, fachdidaktisches und erziehungswissenschaftliches Wissen benötigt, das zusammen mit motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten das komplexe Konstrukt professioneller Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern ausmacht [...].« (Blömeke 2008: 171)

Es zeigte sich, dass der Begriff der Lehrerprofessionalität ein äußerst komplexes Konstrukt ist, ein Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren, wobei noch erschwerend hinzukommt, dass der empirische Zugang weitgehend fehlt. So entwickelte sich die Idee des gesamten Forschungsprojekts, anhand der Praxis selbst Aspekte einer »guten« Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung aufzuzeigen, die schließlich eine Teilmenge professionellen Handelns von Lehrpersonen ausmacht. Neben anderem Datenmaterial lagen uns Briefe vor, die von Schüler_innen aufgrund des bevorstehenden Verlassens der Schule verfasst worden waren. Für diese haben wir uns entschieden, weil wir die Tatsache interessant fanden, dass die Schüler_innen nach ihrem Abschluss an die Lehrperson schreiben und damit ihre Schulzeit reflektieren.

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Es erfolgt zunächst eine theoretische Rahmung, bevor wir uns der Methode der Objektiven Hermeneutik zuwenden, um anschließend unsere Interpretation des Briefes vorzustellen. Anschließend soll ein Fazit die Ergebnisse der Arbeit noch einmal zusammenfassen.

F RAGESTELLUNG , M ETHODE , F ALLBESCHREIBUNG Das Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis lässt sich zunächst als ein Verhältnis zwischen Menschen mit je eigenen Bedürfnissen definieren, die in einer Institution zu bestimmten Zwecken Beziehungen aufnehmen bzw. diese aufnehmen müssen (vgl. Raufelder 2010: 192). Strukturell besteht die Aufgabe der Lehrperson im Kontext Schule zunächst darin, ihr Wissen zu vermitteln, wohingegen die Aufgabe der Schüler_innen darin liegt, dieses Wissen zu erlangen. Dadurch stehen beide Akteursgruppen in einem Verhältnis, in dem der Wissensund Kompetenzvorsprung ein erstes konstitutives Merkmal der Lehrer_innenSchüler_innen-Beziehung darstellt. Lehrer_innen und Schüler_innen stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, in dem die Lehrperson institutionell gesehen den Schüler_innen übergeordnet ist (vgl. Parsons 2004: 109). Diese Hierarchie muss allerdings aufgehoben werden, um Problemlösungen für Verstehen und Handeln zu entwickeln, damit Schüler_innen schließlich sinnvoll lernen können. Deshalb bedarf es in der Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler_innen auch symmetrischer Verhältnisse (vgl. Helsper 2004: 74). Der vorliegende Beitrag fragt nach der Gestaltung der Beziehung aus der Perspektive der Schüler_innen anhand eines Schülerbriefes. In Anbetracht des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes bietet sich der Ansatz des rekonstruktiven Paradigmas, insbesondere die Objektive Hermeneutik als qualitative Forschungsmethode an. Die Objektive Hermeneutik wurde vom Soziologen Ulrich Oevermann in den 1970er Jahren als Verfahren der sequenzanalytischen Textinterpretation entwickelt. Es handelt sich um eine Methode des Verstehens sozialer Phänomene. Als »sinnverstehende Wirklichkeitsforschung« rekonstruiert sie die soziale Wirklichkeit, die sich in Texten als »Protokolle dieser Wirklichkeit« (Wernet 2000:12) manifestiert. Dabei geht man von folgenden Grundannahmen aus: • •

Menschliches Handeln geschieht innerhalb eines sozialen Gefüges, das durch soziale Normen und Regeln strukturiert ist. Die Handlungsregeln eines sozialen Gefüges ermöglichen dem Individuum in jeder Situation unterschiedliche Handlungsperspektiven.

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Bei der Interpretation von Texten wird auf diese sozialen Regeln zurückgegriffen (vgl. Wernet 2000: 11 ff.).

Die Sinnstruktur des zu interpretierenden Falls manifestiert sich in der empirisch feststellbaren Wahl konkreter Handlungsoptionen. Sukzessive wird eine Fallstrukturhypothese entwickelt, die zeigt, welche regelstrukturierten Handlungsoptionen lebenspraktisch realisiert wurden (vgl. ebd.). Mit Blick auf den von uns interpretierten Brief stellt sich also die Frage nach den latenten Sinnstrukturen, die als Selektion von Handlungsoptionen sich zu einem Muster der Gestaltung von Beziehung nachzeichnen lassen.

S EQUENZANALYSE Bei dem uns vorliegenden Dokument handelt es sich um einen Abschiedsbrief, einer Schülerin an ihre Lehrperson nach dem Schulabschluss. Die Lehrerin wurde mit dem Deutschen Lehrerpreis in der Kategorie »Schüler zeichnen ihre Lehrer aus« ausgezeichnet. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich mit höherer Wahrscheinlichkeit eine »bessere« Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung vorfinden als bei einer beliebig ausgewählten Lehrperson. Der Brief wurde handschriftlich verfasst. Die Besonderheiten der Handschrift werden soweit möglich in der Abschrift kenntlich gemacht. Zum Gegenstand dieses Beitrags wird aus Gründen des Umfangs nur der erste Abschnitt des Briefes Eingeleitet wird der Brief mit der Anrede: »Liebe Frau D.,«1

Das Wort »Liebe« leitet eine Anrede ein, die schriftsprachlich in einem informellen Brief an eine Freundin, (z.B. »Liebe Lena«), sowie mündlich gesprochen in einer Rede, die allerdings eher im Privaten oder zumindest in einem vertrauten Umfeld anzusiedeln wäre (»Liebe Freunde«, »Liebe Hochzeitsgäste«, »Liebe Anwesenden«), denkbar ist. Eine alternative Form der Anrede wäre die Wendung »Sehr geehrte«, was zu der Frage führt, welche Unterschiede zwischen diesen beiden herrschen. »Sehr geehrte« verwendet man vor allem, wenn man eine Person formal ansprechen oder anschreiben möchte. Meist hat diese Nachricht institutionellen Charakter. »Liebe« hat im Gegensatz dazu einen Aspekt der

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Im Original wird der Name ausgeschrieben. Hier wurde zur Wahrung der Anonymität das Initial verwendet.

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Vertrautheit. Dies setzt voraus, dass die Interaktionspartner bereits Kontakt hatten, sich persönlich kennen und es darf darauf geschlossen werden, dass bereits eine Beziehung zwischen den Akteuren aufgebaut wurde. Ist dem nicht der Fall, muss »Liebe« als Versuch gedeutet werden, die herrschende Distanz zu überwinden und die Beziehungsstruktur auf übergriffige Weise zu transformieren (wie z.B. in Werbeanschreiben). Mit dem folgenden »Frau D.« wird die Adressatin der Anrede benannt. Als mündliche Äußerung wirkt die Anrede »Liebe Frau D.« gekünstelt, eher wäre die reine Nennung des Namens zu erwarten, z.B. »Frau D., würden Sie bitte kurz in mein Büro kommen?« Authentisch lässt sich diese Grundstruktur vielmehr nur in der Schriftsprache umsetzen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Vergemeinschaftung, die notwendigerweise bereits vorhanden sein muss, um »Liebe Frau D.« angemessen erscheinen zu lassen. Für die Beziehung der beiden Interaktionspartner lässt sich hieraus schließen, dass sie sich bereits kennen, aber noch eine Distanz wahren wollen, sonst wären sie schon zur formlosen Anrede des »Du« übergegangen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass jede Beziehung die Grundlage der Aussage bilden kann, sofern die Beteiligten sich bereits so vertraut sind, dass sie von der Anrede »Sehr geehrte« zu »Liebe« gewechselt haben, jedoch noch genug Distanz halten, um nicht zum informellen »Du« überzugehen. Die Gestaltung der Beziehung, die in dem vorliegenden Brief zum Ausdruck gebracht wird, zeugt also einerseits von einer gewissen Nähe, die sich in der Adressierung »Liebe…« manifestiert, andererseits nimmt die Ansprache »Frau D.« Bezug auf die Rolle der Lehrerin und wahrt damit eine gewisse Distanz. Bezogen auf den Schulkontext lässt sich also eine erste Fallstrukturhypothese formulieren: Die Anrede des Briefes zeigt eine rollenförmige Adressierung, die sowohl Aspekte einer gegenseitigen Bekanntheit als auch die einer formalen Distanz beinhaltet. Sinnlogische Anschlüsse, davon ausgehend, dass ein Schriftstück in Form eines Briefs vorliegt, wären zum einen die Bezugnahme auf eine vorhergehende Konversation schriftlicher oder mündlicher Natur oder zum anderen ein Anliegen, das die schreibende Person vortragen möchte. Weitergeführt wird der Brief mit den Worten: »ich muss Ihnen einfach abschließend nochmal persönlich schreiben.«

Aus dem Beginn mit der ersten Person Singular lässt sich schließen, dass der Brief von nur einer Person verfasst wurde. Außerdem deutet das Wort »ich« darauf hin, dass die Verfasserin ein Anliegen vorzubringen hat. Es kann davon

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ausgegangen werden, dass der Brief den Beginn einer Interaktion, also das erstmalige Vorbringen des Anliegens, darstellt, denn anderenfalls wäre eine Bezugnahme auf Vorhergehendes zu erwarten. Interessant ist die Verwendung des Wortes »muss«, das einen Zwang ausdrückt, der seitens der Verfasserin besteht. Dieser Zwang lässt sich im Zusammenhang mit »muss Ihnen einfach« aber nicht als eine von außen auferlegte Pflicht rekonstruieren, sondern als innere Verpflichtung und individuelles Bedürfnis von hoher Dringlichkeit. Im Folgenden kann eine Aussage erwartet werden, die für die Urheberin des Briefes eine große Bedeutung hat und die gleichzeitig die Motivation für das Schreiben darstellt. Das Wort »einfach«, das einmal als »leicht zu bewältigen« verstanden werden kann, und somit die Bedeutung des Zwangs abschwächt, denn mit einem Zwang wird im Allgemeinen eine Sache konnotiert, die man nicht freiwillig und daher wohl auch kaum gerne tut. Im Kontext der vorliegenden Aussage aber steht es synonym für »schlicht und ergreifend«, was wiederum den Zwang derart unterstützt, dass der Absender/die Absenderin »nicht anders kann«, als mitzuteilen, was er/sie »muss«. Das Wort »persönlich« kann auf zwei Arten verstanden werden: Zum einen kann es sich auf »Ihnen« beziehen, im Sinne eine Anmerkung zu dem Adressaten als Person: Eine solche Anmerkung würde dann explizit die rollenspezifische Perspektive verlassen und die Person in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellen. Die andere Möglichkeit wäre, dass sich das Wort »persönlich« auf »ich« bezieht, also »ich persönlich«, was den soeben aufgeworfenen Konflikt lösen würde, denn als Urheber der Nachricht darf man immer seine (persönliche) Meinung äußern. »Ihnen nochmal persönlich schreiben« beinhaltet sowohl die Fortsetzung der rollenförmig formalen Beziehung zur Lehrerin, als auch den Hinweis, dass dies nicht der erste Brief ist, an dem die Schülerin beteiligt ist. Möglicherweise hat sie sich an dem kollektiven Schreiben an die Lehrerin beteiligt (vgl den Beitrag von Hopp und Kornbrust in diesem Band), das rekonstruierte Bedürfnis entsteht dann daraus, der Lehrerin nun nochmal »persönlich« und damit als Gegensatz zu einem Kollektiv zu schreiben. Betrachtet man das Bisherige, so kann davon ausgegangen werden, dass im Anschluss eine positive Aussage folgen wird. Würde nämlich eine Kritik folgen, so hätte die Verfasserin den Brief sehr wahrscheinlich mit »Sehr geehrte« begonnen, um sich noch weiter zu distanzieren als allein durch die förmliche Anrede mit »Frau«. Zuletzt sei noch auf das Wort »abschließend« verwiesen, das die Intention der Absenderin offenbart, etwas zum Abschluss zu bringen. Doch was möchte sie zum Abschluss bringen? Eine mögliche Antwort darauf wäre: die

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Beziehung. Falllogisch könnte dies mit dem Ende der Schulzeit erklärt werden. Weitergeführt wird der Brief mit den Worten: »Das klingt jetzt total schleimerisch nervig,«

