Wie Computer heimisch wurden: Zur Diskursgeschichte des Personal Computers 9783839445310

Power to the People! From a selectively used working tool to the mass medium of the information society: a story about t

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Wie Computer heimisch wurden: Zur Diskursgeschichte des Personal Computers
 9783839445310

Table of contents :
Inhalt
Vorweg
Einleitung
TECHNOLOGISCHE ÖFFNUNG: TECHNOLOGIE UND GESELLSCHAFT IM UMBRUCH
Hardware- und Softwarekomponenten des Personal Computers
Kybernetische Bewusstseinserweiterungen: Mit Computern denken lernen
Blickverschiebungen: Der Computer als Massenmedium?
Fortschritt und Konsum als Verpflichtung: Die USA im Wandel
TECHNOLOGISCHE SCHLIESSUNG: DAS HEIMISCHWERDEN VON COMPUTERTECHNOLOGIE
Silicon Valley: Geburtsort des Personal Computer-Dispositivs
Computer in der Krise: Ein neuer Markt entsteht
Imagewandel: Inszenierungen des Personal Computers
Das neue Familienmitglied: PCs zwischen Sozialisierung und Anpassung
Von ›Family Computing‹ zu ›Home Office Computing‹
DER EINZUG DES PERSONAL COMPUTERS INS UNBEWUSSTE
Resümee
Dank
Abbildungen
Literatur

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Sophie Ehrmanntraut Wie Computer heimisch wurden

Edition Medienwissenschaft  | Band 56

Sophie Ehrmanntraut, geb. 1981, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft an der Fachhochschule Potsdam und Universität Potsdam. Sie studierte Politikwissenschaft, Germanistik sowie Kultur- und Medienwissenschaft in Bochum, Potsdam, Dunkerque (Frankreich) und Princeton, NJ (USA).

Sophie Ehrmanntraut

Wie Computer heimisch wurden Zur Diskursgeschichte des Personal Computers

Die vorliegende Publikation wurde im Februar 2018 von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde der Text geringfügig verändert. Die Dissertation wurde von Prof. Dr. Dieter Mersch, Prof. Winfried Gerling und Prof. Dr. Marie-Luise Angerer begutachtet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Anne Carolin Bahrs Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4531-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4531-0 https://doi.org/10.14361/9783839445310 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorweg | 7 Einleitung | 9

Forschungsfrage und Hypothesen | 14 Methodische und terminologische Erläuterungen | 24

TECHNOLOGISCHE ÖFFNUNG: TECHNOLOGIE UND GESELLSCHAFT IM UMBRUCH Hardware- und Softwarekomponenten des Personal Computers | 43 Kybernetische Bewusstseinserweiterungen: Mit Computern denken lernen | 57 Blickverschiebungen: Der Computer als Massenmedium? | 79 Fortschritt und Konsum als Verpflichtung: Die USA im Wandel | 95

TECHNOLOGISCHE SCHLIESSUNG: DAS HEIMISCHWERDEN VON COMPUTERTECHNOLOGIE Silicon Valley: Geburtsort des Personal Computer-Dispositivs | 115 Computer in der Krise: Ein neuer Markt entsteht | 133

Imagewandel: Inszenierungen des Personal Computers | 147 Das neue Familienmitglied: PCs zwischen Sozialisierung und Anpassung | 159 Von ›Family Computing‹ zu ›Home Office Computing‹ | 179

DER EINZUG DES PERSONAL COMPUTERS INS UNBEWUSSTE Resümee | 195 Dank | 205 Abbildungen | 207 Literatur | 209

Vorweg

Ich erinnere mich noch gut an meine erste bewusste Begegnung mit einem Computer Anfang der 1990er Jahre. Es handelte sich um den AmigaSpielecomputer von Commodore meines Cousins. Meine Cousine und ich schlichen uns damals in sein Zimmer und spielten California Games, North & South usw. Ich wurde nie zur begeisterten Spielerin, trotzdem löste dieses Gerät Begeisterung und Staunen bei mir aus. Bestimmt hatte ich vorher auch schon mal einen Taschenrechner benutzt, aber diesen betrachtete ich damals nicht als Computer. Mitte der 1990er Jahre zog der erste Personal Computer in unser Haus, d. h. in das Büro meines Vaters ein. Mein Vater, der sich als Architekt selbstständig gemacht hatte, betrieb sein Architekturbüro direkt neben unserem Wohnhaus. Der Rechner wurde für Bauzeichnungen mit CAD-Software (computer-aided design) angeschafft, und bald ersetzte er die elektrische Schreibmaschine. Ich bekam eine knappe Einführung von einer der Architektinnen. Sie zeigte mir, wo die Spiele waren, wie die Textverarbeitung funktionierte und wovon ich meine Finger lassen sollte. Ab und zu spielte ich dann nach Ende des Bürobetriebs Solitaire oder Minesweeper. Mit dem Abtippen handschriftlicher Notizen und Briefe meines Vaters besserte ich hier und da mein Taschengeld auf, wenn die Schreibkraft im Urlaub war. Besagte Schreibkraft tippte mit ihrem Zehnfingersystem natürlich wesentlich schneller als ich, sie war eher unbeeindruckt vom Computer, fast genervt davon, dass sie sich mit dem neuen Gerät auseinandersetzen sollte. Zusammen mit dem Computer war ich also ein willkommener geeigneter Ersatz, weil man in Word Tippfehler ohne TippEx und ohne Spuren zu hinterlassen korrigieren konnte. Ich war zwar nicht besonders effizient, aber ich hatte Lust, das Gerät auszuprobieren. Ich formatierte mit Hingebung Briefe und andere Schriftstücke. Später entwarf ich einen Briefkopf für meinen Vater. Ich hatte Spaß, am Monitor neue Designs auszuprobieren und sie auszudrucken. Es war wie Zauberei: Ich konnte Buchstaben auf einer leeren Arbeitsfläche umherschieben, mit wenigen

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Klicks konnte ich Schriftart und -größe ändern oder 3D-Effekte hinzufügen – aber: Die Arbeit am Rechner konnte auch mit großer Frustration einhergehen, ganz zu schweigen von der Wut auf mich selbst, wenn ich vergessen hatte, Zwischenstände zu speichern. Besonders dramatisch war es, wenn nach stundenlangem ›Frickeln‹ für den Flyer der Jahrgangsfeier die Arbeit mit einem unbedachten Knopfdruck unwiederbringlich verschwand. Diese persönliche Anekdote steht exemplarisch für die zahlreichen und unterschiedlichen Erfahrungsberichte von Freund:innen, Bekannten und Kolleg:innen. Ohne dass ich gezielt eine Feldstudie betreiben wollte, teilten mir Menschen unterschiedlichen Alters ihre Erinnerungen an ihre ersten Erlebnisse mit Computern mit. Darunter eine pensionierte Buchhalterin, die in den 1970er Jahren programmieren lernte; ein Bekannter, der in den 1980ern in Kalifornien aufgewachsen war und erzählte, wie mit Computern ausgestattete Busse, die von High-School zu High-School fuhren, um Schüler:innen an die neue Technologie heranzuführen; ebenso wie ein Programmierer Anfang zwanzig, der sich mit zehn Jahren das Programmieren beibrachte und der mit seinen Freunden den eigenen Computern Mädchennamen verpasste und die gesamte Zimmereinrichtung um das Gerät drapierte. Sie erinnerten an Spielekonsolen, die unter dem Weihnachtsbaum lagen; daran, wie sie als Kinder in die Arbeitszimmer ihrer Eltern schlichen, um sich heimlich die neuen Geräte anzuschauen. In den meisten Fällen handelte es sich bei den ersten bewussten Erfahrungen mit Computern um einen Personal Computer. Fast ausnahmslos erinnerten sich meine Gesprächspartner:innen präzise an Fabrikate, sie erinnerten sich mitunter an den Tag, an dem sie zum ersten Mal »am Computer saßen«, wo der Computer stand, und was sie damit taten. Selten verliefen ihre Erzählungen synchron, doch es wurde deutlich: der erste Computer zu Hause hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Einleitung

Bis zum Geburtsjahrgang 1995 können sich viele Menschen noch sehr genau an ihren ersten Computer zu Hause erinnern. Das Jahr 1995 ist dabei keine willkürliche Setzung: Im August 1995 brachte die Microsoft Corporation ihr neues consumer operating system Windows 95 auf den Markt und bereits nach vier Tagen hatte sich Windows 95 über eine Million Mal verkauft.1 Im Jahresrückblick von Popular Science auf das Jahr 1995 wurde die Zahl der Windows-User:innen weltweit auf 100 Millionen geschätzt.2 Das prozentuale Wachstum der im Jahr 1995 weltweit verkauften Personal Computers oder Home Computers3, kurz PCs, betrug mit circa 60 Millionen knapp 25%.4 Mehr als ein Drittel der amerikanischen Haushalte verfügten 1995 über mindestens einen PC.5 In den USA überstieg die Zahl der 1995 verkauften PCs zum ersten Mal die der jährlich verkauften Autos und

1

Vgl. Johnston, Stuart (1995): Business Users Whip through Win 95 Installs, in: Computerworld vom 04.09.1995, S. 6.

2

Vgl. Stover, Dawn: »Windows 95 Mania«, in: Popular Science 12 (1995), S. 27.

3

Beides sind gängige Bezeichnungen für Mikrocomputer für den Heimgebrauch ab Ende der 1970er Jahre. In den in der Arbeit herangezogenen Quellen werden beide Bezeichnungen äquivalent verwendet. Unabhängig vom Hersteller sind damit immer alle gebauten Computer dieser Art – auch Apple Computer – gemeint.

4

Vgl. Intel Corporation (Hg.) (1995): 1995 – It’s a PC World, Annual Report, Santa Clara CA, S. 2.

5

Vgl. Software Publishers Association (Hg.) (1996): Fifth Annual Consumer Study, zitiert nach https://tech-insider.org/statistics/research/1996/0422.html vom 06.03.2019.

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LKWs.6 Mit Compaq, Apple, IBM, Packard Bell und HP führten 1995 fünf amerikanische Unternehmen den weltweiten PC-Markt an.7 Für die nach 1995 geborenen Generationen waren Computer zu Hause keine Sensation mehr, sie wuchsen mit diesen auf und zählen zu den sogenannten digital natives. Diese Beobachtung veranlasste John Perry Barlow in der Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace, 1996 von der Electronic Frontier Foundation veröffentlicht, zu schreiben: »You are terrified of your own children, since they are natives in a world where you will always be immigrants.«8 Geprägt wurde der Begriff digital native in einem Artikel Marc Prenskys, Digital Natives, Digital Immigrants, der 2001 in der Zeitschrift On The Horizon erschien.9 Als relativ neue Industrie, entwickelte sich die Computerindustrie entwickelte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Bestimmt wurde sie bis Anfang der 1980er von großen forschenden Unternehmen, wie IBM oder DEC, die eigene proprietäre Standards für Hardware und Software setzten. Wie Technik- und auch Wirtschaftshistoriker beschreiben, unterlag die Computerindustrie durch die Verbreitung des PCs nachhaltigem Wandel, indem die Art und Weise transformiert wurde, wie Computer designt, produziert, vermarktet und benutzt wurden. Die USA und insbesondere der Standort Silicon Valley nahmen in diesem Kontext eine besondere Rolle ein, wie sich im Verlauf der Arbeit zeigen wird.10

6

Vgl. Petska-Juliussen, Karen; Juliussen, Egil (1996): Computer Industry Almanac, Austin TX, S. 505.

7

Die Plätze 6-10 teilten sich immerhin drei Japanische Unternehmen (NEC, Fujitsu/ICL, Toshiba) und ein Chinesisches (Acer). Vgl. o.A. »Compaq Takes Lead in World PC Market«, in: Washington Post vom 25.01.1995.

8

Barlow, John Perry (1996): A Declaration of the Independence of Cyberspace, https://www.eff.org/cyberspace-independence vom 06.03.2019.

9

Vgl. Prensky, Marc (2001): Digital Natives, Digital Immigrants, http://www. marcprensky.com/writing/Prensky - Digital Natives, Digital Immigrants - Part1.pdf vom 06.03.2019.

10 Vgl. Dedrick, Jason; Kraemer, Kenneth L. (1998): Asia’s Computer Challenge. Threat or Opportunity for the United States & the World?, New York, Oxford, hier Seite 28ff; Kenney, Martin (2000): Understanding Silicon Valley. The anatomy of an entrepreneurial region, Stanford CA; sowie Campbell-Kelly,

Einleitung | 11

Mit PCs wurden Computer nicht neu erfunden. Wie bei allen digitalen Computern handelt es sich auch beim Personal Computer um eine gebaute Turing-Maschine bestehend aus einer Steuereinheit, die Lese-, Schreib- und Speicherfunktionen ausführt, und einem Speicherband.11 Doch PCs sind auch keine zwangsläufige Entwicklung, die etwa auf die Verkleinerung der Technologie und den niedrigen Preis von Mikrochips zurückgeführt werden könnte. Ein Personal Computer ist, wie Mikrowelle, Kühlschrank, Waschmaschine und Plattenspieler ein Konsumprodukt für private Haushalte, wie die Schreibmaschine ein Arbeitsinstrument. Vernetzt mit dem Internet ist der PC, wie das Telefon, ein Kommunikationsmedium, angeschlossen an einen Monitor auch ein visuelles Medium. Die Liste ist erweiterbar. Unabhängig von dem PC als Name eines bestimmten Modells aus dem Hause IBM wurden unter der Bezeichnung Personal Computer Computerhardware, Peripheriegeräte und Software als Paket vermarktet. Geräte, die günstig genug waren, dass sie für private Haushalte erschwinglich waren und klein genug, dass sie in die Wohnräume der Kunden und auf den Küchentisch oder ins Kinderzimmer passten, wie zahlreiche Werbeanzeigen und broschüren von PCs belegen. Ende der 1970er Jahre schufen Computerforschung und -industrie mit dem Personal Computer also einen neuen Markt für Computertechnologie, der sich vorwiegend an Konsument:innen und auch kleine und mittelständische Unternehmen richtete. Mit dem Einzug von Computern in die Wohnräume und Arbeitsräume der Menschen setzte sich die Vorstellung durch, Computertechnologie befreie das einzelne (arbeitende) Individuum von körperlichen und geistigen Restriktionen sowie gesellschaftlichen Abhängigkeiten. Die kleinen Einzelplatzrechner, so meine erste Hypothese, wurden zum Image dieser Vorstellung und weckten ein allgemeines Begehren nach Computertechnologie, deren Gebrauch sich schließlich in das Leben

Martin (2001): »Not only Microsoft. The maturing of the personal computer software industry, 1982 – 1995«, in: Business History Review 75 (2001), S. 103-145. 11 Vgl. Turing, Alan M. (1937): »On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem«, in: Proceedings of the London Mathematical Society 42, S. 230-265; vgl. Dyson, George (2012): Turing’s Cathedral. The Origins oft he Digital Universe, London.

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der Menschen einschrieb und heute untrennbar mit fast allen Bereichen der Gesellschaft verwoben ist.12 Im Verlauf der Arbeit sollen die historischen Bedingungen untersucht werden, unter welchen sich das kollektive Phantasma, Computertechnologie ermögliche quasi automatisch eine freie und selbstbestimmte Gesellschaft, durchsetzte, und wie diese Vorstellung umgesetzt wurde. Eine Vorstellung, die auch aktuell Konjunktur hat und in Begriffen wie Artificial Intelligence, Machine Learning, Big Data oder Internet der Dinge west, und die gegenwärtig auf vielen Kommunikationskanälen vernehmbar sind. Kontroverse Positionen, die Computer als Bedrohung betrachten, werden in der Arbeit größtenteils vernachlässigt, weil sie einer Kritik des Verhältnisses der Menschen zum Computer und des damit verbundenen Interaktionsbegriffs, sowie einer Kritik des Interfacebegriffs, die die Aktualität und Relevanz des Forschungsgegenstandes reflektiert, nicht zuträglich ist. Dass die Verbreitung von Computertechnologie gesellschaftlichen Wandel mit sich brachte, dass sie auf vielfache Weise mit dem gesellschaftlichen Leben verbunden ist, und dass das gegenwärtige Verhältnis zur Computertechnologie neue Abhängigkeiten produziert, ist Ausgangspunkt für die Forschungsarbeit. Besondere Aufmerksamkeit liegt dabei auf der Einführung des Personal Computers oder Home Computers, die mit zahlreichen Geschichten über geniale Erfinder, tüchtige Unternehmer und Visionäre der Computerkultur belegt und Teil kollektiver Erinnerung geworden ist. Doch nicht die Erfindung des Computers, nicht einzelne Geräte, sondern die Einnistung von Computertechnologie in den Heimen der Menschen in Form des PCs steht im Zentrum der Analyse. Diese Einnistung kann als eine der strukturellen Voraussetzungen betrachtet werden, unter der die globale Vernetzung der Heimrechner im Internet möglich war.

12 Abbildung 1 ist eine beispielhafte Darstellung des neuen Images, das Computertechnologie verpasst wurde. Diese und ähnliche Darstellungen stehen in scharfem Kontrast zu den herrschenden Darstellungen von Computern noch wenige Jahre zuvor. Vgl. Abbildung 2.

Einleitung | 13

Abbildung 1: Conrod, J. Computer Bible Games. Computer Fun for the Whole Family, Book 2.

Quelle: © Accent Publications Inc. 1984, Denver CO.

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Abbildung 2: IBM System/360 Model 40 (1966)

Quelle: https://www.computerhistory.org/timeline/computers/ vom 06.03.2019.

Forschungsfrage und Hypothesen Wie Computer heimisch wurden erzählt die Geschichte der Domestizierung von Computertechnologie seit Ende der 1970er Jahre und ausgehend von den USA und die besondere Rolle des Silicon Valley in Kalifornien. Heute muss niemand mehr davon überzeugt werden, sich einen Rechner für zu Hause anzuschaffen. Computer sind nicht nur alltäglich, viele Menschen auf der Welt tragen sie in kompakter Form stets bei sich und an ihren Körpern. Diese innige Beziehung der Menschen zu Informationstechnologien ist ein jüngeres Phänomen, das, so die Hypothese, Effekt des personalcomputing-Dispositivs ist. Den Begriff des Dispositivs benutzt Michel Foucault, um damit Diskurse und Praktiken zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt als soziale Handlungen sichtbar zu machen. Das Dispositiv

Einleitung | 15

bildet ein »Funktionsmodell«,13 nach dem sich gesellschaftliche Ordnungen erhalten oder transformieren. Der Prozess der Domestizierung, der in diesem Zusammenhang als Heimischwerden bezeichnet wird, kann einerseits als Grundlage für die Vernetzung von Computertechnologie durch das Internet aber auch für Phänomene wie portable und wearable technology betrachtet werden. Die zentrale Frage ist, wie verlief der Prozess des Heimischwerdens von Computertechnologie? Das Heimischwerden, so eine weitere Hypothese, verlief nicht reibungslos bzw. nicht ohne Widerstand der Menschen und der Technologie. Mit Strategien der Familiarisierung oder auch Intimisierung und der Funktionalisierung wurde Computertechnologie als Home Computer oder Personal Computer allmählich von den Menschen angenommen und in ihren Häusern und Wohnungen heimisch. Mit der zunehmenden Verbreitung von Computertechnologie vergaßen die Menschen mitunter, dass sie es mit Rechenmaschinen zu tun hatten. Sie gaben ihren PCs Namen, sie schmückten sie, sie ärgerten sich über sie, sie stritten mit ihnen. Sie gewöhnten sich an den Umgang mit dem Gerät und verinnerlichten seine Funktionsweisen. Bereits vor der kommerziellen Vermarktung von PCs wurde in Nachrichten in Radio und Fernsehen sowie in Tageszeitungen, Wirtschafts- und Elektronikmagazinen über Computer gesprochen und geschrieben: Medien berichteten über die neueste militärische und wissenschaftliche Forschung und wirtschaftlichen Aufschwung. Gleichzeitig wurden mit den Berichten über technologischen Fortschritt und Automatisierungsprozesse in der Industrie, im Banken- und Verwaltungswesen bereiteten auch Sorgen um die Zukunft von Arbeitsplätzen laut. Die Einen sprachen und schrieben von der Computerrevolution und deren Chancen für die gesellschaftliche Entwicklung, die Anderen über die Herrschaft der Rechenmaschinen über die Menschen. Die Computerindustrie, die sich zunächst an der Ostküste der USA im Umkreis von Forschungszentren wie dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Forschung betreibenden Unternehmen wie der International Business Machines Corporation (IBM) oder den Bell Laboratories konzentrierte, war ein wachsender Wirtschaftszweig und Arbeitgeber. In

13 Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main, S. 263. Der Begriff des Dispositivs wird in dieser Einleitung noch näher erläutert.

16 | Wie Computer heimisch wurden

den 1960er und 1970er Jahren zog es amerikanische Arbeitnehmer:innen, Angestellte und Forscher:innen an die Westküste, nach San Diego oder in die San Francisco Bay Area, wo der Informationstechnologie- und Hochtechnologiestandort Silicon Valley14 entstand. Zahlreiche Arbeitnehmer:innen aus unterschiedlichen Branchen hatten bereits an unterschiedlichen Mensch-Maschine-Schnittstellen, auch ›Terminals‹ oder ›Workstations‹ genannt, an ihren Arbeitsplätzen mit Computern zu tun. Wer nicht mit oder an ihnen arbeitete, hatte von Computern gelesen oder in Erzählungen davon gehört. Utopische wie dystopische Möglichkeits(t)räume mit Robotern und künstlicher Intelligenz belebten die Science-FictionLiteratur.15 1970 erklärte Arthur C. Clarke in Engineering and Science in Anlehnung an einen dem französischen Dichter Paul Valéry zugeschriebenen Aphorismus: »The future is not what it used to be«16. Noch vor einem Jahrhundert, so Clarke, habe sich noch niemand für die Zukunft interessiert.

»[…] apart from natural catastrophes and wars, the future was going to be the same as the past. A man knew that the pattern of his life would be the same as his great grandfather's, as far back as anyone could remember. Well, now we know differently. We know the future is going to be profoundly different from the present, just as the present is profoundly different from the past.«17

Den Grund dieses Wandels sah Clarke in der Computertechnologie und der Möglichkeit, Zukunft zu simulieren. Es liege ihm fern, so Clarke weiter, eine Vorhersage über die Zukunft treffen zu wollen, denn welchen Einfluss neue und künftige technologische Entwicklungen auf die Gesellschaft haben, könnten die weitsichtigsten, optimistischsten oder pessimistischsten Propheten sich nicht vorstellen. Dass die Zukunft anders sein wird, stand

14 Den Namen verdankt der Landstrich der Silizium verarbeitenden Halbleiterindustrie. 15 Isaac Asimov, Ray Bradbury, Arthur C. Clarke, Robert A. Heinlein, George Orwell sind bekannte Vertreter ihres Genres. 16 Valéry, Paul (1937): Notre destin et les letters, http://diccan.com/Autres_ auteurs/Valery-forces.htm vom 06.03.2019, »L’avenir est comme le reste: il n’est plus ce qu’il était.« 17 Clarke, Arthur C. (1970): »The Future Isn’t What It Used to Be«, in: Engineering and Science 33/7 (1970), S. 4-9.

Einleitung | 17

für Clarke fest, doch es könne allenfalls von möglichen technologischen Zukünften gesprochen werden. In einer Sendung mit dem Titel »The future is not what it used to be«18 des Fernsehprogramms Camera Three des Fernsehsenders CBS, das 1970 zur beliebten Sendezeit Sonntag Mittag ausgestrahlt wurde, äußerte sich der 72-jährige Buckminster Fuller im Gespräch mit Clarke und Alvin Toffler dahingehend, dass Zukunftsvorhersagen zu einem Business geworden seien. Noch in den 1930er Jahren, so erinnert sich Fuller, seien Futuristen als unangemessene oder unredliche Spinner geschimpft worden. Mit der Entwicklung der Computerwissenschaft und der Computerindustrie sei Zukunft zu einem Wirtschaftszweig geworden und habe gesellschaftliche Anerkennung erfahren. 1983 hielt Steve Jobs einen Vortrag auf der International Design Conference in Aspen (Colorado, USA), die unter dem Titel »The Future Isn’t What It Used to Be« abgehalten wurde. Für die bereits heranwachsende Computergeneration, so kommentierte Jobs das Konferenzmotto, werde der Computer das vorherrschende Kommunikationsmedium sein, wie einst Buch, Radio oder Fernsehen für die vorhergehenden Generationen.19 Der Personal Computer, so eine weitere Hypothese dieser Forschungsarbeit, wird von Beginn an als mögliche technologische Zukunft vermarktet und jeder Mensch – so das Versprechen, das an die Maschine gekoppelt war – könne vom Kleinstkindalter an die Zukunft nach seinen individuellen Bedürfnissen (mit-)gestalten. Noch Anfang der 1970er Jahre konnte sich kaum jemand vorstellen, dass PCs in naher Zukunft einen wesentlichen Teil des alltäglichen Lebens prägen würden. Heute vertrauen Menschen Computern in vielen Lebenslagen ihr Leben an, einige können sich das Leben ohne Computer nicht mehr vorstellen. Wie jedes neue Medium brachten auch Computer neue Abhängigkeiten mit sich. Computersucht wurde bereits in den 1960ern und

18 Vgl. »The future is not what it used to be«, Camera Three Season 16, Episode 1, ausgestrahlt am 13.09.1970 um 11:30 auf CBS. 19 Steven Jobs (1983): »The Future Isn’t What It Used to Be« Vortrag auf der International Design Conference in Aspen, https://archive.org/details/Talk-bySteven-Jobs-IDCA-1983 vom 06.03.2019.

18 | Wie Computer heimisch wurden

1970ern als Phänomen bemerkt und mit der Einführung von PCs auch immer häufiger beschrieben.20 In den wissenschaftlichen Darstellungen dieses Zeitabschnitts der Geschichte des Computers und in populären Mythen, die heute zirkulieren, wird ein wichtiger Aspekt nicht reflektiert. Als die ersten Rechner für Konsument:innen verkauft wurden, wusste der größte Teil der Gesellschaft nichts mit Computern anzufangen, auch wenn über die Macht der Computer in der breiten Öffentlichkeit heftig debattiert wurde. Der Umgang mit den ersten PCs funktionierte nicht intuitiv. Der Umgang mit Rechenmaschinen war den meisten Menschen fremd. Die Gewöhnung an Computer und ihre heutige Einbindung in den Alltag ist das Ergebnis umfangreicher und aufwändiger Kampagnen und Anstrengungen in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, in der Arbeitswelt, im System- und Software-Design und nicht zuletzt in der kommerziellen Werbung. Zwar waren Mitglieder aller Altersgruppen potenzielle Nutzer:innen, doch sie mussten erst als solche konstruiert und adressiert werden, damit sie sich als solche begreifen konnten und angesprochen fühlten. Was sie von den Geräten erwarteten oder zu erwarten hatten, war zunächst unklar, es musste ihnen nahegelegt werden. Die Bilder und das Storytelling rund um den PC waren Fiktionen des Marketings und früher Computeraktivisten. Alles war denkbar und der PC schien für potentiell jedes Problem eine Lösung zu bieten. Doch Kommentare und Usertests in Magazinen und Zeitungen belegen, dass die Anund Aufnahme von PCs zu Hause nicht störungsfrei ablief. Zwar gab es bereits vor der Einführung von PCs Computerclubs und Usergroups, in welchen sich Menschen über ihre Erfahrungen mit Computertechnologie aus-

20 Vgl. Darstellungen von Tracy Kidder (1984): (1983): The Soul of a New Machine, Harmondsworth, Middlesex; oder Stewart Brand (1974): »Fanatic Life and Symbolic Death Among the Computer Bums«, in: Brand: II cybernetic frontiers, S. 39-79., die beschrieben, wie Programmierer unter Schlafentzug Tag und Nacht an ihren Computern verbrachten; sowie Rushby, Nick (1979): An Introduction to Educational Computing, London, der von Computersucht und Entzugserscheinungen schrieb; sowie Margaret Shotton (1989): Computer Addiction? A Study of Dependency, London.

Einleitung | 19

tauschten, doch als »Computer für den Rest von uns«21 zu haben waren, musste sich das Selbstverständnis als User:in erst bilden. Der Prozess der Adaption und Subjektivierung als User:in, der in diesem Zusammenhang als Heimischwerden oder Domestizierung bezeichnet wird, läuft, so eine weitere Hypothese, in zwei Phasen ab. Die erste Phase ist die der Popularisierung, Familiarisierung oder auch Intimisierung durch Alltagssprache. Den Rechnern wurde das ›Sprechen‹ beigebracht. PCs sprachen Alltagssprache. Sie sprachen Englisch mit den Individuen, die sie bedienten. Jedes Individuum, so das Versprechen der Hersteller, konnte sich den persönlichen Rechner nach eigenem Geschmack einrichten und eine passende Kommunikationpartner:in darin finden. PCs wurden Freunde und Spielkameraden, Vertraute, Bedienstete, Therapeuten, Diener oder Mitarbeiter und sie unterstützten die Menschen bei der Gestaltung ihrer individuellen Lebenswelt, so lässt sich das Content-Marketing jener Zeit lesen. Die zweite Phase der Domestizierung ist die Einrichtung des Computers im Heim, im Zuhause, die in der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatsphäre mündete, wie die die Kritik an der Vermarktung des Geräts verlauten ließ. Das Heimischwerden der Computertechnologie wurde schließlich zur Grundlage für das daran anschließende Primat der Benutzerfreundlichkeit und die Verbreitung von grafischen Benutzeroberflächen. In Bezug auf das Verhältnis von Technik und moderner Gesellschaft erklärte der Soziologe und Technikphilosoph Lewis Mumford, dass historische Studien die ideologischen und sozialen Grundlagen untersuchen müssten, um die gesellschaftliche Transformation zu verstehen. Dabei sollten nicht allein die neuen Instrumente als vielmehr auch die Kultur analysiert werden, die bereit war, diese zu nutzen und sie produktiv zu machen. »Men had become mechanical before they perfected complicated machines to express their new bent and interest.«22 Demnach lassen sich PCs als Disposition des computerisierten oder informatisierten Individuums verstehen, die (digitale) Kultur heute prägen.

21 Vgl. Friedewald, Michael (1999): Der Computer als Werkzeug und Medium, Berlin. Friedewald greift für den Titel eines Kapitels auf den Slogan einer Apple-Werbekampagne für den Macintosh aus dem Jahr 1984 zurück. 22 Vgl. Mumford, Lewis (1934): Technics and Civilization, New York, S. 4.

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In dem Kommentar Postskriptum über die Kontrollgesellschaften23 zu Michel Foucaults Abhandlung über die disziplinarische Gesellschaft, deren Dispositiv das Gefängnis ist, schließt Gilles Deleuze an Foucaults Analyse an. Auf das Disziplinarregime, das das 19. Jahrhundert prägte und seinen Höhepunkt Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte, folgte das Kontrollregime, das Deleuze als Antwort auf die Krise der Disziplinargesellschaft und ihrer Institutionen beschreibt: »Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller Einschließungsmilieus, Gefängnis, Krankenhaus, Fabrik, Schule, Familie. Die Familie ist ein ›Heim‹, es ist in der Krise wie jedes andere Heim, ob schulisch, beruflich oder sonst wie. Eine Reform nach der anderen wird von den zuständigen Ministern für notwendig erklärt: Schulreform, Industriereform, Krankenhausreform, Armeereform, Gefängnisreform. Aber jeder weiß, daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben. Die Kontrollgesellschaften sind dabei, die Disziplinargesellschaften abzulösen. ›Kontrolle‹ ist der Name, den Burroughs vorschlägt, um das neue Monster zu bezeichnen, in dem Foucault unsere nahe Zukunft erkennt. [...] Es ist nicht nötig zu fragen, welches das härtere Regime ist oder das erträglichere, denn in jedem von ihnen stehen Befreiungen und Unterwerfungen einander gegenüber. [...] Weder zur Furcht noch zur Hoffnung besteht Grund, sondern nur dazu, neue Waffen zu suchen.«

In Anlehnung an Foucault kann der Personal Computer als Dispositiv der von Deleuze skizzierten Kontrollgesellschaft verstanden werden. Der PC war die Antwort auf das in die Krise geratene Heim. Angetrieben durch den Protest der Gegenkulturen wurde der PC schließlich zum Symbol der Befreiung der Gesellschaft und der Computertechnologie aus der zentralen

23 »Post-scriptum sur les sociétés de contrôle« erschien im Mai 1990 in der ersten Ausgabe von L’Autre journal. In deutscher Übersetzung wurde es veröffentlicht als »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften«, in: Gilles Deleuze (Hg.) (1993): Unterhandlungen. 1972 – 1990, Frankfurt am Main, S. 147-171.

Einleitung | 21

Herrschaft von Militär und Industrie.24 Die Steuerungstechnologie, mittels derer bis dahin z. B. die Geschwindigkeit von Flugkörpern berechnet wurde, wurde für den PC adaptiert und für andere Dienste nutzbar gemacht. In diesem Kontext muss Kittlers These vom »Missbrauch von Heeresgerät« verstanden werden: Die Menschen missbrauchten die Technologie für ihre andere Zwecke und schrieben ihr neue Bedeutungen zu. Der Einsatz von Computern nur für militärische Zwecke wurde von einer ausschließlichen Nutzung zu einer von vielen und Computertechnologie ging mit PCs in die allgemeine Computerisierung über. Der PC als Dispositiv produzierte eine Subjektivität, die in jede beliebige gesellschaftliche Funktion integrierbar war. PCs können als Maschinen betrachtet werden, »die aus den verschiedensten Begehrungen gleichförmige Machtwirkungen«25 erzeugen können. Sie waren »dazu bestimmt, sich im Gesellschaftskörper auszubreiten«.26 Die allgemeine Computerisierung war demnach ein Effekt des Dispositivs, das sich unter der Bezeichnung Personal Computer gesellschaftlich wurde. Nach der Beschreibung des Soziologen Richard Sennetts aus dem Jahr 1977 zeigte sich die Krise der Gesellschaft und ihrer Institutionen in der »Tyrannei der Intimität«27 und der Entgrenzung von Öffentlichkeit und Privatsphäre, die im Rahmen dieser Arbeit auf die Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien zurückführen lässt. Bei Sennet wird sie etwa sichtbar im Städtebau, wo etwa die absolute Sichtbarkeit durch Glasfassaden an Wolkenkratzern die Grenzen zwischen öffentlichem Raum und Privatwirtschaft ununterscheidbar werden lässt, auch wenn die Grenzen faktisch weiter wirksam sind. Die Ästhetik der Sichtbarkeit verschmilzt mit einer der Ästhetik gesellschaftlicher Isolation. Ein weiteres Symptom für die Entgrenzung sieht Sennett in der absoluten Mobilität oder Freizügigkeit, die das Auto als privates Fortbewegungsmittel verspricht und den öffentlichen Raum damit dem individuellen Begehren unterwirft.28

24 Vgl. Turner, Fred (2006): From Counterculture to Cyberculture; sowie Pool, Ithiel de Sola (1983): Technologies of Freedom. On Free Speech in an Electronic Age, Cambridge MA. 25 Foucault: Überwachen und Strafen, S. 260. 26 Ebd., S. 267. 27 Vgl. Sennett, Richard (1983): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt am Main. 28 Vgl. Ebd. S. 12 ff.

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2016 erschien unter dem Titel Technik | Intimität eine Ausgabe der Zeitschrift für Medienwissenschaft. Der sogenannte intimacy turn, so ist in der Einleitung der Herausgeber zu lesen, bezeichne »einen Übergang im Denken, der jedweder Werkzeughaftigkeit und Prothesenförmigkeit von Technik, die doch mit einer gewissen Hartnäckigkeit den Zugang von Ernst Kapp bis Marshall McLuhan bestimmte, eine Absage erteilt.« Grundlage für die Intimität seien der »Distanzabbau« durch und die »Unscheinbarkeit« von digitalen Medien. Die Intimität resultiere »aus der zunehmenden Auflösung des historischen Konzeptes des Interfaces als klar definierbarer Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.«29 Die aktuellen Diskurse über ubiquitous computing, intimate computing oder affective computing und der Ansatz der Medienökologie können als Teil dieser Intimitätswende betrachtet werden. Einerseits werden Computeruser:innen in diesen Diskursen immer schon vorausgesetzt, andererseits sind die Diskurse von der Präsenz des Internets, also der Vernetzung von Computern als wesentlicher Voraussetzung für Computerkulturen geprägt.30 Auch der von Christian Ulrik Andersen in seinem 2014 veröffentlichten Manifesto for a Post-Digital Interface Criticism verwendete Begriff von cultural computing31 setzt computerisierte User:innen bereits voraus. Die computerisierte Welt ist bereits zum quasi »natürliche[n] Hintergrund«32 geworden.

29 Andreas, Michael; Kasprowicz, Dawid; Rieger, Stefan (Hg.) (2016): Technik | Intimität. Zeitschrift für Medienwissenschaft 15 (2016), Zürich, S. 11. 30 Vgl. Weiser, Mark (1991): »The computer for the 21st century«, in: Scientic American September (1991), S. 94-104; Kaerlein, Timo: »Intimate Computing. Zum diskursiven Wandel eines Konzepts der Mensch-Computer-Interaktion«, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 15, 2 (2016), Schwerpunkt: Technik | Intimität, S. 30-40; sowie Vgl. Picard, Rosalind W. (2000): Affective computing, Cambridge MA; Hörl, Erich (Hg.) (2011): Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt, Berlin. 31 Vgl. Andersen, Christian Ulrik (2014): Manifesto for a Post-Digital Interface Criticism, http://mediacommons.org/tne/pieces/manifesto-post-digital-interfacecriticism vom 06.03.2019. 32 Nake, Frieder (2004): »Das algorithmische Zeichen und die Maschine«, in: Paul, Hansjürgen; Latniak, Erich (Hg.): Perspektiven der Gestaltung von Arbeit und Technik. Festschrift für Peter Brödner, München, S. 203-223.

Einleitung | 23

Dies war Ende der 1970er, als Personal Computer ›neu‹ waren, nicht der Fall. Vor der Erfindung des Mikrochips und der massiven Verkleinerung der Geräte füllten Computer ganze Räume in Rechenzentren und Privatleute hatten bis dahin nicht das Bedürfnis, sich einen Computer anzuschaffen.33 Der Umgang mit Computern musste gelernt werden, die Mitglieder von Computerclubs und die wachsende Mikrocomputer- und Softwareindustrie investierten viel Zeit und Kapital in Werbung, Ratgeberliteratur und Schulungen, bevor das neue Gerät Anklang bei den Konsument:innen fand und diese sich als User:innen verstanden. Auf diese Weise wurde Ende der 1970er Jahre mit PCs ein neuer Verbrauchermarkt für Computer geschaffen. Dass Computer leistungsstärker, kleiner und leichter wurden, ist nicht Ergebnis einer notwendigen Entwicklung von Technologie, sondern das Ergebnis technologischen Fortschritts, der auf die gestalterischen Eingriffe verschiedener Akteure und auf gesellschaftliche Interessen zurückgeführt werden muss. Die vorliegende Forschungsarbeit soll in diesem Kontext einen Beitrag zur medienwissenschaftlichen Theoriebildung leisten. Sie setzt mit dem Fokus auf den Personal Computer allerdings vor der Geburt der User:innen und ihrer Vernetzung ein und betrachtet das Dispositiv als Grundlage digitaler Kulturen. Die Arbeit Wie Computer heimisch wurden analysiert, wie das individuelle und kollektive Bedürfnis, einen Computer zu Hause stehen zu haben, geweckt wurde und wie der Personal Computer zur Selbstverständlichkeit wurde. Verstanden als Dispositiv, ist der PC mehr als Hardware und Software, er ist Performativität und Effekt kultureller Praktiken, materielle Vergegenständlichung von Diskursen und Subjektivierungsangeboten. Der PC ist die Antwort auf eine Krise der Nachkriegsgesellschaft: Mittels Technologie entledigte sich die vom Krieg traumatisierte Gesellschaft der Herrschaft durch das alte Regime und der Personal Computer wurde zum Image und Symbol der Befreiung des Individuums und einer selbstbestimmten gesellschaftlichen Zukunft. Der betrachtete Zeitraum der Geschichte der Computertechnologie wird auf eine kurze Periode, beginnend unmittelbar vor der kommerziellen Einführung von PCs Ende der 1970er Jahre bis zur Einführung von Graphical User Interfaces (GUI) und multitaskingfähigen Betriebssystemen Anfang/Mitte der 1980er, beschränkt. Mit GUIs und Multitasking verschiebt

33 Vgl. Abbildung 2.

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sich der Schwerpunkt des personal-computing-Diskurses hin zum Diskurs der Benutzerfreundlichkeit, wofür es allerdings erst des Computers zu Hause und seiner Einrichtung im Leben der Menschen bedurfte. Erst mit dem allgemeinen Bedürfnis nach Computertechnologie verschob sich der ingenieurswissenschaftliche Diskurs über human factors engineering in der Computerindustrie zum Diskurs des human interface design, wie er sich in den Design Guidelines für den Apple IIe finden lässt.34 Doch zuvor mussten Computer erst als Medium der Individualisierung oder Subjektivierung vorstellbar und angenommen werden. Methodische und terminologische Erläuterungen Wie Computer heimisch wurden ist unter anderem ein Experiment in historischer Vorstellungskraft und versucht vor die Veralltäglichung der Technologie zurückzugehen. Die Arbeit reflektiert dabei auch, wie Mediengeschichte geschrieben werden kann. Vorbild für dieses Vorgehen ist unter anderem eine Studie der Kultursoziologin Carolyn Marvin When Old Technologies Were New aus dem Jahr 1988. Marvin suchte jene Zeit in der Geschichte auf, als die amerikanische Kultur fasziniert war von den neuen Kommunikations- und Produktionsmöglichkeiten, die Telegraph, Telefon und Glühbirne mit sich brachten. Sie beschrieb, wie neue Technologien, die bis dahin nur einem kleinen Fachpublikum zugänglich waren, die bestehenden sozialen Strukturen unterbrachen und von der breiten Öffentlichkeit sozialisiert wurden. Die Studie problematisiert, dass mit der Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien zugleich die Vorstellung befördert wurde, dass durch mehr Kommunikation kulturelle Unterschiede hinfällig würden und dass Politik durch Wohlstand entbehrlich werden würde. Am Ende ihrer Analyse steht Marvin vor einem Widerspruch, den sie als kognitiven Imperialismus bezeichnet. In westlichen Kulturen ermöglichten exklusives Wissen und ökonomische Macht gesellschaftlichen Eliten, ihre Vorstellung von globaler Homogenität durchzusetzen und Unterschiede als Devianz, als

34 Mit den Design Guidelines setzte Apple Computer Inc. neue Standards für GUIs, vgl. Apple Computer Inc. (Hg.) (1982): Design Guidelines. Apple IIe, Cupertino CA.

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Abweichung von der Norm, zu markieren. Elektronische Medien, so Marvin, spielten dabei eine zentrale Rolle.35 Marvin formuliert mit dem Begriff eine Kritik an der Hegemonie der westlichen Welt, die sich auch in der Analyse der Beziehungen von Wissen und Macht in der Diskursanalyse Foucaults finden lässt und mit Edward Saids Kritik des Orientalismus pointiert wurde.36 Wendy Huy Kyong Chun hat diese Kritik, die auch in den Postcolonial Studies und Queer Studies geteilt wird, jüngst auf die Netzwerkanalyse übertragen; eine Übertragung, die insbesondere im Rahmen der Kritik der Digital Humanities relevant ist. Das Prinzip der Homophilie, auf dem Netzwerkwerk- und Datenanalysen aufbauen, so Chun, reflektiere gesellschaftliche Ungleichheiten zwar sehr effizient, doch werden vorhandene Diskriminierungsmuster durch dasselbe Prinzip der Homophilie im Namen der Funktionalität und der Prognostizierbarkeit sogleich wiederholt und verstärkt.37 Im Rahmen dieser Arbeit werden strukturelle Ungleichheiten der computerisierten Welt in Bezug auf die Kategorien Klasse, Geschlecht und ›race‹ insofern sichtbar, als ihre mehr oder minder durchgängige Abwesenheit auffällt. Beim Lesen dürfte deshalb auch der inkonsistente geschlechterbewusste Sprachgebrauch nicht unbemerkt bleiben. Wo ich mich gegen genderneutrale Sprache entschieden habe, liegt dies an der Dominanz des männlichen Geschlechts im Computerdiskurs. Auch wenn sich der diskursive Anteil von Frauen mit der Einführung von PCs erhöht, so werden sie im Diskurs vor allem in den gesellschaftlichen etablierten Rollen der Ehefrau in der bürgerlichen Kleinfamilie oder als Schreibkräfte auf dem Arbeitsmarkt sichtbar, wie sich an den Inszenierungen des Personal Computers im zweiten Teil der Arbeit aufzeigen lässt. Die Diskursgeschichte des PCs kann nicht unabhängig von den Bedingungen der Diskursproduktion und seiner Verbreitung betrachtet werden. Für die diskursive Analyse in diesem Buch ist also ausschlaggebend, wel-

35 Vgl. Marvin, Carolyn (1988): When Old Technologies were New. Thinking about Electric Communication in the Late Nineteenth Century, New York, hier S. 192ff. sowie S. 234ff. 36 Vgl. Said, Edward (1979): Orientalism, London. 37 Vgl. Chun, Wendy Huy Kyong (2018): »Queerying Homophily«, in: Apprich, Clemens, Chun, Wendy Huy Kyong; Cramer, Florian: Pattern Discrimination, Minnesota, S. 59-98.

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che Aussagen von wem gemacht wurden und wie sie kommuniziert wurden. John Fiske spricht in diesem Kontext von Mediendiskursen. Laut Fiske erzeugen Mediendiskurse Bedeutung auf drei Ebenen: auf der Ebene der sozialen Erfahrung (thematisch), auf der Ebene der sozialen Position (örtlich, situativ) und auf der Ebene der Verfahren (z.B. textuell, bildlich und algorithmisch). Bezogen auf den PC-Diskurs bedeutet dies, dass er durch das herrschende Regime geprägt wird, ebenso wie dieses immer wieder diskursiv oder performativ hergestellt und bestätigt werden muss, um die gesellschaftliche Ordnung zu sichern.38 Das diskursive Feld, aus dem das PC-Dispositiv hervorgeht, bilden Kybernetik, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der USA und Marketing, worauf im ersten Kapitel eingegangen wird. Im Kontext der Diskursgeschichte des PCs steht der Begriff des kognitiven Imperialismus, wie er von Marvin verwendet wird, in engem Zusammenhang mit dem allgemeinen Begehren nach Computertechnologie, das als Effekt des Personal Computer-Dispositivs betrachtet wird. Marvins Begriff beschreibt damit auch die Produktivität gesellschaftlicher Dispositive, die darin besteht, dass sie vermögen partikulare Probleme in einen allgemeinen Zustand zu übersetzen bzw. zu transformieren. Die entscheidende Frage ist also nicht, welchen Einfluss Computer auf Gesellschaft haben, sondern vielmehr wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft und dem Computer konfiguriert und hergestellt wird.39 Im Zusammenhang mit der Einführung von PCs wurde und wird häufig von der Zweiten Computerrevolution gesprochen. Diese Bezeichnung ist jedoch höchst ambivalent. Der Begriff Revolution wird im Rahmen dieser Arbeit allenfalls in seiner geschichtsphilosophisch weitesten Dimension im Sinne von Wandel benutzt. Der moderne Revolutionsbegriff – liberal oder kommunistisch – orientiere sich an einer Zielbestimmung, die eine bessere

38 Anne Balsamo expliziert dieses diskursive Verhältnis am Beispiel der Cyberpunk-Literatur im Science Fiction-Genre. Vgl. Balsamo, Anne (1994): »Feminism for the Incurably Informed«, in: Dery, Mark (Hg.) (1994): Flame Wars. The Discourse of Cyberculture, Durham, N.C., London, S. 125-156. 39 Anne Balsamo expliziert dieses diskursive Verhältnis am Beispiel der Cyberpunk-Literatur im Science Fiction-Genre. Vgl. Balsamo, Anne (1994): »Feminism for the Incurably Informed«, in: Dery, Mark (Hg.) (1994): Flame Wars. The Discourse of Cyberculture, Durham, N.C., London, S. 125-156.

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Welt verspricht, so der Eintrag in Historische Grundbegriffe.40 Dies trifft zwar auf die Versprechen der Werbeindustrie zu und deckt sich auch mit den Träumen der Computeraktivisten, verschleiert aber die Mikropolitiken, die Diskursgeschichte des PCs bestimmt. Alternativ möchte ich auf den Begriff des Medienumbruchs zurückgreifen, der im medienwissenschaftlichen Diskurs vor allem zur Beschreibung des Übergangs von analogen zu digitalen Medien eingesetzt wird.41 Die Computergeschichtsschreibung steht durch die rasante Entwicklung und schnelllebigen Innovationszyklen der Computertechnologie vor einem Problem. Zu schnell folgt eine Errungenschaft auf die andere, zu gegenwärtig oder nah erscheinen die Entwicklungen, um sie mit historischer Distanz betrachten zu können. Bereits 1980 wurde die Notwendigkeit der Historisierung der sprunghaften Entwicklung der Computertechnologie thematisiert. »The early version of an as yet ill-understood algorithm, the clumsy plan of an early engine, the pristine computer with its huge, superfluous circuits gives us little inspiration to face the problems of our day. Technological advances appear as sudden, discontinuous leaps that cover all previous work with an impenetrable cobweb of obsolescence. It is left to the archeologist, not to the historian, to make his way across the tortuous maze of oblivion, and to retrieve at least an appearance of the

40 Der (begriffsgeschichtlich) rechtliche Begriff, »der auf eine bestehende politische Ordnung bezogen« wird, erfuhr im 18. Jahrhundert eine geschichtsphilosophische Ausweitung: »Er meinte Wandel schlechthin, aber einen Wandel, der alle Lebensbereiche erfassend progressiv in eine bessere Zukunft führen sollte. ›Revolution‹ erhielt die Weihe des geschichtlich Notwendigen, sie voranzutreiben wurde eine zustimmungsfähige Aufgabe, eine Pflicht. ›Revolution‹ wurde zum Legitimationstitel für Veränderungen, die zuvor tabuisiert oder noch gar nicht in den Bereich der Erfahrung getreten waren.« Brunner, Otto; Conze, Werner; Koselleck, Reinhart (1984-1992): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart, S. 654ff. 41 Vgl. Schröter, Jens; Böhnke, Alexander (2004): Analog, Digital. Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung, Bielefeld.

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lost artifact, an obtrusive contraption whose plans and photographs will serve to fill the glossy pages of coffee-table books.«42

Der theoretische Physiker und Informatiker Nicholas Metropolis, der seit den 1940er Jahren am Los Alamos National Laboratory forschte und während des Zweiten Weltkrieges am Bau des ersten Atomreaktors mitgearbeitet hatte, charakterisiert den technologischen Wandel als Irrgarten obsolet gewordener, sich selbst überholender technischer Geräte und wirft in seiner Einführung zu einer umfassenden Sammlung historischer Essays, Meilensteinen der Computergeschichte, kommentierender Essays und Konstruktionsskizzen veralteter Computersysteme die Frage auf, wie genau Computergeschichte zu schreiben sei. Allenfalls Archäologen, nicht Historiker suchten sich einen Weg durch das Labyrinth technischer Artefakte dieser aufdringlichen Technologie. Eine mögliche Antwort auf die Frage, wie Geschichte zu schreiben sei, ist das diskursanalytische Projekt Michel Foucaults. Foucault verstand seine Diskursanalysen wie Wahnsinn und Gesellschaft, Die Geburt der Klinik, Archäologie des Wissens, Überwachen und Strafen, Sexualität und Wahrheit, um nur einige aufzuzählen, als archäologische Unternehmungen und Produkte einer zeitgemäßen historiografischen Methode. Diese widmete sich weniger partikularen historischen Ereignissen, als vielmehr den a priori herrschenden Bedingungen, unter welchen Wissen produziert und gespeichert wird und ist deshalb untrennbar mit den Technologien der Wissensspeicherung verbunden und für die Medienwissenschaft so ergiebig. Als Technologie begreift Foucault Mechanismen, die gesellschaftlichen Ein- und Ausschluss in Herrschaftssystemen regeln oder steuern, also letztlich Mechanismen der Machtausübung. Als Technologie par excellence gilt in diesem Kontext Turings universelle Rechenmaschine, mit der potentiell jedes formal als Algorithmus beschreibbare Problem regelhaft bearbeitet werden kann. Mit seiner kritischen Lektüre Foucaults führte der Medientheoretiker Friedrich Kittler den Begriff der Medienarchäologie in die Diskursanalyse ein: Foucaults Analysen reflektierten die medientechnischen Voraussetzun-

42 Metropolis, Nicholas; Howlett, Jack; Rota, Gian-Carlo (Hg.) (1980): A History of Computing in the Twentieth Century. A Collection of Essays, New York, London, S. xv.

