Werke mit deutscher Übersetzung: Band 9/1 Der Kommentar zum Hohelied 9783110464702, 9783110442557

Hieronymus claimed that Origen had even surpassed himself in his Commentary on the Song of Songs. Origen interprets the

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Werke mit deutscher Übersetzung: Band 9/1 Der Kommentar zum Hohelied
 9783110464702, 9783110442557

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Die Überlieferung des Hoheliedkommentars
II. Hoheliedauslegung vor Origenes
1. Das frühjüdische Hoheliedverständnis
2. Die Kirche als Braut Christi im Neuen Testament
3. Hippolyt von Rom und sein Hoheliedkommentar
III. Das Hoheliedverständnis des Origenes
1. Die Schrifthermeneutik des Origenes im Hoheliedkommentar
2. Der Literalsinn des Hoheliedes
3. Der geistige Sinn des Hoheliedes
a) Christus und die Kirche
b) Das Wort und die Seele
c) Die Christologie im Hoheliedkommentar
IV. Zur Rezeption des Hoheliedkommentars
V. Bibeltext und Auslegungsinhalte
1. Übersicht über die in den Büchern ausgelegten Perikopen
2. Der Bibeltext Hld. 1,1–2,15 LXX in Rufins Übersetzung
3. Gliederung des Hoheliedkommentars nach den Inhalten der Auslegung
Der Kommentar des Origenes zum Hohelied in der Übersetzung des Rufinus
Prologus – Vorwort
Liber Primus – Erstes Buch
Liber secundus – Zweites Buch
Liber tertius – Drittes Buch
Bibliographie
Quellen
Literatur
Register
Bibelstellen
Origenesstellen
Namen und Sachen

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Origenes Werke mit deutscher Übersetzung 9/1

Origenes Werke mit deutscher Übersetzung Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Forschungsstelle Origenes der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster herausgegeben von Alfons Fürst und Christoph Markschies

Band 9/1

Walter de Gruyter • Berlin • Boston Herder Freiburg • Basel • Wien

Origenes Der Kommentar zum Hohelied Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Holger Strutwolf

Walter de Gruyter • Berlin • Boston Herder Freiburg • Basel • Wien

ISBN De Gruyter: 978-3-11-044255-7 e-ISBN De Gruyter: 978-3-11-046470-2 ISBN Herder: 978-3-451-32913-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen Satz: pagina GmbH, Tübingen © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Einleitung ..............

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II. Hoheliedauslegung vor Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das frühjüdische Hoheliedverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kirche als Braut Christi im Neuen Testament . . . . . . . . 3. Hippolyt von Rom und sein Hoheliedkommentar . . . . . . . .

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III. Das Hoheliedverständnis des Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schrifthermeneutik des Origenes im Hoheliedkommentar 2. Der Literalsinn des Hoheliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der geistige Sinn des Hoheliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Christus und die Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Wort und die Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Christologie im Hoheliedkommentar . . . . . . . . . . . .

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IV. Zur Rezeption des Hoheliedkommentars . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Bibeltext und Auslegungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übersicht über die in den Büchern ausgelegten Perikopen . 2. Der Bibeltext Hld. 1,1–2,15 LXX in Rufins Übersetzung . . 3. Gliederung des Hoheliedkommentars nach den Inhalten der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Die Überlieferung des Hoheliedkommentars

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Der Kommentar des Origenes zum Hohelied in der Übersetzung des Rufinus Prologus – Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liber Primus – Erstes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liber secundus – Zweites Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liber tertius – Drittes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI

Inhalt

Bibliographie Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Origenesstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namen und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

I. Die Überlieferung des Hoheliedkommentars Origenes, der nach dem Diktum des Hieronymus in seinem Hoheliedkommentar nicht nur alle anderen, sondern sogar sich selbst übertroffen hat,1 hat in diesem Werk offenbar seine Leserschaft in theologische Lehren und existenzielle Erkenntnisse einweihen wollen, die für die Vollkommenen und nicht für die einfachen Gläubigen bestimmt gewesen sind. Es liegt uns in diesem Kommentar ein Meisterwerk der allegorischen Exegese vor, das sein Verfasser in seiner Reifezeit als krönenden Höhepunkt seines bibeltheologischen Schaffens veröffentlicht hat. Wie Eusebius von Caesarea berichtet, hat Origenes die ersten fünf Bände dieses monumentalen Kommentars im Jahre 240 n.Chr. in Athen verfasst und die Bände sechs bis zehn dann einige Zeit später in Caesarea geschrieben.2 Dieses Werk seiner späten Zeit war freilich nicht die erste Veröffentlichung, die der große Alexandriner diesem Buch der Heiligen Schrift gewidmet hat: Hieronymus weiß von einem zweibändigen Hoheliedkommentar des Origenes, den dieser schon in seiner Jugendzeit vorgelegt haben soll.3 Von diesem Frühwerk ist außer der Nachricht von seiner Existenz nicht mehr auf uns gekommen als ein einziges Fragment in der Philokalie, der Anthologie aus den Schriften des Origenes, die Basilius von Caesarea und Gregor von Nazianz im 4. Jahrhundert zusammengestellt haben.4 Auch die Überlieferungslage in Bezug auf den großen Hoheliedkommentar ist prekär. Diese Schrift ist uns nämlich in einer Gestalt überliefert, die von dem ursprünglich Vorliegenden nur noch einen wenn auch umfangreichen Teil erkennen lässt. Das griechische Original ist bis auf spärliche Fragmente nicht erhalten geblieben, sondern hat nur in der Übersetzung des Rufinus von Aquileja die Zeiten überdauert, der wohl im Jahre 410 n.Chr. die ersten drei Bücher des Kommentars in das Lateinische übersetzt hat. Schon Cassiodor hat nicht mehr von dieser Übersetzung gekannt als das, was auch wir heute noch vorliegen haben.5 Diese Nachricht und die offensicht-

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Hieronymus, in Cant. hom. Orig. prol. (GCS Orig. 8, 26): Origenes, cum in ceteris libris omnes uicerit, in Cantico Canticorum ipse se uicit. Eusebius von Caesarea, hist. eccl. VI 32,2 (GCS Eus. 2, 586). Hieronymus, epist. 33,4 (CSEL 54, 256). Philoc. 7,1 (SC 302, 326): siehe unten S. 58 Anm. 6 zu in Cant. comm. prol. 1,3. So berichtet es Cassiodor selbst, div. inst. I 5,4 (p. 24 Mynors): „Des weiteren hat Rufinus, ein überaus beredsamer Exeget, das Werk recht ausführlich in drei Büchern erklärt und eine Reihe von Schriftstellen bis zu jener Aufforderung hinzu-

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Einleitung

liche Unvollständigkeit der Übersetzung wie auch die Tatsache, dass – anders als bei Rufinus sonst üblich – der lateinischen Ausgabe kein Vorwort vorangestellt ist, sprechen dafür, dass es dem Übersetzer, der nach der Eroberung Roms im August 410 nach Sizilien floh und dort um die Jahreswende 411/12 verstarb, wohl nicht vergönnt war, sein Werk zu vollenden. Aber nicht nur die Tatsache, dass Rufinus nur eine Teilübersetzung hinterlassen hat, lässt große Teile der origeneischen Kommentierung des Hohelieds im Dunkel der Überlieferungsgeschichte verschwinden. Denn der Übersetzer Rufinus ist offenbar auch in diesem Werk recht frei mit dem Text seiner Vorlage umgegangen. Wie wenig wir mit einer wörtlichen Übersetzung zu rechnen haben, kann zum einen der Vergleich mit einer relativ ausführlich auf Griechisch überlieferten Passage des Kommentars in der Philokalie zeigen,6 zum anderen entspricht es überhaupt dem Übersetzungsstil des Rufinus, die Gedanken seiner Vorlage eher zu paraphrasieren denn Wort für Wort zu übersetzen. Darüber hinaus scheint er auch den wissenschaftlichen Charakter des Werkes für sein lateinisches Publikum abgemildert zu haben, indem er etwa die vielen Diskussionen des Origenes über die verschiedenen Textfassungen, in denen das Hohelied bei Aquila, Symmachus und Theodotion neben der Septuaginta vorlag,7 weggelassen und stattdessen manchmal Probleme diskutiert hat, die allein für die lateinischen Leser von Interesse waren. Der lateinische Text der von Rufinus übersetzten drei Bücher liegt in 32 Handschriften vor, von denen Wilhelm Adolf Baehrens seiner bis heute maßgeblichen Ausgabe von 1925 im Rahmen der „Griechischen Christlichen Schriftsteller“ zehn zugrundegelegt hat. Sie lassen sich zu vier Hauptgruppen ordnen, die gemeinsam auf einen Archetyp, der deutlich vor dem 10. Jahrhundert entstanden sein muss, zurückgehen dürften.8 Luc Bre´sard und Henri Crouzel haben in Zusammenarbeit mit Marcel Borret den Text von Baehrens in der zweibändigen „Sources Chre´tiennes“-Ausgabe von

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gefügt, die da lautet: ,Fangt uns die jungen Füchse, die Verwüster des Weinbergs!‘ (Hld. 2,15).“ Übersetzung: Bürsgens, FC 39, 147. Mit der Auslegung dieses Verses des Hoheliedes bricht die handschriftlich überlieferte Gestalt des Rufinschen Übersetzungswerkes ab. Frg. 12 aus philoc. 27,13 (SC 226, 310–314). So erklärt Hieronymus, in Cant. hom. Orig. prol. (GCS Orig. 8, 26), Origenes habe seine Erklärungen durchgehend nicht nur an die Septuagintafassung des Hoheliedtextes, sondern auch an die des Aquila, des Symmachus und des Theodotion sowie an eine fünfte Version, die er selbst in Aktium gefunden hatte, angeschlossen. Solche textkritischen Überlegungen und Ausführungen sucht man im lateinischen Text des Rufinus vergeblich. Er wird sie also übergangen haben. Vgl. frg. 18 und 26; zu letzterem liegt im lat. Text in Cant. comm. III 10,1 keine Entsprechung vor. Siehe dazu Ceresa-Gastaldo, L’esegesi origeniana. Vgl. Baehrens, GCS Orig. 8, xx–xxi.

I. Die Überlieferung des Hoheliedkommentars

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1991–1992 abgedruckt und nur an wenigen Stellen andere textkritische Entscheidungen getroffen.9 Neben ihrer französischen Übersetzung liegen eine in das Englische von R. P. Lawson in den „Ancient Christian Writers“ von 1957, in das Italienische von Manlio Simonetti in den „Collana di Testi Patristici“ von 1976, in das Japanische von T. Odaka von 1982 und in das Spanische von Argimiro Velasco Delgado in der „Biblioteca de Patrı´stica“ von 1986 (32007) vor. Die vorliegende Ausgabe bietet die erste Übersetzung von Origenes’ Hoheliedkommentar in das Deutsche.10 Übernommen wurden der Text von Baehrens11 und die Kapiteleinteilung aus der „Sources Chre´tiennes“-Ausgabe. Abweichend von letzterer (und auch von Baehrens) wird jedoch kein viertes Buch gezählt, da ein solches erst in einigen späten Handschriften vermerkt ist und, wie oben dargestellt, nicht zum ursprünglichen Bestand des von Rufinus Hinterlassenen gehörte; aus diesem Grund wird die Kapitelzählung im dritten Buch nach III 14 fortgesetzt bis III 17 (und nicht drei Kapitel IV 1 bis IV 3 gezählt; als Orientierungshilfe für die Benutzer wird diese „Sources Chre´tiennes“-Zählung zu den Kapiteln III 15 bis III 17 jedoch mitnotiert).12 Die beiden von Hieronymus übersetzten Homilien des Origenes zum Hohelied sowie die vor allem in den Katenen erhaltenen Fragmente aus dem Hoheliedkommentar erscheinen gesondert in Band 9/2 der „Origenes Werke mit deutscher Übersetzung“. Die Verweise auf die Fragmente aus dem Hoheliedkommentar im Fragmentenapparat unter dem lateinischen Text und in den Fußnoten beziehen sich also ebenso auf diesen Band wie Hinweise auf die Hoheliedhomilien. Diese Aufteilung auf zwei Bände wurde gewählt, um den Band mit dem Hoheliedkommentar nicht zu umfangreich werden zu lassen, vor allem aber, um fachlich einschlägig interessierten Benutzern die Möglichkeit zu geben, die griechischen Fragmente aus dem Kommentar neben den jeweiligen lateinischen Text zu legen. Die Vorteile dieser Vergleichsmöglichkeit dürften den Nachteil aufwiegen, dass die Fragmente in einem anderen Band enthalten sind als der Kommentar und darin mit den Homilien zusammenstehen, zu denen sie – von einem Fragment abgesehen – eigentlich nicht gehören.

9 Aufgelistet in Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 71. 10 Die Übersetzung wurde von den beiden Autoren gemeinsam angefertigt. Die Anmerkungen zur Übersetzung stammen hauptsächlich von Alfons Fürst, die Einleitung (Kapitel I bis IV) hat Holger Strutwolf geschrieben (leicht bearbeitet und ergänzt von Alfons Fürst, der auch Kapitel V hinzugefügt hat). Für die Mitarbeit bei der formalen Herstellung des Manuskripts und der Erstellung der Register danken wir herzlich den Studentischen Hilfskräften Frau Dorothea Riemer und Herrn Paul Schroeter. 11 Textkritische Fragen werden jeweils an Ort und Stelle in den Fußnoten erläutert. 12 Vgl. dazu unten S. 47 Anm. 182 und S. 392 Anm. 473.

II. Hoheliedauslegung vor Origenes Origenes war nicht der erste Theologe, der sich wissenschaftlich mit der Auslegung des Hohelieds beschäftigt hat. Er hatte Vorläufer sowohl im Judentum als auch schon in der frühen Christenheit.

1. Das frühjüdische Hoheliedverständnis Das wohl im 3. Jahrhundert vor Christi Geburt entstandene Hohelied, das nach der überwiegenden Meinung der modernen Exegese zunächst als Sammlung weltlicher Liebeslieder konzipiert worden war,13 wurde durch seine nachträglich hinzugesetzte Überschrift (Hld. 1,1) als Werk des Königs Salomo angesehen und erhielt als solches schließlich kanonisches Ansehen,14 was dann aber auch seine allegorische Auslegung erzwang.15 Die erste greifbare Gestalt, die sich für die Kanonizität und damit zugleich für die allegorische Deutung des Hohen Liedes eingesetzt hat, scheint Rabbi Akiba gewesen zu sein.16 Überhaupt ist im Targum zum Hohelied, aber auch im

13 Repräsentativ für diese Sicht ist Keel, Das Hohelied 9. 14 Siehe hierzu Barton, Canonicity, der allerdings bestreitet, dass die Kanonizität des Hoheliedes wirklich ernsthaft in Frage stand, und auch die Vorstellung, erst die Aufnahme des Buches in den Kanon habe seine Allegorese erzwungen, für falsch hält, weil das Hohelied seiner Ansicht nach niemals anders als allegorisch verstanden worden ist. Auch Fraisse, Kommentar zum Hohelied 4 f., versucht zu zeigen, dass die allegorische Auslegung keineswegs mit der Kanonizität des Hohelieds notwendig gegeben war. Seine Überlegungen überzeugen aber insofern nicht, als er einen zu engen Begriff von Allegorese voraussetzt. Nicht jede Allegorese ist platonisch. Aber jede Auslegung, die das Hohelied auf das Verhältnis von Gott und Israel bezieht, kann allegorisch genannt werden. 15 Zur frühjüdischen Hoheliedauslegung siehe Vulliaud, Le Cantique des Cantiques; Reventlow, Das allegorische Verständnis des Hoheliedes; Ifrah, Le Cantique des Cantiques 67 f.; Riekert, Tannaic Interpretation of Canticles; Green, The Song of the Songs; Kuhn, Art. Hoheslied II. 16 Rabbi Akiba, mJadajim 3,5, spricht davon, dass die gesamte Welt den Tag nicht aufwiegen könne, an dem das Hohelied dem Volk Israel gegeben worden sei, daher seien die Kethubim „das Heilige“, während das Hohelied das „Allerheiligste“ sei (siehe dazu auch unten S. 105 Anm. 88). Zudem betont er das übertragene Verständnis des Hoheliedes dadurch, dass er in tSanhedrin 12,10 sagt, dass derjenige, der es wage, es in Hochzeitshäusern als eine Art Gesang anzustimmen, keinen Anteil an der kommenden Welt habe.

II. Hoheliedauslegung vor Origenes

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Talmud, in dem man nahezu jeden Vers des Hoheliedes ausgelegt findet,17 nicht nur die Kanonizität des Hoheliedes, sondern auch seine übertragene Auslegung Konsens. In der frühjüdischen Tradition wird das Hohelied durchgehend als Zwiegespräch zwischen Gott und seinem erwählten Volk Israel gedeutet. So wird in der Hoheliedauslegung des Targum das Verhältnis von Gott und Israel im Durchgang durch die gesamte Heilsgeschichte Israels beschrieben,18 während im Talmud immer wieder das Verhältnis von Gott und Israel anhand von Versen aus dem Hohelied erläutert wird. In dieser Auslegungstradition wird nicht nur Gott als der Bräutigam, das Volk Israel als die Braut interpretiert, sondern auch das Gesetz als Akteur eingeführt, indem etwa Hld. 8,10: „Ich bin die Mauer“ als Ausspruch des Gesetzes verstanden wird.19 In Hld. 6,2: „Mein Freund stieg in den Garten hinab ..., um sich in den Gartenanlagen zu ergehen und um Rosen zu pflücken“ wird der „Freund“ als Gott, der Ewige, verstanden, während der Garten das Weltall symbolisiert und die Gartenanlagen wiederum für die Völker der Welt stehen, während die Rosen, die der Freund pflückt, „die Gerechten“ sind, „die er (sc. Gott) von ihnen (sc. den Völkern der Welt) fortnimmt (um sie den Israeliten anzuschließen)“.20 So kann Israel auch mit dem Apfel aus Hld. 2,3 gleichgesetzt werden, denn wie beim Apfelbaum die Frucht vor den Blättern erscheint, so habe Israel den Gehorsam noch vor dem Hören zugesagt.21 So wird Hld. 8,6: „Lege mich wie einen Siegelring an dein Herz, wie einen Siegelring an deinen Arm“ als eine nicht wirklich angemessene Bitte Israels an Gott, den Herrn der Welt, verstanden, auf die Gott mit der Zusage Jes. 49,16: „Siehe, auf die Hände habe ich dich gezeichnet“ geantwortet habe.22

2. Die Kirche als Braut Christi im Neuen Testament Im Neuen Testament wird an verschiedenen Stellen das Verhältnis von Christus zu seiner Gemeinde im Bild von Braut und Bräutigam beschrieben. Auch wenn an diesen Stellen nicht direkt auf das Hohelied Salomos als Referenztext hingewiesen wird, dürfte doch zumindest an einigen implizit ein solcher Bezug angenommen werden können.

17 Vgl. Vulliaud, Le Cantique des Cantiques 53. 18 Vgl. Vulliaud, Le Cantique des Cantiques 67–103; Ohly, Hohelied-Studien 13. 19 Rabbi Johanan, Pescharim 87,1, und bBathra 8,1. Vgl. Vulliaud, Le Cantique des Cantiques 53. 20 jBerakhoth 5c (I p. 74 Horowitz). 21 bSchabbath 88a (I p. 695 Goldschmidt). 22 bTa‘anith 4a (III p. 644 Goldschmidt).

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Einleitung

Wenn Jesus in den Synoptikern sein eigenes Erdendasein als Freudenzeit für seine Jünger mit der Gegenwart des Bräutigams unter den Hochzeitsgästen vergleicht (Mt. 9,15; Mk. 2,19; Lk. 5,34 f.), ist damit noch keineswegs die in der Umwelt Jesu noch unbekannte Vorstellung von der Gemeinde als der Braut Christi gemeint23 und liegt somit auch kein impliziter Bezug auf das Hohelied vor. Dies gilt ebenso vom Gleichnis der zehn Jungfrauen, die den Bräutigam erwarten (Mt. 25,1–13). In Joh. 3,29 ist ein Bezug des Bräutigams auf seine Braut thematisiert, der implizit auf die Gemeinde bezogen zu sein scheint: Wenn die Jünger des Täufers diesen auf den Missionserfolg Jesu ansprechen (Joh. 3,26) und fragen, was davon zu halten sei, antwortet der johanneische Jesus mit der Aussage „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam.“ Hierdurch werden die an Christus glaubenden und getauften Menschen implizit mit der Braut Christi gleichgesetzt, wenn auch nicht explizit von der Kirche die Rede ist. Die explizite Gleichsetzung von Braut und Bräutigam mit Christus und der Kirche ist dagegen in der paulinischen Tradition vorgenommen worden. Schon Paulus selbst spricht in 2 Kor. 11,2 davon, dass er die angesprochene korinthische Gemeinde als eine reine Jungfrau dem einen Mann, Christus, verlobt habe. In den Deuteropaulinen wird dieser Ansatz dann in Eph. 5,29–32 aufgenommen und expliziert: Die Vereinigung von Mann und Frau gilt als Abbild des großen Mysteriums, das in der Vermählung von Christus mit seiner Kirche besteht. In der Johannesapokalypse schließlich kann sowohl die vollendete himmlische (Offb. 19,7; 21,2.9) als auch die noch auf Erden wandelnde Kirche als Braut Christi bezeichnet werden (Offb. 22,17). Es ist dabei durchaus anzunehmen, dass die johanneische wie auch die paulinische Rede von Christus als dem Bräutigam, der sich mit der Kirche als Braut verbindet, vor dem Hintergrund der jüdischen Auslegung des Hoheliedes zu verstehen ist.

3. Hippolyt von Rom und sein Hoheliedkommentar Hippolyt von Rom ist der erste christliche Theologe von dem wir wissen, dass er einen Kommentar zum Hohelied verfasst hat,24 der auch noch in großen Stücken erhalten geblieben ist. Er muss dieses Werk vor 235 n.Chr. vollendet haben, da er in diesem Jahr zusammen mit seinem Gegenbischof

23 Die Vorstellung vom Messias als der Braut Israels war dem Alten Testament wie dem Frühjudentum fremd: Grässer, Parusieverzögerung 121 mit Anm. 2. Vielmehr dürfte hier auf das profane Sprichwort verwiesen werden, dass es unpassend ist, an Hochzeitstagen zu trauern: Bultmann, Geschichte 107 mit Anm. 1. 24 Siehe Chappuzeau, Auslegung des Hohelieds; Pelletier, Lectures du Cantique des

II. Hoheliedauslegung vor Origenes

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Pontianus nach Sardinien verbannt worden ist, von wo er nicht mehr lebend zurückkehrte. Da er der letzte griechisch schreibende Theologe in Rom gewesen zu sein scheint, sind die meisten seiner vielfältigen Werke untergegangen oder nur noch in prekärer Überlieferung erhalten. So sind von seinem Hoheliedkommentar nur wenige griechische Fragmente überliefert, während ein erheblicher Teil dieses Werkes in einer aus dem Armenischen geflossenen georgischen Übersetzung erhalten ist.25 Dieser Kommentar, der wohl aus Predigten über das Hohelied hervorgegangen ist, war nicht sehr umfangreich und in seiner Nachwirkung offenbar auch sehr beschränkt. Da er aber wahrscheinlich in der auf die Büchersammlung des Origenes zurückgehenden Bibliothek des Eusebius von Caesarea vorhanden war,26 ist eine Kenntnis des Hippolytkommentars durch Origenes durchaus nicht unwahrscheinlich.27 Hippolyt folgt insoweit der frühjüdischen Auslegungstradition, als auch er die Synagoge in der Rolle der Braut sieht, die allerdings durch die Kirche abgelöst worden ist. So ist für ihn die um den Kuss des Bräutigams bittende Braut ein Symbol für das um die Gegenwart des himmlischen Wortes bittende „Volk“, weil es, durch den Kuss mit dem göttlichen Wort verbunden, den Heiligen Geist von ihm empfangen will, wobei der Begriff des bittenden Volkes bei Hippolyt wohl bewusst in der Schwebe bleibt.28 So ist für Hippolyt die Braut des Hohelieds deshalb schön, „weil ihr die Sünde vergeben ist“,29 ohne dass sie eindeutig mit der Kirche identifiziert wird. Überhaupt wird eine solche Identifikation nur an einer Stelle explizit vorgenommen: In der Auslegung von Hld. 3,6: „Wer steigt da heraus aus der Wüste?“ betont Hippolyt, dass es die Kirche sei, die aus der Wüste hervorsteige, damit sie für Christus zu einer Stadt werde. Damit sind seiner Meinung nach die Heiden gemeint, die lange Zeit für Gott eine Wüste waren, aber nun

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Cantiques 217–227. Skarsaune, Scriptural Interpretation 436 f., macht deutlich, dass Hippolyt nicht nur der erste regelrechte Kommentator des Hoheliedes, sondern auch einer der ersten christlichen Autoren überhaupt gewesen ist, die sich theologisch mit Texten aus dem Hohelied auseinandergesetzt haben. Übersetzt liegt dieser Text vor in G. N. Bonwetsch, TU 32/2, Berlin 1902. Diese deutsche Übersetzung ist allerdings nicht aus dem georgischen Text, sondern aus der russischen Übersetzung geflossen. Die kritische Edition des georgischen Textes und eine lateinische Übersetzung desselben hat G. Garitte, CSCO 263. 264, Leuven 1965, vorgelegt. So betont Eusebius, hist. eccl. VI 22 (GCS Eus. 2, 568), dass die Bücher, die er als Werke des Hippolyt auflistet und unter denen auch der Hoheliedkommentar genannt wird, „auf uns gekommen sind“, während er von anderen Werken spricht, die sich eventuell noch anderswo finden ließen, die er selbst aber offenbar nicht zu Gesicht bekommen hat. Beispiele dafür siehe unten S. 122 Anm. 124; S. 230 Anm. 244; S. 416 Anm. 507. Hippolyt, Cant. 2,2 (CSCO 263, 36 georg. Text; CSCO 264, 26 lat. Übersetzung). Ebd. 14,2 (263, 51; 264, 37).

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Einleitung

durch die Gnade Christi eine mit vielen Heiligen angefüllte Stadt Gottes geworden sind.30 Andererseits kann Hippolyt auch die jungen Frauen, die den Bräutigam lieben (Hld. 1,2), mit den „Kirchen“, deren Gewand der Glaube der Kirchen ist, gleichsetzen.31 In Maria und Martha bekennt sich die Synagoge zur Auferstehung Christi,32 erst in der Ablehnung Christi trennen sich in Hippolyts Augen Synagoge und Kirche.33 Statt allgemein Gott als Bräutigam zu bezeichnen, ist das jüdische Hoheliedverständnis bei Hippolyt auch insofern christianisiert, als Christus nun in der Rolle des Bräutigams erscheint. In ihm erfüllt sich die alttestamentliche Erwartung, in ihm kommt Gott zur Menschheit. Er ist der erwartete Geliebte, der über die Hügel und über die Berggipfel springt (Hld. 2,8 f.), wobei Hippolyt dieses „Springen“ auf das gesamte Heilswerk Christi ausdehnt: Er kam springend, indem er zuerst vom Himmel in den Schoß der Jungfrau Maria „sprang“, dann vom Mutterleib an das Holz des Kreuzes, anschließend vom Kreuz in die Unterwelt und von der Unterwelt in seiner Auferstehung „in diesem menschlichen Fleisch“ wieder auf die Erde zurücksprang, dann von der Erde in den Himmel, wo er jetzt bis zur Endzeit zur Rechten Gottes sitzt, um dann wieder auf die Erde herabzuspringen, um das Endgericht zu halten.34 Eine ähnliche typologische Exegese, die die Aussagen des Hohelieds als Weissagungen über Christi Inkarnation und Wirken auf Erden bezieht, wendet Hippolyt auch auf die Aussage von Hld. 3,1.3: „Des Nachts suchte ich nach dem, den meine Seele liebgewonnen hat, ich fragte nach ihm und fand ihn nicht. Es fanden mich die Wächter, die die Stadt bewachten“ im Blick auf das Geschehen nach Jesu Auferstehung an, als Maria und Martha den toten Jesus im Grab suchten und ihn dort nicht fanden und die Engel ihnen die Botschaft von der Auferstehung verkündigten (Lk. 24,1–11.22).35 In dieser Auslegung sind die den Gekreuzigten suchenden Frauen nicht nur als Maria und Martha benannt, sondern zugleich als Urbild der nach Christus fragenden Synagoge bezeichnet,36 die zugleich mit der Kirche gleichgesetzt zu werden scheint.37 Eine individuelle Deutung der Braut auf die einzelnen Gläubigen kennt Hippolyt dabei noch nicht, denn auch die beiden Frauen am Grabe kommen allein als Urbild des Kollektivs der Synagoge oder der Kirche in den Blick.

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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

26,1 (263, 65; 264, 49). 2,33 (263, 42; 264, 30). 25,6 (263, 63; 264, 47). 25,10 (263, 65; 264, 49). 21,2 (263, 56; 264, 41). 24,1–4 (263, 58–60; 264, 43–45). 24,2 (263, 58; 264, 44) und 25,6 (263, 63; 264, 47). 26,1 (263, 65 f.; 264, 49).

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes Anders als das Hoheliedverständnis seiner Vorgänger, die das Hohelied zwar allegorisch auf Gott und sein Volk (Israel und die Kirche) bezogen, aber sich keine grundlegende Rechenschaft über diese Art der Auslegung gegeben haben, ist die origeneische Auslegung des Hoheliedes von einer hochkomplexen und durchdachten Hermeneutik und Auslegungstheorie bestimmt, die noch dazu speziell auf das auszulegende Werk zugeschnitten ist. Die Ausgangsthese seiner gesamten Hoheliedauslegung ist dabei, dass diese Schrift seiner Gattung nach ein Hochzeitslied darstellt, das in der Form einer dramatischen Darstellung mit verteilten Rollen einen linearen Handlungsstrang entfaltet, um unter dem Bild der Liebe zwischen Bräutigam und Braut das Verhältnis der geistigen Liebe zwischen Christus und seiner Kirche bzw. zwischen dem Wort Gottes und der einzelnen gläubigen Seele darzustellen. Die Implikationen dieser exegetischen Grundannahme werden in einem ebenso umfang- wie inhaltsreichen Prolog entfaltet, der die Agenda für den darauf folgenden Kommentar beschreibt und bestimmt.

1. Die Schrifthermeneutik des Origenes im Hoheliedkommentar Origenes hat seine Schrifthermeneutik schon in seinem systematischen Hauptwerk De principiis deutlich dargestellt,38 doch auch im Prolog seines Hoheliedkommentars äußert er sich eingehender zu seinem Schriftverständnis. Nachdem er in seinem Prinzipienwerk seine Theorie vorgestellt hat, dass der Text der Heiligen Schrift sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen (moralisch-mystischen) Sinn zu verstehen ist, wendet er diese Unterscheidung differenziert in seinem Hoheliedkommentar an. In seiner Auslegung konzentriert er sich auf den Zusammenhang von literarischer Darstellungsform und dem darin verborgenen geistigen Sinngehalt, der selbst wiederum einerseits auf die Beziehung der Einzelseele zum Wort Gottes und andererseits auf die Verbindung von Christus mit seiner Kirche bezogen wird. Es ist darüber hinaus charakteristisch für diesen Kommentar, dass er durchgängig einen literalen Sinn des Hoheliedes zugrundelegt, indem er es als ein Hochzeitslied auffasst, das von mehreren, in verschiedenen Rollen auftretenden Personen gesungen wird: dem Bräutigam, der Braut, den Ge38 Origenes, princ. IV 1–3 (GCS Orig. 5, 292–347).

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fährten des Bräutigams und den Begleiterinnen der Braut. Deshalb kann Origenes auch davon sprechen, das Hohelied habe die Form eines antiken Dramas, in dem im Wechsel der auftretenden und abtretenden Charaktere eine Handlung erzählt wird.39 Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu beachten, dass Origenes mit dieser Gattungsbestimmung des Hohelieds zugleich auch deutlich macht, dass auch die Auslegung des Buches im literalen Sinne nicht auf die Historizität des darin Berichteten abzielt, da der Dramenhandlung immer das Moment der Fiktionalität eignet. Der Handlungsablauf des vorausgesetzten Dramas wird dabei von Origenes für jeden ausgelegten Abschnitt als dessen Literalsinn erhoben, um diesen dann in der allegorischen Auslegung auf Christus und die Kirche bzw. das Wort Gottes und die einzelne Seele zu übertragen.

2. Der Literalsinn des Hoheliedes Während Origenes in seinem Prinzipienwerk betont, dass nicht jede Ausage der Heiligen Schrift auch im wörtlichen Sinn deutbar, aber immer im geistigen und moralischen Sinn auslegbar ist,40 bringt es die spezifische Deutung des Hoheliedes als eines in dramatischer Form gestalteten Hochzeitsliedes mit sich, dass der gesamte Text in fast allen seinen Teilaussagen auch einen Literalsinn aufweist und somit als stimmige Schilderung eines linearen Geschehensablaufs gedeutet wird. Die Handlung dieses von Origenes im wörtlich aufgefassten Text des Hoheliedes aufgefundenen Dramas wird von ihm wie folgt rekonstruiert: In Hld. 1,2 spricht zunächst eine Braut, die von ihrem Bräutigam schon das Eheversprechen in Gestalt von Brautgaben erhalten hat, aber noch auf die Ankunft des Bräutigams bei ihr wartet. Weil der Bräutigam aber auf sich warten lässt, wendet sie sich in ihrer Not an Gott, der der Vater des Bräutigams ist, und bittet diesen mit den Worten: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes“, er möge dafür sorgen, dass der Bräutigam erscheine und Gemeinschaft mit ihr habe. Noch während dieser Bitte ist der Bräutigam der Braut nahe getreten, und sie spricht ihn mit den Worten von Hld. 1,2–4 an: „Ja, deine Brüste sind besser als Wein und der Duft deiner Salböle besser als alle Duftkräuter. Ausgegossenes Salböl ist dein Name. Deswegen haben sich die Mädchen in dich verliebt, sie haben dich an sich gezogen: Zum Duft deiner Salböle werden wir hinter dir herlaufen“, wobei sie sich im letzten Satz mit den sie begleitenden Brautjungfern zusammenschließt. Nachdem die Braut geschildert hat, wie der König sie in sein Gemach geführt hat, 39 Vgl. in Cant. comm. prol. 1,1–3. 40 Princ. IV 3,5 (GCS Orig. 5, 331).