Interessant ist die Wendung »klingt total«, denn sie lässt auf eine Reflexion der nachfolgenden Aussage schließen, da die Schreiberin die »totale« und damit Gesamtwirkung auf die Adressatin antizipiert. »Schleimerisch« ist kein im Duden belegtes Wort. Wohlgeformt taucht dieses Wort nur in Peer-Gruppen auf, wobei man nur gegenüber einer hierarchisch höher gestellten Person »schleimen« kann, denn man erhofft sich, daraus einen Vorteil zu gewinnen. »Nervig« verstärkt das Wort »schleimerisch«, wodurch die nachfolgende Aussage scheinbar herabgewürdigt und wiederum die potentielle Wirkung auf für die Adressatin vorweggenommen wird. Da die vorhergehende Aussage der Schülerin eine Selbstkundgabe ist und keine positive Aussage über die Lehrerin enthält, die unter dem Verdacht opportunistische »Schleimens« fallen könnte, muss sich das »Das« am Satzanfang auf die nachfolgende Aussage beziehen. Die Schülerin beugt also explizit einem möglichen Missverständnis vor. Die dahinter stehende Befürchtung, die nachfolgende Aussage könnte als strategisch, primär auf den eigenen Vorteil und damit als unaufrichtig wahrgenommen werden, kann als Auswirkung der Schulpflicht gekennzeichnet werden, die einen solchen Klarstellungsversuch nötig macht, weil in einer Schule, in die alle kommen müssen, der oder die »Schleimer_in« systematisch nicht von einer oder einem aufrichtig interessierten und persönlich zugewandten Schüler_in zu unterscheiden ist2. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Autorin des Briefes immer noch befürchtet, missverstanden zu werden; bemerkenswert deshalb, da sie die Schule bereits abgeschlossen hat. Welchen Vorteil sie aus einem »Schleimen« noch ziehen? In der von der Schülerin ausgedrückten Sorge, dass sie als Schleimerin enttarnt werden könnte, zeigt sie sich noch als Trägerin der Schüler_innenrolle. Sie sieht sich weiterhin in der Gefahr, als Schleimerin zu gelten, was jedoch nur möglich wäre, wenn sie noch Schülerin wäre. Als Schulabgängerin hingegen steht man nicht mehr in einem oder demselben hierarchischen Verhältnis zur Lehrperson, so dass durch das Schleimen auch kein Vorteil mehr erhofft werden kann. Weitergeführt wird der Brief mit der Aussage:

 2

Diese Aussage trifft auch dann noch zu, wenn die Pflichtschulzeit in der gymnasialen Oberstufe bereits beendet ist. An die Stelle der Schulpflicht tritt die Abhängigkeit von der Bewertung der Lehrpersonen.

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»aber: Sie müssen einfach wissen, wie toll Sie sind!! um es kurz zu sagen.«

Erneut wird ein Zwang ausgedrückt, dieses Mal jedoch in Bezug auf die Lehrerin: Sie muss etwas wissen. Dabei wird ihr keine Entscheidungsfreiheit zugestanden, ob sie dies überhaupt erfahren möchte oder nicht. Als sinnlogischer Anschluss erscheint nur ein Kompliment sinnvoll, dessen Aufrichtigkeit im Vorfeld durch die »Schleim-Antizipation« bekräftigt wird. Die Formulierung »wie toll Sie sind« im Gegensatz zu »dass Sie toll sind« ist an dieser Stelle interessant, denn gerade das »wie« deutet auf eine Verstärkung des Gesagten hin (z.B. »Wie groß du geworden bist«!). »Wie toll Sie sind« ist außerdem eine sprachliche Form, die die Lehrerin als ganze Person in ihrer Existenz würdigt, und nicht etwa nur den rollenförmigen Ausschnitt ihres Unterrichts. »Um es kurz zu sagen« kennzeichnet das Vorangegangene als Zusammenfassung. Damit wird deutlich, dass die Hauptaussage des Briefes in den beginnenden Sätzen bereits auf den Punkt gebracht wurde. Gleichzeitig deutet sich aber auch an, dass noch eine Erläuterung dieser pointierten Zusammenfassung folgen wird. Als Anschluss darf folglich eine Argumentation erwartet werden, die den Grund für das Kompliment ausführt und untermauert. »Erstmal der Unterricht: Den werd ich als fast einzigen wirklich vermissen.«

Die Nennung des Unterrichts leitet die Thematik ein, die nun zu erwarten ist. Die Schülerin begegnet der Adressatin in »gewohnter Umgebung« (in einer RollenBeziehung zwischen Schülerin und Lehrerin) in der sie sich auskennt. Der Unterricht kann hier als Synonym für die bisherige Basis der Beziehung verstanden werden, an die noch einmal erinnert wird. Durch das eingangs verwendete »erstmal« wird angedeutet, dass noch weitere Punkte folgen werden. Die Worte »Den werd ich als fast einzigen wirklich vermissen« bilden den Anschluss. Das Demonstrativum zu Beginn greift den Unterricht als Thematik des letzten Satzes wieder auf: »Als fast einzigen« bedeutet eine Hervorhebung aus einer Gesamtmenge, das »fast« markiert eine kleine, fast unwesentliche Relativierung. Aus einer Gesamtmenge an Unterrichtsstunden konstituiert die Schülerin den Unterricht der adressierten Lehrerin als Besonderheit. Woraus diese besteht bleibt zunächst offen. Die Verwendung des Wortes »vermissen« ist in diesem Zusammenhang interessant und verlangt eine nähere Betrachtung. Etwas »wirklich vermissen« bedeutet, dass man über den Verlust oder das unwahrscheinliche Wiedererlangen einer Gefühlslage, die durch die unwiederbringliche Situation zustande kommt trauert, diese jedoch positiv in Erinnerung

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bewahrt. Die Futur-Konstruktion kennzeichnet sprachlich die Übergangssituation der Autorin des Briefes. Aktuell vermisst sie den Unterricht noch nicht, trifft aber die prognostische Aussage, ihn vermissen zu werden, zugleich wird mit dem »vermissen« deutlich, dass sie den Unterricht der Lehrerin im Gegensatz zu »fast« allen anderen Unterrichtsstunden als besonders positiv rahmt. Die Schülerin beschreibt ihre Gefühlslage und befindet sich dementsprechend auf einer persönlichen Ebene. Die primäre Thematisierung des Unterrichts ist im Gegensatz zur zusammenfassenden Erstpositionierung »wie toll Sie sind« aber rollenförmig und dem schulischen Auftrag verpflichtet. Der Brief wird fortgesetzt und konkretisiert das als positiv Hervorgehobene: »Biology is nämlich reeeally cool!«

Sie geht mit dieser Sequenz auf die Sachebene ein, mit Rückführung auf den Kontext konkret auf das Unterrichtsfach Biologie. Die sprachliche Form weist mehrere Besonderheiten auf: Der halbherzig anmutende Wechsel in die englische Sprache kann (in Kenntnis der Kontextbedingungen) als Reminiszenz an die gemeinsame Unterrichtszeit verstanden werden, in der Biologie in einem Pilotvorhaben erstmalig bilingual unterrichtet wurde. Die besondere Form der Bilingualität in diesem Satz schafft gerade durch ihre Unvollkommenheit eine Nähe zu den gemeinsam erlebten Lernprozessen und zugleich in der peerkulturellen Formulierung eine Nähe zur Person. Die schriftsprachliche Darstellung des »reeeally« erscheint semantisch als Verstärkung der inhaltlichen Aussage, bezüglich der aus Lehrer_innensicht fragwürdigen Darstellung scheint die Schülerin im Gegensatz zur Interpretation ihrer obigen Aussage als »Schleimerei« keine Bedenken zu haben. Die Verwendung der Präsensform »is« verdeutlicht ein andauerndes Interesse an der Biologie trotz beendeter Schulzeit, da sie nicht »war« cool, sondern »ist« cool schreibt. Das »!« betont die gesamte Aussage der Sequenz. Die Verwendung der Peersprache stellt die Interaktionspartner auf eine gleiche (freundschaftliche) Ebene. Insofern kommt in der Aussage eine Symmetrie in der Beziehung zum Ausdruck, die in einer Spannung zu Form und Förmlichkeit der Adressierung des bisherigen Briefes steht. Bemerkenswert ist im Rückgriff auf die vorherigen Sequenzen auch das vermeintliche »Verschwinden der Lehrerin als Person«. Von der Aussage »wie toll sie sind« zum ihrem »Unterricht«, der »vermisst« werden wird, bis hin zur Naturwissenschaft Biologie, die völlig unabhängig von der Lehrperson hier als positiv qualifiziert wird. Fortgeführt wird der Brief mit der Sequenz: »Das muss ich nach den 2(-3) Jahren zugeben!«

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Aus dem Ausdruck »zugeben müssen« lässt sich sowohl eine innere Verpflichtung (durch das »muss«) herauslesen, als auch ein Eingeständnis (durch den Ausdruck »zugeben«), das Eingeständnis beinhaltet die Revision einer vorherigen Haltung, in diesem Fall bezüglich des Unterrichtsfaches Biologie. »Nach den 2(-3) Jahren« gibt den vergangenen Zeitraum an, impliziert aber durch die Verwendung des Demonstrativpronomens »den« bestimmte Jahre, die Jahre mit der Adressatin des Briefes. Diese Lesart geht einher mit einer gewissen Reflexion. Etwas, das vorher für einen selbst nicht ersichtlich war, wird nun rückblickend durch eine andere Sicht auf die Dinge eingestanden. Bezieht man den Kontext mit ein, so reflektiert die Schülerin die vergangenen Jahre des Biologieunterrichts. Das zum Ausdruck kommende Bedürfnis der Schülerin, dieses Eingeständnis zu formulieren, belegt zunächst einen Einstellungswandel, den die Schülerin im engen Zusammenhang mit dem Unterricht der Lehrperson feststellt. Durch die Verwendung des Präsens im Satz »Biology is […] cool« wird deutlich, dass diese Einstellung über die Schullaufbahn hinausweist. Anhand der Aussage der Schülerin lässt sich also ein Lern- oder gar Bildungsprozess rekonstruieren. Weitergeführt wird der Brief mit: »Und ich habs durch Sie gelernt!«.

Der Lernprozess wird in dieser Aussage von der Schülerin selbst beschrieben, gleichzeitig wird er der Lehrperson zugeschrieben. Diese Sequenz löst damit den Spannungsbogen auf, der sich in den vorhergehenden Sequenzen aufgebaut hat, die Lehrerin wird darin als ursächlich für den Lernerfolg und den Einstellungswandel der Schülerin konstituiert, die informelle Formulierung »habs«, die gerade durch die Schriftsprachlichkeit des Briefes bemerkenswert wird, steht wiederum in einer Spannung zur förmlichen Adressierung der Lehrerin, im Gegensatz zur Prävention eines Missverständnisses bezüglich des »Schleimens« wird aber eine Gewissheit sichtbar, dass informelle Ausdrücke kein Anlass zur Missbilligung seitens der Lehrkraft sind. Als letzte Sequenz unserer Analyse betrachten wir die Aussage: »Vielen Dank dafür!«

Nach der Feststellung eines Lernprozesses und der ursächlichen Zuschreibung desselben zur Person der Lehrerin kommt in diesen Worten aufrichtige Dankbarkeit zum Ausdruck, und zwar explizit (»dafür«) für den zuvor beschriebenen Lernprozess. Die Rekonstruktion endet an dieser Stelle.

172 | KIM K RÄMER, ELISA KRIEG & L IV S CHULER

Resümiert man die rekonstruierten Sequenzen fällt neben den latenten Sinnstrukturen die Expressivität des Abschnittes mit sechs Ausrufezeichen in acht Sätzen auf. Zusammen mit dem deutlich werdenden inneren Bedürfnis (»ich muss einfach«), erscheint der Brief als eine lang ersehnte Gelegenheit, der Lehrerin gegenüber Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Erst nach dem Ende der offiziellen Schulzeit kann die Schülerin das sagen, was ihr der sprachlichen Repräsentation des Briefes nach schon lange am Herzen liegt. Die Kennzeichnung der Aussage als »abschließend« markiert die Bewusstheit der Schülerin über das Ende der Beziehung, damit auch die implizite Anerkennung ihrer institutionellen Rahmung, und plausibilisiert den Wunsch, dieses Ende »persönlich« und selbst zu gestalten. Dass sie dennoch zunächst den Verdacht des »Schleimens« explizit auszuräumen versucht, verdeutlicht das Ausmaß an Verinnerlichung dieser für Schüler_innen wie Lehrer_innen dilemmatischen Strukturkonsequenz der gesetzlichen Schulpflicht.