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gen diskursiver Praktiken nicht. Kittler hält Foucaults archäologische Darstellungen deshalb für unzureichend oder unvollständig. Dem Schriftmonopol der juristischen, medizinischen und theologischen Bibliotheken trete heute – 1986 erscheint Grammophon, Film, Typewriter43 – die Oral History – eine neue Art der Geschichtssprechung oder -archivierung – entgegen, von akustischen und visuellen Archiven ganz zu schweigen. In ihrem Vorwort zur englischen Übersetzung schreiben Geoffrey Winthrop-Young und Michael Wutz Kittlers Archäologie der Gegenwart zu, die Speicher- und Kommunikationsmedien des Post-Print-Zeitalters zu erfassen.44 Kittler setzt der Macht der schriftlich gespeicherten historischen Diskurse und ihrer Archive, sowie der Geschichtsschreibung die Macht technischer Medien und ihrer Archive entgegen bzw. erweitert das Foucaultsche Projekt zu einer Medienanalyse, auch wenn er den Begriff der Medienarchäologie für seine eigene Forschung ablehnte. Wie sein Zeitgenosse, der Philosoph Bernard Stiegler, geht Kittler von der Annahme aus, dass sich das soziale Gedächtnis mit seiner Veräußerlichung in Technologien konstituiert. Nicht erst mit dem Aufkommen der Elektrotechnik schaffe sich der Mensch Extensionen, das Gedächtnis liegt immer außerhalb des Menschen, »nämlich zwischen den Menschen, die wesentlich außer sich sind – in Gestalt von Gegenständen, Bildern, Texten, Bibliotheken, Museen, von sämtlichen Institutionen, Traditionen und anderen instrumentalen Prothesen wie auch in anderen Menschen.«45

In seinem Artikel »Friedrich Kittler und der Missbrauch von Heeresgerät. Zur Situation eines Denkbildes 1964 – 1984 – 2014« führt Claus Pias Kittlers These vom medientechnischen Apriori auf den PC und die allgemeine Computerisierung zurück. Kittlers These sei nicht nur »partikular und der

43 Vgl. Kittler, Friedrich A. (1986): Grammophon, Film, Typewriter, Berlin, Einleitung. 44 Vgl. Winthrop-Young, Geoffrey; Wutz, Michael (1999): »Friedrich Kittler and Media Discourse Analysis«, in: Kittler, Friedrich (1999): Gramophone, Film, Typewriter, Stanford CA, S. xi-xxviii. 45 Stiegler, Bernard (1989): Die industrielle Echtzeit, in: Kittler, Friedrich; Tholen, Georg Christoph (Hg.): Arsenale der Seele. Literatur- und Medienanalyse seit 1870, München, S. 203-210, hier S. 208.

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Historisierung bedürftig«, sie sei »nicht nur zeittypisch und an einen bestimmten historischen Stand von Hard- und Software gebunden, sondern auch in der Geschichte und der Geschichtsschreibung der Computerkultur bereits vorgeprägt.«46 Die vorliegende Arbeit ist als Beitrag zur Medienarchäologie des Computers zu verstehen. Sie unternimmt den Versuch, in die Zeit vor die Verallgemeinerung des PC-Dispositivs zurückzugehen und legt den Fokus auf das medientechnische Apriori der digitalen Medien. Gesellschafts-, Medien- und Techniktheorien dieser Zeit werden selbst zu historischen Quellen, sie werden als episteme digitaler Kultur gelesen. Mit dem Begriff episteme, ist nicht die Originalität einer Erfindung gemeint, es geht auch nicht darum, zu bestimmen, welche Erfinder oder Unternehmen die Ersten auf ihrem Wissensgebiet waren, vielmehr geht es um die Ordnungen und Strukturen, die dem jeweiligen Wissensgebiet in dieser Zeit Geltung verleihen.47 Demnach wird der Personal Computer nicht als »isolierte Apparatur« betrachtet, er wird als Konstellation oder Anordnung48 von Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten betrachtet, als Dispositiv. Ein Dispositiv ist nach der Definition Foucaults ein »[...] entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architektonische Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.«49

46 Pias, Claus (2015): »Kittler und der »Mißbrauch von Heeresgerät. Zur Situation eines Denkbildes 1964 – 1984 – 2014«, in: Merkur 69/791 (2015), S. 31-44, hier S. 33. 47 Vgl. Foucault, Michel (1983): Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main. 48 Vgl. Distelmeyer, Jan (2017): Machtzeichen. Anordnungen des Computers, Berlin. 49 Foucault, Michel (1978): Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin, S. 119f.

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Foucault benutzt den Begriff des Dispositivs, um damit Diskurse und Praktiken zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt als soziale Handlungen sichtbar zu machen. Das Dispositiv wird zum »verallgemeinerungsfähigen Funktionsmodell, das die Beziehungen zur Macht zum Alltagsleben der Menschen definiert«, und nach dem sich eine gesellschaftliche Ordnung erhält oder transformiert.50 Friedrich Kittler erweiterte die historiografische Methode der Diskursanalyse Foucaults, indem er auf die medientechnischen Bedingungen der Diskursproduktion und -speicherung verwies. Kittlers These vom medientechnischen Apriori erscheint im Rahmen der Diskursgeschichte des Personal Computers selbst als Effekt der allgemeinen Computerisierung, die in der vorliegenden Arbeit auf die Bedingung des Heimischwerdens von Computertechnologie zurückgeführt wird. Hardware, Software, Arbeitskräfte, User:innen, Intellektuelle und deren Verhältnis zueinander werden dabei gleichermaßen befragt. Ziel dieses Ansatzes ist nicht die Demontage des Apparates in einzelne Technologien, sondern eine Analyse der Wissensformen, Machtbeziehungen und Subjektivierungsweisen, die das Dispositiv bindet. Das PC-Dispositiv antwortet auf den herrschenden Technologiediskurs und es formiert sich in einer Zeit, in der die Bürger der USA die Einschränkung ihrer Freiheit fürchteten bzw. die individuelle Souveränität der militärischen und industriellen Macht der USA ohnmächtig gegenüberstand. Das imperialistische Gebaren der Großmacht USA und der Krieg gegen den Kommunismus – nicht nur außerhalb nationaler Grenzen sondern auch im eigenen Land – wurden von einem großen Teil der Bevölkerung als Bedrohung ihrer Freiheit wahrgenommen. Computer sind in den 1960er Jahren Embleme des militärisch-industriellen Komplexes des Kalten Krieges.51 Ende der 1960er entstanden unabhängig voneinander Bewegungen, engl. Countercultures, die sich gegen die herrschende Machtpolitik stemmten. Das Attribut counter bedeutete keineswegs, dass diese Gegenkulturen frei von Ideologie waren, und auch nicht, dass sie sich ideologisch untereinander immer nahe standen.52 Die populä-

50 Foucault: Überwachen und Strafen, hier S. 263. 51 Vgl. Turner, Fred (2006): From Counterculture to Cyberculture. Stewart Brand, the Whole Earth Network, and the Rise of Digital Utopianism, Chicago. 52 Vgl. auch Turner, Fred (2013): »From Counterculture to Cyberculture«, Keynote auf der Konferenz zur Ausstellung The Whole Earth im Haus der Kulturen der Welt in Berlin am 21.06.2013.

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ren Gegenkulturen mit charismatischen Figuren wie Ken Kesey, Stewart Brand oder Ted Nelson lehnten Computerforschung oder technologischen Fortschritt nicht per se ab, sie lehnten die Herrschaftsstrukturen ihrer Zeit ab. In den neuen Technologien sahen sie die Chance für Emanzipation, für eine bessere Welt und riefen dazu auf, sie sich zunutze zu machen. Der Sozialwissenschaftler Richard Barbrook und der Medienkünstler Andy Cameron veröffentlichen 1995 unter dem Titel The Californian Ideology ein Pamphlet, mit dem sie dieser Stimmung nicht nur einen zeitlichen Rahmen geben, sie verorten sie in der Metropolregion San Francisco Bay Area im Norden Kaliforniens, wo mit dem Silicon Valley einer der bedeutendsten Standorte der Computerindustrie wächst. »This new faith has emerged from a bizarre fusion of the cultural bohemianism of San Francisco with the hi-tech industries of Silicon Valley. Promoted in magazines, books, tv programmes, Web sites, newsgroups and Net conferences, the Californian Ideology promiscuously combines the free-wheeling spirit of the hippies and the entrepreneurial zeal of the yuppies.«53

Mit ihrer Ideologiekritik machen die beiden Briten auf einen wichtigen Aspekt digitaler Kultur aufmerksam: Das PC-Dispositiv erscheint nicht irgendwann und irgendwo zufällig, es ist Effekt der gegebenen Diskurslage und der Computer zu Hause war das Versprechen auf eine bessere Welt, auf Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit. Weil das Dispositiv die »technologische Schwelle«54 überschreitet, ist es mehr als Hardware und Software einer Rechenmaschine, es ist kulturelle Praxis, materiale Vergegenständlichung von Diskursen, Angebot zur Subjektivierung und nicht zuletzt begründet es die digitale Ideologie. Das Dispositiv nimmt dabei selbst die Rolle eines Mediums ein, das sowohl konkrete wie auch abstrakte Form annimmt. PCs werden von der besonderen Form zum Dispositiv der computerisierten Gesellschaft, das in seiner Verallgemeinerung das »Spiel von Positionswechseln und Funktionsverände-

53 Barbrook, Richard; Cameron, Andy (1995): The Californian Ideology, http:// www.hrc.wmin.ac.uk/theory-californianideology-main.html vom 06.03.2019. 54 Vgl. Deleuze, Gilles: »Ein neuer Kartograph«, in: Gilles Deleuze (Hg.) (1992): Foucault, Frankfurt am Main, S. 37-67., hier S. 60.

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rungen«55 aufzufangen vermag. Das Dispositiv antwortet »zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt« auf einen »Notstand«56, der die bestehende gesellschaftliche Ordnung betrifft, die aus diesem Notstand heraus durch das Dispositiv in einen allgemeinen Zustand überführt werden kann. In seiner Geschichte des Gefängnisdispositivs – Surveiller et punir 1975 – macht Foucault an Jeremy Benthams Entwurf des Panopticons aus dem Jahr 1787 deutlich, dass dieser konkrete Entwurf eines Gefängnisses »das Diagramm eines auf seine ideale Form reduzierten Machtmechanismus« darstellt.57 Im Rahmen der Dispositivgeschichte des PCs existiert dagegen nicht ein Entwurf, sondern viele, denn Ende der 1970er formierten sich in der neuen PC-Industrie gemeinsame Standards von Paketen aus Hardware (CPU, Monitor, Tastatur, Maus) und Software (Textverarbeitung, Tabellenkalkuation, Spiele) die fortan festlegten, was ein Personal Computer gewesen sein wird. Alle diese gemeinsamen Bestrebungen können auf das Anliegen zurückgeführt werden, dass Computer individuell genutzt werden sollen. Der Verkauf von PCs markiert schließlich die Umsetzung des neuen Paradigmas personal computing, das in seiner verallgemeinerten Form – alle haben potentiell Zugang – mit einer gesamtgesellschaftlichen Transformation einhergeht. Mit der Einführung von Graphical User Interfaces (GUI) und mit MSDOS Betriebssystemen ausgestatteten, IBM kompatiblen PCs ist das personal-computing-Dispositiv abgeschlossen. Spätestens mit dem Macintosh58 von Apple Inc. verkaufen sich PCs millionenfach. Unter technological closure versteht der Computerhistoriker Martin Campbell-Kelly, dass sich im Zuge technologischer Entwicklung ein bestimmtes Design des PCs durchsetzt und den Wettbewerb unter anderen konkurrierenden Designs um Märkte und Bedeutungen verdeckt.59 Der Begriff der »technologischen Schließung«, so die in dieser Arbeit vorgeschlagene Übersetzung des von Campbell-Kelly verwendeten Begriffs, lässt sich an den der black box anschließen, den der Wirtschaftshistoriker Nathan Rosenberg als künstliche Einheit begreift. Das Produkt oder technologische Artefakt wird zur not-

55 Foucault: Dispositive der Macht, S. 120. 56 Ebd. 57 Vgl. Foucault: Überwachen und Strafen, S. 264. 58 McIntosh ist der Name einer in British Columbia verbreiteten Kulturapfelsorte. 59 Vgl. Campbell-Kelly: Not only Microsoft.

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wendigen Grundlage weiterer Entwicklung und die Ambivalenz, mit der neue Technologien eingeführt werden, wird verschleiert.60 Vorangehende Prozesse der Entscheidungsfindung und die heterogenen Beziehungen zwischen Erfindern, Unternehmen, Behörden und Konsumenten entgehen empirischen Analysen.61 Rosenberg unternimmt eine archäologische Untersuchung und eine Diskursanalyse der Ökonomie industrieller Technologien des 20. Jahrhunderts. Er beleuchtet dabei das komplexe Verhältnis von Wissenschaft und Technologie, z. B. unter Berücksichtigung des Einflusses staatlicher Eingriffe in technologische Entwicklung, sowie die dem technologischen Wandel unterliegenden Lernprozesse. Die in dieser Arbeit vorgenommene Analyse des PC-Dispositivs ist in zwei Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel skizziert das diskursive Feld, auf dem sich die Auseinandersetzung über personal computing entwickelt und Ende der 1970er Jahre mit den ersten Geräten konkret wird. Die unter der Kapitelüberschrift Technologische Öffnung: Technologie und Gesellschaft im Umbruch versammelten Abschnitte greifen technik-, wirtschafts-, und geistesgeschichtliche, sowie kulturhistorische Diskurse vor der kommerziellen Einführung von PCs auf. Die Kapitelüberschrift nimmt Bezug auf den technikhistorischen Begriff der technologischen Schließung.62 Ihr geht eine Öffnung voraus, in welcher von der Befreiung der Computertechnologie aus politischen Zwängen die Rede ist. Die sich daraus ergebende Unbestimmtheit der Computertechnologie ist eine Bedingung für das Erscheinen des Personal Computers. Die diskursive Zuschreibung und praktische Zurichtung der Technologie hin zum Dispositiv des Personal Computers ist Gegenstand des zweiten Kapitels Technologische Schließung: Das Heimischwerden von Computertechnologie. Dieses widmet sich dem kurzen Zeitabschnitt Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre, in dem PCs ihrer Zielgruppe bzw. den Amerikaner:innen, präsentiert wurden und bei ihr

60 Vgl. Latour, Bruno (1987): Science in Action. How to Follow Scientists and Engineers through Society, Cambridge MA, hier S. 2-15. 61 Vgl. Rosenberg, Nathan (1982): Inside the Black Box. Technology and Economics, Cambridge, New York; sowie Feenberg, Andrew (1992): »From Information to Communication«, in: Martin Lea (Hg.): Contexts of Computer-Mediated Communication. New York, London, S. 168-187, hier S. 176f. 62 Der Begriff wird in diesem Abschnitt noch näher erläutert, vgl. Campbell-Kelly: Not Only Microsoft.

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bzw. ihnen allmählich heimisch wurden. Das Leben mit Computern wurde in Druckerzeugmissen wie eine Art Familienporträt inszeniert. Was aus heutiger Sicht wie ein kurioses Fundstück wirkt,63 wurde ab Ende der 1970er so oder so ähnlich in Printmedien abgebildet oder als instruktives Hardware- und Software-Zubehör verkauft. Doch die Eingliederung der Technologie in alle Lebensbereiche im Gewand von PCs verlief jedoch nicht ohne Irritationen oder Kritik, worauf im zweiten Kapitel der Arbeit näher eingegangen wird.64 Aufschlussreiches Archivmaterial stellen insbesondere Werbeanzeigen und -broschüren, Tageszeitungen, Ratgeberliteratur, Computermagazine und Bedienungsanleitungen dar. Anhand der Texte und Darstellungen lassen sich die Strategien der Intimisierung, Familiarisierung und Funktionalisierung für Privathaushalte aufzeigen. Die befragten medialen Artefakte verkörpern, so die Annahme, zeithistorische Zusammenhänge und machen das Dispositiv sichtbar, das sich der Abbildbarkeit und der Sichtbarkeit widersetzt. Bestenfalls wird es sichtbar als leeres Display oder unbeschriebenes Blatt, wie der Computerforscher Douglas Engelbart die Urszene jeder Interaktion mit der Technologie charakterisiert.65 Engelbart begann seine Präsentation des Forschungsprojekts Augmenting Human Intellect66 damit, dass er erklärte, dass sich die Technologie nicht ohne weiteres darstellen beschreiben lasse, weshalb er das Programm auf dem Display demonstrieren werde. Die Szene kann auch als Bestätigung des Diktums des Medientheoretikers Marshall McLuhan verstanden werden, nach dem Medien in Relation zu anderen Medien erkennbar oder sichtbar werden:

63 Vgl. Abbildung 1. 64 Vgl. Kelly, Jean (2003): »Selling Silicon. The Framing of Microcomputers in Magazine Advertisements, 1974-1997«, in: AEJMC National Convention, Magazine Division, Kansas MO; Kelly, Jean (2009): »Not so Revolutionary after All. The Role of Reinforcing Frames in US Magazine Discourse about Microcomputers«, in: New Media & Society 11/1-2 (2009). 65 Vgl. Engelbart, Douglas C.; English, William K. (1968): »A Research Center for Augmenting Human Intellect«, in: AFIPS Conference Proceedings of the 1968 Fall Joint Computer Conference, San Francisco, CA. 66 Engelbart, Douglas C. (1962): Augmenting Human Intellect. A Conceptual Framework, Menlo Park CA, http://www.dougengelbart.org/pubs/papers/scan ned/Doug_Engelbart-AugmentingHumanIntellect.pdf vom 06.03.2019.

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»In fact, it is the technique of insight, and as such is necessary for media study, since no medium has its meaning or existence alone, but only in constant interplay with other media.«67

Ein wesentlicher Teil der Forschungsleistung bestand in der Recherche von Dokumenten und Artefakten, in welchen das PC Dispositiv sichtbar. Eine Fülle an archivarischen Artefakten ist online über nichtkommerzielle Archive zugänglich, wie archive.org. Daneben gibt es unzählbare private Sammlungen nostalgischer oder fetischistischer Prägung, aber auch Foren, die rückwirkend allerhand zeithistorische Artefakte zutage fördern und online publizieren. Dabei handelt es sich nicht um Oral Histories, die vorwiegend von den Produzenten der Computer-Industrie gesammelt wurden, sondern ein großer Teil besteht aus gescannten Funkstücken aus vielen unterschiedlichen Printmedien. Die meisten Anzeigen sind in Computer- und Elektronikmagazinen zu finden, denn zeitgleich mit den ersten PCs erschienen auch die ersten Magazine rund um das Thema personal computing. Da der Personal Computer neben vielem anderen auch als Einrichtungsgegenstand betrachtet werde konnte, der einen würdigen und geeigneten Platz im Haus suchte, gab es auch Inszenierungen mit Produktbesprechungen in Lifestyle- und Einrichtungskatalogen. Der PC wurde darüber hinaus in pädagogischen Zeitschriften als Hilfsmittel für die Kindererziehung vorgestellt und beworben. Des weiteren gab es Produkttests in Branchen, die sich bis dahin nicht mit Computern befasst hatten. Journalistische, populärwissenschaftliche Aufarbeitungen und fiktionale Erzählungen über die Computergeschichte und die sogenannte Computerrevolution häuften sich mit der Verbreitung von PCs zunehmend. Oft handelte es sich um industrienahe Darstellungen, die die Ästhetik und Relevanz einer bestimmten Maschine ins Zentrum stellten, oder um biografische Portraits ingeniöser Wissenschaftler und Erfinder neuer Technologien, sowie charismatischer Geschäftsmänner und autoritärer Firmenbosse. Aber es erschienen auch Publikationen zu Computerclubs und -kulturen und subversiven Communities,68 von denen einige in der Gründung der heute größ-

67 Vgl. McLuhan, Marshall (2001): Understanding Media. The Extensions of Man, London. 68 Beispielsweise Heims, Steve J. (1980). John Von Neumann and Norbert Wiener: From Mathematics to the Technologies of Life and Death, Cambridge

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ten Computer- und Softwareproduzenten mündeten. Computergeschichte wurde auch über Rechtsstreite um Patente, Urheberrechte, Markenzeichen, Betriebsgeheimnisse und um Marktanteile bzw. Marktmonopole geschrieben.69 Eine andere beliebte Erzählung ist die des abtrünnigen Ingenieurs oder Programmierers. Auf diese Weise wurde eine Art Genealogie eines bestimmten Unternehmertums befördert, deren hauptsächlicher Schauplatz das Silicon Valley ist: Junge Forscher, Ingenieure und Programmierer werden aus Universitäten von den CEOs der großen Unternehmen der Industrie rekrutiert. Der Wettbewerb um Innovationen und die Marktführung war kapitalintensiv. Es standen ausreichend Mittel zur Verfügung, um zu experimentieren. In den großen Unternehmen und Forschungszentren lernten die Jungen von den Erfahrenen des Business und nicht wenige nahmen dieses Wissen und gründeten ihre eigenen Unternehmen, um selbst in den Wettbewerb einzutreten. Eines der wohl bekanntesten Beispiele ist die Geschichte der traiterous eight, eine Gruppe von acht jungen Ingenieuren, die Ende der 1950er ihren Arbeitgeber Shockley Semiconductor Laboratory verließen, um zunächst Fairchild Semiconductor zu gründen. Zwei von ihnen wiederum gründeten Ende der 1960er Intel Corporation, einer der Entwickler von Intels erstem gewerblichen Mikrochip, dem 4004, gründete Zilog Inc. und so fort.70 Die Presse verfolgte die Entwicklungen in der Branche, die großen überregionalen Tageszeitungen testeten die Produkte und berichteten über sie. Journalisten, die bereits vor dem Aufkommen der PCs über technologische Entwicklungen ihrer Zeit und die wachsende Industrie berichteten, schrieben später ganze Bücher zur Computergeschichte. Die zwölfteilige Reihe History of Computing von Marguerite Zientara, die 1981 von Computerworld einer führenden Computerzeitung veröffentlicht wurde, skiz-

MA; Kidder: The Soul of a New Machine; sowie Levy, Steven (1994): Hackers. Heroes of the computer revolution, New York. 69 Vgl. Graham, Lawrence (1999): Legal Battles that Shaped the Computer Industry, Westport CT, London. 70 Vgl. Saxenian, AnnaLee (1996): Regional Advantage. Culture and Competition in Silicon Valley and Route 128, Cambridge MA, London; sowie Kenney: Understanding Silicon Valley.

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zierte Biographien von Computer-Visionären.71 Der öffentliche Auftritt von Apple Inc. ist, angefangen vom Firmennamen, der auf Isaac Newton verweist, bis hin zu den Werbekampagnen, von Beginn an gespickt mit Referenzen auf Technologiegeschichte und die Geschichte der USA als Land der Freiheit.72 IBM etwa unterhält ein aufwändig produziertes OnlineArchiv zur eigenen Unternehmensgeschichte.73 Zahlreiche Unternehmensarchive und Nachlässe von Wissenschaftlern und Personen öffentlichen Interesses finden sich in Bibliotheksarchiven und Archiven der Forschungszentren.74 Neben der Historisierung durch die Produzent:innen und Beobachter:innen der Computerindustrie erschien ab den späten 1970ern eine große Menge an Ratgeberliteratur und Gebrauchsanweisungen.75 Darin wurden die neuen Geräte vorgestellt und welche zusätzlichen Geräte auf dem Markt verfügbar waren, Speichermedien, Drucker, etc. Während viele Aufarbeitungen Einblick in das Business und auf Akteure gewährten, die der großen Öffentlichkeit bis dahin nicht zugänglich gewesen waren, spitzte sich das Desiderat der Recherche auf die Frage zu, wie Computertechnologie bei den nicht darauf spezialisierten Teilen der Gesellschaft aufgenommen wurde; wie die früher als bedrohlich und kriegerisch wahrgenommene Techno-

71 Vgl. Zientara, Marguerite (1981): The History of Computing, Framingham MA. Zientara beginnt nicht erst beim digitalen Computer, sondern mit Pascal, Leibniz, Babbage & Lovelace, Boole, Burroughs, Hollerith, Watson, Turing, Zuse, Eckert & Mauchley, Hopper und endet mit dem zwölften Teil, einem Prolog für die Zukunft der Computer. 72 Eine Galerie von gescannten Kampagnen von Apple Computer Inc. ist auf The Mothership, Apple Advertising and Brochure Gallery, http://www.macmother ship.com/gallery/gallery1.html vom 10.2.2017. 73 Vgl. https://www.ibm.com/ibm/history/index.html 06.03.2019. 74 Im Rahmen dieser Forschungsarbeit waren die Special Collections der Stanford University, CA und das Archiv des Computer History Museum in Mountain View, CA sehr ergiebig, die neben dem Universitätsarchive und Unternehmensarchiven auch die Nachlässe von einzelnen Persönlichkeiten pflegen. 75 Vgl. McCabe, Dwight (Hg.) (1977): PCC’s Reference Book of Personal and Home Computing, Menlo Park, CA. Dieses Nachschlagewerk gibt einen umfassenden Überblick über die Ratgeberliteratur bis 1977.

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logie in ein Medium individuellen Ausdrucks und der Selbstbestimmtheit umgedeutet wurde.

Technologische Öffnung: Technologie und Gesellschaft im Umbruch

Hardware- und Softwarekomponenten des Personal Computers

Was sind Personal Computer eigentlich und was leisten sie? Die Bezeichnung Personal Computer oder Home Computer ist nicht zuletzt die Bezeichnung für ein Wirtschaftsgut, bestehend aus Ware (Hardware) und Dienstleistungen (Software). Die Grenze zwischen Hardware und Software ist eigentlich eindeutig. Alle physischen Teile in einem Rechner sind Hardware, während alles, was Code und leicht manipulierbar ist, der Software zugerechnet wird. Ein Betriebssystem ist demnach Software, doch ist die Frage nicht ganz unberechtigt, ob ein Betriebssystem leicht manipulierbar ist. In der Regel wird jede Art der Manipulation auf Ebene des Betriebssystems vom Hersteller untersagt und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt. Im Wirtschaftsrecht wird Hardware als materielles Vermögensgegenstand betrachtet, Software hingegen zählt zu den immateriellen Wirtschaftsgütern, unabhängig davon, dass Software materieller Träger bedarf und einen untrennbaren Funktionszusammenhang mit Hardware bildet. Und obgleich Software von User:-innen tagtäglich über Hardware-Interfaces bedient wird, ist die beste Hardware angeblich eine, die von ihren User:innen nicht als solche wahrgenommen wird, weil sie entweder als Teil ihrer ›natürlichen‹ Umwelt ›intuitiv‹ benutzbar ist, oder weil sie sich mit dem Körper verbinden lässt, als gehörte sie zu ihm. Die Einheiten aus Hardware und dazugehörige Software – wenn auch manipulierbar oder austauschbar – sind heute leicht beweglich mit mit Sensoren ausgestattet. Befehle müssen nicht mühsam per Hand und unter Aufwendung geistiger Ressourcen eingegeben werden, sondern werden basierend auf dem Nutzungsverhalten des einzelnen Individuums und dem Verhalten der übrigen User:innen von lernenden Algorithmen statistisch automatisch berechnet. Oberflächen reagie-

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ren auf die Berührung mit der Haut, mobile Geräte arbeiten mit der Bewegung ihrer User:innen, Befehle können akustisch erteilt werden. Gleichzeitig erscheint Software in diesen Funktionszusammenhängen in Form von Apps eher wie in Stein gemeißelt und ihre Funktionen oder ihr Nutzen werden seltener hinterfragt. Dass sie zur Verfügung stehen, wird bereits als Zeichen ihrer usefulness, ihrer Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit betrachtet. Programme, die von sensorischen und vernetzten Geräten ausgeführt werden, sind nicht immer transparent und auch nicht ohne weiteres durch die User:innen manipulierbar. Nicht erst seitdem es smarte Computertechnologie gibt, stellt sich die Frage, inwieweit die Verbreitung der Technologie individuelle Rechte sowie die gesellschaftliche Ordnung berührt und wie die Technologie vor Missbrauch geschützt werden kann.1 Vor diesem Hintergrund erscheint die zuvor genannte Unterscheidung von Hardware und Software arbiträr und es geht vielmehr um die Nutzungszusammenhänge, für die Computersysteme gestaltet und programmiert werden. »Interaktion mit dem Computer« schreibt Jan Distelmeyer »bedeutet, sich auf bestimmte Möglichkeitsbedingungen und deren Grenzen einzulassen. Darum ist die Verfügung über das, was Computer bieten, stets an ein Sichfügen gebunden.«2 Die Interaktion mit Computern ist durch den Zeichenraum der Rechenmaschine bestimmt, weshalb die Kritik des Interfaces und der Performativität computerisierter Interaktion einen wichtigen Aspekt zeitgenössischer Medienwissenschaft darstellt.3 In diesem Sinne ist auch Friedrich Kittlers vehementer Aufruf, gegen Computeranalphabetismus zu verstehen.4

1

Vgl. Rosenberg, Jerry M. (1976): »Human and Organizational Implications of Computer Privacy«, in: AFIPS ‘76 Proceedings of the National Computer Conference and Exposition, New York, S. 39-43.

2

Distelmeyer: Machtzeichen, S. 88

3

Vgl. ebd., sowie Andersen, Christian Ulrik; Pold, Søren (Hg.) (2011): Interface criticism. Aesthetics beyond buttons, Aarhus.

4

Vgl. Kittler, Friedrich (1995): »Computeranalphabetismus«, in: Brauer, W.; Schubert, Siegrid (Hg.): Innovative Konzepte für die Ausbildung. Berlin, Heidelberg, S. 245-258; Kittler, Friedrich (1993): »Es gibt keine Software«, in: Friedrich Kittler (Hg.): Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig, S. 225-242.

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Die ersten PCs sind sogenannte Microcomputer. Microcomputer gab es bereits seit Anfang der 1970er Jahre. Diese Bezeichnung erhielten sie, weil sie im Vergleich zu ihren Vorgängern, den Super-, Giant- und Minicomputern, sehr klein waren. Die Darstellung von Computergeschichte als Geschichte der Miniaturisierung bei wachsender Rechenleistung ist populär, doch stark vereinfachend. Microcomputer sind eine notwendige Bedingung für PCs, weil sie klein und günstig genug waren, dass sich Privatleute diese anschaffen konnten. Die Entwicklung der Computertechnologie verläuft jedoch folgt keiner notwendigen Abfolge und ist zu einem gewissen Maß kontingent. Auch wenn es aus der heutigen Perspektive anders erscheinen mag, sind PCs nicht das Ergebnis kontinuierlichen Fortschritts, sondern eher Konstellationen aus ökonomischen, sozialen, politischen und technologischen Entscheidungen, die unterschiedliche Interessen verfolgen, wie ich im Verlauf der Arbeit aufzeigen möchte. Einige der später standardmäßigen Bauteile der Hardware von PCs wurden nicht von vorn herein dazu bestimmt, auch wenn sie Teil eines Diskurses waren, in welchem das Dispositiv PC sichtbar wird. In diesem Abschnitt werde ich exemplarisch auf einige technologische und ökonomische Entwicklungen des Diskurses eingehen. In seiner historischen Aufarbeitung des Computerzeitalters aus dem Jahr 1978 teilt Martin Campbell-Kelly Computer in drei Generationen ein. Unter der ersten Generation versteht Campbell-Kelly die ersten digitalen Computer, die mit Elektronenröhren rechneten. Der erste dieser Art war ENIAC, der 1946 vorgestellt wurde.5 Transistoren begründen ab dem Ende der 1950er eine neue Generation von Computern, und schließlich ist es ab 1964 die Mikroelektronik mit integrierten Schaltkreisen, die die dritte Generation von digitalen Rechnern prägt. Mit den Innovationsschritten bekamen Computer größere Speicher, hatten mehr Rechenleistung und wurden kleiner. Die ersten PCs waren zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses historischen Überblicks gerade erst auf dem Markt, und es war nicht absehbar, ob und wie erfolgreich sie sich verbreiten würden. Campbell-Kelly verweist auf sie als vierte Generation von Computern, von der aber bisher nur in der Werbung gesprochen wird.6 Bis 1950 gab es keine kommerziell genutzte

5

Vgl. Haigh, Thomas; Priestley, Mark; Rope, Crispin: ENIAC in Action. Making and Remaking the Modern Computer, Cambridge MA, London.

6

Vgl. Campbell-Kelly, Martin (1978): The Computer Age, Hove, hier S. 80ff.

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Maschine; die Computerindustrie entwickelt sich erst ab den 1950er Jahren, als sich abzeichnete, dass es einen wachsenden Bedarf an Computern und zahlungskräftige Kundschaft im öffentlichen und privaten Sektor gab. Neben Universitäten waren es vor allem das US-amerikanische Verteidigungsministerium, Banken, Versicherungen, Anwaltskanzleien und Kommunikationsunternehmen, die Computer einsetzten. Die Produktion der wachsenden Computerindustrie war davon angetrieben, immer größere und schnellere Computer zu bauen, sogenannte Riesencomputer. Die Geschwindigkeit der Rechner hatte sich seit 1950 alle fünf Jahre verzehnfacht, 1978, als Campbell-Kelly seinen Überblick verfasste, existierten Computer, die in einer Sekunde 100 Millionen Rechenoperationen leisten konnten, was einen Menschen geschätzte hundert Jahre kosten würde.7 Jeder schnellere und leistungsstärkere Rechner erzeugte neue Resultate, deren Erforschung wiederum schnellere und leistungsstärkere Maschinen erforderlich machte. Mit der Steigerung der Rechenleistung verlief das Programmieren immer langsamer, komplexe Sachverhalte in Nullen und Einsen auszudrücken war personal- und zeitintensiv sowie fehleranfällig. Endlose Reihen binären Codes mussten geschrieben werden. Das Programmieren konnte mit den Anforderungen der immer schneller arbeitenden Rechner nicht Schritt halten. Schließlich wurde der erste Computer mit einem eingebauten Programm entwickelt, das es Programmierern erlaubte Symbole, Zahlen und Buchstaben statt binärer Codes zu verwenden. Der geschriebene Code wurde automatisch in Maschinensprache übersetzt. Doch selbst damit dauerte das Programmieren noch zu lange. Weitere zweieinhalb Jahre nahm die Entwicklung von Formula Translator (FORTRAN) im Forschungszentrum von IBM in Anspruch. Dieses Übersetzungsprogramm, das ab Mitte der 1950er eingesetzt wurde, ermöglichte die Übersetzung mathematischer Formeln in binären Code. Mit der zweiten Generation von Computern setzte sich schließlich die Unterscheidung von Hardware und Software durch, wodurch zwischen Maschine einerseits und Programmiersystemen der Hersteller andererseits unterschieden wurde. Ab den 1960ern kann daher von der Softwareindustrie gesprochen werden. Die Entwicklung von Software wurde unerlässlich, um zu gewährleisten, dass Computer auch von Nicht-Mathematikern genutzt werden konnten. Während sich FORTRAN vor allem in der Wissenschaft als Standardsprache durchsetzte,

7

Ebd., S. 70ff.

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setzte sich im gewerblichen Bereich der Industrie die Ende der 1950er entwickelte Sprache COBOL (COmmon Business Oriented Language) durch. Ab Mitte der 1960er Jahre wurde mit BASIC (Beginner All-purpose Symbolic Instruction Code) eine einfach zu lernende und leicht anzuwendende Sprache eingeführt, die sich großer Beliebtheit erfreute und schnell zur Standardsprache an Schulen und Colleges wurde.8 Letztlich vermittelte BASIC in welcher Form der Computer Befehle entgegen nahm bzw. wie der oder die den Computer Bedienende Dienste abfragen konnte. Mit Befehlen wie HELP oder EXPLAIN wurden die User:innen instruiert, wie sie erfolgreich Befehle erteilten und mit dem Computer zu sprechen hatten.9 Weitere Entwicklungen in dieser Generation von Computern, die die Computerindustrie nachhaltig beeinflussten und später in PCs verbaut werden, waren Time-Sharing und Real-Time Computer. Mit Time-Sharing wurde ein Problem gelöst, das mit der Abfolge einzelner Arbeitsschritte zu tun und bei der Arbeit mit Computern für viel Frustration gesorgt hatte: Zwischen dem Schreiben eines Programms, dem Stanzen der Lochstreifen und dem Einlesen und Verarbeiten des Programms, um schließlich erste Ergebnisse zu erhalten, vergingen unter Umständen Wochen. Time-Sharing oder Multi-Access nutzte Computerzeit effizienter, indem während der Wartezeiten an einem anderen Projekt gearbeitet werden konnte. Auf diese Weise konnten ganze Teams von Programmierern gleichzeitig an unterschiedlichen Programmen schreiben. Von den Forschungszentren von General Electric, Bell Labs und am MIT entwickelt, wurde Multics das erste kommerzielle Time-Sharing Betriebssystem. 1968 stellt Douglas Engelbart in der legendären Präsentation auf der Computer Conference in San Francisco einen der ersten Time-Sharing Computer vor.10 Mit Time-Sharing bekamen Dutzende von Benutzern kleine Zeiteinheiten (Millisekunden) der zentralen Recheneinheit, sodass die Illusion entstand, dass jeder einzelne Benutzer exklusiven Zugang zum Computer hat. Darüber hinaus wurde neue Hardware gebaut, die es erlaubte, Speicher zu partitionieren. Dies er-

8

Vgl. Campbell-Kelly: The Computer Age (1978), S. 70ff; sowie Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium, S. 368.

9

Vgl. Larsen, Arlene (1977): »Do You Talk with Your Computer?«, in: Proceedings of the 5th Annual ACM SIGUCCS Conference on User Services 1977, S. 95-105.

10 Vgl. Engelbart; English: A Research Center for Augmenting Human Intellect.

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möglichte, dass Daten auf dem Computer von mehr als einem Anwender bearbeitet werden konnten. Time-Sharing-Systeme waren darauf ausgerichtet ohne Unterbrechung zu laufen. Keine Komponente sollte so ausschlaggebend sein, dass ihr Ausfall das System lahmlegen würde. An Universitäten weltweit erfreute sich Time-Sharing großer Beliebtheit. In den 1970ern konnten schon bis zu 300 User gleichzeitig an einem Computer arbeiten. Mit Time-Sharing-Computern ließen sich Rechnerarbeitsplätze multiplizieren, die die wachsende Computerwissenschaft und -industrie dringend benötigte.11 Echtzeit-Steuerungssysteme hingegen waren mit immer schneller rechnenden Computern vorstellbar geworden. Das erste Real-Time-System war das militärische Netzwerk SAGE, das von 1952 bis 1959 am MIT entwickelt wurde. Basierend auf von Radarstationen gesammelten Daten konnten Geschwindigkeit, Ort und Richtung von Flugkörpern in Echtzeit errechnet werden. American Airways betrieb ab 1964 das erste kommerziell genutzte Echtzeitsystem, mit dem im Reisebüro Plätze für Flüge in Echtzeit reserviert, bestätigt und gebucht werden konnten. Später folgten Systeme zur Steuerung in der Raumfahrt, für Ampelschaltungen oder für Bahnnetze.12 Mit der Verbreitung von Time-Sharing und Real-Time-Systemen verbreiteten sich Terminals und Workstations mit grafischen Displays. Die neuen Technologien vermittelten den Eindruck von Unmittelbarkeit, das grafische Display und nicht Lochstreifen oder bedrucktes Papier entwickelte sich zum spezifischen, angemessenen Medium für die Arbeit mit Computern. Mit jener zweiten Generation von Computern wuchs IBM zum Markführer der Computerindustrie heran. Ende der 1960er beherrschte IBM drei Viertel des amerikanischen und die Hälfte des weltweiten Marktes; Wettbewerber versuchten, in Nischen der Industrie zu existieren, oder fusionierten, um gegen den Riesen bestehen zu können. Der Konzern repräsentierte eine neue Form der Unternehmensorganisation in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte.13 IBM war unter anderem ein Dienstleistungsunternehmen, das seiner Kundschaft, darunter Regierungen und große Konzerne, die

11 Vgl. Time-Life Books (Hg.) (1988): The Software challenge. Understanding Computers. Alexandria VA, hier S. 34-36. 12 Vgl. Campbell-Kelly: The Computer Age, S. 79ff. 13 Vgl. Maney, Kevin (2003): The Maverick and His Machine. Thomas Watson Sr. and the Making of IBM, New York.

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ausreichende Mittel hatten, nicht nur Hardware und Software vermietete, sondern auch große Umsätze mit der Wartung, Instandhaltung und Anpassung der Systeme machte. Die dritte Generation der Computer zeichnete sich unter anderem durch die Einführung der ›Computerfamilie‹ aus. Computerfamilien waren Systeme, die Erweiterungen und Austausch von Komponenten nach den Anforderungen der Kunden zuließen. Mit ihnen erweiterte sich der Kundenkreis für Computertechnologie, denn sie ermöglichten Unternehmen, Computersysteme anzubieten, die auf das Investitionsvolumen ihrer Kundschaft zugeschnitten werden konnten. IBM reflektierte in einer Werbeanzeige aus dem Jahr 1964 für das System/360 nicht nur die eigene Unternehmensgeschichte, sondern auch Computergeschichte: Im Hintergrund der Reklame sind die Elektronenröhren eines IBM 709 aus dem Jahre 1957 zu sehen; im Mittelgrund sieht man Transistoren, wie sie im IBM 1401 aus dem Jahr 1959 eingesetzt wurden, und im Vordergrund schließlich sind integrierte Schaltkreise abgebildet, die im System/360 verbaut wurden. Das System/360 war das erste Computersystem, das alle Marktsegmente abdeckte, und in kleinem oder großem Rahmen, wissenschaftlich oder kommerziell genutzt wurde. Mit dem System/360 dominierte IBM den Computermarkt über viele Jahre hinweg. Es wurde bis zur Markteinführung des PCs vertrieben. IBM investierte 5 Mrd. US-Dollar in den Bau dieses Systems.14 Mit dem System/360 dominierte IBM den Computermarkt über viele Jahre hinweg.15 Am Ende der 1960er Jahre gab es Computersysteme in unterschiedlichen Größen, ausgestattet mit diversen Terminals oder Workstations sowie Eingabe- und Ausgabegeräten. 1971 legen Gordon Bell und Allen Newell einen umfangreichen Überblick über bestehende Computersysteme vor mit der Forderung, Computerdesign müsse einen Sinn für die eigene Geschichte und ein Selbstverständnis entwickeln. »The fantastic advance in basic logic technology – in speed, cost, and reliability – makes each day seem an absolutely new one. [...] Many alternative designs have been tried out in past systems, in ways relevant to current design. Thus, we have the

14 Mehr als doppelt so viel, wie im Rahmen des Manhattan-Projekts für den Bau der Atombombe ausgegeben wurde. 15 Vgl. Campbell-Kelly: The Computer Age (1978), S. 86.

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goal of saving some of the past in a form accessible to the future needs of computer design. This goal is mixed with a certain archival feeling. Many of the systems in this book have never been documented, other than in manuals and various elementary how-to programming books.«16

Auch wenn die Forderung nach taxonomischen Unternehmungen und empirischer Klassifikation in Bezug auf künstliche Systeme und industrielle Produkte ungewöhnlich erscheinen möge, so Bell und Newell, verlange das Phänomen der Ausdifferenzierung von Computersystemen nach Klassifizierung.17 Fünfzehn Jahre später eröffneten die Autoren die ACM-Konferenz (Association for Computing Machinery) A History of Personal Workstations, die den Auftakt einer Reihe von Konferenzen zur historischen Aufarbeitung und Dokumentation von Computersystemen und der Arbeit mit ihnen bildete.18 Der Computing and Information Science and Engineering Director der National Science Foundation Gordon Bell unterschied in Bezug auf personal workstations zwischen den Bereichen economic computing und interactive computing, die aus unterschiedlichen Arbeitsmethoden hervorgingen. Das Anwendungsspektrum spannte sich auf zwischen riesigen gemeinsam genutzten Mainframes für die Steuerung umfangreicher Projekte und kleinen spezialisierten Stand-Alone-Systemen, z. B. in Form von Schreibtischrechnern und ersten Taschenrechnern für die Buchhaltung.19 Die Einführung von integrierten Schaltungen in der Computerindustrie, die mit der Entwicklung des Mikroprozessors – der CPU auf einem einzigen Halbleiterchip – durch Intel zu Beginn der 1970er gekrönt wurde, gab der Ausdifferenzierung der Industrie einen erneuten Schub.

16 Bell, C. Gordon; Newell, Allen (1971): Computer Structures. Readings and Examples, New York, S. viii f. 17 Die Autoren hatten ihre Arbeit an dem Band zunächst unter dem Titel Computer Botany begonnen. Vgl. Bell, C. Gordon (1988): »Toward a History of (Personal) Workstations«, in: Goldberg: A History of Personal Workstations, S. 1-50, hier S. 2. 18 Vgl. Goldberg, Adele (Hg.) (1988): A History of personal workstations, New York. 19 Vgl. Bell: Toward a History of (Personal) Workstations, S. 4ff.

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Laut Campbell-Kelly war zur Mitte der 1970er die Automobilindustrie der größte Abnehmer von Mikrochips.20 Schnell verbreiteten sich Mikrochips in der Konsumgüter- und Unterhaltungsindustrie. Mikroprozessoren konnten elektronische Geräte in ›intelligente‹ Maschinen verwandeln: Es wurden Plattenspieler gebaut, die individuelle Playlists abspielen konnten, Telefone, die die Kosten für Ferngespräche berechnen konnten und auch als Uhr und Kalender fungierten sowie programmierbare Farbfernseher. Einen beachtlichen Absatz fanden Spielekonsolen für Videospiele. Einige Konsolen und Elektrogeräte wurden als Computer bezeichnet, doch konnten sie von Nutzern nicht anderweitig genutzt oder programmiert werden. Sie wurden von den Herstellern programmiert, bestenfalls waren auf Kassetten oder anderen Speichermedien gespeicherte Programme oder Spiele austauschbar.21 Es gab weitaus mehr verbaute Mikrochips als Geräte, die Computer genannt wurden. Mit anderen Worten wurden wenige Geräte, in welchen Mikrochips verbaut wurden, auch als Computer betrachtet.22 Mit der Einführung von Mikroprozessoren bildete sich so etwas wie ein separater Softwaremarkt aus. Auch wenn es die Unterscheidung von Hardware und Software gab, war das Verständnis von Software ein anderes als das heute stark verbreitete der PC-Softwareindustrie. Vor der Einführung von PCs wurden Computersysteme und Software nach den Bedürfnissen der Käufer programmiert. Zwar ließen sich ab dem Ende der 1960er z. B. mit »Computerfamilien« Standardisierungsbestrebungen erkennen, doch wurden Computersysteme, inklusive der Software, Terminals oder Workstations, in der Regel für bestimmte Ansprüche designt. Vor dem Hintergrund dieses Aufblühens der PC-Softwareindustrie Mitte der 1980er konstatierte Bell das Verschwinden von Workstations und ging davon aus, dass bis zum Jahr 2005 nahezu alle an Workstations ausgeführten Anwendungen von individuellen Computern ausgeführt werden könnten, die wesentlich günstiger in der Herstellung waren und deren Leistungsfähigkeit seit ihrer

20 Vgl. Campbell-Kelly: The Computer Age, S. 95. 21 Vgl. Bunnell, David (1978): Personal computing. A Beginner’s Guide. New York. 22 Vgl. Grier, David Alan (2009): Too Soon to Tell. Essays for the End of the Computer Revolution, Hoboken NJ, Los Alamitos CA.

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Einführung Ende der 1970er gewachsen war.23 Eine personal workstation war nach Bell in erster Linie ein Computerarbeitsplatz »used by a professional to carry out generic (e. g. calculation, mail, and communication) and profession-related activities such as music composition, financial modeling, or computer-aided design of integrated circuits. Personal workstations are necessarily distributed with the person and interconnected to one another forming a single, shared (work and files) but distributed computing environment – the workstation environment. A workstation’s location is either with an individual on a dedicated basis or in an area shared by several members of a group. This choice is dictated by the cost and size of the workstation relative to the cost and the value of the work.«24

Der Begriff personal workstation wird auf den amerikanischen Psychologen J. C. R. Licklider zurückgeführt, der mit der Bezeichnung auf das Problem der Abgrenzung einging, das Ingenieure und Programmierer gleichermaßen beschäftigte, und damit vor allem das Design von MenschMaschinen-Schnittstellen ansprach. »One of the issues is whether we’re dealing with general purpose workstations or special purpose workstations. For general purpose ones, we seem to have some restriction to generic software. It seemed not to be economic to have really widespread systems that are used for everybody’s workstations that go much beyond word processing, database, graphics, communications, and a few other like functions. How the average individual is going to get the special purpose stuff that he requires, I’m not sure. At any rate, there’s a lot of problems associated with delimiting our attention [...].«25

Beide Autoren, Bell und Licklider, unterschieden zwischen generischen Funktionen wie Textverarbeitung, Kalkulationen, Datenbanken, Grafik und Kommunikation und spezifischen Funktionen innerhalb eines bestimmten

23 Vgl. Bell: Toward a History of (Personal) Workstations; sowie Campbell-Kelly: Not Only Microsoft. 24 Bell: Toward a History of (Personal) Workstations, S. 7f. 25 Licklider, Joseph C. R. (1988): »Some Reflections on Early History«, in: Goldberg: A History of personal workstations, S. 115-140, hier S. 118f.

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Kontextes, in dem Computer eingesetzt wurden. Für das Design neuer Computerarbeitsplätze oder Workstations mussten bestimmte Fragen berücksichtigt werden: Musste ein Arbeitsplatz notwendigerweise digital sein? Sollte er personalisiert sein, oder würde er im Rahmen von TimeSharing geteilt werden? Würden daran spezifische Einzelaufgaben bearbeitet werden, oder sollten Ergebnisse in Arbeitsgruppen zusammengeführt werden? Licklider machte in seinem Vortrag kein Geheimnis daraus, dass er den universellen Gebrauch von Computern interessanter fand, als die sehr spezifischen, weil offene Computersysteme ergebnisoffene Forschung erleichterten. Nichtsdestotrotz räumte er ein, dass in die Designs von Eingabegeräten »an awful lot of human factors and ergonomics« verwickelt sei, die Computerlogik widersprach. So hielt Licklider die an einen Stenographen angelehnte Tastatur, die Douglas Engelbart entwickelt hatte, für eine große Erfindung. Doch sie stand in Konkurrenz zu den standardisierten und weiter verbreiteten Tastaturen von Schreibmaschinen. »In fact, very few people – maybe Doug is the only one – very few people use onehanded keyboards.«26 Was für Licklider ein lästiges arbeitswissenschaftliches und ergonomisches Hindernis für Computertechnologie darstellte, war für den Soziologen Ted Nelson die kommende Herausforderung an die Forschung. 1965 stellte er auf der ACM National Conference seine Forschung zur Strukturierung komplexer und offener Arbeitsprozesse mit Computern vor. »The kind of file structures required if we are to use the computer for personal files and as an adjunct to creativity are wholly different in character from those customary in business and scientific data processing. They need to provide the capacity for intricate and idiosyncratic arrangements, total modifiability, undecided alternatives, and thorough internal documentation.«27

Datenstrukturen für den persönlichen Gebrauch seien prinzipiell zu unterscheiden von jenen für Gewerbe und Wissenschaft bestimmten. Die Kosten für ein Aktensystem, das es z. B. Schriftstellern, Studierenden oder Wissen-

26 Ebd., S. 118f. 27 Nelson, Theodor H. (1965): »Complex Information Processing. A File Structure for the Complex, the Changing and the Indeterminate«, in: Lewis Winner (Hg.): ACM Proceedings of the 1965 20th National Conference, New York, S. 84-100.