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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reden im Rest des Verses 4 die jungen Frauen und wünschen, ebenfalls zu erlangen, was die Braut erreicht hat. In Hld. 1,5: „Dunkel bin ich und schön, Töchter Jerusalems, wie die Zelte von Kedar, wie die Planen Salomos“ spricht wieder die Braut, diesmal zu den Töchtern Jerusalems, die schlecht über sie gesprochen zu haben scheinen, und rechtfertigt ihre dunkle Hautfarbe mit den Umständen ihres Lebens unter freiem Himmel und der Tatsache, dass sie in den Weinbergen arbeiten musste (Hld. 1,6). In Hld. 1,7 fragt die Braut ihren Bräutigam, wo er sich zur Mittagszeit mit seiner Herde aufhalten werde, damit sie bei ihrer Suche nach ihm nicht auf Abwege gerät. Hld. 1,8, das sicher Anrede des Bräutigams an die Braut sein dürfte, wird von Origenes einerseits in seinem literarischen Sinn als Tadel des Bräutigams ausgelegt, weil ihr die Selbsterkenntnis fehlt, andererseits betont er, dass Salomo damit das berühmte philosophische Postulat der Selbsterkenntnis schon vor den griechischen Weisen ausgesprochen habe. Auch Hld. 1,9 wird als Aussage des Bräutigams an die Braut aufgefasst, der sie mit seiner „Reiterei unter den Streitwagen des Pharao“ vergleicht. Wenn der Bräutigam dann in Hld. 1,10 die Schönheit der Braut beschreibt, hat diese Schönheit für Origenes ihren Grund darin, dass sie nach dem Tadel von Hld. 1,8 errötet ist und gerade durch ihre Scham noch schöner geworden ist. In Hld. 1,11 f. sagen dann die Begleiter des Bräutigams: „Nachbildungen von Gold werden wir dir machen mit Verzierungen von Silber, solange der König auf seinem Lager ruht.“ Wenn die Braut daraufhin in Hld. 1,12 zu ihrem Bräutigam sagt: „Mein Nardenöl verströmte seinen Geruch“, lässt sich diese Aussage nach Origenes auf zweifache Weise verstehen: Die Braut hat den Bräutigam mit einem Öl gesalbt, das erst im Kontakt mit ihm seinen Duft entfaltet, oder das Salböl, mit dem die Braut ihren Geliebten gesalbt hat, nahm dessen Geruch an und verströmte daher nicht den eigenen, sondern den Geruch des Bräutigams. Auch in Hld. 1,13 f. beschreibt die Braut ihren Gefährtinnen den Bräutigam in poetischen Bildern, um sie zur Liebe und Bewunderung für ihn anzuleiten. Ein neuer Gesprächsgang zwischen Bräutigam und Braut beginnt nach Origenes in Hld. 1,15: „Siehe, du bist schön, meine Gefährtin; siehe, du bist schön; deine Augen sind Tauben“, wo der Bräutigam die inzwischen zur Selbsterkenntnis gelangte Braut erneut um ihrer Schönheit willen rühmt und zugleich betont, dass sie nun nicht nur in der Nähe des Bräutigams, sondern auch bei seiner Abwesenheit schön bleibt. Dies findet Origenes darin ausgedrückt, dass bei der Wiederholung der Aussage über die Schönheit der Braut die Anrede „meine Gefährtin“ fehlt. Daraufhin antwortet die Braut, indem sie selbst wiederum die Schönheit des Bräutigams wahrnimmt und preist (Hld. 1,16), und erhält vom Bräutigam in Hld. 1,17 die Schilderung ihrer gemeinsamen Wohnstatt zur Antwort.

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In Hld. 2,1 f. stellt der Bräutigam zuerst sich selbst als Blume des Feldes und Lilie der Täler vor, um dann seine Braut als Lilie inmitten von Dornen zu bezeichnen, wobei als Adressaten dieser Verse die Gefährten des Bräutigams angesehen werden. Im Gegenzug dazu vergleicht die Braut ihren Liebsten ihren Gefährtinnen gegenüber mit einem Apfelbaum, in dessen Schatten sie sitzen und dessen Frucht sie genießen möchte (Hld. 2,3). In Hld. 2,4: „Führt mich in das Haus des Weines hinein“ spricht die Braut die Gefährtinnen ihres Bräutigams an, weil sie, nachdem sie schon das Gemach ihres Geliebten gesehen hat, nun auch an seinem Festmahl teilnehmen will, und bittet diese, sie zu unterstützen und zu stärken, weil sie von Liebe zu ihrem Freund verwundet ist (Hld. 2,4 f.). Auch Hld. 2,6: „Seine Linke ist unter meinem Haupt, und seine Rechte wird mich umarmen“ ist Ausspruch der Braut, die zur Vermählung mit dem Bräutigam eilt. Als liebende Braut bittet sie dann ihre Gefährtinnen: „Ich beschwor euch, Töchter Jerusalems, bei den Mächten und bei den Kräften des Feldes, ob ihr die Liebe aufgerichtet und aufgeweckt habt, wie er es will“ (Hld. 2,7), weil wahre Liebe nicht wollen kann, dass irgendetwas gegen den Willen des geliebten Menschen getan wird. Nachdem die Braut nun länger mit ihren Gefährtinnen gesprochen hat, hört sie in Hld. 2,8 die Stimme ihres Geliebten und unterbricht daher sofort ihre Unterredung mit ihren Gesprächspartnerinnen und konzentriert sich ganz auf das von ferne Ertönende. In Hld. 2,8–14 findet Origenes folgende Szenenfolge: Die Braut sieht ihren Bräutigam mit großen und schnellen Schritten von Ferne über Berge und Hügel heraneilen (V. 8). Er tritt aber nicht gleich ins Haus ein, sondern verweilt ein wenig davor und betrachtet die Braut durch das Fenster des Gebäudes (V. 9). Dessen Gitter werden mit Fallstricken gleichgesetzt, in die sich die Bewohner des Hauses beim Verlassen des Hauses verstricken könnten und die allein der starke Bräutigam zerreißen und unschädlich machen kann. Dies habe er denn auch getan, als er in das Innere des Hauses blickte, und damit die Braut und die Ihren befreit. Er ruft dann die Braut heraus (V. 10), weil er die Gefahr überwunden hat und die Zeit der Befreiung gekommen ist. Diese Zeit wird durch das Ende der Regen- und der Winterzeit und den Anfang der Frühlingszeit symbolisiert (V. 11–13). Schließlich ruft der Bräutigam die Braut aus dem Haus und führt sie zu einem Ort außerhalb des Hauses, wo er sich mit ihr erneut vereinigen will (Hld. 2,14). Mit Hld. 2,15: „Fangt uns die kleinen Füchse, die die Weinberge verwüsten, und unsere Weinberge werden blühen“ fordert der Bräutigam seine Gefährten auf, seine Weinberge vor drohenden Gefahren zu schützen. Mit der Auslegung dieses Verses endet die Rufinsche Übersetzung des Hoheliedkommentars. In den griechischen Fragmenten sind darüber hinaus keine Auslegungen des Literalsinnes des Hoheliedtextes erhalten.

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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Dieser Handlungsablauf des von Origenes dem Hohelied unterlegten Dramas bildet die Grundlage für die Auslegung des Hoheliedes im übertragenen und geistigen Sinn. Zu allen ausgelegten Versen des Liedes wird zunächst der wörtliche Sinn des Dramageschehens auf der textimmanenten literarischen Ebene dargelegt, um die so erhobene dialogische Struktur des Textes sodann Zug um Zug auf das Verhältnis von Christus und Kirche oder von Wort und Einzelseele zu übertragen.

3. Der geistige Sinn des Hoheliedes Nun ist für Origenes gerade im Falle des Hohelieds die geistige und damit nichtsinnliche Auslegung des in seinem Wortsinne hoch erotischen Textes die eigentliche und der Aussageintention des Werkes allein angemessene Verstehensweise. Wie Platon im Symposion und andere in seiner Tradition stehende heidnische Schriftsteller die geistige Liebe als treibende Kraft beim Aufstieg der Seele zur immateriellen Sphäre Gottes und der Ideen im Bild der irdischen Liebe beschreiben, so soll auch Salomo längst vor ihnen diesen Weg der Darstellung gewählt haben, um das Verhältnis der Seele zur geistigen Wirklichkeit Gottes zu veranschaulichen.41 Auch wenn sich der Autor dieses Liedes der Gattung eines dramatisierten Hochzeitsliedes bedient, ist es doch keineswegs seine Absicht, die erotische Liebe zwischen Mann und Frau zu beschreiben oder gar zur körperlichen Liebe anzuregen. Vielmehr wäre für Origenes eine solche Lektüre des Textes nicht nur ein Missverständnis, sondern sogar höchst gefährlich. Daher legt Origenes großen Wert auf den esoterischen Charakter dieser Schrift, die auf keinen Fall in die Hände von Menschen gehört, die zwar körperlich erwachsen, aber noch nicht im geistigen Sinne vollkommen geworden sind.42 Denn anders als Kinder, die noch nicht zur sexuellen Reife gekommen sind, würde bei solchen Erwachsenen die Lektüre des Hoheliedes „die fleischlichen Begierden nähren“ und so fatale Folgen haben. Mit dem Hinweis auf den Brauch der Juden, die großen Wert darauf gelegt

41 Warum der Verfasser des Hoheliedes ausgerechnet diese literarische Gattung und damit ein höchst problematisches Sujet zur Darstellung seines eigentlichen Themas gewählt hat, hat Origenes trotz seiner Ankündigung im Prolog nicht dargelegt. In prol. 1,8 kündigt er zwar an, er wolle nach der Klärung anderer Fragen (siehe dazu unten S. 61 Anm. 12) in seinem Vorwort auch untersuchen, warum das Hohelied in der Art eines dramatisierten Hochzeitsliedes verfasst ist. Allerdings lässt sich im gesamten Prolog eine entsprechende Erörterung nicht finden, entweder weil Origenes eine solche nicht vorgelegt oder aber weil Rufinus sie in seiner Übersetzung übergangen hat. Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 19. 42 In Cant. comm. prol. 1,6.

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hätten, dass das Hohelied nur reifen und schon genügend herangebildeten Menschen in die Hände gelegt werden darf, leitet Origenes zu seinem eigenen geistigen Verständnis des Textes über. Um der Gefahr eines sinnlichen Missverständnisses des Hoheliedes zu begegnen, greift Origenes auf die von ihm auch sonst vertretene, vom Platonismus inspirierte Unterscheidung von sinnlicher und übersinnlicher Wirklichkeit und in diesem Falle besonders von äußerem und innerem Menschen zurück. Bekanntlich erblickt Origenes in der doppelten Erzählung der Menschenschöpfung im Buch Genesis einen Hinweis auf die Unterscheidung zweier von Gott geschaffener Menschen: Während der nach Gen. 1,26 nach dem Bild Gottes geschaffene Mensch der innere, geistige und immaterielle Mensch sei, handele es sich bei dem nach Gen. 2,7 aus dem Lehm der Erde gebildeten Menschen um den äußeren, materiellen und sichtbaren Menschen in seiner körperlichen Gestalt.43 Für die Hoheliedauslegung relevant ist daran der Gedanke, dass eine gewisse Analogie zwischen innerem und äußerem Menschen besteht, so dass Aussagen über die Glieder und Eigenschaften des äußeren Menschen auf die Fähigkeiten und Eigenschaften des inneren Menschen übertragen werden können. Daher sind für Origenes viele anstößige Aussagen der Heiligen Schrift, die dem Wortsinn nach auf den menschlichen Leib und seine Tätigkeiten bezogen werden können, in Wahrheit auf den inneren Menschen und seine Organe und Handlungen zu beziehen. Dabei werden dem inneren und dem äußeren Menschen nicht nur bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten, sondern jeweils auch eine ihnen entsprechende „Nahrung“ und Erkenntnisgegenstände zugeordnet: Wie dem irdischen Menschen leibliche Nahrung und dem geistigen geistige Speise entspricht, so wird der irdische Mensch von leiblicher und der innere Mensch von geistiger Liebe bewegt, wobei sich wiederum die leibliche Liebe auf leibliche und die geistige auf immaterielle Gegenstände bezieht. Wie die körperliche Liebe, so hat auch die geistige Liebe verschiedene mögliche Gegenstände: So kann der Mensch einerseits die Dinge der Welt, böse Dämonen, aber auch verschiedene Künste und Wissenschaften oder aber auch Gott und den Nächsten lieben. Der höchste und angemessenste Gegenstand der geistigen Liebe ist für Origenes selbstverständlich allein der allmächtige und gütige Gott, der in der Schau seines ewigen Wortes, durch das er die Welt geschaffen hat, erkennbar und schaubar wird. Als dieser eigentliche und höchste Gegenstand der Liebe kann nur Gott fungieren, weil er allein – als der dreieinige Gott – die Liebe selbst,44 das heißt der Ursprung aller Liebe ist und zugleich alle Menschen liebt und deren Heil will. Daher ergibt sich für Origenes aus der Liebe zu Gott als deren unverzichtbares Kennzeichen zugleich die Liebe zum Nächsten.45 43 Ebd. prol. 2,4 f. 44 Ebd. prol. 2,25 f.

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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Da der Mensch nach Origenes immer irgendetwas lieben muss46 und der Gegenstand der „geordneten Liebe“ im Letzten nur Gott als Quell der wahren Liebe und als Inbegriff der Liebe selbst sein kann, kommt der Mensch als geistiges Wesen erst in der Gottes- und in der davon abgeleiteten Nächstenliebe zu sich selbst. Da der gläubige Mensch im geistigen Verständnis der Heiligen Schrift die geistige Offenbarung des übersinnlichen Gottes wahrnimmt, ist für Origenes die Schriftauslegung kein rein akademisches Unternehmen, sondern die angemessene und tiefste Form der geistigen Entwicklung des gläubigen Menschen: Erst wenn er in den „inneren Sinn“ der Heiligen Schrift eindringen kann, kommt der innere Mensch zur wahren Selbst- und Gotteserkenntnis. Daher ist für Origenes alle wahre Selbsterkenntnis nur als geistige Schriftauslegung möglich. Hat Origenes nun als Thema des Hoheliedes schon zu Anfang, gleichsam als Voraussetzung seiner gesamten Exegese, das Liebesverhältnis der einzelnen Seele oder der Kirche zum Wort Gottes angegeben, wobei dieses Verständnis nur jenen Christen zugänglich ist, die schon in der Erkenntnis fortgeschritten sind und von der sinnlichen Aussage des Buchstabens zur geistigen Wirklichkeit aufzusteigen in der Lage sind, so expliziert er den erkenntnistheoretischen Hintergrund dieser Auffassung vom geistigen Fortschritt des Christen im Prolog des Kommentars am Beispiel der drei im alttestamentlichen Kanon auf König Salomo zurückgeführten Schriften, die für ihn die Gesamtheit der wahren Philosophie repräsentieren: In der Abfolge der drei salomonischen Bücher der Sprichwörter, des Predigers Kohelet und des Hoheliedes spiegelt sich für Origenes der Aufstieg der Erkenntnis von der Ethik über die Naturphilosophie bis hin zur theoretischen, die geistigen und unkörperlichen Gegenstände betrachtenden Wissenschaft. Während Salomo in den Sprichwörtern die Lebensregeln für ein gottgefälliges Leben aufstellt und im Buch Kohelet die Dinge der Natur in ihrer Vergänglichkeit aufweist, entfaltet er im Hohelied die vollkommene geistige Erkenntnis der dogmatischen und geistigen Lehren, durch welche die Seele „durch echte und geistige Liebe zur Schau der Gottheit aufsteigt“.47 Es ist typisch für das origeneische Verständnis des Aufstiegs der Seele zu Gott, dass dieser einerseits auf allen Stufen als ein intellektueller und ethischer Lernprozess beschrieben wird, zugleich aber angemessen nicht anders als im Bild der emotionalen Liebe beschrieben werden kann. Durch die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung empfängt die Seele nach Origenes jene Verwundung durch den auserwählten Pfeil Gottes (Jes. 49,2), der sie zur geistigen und dennoch leidenschaftlichen Liebe zu Gott entflammt.48 Diesen Auf45 46 47 48

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

prol. prol. prol. prol.

2,32. 2,39. 3,16. 2,17.

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stiegsweg der Kirche und der einzelnen Seele zu Gott findet Origenes auch in der Abfolge der einzelnen Lieder der Bibel angedeutet, die zeitlich vor dem Hohelied Salomos gesungen worden sind und deren krönenden Abschluss es darstellt. Dass es gerade sechs Lieder sind, die Origenes aufzählt (nämlich Ex. 15,1; Num. 21,17 f.; Dtn. 32,1–3; Ri. 5,1–12; 2 Sam. 22,1–3; 1 Chr. 16,7–9)49 ist dabei sicher kein Zufall, sondern soll wohl auf das Sechstagewerk Gottes anspielen und die Heilsgeschichte vor der Inkarnation als Etappen auf dem Weg zur Verbindung mit Christus selbst bezeichnen.50 Während diese anderen Lieder des Alten Testaments von Engeln oder Propheten gesungen worden sind, die als Freunde des Bräutigams auf die Ankunft des Bräutigam vorbereiten, ist der Sänger des Hoheliedes der Bräutigam, Christus selbst, der von der Braut ersehnt wird und sie im Hohelied mit eigenem Mund besingt. Zugleich ist die im Hohelied besungene Braut nicht mehr wie in den vorhergehenden Liedern eine unmündige und unreife, sondern eine schon erwachsene und starke Seele.51 Wenn für Origenes die dogmatische und mystische Theologie – eine Zusammenstellung, die für ihn gerade kein Oxymoron ist52 – das eigentliche Thema des Hoheliedes darstellt, so erklärt sich von daher auch, warum er in der Auslegung dieses für ihn hochspekulativen Textes selten bis gar nicht auf den im Prinzipienwerk postulierten moralischen Schriftsinn zu sprechen kommt. Die moralische Erkenntnis, die nach Origenes für alle Christen zugänglich und notwendig ist, ist eben nicht der primäre Gegenstand des Hoheliedes, sondern die theoretische und geistige Erkenntnis, die nur den bereits Fortgeschrittenen erreichbar ist. Origenes erweist sich in seiner exegetischen Methode als flexibel und passt diese an die jeweils auszulegende Schrift an und vermeidet dabei bewusst einen strengen und der Verschiedenheit der biblischen Schriften auch unangemessenen auslegungsmethodischen Schematismus. Die Auslegungsmethode des Origenes im Kommentar zum Hohelied besteht also darin, dass er die im literarischen Handlungsablauf dieses dramatischen Textes gefundenen Interaktionen zwischen den sprechenden und handelnden Personen auf das vielschichtige geistige Beziehungsgeflecht ausdeutet, das seiner Ansicht nach zwischen dem Sohn Gottes und der Kirche bzw. den einzelnen Seelen, die Glieder dieser Kirche sind, ausgespannt ist. Achtet Origenes dabei darauf, dass der Sohn Gottes in seiner Beziehung zur 49 50 51 52

Ebd. prol. 4,5–14. So u.a. Rousseau, SC 37bis, 31 f. Origenes, in Cant. comm. prol. 4,3. So erwähnt Origenes immer wieder dogmatische und mystische Theologie in einem Atemzug, wenn er die höchste Stufe der christlichen Gottesbeziehung, die für ihn immer auch Gotteserkenntnis impliziert, darstellt: ebd. prol. 3,16 und dazu unten S. 100 Anm. 76.

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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Kirche immer unter dem Titel des Christus auftritt, während er im Gegenüber zur einzelnen Seele in seiner Funktion als Wort Gottes betrachtet wird, so deutet sich in dieser Unterscheidung eine vielfach unthematische, doch wohl bewusste christologische Differenzierung an. a) Christus und die Kirche Braut und Bräutigam des Hoheliedes auf Christus und die Kirche zu deuten, ist eine Gedankenfigur, die Origenes aus der Tradition entnommen haben kann, wurde sie doch schon von Hippolyt von Rom explizit vertreten. Aber Origenes dürfte der erste christliche Theologe gewesen sein, der sie mit systematischer Stringenz bis in die kleinsten Verästelungen des biblischen Textgefüges hinein exegetisch durchgeführt hat. Origenes betrachtet das Verhältnis von Christus und seiner Kirche in einem die gesamte Heilsgeschichte umfassenden Rahmen. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen53 existiert nicht erst seit den Tagen der Inkarnation Christi, sondern schon in alttestamentlicher Zeit, in der Adam als sein erster Prophet nach Gen. 2,24: „Deswegen wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Ehefrau anhängen, und beide werden in einem Fleisch sein“ das Geheimnis von Christus und seiner Kirche offenbarte und wie die Propheten nach ihm als Empfänger der Offenbarung Christi und Verkünder der christlichen Botschaft gelten konnte. So gab es die Kirche als Braut Christi schon von Anfang der Welt an, da sie „in allen Heiligen existierte, die es vom Anfang der Weltzeit an gegeben hat“.54 Und Origenes deutet an einer Stelle seines Hoheliedkommentars an, was er auch sonst deutlich vertreten hat, dass die Kirche nicht erst seit Anbeginn der Welt, sondern auch schon vor der Schöpfung derselben in der Ewigkeit existierte. Er bezieht nämlich die deuteropaulinische Aussage von Eph. 1,4 f.: „Wie er uns in Christus vor der Grundlegung der Welt erwählt hat, damit wir heilig und unbefleckt sind vor ihm, indem er uns in Liebe zur Annahme als Söhne vorherbestimmt hat“ im Zusammenspiel mit Ps. 73(74),2: „Gedenke deiner Versammlung, Herr, die du von Anfang an gesammelt hast“ auf die vorzeitliche Existenz der Vernunftwesen vor dem Fall.55 Origenes vertritt nämlich die These, dass alle vernunftbegabten Wesen, die in der gegenwärtigen Welt als Engel, Menschen und Dämonen wirken, schon vor der Schöpfung der materiellen Welt von Gott gleich und vollkommen geschaffen wurden und erst nach einem präkosmischen Sün-

53 Ebd. I 1,5. 54 Ebd. II 8,6. 55 Ebd. II 8,4–7. Vgl. hierzu Vogt, Kirchenverständnis 205 f.

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denfall in dieser materiellen Welt in verschiedenen Rollen und Funktionen inkarniert wurden, um durch die Erziehung innerhalb der innerweltlichen Heilsgeschichte wieder zu ihrem Ursprung zurückgeführt zu werden. Da diese Vernunftwesen in der Präexistenz in einem Zustand der Heiligung durch den Heiligen Geist dem Sohn Gottes vollkommen anhängen und durch ihn mit dem Vater verbunden sind, kann Origenes diese vorweltliche Gemeinschaft der Vernunftwesen als präexistente Kirche der Heiligen verstehen. Im Hoheliedkommentar, wie er uns überliefert ist, spielt diese Vorstellung einer präexistenten Kirche aber nur eine untergeordnete Rolle, weil Origenes sich in diesem Werk mehr auf die Heilsgeschichte der Kirche in der Welt konzentriert als auf Spekulationen über ihren prälapsarischen Zustand. So ist für ihn die Aussage von größerer Bedeutung, dass die Kirche nicht erst mit der Inkarnation Jesu ins Dasein tritt, sondern schon seit Anbeginn der Weltgeschichte von Christus durch die Zeit geführt wird. In der alttestamentlichen Zeit lebt die Kirche noch in der bloßen Erwartung des ihr schon in der Verheißung angekündigten Kommens des Bräutigams Christus. In diesem Stadium ihrer Existenz befindet sie sich einerseits noch im geistigen Alter der Kindheit und Unreife und ist daher noch unter der Obhut der Patriarchen, Propheten und Engel, die sie auf die Begegnung mit dem ewigen Gottessohn vorbereiten, und ist noch weit davon entfernt, die „Küsse des Bräutigams“ (Hld. 1,2) selbst zu empfangen. Sie kennt zu dieser Zeit nur die „Stimme ihres Geliebten“ (Hld. 2,8), das heißt, sie hat ihn noch nicht selbst gesehen, sondern nur die Verkündigung der Propheten über ihn gehört und geglaubt.56 Anderseits kann Origenes deutlich aussprechen, dass die Kirche immer schon vollkommene Gläubige hervorgebracht hat, denn schon die alttestamentlichen Gerechten, die ihr die Christusbotschaft verkündigten, haben zu ihrer Zeit durch den Glauben an die ihnen verheißene und von ihnen zu verkündende Inkarnation Christi jene höchste Vollkommenheit erreicht, die auch die Gläubigen nach seiner Menschwerdung durch den Glauben an die verwirklichten Heilstaten Christi erlangen können.57 Die vorchristliche Kirche ist also durch die Spannung gekennzeichnet, dass sie sich einerseits noch im Stadium der Vorbereitung befindet, zugleich aber in den Propheten und Heiligen des Alten Testaments schon in die Mysterien des christlichen Glaubens eingeweiht ist. Im Zentrum der die Zeiten übergreifenden Geschichte der Kirche steht somit die Inkarnation Christi, die die Verheißung des Alten Testaments erfüllt und der Kirche den direkten Kontakt mit Christus ermöglicht. Erst die Kirche nach der Inkarnation empfängt die „Küsse des Bräutigams“, erst sie hört die Lehren und Mysterien Christi aus seinem eigenen Munde und wird

56 Origenes, in Cant. comm. III 9,9. 57 Ebd. II 8,33.

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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dadurch mit ihm in einer vorher nicht dagewesenen Innigkeit verbunden. Origenes betont dabei, dass die Kirche nach dem Kommen Christi die Kirche aus den Völkern ist, weil die Botschaft Christi sich erst nach seinem Tod und seiner Auferstehung über die Grenzen des Judentums hinaus ausgeweitet hat. Hat Christus sich in seiner Menschwerdung allen Menschen offenbar gemacht und ist so zum ausgegossenen Salböl des Hoheliedes geworden, so ist die Kirche aus den Heiden im Bild der Braut gezeichnet, die sich als dunkel bzw. schwarz und schön bezeichnet (Hld. 1,5). Dunkel bzw. schwarz ist sie wegen ihrer im Vergleich mit dem ersterwählten Israel dunklen Herkunft und ihrer Sünde und Unwissenheit, in der die Heiden vor der Bekehrung zu Christus lebten, schön wegen der ihr trotz der Sünde verbliebenen Gottesebenbildlichkeit und der Umkehr und Besserung ihrer Gesinnung und Lebensweise, durch die sie ihre ursprüngliche Schönheit wiedererlangt hat.58 Um das Verhältnis dieser Kirche aus den Völkern zum Volk Israel hat Origenes schwer gerungen. Im Kommentar sieht er es in der Bezeichnung des „Neffen“ (aÆdelfidoÂw, fraternus), die im Hohelied für den „Geliebten“ verwendet wird (Hld. 1,13.14.16; 2,3.9.10), in dem Sinne ausgedrückt, dass Christus als „Sohn des Bruders“ der Braut der Sohn des erwählten Volkes Israel ist, weil er „dem Fleische nach“ (Röm. 9,5) aus diesem Volk geboren worden ist, wodurch Kirche und Israel als Geschwister erscheinen.59 Origenes ist sich dabei bewusst, dass die Berufung der Heiden, die sich nach Paulus der Ablehnung Jesu durch Israel verdankt, keineswegs die endgültige Verwerfung Israels bedeuten kann. Wenn die ganze Fülle der Heiden zum Heil gekommen sein wird, wird auch ganz Israel gerettet werden (Röm. 11,26) und zu der Kirche aus den Heiden stoßen.60 So kann Origenes von zwei Berufungen Israels sprechen: eine vor der Berufung der Kirche aus den Heiden und eine zweite, die nach der Rettung der Heiden erfolgen wird.61 Auch die nachösterliche Kirche aus den Völkern ist für Origenes von der spannungsvollen Dialektik von Vollkommenheit und Perfektibilität gekennzeichnet: Einerseits ist sie die Kirche, die nach Eph. 5,27 ohne Flecken und Runzeln ist,62 weil sie durch das Wasserbad der Taufe gereinigt wurde63 und insofern sie aus den Seelen besteht, die zur Vollkommenheit gelangt sind und gemeinsam den Leib der Kirche bilden,64 und die Christus daher in

58 Ebd. II 1,4. 59 Ebd. II 10,3. 60 Ebd. II 1,42–45. Siehe hierzu insgesamt de Lange, Origen and the Jews; McGucking, Origen and the Jews. 61 Origenes, in Cant. comm. III 16(IV 2),22. 62 Ebd. I 3,3. 63 Ebd. II 6,9. 64 Ebd. III 16(IV 2),17.

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seiner göttlichen Vollkommenheit erkennen kann und nicht mehr darauf angewiesen ist, dass sich der Erlöser in seiner Knechtsgestalt offenbart.65 Aber andererseits besteht die Kirche, die in ihrer Vollkommenheit eine ist, aus vielen Gliedern, die noch nicht erwachsen sind und daher noch erzogen werden und Fortschritte machen müssen.66 Daher lässt sich die an sich vollkommene Kirche aus Liebe zu den unvollkommenen Gläubigen dazu herab, „mit den Vielen zu laufen“, weil sie wie Paulus allen alles wird, um sie für das Heil zu gewinnen.67 Origenes kann die beiden scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften der Kirche auch im Sinne der eschatologischen Spannung des Schon und Noch-nicht interpretieren: Während die Kirche in ihrer Gegenwart die Klugheit Christi, die sich auf die irdischen Dinge bezieht, bewundert, wird sie im Eschaton, wenn sie von der Erde in den Himmel übergegangen sein wird, seine auf die göttlichen Dinge bezogene Weisheit bewundern und ihn von Angesicht zu Angesicht schauen.68 Diese Spannung zwischen Schon und Noch-nicht drückt sich für Origenes in der Wiederholung des Satzes: „Du bist schön“ in Hld. 1,15 aus: Das erste Mal bezieht sich diese Aussage auf die Kirche, die schon in der gegenwärtigen Welt durch ihre Nähe zu Christus und ihre Christusnachahmung wohlgestaltet ist, das zweite Mal weist sie auf die eschatologische Zukunft hin, in der die Kirche nicht mehr nur in Nachahmung Christi, sondern durch ihr eigenes Sein schön sein wird, weil sie durch die direkte Teilhabe an Christus und am Heiligen Geist vollkommen geworden ist.69 Während sowohl die Epoche der Kirche in alttestamentlicher Zeit unter der Führung von Gesetz und Propheten70 als auch die Gegenwart der Kirche aus den Heiden mit ihrem Zwiespalt zwischen schon zugesprochener und erst zukünftig erlangter Vollkommenheit mit der Winterzeit verglichen werden, deutet die Aussage von Hld. 2,11, nach welcher der Winter vorüber ist, auf die eschatologische Zukunft der vollendeten Kirche hin. Erst in der endzeitlichen Auferstehung wird die gesamte Kirche, die die verklärten Gläubigen und die himmlischen Gewalten und Engelmächte umfassen wird, den Stürmen der Versuchungen und Verfolgungen gänzlich entronnen sein und Gott in Christus von Angesicht zu Angesicht schauen.71 Bis dahin ist die Kirche, so wie die Braut des Hoheliedes, durch einen Wechsel von Gegenwart und Abwesenheit Christi in ihr bestimmt: In der Zeit der Verfolgungen 65 66 67 68 69 70 71

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

I 4,29. I 4,6. I 4,10.28–30. II 1,30. III 1,10 f. III 15(IV 1),16 f. III 15(IV 1),23–27.

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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und Bedrängnisse, aber auch in der Zeit von Verfehlungen und Sünden erlebt die Kirche sich von Christus verlassen, während sie in Phasen des Friedens und des Voranschreitens im Glauben und in guten Werken die Gegenwart Christi erlebt und offenbart.72 Origenes vertritt in seinem Hoheliedkommentar also einen durchaus dynamischen Kirchenbegriff, nach dem die Kirche einerseits als das Urbild der christlichen Vollkommenheit zu gelten hat, andererseits aber noch in vielen ihren Gliedern auf dem Weg zu eben dieser Vollkommenheit ist. Sie ist einerseits selbst Vermittlerin und Lehrerin der Vollkommenheit, andererseits aber auch Adressat der Vollkommenheitsforderung, die sie auf den Weg zur Vollendung bringen soll – eine spannungsvolle Dynamik, die sich erst im endgültigen Heil auflösen wird. b) Das Wort und die Seele Wenn Origenes anders als seine Vorgänger im Judentum und Christentum nicht nur eine kollektive Deutung der Braut als Israel oder Kirche vertritt, sondern darüber hinaus das individuelle Verständnis der Braut als Bild für die einzelne Seele in die Tradition einführt, so zeigt sich hierin sein besonderes Interesse an der persönlichen Heilsaneignung und dem mystischen Aufstiegsweg des einzelnen Menschen, den Jesus Christus als das Mensch gewordene Wort Gottes durch sein Werk und seine Person für die Gläubigen eröffnet hat. Erst mit dieser Deutung hat Origenes das mystische Verständnis des Hoheliedes begründet, das die individuelle Erfahrbarkeit und Anwendbarkeit eines objektiven heilsgeschichtlichen Schemas auf dem Weg der einzelnen Seele zu Gott ermöglichte. Das Verhältnis der Einzelseele zum Wort Gottes lässt sich nicht ohne Rückgriff auf die von Origenes entfaltete Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen verstehen. Diese Gottesebenbildlichkeit bezieht sich, wie Origenes nicht müde wird zu betonen, nicht auf den äußeren Menschen, den Leib, sondern auf den inneren, der mit der Seele gleichgesetzt wird,73 und hier primär auf den höchsten Seelenteil, den Origenes mit der philosophischen Tradition im Herzen als dem Sitz des Hegemonikon lokalisiert.74 Wenn nach dem biblischen Zeugnis der innere Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist, wird die Seele damit von vornherein in ihrem Wesen auf den göttlichen Logos bezogen, der nach Origenes eben dieses

72 Ebd. III 11,17.21. 73 Ebd. I 4,20. Vgl. auch in Gen. hom. 1,13 (GCS Orig. 6, 15); dial. 15.28–16.10 (SC 672, 88); in Gen. frg. D 11 Metzler (OWD 1/1, 158–163). 74 In Cant. comm. I 2,3.