F AZIT Der hier rekonstruierte Ausschnitt eines Abschiedsbriefes verdeutlicht eindrücklich, wie sowohl die Nähe- als auch die Symmetrie-Antinomie die Beziehung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen rahmen, wie der Balanceakt zwischen den antinomischen Positionen in diesem Fall von der Schülerin aber auch gemeistert wird. Bezüglich der Symmetrieantinomie zeigt sich in Form und Förmlichkeit der Adressierung die Bewusstheit der Schülerin über die Asymmetrie der Beziehung zur Lehrerin. Die Form wird konsequent eingehalten. Parallel dazu lässt sich eine informelle Kommunikationsebene rekonstruieren, die durch umgangssprachliche Wendungen und einen humoristisch erscheinenden Umgang mit dem gemeinsamen Hintergrund bilingualen Biologieunterrichts peerkulturellen Charakter hat. Während die Schülerin dem Opportunismusverdacht explizit entgegentritt, scheint es ein Einverständnis darüber zu geben, dass eine informelle Gestaltung der Kommunikation akzeptabel ist. In diesem sprachlichen Spiel zwischen Form und Informalität konstituiert sich auch ein Verhältnis, das zwischen Nähe und Distanz changiert. »Wie toll Sie sind« zeigt diese Spannung exemplarisch besonders dicht. »Toll« als umfassender Ausdruck von Begeisterung wird hier für die Lehrerin als ganze Person in ihrem »Sein« verwendet, eine Bekundung von Nähe, die aber zugleich mit dem distanzierten »Sie« eine erhebliche Relativierung erfährt. Beeindruckend an diesem Brief erscheint die Offenheit der Schülerin sowie der Eindruck, dass die Lehrerin bei der Schülerin eine

»D AS KLINGT

JETZT TOTAL SCHLEIMERISCH NERVIG «

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umfassende Einstellungsänderung erzielen und Freude an der Biologie wecken konnte, die über die Schulzeit hinauszureichen scheint.

L ITERATUR Blömeke, Sigrid (2008): Professionelle Kompetenz angehender Lehrerinnen und Lehrer. Wissen, Überzeugungen und Lerngelegenheiten deutscher Mathematikstudierender und -referendare. Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit der Lehrerausbildung, Münster: Waxmann. Bohnsack, Ralf (2010): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, Opladen u.a. : Verlag Barbara Budrich. Helsper, Werner (2004): »Pädagogisches Handeln in Antinomien der Moderne«, in: Heinz-Hermann Krüger/Werner Helsper (Hg.), Einführung in die Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 15-34. Parsons, Talcott (2004): »Handeln in gesellschaftlichen Systemen«, in: FranzJörg Baumgart (Hg.) Theorien der Sozialisation. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben, Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S. 79-116. Raufelder, Diana (2010): »Luxus oder Notwendigkeit? Soziale Beziehungen in der Schule«, in: Angela Ittel/Hans Merkens/Ludwig Stecher (Hg.), Jahrbuch Jugendforschung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 187202. Wernet, Andreas (2000): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik, Opladen: Leske & Budrich.

»Wir waren die Schüler, Sie die Lehrerin« Rekonstruktion eines kollektiven Abschiedsbriefes S ABRINA H OPP & D ENISE K ORNBRUST

E INLEITUNG Die Beziehung zwischen Lehrpersonen und ihren Schüler_innen wird durch die Institution Schule und ihre Hierarchien geprägt. So hat die Lehrperson einen Wissens- und Kompetenzvorsprung, ist aber dazu verpflichtet, den Schüler_innen Wissen und Kompetenzen zu vermitteln. Hier gehen Lehrperson und Schüler_innen ein so genanntes Arbeitsbündnis ein, welches die Beziehung zueinander begründet. Es ist geprägt von Antinomien der Nähe und Distanz, des Vertrauens und der Asymmetrie. Jeder einzelne dieser Aspekte beeinflusst die Beziehung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen und jede Beziehung fußt auf einem individuellen Umgang mit den vorliegenden Spannungsverhältnissen. Der Umgang mit einer gegebenen Situation soll aus der Perspektive der Schüler_innen im Folgenden untersucht werden. Bei dem Gegenstand unserer Betrachtung handelt es sich um einen Abschiedsbrief, der von einer Gruppe von Schüler_innen an eine Lehrerin verfasst wurde. Gegenstand des Briefes sind die gemeinsam geteilten Erfahrungen und deren Reflexion. Ein Brief ist, im Gegensatz zur gesprochenen Sprache, durchdacht und wird nicht »ad hoc« produziert, sondern mit Bedacht formuliert. Vor allem bei diesem Brief, der von einem Kollektiv verfasst wurde, ist daher davon auszugehen, dass nicht die Gedanken einer einzelnen Person ungefiltert einflossen, sondern gemeinsam abgewogen und besprochen wurde, was in dem Brief geschrieben werden sollte. Im Folgenden wird der theoretische Bezugsrahmen dieser Arbeit, der durch die Antinomien des Lehrerhandelns von Helsper (2004) beschrieben wird, näher erörtert. Aus der theoretischen Rahmung heraus generiert sich die konkrete Fra-

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gestellung. Nachdem das Forschungsvorhaben und der methodische Ansatz näher eingeordnet und erläutert wurden, folgt die Fallbestimmung mit der Analyse des Datenmaterials und seiner objektiv-hermeneutischen Interpretation.

T HEORETISCHE R AHMUNG Die Beziehung zwischen den Lehrpersonen und den Schüler_innen ist vor allem durch Antinomien geprägt. Helsper (2004) nennt verschiedene Arten von Antinomien, die im Schulalltag beobachtet werden können und dort zugleich Probleme aufwerfen, aber auch lösen können. Eine dieser Antinomien, die die Beziehung zwischen den Lehrpersonen und den Schüler_innen prägt, ist die »Symmetrie- bzw. Machtantinomie«, die beschreibt, dass sich die Lehrperson zwar durch »Wissensbestände, Ressourcen und Kompetenzen« in »einer überlegenen, mächtigen Position« befindet, denn die Schüler_innen sind von diesen »ausgeschlossen und auf den Professionellen angewiesen […], um die lebenspraktische Handlungsfähigkeit zu sichern« (Helsper 2000: 146). Es zeigt sich, dass »pädagogische Interaktionen in der Regel durch starke Asymmetrien und Machtunterschiede gekennzeichnet [sind]« (Helsper 2004: 19). Gleichermaßen aber »bedarf es immer wieder symmetrischer Verhältnisse, um Problemlösungen zu entwickeln«, aufgezwungene Problemlösungen würden laut Helsper zum Scheitern führen (vgl. Helsper 2000: 146). Es wird also deutlich, dass durch den Wissens- und Kompetenzvorsprung eine hierarchische Beziehung zwischen der Lehrperson und den Schüler_innen besteht, die aber aufgehoben werden muss, wenn die Schüler_innen sinnvoll lernen und eigene Ansätze und Strategien entwickeln sollen. Hier wäre also eine »symmetrische« Beziehung von Nöten, einerseits, damit die Lehrperson sich in die Schüler_innen und ihre möglichen Probleme beim Lösen einer Aufgabe hineinversetzen kann. Andererseits aber benötigen die Schüler_innen Hilfe, die für sie nachvollziehbar erscheint und sie selbst eine eigenständige Lösung finden lässt. Eine weitere Antinomie, die sich direkt auf die Beziehung zwischen der Lehrperson und den Schüler_innen bezieht, ist die »Nähe-Distanz-Antinomie«. Um Schüler_innen in Krisen beratend zur Seite stehen zu können, muss die Lehrperson sich der Person des einzelnen Schülers, der einzelnen Schülerin in einem Näheverhältnis zuwenden Da aber die Lehrperson zugleich die Aufgabe der möglichst objektiven Bewertung von Schüler_innenleistungen hat, wird hier zugleich Distanz notwendig (vgl. ebd.: 147-148). Vor allem jüngeren Schüler_innen ist es außerdem häufig nicht möglich, »trennscharf zwischen diffusen

»W IR WAREN DIE S CHÜLER ,

SIE DIE

L EHRERIN «

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und spezifischen Sozialbeziehungen zu unterscheiden«, hier ist es folglich besonders wichtig, dass die Lehrperson den Schüler_innen nahe steht, um auf sie und ihre Entwicklung eingehen zu können, andererseits aber eine »distanzierte Begrenzung« bewahrt (ebd.). Lehrpersonen stehen also als »beruflich handelnde Pädagogen in der Spannung eines Zuviel oder Zuwenig an emotionalem Engagement« (Helsper 2004: 25). Er macht deutlich, dass eine von der Lehrperson ausgehende »Fühllosigkeit«, […] ebenso wenig wie eine familiale Intimisierung die Grundlage beruflich-pädagogischen Handelns bilden kann« (ebd.). In diesen antinomischen Spannungen besteht also die Gefahr, eine Distanz zu erreichen, die sogar gleichgültig wirken könnte, oder aber eine intimisierte, an eine Familie erinnernde, nahe Beziehung einzugehen, die zu Enttäuschungen führen kann (ebd.: 26). Vor allem für das sogenannte »Arbeitsbündnis« ist Nähe wichtig, denn Schüler_innen, die etwas lernen wollen, binden sich »potenziell an jemanden, von dem [sie annehmen können], dass sie oder er [ihnen] dieses Wissen vermitteln kann und vermitteln will« (Oevermann 2008: 66). »Von einer begrenzten professionellen Haltung aus aber können Pädagogen Nähe ermöglichen. An die Stelle von Liebe tritt dabei Verlässlichkeit, die Orientierung an Gerechtigkeit und einer einfühlenden Fürsorge, die zugleich um ihre Grenzen weiß. Ergebnis ist Vertrauen, das über ungewisse und prekäre pädagogische Handlungen erzeugt und erneuert werden muss« (Helsper 2004: 26). Es ist folglich notwendig, Vertrauen in der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung herzustellen und zu erhalten, damit das Arbeitsbündnis von beiden Seiten ernst genommen und erfüllt werden kann. Es gibt noch eine dritte Antinomie, die ebenfalls das Verhältnis zwischen der Lehrperson und den Schüler_innen betrifft: Es handelt sich hierbei um die Vertrauensantinomie. Helsper bezeichnet ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen als »in besonderem Maße« notwendig, zeigt aber auf, dass »dessen Herstellung« erschwert ist und das Verhältnis auch dauerhaft »fragil« bleiben wird (Helsper 2000: 147). Laut Helsper spielt die »reflexive Erschließung und Handhabung« der Antinomien eine zentrale Rolle in der »Professionalisierung der Lehrerarbeit«, denn sie werden als »unaufhebbare Anforderungen […], die implizit ständige Entscheidungen erfordern« wiederholt in der Praxis auftauchen und die Lehrperson fordern (ebd.: 158). Eine wichtige Voraussetzung professionellen Handelns ist somit die »reflektierte[…] Handhabung der Antinomien«, die sich aus ihrer Rekonstruktion und vorgeschlagenen Handlungsmöglichkeiten ergibt (ebd.: 158). Somit ist eine Fallrekonstruktion, die die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen näher beleuchtet und sie nach auftretenden Antinomien und angewandten Lösungsstrategien hin untersucht, generell sinnvoll, um pro-

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fessionelles Lehrer_innenhandeln zu ermöglichen und das Verständnis des Antinomie-Konzeptes zu untermauern, hier auch, weil in diesem besonderen Fall Eine Lehrperson in einem Brief von ihren Schüler_innen als »gute Lehrerin« angesprochen wird.

F ALLBESTIMMUNG Die Untersuchung der Lehrer_in-Schüler_in-Beziehung bezieht sich auf einen gemeinsam geteilten Erfahrungsraum zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen. Bei dem uns vorliegenden Dokument handelt es sich um einen Abschiedsbrief, der von einer Gruppe von Schüler_innen an die Lehrerin verfasst wurde. Der Brief wurde nicht handschriftlich, sondern am Computer geschrieben, was darauf hinweist, dass der Brief durchdacht ist und mit Bedacht formuliert wurde. Anders als bei einer mündlichen Rückmeldung ermöglicht ein Brief es der verfassenden Person, ununterbrochen das Wort zu behalten. In der besonderen Situation der Abschlussklasse, die einen Brief an ihre Lehrerin verfasst, wird deutlich, dass die an dem Brief beteiligten Schüler_innen durch das Verfassen des Briefes selbst versuchen, die Beziehung zu rekapitulieren und noch nicht enden zu lassen. Da der Brief von einem Kollektiv verfasst wurde, ist davon auszugehen, dass nicht die Gedanken der einzelnen Personen ungefiltert einflossen, sondern gemeinsam in einer Gruppe abgewogen und besprochen wurden. Alle Ereignisse, auf die in diesem Brief eingegangen wird, sind Ereignisse, die die Gruppe mit der Lehrperson gemeinsam erlebt haben. Es werden keine Einzelschicksale angeführt. Weiterhin ist zu bemerken, dass es sich bei den Verfasser_innen um einen Abschlussjahrgang handelt. Inhaltlich weist der Brief darauf hin, dass die Schüler_innen die Abiturprüfungen bereits hinter sich gelassen haben, so dass sie sich durch einen besonders freundlich verfassten Brief keine Hoffnungen auf bevorzugte Bewertungen durch diese Lehrerin machen konnten. Das Verfassen des Briefes geschieht also nicht nur freiwillig, sondern scheint auch ohne spezifischen »Nutzen« zu sein. Unter Beachtung aller genannten Aspekte stellt sich folgende Frage: Welche spezifische Ausprägung der Beziehung zwischen der Lehrperson und ihren Schüler_innen wird durch den kollektiven Brief an die Lehrerin deutlich?