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schaftlern erlaubte, alle Daten nach ihrer eigenen Logik zu strukturieren und immer Zugriff darauf zu haben, hätten lange in keinem Verhältnis zu deren Nutzen gestanden. Abgesehen davon gäbe es allerdings keine objektiven Gründe, die die Menschen daran hinderten, computerbasierte Systeme für sich zu nutzen. Es gehe ihm nicht darum, jeden einzelnen Arbeitsschritt zu computerisieren, sondern es ginge darum, wie oder ob bestimmte Arbeitsschritte programmiert werden könnten. Kleine Computersysteme wären auf lange Sicht günstiger als eine bezahlte Arbeitskraft, größere TimeSharing-Systeme könnten geteilt werden, so dass sich die Kosten für die individuelle Nutzung proportional verringern würden. Doch »as long as people think that, machines will be brutes and not friends, bureaucrats and not helpmates«, solange die Leute dachten, dass Computer nur von großen Konzernen oder in der Wissenschaft betrieben werden könnten, werde es keinen Bedarf für individuelle Systeme geben, monierte er, als er zum ersten Mal sein Hypertext-Konzept vorstellte.28 Die Hardware sei bereit: »Standard computers can handle huge bodies of written information, storing them on magnetic recording media and displaying their contents on CRT consoles, which far outshine desktop projectors. But no programs, no file software are standing ready to do the intricate filing job that the active scientist or thinker wants and needs. [...] Let us consider the other desideratum, manuscript handling. The remarks that follow are intended to apply to all forms of writing, including fiction, philosophy, sermons, news and technical writing.«29

Doch es sollte noch weitere zehn Jahre dauern, bis es Geräte für den individuellen Gebrauch dieser Art gab. Die ersten Mikrocomputer waren weder generische noch spezialisierte oder personalisierbare Workstations, sondern es handelte sich zunächst um kleine, leicht bewegliche Rechner. Der erste Rechner für den Heimgebrauch war ein Bausatz für einen Computer mit

28 Nelsons Hypertext System Xanadu wurde 1995 von Wired Magazine als »the longest-running vaporware story in the history of the computer industry« beschrieben. Wolf, Gary (1995): »The Curse of Xanadu«, in: Wired vom 06.01.1995. Tim Berners-Lees HTML-Konzept (Hypertext Markup Language) setzte sich als Standardstruktur für digitale Dokumente und Grundlage für das World Wide Web durch. 29 Nelson: Complex Information Processing, S. 86.

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Mikroprozessor entwickelt von MITS. Ed Roberts, der Geschäftsführer des kleinen in Albuquerque (New Mexiko) ansässigen Unternehmens, überzeugte die Herausgeber des damals weit verbreiteten Magazins für Elektronikbastler Popular Electronics, seinen Computer auf die Titelseite der Januar-Ausgabe 1975 zu setzen. Der Altair30 wurde als Bausatz für unter 400 US-Dollar angeboten, seine Rechenkapazität entsprach derjenigen von industriellen Computersystemen im Wert von 50 000 US-Dollar. Statt der erwarteten 400 Bestellungen für das Jahr 1975 gingen bis Ende Februar 1 500 Bestellungen bei MITS ein und die Firma wurde alsbald in der Business Week als »IBM der Mikrocomputerindustrie« bezeichnet.31 Der Computerriese IBM hatte bis dahin der Entwicklung von Microcomputern kein Interesse gewidmet. Für einige Computer-Historiker stellt die Einführung der ›Computer auf einem Chip‹ eine Revolution in Industrie und privaten Haushalten dar. Die neuen Rechner waren kleiner, schneller, günstiger und verlässlicher als ihre großen Verwandten.32 Doch wachsende Rechenleistung, kleiner werdende Hardware und günstige Preise allein ergaben noch keinen PC. Dieser erste Abschnitt liefert einen stark verkürzten Überblick über die Entwicklung von Hardware- und Software-Komponenten die später zur Standardausstattung der Personal Computer gehören sollten. Der hier nur skizzierte Diskurs zeigt, dass mit der Ausdifferenzierung von Hardware (etwa in der Gestaltung unterschiedlicher Computerarbeitsplätze) und von Software (etwa durch die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Programmiersprachen), neben dem Wunsch nach mehr Spezialisierung auch ein Begehren nach einem universelleren oder allgemeinen Gebrauch von Computertechnologie lauter wurde, das im Kontext der Geschichte des PC-Dispositivs zentral ist.

30 Seinen Namen verdankt dieser Computer dem technischen Redakteur des Magazins, Les Solomon. 31 Vgl. Bunnell: Personal Computing, S. 3; Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium, S. 364f. 32 Vgl. Campbell-Kelly: The Computer Age, S. 84.

Kybernetische Bewusstseinserweiterungen Mit Computern denken lernen

Ende der 1940er Jahre diagnostizierte der Mathematiker Norbert Wiener mit der Automatisierung von Produktionsprozessen einhergehende gesellschaftliche Veränderungen.33 »[S]ociety can only be understood through a study of the messages and the communication facilities which belong to it; and that in the future development of these messages and communication facilities, messages between man and machines, between machines and man, and between machine and machine, are destined to play an ever-increasing part.«34

Den Grund seiner informationstheoretischen Überlegungen bildeten nicht Maschinen allein – diese gehörten hatte bereits zum industriellen Zeitalter – sondern die Verwendung und Verbreitung elektronischer Kommunikationstechnologien, die die Kommunikation oder Interaktion zwischen Individuum und Maschine nachhaltig veränderten. Demnach könne jedes komplexe System – Mensch, Tier, Pflanze, Maschine – potentiell Informationen eines beliebigen anderen Systems in Form von Nachrichten empfangen und darauf antworten.35 Auf dem Gebiet der Informationstheorie hatte der Beitrag des amerikanischen Mathematikers und Elektrotechnikers Claude Shannon

33 Vgl. Wiener, Norbert (1961 [1948]): Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine, New York. 34 Wiener, Norbert (1989 [1950]): The Human Use of Human Beings. Cybernetics and Society, London, hier S. 16. 35 Vgl. Wiener: Cybernetics.

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»A Mathematical Theory of Communication«, der 1948 im Bell System Technical Journal veröffentlicht wurde, ausschlaggebend. Shannon entwickelte ein Kommunikationsmodell, das die gezielte Übertragung von Informationseinheiten aus einem beliebigen Kommunikationssystem über Drähte, Koaxialkabel, Radiofrequenzen oder Lichtstrahlen zu einem Empfänger (eine Person oder ein Ding) darstellte.36 Wiener verstand eine Nachricht zunächst als zeitliche Abfolge von kontingenten Ereignissen, die »nature’s tendency towards disorder«37 – mit anderen Worten der Entropie – widerstrebt. Nachrichten seien zweckorientiert oder zielgerichtet und folgten einer Bestimmung. Kommunikation von Information wirke negentropisch, gegen die Tendenz zum Chaotischen und orientiert an Ordnungen. Zuwachs von Information – ganz gleich, ob diese von einer Maschine oder einem lebenden Organismus kommuniziert würde – erhöhe den Komplexitätsgrad der Organisation eines Systems. Sich selbst regelnde Systeme bewerteten und verarbeiteten eintreffende Informationen auf Basis der vorhandenen Ordnung. Führte die Rückkopplung zur Änderung der Abläufe eines Steuersystems, sprach Wiener von Lernen. Wie Fred Turner in From Counterculture to Cyberculture: Stewart Brand, the Whole Earth Network, and the Rise of Digital Utopianism schreibt, erfand Wiener die Kybernetik nicht »out of thin air«38. Das kybernetische Projekt war von Anfang ein interdisziplinäres. Als ihr Gründungsdokument gilt der 1943 in Philosphy of Science erschienene Artikel »Behavior, Purpose, and Teleology« des Ingenieurs Julian Bigelow, des Physiologen Arturo Rosenblueth und des Mathematikers Wiener.39 Auf den legendären Cybernetics Conferences der Josiah Macy, Jr. Foundation, die 1946 bis 1953 in New York City und Princeton abgehalten wurden, formierte sich unter der Teilnahme von Wissenschaftler:innen aus Mathematik, Physik, Biologie, Ökonomik, Sozialwissenschaft, Psychologie und Philosophie ein »Bündel ›inter‹- bzw. ›transdisziplinärer‹ Theoreme«, das sich

36 Vgl. Shannon, Claude E. (1948): »A Mathematical Theory of Communication«, in: Bell System Technical Journal 27/3, S. 379-423. 37 Wiener: The Human Use of Human Beings, S. 27. 38 Turner: From Counterculture to Cyberculture, S.24. 39 Bigelow, Julian; Rosenbluth, Arturo; Wiener, Norbert (1943): »Behavior, Purpose and Teleology«, in: Philosophy of Science 10 (1943), S.18-24.

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in den 1960er Jahren zu einem »universalen Passepartout«40 verselbständigte und sich in viele wissenschaftliche Disziplinen einschrieb. In ihrer editorischen Notiz zu den Sitzungen der Macy-Konferenzen kommentieren Heinz von Foerster, Margaret Mead und Hans Lukas Teuber die kybernetische Methode: »One of the most surprising features of the group is the almost complete absence of an idiosyncratic vocabulary. In spite of their six years of association, these twentyfive people have not developed any rigid, in-group language of their own. [...] The scarcity of jargon may perhaps be a sign of genuine effort to learn the language of other disciplines, or it may be that the common point of view provided sufficient basis for group coherence. This common ground covered more than the mere belief in the worthwhileness of interdisciplinary discussion. All of the members have an interest in certain conceptual models which they consider potentially applicable to problems in many sciences. The concepts suggest a similar approach in widely diverse situations; by agreeing on the usefulness of these models, we get glimpses of a new lingua franca of science, fragments of a common tongue likely to counteract some of the confusion and complexity of our language.«41

Die Kybernetik, so die von allen geteilte Annahme, könne alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens erfassen und simulieren. Nicht die »Gebrauchsweisen« oder die »Funktionalität« der Maschinen, sondern ihre »Konnektibilität«, ihre »Relationen zueinander, ihre Verbindungen und Trennungen«, ihre Anordnungen und ihre Steuerung stehen im Fokus kybernetischer Forschung.42 Dieter Mersch hebt in diesem Zusammenhang die Nähe zu Foucaults Dispositivbegriff hervor. »›Techno-logie‹ bildet eine Ordnungskategorie; deshalb realisiert sich das Technische nicht in erster Linie in Funktionalismen oder instrumentellen Zweck-Mittel-Reihen, sondern in Formen von Dispositiven«.43 In Foucaults Kritik von Herrschaftsstrukturen

40 Mersch, Dieter (2013): Ordo ab chao – order from noise, Zürich, S. 39. 41 von Foerster, Heinrich; Mead, Margaret; Teuber, Hans Lukas L. (1953): »A Note from the Editor«, in: diess. (1953): Cybernetics. Circular Causal and Feedback Mechanisms in Biological and Social Systems, Transactions of the Eighth Conference, 15-16 March 1951, New York, xi-xx. 42 Mersch: Ordo ab chao – Order from Noise, S. 36f. 43 Ebd., S. 26.

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moderner Gesellschaften besetze der Dispositivbegriff den Platz der Produktion von Macht, die sich nicht als »repressiv, sondern in erster Linie als produzierend« erweist.44 Die Kybernetik beschäftigte sich demnach mit der Möglichkeit durch die Beobachtung Performativität und und Produktivität eines Systems zu simulieren und zu steuern. Wie der britische Psychiater William Ross Ashby im Vorwort zu seiner Einführung in die Kybernetik betonte, müsse kybernetischer Forschung nicht zwangsläufig ein Studium der Elektrotechnik oder der Mathematik vorausgehen, auch wenn dies eine verbreitete Annahme sei.45 Ein grundlegendes Verständnis kybernetischer Prinzipien könne auch ohne mathematisches Wissen erlangt werden, auch wenn kybernetische Forschung aufs Engste mit der Mathematik verknüpft sei. Mit seiner Einführung versuchte Ashby Wissenschaftler aller Disziplinen an die Konzepte der Kybernetik heranführen. »It starts from common-place and well-understood concepts, and proceeds, step by step, to show how these concepts can be made exact, and how they can be developed until they lead into such subjects as feedback, stability, regulation, ultra stability, information, coding, noise, and other cybernetic topics. Throughout the book no knowledge of mathematics is required beyond elementary algebra. [...] Though the book is intended to be an easy introduction, it is not intended to be merely a chat about cybernetics–it is written for those who want to work themselves into it, for those who want to achieve an actual working mastery of the subject.«46

Die Kybernetik ermögliche es, komplexe Systeme, die nunmehr statistisch erfasst werden können, aber auch geschlossene Systeme, sogenannte black boxes, deren Mechanismen nur teilweise beobachtet werden könnten, wie etwa Nervensysteme oder die Gesellschaft, zu simulieren. Vor allem sei die Kybernetik eine Maschinentheorie, die sich allerdings nicht für die Einzelteile von Maschinen interessiere, vielmehr für ihre Mechanismen bzw. ihr Verhalten. Jedes System entwickle ihm eigene Verhaltensweisen und Beziehungsmuster. Physikalische Eigenschaften, die nicht als Informationen verarbeitet beschreibbar seien, sind in diesem Sinne nicht systemrelevant.

44 Ebd. S. 27. 45 Ashby, William Ross (1956): An Introduction to Cybernetics, New York. 46 Ebd., S. v.

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Was als Information innerhalb eines Systems gelte und wie ihre Verarbeitung gesteuert werde, werde nicht von anderen Wissenschaften abgeleitet. Der systemische Ansatz der Kybernetik als »logic of pure mechanism«47 bildete eine eigenständige allgemeine Theorie über die Steuerung komplexer Systeme. Die Konzepte Organismus (Teil) und Umwelt (Ganzes) schlossen darin einander nicht aus, sondern bildeten ein System. Die Unterscheidung von Organismus und Umwelt galt in der Kybernetik als begrifflich bzw. arbiträr. Theoretisch wurde auch der menschliche Organismus als informationsverarbeitende Maschine betrachtet, dessen Verhalten (Handlungen) derart objektiv messbar, statistisch repräsentiert und zu einem bestimmten Grad berechnet oder gesteuert werden kann. Unabhängig von der Beschaffenheit eines Systems, erfasse die Kybernetik alle wiederkehrenden, bestimm- und reproduzierbaren Verhaltensweisen. »Thus, on the one hand it [cybernetics] provides an explanation of the outstanding powers of regulation possessed by the brain, and on the other hand it provides the principles by which a designer may build machines of like power.«48 Kybernetische Forschung ersetzte »klassische Mechanik und ihre Physik durch Mathematik und Informationstheorie«,49 aus ihr ging die Informatik oder, wie sie im englischen genannt wird, die Computerwissenschaft (computer science) hervor, die sich ab den 1960ern an den Universitäten einrichtete. Auch wenn kybernetische Forschung prinzipiell ohne Computer auskomme, wie Ashby insistierte, erforderten fortschrittliche Anwendungen fortschrittliche Methoden.50 Die an Universitäten institutionalisierte Informatik kann als mathematische Wissenschaft betrachtet werden, doch eigentlich ist sie – auch die theoretische Informatik – eine Ingenieurswissenschaft, »die sich mit immateriellem, mit physikfreiem ingenium befaßt«, so der von der IEEE Computer Society51 mit dem Computer Pioneer Award ausgezeichnete deutsche In-

47 Ashby, William Ross (1952): Design for a Brain: The Origin Of Adaptive Behavior, London, S. v. 48 Ebd., S. vi. 49 Mersch: Ordo ab chao – Order from Noise. 50 Ashby: An Introduction to Cybernetics. 51 IEEE steht für Institute of Electrical and Electronics Engineers und ist der Name des weltgrößten Berufsverbands von Ingenieuren mit dem Ziel der Förderung

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formatiker Friedrich L. Bauer.52 Für einen Informatiker sei die Fähigkeit kennzeichnend, »einen überraschenden Einfall zur Realisierung einer schwierigen Aufgabe zu haben. Er ist [...] schöpferisch auf ein Ziel gerichtet, will am Ende eine nützliche Tätigkeit einer Maschinerie sehen.« Bloße Existenzsätze seien in der Informatik nutzlos und unproduktiv. 53 Kerngebiete der Informatik sind für Bauer die problemorientierte praktische Informatik (›algorithmische Programmierung‹), die maschinenorientierte praktische Informatik (›Systemprogrammierung‹), die theoretische Informatik und die technische Informatik.54 Einige spezialisierte Bereiche laufen mit der Etablierung der Informatik als Disziplin in ihr zusammen: die Mechanisierung, Automatisierung und Algorithmisierung des Zahlenrechnens, die Mechanisierung und Automatisierung von Operationen mit Symbolen mit Ursprüngen in der Kryptologie, der Logik, der Sicherungs- und Nachrichtenübertragungstechnik und die Ablaufsteuerung und -regelung automatisierter Systeme. Die Entwicklung und Institutionalisierung der Informatik als Disziplin führt Bauer auf die Formalisierung mathematischer Algorithmen sowie »die Ausarbeitung einer Theorie der Rekursion mittels Textersetzung und Vereinfachung« im Laufe der 1930er Jahre zurück. Mit dem Bau des ersten digitalen Computers in den 1940er Jahren, also der ersten universellen Rechenmaschine, findet die Informatik ihre elektronische Realisierung. Der Einrichtung der Disziplin mit Lehrstühlen an Universitäten im Laufe der 1960er Jahre ging die Gründung wissenschaftlicher Vereinigungen voraus, wie etwa die im Jahr 1947 gegründete Eastern Association for Computing Machinery (später Association for Computing Machinery). In den 1930er bis 1960er Jahren entwickelten sich auf dem Gebiet der Informatik neue Denk- und Arbeitsweisen. »Es sind Pionierjahre, in denen – verglichen mit heute – nur wenige Leute an der Front der Forschung stehen. Das Feld ist fruchtbar, die Ergebnisse fallen oft fast zwangsläufig an. Erfolge sind also häufig; dies führt zu einem oft überschießenden,

technologischer Innovationen zum Nutzen der Menschheit. http://www.ieee.org/about/index.html vom 06.03.2019. 52 Bauer, Friedrich L.; Ryska, Norbert (Hg.) (2007): Kurze Geschichte der Informatik, München., S. 4f. 53 Ebd. 54 Ebd., S. 5.

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manchmal naiven Optimismus. Das Machbare bestimmt die Denkhaltung. Und hat man nur genügend Mittel, scheint vieles machbar zu sein. Rechenanlagen werden zu Prestigeobjekten.«55

Über den Optimismus hinaus war diese Epoche davon gekennzeichnet, dass die Abstraktion einen Bedeutungszuwachs erfuhr. Auch wenn jene Zeit noch von der Hardware dominiert wurde, war gegen 1960 erahnbar, »daß die Software einmal als wirtschaftlicher Faktor überragende Bedeutung bekommen« würde.56 Der informatische Geist, der von Bauer skizziert wird, ist der Informatik als Wissenschaft aber auch der Computerindustrie, die parallel mit ihr wächst, bis heute inhärent. Theorie und Industrie befruchten sich gegenseitig. Auch wenn Bauer die Förderung der Forschung durch militärische Mittel nicht erwähnt, so verschweigt er durchaus nicht, dass die Förderung des Forschungsfeldes der Informatik nicht unabhängig von ökonomischem Wachstum war. In den 1960ern schließlich wurde die neue Disziplin – in den USA unter der Bezeichnung Computer Science – an Universitäten und anderen Hochschulen eingerichtet. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Computertechnologie und ihrer Verbreitung stiegen die Studierendenzahlen in den ersten Jahren schnell an. Der Mythos des Schulabbrechers, der in diversen Geschichten über die Helden der Computerkultur gerne gepflegt wurde, ist nur eine Erzählung der heterogenen diskontinuierlichen Geschichte der Computerkultur.57 Datenerhebungen des U.S. Department of Education zur Vergabe von akademischen Titeln an Colleges und Universitäten belegen, dass die Zahl der Studierenden in Computer and Information Sciences im Zeitraum von 1971 bis 1986 von 2.388 Bachelor-Abschlüssen auf 42.337 anstieg, im Zeitraum von 1986-1994 war die Zahl rückläufig und sank auf 24.527, sie stieg bis ins Jahr 2004 auf fast 60.000 und betrug im Abschlussjahr 2017 über 70.000. Doktortitel wurden im Abschlussjahr 1971 128 vergeben, im

55 Ebd., S. 76. 56 Ebd. 57 Vgl. Zimmer, Robert (2013): »The Myth of the Successful College Dropout: Why It Could Make Millions of Young Americans Poorer«, in: The Atlantic vom 01.03.2013.; sowie Goodwin, Michael (2015): »The Myth of the Tech Whiz Who Quits College to Start a Company«, Harvard Business Review vom 09.01.2015.

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Jahr 1986 waren es 344, im Jahr 1994 waren es 810, 2004 belief sich die Zahl auf 909 und 2017 waren es 1.538. Der Anteil der Bachelorabschlüsse, die Frauen erlangten lag 1971 bei 13,6% wuchs bis zum Abschlussjahrgang 1984 zu einem Höchststand auf 37,1% an und ist 1986 mit 35, 7%, 1994 mit 28,5%, 2004 mit 25,1% und 2017 mit 19,1% bis heute rückläufig. Der Anteil der Frauen mit einem Ph.D. stieg von 2,3% im Jahr 1971, auf 13,1% im Jahr 1986 und seither kontinuierlich auf fast 30% im Jahr 2017.58 59

58 Vgl. Carter, Susan B. et al.(2006): Historical Statistics of the United States. Earliest Times to the Present, New York, Tabelle Bc677–712 Bachelor’s degrees conferred by institutions of higher education, by field of study and sex sowie Tabelle Bc621–656 Doctorate degrees conferred by institutions of higher education, by field of study and sex. Gestiegene Zahlen von Abschlüssen verzeichneten zum Vergleich von 1971 bis 1986 bei den Frauen Fakultäten in den Disziplinen Agriculture and Natural Resources, Architecture and Environmental Design, Biological and Life Sciences, Business and Management, Communications, Computer and Information Sciences, Engineering, Health Professions and Related Sciences, Physical Sciences, Psychology, Public Affairs, Visual and Performing Arts. In Bereichen Education, English, Modern Foreign Languages, Mathematics, Social Sciences nahm die Zahl der verliehenen Abschlüsse ab. Bei Männern nahm die Zahl der Abschlüsse in den Bereichen Architecture and Environmental Design, Business and Management, Communications, Computer and Information Sciences, Engineering, Health Professions and Related Sciences, Public Affairs, Visual and Performing Arts zu. In Agriculture and Natural Resources, Biological and Life Sciences, Education, English, Modern Foreign Languages, Mathematics, Physical Sciences, Psychology, Social Sciences nahm die Zahl der Abschlüsse ab. 59 Insgesamt wurden Mitte der 1980er Jahre mehr Bachelortitel an Frauen verliehen als Männer. An der Ungleichheit der Einkommen zwischen den Geschlechtern veränderte sich verhältnismäßig wenig. Das Jahreseinkommen einer vollbeschäftigten Frauen belief sich im Jahr 1971 durchschnittlich auf 59,5 % des Einkommens eines Mannes in vergleichbarer Position, 1985 lag diese Zahl bei 64,3 %, vgl. National Committee on Pay Equity (Hg.): »The Wage Gap Over Time«, http://www.pay-equity.org/info-time.html vom 06.03.2019.

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Aufgrund dieser Zahlen, ist es nicht überraschend, dass Frauen im Lehrkörper der Departments der Computer und Information Science an Colleges und Universitäten unterrepräsentiert sind. In einer Erhebung aus den Jahren 1988-89, in der 158 Departments befragt wurden, waren 6,5% des Lehrkörpers Frauen, 30% der Departments beschäftigten keine Frauen, 34% beschäftigen genau 1 Frau, 20% zwei Frauen.60 Strukturelle Unterschiede innerhalb der neuen Disziplinen bezüglich der Geschlechterverhältnisse sind offensichtlich. Computergeschichte wurde zu großen Teilen von Vertretern des männlichen Geschlechts gemacht und geschrieben. Diese Tatsache ist Ausdruck sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Ausschlüsse und Diskriminierungen in Bildung und Wissenschaft und auf dem Arbeitsmarkt aufgrund des Geschlechts, der sozialen Herkunft oder ethnischen Zuschreibung wurden durch die allgemeine Computerisierung nicht aufgehoben, sie bestehen weiter. Dass die neue Disziplin und die Forschung der Computerwissenschaft in der Nachkriegszeit gesellschaftliche Anerkennung erlangt hatte, lässt sich unter anderem an ihrer Inszenierung ablesen. 1968 präsentierte Douglas Engelbart in der legendären Präsentation auf der Computer Conference in San Francisco die Arbeit des Forschungsprogramms Research Center for Augmenting Human Intellect am SRI (Stanford Research Institute).61 Wie ein Zauberer oder Showmaster saß Engelbart auf der Bühne vor einem Fachpublikum von 2 000 Zuhörern an einem ›on-line terminal‹62 mit Display, welches auf eine etwa sechseinhalb mal fünfeinhalb Meter große Leinwand projiziert wurde. Diese Präsentation ist unter anderem deshalb so berühmt, weil sie als die erste Demonstration der computer mouse in die Computerannalen einging. Im Hintergrund war Bill English für die Liveredaktion der Präsentation zuständig. Außerdem war Engelbart über Kopfhörer und Mikrofon mit sechs weiteren an dem Projekt beteiligten Forschern an verschiedenen Orten verbunden. Sie wurden live aus dem Forschungs-

60 Rosenberg, Richard (1992): The Social Impact of Computers, San Diego CA, London u.a., S. 237ff. 61 Vgl. Engelbart; English: A Research Center for Augmenting Human Intellect. 62 ›on-line terminal‹ bedeutete zu dieser Zeit nichts anderes als einen Arbeitsplatz, der mit einem digitalen Computer d.h. mit dem Stromnetz verbunden ist. Später verschob sich die Bedeutung von online zur heute verbreiteten Bedeutung: ans Internet angeschlossen sein.

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zentrum im Stanford Village in Menlo Park in Kalifornien, etwa 30 Meilen südlich von San Francisco über Video zugeschaltet und auf die Leinwand projiziert.63 Ziel des Augmented Human Intellect Research Center (AHIRC), später Augmentation Research Center (ARC), erläuterte Engelbart die Arbeit des Forschungsprogramms, sei es, intellektuelle Arbeit produktiver zu machen. Das bedeute, so die Erläuterung Engelbarts, menschliche Fähigkeiten durch den gezielten Einsatz des Computers zu verstärken und sie beim Erarbeiten von Lösungen für komplexe Probleme zu unterstützen. Die Forschergruppe entwickle praktische Verfahren im Sinne des systemorientierten Ansatzes der Kybernetik als Disziplin (system oriented discipline), die mittels Feedbackschleifen optimiert werde. Dieses Verfahren erfinde und teste Programme und Wege, um mit der Rechenmaschine zu sprechen und ihr Befehle zu erteilen. Im Trial-and-Error-Verfahren werde die Funktionsweise des Systems aufgezeichnet, analysiert, beschrieben und simuliert. Die Komplexität des Systems werde dabei schrittweise erhöht, was im Jargon bootstrapping genannt werde. Konkreter wurde Engelbart in seinen Ausführungen auf der Konferenz nicht. Auch wenn der Personal Computer 1968 noch knappe 10 Jahre in der Zukunft lag, wurde am AHIRC bereits an individualisierter Interaktion mit Computern geforscht.64 Die Begriffe bootstrapping, augmentation und human-computerinteraction belegen den Einfluss der Kybernetik in der computerwissenschaftlichen Forschung. Auch wenn das Feld fruchtbar war, weder kann die Entwicklung von Microcomputern als Zwangsläufigkeit betrachtet werden, noch war sie völlig kontingent. Die Ausdifferenzierung der Informatik ging Hand in Hand mit dem rasanten Wachstum der Computerindustrie, in der in den 1960ern der Gedanke an Computer ›zu Hause‹ noch in weiter Ferne lag. Kaum einer der Pioniere in Computertechnologie und Computerwissenschaft der 1960er Jahre hätte mit dem Home Computer etwas anfangen können oder wollen. Zwar hatte Vannevar Bush bereits im Juli 1945 mit Ende der Kampfhandlungen in seinen viel rezipierten Essay »As We May

63 1970 wird SRI unabhängiges Forschungszentrum und löst sich von der Stanford University. Heute wirbt SRI International für seine Forschung zu roboterassistierter Chirurgie, der Behandlung von Krebsbehandlung und Siri, vgl. https://www.sri.com/work/timeline-innovation. 64 Vgl. Bardini, Thierry (2000): Bootstrapping: Douglas Engelbart, Coevolution, and the Origins of Personal Computing, Stanford, CA.

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Think« in The Atlantic die Wissenschaft dazu aufgerufen, neue Techniken zu entwickeln, um das denkende Individuum bei der intellektuellen Arbeit zu unterstützen und um den Zugang zu dem »growing mountain of research« zu erleichtern, doch richtete er sich eben nicht an die Laien zu Hause, sondern an Wissenschaftler, die während des Krieges alle Energie auf die Kriegsführung gerichtet hatten.65 Bush, seit 1932 Vizepräsident des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Dekan der School of Engineering am MIT sowie seit 1938 gewählter Präsident des Carnegie Institute for Science,66 war 1941 zum Direktor des Office of Scientific Research and Development (OSRD) ernannt worden. Hierbei handelte es sich um eine Behörde der US-Regierung, die ab 1941 die wissenschaftliche Forschung an militärischen Notwendigkeiten ausrichtete. Der Behörde standen unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Bush beriet sich ausschließlich mit Präsident Franklin D. Roosevelt und koordinierte die Arbeit von etwa sechstausend Wissenschaftlern. Sein Essay ist eine Erinnerung an die Freiheit der Wissenschaft und kritisiert die Gewalt, der sie sich im Krieg unterzuordnen hatte. Der Krieg sei nicht von Wissenschaftlern geführt worden, so wurden etwa Physiker brutal aus ihrem Arbeitsalltag gerissen und verließen ihre akademischen Karrierewege, um »strange destructive gadgets« zu entwickeln, deren Zweck und Einsatz sie nicht beeinflussen konnten. »Now, for many, this appears to be approaching an end. What are the scientists to do next?«67 »Of what lasting benefit has been man’s use of science and of the new instruments which his research brought into existence? First, they have increased his control of his material environment. They have improved his food, his clothing, his shelter; they have increased his security and released him partly from the bondage of bare existence. They have given him increased knowledge of his own biological processes so that he has had a progressive freedom from disease and an increased span of

65 Bush, Vannevar (1945): »As we may think«, in: Atlantik Monthly 176, S. 101108, zitiert nach: https://www.theatlantic.com/magazine/archive/1945/07/as-wemay-think/303881/ vom 06.03.2019. 66 Das Carnegie Institution for Science (CIS), heute Carnegie Institution of Washington (CIW), ist eine fördernde und operative Stiftung, die bundesweit tätig ist. 67 Bush: As We May Think.

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life. They are illuminating the interactions of his physiological and psychological functions, giving the promise of an improved mental health.«68

Unabhängig von der Rolle, die die Wissenschaft im Krieg spiele, habe sie die Lebensbedingungen der Menschen verbessert, habe auch Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, sowie Möglichkeiten, »Ideen« zu speichern und Wissen daraus zu generieren. Bush skizzierte zunächst eine Geschichte der Rechenmaschinen, die Ende des siebzehnten Jahrhunderts mit der von Leibniz entwickelten Rechenmaschine beginnt.69 Er geht über zu der von Charles Babbage Anfang des neunzehnten Jahrhunderts entworfenen Difference Engine, später Analytical Engine genannt.70 Über Diese Rechenmaschinen kamen nie über Prototypen hinaus und wurden nie wirklich in Betrieb genommen, und zwar nicht, weil sie nicht funktioniert hätten, sondern die Produktions- und aber vor allem Betriebskosten als zu hoch angesehen wurden. Dies sei nun anders, zieht Bush bei den Rechenmaschinen seiner Zeit Bilanz zieht. »Machines with interchangeable parts can now be constructed with great economy of effort. In spite of much complexity, they perform reliably. Witness the humble typewriter, or the movie camera, or the automobile. Electrical contacts have ceased to stick when thoroughly understood. Note the automatic telephone exchange, which has hundred of thousands of such contacts, and yet is reliable. A spider web of metal, sealed in a thin glass container, a wire heated to brilliant glow, in short, the thermionic tube of radio sets, is made by the hundred million, tossed about in packages, plugged into sockets–and it works! Its gossamer parts, the precise location and alignment involved in its construction, would have occupied a master craftsman of the guild for months; now it is built for thirty cents. The world has arrived at an age of cheap complex devices of great reliability; and something is bound to come of it.«71

68 Ebd. 69 Vgl. Schiffhauer, Nils (2009): »Ein Urahn des Computers«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.01.2019. 70 Vgl Computer History Museum (Hg.): »The Babbage Engine«, http://www. computerhistory.org/babbage/ vom 06.03.2019. 71 Bush: As We May Think.

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Bushs Aufmerksamkeit galt der wissenschaftlichen Arbeit und dem wissenschaftlichen Prozess. Dieser sei nicht unabhängig von herrschenden ökonomischen oder politischen Bedingungen. Er beginne prinzipiell mit einer Idee und der Speicherung von Entwürfen, Modellen, Testläufen, die kontinuierlich analysiert, weiterentwickelt, optimiert werden. Der zweite Teil des Essays liefert eine Auflistung von Speicher- und Übertragungsmöglichkeiten, die durch die Weiterentwicklung fotografischer und filmischer Verfahren, Fernsehtechnik und Kompressionstechnik stattgefunden habe. Alles, was je in Form von Büchern, Magazinen, Zeitungen, Korrespondenzen oder Reklame gedruckt wurde und Bibliotheken und Lager fülle, passe dank dieser Technologie in einen Lieferwagen. Das Speichern und Komprimieren genüge jedoch nicht, auch der erneute Zugriff auf das Gespeicherte müsse sichergestellt werden. Die Techniken allein änderten jedoch nichts daran, dass nicht alle Zugang zu den Datenmengen hatten und Bibliotheken nur wenigen konsultiert würden.72 Bush führte aus, dass nicht nur die Wissenschaft, sondern die auch Industrie und Verwaltungen mittels neuer Technologien ihre Prozesse automatisieren, steuern und optimieren könnten. Seine Ausführungen schloss Bush in diesem Aufsatz mit der Vision eines Gerätes für den individuellen Gebrauch, das er sich als mechanische private Kartei und Bibliothek vorstellte – »mechanized private file and library« – und den Namen memex dafür vorschlug. Bush beschrieb mit seinem Konzept das Computerdispositiv der Zukunft: Es ist für seine Nutzer:innen Bibliothek, Archiv, Gedächtnis, Organizer, Möbelstück, Schreibtisch, Schreibmaschine, Projektionsapparat und Vertraute:r. »A memex is a device in which an individual stores all his books, records, and communications, and which is mechanized so that it may be consulted with exceeding speed and flexibility. It is an enlarged intimate supplement to his memory. It consists of a desk, and while it can presumably be operated from a distance, it is primarily the piece of furniture at which he works. On the top are slanting translucent screens, on which material can be projected for convenient reading. There is a keyboard, and sets of buttons and levers. Otherwise it looks like an ordinary desk.«73

72 Ebd. 73 Ebd.

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Das memex wurde nie gebaut, doch es wurde in dem kybernetischen Konzept von intelligence amplification, später vor allem augmentation genannt, weitergedacht, das in den 1950ern und 1960ern von Vertretern der Kybernetik ausgearbeitet wurde. So spekulierte etwa Ashby über die Möglichkeit von ›amplifying intelligence‹, um den Lesern seiner Einführung zu verdeutlichen, wie die kybernetische Methode angewendet werden könnte, aber auch, um einen Einblick in die neueste Forschung seiner Zeit zu geben. »What is an amplifier? An amplifier, in general, is a device that, if given a little of something, will emit a lot of it.«74 Wie Bush trieb ihn die Frage nach der Selektion oder Ansteuerung eines Elements aus einer Menge um. Beide betrachteten dies als wesentliches menschliches intellektuelles Vermögen. Als »an enlarged intimate supplement to his [des Menschen] memory«75 setzte Bush der angenommenen transitorischen Tendenz des aktiven Gedächtnisses mit dem memex die maschinelle Speicherung individueller Pfade bzw. Abfolgen von Entscheidungen entgegen. Ashbys Überlegungen wiesen in die gleiche Richtung und er kam zu dem Schluss, dass Selektionsprozesse nicht nur intelligibel seien, sondern, genau wie physikalische Leistung, auch synthetisch verstärkt werden könnten. »Thus it is not impossible that what is commonly referred to as ›intellectual power‹ may be equivalent to ›power of appropriate selection‹. Indeed, if a talking Black Box were to show high power of appropriate selection in such matters we could hardly deny that it was showing the behavioral equivalent of ›high intelligence‹. If this is so, and as we know that power of selection can be amplified, it seems to follow that intellectual power, like physical power, can be amplified. [...] What is new is that we can now do it synthetically, consciously, deliberately.«76

Der amerikanische Psychologe J. C. R. Licklider positionierte sein spekulatives Konzept »Man-Computer Symbiosis« im Spannungsfeld zweier menschlicher Phantasmen: Das der technischen Ermächtigung des Menschen einerseits und das künstlichen Lebens und künstlicher Intelligenz an-

74 Ashby: An Introduction to Cybernetics, S. 265. 75 Bush: As We May Think. 76 Ashby: An Introduction to Cybernetics, S. 272.

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dererseits.77 Douglas Engelbart griff Lickliders Konzept auf und gründete wenig später das Augmented Human Intellect Research Center am Stanford Research Institute. »By ›augmenting human intellect‹ we mean increasing the capability of a man to approach a complex problem situation [...]. And by ›complex situations‹ we include the professional problems of diplomats, executives, social scientists, life scientists, physical scientists, attorneys, designers – whether the problem situation exists for twenty minutes or twenty years. We do not speak of isolated clever tricks that help in particular situations. We refer to a way of life in an integrated domain where hunches, cut-and-try, intangibles, and the human ›feel for a situation‹ usefully coexist with powerful concepts, streamlined terminology and notation, sophisticated methods, and high-powered electronic aids.«78

In ihren Beschreibungen sprachen die Forscher allgemein von menschlichem Vermögen, doch die Konzepte beschränkten sich immer auf intellektuell Arbeitende. Nicht alle Menschen hatten Zugang zu den Technologien, es ging nicht um die Demokratisierung der neuen Technologie, auch nicht um Mitbestimmung im Sinne eines Bildungsauftrags oder um Aufklärung, es ging darum, sie in anderen Bereichen zu nutzen, den bellizistischen Panzer abzulegen, den Sinn des Heeresgeräts zu verstellen. Während Ashby quasianthropologisches Interesse an dem Konzept von Verstärkung und Licklider und Engelbart komplexe Arbeitsprozesse allgemein im Fokus hatten, konzentrierte sich Ted Nelson auf den kreativen Prozess des Schreibens, ganz gleich, ob es sich dabei um wissenschaftliche Texte handelte, um philosophische, journalistische, oder fiktionale Texte. »Let me introduce the word ›hypertext‹***** to mean a body of written or pictorial material interconnected in such a complex way that it could not conveniently be presented or represented on paper.«79

77 Vgl. Licklider, Joseph C. R. (1960): »Man-Computer Symbiosis«, in: IRE Transactions on Human Factors in Electronics HFE-1, S. 4-11. 78 Engelbart, Douglas C. (1962): Augmenting Human Intellect. A Conceptual Framework, Menlo Park CA, http://www.dougengelbart.org/pubs/papers/scan ned/Doug_Engelbart-AugmentingHumanIntellect.pdf vom 06.03.2019. 79 Nelson: Complex Information Processing, S. 96.

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Nelson betrachtete sein Konzept von Hypertext als eine Weiterentwicklung von Bushs Maschine und beklagte, dass Bushs memex noch nicht erhältlich sei. »He compared Bush’s machine to encyclopedias, the Interpreter’s Bible , a Shakespeare compendium, legal reference works, PERT charts. In making these comparisons, he began to appreciate the role of cross references and the way that the modern computer could track such references.«80

Die Struktur dieses Prozesses gelte für jede Form der kreativen Textproduktion. Ein automatisiertes System sollte wesentliche Techniken des Schreibprozesses, wie das Überarbeiten und das Arrangieren von Textstücken, unterstützen. »It would provide an up-to-date index of its own contents [...]. It would accept large and growing bodies of text and commentary, listed in such complex forms as the user might stipulate. No hierarchical file relations were to be built in; the system would hold any shape imposed on it. It would file texts in any form and arrangement desired – combining, at will, the functions of the card file, loose-leaf notebook, and so on. It would file under an unlimited number of categories. It would provide for filing in Bush trails. Besides the file entries themselves, it would hold commentaries and explanations connected with them. These annotations would help the writer or scholar keep track of his previous ideas, reactions and plans, often confusingly forgotten. [...] Note that in the discussion that follows we will pretend we can simply see into the machine, and not worry for the present about how we can actually see, understand and manipulate these files. These are problems of housekeeping, I/0 and display, for which many solutions are possible.«81

Nelson ging es darum, Computer und deren Funktionen zunächst neu zu denken und sich nicht damit zu befassen, wie diese Maschinen funktionieren könnten, sondern sich die Traummaschine erst einmal vorzustellen und so zu tun, als ob sie bereits funktionierte. Die Umsetzung war für Nelson ein nachgeordnetes Problem und eine Frage des Ausdrucks oder des Geschmacks. Es gebe viele mögliche Lösungen.

80 Grier: Too Soon to Tell, S.52. 81 Nelson: Complex Information Processing, S. 88f.

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Ein wesentlicher Aspekt der kybernetischen Methode bestand darin, Systeme – biologische, psychologische, soziale – zu formalisieren, um sie zu simulieren und um ihr Verhalten in Bezug auf ihre Bestimmung, ihren Zweck beobachten und beschreiben zu können. Mit der sogenannten Kybernetik zweiter Ordnung wurde die Kybernetik schließlich selbst zum Gegenstand der kybernetischen Forschung: die Kybernetik der Kybernetik.82 Wie Ashby in seiner Einführung betonte, waren Computer dazu nicht zwingend notwendig, jedoch erlaubten sie aufgrund ihrer menschliche Fähigkeiten um ein Vielfaches übersteigenden Rechenleistung die Bearbeitung höherer Komplexitätsgrade von Systemen. Ein Vertreter der kybernetischen Forschung zweiter Ordnung war der Anthropologe und Sozialpsychologe Gregory Bateson. Im Vorwort zu Steps to an Ecology of Mind, einer Edition von Artikeln, hebt Bateson die Rolle der Macy-Konferenzen, an denen er ab 1945 teilnahm, für die Entwicklung seiner Arbeit hervor. Wurde Kommunikation bislang unter dem wissenschaftlichen Primat von Linearität und der Dynamik der Kräfte von Ursache und Wirkung betrachtet, so erlaubte der systemische Ansatz der Kybernetik, Kommunikationssysteme in Feedback-Schleifen zu denken. 1949 wurde der Engländer, der lange auf den Galapagos-Inseln, in PapuaNeuguinea und Bali geforscht hatte, als Ethnologe an das Veterans Administration Hospital in Palo Alto, Kalifornien berufen, wo ihm, wie er schreibt, die Freiheit gegeben wurde, »to study whatever I thought interesting«.83 Zusammen mit dem amerikanischen Psychiater Jürgen Ruesch am Langley Porter Psychiatric Institute der University of California in San Francisco entwickelte Bateson zu Beginn der 1950er eine Kommunikationstheorie, in der alle Formen menschlicher Tätigkeit in einem Kommunikationssystem erfasst wurden. Alsbald leitete er ein durch die Rockefeller

82 Vgl. von Foerster/Mead/Teuber: A Note from the Editors; (1952); Mead, Margaret (1968): »Cybernetics of Cybernetics«, in: Heinz von Foerster et. al. (1968): Purposive Systems: Proceedings of the First Annual Symposium of the American Society for Cybernetics, New York, S. 1-11; von Foerster, Heinz (2003): »Cybernetics of Cybernetics«, in: FoesrsterHeinz von Foerster (Hg.): Understanding Understanding. Essays on Cybernetics and Cognition, New York, S. 283-286.. 83 Vgl. Bateson, Gregory (1977): Steps to an Ecology of Mind, Chicago, London, hier S. x.

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Foundation gefördertes Forschungsprojekt zur Paradoxalität von Kommunikationsprozessen. Aus der Arbeit der Forschergruppe, auch als Palo-AltoGruppe bekannt, ging eine Theorie zur Entstehung schizophrener Erkrankungen hervor, die diese nicht, wie bis dahin gängig, auf innere Prozesse der menschlichen Psyche zurückführten, sondern sie mit sozialen Beziehungsstrukturen erklärte und die double-bind-Hypothese dafür einführte. Mit dem Begriff ›Doppelbindung‹ bezeichnete die Forschergruppe nicht schizophrene Verhaltensmuster per se, sondern Komplexitätserfahrung in menschlicher Kommunikation allgemein. Schizophrenes Verhalten zeige sich in der Unfähigkeit die Widersprüchlichkeit oder Paradoxalität der Komplexität kommunikativ zu überbrücken. In der Regel könnten Widersprüche oder Kommunikationskonflikte durch Metakommunikation, wie Rückfragen, gelöst werden. Wo Feedbacksysteme fehlten oder unangemessen seien, könnten Individuen sich in einem Dilemma gefangen fühlen und double binds destruktiv werden.84 Der kommunikative Kontext, wie etwa Wortwahl, Stimme und Körpersprache spiele in diesem Zusammenhang eine übergeordnete Rolle. Zum Kontext zähle, was in der Vergangenheit geäußert wurde, aber auch, was nicht verbal geäußert werde, sowie, ob etwas im privaten oder öffentlichen Raum geäußert werde.85 »What is serious is the crosscutting of the circuitry of the mind. If, as we must believe, the total mind is an integrated network (of propositions, images, processes, neural pathology, or what have you – according to what scientific language you prefer to use), and if the content of consciousness is only a sampling of different parts and localities in this network; then, inevitably, the conscious view of the network as a whole is a monstrous denial of the integration of that whole. From the cutting of consciousness, what appears above the surface is arcs of circuits instead of either the complete circuits or the larger complete circuits of circuits. What the unaided consciousness (unaided by art, dreams, and the like) can never appreciate is the systemic nature of mind.«86

Mit Bezug auf die Freuds Theorie der Psychoanalyse und das Unbewusste, hält Bateson fest, dass Bewusstsein sich immer nur selektiv vermittle. Das

84 Ebd., Part III Form and Pathology in Relationsship, S. 159ff. 85 Ebd. Part II Form and Pattern in Anthropology, 144 ff. 86 Ebd., S.145.

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Vermittelte kann nur durch die Verschleierung oder Verdrängung der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Wahrnehmung als wahr gelten. Kunst, Religion, Traum seien dabei lebensnotwendige Mittel, um die Kontingenz der Erfahrung von Komplexität zu bewältigen. Spiel, Witz, Dichtung, Rituale und Erzählungen machten Doppelbindungen als Paradox explizit und sichtbar. Indem sie künstliche Verknüpfungen herstellen, helfen sie, widersprüchliche Informationen kommunikativ zu überbrücken.87 Bateson verstand den menschlichen Körper und die Psyche, ganz im Sinne der Kybernetik, als informationsverarbeitende Maschine, in der jede Kommunikation als Formalisierung oder Algorithmus eines Vermittlungsprozesses zu betrachten ist. Alle ästhetischen Vorgänge und Objekte die der menschlichen Wahrnehmung zugänglich werden, sind diesem kommunikativen Prozess unterworfen. An dieser Stelle ist die Nähe der kybernetischen Theorie zur Zeichentheorie, wie sie von Charles Sanders Peirce’88 wurde und die auch in der Informationstheorie Shannons und Weavers verarbeitet wurde, nicht zu leugnen. Bateson übertrug in Kalifornien mit der doublebind-Hypothese auf die Anthropologie, was in Europa bei Max Bense und Abraham André Moles mit dem Konzept der Informationsästhetik zur ästhetischen Theorie beitrugen.89 In einem Interview mit Gregory Bateson beschrieb Stewart Brand, Kulturaktivist und Herausgeber des Whole Earth Catalog, seine Faszination für den ganzheitlichen (wholesome) Ansatz der Kybernetik, den er in Batesons Theorie fand. Die Kybernetik lieferte eine wissenschaftliche Erklärung für Phänomene, die sich mit Physik nur unzureichend erklären ließen. Informationen und Kommunikationsprozesse, Forschungsgegenstand der Kybernetik, seien gewichtlose, energielose ›Unterschiede‹ (differences) und dennoch bildeten sie regelhafte Muster. Das Fehlen von etwas sei ebenso von Bedeutung wie das Vorhandensein. Kybernetik sei Wissenschaft von

87 Ebd., S. 144ff., und 177ff. 88 Charles Sanders Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt am Main 1983. 89 Vgl. Büscher, Barbara; von Herrmann, Hans-Christian; Hoffmann, Christoph: Ästhetik als Programm. Max Bense/Daten und Streuungen, Berlin 2004, sowie Nake, Frieder (2004): Das algorithmische Zeichen und die Maschine, in: Paul, Hansjürgen; Latniak, Erich (Hg.): Perspektiven der Gestaltung von Arbeit und Technik. Festschrift für Peter Brödner, München, S. 203-223.

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Kommunikation und Steuerung und habe nicht notwendigerweise mit Maschinen zu tun, schrieb Brand, es sei denn, man beschäftige sich mit Computern. Umgekehrt könnte man an dieser Stelle behaupten, dass es die Kybernetik ohne die Informationstheorie und Turings Maschine während des Zweiten Weltkrieges so nicht gegeben hätte. Dass Brand die historische Dimension des Computers verschleiert ist Zeichen für einen Wandel, der zweifelsohne auf den interdisziplinären Ansatz der Kybernetik zurückgeführt werden kann. »It has mostly to do with life, with maintaining circuit.«90 Brand stellte sein Interview mit Bateson einem Porträt über die Forscher am Stanford Artificial Intelligence Laboratory und Palo Alto Research Center von Xerox, später Xerox PARC genannt, gegenüber. »Though polar opposites in their relation to computing machines«91 subvertierten beide Seiten – Bateson und die Palo-Alto-Gruppe einerseits, die neue Computerforschung, wie sie am Xerox PARC praktiziert wurde, andererseits – die in anderen Wissenschaften verbreitete Vorstellung der Zielgerichtetheit. In den 1960ern und -70ern wuchs eine neue Generation von Computerpionieren, die alsbald als Hacker bezeichnet wurden heran. Xerox PARC war eines ihrer Zentren. Die Bezeichnung Hacker leitete sich schlicht davon ab, dass damit junge Programmierer:innen gemeint waren, die Tag und Nacht an ihren Keyboards saßen und in die Tasten ›schlugen‹ oder eben hackten. Einer passenden Beschreibung Alan Kays zufolge, damals Forscher am Xerox PARC, handelte es sich um Genies, die nichts auf althergebrachte Werte gaben. Hacker hielten sich nicht in Gruppen auf, sie verbrachten Tage und Nächte an Computern, wo auch immer diese standen. Zu Computern unterhielten sie Hass-Liebesbeziehungen. »Fanatics with a potent new toy. A mobile new-found elite, with its own apparat, language and character, its own legends and humor. Magnificent men with their flying machines, scouting a leading edge of technology which has an odd softness to it;

90 Bateson, Gregory; Brand, Stewart (1974): »Both Sides of a Necessary Paradox«, in: Brand: II Cybernetic Frontiers, S. 9-35, hier S. 9ff. 91 Brand, Stewart (Hg.) (1974): II Cybernetic Frontiers, New York, S. 7.

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outlaw country, where rules are not decree or routine so much as the starker demands of what’s possible.«92

Hacker übersetzten nach ihren eigenen Regeln menschliche Bedürfnisse in Code, in Sprache, die Computer verstanden und danach handelten. Mit Hackers: Heroes of the Computer Revolution, das 1984 erschien, widmete der Journalist Steven Levy der Hackerethik ein ganzes Buch. Levy unterschied drei Typen von Hackern: Die Hacker in den MIT Labs der 1950er und 1960er, die Hacker in kalifornischen Baracken der 1970er und die GameHacker der 1980er Jahre. Sie alle hegten laut Levy eine besondere »intime« Beziehung zu ihren Computern: »Their vision, their intimacy with the machine itself, their experiences inside their peculiar world, and their sometimes dramatic, sometimes absurd ›interfaces‹ with the outside world – is the real story of the computer revolution.«93 Den geistigen Vätern, wie Wiener, Bush, Licklider, die Treue haltend und jenseits der Kritik, ob Computer eine Bedrohung darstellten, formierte sich in den 1960er Jahren aus der Mitte der im Silicon Valley wachsenden Computerindustrie eine neue Computerkultur und Generation junger Computerforscher, deren Rolle im Laufe der Arbeit reflektiert wird. Sie verdanke sich dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren: »The youthful fervor and firm dis-establishmentarianism of the freaks who design computer science; an astonishingly enlightened research program from the very top of the Defense Department; an unexpected market-flanking movement by the manufacturers of small calculating machines; and an irrepressible midnight phenomenon known as Spacewar.«94

Ob sich das Leben mit Computern massenhaft verbreiten würde, war Ende der 1970er nicht vorherzusehen, auch wenn dies für neue Generation von

92 Ebd., S. 50 f; vgl. auch Weizenbaum, Joseph (1976): Computer Power and Human Reason, New York NY, San Fancisco CA, hier Kapitel 4 Science and the Compulsive Programmer, S. 111-131. 93 Levy, Steven (1994): Hackers. Heroes of the Computer Revolution, New York, S. 8. 94 Brand, Stewart (1974): »Fanatic Life and Symbolic Death Among the Computer Bums«, in: Brand: II cybernetic frontiers, S. 39-79, hier S. 39.