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Abbild Gottes selbst ist.75 Ist die Seele nach dem Bild Gottes, das heißt als Abbild des göttlichen Wortes geschaffen, so besteht die Erfüllung dieser Gottesebenbildlichkeit darin, sich mit dem Sohn Gottes zu verbinden und mit ihm ein Geist zu werden und in der geistigen Betrachtung zu höchsten Vollkommenheit und Gottesschau aufzusteigen. Denn für Origenes ist die Gottesebenbildlichkeit nicht nur Gabe, sondern auch Aufgabe der vernünftigen Geschöpfe, wie er in seinem Gesamtwerk des öfteren sagt. Schon im Urzustand sollten die Vernunftwesen, die nach dem Bild Gottes geschaffen worden sind, durch eigene Bemühungen zur Ähnlichkeit (oëmoiÂvsiw, similitudo) mit Gott aufsteigen, die ihnen nicht von vornherein gegeben war. Für diese Unterscheidung von Gottesebenbildlichkeit und Ähnlichkeit bzw. Gleichheit mit Gott beruft sich Origenes auf den biblischen Schöpfungsbericht, wo in Gen. 1,26 der göttliche Wille ausgesprochen wird, den Menschen nach dem Bild und Gleichnis Gottes zu schaffen, in Gen. 1,27 f. aber nur davon die Rede ist, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen wurde, ohne dass die Ähnlichkeit mit Gott noch einmal erwähnt wird. Daher geht Origenes davon aus, dass dem geistigen Menschen mit seiner Schöpfung die Fähigkeit zur Vervollkommnung seiner Natur gegeben ist, während die Gottähnlichkeit das Ziel dieser fortschreitenden Entwicklung der Seele darstellt.76 Auch im Hoheliedkommentar liegt für Origenes das Wesen der Seele in ihrer Gottesebenbildlichkeit, die im Gegensatz zu den verschiedenen erworbenen Eigenschaften und Affekten zu ihrer „Natur“ gehört und deshalb unverlierbar ist und durch Umkehr und Besserung des Menschen wieder in ihrer Fülle hergestellt werden kann und wird.77 Er betont deshalb ausdrücklich, dass in der Aussage des Hoheliedes: „Starrt mich nicht an, weil ich dunkel geworden bin, denn die Sonne hat auf mich herabgeschaut“ (Hld. 1,6) die Dunkelheit der Braut nicht in der geschaffenen Natur der Seele liegt, sondern die Folge des Abfalls und der Sünde ist, durch die die sündlos geschaffene Seele in ihre gegenwärtige Situation geraten ist, von Christus als der Sonne der Gerechtigkeit von oben herab angeschaut und dadurch dunkel geworden zu sein.78 Mit dieser Deutung grenzt sich Origenes von der Gnosis ab, die nach seinem Verständnis die Verschiedenheit der Naturen gelehrt hat, die entweder das Heil oder das Unheil der Menschen determi-

75 Ebd. II 1,6. 76 Princ. III 6,1 (GCS Orig. 5, 280); Cels. IV 30 (GCS Orig. 1, 299); in Ioh. comm. XX 22,182 f. (GCS Orig. 4, 355). Vgl. Crouzel, The´ologie de l’image 217–245; Strutwolf, Gnosis als System 238. 77 In Cant. comm. II 5,15 wird die Gottesebenbildlichkeit auf die Seele bezogen, während sie ebd. II 1,4 auf die Kirche im Allgemeinen angewandt wird, die ja die Gemeinschaft der heiligen Seelen darstellt. 78 Ebd. II 2,1–4.

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nieren. Für Origenes dagegen ist die Seele in ihrem Wesen frei und daher sowohl für ihren gegenwärtigen Zustand verantwortlich als auch in der Lage, sich für das Gute zu entscheiden und mit göttlicher Hilfe wieder zu ihrem Ursprung zurückzukehren. Origenes setzt in dieser Auslegung unthematisch seine zum ersten Mal in seinem Prinzipienwerk entfaltete Lehre von der Präexistenz der Vernunftwesen voraus, nach der die Verschiedenheit der Lebensschicksale der Seelen in dieser Welt nicht auf Gottes Schöpfungswillen, sondern auf die willentliche Entscheidung der von Gott im Ursprung völlig gleich und frei geschaffenen Vernunftwesen zurückgeht. Da es mit den göttlichen Eigenschaften der Güte und der Gerechtigkeit nicht vereinbar ist, dass Gott ohne zureichenden Grund die Vernunftwesen von vornherein mit verschiedenen Fähigkeiten und Lebenschancen geschaffen hat, muss ihre Unterschiedlichkeit – ihre verschiedenen Grade an Vollkommenheit, aber auch die Mängel, mit denen manche Menschen von Geburt an behaftet sind, ja auch die Verschiedenheit der Gattungen von vernunftbegabten Kreaturen, seien es Engel, Menschen oder Dämonen – auf vorhergehende Ursachen zurückgehen, für die nicht Gott, der Schöpfer, sondern der freie Wille der Geschöpfe selbst verantwortlich ist. Daher folgert Origenes, dass Gott am Anfang eine große Zahl von geistigen Wesen geschaffen haben muss, die einander völlig gleich waren,79 die sich aber aufgrund ihrer freien Bewegungen mehr oder weniger weit von ihrem göttlichen Ursprung entfernt haben und dadurch verschieden geworden sind. Durch einen Akt des gerechten göttlichen Gerichts haben sie verschiedene Lebensschicksale in der für ihre Erziehung geschaffenen Welt zugewiesen bekommen,80 um durch göttliche Leitung und Belehrung stufenweise wieder zu ihrem Heil zurückgeführt zu werden.81 Dieser Erziehungsprozess, durch den der göttliche Logos die gefallenen, aber mit der unverlierbaren Gottesebenbildlichkeit und damit naturhaften Ausrichtung auf das ewige Wort Gottes geschaffenen Seelen von der Ver-

79 Princ. II 9,6 (GCS Orig. 5, 169): „Als er im Anfang das schuf, was er schaffen wollte, nämlich die Vernunftwesen, hatte er keinen anderen Grund für das Schaffen als sich selbst, d.h. seine Güte. Da er also selbst der Grund war für das zu Schaffende und in ihm keine Verschiedenheit, keine Veränderlichkeit und kein Unvermögen war, schuf er alle Wesen, die er schuf, gleich und ähnlich, da es für ihn keinen Grund für Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit gab.“ Übersetzung: p. 413 Görgemanns/Karpp. 80 Ebd. (5, 170): „Gott aber hielt es alsdann für gerecht, für seine Schöpfung nach ihrem Verdienst Sorge zu tragen, und er vereinte die Verschiedenheit der Intelligenzen zur Harmonie einer Welt, er richtete sozusagen ein Haus ein, in dem nicht nur goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene sein sollten, die einen zu Ehren, die anderen aber zu Unehren (vgl. 1 Tim. 2,20), und verwendete dazu diese verschiedenen Gefäße, Seelen oder Intelligenzen.“ Übersetzung: ebd. 81 Siehe hierzu Strutwolf, Gnosis als System 242–244.

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lorenheit in der Sünde bis zur höchsten Vollkommenheit führt, wird im Hoheliedkommentar mit dem Bild der von ihrem Bräutigam auf die hochzeitliche Vereinigung mit ihm vorbereiteten Braut beschrieben. Dieser Aufstieg muss wegen der Schuld- und Sündenverfallenheit der Seelen aller in diese Welt geborenen Menschen seinen Ausgang bei Umkehr und Sündenvergebung nehmen. Zu Beginn waren alle Gläubigen „unter den Streitwagen des Pharao“ (Hld. 1,9), das heißt unter der Herrschaft des Teufels und Teil seines Reiches, bevor sie durch die Taufe die Sündenvergebung empfangen haben und danach zur Reiterei des göttlichen Logos gerufen worden sind.82 Die Seele ist nämlich schwarz wegen ihrer Sünde, aber schön aufgrund ihrer Buße.83 Christus weist daher selbst die Seele, die wegen der Sünde schwarz ist, nicht zurück, wenn sie sich bekehrt und Buße tut und Werke der Besserung zu vollbringen beginnt.84 Voraussetzung für diese Möglichkeit der Bekehrung und Besserung der gefallenen Seele ist aber für Origenes die Menschwerdung des göttlichen Wortes und sein Versöhnungstod am Kreuz, weil die Seele in ihrem unerlösten Zustand in der Gewalt des Satans und der bösen Mächte gefangen ist. Wenn der Bräutigam nach Hld. 2,9 „durch die Netze“ zur Braut hindurchschaut, ist für Origenes damit nach einer möglichen Deutung die Befreiung der Seelen durch Christi Versuchung und Tod angedeutet. Da die Seelen aller Menschen in den Netzen der Sünde und der Versuchung verstrickt sind, aus denen sie sich nicht aus eigener Kraft befreien können, musste derjenige kommen, der als einziger ohne Sünde war und durch seinen Sühnetod die Netze des Satans zerreißen konnte und der Seele so den Weg zum Heil eröffnet hat.85 In diesem Zusammenhang spielt Origenes auch auf die Hadesfahrt Christi an, durch die er die in der Unterwelt gefangenen Seelen der alttestamentlichen Gerechten befreit und in den Himmel geführt hat.86 Im Hoheliedkommentar deutet Origenes die an anderer Stelle breiter entfaltete Lehre von Christi Kreuzestod als Überwindung der Macht des Teufels87 nur mit wenigen Strichen an, macht aber dennoch die unabdingbare Heilsnotwendigkeit der Erniedrigung und des Todes Christi unmissverständlich deutlich. Es ist zwar unbestreitbar, dass der Glaube an Christus als den Gekreuzigten und die damit verbundene Befreiung von Sünde und Tod für Origenes nur die erste und damit niedrigste Stufe des Aufstiegs der Seele darstellt,88 was er im Hoheliedkommentar dadurch zum Ausdruck 82 83 84 85 86 87

Origenes, in Cant. comm. II 6,11 f. Ebd. II 1,56. Ebd. II 1,44. Ebd. III 14,27–32. Ebd. III 14,32. Vgl. in Matth. comm. XVI 8 (GCS Orig. 10, 498 f.). Siehe dazu Strutwolf, Gnosis als System 282 f. 88 Cels. III 62 (GCS Orig. 1, 256); in Ioh. comm. I 20,124 (GCS Orig. 4, 25).

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bringt, dass er den Glauben an die Inkarnation auf den „Schatten Christi“ bezieht, weil die Seele Christus noch nicht vollkommen schauen kann, solange sie noch im irdischen Leib existiert.89 Aber Origenes betont ebenso deutlich, dass damit keine Geringschätzung dieser Heilstatsache verbunden werden darf, weil der Teufel erst durch das Kreuz Christi seine Macht verloren hat, die Befreiung und den Aufstieg der Seelen zu verhindern.90 So bleibt die gesamte Hierarchie des Seelenaufstiegs wesentlich auf die Erlösung der Seelen durch das Kreuz Christi als ihrer Basis bezogen, und es kann keine Rede davon sein, dass Christus im Denken des Origenes primär als Erzieher fungiere, während seine Funktion als gekreuzigter Erlöser „keine entscheidende Rolle“ spiele.91 Beim Aufstieg zu höheren Erkenntnissen muss die Seele daher dem folgen, der für sie sein Leben dahingegeben hat.92 Das Kreuz und das Verstehen seiner Heilsbedeutung bilden für Origenes die Voraussetzung für jedweden geistigen Fortschritt der Gläubigen auf das Ziel der vollkommenen Vereinigung mit Christus hin. Denn erst durch die Erkenntnis, dass Christus aus Liebe zu den Menschen in diese Welt gekommen ist und den Tod am Kreuz auf sich genommen hat, haben die Gläubigen den „Duft seiner Salböle“ in sich aufgenommen und laufen, von dieser Liebe angezogen, Christus als dem Bräutigam hinterher (Hld. 1,3 f.).93 Wurde die Kirche auf die Ankunft Christi durch Gesetz und Propheten vorbereitet, so die Seele durch die weltliche Bildung, wie sie sich in der Ethik und in der Naturwissenschaft ausgeprägt hat.94 Diese sind der Balsam für die Seele und können als Vorbereitung für die Begegnung mit Christus dienen, weil man durch sie zum einen eine Besserung der Sitten, zum anderen die Erkennntis der Nichtigkeit aller weltlichen Dinge lernen kann. Diese vorbereitenden Erkenntnisse werden dann aber durch die Offenbarung der göttlichen Weisheit übertroffen und weit in den Schatten gestellt, so dass der „Duft der Salböle“ Christi – die mystische und geistige Einsicht – „besser ist als alle Duftkräuter“ (Hld. 1,3), die Origenes ausdrücklich mit der Moral- und Naturphilosophie gleichsetzt.95 Wie schon im Falle der Kirche bedeutet auch der Aufstieg für die Seele nicht nur die Hinwendung zu höheren Erkenntnissen, sondern auch einen Wechsel der Personen, die diese Einsichten vermitteln und garantieren. Wie die Kirche in ihrer Vollkommenheit nicht mehr nur die Stimmen der Propheten, sondern die eine Stimme Christi zu hören bekommt, so werden der 89 90 91 92 93 94 95

In Cant. comm. III 5,11–19. In Matth. comm. XII 18 (GCS Orig. 10, 111). Koch, Pronoia und Paideusis 76; Markschies, Origenes 11. Origenes, in Cant. comm. II 5,17 mit Verweis auf Joh. 10,11. In Cant. comm. I 4,5. Ebd. I 1,9. Ebd. I 3,12.

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Seele die Anfänge der Fortschritte zu einem höheren geistigen Leben noch durch die Engel und himmlischen Mächte vermittelt, während ihr die vollkommeneren Früchte von Christus selbst eröffnet werden.96 Für Origenes steht nämlich fest, dass die „Seelen der Kleinen“, also diejenigen Gläubigen, die noch nicht so weit in ihrer Erkenntnis und sittlichen Bildung vorangeschritten sind, dass sie die Versuchungen des Teufels schon völlig hinter sich gelassen hätten, noch unter der Obhut ihrer jeweiligen Schutzengel als „Vorkämpfer und Verteidiger“ der noch Unvollkommenen stehen97 und ihrer als Helfer und Erzieher bedürfen, so wie die Kirche vor der Inkarnation des Logos das Gesetz als Pädagogen auf Christus hin nötig hatte.98 Erst, wenn sie größere Fortschritte gemacht haben, werden sie aus der Obhut der Engel entlassen und mit dem göttlichen Logos selbst verbunden werden.99 Ziel des Aufstiegs der Seele, die selbst in ihrem Wesen unsichtbar und ewig ist,100 ist dabei, die Welt und alles Körperliche und Sichtbare hinter sich zu lassen101 und sich mit dem göttlichen Wort in seiner vollkommenen Hoheit und immateriellen Geistigkeit zu vermählen. Diese Hinwendung zum rein geistigen und immateriell-überweltlichen Sein bedeutet für das Denken des Origenes weder im Hoheliedkommentar noch andernorts eine dualistische Weltverachtung oder Dämonisierung des Körperlichen. Vielmehr vermag er – in durchaus platonischem Sinne – die materielle Wirklichkeit und die Welt als Schöpfung des guten und gerechten Gottes, die dem Ziel der Erziehung der gefallenen Vernunftwesen dient, in ihrer relativen Würde und heilsgeschichtlichen Funktion zu würdigen. Das Ziel des seelischen Fortschritts ist zwar der Aufstieg von der sinnlichen zur übersinnlichen Erkenntnis. Diese muss aber in ihrem Anfang auf Erden noch durch die Sinne erfolgen, wenn sie auch über die Sinne hinausführen soll. Dies geschieht zum einen im Sinne der klassischen natürlichen Theologie, in der die Seele aus der Betrachtung der Natur dazu bewogen wird, den Schöpfer aufgrund der Wunderwerke seiner Schöpfung zu erkennen und zu loben, zum anderen dadurch, dass sie das ewige Wort Gottes hört und seine Weisheit wahrnimmt.102 Auch diese Erkenntnis durch das Hören auf Christus als dem Wort Gottes geschieht noch unter dem Aspekt der Sinnlichkeit. Denn solange die Seele noch im Leibe ist, kann sie auch die geistigen und überweltlichen Geheimnisse der göttlichen Weisheit nur durch die Vermittlung

96 97 98 99

Ebd. III 15(IV 1),22. Ebd. II 3,16 f. Vgl. ebd. II 8,3. In Matth. comm. XIII 26 (GCS Orig. 10, 252–254). Siehe hierzu Strutwolf, Gnosis als System 305 f. 100 In Cant. comm. prol. 2,4 und 2,12 f. 101 Ebd. III 16(IV 2),7. 102 Ebd. III 14,16–18.

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von Bildern und Zeichen erkennen, die aus der materiellen und sichtbaren Wirklichkeit entnommen sind.103 Die Gottesebenbildlichkeit der Seele, die Origenes auch anderswo als mit Gott „verwandt“ bezeichnen kann,104 bringt es mit sich, dass Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis der Seele eng miteinander verzahnt sind. In der Auslegung von Hld. 1,8 in der von Origenes gelesenen Version: „Wenn du dich nicht erkennst“, in dem er das delphische und sokratische „Erkenne Ä ui saytoÂn) entdeckt, liefert Origenes einen kleinen Traktat dich selbst“ (gnv zur Selbsterkenntnis der Seele in ihrer Beziehung zur Gotteserkenntnis. Die für die Seele notwendige Selbsterkenntnis besteht für Origenes zum einen im Innewerden ihres eigenen Wesens, zum anderen in der Wahrnehmung ihrer Handlungen und Affekte.105 Zunächst stellt Origenes die Selbsterkenntnis der Seele in Bezug auf ihre Handlungsweisen und Affekte in einer regelrechten kleinen Anleitung zur Gewissensprüfung und Selbsterforschung des Einzelnen dar.106 Die Seele soll sich selbst betrachten und erkennen, ob sie von guten oder schlechten Affekten und Einstellungen geleitet wird, ob sie diese mit der rechten Intensität und Ausdauer verfolgt, die zu den notwendigen Fortschritten führen, ob sie ihre Bemühungen nur zum eigenen Nutzen oder auch zum Wohle anderer einsetzt. Sie hat auch zu untersuchen, wie sie mit ihren Fehlern und Schwächen umgeht und inwieweit sie dabei Fortschritte macht, hat die Beweggründe für ihr jeweiliges Handeln zu ergründen, zu erkennen, ob sie von Eitelkeit und Ruhmsucht getrieben ist, ob sie gerne und freudig ihre Gaben an andere verteilt oder nur unwillig und aus Zwang, und ob sie Güter, die sie empfängt, gleichmütig annimmt oder sie für ein großes Gut hält. Schließlich hat sie auch ihre geistige Disposition zu überprüfen, ob sie schnell und unreflektiert Dinge für wahr hält und sich leicht durch rhetorische Kniffe beeindrucken lässt oder ob sie dagegen eher gefeit ist. Ziel dieser praktisch ausgerichteten Seelenprüfung ist es, durch Selbsterkenntnis und die daraus resultierende Korrektur des eigenen Verhaltens die der Seele bei der Schöpfung mitgegebene Gottesebenbildlichkeit zu erneuern und wiederherzustellen.107 103 Ebd. III 14,19. 104 So kann Origenes in der im griechischen Original erhaltenen Passage seines Prinzipienwerkes feststellen, dass die Vernunftwesen in ihrer ursprünglichen Existenzweise von Gott „unvergänglich und mit ihm verwandt geschaffen worden sind“ (aÍfuarton gaÁr fyÂsin pepoiÂhke thÁn noeraÁn kaiÁ ayÆtv Äì syggenh Ä ): princ. III 1,13 (GCS Orig. 5, 218). 105 In Cant. comm. II 5,7. 106 Crouzel, The´ologie de l’image 214; ders., „Connaissance mystique“ 64, spricht von einem „examen de conscience“. Vgl. auch Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 771. 107 Origenes, in Cant. comm. II 5,8–15.

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Die zweite Art der Selbsterkenntnis, die das Wesen und die Natur der Seele als solcher betrifft, also die theoretische und spekulative Seelenerkenntnis darstellt, ist nach Ansicht des Origenes weitaus profunder und schwieriger zu erlangen, setzt sie doch in weitaus grundsätzlicherer Weise als die praktische Selbsterkenntnis die Gotteserkenntnis voraus, da die Seele in ihrem Wesen durch die Gottesebenbildlichkeit auf Gott selbst bezogen ist. Daher beginnt Origenes die Erörterung dieser Art der Selbsterkenntnis nur scheinbar recht unvermittelt mit der Behandlung der menschlichen Gotteserkenntnis, die als die durch die Offenbarung des Sohnes den Menschen zugänglich gewordene Erkenntnis von Gott Vater und seinem Sohn bestimmt wird. Dieser vom Sohn offenbarte Gott, den Origenes recht unvermittelt mit der göttlichen Trinität gleichsetzt, gilt für ihn als der erste und vornehmste Gegenstand des Erkennens, auf den als zweiter die Erkenntnis seiner Schöpfung folgt.108 Zu dieser Schöpfung, die ohne Erkenntnis ihres Urhebers nicht in rechter Weise erkannt werden kann, gehört auch die menschliche Seele. In Bezug auf ihr Sein und Wesen listet Origenes einen ganzen Katalog von Fragen und Problemen auf, die die Seele zu ihrer Selbsterkenntnis untersuchen und bearbeiten muss: ein regelrechter Problemaufriss einer möglichen christlichen Seelenlehre, die aber im Hoheliedkommentar nicht entfaltet, sondern nur als Aufgabe skizziert wird, obwohl Origenes zu allen Punkten dieses Fragerasters in seinem Gesamtwerk durchaus eigene Antworten gegeben hat. So wird die Frage gestellt, ob die Seele als körperlich oder unkörperlich, als einfach oder aus mehreren Seelenteilen bestehend zu denken ist, ob sie geschaffen oder ungeschaffen ist, ob sie aus einem körperlichen Samen und zusammen mit dem Körper entstanden (Traduzianismus) oder von außen als selbstständig bestehendes Wesen in den Leib eingefügt worden ist. Auch die Fragen, ob die Seele zum Zweck der Beseelung des Leibes geschaffen worden ist (Kreatianismus) oder aber schon vorher existierte und erst nachträglich in einen Körper eingefügt worden ist (Präexistentianismus), und auch, ob es einen Grund, und wenn ja, welchen es für die Einkörperung der Seele gegeben hat, sind für die rechte Selbsterkenntnis der Seele notwendig. Im Rahmen dieser Problemskizze erwähnt Origenes auch das Problem der Auferstehung des bei der Geburt angenommen Leibes in verklärter Gestalt, indem er fragt, ob dieser Auferstehungsleib dann für immer mit der Seele verbunden gedacht werden muss oder aber irgendwann einmal abgelegt werden wird. Lässt Origenes diese Frage wie auch die anderen in seinem Expose´ möglicher Untersuchungsgegenstände durchaus offen, so lehnt er die Vorstellung von einer Seelenwanderung eindeutig im Namen der Lehre von der Endlichkeit der Welt ab.109

108 Ebd. II 5,18–20. 109 Ebd. II 5,21–25.

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Schließlich wird der Blick über die menschliche Seele hinaus auf die übrigen vernünftigen Geschöpfe gelenkt und das Thema angesprochen, ob es einen Unterschied in den Naturen dieser Geistwesen gibt, so dass einige von ihnen das gleiche Wesen wie die menschliche Seele haben und mit der Fähigkeit zum rechten Vernunftgebrauch ausgestattet sind, andere sich dagegen von der Natur der menschlichen Seele unterscheiden und deshalb keine Vernunft besitzen. Bei dieser Fragestellung denkt Origenes an die gnostisch-valentinianische Naturenlehre, die davon ausgeht, dass es verschiedene Naturen von geistigen Wesen gibt, die deren Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten determinieren, wogegen er selbst immer wieder die Gleichheit und die Freiheit aller vernünftigen Wesen betont. Im Hoheliedkommentar allerdings lässt er auch diese Frage offen und überlässt sie dem zukünftigen Studienprogramm seiner Leser.110 Die Seele bedarf also dieser doppelten, das heißt der moralischen und der theoretischen Art der Selbsterkenntnis, um zu größerer Vollkommenheit voranschreiten zu können. Sollte die Seele diese Aufgabe vernachlässigen und sich nicht nach Möglichkeit in ihrem Wesen und Tun selbst erkennen, droht das Wort Gottes ihr damit, dass er sie hinausschicken wird „in den Spuren der Herden“, wo sie ihre „Böcke bei den Zelten der Hirten“ (Hld. 1,8) – und nicht bei ihren eigenen Zelten – weiden muss. Diese Drohung gilt zum einen den fortgeschrittenen Seelen der christlichen Lehrer, die in der Vernachlässigung ihrer eigenen Selbsterkenntnis unfähig werden zur Erziehung der einfachen Gläubigen und der Widerlegung des Irrtums, zum anderen den Lehrern der weltlichen Wissenschaften, die sich nicht genügend um die Erkenntnis der christlichen Lehre bemühen und so in der Lehre der Weltweisheit gefangen bleiben.111 Wird der Aufstieg der Seele von den niedrigeren zu der höchsten Stufe ihrer Vollkommenheit im Hohelied nach Origenes im Bild der sich steigernden Liebe einer Braut zu ihrem Bräutigam dargestellt, so stellt er diese Liebe in seiner Auslegung von Hld. 2,4: „Ordnet in mir in der Liebe“ im Konzept der „geordneten Liebe“ (caritas ordinata)112 dar. Dieser Begriff und die damit verbundene Vorstellung hat in der folgenden Theologiegeschichte eine enorme Wirkung entfaltet und ist in der mittelalterlichen Mönchstheologie „zum Fachterminus für die ethisch gute Liebe“ avanciert.113 Wenn Origenes in Bezug auf diese Konzeption auch nicht explizit erklärt, ob sie sich auf die Kirche oder auf die Seele bezieht, zielen doch die Beispiele, die er zur Erläuterung der „geordneten Liebe“ gebraucht, primär auf das Verhältnis der individuellen Seele zum jeweiligen Gegenstand ihrer Liebe. 110 Ebd. II 5,26. 111 Ebd. II 5,28–40. 112 Ebd. III 7,2–31. Siehe hierzu Pe´tre´, „Ordinata Caritas“; Crouzel, Virginite´ et mariage 75–78. 113 Weiss, Mystikerinnen III, 1827 f.

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So beginnt die Erörterung auch mit der allgemeinen anthropologischen Erkenntnis, dass jeder Mensch, der das Alter der Reife erreicht hat, notwendiger Weise irgendetwas lieben muss. Ist die Liebe also sozusagen ein „Existential“, das die menschliche Existenz als solche tief bestimmt, ist sie nach Origenes dennoch nicht wertneutral, da zwischen legitimer und illegitimer Liebe unterschieden werden muss, oder – um es mit den Worten des Origenes zu sagen – zwischen geordneter und ungeordneter Liebe. Liebe ist geordnet, wenn sie auf den rechten Gegenstand gerichtet und zugleich diesem Gegenstand angemessen ist, also weder durch ein Zuviel noch durch ein Zuwenig charakterisiert ist.114 Nun ist allein Gott über alle Maßen zu lieben, weil es für die Liebe zu ihm kein Maß geben kann, während etwa die Liebe zum Nächsten durchaus ein solches Maß kennt. Den Nächsten soll man lieben „wie sich selbst“ (Mt. 22,39), worin Origenes offenbar ein gewisses Maß ausgesprochen findet, während man Gott „aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele und mit allen Kräften“, und das heißt: ohne jede Einschränkung lieben muss (Lk. 10,27).115 Daher ist die Liebe zu Gott nur dann „geordnet“, das heißt ihrem Gegenstand angemessen, wenn sie „absolute Liebe“ ist, und die Liebe zum Nächsten nur dann, wenn sie die Gleichheit zwischen Eigen- und Nächstenliebe wahrt.116 Im Anschluss an diese grundsätzliche, am Doppelgebot der Liebe orientierte Darstellung der geordneten Liebe wendet Origenes dieses Konzept auf verschiedene Felder der menschlichen Liebe an, wobei er jeweils fragt, wen und in welchem Maße man ihn lieben muss. Für Origenes kann nämlich geordnete Liebe keinesfalls bedingungslose Liebe sein. Bei seiner Darstellung fällt auf, dass für ihn dieses notwendige Maß der Liebe in allen Fällen von der Würdigkeit und den Verdiensten des zu Liebenden abhängt. Zwar sind alle Gläubigen Glieder eines Leibes und müssten daher einerseits füreinander eine gewisse Gleichheit in der Liebe empfinden, aber andererseits macht die Tatsache, dass es verschiedene Glieder von unterschiedlichem Ansehen und verschiedenen Ehren in diesem Leib gibt (1 Kor. 12,22 f.), deutlich, dass sich die Liebe zu diesen Gliedern nach dem Maß der jeweiligen Verdienste zu richten hat.117 So muss ein Gläubiger nach Origenes einen Nächsten, der sich um das Wohl der Gemeinde als Lehrer müht oder aber ihn selbst von der Sünde auf den Weg der Tugend zurückgebracht hat, mehr lieben als eine Person, die dies nicht tut.118

114 115 116 117 118

Origenes, in Cant. comm. III 7,2 f. Ebd. III 7,4. Ebd. III 7,5. Ebd. III 7,6–8. Ebd. III 7,9 f.

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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Dem entsprechend kennt Origenes auch verschiedene Grade der gebotenen Feindesliebe, der Liebe zum anderen Geschlecht, zu den Eltern und Geschwistern, wobei jeweils die Verdienste der jeweiligen Personen über das Maß der ihnen entgegenzubringenden Liebe entscheiden. Origenes fasst diese Überlegungen in dem Grundsatz zusammen, dass einerseits zwar alle Menschen, ja sogar alle vernünftigen Wesen, insofern sie als vernunftbegabte Kreaturen uns gleich sind, in gleicher Weise geliebt werden müssen, dass aber über dieses allgemeine Liebesgebot hinaus diejenigen Personen, die aufgrund ihres Wissens und ihrer Handlungen liebenswürdiger als andere geworden sind, auch in einem höheren Maße geliebt werden müssen. Es ist charakteristisch für das Denken des Origenes, dass diese von den Gläubigen verlangte Praxis einer den Verdiensten der zu liebenden Personen entsprechenden Liebe auf Gottes Vorbild zurückgeführt wird, der ebenfalls in seiner Liebe nach Verdienst und Würdigkeit unterscheidet. Auch Gott liebt einerseits „alles, was existiert, auf gleiche Weise“ (Weish. 11,24) und schont als „Liebhaber der Seelen“ alle, weil „der Geist der Unvergänglichkeit in allem ist“ (Weish. 11,26; 12,1), richtet aber dennoch als derjenige, „der alles nach Maß und Zahl und Gewicht geordnet hat“ (Weish. 11,20), seine Liebe nach dem Maß der Verdienste eines jeden aus.119 So liebte Gott nach Ansicht des Origenes die Hebräer im Exodusgeschehen mehr als die Ägypter, den Paulus zu dem Zeitpunkt, da er der Kirche diente und für sie litt, mehr als damals, als er sie noch verfolgte.120 Der Grund für diesen in den Augen vieler, besonders auch protestantischer Theologen anstößigen Gedanken, die eher gewohnt sind, die „unbedingte“ Liebe Gottes zu den Menschen zu betonen, liegt in dem Bestreben des Origenes, den unter anderem von gnostischen Denkern vorgebrachten Vorwurf von Gottes Ungerechtigkeit auszuräumen und die Freiheit und Verantwortlichkeit der Menschen für ihr eigenes Tun und Schicksal gegen die Denkmodelle eben jener Gnostiker zu verteidigen. Diese haben an der biblischen Lehre von der Erwählung und Prädestination der Gläubigen durch Gott das Problem der vermeintlichen Ungerechtigkeit einer solchen völlig freien Gnadenwahl Gottes festgemacht121 und es durch ihre Naturenlehre zu lösen versucht: Da durch die Urkatastrophe des Falles der Sophia, an dem der höchste Gott unschuldig ist, schicksalhaft drei verschiedene Menschenklassen (Pneumatiker, Psychiker und Hyliker) in dieser Welt entstanden sind, handelt Gott keineswegs ungerecht, wenn er diese verschiedenen Naturen auch unterschiedlich behandelt. Da die Hyliker als rein materielle Wesen nicht gerettet werden können, ist es nur angemessen, wenn

119 Ebd. III 7,23 f. 120 Ebd. III 7,24 f. 121 Princ. II 9,5 (GCS Orig. 5, 168).

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sie ihrer Natur gemäß behandelt und nicht von Gott erwählt werden, während die Erwählung und Erlösung der Pneumatiker nichts anderes ist als das ihrer Naturanlage entsprechende Handeln Gottes. Liegt in diesem gnostischen Denken Heil oder Unheil des Menschen schicksalhaft in seiner jeweiligen Natur begründet, so betont Origenes dagegen immer wieder die bleibende Freiheit aller vernünftigen Kreatur und will zugleich den Schöpfer und Erlöser vom Vorwurf der Willkür und Ungerechtigkeit entlasten, indem er Erwählung und Verwerfung, aber auch Gottes geordnete Liebe auf die voraufgehenden Verdienste der Menschen zurückführt. Die Liebe Gottes zu allen seinen von ihm vollkommen geschaffenen Kreaturen kennt als solche keinen Unterschied in ihrer Intensität und Qualität, aber die unterschiedlichen, durch eigenes Verdienst oder Verschulden erworbenen Prädispositionen der Menschen, auf die diese Liebe trifft, lässt sie sich verschieden auswirken.122 Für Origenes ist also der Fortschritt der Seele eine von der göttlichen Gnade angestoßene, von ihr begleitete und unterstützte, aber immer auch von ihr selbst zu wollende und nach ihrer eigenen Kraft und Fähigkeit mit Anstrengung zu vollführende Bewegung, die erst in der völligen Vereinigung mit dem göttlichen Logos zur Vollendung kommt. Auf dem Weg dahin hat die Seele viele Widerstände und Versuchungen zu überwinden und kann auch Rückschläge und selbstverschuldetes Absinken erleben. Im vollkommenen Zustand wird die Seele allerdings keine negative Bewegung mehr kennen, sondern völlig von der Liebe zu Christus gefesselt und „ein Geist mit ihm“ (1 Kor. 6,17) geworden sein und daher immer in diesem höchsten Zustand verharren,123 so dass – anders als im Urzustand – auch der freie Wille nicht mehr in der Lage sein wird, den Menschen von seinem göttlichen Ursprung zu trennen.124 Diese endgültige und unverlierbare Vollkommenheit der Seele wird im Hoheliedkommentar mit dem Bild plausibel gemacht, dass sie, wenn sie einmal die Herrlichkeit des Wortes Gottes unmittelbar geschaut und mit ihren geistigen Sinnen das Wort des Lebens „gestreichelt“ (1 Joh. 1,1) hat, nichts anderes mehr sehen und geistig berühren will als dieses vollkommene göttliche Wort, weil ihr alles andere dagegen als bitter und herb erscheinen muss,125 so dass sie gar nicht mehr in der Lage ist, sich von ihm abzuwenden. In seinem Prinzipienwerk hat Origenes diese Sündenunfähigkeit der vollendeten Seele damit begründet, dass im endgültigen Heil Gott für sie „alles in allem“ (1 Kor. 15,28)126 sein wird. Die 122 123 124 125 126

Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 50. Origenes, in Cant. comm. I 4,9. In Rom. comm. V 10,15 (SC 539, 522). In Cant. comm. I 4,11 f. Im Hoheliedkommentar wird 1 Kor. 15,28 nur einmal zitiert, wobei der Gedanke der Allversöhnung und der völligen Sündlosigkeit nur angedeutet und nicht expliziert wird: ebd. prol. 4,20.