»W IR WAREN DIE S CHÜLER ,

I NTERPRETATION

DES

SIE DIE

L EHRERIN «

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B RIEFES

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei dem vorliegenden Datenmaterial um ein Briefdokument, auf das von Seiten der Adressatin keine Reaktion vorliegt. Somit lässt die Interpretation dieser Daten nur Aussagen aus der Perspektive der Schüler_innen zu. Eingeleitet wird der Brief mit der Begrüßung: »Liebe Fr. D.«.1

Zunächst scheint die Anrede der Lehrerin mit »Liebe« angemessen für den schulischen Kontext und drückt ein Vertrauensverhältnis zwischen der Lehrperson und den Schüler_innen aus. Die Anrede »Frau D.« spiegelt dabei die alltägliche Interaktion zwischen der Lehrerin und den Schüler_innen wieder. Da Lehrer_innen in Deutschland üblicherweise mit Herr oder Frau und dem Nachnamen angesprochen werden, bildet diese Anrede einen Alltagssprechakt der Schüler_innen ab. Die Schüler_innen haben das Wort »Frau« nicht ausgeschrieben, sondern durch »Fr.« abgekürzt. Diese ungewöhnliche Form der Abkürzung in der Schriftsprache verweist auf den formellen Rahmen, der durch die Reglementierung der Organisation Schule gegeben ist und in dem sich die Lehrer_innenSchüler_innen-Beziehung bewegt. In der Anrede wird deutlich, dass die Schüler_innen versuchen, beiden Aspekten, nämlich der Nähe und der Distanz, die die Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung bestimmen, gerecht zu werden. Indem die formelle Anrede »Fr. D.« um das ausdrucksstarke Adjektiv »Liebe«, welches vorwiegend in einem privaten bzw. intimen Kontext vorkommt, erweitert wird, erfüllen die Schüler_innen die Konventionen im Umgang mit Lehrpersonen im schulischen Rahmen. Der erste Satz des Briefes lautet: »wir schreiben diesen Brief um uns bei Ihnen für all die tollen Jahre zu bedanken, die wir gemeinsam mit Ihnen verbringen durften.«

Dieser Satz kann als Einstieg in den Brief gesehen werden, denn es wird eine Verbindung zwischen der Empfängerin und dem Absender, einem übereinstimmenden Kollektiv »wir«, hergestellt. Dabei bleibt die Anrede mit »Ihnen« weiterhin formell und es wird der Grund des Briefes genannt, nämlich der Dank für die als schön empfundene gemeinsam verbrachte Zeit. Darin kommt Zweierlei zum Ausdruck: Erstens wird durch die Benennung des Zwecks des Briefes deut-

 1

Im Original wird der Name ausgeschrieben. Hier wurde zur Wahrung der Anonymität ein anonymisiertes Initial verwendet.

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lich, dass der Absender sicherstellen möchte, dass das Dokument die intendierte Funktion erfüllt und zweitens deckt ebendieses Sicherstellen die Angst des Absenders vor einer Fehlinterpretation des Briefes auf. Dadurch, dass der Empfänger im Hintergrund bleibt und vermutlich keine unmittelbare Interaktion zwischen der Lehrerin und den Schüler_innen stattfindet während die Lehrerin den Brief liest, ist das Risiko einer Fehlinterpretation des Dokuments erhöht. Des Weiteren ist die Doppelung »die wir gemeinsam mit Ihnen verbringen durften« auffällig. Sowohl aus grammatikalischer als auch aus stilistischer Sicht wäre es ausreichend gewesen, den Satz entweder ohne das Adjektiv »gemeinsam« oder ohne die präpositionale Konstruktion »mit Ihnen« zu formulieren. Die Verwendung beider Formen in demselben Satz ist eine Inklusion der Lehrerin in einen gemeinsam geteilten Erfahrungsraum der Schüler_innen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Wortwahl »verbringen durften«. Sie zeigt, dass die Schüler_innen erstens Dankbarkeit empfinden gegenüber der Lehrerin. Zweitens manifestiert das Verb in der Zeitform des Präteritums das Ende der gemeinsam verbrachten Zeit. Drittens drückt »dürfen« in seiner Funktion als Modalverb für gewöhnlich einen Wunsch oder eine Möglichkeit aus, was in besonderem Maße den schulischen Kontext des Inhalts kontrastiert, denn die Schüler_innen haben real keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Wahl der Lehrpersonen, die sie unterrichten und da für die Schüler_innen Schulpflicht gilt, kann somit nicht vorausgesetzt werden, dass alle Schüler_innen freiwillig an der Schule sind. Weitergeführt wird der Brief mit folgendem Satz: »Für uns alle begann im Schuljahr 06/07 an unserer Schule eine neue Ära, zum ersten Mal sollte eine Klasse in Biologie auf Englisch unterrichtet werden.«

Auch der zweite Satz des Briefes weist den Umgang der Schüler_innen mit den besonderen Gegebenheiten der schulischen Umgebung auf. Die kollektive Betroffenheit wird an prominenter Stelle, dem Satzanfang, zum Ausdruck gebracht. Die Betroffenheit aller von dem besonderen, erstmaligen Ereignis, dass eine Naturwissenschaft bilingual unterrichtet wird, betrifft nicht nur alle Schüler_innen dieser Klasse und alle Schüler_innen dieser Schule, die zukünftig die Möglichkeit haben werden, bilingual in Biologie unterrichtet zu werden, sondern auch die Fachlehrpersonen und in dem konkreten Fall die Lehrerin. Somit schaffen die Schüler_innen eine Inklusion der Lehrerin in deren Erfahrungsraum. In diesem zweiten Satz wird der Erfahrungsraum von den Schüler_innen näher definiert: Bisher beschränkte sich der Erfahrungsraum zeitlich auf »all die tollen Jahre«. Der Beginn des Erfahrungsraumes wird nun in das Schuljahr 06/07 datiert und die Schule wird als Erfahrungsort lokalisiert. Neben Zeit und Raum

»W IR WAREN DIE S CHÜLER ,

SIE DIE

L EHRERIN «

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findet sich eine dritte Dimension des Erfahrungsraumes, den die Schüler_innen entwerfen, nämlich eine psychologische Dimension. Alle Schüler_innen dieser Klasse und die Lehrerin sind Teil von etwas Neuem. Dass »eine Klasse in Biologie auf Englisch unterrichtet werden soll« markiert nicht nur einen Wendepunkt in der Fachdidaktik und bringt somit Herausforderungen für die Schüler_innen und die Lehrerin mit sich, sondern versetzt die Lehrerin in eine ähnlich einflussarme Situation wie ihre Schüler_innen. Dies wird hauptsächlich von dem Modalverb »sollte« ausgedrückt, das auf einen Zwang der Handlung verweist. Die Hervorhebung dieses Zwanges, dem die Schüler_innen und die Lehrerin unterliegen, bewirkt eine Erweiterung des gemeinsam geteilten Erfahrungsraumes und stellt die Lehrerin hinsichtlich der eingeschränkten Einflussnahme auf die Organisation der Schule mit den Schüler_innen gleich. »Wir waren die Schüler, Sie die Lehrerin.«

In dem Satz »Wir waren die Schüler, Sie die Lehrerin.« wird die Gleichstellung der Lehrerin mit den Schüler_innen aus dem vorangegangenen Satz wieder aufgehoben. Die Schüler_innen geben somit nicht nur eine floskelartige Zustandsbeschreibung der Vergangenheit, sondern verorten sich und die Lehrerin in den festgelegten Rollen der Organisation Schule. Mit dieser Definition geht eine Rollenzuweisung einher, die den Schüler_innen parallel dazu eine Abgrenzungsmöglichkeit bietet und somit einen ersten Schritt zur Formulierung eines Arbeitsbündnisses darstellen würde, wenn nicht die Zeitform des Präteritums für das Verb »sein« benutzt worden wäre. Da es sich hierbei um einen Satz handelt, der auch in einem Bericht gefunden werden könnte, stellt das Präteritum eine Erzählform dar und drückt eine abgeschlossene Vergangenheit ohne unmittelbaren Bezug zur Gegenwart aus. Die Verwendung dieser Form markiert eine erfolgte innere Lösung aus der Schüler_innenrolle. In Ergänzung zu der Rollenzuweisung im vorangegangenen Satz, wird im Folgenden die Rolle der Lehrerin näher definiert: »Eigentlich waren Sie erst auf dem Weg Lehrerin zu werden, denn noch waren Sie Referendarin, und es gab niemanden im Kollegium, der Ihnen Wegbereiter hätte sein können.«

Der erste Teil des Satzes (bis »und«) macht auf zwei Dinge aufmerksam. Erstens wird die hierarchische Stellung der Lehrerin relativiert, denn die Schüler_innen sind sich darüber bewusst, dass die Ausbildung der Lehrperson zu Beginn der gemeinsamen Zeit noch nicht abgeschlossen war, dass diese also selbst noch in einem Ausbildungsverhältnis zu ihrem Fachleiter und Mentor steht. Somit wird

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wieder eine Gemeinsamkeit zwischen den Schüler_innen und der Lehrerin hergestellt. Die zweite Besonderheit an diesem ersten Teil des Satzes ist die Begründung »denn noch waren Sie Referendarin«, der einerseits die vorherige Relativierung der hierarchischen Position erklären und die Rolle der Lehrperson spezifizieren und andererseits eine mögliche Fehlinterpretation durch die Adressatin ausschließen soll. Die Kennzeichnung der Lehrperson als Referendarin im ersten Teil des Satzes bekommt mit dem zweiten Teil »und es gab niemanden im Kollegium, der Ihnen Wegbereiter hätte sein können« eine neue Bedeutung. Die Schüler_innen sind sich der mangelnden fachlichen Unterstützung durch die Fachkolleg_innen sowie des Referendarinnenstatus, also der gewissermaßen schlechten Ausgangsbedingungen zur Bewältigung der Herausforderung des bilingualen Biologieunterrichts, bewusst und unterstreichen die Besonderheit der Situation für die Lehrerin. Die Bezugnahme der Schüler_innen auf den Referendarinnenstatus der Lehrperson wertet im Kontext des folgenden Satzes: »Sie waren eine echte Pionierin auf diesem Gebiet und an unserer Schule.«

die Leistungen der Lehrerin auf und verstärkt die Einzigartigkeitswahrnehmung der Lehrerin durch die Schüler_innen. Die Einzigartigkeit der Lehrerin als Vorreiterin wird durch das Fragment »auf diesem Gebiet und an unserer Schule« näher bestimmt und eingegrenzt. Durch den Gebrauch der Ortsbezeichnung »an unserer Schule« verweisen die Schüler_innen auf den gemeinsam geteilten Erfahrungsraum und sehen sich als einen Teil dieser Einzigartigkeit; sozusagen durch das Erleben der Einzigartigkeit der Lehrerin in ihrem professionellen Handeln. In diesem Satz bewerten und beurteilen die Schüler_innen die Lehrperson und kehren somit die hierarchischen Gegebenheiten um, indem sie das Handeln der Lehrperson nachahmen und den Lernfortschritt der Referendarin schriftlich fixieren. Der folgende Satz bewertet die Bewältigung einer konkreten Aufgabe, nämlich bilingualen Biologieunterricht zu halten, ohne fachliche Vorarbeit durch Kolleg_innen und ohne abgeschlossene schulpraktische Ausbildung: »Rückblickend können wir sagen, dass Sie diese Aufgabe meisterhaft bewältigt haben!«

Die Phrase »können wir sagen« verweist darauf, dass die Schüler_innen sich dazu befähigt sehen, die Leistungen der Lehrerin retrospektiv zu beurteilen. Dabei dienen die Erfahrungswerte der Schüler_innen, die sie bedingt durch die Organisation der Institution Schule bis zu diesem Zeitpunkt bereits gesammelt haben, vermutlich als Bewertungs- und Beurteilungsgrundlage. Durch die Her-