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Computerforschern bereits als Notwendigkeit erschien. Die Technologie hatte sich mit Kybernetik über die Grenzen ihrer militärischen und industriellen Ursprünge hinaus in andere Forschungsgebieten verbreitet. Seit 1961 hatten sich unter der Schirmherrschaft der ACM sogenannte Special Interest Groups (SIGs) gebildet, innerhalb derer Forschung in spezifischen Bereichen wie Artificial Intelligence, Microcomputing, Computergrafiken, Software, Zugang zu Computertechnologie, Erziehung usw. intensiviert worden war. Mitglieder dieser SIGs waren nicht notwendigerweise Ingenieur:innen und Programmierer:innen, doch sie brachten ein Interesse mit, die Technologie in Hinblick auf ihre Anwendbarkeit in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu erproben. Der Erkenntnisgewinn aus der Kybernetik ist in diesem Zusammenhang nicht groß genug einzuschätzen. Heute lässt sich die kybernetische Methode vermutlich in jeder wissenschaftlichen Disziplin nachweisen, auch wenn dies nicht immer explizit wird. Durch das PC-Dispositv, so die Annahme dieser Arbeit, agierte das kybernetische Denken nicht mehr ausschließlich im wissenschaftlichen Kontext, sondern schrieb sich in den Alltag aller Menschen ein.

Blickverschiebungen Der Computer als Massenmedium?

Nicht das Ingenieursprodukt Computer, sondern das Verhältnis, das die Menschen zu Computern pflegen, steht am Anfang der gesellschaftlichen Transformation, die Gegenstand dieser Arbeit ist. Diese Transformation kann nicht auf die Ideen weniger Wissenschaftler95 zurückgeführt werden – dieser Eindruck könnte beim Lesen der voran gegangenen Ausführungen entstehen – vielmehr sind die Bedingungen, unter welchen sich der Diskurs des Computers und später des Personal Computers verbreitete, und der zeithistorische Kontext zu betrachten. Als zentrales Moment wird in diesem Zusammenhang die besondere Verknüpfung gesellschaftlichen Fortschritts mit Technologie bewertet, die sich in Begriffen wie augmentation, auch Interaktivität oder auch Informationsgesellschaft manifestiert. Diese können nicht unbedingt auf allgemeine Begriffe zurückgeführt werden. Vielmehr müssen sie als Zeichen oder auch Symptom der dominanten kulturellen Logik postmoderner und spätkapitalistischer Gesellschaft interpretiert werden, in welcher das Verhältnis der Menschen zu Technologie das persönliche und kollektive Leben bestimmt.96

95 Bisher waren es fast ausschließlich Vertreter des männlichen Geschlechts, die in in dem Kontaxt in Erschienung traten, weshalb ich hier auf genderneutrale Sprache verzeichte. 96 Vgl. Jameson, Frederic (1984): »Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism«, New Left Review 146 (1984), S. 53-94; Jameson, Frederic (1984): »Progress versus Utopia, or Can We Imagine the Future?«, in: Brian Wallis (1984): Art After Modernism. Rethinking Representation, New York, S. 239252; Hollinger, Veronica (1990): »Cybernetic Deconstructions: Cyberpunk and

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Wie im vorangegangenen Abschnitt ausgeführt widmete sich die Computerforschung in den 1960er mit dem Begriff der augmentation der Vorstellung der Verstärkung menschlichen Intellekts durch Interaktivität. In dieser Zeit veröffentlichte der kanadische Philosoph und Literaturprofessor Herbert Marshall McLuhan die Bände Gutenberg Galaxy (1962) und Understanding Media. The Extensions of Man (1964), mit welchen er zu einer zentralen Figur der damals aufkeimenden Medientheorie wurde. Eine seiner zentralen Thesen, nach der jedes neue Medium die Anschauung der Menschen, die es benutzen, verändert, leitet McLuhan von der Theorie des Ökonomie- und Kommunikationsgelehrten Harold Adams Innis – beide zu jener Zeit an der University of Toronto – ab. Innis’ Mediengeschichte unterscheidet zwischen zeitbindenden und raumbindenden Medien, welche das Bestehen oder den Zerfall von Gesellschaften oder Imperien mitbestimmen. Während mit zeitbindenden schwer bewegliche Materialien wie Stein und Ton gemeint sind, werden unter raumbindenden Medien leichte, tragbare Materialien wie Papier und Radiowellen aussendende oder empfangende Geräte gefasst. Um den Einfluss der Medien auf Erkenntnisgeschichte verstehen zu können, sei es notwendig, ihre spezifischen Eigenschaften zu studieren.97 Der Frage, wie elektronische Massenmedien Individuen und Gesellschaft prägen, widmete McLuhan einen wesentlichen Teil seiner Forschung und sie sich entwickelnde Computertechnologie faszinierte McLuhan besonders. Die Metapher des global village98 war für McLuhan keine Utopie, die Neugestaltung der Welt durch elektronische Interdependenzen sei beobachtbar. In seiner Einleitung zum Sammelband Understanding Me über McLuhan hebt Tom Wolfe den Einfluss des französischen Religionswissenschaftlers Pierre Teilhard de Chardin auf McLuhan hervor.99 Das christliche Konzept des mystischen Leibes Christi, so die Lesart Wolfes, werde mit

Postmodernism«, in: Mosaic: An Interdisciplinary Critical Journal 23/2 (1990), S. 29-44. 97 Vgl. Innis, Harold Adams (2008): The Bias of Communication, Toronto, Buffalo NY. 98 McLuhan, Marshall (2011): The Gutenberg Galaxy. The Making of Typographic Man, Toronto. 99 Vgl. McLuhan, Marshall; McLuhan, Stephanie; Wolfe, Tom (Hg.) (2005): Understanding Me. Lectures and Interviews, Cambridge MA, S. xvi.

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dem Aufkommen elektronischer Medien faktisch: Im global village werden alle menschlichen Nervensysteme und Seelen durch Technologie vereinigt. Es werde angenommen, der Umgang mit elektronischen Medien diene der Unterhaltung und der Verbreitung von Ideen, tatsächlich werde die Evolution mit anderen Mitteln weitergeführt. »Having extended or translated our central nervous system into the electromagnetic technology, it is but a further stage to transfer our consciousness to the computer world as well.«100

Für McLuhan stand fest, mit der Computertechnologie würden die Menschen ihr Bewusstsein erweitern und externalisieren. Doch als McLuhan seine Computertheorie verfasste, gab es noch keine Personal Computer. Es gab individualisierte Arbeitsplätze oder Personal Workstations101, in Unternehmen, aber Computertechnologie war aufgrund hoher Kosten und enormen Platzbedarfs noch weit entfernt davon, in privaten Wohn- oder Arbeitszimmern zu stehen. Dennoch beschäftigte die Computertechnologie und ihre unbestimmten Potenziale schon eine breite Öffentlichkeit. Doch die Behauptung, das Medium sei die Botschaft, und der Ausurf des ›global village‹, wurde Anfang der 1960er Jahre zunächst als das Gerede eines paranoiden Mannes wahrgenommen, so ist auf dem Klappentext einer Neuauflage von Understanding Media zu lesen. »Yet McLuhan’s insights into our engagement with a variety of media led to a complete rethinking of our entire society. He believed that the message of electronic media foretold the end of humanity as it was known.«102

Im Jahr 1951 hatte McLuhan eine seiner ersten Veröffentlichungen mit folgenden unheilvollen Worten aus The Mechanical Bride. Folkore of Industrial Man eröffnet:

100 Vgl. McLuhan: Understanding Media, S. 67. 101 Einen Überblick über die Geschichte von Personal Workstations liefert der von der Informatikerin Adele Goldberg herausgegebene Tagungsband »A History of Personal Workstations« aus dem Jahr 1988. 102 McLuhan: Understanding Media 2008, Klappentext.

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»Ours is the first age in which many thousands of the best-trained individual minds have made full-time business to get inside collective public mind. To get inside in order to manipulate, exploit, control is the object now. And to generate heat not light is the intention. To keep everybody in the helpless state engendered by prolonged mental rutting is the effect of many ads and much entertainment alike.«103

Die Publikation versammelt eine Auswahl von Zeitungstitelblättern, Werbung und Comics, die McLuhan in kurzen Essays kommentierte und denen er eigene Slogans hinzufügte. Es ergibt sich eine groteske Mischung aus Faszination von der Macht der Texte und Bilder und dem entlarvenden Ausstellen der Mechanismen und Strategien der Massenmedien. Auch in dem ›neutralen‹ Titelblatt der New York Times sieht McLuhan ein ›kollektives Kunstwerk‹ und eine Art Bibel des industriellen Menschen. »It is on its technical and mechanical side that the front page is linked to the techniques of modern science and art. Discontinuity is in different ways a basic concept both of quantum and relativity physics. It is the way in which a Toynbee looks at civilizations, or a Margeret Mead at human cultures. Notoriously, is the visual technique of a Picasso, the literary technique of James Joyce.«104

An dieser Stelle klingt McLuhan wie das kanadische Medium Walter Benjamins, er weitet den Kunstwerkbegriff auf jegliche kulturellen Güter aus, insofern sie in irgendeiner Weise in Fernsehen, Tageszeitungen oder der Werbung reproduziert werden.105 Potenziell alle kulturellen Güter, auch Kunst und Wissenschaft, können durch technische Maschinen aufbereitet werden. McLuhan unterscheidet nicht zwischen Hochkultur und Massenkultur. Kultur und Zivilisation ist für McLuhan – der sich als ein eifriger Leser Freuds zeigt – ein und dasselbe, nämlich »all das, worin sich das menschliche Leben über seine animalischen Bedingungen erhoben hat und

103 Vgl. McLuhan, Marshall (1951): The Mechanical Bride. Folklore of Industrial Man, Corte Madera CA. 104 Ebd., S. 3. 105 Vgl. Benjamin, Walter (1935): »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, in: Walter Benjamin (1980): Gesammelte Schriften. Band I, Werkausgabe Band 2, Frankfurt am Main, S. 431-469.

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worin es sich vom Leben der Tiere unterscheidet.«106 McLuhans Kulturkritik steht jener nahe, die Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung mit dem Begriff der Kulturindustrie formuliert hatten: Die Menschen durchschauten sehr wohl, dass sie zwanghaft Kulturwaren konsumieren, um die kapitalistische Maschine am laufen zu halten.107 Anders als Adorno und Horkheimer sieht McLuhan darin nicht Kulturverfall, sondern in erster Linie eine Verschiebung. Letztlich ist jedes technisch verarbeitete kulturelle Erzeugnis Kulturware, also auch die Kunst. Insofern in allen Kulturwaren kulturelles Begehren und materielle Tatsachen nebeneinander bestehen, schlummert bei McLuhan auch ihr Fetischcharakter.108 Als die bevorzugten Kulturwaren müssen im Zeitalter der elektronischen Medien Informationen gelten. Heute haben Informations- und Kommunikationstechnologien praktisch jeden Bereich menschlichen Handelns bzw. der Kultur durchdrungen, ganz gleich, ob es sich um private oder öffentliche Institutionen handelt, um ökonomische Systeme, um Kommunikations- oder Verkehrsnetzwerke oder um internationale Institutionen. Die Rede von der Informationsgesellschaft, dem Informationszeitalter,109 vom digitalen Leben110 oder digitalen Eingeborenen111 ist selbstverständlich und provoziert oder erschreckt heute niemanden mehr. Die Einführung des Begriffs Informationsgesellschaft wird zum einen dem österreichisch-amerikanischen Nationalökonomen Fritz Machlup mit dem 1962 erschienenen The Production and Distribution of Knowledge in the United States zugeschrieben, zum anderen dem japanischen Anthropologen Tadao Umesao, der in einem 1963 veröffentlichten

106 Freud, Sigmund (1927): »Die Zukunft einer Illusion. Arbeitszwang und Triebverzicht als Fundament der Kultur«, in: Ders.: Gesammelte Werke Bd. 14, Leipzig, Wien und Zürich, S. 325-380. 107 Vgl. Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W. (1969): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main. 108 Freud, Sigmund (1927): »Fetischismus«, in: Ders. Gesammelte Werke Bd. 14, Leipzig, Wien und Zürich, S. 311-317; zum Fetischcharakter von Kulturwaren vgl. Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. 109 Vgl. Castells, Manuel (1996): The Information Age : Economy, Society, and Culture. Vol 1: The Rise of Network Society, Oxford. 110 Vgl. Negroponte, Nicholas (1995): Being digital, New York. 111 Vgl. Prensky: Digital Natives, Digital Immigrants.

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Artikel von der Informationsindustrie sprach. Darauf folgten 1968 die von dem deutschen Informatiker Karl Steinbuch verfasste Publikation Die informierte Gesellschaft sowie die 1969 veröffentlichte Schrift des französischen Soziologen Alain Touraine La société post-industrielle und viele mehr. Ab Anfang der 1970er Jahre beschäftigten sich auch Regierungen mit den offenkundigen gesellschaftlichen Veränderungen, allen voran die Wirtschaftsministerien, die Studien zu den Auswirkungen der Informationstechnologien auf politische Organisation und die Wirtschafts- und Sozialstruktur von Gesellschaften in Auftrag gaben.112 Der Begriff Computerrevolution verbreitete sich ab Anfang der 1960er Jahre. Der Mitbegründer der ACM Edmund C. Berkeley stellt das Vordringen der Automatisierung in den Vordergrund. Der von Berkeley auch als die »Zweite Industrielle Revolution« bezeichnete Wandel sei bisher nur Fachleuten zugänglich, weshalb sich Berkeley dafür aussprach, die Revolution auch den »gewöhnlichen Bürgern« begreiflich zu machen.113 Berkeley wurde ausführlich auch im Feuilleton diskutiert.114 Indes fragten sich Medienschaffende und Vertreter großer Technologieunternehmen wie IBM, General Electric und Bell Labs, also die Produzenten von Informationstechnologien und jene, die Informationen in Umlauf brachten, ob McLuhan mit seinen medientheoretischen Thesen Recht hatte. In seinem Essay What if he is right? aus dem Jahr 1965 erzählt Tom Wolfe,115 wie aus Herbert Marschall McLuhan, dem damals 53-jährigen kanadischen Professor für Englische Literatur MCLUHAN wurde bzw. wie McLuhan zum Orakel der neuen Medien wurde. Er wurde von CEOs und Forschungsinstituten zu Vorträgen eingeladen sowie von Radio und Fernsehen zu Talkshows, und er hatte einen Gastauftritt in Woody Allens Annie

112 Vgl. Nora, Simon; Minc, Alain; Kalbhen, Uwe (1979): Die Informatisierung der Gesellschaft, Frankfurt am Main. 113 Berkeley, Edmund C. (1962): The Computer Revolution, New York, 166 ff. 114 Vgl. Michael, Donald (1962): »Thinking Without Thought«, in: The New York Times, 26.08.1962; sowie Fremont-Smith, Eliot (1966): »Hello, Electric Age«, in: The New York Times vom 11.05.1966. 115 Wolfe, Tom (1969): »What if he is right?«, in: Wolfe, Tom (Hg.) (1969): The Pump House Gang, New York, S. 104-133.

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Hall (1977).116 McLuhans Analysen legten Wesentliches über Medien offen: Medien zeigen sich nur im Wechselspiel mit anderen Medien. Ohne sich zu zeigen, lassen Medien Illusionen als Realitäten erscheinen.117 McLuhans Auffassung von dem Medienumbruch, den die elektronischen Medien einleiteten, steht den medienreflexiven Thesen nahe, die der französische Soziologe Gabriel Tarde im Rahmen seiner Nachahmungstheorie bereits Ende des 19. Jahrhunderts formulierte. Zu seiner Zeit wurde der Sozialtheorie Tardes wenig Beachtung geschenkt, erst in den 1960er Jahren wurden seine Arbeiten über die Grenzen Frankreichs hinaus vor allem in den USA und in Deutschland rezipiert.118 Tarde interessierte sich weniger für kollektive Vorstellungen als dafür, wie sich Ideen und Vorstellungen verbreiten und wie sie zirkulieren. Er interessierte sich weniger für große soziale Zusammenhänge als für das »unendlich Kleine«, das ununterbrochen neue Zusammenhänge erzeuge.119 Gilles Deleuze und Felix Guattari sehen den theoretischen Beitrag Tardes in der Erfindung einer Mikrosoziologie, die »die kleinen Nachahmungen, Gegensätze und Erfindungen« un-

116 Aufzeichnungen seiner Vorträge und Interviews lassen sich auf der Videoplattfrom youtube finden: »The Medieum is the Message« Prat 1, Monday Conference on ABC TV ausgestrahlt am 27.06.1977, https://www. youtube.com/watch?v=ImaH51F4HBw; Gespräch mit Marshall McLuhan, TODAY Show ausgestrahlt am 24.09.1976 auf NBC, https://www.youtube. com/watch?v=ZF8jej3j5vA; Carnegie Library of Pittsburgh; Free Library of Philadelphia; Pennsylvania State Library (Hg.): »This is Marshall McLuhan: The Medium is the Message« (Educational Movie McGraw-Hill text-films), https://www.youtube.com/watch?v=t1axnba_Ueg; McLuhan lecture at John Hopkins University on ›Global Village‹ and the ›Tetrad‹ am 31.07.1977, https://www.youtube.com/watch?v=PugVfJS1zCE alle Links vom 06.03.2019. 117 Vgl. McLuhan: Understanding Media. 118 Zur Rezeption Tardes vgl. Borch, Christian; Stäheli, Urs (Hg.) (2009): Soziologie der Nachahmung und des Begehrens. Materialien zu Gabriel Tarde, Frankfurt am Main, S. 7-37; sowie Ehrmanntraut, Sophie (2012): »›Ära der Öffentlichkeit‹. Gabriel Tarde und Soziale Medien«, in: Balke, Friedrich; Siegert, Bernhard; Vogl, Joseph (Hg.): Mimesis : Archiv für Mediengeschichte 12 (2012), S. 89-102. 119 Vgl. Deleuze, Gilles (1992): Differenz und Wiederholung. München, S. 39, sowie S. 104f.

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tersucht, die nicht in der Unterscheidung von Gesellschaft und Individuum aufgehen, sondern Strömungen »zwischen dem molaren Bereich von kollektiven und individuellen Vorstellungen und dem molekularen Bereich von Überzeugungen und Begehren« bilden.120 Relevant ist Tarde in diesem Kontext nicht, weil seine Theorie auf digitale Phänomene angewandt werden kann, sondern weil er massenmediale Phänomene untersuchte. Buchdruck, Eisenbahn, Telegrafie und Telefon prägten die Lebenswelt der Menschen entscheidend. Das Erscheinen dieser Massenmedien änderte zwar nichts an der grundlegenden Bedingung des Sozialen, wohl aber reorganisierten sie das soziale Leben. In Publikum und Masse121 stellte Tarde einen systematischen Bezug zwischen dem Sozialen und Medialität her. Da das Soziale medial vermittelt ist, hätten massenmediale Infrastrukturen »ungeheure Macht«, weil sie größere Publika erreichten: »Die größte Zuhörerschaft, die es je gab, war die des Kolosseums, und auch sie überschritt nicht hunderttausend Personen. […] Ein Publikum hingegen kann sich unbegrenzt erweitern, und da es um so lebendiger und lebhafter wird, je weiter es sich ausdehnt, läßt sich nicht leugnen, dass es die soziale Gruppe der Zukunft darstellt. So entstand durch das Zusammenwirken dreier einander ergänzender Erfindungen – Buchdruck, Eisenbahn und Telegraph – die ungeheure Macht der Presse, dieses erstaunliche Telephon, das das alte Auditorium der Rhetoren und Prediger ins Unermeßliche vergrößert hat.«122

Publika seien potenziell unbegrenzt, und mediale Publika seien räumlich nicht mehr gebunden. Sofern das Publikum medial erreichbar sei, sei es Publikum. Nicht die Nachrichten, sondern ihre Dissemination über ihre Kanäle machten die Massenmedien effizient in Bezug auf die Reproduktion des Sozialen. Die Massenmedien seien sozial, weil sie vom Publikum geteilt würden.

120 Deleuze, Gilles; Guattari, Félix (1992): Tausend Plateaus, Berlin, S. 283-316. 121 Nach über einem Jahrhundert wurde der Text aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Erstmals erschien er 1898 in »La Révue de Paris« (Juli/August) und wurde 1901 zusammen mit weiteren Artikeln Tardes in dem Band »L'opinion et la foule« veröffentlicht. Vgl. Tarde, Gabriel: »Publikum und Masse« (2015), in: Tarde: Masse und Meinung, Konstanz, S. 9-57. 122 Ebd., S. 17.

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»Außerdem wird dieser Einfluss bestärkt – und nie konterkariert – durch den viel schwächeren, den die Mitglieder desselben Publikums wechselseitig aufeinander ausüben, weil sie das Bewusstsein der simultanen Identität ihrer Ideen oder Neigungen, ihrer Überzeugungen oder Leidenschaften haben, die tagtäglich von demselben Blasebalg angefacht werden.«123

Die Simultanität und Kontinuität massenmedialer Kanäle erzeuge Autorität und wirke identitätsstiftend auf ihre Publika, und dies gelte für alle Massenmedien. Auch wenn es keinen Hinweis darauf gibt, dass McLuhan mit der Theorie Tardes vertraut war, liest sich Tardes Text stellenweise wie eine Version des Diktums »The Medium is the Message«.124 McLuhans Annahmen über die gesellschaftlichen Folgen des Computerzeitalters deckten sich teilweise auch mit den Analysen des Technikphilosophen und Soziologen Lewis Mumford über das Verhältnis von technologischer Entwicklung und moderner Kultur, auch wenn McLuhan Mumford für nicht mehr zeitgemäß hielt. »Behind all the great material inventions of the last century and a half, was not merely a long internal development of technics; there was also a change of mind. Before the new industrial processes could take hold on a great scale, a reorientation of wishes, habits, ideas, goals was necessary.«125

Demnach geht der kollektiven Vorstellung eines neuen Zeitalters – das Maschinenzeitalter bei Mumford, das Computerzeitalter im Kontext dieser Forschungsarbeit – eine lange Zeit kultureller Anpassung voraus. Mumford beobachtete am Ende des 19. Jahrhunderts die »Entmaterialisierung oder Vergeistigung bestehender Institutionen«126 und führte diese auf den verstärkten Einsatz neuer kultureller Technologien, wie etwa Stromversorgung und Nachrichtenwesen, zurück. Das enorme Wachstum und die Verdichtung der Städte fange die Gesellschaft mit dezentralen Infrastrukturen auf, die technische Medien ermöglichten.

123 Ebd., S. 20. 124 Vgl. McLuhan: Understanding Media, S. 7-23. 125 Mumford: Technics and Civilizations, S. 3. 126 Mumford, Lewis; Lindemann, Helmut (1979): Die Stadt. Geschichte und Ausblick, München, S. 658.

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»Technics and civilization as a whole are the result of human choices and aptitudes and strivings, deliberate as well as unconscious, often irrational when apparently they are most objective and scientific: but even when they are uncontrollable they are not external. Choice manifests itself in society in small increments and momentto-moment decisions as well as in loud dramatic struggles; and he who does not see choice in the development of the machine merely betrays his incapacity to observe cumulative effects until they are bunched together so closely that they seem completely external and impersonal. No matter how completely technics relies upon the objective procedures of the sciences, it does not form an independent system, like the universe: it exists as an element in human culture and it promises well or ill as the social groups that exploit it promise well or ill. The machine itself makes no demands and holds out no promises: it is the human spirit that makes demands and keeps promises.«127

Kulturelle Praktiken und Techniken seien Ausdruck menschlichen Intellekts, mit dem die Menschen ihre Umwelt und ihre Sicht auf das Universum gestalten. Wissenschaft habe das Universum jedoch nicht errichtet, sie hat die Maschinen gebaut, um es zu beobachten und zu erforschen. Wie der systemische Ansatz der Kybernetik baute Mumfords Kulturbegriff auf den Effekten der wissenschaftlichen Revolution am Übergang ins 20. Jahrhundert auf, die Norbert Wiener in The Human Use of Human Beings folgendermaßen zusammengefasst hatte: »that physics now no longer claims to deal with what will always happen, but rather with what will happen with an overwhelming probability.«128 Auch wenn Wiener den Zusammenhang nicht zu stark betonen wollte, zog er eine Parallele zwischen der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Theorie der Psychoanalyse von Freud, insofern, als beide Seiten die Anerkennung der fundamentalen Bedeutung der Kontingenz teilten. »In the present world of political as well as intellectual confusion, there is a natural tendency to class Gibbs, Freud, and the proponents of the modern theory of probability together as representatives of a single tendency.«129 Demnach sei die gesellschaftliche Erfahrung der Irrationalität der Welt durchaus der individuellen Erfahrung mit dem Unbewussten vergleichbar. Die Kybernetik sei eine mögliche Antwort auf Kontingen-

127 Mumford: Technics and Civilizations, S. 6. 128 Wiener: The Human Use of Human Beings, S. 10. 129 Ebd., S. 11.

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zerfahrung. Und, so die These Wieners, lebende Individuen und die neuen Kommunikationsmaschinen seien »precisely parallel in their analogous attempts to control entropy through feedback.« Sie verfügten über Sensoren, um Informationen aus ihrer Umwelt aufzunehmen und über »internal transforming powers« zu verarbeiten. Die verarbeiteten Informationen werden als Nachrichten in die äußere Welt kommuniziert und ihre Wirkung wird als Information wieder über den sensorischen Apparat von Individuum oder Maschine registriert und verarbeitet usw. In The Human Use of Human Beings stellte Wiener für ein breiteres Publikum dar, was er bereits mit Cybernetics ausgeführt hatte und ging in dem Buch explizit auf den Erkenntnisgewinn der kybernetischen Forschung für die Sozial- und Geisteswissenschaften, aber auch für Laien ein. »This complex of behavior is ignored by the average man, and in particular does not play the role that it should in our habitual analysis of society; for just as individual physical responses may be seen from this point of view, so may the organic responses of society itself.«130

Die Kybernetik lieferte eine Theorie darüber, wie Individuum und Gesellschaft der natürlichen Neigung zu Chaos Techniken der Ordnung und Strukturierung entgegensetzten. Sowohl Mumford als auch McLuhan hatten Wieners Publikation gelesen, die beide zu begeisterten Briefen an den Mathematiker veranlasste.131 Für McLuhan, für den Mumfords Kulturtheorie noch zu sehr an der für ihn überholten Opposition von Organischem und Mechanik festhielt, war Wieners Buch wegweisend: »since all organic characteristics can now be mechanically produced [through electronic computers], the old rivalry between mechanism and vitalism is finished.«132 Gegnern und Skeptikern des technologischen Fortschritts hielt er entgegen, dass Technologie weder Gu-

130 Vgl. ebd., S. 26ff. 131 Mumford an Wiener, 4.11.1950 in Masani, Pesi Rustom (1990): Norbert Wiener, 1894 – 1964, Basel: Birkhäuser, S. 336-337. 132 McLuhan an Wiener, 28.3.1951; sowie 10.11.1951 in: Kline, Ronald R. (2015): The Cybernetics Moment or Why We Call Our Age the Information Age, Baltimore; McLuhan: The Mechanical Bride, S. 34.

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tes noch Schlechtes verspreche, es komme darauf an, wie und von wem sie genutzt werde. In diesem Zusammenhang erlangte der Begriff der Interaktivität zunehmend an Bedeutung. Mit dem Begriff wurde dem Verhältnis der Menschen zum Computer ein transformatives oder schöpferisches Potential sowie mitunter eine magische Kraft zuerkannt. Interaktivität stellt eine Interaktionsbeziehung zwischen Mensch und Maschine her. Dass der in dieser Beziehung Computer nur ausführt, wozu er programmiert wurde, wurde nie bezweifelt. Dennoch wurde ihm über seinen einfachen Werkzeugcharakter hinaus, zum Beispiel im Rahmen der Automatisierung industrieller Produktions-prozesse, in der wissenschaftlichen Forschung oder auch im künstlerischen Schaffensprozess eine eigene Produktivität zugeschrieben, die Computer zum Medium geistiger und künstlerischer Arbeit erhob.133 Für den Informatiker und Künstler Frieder Nake liegt die epochale historische Bedeutung des Computers, den er auch als semiotische Maschine bezeichnet, nicht im gebauten Computer, sondern in der Interaktionsbeziehung, die die universelle Turing-Maschine herstellt. Mit der TuringMaschine kann potentiell jedes berechenbare, d.h. formal als Algorithmus beschreibbare Problem gelöst werden. Die (regelhafte algorithmische) Beschreibung eines Problems oder Handlung ist für Nake immer ein Produkt von Kopfarbeit, wozu jede geistige und kreative Arbeit gezählt werden kann. Mit dem Ausdruck Maschinisierung von Kopfarbeit ist bei Nake die Übertragung von Kopfarbeit auf die Maschine und die mit ihr einhergehende Produktivität gemeint, die sich mitunter als »gegenwärtige oder künftig mögliche, individuelle oder gesellschaftliche Tätigkeit« zeigt.134 Der Ausdruck steht bei Nake im Kontext einer »Kritik der politischen Ökonomie der Informationsverarbeitung«, die Computertechnologie auf engste mit dem kapitalistischen Gesellschaftssystem verknüpft, in dem alle Arbeitsprozesse dem Regime der Rationalisierung und der Optimierung unterwor-

133 Vgl. Rheingold, Howard (1985): Tools for Thought. The History and Future of Mind-Expanding Technology, Cambridge MA; sowie Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium. 134 Vgl. Nake, Frieder (1992): »Informatik und die Maschinisierung von Kopfarbeit«, in: Coy, Wolfgang; Nake, Frieder; Pflüger, Jörg-Martin; Rolf, Arno; Seetzen, Jürgen; Siefkes, Dirk; Stransfeld, Reinhard (Hg.): Sichtweisen der Informatik, Braunschweig, S. 181-201.

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fen sind.135 Die Formulierung Maschinisierung von Kopfarbeit ist aber auch im Kontext einer Kritik der Interaktion mit Computern zu verstehen. Nicht der Computer, sondern die in Programmen beschriebenen Prozesse legen die Bedeutungen und Wahrscheinlichkeiten fest, die eingegebenen Daten durch die Verarbeitung mittels des Computers zugeschrieben werden. Die durch den Bedienenden intendierte Information wird vom Computer nicht mitgelesen. Der Informationsgehalt eines ästhetischen Objekts, das für den Computer nichts als eine Sammlung von Daten darstellt, lässt sich nur im Verhältnis zur durch das Programm bestimmten Information messen. Der Künstler Michael A. Noll versteht das Verhältnis zwischen Computer und Mensch als interaktives Feedback. Mit programmiertem technischen Perfektionismus und scheinbar unmittelbarer Rückkopplung befreite der Computer die kreative Arbeit des Künstlers von Beschränkungen physischer und intellektueller Art. Weil der Computer im Bruchteil von Sekunden exakt ausführe, was den Künstler ohne Computer ein Vielfaches der Zeit kosten würde, erweckten computergenerierte Ergebnisse den Anschein, als würde der Computer sie unmittelbar und selbsttätig erzeugen.136 Donald Knuth, Informatiker und Mathematiker, schrieb das kreative Potential nicht so sehr der Erfahrung von Interaktivität, als vielmehr der ästhetischen Erfahrung beim Schreiben von Code zu und verglich Programmieren mit Dichten oder Komponieren. »When I speak about computer programming as an art, I am thinking primarily of it as an art form, in an aesthetic sense. The chief goal of my work as educator and author is to help people learn how to write beautiful programs. [...] My feeling is that when we prepare a program, it can be like composing poetry or music; […] programming can give us both intellectual and emotional satisfaction, because it is a real achievement to master complexity and to establish a system of consistent rules.«137

135 Vgl. Nake, Frieder (1984): »Schnittstelle Mensch – Maschine«, in: Kursbuch 75. Berlin, S. 109-118. 136 Vgl. Noll, A. Michael (1967): The Digital Computer as a Creative Medium, in: IEEE Spectrum 4/10, S. 89-95. 137 Knuth, Donald E. (1974): »Computer Programming as an Art«, in: Communications of the ACM 17/12, S. 667-673, hier S. 670;

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Interaktivität ist insofern paradigmatisch, weil mit dem Begriff eine neue Form sinnlicher Erfahrung bezeichnet wurde, die ästhetische und theoretische Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur, Materie und Geist, Mensch und Maschine, Raum und Zeit in Frage stellte. Donna Haraway benannte die Entgrenzung Mitte der 1980er in ihrem ironischen und politischen Mythos mit der Figur der Cyborg, einem Mischwesen aus Maschine und Organismus.138 Besonders sichtbar wird die Ästhetik der MenschMaschine-Interaktion in dem utopische Begehren nach Identität und Differenz, das die Science-Fiction bedient und artikuliert.139 Wie Teresa de Lauretis bemerkt, sei diese in Literatur und Film mit anthropomorphisierenden Darstellungen des Computers als handelndem Zeitgenossen angereicherte und imaginierte Zukunft durch die zunehmende Technologisierung der Wahrnehmung real geworden: »Technology is now, not only in a distant, science fictional future, an extension of our sensory capacities; it shapes our perceptions and cognitive processes, mediates our relationships with objects of the material and physical world, and our relationships with our own or other bodies.«140

Wenn auch nicht in begrifflicher Schärfe, war das Phantasma der Informationsgesellschaft bereits ab dem frühen 20. Jahrhundert Teil der kollektiven Vorstellungskraft. Ob erstarrt von der Schreckensphantasie der Herrschaft der Maschinen über die Menschheit, von dem Heilsversprechen von einer besseren Gesellschaft träumend, von apokalyptischen Kriegsszenarien erschüttert, von Zeitreisen oder übermenschlichen Superkräften fasziniert, die Menschen luden die neuen Technologien und elektronischen Medien mit fantastischer Metaphorik und unheimlichen Utopien auf. Wissenschaft und Forschung an und mit neuen Technologien lieferten den Stoff für das auf-

138 Vgl. Donna Haraway: „Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980s“, in: Socialist Review, 80 (1985), 65-108. 139 Vgl. Jameson, Fredric (2005): Archaeologies of the Future. The Desire Called Utopia and Other Science Fictions, New York. 140 de Lauretis, Teresa (1980): »Signs of Wo/ander«, in: Diess.; Huyssen, Andreas; Woodward, Kathleen: The Technological Imagination, Madison WI, S. 159-174, hier S. 167.

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blühende Science-Fiction-Genre, das ab Ende der 1930er Jahre bis in die 1960er sein goldenes Zeitalter erlebte.141 In dem dem Personal Computer vorausgehenden kybernetischen Diskurs büßten das moderne Subjekt und ideologische Staatsapparate Souveränität ein. Enorme Macht wurde hingegen Individuen oder Institutionen zugerechnet, die über die Beherrschung von Kommunikationssystemen durch neue Technologien Informationen und Informationsaustausch zu kontrollieren vermochten. Die Kybernetik sei die »jüngste und vielleicht jetzt schon wichtigste wissenschaftliche Produktivkraft« schrieb der Berliner Philosoph Manfred Wetzel 1969 in seinem Artikel für Die Zeit, weil sie ermögliche, Kommunikations- und Steuerungsvorgänge in Organisationen, Organismen und Apparaten aller Art zu verstehen.142 PCs können als Erzeugnis dieser jungen Produktivkraft verstanden werden. Als Produktionsmittel und Interaktionspartner wurden sie zum primären Mittel der Subjektivierung der gesellschafltichen Ordnung der Informationsgesellschaft. Doch auch wenn die Kybernetik und die frühe Medienwissenschaft das Dispositv bereits diskursiv skizziert hatten, so bedurfte es erst der Kommerzialisierung der Computertechnologie in Form des PCs, damit es allgemein wurde und wirkte. Bevor das Individuum über seinen PC zu Hause und das WWW an das Internet angeschlossen war, waren PCs nur insofern Kommunikationsmedien, als sie die Kommunikation zwischen Individuen und Computer ermöglichten. Aber, so muss betont werden, der Computer zu Hause war die technische Voraussetzung für den Anschluss oder Zugang zu neuen digitalen Kommunikationskanälen wie E-Mail, Chat, oder das WWW. Das an den Computer angeschlossene Indivdiuum, bildete die besondere Veknüpfung, aus der schließlich das PC-Dispositiv hervorging.

141 Vgl. Roberts, Adam (2016): The History of Science Fiction, London. 142 Vgl. Wetzel: Kybernetik – Metze der Macht (1969).

Fortschritt und Konsum als Verpflichtung Die USA im Wandel

Während des Zweiten Weltkriegs waren die USA nicht nur Zufluchtsort für politisch Verfolgte aus Europa, sie hatten sich auch weitestgehend von der Weltwirtschaftskrise erholt. Mit der Politik des New Deal ging die Regierung gegen wachsende Armut und hohe Arbeitslosigkeit im Land vor und arbeitete ein Programm für die Wiederbelebung der Wirtschaft und zur Verhinderung einer neuen Depression aus. Alle Wirtschaftszweige der USA boomten Ende der 1930er Jahre und die Lebensqualität der Menschen verbesserte sich.143 Vom Kriegsende bis in die 1970er Jahre erlebten die USA goldene Zeiten ökonomischen Wachstums. Der New Deal wurde alsbald kritisiert: Jenseits demokratischer Kontrolle bildeten Rüstungsindustrie und Staat eine mächtige Allianz, die die öffentliche Politik bestimme.144 Noch vor Kriegsende hatte der Ökonom Friedrich Hayek in seiner einflussreichen Abhandlung The Road to Serfdom vor den totalitären Zügen des Machtmonopols, das Rüstungsindustrie und Staat im Krieg gebildet hatten, gewarnt. »Where the power which ought to check and control monopoly becomes interested in sheltering and defending its appointees, where for the government to remedy an abuse is to admit responsibility for it, and where criticism of the actions of monopo-

143 Vgl. Berkin, Carol (2008): Making America. A history of the United States, Princeton. 144 Vgl. Mills, C. Wright (1999): The Power Elite, New York.

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ly means criticism of the government, there is little hope of monopoly becoming the servant of the community. A state which is entangled in all directions in the running of monopolistic enterprise, while it would possess crushing power over the individual, would yet be a weak state in so far as its freedom in formulating policy is concerned. The machinery of monopoly becomes identical with the machinery of the state, and the state itself becomes more and more identified with the interests of those who run things than with the interests of the people in general.«145

Die Freiheit des Individuums sei nicht damit vereinbar, dass sich die gesamte Gesellschaft einem Zweck unterzuordnen habe. Eine Ausnahme sei der Kriegszustand, in Friedenszeiten dürfe jedoch kein einzelner Zweck absoluten Vorrang gegenüber allen anderen haben, auch wenn er populär sei, wie etwa der Ruf nach »Vollbeschäftigung«. 1961 griff Präsident Eisenhower die Kritik am Sozial- und Wirtschaftssystem und an dem informellen Bündnis von Staat und Rüstungsindustrie in seiner Abtrittsrede auf und sprach erstmals vom military-industrial complex. In der amerikanischen Kritik standen sich Sicherheitspolitik und Wirtschaftsliberalismus gegenüber. Von den 1930er Jahren bis in die 1970er Jahre hatte sich das durchschnittliche Einkommen der Amerikaner verdreifacht, die Arbeitslosenquote fiel auf unter 5 % und Konsumausgaben stiegen um 60 %. In den 1960ern verfügte die Mehrheit der Amerikaner über ein sicheres Einkommen, das ihnen erlaubte, so zu leben, wie es lange nur wenigen Wohlhabenden vorbehalten war.146 In den 1960ern waren die Amerikaner:innen die reichsten Menschen der Welt.147 Der größte Teil des verfügbaren Einkommens floss in die häusliche Einrichtung. Haushaltskosten stiegen viermal höher im Vergleich zu den allgemeinen Konsumausgaben.148 Die wachsende Konsumkultur war mit der Vorstellung ökonomischen Fortschritts verknüpft. Sie lässt sich aus der Perspektive der klassischen Ökonomie so erklären, dass der Sinn jeder Warenproduktion ihr Verbrauch ist. Konsum, d.h. zunächst der Kauf von Waren, dient der individu-

145 Hayek, Friedrich A. (2001): The Road to Serfdom, London. 146 Vgl. Ryan, Mary P. (2006): Mysteries of Sex. Tracing Women and Men through American History. Chapel Hill NC. 147 Vgl. Leonhardt, David; Quealy, Kevin (2014): »The American Middle Class Is No Longer the World’s Richest«, in: The New York Times vom 2204.2014. 148 Vgl. Ryan: Mysteries of Sex.

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ellen Bedürfnisbefriedigung. Mehr Konsum bedeutete höhere Produktionszahlen, diese wiederum größeres wirtschaftliches Wachstum. Das Wachstum der Konsumgüterindustrie wurde begleitet vom Ausbau der Werbeindustrie. Die mitunter als second economy149 bezeichnete Wirtschaftskraft machte aus der Bedürfniskultur eine Begehrenskultur. Die Verbesserung von Lebensqualität und Lebensstandard wurde mit dem Wunsch nach der Wiederherstellung des Familienlebens verbunden, das unter dem anhaltenden Kriegstreiben litt. Beobachter und Historiker der amerikanischen Gesellschaft schrieben der Werbung eine besondere Rolle zu. Amerikanische Geschichte sei seit dem Bürgerkrieg in großen Teilen eine Geschichte der Eroberung durch Reklame, so die These des Journalisten Vance Packard. Die Werbeindustrie betreibe Motivationsforschung, entwickle psychologische Konsumentenprofile, manipuliere Erwartungen und erzeuge Begehren nach Produkten. Werbung löse den unwiderstehlichen Drang aus, Produkte zu kaufen, indem sie die Bedürfnisse gezielt adressiere, auf die die angebotenen Produkte zu antworten versprechen.150 Bereits 1927 ging der Ökonom und Gesellschafter von Lehman Brothers Paul Mazur in einem Text auf die besondere Verbindung von Produktion und Marketing im Kontext industrieller Produktion ein. Produzenten und Händler stritten sich in der öffentlichen Debatte um die Kosten für die Distribution von Waren. Werbung sei wesentlicher Bestandteil industrieller Massenproduktion, die die Lebenshaltungskosten der Amerikaner enorm reduziert habe. Die Kapazitäten der Warenproduktion von Fabriken überstiegen bei weitem den Bedarf der Gemeinden, in welchen die Fabriken standen. Der Vertrieb überschüssiger Ware habe den Ausbau von Verkehrs- und Kommunikationsnetzen notwendig gemacht. Die Kosten solcher Infrastrukturen betrachtete Mazur als ökonomische Notwendigkeit für die Steigerung von Absatzzahlen, sie würden in der Regel aber nicht in die Produktionskosten miteinkalkuliert. Auch steigende Mieten für Warenhäuser in urbanen Zentren seien als Folge industrieller Warenproduktion in Betracht zu ziehen und müssten in Kosten und Nutzenabwägungen einkalkuliert werden. Werbung habe sich von einer unscheinbaren Methode zu einer Art Wissenschaft mit gewaltiger Wirkung und beachtlichen Aufwendungen

149 Kenney: Understanding Silicon Valley. 150 Vgl. Packard, Vance (2007): The Hidden Persuaders, Brooklyn NY.

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entwickelt.151 Zu lange habe man Werbe- und Distributionskosten als Verlust betrachtet, und niemand habe die Abhängigkeit kostengünstiger Produktion von hohen Vertriebskosten gesehen. Doch für die Sicherung des Wohlstands in der amerikanischen Gesellschaft und des wirtschaftlichen Wachstums sei die Relevanz von Werbung nicht hoch genug einzuschätzen. Die Wirtschaft habe indessen erkannt, dass eine satte Gemeinde kaum Bedürfnisse habe. »The community that can be trained to desire change, to want new things even before the old have been entirely consumed, yields a market to be measured more by desires than by needs. And man’s desires can be developed so that they will greatly overshadow his needs.152

Amerika sei dabei, sich von einer Bedarfskultur in eine Begehrenskultur zu verwandeln. Bedürfnisse und Wünsche könnten potenziell immer in Nachfrage übersetzt werden, aber dies setze voraus, dass die Wirtschaft prosperiere und die Kaufkraft weiter wachse. »Human beings are born with the desire for something more than the barest necessities [...] they all yield to the all-encompassing urge of aesthetics.« Neuheit und Moden bestimmten heute den Alltag der Amerikaner:innen. Zufriedenheit bedeute Stillstand und solle sich gar nicht erst einstellen. Schnell wechselnde Moden hätten sich als wirksames Gegenmittel erwiesen. »Advertising became a force in American life. Threats, fear, beauty, sparkle, persuasion and careful as well as wild-cat exaggeration were thrown at the American buying public as a continuous and terrific barrage. [...] And so desire was enthroned in the minds of the American consumer, and was served abjectly by the industries that had enthroned it. It is not difficult to appreciate that it was inevitable that desirability should win the place of consumer demand from the mere demands of utility.«153

151 Vgl. Mazur, Paul (1925): »Is the Cost of Distribution too High?«, in: Harvard Business Review, October (1925), S. 7-16. 152 Mazur, Paul (1928): American Prosperity, Its Causes and Consequences, New York, S. 24f. 153 Mazur: American Prosperity, S. 47ff.

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Werbung machte Waren begehrenswert und hob besondere Qualitäten hervor. Standardisierung werde in der industriellen Warenproduktion dem Zwang zum Neuen nurmehr untergeordnet. Auf diese Weise wurden die Amerikaner:innen nach und nach zu feinsinnigen Konsument:innen von sowohl lebensnotwendigen als auch annehmlichen Waren erzogen. Mazur lieferte eine präzise Analyse ökonomischen Kalküls der Wirtschaft einerseits und der Begehrensstruktur innerhalb der amerikanischen Konsumgesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts andererseits. Sein Argument, gesellschaftlicher Wohlstand könne nur durch ökonomisches Wachstum gesichert werden und dazu bedürfe es des Wunsches nach gefälligem Wandel und überzeugender Werbung, steht nicht nur bis heute in betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern, sondern ist alternativloser Bestandteil heutiger Wirtschaftspolitik in westlichen Industrienationen. Neben einer unersättlichen konsumwilligen Gesellschaft und der Überzeugungskraft der Werbung bedurfte es für die Steigerung für Warenproduktion des Ausbaus der Energieversorgung und der Infrastrukturen für den Vertrieb der Konsumgüter sowie der Kommunikationsnetze für die Werbung. Auch darauf geht Mazur ein und beschreibt, wie z. B. Telefon, Radio und Film für Werbung nutzbar gemacht wurden. Im Rahmen der Politik des New Deal wurden Elektrizitätswerke gebaut und Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukturen massiv erweitert. In seinem populärwissenschaftlichen Porträt der USA lieferte Max Lerner eine enthusiastische Beschreibung davon, wie sich im Zeitalter der Elektrizität durch den Bau von Dämmen, die es möglich machten, Menschen in den abgelegensten Gegenden mit Strom und Nachrichten zu versorgen, natürliche und soziale Landschaften veränderten: »Cheaply available electricity means the farm revolution, the kitchen revolution, and the communications revolution – that is to say, a generator, a deep-freeze, and a TV set.«154 Wohlstand und Aufschwung wurden zu herrschenden Imperativen der Nachkriegszeit, die das amerikanische Leben über parteipolitische Interessen und Interessen von Privatwirtschaft oder Regierungen hinaus bestimmten und bis heute wirken. Mit Konsum trugen und tragen die Amerikaner:innen zum Wohlstand ihrer Nation bei. Neben industriell hergestellten Waren konsumierten sie Dienstleistungen. Mit steigenden Einkommen wurden immer mehr Dienstleistungen konsumiert, die zu einem wesentlichen Faktor für die Verbesse-

154 Lerner, Max (1965): America as a Civilization, New York.

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rung der Lebensqualität und des Lebensstandards wurden. Während einige Dienstleistungen staatlich bereitgestellt und reguliert wurden, wie etwa die Versorgung mit Gas, Wasser, Strom, Telekommunikation, zählten private und öffentliche Agenturen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen, Finanz- und Versicherungswesen, Hotelgewerbe, Unterhaltungsgewerbe sowie Reparatur- und Kundendienste zu Anbietern von Dienstleistungen. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gehören folgende Gewerbe zum Dienstleistungssektor (service sector): »[…] hotels and other lodging places; personal services, which include a wide range of industries servicing individuals and the home, such as barbering, tax return preparation services, and funeral services; business services, such as advertising, direct mail, and secretarial services; automotive repair services and parking; miscellaneous repair services, including electrical repair, computer repair, and the like; motion pictures; amusement and recreation services; health services; legal services; educational services; social services; membership organizations; other miscellaneous services; and the value of services provided by those employed in private households.«155

Darüber hinaus gibt es dienstleistende Industrien, die in der Gesamtrechnung aufgrund ihrer ökonomischen Relevanz für die amerikanische Gesamtwirtschaft separat aufgeführt werden, wie etwa Transport- und Verkehrswirtschaft, Groß- und Einzelhandel, Finanz-, Versicherungs- und Immobilienwirtschaft, verstaatlichte Dienstleistungen, die aber eigentlich auch zum Dienstleistungssektor zu zählen wären. So hatten etwa seit den 1950er Banken das Privatkundengeschäft entdeckt und richteten Lohn- und Gehaltskonten ein. Der wachsende Warenverkehr und Tourismus der Konsumgesellschaft erforderte mächtige Buchungssysteme, um die neuen Datenmassen zu bewältigen und Arbeitsplätze, um die Daten zu erfassen, einzuspeisen und weiterzuverarbeiten.156 In vielen Branchen belebte die industrielle Rationalisierung durch Computertechnologie den Arbeitsmarkt und lieferte somit ein starkes Argument, gegen den Vorwurf, Menschen würden von Maschinen ersetzt.

155 Chapter Dh. Services and Utilities, in: Carter et al.: Historical Statistics of the United States. 156 Vgl. Campbell-Kelly, Martin (1996): Computer. History of the Information Machine, New York, Kapitel 7 über die Verbreitung von real-time computing.

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In der Nachkriegszeit verschob sich das Verhältnis von verarbeitender Industrie und Dienstleistungsindustrie so weit, dass Sozialkritiker bereits von »Deindustrialisierung« sprachen und diese Tendenz als Gefahr für die Produktivität sahen. Doch der Wirtschaftswandel sei ein komplexes Phänomen: »[I]nvolving ›high-tech‹ industries along with fast food chains, it has been going on for a long time. Some of the shift toward services reflects increased investment in skills, health, and other proficiencies«. Schließlich gebe es eine Reihe von »intermediate services«, zu welchen z. B. Computersoftware und -beratungsdienstleistungen zählten, deren Anteil am wirtschaftlichen Wachstum kontinuierlich zunehme, aber schwer zu verfolgen sei.157 Nicht nur die Dienstleistungen selbst wurden konsumiert, das Netz aus Diensten band die Haushalte und Wohnzimmer der amerikanischen Familien ein bzw. schloss sie an den Puls der Zeit an. Wichtiger Bestandteil des Wohn- und Wohlstandsideals war neben der Inanspruchnahme von Dienstleistungen das mit neuesten Technologien ausgestattete Heim. Haushaltsgeräte reduzierten die Hausarbeit und verschafften mehr Zeit für Kommunikation und Unterhaltung. Mit dem Entwurf Dymexian House aus dem Jahr 1927 antizipierte der Architekt Buckminster Fuller die maschinendominierten Anforderungen an die fortschrittliche Lebensführung. »Mass production, mass communications, decentralization, and mobility – these were what distinguished modern American Society, and Fuller designed the Dymexian House to reflect and incorporate these tendencies«,158 so die Autor:innen von Yesterday’s Tomorrows, die sich mit ihrer Studie amerikanischen Zukunftsvisionen zuwandten. Fullers Haus war eine Art Wohnund Servicemaschine mit eigenem Stromgenerator, mit selbsttätiger Waschmaschine und Trockner, Klimaanlage, Bewässerungsanlage für Pflanzen, Küche und Badezimmer mit allerlei elektrischem Gerät, das den Bewohnern Hausarbeit abnahm. Der individuellen Freiheit seien keine Grenzen mehr gesetzt, »creation will set in as never before«.159 Das »get on with life«-Zimmer war ausgestattet mit Schreibmaschine, Rechenmaschine, Telefon, Diktiergerät, Fernseher, Radio, Plattenspieler und Kopierer, alles in einem Gerät montiert. Technologie sollte einerseits das arbeitende Indi-

157 Ebd. 158 Corn, Joseph; Horrigan, Brian; Chambers, Katherine (1984): Yesterday’s Tomorrows. Past Visions of the American Future. Baltimore, S. 67. 159 Fuller zitiert nach Ebd, S. 69.