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vollendeten Vernunftwesen werden so sehr von Gott erfüllt sein, dass Gott in ihnen alles sein wird, was sie empfinden, denken und wollen, so dass kein Raum mehr für die Sünde und kein möglicher Anlass mehr für eine Abkehr von Gott gegeben sein wird.127 c) Die Christologie im Hoheliedkommentar Man findet die Christologie des Origenes im Hoheliedkommentar nicht so sehr explizit dargestellt als vielmehr immer wieder angedeutet und vorausgesetzt. Zunächst fällt auf, dass Origenes im Hoheliedkommentar an allen Stellen, an denen er explizit die Beziehung des Gottessohnes zur Kirche oder zur einzelnen Seele behandelt, diesen nahezu stereotyp in seinem Gegenüber zur Kirche als Christus bezeichnet, in seiner Relation zur Einzelseele dagegen als Wort Gottes anspricht. Christus ist dabei offensichtlich die origeneische Bezeichnung des für das Heil der Kirche wirkenden Sohnes Gottes, der schon in der Präexistenz mit ihr verbunden war, sie durch die alttestamentlichen Zeiten führte, schließlich zu ihrem Heil Fleisch geworden ist und zum endgültigen Heil geleiten wird, bezeichnet ihn also in seiner heilsgeschichtlichen Dimension, während er im Gegenüber zur Einzelseele sowohl in seiner göttlichen Natur und Macht als auch in seiner Inkarnation als Wort Gottes bezeichnet wird, Origenes ihn also damit in seiner Heilsbedeutung für das Individuum beschreibt. Origenes, der an vielen Stellen seines Gesamtwerks die göttliche Hoheit und Würde sowie die Ewigkeit, Unwandelbarkeit und Leidensüberlegenheit des Sohnes als der zweiten Hypostase der Gottheit betont und ihn damit ganz und gar auf die Seite Gottes des Vaters stellt, betrachtet den Sohn Gottes dennoch auch und gerade in seiner göttlichen Hoheit als Mittler zwischen dem transzendenten Vater und seinen Geschöpfen. Diese Vermittlung zwischen der schlechthinnigen Einheit des Vaters und der Vielheit der Geschöpfe kann der göttliche Logos dadurch leisten, dass er in seinem Wesen Einheit in Vielheit ist. Origenes lehrt, dass der göttliche Logos eine Vielzahl von „Aspekten“ (eÆpiÂnoiai) hat, ohne dadurch in seiner Einheit gefährdet zu sein. Diese Aspekte repräsentieren eine Hierarchie von Offenbarungsstufen des ersten Prinzips, durch die die Gläubigen von unten nach oben aufsteigend den Vater erkennen können.128 Auf diese Lehre von den Aspekten Christi wird auch im Hoheliedkommentar angespielt, wenn Origenes im Hinblick auf Hld. 1,12: „Mein Nardenöl verströmte seinen Geruch“ die Aussage, Christus werde hier in seiner Göttlichkeit als „Narde“, die

127 Princ. III 6,3 (GCS Orig. 5, 283 f.). 128 In Ioh. comm. XIX 6,38 f. (GCS Orig. 4, 305).

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ihren Geruch verströmt, bezeichnet, damit rechtfertigt, dass Christus, um von den Seelen erkannt zu werden, ganz verschiedene Eigenschaften annimmt: „Dies alles aber ist ein und dasselbe Wort Gottes, das dadurch, dass es sich mit Hilfe dieser einzelnen Eigenschaften den Regungen des Gebets jeweils anders anpasst, keinen Sinn der Seele ohne seine Gnade lässt.“129 Diese Anpassung Christi an die Auffassungsgabe der verschiedenen Adressaten seiner Offenbarung130 ist eines der Charakteristika der origeneischen Christologie überhaupt. Nicht nur in seinem göttlichen Sein repräsentiert der Sohn Gottes verschiedene Grade der Offenbarung, seine Adaption an die Erkenntnismöglichkeiten seiner Geschöpfe setzt sich besonders in seiner Inkarnation und seinem Kreuzestod fort. Durch seine Inkarnation ist der göttliche Logos „ausgegossenes Salböl“ (Hld. 1,3) geworden, weil er sich der göttlichen Hoheit, in der er existierte, „entäußerte und Knechtsgestalt annahm“ (Phil. 2,6 f.), um für die Gläubigen, die ihn noch nicht in seiner Vollkommenheit fassen konnten, erkannt und geliebt zu werden. Erst durch diese Erniedrigung waren sie in der Lage, die Anfangsgründe der göttlichen Lehre zu erfassen, um dann Schritt für Schritt fortschreitend seine göttliche Fülle erkennen zu können.131 So ist für Origenes die Inkarnation in gewisser Weise eine Art Verhüllung der nackten Gottheit,132 welche die noch nicht genügend fortgeschrittenen Menschen nicht erkennen und ertragen können. Wenn Origenes in diesem Zusammenhang davon spricht, dass in der Inkarnation nur ein kleiner Tropfen (modica stilla) herabgekommen ist und nur „ein Stein aus einem Berg herausgeschlagen“ (Dan. 2,34) worden ist, weil nicht der ganze Berg auf die Erde herabgestiegen sei, da die menschliche Schwachheit den ganzen Berg der Gottheit nicht ertragen konnte,133 so ist damit wie auch an anderen Stellen des Hoheliedkommentars die origeneische Lehre von der Seele Jesu als Mittlerin der Gottheit vorausgesetzt, ohne in allen Einzelheiten entfaltet zu werden. Er hat diese Lehre als ein christologisches Modell zum ersten Mal ausführlich in seinem systematischen Grundlagenwerk entfaltet und ist in verschiedenen Zusammenhängen wieder darauf zurückgekommen. Ausgangspunkt dieser Theoriebildung ist das christologische Paradox, dass der göttliche Logos, der für Origenes im Anschluss an platonisches Denken in seinem Wesen unwandelbar und leidensunfähig sein muss, in diese Welt hinabgestiegen und ein leidensfähiger und sterblicher Mensch geworden sein soll.134 Dabei soll weder die göttliche Natur in Christus ver129 130 131 132

In Cant. comm. II 9,10–14 (das Zitat ebd. II 9,14). Vgl. u.a. auch ebd. I 4,13 f. Ebd. I 4,27–29. Nach ebd. II 10,4 ist der Körper Christi ein „Bündel“, in das die göttliche Kraft des Logos verschnürt ist. 133 Ebd. II 10,8 f. 134 Princ. I praef. 4 (GCS Orig. 5, 10).

III. Das Hoheliedverständnis des Origenes

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mindert noch die Realität der Menschwerdung geleugnet oder abgeschwächt werden.135 Zur Deutung dieser paradoxalen Einheit von Göttlichem und Menschlichem in Christus greift Origenes auf seine Lehre von der Präexistenz der Vernunftwesen zurück und führt die Figur eines geistigen Wesens ein, das von Anfang an dem göttlichen Logos vollkommen angehangen hat und daher als einzige Kreatur nicht abgefallen ist, sondern sich so vollkommen mit dem göttlichen Logos verbunden hat, dass es völlig eins mit ihm geworden ist. Da dieses Wesen einerseits ganz und gar vom göttlichen Logos durchdrungen ist, andererseits aber wie die anderen Vernunftwesen auch als Seele in einem materiellen Leib fungieren kann, wird dieses als Seele Jesu der Mittler zwischen seiner göttlichen und menschlichen Natur.136 Während der göttliche Logos in seiner eigenen Natur unveränderbar und ewig beim Vater verharrt und zugleich die gesamte Welt durchwaltet, steigt die Seele Jesu in die Welt hinab, nimmt einen menschlichen Leib an und handelt, leidet und stirbt als Mensch für das Heil der Menschen und agiert dabei in völliger Einheit mit dem göttlichen Logos, der durch sie in der Welt wirkt.137 Origenes betont dabei einerseits die völlige Willenseinheit von göttlichem Logos und menschlicher Seele Jesu, andererseits unterstreicht er die bleibende Differenz der beiden Naturen in Christus. Im Hoheliedkommentar betont Origenes einerseits die Einheit von menschlicher und göttlicher Natur in Christus. So kann sich für ihn das „Bündel Myrrhe“ (Hld. 1,13), das der Geliebte für die Braut sein soll, auf folgende Weise auf die Inkarnation Christi beziehen: Der Körper Christi ist „ein Bündel und eine Art Band für die Seele, ein Bündel, mit dem die Myrrhe der göttlichen Kraft verschnürt“ ist.138 Andererseits unterscheidet Origenes deutlich zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur Christi, die er mit der von Christus angenommenen vollkommenen Seele gleichsetzt, die durch die Annahme des Fleisches Mensch geworden ist. Allein die menschliche Seele Jesu kann von der Kirche nachgeahmt werden, weil die göttliche Natur des Logos über jedwede Kreatur und ihre Affekte erhaben gedacht wird.139 Untrennbare Einheit, die Origenes auch als „substantielle Einwohnung“ des Logos in der von ihm angenommenen Seele bezeichnen kann,140 und bleibende Unterscheidung der beiden Naturen drücken sich in seinem Denken auch in der Vorstellung vom angenommen Menschen als „Organon“ des göttlichen Logos aus.141 Einer solchen Vor135 136 137 138 139 140 141

Ebd. II 6,2 (5, 141). Ebd. II 6,3 (5, 141–143). Vgl. ebd. II 6,7 (5, 146). In Cant. comm. II 10,4. Ebd. II 6,13. Princ. II 3,4 (GCS Orig. 5, 144). Siehe hierzu Metzger, Organongedanke in der Christologie 115–171.

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stellung entspricht es, wenn für Origenes im Hoheliedkommentar das „weiße Pferd“ der Offenbarung, auf dem Christus reitet, entweder allein für den Leib Christi oder für die Seele, die dieser angenommen hat, oder aber auch für den aus Leib und Seele bestehenden sündlosen Menschen Christi stehen kann.142 Die Unterscheidung der beiden Naturen Christi und ihrer jeweils verschiedenen Funktionen im Heilswerk Christi kann Origenes im Hoheliedkommentar auch als die Unterscheidung von der Linken Christi und seiner Rechten ausgedrückt finden. Wenn die Braut davon spricht, dass die Linke des Bräutigams unter ihrem Haupt ist und seine Rechte sie umarmen wird (Hld. 2,6), dann wird mit der Linken jenes Amt des Wortes bezeichnet, das er während der Inkarnation, mit der Rechten dagegen jenes, das er vor derselben ausübte. Die Rechte symbolisiert dabei offenbar seine göttliche Natur, wo nichts von den Leiden der Sünde und den Schwächen des Falls zu finden ist, während die Linke die Seite Christi darstellt, durch die er „unsere Wunden geheilt und unsere Sünden getragen hat“ (1 Petr. 2,24), indem er sogar selbst „für uns zur Sünde und zum Fluch geworden ist“ (Gal. 3,13). Wenn Origenes in diesem Zusammenhang davon spricht, dass Christus einige Dinge auch außerhalb seiner göttlichen Natur getan hat,143 deutet er damit seine Lehre von Tod und Hadesfahrt Christi an. Origenes lehrt nämlich, dass Christus, der in seiner Inkarnation einen vollständigen Menschen aus Leib, Seele und Geist angenommen habe, im Augenblick seines Todes diese Bestandteile voneinander getrennt habe, um sie durch seine Auferstehung wieder miteinander zu vereinen. Während der Leib ins Grab gelegt wurde, hat Christus seinen Geist dem Vater zur Verwahrung übergeben, während allein die Seele in die Unterwelt hinabgestiegen ist, um die Seelen der Verstorbenen aus der Gewalt des Teufels zu befreien.144 Dabei steigt nach Origenes die reine sündlose Seele Jesu, das heißt ohne seine göttliche Kraft, in den Hades hinab, so dass er die Situation dieser Seele zu diesem Zeitpunkt als radikale Gottverlassenheit beschreiben kann.145 Gerade in seiner menschlichen Natur ist Christus der Erlöser und Befreier aller unter die Sünde geratenen Geschöpfe. Er ist nicht nur der göttliche „Bräutigam“ der vollkommenen Kirche, sondern zugleich auch der Hohepriester, weil als „Mittler zwischen Gott und den Menschen“ und der gesamten Schöpfung durch seinen Opfertod zur Versöhnung für alle geworden ist.146 Dieser Mittlertitel von 1 Tim. 2,5 bezieht sich für Origenes primär auf seine menschliche Natur, die er mit der Seele Jesu gleichsetzen 142 143 144 145 146

Origenes, in Cant. comm. II 6,8. Ebd. III 9,7–10. Dial. 7.14–8.17 (SC 672, 70–72). Vgl. in Ioh. comm. XXXII 2,35 (GCS Orig. 4, 430). In Cant. comm. I 3,3.7.

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kann.147 Durch den Sühnetod seiner menschlichen Natur hat Christus die Netze des Todes, des Teufels und der Sünde zerrissen. Weil der Mensch Jesus als einziger „unter den Toten frei“ war, konnte er den Tod durch sein freiwilliges Leiden und Sterben besiegen. Diese Vorstellung bezieht sich auf die Seele Jesu, die allein ohne Sünde war und daher auch keine Sündenvergebung nötig hatte. Als solche konnte allein sie die Befreiung der Toten aus der Unterwelt, ihre Auferweckung und Führung in das himmlische Jerusalem bewerkstelligen.148 Ist also die Erlösung und Befreiung von der Macht des Teufels die primäre Aufgabe der Seele Jesu, so weiß Origenes dennoch vom untrennbaren Zusammenwirken der menschlichen und göttlichen Natur in Christus im Heilswerk. Den Zusammenhang zwischen der göttlichen Hoheit Christi und seiner Erniedrigung zur Erlösung des Menschengeschlechts findet Origenes in Ps. 44(45),9 ausgedrückt: „Myrrhe und Myrrhetropfen und Kassiazimt gehen von deinen Gewändern aus.“ Während die Gewänder des Wortes Gottes die Lehre der göttlichen Weisheit symbolisieren, steht die Myrrhe für den Opfertod Christi und der Myrrhetropfen für die entäußerte Gestalt der Gottheit, seine angenommene Knechtsgestalt, Kassiazimt aber, weil dieses Kraut von großen Wassermassen genährt werden muss, für die Erlösung des Menschengeschlechts durch die Taufe.149 Es zeigt sich also, dass das komplexe christologische Modell, das Origenes u.a. in seinem systematischen Hauptwerk „Von den Prinzipien“ entworfen hat, von ihm auch im Hoheliedkommentar vorausgesetzt und in das dynamische Verhältnis der wechselseitigen Liebe zwischen Gott und seiner Schöpfung, zwischen Kirche und Christus bzw. Seele und göttlichem Wort eingezeichnet wird.

147 In Rom. comm. III 5,6 (SC 539, 130). 148 In Cant. comm. III 14,32. 149 Ebd. II 10,10.

IV. Zur Rezeption des Hoheliedkommentars Wie nicht anders zu erwarten, wurde der Kommentar des Origenes zum Hohelied in der Zeit vor der Verurteilung des Origenes vielfach rezipiert, während in der Zeit, in der die Verwerfung der origenistischen Theologie ihre Wirkung zu entfalten begann, die offene Rezeption für längere Zeit deutlich zurücktrat, ohne je wirklich zu verschwinden, um dann in der mystischen Theologie des Hohen Mittelalters wieder verstärkt hervorzutreten. Wenn auch kontrovers darüber diskutiert wird, ob und in welchem Sinne und Umfang Gregor von Nyssa als Origenist anzusehen ist,150 ist doch seine Beeinflussung und Prägung durch Werk und Theologie des großen Alexandriners unbestritten. Diese durch eine durchaus eigenständige Kreativität geprägte Abhängigkeit Gregors von Origenes offenbart sich auch in seinen Homilien zum Hohelied – einem nach 391, vielleicht sogar erst nach 394 entstandenen Alterswerk –, die in vielfältiger Weise auf den Kommentar des Origenes zum selben Buch der Bibel zurückgreifen.151 Auch Gregor deutet den Bräutigam und die Braut des Hoheliedes auf Christus und die Kirche sowie auf das Wort Gottes und die Seele, wobei bei ihm das Schwergewicht der Auslegung eher auf der Beziehung der Einzelseele zu ihrem Erlöser liegt, während die Betrachtung des Literalsinns völlig in den Hintergrund tritt.152 Gregor übernimmt viele Etymologien und Sacherklärungen der origeneischen Auslegung, reichert diese aber mit eigenen Beobachtungen und Erkenntnissen an und verfährt bei vielen einzelnen allegorischen Auslegungen ähnlich. So übernimmt Gregor von Origenes die Deutung von Hld. 1,8 als einer Ermahnung zu Selbsterkenntnis, füllt diese aber inhaltlich anders als sein Vorgänger, indem er sie nicht wie dieser auf die moralische Seelenprüfung und theoretische Psychologie bezieht, sondern auf die Un-

150 Vgl. Meis, Paradox des Menschen, die ebd. 496 davon spricht, dass Gregor trotz seiner Abhängigkeit von Origenes nicht zum Origenisten geworden ist. 151 Dünzl, Canticum-Exegese 108, kommt nach dem Vergleich beider Hoheliedauslegungen zu dem Ergebnis: „Ohne die Auslegung des Origenes (vor allem im comm. in Cant.) wäre diejenige Gregors nicht denkbar. Gregors hom. in Cant. sind ein Teil der Wirkungsgeschichte des comm. in Cant. Es ist indes für mich faszinierend zu beobachten, wie die 150 Jahre Theologiegeschichte, die zwischen Origenes und Gregor liegen …, sich in der Umformung der Canticum-Exegese des Origenes bei Gregor niedergeschlagen hat.“ 152 Vgl. Dünzl, ebd. 98 f.

IV. Zur Rezeption des Hoheliedkommentars

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terscheidung des unvergänglichen Wesenskerns des Menschen von den fremden, die Seele versklavenden Werten wie Macht, Ruhm und Reichtum und auf die Überlegenheit der Seele über alle anderen Geschöpfe.153 Gregor von Elvira, ein Zeitgenosse des Hieronymus, hat ebenfalls eine Erklärung des Hoheliedes hinterlassen, die noch erhalten ist. Diese ist allerdings nur recht oberflächlich und wohl eher indirekt von der Auslegung des Origenes beeinflusst. Zwar versteht er wie Origenes das Hohelied formal als ein Epithalamium und deutet Braut und Bräutigam auf Christus und die Kirche, aber er vertritt nirgends die Deutung auf das Wort Gottes und die Seele.154 Da Griechischkenntnisse bei Gregor von Elvira nicht zu erwarten sind und eine Kenntnis der Rufinschen Übersetzung ausgeschlossen ist, weil diese erst 410 entstanden ist, während Gregor seinen Kommentar vor 392 verfasst haben dürfte, sind die wenigen Anklänge an origeneische Gedanken wahrscheinlich über verlorene lateinische Werke vermittelt, etwa durch Victorinus von Pettau, der der origeneischen Exegese sehr viel verdankte,155 oder Reticius von Autun, dessen Werk über das Hohelied Hieronymus kein gutes Zeugnis ausstellte.156 Leider sind diese Kommentare nicht erhalten, so dass eine wichtige Rezeptionsstufe der origeneischen Hoheliedauslegung im Westen verloren ist. Ambrosius von Mailand, der generell sehr stark von der Exegese des Origenes abhängig ist,157 hat zwar keinen Kommentar über das Hohelied hinterlassen, aber dieses biblische Buch in seinem Gesamtwerk so häufig zitiert und in allegorischer Weise ausgelegt, dass Wilhelm von St. Thierry aus diesen verstreuten Äußerungen einen umfangreichen Kommentar kompilieren konnte.158 Besonders seine um 391 entstandene Spätschrift „Über Isaak oder die Seele“ besteht weithin aus einem ganz von Origenes geprägten Kommentar zum Hohelied.159 Zwar geht Ambrosius mit seiner mariologischen Auslegung über sein Vorbild Origenes hinaus, bleibt aber doch

153 Vgl. Dünzl, ebd. 103 mit Verweis auf GNO 6, 63.5. 154 Vgl. E. Schulz-Flügel, VL.AGLB 26, Freiburg i.Br. 1994, 58 f. Dagegen geht de Lubac, Exe´ge`se me´die´vale I/1, 216, davon aus, dass Gregor von Elvira, wenn auch nicht sklavisch, so doch von Auslegungen des origeneischen Hoheliedkommentars abhängig ist. 155 Dass dieser einen Hoheliedkommentar verfasst hat, bezeugt Hieronymus, vir. ill. 74 (p. 228 Barthold), und zugleich, dass er stark von den Werken des Origenes abhängig war: epist. 84,7 (CSEL 55, 130). Siehe hierzu Esterson, Origen, Victorinus of Pettau. 156 Epist. 37,4 (CSEL 54, 288): „Umsonst verlangst du von mir die Kommentare dieses Mannes, weil mir in ihnen weit mehr missfällt, als mir gefällt.“ 157 Siehe Chappuzeau, Hohelied 1,2a.b und 7 bei den Kirchenvätern. 158 Commentarius in Cantica Canticorum e scriptis sancti Ambrosii collectus: PL 15, 1851–1962. 159 Siehe hierzu E. Dassmann, FC 48, Turnhout 2003, 13–15.

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stark von ihm beeinflusst. Auch er sieht in der Braut des Hoheliedes sowohl die Kirche als auch die einzelne gläubige Seele und deutet die Küsse des Bräutigams als die Erkenntnisse, die direkt von Christus der Kirche oder der Seele offenbart werden. Hierbei gibt er aber seiner Auslegung mehr als Origenes einen moralisch-asketischen Akzent. Der Hoheliedkommentar des Apponius,160 der wahrscheinlich zwischen 420 und 430 in Rom oder Norditalien entstanden ist,161 ist trotz seiner sehr eigentümlichen und selbstständigen Art nicht nur von Hippolyt und jüdischer Auslegung, sondern auch von der Hoheliedauslegung des Origenes beeinflusst.162 So kennt er nicht nur die geistige Auslegung des Textes auf Christus und die Kirche, sondern auch die von Origenes eingeführte Deutung von Bräutigam und Braut auf das Wort Gottes und die Seele. Er legt auch – wie schon Origenes vor ihm – großen Wert auf das Verhältnis der Kirche zu Israel. Wie Origenes versteht Apponius unter den „kleinen Füchsen“ in Hld. 2,15 die christlichen Häretiker, aber der antihäretische und polemische Charakter ist bei Apponius erheblich stärker ausgeprägt und zugespitzt als bei Origenes.163 Außerdem legt Apponius großen Wert auf die moralische Auslegung des Hoheliedes, die er mit der origeneischen Auslegung in Bezug auf das Wort Gottes und die Seele gleichsetzt,164 was dieser allerdings nicht getan hat. Selbst die antiochenische Exegese konnte sich, wenn sie das Hohelied Salomos theologisch verstehen wollte, dem Einfluss des Origenes nicht entziehen. Während Theodor von Mopsuestia das Hohelied nur im Literalsinn und dabei als ein Liebeslied Salomos für seine ägyptische Braut verstanden wissen wollte und folgerichtig auch die Kanonizität des Hoheliedes bestritt,165 hat Theodoret von Cyrrhus im Hohelied einen tieferen Sinn ge160 Dazu Witte, Kommentar des Aponius; Frank, Apponius; König, Auslegung zum Lied der Lieder. 161 Hatten B. De Vregille/K. Neyrand, CChr.SL 19, Turnhout 1986, cvii, den Kommentar noch in die Zeit zwischen 415 und 420 datiert, wobei sie der Datierung von Witte, Kommentar des Aponius 8–22, folgten, kommen sie in SC 420, Paris 1997, 113–119, nach einer erneuten Prüfung der Quellen zu dem Urteil, das Werk sei zwischen 420 und 430 verfasst. 162 De Vregille/Neyrand, CChr.SL 19, lxxxvii–lxxxix, meinen, dass der Einfluss des Origenes auf die Auslegung des Apponius nur ein indirekter gewesen ist, listen aber gewichtige Übereinstimmungen mit dem von Rufinus übersetzten Kommentar und den von Hieronymus übertragenen Homilien zum Hohelied auf. In SC 420, 113, gehen sie aber inzwischen davon aus, dass Apponius direkt von den Homilien und dem Kommentar des Origenes zum Hohelied abhängig ist. 163 Vgl. Matter, Voice of My Beloved 89. 164 Apponius, in Cant. comm. V 8 (SC 421, 74). Ebd. V 6 (421, 72), betont er, dass der moralische Sinn nicht übergangen werden darf. Mit dieser Aussage meint er durchaus über die Auslegung des Origenes hinauszugehen. Vgl. hierzu De Vregille/Neyrand, SC 420, 70.

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funden und ist dabei ganz selbstverständlich den Spuren des Origenes gefolgt.166 Papst Gregor der Große, dessen Hoheliedauslegung das gesamte Mittelalter über von großem Einfluss sein sollte, war ebenfalls stark von der Canticum-Exegese des Origenes abhängig. Er hat seine Exegese des Hoheliedes wahrscheinlich in seiner Frühzeit verfasst und nicht selbst veröffentlicht.167 Die Abhängigkeit von Origenes zeigt sich besonders in der überproportionierten Einleitung zu der lediglich die ersten acht Verse des Hoheliedes behandelnden Auslegung. Wie Origenes bezieht Gregor die drei Bücher Salomos auf die drei philosophischen Disziplinen, die moralische, die natürliche und die betrachtende und deutet das Hohelied als Werk der betrachtenden Wissenschaft und sieht wie der Alexandriner auch die drei Patriarchen als Urbilder dieser drei Künste an.168 Typisch für die Auslegung Gregors ist, dass der spekulative Gehalt des Hoheliedes weit hinter den praktisch-moralischen Sinn zurücktritt, so dass die Aussage des Ildefons von Toledo, Gregor habe das Hohelied als ganzes im moralischen Sinne ausgelegt, zumindest für die Auslegungsmethode zutrifft.169 Mit der Hoheliedexegese Gregors des Großen endet zunächst für Jahrhunderte die unmittelbare und zugleich produktive Aneignung der origeneischen Hoheliedauslegung. Beda Venerabilis, der die Exegese der nächsten Jahrhunderte stark bestimmen sollte, kannte die Werke des Origenes offenbar nicht, hat sie jedenfalls nicht herangezogen und nennt auch Origenes nicht als eine seiner Autoritäten. Vielmehr beruft er sich im Zusammenhang mit seiner Auslegung des Hoheliedes namentlich auf Ambrosius, Hieronymus, Apponius und Gregor den Großen, deren Werke ihm manches origeneisches Gut vermittelt haben, dessen Herkunft ihm allerdings nicht bewusst gewesen sein dürfte.170 Die Kommentare der Karolingischen Zeit, etwa das

165 Pelletier, Lectures du Cantique des Cantiques 322–336. Vgl. Mansi IX, coll. IV, 202 ff.; PG 66, 699 f. 166 Ashby, Theodoret of Cyrrhus 80. 83; Pelletier, Lectures du Cantique des Cantiques 324 f. 167 So datiert Müller, Das Hohelied und seine Auslegung 26, der lange Zeit geltenden communis opinio folgend, die Auslegung des Hoheliedes durch Gregor in die Zeit „zwischen seinem Eintritt in das Kloster St. Andreas auf dem Clivius Scauri (575) und seiner Wahl zum Papst (590)“. Dagegen geht K. S. Frank, CMe 29, Einsiedeln 1987, 81, davon aus, dass die Predigten über das Hohelied von Gregor in seiner Zeit als Papst zwischen 594 und 598 in Rom gehalten und noch später für die Veröffentlichung bearbeitet worden sind. Er folgt dabei der neueren Datierung von de Vogüe´, Gre´goire le Grand 17–23, und Meyvaert, Date. 168 Gregor der Große, expos. in Cant. 9 (CChr.SL 144, 11–13). Vgl. Frank, CMe 29, 85. 169 Ildefons von Toledo, vir. ill. 1 (PL 96, 198). 170 Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 60.

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Compendium in Canticum Canticorum Alkuins, das mehr eine verknappte Zusammenfassung der Kommentierung Bedas darstellt als eine eigenständige exegetische Arbeit, aber auch der durchaus originelle und anspruchsvolle Hoheliedkommentar des Haimo von Auxerre, eines Benediktiners aus dem Kloster Saint-German in Auxerre, sind literarisch stark ihrem Vorgänger Beda verpflichtet und lassen keine eigenständige Lektüre und Rezeption des Origenes erkennen. Eine solche lässt sich erst wieder in der aus der Schule von Laon stammenden Glossa ordinaria feststellen, die in die Zeit von 1100 bis 1110 datiert werden kann. In ihrem dem Hohelied gewidmeten Teil171 zeigt sich eine deutliche Heranziehung der Rufinschen Übersetzung des origeneischen Hoheliedkommentars. Überhaupt erlebte die Hoheliedexegese im Rahmen der monastischen Reformbewegungen im 12. Jahrhundert einen großen Aufschwung. Während zuvor die ekklesiologische Auslegung im Vordergrund gestanden hatte, wurde das Hauptaugenmerk nunmehr auf das Verhältnis von Gott und der einzelnen Seele gelegt.172 Es ist sicher kein Zufall, dass gerade in dieser Zeit, in der auch viele der lateinischen Handschriften des Hoheliedkommentars des Origenes entstanden,173 die Hoheliedauslegung des Origenes eine Renaissance erlebte. Die bedeutendste Gestalt dieser Epoche ist Bernhard von Clairvaux,174 dem von Berengar von Poitiers vorgeworfen wurde, dass er in seinen Canticum-Homilien bloß die Auslegungen des Origenes, Ambrosius, Reticius und Beda ausgeschrieben und daher nichts Originelles gesagt habe.175 Angesichts des äußerst eigenständigen und kreativen Umgangs des Bernhard mit seinen Traditionen muss dieser Vorwurf mehr als ungerechtfertigt erscheinen. Während für Wilhelm von St. Thierry, der nicht nur aus den Zitaten des Ambrosius und Gregors des Großen jeweils einen Hoheliedkommentar zusammengestellt, sondern auch einen eigenen Hoheliedkommenar verfasst hat, die große Bedeutung, die die Lektüre der lateinischen Hoheliedpredigten wie auch des Kommentars des Origenes gehabt hat, feststeht,176 ist die Kenntnis beider origeneischer Werke bei Bernhard immer noch umstritten.177 Man geht aber im Allgemeinen wohl zu Recht davon aus, dass Bern171 Separatausgabe mit englischer Übersetzung: M. Dove, CChr.CM 170, Turnhout 1997. 172 Vgl. Matter, Voice of My Beloved 123. 173 Vgl. Matter, ebd. 35 f. 174 Siehe Deroy, Bernardus en Origenes; Bre´sard, Bernard et Orige`ne. 175 Berengar von Poitiers, Apologeticus (PL 178, 1863). Vgl. Döbler, Mystik 90 f. 176 Verdeyen, Guillaume de Saint-Thierry 4. 278–280, mit Verweis auf De´chanet, Guillaume de Saint-Thierry 200–209. 177 So Ruh, Mystik I, 256 Anm. 46. Die Liste der Bezugnahmen auf Origenes bei Bre´sard, Bernard et Orige`ne 118, ist aber doch zu beeindruckend, als dass man sie einfach beiseite schieben könnte.

IV. Zur Rezeption des Hoheliedkommentars

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hard von Wilhelm von St. Thierry mit der Hoheliedauslegung des Origenes bekannt gemacht worden ist.178 Darüberhinaus ist die Existenz einer Handschrift des Hoheliedkommentars des Origenes in der Bibliothek von Clairvaux zur Zeit Bernhards durch eine Handschriftenliste belegt.179 Aber es ist letztlich der Vergleich beider Hoheliedauslegungen, der die kreative Abhängigkeit des Bernhard von Origenes zur Gewissheit werden lässt. Selbst an Stellen, an denen er einen anderen lateinischen Text als Origenes bzw. Rufinus benutzt, klingt immer wieder der von Origenes zitierte Bibeltext durch.180 Immer wieder greift Bernhard die Auslegungen des Origenes auf, lässt sich von ihnen zu eigenen Gedanken inspirieren und zeigt auch in seinen originellen Anwendungen der Gedanken des Hoheliedes auf die Glaubens- und Lebenserfahrungen der monastischen Existenz, mit welch großer Souveränität er sich im Denkraum der origeneischen Hoheliedauslegung bewegt. Auch die spätere monastische Hoheliedauslegung ist tief von der origeneischen geprägt und sich dessen durchaus bewusst gewesen, wie das Bekenntnis des Thomas Cisterciensis im Vorwort zu seinem eigenen Hoheliedkommentar deutlich macht: „Wer glaubte wohl, dass nach dem Honig des Origenes, den Gewürzen Gregors, den Wohlgerüchen Bedas, den Balsamen des seligen Bernhard, deren vielfältiger Nutzen unzählbar ist, den Späteren wenigstens noch ein Tropfen der geistigen Einsicht zum Auspressen übrig bliebe?“181 Dieser kurze Überblick über die Rezeptionsgeschichte der origeneischen Hoheliedauslegung macht uns darauf aufmerksam, welch enorme Langzeitwirkung gerade dieses Werk von der Antike bis ins hohe Mittelalter hinein hatte. Auch wenn Origenes seit dem 6. Jahrhundert als Ketzer galt und viele seiner Werke als Nachwirkung dieser Verurteilung verloren gegangen sind, war es der Kirche und ihren Theologen dennoch unmöglich, an der genialen, die mystischen Tiefendimensionen des Hoheliedtextes erschließenden Hoheliedauslegung des Origenes vorbeizugehen. Gerade als eine Erfahrungstheologie, die von der lebendigen Beziehung des Gläubigen zu Jesus Christus als dem Wort Gottes herkam und dieser nachzudenken versuchte, blieb sie auf die origeneische Ausdeutung dieses Verhältnisses im 178 Döbler, Mystik 91, mit Verweis auf Ruh, Mystik I, 294 f.; Verdeyen, Guillaume de Saint-Thierry 564–572. 179 Vgl. Deroy, Bernardus en Origenes 11, der den Text nach Wilmart, L’ancienne bibliothe`que de Clairvaux 117, bietet, wo es in der Aufzählung von Werken des Origenes, die in der Bibliothek von Clairvaux zu finden waren, heißt: Explanatio eiusdem super cantica canticorum ab exordio usque capite nobis vulpes in uno volu(mine). Diese Notiz zeigt zudem, dass auch Anfang des 12. Jahrhunderts der Kommentar nur in dem bis heute erhaltenen Umfang vorlag. 180 Vgl. Deroy, Bernardus en Origenes 155 f. 181 Thomas Cisterciensis, in Cant. comm. praef. (PL 206, 17). Übersetzung nach Döbler, Mystik 93.

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Einleitung

Lichte einer vom Hohelied inspirierten Brautmystik angewiesen und konnte diese ihre Herkunft außer um den Preis der Selbstverleugnung nicht verleugnen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich die Hoheliedexegese des Mittelalters da, wo sie wieder originell und gedankenvoll wird, zu Origenes zurückwendet. Origenes hatte das Entscheidende zur mystischen und spirituellen Auslegung des Hoheliedes gesagt. Die auf diesen Ursprung folgende Auslegungsgeschichte dieses biblischen Buches konnte letztlich – um ein Diktum Alfred Whiteheads über Platon zu variieren – aus nichts anderem mehr bestehen als aus „Fußnoten zu Origenes“.