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vorhebung und Beurteilung des pädagogisch professionellen Handelns der Lehrerin befinden sich die Schüler_innen in einer wertenden Position, die normalerweise der Lehrperson vorbehalten ist. Die Diskrepanz zwischen der vorherigen Feststellung des Anfängerstatus und dem Prädikat »meisterhaft« verdeutlicht das außergewöhnlich positive Qualitätsurteil. Darüber hinaus sprechen die Schüler_innen mit dem Ausrufezeichen eine implizite Aufforderung gegenüber der Lehrerin aus, die eigenen Leistungen anzuerkennen und in dieser Art und Weise fortzufahren. Die Anrede bleibt dabei immer auf einer formellen, höflichen Ebene. Die Schüler_innen übernehmen somit noch eine weitere Funktion des Lehrer_innenverhaltens, nämlich die der Motivation. In dieser Bewertung der Rolle der Lehrerin kommt die Symmetrie zwischen der Lehrerin und den Schüler_innen zum Ausdruck. Im übrigen Verlauf des Briefes kann man, während die Schüler_innen auf der Sachebene über fachdidaktische, methodische und pädagogische Aspekte des Unterrichts, sowie über die Merkmale der Lehrer_innenpersönlichkeit schreiben, auf der Beziehungsebene wiederkehrende Umgangsformen der Schüler_innen mit den schulischen und institutionellen Gegebenheiten, die die Lehrer_innenSchüler_innen-Beziehung beeinflussen, feststellen. Dies zeigt sich in besonderem Maße im letzten Teil des Briefes, der große sprachliche Ähnlichkeit zu dem Beginn des Briefes aufweist: »Liebe Frau D., Sie verdienen unser größtes Lob und unsere höchste Anerkennung für all das, was Sie für uns und die Schule getan haben.«

Auch an dieser Stelle zeigt sich ein Vertrauensverhältnis, das im Kontrast zur formellen Anrede steht. Auffällig ist dabei, dass die Schüler_innen am Ende des Briefes das Wort »Frau« schriftsprachlich konventionell ausschreiben und die abgekürzte Form »Fr.« keine Verwendung findet. Somit wird die Formulierung der Anrede im Verlauf des Briefes etwas persönlicher, allerdings nie informell. Indem die Schüler_innen das Engagement der Lehrerin für die Schüler_innen und die Institution durch Superlative hervorheben, verweisen sie einerseits wieder auf einen gemeinsam geteilten Erfahrungsraum und machen gleichzeitig deutlich, dass deren »größtes Lob« und die »höchste Anerkennung« von der Lehrerin erarbeitet bzw. »verdient« werden musste. Andererseits zeugen die Superlative von einer Einzigartigkeitswahrnehmung der Lehrerin in ihrer Rolle innerhalb der Organisation Schule durch die Schüler_innen. Außerdem unterliegt dem Gebrauch der Superlative eine Bewertung und Beurteilung der Leistungen, die die Lehrperson erbracht hat, und abermals werden die Rollen zwischen den Schüler_innen und der Lehrerin getauscht. Der darauf folgende Satz:

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»Mit diesem Brief wollten wir Ihnen sagen, dass und warum Sie für uns die beste Lehrerin sind.«

zeigt das Bedürfnis der Schüler_innen den Anlass und die Funktion des Briefes noch einmal hervorzuheben. Der Konjunktiv II Präteritum aktiv des Verbes »wollen«, der sowohl die Bedeutung einer Höflichkeitsform, oder aber auch die des Wunschdenkens in sich trägt, steht somit im Gegensatz zu der förmlich anmutenden Eröffnung des Satzes und signalisiert die Unsicherheit der Schüler_innen. Das Bedürfnis der Schüler_innen, den Anlass zu erklären und die Wahl des Konjunktives II zeigen, dass es sich an dieser Stelle um eine Strategie handelt, um Fehlinterpretationen von Seiten der Lehrerin vorzubeugen; das Lob der Schüler_innen bezieht sich auf die Rolle der Lehrerin und nicht auf ihre Person. Hätten die Schüler_innen keine Befürchtung der Fehlinterpretation durch die Lehrerin, hätte die Formulierung vermutlich nur aus einem Hauptsatz »Sie sind die beste Lehrerin!« bestanden und wäre somit konkreter ausgefallen. Darüber hinaus wird durch den Gebrauch der Superlativform »die beste«, der Lehrerin ein Alleinstellungsmerkmal durch das Kollektiv der Schüler_innen zugeschrieben. Weitergeführt wird der Brief mit dem Satz: »Wir haben Sie sehr lieb gewonnen und sind dankbar für die vielen schönen Erinnerungen, die wir aus unserer gemeinsamen Zeit mitnehmen.«

Die Schüler_innen drücken in ihrer Dankbarkeit und durch den Verweis auf die »vielen schönen Erinnerungen« ihre Verbundenheit mit der Lehrerin aus und schreiben ihr die Urheberschaft der »tollen Jahre« zu. Bemerkenswert ist dabei die Formulierung des Satzanfanges, die zunächst sehr konkret ist und durch ihren Beschlusscharakter der Aussage Nachdruck verleiht. Parallel dazu bildet der erste Teil des Satzes (bis »und«), unter anderem, durch die Steigerungsform »sehr«, die Prozesshaftigkeit der Beziehungsgeschichte als einer gewachsenen Beziehung ab, die zugleich weit über die rollenförmige Beziehung innerhalb der Institution Schule hinausgeht. Hier konstituiert sich ein spannender Widerspruch zwischen der im Brief eingehaltenen Form und Distanz und den emotionalen Aussagen, die eher im Kontext diffuser Sozialbeziehungen wie Freundschaft und Familie zu verorten sind. Des Weiteren wird die Lehrerin mit dem Verweis auf den gemeinsam geteilten Erfahrungsraum – an dieser Stelle sprechen die Schüler_innen von »unserer gemeinsamen Zeit« – völlig in die Gemeinschaft der Schreiber_innen inkludiert. Das nahende Ereignis des Abschieds wird von den Schüler_innen im folgenden Satz:

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SIE DIE

L EHRERIN «

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»Der Abschied fällt uns allen sehr schwer und wir werden Sie sehr vermissen.«

als ein äußerst emotionales Erlebnis dargestellt. Die Endgültigkeit dieses einschneidenden persönlichen Ereignisses, nämlich dem Ausscheiden aus der Schule und dem damit verbundenen Verlust der Lehrerin als Bezugsperson, bewegt die Schüler_innen dazu, sich selbst in ihrer Beziehung zu der Lehrerin als Person zu verorten und durch das Verfassen und Übermitteln des Briefes, darauf aufmerksam zu machen. Insgesamt ist die Verabschiedung weniger distanziert als die Anrede des Briefes, jedoch wurde stets eine höfliche und formelle Formulierung gewählt. So auch in der ersten Grußzeile des Briefes: »Mit herzlichen Grüßen // Ihre Nerds«

Die Schüler_innen benennen sich selbst als Außenseiter, was ein weiterer Verweis auf den mit der Lehrerin geteilten Erfahrungsraum darstellt. Denn nur wer die mit dem Begriff »Nerds« verbundene Situation bzw. das damit verknüpfte Ereignis kennt, also daran teilgenommen hat, kann die Verwendung und die Bedeutung des Begriffes in der jeweiligen Situation ganz erfassen. Gerade deswegen ist der Verweis der Schüler_innen auf diesen Insider-Witz ein beachtliches Alleinstellungsmerkmal für die Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung, da eine Abgrenzung von denjenigen Schüler_innen vollzogen wird, die nicht Teil dieser Lerngruppe sind oder waren. Insgesamt ist der Brief geprägt von dem schulisch-institutionellen Kontext, der hinsichtlich der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung diverse Spannungsverhältnisse aufwirft. Dabei sind vor allem die von Helsper formulierten Antinomien der Symmetrie und Macht, des Vertrauens, und der Nähe und Distanz, zu nennen. Die in dem Brief immanenten Umgangsweisen der Schüler_innen mit den Antinomien sind bemerkenswert und vielfältig. Fortwährend lässt sich durch das Briefdokument die Definition eines gemeinsam geteilten Erfahrungsraumes und den Verweis auf diesen als eine Inklusion der Lehrerin in eine Gemeinschaft mit den Schüler_innen rekonstruieren. Dabei sind sich die Schüler_innen nie sicher, ob das Geschriebene von der Adressatin in deren Sinne, also in Bezug auf die Rolle der Lehrerin, interpretiert wird, weshalb sie dies mehrfach explizieren. Oftmals werden Begründungen, Anlässe oder sogar die Funktion des Geschriebenen benannt, um das Risiko einer Fehlinterpretation und einer damit einhergehenden Fehldeutung der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung senken zu können. In diesem Zusammenhang ist auch die Einzigartigkeitswahrnehmung der Lehrerin und der Beziehung zu der Lehrerin durch die Schüler_innen zu

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nennen. Das »Aufmerksamkeit-auf-Einzigartigkeiten-Lenken« steht erstens im Kontext des gemeinsam geteilten Erfahrungsraumes und kann zweitens auch als Appell an das Erinnern verstanden werden. Eine weitere Umgangsweise der Schüler_innen, vor allem im Zusammenhang mit der Symmetrie- bzw. Machtantinomie, ist das Übernehmen des Lehrer_innenverhaltens. Indem die Schüler_innen sich in der Lage dazu sehen, die Leistungen der Lehrerin zu bewerten, nehmen sie eine Funktion ein, die ansonsten der Lehrperson vorbehalten ist. Auch die Aufgabe einer Lehrerperson, ihre Schüler_innen zu motivieren, übernehmen die Schüler_innen in dem Brief an ihre Lehrerin. Dadurch wird eine Symmetrie zwischen Lehrerin und den »ehemaligen« Schüler_innen hergestellt. Interessanterweise findet ein permanenter Wechsel zwischen den Bezugsnormen der Schüler_innen statt. Nach einem Satz der als Herstellung oder Nutzung von Symmetrie rekonstruiert werden kann, folgt zumeist ein Satz, der die alltägliche Hierarchie, nämlich die Machtposition der Lehrerin durch Wissens- und Kompetenzvorsprung, wiederherstellt. Insofern kann dieser Brief auch als eine »Abarbeitung« der Autor_innen an den antinomischen Spannungen betrachtet werden, die auch für Schüler_innen Schule und Unterricht konstitutiv prägen.

F AZIT Im Fokus dieser Forschungsarbeit stand zunächst die Frage nach der spezifischen Ausprägung der Beziehung der Schüler_innen zu ihrer Lehrerin. Anhand des Datenmaterials, dem Abschiedsbrief einer Abschlussklasse an ihre Lehrerin, ließen sich verschiedene Umgangsweisen der Schüler_innen mit den Antinomien des Lehrer_innenhandelns rekonstruieren. Die Schüler_innen greifen auf den gemeinsam geteilten Erfahrungsraum und die substantielle gemeinsame Vorgeschichte der Schüler_innen und der Lehrerin zurück und überwinden so die Distanz, die durch den hierarchisch institutionellen Rahmen der Schule gegeben ist. Die hier aufscheinende Gemeinschaftlichkeit wird erst durch eine bereits zuvor bestehende Nähe zwischen Schüler_innen und Lehrerin erklärbar. Durch diesen gemeinschaftsstiftenden Bezug wird die Nähe zu der Lehrperson begründet. Des Weiteren kehren die Schüler_innen die asymmetrische Beziehung zwischen der Lehrperson und den Schüler_innen um. Dies gelingt den Schüler_innen durch die Reflexion und Bewertung der didaktischen, methodischen und pädagogischen Aspekte der Lehrer_innenprofessionalität. Dieser Umgang der Schüler_innen mit den Antinomien gibt dabei Aufschluss über das Spezifi-

»W IR WAREN DIE S CHÜLER ,

SIE DIE

L EHRERIN «

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kum der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung zwischen dieser Abschlussklasse und der Lehrerin. Dadurch, dass die Schüler_innen sich in der Lage sehen, die Lehrerin zu bewerten und ihr diese Beurteilung sogar schriftlich zukommen lassen, zeugt der Akt als solcher schon von der Wahrnehmung der Beziehung zu der Lehrperson als einzigartig und setzt ein gewisses Vertrauen voraus. Obwohl sich in dem Dokument Strukturen nachweisen lassen, die von einer Sorge der Fehlinterpretation durch die Empfängerin zeugen, muss doch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Schüler_innen es immer wieder wagen, gegen Konventionen des schulischen Alltags zu verstoßen, und ihre Anerkennung für die Leistungen der Lehrerin ebenso zum Ausdruck bringen, wie die weit über die formale und rollenförmige Beziehung hinausgehende Zuneigung, die sie für die Lehrperson empfinden.

L ITERATUR Bohnsack, Ralf (2010): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, Opladen u.a. : Verlag Barbara Budrich. Helsper, Werner (2000): »Antinomien des Lehrerhandelns und die Bedeutung der Fallrekonstruktion – Überlegungen zu einer Professionalisierung im Rahmen universitärer Lehrerausbildung«, in: Ernst Cloer/Dorle Klika/ Hubertus Kunert (Hg.), Welche Lehrer braucht das Land? Notwendige und mögliche Reformen der Lehrerbildung, Weinheim u.a.: Juventa, S. 142-177. Ders. (2004): »Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne«, in: Heinz-Hermann Krüger/Werner Helsper (Hg.), Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 15-34. Langenohl, Andreas (2008): »Die Schule als Organisation«, in: Herbert Willems (Hg.), Lehr(er)buch Soziologie. Für die pädagogischen und soziologischen Studiengängen. Bd. 2, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 817-833. Oevermann, Ulrich (2008): »Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule«, in: Werner Helsper u.a. (Hg.), Pädagogische Professionalität in Organisation. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 55-78. Parsons, Talcott (2001): »Handeln in gesellschaftlichen Systemen«, in: Franzjörg Baumgart (Hg.), Entwicklungs- und Lerntheorien. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben, Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 81-116.