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viduum von den Mühen des Alltags und der Hausarbeit entlasten und andererseits Kreativität fördern. In Make Room for TV untersucht die amerikanische Kultur- und Medienwissenschaftlerin Lynn Spigel die Verbreitung des Fernsehers in amerikanischen Familien und argumentiert, dass der Ort für die Zuschauerunterhaltung in der Nachkriegszeit vom öffentlichen Raum, dem Kino, mit der Verbreitung des Fernsehens in das private Heim verlegt wurde. »Americans purchased television sets at record rates – in fact more quickly than they had purchased any other home entertainment machine. Between 1948 and 1955, television was installed in nearly two-thirds of the nation’s homes, and the basic mechanisms of the network oligopoly were set in motion. By 1960, almost 90 percent of American households had at least one receiver, with the average person watching approximately five hours of television each day.«160

Spigel untersucht, wie es möglich gewesen war, dass das Fernsehen innerhalb nur eines Jahrzehnts Teil täglicher Routinen wurde, und wie das neue Medium erlebt wurde. Sie stellt das Medium ins Zentrum einer Politik der Nachkriegszeit, die sich zum Ziel gesetzt hatte, das Familienleben der Amerikaner:innen wiederherzustellen. Das Leben in den Vorstädten versprach Kriegsheimkehrern und ihren Familien Sicherheit und Stabilität und die Vorteile dieses Modells überwogen gegenüber möglichen Einschränkungen. Auf dem Fernsehgerät zu Hause wurde das neue Ideal permanent präsentiert und aktualisiert. Diese Umstellung der Ordnung blieb nicht unkommentiert, ähnlich wie die Computertechnologie löste die Macht des Fernsehens auch Bedenken aus. Auf Begeisterung wurde mit Skepsis und Untergangsszenarien geantwortet, ein Phänomen, das bereits bei der Einführung von Telegraphie, Telefon und Radio beobachtet worden war: »[C]ommunications technologies such as the telegraph, telephone, and radio were all met with a mixture of utopian and dystopian expectations – both in intellectual circles and in popular culture.«161 Vor dem Hintergrund des ökonomischen Fortschrittsdenkens und der Verpflichtung zu konsumieren, um zum Aufschwung beizutragen, nehmen

160 Spigel, Lynn (1992): Make Room for TV. Television and the Family Ideal in Postwar America, Chicago, S. 1. 161 Ebd, S. 3; vgl. auch Marvin: When Old Technologies Where New.

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die Kommunikationsmedien eine besondere Rolle ein. Sie werden einerseits als Verbrauchsgüter verkauft, andererseits werden sie als Kommunikationsinstrumente vertrieben. Als physische Geräte für Verbraucher oder Endkunden zählen sie, ebenso wie Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik, zu den consumer electronics oder home appliances. Sie sind Teil einer industriellen Produktionskette und einer ökonomischen Rechnung, die mit Absatzzahlen und der Lebensdauer der Geräte kalkuliert. Zugleich stellen sie für die Industrie und deren Vertrieb den direkten technischen und kommunkativen Anschluss in die privaten Lebensräume amerikanischer Familien dar. Mit den Radio- und Fernsehgeräten empfangen die Amerikaner:innen Meldungen über die neuesten Entwicklungen auf dem Markt und über die neuesten Geräten und Dienstleistungen. Je höher die Zahl der Kommunikationsmedien, desto umfassender funktioniert die Kommunikation, so könnte man zusammenfassen. Kommunikations- und Computerindustrie transzendierten die Produktion dinglicher Waren und herkömmlicher Dienstleistung, indem sie mit alltäglichen Gewohnheiten verknüpft wurden, so die Annahme des amerikanischen Futurologen Alvin Toffler. »[E]xperience-makers will form a basic – if not the basic – sector of the economy. The process of psychologization will be complete.«162 Toffler geht davon aus, dass aus der Psychologisierung sämtlicher Konsumgüter und Dienstleistungen ein neuer Wirtschaftszweig hervorgehen werde, den er als experience industry bezeichnet. Technologisierte Gesellschaften würden künftig die meiste Energie in die Sanierung ihrer physischen Umwelt und in die Verbesserung der Lebensqualität stecken. Nur wenige Jahre später wird der Begriff user experience zu einem zentralen Begriff im Kontext des Designs von PCs und dazugehöriger Software.163 Der Psychologe und Marktforscher Robert Cialdini beschäftigte sich Anfang der 1980er mit der Frage, wie die Amerikaner:innen überzeugt wurden, zu konsumieren und griff Tofflers These auf: Wandel durch neue Technologien finde nicht nur in der Wissenschaft statt. Die Bürger:innen seien mittlerweile mit den neuen Technologien verbunden. Die neuartigen Kommunikationsnetze veränderten den Zugang zu Informationen, sie veränderten alltägliche Gewohnheiten, wie Informationen gesam-

162 Toffler, Alvin (1971): Future shock, New York, S. 235 163 Ein wichtiger Vertreter dieses Ansatzes ist der amerikanische Kognitionswissenschaftler Donald A. Norman.

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melt, gespeichert und gesendet würden. »We now live in a world where most of the information is less than fifteen years old.«164 Das Fernsehen sei ein Kanal, über den die Informationen nach Hause geliefert werden, ein anderer der Personal Computer. Die neuen Technologien sendeten nicht von sich aus Informationen, aber sie waren hervorragend geeignet, in kurzer Zeit massenhaft Informationen in Umlauf zu bringen. Die Kulturtechnik, die sich hinter diesen Technologien verbarg, war Marketing. Cialdini identifizierte sechs grundlegende Strategien heraus, mit welchen sich Menschen überzeugen ließen. Konsistenz, Reziprozität, soziale Bewährtheit, Affinität, Autorität und Knappheit würden von Werbe- und PR-Agenturen zum Beispiel für Wahlkämpfe und für Spendensammlungen eingesetzt, um Menschen Wahlentscheidungen abzuringen oder sie zum Spenden zu ermuntern.165 »Very often in making a decision about someone or something, we don’t use all the relevant available information; we use, instead, only a single, highly representative piece of the total.« so stellte Cialdini in seinem Schlusskapitel fest. Ähnliche Strategien lassen sich auch im Marketing rund um den Personal Computer nachweisen. Hierauf werde ich im zweiten Teil der Arbeit genauer näher eingehen. An dieser Stelle soll vor allem der Zusammenhang des Imperativs für Fortschritt und Wohlstand mit den Eigenschaften der neuen Kommunikationstechnologien und der wachenden Werbeindustrie herausgestellt werden. Strukturell ähnlich sind die Beobachtungen des kanadischen Technikphilosophen Andrew Feenberg, der die eigentümliche Beziehung der Videotex-Technologie zum politischen System Frankreichs herausstellte.166 Bevor sich das World Wide Web – früher auch W3 genannt167 – zu dem dominanten Hypertext-System des Internets wurde, war Videotex das führende Informations- und Nachrichtensystem, das auch Privatanwendern zur Verfügung stand. In den 1970ern wurde die Technologie zu einem festen Bestandteil der Telekommunikationsinfrastrukturen der meisten Industrieländer. Viele der staatlichen Post-, Telefon- und Telegraphiegesellschaften,

164 Cialdini, Robert B. (1984): Influence. How and Why People Agree to Things, New York, S. 207. 165 Ebd. 166 Feenberg: From information to communication. 167 1989 entstand in einem Forschungsprojekt unter der Führung von Tim Berners-Lee am Cern ein Informationssystem, aus dem das www hervorging.

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aber auch gewerbliche Unternehmen wie etwa Nachrichten- und Werbeagenturen, unterhielten Videotex-Projekte. Zu Beginn der 1980er Jahre gab es über 50 Projekte in Europa, Japan und Nordamerika.168 Videotex wurde als interaktives elektronisches Medium vermarktet. Die Nutzer konnten zu Hause, bei der Arbeit oder an öffentlich zugänglichen Terminals über spezielle Druckknopfkonsolen oder alphanumerische Tastaturen, wie sie auch für andere elektronische Geräte genutzt wurden, gezielt Informationen abfragen und auch Einkäufe tätigen. Die Verbindung zu den Anbietern wurde über bestehende Anschlüsse an das Telefon-, Telegraphen- oder Fernsehsendenetz hergestellt. Als Anzeigegeräte fungierten Fernseher oder andere CRT-Bildschirme. Die Interaktivität beschränkte sich also darauf, dass die Nutzer:innen aus dem Angebot des Videotex-Anbieters Services und Nachrichten zu bestimmten Themen auswählen konnten und Kaufentscheidungen übermitteln konnten.169 Es überrascht nicht, dass unter anderem Werbeagenturen die Verbreitung der Videotex-Technologie vorantrieben. In einem Interview aus dem Jahr 1982 sprach Hadassa Gerber, Senior Vice President bei McCann-Erickson in New York und Leiterin der Videotex Industry Association, über den enormen Nutzen der Technologie für den Vertrieb. McCann-Erickson ist eine der ältesten Werbeagenturen der USA und war mit Büros im Ausland seit den 1920er Jahren ale eine der ersten global tätigen. »Explaining the new medium, she [Hadassa Gerber] said, ›What videotex basically does is to turn a television set into an information retrieval system where, by pressing on a remote-control keypad, a person has the ability to find out the latest news, weather or shopping information from the comfort of home.‹ (›Keypad,‹ jargon buffs realize, is a modern word for keyboard.) [...] As for the longer run, Miss Gerber noted that Robert Coen, senior vice president and media sage at McCann Erickson Inc., had concluded that perhaps 10 to 15 percent of all American households

168 Vgl. Cats-Baril, William L.; Jelassi, Tawfik (1994): »The French Videotex System Minitel. A Successful Implementation of a National Information Technology Infrastructure«, in: MIS Quarterly 18 (1994), S. 1, sowie Rosenberg, Richard: The Social Impact of Computers, 1986, hier S. 320-322. 169 Vgl. Talarzyk, W. Wayne; Young, Murray A.: The New Electronic Media »Videotex«, in: Frazier, Gary; Sheth, Jagdish (1987): Contemporary Views on Marketing Practice, S. 250-275.

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will have some form of videotex by the year 1990. She said the percentage might be higher if the industry could agree on standardizing teletext equipment.«170

Auch wenn fünfzehn Prozent angesichts der heute fast flächendeckenden Verbreitung von Internetanschlüssen in amerikanischen Haushalten nach wenig klingt, so konnten diese Marktanteile in den 1970er Jahren als enorm betrachtet werden, besonders vor dem Hintergrund, dass viele der neuen Technologien ursprünglich nie für den häuslichen Gebrauch vorgesehen waren. In Memoirs of a Commodity Fetishist, dem Vorwort seiner Studie zu den Wurzeln der Konsumkultur171, geht der amerikanische Historiker Stuart Ewen auf die erwachende Konsumkultur der Nachkriegszeit ein. Wohlstand und Fernsehen hätten Bürger in Konsumenten, Wohnzimmer in Warengeschäfte und Werbung in öffentliche Alltagsprache verwandelt. Obwohl Massenmedien und Werbung die »Topografie von Ästhetik und Begehren« in der amerikanischen Alltagskultur nachhaltig umgestalteten, interessierten sich wenige Historiker für die Apparate der massenhaften Prägung. »I grew up in a middle-class suburban family in a town where competitive consumption was elevated to an art form. Finding social identity, being ›popular‹ in a peer group determined in large part by Papagello shoes and Impala convertibles, was an often anxiety-ridden right of passage. I had, and still have, a love-hate relationship with consumption.«172

Ewen beschreibt ein ambivalentes Verhältnis zur Konsumkultur und seine eigene Haltung dazu als nahezu zwanghaft, zwischen Angst und Spiel changierend. Kritik an der Politik des New Deals, wie zu Beginn dieses Unterkapitels angesprochen, wurde nicht nur von der politischen Opposition geübt. Die amerikanische Konsumkultur der Nachkriegszeit veranlasste einige Immigranten und Kriegsflüchtlinge aus dem europäischen Ausland zur Kultur-

170 Vgl. Pace, Eric (1982): »Advertising; Videotex In Years To Come«, in: The New York Times vom 01.09.1982. 171 Vgl. Ewen, Stuart (1976): Captains of Consciousness. Advertising and the Social Roots of the Consumer Culture, New York 2001. 172 Vgl. Ebd.

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und Ideologiekritik. So entstand die Dialektik der Aufklärung Adornos und Horkheimers in der Zeit ihres amerikanischen Exils in Los Angeles.173 Ob und welche amerikanischen Wissenschaftler und Intellektuellen die Ideologiekritik, die von Immigrierten geäußert wurde, rezipiert haben, darüber kann im Rahmen dieser Arbeit nur nur spekuliert werden. Die folgende Sammlung philosophischer Fragmente und kulturkritischer Analysen aus der Zeit vor dem Erscheinen des Personal Computers skizziert Aspekte des amerikanischen Alltagslebens, das in der Rückschau den Grund bildet, auf dem sich personal computing entwickeln konnte. In den 1950ern formulierte der Philosoph Günther Anders eine technikkritische These, nach der die amerikanische Konsumkultur alles andere als fortschrittlich war. In seiner Abhandlung Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution verarbeitete er unter anderem seine Erfahrungen im amerikanischen Exil in Los Angeles und New York. Ihre technischen Geräte seien den Menschen entlaufen. Die Menschen seien unfähig, seelisch mit dem von ihnen programmierten »Verwandlungstempo« mitzulaufen. Die Menschen und ihre Maschinen seien »völlig disparate, ja einander widersprechende« Elemente. Als Konfiguration bildeten sie keine rationale Notwendigkeit, vielmehr dienten sie als Projektionsfläche für Träume und Wünsche. Dass die Menschen frei über Technik verfügen könnten, sei dabei »reine Illusion«, sie hätten längst ihre Freiheit an die Dinge abgetreten. »Die Einrichtungen selbst sind Fakten; und zwar solche, die uns prägen. Und diese Tatsache, daß sie uns, gleich welchem Zwecke wir sie dienstbar machen, prägen, wird nicht dadurch, daß wir sie verbal zu ›Mitteln‹ degradieren, aus der Welt geschafft.«174

Anders expliziert seine Technikkritik am Beispiel von Radio und Fernsehen. Radio- und Fernsehapparate zu Hause machten die Menschen zu Heimarbeiter:innen der Industrie. Trafen sich die Massen früher im Kino zum Konsum der Massenware Film, so wurden Hörspiele und die Welt, die das Fernsehen abbildete, individuell zu Hause konsumiert. Die Konsumarbeiter:innen konsumierten individuell von zu Hause, dennoch konsumierten

173 Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. 174 Anders, Günther (1956): Die Antiquiertheit des Menschen, München, S. 99.

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sie alle die gleiche Massenware und regten damit industrielle Massenproduktion. Derart werden Konsum und Produktion verschaltet und neutralisieren die Unterscheidung von aktivem Tun und passivem Konsum. Die Massenmedien lösten Familien, das private Heim und das Individuum auf, und machten die Menschen zu Medien der Waren. »[W]as nun durch TV zu Hause herrscht, ist die gesendete – wirkliche oder fiktive – Außenwelt; und diese herrscht so unumschränkt, daß sie damit die Realität des Heims – nicht nur die der vier Wände und des Mobiliars, sondern eben die des gemeinsamen Lebens, ungültig und phantomhaft macht. [...] Das wirkliche Heim ist nun zum ›Container‹ degradiert, seine Funktion erschöpft sich darin, den Bildschirm für die Außenwelt zu enthalten.«175

Seine Technikkritik brachte Anders den Ruf als Reaktionär und Störenfried ein. In einer Zeit, in der Konsum mit Freiheit, in der die Homogenisierung aller Bereiche des wirtschaftlichen, politischen, privaten und intimen Lebens mit Gleichheit verwechselt werde, sei Kritik ein Akt der Zivilcourage. Familie, Heim, Individuum seien Symbole der Freiheit, sie seien aber nicht frei.176 Wenige Jahre später veröffentlichte Herbert Marcuse Der eindimensionale Mensch, das zunächst auf Englisch und später in deutscher Übersetzung erschien. Auch seine Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft fallen in die Zeit seines amerikanischen Exils und können als Fremdbeschreibung amerikanischer Lebensführung und ihrer Ideale herangezogen werden. »Eine komfortable, reibungslose, vernünftige, demokratische Unfreiheit herrscht in der fortgeschrittenen industriellen Zivilisation, ein Zeichen technischen Fortschritts.« Mit seiner Kritik argumentierte er historisch. Computertechnologie könne einem »kapitalistischen wie einem sozialistischen Regime dienen.« Nicht die Techniken »als solche« seien historisch entscheidend, sondern vereinheitlichte und umfassende kulturelle Produktionsweisen. Sie wirkten totalisierend. Marcuse sah im wachsenden Konsum eine neue Form sozialer Kontrolle. Die Freiheit darin sei

175 Ebd., S. 105. 176 Ebd.

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eine »trügerische«, da sie sich auf die Möglichkeit zur Auswahl zwischen unnützen Dingen beschränke.177 »Das Kriterium für freie Auswahl kann niemals ein absolutes sein, aber es ist auch nicht völlig relativ. [...] Freie Auswahl unter einer breiten Mannigfaltigkeit von Gütern und Dienstleistungen bedeutet keine Freiheit, wenn diese Güter und Dienstleistungen die soziale Kontrolle über ein Leben von Mühe und Angst aufrechterhalten – das heißt die Entfremdung. Und die spontane Reproduktion aufgenötigter Bedürfnisse durch das Individuum stellt keine Autonomie her; sie bezeugt nur die Wirksamkeit der Kontrolle.«178

Die neue Ideologie bestehe in der »Einebnung« fortbestehender sozialer Konflikte zwischen mächtiger Elite und unterdrückter Masse. Die Macht der Technologie zuzuschreiben führe in die Irre. Nicht Rundfunk und Fernsehen, sondern der Konsum von und Reklame für massenhaft produzierte Waren wirke systemerhaltend. Ungleichheit werde nicht eliminiert, wenn »der Arbeiter und sein Chef sich am selben Fernsehprogramm vergnügen [...] wenn sie alle dieselbe Zeitung lesen« vielmehr würden bestehende Verhältnisse konserviert.179 Mit dem Begriff der »konsumgeleiteten Industriegesellschaft«180 führt der französische Philosoph Henri Lefebvre den von ihm beobachteten gesellschaftlichen Wandel (vor allem in Frankreich) auf den Zusammenhang von Wirtschaft und individueller Lebenspraxis der Nachkriegsgesellschaft zurück. Angeregt von dem Erfolg der Pariser Besuchermesse für Haushaltsgeräte Le Salon des arts ménagers, die in den 1950ern jährlich bis zu 1,4 Mio. Besucher verzeichnete, erhebt Lefebvre neben dem Ökonomischen das Alltägliche zur wesentlichen Kategorie innerhalb kapitalistischer Systeme. Die ökonomisch-technologische Ordnung werde im Alltag domestiziert, doch gehe nicht darin auf. Die Domestizierung erzeuge einen Widerspruch zwischen alltäglichem passivem Konsum einerseits und krea-

177 Vgl. Marcuse, Herbert (1967): Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied, Berlin, S. 21ff. 178 Ebd., S. 27f. 179 Ebd., S. 28. 180 frz. société industrielle de consommation dirigée vgl. Lefebvre, Henri (1968): La Vie quotidienne dans le monde moderne, Paris.

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tiver Aktivität andererseits. Dass Kühlschränke, Heizungen, Elektrizität, Wasser- und Gasversorgung für den häuslichen Gebrauch genutzt würden, sei nichts Neues. Neu sei hingegen, dass die Technologie eine neue Qualität erreicht habe und dass die Hochtechnologie in Form technischer Spielereien (frz. gadgets) in den Alltag eindringe. Konsumiert werde nicht die Technik, sondern technizistische Zeichen, deren Bezug zur gesellschaftlichen Realität immer nur fiktional oder imaginär sein könne, aber für rational gehalten werde.181 Obwohl an der französischen Gesellschaft expliziert, hätten diese Entwicklungen auch in anderen Gesellschaften beobachtet werden können. Da seine französischen Landsleute sich anstrengten, die Amerikaner nachzuahmen, liege nahe, dass das Phänomen verallgemeinerbar sei, so Lefebvre. Mit der Frage, ob Werbung nicht als herrschende Ideologie der Zeit anzusehen sei, spitzt Lefebvre seine Beobachtung der Konsumgesellschaft zu. »[I]s it [advertising] not the first of consumer goods and does it not provide consumption with all its paraphernalia of signs, images and pattern? Is it not the rhetoric of our society, permeating social language, literature and imagination with its ceaseless intrusions upon our daily experience and our more intimate aspirations?182

Werbung habe die Kunst und andere Kommunikationsmodi ersetzt und sei zum unersetzlichen Medium der sozialen Wirklichkeit geworden, d. h. des Alltagslebens mit all seinen Objekten, wie Nahrungsmittel, Kleidung und Einrichtungsgegenständen. Für den britischen Soziologen Mike Featherstone markieren die Konsumkultur und die für die neuen Kommunikationsmedien charakteristische Einebnung neuer Technologien mit Informationen den Bruch der Postmoderne mit der Moderne. »It is this order of change that has been detected in the writing of Baudrillard, Lyotard and, to some extent, Jameson (Kellner, 1988). Both Baudrillard and Lyotard assume a movement towards a post-industrial age. Baudrillard (1983a) stresses that new forms of technology and information become central to the shift from a produc-

181 Lefebvre, Henri (1971): Vers le cybernanthrope, Paris. 182 Vgl. Lefebvre, Henri (2016): Everyday Life in the Modern World, London., S. 55.

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tive to a reproductive social order in which simulations and models increasingly constitute the world so that the distinction between the real and appearance becomes erased. Lyotard (1984) talks about the postmodern society, or postmodern age, which is premised on the move to a post-industrial order.«183

Die Konsumkultur bilde »a new social totality«184 mit eigener Organisationstruktur, in der nicht darum geht zwischen Wirklichkeit und Illusion unterscheiden zu können. Die Konstruktion und Simulation der Wirklichkeit ist immerschon Voraussetzung bzw. wird als gestaltbar angenommen. Computertechnologie nimmt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle ein, da sie das Mittel ist, mit dem mögliche Zukunftsmodelle von Gesellschaft simuliert, berechen- und kontrollierbar werden. Mit dem Versprechen von der Verwirklichung von »dreams of abundance, which was central to twentieth-century American society« stellt das PC-Dispositiv die Antwort auf eine »era of scarcity«, die die Gesellschaft hinter sich lassen wollte.185 Der PC ist konsumierbares technologisches Produkt, das dem Wachstumsfetisch kapitalistisch organisierter Gesellschaften gerecht wird und zugleich bildet er den allgemeinen Zugang zur Performativität simulierter Realitäten. Die umfassende Wirkung des Dispositivs ist in Hinblick auf die Informationsgesellschaft und neue Kommunikationsformen, die später die globale Vernetzung durch das Internet mit sich brachte, dass Arbeit und Konsum nicht notwendigerweise mit der Erzeugung und dem Verbrauch materieller Güter zu tun haben.186 Das Dispositiv eröffnete ein neues Feld der Wertschöpfung und des Wachstums durch den potentiell unbegrenzten Konsum von Informationen.

183 Featherstone, Mike (1991): Consumer Culture and Postmodernism, London, Newbury Park CA. 184 Ebd. S.3. 185 Ebd. S. xxii. 186 Zum Begriff immaterieller Arbeit vgl. Lazzarato, Maurizio (1996): »Immaterial labor«, in: Virno, Paolo; Hardt, Michael: Radical Thought in Italy: A Potential Politics, Minneapolis, S. 142-157.

Technologische Schließung: Das Heimischwerden von Computertechnologie

Silicon Valley Geburtsort des Personal Computer-Dispositivs

In der Nachkriegszeit und mit der Durchsetzung des amerikanischen Fortschrittsideals erlebten die USA einen Boom des Elektronikmarktes, der sich unter anderem der Verwertung der Automatisierungs-, sowie der Computer- und Nachrichtentechnik in der Konsumgüterindustrie verdankt und der zukunftsorientierten Forschung. Die führenden Industrie- und Wissenschaftsstandorte für Spitzentechnologie entlang der Route 128 an der Ostküste und im später so genannten Silicon Valley an der Westküste wurden zu Emblemen des aufblühenden neuen Marktes. Neue mikroelektronische Technologien fesselten die öffentliche Aufmerksamkeit und zogen Wissenschaftler, Angestellte und Arbeiter aus dem ganzen Land an.1 Das Wirtschaftswunder versprach materiellen Wohlstand. Dies war und ist in der amerikanischen Gesellschaft Bedingung für die Ausübung des individuellen Rechts, nach Glück zu streben. Der in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verankerte Grundsatz ist tief mit der calvinistischen Lehre einer tugendhaften Lebensführung verwurzelt.2 Dass die calvinistische

1

Vgl. Saxenian:Regional Advantage. Culture and Competition in Silicon Valley and Route 128 (1994).(1994); Kenney: Understanding Silicon Valley; Freiberger, Paul; Swaine, Michael (1984): Fire in the Valley. The Making of the Personal Computer, Berkely CA.

2

»We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.– That to secure these rights, Governments are instituted among Men, deriving their just powers from the consent of the governed, – That whenever any Form of Government becomes

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Heilslehre und die damit verbundene methodische Lebensführung konstitutiver Bestandteil des modernen kapitalistischen Geistes sei, geht auf eine These Max Webers zurück, nach der es »bestimmte Wahlverwandtschaften zwischen gewissen Formen des religiösen Glaubens und der Berufsethik«3 gibt, die Weber während einer USA-Reise zu Beginn des 20. Jahrhunderts in nahezu idealtypischer Weise vorzufinden glaubte. Weber verfasste seine Abhandlung nach dieser Reise, während derer ihn besonders »die protestantischen Sekten, die Organisation der politischen ›Maschinerie‹, die Bürokratisierung in den USA, die Präsidentschaft und die amerikanische politische Struktur überhaupt« beeindruckt hatten.4 »Als Studie zur Wirtschaftsgeschichte« so schreibt der amerikanische Soziologe Richard Sennet in Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus stecke Webers Abhandlung »voller Irrtümer« und er moniert, Weber habe »seltsamerweise jede Betrachtung des Konsums als treibende Kraft des Kapitalismus« umgangen. Luc Boltanski und Ève Chiapello gehen noch einen Schritt weiter als Sennett und markieren den Beginn einer neuen Phase des kapitalistischen Geistes mit dem Erscheinen der neuen Informationstechnologien.5 Die Autor:innen unterscheiden zwischen drei historischen Phasen des kapitalistischen Geistes: Die erste Phase verdichtet sich ihnen zufolge am Ende des 19. Jahrhunderts in der Figur des Unternehmers. In der zweiten Phase, die ihren Höhepunkt in den Jahren zwischen 1930 und 1960 erreicht, verschiebt sich der Schwerpunkt vom einzelnen Unternehmer auf die großen Konzerne und deren bürokratische Apparate. Die dritte Phase des globalen

destructive of these ends, it is the Right of the People to alter or to abolish it, and to institute new Government, laying its foundation on such principles and organizing its powers in such form, as to them shall seem most likely to effect their Safety and Happiness.« Auszug aus der Declaration of Independence aus dem Jahr 1776. 3

Vgl. Weber, Max; Weber, Marianne (1988): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen, S. 83.

4

Käsler, Dirk (1995): Max Weber. Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung, Frankfurt am Main, S. 27.

5

Vgl. Boltanski, Luc; Chiapello, Ève (2003): Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz.

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Kapitalismus eröffnet die Produktivität, die neue Informationstechnologien und -systeme ermöglichen.6 Unter dem neuen Geist des Kapitalismus verstehen die Autor:innen die Ideologie, die den Kapitalismus zu Moral verpflichte und ihn damit rechtfertige. Weil der Kapitalismus seine Existenz auf dem libertären Prinzip der Freiwilligkeit begründe, müsse die kapitalistische Ideologie moralische Kritik wie etwa die Frage nach Gerechtigkeit in sich aufnehmen, damit das kapitalistische Prinzip der Akkumulation, das per se amoralisch sei, reibungslos fortgeführt werden könne. Kapitalismuskritik werde so selbst zur konsumierbaren Ware, aus der die kapitalistische Ideologie immer wieder neues Kapital schlagen könne. In einem Essay über den Einfluss der Medienkritik McLuhans portraitiert Wolfe implizit jenen neuen Geist des Kapitalismus: »But what if – large corporations were already trying to put McLuhan in a box. Valuable! Ours! Suppose he is what he sounds like, the most important thinker since Newton, Darwin, Freud, Einstein, and Pavlov, studs of the intelligentsia game – suppose he is the oracle of the modern times – what if he is right? – he’ll be in there, in our box. [...] When IBM discovered that it was not in the business of making office equipment or business machines – but that it was in the business of processing information, then it began to navigate with clear vision. Yes. Swell! But where did this guy come from? What is this – cryptic, Delphic saying: The electric light is pure information. Delphic! The medium is the message. We are moving out of the age of the visual into the age of the aural and tactile… It was beautiful. McLuhan excelled at telling important and apparently knowledgeable people they didn’t have the foggiest comprehension of their own bailiwick. … He seemed far, far beyond that game, out on a threshold where all the cosmic circuits were programmed.«7

Während sich die großen Konzerne fragten, ob sich mit McLuhans Theorie neue Märkte für Technologie erschließen ließen, beschäftigte sich auch eine

6

Vgl. ebd., S. 54 ff.

7

Wolfe: What If He is Right?, S. 109ff..

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intellektuelle amerikanische Elite, die sich in San Francisco sammelte, mit den medientheoretischen Überlegungen McLuhans, wie Wolfe anekdotisch an einer Begegnung des Literaturprofessors mit einer zentralen Figur der Werbebranche nachspielt. Howard Gossage, oder der »Sokrates von San Francisco«, der als Texter Werbemacher auf der ganzen Welt beeinflusst haben soll, leitete eine Agentur in einer alten Feuerwache. In den 1960ern war das Firehouse eine Art kalifornischer Salon, in dem sich Intellektuelle wie Buckminster Fuller und John Steinbeck die Klinke in die Hand drückten.8 Wolfe schreibt Gossage zu, McLuhan zur Ikone seiner eigenen Theorie gemacht und ins Business des globalen Marktes eingeführt zu haben. Wolfe spitzte seine Anekdoten zu geschriebenen Karikaturen zu und legte damit einerseits offen, dass die neuen Informationstechnologien und die aufkeimende Informationsgesellschaft keineswegs ideologiefrei oder neutral waren. Andererseits wird deutlich, dass sich der inhärente Widerspruch zwischen individueller Freiheit und Akkumulation oder Kontrolle nicht aufhebt, wie die hier skizzierte Begegnung zwischen den Vertretern der Industrie und dem Medientheoretiker deutlich macht. Wolfe veranschaulichte damit, was Boltanski und Ciapello als »soziale Konflikte« bezeichnen, die die Einführung und zunehmende Verbreitung der Computertechnologie hervorbrachte und die im ersten Kapitel dieser Arbeit auch als technologische Öffnung bezeichnet wird. So sei auffällig, wie die Kritik an der hierarchischen Ordnung der 1960er und 1970er Jahre und ihren Kontrollmechanismen, die Entwicklung von Technologien vorwegnahm, die »effective remote control in real time«9 ermöglichte. Neben der Frage, wie der technologische Fortschritt am Laufen gehalten werden könne, um den Wohlstand zu sichern, beschäftigte nämlich ein weiteres Thema die amerikanische Öffentlichkeit: der Kalte Krieg und wie dieser kontrolliert werden könne. Die Angst vor einem Angriff auf die USA war immer präsent. Das Verteidigungsministerium stellte große Etats für die technologiesche Forschung zur Verfügung, um die amerikanischen Grundwerte gegen die kommunistische Bedrohung zu verteidigen.

8

Vgl. Gossage, Howard Luck (2006): The Book of Gossage. A Compilation, Chicago; sowie Harrison, Steve (2012): Changing the World Is the Only Fit Work for a Grown Man, London.

9

Boltanski, Luc; Chiapello, Ève (2007): The New Spirit of Capitalism, New York, London, Preface to the Englisch Edition, S. xxii.

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In diesem Zusammenhang sei auf die Entwicklung des Internet im Rahmen der Förderaktivitäten der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) verwiesen. Auch Engelbarts AHI Projekt, sowie wurde von der DARPA gefördert. Die Agentur war Präsident Eisenhowers Antwort auf den Satelliten Sputnik 1, den die sovietische Großmacht 1957 auf die Erdumlaufbahn geschickt hatte. Zur Feier ihres 25-jährigen Bestehens ließ die Agentur verlauten: »The agency charter then, as today, ist o engage in, arrange fort he performance of, and supervise work, connected with advanced research projects assigned by the Secretary of Defense and to keep the Secretary of Defense, the Under Secretary for Research and Engineering, the Joint Chiefs, and the Military Departments informed, as appropriate, on significant new developments, breakthroughs and technological advances within assigned projects.«10

Für die meisten Amerikaner:innen hatte der Krieg nie aufgehört und der nicht endenwollende Vietnamkrieg rief spätestens seit den 1960er Jahren gesellschaftlichen Widerstand hervor. Schon 1957 notierte der damals 19jährige Collegestudent Stewart Brand in seinem Tagebuch: »Wenn es denn zum Kampf kommt, werde ich kämpfen. Und ich werde für etwas kämpfen. Nicht für Amerika, oder für die Heimat, oder für Präsident Eisenhower, oder für den Kapitalismus; nicht einmal für die Demokratie. Ich werde für den Individualismus kämpfen und für die persönliche Freiheit. Wenn ich schon ein Narr sein soll, dann wenigstens meine eigene Art von Narr – ganz und gar anders als andere Narren. Ich werde gegen alles ankämpfen, was mich zur bloßen Nummer machen will – und ich werde diesen Kampf gegen mich selbst genauso führen wie gegen andere.«11

10 Defense Advanced Research Projects Agency (Hg.) (1983): 25 Years of Leadership in Military Technology. 1958 – 1983, Arlington VA. 11 zitiert nach Turner, Fred (2008): »Marshall McLuhan, Stewart Brand und die kybernetische Gegenkultur«, in: Derrick de Kerckhove (Hg.): McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Bielefeld, S. 105-116, S. 106.

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Bevor Brand mit dem Whole Earth Catalog, der ab 1968 erschien, zum Wortführer einer Bewegung wurde, die später zum ideologischen Überbau der Cyberculture wurde,12 hatte er sich Ken Kesey und den Merry Pranksters angeschlossen, die mit den so genannten Acid-Tests – Happenings und oft auch musikalische Events, die mit der kollektiven Einnahme von LSD verbunden wurden – von der San Francisco Bay aus durch die USA tourten.13 Auf Antikriegsevents stellte sich Kesey, der eingeladen wurde, um Reden zu halten, vor das Publikum und forderte es auf, nach Hause zu gehen, um von dort aus neue bessere Welten zu gründen. Wie viele Linksliberale seiner Zeit und umgeben von der wachsenden Computerindustrie im Silicon Valley standen Kesey und Brand für einen neuen Zeitgeist, der sich zur Aufgabe machte, Großtechnologien aufzugreifen, um sie anders, um sie für sich selbst zu nutzen. Es gab keinen Grund, sich von der Technologie abzuwenden, sie zu verteufeln oder Angst vor ihr zu haben, die Leute könnten selbst bestimmen, wie sie zu gebrauchen sei.14 Brands Tagebucheintrag macht deutlich, dass der politische Gegner seinerzeit nicht jenseits der Landesgrenzen zu finden war, sondern dass sich das gesellschaftliche Individuum aus der Sicht gegenkultureller, aber auch bürgerrechtlicher Bewegungen mitunter selbst an der Realisierung seiner unveräußerlichen Rechte hinderte. Die nonkonformistischen Gegenkulturen der 1960er und 1970er Jahre protestierten gegen Krieg, Wohlstandsideale, gegen gesellschaftliche Zwänge oder Verbote und kämpften für den Schutz ihrer unveräußerlichen individuellen Rechte, allen voran das Recht auf Selbstbestimmtheit. Die als Bigotterie, Doppelmoral, Scheinheiligkeit wahrgenommene Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und ihrer Verwirklichung war die gesellschaftskritische Schnittmenge einer Vielzahl von Gegenbewegungen, die jeweils unterschiedliche Modelle von Alternativgesellschaften entwarfen und auch lebten, und die der Whole Earth Catalog adressierte. Etwa 80 % des Inhalts des Whole Earth Catalogs bestanden in Buchempfehlungen. 1972 legte das Forschungszentrum Xerox PARC eine Bibliothek an, bestehend aus den im Whole Earth Catalog empfohlenen Büchern.

12 Vgl. Turner: From Counterculture to Cyberculture (2006). 13 Vgl. Wolfe, Tom (1972): The Electric Kool-Aid Acid Test, New York. 14 Vgl. Turner: From Counterculture to Cyberculture (2006).

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Der erste Katalog wurde als eines der Pilotprojekte des Portola Institute in Menlo Park (CA) veröffentlicht. Das Institut war ein gemeinnütziger Verein zur Förderung innovativer Bildungsprojekte. Das von Brand geleitete Projekt WHOLE EARTH TRUCK STORE and CATALOG sollte den Zugang zu »tools for self-dependent self-education, individual or cooperative« verbessern. »The TRUCK STORE and CATALOG carries items (products, services, techniques) useful in the following ways:

• • • • • •

Understanding whole systems Design techniques and materials; Shelter and land use (including hand agriculture) Industry and craft Nomadic techniques and materials Learning techniques and materials«15

Der Katalog sollte Listen von Büchern und Dingen zu den aufgeführten Rubriken beinhalten und Hinweise darauf, wo diese zum niedrigsten Preis zu erstehen waren. Bis auf wenige Produkte, die im TRUCK STORE selbst erhältlich waren, sollten keine Bestellungen über den Katalog gemacht werden. Verlage oder Produzenten der gelisteten Bücher und Dinge konnten für die von der Redaktion ausgewählten Produkte Werbeplätze kaufen. Der Katalog sollte zweimal im Jahr im Frühjahr und Herbst erscheinen und für 5 US-Dollar pro Ausgabe oder 8 US-Dollar pro Jahr erhältlich sein. Falls es die Nachfrage erlaubte, sollten regelmäßig Beihefte für die Lesegemeinde mit interessanten Meldungen und vorläufigen Produktlisten erscheinen, die Abonnenten umsonst bekamen. Der erste Katalog war schließlich in sieben Rubriken unterteilt, die als wertvoll und nützlich für Selbstversorger galten: Understanding Whole Systems, Shelter and Land Use, Industry and Craft, Communications, Community, Nomadics, Learning. Der Inhalt reichte von Buchbesprechungen philosophischer Texte über Bauanleitungen für Gewächshäuser und die neueste Forschung zur Nutzung von Solarenergie, sowie Kaufempfehlungen für Kochbücher, die neuesten

15 Dokument aus der Sammlung: Stewart Brand papers, 1954-2000, Stanford University Library, Manuscripts Division Sammlung, M1237, Box 6.

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Angler- und Jagdkataloge bis hin zu Design-Magazinen, auch neue nützliche Kommunikationstechnologien wurden vorgestellt und beworben.16 Gegenkulturen formierten sich zwar im ganzen Land, doch im Silicon Valley verschmolzen sie auf besondere Weise mit der dort angesiedelten Computerforschung und -industrie. Es ging nicht darum, die Regierung oder Institutionen zu ändern, sondern darum, das Bewusstsein der einzelnen Menschen zu transformieren. Der Whole Earth Catalog war eine Ermutigung zur Selbstermächtigung und zur Selbstversorgung, zur nachhaltigen Lebensführung und alles, was dabei half, war erlaubt. Der Katalog wurde als Werkzeug, als Baukasten des Denkens, als »Zeigegerät«, als Handbuch für einen informierten, individualisierten Lifestyle verstanden17 und ist heute unter anderem ein Archiv, das belegt, dass im Valley neue Technologien mit beispielloser Euphorie aufgenommen wurden und damit experimentiert wurde. Brand verglich die bewusstseinsverändernden Zustände unter dem Einfluss von psychoaktiven Substanzen mit den bewusstseinserweiternden Erfahrungen, die er im Umgang mit Computern machte: »Ready or not, computers are coming to the people. That’s good news, maybe the best since psychedelics.« schrieb Brand in seinem 1972 im Rolling StoneMagazin erschienenen Portrait »Fanatic Life and Symbolic Death Among the Computer Bums« über Hacker, Programmierer eines neuen Typs, die sich nicht den Vorstellungen und Anordnungen ihrer Vorgesetzten unterordneten, sondern sich in ihrer Arbeit mit der Maschine treiben ließen und ihr Leben mit den Geräten verbrachten. »A young science travels where the young take it. The wiser computer research directors have learned that not trusting their young programmers with major responsibility can lead immediately to no research.«18

Noch im selben Jahr erhielt Brand über die Redaktion des Rolling Stone eine kritische Reaktion auf seine Darstellung der unter anderem von der

16 Vgl. Portola Institute (Hg.) (1968): Whole Earth Catalog, Herbst (1968), http://www.wholeearth.com/issue-electronic-edition.php?iss=1010. 17 Vgl. auch Enzensberger, Hans Magnus (1970): »Baukasten zu einer Theorie der Medien«, in: Kursbuch 5/20 (1970), S. 159-186; sowie Rheingold: Tools for Thought; Turner: From Counterculture to Cyberculture (Vortrag 2013). 18 Brand: Fanatic Life and Symbolic Death Among the Computer Bums, S. 50.

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ARPA geförderten Forschungseinrichtungen und deren Mitarbeitern, die er portraitiert hatte. Ein Informatiker, der bei IBM in Cambridge (Massachusetts) forschte und nur mit dem Pseudonym The Bitsmith unterzeichnete, bedankte sich in einem Leserbrief für Brands Beitrag »since the computer mystique persists and any debunking of the threat myths is worthy of print«.19 Doch er habe auch andere Erfahrungen in diesem »particular computer milieu« machen müssen. »ARPA is not at all sweetness and light«, auch wenn Programmierer sich dort auf Kosten des Staates austoben könnten. Trotzdem habe man es auch mit »less progressive elements« der Regierung zu tun, die diesen Fortschritt lenkten. »Any tool specialist ought to recognize that the final decision on that matter lies with he who holds the tool« gibt der Autor des Briefes zu bedenken.20 Bitsmith stellte genau die Freiheit und Unabhängigkeit in Frage, die Brand und seine Mitstreiter im Silicon Valley zu finden glaubten und feierten. Für die Gestaltung der Zukunft, für den Fortschritt wurden ökonomische und auch politische Abhängigkeiten im Silicon Valley konsequent geleugnet, ignoriert oder aber ausgenutzt. Dass dies nicht für die gesamten USA galt, macht die Darstellung des amerikanischen Historikers Thomas Frank der Sixties als Trauma der Konservativen deutlich. Besonders im »white suburban Midwest« waren diese Zeiten noch bis in die 1990er verpönt. »[M]ere mention of hippies or ›the sixties‹ is capable of arousing in some quarters an astonishing amount of rage against what many still imagine to have been an era of cultural treason.« Auch der Vergleich mit Gomorrha wurde nicht gescheut.21 Ungeachtet davon, ob dies begrüßt oder skeptisch beobachtet wurde, erreichte die Produktivität des Silicon Valley in den 1970ern einen neuen Höhepunkt, da militärisch geförderte Forschung, Computerindustrie und technikaffine Kommunen in unterschiedlicher Art und Weise kooperierten, sich austauschten und den Fortschritt vorantrieben. Seien es Wissenschaftler, die zu künstlicher Intelligenz forschten und nach Lösungen suchten, die Informationsfluten zu bewältigen, seien es Hippies, die die eigene Versorgung – auch mit Informationen – sicher stellen wollten und den Umgang

19 Stewart Brand papers, 1954-2000, Stanford University Library, Manuscripts Division Sammlung, M1237, Box 6. 20 Ebd. 21 Frank, Thomas (1997): The Conquest of Cool. Business Culture, CounterCulture, and the Rise of Hip Consumerism, Chicago, S. 4.

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mit Computern als Bewusstseinserweiterung erfuhren, im Silicon Valley sammelten sie sich, und Computer schienen für alle Probleme Lösungen bereitzustellen. Wie Karl W. Deutsch 1980 in seiner kurzen Abhandlung Von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft bemerkt, produzierten die neuen elektronischen Kommunikationstechnologien eine Ambivalenz, die politische Differenzen überbrückte. Der Politikwissenschaftler war 1938 in die USA ausgewandert, wo er zur politischen Kybernetik und den Kommunikations- und Steuerungssystemen staatlicher Organisation forschte. Ambivalenz, für Deutsch ein anderes Wort für Informationsverlust, sei in den Prozess der Nachrichtenübermittlung bereits eingeschrieben. »Um eine Nachricht an einen bereits gewählten Empfänger zu senden, vollziehe der Sender mindestens sieben Auswahlentscheidungen«, von welchen der Nachrichtenkanal eigentlich nur eine, und zwar die Auswahl eines kognitiven Inhalts, übertrage. Sinnzusammenhang, Affektzusammenhang, Wertzusammenhang, Wirklichkeitsprüfung, Ich-Bezug, Intention seien nicht ausdrücklich in einer Nachricht enthalten und »aus dem Zustand des gedächtnislosen Informationskanals nicht abzulesen«.22 Nachrichten würden stets auf Basis individueller Erfahrung entschlüsselt. Auf die Informationsflut könne demnach sowohl mit Neugier, Passivität oder Ablehnung geantwortet werden. »Wir empfangen fast gleichzeitig Nachrichten von großmütigem nationalen Stolz und kleinlichem nationalen Egoismus, Nachrichten von Zukunftshoffnung und tiefem Pessimismus, von Rüstungswettläufen und Beteuerungen von Friedensliebe.«23

Während Deutsch auf die strukturelle Unmöglichkeit von Kommunikation als Verständigung anspielte, möchte ich die Produktivität der Ambivalenz hervorheben, die die sogenannte Informationsflut mit sich brachte und die als Bedingung für das Personal Computer-Dispositiv betrachtet werden muss, auch wenn sie ab Mitte der 1990er zu Recht als technolibertäre und hyperkapitalistische Ideologie kritisiert wurde.24 Was Deutsch in Anleh-

22 Vgl. Deutsch, Karl W. (1980): Von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft, Berlin, S. 7. 23 Ebd. 24 Darauf wird im Folgenden näher eingegangen. Vgl. Barbrook/Cameron: Californian Ideology; Borsook, Paulina (1996): »Cyberselfish«, in: Mother Jones

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nung an die Sozialpsychologie als kognitive Dissonanz problematisierte, glich dem Problem, das Bateson mit der mit der double-bind-Hypothese untersuchte und das Boltanski und Chiapello als sozialen Konflikt thematisieren. Bei Carolyn Marvin kehrt dieses Moment in der Bezeichnung kognitiver Imperialismus25 wieder. Dass Dissonanzen in der Wahrnehmiung oder politische Widersprüche durch Technologie verdeckt wurden, ist das zentrale Moment in der Geschichte des PC-Dsipositivs. Die vereinheitlichende Wirkung der Technologie war die Grundlage, auf der sich heterogene gesellschaftliche Positionen im Silicon Valley versammeln konnten, und auf der die Idee des Personal Computers gedieh und beworben wurde. Frank deutet in diesem Zusammenhang auf die mit der Werbung betriebene kapitalistische Ausbeutung des wachsenden technikaffinen Selbstverständnisses, das aus den gegenkulturellen Bewegungen hervorging. »Commercial fantasies of rebellion, liberation, and outright ›revolution‹ against the stultifying demands of mass society are commonplace almost to the point of invisibility in advertising, movies, and television programming. For some, Ken Kesey’s parti-colored bus may be a hideous reminder of national unraveling, but for CocaCola it seemed a perfect promotional instrument for its ›Fruitopia‹ line, and the company has proceeded to send replicas of the bus around the country to generate interest in the counterculturally themed beverage. Nike shoes are sold to the accompaniment of words delivered by William S. Burroughs and songs by The Beatles, Iggy Pop, and Gil Scott Heron (›the revolution will not be televised‹); peace symbols decorate a line of cigarettes manufactured by R. J. Reynolds and the walls and windows of Starbucks coffee shops nationwide; the products of Apple, IBM, and Microsoft are touted as devices of liberation; and advertising across the productcategory spectrum calls upon consumers to break rules and find themselves.«26

July/August (1996), http://www.motherjones.com/politics/1996/07/cyberselfish vom 06.03.2019; Dery, Mark (1997): Escape Velocity, Cyberculture at the End of the Century, New York; sowie Ders. Flame Wars. The Discourse of Cyberculture. 25 Vgl. Marvin: When Old Technologies Were New, S. 192 ff sowie S. 234ff. 26 Frank: The Conquest of Cool, S. 4.

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Auch wenn sie sich mitunter explizit gegen den Konsumzwang richtete, wurde die Ästhetik der Gegenkultur von den Konzernen nicht nur genutzt, um Produkte zu vermarkten, sondern auch, um diesen Produkten einen zeitgemäßen Anstrich zu verpassen. Konsum und freiheitliche Ideale mussten sich nicht zwingend widersprechen. Die Gegenkulturen hatten viele Amerikaner:innen mobilisiert. Wiederkehrendes Motiv der Gegenkulturen war die Aufforderung zur selbstbestimmten Gestaltung des individuellen Lebensraums. Der Whole Earth Catalog versorgte seine Leser:innen mit Informationen über den Zugang zu den neuesten Werkzeugen und Ideen, die für die Umsetzung dieses Ziels zur Verfügung standen, wie der Katalog mit dem Untertitel »access to tools« seit der ersten Ausgabe verspricht. Howard Rheingold, Mitstreiter Brands, spitzte diesen Ansatz mit seinem 1985 erschienen Tools for Thought auf Computertechnologie zu. »Nobody knows whether this will turn out to be the best or the worst thing the human race has done for itself, because the outcome of this empowerment will depend in large part on how we react to it and what we choose to do with it. The human mind is not going to be replaced by a machine, at least not in the foreseeable future, but there is little doubt that the worldwide availability of fantasy amplifiers, intellectual toolkits, and interactive electronic communities will change the way people think, learn, and communicate.«27

Der Whole Earth Catalog war nicht ausschließlich auf den Computer bezogen, sondern vielmehr auf einen neuen Lebenstil, und, wie Katie Hafner zusammenfasst, ein »ingeniously eclectic mix of tool recommendations, book reviews, essays, and illustrations culled from ‘60s counterculture«.28 Mit seiner Vision beschrieb Rheingold implizit das neue Projekt Brands und Larry Brilliants The WELL (Whole Earth ‘Lectronic Link). Als The Well 1985 zum ersten Mal online ging, bestand es aus einem VAX Computer und einigen Modems in einer Baracke in Sausalito (CA), an welchem eine Gruppe von »baby boomers in their late 30s and early 40s, smart and left-

27 Rheingold: Tools for Thought, überarbeitete Version online http://www. rheingold.com/texts/tft/index.html vom 06.03.2019. 28 Hafner, Katie (1997): »The Epic Saga of the Well«, https://www.wired. com/1997/05/ff-well/ vom 06.03.2019.