V. Bibeltext und Auslegungsinhalte 1. Übersicht über die in den Büchern ausgelegten Perikopen Vorwort Buch I Buch II Buch III182

Hld. Hld. Hld. Hld.

1,1 (ausgelegt in prol. 4) 1,2–4 1,5–14 1,15–2,15

2. Der Bibeltext Hld. 1,1–2,15 LXX in Rufins Übersetzung (1,1) Canticum Canticorum, quod (1,1) Das Lied der Lieder, das von est ipsi Solomoni. Salomo stammt. (prol. 4) (2) Osculetur me ab osculis oris sui.

(2) Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes. (I 1)

Quia bona sunt ubera tua super Ja, deine Brüste sind besser als Wein uinum (3) et odor unguentorum tu- (3) und der Duft deiner Salböle besorum super omnia aromata. ser als alle Duftkräuter. (I 2 f.)183 Vnguentum exinanitum nomen tuum. Propterea adulescentulae dilexerunt te, (4) traxerunt te; post te in odorem unguentorum tuorum curremus.

Ausgegossenes Salböl ist dein Name. Deswegen haben sich die Mädchen in dich verliebt, (4) sie haben dich an sich gezogen: Zum Duft deiner Salböle werden wir hinter dir herlaufen. (I 4)

182 Die in manchen Handschriften überlieferte Einteilung in vier Bücher wird durch die sonstige Überlieferung nicht bestätigt: siehe dazu unten S. 392 Anm. 473. Für den Aufbau des Kommentars wird daher in dieser Ausgabe von drei Büchern ausgegangen und die Kapitelzählung im dritten Buch weitergeführt, die Zählung in den „Sources Chre´tiennes“, die ein viertes Buch ansetzen, aber in Klammern dazugeschrieben (III 15 = IV 1; III 16 = IV 2; III 17 = IV 3). 183 In SC 375, 216 Anm. 2 erklären Bre´sard/Crouzel/Borret, weshalb sie aus dem Kommentar des Origenes zu Hld. 1,2 f. zwei Kapitel gemacht haben. Da sich die Ausführungen des Origenes weitgehend auf die beiden Verse aufteilen lassen, ist diese Einteilung nachvollziehbar. Aufgrund der internen Bezüge, die Origenes herstellt – besonders am Ende: in Cant. comm. I 3,14, wo er nochmals auf den in I 2 erläuterten Vers Hld. 1,2 zurückkommt –, wäre es gleichwohl besser gewesen, nur ein Kapitel zu machen.

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Einleitung

Introduxit me rex in cubiculum suum; exsultemus et iucundemur in te. Diligemus ubera tua super uinum. Aequitas dilexit te.

Der König hat mich in sein Gemach geführt. Wir wollen jubeln und uns an dir freuen. Wir werden deine Brüste mehr lieben als Wein. Die Redlichkeit hat sich in dich verliebt. (I 5 f.)184

(5) Fusca sum et formosa, filiae (5) Dunkel bin ich und schön, Hierusalem, ut tabernacula Cedar, ut Töchter Jerusalems, wie die Zelte pelles Solomonis. von Kedar, wie die Planen Salomos. (II 1) (6) Ne uideatis me, quoniam infus- (6) Starrt mich nicht an, weil ich cata sum ego, quia despexit me sol. dunkel geworden bin, denn die Sonne hat auf mich herabgeschaut. (II 2) Filii matris meae dimicauerunt in Die Söhne meiner Mutter kämpften me, posuerunt me custodem in ui- in mir, sie setzten mich zur Hüterin neis; uineam meam non custodiui. der Weinberge ein; meinen Weinberg habe ich nicht behütet. (II 3) (7) Annuntia mihi, quem dilexit anima mea, ubi pascis, ubi cubile habes in meridie, ne forte efficiar sicut adoperta super greges sodalium tuorum.

(7) Lass mich wissen, du, in den sich meine Seele verliebt hat, wo du weidest, wo du am Mittag deine Lagerstätte hast, damit ich nicht etwa werde wie eine, die unter den Herden deiner Gefährten verhüllt ist. (II 4)

(8) Nisi cognoueris te, o bona inter mulieres, egredere tu in uestigiis gregum et pasce haedos tuos in tabernaculis pastorum.

(8) Wenn du dich nicht erkennst, du gute unter den Frauen, geh hinaus auf den Spuren der Herden und weide deine Böcke bei den Zelten der Hirten! (II 5)

(9) Equitatui meo in curribus Pha- (9) Meiner Reiterei unter den Streitraonis similem te arbitratus sum, wagen des Pharao habe ich dich proxima mea. gleich erachtet, meine Gefährtin. (II 6)

184 Auch hier wäre es besser gewesen, anders als in der SC-Ausgabe nur ein Kapitel zu machen: Die Erklärung der in Cant. comm. I 5,1 zitierten Teilverse Hld. 1,4b–c läuft in I 6,1 f. noch weiter, ehe in I 6,3 Hld. 1,4d und dann ab I 6,6 Hld. 1,4e erklärt werden. Zum Textverständnis in I 6,1 f. siehe unten S. 170 Anm. 183.

V. Bibeltext und Auslegungsinhalte

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(10) Quam speciosae factae sunt ge- (10) Wie anmutig sind deine Wannae tuae tamquam turturis, ceruix gen geworden wie die einer Turteltua sicut redimicula. taube, dein Nacken wie Geschmeide. (II 7) (11) Similitudines auri faciemus tibi (11) Nachbildungen von Gold wercum distinctionibus argenti, (12) den wir dir machen mit Verzierunquoadusque rex sit in recubitu suo. gen von Silber, (12) solange der König auf seinem Lager ruht. (II 8)185 Nardus mea dedit odorem suum.

Mein Nardenöl verströmte seinen Geruch. (II 9)

(13) Alligamentum guttae fraternus (13) Ein Bündel Myrrhe ist mein meus mihi, in medio uberum meo- Geliebter für mich, inmitten meiner rum manebit. Brüste wird er bleiben. (II 10) (14) Botrus cypri fraternus meus (14) Eine Traube Zyperns ist mein mihi in uineis Engaddi. Geliebter für mich in den Weinbergen von En-Gedi. (II 11) (15) Ecce es speciosa, proxima mea; (15) Siehe, du bist schön, meine Geecce es speciosa; oculi tui columbae. fährtin; siehe, du bist schön; deine Augen sind Tauben. (III 1) (16) Ecce es bonus, fraternus meus, (16) Siehe, du bist gut, mein Geliebet quidem ecce es speciosus, cubile ter, und, ja siehe, du bist schön; unnostrum umbrosum. ser Lager ist schattig. (III 2) (17) Tigna domorum nostrarum (17) Die Balken unserer Häuser sind cedri, trabes nostrae cypressi. Zedern, unsere Querbalken Zypressen. (III 3) (2,1) Ego flos campi et lilium conuallium; (2) sicut lilium in medio spinarum, ita proxima mea in medio filiarum.

(2,1) Ich bin eine Blume des Feldes und eine Lilie der Täler; (2) wie eine Lilie inmitten der Dornen, so ist meine Gefährtin inmitten der Töchter. (III 4)

(3) Sicut arbor mali inter ligna siluae, ita fraternus meus inter medium filiorum; in umbra eius concupiui et sedi, et fructus eius dulcis in faucibus meis.

(3) Wie ein Apfelbaum unter Waldhölzern, so ist mein Geliebter inmitten der Söhne; in seinem Schatten zu weilen sehnte ich mich und saß ich, und seine Frucht war süß in meiner Kehle. (III 5)

185 Origenes zieht den Nebensatz quoadusque in Hld. 1,12 zum vorigen Hauptsatz Hld. 1,11 und legt den Hauptsatz in Hld. 1,12 im folgenden Kapitel (in Cant. comm. II 9) separat aus.

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Einleitung

(4) Introducite me in domum uini.

(4) Führt mich in das Haus des Weines hinein! (III 6)

Ordinate in me caritatem.

Ordnet in mir die Liebe! (III 7)

(5) Confirmate me in unguentis, sti- (5) Stärkt mich mit Salbölen, nährt pate me in malis, quia uulnerata ca- mich mit Äpfeln, denn wund vor ritatis ego sum. Liebe bin ich. (III 8) (6) Laeua eius sub capite meo, et (6) Seine Linke ist unter meinem dextera eius complectetur me. Haupt, und seine Rechte wird mich umarmen. (III 9) (7) Adiuraui uos, filiae Hierusalem, in uirtutibus et in uiribus agri, si leuaueritis et suscitaueritis caritatem quoadusque uelit.

(7) Ich beschwor euch, Töchter Jerusalems, bei den Mächten und bei den Kräften des Feldes, ob ihr die Liebe aufgerichtet und aufgeweckt habt, wie er es will. (III 10)

(8) Vox fraterni mei.

(8) Die Stimme meines Geliebten! (III 11)186

Ecce hic uenit saliens super montes, Siehe, er kommt springend über die transiliens super colles. Berge, hüpfend über die Hügel. (III 12) (9) Similis est fraternus meus capreae (9) Mein Geliebter gleicht einer Gauel hinnulo ceruorum in montibus zelle oder einem jungen Hirsch auf Bethel. den Bergen von Bethel. (III 13) Ecce, hic stetit post parietem nostrum, incumbens super fenestras, prospiciens per retia. (10) Respondit fraternus meus et dicit mihi.

Siehe, er steht hinter unserer Mauer, beugt sich über die Fenster, schaut durch die Netze. (10) Mein Geliebter antwortet und spricht zu mir. (III 14)187

Surge, ueni, proxima mea, speciosa mea, columba mea, (11) quoniam ecce hiems transiit, pluuia abiit et discessit sibi; (12) flores uisi sunt in

Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube, (11) denn siehe, der Winter ist vorüber, der Regen ist vorbei und hat sich von selbst verzogen. (12) Die Blu-

186 Die Kapitel in Cant. comm. III 11 und III 12 gehören eng zusammen, insofern der zweite Teil von Hld. 2,8, der explizit erst in III 12 Thema ist, auch in III 11 schon ausführlich erörtert wird. 187 Auch die Kapitel in Cant. comm. III 14 und III 15 (IV 1) sind eng verzahnt, da Origenes in einem Vorgriff, den er auch ausdrücklich so kennzeichnet, in III 14,22–26 die Perikope Hld. 2,10–13 auslegt, die erst in III 15 (IV 1) Thema ist.

V. Bibeltext und Auslegungsinhalte

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terra, tempus putationis aduenit, uox turturis audita est in terra nostra; (13) arbor fici produxit germina sua, uites florentes dederunt odorem.

men erschienen auf der Erde, die Zeit des Beschneidens ist gekommen. Die Stimme der Turteltaube wurde gehört in unserem Land; (13) der Feigenbaum brachte seine Knospen hervor, die blühenden Weinstöcke verströmten ihren Duft. (III 15[IV 1])

Surge et ueni, proxima mea, speciosa mea, (14) columba mea; in uelamento petrae iuxta promurale ostende mihi faciem tuam et auditam mihi fac uocem tuam, quoniam uox tua suauis et facies tua speciosa.

Steh auf und komm, meine Gefährtin, meine Schöne, (14) meine Taube! Im Schutz des Felsens bei der Vormauer zeige mir dein Angesicht und lass mich deine Stimme hören, denn deine Stimme ist süß und dein Angesicht schön. (III 16[IV 2])

(15) Capite nobis uulpes pusillas ex- (15) Fangt uns die kleinen Füchse, terminantes uineas, et uineae nostrae die die Weinberge verwüsten, und florebunt. unsere Weinberge werden blühen. (III 17[IV 3])

3. Gliederung des Hoheliedkommentars nach den Inhalten der Auslegung Die folgenden Überschriften über die Kapitel versuchen, die Inhalte der Auslegung der kommentierten Hoheliedverse so prägnant wie möglich zusammenzufassen. Aus zwei Gründen ist dies nicht einfach: Zum einen sind die Erklärungen des Origenes nicht selten so bilderreich wie der erklärte Bibeltext. Die Überschriften versuchen, die Metaphorik des Textes wie des Kommentars in eine sachliche Aussage zu übertragen, die so weit wie möglich ohne Bildreden formuliert wird. Zum anderen ist die Kommentierung des Origenes zu manchen Aussagen oder Begriffen des Bibeltextes derart gedankenreich, dass es schlicht unmöglich ist, die Fülle der Gedanken in einer Überschrift zusammenzufassen.188 Die im Folgenden gewählten Überschriften konzentrieren sich deshalb notgedrungen auf die Hauptgedanken eines Kapitels. 188 In der SC-Ausgabe spiegelt sich dieses Problem darin, dass den einzelnen Kapiteln jeweils eine kurze Übersicht vorangestellt ist, in der nach Zitierung des ausgelegten Lemmas die Gedankenfolge der Auslegung wiedergegeben wird (oft unter Beibehaltung der Bildreden in Text und Kommentar), ohne auch nur den Versuch zu machen, diese zu zentralen Aussagen zu bündeln.

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Einleitung

Vorwort 1. Gattung und Adressaten: Das Hohelied als dramatisch gestaltetes Hochzeitslied für spirituell fortgeschrittene Christen 2. Begriff und Wesen der Liebe: Die geistige Liebe des inneren Menschen 3. Die Stellung des Hohelieds unter den Büchern Salomos: Die mystische Theologie als Höhepunkt der christlichen Philosophie 4. Titel und Autor: Das Lied der Lieder als Höhepunkt des alttestamentlichen Liedguts und der Friedensstifter Salomo als Bild für Christus (Hld. 1,1) Erstes Buch 1. Die Sehnsucht der Kirche, die eine kollektive Person aus den Seelen der Gläubigen bildet, nach der Gotteserkenntnis (Hld. 1,2) 2. Die Weisungen und Lehren Jesu, die in seinem Herzen verborgen sind und im Gesetz und in den Propheten sowie durch ihn selbst offenbart werden (Hld. 1,2 f.) 3. Die mystische Einsicht in die Barmherzigkeit der Menschwerdung des Wortes Gottes (Hld. 1,3) 4. Die universale Anziehungskraft des menschgewordenen Gotteswortes auf die Sinne des inneren Menschen: Die Theorie der geistigen Sinnlichkeit (Hld. 1,3 f.) 5. Der „Sinn Christi“, in dem die unermesslichen Schätze seiner unaussprechlichen Weisheit verborgen sind (Hld. 1,4) 6. Die ethisch motivierte Sehnsucht nach der vollkommenen Glückseligkeit der mystischen Lehre: Christus als Prinzip und Summe der Tugenden (Hld. 1,4) Zweites Buch 1. Die in der Gottesebenbildlichkeit gründende und durch Buße und Glauben wiedererworbene Schönheit der aufgrund ihrer Sünde dunklen Kirche aus den Völkern (Hld. 1,5) 2. Die zweifache Kraft der Sonne der Gerechtigkeit, die die Sünder für ihre Nachlässigkeit und ihren Unglauben verbrennt, die Gerechten aber für ihre Rechtschaffenheit und ihren Eifer erleuchtet (Hld. 1,6) 3. Der Kampf der Apostel in der Kirche bzw. in der Seele gegen Unglauben und Laster der jüdischen wie der heidnischen Religion und Kultur (Hld. 1,6) 4. Die Sehnsucht der Seele nach der erquickenden Intimität der Liebe und nach der Schau Gottes in der Fülle der Wahrheit und der Erkenntnis (Hld. 1,7)

S. 57 63 89 103

127 133 145 151 165 169

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V. Bibeltext und Auslegungsinhalte

5. „Erkenne dich selbst!“ Die Erkenntnis der Regungen und des Wesens der gottesebenbildlichen schönen Seele, die für sich selbst Sorge trägt, als höchste Glückseligkeit (Hld. 1,8) 6. Die Seele zwischen der dämonischen Versuchung zur Sünde und dem Vorbild der vollkommenen Seele Christi (Hld. 1,9) 7. Die Schönheit der Kirche als Leib des einen Christus in Keuschheit und Gehorsam (Hld. 1,10) 8. Hohelied-Metaphysik: Die präexistente Kirche der Engel und Heiligen, die noe¨tische Einheit und logische Vielheit der Wirklichkeit in Christus und die Pädagogik der Einführung vom Bild in die Wahrheit (Hld. 1,11 f.) 9. Der Glaube der Seele und die vielfältigen Gaben Christi und des Heiligen Geistes (Hld. 1,12) 10. Die göttliche Süße im menschlichen Leib Christi und der eine Leib der Wahrheit (Hld. 1,13) 11. Die Stufen des Fortschritts der Seele in der Liebe bis zur vollkommenen Aufnahme der Gnade des göttlichen Wohlgeruchs (Hld. 1,14) Drittes Buch 1. Die Schönheit der Seele aufgrund von Nachahmung Christi in dieser und aufgrund von eigener Vollkommenheit in der künftigen Welt und die Schau der geistigen Einsicht (Hld. 1,15) 2. Die Schönheit des Wortes Gottes und die Leiber der Gläubigen als der Leib Christi (Hld. 1,16) 3. Die Kirche als geistiges Haus Gottes und die kirchlichen Amtsträger (Hld. 1,17) 4. Das Wort Gottes im Volk Gottes und die Menschwerdung als Vorbild für die nach Vollkommenheit strebende Seele (Hld. 2,1 f.) 5. Leben im Schutz des Wortes Gottes und der kirchlichen Lehre (Hld. 2,3) 6. Die Sehnsucht der Kirche bzw. der Seele nach der Freude im Reich Gottes und nach der Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse (Hld. 2,4) 7. Die Ordnung der Liebe: Die unterschiedlichen Maße der Gottesliebe, der Nächstenliebe, der Selbstliebe, der Feindesliebe und der Liebe Gottes (Hld. 2,4) 8. Die Stärkung der Kirche durch gute Werke als Früchte des Glaubens in Zuversicht und Freiheit und die geistige Wunde der Liebe (Hld. 2,5) 9. Die Heilstaten des Wortes Gottes vor und bei der Menschwerdung als Reichtum und Herrlichkeit der Kirche (Hld. 2,6)

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231 249 255

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Einleitung

10. Die Arbeit der Seele an sich selbst, um die in ihr liegende Liebe vollkommen zu entfalten (Hld. 2,7) 11. Gegenwart und Abwesenheit des in der Bibel erklingenden Wortes Gottes in der Kirche und in der Seele (Hld. 2,8) 12. Die rasche Ausbreitung des Wortes Gottes in der Welt und seine Offenbarung in der Bibel und in der Seele (Hld. 2,8) 13. Die symbolische Sinnstruktur des Seins und die rationale Erkenntnis des Geistigen aus dem Sichtbaren in den Dingen der Welt und im Text der Bibel (Hld. 2,9) 14. Der vernünftige und symbolische Weg zur Erkenntnis durch die körperlichen Sinne in der Dialektik von Verborgenheit im Buchstaben und Offenbarung im Geist und die Erlösung von der Sünde durch die Freiheit des sündenlosen Herrn (Hld. 2,9 f.) 15. Die geistige Kommunikation zwischen der Weisheit Gottes und der tugendhaften Seele und der Weg der Kirche von der Sünde zum Glauben und zur Tugend kraft der Selbsttätigkeit der Seele (Hld. 2,10–13) 16. Der Weg der Seele von den Lastern und von der Körperlichkeit zur Geistigkeit und zur Vollkommenheit der inneren Ruhe und der Schau der Herrlichkeit Gottes auf dem Fundament der Lehre Christi und die heilsgeschichtliche Entwicklung der Kirche im wahren Glauben (Hld. 2,13 f.) 17. Die Entscheidungsfreiheit der Seele im Kampf zwischen guten und bösen inneren Regungen und äußeren Verführungen und die Kirche zwischen häretischen Lehren und dem rechten Glauben (Hld. 2,15)

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Der Kommentar des Origenes zum Hohelied in der Übersetzung des Rufinus

Origenis Commentarium in Cant. Canticorum

61

Prologus

1,1. Epithalamium libellus hic, id est nuptiale carmen, dramatis in modum mihi uidetur a Solomone conscriptus, quem cecinit instar nubentis sponsae et erga sponsum suum, qui est Sermo Dei, caelesti amore flagrantis. Adamauit enim eum siue anima, quae ad imaginem eius facta est, siue ecclesia. Sed et magnificus hic ipse ac perfectus sponsus quibus uerbis usus sit ad coniunctam sibi animam uel ecclesiam, haec ipsa scriptura nos edocet. 2. Sodales quoque sponsae adulescentulae cum sponsa positae quae dixerint, quaeque etiam amici ac sodales sponsi, ex eodem nihilominus libello, quod Canticum Canticorum attitulatur, agnoscimus. Possibilitas enim data est etiam ipsis amicis sponsi aliqua dicere, ea dumtaxat, quae ab ipso audierant sponso, laetantes de coniunctione sponsae. Fit ergo sermo ab sponsa non solum ad sponsum, sed etiam ad adulescentulas, et rursum sponsi sermo non tantummodo ad sponsam, sed etiam ad amicos dirigitur sponsi. 3. Et hoc est, quod supra diximus, carmen nuptiale in modum dramatis esse conscriptum.

1 2

3 4

Baehrens, GCS Orig. 8, 61 app. crit., notiert, dass „der Titel in fast jeder Handschrift verschieden überliefert“ ist. Das Hohelied als ein Hochzeitslied (eÆpiualaÂmion) zu verstehen liegt nahe und hat Schule gemacht; vgl. nur Prokop, epit. Cant. 2.4 (CChr.SG 67, 7). Das Epithalamium als Untergattung des Hymenaios stellt einen mit verteilten Rollen gesungenen Hochzeitsgesang dar: Maas, Art. Hymenaios; Keydell, Art. Epithalamium. Es ist bezeichnend für die literaturwissenschaftlich fundierte Interpretation des Textes des Hoheliedes rein auf der literarischen Ebene (siehe dazu unten S. 126 Anm. 131), dass Origenes mit der Erörterung der Textgattung beginnt. Id est nuptiale carmen ist die vom Übersetzer Rufinus von Aquileja eingefügte lateinische Erläuterung des griechischen Wortes epithalamium. Da im Lateinischen sponsus und sermo Maskulinum sind, bezieht sich eum nicht nur in der Sache, sondern auch grammatikalisch auf beides. Im Deutschen muss man sich entscheiden, ob man das Pronomen auf den Bräutigam oder auf das Wort bezieht.

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Origenes Kommentar zum Hohelied1 Vorwort 1. Gattung und Adressaten: Das Hohelied als dramatisch gestaltetes Hochzeitslied für spirituell fortgeschrittene Christen

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1,1. Dieses kleine Buch scheint mir von Salomo in Form eines Dramas verfasst worden zu sein, und zwar als Epithalamium,2 das heißt als Hochzeitslied,3 das er gesungen hat wie eine Braut, die im Begriff steht zu heiraten und gegenüber ihrem Bräutigam, das heißt dem Wort Gottes, in himmlischer Liebe erglüht. Denn in diesen4 hat sie sich, das heißt entweder die Seele, die nach seinem Bild geschaffen ist,5 oder die Kirche, innig verliebt. Doch belehrt uns eben diese Schrift auch darüber, mit welchen Worten sich dieser großartige und vollkommene Bräutigam seinerseits an die mit ihm verbundene Seele beziehungsweise Kirche gewandt hat. 2. Auch das, was die mit der Braut befreundeten Mädchen, die die Braut begleiteten, und desgleichen, was die Freunde und Gefährten des Bräutigams gesagt haben, erfahren wir gleichfalls aus demselben kleinen Buch, das mit ,Lied der Lieder‘ betitelt ist. Auch die Freunde des Bräutigams hatten nämlich ihrerseits die Möglichkeit etwas zu sagen, und zwar das, was sie vom Bräutigam selbst gehört hatten, da sie sich über seine Verbindung mit der Braut freuten. Es ergeht also das Wort der Braut nicht allein an den Bräutigam, sondern auch an die Mädchen, und andererseits richtet sich das Wort des Bräutigams nicht nur an die Braut, sondern auch an die Freunde des Bräutigams. 3. Und das meinen wir, wenn wir oben gesagt haben, das Hochzeitslied sei in Form

5

Das Geschaffensein „nach dem Bild“ des Wortes Gottes, wie Origenes Gen. 1,26f. interpretiert (vgl. auch in Cant. comm. prol. 2,4), ist die ontologische Bedingung dafür, dass die Seele durch die Liebe überhaupt Kontakt zum göttlichen Wort aufnehmen kann, denn im Sinne der platonischen Urbild-Abbild-Relation ist das Wesen des Urbilds im Abbild enthalten. Für die Kirche als Gesamtheit der auf Gott ausgerichteten Seelen (vgl. ebd. I 1,5) gilt das analog. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 80 Anm. 3, erklären in diesem Sinne richtig, dass der mystischen Hochzeit zwischen der Seele bzw. der Kirche und dem Wort Gottes die Idee der Gottesebenbildlichkeit zugrundeliegt und dass die Dynamik, in der die Braut sich nach dem Bräutigam ausstreckt, der Ausrichtung des Bildes an seinem Urbild entspricht.

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Hoheliedkommentar

Drama enim dicitur, ut in scaenis agi fabula solet, ubi diuersae personae introducuntur et aliis accedentibus, aliis etiam discedentibus a diuersis et ad diuersos textus narrationis expletur. Quae singula suo ordine scriptura haec continet totumque eius corpus mysticis formatur eloquiis. 4. Sed primo scire nos oportet quoniam, sicut puerilis aetas non mouetur ad amorem passibilem, ita nec ad capienda quidem uerba haec paruula et infantilis interioris hominis aetas admittitur, illorum scilicet, qui lacte in Christo aluntur, non cibo forti, a et qui nunc primum rationabile et sine dolo lac concupiscunt. b In uerbis enim Cantici Canticorum ille cibus est, de quo dicit apostolus: „Perfectorum autem est solidus cibus“ et tales requirit auditores, „qui pro possibilitate sumendi exercitatos habeant sensus ad discretionem boni uel mali“. c 5. Et quidem paruuli, d quos diximus, si ueniant ad haec loca, potest fieri, ut nihil quidem ex hac scriptura proficiant nec tamen ualde laedantur uel ipsa, quae scripta sunt, legentes uel, quae ad explanationem eorum dicenda sunt, recensentes. 6. Si uero aliquis accesserit, qui secundum carnem tantummodo uir est, huic tali non parum ex hac scriptura discriminis periculique nascetur. Audire enim pure et castis auribus amoris nomina nesciens ab interiore homine ad exteriorem et carnalem uirum omnem deflectet auditum et a spiritu conuertetur ad carnem nutrietque in semet ipso concupiscentias carnales et occasione diuinae scripturae coma

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Hebr. 5,12

b

1 Petr. 2,2

c

Hebr. 5,14

d

Hebr. 5,13

Die Definition des Dramas bei Origenes entspricht in etwa der bei Aristoteles gegebenen Formulierung, poet. 6, 1449 b 24–28: „Die Tragödie ist eine Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden – Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt.“ Übersetzung: p. 19 Fuhrmann. Siehe auch in Cant. comm. I 1,1. – Im kleinen Hoheliedkommentar aus seiner Jugendzeit hat Origenes, wie aus dem in philoc. 7,1 (SC 302, 326) erhaltenen einzigen Fragment hervorgeht, die sich aus dem Wechsel der Personen und Gesprächskonstellationen ergebenden Verständnisschwierigkeiten so beschrieben: „Wer die Identität der Personen der Schrift nicht begriffen hat, sowohl der sprechenden als auch der angesprochenen, für den bietet der Text (sc. des Hoheliedes) ein großes Durcheinander, wenn er fragt, wer denn die sprechende Person ist und wer die angesprochene und wann die sprechende Person zu reden aufgehört hat, wobei die angesprochene Person oft beibehalten wird, während eine andere zu derselben spricht, oder die angesprochene Person nicht mehr zuhört, während eine andere das Gesagte aufnimmt, der Sprecher aber derselbe bleibt. Es gibt aber auch den Fall, dass beide wechseln, sowohl die sprechende als auch die angesprochene Person, oder auch, dass beide bleiben, ohne dass deutlich gemacht wird, dass sie bleiben. … Dies ist auch, wenn man diese Unterscheidungen nicht macht, eine nicht unerhebliche Ursache für die Unklarheit des Textes.“

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Vorwort 1,3–6

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eines Dramas verfasst. Von einem Drama spricht man nämlich, wo so, wie auf der Bühne eine Geschichte aufgeführt zu werden pflegt, verschiedene Personen auftreten und sich die Erzählung im Auftreten und Abtreten der einzelnen Personen in unterschiedlichen Gesprächskonstellationen entfaltet.6 Diese einzelnen Merkmale sind jeweils an Ort und Stelle in dieser Schrift enthalten, deren Gesamttext aus Worten voller mystischer Bedeutung gebildet ist.7 4. Aber zunächst müssen wir wissen, dass so, wie das Kindesalter nicht zu leidenschaftlicher Liebe erregt wird, auch das Kleinkind- und Kindesalter des inneren Menschen8 nicht zum Erfassen dieser Worte zugelassen wird, das heißt das Alter derer, die in Christus mit Milch genährt werden, nicht mit fester Speise,a und die jetzt zum ersten Mal die vernünftige und truglose Milch begehren.b 9 In den Worten des Hoheliedes ist nämlich jene Speise enthalten, über die der Apostel sagt: „Die feste Speise aber ist für die Vollkommenen“ und verlangt Hörer, „die entsprechend ihrer Fähigkeit, sie aufzunehmen,10 die Sinne darin geübt haben, Gut und Böse zu unterscheiden“.c 5. Und wenn die kleinen Kinder,d von denen wir sprachen, an diese Schriftstellen geraten, kann es passieren, dass sie aus dieser Schrift zwar keinen Gewinn ziehen, aber auch keinen großen Schaden erleiden, wenn sie den Text selbst lesen oder das zu seiner Erläuterung Gesagte nachschlagen. 6. Wenn aber jemand an ihn gerät, der bloß dem Fleische nach ein Mann ist, wird einem solchen Menschen aus dieser Schrift keine geringe Bedrängnis und Gefahr erwachsen. Weil er es nämlich nicht versteht, die Begriffe der Liebe rein und mit unschuldigen Ohren zu hören, wird er alles, was er gehört hat, statt auf den inneren Menschen fälschlich auf den äußeren und fleischlichen Mann beziehen, sich vom Geist zum Fleisch hinwenden und in sich selbst die fleischlichen Begierden nähren, und es wird den An7

Gegen ein bloß buchstäbliches Verständnis der Bibel insistiert Origenes darauf, dass die Heilige Schrift als inspiriertes Gotteswort durchgängig einen tieferen mystischen Sinn enthält: princ. IV 1,1–3,13 (GCS Orig. 5, 292–345). 8 Zum ,inneren Menschen‘ siehe die Ausführungen in Cant. comm. prol. 2,4–8. 9 Zum antiken wie christlichen pädagogischen und paränetischen Motiv der Milch als Nahrung für Anfänger und der festen Speise als Nahrung für Fortgeschrittene vgl. beispielsweise Epiktet, diss. II 16,39 (p. 176 Schenkl); Philon von Alexandria, agr. 9 (II p. 96f. Cohn/Wendland); Clemens von Alexandria, paed. I 12–52 (GCS Clem. Al. 13, 96–121); Origenes, in Gen. hom. 7,1 (GCS Orig. 6, 70f.); in Ex. hom. 7,8 (GCS Orig. 6, 215f.); in Num. hom. 27,1 (GCS Orig. 7, 255f.); in Is. hom. 7,1 (GCS Orig. 8, 280); in Hiez. hom. 7,10 (GCS Orig. 8, 399); orat. 27,5 (GCS Orig. 2, 366). Weitere Belege bei Fürst/Hengstermann, OWD 10, 282 Anm. 139. 10 Die Wiedergabe der Junktur diaÁ thÁn eÏjin in Hebr. 5,14 mit pro possibilitate sumendi (statt pro consuetudine) ist eine Eigenheit des Rufinus und beweist, dass die anonym überlieferte lateinische Übersetzung des Hoheliedkommentars – ebenso wie die der Homilie über 1 Sam. 1f.: in Regn. hom. lat. 8 (GCS Orig. 8, 13) – tatsächlich von Rufinus stammt: Nautin, SC 328, 41–43; Fürst, OWD 7, 110.