188 | S ABRINA H OPP & D ENISE K ORNBRUST

Wernet, Andreas (2000): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik, Opladen: Leske & Budrich.



Zusammenschau

Bemerkenswerte Koinzidenz Versuch einer abschließenden Bilanzierung M ORITZ F RANK , K ATHARINA H UHN , U LRIKE M EYER & J ÖRN -A NDERS M ÜLLER

E INLEITUNG »Lehrer sollten sich daher auch als autonome, als verletzbare und auf Wertschätzung angewiesene Personen offenbaren. Lehrer sollten ihren Schülern auch ihre prekäre Gratwanderung zwischen Autorität und Kollegialität durchsichtig und verständlich machen. Viele einzelne Lehrer beherrschen diese schwierige Rolle auf eine außerordentlich gute Weise. Wer gegenüber seiner Klasse so agiert, ermöglicht seinen Schülern das Verständnis, ihre Lehrer nicht nur als Respektspersonen ohne Fehl und Tadel, sondern als verletzbare Personen zu begreifen, die ebenfalls Anerkennung brauchen.« (Honneth 2008b)

In einem Interview mit der Zeitschrift Focus weist der Frankfurter Philosoph Axel Honneth (2008b) auf die besondere Komplexität des Lehrer-SchülerVerhältnisses hin. In einem solchen Verhältnis liege stets ein Widerspruch begründet, wonach auf der einen Seite erwartet werde, dass Lehrer_innen und Schüler_innen gleichwertige Partner seien und auf der anderen Seite allen Beteiligten bewusst sei, dass das Verhältnis letzten Endes trotzdem das einer hierarchischen Ordnung sei. Für Honneth bedeutet dies in der Folge, dass eine Kultur der Anerkennung auch im schulischen Rahmen ein unverzichtbares Element darstelle. Besonderen Wert legt der Philosoph hierbei auf »ein wechselseitiges Verhältnis der Zustimmung oder der Affirmation des jeweils anderen« (2008a). Während es zahlreiche Studien zu Forschungsfeldern wie Heterogenität, Professionalität, Sanktionen, Gender oder Peer Groups gibt, findet die Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung in der pädagogischen Forschung eine gerin-

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gere Beachtung1. Dieser Forschungslücke ein Stück weit beizukommen, ist das Anliegen des vorliegenden Herausgeberbandes. Dargestellt werden verschiedene methodisch kontrollierte Auseinandersetzungen mit Lehrer_innen-Schüler_innen-Interaktionen und den in diesem Rahmen zum Ausdruck gebrachten Orientierungsmustern der Beteiligten. Ausschnitte aus Unterrichtsinteraktionen, Lehrer_inneninterviews sowie Gruppendiskussionen mit Schüler_innen bilden den Datensatz für diese Untersuchungen. Die Darstellungen abschließend werden Schüler_innenbriefe hinsichtlich der dort zum Ausdruck gebrachten Beziehungsstruktur rekonstruiert. In unserer Zusammenfassung wollen wir die Ergebnisse der vorliegenden Studien vorrangig mit Blick auf Prozesse der Beziehungsgestaltung zusammenfassend betrachten. Unser Augenmerk liegt dabei auf der Frage, inwieweit in den Konzepten der interviewten Lehrer_innen sowie in den Orientierungen der Schüler_innen vergleichbare Orientierungsmuster zum Tragen kommen und auf welche Weise sich diese äußern. Gerade die wechselseitige Betrachtung der Perspektiven des Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnisses, d.h. aus Sicht der Lehrpersonen und der Schüler_innen, erscheint uns relevant, da sich die in Interaktion befindenden Personen gegenseitig in ihrem Handlungsvollzug beeinflussen und sich aktiv mit dieser Umwelt auseinandersetzen (vgl. Schwertfeger 2011). Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse basieren grundlegend auf eigenen innerhalb der Forschungswerkstatt erhobenen Rekonstruktionen sowie auf einer Zusammenschau der in diesem Band vorgestellten Ergebnisse der anderen Beiträge. In einem ersten Schritt werden relevante theoretische Bezüge dargestellt, um daraufhin die Fragestellung, wie der Umgang mit den voraussetzungsreichen Anforderungen an Lehrer_innen und Schüler_innen verstanden werden kann, zu erfassen. Im Fokus der Betrachtung steht das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz als antinomische Anforderungsstruktur an das Handeln von Lehrer_innen und Schüler_innen gleichermaßen. Dabei spielt auch der Umgang von Lehrer_innen und Schüler_innen mit der strukturell notwendigen und institutionell gegebenen Hierarchie eine besondere Rolle. Unter Bezugnahme auf relevante Interpretationsausschnitte aus den Lehrer_inneninterviews und den Gruppendiskussionen mit den Schüler_innen werden im Anschluss die Orientierungsmuster beider Parteien aufgezeigt, um auf dieser Grundlage die für die Fragestellung relevanten Konzepte herauszuarbeiten. Zum Schluss des Beitrags

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Die aktuelle Ausgabe der Online-Zeitschrift Schulpädagogik heute (Heft 9/2014) macht zugleich deutlich, dass das Interesse an und die Relevanzwahrnehmung des Themas zunimmt.

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werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst. Hierbei werden wir auch Ergebnisse der anderen Teilprojekte integrieren.

T HEORETISCHE B EZÜGE Die pädagogische Auseinandersetzung um Fragen der Beziehungsgestaltung von Lehrer_innen und Schüler_innen im deutschsprachigen Raum fundiert zunächst einmal auf der Theorie des pädagogischen Bezugs nach Nohl (1930) (vgl. Raufelder 2006: 11 ff.). Als Grundlage der Erziehung versteht Nohl »[…] das leidenschaftliche Verhältnis eines reifenden […] zu einem werdenden Menschen« (Nohl 1930 zit. n. Raufelder 2006: 11). Hierbei steht der Gedanke der pädagogischen Autonomie, also des Eintretens seitens der Lehrperson für das Wohl der Schüler_innen, im Vordergrund. Getragen wird der pädagogische Bezug bei Nohl beiderseits durch »Liebe«, ferner durch »Autorität« und »Erziehungswillen« auf Seiten der Lehrperson, und komplementär hierzu durch »Gehorsam« und »Vertrauen« auf der Seiten der Schüler_innen (vgl. Raufelder 2006: 11). Das Konzept der pädagogischen Liebe als konstitutives Prinzip des pädagogischen Bezugs wurde von u.a. Spranger dahingehend relativiert, dass diese Liebe keiner Gegenliebe bedürfe, da Schüler_innen Liebe »um seiner [ihrer] selbst willen« erfahren. Die gegenseitige Liebe stelle hingegen vielmehr einen »seltenen« Idealtypus dar, infolgedessen das Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis zu einer wechselseitig erhöhenden »Leidenschaft des Geistes« führe (vgl. Raufelder 2006: 12). Neben das Prinzip der pädagogischen Liebe reiht sich jenes des »pädagogischen Takts« als ein weiteres Element des pädagogischen Bezugs ein: Hinter diesem Prinzip verbirgt sich die »soziale Grundhaltung« der Lehrkraft gegenüber der Menschenwürde der Schüler_innen. In der Interaktion komme diese unter anderem durch die »Natürlichkeit des Handelns«, »Vermeidung von Verletzung« sowie der »Wahrung [von] Distanz« zum Ausdruck (vgl. Raufelder 2006: 12). Im Zuge der in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkommenden Umbruchstimmung in den Erziehungswissenschaften werden kritische Stimmen gegenüber den Überlegungen Nohls laut, die sich vor allem darauf berufen, dass das Konzept des pädagogischen Bezugs mit seinen aus familiären Leitmotiven stammenden Begriffen nicht konform sei zu einem auf Autorität gründenden asymmetrischen Verhältnis. Die Unerlässlichkeit des »Ablösungsprozesses« sowie der nicht dargebotene Raum zur Austragung von Konflikten hemme gar die Persönlichkeitsentwicklung (vgl. ebd.: 14). Im Zuge dieser Auseinandersetzungen gerät verstärkt die Frage nach der Vereinbarkeit des dem professionellen

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Handeln immanenten Spannungsverhältnisses von Nähe und Distanz in den Blick. Das Dilemma besteht in der Ausbalancierung zwischen einem »Zuviel oder Zuwenig an emotionalem Engagement«, welches aus der Herauslösung pädagogischen Handelns aus der Eltern-Kind-Intimität resultiert (vgl. u.a. Helsper 1995: 25 f.). Das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen unterscheidet sich von einer Eltern-Kind-Beziehung vor allem durch die Begrenztheit der Übernahme von Verantwortung sowie durch die institutionell konstitutive, zum Teil stündliche Auswechselbarkeit der Beziehungsbeteiligten (vgl. Helsper 1995: 25). Die bedingungslose Liebe eines Vaters oder einer Mutter zu deren Kind kann demnach nicht in gleichem Maße als pädagogische Kraft für das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen dienen, sie erfährt eine konstitutive Beschränkung. Klaus Prange vermerkt mit Blick auf professionstheoretische Überlegungen, dass die »Liebe zum Kind« die eigentlichen, den Beruf des Professionellen auszeichnenden Kompetenzen vernachlässige und somit die professionelle Grundlage verfehle. Statt sich im Rahmen des pädagogischen Handelns auf eine Intimität nach familiären Leitbildern zu stützen, sei, hier mit Blick auf Giesecke, unter Betonung der Ausschließbarkeit von Ganzheitlichkeit und Professionalität, die Begrenzung auf eine »affektive Neutralität« notwendig, nicht ohne hierbei jedoch die Gefahr einer entstehenden Gefühlskälte zu berücksichtigen (vgl. Helsper 1995: 25). Die Einnahme dieser begrenzenden Haltung bietet einerseits Schutz vor Übergriffen auf die »ganze Person« und damit vor dem Verlust von Freiheitsräumen, andererseits – und hierin liegt die Antinomie begründet – ermöglicht diese distanzierte Position auch das Zulassen von Nähe. Statt einer Eltern-Kind-Liebe kommen dabei Faktoren wie Verlässlichkeit, Gerechtigkeitssinn und Einfühlsamkeit zum Tragen, die zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen ein Vertrauen entstehen lassen, welches in intimen Beziehungen dem der Liebe oder der Freundschaft gleich komme (vgl. Helsper 1995: 26). Die Grenzen der »pädagogischen Liebe« markieren also zugleich die mit dem Beruf des Pädagogen einhergehende notwendige professionelle Distanz zum Schüler bzw. der Schülerin, wie die Anforderung einer auf Vertrauen und Nähe aufbauenden Verhältnisbestimmung. Neben der Frage nach den Grenzen bzw. dem Unterschied professioneller Beziehungen in Relation zu familiären, freundschaftlichen Verhältnissen stellt sich, sozusagen als Kehrseite der Medaille mit Blick auf das faktisch vorhandene »Zwangsgefüge« zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen, die Frage nach den Möglichkeiten bzw. Erfordernissen von »Nähe« und »Vertrauen« als Basis pädagogischer Handlungsanforderungen in (Abhängigkeits-)Verhältnissen (vgl. ausführlich Oevermann 1996, 2008).