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leaning without being self-consciously PC, mostly male, many with postgraduate degrees« arbeitete. Für eine Weile war das Forum ein »intimate gathering« für Diskussionen, für die die Beteiligten nicht in ein und demselben Raum sein mussten. The Well versteht sich heute als der Prototyp von online communities, wird aber in diesem Zusammenhang als Beispiel der Ideologie der wachsenden Informations- und Netzwerkgesellschaft herangezogen. In ihrer Darstellung der Entwicklung der Kommunikationsplattform charakterisiert Hafner The Well als »Vorboten« sowohl bedingungsloser Begeisterung als auch verheerender Befürchtungen »that arise on the Net over the uses of electronic networks and virtual dialogs, free speech, privacy, and anonymity.«29 The Well war ein Beispiel für die Produktivität, bestehend aus Risikobereitschaft, Unternehmergeist und technologischer Weitsicht, die das Silicon Valley kennzeichnete. »In truth, though, as with many great inventions, The Well was mostly the product of creative accident. It wasn’t carefully designed or planned; it was born of a single idea, and then nurtured by a multitude of competing intellectual visions. Perhaps most intriguing, it began more as a social experiment than as a business proposition. In later years, this resulted in a great deal of confusion and conflict over The Well’s goals. Its destiny, meanwhile, would come to hinge on the still-unanswered question: Can you build a community and a business as one and the same?«30

Wie aus Hafners Zusammenfassung hervorgeht, wuchs mit der Gemeinschaft nicht nur die Produktivität. Es wuchs auch die Uneinigkeit über das Selbstverständnis der Community, da The Well zum Vorbild kommerzieller Netzwerke wurde, von welchen sich einige Mitglieder lieber abgrenzen wollten. Hafner macht damit auf einen Widerspruch aufmerksam, den der freie Zugang zur Computertechnologie und der Fortschrittsimperativ mit sich brachten und der nicht nur bei The Well zu beobachten war, sondern der boomenden Computerbranche inhärent war und ist. Dieser Widerspruch wurde von Richard Barbrook und Andy Cameron als Californian ideology, von Paulina Borsook in ihrem Artikel »Cyberselfish« als technolibertarianism, von Mark Dery in seinem Buch Escape Velocity (dt. Fluchtgeschwindigkeit) in Anlehnung an Buckminster Fuller als ephemeralization be-

29 Ebd. 30 Ebd.

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schrieben. Die Autor:innen kritisierten eine sich verbreitende Ideologie, in welchem der Zugang zu Computertechnologie irrtümlich mit individueller Freiheit gleichgesetzt und ökonomisches Wachstum mit technologischem Fortschritt verwechselt wurde. »The giddy speedup of postwar America is almost entirely a consequence of the computer, the information engine«, so bemerkt Dery in seiner Einleitung zu Escape Velocity, in dem er sich der aufblühenden Cyberkultur seit Mitte der 1980er widmet. Ver- und Bearbeitung von Symbolen an Computern ersetzten heute die industrielle Fertigung, so Dery. Nicht die öffentliche Gesundheit oder Autos, sondern Unterhaltung und Erholung verzeichneten seinerzeit das größte Wachstum. Die immateriellen Waren der Informationsökonomie dominierten den amerikanischen Binnenmarkt, nach der Flugzeugindustrie bringe die amerikanische Filmindustrie den höchsten Handelsüberschuss ein.31 »By the late seventies, computers were a fixture in most businesses and growing numbers of consumers were buying home computers such as the Apple II, the TRS80, and the Commodore PET. Even so, it has been just over a decade since the computer revolution moved beyond the esoteric subcultures of researchers and hobbyists to become a mass culture phenomenon […].«32

Für Dery ist die massenhafte Verbreitung von Computertechnologie in Form des PCs der Abschluss einer gesellschaftichen Transformation. Sie bildet, so lässt sich in Anlehnung an Boltanski und Chiapello folgern, eine Voraussetzung für den global und in Echtzeit operierenden Kapitalismus und seine Datenströme. In ihrem Pamphlet aus dem Jahr 1995 charakterisierten Cameron und Barbrook, beide Vertreter des Hypermedia Research Centre der School of Communication and Creative Industries an der Westminster University, die von ihnen diagnostizierte und von Stewart Brand, Howard Rheingold und ihren Mitstreitern repräsentierte kalifornische Ideologie als einen Nexus aus Kybernetik und wirtschafts- sowie linksliberalen Ideen. Großen Anteil habe die Theorie McLuhans, der in den elektronischen Medien die Möglichkeit individueller Ermächtigung sah, aber, wie Cameron und Barbrook ver-

31 Dery: Escape Velocity, S. 3ff. 32 Ebd.

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schweigen, den Medien weder gute noch schlechte Absichten unterstellte. Auf jeden Fall aber markierten elektronische Medien einen qualitativen Unterschied, insofern sie als Alltagstechnologien in den Händen von Millionen von Konsument:innen lagen, und McLuhan war einer der wenigen Theoretiker seiner Zeit, der diesen qualitativen Wandel als Möglichkeit für sozialpolitischen Wandel beschrieb und betrachtete. Zweifelsohne popularisierte McLuhans Medientheorie die Vorstellung von einer anderen sozialen Realität und ermutigte damit »West Coast radicals«, die neuen Informationstechnologien »for the alternative press, community radio stations, homebrew computer clubs and video collectives«33 zu nutzen. Der technologische Optimismus der Gegenkulturen im Silicon Valley, den Barbrook und Cameron später als einen wesentlichen Aspekt der Ideologie der Informationsgesellschaft kritisierten, war in den 1970ern bis in die 1980er die produktive Kraft für neue Entwicklungen in der Computerindustrie und Grundlage für die personal-computing-Forschung. In den 1990ern habe schließlich der professionelle Handel mit Hochtechnologie die Pionierarbeit der früheren Computeraktivist:innen marginalisiert und »some of these exhippies had even become owners and managers of high-tech corporations in their own right«34. Als die Journalistin Paulina Borsook Anfang der 1980er ihren ersten Job in einem Software-Unternehmen im Silicon Valley annahm, war sie schockiert. »Although the technologists I encountered there were the liberals on social issues I would have expected (prochoice, as far as abortion; prodiversity, as far as domestic partner benefits; inclined to sanction the occasional use of recreational drugs), they were violently lacking in compassion, ravingly antigovernment, and tremendously opposed to regulation. These are the inheritors of the greatest government subsidy of technology and expansion in technical education the planet has ever seen. […] In a decentralized community where tolerance and diversity are the norm […], it is damned peculiar that there seems to be no place for political points of view other than the libertarian.« 35

33 Barbrook/Cameron: Californian Ideology. 34 Ebd. 35 Borsook: Cyberselfish.

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Borsook machte auf den Widerspruch aufmerksam, der sich im Hightechlibertarismus der kleinen Region zuspitzte. Sie betrachtete die Vertreter dieser Ideologie als Nutznießer der Computerindustrie, die leugneten, dass staatliche Eingriffe in irgendeiner Weise ihr Geschick mitbestimmten. Der einzige Maßstab, nach dem sich diese Leute richteten, sei der Markt. »They decry regulation except without it, there would be no mechanism to ensure profit from intellectual property, without which entrepreneurs would not get their payoffs, nor would there be equitable marketplaces in which to make their sales. […] This passionate hatred of regulation, so out of whack with the opinions of the man and woman on the street in my own bioregion/demographic, showed me how different a place the online, high-tech world is from the terrestrial community to which it is nominally tethered even an online world with countercultural roots as strong as those of The Well.«36

Borsook thematisiert damit, was heute allgemein digital divide genannt wird, und womit Ungleichheiten zwischen sozialen Gruppen hinsichtlich ihres Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien bezeichnet werden. In der Kritik der 1990er Jahre, wie sie Dery, Barbrook, Cameron oder Borsook äußerten, drückte sich die Enttäuschung aus, dass das Versprechen »computers for the rest of us«, mit dem Unternehmen der Personal-Computer-Industrie wie Apple Inc. knappe 15 Jahre zuvor angetreten waren, und das der Personal Computer verkörperte, nicht eingelöst worden war. Abgesehen davon, dass Mitte der 1990er Jahre nicht alle Menschen einen PC besaßen, wurde deutlich, dass der Besitz eines solchen Gerätes nicht soziale Ungerechtigkeiten zu beseitigen vermochte. In dem Maße, in dem sich Informationstechnologien und Kommunikationstechnologien verbreiteten, wuchs die Macht derer, die über das ökonomische Kapital verfügten, sie mit viel Profit zu vermarkten und im wesentlichen die Bedingungen für den Zugang zur Technologie zu bestimmen. Die hier zitierten Positionen kritisieren eine libertäre Ideologie und nicht die Idee des Personal Computers oder die Verbreitung von Informations- und Kommunikationsmedien. Vor allem Mark Dery hob die kritische Funktion neuer kultureller Formen hervor, die mit dem Gebrauch von Computertechnologie einhergehen. Die Frage, ob neue Technologien Me-

36 Ebd.

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dien der Repression oder der Befähigung, der Mitbestimmung seien, kann für Frank nie abschließend beantwortet werden. Für Frank konzentriert sich diese Frage in dem feministischen Ansatz, den Donna Haraway in »Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980s«, das 1985 erstmals in Socialist Review veröffentlicht, vertrat.37 Der Feministin und Wissenschaftshistorikern bereitete diese Frage, die ihr politisches Schreiben bestimmt, Unbehagen und Lust zugleich, weil darin der unlösbare Konflikt zweier widersprechender Wahrheiten sichtbar gemacht werden kann: Die unumgängliche Kontingenz der Natur als Objekt von Wissenschaft einerseits und die unumgängliche historische Wirklichkeit wissenschaftlicher Diskurse andererseits. »No scientific account escapes being story-laden, but it is equally true that stories are not equal here. Radical relativism just won’t do as a way of finding your way across and through these terrains.«38

Nicht nur formuliert Haraway mit ihrem Manifest eine technikphilosophische These, sie betont auch die Situiertheit jeder technologischen Entwicklung. Haraways Cyborg-Figur, ein Hybrid aus Maschine und Organismus, kann somit selbst als Teil des technologischen Diskurses des Personal Computer-Dispositivs gelesen werden, in dem Computertechnologie Teil der gelebten sozialen Realität geworden ist. Die kulturellen Formen und Fiktionen, die der Cyborg-Mythos projiziert, sind für Haraway politische Konstruktionen. Vor diesem Hintergrund kann das Heimischwerden der Computertechnologie als Prozess der Naturalisierung betrachtet werden, mit der reale Widersprüche letztlich verschleiert werden, weil der Umgang mit Computertechnologie alltäglich geworden ist. Brands Aussage »Ready or not, computers are coming to the people«39 kann, wie der Titel des Bandes II Cybernetic Frontiers, in dem der Artikel »Fanatic Life and Symbolic Death Among the Computer Bums« als Feststellung oder Aufforderung zum Aufbruch in das kybernetische Zeitalter gelesen werden. »Bereit oder nicht« bedeutete schließlich, dass das

37 Vgl. Haraway: Manifesto for Cyborgs. 38 Penley, Constance; Ross, Andrew; Haraway, Donna (1990): Cyborgs at Large. Interview with Donna Haraway, in: Social Text (25/26), S. 8. 39 Brand: Fanatic Life and Symbolic Death Among the Computer Bums, S. 39.

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Computerzeitalter bereits begonnen hatte. Der Personal Computer stellte die Möglichkeit dar, selbst zu entscheiden, wie Computertechnologie zu nutzen sei. Der Computertechnologie bot eine Projektionsfläche, die sich zwischen den Polen von Unterwerfung und Freiheit aufspannte, und zwischen welchen das Individuum sich positioneren konnte bzw. positioniert wurde. Dieser Spielraum wurde von Computeraktivisten und Computerindustrie gleichermaßen wahrgenommen und hatte wesentlichen Anteil an der Mythenbildung um die Wirkmächtigkeit der Technologie. Zentrales Mittel »den Rest von uns«40 davon zu überzeugen war Werbung, auf die im Folgenden exemplarisch eingegangen wird.

40 Vgl. FN 21.

Computer in der Krise Ein neuer Markt entsteht

1965 hatten nur wenige das Bedürfnis einen Computer zu Hause zu haben. Die Vorstellung, »that computers are possessed only by huge organizations to be used only for vast corporate tasks or intricate scientific calculations«41 war noch weit verbreitet. »There ought to be a sense of need«42 konstatierte Nelson auf der zwanzigsten ACM National Conference. 1986 erinnert sich der Computerforscher Larry Tesler, den Stewart Brand »PARC’s personal computer guru« nannte, dass sich am Xerox PARC während der Entwicklung der objektorientierten Programmiersprache Smalltalk zu Beginn der 1970er zwei Forschungszweige herausbildeten. »One kind of spin-off was that people saw its [Smalltalk] applicability to power users and others saw its applicability to beginners.«43 1973 war das Xerox PARC Anlaufstelle für alle, die wissen wollten, wo sich Computertechnologie hin entwickeln würde. Alan Kay predigte, dass es keinen Massenmarkt für PCs geben könne, solange sie mehr als tausend Dollar kosteten. Andere Wissenschaftler am Forschungszentrum hielten Personal Computer für Science Fiction. »When those machines came out it was a real shock and everyone thought it was a hobbyist fad and it was for electronic buffs only.«44 Das Erscheinen der ersten PCs stürzte das Forschungszentrum in die Krise. Am Xerox PARC hatte man nicht so bald mit dem »Personal Computer« gerechnet

41 Nelson: Complex Information Processing, S. 85. 42 Ebd. 43 Transkript eines Gesprächs mit Larry Tesler, Stewart Brand papers, 1954-2000, M1237, Box 54. 44 Ebd.

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und vermutlich hätte man ihn dort anders gebaut. Einige der führenden Forscher:innen verließen Xerox Anfang der 1980er, so etwa Alan Kay, der zu Atari wechselte. In einem von Brand archivierten Telefon-Interview mit Steve Jobs von Apple Inc. bemerkt dieser, das Forschungszentrum von Xerox habe aus der progressiven Forschung keine Produkte entwickelt, die sich gut vermarkten ließen. Außerdem habe sich die Industrie schnell ausdifferenziert. Die fortschrittlichste Forschung im Feld der Computergrafik und Animation fand darüber hinaus nicht nur in den Forschungszentren der Computerhersteller statt, sondern in den Labs der Unterhaltungsindustrie.45 Aus diesem Grund hatte Jobs 1986 Pixar (vormals Lucasfilm Graphics Group) gekauft.46 Die großen Hersteller und ihre Forschungszentren hatten zwar durchaus an Computern für »Beginner« geforscht, doch hatten sie nicht die Laien zu Hause im Blick, sondern vor allem die Gruppe der White Collar Worker (Büroangestellte), vor welchen die Automatisierung der Arbeitsplätze nicht Halt machen würde.47 Die Bezeichnung Personal Computer wurde zum ersten Mal 1968 in einer Werbeanzeige für einen Desktop-Computer von HP für das Magazin Science benutzt.48 Hewlett-Packard bezeichnete damit einen Tischrechner, der so klein und kompakt war, dass man ihn tragen und jeden beliebigen Ort damit zu einem Computerarbeitsplatz machen konnte. Das Gerät wog etwa zwanzig Kilogramm. Die Werbung richtete sich an Wissenschaftler und Ingenieure bzw. an Computernutzer, die schon eine Idee davon hatten, wozu ein Rechner zu gebrauchen war. In der Literatur wird das Modell vorrangig als calculator bezeichnet. Das Marketing von HP spielt mit der ambivalenten Bedeutung des Wortes genie, das, aus dem Englischen übersetzt, Dschinn bedeutet. Genie lässt sich sowohl von dem arabischen Wort ǧinn als auch und dem lateinischen genius ableiten. Während Dschinn an dienstbare Geister aus Öllampen unter anderem in den Erzählungen aus Tausend-

45 Zur Geschichte der Community vgl. Brown, Judy; Cunnigham, Steve (2007): A History of ACM SIGGRAPH, in: Communications of the ACM 50/5 (May 2007), S. 54-61. 46 Vgl. Transkript eines Telefongesprächs vom 30.5.1986, Stewart Brand papers, 1954-2000, M1237, Box 54. 47 Vgl. Transkript eines Gesprächs mit Larry Tesler, Stewart Brand papers, 19542000, M1237, Box 54. 48 Abbildung 3.

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undeine Nacht erinnert, ist der Begriff genius mit schöpferischer Kraft verbunden.49 In beiden Bedeutungen steckt der in der Menschheitsgeschichte immer wiederkehrende Wunsch Übermenschliches vollbringen oder körperliche wie geistige Beschränkungen überwinden zu können. Das Marketing des Geräts stellte in Aussicht, dass der Computer diesen Wunsch erfüllen könne, dass das Gerät magische Kräfte habe, die auf seine User:innen übergehen könnten. Abbildung 3: »The new Hewlett-Packard 9100A personal computer« (1968)

Quelle: https://www.hpmuseum.net/upload_htmlFile/PrintAds/Ad1968_9100A_Pow erfulComputingGenie-23.jpg vom 06.03.2019 © Hewlett Packard Company

Dass fortschrittliche Technologie im Grunde nicht von Magie zu unterscheiden sei, hatte etwa Arthur C. Clarke 1973 in der überarbeiteten Version des Essays »Hazards of Prophecy: The Failure of Imagination« konsta-

49 Vgl. Ziegler, Konrat; Sontheimer, Walther; Gärtner, Hans (1964-1975): Der Kleine Pauly, Stuttgart, Band 2: Dicta Catonis – Iuno (1967), Sp. 741 f.

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tiert.50 Seine Äußerung ist eines von drei »Gesetzen«, die Clarke in diesem Essay formulierte: »When a distinguished but elderly scientist states that something is possible, he is almost certainly right. When he states that something is impossible, he is very probably wrong.«51 The only way of discovering the limits of the possible is to venture a little way past them into the impossible.«52 »Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.«53

Clarkes Gesetze waren quasi programmatisch für die Marketingversprechen der Personal-Computer-Industrie. Doch auch die Computerforscher selbst beschrieben ihre Projekte mitunter als Science Fiction. »This note speculates about the emergence of personal portable information manipulators«54 eröffnete Alan Kay seinen Beitrag auf der jährlichen Konferenz der ACM, in dem er von seiner Forschungstätigkeit am Xerox PARC berichtete. Was er vorstelle, sei Science Fiction. Das Dynabook, ein kleiner tragbarer Computer, den Kay bis ins Detail beschrieb, gab es nicht, doch es war unter Berücksichtigung damals aktueller Entwicklungstrends auf dem Computermarkt, wie etwa Miniaturisierung und Preissenkung, denkbar. Mit dem Gerät präsentierte Kay ein interaktives Bildungskonzept unterstützt durch neue Medien. »We, do not feel that technology is a necessary constituent for this process any more than is the book. It may, however, provide us with a better ›book‹, one which is active (like the child) rather than passive. It may be something with the attention grab-

50 Vgl. Clarke, Arthur C. (1962): »Hazards of Prophecy: The Failure of Imagination«, in: Ders. (1962): Profiles of the Future. An Inquiry into the Limits of the Possible, London. 51 Ebd., S. 31. 52 Ebd., S. 38. 53 Ebd., S. 38. 54 Kay, Alan C. (1972): »A Personal Computer for Children of All Ages«, in: Donovan, John; Fields, Rosemary (Hg.): Proceedings of the ACM ‘72 Conference, New York, S. 1; vgl. auch Kay, Alan; Goldberg, Adele (1977): »Personal Dynamic Media«, in: Computer 10/3 (March 1977), S. 31-41.

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bing powers of TV, but controllable by the child rather than the·networks. It can be like a piano (a product of technology, yes), but one which can be a tool, a toy, a medium of expression, a source of unending pleasure and delight … and, as with most gadgets in unenlightened hands, a terrible drudge!«55

Das Buch speichere Wissen aus Jahrhunderten und habe es allen Menschen zugänglich gemacht. Das neue aktive Medium verspreche Denken und Gestaltung erfahrbar zu machen, so Kay. Darin spiegelte sich das Konzept von Augmentation als einer Form intellektueller Verstärkung. Spätere Marketingkampagnen der ersten PCs verfuhren ähnlich wie Kay nur wenige Jahre zuvor. Sie schufen unterschiedliche zukünftige Szenarien, um individuelles Begehren nach der neuen Technologie zu wecken und um Nachfrage für ein Produkt zu erzeugen, das es bisher eigentlich nicht gab. Die Szenarien, in welchen der Personal Computer als Universalmedium in Szene gesetzt wurde, waren am Alltag der Menschen orientiert und stellten bessere Alternativen dar. Doch bevor die Hersteller Storytelling als Marketingmethode für die neuen Geräte entdeckten, bauten sie auf Statistiken und Marktanalysen aus der Arbeitswelt auf. Entwicklung und Marketing ging damit auf die jüngsten Veränderungen auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt ein: Die Zahl der Arbeitskräfte in informationsverarbeitenden Berufen oder Beschäftigungen hatte in den USA bereits seit den 1920er Jahren stetig zugenommen.56 Das Bedürfnis, einen eigenen Computer zu besitzen, war in dem Maße stärker geworden, in dem die Zahl der Arbeitskräfte, die mit Computern arbeiteten, zunahm. Doch nicht verfügten über individuelle Computerarbeitsplätze. Die Benutzung der Computerarbeitsplätze wurde in Zeitfenster aufgeteilt, Aufgaben wurden sequentiell abgearbeitet. Darüber hinaus schien die Fantasie, was mit Computertechnologie möglich sei, bei dem größten Teil der Bevölkerung beschränkt und knapp fünftausend Dollar für einen eigenen Computer waren 1968 noch ein kleines Vermögen. Ein neues Auto kostete in der Anschaffung etwa die Hälfte davon und das durchschnittliche Jahreseinkommen eines amerikanischen Haushaltes belief sich laut Statistik

55 Kay, Alan C. (1972): A Personal Computer for Children of All Ages. 56 Vgl. Deutsch: Von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft, S. 3.

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auf knapp achttausend Dollar.57 Trotzdem ließ der Arbeitsmarkt erwarten, dass die Nachfrage nach Computerarbeitsplätzen weiter steigen würde. Die Personal-Computer-Industrie antwortete, so kann man mit Foucault sagen, auf einen Notstand bzw. auf die zunehmende Verknappung von Computerarbeitsplätzen. Die Aussicht auf einen persönlichen bzw. exklusiven Zugang zu Computertechnologie sprach zunächst professionelle User:innen als potentielle Käufer:innen an. Dass Intel Anfang der 1970er die erste kommerzielle CPU auf einem Chip auf den Markt brachte, gab dieser Vorstellung weiteren Auftrieb. Grundlage für neue Unternehmensgründungen war nicht zuletzt, dass Rechner kleiner und günstiger geworden waren, womit es potentiell auch mehr Käufer. Das 1976 im kalifornischen Los Altos unter dem Namen Apple Inc. gegründete Unternehmen hätte jedoch kaum im Wettbewerb mit Giganten wie IBM bestehen können, wenn es nicht etwas Neues anzubieten gehabt hätte: Computer für die ganze Familie und für kleinere Geldbeutel in einem einzigen Gerät. Apple war nicht allein auf dem neuen Marktplatz. 1978 schrieb David Bunnell, Journalist und späterer Herausgeber von PC Magazine, Macworld und anderen populären Computermagazinen: »At the time of this writing there were about 100,000 individuals using computers in the United States. In the short time since the idea caught on, over 1000 computer retail stores have sprung up across the country. Personal computing shows held in most major cities have drawn over 250,000 stupified attendants. And personal computers are being produced by 50 different companies, including Radio Shack, Heath, Montgomery Ward, APF, and Commodore.«58

»Power to the people«, befand Bunnell, wäre eine passendere Bezeichnung für Personal Computer gewesen. Das schnelle Wachstum der Personal-Computer-Industrie verdankte sich insbesondere der Ausbreitung von computerbezogenen Printmedien,

57 Vgl. Witschy, Marianne; Spiers, Emmett (1965): »Household Income in 1968 and Selected Social and Economic Characteriscs of Households«, in: U.S. Department of Commerce (Hg.): Current Population Reports. Consumer Income, http://www2.census.gov/prod2/popscan/p60-065.pdf vom 06.03.2019. 58 Vgl. Bunnell: Personal Computing, S. 3f.

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wie Magazinen und Ratgebern, von welchen Bunnell einige veröffentlicht hatte. In einem Nachruf auf Bunnell hebt sein Kollege John Markoff hervor, wie wichtig die Computerpresse für die neue PC-Industrie war: »The power and influence of the PC industry press has largely been forgotten in the internet era, but at the time, in the 1970s and ‘80s, the magazines Mr. Bunnell published were as authoritative and read as eagerly as Vogue or Women’s Wear Daily were in the fashion world.«59

Der wachsende Markt und Computermagazine befruchteten sich gegenseitig. Einige der größeren Unternehmen gaben selbst Newsletter, Journals und Bulletins heraus.60 Diese enthielten detaillierte Bedienungsanleitungen und stellten neue verfügbare Features, wie etwa Ausstattung, Programme, Peripheriegeräte, vor. Daneben veröffentlichten unabhängige User Groups und Computerclubs eine Vielzahl von Newslettern.61 Die People’s Computer Company (PCC) gab seit 1972 zunächst eine alle zwei Monate erscheinende Zeitung heraus. Auf der Titelseite stand in Handschrift geschrieben: »Computers are mostly used against people instead of for people, used to control people instead of free them, time to change all that – we need a … PEOPLE’S COMPUTER COMPANY.«62

59 Markoff, John (2016): »David Bunnell, Whose Magazines Were Tech World Must-Reads, Dies at 69«, in: The New York Times vom 21.10.2016. 60 Vgl. z.B. Contact von Apple; 80-U.S. The TRS-80 Users Journal von Radio Shack; The Transactor. Comments and bulletins concerning your Commodore PET von Commodore. 61 Z.B. Dr. Dobb’s Journal of Tiny BASIC Calisthenics & Orthodontia oder auch Dragonsmoke. 62 People’s Computer Company newsprint Oktober 1972, Nr.1; Abbildung Nr. 4.

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Abbildung 4: People’s Computer Company, October 1972, Issue #1

Quelle: https://archive.computerhistory.org/resources/access/text/2017/09/10266109 5/102661095-05-v1-n1-acc.pdf vom 06.03.2019

1977 veröffentlichte PCC ein 250 Seiten umfassendes Verzeichnis.63 Darin waren neben 40 Seiten Werbung für andere User Groups, etwa 10 als nützlich erachtete populärwissenschaftliche Artikel über den Nutzen von personal computing und einen Überblick über die Tätigkeiten der zwei großen amerikanischen Gesellschaften der Forschung und Industrie ACM und

63 McCabe: PCC’s Reference Book of Personal and Home Computing, Menlo Park, CA

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IEEE der Forschung und Industrie. Daneben umfasste der das Reference Book über 100 Seiten mit Listen zu Forschungs-und Populärliteratur zu Computerhardware, Elektronik, Software, Spielen, Taschenrechnern, Computermusik, Science Fiction, Robotern und künstlicher Intelligenz, Philosophie, Bildung, Soziologie. Darüber hinaus waren sämtliche Adressen und Ansprechpartner von etwa 150 Computerclubs – mit zwischen 5 und 500 Mitgliedern – aufgelistet, sowie die Adressen von über 400 Computer Stores und knapp 900 Unternehmen der Computerindustrie. Etwa 80 der Computerclubs produzierten Newsletter, der Katalog enthielt zudem Informationen zu Kosten und Frequenz von etwa 30 Zeitschriften zum Thema Computing. Neben regelmäßig erscheinenden Newsprints von User Groups und Unternehmen gab es einige Magazine, die von Verlagshäusern herausgegeben wurden. Bevor ab 1979 die ersten Zeitschriften veröffentlicht wurden, die sich ausschließlich dem Thema personal computing und home computing widmeten64, wurden die neuen Geräte in Computer- Elektronik-, Hobbymagazinen und populärwissenschaftlichen Zeitschriften vorgestellt.65 Sie boten den User:innen einen Überblick über die neuesten Entwicklungen der Industrie sowie ausführliche Usertestberichte. Zeitschriften stellen einen erheblichen Teil des Archivs des Personal-Computer-Dispositivs dar. Sie machten die Computerindustrie – in Anlehnung an einen Begriff Foucaults – als Heterotopie erst sichtbar. Im Gegensatz zu Utopien, die, laut Foucault, grundsätzlich irreal sind und keinen wirklichen Ort haben, sondern vielmehr einen generellen Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit herstellen, verweisen Heterotopien auf lokalisierbare Orte. Es sind »Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt wer-

64 Beispielsweise Personal Computing; Recreational Computing; Home Computing; Family Computing; Home Computer; 65 Vgl. z.B. Byte; Creative Computing; Microcomputing; Micro Journal; The Best of Micro; Popular Electronics; Interface Age; Popular Science; Softside; Robotics Age; vgl. auch Veit, Stan (2013): Computer Magazine Madness, https://www.atariarchives.org/deli/computer_magazine_madness.php 06.03.2019.

vom

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den.«66 Foucault versteht Heterotopien als »wirksame Orte«, die jede Zivilisation ausbildet, die sich im Umbruch befindet. Der wachsende PersonalComputer-Markt und das Marketing war ein solcher wirklicher und wirksamer Ort, an dem das Dispositiv ausgehend von der lokalen konkreten Maschine allgemein wirksam wurde. Das Dispositiv antwortete auf einen »Notstand«, der die bestehende gesellschaftliche Ordnung und die dem Individuum darin zugewiesene Position betraf.67 Ein weiterer Ort, an welchem sich die Wirksamkeit des Dispositivs zeigte, waren Computer Stores oder Computer Marts. Sie berieten potentielle User:innen und Interessierte beim Kauf. In den Stores wurde neben Computer Hardware und Peripheriegeräten wie etwa Speichermedien und Drucker auch Software verkauft. Neben dem Verkauf von Geräten Diesntleistungen wie Wartungsarbeiten und Reparaturen – heute würde man vermutlich von Updates sprechen – angeboten.68 Auch Ratgeberliteratur und Magazine wurden in den Stores verlkauft. »The method of doing business then was very simple. The customer would come into the store for a demonstration. He (and 95% of them were men) needed a good understanding of computers, because the salesman only spoke computerese and only went through the demo once. If he decided to buy, the customer would leave at least 1/3 of the price as a deposit on the computer. When the retailer had orders for five or ten machines, he would put up the balance of the wholesale price and order the computers from the manufacturer, paying in advance. When the manufacturer received the money, he would buy the parts and begin to put the product together. It was a hand-to-mouth business.«69

Paul Terrell, Betreiber des Byte Shop, der 1975 in Mountain View (CA, USA) öffnete, hatte Probleme seine »Kits« zu verkaufen. Die Programmie-

66 Foucault, Michel (2001-2007): »Von anderen Orten«, in: Michel Foucault und Daniel Defert (Hg.): Schriften in vier Bänden, Band IV, Frankfurt am Main, S. 931-942, S. 935. 67 Foucault: Dispositive der Macht, S. 120. 68 Vgl. Rick, Stephanie: »Entering the Store Age. Atari Archives«, http://www. atariarchives.org/deli/entering_the_store_age.php vom 06.03.2019. 69 Veit, Stan (1984): The Computer Store Saga, in: Creative Computing 10/11 (1984).

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rer, die seinen Laden stürmten, wollten nicht löten und auch nicht vier Monate warten – so lange dauerte es ab der Bestellung, bis ein montierter Altair von MITS im Byte Shop zur Abholung bereit stand. Die jungen Programmierer aus dem Valley wollten funktionstüchtige und betriebsbereite Maschinen.70 Unter der Bedingung, dass er den Apple I – Apples ersten Computer – nicht als Bausatz in einzelnen zusammenzulötenden Teilen, sondern nur als betriebsbereites Gerät direkt verkaufen würde, bestellte Terrell die ersten 50 Apple Computer71 und verhalf dem jungen Unternehmen zu seinem Profil, das erst mit dem Apple II wirklich vermarktet wurde: Der Computer für Alle, der außer der Fantasie seiner künftigen User:innen kein Computer-Know-How voraussetzte, aber auch für Profis zu Hause eine Freude war, so lauteten die gängigsten Slogan. Schon vor der Einführung der PCs, die vom Laden direkt auf die Schreib- und Wohnzimmertische wanderten, hatten Computer Stores und Magazine zur Popularisierung der Idee des Personal Computers beigetragen. Es schien, als hätten die Menschen auf den PC gewartet. Zur Standardausstattung der ersten PCs gehörten Recheneinheit (CPU mit Betriebssystem), Monitor, Tastatur, Maus72 und Softwarepakete (bestehend aus Programmen zur Textverarbeitung und zur Tabellenkalkulation, sowie Spielen). Um so größer war die Ernüchterung als der Markt stagnierte. Die Personal-Computer-Industrie träumte von dem wirtschaftlichen Erfolg, den die Fernsehindustrie erlebt hatte. Die Amerikaner:innen hatten sich damals in Rekordzeit mit Fernsehgeräten ausgestattet. 1955, nur sieben Jahre nach der Markteinführung, waren bereits zwei Drittel der amerikanischen Haushalte mit Fernsehern ausgestattet, 1960 hatten fast 90% der Haushalte mindestens ein Fernsehgerät.73 Im Vergleich waren PCs teurer in der Anschaffung als Fernsehgeräte. Die Grundeinheit eines PCs erschwinglich, aber weitere Pe-

70 Zitiert nach: McCracken, Harry (2007): »The Man Who Jump-Started Apple«, on: PC World’s Techlog vom 23.08.2007, http://web.archive.org/web/201105 11184229/http://blogs.pcworld.com/techlog/archives/005240.html vom 06.03.20 19. 71 Vgl. McCracken, Harry (2012): »Behold, Some of the First Apple Computer Photos

ever«,

http://techland.time.com/2012/11/22/behold-some-of-the-first-

apple-computer-photos-ever/ vom 06.03.2019. 72 Nicht bei allen Geräten. 73 Vgl. Spigel: Make Room for TV.

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ripheriegeräte, zusätzliche Programme und Speichermedien verursachten hohe Nebenkosten. Abgesehen aber von der ökonomischen Schwelle waren PCs nicht so einfach zu bedienen wie Fernsehapparate. Auch wenn das Ziel war, alle Haushalte mit Computern auszustatten, war der Zugang zur Technologie auf bestimmte Bevölkerungsgruppen limitiert. Während Computerfreunde bereits ihren dritten PC kauften, besäße ein großer Teil der Bevölkerung gar keinen, äußerte sich Bill Machrone, damals Chefredakteur von PC Mag. Der Markt expandierte langsam, er bediente die Bedürfnisse einer spezifischen Kundschaft.74 Die neuen Geräte aus dem Silicon Valley adressierten vor allem die technikaffine Bevölkerung im Einzugsgebiet der boomenden Computerindustrie und an anderen High-Tech-Standorten im Land. Unter den Computerlaien, die immer noch den größten Teil der amerikanischen Bevölkerung ausmachten, gab es Ängstliche, Skeptische und Neugierige. Für erstere stellten Computer eine Bedrohung ihrer Freiheit und der Gesellschaft dar, auch wenn oder gerade weil sich bereits in den 1970ern kaum ein Mitglied der Gesellschaft (nicht nur in den USA, sondern in der ersten und zweiten Welt) der Präsenz und Wirksamkeit von Computertechnologie entziehen konnte. Spätestens mit dem Mikrochip hatte sich Computertechnologie in den Wohnräumen der Menschen verbreitet. Neben Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt fürchteten sie die Entfremdung der Menschen75. Der PC wurde als Eindringling und Konkurrent wahrgenommen, eine Haltung zu Computertechnologie, die bereits vor der Einführung von PCs zum Topos in der Presse geworden war: Die fortschreitende Automatisierung von Produktionsprozessen durch Computer besonders in der herstellenden Industrie hatte den Arbeitsmarkt nachhaltig beeinflusst.76 Maschinen und Computer wurden nicht selten als die natürlichen Feinde im Kampf der Menschen ums Überleben dargestellt. Das Science Fiction Gen-

74 Vgl. Harris, Kathryn (1981): »Home Computer Proces Fall – But Where is the Market?«, in: Los Angeles Times vom 13.01.1981. 75 Vgl. Cohen, Richard (1981): »Magic of Computers Is Cheating Us All«, in: The Washington Post vom 03.05.1981. 76 Vgl. Johnson, Edwin (Ed.) (1974): Automation Technology Applied to Public Service, Washington DC; Montagna, Paul (1977): Occupations and society. Towards a Sociology of the labor Market, New York; sowie Winner, Langdon (1978): Autonomous Technology. Technis-out-of-Control as a Theme in Political Thought, Cambridge MA.

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re und seine Erzählungen von seelenlosen Maschinenmonstern nahm in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle ein.77 Dass die Computerindustrie selbst zu einer der größten Arbeitgeberinnen herangewachsen war, spielte in diesen Erzählungen eine untergeordnete Rolle. Die skeptische Position, die gegen PCs vorgebracht wurde, drückte sich in der Frage aus, warum so viel Geld in technologische Forschung gesteckt wurde, wenn doch mechanische Maschinen und analoge Apparate einen besseren Dienst leisteten? Aus dieser Perspektive war der PC nicht mehr als ein luxuriöses Spielzeug78 und eine große Zeitverschwendung. Der Nutzen von günstigen »low-end« Computern für private Haushalte wurde von den Skeptischen grundsätzlich in Frage gestellt.79 Ein weiterer Einwand, der in diesem Zusammenhang vorgebracht wurde, war der, dass die Durchschnittsamerikaner:innen keinesfalls wüssten, wie sie PCs dazu brachten, ihre Befehle auszuführen.80 Die Neugierigen, die sich bereits einen PC gekauft hatten, stellten fest, dass sich das Gerät nicht von selbst erklärte.81 Auch wenn das neue Gerät Neugier weckte, stellten sich Mangel an fachspezifischem Wissen und technischer Begeisterung als Hindernis heraus. Zwar führten Computer Befehle exakt aus, aber die Menschen die sie bedienten machten Fehler, was zu Frustration bei den frühen User:innen führte. »In a way, though, my ignorance is more his [des Computers] problem than mine. Many computer makers are proclaiming that the long-awaited age of the home computer is upon us, but my experience suggests something else: Most Americans probably aren’t ready for it. As one study puts it, most people with enough money to

77 Vgl. z.B. Schelde, Per (1993): Androids, Humanoids, and Other Science Fiction Monsters. Science and Soul in Science Fiction Films, New York. 78 Vgl. Greenberg, Daniel (1977): »Technology. Mastering the Superfluous«, in: The Washington Post von 27.12.1977. 79 Vgl. Buchwald, Art (1977): »Forget the Home Computer, My Wife’s Memory Is Far Superior«, in: The Washington Post, 13.12.1977. 80 Vgl. Lynch, Mitchell (1979): »Computer Error: A Novice Tries To Operate One in His Own Home«, in: Wall Street Journal, 14.05.1979. 81 Vgl. Auerbach, Alexander (1978): »Home Computer Boom Is a Laugh: Practical«, in: Los Angeles Times vom 11.06.1978.

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make the purchase ›do not have the time or patience to fool with a computer.‹ Today’s home computers require a lot of fooling with.«82

1982 veröffentlichte das Communications Department der Stanford University eine Studie über die Verbreitung von Home Computern. Mitherausgeber dieser Studie war der Kommunikationswissenschaftler und Vertreter der Diffusionstheorie Everett Rogers. Der Ansatz der Diffusionstheorie, der vor allem in den Sozial-, den Kommunikations- und Wirtschaftwissenschaften verbreitet war, widmet sich der Erforschung gesellschaftlicher Innovationsprozesse.83 Danach verbreiten sich Innovationen – als solche gelten Ideen, Praktiken sowie Objekte – unter den Mitgliedern eines sozialen Systems über bestimmte Kanäle zu einem gegebenen Zeitpunkt. Als eine solche Innovation betrachteten die Autoren der Studie The Diffusion of Home Computers auch die Idee vom Computer zu Hause. Zu diesem Zeitpunkt besaßen etwas unter zehn Prozent der amerikanischen Haushalte einen Personal Computer. Über 50 Prozent der Befragten hatten ihre Informationen zu Heimcomputern aus zwischenmenschlichen Beziehungen (Freund:innen, Arbeitskolleg:innen und über persönliche Beratung in Computer Stores) bezogen, etwa 40 Prozent über die Massenmedien.84 Der Einzug der Rechenmaschinen in die amerikanischen Heime verlief also nicht ohne Widerstand ihrer Bewohner. Auch wenn Computertechnologie erschwinglicher geworden war, konnten sich durchaus nicht alle amerikanischen Haushalte einen Home Computer leisten und ein großer Anteil der potentiellen Käufer:innen musste erst noch von der Nützlichkeit überzeugt werden. In der Computerindustrie war das Image des neuen Gerätes ein anderes als im Rest der Nation. Junge Ingenieure und Programmierer feierten den Personal Computer als Medium gesellschaftlicher Befreiung, während viele Amerikaner:innen in Computern weiterhin ein Medium gesellschaftlicher Kontrolle sahen, wenn sie sich überhaupt damit beschäftigten.

82 Ebd. 83 Vgl. Rogers, Everett M. (1976): New Product Adoption and Diffusion, in: Journal of Consumer Research 2 (4), S. 290-301, S. 292. 84 Vgl. Rogers, Everett M.; Daley, Hugh M.; Wu, Thomas D. (1982): The Diffusion of Home Computers. An Exploratory Study, Stanford CA.

Imagewandel Inszenierungen des Personal Computers

Abbildung 5: »A Balance of Features« Reklame für den Apple-1, Juli 1976

Quelle: © Apple Computer Company http://time.com/3398919/apple-first-portablemacintosh/ vom 06.03.2019

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Seit dem Erscheinen des Altair Mitte der 1970er Jahre hatte sich ein Markt für Computerhardware für den Heimgebrauch gebildet. Doch er blieb vorerst ein Markt für Fachkundige und Bastler (hobbyists). Und auch wenn der Apple I damit warb, dass es sich um ein bereits funktionstüchtiges System handelte, war die Produktreklame mit technischen Details versehen, die Computerlaien nur bedingt zugänglich war: »The APPLE-1 System is a fully assembled, tested & burned-in microprocessor board using the 6502 microprocessor. The board contains processor & support hardware; complete video electronics for a 40 character/line, 24 line video display; on-board RAM capacity of 8K BYTES; software system monitor in PROM; and fully regulated power supplies. The Apple attaches directly to an ASCII encoded keyboard and a video monitor, allowing the efficient entry and examination of programs in hexadecimal notation. The use of the new 16-pin 4K RAM chips results in low power and high density memory, which can be upgraded to the 16K chips when they become available (32K bytes on-board RAM!!) A fast (1 kilobaud) cassette interface is available and includes a tape of Apple Basic. And … Folks, Apple Basic is Free.«85

Eventuell war diese Beschreibung für Ingenieure und Programmierer, die wussten, was sie von Computern erwarteten und wozu sie sie benutzten, sensationell und möglicherweise freuten sie sich auch über Apple Basic. Laien hingegen hatten vermutlich von Microcomputing gehört, konnten sich unter einem Keyboard und einem Monitor etwas vorstellen und hatten vielleicht Kassettenrekorder zu Hause, jedoch war dies nicht zwingend Anreiz oder Motivation einen Personal Computer zu kaufen. Nach dem erfolgreichen Start mit dem Apple-1 1976 – etwa 150 Computer hatte das zu diesem Anlass gegründete Unternehmen namens Apple Computer Company (später Apple Computer Inc.) innerhalb des ersten Jahres verkauft – konnten die Gründer Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne die Agentur Regis McKenna Inc. (RMI) für ihr Marketing gewinnen. RMI war unter anderem mit dem Marketing für Intel betreut. Das Marketing für Mikrochips richtete sich nicht an Ingenieure sondern Führungskräfte, die in die neue Technologie investieren sollten. Mit dem Slogan »From electronic games to blood analyzers« erklärte eine Reklame aus

85 Abbildung 5.

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dem Jahr 1973, deren Ästhetik an die von Illustrierten erinnerte, wo und wie ein Mikroprozessor verwendet werden könne.86 Die Vermarktung des Personal Computers wurde von RMI ähnlich angegangen. »Selling the new computer, McKenna felt, would require explaining it to the uninitiated.«87 Auch gegen den Widerstand des Ingenieurs Steve Wozniak sollte nicht dargelegt werden, aus welchen Teilen das Gerät konstruiert war, es sollte artikuliert werden, »what the personal computer could do«.88 Aus der Sicht der Agentur sollte die Werbung den Absatz steigern, die Intention des Ingenieurs war in diesem Kontext nachrangig und es mangelte den Fachunkundigen an Ideen, wie sie die neue Technologie einsetzen und nutzen könnten. Nicht das Gerät als solches war für die Werbeschaffenden interessant, sondern wie es inszeniert wurde und welche Botschaft damit transportiert werden konnte. Dazu mussten sie sich am »normal everyday reading« der Zielgruppe orientieren und nicht am Fachjargon der Entwickler,89 eine Lehre, die man in der Werbebranche spätestens seit Gustave Le Bons »Psychologie der Massen« aus dem Jahr 1895 verstanden hatte. »Nicht die Tatsachen als solche erregen die Volksphantasie, sondern die Art und Weise, wie sie sich vollziehen. Sie müssen durch Verdichtung – wenn ich so sagen darf – ein packendes Bild hervorbringen, das den Geist erfüllt und ergreift. Die Kunst, die Einbildungskraft der Massen zu erregen, ist die Kunst, sie zu regieren.«90

RMI sah perspektivisch zwei Märkte für PCs, den gewerblichen und den Verbrauchermarkt. Letzteren schätzte die Agentur als größer ein, weil die Geräte in vielen Bereichen – Hobby, Unterhaltung, Bildung, Sicherheit, Haushalt, etc. – zum Einsatz kommen könnten. Technisch war der Apple II, der 1977 auf den Markt gebracht wurde, als offenes System konstruiert und

86 Vgl. McCracken, Harry (2016): »Regis McKenna’s 1976 Notebook And The Invention

Of

Apple

Computer«,

https://www.fastcompany.com/3058227/

regis-mckennas-1976-notebook-and-the-invention-of-apple-computer-inc. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Vgl. Andrén, Gunnar (1978): Rhetoric and ideology in advertising. A content analytical study of American advertising, Stockholm. 90 Le Bon, Gustave (1964): Psychologie der Massen, Stuttgart, http://www. textlog.de/35451.html vom 06.03.2019.

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ermöglichte Dritten – etwa der Softwareindustrie – weitere Anwendungen zu entwickeln. Der Markt für consumer electronics war ein schnell expandierender und deckte neben Computern Taschenrechner, Unterhaltungselektronik, Videospiele, Kommunikationssysteme und Überwachungsanlagen ab.91 Apple konnte in einer Industrie Standards setzen, in der es noch keine Standards gab.92 Nach der Präsentation auf der West Coast Computer Faire im April 1977 folgte die erste zweiseitige Anzeige zuerst in Computermagazinen wie Byte, später auch im Playboy. Eine Farbfotografie füllt die eine Seite aus. Sie zeigt eine schicke offene Wohnküche mit Fenstern, durch die Bäume und die umzäunte Grundstücksgrenze zu sehen sind. Im Vordergrund steht der Apple II auf dem Esstisch, auf dem Monitor ist ein Koordinatensystem mit farbigen Graphen zu sehen. Am rechten vorderen Bildrand sitzt ein Mann im Profil, seine linke Hand an der Tastatur des Gerätes, in der rechten Hand hält er einen Stift, ein Notizbuch liegt neben dem Computer vor ihm auf dem Tisch. Im Hintergrund steht seine Frau, schneidet Gemüse und blickt über die Schulter zu ihrem Mann. An einem Küchenschrank hängt das Poster von einem roten saftigen Apfel. Über der Szene prankt die Überschrift »Introducing Apple II.« Unter der Überschrift der zweiten Seite »The home computer that’s ready to work, play and grow with you« befinden sich drei Spalten Text, von denen sich eine farblich abhebt. In den beiden linken werden Unkundigen und Laien im Fließtext die Eigenschaften und Vorzüge des Geräts erklärt. Der Apple II kann, laut dieser Werbung, Anweisungen akustisch wiedergeben; er kann als Unterrichtswerkzeug benutzt werden; User:innen können beim Spielen die eigene Programmierfähigkeit verbessern; sie können mit BASIC farbige Designs »malen« bzw. entwerfen; sie können mit BASIC Daten (Finanzen, Einkommenssteuer, Rezepte, Musiksammlung), organisieren und speichern; sie können ihren Biorhythmus aufzeichnen; sogar die Wohnumgebung überwachen; erfahrene Benutzer:innen können auf weiterentwickelte Programmiersprachen für den wissenschaftlichen Gebrauch zurückgreifen. Zusätzlich zu den Audio-, Video- und Spielschnittstellen gibt es noch acht weitere Anschluss- und Kommunikationsmöglichkeiten etwa zu einem Fernschreiber, einem Drucker, einem anderen Com-

91 Fairchild Semiconductor (Hg.) (1983): Personal Electronics, New York. 92 Vgl. McCracken: Regis McKenna’s 1976 Notebook And The Invention Of Apple Computer, Inc.

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puter, einem Modem und einem Datenspeicher (Disketten mit weiterer Software oder Betriebssystemen seien ebenfalls in Entwicklung). Die rechte gelbe Spalte listet die technischen Daten für die erfahreneren User:innen des Gerätes auf. Weitere Farbfotos sind über die Seite verteilt: eine Abbildung des Gerätes und im Lieferumfang enthaltene Teile; die Fotografie eines Seminarraums, zwei Studierende an separaten Schreibtischen und Geräten und im Hintergrund eine Tafel; ein abfotografiertes Display, auf dem Tabellen zu sehen sind, und die Fotografie der Apple II Platine. Abbildung 6: »Introducing Apple II.«, Reklame für den Apple II, 1977.

Quelle: © Apple Computer Inc http://www.macmothership.com/gallery/gallery1.ht ml vom 06.03.2019 »But the biggest benefit – no matter how you use Apple II – is that you and your family increase your familiarity with the computer itself. The more you experiment with it, the more you discover about its potential. […] Apple II will go as far as your imagination can take it. Best of all, Apple II is designed to grow with you.«93

93 Aus dem Werbetext der Reklame. Vgl. Abbildung 6.

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Der Werbetext bezog sich durchgehend auf die Entwicklung des Personal Computers dessen Ikone der Apple II werden sollte. Die Tatsache, dass dieser Computer in einem Gehäuse betriebsbereit erworben werden konnte, dass keine besonderen ingenieurswissenschaftlichen und elektrotechnischen Vorkenntnisse oder gar Programmierfähigkeiten vorausgesetzt wurden, verschleierten seine komplexe Konstruktion aus einer Vielzahl von Technologien.94 Die Auflistung der Aufgaben, die sich mit dem PC bearbeiten ließen, verwiesen indes auf einen der Hauptanwendungsbereiche der ersten Computer als Rechenmaschine in Verwaltung und Buchhaltung, lange bevor es Personal Computer gab. Vor allem aber betonte die Anzeige die Möglichkeit, den PC individuellen Bedürfnissen anzupassen und damit zu experimentieren. Außerdem sollte der PC die Rolle eines vertrauenswürdigen Interaktionspartners im Kreis der Familie übernehmen. Die aufwändig gestaltete Werbung sollte dem PC einen ernsten Anstrich verpassen, Konkurrenzunternehmen wie Radio Shack und Commodore zogen mit ähnlichen Produkten nach. Der PC wurde als Freund der Familie inszeniert, der den Kindern beim Lernen hilft, den Eltern beim Haushalt, und die Familie zum Spielen zusammenbringt. PCs sollten keine Vorschriften machen, keine Grenzen setzen, sondern ihre User:innen stärken. Doch wie zuvor erwähnt, mussten die Unternehmen ihre Erwartungen an den Markt herabsetzen oder die User:innen ihre Erwartungen an die magischen Fähigkeiten des Computers. Viele Computerlaien mussten zunächst erfahren, dass Computer von sich aus nichts taten. Diese Erfahrung war für Ted Nelson überhaupt erst Grundlage für die Interaktion mit Computern und auch für die von ihm prophezeite Home Computer Revolution: »The surprise and Magic is that the computer has no nature at all. Intrinsically it does nothing, somebody decides what it is to do and what are to be the detailed steps for it to follow when it does it. When the basic idea hits you full force, it can be quite an impact. […] When you realize what computers really are, and that they are not what you thought they were, the experience energizes your imagination and elec-

94 Spätestens seit 1976 tauchte der Begriff der black box im Zusammenhang mit Computertechnologie im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs auf, wo synonym er mit technologischem Wandel benutzt wird. Vgl. Rosenberg, Nathan (1976): Perspectives on Technology. Cambridge, S. 246; sowie Ders.: Inside the Black Box (1982).

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trifies your thought. Wow! You think. With a computer I could keep track of my record collection and memorize Latin names of flowers and create animated cartoons and send all those letters I should send and figure out the key to the universe.«95

Dass Computer nicht ohne das Zutun derjenigen, die sie bedienten aktiv wurden und deshalb auch nicht als Gefahr wahrgenommen wirden, war Bedingung dafür, dass sie zum Denken und Träumen anregten. Für Nelson war die Freiheit des Denkens nicht ohne die Freiheit der Technologie zu haben und im Personal Computer trafen sich diese Freiheiten. »You can and must understand computers now.« hatte er bereits 1974 in seiner Sammlung manifestartiger Texte »Computer Lib« gefordert, auf dessen Rückseite »Dream Machines: New Freedoms Through Computer Screens – a Minority Report« zu lesen war.96 Mit den Maschinen konnten sich nur dann Träume verwirklichen lassen, wenn die Technologie selbst befreit würde. Diese Einsicht kam jedoch nicht mit der Werbung und dem Gerät frei Haus, sondern durch den individuellen Gebrauch beim Programmieren, beim Schreiben am Computer, beim Zeit verbringen am und mit dem Computer. In seinem Beitrag zur Hackerbibel des Chaos Computer Club schrieb Peter Glaser über sein Leben mit Computern: »Beim ersten Mal war da nur ein Monitor und eine Tastatur, die aussah wie eine flachgefahrene Schreibmaschine. ›Und wo ist der Computer?‹ Der Computer, erfuhr ich, das sind ein paar winzige Chips in dem Tastaturgehäuse. In meiner bisherigen Vorstellung waren Computer wandgroße Denkmöbel in klimatisierten Räumen gewesen. […] Das ist drei Jahre her […] und ich bin das geworden, was man einen Bitnik nennen könnte: ein Mensch, der mit Vergnügen durch den Dschungel der Datenverarbeitung streift.«97

95 Nelson, Theodor H. (1977): The Home Computer Revolution, Schooleys Mountain NJ. 96 Nelson, Theodor H. (1974): Computer Lib, Dream Machines, Chicago. 97 Glaser (1985): »Das BASIC-Gefühl. Vom Leben mit einem Computer«, in: Chaos Computer Club (Hg.) (1985): Die Hackerbibel, Löhrbach bei Weinheim, S. 10-11, S. 10.