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Hoheliedkommentar

moueri et incitari uidebitur ad libidinem carnis. Ob hoc ergo moneo et consilium do a omni, qui nondum carnis et sanguinis molestiis caret neque ab affectu naturae materialis abscedit, ut a lectione libelli huius eorumque, quae in eum dicentur, penitus temperet. 7. Aiunt enim obseruari etiam apud Hebraeos quod, nisi quis ad aetatem perfectam maturamque peruenerit, libellum hunc nec in manibus quidem tenere permittatur. Sed et illud ab iis accepimus custodiri, quoniamquidem moris est apud eos omnes scripturas a doctoribus et sapientibus tradi pueris, simul et eas, quas deytervÂseiw appellant, ad ultimum quattuor ista reseruari, id est principium Genesis, in quo mundi creatura describitur, b et Ezechiel prophetae principia, in quibus de Cherubin refertur, c et finem, in quo templi aedificatio continetur, d et hunc Cantici Canticorum librum. 8. Igitur necessarium mihi uidetur, antequam ad ea, quae in hoc libello scripta sunt, discutienda ueniamus, de amore prius ipso, qui est scripturae huius causa praecipua, pauca disserere et post haec de ordine librorum Solomonis, in quibus hic liber tertio loco positus uidetur; tum etiam de attitulatione libelli ipsius, cur Canticum Canticorum superscriptus sit, post etiam quomodo dramatis in modum et tamquam fabula, quae in scaenis personarum immutatione agi solet, uideatur esse compositus. a

1 Kor. 7,25; 2 Kor. 8,10

b

Gen. 1,1–2,4

c

Ez. 1 und 10

d

Ez. 40,1–44,3

11 Zum Begriff siehe Bietenhard, Art. Deuterosis. Der Singular kann als Übersetzung von Mischna gelten: Lawson, ACW 26, 313 Anm. 7; Simonetti, CTePa 1, 35 mit Anm. 6; de Lange, Origen and the Jews 34f. Im selben Sinn wie Origenes verwendet Hieronymus, in Hiez. prol. (CChr.SL 75, 3f.), mit Rekurs auf diese jüdische Praxis den Begriff im Plural für dieselben Passagen der Heiligen Schrift, die erst in einer späteren Ausbildungsphase den in der Lehre schon Fortgeschrittenen – Hieronymus gibt das Mindestalter von 30 Jahren an – zur Lektüre vorgelegt werden sollen, „damit man erst in der Blütezeit des menschlichen Lebens an die vollkommene Erkenntnis und mystischen Ensichten herantritt“; vgl. auch epist. 53,8 (CSEL 54, 460f.). Gregor von Nazianz, or. 2,48 (SC 247, 152), gibt für diese rabbinische Tradition 25 Jahre als Mindestalter für die Lektüre der Bücher an, „deren mystische Schönheit von einem gewöhnlichen Schleier umhüllt wird“, weil erst dieses Alter dazu befähigt, sich – wie er in christlicher Diktion mit 2 Kor. 3,6 sagt – vom Buchstaben zum Geist zu erheben und die Erkenntnis dieser Schönheit als Lohn für die zu investierende Arbeit, für ein sittlich schönes Leben und für einen reinen Geist zu erhalten. – Zur eventuellen Beeinflussung der Hoheliedkommentierung des Origenes durch die rabbinische Hoheliedauslegung, wie sie in den späteren Midra-

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Vorwort 1,6–8

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schein haben, als würde er, angestoßen von der göttlichen Schrift, zur Fleischeslust angeregt und angestachelt. Deshalb also mahne ich und gebe jedem, der noch nicht von den Anfechtungen durch Fleisch und Blut frei und dem Trieb der materiellen Natur abhold ist, den Rat,a sich von der Lektüre dieses Buches und der Dinge, die darüber gesagt werden, gänzlich fernzuhalten. 7. Man sagt nämlich, dass auch bei den Hebräern darauf geachtet wird, es keinem, der noch nicht in das vollkommene und reife Alter gekommen ist, zu erlauben, dieses Büchlein auch nur in Händen zu halten. Wir haben von ihnen aber auch folgende Praxis vernommen: Bei ihnen ist es Brauch, dass den Knaben von den Lehrern und Weisen alle Schriften vermittelt werden und dass dabei die vier Bücher, die sie deytervÂseiw11 nennen, für den Schluss aufgespart werden, nämlich der Anfang der Genesis, in dem die Schöpfung der Welt beschrieben wird,b die ersten Kapitel des Propheten Ezechiel, in denen über die Cherubim berichtet wird,c der Schluss, in dem die Erbauung des Tempels geschildert wird,d und das vorliegende Buch des Hoheliedes. 8. Bevor wir zur Behandlung der Dinge kommen, die in diesem kleinen Buch geschrieben stehen, scheint es mir daher erforderlich zu sein, zuerst einige Dinge über die Liebe selbst, die der Hauptgegenstand dieser Schrift ist, und danach über die Reihenfolge der Bücher Salomos, unter denen dieses Buch offenbar an dritter Stelle steht, zu erörtern, sodann auch über den Titel des Buches selbst, warum es mit ,Lied der Lieder‘ überschrieben ist, und schließlich auch, warum es nach Art eines Dramas und wie eine Geschichte, die auf der Bühne mit wechselnden Personen gespielt zu werden pflegt, komponiert zu sein scheint.12

schim greifbar wird, siehe Urbach, Interpretations of the Sages; zu Hinweisen auf einen christlich-jüdischen Disput darüber schon zu Lebzeiten des Origenes siehe Kimelman, Rabbi Yohanan and Origen. 12 Origenes gibt hier die˙ dispositio für die lange Einleitung in seinen Kommentar: Er bespricht das Hauptthema des auszulegenden Buches (in Cant. comm. prol. 2), seinen Platz im philosophischen Kurs (prol. 3) und seinen Titel (prol. 4); abweichend davon behandelt er in prol. 4 zwar zusammen mit dem Titel auch den Autor (Salomo), sagt aber nichts mehr zu seiner Gattung, die er schon in prol. 1,1–3 kurz dargelegt hat (siehe dazu auch oben S. 15 Anm. 41). In prol. 1,4–7 hat er zudem die erforderlichen Voraussetzungen auf Seiten der Leser des Buches bzw. des Kommentars erörtert. Damit bespricht Origenes die wichtigsten Prolegomena, die gemäß der philosophischen Schultradition in der Einleitung eines Kommentars zu erörtern sind, ohne sich freilich an ein festes Schema zu halten, wie man es in der Forschung (bes. Hadot, Introductions aux commentaires; Neuschäfer, Origenes als Philologe 57–84) aus späteren neuplatonischen Kommentatoren meinte rekonstruieren zu können; siehe dazu Skeb, Exegese und Lebensform 40–278; Fürst, Studien 89–93.

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2,1. Apud Graecos quidem plurimi eruditorum uirorum uolentes inuestigare ueritatis indaginem de amoris natura multa ac diuersa etiam dialogorum stilo scripta protulerunt conantes ostendere non aliud esse amoris uim, nisi quae animam de terris ad fastigia caeli celsa perducat, nec ad summam posse beatitudinem perueniri nisi amoris desiderio prouocante. Sed et quaestiones de hoc quasi in conuiuiis propositae referuntur inter eos, puto, inter quos non ciborum, sed uerborum conuiuium gerebatur. Alii uero etiam artes quasdam, quibus amor hic in anima gigni uel augeri posse uideretur, conscriptas reliquerunt. Sed has artes carnales homines ad uitiosa desideria et culpabilis amoris mysteria traxerunt. 2. Non ergo mirum sit, si et apud nos, ubi quanto plures simpliciores, tanto plures et imperitiores uidentur, difficilem dicimus et periculo proximam de amoris natura disputationem, cum apud Graecos, qui sapientes et eruditi uidentur, fuerint tamen aliqui, qui de his non ita acceperint, ut scriptum est, sed occasione eorum, quae de amore dicta sunt, in lapsus carnis et in impudicitiae praecipitia corruerunt, siue ex his, quae scripta erant, ut supra memorauimus, admonitiones quasdam atque incitamenta sumentes siue incontinentiae suae uelamen scripta ueterum praeferentes. 3. Ne ergo et nos tale aliquid incurramus ea, quae a ueteribus bene et spiritaliter scripta sunt, uitiose et carnaliter aduertentes, tam corporis quam animae nostrae palmas protendamus ad Deum, ut Dominus, qui dedit „uerbum euangelizantibus uirtute multa“, a donet et nobis in uirtute sua uerbum, quo possimus ex his, quae scripta sunt, intellectum sanum et ad aedificationem pudicitiae aptum uel nomini ipsi uel naturae amoris ostendere. a

Ps. 67(68),12

1 Cf. frg. 1 (Barba`ra App. 2)

13 Vgl. zu dieser Vorstellung über die Kraft des Eros Platon, symp. 209e–212c. 14 Neben dem berühmten Symposion Platons, aus dem Origenes, Cels. IV 39 (GCS Orig. 1, 311f.), ausführlich einen Passus aus Sokrates’ Rede auf den Eros zitiert (symp. 203b–e), denkt Origenes wohl an Xenophons Symposion und vielleicht an das nicht erhaltene Werk Epikurs mit demselben Titel; in der gesamten Antike sind nach Platons Vorbild Symposien verschiedenster Art und auf unterschiedlichsten Niveaus geschrieben worden; vgl. von Wilamowitz-Moellendorff, Platon 279f. 15 In der lateinischen Literatur – die Origenes freilich nicht im Blick hatte – könnte man hierzu an Ovids poetische Ars amatoria denken. 16 Das ist die typische Gebetshaltung in der Antike; Belege dafür bei von Stritzky, OWD 21, 272 Anm. 389; dazu in Regn. hom. lat. 9 (GCS Orig. 8, 16): ut habitus

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2. Begriff und Wesen der Liebe: Die geistige Liebe des inneren Menschen

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2,1. Bei den Griechen haben nun sehr viele gelehrte Männer, die sich der Erkundung der Wahrheit gewidmet haben, über die Natur der Liebe viele verschiedene Schriften in Dialogform veröffentlicht, in denen sie zu zeigen versuchten, dass es allein die Kraft der Liebe ist, die die Seele von der Erde zu den erhabenen Höhen des Himmels hinaufführt, und dass man nicht zur höchsten Seligkeit gelangen kann, wenn man nicht vom Verlangen der Liebe dazu ermutigt wird.13 Doch werden auch Erörterungen über dieses Thema gleichsam im Rahmen von Gastmählern überliefert,14 allerdings, wie ich glaube, von Personen, unter denen ein Gastmahl abgehalten wurde, das nicht mit Speisen, sondern mit Worten bestritten wurde. Andere wiederum hinterließen auch schriftliche Regeln, durch die, wie es scheint, diese Liebe in der Seele erzeugt beziehungsweise vermehrt werden kann. Aber fleischlich gesonnene Menschen haben diese Regeln zu lasterhaften Begierden und den Heimlichtuereien schuldhafter Liebe herabgezogen.15 2. Es mag also nicht verwundern, wenn wir auch bei uns, wo ja in dem Maße, wie es viele einfachere Leute gibt, auch umso mehr unerfahrenere Menschen zu finden sind, eine Erörterung über die Natur der Liebe als schwierig und geradezu als gefährlich bezeichnen, gab es doch sogar bei den Griechen, die als weise und gebildet gelten, einige, die diese Dinge nicht so verstanden haben, wie sie niedergeschrieben worden sind, sondern, verleitet von dem über die Liebe Gesagten, in die Fehltritte des Fleisches und in die Abgründe der Unkeuschheit stürzten, sei es, indem sie den Schriften darüber, wie oben erwähnt, manche Vorschläge und Anreize entnommen haben, sei es, indem sie die Schriften der Alten als Deckmantel für ihre Begierde missbrauchten. 3. Damit also nicht auch wir dahin geraten, dass wir das, was von den Alten gut und in geistigem Sinne geschrieben wurde, lasterhaft und in fleischlichem Sinne ins Gegenteil verkehren, wollen wir die Hände des Körpers wie auch die unserer Seele zu Gott erheben,16 damit der Herr, der „das Wort denen, die die frohe Botschaft mit großer Kraft verkünden“, gegeben hat,a auch uns in seiner Kraft das Wort gebe, durch das wir aus der Schrift einen gesunden und zur Erbauung der Keuschheit geeigneten Sinn, sei es für den Begriff der Liebe selbst, sei es für ihre Natur, aufzuzeigen vermögen.17

esse orantium solet. Siehe Heid, Gebetshaltung 348–366. Für Origenes, orat. 31,2 (GCS Orig. 2, 396), kommt in dieser Körperhaltung die Erhebung der Seele zu Gott zum Ausdruck. 17 Auch in anderen Werken ruft Origenes mehrfach im Gebet Gott um Hilfe und Erleuchtung an, weil er sich bewusst ist, dass menschliche Vernunft und Weisheit

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4. In principio uerborum Moysei, ubi de mundi conditione conscribitur, duos inuenimus homines creatos referri, primum ad imaginem et similitudinem Dei factum, a secundum e limo terrae fictum. b Hoc Paulus apostolus bene sciens et ad liquidum in his eruditus in suis litteris apertius et euidentius binos esse per singulos quosque homines scripsit; sic enim dicit: „Nam si is, qui foris est, homo noster corrumpitur, sed ille, qui intus est, renouatur de die in diem“ c et iterum: „Condelector enim legi Dei secundum interiorem hominem“ d et his similia aliquanta conscribit. 5. Vnde puto neminem iam debere dubitare quod Moyses de duorum hominum factura uel figmento scripserit in principio Genesis, cum uideat Paulum, qui melius utique quam nos intelligebat ea, quae a Moyse scripta sunt, duos homines esse per singulos quosque dicentem. Quorum unum, id est interiorem, renouari per singulos dies memorat, alium uero, id est exteriorem, in sanctis quibusque et talibus, qualis erat Paulus, corrumpi perhibet et infirmari. Quod si alicui uidebitur de hoc adhuc aliquid dubitandum, in locis propriis melius explanabitur. Nunc autem, propter quid memoriam fecerimus interioris et exterioris hominis, prosequamur. 6. Ostendere enim ex his uolumus quod scripturis diuinis per homonymas, id est per similes appellationes, immo per eadem uocabula, et exterioris hominis membra et illius interioris a

Gen. 1,26f.

b

Gen. 2,7

c

2 Kor. 4,16

d

Röm. 7,22

17 Cf. frg. 2 (Barba`ra App. 3)

nicht genügen, um die in der Heiligen Schrift niedergelegten Geheimnisse ohne diese göttliche Hilfe zu erkennen; vgl. etwa princ. II 9,4 (GCS Orig. 5, 167); orat. 2,6 (GCS Orig. 2, 303f.); in Ioh. comm. I 15,89 (GCS Orig. 4, 19); VI 2,10 (4, 108); XX 1,1 (4, 327); XXVIII 1,6 (4, 389f.); XXXII 1,2 (4, 425). 18 Die Interpretation dieser doppelten Schöpfung des Menschen hängt bei Origenes nicht so sehr an den unterschiedlichen Vokabeln factum (Gen. 1,26f.) und fictum (Gen. 2,7), wie Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 92 Anm. 3, es darstellen – obgleich das auch eine Rolle gespielt hat –, sondern daran, dass Origenes unter Beiziehung der paulinischen, auf Platon zurückgehenden Rede vom ,inneren Menschen‘ (Röm. 7,22; 2 Kor. 4,16; vgl. dazu in Cant. comm. I 4,20) die Aussage in Gen. 1,26 auf die Erschaffung des inneren (geistigen) und diejenige in Gen. 2,7 auf die des äußeren (körperlichen) Menschen bezieht. Vgl. Origenes, in Gen. hom. 1,13 (GCS Orig. 6, 15): „,Und Gott schuf den Menschen, nach dem Bild Gottes schuf er ihn‘ (Gen. 1,27). … Unter diesem Menschen, von dem die Schrift sagt, er sei nach dem Bild Gottes erschaffen, verstehen wir gewiss nicht den leiblichen. Denn nicht die leibliche Gestalt enthält das Bild Gottes, und beim leiblichen Menschen heißt es nicht, er sei erschaffen, sondern geformt … Die Schrift sagt nämlich: ,Und Gott formte (plasmauit) den Menschen‘, das heißt er bildete (finxit) ihn, ,aus dem Schlamm der Erde‘ (Gen. 2,7). Der aber, der nach dem Bild Gottes erschaffen wurde, ist unser innerer Mensch, unsichtbar, unkörperlich, unverderblich, unsterblich. Denn in eben diesen Eigenschaften lässt sich Gottes Bild mit mehr Recht

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4. Am Anfang der Worte des Mose, wo über die Schöpfung der Welt geschrieben wird, finden wir berichtet, wie zwei Menschen geschaffen werden: Der erste wird nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen,a der zweite aus dem Lehm der Erde gebildet.b 18 Weil er dies bestens wusste und darüber klar unterrichtet war, hat der Apostel Paulus in seinen Briefen auf eine ziemlich offene und deutliche Weise geschrieben, dass es in jedem Menschen jeweils zwei Menschen gibt. Er sagt nämlich Folgendes: „Denn auch wenn der, der unser äußerer Mensch ist, zugrundegerichtet wird, wird doch jener, der innen ist, von Tag zu Tag erneuert“c und desgleichen: „Ich freue mich nämlich am Gesetz Gottes gemäß dem inneren Menschen“,d und er schreibt viele ähnliche Sätze.19 5. Daher meine ich, dass niemand mehr bezweifeln darf, dass Mose am Anfang der Genesis von der Schöpfung beziehungsweise Formung zweier Menschen geschrieben hat, wenn er Paulus, der doch wohl besser verstand als wir, was von Mose geschrieben worden ist, sagen sieht, dass es in jedem Menschen zwei Menschen gibt. Den einen von ihnen, nämlich den inneren, bezeichnet er als einen, der von Tag zu Tag erneuert wird, den anderen aber, nämlich den äußeren, zeigt er als solchen, der in allen Heiligen und in Menschen wie Paulus zugrundegerichtet und geschwächt wird. Wenn aber jemand meint, darüber noch irgendeinen Zweifel hegen zu müssen, wird dies an den passenden Stellen besser erklärt werden.20 Jetzt jedoch wollen wir weiter verfolgen, weswegen wir den inneren und äußeren Menschen erwähnt haben. 6. Wir wollen nämlich daran zeigen, dass von den göttlichen Schriften sowohl die Glieder des äußeren Menschen als auch die Teile und Regungen des inneren durch Homonyme, das heißt durch ähnliche Bezeichnungen, ja sogar durch die-

erkennen.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 51. Vgl. ferner in Gen. frg. D 11 Metzler (OWD 1/1, 160); princ. I 2,6 (GCS Orig. 5, 34); III 6,1 (5, 280); in Hier. hom. 1,10 (GCS Orig. 32, 9); dial. 11f.15f. (SC 672, 78–80. 88). Mit dieser Auslegung von Gen. 1,26f. und 2,7 ist Origenes Philon, opif. 134 (I p. 46 Cohn/Wendland), verpflichtet, der den nach Gen. 2,7 geformten Menschen als ein aus Leib und Seele gebildetes sichtbares (aiÆsuhtoÂw) und sterbliches Wesen (fyÂsei unhtoÂw) beschreibt und von dem nach Gen. 1,26f. geschaffenen Menschen unterscheidet, der als Idee oder Gattung oder Urbild (iÆdeÂa tiw hà geÂnow hà sfragiÂw) des Menschen geistig, unkörperlich und von Natur unvergänglich (nohtoÂw, aÆsvÂmatow ... aÍfuartow fyÂsei) ist. In leg. all. I 31.53.88 (I p. 68f. 74. 84 Cohn/Wendland) greift Philon jeweils auf diese Aussagen zurück. 19 Vgl. Eph. 3,16; 4,32. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 93 Anm. 4, vermuten, dass Origenes bei dieser Bemerkung auch die paulinische Redeweise vom ,alten‘ und ,neuen Menschen‘ im Blick hat; vgl. Röm. 6,6; Eph. 4,22.24; Kol. 3,9f. 20 Vgl. z.B. in Rom. comm. I 22,9–11 (SC 532, 268–270), wo Origenes die Thematik des ,inneren‘ und des ,äußeren‘ Menschen im Zusammenhang mit der Rede vom ,alten‘ und ,neuen‘ Menschen darlegt.

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partes affectusque nominantur eaque non solum uocabulis, sed et rebus ipsis sibi inuicem comparantur. 7. Verbi gratia, aetate est aliquis puer secundum interiorem hominem, quem possibile est crescere et ad aetatem iuuenis adduci atque inde succedentibus incrementis peruenire ad uirum perfectum a et effici patrem. His autem nominibus uti uoluimus, ut consona diuinae scripturae, illi scilicet, quae ab Iohanne scripta est, uocabula poneremus; ait enim ille: „Scripsi uobis, pueri, quoniam cognouistis Patrem; scripsi uobis, patres, quia cognouistis eum, qui est ab initio; scripsi uobis, iuuenes, quoniam fortes estis et Verbum Dei manet in uobis et uicistis malignum.“ b Euidens utique est nec ab ullo omnino arbitror dubitari quod pueros hic Iohannes uel adulescentes aut iuuenes uel etiam patres secundum animae, non secundum corporis appellet aetatem. 8. Sed et Paulus dicit in quodam loco: „Non potui uobis loqui quasi spiritalibus, sed quasi carnalibus; tamquam paruulis in Christo lac uobis potum dedi, non escam.“ c In Christo autem paruulus procul dubio secundum animae, non secundum carnis nominatur aetatem. Denique idem Paulus etiam in alio loco ait: „Cum essem paruulus, sicut paruulus loquebar, sicut paruulus sapiebam, sicut paruulus cogitabam; cum autem factus sum uir, destruxi quae erant paruuli.“ d Et iterum alias dicit: „Donec occurramus omnes in uirum perfectum, in mensuram aetatis plenitudinis Christi“; e scit enim occursuros esse omnes, qui credunt, „in uirum perfectum“ et „in mensuram aetatis plenitudinis Christi“. 9. Igitur sicut haec, quae memorauimus, aetatum nomina iisdem uocabulis et exteriori homini adscribuntur et interiori, ita inuenies etiam membrorum nomina corporalium transferri ad animae membra, seu potius effia

Eph. 4,13

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1 Joh. 2,13f.

c

1 Kor. 3,1f.

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1 Kor. 13,11

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Eph. 4,13

21 Die Erläuterung, die Rufinus hier für das griechische Wort oëmvÂnyma gibt: id est per similes appellationes, immo per eadem uocabula, ist nur in ihrer zweiten Hälfte korrekt, denn bei der Homonymie geht es darum, dass dasselbe Wort auf zwei verschiedene Sachverhalte angewandt wird. Vgl. die Erklärung, die Origenes dem Terminus gibt, in Rom. frg. zu Röm. 7,7 in philoc. 9,1 (SC 302, 350): „Die Homonyme sind nämlich nach der Schrift Wörter, die Verschiedenes bezeichnen, sie verwirren diejenigen, die meinen, ein Wort bezeichne ein und dieselbe Sache, wo immer es vorkommt.“ Übersetzung: Heither, FC 2/6, 191. 22 In Num. hom. 9,9 (GCS Orig. 7, 67) greift Origenes ebenfalls die Bezeichnungen „Kinder“, „Heranwachsende“, „Jünglinge“ und „Väter“ aus 1 Joh. 2,12–14 auf, um die Entwicklungsstufen des Menschen vom „Kind“ zum „Vater“ zu beschreiben, und bemerkt dazu ausdrücklich, dass Johannes „damit gewiss nicht die körperlichen Lebensalter, sondern die Unterschiede in den Fortschritten der Seele bezeichnet“. 23 Zur Metaphorik von Milch und fester Speise siehe oben S. 59 Anm. 9. 24 Dieselbe Erklärung von 1 Kor. 3,1f. in Gen. hom. 7,1 (GCS Orig. 6, 71). 25 Hier deutet Origenes an, dass alle Gläubigen am Ende in denselben Status der Vollkommenheit gelangen werden; in princ. III 6,4 (GCS Orig. 5, 286) wird diese

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selben Begriffe,21 benannt werden und dass diese nicht nur in Bezug auf die Begriffe, sondern auch in Bezug auf die Sachverhalte selbst miteinander verglichen werden. 7. So ist zum Beispiel jemand dem Lebensalter nach ein Kind in Bezug auf den inneren Menschen, der wachsen und zum Jünglingsalter voranschreiten und durch weiteres Wachstum zum vollkommenen Mann reifena und Vater werden kann. Diese Begriffe aber wollten wir gebrauchen, damit wir die Benennungen in Übereinstimmung mit der göttlichen Schrift, jener nämlich, die von Johannes geschrieben worden ist, vornehmen; der sagt nämlich: „Ich habe euch geschrieben, Kinder, weil ihr den Vater erkannt habt; ich habe euch geschrieben, Väter, weil ihr den erkannt habt, der von Anfang an ist; ich habe euch geschrieben, Jünglinge, weil ihr stark seid und das Wort Gottes in euch bleibt und ihr den Bösen besiegt.“b Es ist jedenfalls klar, und ich glaube, es wird auch von überhaupt niemandem bezweifelt, dass Johannes hier von Kindern und Heranwachsenden oder Jünglingen oder auch Vätern in Bezug auf das Alter der Seele, nicht in Bezug auf das des Körpers spricht.22 8. Aber auch Paulus sagt an einer Stelle: „Ich konnte mit euch nicht wie mit geistig gesinnten Menschen reden, sondern wie mit fleischlich gesinnten; als gleichsam Kinder in Christus habe ich euch mit Milch genährt, nicht mit fester Speise.“c 23 Als Kind in Christus wird aber ohne Zweifel das Alter im Blick auf die Seele und nicht im Blick auf das Fleisch bezeichnet.24 Darüber hinaus sagt derselbe Paulus auch an anderer Stelle: „Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, war ich weise wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind; als ich jedoch ein Mann geworden war, legte ich ab, was Kind an mir war.“d Und wiederum an anderer Stelle sagt er: „Bis wir alle in den Stand eines vollkommenen Mannes gelangen, in das Maß des Alters der Fülle Christi“;e er weiß nämlich, dass alle, die glauben, „in den Stand eines vollkommenen Mannes“ und „in das Maß des Alters der Fülle Christi“ gelangen werden.25 9. Wie also die Bezeichnungen der Lebensalter, die wir erwähnt haben, mit denselben Begriffen sowohl dem äußeren Menschen zugeschrieben werden als auch dem inneren, so wirst du finden, dass auch die Bezeichnungen der körperlichen Glieder auf die Glieder der Seele übertragen wer-

Vorstellung explizit ausgesprochen. Da für Origenes der Endzustand der Vernunftwesen prinzipiell ihrem Anfangszustand entspricht und die Unterschiedlichkeit der Lebenslagen und Zustände derselben nur aufgrund ihrer unterschiedlichen Willensentscheidungen im Leben in dieser Welt gegeben ist, liegt es in der Konsequenz der origeneischen Prinzipien, dass alle Erlösten am Ende wieder gleich sein werden, nunmehr in der höchsten Vollkommenheit. Wenn Vogt, Kirchenverständnis 84f., die Frage stellt, ob Origenes von „einer Nachholmöglichkeit für die minus eruditi“ ausgegangen ist oder ob „die zukünftige Herrlichkeit genau nach dem Maße der in diesem Leben gezeigten geistigen Einsicht zu bemessen“ sei, so hat man eindeutig die erste Alternative zu bejahen.

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cientiae haec animae affectusque dicendi sunt. 10. Dicitur ergo in Ecclesiaste: „Sapientis oculi in capite eius“; a item in euangelio: „Qui habet aures audiendi, audiat“; b in prophetis quoque: „Sermo Domini, qui factus est in manu Hieremiae prophetae“, c siue alterius cuiuslibet. Simile est et illud, quod ait: „Pes autem tuus non offendat“ d et iterum: „Mei autem paulo minus moti sunt pedes.“ e Euidenter quoque et uenter animae designatur, ubi dicit: „Domine, a timore tuo in uentre concepimus.“ f Nam inde quis dubitet, cum dicitur: „Sepulcrum patens est guttur eorum“ g et iterum: „Praecipita, Domine, et diuide linguas eorum“, h sed et quod scriptum est: „Dentes peccatorum contriuisti“ i et iterum: „Contere bracchium peccatoris et maligni“? j Et quid opus est me de his plura colligere, cum abundantissimis testimoniis scripturae diuinae repletae sint? 11. Ex quibus euidenter ostenditur membrorum haec nomina nequaquam corpori uisibili aptari posse, sed ad inuisibilis animae partes uirtutesque debere reuocari, quoniam uocabula quidem habent similia, aperte autem et sine ulla ambiguitate non exterioris, sed interioris hominis significantias gerunt. 12. Est ergo materialis huius hominis, qui et exterior homo appellatur, cibus potusque naturae suae cognatus, corporeus scilicet iste et terrenus. Similiter autem etiam spiritalis hominis ipsius, qui et interior dicitur, est proprius cibus ut panis ille uiuus, qui de caelo descendit. k Sed et potus eius est ex illa aqua, quam promittit Iesus dicens: „Quicumque biberit ex hac aqua, quam ego do ei, non sitiet in aeternum.“ l 13. Sic ergo per omnia similitudo quidem uocabulorum secundum utrumque hominem ponitur, rerum uero proprietas unicuique discreta seruatur et corruptibili corruptibilia praebentur, incorruptibili uero incorruptibilia proponuntur. 14. Vnde accidit, ut simpliciores quidam nescientes distinguere ac secernere, quae sint, quae in scripturis diuinis interiori homini, quae uero exteriori deputanda sint, uocabulorum similitudinibus b c Koh. 2,14 Mt. 11,15; 13,43 Jer. 27(50),1 g h i Jes. 26,18 Ps. 5,10 Ps. 54(55),10 Ps. 3,8 l vgl. Joh. 6,33 Joh. 4,14

a f

j

d Spr. 3,23 Ps. 9,36(10,15)

e

Ps. 72(73),2 k Joh. 6,51;

26 Origenes ist der Schöpfer der Lehre von den geistigen Organen der Seele bzw. der ,geistigen Sinnlichkeit‘, die in die östliche griechische Spiritualität ebenso eingegangen ist wie in die westliche lateinische: Rahner, Doctrine des cinq sens spirituels; Dillon, Aisthesis Noete; McInroy, Origen. Vgl. etwa in Lev. hom. 3,7 (GCS Orig. 6, 312), wo er neben den fünf körperlichen Sinnen die fünf geistigen Sinne beschreibt, oder in Ex. hom. 10,3 (GCS Orig. 6, 247), wo er nahezu wörtlich dasselbe sagt wie an der vorliegenden Stelle: „Schon oft haben wir gesagt, dass in den Schriften die Glieder der Seele mit denselben Begriffen und denselben Aufgaben bezeichnet werden, die zur Bezeichnung der Glieder des Körpers verwendet werden.“ Weitere Stellen bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 752, dazu unten S. 159 Anm. 171. Im Hoheliedkommentar kommt Origenes oft auf diese Theorie zu sprechen, neben ihrer ausführlichen Entwicklung in Cant. comm. I 4,10–20 noch ebd. I 4,26f.; II 9,5; II 9,12–14; II 10,14; II 11,11; II 12,22; III 5,6.

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den, die man freilich eher als Wirkweisen und Regungen der Seele bezeichnen sollte.26 10. Es wird also beim Prediger gesagt: „Die Augen des Weisen sind in seinem Haupt“;a ebenso im Evangelium: „Wer Ohren hat zu hören, der höre“;b auch bei den Propheten: „Wort des Herrn, das erging in der Hand des Propheten Jeremia“c oder irgendeines anderen. Ähnlich ist auch die Aussage zu verstehen: „Dein Fuß aber soll nicht anstoßen“d und desgleichen: „Etwas weniger jedoch sind meine Füße erschüttert worden.“e Ebenso deutlich wird auch der Unterleib der Seele bezeichnet, wo es heißt: „Herr, aus Furcht vor dir haben wir im Unterleib empfangen.“f Denn wer würde daran zweifeln, wenn gesagt wird: „Ein offenes Grab ist ihre Kehle“g und desgleichen: „Verwirre, Herr, und teile ihre Zungen“,h aber auch, wenn geschrieben steht: „Die Zähne der Sünder hast du zerschlagen“i und desgleichen: „Zerschlage den Arm des Sünders und des Übeltäters“?j 27 Und was muss ich hierfür mehr Belege sammeln, wo doch die göttlichen Schriften von überreichen Zeugnissen voll sind? 11. Damit ist eindeutig erwiesen, dass diese Bezeichnungen von Gliedern keinesfalls auf den sichtbaren Körper angewendet werden können, sondern auf die Teile und Kräfte der unsichtbaren Seele bezogen werden müssen, da sie zwar gleiche Bezeichnungen tragen, aber offensichtlich und ohne jede Doppeldeutigkeit Bedeutungen haben, die nicht dem äußeren, sondern dem inneren Menschen zukommen. 12. Es gibt also für diesen materiellen Menschen, der auch äußerer Mensch genannt wird, eine Speise und einen Trank, der seiner Natur entspricht, nämlich diese körperliche und irdische Nahrung. In gleicher Weise aber gibt es auch für denselben geistigen Menschen, der auch innerer genannt wird, eine eigene Speise, etwa jenes lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist.k Aber auch sein Trank besteht aus jenem Wasser, das Jesus verheißt, wenn er sagt: „Wer immer von diesem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, wird nicht dürsten in Ewigkeit.“l 13. In allen diesen Beispielen werden so also in Bezug auf beide Menschen zwar die gleichen Bezeichnungen gebraucht, aber die sachliche Eigenheit bleibt für jeden unterschieden: Dem Vergänglichem werden die vergänglichen Eigenschaften zugeschrieben, dem Unvergänglichen aber die unvergänglichen zugeordnet. 14. Daher kommt es, dass sich die einfacheren Menschen, die nicht zu unterscheiden und zu differenzieren wissen, welche Dinge in den göttlichen Schriften dem inneren Menschen, welche hingegen dem äußeren zugeschrieben werden müssen, durch die Gleichartigkeit der Wörter getäuscht

27 Für das Auge, den Zahn, den Unterleib, die Hand und den Fuß in Bezug auf die Seele vgl. die Erläuterungen in Ex. hom. 10,4 (GCS Orig. 6, 251), wo es am Schluss über Hand und Fuß heißt: „Die Hand ist die Kraft der Seele, mit der sie etwas festhalten und zusammenhalten kann, also ihre Tatkraft und Stärke, der Fuß ist es, mit dem sie zum Guten und zum Bösen geht.“ Übersetzung: p. 213 Heither.

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falsi ad ineptas quasdam se fabulas et figmenta inania contulerint, ut etiam post resurrectionem cibis corporalibus utendum crederent potumque sumendum non solum ex illa uite uera a et uiuente in saecula, uerum et ex istis uitibus et fructibus ligni. Sed de his alias uidebimus. 15. Nunc ergo, ut praecedenti obseruatione distinximus, est quidem secundum interiorem hominem alius sine filiis et sterilis, alius uero abundans in filiis; secundum quod et illud aduertimus dictum: „Sterilis peperit septem, et fecunda in filiis infirmata est“, b et ut in benedictionibus dicitur: „Non erit in uobis sine filiis et sterilis.“ c 16. Igitur si haec ita se habent, sicut dicitur aliquis carnalis amor, quem et Cupidinem poetae appellarunt, secundum quem qui amat, in carne seminat, ita est et quidam spiritalis amor, secundum quem ille interior homo amans in spiritu seminat. d Et ut euidentius dicam, si quis est, qui portat adhuc imaginem terreni secundum exteriorem hominem, iste agitur cupidine et amore terreno; qui uero portat imaginem caelestis e secundum interiorem hominem, agitur cupidine et amore caelesti. 17. Amore autem et cupidine caelesti agitur anima, cum perspecta pulchritudine et decore Verbi Dei speciem eius adamauerit et ex ipso telum quoddam et uulnus amoris acceperit. Est enim Verbum hoc imago et splendor Dei inuisibilis, primogenitus omnis creaturae, in quo creata sunt omnia, quae in caelis sunt et quae in terris siue uisibilia siue inuisibilia. f Igitur si quis potuerit capaci mente conicere et considerare horum omnium, quae in ipso creata sunt, decus et speciem, ipsa rerum uenustate percussus et splendoris magnificentia ceu iaculo, ut ait propheta, electo g terebratus salutare ab ipso uulnus accipiet et beato igne amoris eius ardebit. 18. Oportet nos etiam illud scire: Illicitus amor et contra legem sicut accidere potest homini exteriori, uerbi gratia, ut non sponsam uel coniugem amet, sed aut meretricem aut a g

Joh. 15,1 Jes. 49,2

b

1 Sam. 2,5

c

Ex. 23,26

d

Gal. 6,8

e

1 Kor. 15,49

f

Kol. 1,15f.