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Ausgehend von den strukturellen Anforderungen sowie mit Blick auf die institutionellen Rahmenbedingungen lässt sich mit den Worten Krügers das Verhältnis zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen grundlegend wie folgt charakterisieren: »Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist zunächst ein Verhältnis zwischen Menschen mit je eigenen Bedürfnissen, die in einer Institution zu bestimmtem Zwecken Beziehungen aufnehmen (müssen). Wegen des Vorsprungs der Erwachsenen kann das Verhältnis nicht symmetrisch sein, es muss komplementäre Züge enthalten.« (Krüger 1994, zit. n. Raufelder 2009: 194)

Zum einen handelt es sich hierbei also um eine ambivalente, von unterschiedlichen Interessen her geleitete »Zweckgemeinschaft«, welche lediglich aufgrund eines institutionellen Rahmens und somit nicht auf rein fakultativer Basis zustande kommt. Zum anderen ist die Beziehung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen aufgrund des Generationenverhältnisses per se als eine asymmetrische aufzufassen. Die Frage der Beziehungsgestaltung auf der Basis wechselseitiger Anerkennung basiert also immer auch auf der asymmetrischen Beziehungsstruktur. Der Aufbau von Vertrauen im Kontext hierarchischer Strukturen und Machtprozesse kann dabei nur als reziprokes Konstrukt verstanden werden: Investiert die Lehrperson Vertrauen, so geht dies schließlich stets mit der Erwartung einher, dieses auch von den Lernenden als seinen Interaktionspartnern entgegengebracht zu bekommen und umgekehrt. Da es beiderseits allerdings keine Sicherheit für die Erfüllung dieser Erwartung gibt, ist das Investieren von Vertrauen stets auch mit dem Risiko der Enttäuschung verbunden (vgl. Schweer 2008: 549). Ferner unterliegt die asymmetrische Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung im Gegensatz zu symmetrischen Beziehungen wie Partner- oder Freundschaften, in denen das Vertrauen gewöhnlich über entsprechende Handlungen bestärkt wird, daher oftmals auch »Dekodierungsprobleme[n]«, so dass der Einsatz von Vertrauen sowohl aus der einen als auch aus der anderen Perspektive oftmals nicht als solcher erkannt wird (vgl. Schweer 2008: 549). Auch Rauchfelder verweist darauf, dass – auf der Basis des asymmetrischen Verhältnisses, der »Machtungleichheit« in ihren Worten – die Investition von Vertrauen für die Schüler_innen einem größeren Risiko entspricht (vgl. Raufelder 2006: 46). Dubs schließt gar, dass die Wertschätzung der Schüler_innen durch die Lehrperson viel mehr von Bedeutung sei als dessen Führungsstil (Dubs 2009: 90). Damit bringt er zum Ausdruck, dass eine Beschreibung des Verhältnisses zwischen Lehrenden und Lernenden nicht allein anhand von allgemeinen Typen

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möglich ist, sondern dass vielmehr einzelne Verhaltensmuster und deren Ausdifferenzierung in der wechselseitigen Interaktion im Vordergrund stehen. Ein empirischer Befund aus jüngerer Zeit hat unser Interesse in besonderem Maße geweckt. Schwertfeger konnte in ihrer Untersuchung zu pädagogischen Generationsbeziehungen in der Schule nämlich zeigen, dass der autoritärpädagogische Stil – wie bei Tausch und Tausch (1998) deutlich hervorgehoben – für Lehrer_innen im deutschen Schulsystem eher kein Leitbild ist bzw. im Selbstbild der Lehrer_innen nicht mehr nachweisbar sei (zusammenfassend Schwertfeger 2011: 236). Zwar bekunden die Lehrer_innen aus ihrer Sicht, dass Autorität, orientiert an Fachvermittlung, Schüler_innenleistung sowie Strenge ein legitimes Strukturmerkmal sei, sie distanzieren sich aber gleichzeitig von illegitimen Merkmalen wie z.B. Misstrauen, Überlegenheit oder Strafandrohungen (vgl. ebd.). Demokratisch-pädagogische Haltungen und deren Verhaltensweisen sind nach den Selbsteinschätzungen der Lehrer_innen mehrheitlich als deren »neues« Leitbild nachgewiesen. Das heißt, dass sich die Lehrer_innen selbst eine idealtypische, den Schüler_innen zugewandte demokratischpartnerschaftliche Einstellung zuschreiben (vgl. ebd.: 237). Bemerkenswerterweise steht jedoch die Sicht der Schüler_innen dieser Selbsteinschätzung sowohl in Bezug auf den propagierten pädagogischen Stil als auch in Bezug auf die Selbsteinschätzungen einer den Schüler_innen zugewandten demokratisch-partnerschaftlichen Einstellung der Lehrer_innen diametral entgegen. Aus Sicht der Schüler_innen wird die Einschätzung der Lehrer_innen keineswegs geteilt, denn im Schulalltag sind die illegitimen Formen von autoritären Verhaltensweisen stärker vertreten. Auch in Bezug auf das Selbstbild der Lehrer_innen bewerten die Schüler_innen dieses in einer fast entgegengesetzten Richtung, denn diese bestätigen die selbst zugeschriebenen Haltungen der Lehrer-/innen nicht bzw. nur als sehr gering ausgeprägt (vgl. ebd.). Dieser, wenn auch kurze Einblick in die wissenschaftliche Auseinandersetzung zum Thema »Beziehungsgestaltung« verdeutlicht den dilemmatischen Charakter, vor dessen Hintergrund Lehrer_innen und Schüler_innen sich begegnen. Züge dieser Auseinandersetzung zeigen sich auch in den vorliegenden Daten aus dem Kontext der Preiträger_innen des Deutschen Lehrerpreises. Gefragt wird danach, wie sich pädagogische Beziehungen in Abgrenzung zu einer Eltern-Kind-Beziehung im antinomischen Spannungsfeld von Nähe und Distanz konstituieren und welche Orientierungsmuster und Relevanzsetzung von den an der Beziehung beteiligten Personen vorgenommen werden. Die Basis der Auseinandersetzung sind einerseits narrative Interviews zweier Lehrpersonen, andererseits werden die Gruppendiskussionen mit von diesen Lehrer_innen zu diesem Zeitpunkt unterrichteten Schüler_innen mit Hilfe der dokumentarischen Methode

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(vgl. Nohl 2009) ausgewertet. Desweiteren wurden die Ergebnisse der in diesen Band versammelten Beiträge herangezogen und in unsere Überlegungen weitestgehend integriert.

K OMPARATIVE ANALYSE

DER I NTERPRETATION

Der Schwerpunkt der nun folgenden Betrachtung liegt auf den von den Lehrer_innen und den Schüler_innen dargestellten gemeinsam geteilten Orientierungsmustern. Dabei konzentriert sich unsere Analyse auf zwei Interviewkonstellationen: Die Interviews mit Herrn M. und Frau P.2 und die dazu gehörigen Gruppendiskussionen mit den Schüler_innen3. In den Erzählungen der befragten Lehrerpersonen zeigt sich, dass innerhalb der dort zum Ausdruck gebrachten Orientierungsmuster verschiedene Merkmale von Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnissen angesprochen werden: Sowohl Frau P. als auch Herr M. verweisen als Antwort auf die Frage nach dem Erleben und der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Lehrenden und Lernenden an erster Stelle auf den Aspekt der Partnerschaftlichkeit. Wie in den Interviews deutlich wird, zeichnet sich die Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung beiderseits vorrangig durch Ebenbürtigkeit bzw. eine Beziehung »auf Augenhöhe« aus. Frau P. betrachtet ihre Schüler_innen notwendigerweise als Partner in Abgrenzung zu einem feindschaftlichen Verhältnis. Auch Herr M.s Umgang mit den Lernenden lässt sich in dieser Weise deuten, wobei er die zuvor benannte Augenhöhe zu einer »Schein-Augenhöhe« relativiert, was seinen »Schülern meistens auch bewusst« sei. Er verweist hiermit darauf, dass er sich darüber im Klaren ist, dass »ein hierarchisches Verhältnis einfach vorhanden« ist. Der Lehrer als Initiator der Partnerschaftlichkeit stellt in dieser Hinsicht bei beiden interviewten Lehrkräften die »zentrale Figur« dar. In den Gruppendiskussionen äußert sich der Aspekt der Partnerschaftlichkeit vorrangig auf implizite Art und Weise im Modus von Beschreibungen. So sehen die Schüler_innen den Lehrer mehr als »Kumpel« denn als Lehrenden. Dadurch löst er sich von der distanzierten Rolle des Wissensvermittlers und begibt sich auf Augenhöhe mit Schüler_innen. Zwar legt auch Herr M. besonderen Wert auf

 2

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Lehrer_inneninterviews findet sich in

3

Ausschnitte aus den Gruppendiskussionen werden in den Beträgen von Becker/Emig/

den Beiträgen von Fischer et al. und Nürnberger. Maier und Kästli dargestellt.

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ein freundschaftliches Verhältnis, allerdings betont er – anders als seine Schüler_innen –, dass er nicht tatsächlich ihr Kumpel sei. Auch die Schüler_innen von Frau P. nennen diese Form des freundschaftlichen Verhältnisses auf die Frage danach, was den typischen Umgang mit ihr kennzeichnet. Während sie bezüglich anderer Lehrer_innen weitestgehend negative Attribute auflisten, tritt bei Frau P. das Verständnis für ihre Schüler_innen als zentraler Aspekt hervor. Die Schüler_innen von Herrn M. verweisen innerhalb der Gruppendiskussion zudem auf die Relevanz der Menschlichkeit als Motiv der Partnerschaftlichkeit zwischen Lehrkraft und Lernenden: »Der ist halt […] sympathisch und der kommt halt auch so rüber. So MENSCHLICH halt«. Auch aus der Lehrer_innenperspektive ist der Aspekt des »Mensch-Sein[s]« essentiell für das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Lehrer_innen und deren Schüler_innen: Entscheidend ist der »Blick auf den Menschen«. Für Herrn M. etwa lautet die »oberste Maxime […]: Bleib wie de bist«. Ferner schließt das Motiv der Menschlichkeit auch ein auf beiden Seiten ehrliches wie aufrichtiges Verhalten ein: »Ich sag auch mal, wenn ich n Fehler gemacht habe«. Gleichermaßen legt Frau P. beispielsweise bei Unwissenheit bezüglich unterrichtlicher Inhalte Ehrlichkeit gegenüber ihren Schüler_innen an den Tag. Außerdem impliziert der Aspekt des Mensch-Seins auch das Äußern von Emotionen bzw. persönlichen Einstellungen. Auch die Schüler_innen von Herrn M. heben dies positiv hervor: »Der erzählt auch mal was von seinem privaten Leben […]. Der lockert dann wieder alles auf«. In der Gruppendiskussion der Schüler_innen von Frau P. wird es als menschlich angesehen, wenn Lehrpersonen auch außerhalb der Unterrichtszeit Interesse an den Schüler_innen zeigen: »[…] und schwätzen mit dir einfach mal so«. Auch in diesen Beschreibungen zeigt sich trotz unbhängiger Datenerhebung eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Die »zwei Hauptkategorien von Lehrern«, die Herr M. prototypisch umreisst, lassen sich in den Beschreibungen der Schüler_innen in beiden Gruppendiskussionen ebenso wiederfinden wie die klare Favorisierung des Typs »Lernbegleiter«: »Die kommen dann au net gut AN, die wo dann meinen sie müssen die ganze Zeit ihr DING durchziehen«. Der auch von Herrn M. gelebte integrationsbetonte Stil schließt Aspekte wie Respekt und Toleranz im Umgang mit den Schüler_innen ein. Dies äußert sich beispielsweise darin, dass er unter den Voraussetzungen eines wechselseitig respektvollen Verhaltens über eine nach eigener Einschätzung hohe Toleranzschwelle verfügt. Bemerkenswert, wenn auch ohne direkte Entsprechung auf Seiten der Schüler_innen ist weiterhin die Orientierung, dass sich beide Lehrpersonen auch als

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zuständig für die Beziehung der Schüler_innen untereinander konstituieren. An keiner Stelle der Interviews wird die Beschreibung des Relevanzsystems so deutlich, wie in dem Fall, dass ein respektvoller Umgang in der Schüler_inSchüler_in-Beziehung nicht mehr gegeben ist (»[…] dann kann ich zur Wildsau werden« (Herr M.). Sprachlich nicht ganz so drastisch, aber ebenso eindeutig in der frühzeitigen Ablehnung unfairen Handelns der Schüler_innen untereinander ist die Position von Frau P. Dies verweist auf ein für beide Lehrkräfte vorhandenes Gefühl der Verantwortung und Zuständigkeit für die Lernenden, deren Würde es zu schützen gilt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang der von Frau P. angeführte Begriff der »Personengrenze«, der eine professionelle Auseinandersetzung mit der pädagogischen Beziehung nahe legt. Dies wird auch durch ihre hierzu erfolgende Erläuterung bestätigt, in der sie auf das proportionale Verhältnis des Aspekts der Achtung verweist: »je mehr Respekt man den Schülern entgegenbringt und sie auf ihrem Stand in ihrem So-Sein […] achtet und ihnen immer wieder Chancen gibt, […] desto mehr kommt dann auch von ihrer Seite zurück«. Der durch Frau P. aufgeworfene Begriff des »So-Seins« findet seine Entsprechung im Begriff des »Mensch-Seins« bei Herrn M. (s.o.), was auf eine ähnliche Orientierung bei der Betrachtung des Lehrer_in-Schüler_inVerhältnisses schließen lässt. Gegenseitiger Respekt als ein zentrales Motiv der Partnerschaftlichkeit wird auch seitens der Schüler_innen innerhalb der Gruppendiskussionen bestätigt: »Ja der Herr * ist so ein Lehrer, vor dem HABEN wir Respekt […]«. Die Lernenden akzeptieren und respektieren den Lehrer also in seiner Führungsrolle und fühlen sich gleichermaßen respektiert durch ihn. Neben dem Konzept der Partnerschaftlichkeit stellt das Spannungsfeld von Nähe und Distanz ein weiteres wesentliches Orientierungsmuster dar. Die Wahrung einer Distanz als konstitutives Element des Lehrer-Schüler-Verhältnisses sieht Frau P. beispielsweise in der Abgrenzung desselben von einer MutterKind-Beziehung gegeben. So ist sie der Auffassung, dass in einem derartigen Verhältnis eine andere, weitaus intensivere Form der Verantwortung zum Tragen komme als ihr selbst als Lehrkraft obliege. Dies helfe ihr, potentiellen »Negativballast« zu umgehen, da »Emotionen über irgend n bestimmtes Verhalten […] überhaupt net vorkommen«. Diese Art partikularer Verantwortung bezüglich der Eigentümlichkeiten von Schüler_innen als Individuen steht im Kontrast zur von der Lehrkraft vollkommen übernommenen Verantwortung für das Wohl der einzelnen Schüler_innen innerhalb der Klassengemeinschaft. Auch Herr M. betont, dass trotz des Wunsches nach einem freundschaftlichen und partnerschaftlichen Verhältnis stets eine »gesunde Distanz« zwischen Lehrenden und Lernenden gewahrt werden müsse.