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Dass der Computer der Schlüssel zu einer besseren Welt sein sollte, war verlockend, doch vielen fehlte die Geduld das »kybernetische PidginEnglisch mit einem Wortschatz von 50 Vokabeln« zu lernen.98 Glaser beschrieb, wie er einem Freund beim Programmieren am Computer zusah: »Für jemanden wie mich […] war es ein gewaltiges Erlebnis, die Ereignisse auf dem Bildschirm selbst beeinflussen zu können. […] Ich hatte das Gefühl, bald ein neuzeitlicher Analphabet zu sein, wenn ich mich nicht daran machte, das zu lernen.«99

Neben der Notwendigkeit selbst ein Verhältnis zu Computern aufzubauen, macht Glasers Erzählung deutlich, dass das Erstaunen vor der neuen Technologie eine kollektive Erfahrung war. Viele neue User:innen wurden von Freund:innen oder Kolleg:innen ermuntert, sich mit dem Computer zu beschäftigen. Sie trafen sich zum gemeinsamen Spielen und Programmieren. Computerclubs und Freunde spielten eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Computern.100 Mit dem Marketing des PCs als Projektionsfläche für individuelle oder kollektive Bedürfnisse wuchs der Markt kontinuierlich weiter. Die Werbung für das vielversprechende Medium der Zukunft, mit dem der individuellen Selbstverwirklichung keine Grenzen gesetzt schienen, formulierte eine eigene Bildsprache. In einer weiteren Werbeanzeige von Apple für den Apple III führte das Unternehmen die Marketingstrategie fort und lieferte auf die Frage »Will someone please tell me exactly what a personal computer can do?« eine Liste von 100 Einsatzmöglichkeiten von PCs sowie eine Vielzahl von Illustrationen. »There are more people in more places doing more things with Apples than any other personal computer in the world. Most of them had never touched a computer before. So it’s more likely that whoever you are and whatever you do, you could use an Apple, too.« 101

98 Ebd. 99 Ebd. 100 Vgl. Rogers/ Daley/Wu: The Diffusion of Home Computers. 101 Aus dem Werbetext für die Reklame für den Apple III, Apple Computer Inc 1981, vgl. Abbildung 7.

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Abbildung 7: Apple III »Will someone please tell me exactly what a personal computer can do?«, 1981 (linke und rechte Seite)

Quelle: © Apple Computer Inc http://www.macmothership.com/gallery/newads15/ someoneplease3.jpg vom 06.03.2019.

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In der folgenden Auflistung von hundert Anwendungsmöglichkeiten ermunterte Apple künftige User:innen. Mit PCs könnten sie elektronische Post versenden; mit Delphinen sprechen; nach Kriminellen fahnden; Hunden beibringen, sich selbst zu heilen; die Aktienkurse verfolgen; Rennpferde dressieren; Flugkörper simulieren; Fliegen lernen; Schriftsatz für Drucke gestalten; meditieren; Leben retten; Gedanken lesen; Wirtschaftsplanung; botanisches Wissen sammeln; kollaborativ arbeiten; um nur die ersten fünfzehn zu nennen. Ganz unabhängig von dem spezifischen Produkt von Apple machte die Reklame deutlich, dass Computer schon überall auf der Welt und in den unterschiedlichsten Bereichen genutzt wurden. Das Versprechen des PCs war, dass sich künftig jedes Individuum, das einen Computer besaß, beteiligen könne. Der französische Philosoph Bernhard Stiegler spricht in diesem Zusammenhang von der Globalisierung des technischen Systems. »Mit Ausnahme mancher Wüstengebiete oder sehr unterentwickelter Zonen können die wichtigsten Geräte jeder beliebigen Gesellschaft in jeder anderen in Betrieb genommen werden. Weltweite (und für einen Teil des Telekommunikationssystems gilt sogar: in die Erdumlaufbahn geschossene) Infrastrukturen gewährleisten die Bereitstellung von Energien, Informationen, Finanzmitteln, Zugriffsrechten und Anschlüssen aller Art, aber auch von Einzelteilen etc., insbesondere über elektrische, digitale und Banknetze sowie über die logistischen Vernetzungen von See-, Landund Luftwegen, die sich über den ganzen Erdball erstrecken und so die Handelsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) ins Werk setzen.«102

Die Globalisierung kann, wie die Reklame für den Apple III untermalt, bereits Ende der 1970er als »vollendete Tatsache«103 wahrgenommen werden. Sie fächert die Verbreitung der Computertechnologie in Ozeanologie, Medizin, Luftfahrt, Wirtschaft, Verlagswesen und weiteren Bereiche der Gesellschaft auf. Individuelle Freiheit konnte es, so lässt sich die Reklame deuten, nur innerhalb des Systems geben.

102 Ebd. S. 110. 103 Stiegler, Bernard (2011): Allgemeine Organologie und positive Pharmakologie, in: Hörl, Erich (Hg.) (2011): Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt, Berlin, S. 110-146, S. 111 f.

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Die Einführung von Personal Computern stellte die Menschen also nicht vor die Entscheidung ob, sondern wie Computertechnologie genutzt werden könne. Die Personalisierung von Computertechnologie, wie die Bezeichnung Personal Computer nahelegte, sollte jedes Individuum mit dieser persönlichen bzw. individuellen Freiheit ausstatten, die Welt mitzugestalten. Wer sich verweigerte bzw. passiv blieb, überließ es anderen, die eigene Zukunft und die des Personal Computers zu bestimmen. Sich einzulassen, sich auszuprobieren, sich einzubringen, war für Missionar:innen der Personal-Computing-Idee die einzig adäquate Form der Teilhabe. Für Widerstand gegen die Technologie war es im Grunde zu spät, für Widerstand gegen herrschende Verhältnisse nie. Der Personal Computer adressierte zwei Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Bürgerrecht auf individuelle Selbstbestimmung und die damit einhergehende Bürgerpflicht zur autonomen Meinungsbildung.

Das neue Familienmitglied PCs zwischen Sozialisierung und Anpassung

Die Werbeanzeigen für Personal Computer waren im Vergleich zu den technischen Datenblättern, die in der Computerindustrie verbreitet waren, bildlastig. Nicht selten waren auf den Bildern – meist Fotografien, über welchen Titel wie »Computer Fun for the Whole Family«104 schwebten – Computer in wohnlichen Räumen dargestellt, umringt von der freudig lachenden bürgerlichen Kleinfamilie,105 d.h. Vater, Mutter, Tochter und/oder Sohn. Die Bilder sollten eine fröhliche, positive Stimmung erzeugen. Einige Bilder zeigten auch nur Kinder, die staunend vor dem Gerät sitzen. In Anlehnung an den programmatischen Satz der Werbebranche »A picture is worth a thousand words« werden die Bilder und was sie darstellen dem ökonomischen Diskurs unterworfen, der mit der Verbreitung der Computertechnologie gepflegt wird. Die Botschaft der meisten PersonalComputer-Werbeanzeigen aber auch Cover von Magazinen und Ratgebern war konventionell und deutlich: Computer bringen Spaß für die gesamte Familie. Häufig wurde im Slogan auf den günstigen Preis des Gerätes verwiesen. Vor allem der Konzern RadioShack, der Geschäfte für Hobby- und Unterhaltungselektronik unterhielt, warb verstärkt mit der Nützlichkeit des Computers für die Familie: »A TRS-80 Color Computer 2 Makes Learning Childs Play«; »The priceless gift of learning now has a price: $599. And a name: the Radio Shack Trs-80 Microcomputer. And now, at last, your child has a chance to discover. Tomorrow on Christmas morning.«; »We Cut $700 Off ›Man’s New Best Friend‹!«; »If Personal Computers are for ev-

104 Vgl. Abbildung 1. 105 Vgl. Abbildung 8.

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erybody, how come they’re priced for nobody?« (© Radio Shack). Weniger konventionelle Werbeanzeigen, wie die von Apple, spielten die Bedeutung des Dargestellten gegen die Bedeutung der Worte aus. Das Marketing von Apple stellte nicht so sehr die Familie, sondern mit diversen Wortspielen die eigene Marke in den Vordergrund: »A is for an Apple. It’s the first thing you should know about personal computers«; »Why Apple II is the world’s best selling personal computer«; »Why every kid should have an Apple after school.« (© Apple Computer Inc.). Darüber hinaus scheute sich das Unternehmen nicht, Vergleiche zu historischen Symbolen und Persönlichkeiten zu ziehen, um die Nützlichkeit und Relevanz ihres Produkts zu betonen: »We’re looking for the most original use of an Apple since Adam« lautete der Titel für die Ausschreibung eines Wettbewerbs, mit dem Apple seinen User:innen entlockte, wie sie ihren Apple nutzten. »Jefferson had one of the best minds of 1776, but today you can make better decisions with an Apple«; »Edison had over 1,800 patents in his name, but you can be just as inventive with an Apple«; »Ford spent the better part of 1903 tackling the same details you’ll handle in minutes with an Apple« (© Apple Computer Inc.); damit stellte das Unternehmen das Produkt in einen Zusammenhang mit anderen sogenannten Revolutionen der amerikanischen Geschichte und legte nahe, dass jeder Mensch im Besitz eines Apple Personal Computers mithilfe des Gerätes mühelos Großes vollbringen können werde. Beide Ansätze verfolgten unter anderem die Strategie, Berührungsängste mit der Maschine abzubauen, einerseits wurden PCs als Freund der Familie inszeniert, andererseits wurde die Mühelosigkeit betont, mit welcher die Geräte bedient werden konnten. Die Maschinen sollten das Bild der von fremden Mächten beseelten Eindringlinge und Störenfriede ablegen, stattdessen sollten sie als Verwandte, als Vertraute und Freunde der Menschen wahrgenommen werden.106 Die User:innen sollten eine intime Beziehung zu den Maschinen aufbauen, sie sollten in Anlehnung an Marshall McLuhan als Extensionen und als Spiegel oder Echo der Menschen wahrgenommen werden.107

106 Ebd. 107 Vgl. Romanyshyn, Robert D. (1989): Technology as Symptom and Dream, London.

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Abbildung 8: Radio Shack Answers 1985 Nr. 2, S. 9

Quelle: https://archive.org/details/Radio_Shack_Answers_1985-02_1985_Radio_Sh ack/page/n7 vom 06.03.2019, © Radio Shack 1985

In ihrer Studie »At Home with Computers« widmete sich die australische Kulturwissenschaftlerin Elaine Lally der ambivalenten Rolle von PCs zwischen technologischem Objekt einerseits und Ware andererseits. Sie unter-

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suchte, wie Computer von anonymen und fremden Produkten zu integrierten Bestandteilen des Lebens ihrer User:innen werden. Als persönliches Eigentum setze der Personal Computer Hochtechnologie und den Lebensraum der Menschen, das Heim, in ein besonderes Verhältnis. Dies galt im Übrigen auch für den Arbeitsplatz, wie eine Fotostrecke unter dem Titel »My Terminal is My Castle« aus dem Jahr 1985 deutlich macht. Die Serie »Schmuck am ›Arbeitsplatz der Zukunft‹, in irgendeinem Dienstleistungsunternehmen in irgendeiner Stadt« zeigt die Aneignung der Technologie am Arbeitsplatz. Auf den fotografischen Aufnahmen sind mit persönlichen Notizen und Nachrichten versehene und mit Nippes ausstaffierte Computerterminals zu sehen.108 »Our relationship with our personal possessions is not static, but is constituted in and through the ongoing activities of our everyday lives. […] It is therefore not just about appropriating objects to the self, but is about how we make ourselves at home in our everyday environments, how we make them habitable and comfortable, and use objects to manage the social world.«109

Als besondere kulturelle Form landeten Personal Computer als massenhaft produzierte Waren in Wohn- und Lebensräumen und wurden zugleich als Medium individueller Artikulation beworben. Personal Computer, so die Vorstellung, interagierten mit Individuen und Objekten gleichermaßen und waren damit Medium der Gestaltung individueller Lebensräume sowie der Vermittlung sozialer Beziehungen. Lally betrachtet die Beziehung zwischen Individuum und Computer als eine konstitutiv verdinglichende in beide Richtungen: »we are constructed as subjects through processes of interaction with the object world, just as our objects (such as the home) are constructed through them. The relationship of ownership is one of mutual belonging: we do not simply appropriate objects to the self, but they also ›appropriate‹ each other, and (individually and collective) they ›appropriate‹ us in turn.«110

108 Siffert, Hans-Peter; Keller (1985): My Terminal is My Castle. In: Der Alltag 8 (1), S. 62-79. 109 Lally, Elaine (2002): At home with Computers. Oxford, New York., S. 2. 110 Ebd., S. 217.

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Für die Autorin endet der Prozess der Verdinglichung mit der Aufhebung der dialektischen und prozesshaften Beziehung zwischen dem Individuum und seinem Lebensraum, seiner Umwelt, was für jede Kultur gelten dürfte. Das Heimischwerden der Computertechnologie kann derart auch als Prozess gegenseitiger Aneignung oder Verdinglichung betrachtet werden, der nach Totalität strebt und eine scheinbar unveräußerliche Intimität zwischen Individuum und Personal Computer erzeugt. Das Ergebnis dieses kulturellen Prozesses sind digital Natives, für die die Technologie nicht mehr eine solche »cultural potency« wie für diejenigen, die nicht mit ihr aufgewachsen sind.111 Was Personal Computer allerdings von anderen Medien unterscheidet, dies ist in Zeiten des Internets keine provokante These, ist, dass die Intimität zwischen Mensch und Computer keine private, keine geheime oder diskrete sein muss, auch wenn der Name Personal Computer dies vermeintlich andeutet. Für Wendy Hui Kyong Chun ist der Name ein Oxymoron, das verschleiert, dass digitale Medien per se indiskret sind bzw. leaks sind.112 Für Friedrich Kittler leitet der Personal Computer das Ende der Geschichte ein: »Verkabelung: Die Leute werden an einem Nachrichtenkanal hängen, der für beliebige Medien gut ist – zum ersten mal in der Geschichte oder als ihr Ende. Wenn Filme und Musiken, Anrufe und Texte über Glasfaserkabel ins Haus kommen, fallen die getrennten Medien Fernsehen, Radio, Telefon und Briefpost zusammen, standardisiert nach Übertragungsfrequenz und Bitformat.«113

Dass die Personal-Computer-Industrie zu irgendeinem Zeitpunkt vom Ende der Geschichte geträumt hat, darf bezweifelt werden. Zweifelsohne wurden PCs aber als kleine Universalmedien angepriesen. Was bei Kittler als die dunkelste aller Zukünfte gemalt wird, wurde in der Reklame als erstrebenswert herausgestellt und das Dispositiv Personal Computer, in dem die intime Beziehung zwischen Individuum und Technologie schon immer mitgedacht wurde, war zentrale Steuerungseinheit.

111 Ebd., S. 221. 112 Vgl. Chun, Wendy Hui Kyong (2016): Updating to remain the same. Habitual new media, Cambridge MA, S. 51f. 113 Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, S. 7.

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Ein PC war immer schon mehr als Unterhaltungselektronik, doch die junge Industrie nutzte unter anderem den Spielemarkt, als Einstieg in den Massenmarkt. Auch vor den Haushaltsgeräten hatte Computertechnologie nicht Halt gemacht. So konnten mit neuer Technologie ausgestattete Geräte konnten programmiert werden.114 Diese Produktverbesserungen, die die Amerikaner:innen im Alltag bemerkten, trugen zum allgemeinen Imagegewinn von Computertechnologie bei. Doch dass sich Personal Computer nicht wie zuvor Fernseher innerhalb von 10 Jahren flächendeckend verbreiten würden, war erwartbar. »Novices are usually ignorant about what the machine can be instructed to do and about how it manages to do it.«115 Auch wenn man der Werbung Glauben schenkte, dass kein Fachwissen vorausgesetzt werden müsse, um Computer zu benutzen, mussten sich User:innen Programmierkenntnisse aneignen, wenn sie ihre eigenen Programme schreiben wollten. Hersteller warben mit der Vorstellung, dass es beim Programmieren zu Hause keine Einschränkungen gebe. Nelson fasste dies mit der Überschrift »no limit to the application«116 zusammen. Zugleich war die Auswahl an Programmen begrenzt und Programme waren teuer. Ende der 1960er wurde das erste Mal von der »Krise der Software« gesprochen. »as long as there were no machines, programming was no problem at all; when we had a few weak computers, programming became a mild problem, and now we have gigantic computers, programming has become an equally gigantic problem.«117

Die Softwareproduktion konnte mit diesem Tempo nicht mithalten, in dem Hardware günstiger und leistungsstärker wurde.118 Dies wurde auch in den ersten Jahren der PC-Industrie noch beklagt.119

114 Vgl. Robertson, Angus (1979): From Television to Home Computer. The Future of Consumer Electronics, New York. 115 du Boulay, Benedict; O’Shea, Tim; Monk, John (1981): »The Black Box Inside the Glass Box. Presenting Computing Concepts to Novices«, in: International Journal Man-Machine Studies 14 (1999), S. 237-249, S. 237. 116 Nelson: The Home Computer Revolution, S. 17. 117 Dijkstra, Edsger W. (1972): »The Humble Programmer«, in: Communications of the ACM 15/10 (1972), S. 859-866.

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Nahezu alle PC-Systeme besaßen als Programmierumgebung die auf der englischen Sprache basierende und leicht zu erlernende Programmiersprache BASIC. Anfänger konnten auf diese Weise an ihrem Rechner lernen zu programmieren, auch wenn es ihnen weiterhin an Wissen über die Leistungsfähigkeit ihrer Geräte mangelte. Dennoch wurde BASIC »the people’s language«120 zu der Sprache, in der die User:innen mit ihren Computern sprachen. BASIC-Einführungen der People’s Computer Company mit Titeln wie »My Computer likes me when I speak in BASIC«121 legten nahe, dass Computer ein Gemüt hätten. Dass Apple BASIC umsonst anbot, war eine geschickte Werbemaßnahme und durfte als Seitenhieb gegen Microsoft verstanden werden. 1976 veröffentlichte der Newsletter des Homebrew Computer Clubs einen von Bill Gates verfassten »Open Letter to Hobbyists«. Gates warf Raubkopierern seiner Software vor, sie verhinderten, dass gute Software geschrieben werde und bezog sich damit auch auf die Softwarekrise. Er forderte sie auf nachträglich zu zahlen, dann könne er 10 weitere Programmierer einstellen. Der Brief macht deutlich, dass die Freiheit die neue Technologie zu gebrauchen, nicht unbeschränkt war, sie stand den ökonomischen Interessen der softwareproduzierenden Unternehmen gegenüber. Die Hersteller von Personal Computern konnten sich jedoch darauf berufen, dass viele potentielle Käufer:innen bereits an ihren Arbeitsplätzen mit Computern und BASIC oder anderen Programmiersprachen in Berührung gekommen waren und ihre Zahl voraussichtlich weiter steigen würden. Allein aus dem Bereich der Computer Science gab es 1980 über 100.000 Absolvent:innen auf dem Arbeitsmarkt. »The number of workers in professional and technical and related occupations increased more than fourfold from 1910 until 2000. But computer specialists did not

118 Vgl. Needle, David (1982): »Japan ›Tiptoes‹ Onto U.S. Personal-Computer Scene. Lack of Software Slows Predicted ›Invasion‹«, in: Infoworld vom 01.02.1982. 119 Schuyten, Peter (1980): »Home-Computer Software Lags«, in: The New York Times vom 26.11.1980. 120 Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium. 121 Albrecht, Bob (1972): My computer likes me when i speak in BASIC, Portland OR.

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show up in the decennial census until 1960. As a proportion of total employment, this occupation grew from 0.02 percent to 1.9 percent between 1960 and 2000 (from 12,000 to 2.5 million). Rapid development of computer technology – hardware, software, networks, and the Internet – and falling prices led to the spread of computers throughout the economy and enhanced the productivity of professional and technical workers.«122

Besonders Frauen mit Bürojobs wurden schnell an die neue Technologie herangeführt. Seit den 1970ern verzeichnete der Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt insgesamt einen Anstieg. Als Grund dafür wurde unter anderem der Anstieg von Tätigkeiten an Computerarbeitsplätzen gesehen. Ein weiterer Marktbereich, den das Marketing für Personal Computer im Fokus hatte, waren Schulen und der Bildungssektor. Für Wissenschaft und Industrie musste sichergestellt werden, dass wachsende Forschungsund Produktionsbereiche genug Nachwuchs bekamen, darüber hinaus wurde computer literacy als gesellschaftlich wertvolle und für den künftigen Arbeitsmarkt nützliche Kompetenz angesehen. Mit diesem frame des Produkts konnten zahlungskräftige Eltern überzeugt werden, ihren Kindern einen Personal Computer zu kaufen.123 In dem Maße, in dem die Kontrolle über die Maschine sich mit der Kontrolle über das eigene Leben verband, verloren Computer ihren Charakter als bedrohliche Maschinen. Computer literacy versprach Überlegenheit im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt; Computer ermunterten Kinder zum Lernen; Personal Computer seien eigentlich bessere Lehrer, weil sie individuellen Bedürfnissen besser gerecht würden. So zeigt etwa das Archiv des Education Resources Information Center (ERIC) – eine Einrichtung des Department of Education – einen Anstieg von grauer Literatur im Bereich der Bildungsforschung zum Thema computer literacy Anfang der 1980er Jahre. ERIC ist heute eine internetbasierte digitale Bibliothek, sie wurde Ende 1960er als Informationszentrum gegründet. Die Zentren boten akutelle Informationen zu Lehr- und Lernme-

122 Lee, Marlene; Mather, Mark (2008): »U.S. Labor Force Trends«, Population Bulletin, 63/2 (2008). 123 Kelly, Jean (2003): »Selling Silicon; sowie Ders.: Not so Revolutionary after All.

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thoden für Lehrpersonal, Forschende und die Öffentlichkeit an.124 Computertechnoligie war von Anfang an zentral für den Aufbau des Informationsnetzwerkes. Dass im Bildungssektor ein bedeutendes Marktsegment für PCs lag erkannte auch die PC-Industrie. In einer Pressemitteilung der Agentur Regis McKenna Inc. war 1984 zu lesen, dass Apple künftig führende Universitäten des Landes mit Computern versorgen würde. »Twenty-four of the nation’s leading universities, such as Harvard, Princeton, Stanford and Yale, have joined forces with Apple to plan and implement personalcomputer applications over the next few years. […] Under terms of the new Apple University Consortium, each member expects to purchase more than $2 million of Apple products (mostly Macintosh computers) over the next three years for use by faculty and students. Members of the consortium may share courseware (educational software) and application developments with one another in accordance with the agreement.«125

Eine unabhängige Fürsprecherin für computer literacy die sich für den öffentlichen und uneingeschränkten Zugang zu Computertechnologie und Computererziehung einsetzte, war Liza Loop. Sie hatte 1975 einen public access point gegründet: Das LO*OP Center (Learning Options * Open Portal) bot Programmierkurse für Kinder und Erwachsene an. Ihren Unterhalt verdiente sie unter anderem mit dem Schreiben von Bedienungsanleitungen für ATARI. In der Einleitung für den ATARI 8000 mit dem Titel »ATARI 8000 – the personal computer with something for everyone« betont sie die vielseitige Einsetzbarkeit des Geräts: »Create a playfield for fast-paced games. […] Deliver interactive, audio-visual, educational materials. […] Provide a serious tool for home and business information management. […] Perform all the functions of a fully programmable general purpose compu-

124 Vgl. https://ies.ed.gov/ncee/projects/eric.asp vom 06.03.2019, sowie https:// archive.org/details/ericarchive&tab=collection vom 06.03.2019. 125 Pressemitteilung durch die PR Agentur Regis McKenna vom 24. Januar 1984 »Apple Introduces Macintosh Advanced Personal Computer«, Stanford Special Collections Apple Inc. Papers; vgl. Pang: Making the Macintosh. Technology and Culture in Silicon Valley (2000), https://web.stanford.edu /dept/SUL/sites/mac/index.html vom 06.03.2019.

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ter.« (© Atari, Inc. 1979). Auf diese Weise wurde das Image des Computers als Spielekonsole, das der Unterhaltung diente, mit dem Image des Computers als wesentlicher Bestandteil eines neuen Bildungskonzeptes verbunden. Für Loop musste die zukünftige computergestützte Gesellschaft den Aspekt der sozialen Verantwortlichkeit berücksichtigen, das galt für Industrie und User:innen gleichermaßen.126 In diesem Kontext kann auch der Imperativ, den Kittler später gegen Computeranalphabetismus formulierte, der von der Maschine auf die Menschen übergegangen war, betrachtet werden. In Anlehnung an Vilém Flusser beschrieb Kittler, dass der Stolz der neuzeitlichen Mathematik darauf zurückgeführt werden könne, dass sie »auf dem Schreibpapier noch viel kühnere Dinge als Dichter und Maler«127 anstellen könne. Ihr Code aus Zahlen und Buchstaben war »dem bloßen Buchstabensatz der Schriftsteller an Mächtigkeit, und das heißt an Spielmöglichkeiten, überlegen.«128 So konnte ein mathematisches Symbol wie π auf die Unendlichkeit verweisen. »Digitalcomputer dagegen sind beliebig, aber nie unendlich genau. Sie verkraften nur berechenbare Zahlen und läsen nur Aufgaben mit angebbar vielen Schritten, also genau das, was seit ihrer Erfindung Algorithmus heißt. Weshalb Computeralphabeten die seltsame Fähigkeit entwickeln müssen, diese endlich vielen Schritte einen nach dem anderen zu machen.«129

Computeralphabeten müssten sich immer wieder mühsam bewusst machen, dass die von der Philosophie gefeierte »Anschauung und Intuition« beim Programmieren endet. Kommunikation zwischen Mensch und Maschine, so die Kritik Kittlers an einem zentralen Begriff der Informationstheorie, ist »wohl nur letzter vergeblicher Widerstand gegen radikale Fremdheit der Zeichen.«130 Der Personal Computer als anthropomorphe oder beseelte Maschine war eine durch das Marketing beförderte Täuschung. Sie wurde damit legi-

126 Loop, Liza; Anton, Julie; Zamora, Ramon (1983): Computer Town. Bringing Computer Literacy to Your Community, Reston VA. 127 Kittler: Computeranalphabetismus, S. 242. 128 Ebd. 129 Ebd. 130 Ebd.

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timiert, dass sie die radikale Fremdheit von Mensch und Maschine überbrückte. Während es Bildungsaktivisten um Zugang zur Technologie und die Demokratisierung ging, profitierte die Wirtschaft von höheren Absatzzahlen und rekrutierten die Programmierer für den Arbeitsmarkt von morgen. Mit einem Vortrag auf The 1981 Rosen Research Forum richtete sich Steve Jobs, einer der Gründer von Apple Computer Inc. an die Personal Computer Branche. In seiner Einleitung benutzte er ein Rechenbeispiel, um die Potenz des neuen Mediums hervorzuheben: Hunderttausende Personal Computer wurden 1980 produziert, es sei absehbar, dass bald 1 Mio. jährlich produziert würden. Er rechnet auf die Sekunde herunter, wie viele Personal Computer das Fließband verlassen: »One every 6 seconds!« Die Zahl ist offensichtlich zu hoch – möglicherweise hatte Jobs Zeiten eingerechnet, in welchen nicht produziert wurde – jedenfalls führte ihn die Zahl zu dem Schluss, den Personal Computer als neues Kommunikationsmedium zu betrachten. Im Angesicht der massenhaften Verbreitung, an die noch vor wenigen Jahren kaum jemand geglaubt habe, stünden alle Hersteller vor einer Entscheidung: »Not really choice of if we are going to decide to do it, but when.«131 Was er als Reflexion über den Personal Computer als neues Medium angekündigte, kann auch als Präsentation einer ökonomischen Strategie und Marktanalyse betrachtet werden. Mit Bezug auf Michel Foucault lässt sich darin auch das gouvernementale Prinzip einer technologisierten Ökonomie erkennen. In Jobs’ Äußerungen drückte sich weniger ein Begehren nach individueller Freiheit aus, als vielmehr nach dem amerikanischen Traum von Erfolg, der wirtschaftlich gemessen wurde, sowie der Wunsch nach maximaler Effizienz unterstützt von freundlichen dienstbaren Zeitgenossen. Hatten sich die frühesten Computerdesigns zum Ziel gesetzt, »computing slaves« zu entwickeln, die Befehle ausführten, wurde der Personal Computer

131 Jobs, Steven (1981): »Personal Computer. A New Medium«, in: Proceedings of Rosen Research Personal Computer Forum, May (1981) [Hervorhebung durch die SE]; vgl. Ders. (1983): https://archive.org/details/Talk-by-StevenJobs-IDCA-1983 vom 06.03.2019.

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eher als »knowledgeable servant« betrachtet. Er agierte »by understanding or even anticipating his master’s wishes«.132 Anthropomorphisierungen beschränkten sich nicht auf Personal Computer als Diener:in, auf die Maschinen wurde allerhand projiziert. Als Spielkamerad und Lehrer133 wurden sie vorgestellt, Personal Computer sollten Menschen mit Behinderungen den Alltag erleichtern134, Personal Computer wurden als Eheberater135 präsentiert. Anthropomorphisierungen förderten die Intimität zwischen Mensch und Maschine, die sich in der Frage zuspitzte »Are you another Computer?«136 , die 1981 auf dem Titelblatt der Wochenendausgabe der Washington Post prangte. Nicht nur in der Werbung, sondern auch in den auflagenstärksten amerikanischen Tageszeitungen wurden die neuen Mitbewohner vorgestellt. »Shake hands with your new Computer« »Be the First on Your Block« »Computers Find a Home« »Home Input Home Input: The Computer Moves From the Corporation To Your Living Room« »Get Ready for Friendly Computers« »Home Computers: 9 of 10 Families May Have Them by 1982« »When the Computers Come Home« »When a Computer Joins the Family«

132 Scarrott, G. G. (1979): »From Computing Slave to Knowledgeable Servant: The Evolution of Computers«, in: Proceedings of the Royal Society, London, S. 1-30, S. 15f.; vgl. Krajewski, Markus (2010): Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient, Frankfurt am Main; sowie Pollack, Andrew (1981): »Technology: Robot’s Future As a Servant«, in: The New York Times vom 9.4.1981. 133 Vgl. International Council for Computers in Education (Hg.) (1979): The Computing Teacher, Eugene OR. 134 Vgl. Odor, Phil (1982): Microcomputer and Disabled People, in: International Journal of Man-Machine Studies (17), S. 51-58. 135 Vgl. Lehtinen, Marlene W.; Smith, Gerald W. (2008): The Personal Computer as Marriage Counselor, in: Marriage & Family Review 8/1-2, S. 137-154. 136 McLellan, Joseph (1981): Are You Another Computer?, in: The Washington Post vom 03.06.1981.

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»The Computer: Companion for Tomorrow« »The Electronic Home. Computers Come Home« »Computers Made to Feel at Home« »Closer to Home: You and Your Friendly Computer« »Computers in the Kitchen: Let Your Fingers Do the Cooking « »New Fixture in the Home: The Computer«137

In ihrer Studie zum Prozess der »Domestizierung« des Personal Computers, die auf Interviews mit britischen Familien in den 1990ern basiert, stellten die Autor:innen Laurence Habib und Tony Cornford heraus, dass der Prozess der Aneignung und Domestizierung der Technologie in Familien höchst individuell verlaufe. »We see that what is acceptable, tolerable or desirable to one person or one family would be totally unacceptable to

137 Simross, Lynn (1975): »Shake Hands with your new Computer«, in: Los Angeles Times in 09.12.1975; Dembart, Lee (1977): »Be the First on Your Block«, in: The New York Times vom 26.08.1977; Langer, Richard (1977): »Computers Find a Home«, in: The New York Times, 25.08.1977; Gumpert, David (1977): »Home Input: The Computer Moves From the Corporation To Your Living«, in: Wall Street Journal, 04.02.1977; Cook, Louise (1977): »Get Ready for Friendly for Home Computers«, in: The Washington Post vom 27.11.1977; Sims, John (1977): »Home Computers: 9 of 10 Families May Have Them by 1982«, in: The Washington Post vom 19.11.1977; Kron, Joan (1978): »When the Computers Come Home«, in: The New York Times vom 12.01.1978; Ditlea, Steven (1979): »When a Computer Joins the Family«, in: The New York Times vom 30.08.1979; Vils, Ursula (1979): The Computer: Companion for Tomorrow, in: Los Angeles Times vom 04.07.1979; Edson, Lee (1979): »The Electronic Home. Computers Come Home«, in: The New York Times vom 30.09.1979; Anable, Anne (1980): »Computers Made to Feel at Home«, in: The New York Times vom 09.03.1980; Finley, Larry (1981): »Closer to Home: You and your friendly Computer«, in: Los Angeles Times vom 27.03.1981; Gillingham, Karen (1981): »Computers in the Kitchen: Let Your Fingers Do the Cooking«, in: Los Angeles Times vom 07.05.1981; de Courcy Hinds, Michael (1981): »New Fixture In the Home: The Computer«, in: The New York Times vom 07.05.1981.

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another«138 . Darüber hinaus stellten sie fest, dass der häusliche Bereich für alle Familienmitglieder unabhängig von Alter und Geschlecht gleichermaßen von Bedeutung war. »The domestic is a privileged physical and symbolic space of intimacy between people, where expressions of ideas, beliefs, prejudices and emotion are (relatively) unconstrained.«139 Der Prozess der Domestizierung, so die Autor:innen, zeige sich in einem Netz aus vielgestaltigen Praktiken und Taktiken.140 Als charakteristisch arbeiteten die Autor:innen den Wunsch nach Gewohnheit, Sicherheit, Verständnis, Komfort, Intimität und Handlungsfreiheit heraus. Sollte der Personal Computer diese Wünsche erfüllen, konnte der Prozess des Heimischwerdens nicht ohne Anthropomorphisierungen und Personifizierungen auskommen.141 Im täglichen Umgang mit dem Gerät etablierten sich Routinen, die die vormals ungekannte Technologie vertraut machten. Für die amerikanische Soziologin Sherry Turkle erfüllt der Personal Computer die Rolle eines »reflective medium and philosophical provocateur«142 . Turkle hatte 1978 und 1979 etwa 50 »pioneer users« befragt. Anliegen der Studie mit dem Arbeitstitel »The Intimate Machine: Social and Cultural Studies of Computers and People« war es, einen Einblick in die zutiefst persönlichen Formen des Umgangs und der individuellen Aneignung einer zunehmend ubiquitären Technologie zu erlangen. »It is a case study of the ›subjective computer‹, the computer as a material for thinking, for feeling, for ›working through‹.«143 Im individuellen Umgang zeige sich die subjektive Dimension der intimen Maschi-

138 Habib, Laurence; Cornford, Tony (2002): »Computers in the Home: Domestication and Gender«, in: Information Technology & People 15/2 (2002), S. 159-174., S. 172. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Vgl. Leithäuser, Thomas (1997): Ordnendes Denken. Vom medialen Gebrauch des Personalcomputers, in: Christina Schachtner (Hg.): Technik und Subjektivität. Das Wechselverhältnis zwischen Mensch und Computer aus interdisziplinärer Sicht, Frankfurt am Main, S. 69-85, S. 82. 142 Turkle, Sherry (1984): The Second Self. Computers and the Human Spirit, New York, S. 279. 143 Turkle, Sherry (1982): The Subjective Computer. A Study in the Psychology of Personal Computation, in: Social Studies of Science Vol. 12/2, S. 173-205, S. 175.

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ne: Was User:innen mit dem Gerät machten, beeinflusse ihren Blick auf die Welt. Auschlaggebend seien dabei nicht die Vorstellungen, die sie vom Computer hatten, sondern die Qualität der individuellen Erfahrung des mit dem Computer arbeitenden Individuums. Die im Umgang mit der Maschine erzeugten neuen Bilder setzten Reflektionen über die Beziehung zwischen Mensch und Maschine in Gang.144 Mit dem Personal Computer komme demnach nicht nur die Technologie nach Hause, seine Integration impliziert, dass sie Teil der Identität ihrer User:innen wird, wie auch der menschliche Geist als zweite Natur des Computers in die Technologie eingeht. »Characteristically, the hobbyists I interviewed saw what is powerful about the computer as definitionally in a different realm from the human mind with its vagueness and unpredictability. Human intelligence, says the hobbyist, has a quality of mystery. It is precisely what cannot be reduced to specs. It is precisely what, according to the hobbyist aesthetic, cannot be meaningfully analogized with computational processes.«145

Turkle machte darüber hinaus die Beobachtung, dass es unterschiedliche Stile der Reflektion über das Verhältnis von Mensch und Maschine gab, die für sie die Grundlage der Ausbildung unterschiedlicher Computerkulturen bedingte. Für die einen ging es darum, durch Erfahrung ein besseres Verständnis über die Funktionsweisen ihrer Maschinen zu erlangen, andere glaubten, dass »real computational power« nicht in technischen Details zu finden war, sondern dass die »unpredictable and surprising complexity« ausschließlich aus dem Spiel oder der Simulation situativer oder individueller Ideen mit der Maschine hervorgehe.146 Während sich in der einen Ästhetik das Begehren von Intelligibilität und Transparenz zeige, sei die andere geprägt vom Genießen, das in der Erfahrung der Unsicherheit und des Risikos im Umgang mit der Maschine liege. Die Ästhetiken der Computerkulturen führen für Turkle unmittelbar zur Frage nach den zugrundeliegenden politischen Ideologien, sowie zur Frage, wie Computertechnologie genutzt werde bzw. in Zukunft genutzt werden solle. Turkle beantwortet diese Fra-

144 Ebd. 145 Ebd., S. 188. 146 Ebd., S. 188ff.

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ge nicht, sondern sieht sie als wesentlichen Teil der Identitätsbildung im Umgang mit Computern. Jay David Bolter spricht in diesem Zusammenhang vom Menschen als »information processor« und Natur als »information to be processed«. »I call those who accept this view of man and nature Turing’s men. [...] We are all liable to become Turing’s men, if our work with the computer is intimate and prolonged and we come to think and speak in terms suggested by the machine. [...] Turing’s man is the most complete integration of humanity and technology, of artificer and artifact, in the history of the Western cultures. With him the tendency, implicit in all eras, to think ›through‹ one’s contemporary technology is carried to an extreme; for him the computer reflects, indeed imitates, the crucial human capacity of rational thinking.«147

Voraussetzung für Computerkultur ist demnach die allgemeine Verpflichtung selbst Turingmensch zu werden. Für die Personal Computer Industrie wurde diese Pflicht mit der massenhaften Verbreitung der Technologie in den Häusern zumindest zahlenmäßig erfüllt. Dass die massenhafte Verbreitung keine Garantie für den selbstbestimmten Umgang mit der Technologie ist, wird gegenwärtig auch mit dem Begriff digital divide problematisiert.148 Mit der wachsenden und vielseitigen Integration der Computertechnologie in den Alltag der Menschen rückten auch ihre Bedürfnisse immer stärker ins Zentrum der Software-Industrie. »In 1982, the human interface cannot be ignored. [...] In 1982, personal computers and the concept of personal workstations has totally changed the way we view the use of computers. Added to personal computers are the increasing availability of telecommunications networks offering, for example, access to stock market reports,

147 Bolter, J. David (1984): Turing’s Man. Western Culture in the Computer Age. Chapel Hill NC, S. 13. 148 Damit wurde zunächst ein Zugangsproblem zu Infrastrukturen und Informationstechnologien bezeichnet, das zu sozialer Ungleichheit führe. Doch auch die die individuelle Informationsnutzung und Aufnahmefähigkeit innerhalb sozialer Gemeinschaften tragen zur unterschiedlichen Verteilung von gesellschaftlicher Macht bei. Vgl. Norris, Pippa (2001): Digital Divide: Civic Engagement, Information Poverty, and the Internet Worldwide, Cambridge MA.

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census data, The NY Times, and electronic mail and teleconferencing – all from your personal computer. In 1982, we communicate with words, with pictures, or with sound. [...] In 1982, we can legitimately ask the question: My Computer or Yours? We have options, choices. In 1982, people ask: ›What system should we choose? Why?‹ System designers and manufacturers have to ask: ›How well have we done?‹«149

In dem Maße, in dem der Umgang mit Computern selbstverständlicher wurde, verschob sich der Begriff der Benutzerfreundlichkeit von bloßer Zugangserleichterung hin zu einem Serviceversprechen und die User:innen wurden Objekt von Computer- und Softwaredesign. In der frühen Geschichte der digitalen Computer, die Ende der 1940er Jahre beginnt, tauchten User – im Deutschen wird neben dem Anglizismus häufig auch Anwender:in, Bediener:in oder Nutzer:in benutzt – vorwiegend unter der Bezeichnung human factors auf. Überall dort, wo der Eingriff des Menschen in die Maschinen- und Rechentätigkeit des Computers nötig war oder als störend auffiel, war von human factors die Rede. Im Gegensatz zum Begriff User ging der Begriff human factors nicht auf die Bedürfnisse einer unbestimmten Zahl von Anwender:innen eingegangen, sondern eigentlich auf die von Menschen bevölkerte Umwelt des Computers. Der menschliche Eingriff oder Input musste für die universelle Rechenmaschine immer als Programm prozessierbar sein, wie auch der Output der Maschine dem kognitiven Apparat der Menschen wieder zugänglich gemacht werden musste. Operationen auf Programmebene, die immer bereits gestaltet und geschrieben waren, entzogen sich der Wahrnehmung der Bedienenden. In diesem Zusammenhang wurde die Erfahrung der Interaktion mit dem Computer als Zauber oder Magie wahrgenommen und auch verkannt, auch wenn sie allenfalls als interaktives Feedback bezeichnet werden konnte. Denn alles, was Computer ausgaben, musste zuvor eingegeben und programmiert werden.150 Die Verkennung wurde mit der begrifflichen Verschiebung von human factors hin zu userfriendliness, die mit der zunehmenden Verbreitung von PCs in eins fiel, verstärkt. Damit wurde ein wesentlicher Aspekt des Verhältnisses zwischen Mensch und Computer ver-

149 Borman, Lorraine (1982: »People-Oriented Computer Systems, Revisited«, in: Proceedings of the ACM ‘82 Conference, New York, S. 95-97, hier S. 96 150 Vgl. Nelson: The Home Computer Revolution, 18f.

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schleiert: PCs lieferten nicht Computersysteme und Programme, die von ihren Anwender:innen nach ihren individuellen Bedürfnissen gestaltet wurden, sondern Computersysteme und Programme, die nach den Bedürfnissen ihrer Anwender:innen gestaltet wurden.151 Benutzerfreundlichkeit beschränkte sich nicht mehr darauf, dass die kleinen Geräte Platz in den Heimen der Amerikaner:innen hatten, dass sie erschwinglich geworden waren, dass dank BASIC kein Fachwissen vorausgesetzt wurde, mit anderen Worten: Benutzerfreundlichkeit beschränkte sich nicht allein auf den grundsätzlichen Zugang zur Technologie, der zuvor Verwaltung, Wissenschaft und Industrie vorbehalten war. Benutzerfreundlichkeit wurde zum Motor der Entwicklung von »people-oriented computer systems«152 und »user-centered design«.153 Mussten die User:innen zu Beginn ihre Anwendungen selbst entwickeln154, begann alsbald die Softwareindustrie aufzublühen und die Frage nach der Ergonomie und der Bedienbarkeit oder Benutzerfreundlichkeit rückte in den Vordergrund. Die Verschiebung der Aufmerksamkeit fällt zusammen mit einem Moment im

151 Zur Verschiebung vom Begriff human factors hin zum Begriff der Benutzerfreundlichkeit vgl. Ehrmanntraut, Sophie (2018): »Benutzerfreundlichkeit. Idiosynkrasie der Personal Computer-Industrie«, in: Moser, Jeannie; Vagt, Christina (Hg.) (2018): Verhaltensdesign. Technologische und ästhetische Programme der 1960er und 1970er Jahre, Bielefeld, S. 125-141. 152 Nicholas Negroponte bezeichnete 1976 auf einem Workshop zum Thema User-oriented Design of Interactive Graphics Systems personalisierte Systemen als idiosynchratic systems, vgl. Negroponte, Nicholas (1976): An Idiosyncratic Systems Approach to Interactive Graphics, in: UODIGS ‘76 Proceedings of the ACM/SIGGRAPH Workshop on User-oriented Design of Interactive Graphics Systems, Pittsburgh PA, S. 53-60; Bly, Sara; Martin, Thomas; Tesler, Larry (1982): »People-Oriented Computer Systems«, in: Burns, William J.; Ward, Darrell L. (Hg.) (1982): Proceedings of the ACM 1982 Conference, New York, S. 95-97. 153 Norman, Donald A.; Draper, Stephen W. (1986): User Centered System Design, New Perspectives on Human-Computer Interaction, Hillsdale NJ; sowie Nichols, Jean A.; Schneider, Michael L. (Hg.) (1982): Proceedings of the 1982 Conference on Human Factors in Computing Systems, New York. 154 Vgl. McLean, E. R. (1979): End Users as Application Developers, in: Management Information Systems Quarterly 3 (4), S. 37.

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PC-Diskurs, das Martin Campbell-Kelly als Paradigmenwechsel von dem des Personal Computers zu dem des Graphical User Interfaces bezeichnet.155 »By 1982 the personal computer paradigm had reached technological ›closure‹ […]. In the classic way in which technologies are shaped, however, no sooner had this technical closure been achieved than a new ›critical problem‹ came into view. The most commonly perceived problem with the PC was the lack of ›multitasking‹ the ability of a user to work simultaneously with two or more applications.«156

Eine Antwort auf das Multitasking-Problem wurde mit der Einführung von Xerox Star gegeben. Das Informationssystem unterschied sich von bisherigen durch das Bitmap-Display, die mouse-gesteuerte Benutzeroberfläche, Menü, Icons und Fenster. Diese Interfaceparadigmen, auch WIMP-Paradigma (Window, Icon, Menu, Pointing Device) genannt, folgten dem Ansatz der direkten Manipulation, der davon ausging, dass unterschiedliche Funktionen unterschiedlicher Benutzerschnittstellen für die Dateneingabe bedurften. Auf diese Weise konnten mit Fenstern unterschiedliche Kontexte repräsentiert werden und der jeweilige Kontext bestimmte über die Funktion. Was auf dem Display zu sehen war, konnte direkt mit der Mouse angewählt und objekt-spezifisch bearbeitet werden. »In Star object-specific operations are provided via selection-dependent ›soft‹ function keys and via menus attached to application windows. [...] The system does not distinguish between input and output. Anything displayed (output) by the system can be pointed to and acted upon by the user (input).«157

Als indirekt galt hingegen, Daten über eine allgemeine Schnittstelle für alle Funktionen einzugeben (in der Regel per Sprachbefehl). Star setzte mit Icons, Mouse und Fenstern neue Standards auf dem PC-und Software-

155 Vgl. dazu das Dissertationsprojekt von Sabine Wirth mit dem Arbeitstitel: Transformationen des Interface: Zur Medialität des Computers. 156 Campbell-Kelly: Not Only Microsoft, S. 122f. 157 Vgl. Johnson, Jeff; Roberts, Teresa L. et al. (1989): »The Xerox Star: A Retrospective«, in: Computer 22/9 (September 1989 ), S. 11-26, hier S. 15.

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markt.158 Auch wenn erst mit dem Apple Lisa (1983) und dem erfolgreicheren Apple Macintosh (1984) die ersten massenmarkttauglichen Geräte verkauft wurden.159 Zunächst ohne GUI, doch ausgestattet mit dem Betriebssystem MSDOS von Microsoft brachte IBM 1981 einen low-cost single-user Computer auf den Markt. Der IBM-compatible PC wurde im Laufe der 1980er Jahre zum meistverkauften PC. 1990 hatte er die Modelle der größten Konkurrenten Commodore und Apple nahezu verdrängt.160 Mit der technologischen Schließung, die durch die Einführung von GUIs markiert wird, so die Hypothese dieser Arbeit, war der Computer für den häuslichen oder individuellen Gebrauch bei den Menschen angekommen. Das Dispositiv bildete die allgemeine globale Voraussetzung für das Denken, Arbeiten und Leben mit Computertechnologie. Mit der Schließung war die Transformation des Computers vom spezifischen arbeitsinstrument zum unspezifischen oder universellen Anschluss des Individuums an die Computertechnologie abgeschlossen. Der PC-Diskurs wurde zum InterfaceDiskurs.

158 Vgl. Johnson, Jeff; Roberts, Teresa L. et al. (1989): »The Xerox Star: A Retrospective«, in: Computer 22/9 (September 1989 ), S. 11-26. 159 Der Legende nach besuchte Steve Jobs mit einem Team von Ingenieuren Xerox PARC zwei Mal und griff dort die Idee für die Technologie auf. Vgl. Hiltzik, Michael (1999): Dealers of Lightning. Xerox PARC and the Dawn of the Computer Age, New York; vgl. auch Distelmeyer: Machtzeichen. 160 Vgl. Timeline of Computer History, https://www.computerhistory.org/timeline /computers/ vom 06.03.2019; sowie Reimer, Jeremy (2005): »Total share: 30 years of personal computer market share figures«, https://arstechnica.com/fea tures/2005/12/total-share/ vom 15.12.2005.

Von ›Family Computing‹ zu ›Home Office Computing‹

Kaum war der Personal Computer zu Hause akzeptiert und eingezogen, nahm er nach und nach seinen neuen vorrangigen Bestimmungsort in den Arbeitszimmern der Welt ein. Dies zeigte sich zum Beispiel in der wiederholten Umbenennung und Marktanpassung des Computermagazins Family Computing zunächst in Family & Office Computing und schließlich in Home Office Computing. Die editorische Notiz ließ verlauten, die Entscheidung reflektiere die redaktionelle Ausrichtung, die das Magazin in den letzten beiden Jahren genommen habe.161 Dazu trug unter anderem das Phänomen sogenannter killer applications bei. In dem ökonomischen Begriff spiegelte sich der harte Kampf der Softwareanbieter im Wettbewerb auf dem boomenden Markt. Killerapps beruhten auf einem unbarmherzigen libertären Prinzip, das an das aus der Evolutionstheorie Darwins bekannte Gesetz »Survival of the Fittest« erinnert. Killerapps waren Software-Anwendungen, deren Beliebtheit auf dem Markt dazu beitrug, dass sich mit ihnen verknüpfte Technologien umfassend verbreiteten und andere Technologien vom Markt verdrängten. 1988 wurde der Begriff mit dem folgenden Eintrag in das Merriam Webster’s Collegiate Dictionary aufgenommen:

161 Vgl. »Magazine Gets A Name Change«, in: Chicago Tribune vom 9.10.1987; sowie Sumner, David E.; Rhoades, Shirrel (2006): Magazines: A Complete Guide to the Industry, New York. Vgl. Abbildung 10.

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»a computer application of such great value or popularity that it assures the success of the technology with which it is associated; broadly: a feature or component that in itself makes something worth having or using«162

Killerapps lieferten Konsument:innen Anreize, sich für den Kauf bestimmter Hardware zu entscheiden, mit der die Anwendungen angeboten wurden. So wird etwa das WWW als die Killer-App des Internets bezeichnet. Das Tabellenkalkulationsprogramm VisiCalc von Personal Software (nach 1982 VisiCorp), das mit dem Apple II vertrieben wurde, wurde von dem Computermagazin Creative Computing als hinreichender Grund gesehen, sich überhaupt einen Computer zu kaufen.163 Als eine der ersten Killer-Apps kann das Betriebssystem MS-DOS betrachtet werden. Das Betriebssystem von Microsoft katapultierte IBMcompatible PCs an die Spitze des Marktes. »In the popular histories of Microsoft, the company is usually portrayed as aggressive and predatory, driving competitors out of the business. This is undoubtedly true, but it tells only half the story. At least as many firms were driven out of the business by strategic errors and plain old market forces.«164

Wegen seiner Marktdominanz wurde Mircrosoft mehrfach der Kartellbildung beschuldigt und in einigen Fällen verurteilt. Zweifelsohne hatte das Unternehmen Microsoft aber von Beginn an von der Marktmacht profitiert, die der Computerriese IBM auf dem internationalen Markt für Computertechnologie hatte. Microsofts Killerapp war sozusagen die strategische Platzierung und Verknüpfung des eigenen Produktes mit einem etablierten Unternehmen der Computerindustrie. Killerapps, so könnte man sagen, hatten die Macht, Anbieter ähnlicher Produkte zu marginaliseren. Einen weiteren Faktor für den Misserfolg von Softwareanbietern auf dem PC-Markt sieht Campbell-Kelly in der explosionsartigen Vermehrung

162 Merriam-Webster Inc. (Hg.) (2004): Merriam-Webster’s Collegiate Dictionary: Eleventh Edition, Springfield MA, S. 686. Seit 1987 verbreitete sich die Bezeichnung killer application. 163 Green, Doug (1980): »VisiCalc: Reason Enough For Owning A Computer«, in: Creative Computing 6/8 (1980), S. 26-28, hier S. 26. 164 Campbell-Kelly: Not only Microsoft (2001), S. 108.