28 Auch in princ. II 11,2 (GCS Orig. 5, 184–186) und in Matth. comm. XVII 35 (GCS Orig. 10, 698f.) wendet sich Origenes gegen ein solches Missverständnis der Auferstehung durch die ,einfacheren‘ Christen. Dass es sich dabei um Chiliasten handelt, wie Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 102 Anm. 1, annehmen, wird in diesen Texten allerdings nicht nahegelegt. Vielmehr wirft Origenes seinen Gegnern ein litteralistisches Schriftverständnis vor. Schon Kelsos hatte solche ,einfachen‘ Christen im Blick, die ein wörtliches Verständnis der alttestamentlichen Verheißungen vertraten: Cels. V 14 (GCS Orig. 2, 15); VIII 49 (2, 263f.). 29 Rufinus gibt hier eine Erklärung für seine lateinischen Leser, indem er den griechischen Eros mit dem lateinischen Cupido gleichsetzt. 30 Seiner Erläuterung von amor durch Cupido (Eros) entsprechend (siehe die vorige Anmerkung) hat Rufinus mit den beiden lateinischen Wörtern cupido et amor das griechische eÍrvw wiedergegeben.

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auf ungereimte Fabeln und leere Fiktionen verlegten, so dass sie glaubten, auch nach der Auferstehung müsse man körperliche Speisen zu sich nehmen und nicht allein von jenem wahren und in Ewigkeit lebenden Weinstocka trinken, sondern auch von diesen Weinstöcken und Baumfrüchten hier.28 Doch darüber ein andermal mehr. 15. Nun ist also entsprechend der von uns in der vorangehenden Überlegung gemachten Unterscheidung der eine in Bezug auf den inneren Menschen kinderlos und unfruchtbar, ein anderer aber überaus kinderreich. Hierauf beziehen wir auch den Ausspruch: „Die Unfruchtbare hat sieben Kinder geboren, und die an Kindern Fruchtbare ist kraftlos geworden“,b und wie es in den Segenssprüchen heißt: „Es wird unter euch niemand kinderlos und unfruchtbar sein.“c 16. Wenn dem so ist, gibt es also ebenso, wie man von fleischlicher Liebe spricht, die die Dichter auch Cupido nennen29 und der entsprechend jemand, der liebt, im Fleische sät, auch eine geistige Liebe, der entsprechend jener innere Mensch, der liebt, im Geiste sät.d Und um es noch deutlicher zu sagen: Wenn jemand noch das Bild des Irdischen gemäß dem äußeren Menschen an sich trägt, wird er von irdischer Begierde und Liebe angetrieben; wer aber das Bild des Himmlischene gemäß dem inneren Menschen an sich trägt, wird von himmlischer Begierde und Liebe30 bewegt. 17. Von himmlischer Liebe und Begierde aber wird die Seele angetrieben, wenn sie nach der Schau der Schönheit und der Anmut des Wortes Gottes seine Gestalt lieb gewonnen und von ihm gleichsam einen Pfeil und eine Wunde der Liebe empfangen hat.31 Denn dieses Wort ist das Bild und der Abglanz des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung, in dem alles im Himmel und auf Erden geschaffen ist, sei es sichtbar, sei es unsichtbar.f Wenn also jemand mit aufnahmefähigem Verstand die Schönheit und die Pracht aller Dinge, die in ihm (sc. dem Wort) selbst geschaffen worden sind, erschließen und betrachten kann, wird er, von der Schönheit der Dinge selbst getroffen und von der Großartigkeit des Glanzes nach Aussage des Propheten wie von einem auserwählten Pfeilg durchbohrt, eine heilsame Wunde von ihm selbst empfangen und im seligen Feuer der Liebe zu ihm brennen.32 18. Wir müssen auch Folgendes wissen: Wie den äußeren Menschen eine unerlaubte und gesetzeswidrige Liebe befallen kann, so dass er zum Beispiel nicht seine Braut oder Gattin liebt, sondern ein

31 Zu diesen Bildern siehe ausführlich in Cant. comm. III 8,12–15. 32 Der kurze Passus enthält eine außerordentlich dichte Beschreibung der Gotteserkenntnis durch die Schöpfung im Medium der Schönheit und der Liebe: Es ist die Schönheit des Wortes Gottes, aufgrund derer eine Seele in Liebe zu ihm entbrennt (vgl. dazu in Cant. comm. prol. 3,23). Diese Schönheit des Wortes Gottes ist der dafür empfänglichen Seele in der Schönheit der im Wort geschaffenen Dinge, biblisch: der Schöpfung, griechisch: des Kosmos, der „schönen Ordnung“ der Welt,

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adulteram, ita et interiori homini, hoc est animae, accidere potest amor non in legitimum sponsum, quem diximus esse Verbum Dei, sed in adulterum aliquem et corruptorem. Quod sub hac eadem figura euidenter declarat Ezechiel propheta, ubi Oollam et Oolibam introducit sub specie Samariae et Hierusalem a adulterino amore corruptas, sicut locus ipse scripturae propheticae euidenter ostendit uolentibus plenius scire. 19. Exardescit autem etiam hic spiritalis amor animae aliquando quidem, ut edocuimus, erga aliquos spiritus nequitiae, aliquando autem erga Spiritum Sanctum et Verbum Dei, qui est sponsus fidelis et eruditae animae uir dicitur et cuius ipsa sponsa in hac praecipue scriptura, quae habetur in manibus, nominatur, sicut Domino praestante plenius ostendemus, cum uerba ipsius libelli explanare coeperimus. 20. Videtur autem mihi quod diuina scriptura uolens cauere, ne lapsus aliquis legentibus sub amoris nomine nasceretur, pro infirmioribus quibusque eum, qui apud sapientes saeculi cupido seu amor dicitur, honestiore uocabulo caritatem uel dilectionem nominasse, uerbi gratia, ut cum dicit de a

Ez. 23,4

13 Cf. frg. 1 (Barba`ra App. 2)

zugänglich. Der emotionale Aspekt der Liebe (des Eros), die sich von der Schönheit der Welt wie von einem Pfeil verwunden und entflammen lässt – der „auserwählte Pfeil“ ist ein Aspekt (eÆpiÂnoia) Christi: in Ioh. comm. I 32,228f. (GCS Orig. 4, 40f.): siehe dazu Crouzel, Le trait et la blessure d’amour 311f., sowie unten S. 334 Anm. 389 zu in Cant. comm. III 8,13f., wo Origenes die Aussage in Hld. 2,5: „Wund vor Liebe bin ich“ erläutert –, ist eng verschränkt mit dem rationalen Aspekt des Denkens, denn es ist der „aufnahmefähige Verstand“ (mens, noyÄw), der die Schönheit der Dinge erkennt und bedenkt. Da der noyÄw das Hegemonikon (Leitprinzip) der Seele ist, in dem aufgrund der Gottesebenbildlichkeit das Bild Gottes, Christus, zugegen ist, führt der Weg von der Schönheit der Welt zur Schönheit des Wortes über den Verstand, der dieses Zusammenhangs von Wort und Schöpfung inne wird und dadurch im Blick auf die Schönheit der Welt die Schönheit ihres Schöpfers, der zugleich sein Schöpfer ist, wahrnimmt und in Liebe zu ihm, dem „Mann der gebildeten Seele“, wie es in Cant. comm. prol. 2,19 heißt, entbrennt. In Ioh. comm. I 9,55 (GCS Orig. 4, 14) heißt es von der „vielgestaltigen geistigen Schönheit“, die in Christus als der Weisheit enthalten ist, dass der, „der die göttliche Schönheit betrachtet“, zur „himmlischen Liebe (Eros)“ aufgerufen wird. 33 Vgl. in Num. hom. 26,2 (GCS Orig. 7, 188): „Das Wort Gottes ist also der Bräutigam und der Mann der reinen Seele.“ Auch in Gen. hom. 10,2 (GCS Orig. 6, 95); in Lev. hom. 2,2 (GCS Orig. 6, 290f.); in Hiez. hom. 8,3 (GCS Orig. 8, 404): Vir animae Sermo Dei est, sponsus amator uerus, spielt Origenes auf diese Vorstellung an. 34 Rufinus benutzt für das von Origenes gebrauchte aÆgaÂph die lateinischen Begriffe caritas und dilectio, denen er als Gegenbegriffe cupido und amor gegenüberstellt, die für eÍrvw stehen (vgl. frg. 1). In Cant. comm. prol. 2,25 stellt er explizit klar, dass die Begriffe amor, caritas und dilectio (also eÍrvw und aÆgaÂph) in der Bibel ohne Bedeu-

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Freudenmädchen oder eine Ehebrecherin, so kann auch den inneren Menschen, das heißt die Seele, eine Liebe befallen, die nicht dem rechtmäßigen Bräutigam, von dem wir sagten, er sei das Wort Gottes, sondern einem Ehebrecher und Verderber gilt. Dies macht der Prophet Ezechiel mit demselben Bild klar und deutlich, wenn er Ohola und Oholiba als Bild von Samaria und Jerusalema einführt, die von ehebrecherischer Liebe verdorben sind, wie eben diese Stelle der prophetischen Schrift denen, die mehr wissen wollen, klar und deutlich zeigt. 19. Auch diese geistige Liebe der Seele entbrennt jedoch, wie wir dargelegt haben, manchmal für irgendwelche Geister der Schlechtigkeit, manchmal allerdings auch für den Heiligen Geist und das Wort Gottes, das der treue Bräutigam ist und als Mann der gebildeten Seele bezeichnet wird33 und dessen Braut sie besonders in dieser Schrift, die wir in Händen halten, genannt wird, wie wir mit Hilfe des Herrn ausführlicher zeigen werden, wenn wir damit beginnen, die Worte des Büchleins selbst auszulegen. 20. Es scheint mir jedoch, dass die göttliche Schrift, weil sie verhüten wollte, dass die Nennung des Eros (amor) für die Leser zur Ursache für einen Fehltritt wird, zum Schutz gerade der Schwächeren das, was bei den Weltweisen Begehren (cupido) oder Eros (amor) genannt wird, mit einem ehrbareren Wort als Liebe (caritas) oder Zuneigung (dilectio) bezeichnet hat,34 so

tungsunterschied gebraucht werden und der Begriff caritas lediglich dadurch ausgezeichnet wird, dass Gott selbst caritas, Liebe, genannt wird; aber auch für diesen kann der Begriff amor verwendet werden (ebd. prol. 2,36). Auch Origenes selbst verwendet ebd. prol. 2,16 das Wort eÍrvw (von Rufinus dort ebenfalls mit cupido et amor wiedergegeben: siehe oben S. 70 Anm. 30) nicht nur für die irdische, sondern auch für die himmlische Liebe, und in Ioh. comm. I 9,55 (GCS Orig. 4, 14) ist explizit vom „himmlischen Eros“ die Rede (vgl. dazu Dölger, Christus als himmlischer Eros 274). Aufgrund dieser Synonymität kann er ebd. III 7,2 parallel formulieren: hic amor uel haec caritas. Zu dieser Verschränkung von philosophischem und christlichem Liebesbegriff siehe Rist, Eros and Psyche 204–207. – Nygren, Eros und Agape 282–302, interpretiert Origenes auf der Basis seiner falschen Entgegensetzung von hellenistischem Eros und christlichem Liebesgedanken. Damit verzeichnet er jedoch das relational-vielschichtige Denken des Alexandriners. Es stimmt schlicht nicht, dass in der Synthese aus beidem, die Nygren in seinem Oppositions-Schema Origenes schmieden sieht, „das Erosmotiv und die hellenistische Anschauung doch die Führung“ behalten und „Origenes kein großes Verständnis für das christliche Agapemotiv“ habe (ebd. 283), das er lediglich in apologetischen Kontexten stark mache (vgl. ebd. 284–292). Es ist gerade der christliche Liebesgedanke in Form der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe, von dem her Origenes den ordo caritatis entfaltet (siehe in Cant. comm. III 7). Darin wird der antike Eros nicht einfachhin als fehlorientiertes, sexuelles Begehren abgewertet, sondern in seiner positiven Kraft als emotionale wie intellektuelle Anziehungskraft des Guten gewürdigt. Zur Kritik an Nygren vgl. auch Crouzel, Virginite´ et mariage 73–75; Rist, ebd. 79f. 214–216.

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Isaac: „Et accepit Rebeccam, et facta est ei uxor, et dilexit eam“, a et iterum de Iacob et Rachel similiter dicit scriptura: „Rachel autem erat decora oculis et pulchra facie; et dilexit Iacob Rachel et dixit: Seruiam tibi septem annis pro Rachel filia tua iuniore.“ b 21. Euidentius autem immutata uis uocabuli huius apparet in Amnon, qui adamauit sororem suam Thamar; scriptum est enim: „Et factum est post haec et erat Absalon filio Dauid soror decora specie ualde, et nomen ei Thamar, et dilexit eam Amnon filius Dauid.“ c ,Dilexit‘ posuit pro ,adamauit‘. „Et tribulabatur“ inquit „Amnon ita, ut infirmaretur propter Thamar sororem suam, quoniam uirgo erat; et graue uidebatur in oculis Amnon facere ei aliquid.“ d Et post pauca de uiolentia, quam intulit Amnon Thamar sorori suae, ita dicit scriptura: „Et noluit Amnon audire uocem eius, sed inualuit super eam et humiliauit eam, et dormiuit cum ipsa. Et odiuit eam Amnon odio magno ualde, quoniam maius erat odium, quo oderat eam, quam dilectio, qua dilexerat eam.“ e 22. Et in his ergo et in aliis pluribus locis inuenies scripturam diuinam refugisse amoris uocabulum et caritatis dilectionisque posuisse. Interdum tamen, licet raro, proprio uocabulo amorem nominat et inuitat ad eum atque incitat animas, ut cum dicit in Prouerbiis de sapientia: „Adama eam, et seruabit te; circumda eam, et exaltabit te; honora eam, ut te amplectatur.“ f Sed et in eo libello, qui dicitur Sapientia Solomonis, ita scriptum est de ipsa sapientia: „Amator factus sum decoris eius.“ g 23. Arbitror autem quod, ubi nulla lapsus uidebatur occasio, ibi tantum nomen amoris inseruit. Quid enim passibile aut quid indecorum possit aliquis aduertere in amore sapientiae uel in eo, qui se a f

Gen. 24,67 Spr. 4,6.8

Gen. 29,17f. Weish. 8,2

b g

4 Cf. frg. 1 (Barba`ra App. 2)

c

2 Sam. 13,1

d

2 Sam. 13,2

e

2 Sam. 13,14f.

16 Cf. frg. 1 (Barba`ra App. 2)

35 Hinter der lateinischen Gegenüberstellung von diligere, „lieb gewinnen“, und adamare, „sich verlieben“, steht bei Origenes der griechische Gegensatz von aÆgapaÄn und eÆrasteyÂein (für letzteres vgl. Spr. 4,6). 36 Der griechische Text der Septuaginta lautet: eÆraÂsuhti ayÆthÄw (vgl. frg. 1), benutzt also den Begriff, den Origenes mit der leidenschaftlichen Liebe, dem Eros, verbindet. – Gregor von Nyssa, in Cant. hom. 1 prooem. (GNO 6, 23), folgt der Beobachtung des Origenes zum Sprachgebrauch in Spr. 4,6, wenn er darlegt: „Nachdem es also die Weisheit ist, die hier spricht – liebe sie (aÆgaÂphson), so sehr du es vermagst, aus ganzem Herzen und ganzer Kraft, begehre sie, soweit du dazu imstande bist! Ich füge aber diesen Worten kühn hinzu: Liebe sie (mit der Kraft des Eros) (eÆraÂsuhti)! Unanfechtbar und leidenschaftslos ist dieses Gefühl nämlich im Bereich der unkörperlichen Dinge, wie es die Weisheit in den Sprichwörtern sagt, wenn sie den Eros, der sich auf die göttliche Schönheit richtet, zum Gesetz erhebt (vgl. Spr. 4,6).“ Übersetzung: Dünzl, FC 16/1, 129 (mit den Erklärungen dazu ebd. 128 Anm. 18 und 19). 37 Origenes rekurriert oft auf die Sapientia Salomonis: princ. II 3,6 (GCS Orig. 5, 121);

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zum Beispiel, wenn sie über Isaak sagt: „Und er nahm Rebekka, und sie wurde seine Frau, und er gewann sie lieb“,a und desgleichen sagt die Schrift über Jakob und Rahel ebenso: „Rahel aber hatte schöne Augen und war schön von Angesicht; und Jakob gewann Rahel lieb und sprach: Ich werde dir sieben Jahre für Rahel, deine jüngere Tochter, dienen.“b 21. Deutlicher aber wird die unveränderte Bedeutung dieser Bezeichnung bei Amnon erkennbar, der sich in seine Schwester Tamar verliebte; es steht nämlich geschrieben: „Und danach geschah Folgendes: Absalom, der Sohn Davids, hatte eine Schwester von großer Schönheit, und ihr Name war Tamar, und Amnon, der Sohn Davids, gewann sie lieb.“c ,Lieb gewinnen‘ steht hier für ,sich verlieben‘.35 „Und Amnon“, heißt es, „wurde so geplagt, dass er wegen Tamar, seiner Schwester, krank wurde, denn sie war Jungfrau und in den Augen Amnons schien es schlimm, ihr etwas anzutun.“d Und etwas weiter unten sagt die Schrift über die Gewalt, die Amnon Tamar, seiner Schwester, angetan hat: „Und Amnon wollte nicht auf ihre Stimme hören, sondern überwältigte sie und erniedrigte sie und schlief mit ihr. Und Amnon hasste sie mit sehr großem Hass, da sein Hass, mit dem er sie hasste, größer war als die Liebe, mit der er sie lieb gewonnen hatte.“e 22. Du wirst also an diesen und an vielen anderen Stellen finden, dass die göttliche Schrift das Wort ,Eros‘ vermieden und durch Liebe und Zuneigung ersetzt hat. Manchmal allerdings, wenn auch selten, nennt sie den Eros bei seinem eigentlichen Namen und lädt die Seelen zu ihm ein und stachelt sie an, wenn sie etwa in den Sprichwörtern über die Weisheit sagt: „Verliebe dich in sie,36 und sie wird dich erhalten; umarme sie, und sie wird dich erhöhen; ehre sie, damit sie dich umarmt.“f Aber auch in dem Buch, das Weisheit Salomos genannt wird,37 steht wie folgt über die Weisheit selbst geschrieben: „Ein Liebhaber ihrer Schönheit bin ich geworden.“g 38 23. Ich meine aber, dass die Schrift dort, wo kein Anlass, zu Fall zu kommen, gegeben zu sein schien, einfach das Wort ,Eros‘ einsetzte. Welche Leidenschaftlichkeit nämlich oder welche Unanständigkeit könnte jemand in der Liebe zur Weisheit finden oder bei orat. 31,1 (GCS Orig. 2, 395); in Matth. comm. ser. 69 (GCS Orig. 11, 162); in Rom. comm. VII 2,7 (SC 543, 266). Zuweilen lässt er Vorbehalte gegen die Zuschreibung an Salomo erkennen und räumt ein, dass sie nicht von allen anerkannt wird: princ. I 2,5 (GCS Orig. 5, 33); IV 4,6 (5, 357); in Ioh. comm. XX 4,26 (GCS Orig. 4, 331); Cels. V 29 (GCS Orig. 2, 30f.). In Cant. comm. III 13,15 lässt er die Autorschaft offen, wenn er lediglich von „jenem Autor der göttlichen Weisheit“ spricht. Vgl. Grant, Book of Wisdom 464; vgl. auch unten S. 120 Anm. 123. 38 In Ioh. comm. XX 43,406 (GCS Orig. 4, 386) zitiert Origenes Weish. 8,2: eÆrasthÁw eÆgenoÂmhn toy Ä kaÂlloyw ayÆth Ä w neben Spr. 4,6, ohne das Verbum eÆrasteyÂein zu problematisieren. Das Substantiv eÍrvw begegnet in der Bibel nur in Spr. 7,18 und 24,51, auf diese beiden Stellen geht Origenes aber nicht ein. An einigen Stellen in der Septuaginta wird umgekehrt die irdische Liebe mit dem Verbum aÆgapaÄn bzw. dem Substantiv aÆgaÂph bezeichnet, wofür im Lateinischen jeweils diligere steht: Gen. 24,67; 29,17f.; 2 Sam. 13,1.15; Hld. 5,8.

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amatorem profiteatur esse sapientiae? Nam si dixisset quia adamauit uel Isaac Rebeccam uel Iacob Rachel, passio utique aliqua indecora per haec uerba erga sanctos Dei homines potuisset intelligi apud eos praecipue, qui nesciunt a littera conscendere ad spiritum. 24. Apertissime autem et in hoc ipso libello, qui habetur in manibus, amoris nomen caritatis uocabulo permutatum est in eo, ubi dicit: „Adiuraui uos, filiae Hierusalem, si inueneritis fratruelem meum, ut adnuntietis ei quia uulnerata caritatis ego sum“, a pro eo utique, ut diceret: Amoris eius telo percussa sum. 25. Nihil ergo interest, in scripturis diuinis utrum amor dicatur an caritas an dilectio, nisi quod in tantum nomen caritatis extollitur, ut etiam Deus ipse caritas appelletur, sicut Iohannes dicit: „Carissimi, diligamus inuicem, quia caritas ex Deo est, et omnis, qui diligit, ex Deo natus est et cognoscit Deum; qui autem non diligit, non cognoscit Deum, quia Deus caritas est.“ b Et quamuis alterius temporis sit de his aliquid dicere, quae exempli causa ex Iohannis epistula protulimus, tamen breuiter aliqua etiam inde perstringere non uidetur absurdum. 26. „Diligamus“ inquit „inuicem, quia caritas ex Deo est“ c et post pauca: „Deus caritas est.“ d In quo ostendit et ipsum Deum caritatem esse et iterum eum, qui ex Deo est, caritatem esse. Quis autem ex Deo est nisi ille, qui dicit: „Ego ex Deo exiui et ueni in hunc mundum“? e Quod si Deus Pater caritas est et Filius caritas est, caritas autem et caritas unum est et in nullo differt, consequenter ergo Pater et Filius unum est et in nullo differt. 27. Et ideo conuenienter Christus sicut sapientia et uirtus et iustitia et a

Hld. 5,8

b

1 Joh. 4,7f.

c

1 Joh. 4,7

d

1 Joh. 4,8

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Joh. 16,27.28

39 „Liebhaber der Weisheit“, amator sapientiae, ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes „Philosoph“, filoÂsofow, als den Origenes, princ. I praef. 3 (GCS Orig. 5, 9), den Theologen definiert. 40 Zu dieser Bedeutung von fratruelis siehe die Erläuterungen zum Synonym fraternus in Cant. comm. II 10,2f. und dazu unten S. 285 Anm. 331. 41 Im Griechischen entspricht dem Substantiv aÆgaÂph das Verbum aÆgapaÄn, während im Lateinischen zum Substantiv caritas das Verbum zu dilectio verwendet werden muss: diligere. Da Rufinus freilich aÆgaÂph mit caritas und dilectio wiedergibt, ergibt sich daraus keine Bedeutungsverschiebung. 42 Der Passus gibt ein illustratives Beispiel dafür, wie Origenes die Identität von Vater und Sohn beschreibt: Er kennt dafür keinen abstrakten Begriff (wie das spätere nizänische oëmooyÂsiow), sondern expliziert ihre Einheit und Nicht-Unterschiedenheit anhand eines Attributs wie Liebe, die in beiden vollkommen gleich ist und „sich in nichts unterscheidet“. Das entspricht in der Sache der später dogmatisierten Wesensgleichheit (nunmehr umfassend nachgewiesen von Bruns, Trinität und Kosmos). Origenes präfiguriert damit auch die Theologie der Kappadokier, die die Einheit

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dem, der bekennt, ein Liebhaber der Weisheit39 zu sein? Denn wenn sie gesagt hätte, dass sich Isaak in Rebekka verliebte oder Jakob in Rahel, hätte man dies so verstehen können, als werde mit diesen Worten den heiligen Menschen Gottes doch irgendeine unanständige Leidenschaftlichkeit zugeschrieben. Diese Gefahr bestand besonders bei denen, die es nicht verstehen, sich vom Buchstaben zum Geist zu erheben. 24. Aber ganz offenkundig ist selbst in diesem Buch, das wir in den Händen halten, die Bezeichnung ,Eros‘ durch das Wort ,Liebe‘ ersetzt, dort nämlich, wo es heißt: „Ich habe euch beschworen, Töchter Jerusalems, wenn ihr meinen Geliebten40 findet, dass ihr ihm verkündet, dass ich von Liebe verwundet bin.“a Das steht gewiss für die Aussage: Vom Pfeil des Eros bin ich durchbohrt. 25. Es macht also keinen Unterschied, ob in den göttlichen Schriften von Eros oder von Liebe oder von Zuneigung gesprochen wird, außer dass der Begriff der ,Liebe‘ so weit herausgehoben wird, dass sogar Gott selbst als Liebe bezeichnet wird, wie Johannes sagt: „Meine Lieben, wir wollen einander lieben,41 da die Liebe aus Gott ist, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und kennt Gott. Wer jedoch nicht liebt, kennt Gott nicht, da Gott die Liebe ist.“b Und obgleich es einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleibt, darüber, was wir als Beispiel aus dem Brief des Johannes angeführt haben, etwas zu sagen, scheint es doch nicht unpassend zu sein, auch hier kurz einige Bemerkungen dazu zu machen. 26. „Wir wollen einander lieben“, sagt er, „da die Liebe aus Gott ist“,c und kurz darauf: „Gott ist die Liebe.“d Damit zeigt er, dass sowohl Gott selbst die Liebe ist als auch desgleichen der, der aus Gott ist, die Liebe ist. Wer aber ist aus Gott, wenn nicht der, der sagt: „Ich bin von Gott ausgegangen und in diese Welt gekommen“?e Wenn aber Gott, der Vater, die Liebe ist und der Sohn die Liebe ist, Liebe und Liebe jedoch eins sind und sich in nichts unterscheiden, sind also folgerichtig Vater und Sohn eins und unterscheiden sich in nichts.42 27. Und deshalb wird Christus, so wie als von Vater und Sohn auf ähnliche Weise beschrieben haben (Vater und Sohn sind gleich gut, gleich wahr, gleich gerecht usw.). Hinsichtlich der Liebe gibt es also keinen Unterschied zwischen Vater und Sohn, die „eins“, ein einziger Gott, sind. – Liest man die Aussage, dass Vater und Sohn „sich in nichts unterscheiden“, allerdings losgelöst von dem Kontext, in dem sie gemacht wird, klingt sie modalistisch. Origenes selbst kann sie nicht so gemeint haben und hat sie auch nicht so gemeint – die Nicht-Unterschiedenheit gilt hinsichtlich der Liebe –, zumal er den Modalismus zeit seines Lebens energisch bekämpfte, indem er die reale Unterschiedenheit von Vater und Sohn hinsichtlich ihrer konkreten Existenzweisen (Hypostasen) betonte; vgl. bes. in Ioh. comm. X 37,246 (GCS Orig. 4, 212), wo er explizit Modalisten (bzw. Monarchianer) kritisiert. Offenbar weil die Abschreiber mancher Handschriften (in den Handschriftengruppen B und D aus dem 12. und 13. Jahrhundert) sich am vermeintlichen modalistischen Klang einer solchen Aussage gestoßen haben, versuchten sie diesen zu vermeiden, indem sie statt: unum est et in nullo differt schrieben: unum bene dicuntur, Vater und Sohn „werden zutreffend eins genannt“.

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uerbum et ueritas, a ita et caritas dicitur. Et ideo dicit scriptura quia, si caritas manet in nobis, Deus in nobis manet; b Deus autem, id est Pater et Filius, qui et ueniunt ad eum, qui perfectus est in caritate, c secundum uerbum Domini et Saluatoris dicentis: „Ego et Pater meus ueniemus ad eum et mansionem faciemus apud eum.“ d 28. Sciendum ergo est quod haec caritas, quae Deus est, in quo fuerit, nihil terrenum, nihil materiale, nihil corruptibile diligit; contra naturam namque est ei corruptibile aliquid diligere, cum ipsa sit incorruptionis fons. Ipsa est enim sola, quae habet immortalitatem, siquidem Deus est caritas, e qui solus habet immortalitatem lucem habitans inaccessibilem. f Quid autem aliud immortalitas nisi uita aeterna est, quam daturum se promittit Deus credentibus in ipsum solum uerum Deum et, quem misit, Iesum Christum g Filium eius? 29. Propterea ergo in primis et ante omnia hoc amabile et placitum esse dicitur Deo, ut diligat quis Dominum Deum suum ex toto corde suo et ex tota anima sua et ex totis uiribus suis. h Et quia Deus caritas est et Filius, qui ex Deo est, caritas est, sui simile aliquid requirit in nobis, ut per hanc caritatem, quae est in Christo Iesu, Deo, qui est caritas, uelut cognata quadam per caritatis nomen affinitate sociemur, sicut et ille, qui iam coniunctus ei dicebat: „Quis nos separabit a caritate Dei, i quae est in Christo Iesu Domino nostro?“ j 30. Haec autem caritas omnem hominem proximum ducit. Ob hoc enim arguit Saluator quendam, qui opinabatur quod iusta anima erga eam, quae in iniquitatibus inuoluta est, propinquitatis iura non seruet, et ista de causa texit illam parabolam, quae dicit quod in latrones incidit quidam, dum descendit ab Hierusalem in Hiericho, et culpat quidem sacerdotem ac leuitam, qui uidentes seminecem praeterierunt, k amplectitur autem Samaritanum, qui misericordiam fecerit, et hunc fuisse ei proximum ipsius, qui proposuerat, responsione firmauit et ait ei: „Vade, et tu fac similiter!“ l 31. Etenim natura omnes nobis inuicem proximi sumus; b c 1 Kor. 1,24.30; Joh. 1,1; 14,6 1 Joh. 4,12 1 Joh. 4,18 f g h 1 Joh. 4,8 1 Tim. 6,16 Joh. 17,3 Lk. 10,27 (Dtn. 6,5) j k l Röm. 8,39 Lk. 10,30 Lk. 10,37 a

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43 Die Lehre von den Epinoiai, also den verschiedenen Aspekten Christi (dazu Koch, Pronoia und Paideusis 65–74; Gruber, ZVH 241–267; Fe´dou, La Sagesse et le monde 233–269; O’Leary, Christianisme et philosophie 153–165), der „eine Vielzahl von im Denken unterscheidbaren Gütern“ ist: in Ioh. comm. I 19,112 (GCS Orig. 4, 23), kommt im Hoheliedkommentar öfter vor. An der vorliegenden Stelle nennt Origenes die zentralen Epinoiai Weisheit, Kraft, Gerechtigkeit, Wort, Wahrheit und Liebe; davon begegnen Gerechtigkeit und Wahrheit zusammen mit Friede in Cant. comm. I 6,13 und Weisheit und Kraft zusammen mit Schatz der Erkenntnis und wahrer Weinstock ebd. II 11,5; ausgesprochen bildlich sind die ebd. III 8,11 genannten Epinoiai Apfelbaum und Baum des Lebens, wahres Brot, wahrer Wein-

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Weisheit und Kraft und Gerechtigkeit und Wort und Wahrheit,a angemessenerweise auch als Liebe bezeichnet.43 Und deshalb sagt die Schrift, dass dann, wenn die Liebe in uns bleibt, Gott in uns bleibt;b Gott aber bedeutet hier Vater und Sohn, die auch zu dem kommen, der vollkommen ist in der Liebe,c nach dem Wort des Herrn und Erlösers, der sagt: „Ich und mein Vater werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“d 28. Man muss also wissen, dass diese Liebe, die Gott ist, dort, wo sie anwesend ist, nichts Irdisches, nichts Materielles, nichts Vergängliches liebt, denn es ist gegen ihre Natur, etwas Vergängliches zu lieben, weil sie selbst die Quelle der Unvergänglichkeit ist. Allein sie selbst ist es nämlich, die Unsterblichkeit besitzt, da ja Gott die Liebe ist,e der allein Unsterblichkeit besitzt und in einem unzugänglichen Licht wohnt.f Was aber ist Unsterblichkeit anderes als das ewige Leben, das Gott denen zu geben verspricht, die an ihn, den allein wahren Gott, glauben und an den, den er gesandt hat, Jesus Christus,g seinen Sohn? 29. Deshalb also heißt es, dass es Gott zu allererst und vor allem liebenswert und wohlgefällig ist, wenn jemand den Herrn, seinen Gott, aus seinem ganzen Herzen und aus seiner ganzen Seele und mit allen seinen Kräften liebt.h Und da Gott die Liebe ist und der Sohn, der aus Gott ist, die Liebe ist, verlangt er in uns etwas ihm Ähnliches, damit wir durch die Liebe, die in Christus Jesus ist, mit Gott, der die Liebe ist, wie in einer Art enger Verwandtschaft durch den Namen der Liebe verbunden werden, wie auch jener, der schon mit ihm verbunden war, sagte: „Wer wird uns trennen von der Liebe Gottes,i die in Christus Jesus ist, unserem Herrn?“j 30. Diese Liebe aber betrachtet jeden Menschen als Nächsten. Deswegen nämlich rügt der Erlöser einen Menschen, der meinte, dass eine gerechte Seele gegenüber einer Seele, die in Ungerechtigkeiten verstrickt ist, die Gesetze der Nächstenliebe nicht beachten müsse, und entwirft für diesen Fall das bekannte Gleichnis, das schildert, wie jemand unter die Räuber fiel, als er von Jerusalem nach Jericho hinabging. Er tadelt darin den Priester und den Leviten, die den Halbtoten sahen, aber vorbeigingen,k lobt jedoch den Samaritaner, der Barmherzigkeit geübt hat. Dass dieser für ihn der Nächste gewesen ist, ließ er durch die Antwort dessen, der die Frage gestellt hatte, bekräftigen und sagte ihm: „Geh, und handle du ebenso!“l 31. Von Natur aus sind wir

stock, Lamm Gottes „und vieles andere“. Dass Christus viele verschiedene ,Namen‘ zukommen, die alle gut sind und Heil verkünden, betont er in princ. I 2,1 (GCS Orig. 5, 28) und in Rom. comm. VII 17,8 (SC 543, 426). Im ersten Buch des Johanneskommentars zählt Origenes 41 Epinoiai Christi auf und erläutert sie unterschiedlich ausführlich: in Ioh. comm. I 9,52–57 (GCS Orig. 4, 14f.); I 21,125–23,150 (4, 25–29); I 25,158–36,265 (4, 30–47); siehe dazu Crouzel, Contenu spirituel. Zu den erkenntnistheoretischen Funktionen der Epinoiai-Lehre siehe in Cant. comm. I 4,4; II 11,5 und III 8,11, dazu unten S. 152 Anm. 159.