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Insgesamt bekräftigen die Aussagen der Schüler_innen die in den Lehrer_inneninterviews zum Ausdruck gebrachten Orientierungsmuster. Vor allem die Hinwendung zu einem »menschlichen Umgang« miteinander, die auch die Vermittlung persönlicher Interaktionen enthält, scheint dabei ausschlaggebend zu sein. Fachliche Aspekte werden ausschließlich dann in Anschlag gebracht, wenn diese das Interesse an dem Lernfortschritt der Schüler_innen beinhalten (ausführlich dazu Becker/Emig/Maier in diesem Band).

F AZIT Die dargestellten Befunde der rekonstruktiven Auseinandersetzung mit dem empirischen Material lassen sich in mehreren Punkten zusammenführen. Das aus unserer Sicht bedeutendste Ergebnis liegt darin, dass Konzepte gegenseitiger Wertschätzung als übergreifende Orientierungsmuster sowohl in den Interviews der befragten Lehrpersonen als auch in den Gruppendiskussionen der Schüler_innen vor dem Hintergrund gemeinsam geteilter Erfahrungsräume von Bedeutung sind: In den Auseinandersetzungen der Lehrer_innen sowie in den Erzählungen der Schüler_innen wird mehrheitlich darauf hinweisen, dass Erfahrungen gegenseitiger Wertschätzung zwischen den »ausgezeichneten« Lehrer_innen und ihren Schüler_innen in Abgrenzung zu Erfahrungen von Missachtung als ausschlaggebend für das »besondere« Verhältnis gesetzt werden. Dieser Befund widerspricht den Ergebnissen der quantitativen Studie von Schwertfeger, die eine erhebliche Differenz in den Selbsteinschätzungen der Lehrpersonen und der Einschätzung durch die Schülerinnen festgestellt hat (vgl. Dies. 2011). Wir interpretieren die in unseren Daten zum Ausdruck kommende Übereinstimmung in den Orientierungen der befragten Lehrpersonen und Schüler_innen als Beleg dafür, dass die Interaktionen, die die Preisträger_innen des Deutschen Lehrerpreises in der Kategorie »Schüler zeichnen ihre Lehrer aus« mit ihren Schüler_innen gestalten, offensichtlich eine besondere Qualität aufweisen. Ein zweiter bemerkenswerter Befund ist, dass die Orientierungen der Schüler_innen, die in den Gruppendiskussionen sichtbar werden und die auf die Qualitäten der »ausgezeichneten« Lehrpersonen hinweisen, dennoch schul- und schulartübergreifend als »bescheiden« erscheinen. Die Erwartungen, die darin sichtbar werden, sind keinesfalls überzogen und konstituieren sich nicht als übertriebene Ansprüche an »Super-Lehrpersonen«, sondern fallen gerade als Normalitätskonzepte auf, die sich aus der Kontrastierung mit negativen Erfah-

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rungshorizonten ergeben (vgl. die Beiträge von Becker/Emig/Maier, Kästli, Krieg/Kramer/Schuler und Hopp/Kornbrust in diesem Band). Die Frage der Beziehungsgestaltung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen im Spannungsverhältnis zwischen professioneller Distanz und der Notwendigkeit des Aufbaus einer auf Vertrauen und Nähe gründenden Beziehung spielt in allen hier versammelten Beiträgen eine bedeutende Rolle. Mit Blick auf die Frage nach dem Umgang mit der asymmetrischen Struktur, die dem Handeln von Lehrpersonen konstitutiv zugrunde liegt, sind wir zu der Feststellung gelangt, dass die gegenseitige Achtung nicht durch das Ausspielen von Macht zum Ausdruck kommt, sondern vielmehr durch Faktoren bedingt ist, die grundsätzlich auch für symmetrische Verhältnisse wie Freundschaften oder Partnerschaft sprechen würden: Es geht um Respekt, Toleranz, Vertrauen, Anerkennung und Wertschätzung vor allem mit Blick auf die persönliche Begegnung mit den Schüler_innen (vgl. Raufelder 2009: 196). Ein Umgang »auf Augenhöhe« bedeutet somit auch eine Beziehung oder Interaktionsform zu führen, die auf reziproken Umgangsmustern beruht. Zuguterletzt sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die Befunde nicht vorschnell als persönliche Zuschreibungen zu verstehen sind und die Phänomene nicht personalisiert werden dürfen (vgl. die Beiträge von Kästli und Matejka). Schule erweist sich durch ihren Zwangscharakter und die konstitutive Asymmetrie der Verhältnisses zwischen Lehrpersonen und ihren Schüler_innen als Kontext, der die Gestaltung der Lehrer_innen-Schüler_innenbeziehung systematisch erschwert und die Motivstrukturen verunklart, mit denen sich die Beteiligten begegnen. Dass die Interaktionen dennoch gelingen können, und Freude wie persönlicher Gewinn für alle Beteiligten möglich ist, wird aus unserer Sicht in einer Reihe von Beiträgen des Bandes deutlich.

L ITERATUR Dubs, Rolf (2009): Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. Stuttgart: Franz Steiner Verlag. Honneth, Axel (2008a): »Philosoph Honneth – Schüler müssen Lehrer als verletzbare Personen begreifen«, in: Focus Online 2008, http://www.focus.de/ schule/lehrerzimmer/tid-12286/philosoph-honneth-schueler-muessen-lehrerals-verletzbare-personen-begreifen_aid_343236.html vom 27.01.2014. Honneth, Axel (2008b): »Philosoph Honneth – Tiefes Misstrauen gegen den Beruf des Lehrers«, in: Fokus Online 2008, http://www.focus.de/schule/

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lehrerzimmer/tid-12286/philosoph-honneth-tiefes-misstrauen-gegen-denberuf-des-lehrers_aid_343244.html vom 27.01.2014. Helsper, Werner (2004): »Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne«, in: Heinz-Hermann Krüger/Werner Helsper (Hg.): Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 15-34. Oevermann, Ulrich (1996): »Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns«, in: Arno Combe/Werner Helsper (Hg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 70-182. Oevermann, Ulrich (2008): »Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule«, in: Werner Helsper u.a. (Hg.), Pädagogische Professionalität in Organisation. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 55-78. Raufelder, Diana (2006): Die Bedeutung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses im Bildungsprozess. Dissertation. Freie Universität Berlin, http://www.diss.fuberlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000002233, 05.02.2014. Raufelder, Diana (2009): »Luxus oder Notwendigkeit? Soziale Beziehungen in der Schule«, in: Angela Ittel, Hans Merkens und Ludwig Stecher (Hg.), Jahrbuch Jugendforschung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 187-202. Resch, Barbara (2009): Autorität und Macht im Lehrer-Schüler-Verhältnis. Diplomarbeit, Universität Wien. Schweer, Martin (2008): »Vertrauen im Klassenzimmer.«, in: Ders. (Hg.), Lehrer-Schüler-Interaktion. Pädagogisch-psychologische Aspekte des Lehrens und Lernens in der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 547-564. Schwertfeger, Anja (2011): Lehrer und Schüler – Pädagogische Generationsbeziehungen in der Schule – Eine empirische Studie. Dissertation. Philosophische Fakultät der Universität Rostock. Tausch, Reinhard/Tausch, Anne-Marie (1998): Erziehungspsychologie, Göttingen: Hogrefe.

Autor_innen

Becker, Elsa-Louisa ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Emig, Susanne ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Fischer, Jana ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Frank, Moritz ist Lehramtsstudent im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Grubesic, Deana ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Holz, Sabrina ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Hopp, Sabrina ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Huhn, Katharina ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Kästli, Mike ist Lehramtsstudent im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.



204 | W IE L EHRER_INNEN UND S CHÜLER _INNEN IM UNTERRICHT MITEINANDER UMGEHEN

Kornbrust, Denise ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Krämer, Kim ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Krieg, Elisa ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Leonhard, Tobias (Prof. Dr.), leitet die Professur für Professionsentwicklung am Institut für Vorschul- und Unterstufe der Fachhochschule Nordwestschweiz. Maier, Maike ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Maslak, Aleksandra ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Matejka, Susanne ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Meyer, Ulrike ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Müller, Jörn-Anders ist Lehramtsstudent im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Nürnberger, Hanna ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Paul, Karina ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Prengel, Annedore (Prof. em. Dr.) ist Seniorprofessorin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und hatte bis 2010 die Professur für Grundschulpädagogik/Anfangsunterricht unter besonderer Berücksichtigung sozialen Lernens und der Integration Behinderter an der Universität Potsdam inne.

A UTOR _ INNEN

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Schlickum, Christine (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Schulpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Schuler, Liv ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Staub, Alisa ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Steinkopf, Jeannette ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Trost, Jessica ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Uhrmacher, Johanna ist Lehramtsstudentin im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Ulmcke, Adrian Wolfgang ist Lehramtsstudent im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.

Pädagogik Christine Baur Schule, Stadtteil, Bildungschancen Wie ethnische und soziale Segregation Schüler/-innen mit Migrationshintergrund benachteiligt 2012, 244 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2237-9

Monika Jäckle, Beate Bendel (Hg.) Handbuch TraumaPädagogik und Schule März 2015, ca. 400 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2594-3

Barbara Keddi Wie wir dieselben bleiben Doing continuity als biopsychosoziale Praxis 2011, 318 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1736-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Pädagogik Barbara Lutz-Sterzenbach, Ansgar Schnurr, Ernst Wagner (Hg.) Bildwelten remixed Transkultur, Globalität, Diversity in kunstpädagogischen Feldern 2013, 382 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2388-8

Stefanie Marr Kunstpädagogik in der Praxis Wie ist wirksame Kunstvermittlung möglich? Eine Einladung zum Gespräch Juli 2014, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2768-8

Juliette Wedl, Annette Bartsch (Hg.) Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung Mai 2015, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2822-7

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Pädagogik Anselm Böhmer Diskrete Differenzen Experimente zur asubjektiven Bildungstheorie in einer selbstkritischen Moderne 2013, 288 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2571-4

Markus Dederich, Martin W. Schnell (Hg.) Anerkennung und Gerechtigkeit in Heilpädagogik, Pflegewissenschaft und Medizin Auf dem Weg zu einer nichtexklusiven Ethik 2011, 264 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1549-4

Thorsten Fuchs Bildung und Biographie Eine Reformulierung der bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung 2011, 444 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1791-7

Michael Geiss Der Pädagogenstaat Behördenkommunikation und Organisationspraxis in der badischen Unterrichtsverwaltung, 1860-1912 Oktober 2014, 290 Seiten, kart., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-2853-1

Kerstin Jergus Liebe ist ... Artikulationen der Unbestimmtheit im Sprechen über Liebe. Eine Diskursanalyse

Tobias Künkler Lernen in Beziehung Zum Verhältnis von Subjektivität und Relationalität in Lernprozessen 2011, 612 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1807-5

Christine Kupfer Bildung zum Weltmenschen Rabindranath Tagores Philosophie und Pädagogik 2013, 430 Seiten, kart., 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2544-8

Claudia Lemke Ethnographie nach der »Krise der Repräsentation« Versuche in Anlehnung an Paul Rabinow und Bruno Latour. Skizzen einer Pädagogischen Anthropologie des Zeitgenössischen 2011, 300 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1727-6

Carmen Schier, Elke Schwinger (Hg.) Interdisziplinarität und Transdisziplinarität als Herausforderung akademischer Bildung Innovative Konzepte für die Lehre an Hochschulen und Universitäten Oktober 2014, 326 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2784-8

Peter Schlögl Ästhetik der Unabgeschlossenheit Das Subjekt des lebenslangen Lernens Februar 2014, 236 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2643-8

2011, 276 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-8376-1883-9

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