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von konkurrierenden Softwarepaketen, sogenannter »productivity applications«165. 1984 gab es mehr als 200 Textverarbeitungsprogramme, 150 Tabellenkalkulationsprogramme, 200 Datenbankverwaltungsprogramme und etwa 95 Softwarepakete, die mindestens diese drei Anwendungen anboten. Außerdem berichteten Händler das von den rund 20 000 Programmen etwa 20 die Hälfte des Marktes einnahmen. Die Killerapps des PCs waren neben Tabellenkalkulation, Textverarbeitung, CAD (computer-aided design) und Spiele. Wichtiger Faktor schien dabei das visuelle Feedback der Interaktion mit der Software zu sein. So wie BASIC die Grundlage wurde, um mit dem Computer zu sprechen, wurden Killerapps zur lesbaren oder sichtbaren Mimik des Personal Computers und beides zusammen Teil einer Interaktion zwischen Mensch und Maschine, die man als Unterhaltung oder Gesprächssituation verstehen konnte.166 Noch unter den Textverarbeitungsprogrammen gab es qualitative Unterschiede: »one criterion that is not stressed often enough is that writers should select a program that fits the way they write«, so schrieb ein Journalist für die New York Times.167 Oder man könnte annehmen, dass Programme für bestimmte Tätigkeiten entwickelt oder als angemessen betrachtet wurden. So gab es: »First there is the bells and whistles software. These full feature programs offer such features as footnotes, headings, two column pages, bold typefaces and underlining. More often than not, this type of software is appropriate for secretaries and assistants who produce the final version of a report. Executives who draft the reports, on the other hand, are concerned primarily with content. They need a second type of word processor that is simple and straightforward; the powerful attractions offered by the full feature programs would simply get

165 Ebd. 166 Vgl. Bolt, R. A. (1987): »Conversing with computers«, in: Baecker, Ronald; William Buxton (Hg.) (1989): Readings in Human-Computer Interaction: A Multidisciplinary Approach, San Mateo CA, S. 694-703. Dieser Ansatz der HCI-Forschung spielt Forschungsfeld Gaze-Tracking heute noch eine große Rolle. 167 Sandberg-Diment, Erik (1985): »The Executive Computer. How to Choose a Word Processor«, in: The New York Times vom 19.05.1985.

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in the way of their writing. These writers need a word processing program with organizational ability. It might even turn out that what is needed is not a word processor at all, but an idea processor. Although the name smacks of pretentiousness, these word processing mutations – typified by Think Tank and Freestyle – serve a very useful function for engineers, scientist and executives often more comfortable with brainstorming than with writing. Idea processors allow users to pour out ideas as they come to mind, regardless of their relative importance. Whenever desired, these ideas can then be regrouped and reorganized to suit the themes being developed.168

Nach dem Gebot der Benutzerfreundlichkeit wurden ab mit der 1980er gezielt Softwareservices für unterschiedliche professionelle Felder entwickelt. Während bestimmte Berufsgruppen – und letztlich auch soziale Gruppen – Zugang zu bestimmten Programmen erhielten, wurde den User:innen zu Hause vermittelt, dass sie zwischen all diesen Möglichkeiten frei wählen könnten. Eine Beobachtung Tracy Kidders in »The Soul of a New Machine« machte deutlich, dass die Computer Science ein segregiertes Arbeitsgebiet war. Kidder beschrieb wie sich während eines Feueralarms der Platz vor dem MIT mit Menschen füllte, die aus dem Gebäude strömten: die meisten waren männlich, vereinzelt Schwarze und ein paar trugen Röcke, vermutlich Sekretärinnen.169 Dass Programmierentscheidungen segregierende Wirkung haben, darauf geht die netzwerkritische Analyse von Wendy Hui Kyong Chun Updating to Remain the Same. Habitual New Media ein.170 Killerapps bestachen User:innen durch ihren Dienstleistungscharakter und damit, dass sie für komplexe Probleme praktische und bequeme Lösungen boten. Das Marketing entwarf Anwendungszenarien und Usertypen, in welchen sich die zahlungsfähige Kundschaft wiedererkennen sollte, da-

168 Ebd. 169 Kidder: The Soul of a New Machine, S. 51. 170 Vgl. Chun, Wendy Hui Kyong (2016): Updating to remain the same. Habitual new media, Cambridge MA. Vgl. auch Eubanks, Virginia (2018): Automating Inequality ; How High-Tech Tools Profile, Police, and Punish the Poor, New York. Auch Projekte wie AlgorithmWatch beschäftigen sich mit der Frage wie algorithmische Entscheidungsfindungsprozesse sich auf gesellschaftliche Verhältnisse auswirken, vgl. https://algorithmwatch.org/.

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mit sie sich von dem Produkt angesprochen fühlten. Das bedeutete auch bestehende den Alltag der potentiellen Konsument:innen und die sozialen Strukturen, in welchen sie lebten so abzubilden und zu bestätigen, dass sie im Kauf des Gerätes einen Nutzen erkennen konnten. Killerapps waren nicht nur Funktionen, sondern können in diesem Kontext auch als das Ergebnis eines erfolgreichen Marketings betrachtet werden. Verfügten PCs über Killerapps, wurden diese von anderen Herstellern reproduziert, um mit den Erfolgsmodellen konkurrieren zu können, auch wenn sie ähnliche oder eventuell bessere Lösungen boten. Neben der Funktion des Personal Computers als Spiel- und Lerninstrument, gab es weitere Eigenschaften oder Funktionen, die im Marketing besonders hervorgehoben wurden und mit welchen das an und mit dem Computer arbeitende Individuum direkt adressiert wurde: Einerseits wurden die Vorzüge des PCs, wie im vorangegangen Teil thematisiert wurde, als freundlicher Haushaltshilfe hervorgehoben. Der zuverlässige persönliche Assistent, die gewissenhafte umsichtige Hilfskraft sollte dem Individuum »niedere Tätigkeiten« im Haushalt und bei der Arbeit abnehmen. Selbstständige, Eltern und Kinder konnten so ihren Pflichten effizienter nachkommen und sparten Kosten für Personal. Zum Anderen wurden Personal Computer als identitätsstiftende Medien der Persönlichkeitsbildung oder Individuation angesehen – nicht zu verwechseln mit dem Begriff »Individualisierung«, der meist im Sinne Vereinzelung gebraucht wird.171 Claus Pias fragte in diesem Zusammenhang nach der Rollenverteilung des Computers in der »Konstellation von Sekretär und Autor«.172 Er sah in der dienstbaren, organisierenden und kreativen Eigenschaft von computerisierter Arbeit eine »seltsame Verschaltung von Verwaltung und Verwaltetem«173 und explizierte diese am Systemdesign zweier PDAs (Personal Digital Assistant): erstens Newton aus dem Hause Apple sowie Pilot (später Palm) aus dem Hause US Robotics. Auch wenn diese beiden Geräte erst im Laufe der 1990er auf den Markt gebracht wurden, können sie in Bezug auf die Subjektivierungsweisen, die PCs boten, beispielhaft herangezogen wer-

171 Turkle: The Second Self, S. 163 ff. 172 Pias, Claus (2003): »Digitale Sekretäre: 1968, 1978, 1998«, in: Siegert, Bernhard, Vogl, Joseph Vogl (Hg.): Europa: Kultur der Sekretäre, Zürich, 235251., S. 235. 173 Ebd.

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den: »Der nie endende Dienstalltag von uns allen, ›die wir träumen und denken‹«, zitierte Pias Fernando Pessoa, »beginnt gewöhnlich mit dem Einschalten des Computers.«174 Das tätige Leben und das eigene Selbstverständnis beginnt gewissenmaßen mit dem Einschalten des Computers und wird über Computertechnologie organsisiert. »Wir öffnen (schon aus Gründen ›normaler‹ Anschlußfähigkeit) Microsoft Word, und in der linken oberen Ecke eines weißen Rechtecks blinkt uns ein ungeduldiger Cursor erwartungsvoll an. Welches wird das erste Wort im ›unmarked space‹ sein? Wenn dann nach einigen Sätzen der Schreibfluß versiegt, beginnt gewöhnlich das Hantieren mit verschiedenen Schriften und Rändern, das Öffnen alter Dateien, aus denen man ja etwas kopieren und einfügen könnte, das beflissene Speichern und Anlegen von Sicherheitskopien – kurz: all die kleinen Fluchten ins Reich der Diskursverwaltung, die von der Bürde der auktoriellen Diskursproduktion entbinden.«175

Doch bevor sich das »Hantieren« oder managen mit Computern in den Alltag einschrieben hatte, hatten sich die künftigen User:innen erst mit dem Gerät vertraut machen müssen. Die Einführung der ersten Personal Computer war von aufwändigen Werbe- aber auch Bildungskampagnen begleitet worden. In den meisten Werbeanzeigen und Ratgebern wurden die beiden hauptsächlichen Nutzungsangebote als Haushaltshilfe und als Individuationsmaschine nicht voneinander getrennt. Unliebsame Arbeiten konnten an den Computer abgegeben werden bzw. wurde betont, dass sie mit dem ›freundlichen‹ Computer sogar Spaß brachten. In Bezug auf den Einfluss von Computern auf Kinder und Jugendliche wurde immer wieder hervorgehoben, dass sie durch Spielen lernen konnten. Der PC sollte als kleiner Allzweckcomputer (general purpose computer) alle Familienmitglieder gleichermaßen ansprechen. Dass PCs ihren Besitzer:innen das Leben erleichterten und die Persönlichkeitsbildung förderten, schloss sich keineswegs aus. Wer keine Zeit mit niederen Tätigkeiten verschwendet, hat mehr Zeit sich zu informieren, hat mehr Zeit für nützlichere, wertvollere, interessantere oder freudige Dinge im Leben: lernen, spielen, intellektuell anspruchsvollere oder auch besser bezahlte Arbeit. In dem Universalcomputer namens Personal Computer spiegelte sich der amerikanische Produktivitäts-

174 Ebd. 175 Pias: Digitale Sekretäre, S. 235.

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imperativ.176 »[A]lle sog. ›niederen‹ Tätigkeiten« wurden »unter emanzipatorischer Flagge« an die Technologie abgetreten.177 Tätigkeiten abzutreten nicht als Abhängigkeit, sondern als Selbstständigkeit vermarktet. Die Unabhängigkeit lag vor allem darin, dass User:innen den Ort (das vertraute Zuhause) und die Zeit ihrer Interaktion mit dem Computer bzw. die Inanspruchnahme der Dienste selbst bestimmen konnten. Die Kommerzialisierung und Domestizierung der Computertechnologie durch das PC-Dispositiv, konnte auf diese Weise als Befreiung der Technologie und Befreiung derer gelten, die sie nutzten. Die Möglichkeiten, den persönlichen Lebensraum nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten, hatten sich durch die allgemeine Verfügbarkeit von Computertechnologie vervielfacht. Die durch an den Computer delegierte Tätigkeiten gewonnene Zeit stand zur freien Verfügung und gleichzeitig kam das Individuum der gesellschaftlichen Verpflichtung zu Fortschritt und Konsum nach. 1960 hatte J. C. R. Licklider in Bezug auf die »Symbiose« von Mensch und Maschine bemerkt, dass etwa 85% der »Denkzeit« als niedere Tätigkeiten verstanden werden konnten. Mangels Literatur über Arbeitsprozesse sogenannter Knowledge Worker oder intellektuell Arbeitender in wissenschaftlichen oder technischen Forschungsprojekten, hatte er einen Versuch an sich selbst durchgeführt und für ein halbes Jahr verfolgt, was er während seiner Arbeitszeit machte. »the main thing I did was to keep records […]. About 85 per cent of my ›thinking‹ time was spent getting into a position to think, to make a decision, to learn something I needed to know. Much more time went into finding or obtaining information than into digesting it. Hours went into the plotting of graphs, and other hours into instructing an assistant how to plot. When the graphs were finished, the relations were obvious at once, but the plotting had to be done in order to make them so.«178

Dieses Beispiel kann natürlich nicht ohne weiteres auf die Durchschnittsamerikaner:innen übertragen werden. Auch wenn PCs als Computer für Alle verkauft wurden, konnten sich nicht alle in den beschriebenen Tätigkeiten

176 Vgl. Hierzu den Abschnitt: Fortschritt und Verpflichtung als Konsum, ab S. 95. 177 Pias: Digitale Sekretäre (2003), S. 236. 178 Licklider: Man-Computer Symbiosis (1960), S. 4.

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wiederfinden oder hatten auch wirklich Zugang zur Technologie. Doch die Vorstellung, dass alltägliche Routinearbeiten an Computer abgetreten werden könnten und damit Zeit gewonnen werden könnte, war ein Motiv, dass sich viele zumindest vorstellen konnten. Gewonnene Zeit wurde durch das Marketing in Freiheit zur Erfüllung individueller Wünsche übersetzt. Die Eigenschaften des Personal Computers als dienstbare Hilfskraft, als Arbeitsinstrument und als Medium individueller Selbstverwirklichung und Kreativität wurden zu einem Bild, das allgemein zugänglich war. »It seems pretty plain that the computer is having a deeper [als Atomenergie] effect on us because it seems to penetrate everywhere at every level. It penetrates at the technological level, and it penetrates at the level of scientific activity. It penetrates social activity, political activity, the way people are thinking. It’s hard to think of any aspects of our lives that are not significantly influenced.«179

Die intime Beziehung zwischen Mensch und Maschine war zur Produktionsbedingung überhaupt geworden.180 Das Individuum stand nicht vor der Wahl, ob es sich auf Computertechnologie einließ, sondern vielmehr, wie diese benutzt werden könne. Der Personal Computer repräsentierte die individuelle Verpflichtung zur Selbstverwirklichung durch Computertechnologie. Die Arbeit am Computer wurde in diesem Sinne Maßstab des persönlichen Erfolgs der Arbeit als Autor an der eigenen Biografie und Karriere. »Succes starts here« warb Computer-Advanced Ideas mit dem Produktkatalog.181 Je mehr Arbeit abgegeben werden konnte, desto mehr Zeit blieb vermeintlich für persönliche Entwicklung beim Spielen, Lernen, Arbeiten. Die beiden primären Eigenschaften des Personal Computers liefen

179 Vgl. May, Kenneth O. (1980): »Historiography. A Perspective for Computer Scientists«, in: Metropolis, Nickolas; Howlett, Jack; Rota, Gian-Carlo (Hg.) (1980): A History of Computing in the Twentieth Century. A Collection of Essays, New York, London, S. 11-19, S. 12. 180 Vgl. Schachtner, Christina (1997): »Die Technik und das Soziale«, in: Christina Schachtner (Hg.): Technik und Subjektivität. Das Wechselverhältnis zwischen Mensch und Computer aus interdisziplinärer Sicht, Frankfurt am Main, S. 7-25. 181 Kelly: Selling Silicon.

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auf Entlastung des Individuums durch Automatisierung und Förderung individuellen Erfolgs durch Produktivitätssteigerung hinaus. Die Konsumideologie, die die Nachkriegszeitgeprägt hatte, verschmolz mit einer Arbeitsideologie, die der Technologie eingeschrieben war. »Die Gesellschaft ist also nicht […] auseinandergebrochen in ein (ehemals öffentliches) System und eine (privat-intime) Lebenswelt«,182 so die Kritik der Herausgeber des Bandes »Wohnen. Zur Dialektik von Intimität und Öffentlichkeit« an Sennetts These über das Ende des öffentlichen Lebens. Gewalt drohe nicht mehr mit Geboten und Verboten, sondern verführe und belohne das Individuum mit Angeboten. Automatisierung und Produktivitätssteigerung waren keine Funktionen, die ausschließlich PCs zuzuschreiben waren, vielmehr handelte es sich um wesentliche Eigenschaften von Computertechnologie ganz allgemein. Ihre effizienzsteigernde Wirkung konnte die Technologie allerdings erst entfalten, nachdem PCs als freundliche Gefährten und Mitbewohner akzeptiert worden waren. Hand in Hand mit der Verbreitung von PCs in amerikanischen Heimen, hatten sich günstige single-user computer auch in jenen Bereichen der Arbeitswelt verbreitet, für die Computer bislang zu teuer gewesen waren. Automatisierung von Prozessen und Produktivitätssteigerung durch kleine Businesscomputer versprachen höhere Erträge und höhere Gewinne. In dem Bereich des Arbeitsmarktes, in dem schon vor der massenhaften Verbreitung von Personal Computern mit Computern gearbeitet wurde, wurden mehr Computerarbeitsplätze eingerichtet. Zudem wirkte der Computer zu Hause dem Gefühl der Entfremdung durch die zunehmende Arbeitsteilung entgegen. Aus der Sicht der Arbeitnehmer:innen, die zuvor an Computern gearbeitet hatten, war der Computer zu Hause eine Kompensation für das Gefühl nicht mit dem gesamten Projekt verbunden zu sein.183 Dass Computer sich auch in privaten Haushalten verbreiteten, erleichterte die Transformation bisheriger Arbeitsplätze in Computerarbeitsplätze, weil immer mehr Arbeitnehmer den Umgang mit Computern bereits zu Hause geübt hatten.

182 Aarburg, Hans-Peter von; Oester, Kathrin (Hg.) (1990): Wohnen. Zur Dialektik von Intimität und Öffentlichkeit, Freiburg (Schweiz), S. 12. 183 Turkle: The Subjective Computer.

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Abbildung 9: Cover der Ausgabe von Home Office Computing (September 1988)

Quelle: https://archive.org/details/family-computing-61 vom 06.03.2019 © Home Office Computing 1988

Ein anderer Schluss, der aus Lickliders Selbstversuch gezogen werden konnte, war, dass User:innen ihr Verhalten an Computer anpassten und nicht und nicht umgekehrt. Danach konnten 85% Prozent der Tätigkeiten, die Menschen ausführten als »computergerechte«184 Arbeit angerechnet werden, die sich mit immer leistungsfähigeren Rechnern potentiell ins Unermessliche optimieren und intensivieren ließen. Es blieben also immer

184 Pias: Digitale Sekretäre, S. 249.

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15% der von Menschen wahrgenommenen Zeit für kreative Arbeit, die für den Computer ohnehin nur Noise war, keine für ihn verwertbare Information enthielt und daher unökonomisch war. Doch genau diese »Systemstellen«185, die Raum für Individualisierung ließen hatten Computer mit Menschen vertraut gemacht, oder umgekehrt? Im Personal-Computer-Dispositiv, so könnte man sagen, verschwammen nicht nur die Grenzen von Mensch und Maschine, sondern auch die Grenzen von Arbeit und Freizeit, wovon das Phänomen Telecommuting und Home-Office Symptom war. Mit dem Ausdruck »electronic cottage«, der auf Alvin Toffler zurückgeführt wird, wurden Modelle von Arbeitszusammenhängen beschworen, in welchen Arbeitende in Computer-Netzwerken organisert wurden.186 Bereits seit den 1960ern kämpfte die Bay Area, aber auch andere dicht besiedelte Metropolregionen mit dem Anstieg von Smog unter anderem durch den zunehmenden Berufsverkehr. 1976 veröffentlichte eine Forschergruppe der University of Southern California in L.A. einen Bericht über den potentiellen Effekt, den der Einsatz von Telekommunikations- und Computertechnologien auf das urbane Verkehrsaufkommen haben könnte. »Emphasis has been placed upon the use of these technologies to alleviate the massive twice-daily peak commuting loads imposed upon most major American cities. The primary means by which these technologies will be used is to allow ›information industry‹ workers to perform their jobs at work centers scattered throughout each city, close to their homes, rather than commuting long distances to work. A basic premise is made that this reorientation of urban work patterns will not occur unless the technological substitutes can be shown to be both economical and effective.«187

Mit der wachsenden Verbreitung wurden die Vorraussetzungen für ein solches Projekt geschaffen. »You’ll Never Have to Go to Work Again: No

185 Ebd. 186 Rosenberg: The Social Impact of Computers, S. 342-345. 187 Nilles, Jack M.; Carlson, Frederic R.; Gray, Paul; Hanneman, Gerhard (1976): Telecommuting – An Alternative to Urban Transportation Congestion, in: IEEE Transactions on Systems, Man and Cybernetics, SMC-6/2, S. 77-84, 77.

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Traffic Jams«188 hatte Alan Kiron in der Washington Post 1969 prophezeit. Kiron, der Mitarbeiter des amerikanischen Patentamtes, schlug unter dem Begriff »domonetics« eine neue Wissenschaft vor, mit deren Hilfe gesellschaftliche Probleme mit Verkehr, Umweltverschmutzung, Wohnungsbau und Kriminalität gelöst werden sollten. 1985 veröffentlichte der National Research Council eine Sammlung von Case Studies zum Thema »Office Workstations in the Home«.189 In ihrem Beitrag »Clerical Workers and New Office Technologies« gibt Judith Gregory zunächst einen kurzen Überblick über die amerikanische Arbeiterschaft: »The American labor force today includes 19 million clerical workers. They are expected to number 22 to 23 million by the end of the decade, according to U.S. Department of Labor statistics. Nearly one in five American workers now works as a clerical, making it the largest single category of workers. Clericals are predominantly women – 98.6 percent of all secretaries are women, for example.«190

Viele Arbeitsplätze, die hauptsächlich von Frauen besetzt waren, waren aufgrund der an ihnen ausgeübten Tätigkeiten potentielle Computerarbeitsplätze. Dem Verhältnis zwischen hauptsächlich von Frauen ausgeführten Tätigkeiten und Technologie widmete sich auch der Sammelband »Computer Chips and Paper Clips«. Die Übergeordnete Fragestellung war: Schafften Bedürfnisse neue Technologien oder schaffte die neue Technologie Bedürfnisse?191 Weniger als ein Fünftel der Familien, so Gregorys Überblick über die gegenwärtige Situation von arbeitenden Frauen, entspräche heute (also

188 Kiron, Allan (1969): »You’ll Never Have to Go to Work Again: No Traffic Jams«, in: The Washington Post vom 24.08.1969. 189 Olson, Margrethe (Hg.) (1985): Office Workstations in the Home, Washington, DC. 190 Gregory, Judith (1985): »Clerical Workers and New Office Technologies«, in: Olson: Office Workstations in the Home, S. 112-124. 191 Vgl. Hartmann, Heidi I.; Kraut, Robert E.; Tilly, Louise (Hg.) (1986-1987): Computer Chips and Paper Clips. Technology and Women’s Employment, Washington DC; sowie vgl. Kramarae, Cheris (Hg.) (1988): Technology and Women’s Voices. Keeping in Touch, New York.

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1985) dem stereotypischen Familienbild vom Vater, der das Geld verdient, der Hausfrau und Mutter mit einem oder mehreren Kindern. »In 1983 the median yearly income for women working full-time was $12,172 before taxes, compared with $20,682 for men working fulltime. […] 45 percent of mothers with children under the age of six are working. Two out of three working women are single, widowed, divorced, separated, or have husbands who earn less than $15,000 a year. The number of female-headed households increased by 97 percent between 1970 and 1980.«192

Für Gregory stellen Office Workstations, die, ihrer Einschätzung nach, aufgrund des hohen Anteils von Frauen mit Bürotätigkeiten ohnehin Großteils von Frauen besetzt würden, keine wünschenswerte Maßnahme zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen dar. »Clerical homework programs today are few in number and experimental. Small as such experiments are, their greatest effect may prove to be the more widespread introduction of monitoring, piece rates, and productivity pressures into mainstream office employment in ways that undermine pay levels, job security, the quality of work, and the ability of female clericals to organize in their own behalf.«193

Im Gegenteil, Gregory befürchtet, dass die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen, deren Vorteil für viele Amerikaner:innen etwa darin bestand, dass sie den Weg zur Arbeit sparen, den Leistungsdruck am Arbeitsplatz zu Hause erhöhen könnte. Andererseits machte Computertechnologie Arbeitsprozesse zentral zu überwachen, auch wenn andere Infrastrukturen wie etwa der Verkehr entlastet werden könnten. Mit dem Einzug des Personal Computers hatten sich die Menschen Zugang zu einer vielversprechenden Technologie verschafft. Mit der intimen Beziehung, die sie zur Technologie unterhielten, akzeptierten sie und internalisierten sie auch ihre Bedingungen. In der Umstruktuierung der Arbeitswelt und der Verschränkung von Produktivität mit computergestütztem persönlichem Erfolg zeigt sich, was der Computerforscher Mark Weiser am Forschungszentrum Xerox PARC

192 Gregory: Clerical Workers and New Office Technologies, S. 113 193 Ebd., S. 121.

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1988 mit dem Begriff ubiquitous computing beschrieb: »The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.«194 Zwar stellte sich Weiser nicht den herkömmliche PC vor. Seiner Ansicht nach verstellten die als Personal Computer erhältlichen Geräte das wirkliche Potential von Informationstechnologien: »Such machines cannot truly make computing an integral, invisible part of the way people live their lives.«195 Die undurchsichtige Aura, die den Personal Computer umgebe, so Weiser, sei mehr als ein »user interface problem«.196 Weisers Äußerungen hätten ohne die grundsätzliche Bereitschaft zur Interaktion mit der Maschine über ihre Hardware- und Softwareinterfaces wenig Anklang gefunden. Das PCDispositiv und das damit verbundene allgemeine Begehren nach Computertechnologie als Mittel zur Selbstverwirklichung sind Bedingung für ein solches Denken.

194 Weiser: The Computer for the 21st Century. 195 Ebd. 196 Ebd.

Der Einzug des Personal Computers ins Unbewusste

Resümee

Nach weniger als einem halben Jahrhundert seit der Einführung der ersten PCs nutzen heute Menschen auf der ganzen Welt Computertechnologie. Computertechnologie durchdringt gesellschaftliche Infrastrukturen und damit auch das bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der Menschen. Die Performativität des PC-Dispositivs entfaltet sich, heute mehr denn je, in der vernetzten Welt von smarten Technologien, Big Data und Social Media, in der nahezu jedes Individuum an Computertechnologie angeschlossen ist. Das bedeutet aber nicht, dass gesellschaftliche Ungleichheiten und soziale Ungerechtigkeiten in der vernetzten Welt automatisch aufgehoben würden, wie es nach der Einführung von PCs erträumt wurde, sie werden mitunter verschärft. Entgegen dem Versprechen, das mit PCs verbreitet wurde, stellt der Anschluss an Computer- und Informationstechnologien keine Garantie auf Mitbestimmung dar. An Computertechnologie angeschlossene Individuen interagieren mit anderen Individuen oder mit ihren maschinellen Simulationen und produzieren auf diese Weise Daten. Unterstützt werden sie von immer feinsinnigeren Sensoren, die den Menschen die Datenarbeit vermeintlich erleichtern bzw. abnehmen, in dem sie quasi automatisch ihre Handlungen und Interaktionen registrieren und kopieren. So gewonnene Daten lassen sich Daten in symbolisches, ökonomisches, kulturelles oder soziales Kapital verwandeln. Dass die Beteiligung an Gewinnen, die mit Datenströmen erzeugt werden, ungleich verteilt ist, zeigt sich im aktuellen Streit um das Urheberrecht. Das PC-Dispositiv und die computerisierte Gesellschaft hat eigene Gesetzmäßigkeiten hervorgebracht, die überall dort wirken, wo Menschen über Computerinterfaces an Informationsnetzwerke angeschlossen sind und

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bisweilen staatliche Gesetze und gesellschaftliche Konventionen unterlaufen. Die Vorstellung, der Zugang zu Computertechnologie befreie das einzelne Individuum von gesellschaftlichen Zwängen und ermächtige es, seine Zukunft selbstbestimmt zu gestalten, kann als Ausdruck eines allgemeinen Begehrens betrachtet werden, das durch das Personal-Computer-Dispositiv geweckt wurde, wie die Analyse der Diskursgeschichte des Personal Computers zeigt. Da sich das Dispositiv der Abbildbarkeit entzieht, werden Diskurse, Daten, Orte und Verfahren untersucht, in welchen das Dispositiv sichtbar wird. Auf diese Weise skizziert das Projekt, wie Computertechnologie aus häuserfüllenden Rechenzentren und Forschungslaboren in der Gestalt des Personal Computers zur Grundlage für die Computerisierung oder Informatisierung der Gesellschaft wurde. Mit den Begriffen der technologischen Öffnung und der technologischen Schließung wird die Diskursgeschichte und der gesellschaftliche Transformationsprozess in zwei Phasen eingeteilt: Die erste Phase beginnt nicht mit dem Produkt, das als Personal Computer verkauft wurde, denn das Personal-Computer-Dispositiv ist mehr als die Hardware- und Softwarekomponenten, die ab Ende der 1970er Jahre in Computerfachgeschäften unter dem Namen Personal Computer verkauft wurden. Das erste Kapitel widmet sich daher den gesellschaftlichen Diskursen, aus welchen das Dispositiv hervorgeht: Die kybernetische Forschung und die amerikanische Sicherheits- und Wirtschaftspolitik liefern die diskursive Grundlage, auf der der Computer von einem höchst selektiven Arbeitsinstrument als Personal Computer zum Dispositiv der Informationsgesellschaft wird. Das zweite Kapitel, das mit dem der Begriff der technologischen Schließung im zweiten Kapitel überschrieben ist, verfolgt die Transformation des PCs vom konkreten technischen Gerät zum medialen Dispositiv und seinen Weg in die Wohn- und Arbeitsräume der Menschen. Die zwei Kapitel sind in Abschnitte untergegliedert, die keiner linearen oder chronologischen Ordnung folgen. Die Analyse zeigt, dass sie vielfach miteinander verschränkt sind und sich überlagern. Im ersten Abschnitt des ersten Kapitels wird die technische Entwicklung von Computerhardware und -software bis hin zu den Anfängen der Produktion von Personal Computern skizziert. Diese Entwicklung ist zunächst von der kontinuierlichen Verkleinerung der technischen Geräte ge-

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prägt, die in millionenschweren Forschungsprojekten im Auftrag von Regierung und privatwirtschaftlichen Unternehmen im Geiste des technologischen Fortschritts vorangetrieben wurden. Die Erfolge dieser Entwicklung werden vom Wachstum einer sich formierenden Computerindustrie begleitet. Mit dem Wachstum der Industrie verbessern sich die Produktionsbedingungen und Computer werden günstiger. Der Bereich der Software ist von der Ausweitung computergesteuerter Automatisierung von Produktionsprozessen und Verwaltung in immer mehr Bereichen des wirtschaftlichen und politischen Lebens geprägt. Optimierungs- und Standardisierungsbemühungen erhöhen die Komplexität der Steuerungssysteme. Die immer höhere Geschwindigkeit der von Computern gesteuerten Rechenoperationen übersteigt menschliche Wahrnehmung. Der Begriff der Interaktivität setzt sich als Bezeichnung für die Erfahrung von Rechentätigkeit durch. Die weitere Steigerung der Leistungsfähigkeit von Computersystemem drückte sich in Verfahren wie Time-Sharing und Real-Time aus. Während ersteres, aufbauend auf dem in der industriellen Produktion angewandten Prinzip der Arbeitsteilung, ermöglichte, mehrere Rechenoperationen scheinbar gleichzeitig oder parallel durchzuführen, erlaubte letzteres Prognosen über die Zukunft anzustellen, die sich in der Gegenwart steuern ließen. Zusammen mit der Microcomputertechnologie waren schließlich die technischen und ökonomischen Voraussetzungen für den Personal Computer geschaffen. Der zweite Abschnitt verfolgt die Entwicklung der Kybernetik als wissenschaftlichem Ansatz zur Erforschung der Steuerung von Systemen aller Art (biologische, technische oder psychische), sowie ihre institutionelle Einrichtung als wissenschaftliche Disziplin der Computer Science (hierzulande Informatik genannt). Ihre Wurzeln hat diese Wissenschaft in den Ingenieurswissenschaften und der Informationstheorie, auch wenn sie alsbald in allen wissenschaftlichen Bereichen erprobt und weiterentwickelt wurde. Ein zentrales Feld der Kybernetik war die Forschung mit und am Computer und das Problem der Regelung und Übertragung kognitiver Prozesse zwischen Mensch und Rechenmaschine. Im Zusammenschluss mit spezifischen Sensortechnologien zur Datenerfassung und Ausgabegeräten zur weiteren Datenverarbeitung fand Computertechnologie in unterschiedlichen wissenschaftlichen Forschungsfeldern Anwendung. In der Computer Science wurde der Interaktion mit dem Computer mit den Begriffen augmentation oder intelligence amplification eine neue Qualität zugeschrieben. Der

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Begriff augmentation bezeichnete die Möglichkeit der synthetischen Verstärkung menschlicher intellektueller Leistung durch Computer und thematisierte die Individualisierbarkeit der universellen Rechenmaschine. Die Kybernetik stellte grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Mensch und Maschine, die sich später im Dispositiv des Personal Computers verwirklichten. Der dritte Abschnitt des ersten Kapitels reflektiert den von neuen elektronischen Medien (auch Radio und Fernsehen) eingeleiteten gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Dieser wurde einerseits als Chance auf einen Neubeginn der vom Krieg traumatisierten Gesellschaft gesehen, zum anderen standen die Medien unter dem Verdacht, Krieg mit anderen Mitteln zu führen. In Sozialwissenschaft, Futurologie, Kultur- und Medienwissenschaft wurde mit der Rede von Informationsindustrie, Informationsgesellschaft und Informationszeitalter zu Beginn der 1960er Jahre die universelle Anwendbarkeit von Computern betont. Computer wurden im Diskurs der Informationsgesellschaft wie die Massenmedien Radio und Fernsehen den elektronischen Kommunikationstechnologien zugerechnet, während die selektive Zweckbindung in den Hintergrund trat. In der öffentlichen Rezeption hielten sich utopische und dystopische Erwartungen an die gesellschaftliche Zukunft und deren Gestaltungmöglichkeiten mit Computertechnologie die Waage. In der durch elektronische Medien begünstigen Vernetzung der Individuen in der globalen Informationsgesellschaft schien einerseits die Möglichkeit kollektiver Herrschaft souveräner Bürgersubjekte auf; andererseits unterwarf sie das gesellschaftliche Individuum einem technischem System. Im abschließenden Abschnitt des ersten Kapitels werden sowohl ›typisch‹ amerikanische Perspektiven als auch kritische Perspektiven auf die amerikanische Gesellschaft wiedergegeben. Eine weitere Grundlage für das Heimischwerden von Computern war der ungebrochene Glaube der amerikanischen Gesellschaft, dass technologischer Fortschritt und ein freier Markt Sicherheit und Wohlstand für die gesamte Gesellschaft garantierten. Mit der Politik des New Deal und ihren hohen staatlichen Investitionen in die Rüstungsindustrie und in Infrastrukturen (Stromversorgung, Verkehrsund Kommunikationsnetze) hatten die USA während des zweiten Weltkriegs Arbeitslosigkeit und Armut im Land bekämpft. Nach 1945 floss das hohe Investitionsvolumen der Rüstungsindustrie unter anderem in die Hochtechnologieforschung (z.B. für Luft- und Raumfahrt). Automatisierte

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Prozesssteuerung verbreitete sich zunehmend in der öffentlichen Verwaltung sowie in weiten Teilen der dienstleistenden Privatwirtschaft (etwa Tourismus, Banken- und Versicherungswesen). Das Machtmonopol, das Rüstungsindustrie und Staat gebildet hatten und das die öffentliche Politik bestimmte, wurde von wirtschaftsliberalen Kräften kritisiert. Seit den 1930er bis zu den 1970er Jahren hatten sich der Lebensstandard der amerikanischen Bevölkerung deutlich verbessert. Die Konsumausgaben der Haushalte waren um mehr als die Hälfte gestiegen und wurden in die häusliche Ausstattung, vor allem Elektronik investiert. Mit der Werbeindustrie entstand ein neuer Wirtschaftszweig, der mit gezieltem Marketing das Konsumbegehren weiter anregte. Das Streben nach Glück und persönlichem Erfolg verpflichtete die Amerikaner:innen zu Fortschritt und Konsum, die wiederum als die auschlaggebenden Faktoren für die Neugier und Lust der Amerikaner:innen auf den Personal Computer angesehen werden können. Schnittmenge des kybernetischen Diskurses mit der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik der 1950 und 1960er Jahre war die Vorstellung der Steuer- oder Kontrollierbarkeit zukünftiger Ereignisse, mit der sich der herrschende Imperativ zu Fortschritt und Konsum erklären lässt. Dieser Imperativ trat besonders am Hochtechnologie- und Marketing-Standort Silicon Valley in Erscheinung, der Gegenstand des ersten Abschnitts des Kapitels zur technologischen Schließung ist. Der Abschnitt geht auf die dem Silicon Valley, das oft auch als Wiege des Personal Computers gesehen wird, eigentümliche Verschränkung technikaffiner Protestkultur mit der boomenden Computerindustrie. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum der Industrie und dem Wachstum ihrer gesellschaftlichen Relevanz wuchs zunehmend das Interesse beim ›Rest‹ der Gesellschaft und die Forderung nach einem allgemeinen Zugang zu Computertechnologie wurde immer bestimmter. Das Valley wurde zur neuen Traumfabrik Kaliforniens und der USA und die Idee des Personal Computer zum Leitbild gesellschaftlicher Befreiung und des selbstbestimmten Individuums. Kritik am sogenannten Military-Industrial-Complex und der Konsumgesellschaft wurde von sozial- und linksliberalen Kräften geübt, die später als Counterculture bezeichnet wurden. Sie prangerten die Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und ihrer Verwirklichung als Scheinheiligkeit und Doppelmoral an. Die Antwort der Gegenkulturen der 1960er auf die Komplizenschaft von Konsum und Krieg

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gegen den Kommunismus im In- und Ausland war Individualismus. Die antiautoritären Bewegungen problematisierten nicht die Computertechnologie, sondern ihren Gebrauch und die falsche Lebensweise, die dieser mit sich brachte. Das konforme Individuum hindere sich an der Verwirklichung seines Rechts auf individuelle Freiheit. Mit dem Begriff augmentation fand die Counterculture ein theoretisches Modell, das der Forderung nach mehr Selbstbestimmung entsprach. Darüber hinaus bot die Kybernetik die theoretische Grundlage einer „ganzheitlichen“ Lebensführung, in der Individuum und Umwelt im ökologischen Gleichgewicht standen. Die Interaktion mit Computern galt als bewusstseinserweiternde Erfahrung. Computersimulationen befreiten das Individuum von Zwängen und Verboten und unterstützten es dabei, alternative Realitäten zu imaginieren. Die Counterculture subvertierte so den Gebrauch von Computertechnologie und etablierte eine neue Kultur, neue Mythen, in welcher Hippies und Hacker die Helden waren. Der reale Widerspruch zwischen Sicherheits- und Freiheitsbedürfnis, Fortschritt und Protest war durch die Arbeit an Computern überbrückbar. Computerforschung und -industrie stellten im Silicon Valley Arbeitsplätze für eine wachsende Zahl von Arbeitnehmer:innen. Mit der Verbreitung von Computertechnologie in mittelständischen Unternehmen wuchsen also auch die Arbeitsplätze an Computern. Bis zur Einführung von Mikrochips Anfang der 1970er, mit der Computertechnologie für Privatleute erschwinglich wurde, blieb der Arbeitsplatz oder die Schule die einzige Möglichkeit Zeit am Computer zu verbringen. Auf diese Weise versammelten sich im Silicon Valley der 1970er Jahre eine Vielzahl von Akteuren und Positionen, die an der Idee des Personal Computers arbeiteten. In dem Vermögen Kritik und Widerstand zu verknüpfen und Informationsverluste auszugleichen, wurde die Produktivität und Wirksamkeit des Personal-Computer-Dispositivs sichtbar. Wie bereits erwähnt, übertrat Computertechnologie mit dem Mikrocomputer zwar die ökonomische Schwelle, dass private Haushalte sich Computer leisten konnten, trotzdem blieb Computertechnologie, wie im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels aufgezeigt wird, zunächst nur einem kleinen elitären Kreis der Gesellschaft vorbehalten. Die Industrie war in der festen Hand einiger weniger Hersteller, die keine Anstalten machten, Computer für den privaten Gebrauch zu entwickeln.

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Während Hippies und Hacker die Befreiung der Technologie und die Integration von Individuum mit der Welt über den Anschluss an Informationstechnologien feierten, hatte die breite Masse praktisch keinen Zugang zur Technologie. Auf Initiative kleiner Unternehmen (die später zu gigantischen Konzernen wurden) kamen die ersten Hobby-Computer auf den Markt. Im Laufe der 1970er organisierten sich Computer-Interessierte in User Groups und Computer Clubs. 1977 gab es bundesweit etwa 400 Computer Stores, über die neben neuen Hardware und Software-Bauteilen populärwissenschaftliche Computer-, Elektronik- und Hobbymagazine vertrieben wurden. In diesem Netzwerk aus Printmedien, Computer Clubs, User Groups, Computer Stores, Newsletter und Bulletins, Zeitschriften und Ratgeber, Bedienungsanleitungen, Bastlern und Hackern kristallisierte sich personal computing als Alternative zu Bürokratie und Krieg. 1978 wurden schließlich die ersten gebrauchsfertigen PCs, auch home computer genannt, verkauft. Sie bestanden aus Recheneinheit mit Betriebssystem, Tastatur und Monitor sowie Softwarepaketen mit Programmen für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Spielen. Da sich die großen Computerhersteller zunächst nicht dafür interessierten, teilten sich neu gegründete Unternehmen wie Apple und Elektronikfachgeschäfte wie RadioShack den Heimcomputermarkt. Die anvisierte Kundschaft war die amerikanische Familie und für jedes Familienmitglied sollte der Personal Computer etwas zu bieten haben. Um sie zu gewinnen und um Berührungsängste abzubauen, vermied das Marketing technischen Jargon und versprach, dass für die Benutzung von Computern kein Fachwissen vorausgesetzt werde. PCs wurden mit häuslicher Behaglichkeit und dem Versprechen auf persönlichen Erfolg verbunden. Die Botschaft der Reklame war: PCs garantierten Spaß für Kinder, die spielerisch am Computer programmieren lernen sollten. Laien und Fortgeschrittene konnten zu Hause ihre Fähigkeiten ausbauen. Das Home Office würde berufstätigen Eltern ermöglichen von zu Hause zu arbeiten und sich von strengen Arbeitszeiten unabhängig zu machen. PCs machten keine Vorschriften, so die Werbung, sie waren personalisierbar und richteten sich nach den Interessen ihrer Benutzer:innen. Zusammen mit der Werbeindustrie wurde ein neues Image der unscheinbaren und farblosen Maschinen entworfen und dem Personal Computer, immer häufiger auch Home Computer genannt, wurde als neuer Freund der Fami-

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lie Leben eingehaucht. Ein leeres Blatt, das zum Schreiben und Malen, einlud. Mit der Einführung von PCs gründeten sich Initiativen, um die Computer Literacy voranzutreiben, denn die Fähigkeit mit dem Computer sprechen oder kommunizieren zu können, wurde als unumgehbar betrachtet, um mit dem Fortschritt mitzuhalten. BASIC, die leicht zu erlernende auf dem englischen Wortschatz aufbauende Programmiersprache erzeugte Nähe über das Gefühl, mit den Maschinen sprechen zu können. Innerhalb weniger Jahre hatten die Amerikaner:innen das neue Familienmitglied integriert und hatten eine intime Beziehung zu ihm aufgebaut. Computeruser:innen waren geboren und das zukünftige Ideal der Benutzerfreundlichkeit kündigte sich als neue Perspektive für den Personal-Computer-Markt an. Anthropomorphe Zuschreibungen unterstrichen den familiären Charakter von PCs zusätzlich: Der PC als Diener suggerierte, dass die User:innen die Kontrolle behielten; der PC als Lehrer sollte Eltern überzeugen, das Computer nicht bloße Spielerei seien, sondern einen positiven Nutzen hatten; der PC als Vertraute oder Vertrauter sprach unabhängig von Alter oder Geschlecht alle Individuen an. Das Image des PCs wurde vom Echo des subversiven Do-It-Yourself-Spirits der Counterculture begleitet und verstärkt. Mit dem Heimischwerden der Computertechnologie gingen die Menschen intime Beziehungen mit der Technologie ein, die fortan Begehren und Denken eines jeden Individuums mitgestalteten. Der letzte Schritt der Transformation war die Entgrenzung von Büro und Heim, Arbeit und Freizeit und die Verinnerlichung der Technologie. Das Dispositiv wird transparent. Das Personal-Computer Dispositiv war die Antwort auf eine gesellschaftliche Krise: Mittels Technologie entledigte sich die vom Krieg traumatisierte Gesellschaft der Herrschaft durch das alte Regime und der Personal Computer wurde zum Symbol der Befreiung des Individuums und einer selbstbestimmten gesellschaftlichen Zukunft. Verallgemeinert im Begriff Personal Computing wurde der Umgang mit Computern natürlich, wie die Rede von Digital Natives belegt. Den Computer zu benutzen, hieß fortan, seine Bedingungen zu akzeptieren und freiwillig eine intime Beziehung mit der Technologie einzugehen. Jedes Individuum wurde anschließbar an die Informationsgesellschaft. Mit dem Heimischwerden der Computertechnologie wurde sie internalisiert. Intimität bedeutete, mit Computern zu denken, im Englischen think through. Das Dispositiv verband sich mit der Wahrnehmung und schloss die Subjektivie-

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rung im Informationszeitalter ab. Hardware, Software, Marketing, Arbeit und Konsumption am Computer woben sich ununterscheidbar in die Lebenswirklichkeit der Menschen ein. Der Personal Computer als Dispositiv bildete die Grundlage einer umfänglichen Begehrensökonomie und des damit verbundenen Phantasmas der Kontrolle über das eigene Geschick durch Individualisierung und unerschöpflichen Fortschritt. Die Analyse der Äußerungen und Dokumente in dieser Arbeit zeigen aber auch, dass das PCDispositiv den wissenschaftlichen (Kybernetik), politischen (Kalter Krieg) und ökonomischen (Kapitalismus) Bedingungen der Diskursproduktion unterworfen war und blieb. Die Transformation von gigantischen Computern, mit Hilfe derer die Menschen zum Mond fliegen konnten, hin zu Computern als zweite Haut und als zusätzliche Steuerungseinheiten in den Körpern der Menschen, ist ohne Zweifel das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung. Doch diese ist nicht weniger bedingt durch die herrschenden Diskurse oder politischen Verhältnisse. Historisch relevant ist das Dispositiv, weil es die herrschenden Ordnungen unterbricht, sie öffnet und verschiebt, bevor es selbst zur Grundlage einer umfänglichen Technologisierung wird. In postdigitalen Diskursen ist Computertechnologie immer schon gegenwärtig. Sie ist unsichtbar, transparent, distanzlos geworden. Sie wohnt in den letzten Winkeln der Materie und wird immer stärker mit den Körpern der Menschen integriert. Vor allem aber hat sie sich mit dem ›geistigen Apparat‹ der Menschen und ihrer sinnlichen Wahrnehmung verbunden. Das Reale dieser Technologisierung ist, dass das Dispositiv in die intimsten Träume der Menschen, in ihr Unbewusstes eingezogen ist. Dieses Reale des Computers auf den wissenschaftlichen Diskurs beschränken zu wollen, ist die Idiosynkrasie einer positivistischen technokapitalistischen Ideologie, in der Ästhetik und das Soziale der totalen Berechenbarkeit unterworfen werden. Wie jede Gesellschaft produziert auch die postdigitale Gesellschaft Unbewusstheit. Die unter technologischen Bedingungen produzierte Unbewusstheit prägt das wirtschaftliche, politische, private und intime Leben. Mit dem Unbewusstwerden geht das Unsichtbarwerden des oder die Blindheit für das Dispositiv einher. Der Unterschied zwischen simulierter und ›tatsächlicher‹ Wirklichkeit wird zunehmend irrelevant oder aufgehoben. Dies wird spätestens mit der globalen Vernetzung durch das Internet deutlich. Das Simulierte ist wahrhaftig und die Welt ist modellierbar. Simulierte

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Gesten sind wirkliche Handlungen und die virtuelle Welt ist bevölkert von wirklichen Identitäten. Dass das Dispositiv als wesentlicher Teil postdigitaler Identitäten nicht mehr gesehen wird, heißt nicht, dass es verschwunden ist oder an Wirkung eingebüßt hat. Im Gegenteil, es entfaltet seine Performativität mit all ihren Risiken, Unsicherheiten und Verführungen.

Dank

Diese Untersuchung entstand als Promotionsvorhaben im hochschul- und fakultätsübergreifenden interdisziplinären Promotionsprogramm des DFG Graduiertenkolleg Sichtbarkeit und Sichtbarmachung an der Universität Potsdam. Im Rahmen des Kollegs fanden nicht nur wertvolle Kolloquien und Diskussionen statt, die mir bei der inhaltlichen Ausarbeitung weiterhalfen, es wurde auch eine Archivreise gefördert, die mir ermöglichte Sammlungen, wie die Special Collections der Stanford University und das Archiv des Computer History Museums in Mountain View in Kalifornien aufzusuchen. Neben der dokumentierten Geschichte, konnte ich während dieser Reise auch Beobachtungen machen, die nicht in Bibliotheken und Archiven zu finden sind. Mein herzlicher Dank geht an meine Betreuer Dieter Mersch und Winfried Gerling, die das Vorhaben unterstützt, die Arbeit begleitet und begutachtet haben. Ich danke ebenso Marie-Luise Angerer für das dritte Gutachten. Besonderer Dank geht an Jan Distelmeyer, Katrin von Kap-herr sowie viele Kolleg:innen an der FH Potsdam und im Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam und FH Potsdam, die mir im Arbeitsalltag stets Rückhalt gegeben haben. Anne Carolin Bahrs möchte ich ganz herzlich für die Gestaltung des Umschlages danken. Ganz besonders Danken möchte Jennifer Brenke, Julia Küppers und Christina Vagt für ihre unbezahlbare Freundschaft und ganz praktische Hilfe. Meinen Eltern und meiner Schwester danke ich für ihre Geduld und Rückhalt. In tiefer Verbundenheit danke ich Jan-Erik Stange für das gewissenhafte Lektorat und seine unbedingte Unterstützung.

Abbildungen

Abbildung 1: Conrod, J. Computer Bible Games. Computer Fun for the Whole Family, Book 2. Quelle: © Accent Publications Inc. 1984, Denver CO. Abbildung 2: IBM System/360 Model 40 (1966). Quelle: https://www.com puterhistory.org/timeline/computers/ vom 06.03.2019. Abbildung 3: »The new Hewlett-Packard 9100A personal computer« (1968). Quelle: https://www.hpmuseum.net/upload_htmlFile/PrintAds/ Ad1968_9100A_PowerfulComputingGenie-23.jpg vom 06.03.2019 © Hewlett Packard Company. Abbildung 4: People’s Computer Company, October 1972, Issue #1. Quelle: https://archive.computerhistory.org/resources/access/text/2017/09/10 2661095/102661095-05-v1-n1-acc.pdf vom 06.03.2019. Abbildung 5: »A Balance of Features« Reklame für den Apple-1, Juli 1976. Quelle: © Apple Computer Company http://time.com/3398919/applefirst-portable-macintosh/ vom 06.03.2019. Abbildung 6: »Introducing Apple II.«, Reklame für den Apple II, 1977. Quelle: © Apple Computer Inc http://www.macmothership.com/gallery /gallery1.html vom 06.03.2019. Abbildung 7: Apple III »Will someone please tell me exactly what a personal computer can do?«, 1981 (linke und rechte Seite). Quelle: © Apple Computer Inc http://www.macmothership.com/gallery/newads15/ someoneplease3.jpg vom 06.03.2019. Abbildung 8: Radio Shack Answers 1985 Nr. 2, S. 9. Quelle: https://arch ive.org/details/Radio_Shack_Answers_1985-02_1985_Radio_Shack/pa ge/n7 vom 06.03.2019, © Radio Shack 1985.

208 | Wie Computer heimisch wurden

Abbildung 9: Cover der Ausgabe von Home Office Computing (September 1988). Quelle: https://archive.org/details/family-computing-61 vom 06. 03.2019 © Home Office Computing 1988.

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