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operibus uero caritatis fit proximus ille, qui potest benefacere ei, qui non potest. Vnde et Saluator noster factus est proximus nobis nec pertransiuit nos, cum semineces ex latronum uulneribus iaceremus. 32. Igitur sciendum est Dei caritatem semper ad Deum tendere, a quo et originem ducit, et ad proximum respicere, cum quo participium gerit, utpote similiter creatum in incorruptione. 33. Sic ergo quaecumque de caritate scripta sunt, quasi de amore dicta suscipe nihil de nominibus curans; eadem namque in utroque uirtus ostenditur. Quod si quis dicat quia et pecuniam et meretricem et alia similiter mala eodem uocabulo, quod a caritate duci uidetur, diligere appellamur, sciendum est in his non proprie, sed abusiue caritatem nominari. 34. Sicut, uerbi gratia, et Deus nomen principaliter in eo est, ex quo omnia et per quem omnia et in quo omnia, a quod utique aperte uirtutem et naturam Trinitatis enuntiat. Secundo uero in loco et, ut ita dixerim, abusiue deos dicit scriptura etiam illos, ad quos sermo Dei fit, b sicut confirmat Saluator in euangeliis. Sed et caelestes uirtutes sub hoc nomine appellari uidentur, cum dicitur: „Deus stetit in congregatione deorum, in medio autem deos discernit.“ c Tertio uero in loco non iam abusiue, sed falso dii gentium daemones a

1 Kor. 8,6 mit Röm. 11,36

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Ps. 81(82),1

44 Der barmherzige Samaritaner wird auch in Luc. hom. 34 (GCS Orig. 92, 188–195), ferner in Ios. hom. 6,4 (GCS Orig. 7, 325f.) und in Matth. comm. XVI 9 (GCS Orig. 10, 503f.) als Typos für Christus in seinem Erlösungswerk beschrieben. Origenes beruft sich dafür auf die Tradition der Kirche, konkret auf einen ,Presbyter‘: in Luc. hom. 34,3 (GCS Orig. 92, 190). Vgl. Crouzel/Fournier/Pe´richon, SC 87, 402 Anm. 1; Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 114 Anm. 1. Für die Anfänge dieser Tradition siehe die etwas anders gelagerte Deutung bei Irenäus, adv. haer. III 17,3 (SC 211, 336), vor allem aber Clemens von Alexandria, div. salv. 28,3–29,4 (GCS Clem. Al. 33, 178f.). Für diese Stellen und bes. die von Origenes geprägte weitere Auslegungsgeschichte bis ins Hohe Mittelalter siehe Sfameni Gasparro, Buon Samaritano. 45 Die Handschriftengruppe B, der auch Delarue gefolgt ist, liest inierit statt gerit und in corruptione statt in incorruptione: Baehrens, GCS Orig. 8, 70 app. crit. Die Schreiber hatten wohl gewisse Skrupel, der menschlichen Seele in ihrer Gottesebenbildlichkeit Unvergänglichkeit zuzuschreiben. Aber nach Origenes, princ. III 1,13 (GCS Orig. 5, 218), hat Gott den Menschen in seinem Urzustand in Unvergänglichkeit geschaffen, „denn Gott hat die geistige Substanz unvergänglich geschaffen und mit sich selbst verwandt“. 46 Die lateinischen Wörter caritas und diligere geben aÆgaÂph und aÆgapaÄn wieder; vgl. oben S. 76 Anm. 41. 47 Hinter dieser Unterscheidung von proprie und abusive (kataxrhstikv Ä w) steht die Theorie Philons, dem alle Rede von Gott als Katachrese gilt, da alle menschlichen Begriffe auf Gott nur im ,uneigentlichen‘ Sinne angewendet werden können; siehe

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nämlich alle einander die Nächsten, aber durch Werke der Liebe wird der zum Nächsten, der dem Gutes tun kann, der es nicht kann. Daher ist auch unser Erlöser für uns zum Nächsten geworden und nicht an uns vorübergegangen, als wir dalagen, halbtot von den Wunden der Räuber.44 32. Man muss also wissen, dass die Gottesliebe immer auf Gott hin strebt, von dem sie auch ihren Ursprung nimmt, und auf den Nächsten gerichtet ist, mit dem sie verwandt ist, weil er wie sie in Unvergänglichkeit geschaffen ist.45 33. So nimm denn alles, was über die Liebe geschrieben steht, auf, als ob es über den Eros gesagt wäre, und kümmere dich nicht um die Bezeichnungen; dieselbe Bedeutung zeigt sich nämlich in beidem. Wenn aber jemand einwenden sollte, dass mit demselben Begriff, der von der Liebe abgeleitet zu sein scheint, über uns gesagt wird, dass wir das Geld, ein Freudenmädchen und andere ähnlich schlechte Dinge lieben,46 muss man wissen, dass in diesen Fällen der Begriff der Liebe nicht im eigentlichen, sondern im uneigentlichen Sinne gebraucht wird.47 34. So ist zum Beispiel auch der Name ,Gott‘ primär dem eigen, aus dem alles und durch den alles und in dem alles ist,a womit doch offenbar die Macht und die Natur der Trinität48 zum Ausdruck gebracht wird. An zweiter Stelle aber und sozusagen uneigentlich bezeichnet die Schrift auch jene als Götter, an die das Wort Gottes ergeht,b wie der Erlöser in den Evangelien bestätigt. Aber auch die himmlischen Mächte werden anscheinend mit diesem Namen benannt, wenn es heißt: „Gott stand in der Versammlung der Götter, in ihrer Mitte aber richtet er die Götter.“c An dritter Stelle aber werden nicht mehr uneigentlich, sondern fälschlich die Dämonen als Götter der Völker bezeichnet,

dazu umfassend Runia, Naming and knowing. Origenes greift diese Theorie andernorts auf: in Is. hom. 6,5 (GCS Orig. 8, 275), bietet sie hier allerdings in einer eigenen Variante. 48 Origenes hat zur Bezeichnung der Trinität das Wort triaÂw gebraucht: in Ioh. comm. VI 33,166 (GCS Orig. 4, 142); in Ioh. frg. 20 (GCS Orig. 4, 500); 36 (4, 512); in Matth. comm. XV 31 (GCS Orig. 10, 443). Der Übersetzer Rufinus hat an entsprechenden Stellen jeweils den zu seiner Zeit dogmatisch korrekten lateinischen Begriff trinitas gebraucht, den Origenes noch nicht kannte; vgl. princ. I 3,2 (GCS Orig. 5, 50), hier mit der Taufformel in Mt. 28,19; ebd. IV 3,15 (5, 347) im Zusammenhang mit Röm. 11,36; ferner in Regn. hom. lat. 13 (GCS Orig. 8, 22). Es ist also der Textgestaltung von Baehrens, GCS Orig. 8, 71.6, zu folgen, der trinitatis gibt, auch wenn der Begriff auf das Konto des Rufinus geht, nicht der von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 114, die aus der Handschriftengruppe BD – die den Origenestext an mehreren Stellen missversteht und daher ändert (siehe oben Anm. 42 und 45) – wie schon Delarue die Wendung trinae singularitatis, „Dreieinigkeit“, aufgreifen. Auch in Cant. comm. II 5,20, II 8,8 und III 13,42.43 steht Rufins trinitas.

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appellantur, cum dicit scriptura: „Omnes dii gentium daemonia.“ a 35. Ita ergo et primum caritatis nomen in Deo est, propter quod iubemur diligere Deum ex toto corde nostro et ex tota anima nostra et ex totis uiribus nostris, b utpote eum, a quo habemus hoc ipsum, ut diligere possimus. In ipso iam sine dubio continetur, ut et sapientiam et iustitiam et pietatem et ueritatem omnesque uirtutes pariter diligamus; unum enim atque idem est diligere Deum et diligere bona. Secundo in loco quasi abusiuo et inde deriuatiuo nomine etiam proximum diligere iubemur tamquam nos ipsos. c Tertium uero est, quod falso sub caritatis titulo nominatur, diligere uel pecuniam uel uoluptates uel omne, quidquid ad corruptelam pertinet et errorem. 36. Non ergo interest, utrum amari dicatur Deus aut diligi, nec puto quod culpari possit, si quis Deum, sicut Iohannes caritatem, ita ipse amorem nominet. Denique memini aliquem sanctorum dixisse, Ignatium nomine, de Christo: „Meus autem amor crucifixus est“ nec reprehendi eum pro hoc dignum iudico. 37. Sciendum tamen est quod omnis, qui uel pecuniam diligit uel ea, quae in mundo sunt materiae corruptibilis, uirtutem caritatis, quae ex Deo est, d ad terrena et ad caduca deducit et rebus Dei abutitur ad ea, quae non uult Deus; non enim dilectionem Deus horum, sed usum a d

Ps. 95(96),5 1 Joh. 4,7

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Lk. 10,27 (Dtn. 6,5)

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Lk. 10,27; Mt. 22,39 (Lev. 19,18)

49 Eine ähnliche Unterscheidung zwischen den uneigentlich Götter genannten Engelmächten und den fälschlich Götter genannten Dämonen findet sich in Ex. hom. 6,5 (GCS Orig. 6, 196): „Wenn die Schrift sagt: ,Wer gleicht dir unter den Göttern?‘ (Ex. 15,11), vergleicht sie Gott nicht mit den Götzenbildern der Völker noch mit den Dämonen, die sich fälschlich die Bezeichnung Götter anmaßen, sondern nennt jene Götter, die durch Gnade und Teilhabe an Gott Götter genannt werden. Über diese sagt die Schrift auch andernorts: ,Ich habe gesagt: Götter seid ihr‘ (Ps. 81[82],6), und desgleichen: ,Gott stand in der Versammlung der Götter‘ (Ps. 81[82],1). Aber auch wenn diese fähig sind, Gott aufzunehmen und mit diesem Namen offenbar aus Gnade beschenkt werden, findet sich doch keiner, der Gott an Macht oder an Natur gleich ist.“ Vgl. ferner ebd. 8,2 (6, 219f.); in Matth. comm. XVII 19 (GCS Orig. 10, 368); Cels. IV 29 (GCS Orig. 1, 298); weitere Stellen bei Crouzel, The´ologie de l’image 163f. mit Anm. 108. 50 Die Vorstellung, dass Gott zu lieben mit der Liebe zum Guten bzw. zu den Tugenden identisch ist, setzt den schon von Platon, polit. II 380d–383c, formulierten Gedanken voraus, dass Gott selbst der Inbegriff und Ursprung alles Guten ist. Der Mensch kann sich Gott angleichen, indem er Gottes Tugend nachahmt, denn „die Tugend beim Menschen ist der Tugend bei Gott gleich“: Cels. IV 29 (GCS Orig. 1, 298). Die Univozität der Tugenden ist der Ermöglichungsgrund der Angleichung an Gott: ebd. VI 48 (2, 119); VI 63 (2, 134); VII 66 (2, 216), genauer: an Christus, wie Origenes in einem Fragment aus dem Römerbriefkommentar klarstellt, philoc. 25,2 (SC 226, 218): „Durch die Tugend wird die Seele Bild des Bildes Gottes.“ Vgl. dazu

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wenn die Schrift sagt: „Alle Götter der Völker sind Dämonen.“a 49 35. So wird also auch das Wort ,Liebe‘ zuerst auf Gott bezogen. Deshalb wird uns befohlen, Gott aus unserem ganzen Herzen und aus unserer ganzen Seele und mit allen unseren Kräften zu lieben,b weil er es ist, von dem wir eben diese Fähigkeit zu lieben haben. Im selben Gebot ist ohne Zweifel schon enthalten, dass wir auch die Weisheit und die Gerechtigkeit und die Frömmigkeit und die Wahrheit und alle Tugenden gleichermaßen lieben sollen; denn Gott zu lieben und das Gute zu lieben, ist ein und dasselbe.50 An zweiter Stelle wird uns mit einem gewissermaßen uneigentlichen und davon abgeleiteten Begriff befohlen, auch den Nächsten zu lieben wie uns selbst.c Das dritte jedoch ist das, was unter dem falschen Titel als Liebe bezeichnet wird, nämlich das Geld zu lieben oder die Lüste oder alles das, was sich auf Verderbnis und Irrtum bezieht. 36. Es macht also keinen Unterschied, ob man sagt, Gott werde heiß geliebt oder innig geliebt, und ich glaube nicht, dass man es missbilligen könnte, wenn jemand Gott, so wie Johannes ihn Liebe nennt, Eros nennen würde. Schließlich erinnere ich mich, dass einer der Heiligen mit Namen Ignatius über Christus gesagt hat: „Mein Eros aber ist gekreuzigt worden“,51 und ich meine nicht, dass er deshalb getadelt zu werden verdient. 37. Man muss gleichwohl wissen, dass jeder, der das Geld liebt oder die Dinge, die in der Welt aus vergänglicher Materie bestehen, die Tugend der Liebe, die aus Gott stammt,d zu irdischen und zu nichtigen Dingen herabzieht und die Sache Gottes zu etwas missbraucht, was Gott nicht will; denn Gott hat diese Dinge den Menschen nicht als Gegenstand

Horn, Antakoluthie der Tugenden 19; Hengstermann, Leben des Einen 446; Fürst, OWD 7, 32–49. Siehe dazu in Cant. comm. I 6,13f. und dazu unten S. 174 Anm. 185–187. 51 Bei Ignatius von Antiochia, epist. ad Rom. 7,2 (SUC 1, 190), steht: „Denn ich schreibe euch als einer, der lebt und sich in Liebe nach dem Tode sehnt. Meine Liebe ist gekreuzigt und kein Feuer ist in mir, das in der Materie Nahrung sucht.“ Übersetzung: Fischer, SUC 1, 191. Man kann das Kolon, in dem davon die Rede ist, dass die Liebe (der Eros) gekreuzigt ist, auf das Folgende beziehen und damit als Absage an die Liebe zur Welt verstehen; so die gängige Auffassung (z.B. bei Dölger, Christus als himmlischer Eros 273, und Rist, Eros and Psyche 206) seit Harnack, Eros, der den Einfluss der Innovation des Origenes – das Wort Eros auf Gott anzuwenden – auf die erotische Motivik der christlichen Spiritualität und Mystik betont (ebd. 91f.). Im Kolon davor ist allerdings im Griechischen mit der gleichen Vokabel von der Liebe (dem Eros) des Ignatius zum Sterben die Rede. Liest man die fragliche Aussage im Zusammenhang mit dem vorausgehenden Text, parallelisiert Ignatius seinen Todeseros mit Christus als dem gekreuzigten Eros. Damit ergibt sich das Verständnis des Origenes, der unter der „gekreuzigten Liebe“ den gekreuzigten Christus versteht, den er mit der Liebe Gottes gleichsetzt; so Crouzel, Virginite´ et mariage 69f.; ders., Le trait et la blessure d’amour 312f. Zur Geschichte beider Auffassungen siehe die Hinweise bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 753–755.

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hominibus dedit. 38. Haec autem paulo latius discussimus uolentes de natura caritatis et amoris apertius attentiusque distinguere, ne forte, quoniam scriptura dicit: „Quia Deus caritas est“, a omne, quod diligitur, etiam si corruptibile sit, ex Deo esse in hoc caritas et dilectio putaretur. Sed ostenditur res quidem Dei et munus eius esse caritas, non tamen semper ab hominibus ad ea, quae Dei sunt et quae Deus uult, opus eius adsumi. 39. Sed et hoc scire oportet, quod impossibile est, ut non semper humana natura aliquid amet. Omnis namque, qui ad id aetatis uenerit, quam pubertatem uocant, amat aliquid seu minus recte, cum amat, quae non oportet, seu recte et utiliter, cum amat, quae oportet. Verum nonnulli hunc amoris affectum, qui animae rationabili insitus est beneficio conditoris, aut ad amorem pecuniae trahunt et auaritiae studium aut erga gloriam captandam et fiunt inanis gloriae cupidi aut erga scorta sectanda et inueniuntur impudicitiae libidinisque captiui aut ad alia his similia uirtutem tanti boni huius effundunt. 40. Sed et cum erga diuersas artes amor iste ducitur, quae manu ministrantur, aut per studia praesenti uitae solum necessaria, ut uerbi gratia dixerim, erga artem palaestricam uel cursus exercitia aut etiam erga geometricam uel musicam uel arithmeticam confertur atque ad alias huiuscemodi disciplinas, nec sic quidem uidetur mihi usus eius probabiliter sumi. Si enim, quod bonum est, hoc et probabile est, bonum autem proprie non erga usus corporeos, sed in Deo primum et in uirtutibus animi intelligitur, consequenter ergo solus ille amor probabilis est, qui Deo et uirtutibus animi coaptatur. 41. Et hoc ita se habere definitione ipsius Saluatoris ostenditur, ubi interrogatus a quodam, quod esset mandatum maius omnium et primum in lege, b respondit: „Diliges Dominum Deum tuum ex toto corde tuo et ex tota anima tua, et ex totis uiribus tuis; c secundum uero simile est illi: Diliges a

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52 Diese Formulierung erinnert nicht zufällig an die augustinische Unterscheidung zwischen uti und frui: doctr. christ. I 20 (CChr.SL 32, 16f.), hat diese doch schon einen platonischen Hintergrund, den beide, Origenes und Augustinus, teilen; vgl. Lorenz, Frui Deo (mit Hinweisen auf Origenes-Stellen ebd. 57). Allerdings verwendet Origenes nicht die terminologische Antithese zwischen „genießen“ und „gebrauchen“, sondern die zwischen „lieben“ und „gebrauchen“. Dass diese Terminologie inhaltlich mit der augustinischen Vorstellung identisch ist, kann Augustinus, civ. VIII 8 (I p. 333 Dombart/Kalb), zeigen, wo er die Überlegungen über das höchste Gut so abschließt: „Wenn also jemand genießt (frui), was er liebt (amare), und zugleich das wahre und höchste Gut liebt, könnte ihm nur der Unseligste die Glückseligkeit absprechen. Platon aber sagt, das wahre und höchste Gut sei Gott, und will darum, dass der Philosoph Liebhaber (amator) Gottes sei. Dann werde er, da Philosophie nach glückseligem Leben trachte, im Genusse Gottes (fruens Deo), den er liebt (amare), auch glückselig sein.“ Übersetzung: I p. 386 Thimme.

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der Liebe, sondern zum Gebrauch gegeben.52 38. Dies haben wir aber etwas breiter dargelegt, weil wir in Bezug auf die Natur der Liebe und des Eros klarere und genauere Unterscheidungen treffen wollten, damit man nicht etwa, nur weil die Schrift sagt: „Ja, Gott ist die Liebe“,a glaubt, dass bei allem, was geliebt wird, auch wenn es vergänglich ist, die Liebe und die Zuneigung aus Gott stammt. Doch zeigt sich, dass die Liebe zwar eine Sache Gottes und seine Gabe ist, ihre Ausübung aber von den Menschen nicht immer auf die Dinge gerichtet wird, die zu Gott gehören und die Gott will. 39. Doch auch dies muss man wissen, dass die menschliche Natur notwendigerweise immer etwas liebt. Denn jeder Mensch, der in das Alter gekommen ist, das man die Pubertät nennt, liebt etwas – sei es weniger recht, wenn er liebt, was sich nicht gehört, oder sei es recht und nützlich, wenn er liebt, was sich gehört.53 Aber einige verwenden diese Regung der Liebe, die durch die Wohltat des Schöpfers der vernunftbegabten Seele eingepflanzt ist, entweder auf die Gier nach Geld und den Eifer der Habsucht oder auf die Jagd nach Ruhm, und sie werden begierig auf eitle Ehre, oder darauf, Huren nachzustellen, und man findet sie in den Fängen von Unzucht und Geilheit, oder sie verschwenden die Kraft dieses so großen Gutes an andere Dinge dieser Art.54 40. Doch auch wenn diese Liebe auf verschiedene Künste gelenkt wird, die mit der Hand oder durch Betätigungen, die allein für das gegenwärtige Leben notwendig sind, ausgeübt werden, zum Beispiel wenn sie auf die Kunst des Ringkampfes oder auf das Lauftraining oder auch auf die Geometrie oder die Musik oder die Arithmetik gerichtet wird und noch auf andere Disziplinen dieser Art, scheint mir auch eine solche Anwendung dieser Liebe kein Lob zu verdienen. Wenn nämlich das, was gut ist, auch lobenswert ist, das Gute im eigentlichen Sinne aber nicht auf körperliche Aktivitäten zu beziehen ist, sondern zuerst in Gott und in den Tugenden der Seele liegt, dann ist folglich allein jene Liebe lobenswert, die auf Gott und die Tugenden der Seele bezogen ist.55 41. Und dass sich dies so verhält, zeigt sich in einer Bestimmung des Erlösers selbst, wo er, von jemandem danach gefragt, was das größte und erste von allen Geboten im Gesetz sei,b antwortete: „Du sollst den Herrn, deinen Gott aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und mit allen deinen Kräften lieben;c das zweite aber ist diesem gleich: Du sollst deinen Nächsten 53 Siehe dazu auch in Cant. comm. III 7,2f. 54 Im Römerbriefkommentar erklärt Origenes zu Röm. 7,8 die Begierde so, wie er hier die fehlorientierte Liebe erläutert, in Rom. frg. 38 Ramsbotham: „Es ist von der Begierde die Rede, die als irrationales Verlangen entsteht, wenn ein Mensch immer mehr zu etwas gedrängt wird, das außerhalb der sinnvollen Überlegung steht. Die Lust am Leben erregt diese Begierde; wir erstreben dann das mittlere und wertneutrale Leben als etwas Gutes. Als Ziel haben wir Reichtum, Ehre, Frauen und die übrigen Begierden vor Augen.“ Übersetzung: Heither, FC 2/6, 199–201. 55 Zu dieser Verbindung von Tugendliebe und Gottesliebe siehe oben S. 82 Anm. 50.

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proximum tuum sicut te ipsum“ a et adiecit: „In his duobus praeceptis omnis lex pendet et prophetae“ b ostendens erga haec duo iustum amorem legitimumque constare atque in his uniuersam legem prophetasque pendere. 42. Sed et quod ait: „Non adulterabis, non occides, non furtum facies, non falsum testimonium dices“ c et si quod est aliud mandatum, in hoc uerbo restauratur, in quo ait: „Diliges proximum tuum sicut te ipsum“. d 43. Quod hoc modo facilius explanabitur. Ponamus, uerbi causa, mulierem amore uiri alicuius ardentem cupientemque in consortium eius adscisci, nonne omnia ita aget et omnes motus suos ita temperabit, ut scit illi placere, quem diligit, ne forte, si in aliquo contra uoluntatem illius egerit, consortia eius uir ille optimus refutet ac spernat? Poteritne haec mulier, quae erga amorem uiri illius toto corde, tota anima, totisque uiribus feruet, aut adulterium committere, quae eum nouerit amare pudicitiam, aut homicidium, quae eum nouerit mitem, aut furtum, quae ei sciat liberalitatem placere, aut concupiscet aliena, quae omnes suas concupiscentias erga amorem uiri illius habeat occupatas? Sic ergo in caritatis perfectione et omne mandatum restaurari dicitur e et legis uirtus prophetarumque pendere. f 44. Propter istud caritatis uel amoris bonum sancti nec in tribulatione angustantur nec aporiati exaporiantur nec deiecti pereunt, g sed quod in praesenti est momentaneum et leue tribulationis eorum, supra modum aeternum gloriae pondus operatur illis. h Non enim omnibus, sed Paulo et his, qui ei similes sunt, praesens haec momentaria ac leuis dicitur tribulatio, quia perfectam caritatem Dei in Christo Iesu habent per Spiritum Sanctum in corde suo diffusam. i 45. Sic denique et Iacob patriarcham amor Rachel per septem continuos annos in laboribus positum j diurni aestus et nocturni frigoris ustionem sentire non siuit. Sic ipsum Paulum ui amoris huius incensum audio dicentem: „Caritas omnia patitur, omnia credit, omnia sperat, omnia tolerat, caritas numquam cadit.“ k Nihil ergo est, quod non toleret, qui perfecte diligit. Plura autem non toleramus, certum quod ob hoc, quia caritatem, quae omnia tolerat, non habemus. Et si non ferimus aliqua patienter, idcirco, quod caritas nobis, quae omnia patitur, deest. In luctamine quoque eo, quod est nobis aduersus diabolum, frequenter cadimus, non dubium, quin ob hoc, quod non est in nobis caritas illa, quae numquam cadit. 46. Hunc ergo amorem loquitur praesens scriptura, quo erga Verbum Dei anima beata uritur et inflammatur b c d e Mt. 22,39 (Lev. 19,18) Mt. 22,40 Mt. 19,18 Röm. 13,9 Röm. 13,9 g h i j Mt. 22,40 2 Kor. 4,8f. 2 Kor. 4,17 Röm. 5,5 Gen. 29,18–20 k 1 Kor. 13,7f. a f

56 Im Voraufgehenden ist durchweg von amor die Rede, während Rufinus hier caritas uel amor schreibt, womit er wohl aÆgaÂph und eÍrvw wiedergibt; in der Sache ergibt diese Terminologie keinen Unterschied. Siehe oben S. 72 Anm. 34.

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lieben wie dich selbst“;a und er fügte hinzu: „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“b Damit zeigte er, dass sich die rechte und erlaubte Liebe auf diese beiden richtet und daran das gesamte Gesetz und die Propheten hängen. 42. Doch auch seine Aussage: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst keinen Diebstahl begehen, du sollst kein falsches Zeugnis geben“c und was für ein Gebot es sonst noch geben mag, wird in diesem Wort zusammengefasst, worin er spricht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.d 43. Dies wird auf folgende Weise einfacher zu erklären sein. Nehmen wir zum Beispiel eine Frau, die in Liebe zu einem Mann entflammt ist und sich danach sehnt, mit ihm verbunden zu werden: Wird sie nicht in allen Dingen so handeln und alle ihre Bewegungen so einrichten, wie sie weiß, dass es dem, den sie liebt, gefällt, damit dieser außergewöhnliche Mann nicht etwa, falls sie etwas gegen seinen Willen tun sollte, ihre Begleitung ablehnt und verschmäht? Könnte diese Frau, die mit ganzem Herzen, ganzer Seele und allen Kräften in Liebe zu diesem Mann brennt, Ehebruch begehen, wenn sie weiß, dass er Keuschheit liebt, oder einen Mord, wenn sie ihn als friedfertigen Mann kennt, oder einen Diebstahl, wenn sie weiß, dass ihm Freigebigkeit gefällt, oder wird sie fremde Dinge begehren, wo sie doch all ihr Verlangen auf die Liebe zu diesem Mann gerichtet hat? In diesem Sinne also heißt es, dass in der Vollkommenheit der Liebe das ganze Gebot zusammengefasst iste und die Kraft des Gesetzes und der Propheten daran hängt.f 44. Aufgrund dieses Gutes der Liebe beziehungsweise des Eros56 werden die Heiligen in der Bedrängnis nicht geängstigt, noch verzweifeln sie, wenn sie in Schwierigkeiten sind, noch gehen sie zugrunde, wenn sie unterdrückt werden,g sondern die gegenwärtige Last ihrer Bedrängnis, die vorübergehend und leicht ist, schafft ihnen ein über alle Maßen gehendes ewiges Maß an Herrlichkeit.h Denn nicht für alle, sondern für Paulus und für Leute, die ihm gleichkommen, wird diese gegenwärtige Bedrängnis vorübergehend und leicht genannt, da sie die vollkommene Liebe Gottes in Christus Jesus durch den Heiligen Geist in ihrem Herzen ausgegossen haben.i 45. So hat ja auch die Liebe zu Rahel den Patriarchen Jakob während der sieben ununterbrochenen Jahre seiner Mühenj das Brennen der Hitze des Tages und der Kälte der Nacht nicht spüren lassen. So höre ich sogar Paulus von der Kraft dieser Liebe entflammt sagen: „Die Liebe erleidet alles, glaubt alles, hofft alles, erträgt alles, die Liebe kommt nie zu Fall.“k Es gibt also nichts, was der nicht erträgt, der vollkommen liebt. Vieles aber ertragen wir sicherlich deshalb nicht, weil wir die Liebe, die alles erträgt, nicht haben. Und wenn wir etwas nicht geduldig ertragen, dann deshalb, weil uns die Liebe, die alles erleidet, fehlt. Auch in jenem Ringen, das wir mit dem Teufel austragen, kommen wir oft zu Fall, ohne Zweifel deshalb, weil jene Liebe nicht in uns ist, die nie zu Fall kommt. 46. Von dieser Liebe also spricht die vorliegende Schrift, in der die selige Seele für das Wort Gottes brennt und entflammt ist und

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et istud epithalamii carmen per Spiritum canit, quo ecclesia sponso caelesti Christo coniungitur ac sociatur desiderans misceri ei per Verbum, ut concipiat ex eo et saluari possit per hanc castam filiorum generationem, cum permanserint in fide et sanctitate cum sobrietate a utpote concepti ex semine quidem Verbi Dei, editi uero genitique uel ab immaculata ecclesia b uel ab anima nihil corporeum, nihil materiale requirente, sed solo Verbi Dei amore flagrante. 47. Haec interim nobis ad praesens de amore uel caritate, quae in epithalamio hoc Cantici Canticorum refertur, occurrere potuerunt. Sed sciendum est tam multa esse, quae dici debeant de caritate hac, quanta et de Deo, siquidem ipse est caritas. c Sicut enim nemo nouit Patrem nisi Filius et cui uoluerit Filius reuelare, d ita nemo nouit caritatem nisi Filius. Similiter autem etiam ipsum Filium, quoniam et ipse caritas est, nemo scit nisi Pater. 48. Etiam secundum hoc, quod caritas dicitur, solus autem Sanctus Spiritus est, qui ex Patre procedit, et ideo scit, quae in Deo sunt, sicut spiritus hominis scit, quae in homine sunt. e Hic ergo paracletus, spiritus ueritatis, qui de Patre procedit, f circuit quaerens, si quas inueniat dignas g et capaces animas, quibus reuelet magnitudinem caritatis huius, quae ex Deo est. h Nunc ergo iam ipsum Deum Patrem, qui caritas est, i inuocantes per eam, quae ex ipso est, caritatem, etiam ad reliqua discutienda ueniamus.

3,1. Et temptemus primum de eo requirere, quid illud sit, quod, cum tria uolumina ecclesiae Dei a Solomone scripta susceperint, primus ex ipsis Prouerbiorum liber positus sit, secundus is, qui Ecclesiastes appellatur, tertio uero in loco Cantici Canticorum uolumen habeatur. Quae ergo nobis oca g

1 Tim. 2,15 Weish. 6,16

b

Eph. 5,27 h 1 Joh. 4,7

c

1 Joh. 4,8 d Mt. 11,27 i 1 Joh. 4,8

e

1 Kor. 2,11

f

Joh. 15,26

57 Die Idee, dass die Seele vom Wort ,empfängt‘ und die Tugenden und gute Werke ,gebiert‘, geht schon auf Platon, symp. 212a, Philon, leg. all. III 180f. 219 (I p. 153. 162 Cohn/Wendland); Cher. 42–52 (I p. 180–183 Cohn/Wendland); vit. cont. 68 (VI p. 64 Cohn/Wendland), und Clemens von Alexandria, strom. III 84,3

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dieses Hochzeitslied durch den Geist singt, durch den die Kirche mit dem himmlischen Bräutigam Christus innigst verbunden wird in der Sehnsucht, mit ihm durch das Wort vereinigt zu werden, um von ihm zu empfangen und durch die unbefleckte Zeugung von Söhnen gerettet werden zu können, wenn sie im Glauben und in Heiligkeit und Nüchternheit verharren.a Denn aus dem Samen des Wortes Gottes wurden sie empfangen, geboren hingegen und zur Welt gebracht werden sie entweder von der unbefleckten Kircheb oder von der Seele, die nichts Körperliches, nichts Materielles verlangt, sondern allein in Liebe zum Wort Gottes brennt.57 47. Diese Dinge vermochten uns momentan einstweilen über den Eros beziehungsweise die Liebe, die in diesem Hochzeitsgesang des Liedes der Lieder Thema ist, in den Sinn zu kommen. Doch muss man wissen, dass es so viele Dinge gibt, die man über diese Liebe zu sagen hätte, wie über Gott, weil er ja selbst die Liebe ist.c Wie nämlich niemand den Vater kennt außer dem Sohn und dem, dem es der Sohn offenbaren wollte,d so kennt niemand die Liebe außer dem Sohn. Gleichermaßen aber kennt auch den Sohn, da er selbst ebenfalls die Liebe ist, niemand außer dem Vater. 48. Insofern auch er Liebe genannt wird, ist es aber allein der Heilige Geist, der aus dem Vater hervorgeht, und deshalb kennt er, was in Gott ist, wie der Geist des Menschen kennt, was im Menschen ist.e Dieser Paraklet also, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht,f geht umher und sucht, ob er würdigeg und aufnahmefähige Seelen findet, denen er die Größe dieser Liebe offenbaren kann, die aus Gott ist.h Nun also wollen wir, indem wir Gott den Vater selbst, der die Liebe ist,i durch die Liebe, die aus ihm selbst stammt, anrufen, zur Erörterung auch der übrigen Themen übergehen. 3. Die Stellung des Hohelieds unter den Büchern Salomos: Die mystische Theologie als Höhepunkt der christlichen Philosophie

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3,1. Und zuerst wollen wir herauszufinden versuchen, weshalb, da die Kirchen Gottes drei Bücher als von Salomo geschrieben anerkannt haben, von diesen das Buch der Sprichwörter an die erste Stelle gesetzt worden ist, an die zweite jenes, das Prediger genannt wird, an dritter Stelle aber der Band mit dem Lied der Lieder steht. Was uns also dazu in den Sinn zu (GCS Clem. Al. 24, 235), zurück: Crouzel, Mariage mystique 46. Diese mystische Hochzeit ist eines der großen spirituellen Themen des Origenes, das er besonders bei der Auslegung des Hoheliedes entfaltet und wofür er hier im Prolog eine Zusammenfassung gibt. Vgl. in Gen. hom. 10,2.3 (GCS Orig. 6, 95. 96): Die Seele vermählt sich mit Christus; in Ex. hom. 10,3 (GCS Orig. 6, 248); 13,3 (6, 272f.); in Num. hom. 20,2 (GCS Orig. 7, 188f.): Sie empfängt das Wort Gottes und gebiert gute Werke. Siehe dazu Crouzel, ebd. 47–56.

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currere possunt in hoc loco, ista sunt. Generales disciplinae, quibus ad rerum scientiam peruenitur, tres sunt, quas Graeci ethicam, physicam, epopticen appellarunt; has nos dicere possumus moralem, naturalem, inspectiuam. Nonnulli sane apud Graecos etiam logicen, quam nos rationalem possumus dicere, quarto in numero posuere. 2. Alii non extrinsecus eam, sed per has tres, quas supra memorauimus, disciplinas innexam consertamque per omne corpus esse dixerunt. Est enim logice haec uel, ut nos dicimus, rationalis, quae uerborum dictorumque uidetur continere rationes proprietatesque et improprietates, generaque et species, et figuras singulorum quorumque edocere dictorum, quam utique disciplinam non tam separari quam inseri ceteris conuenit et intexi. 3. Moralis autem dicitur, per quam mos uiuendi honestus aptatur et instituta ad uirtutem tendentia praeparantur. Naturalis dicitur, ubi uniuscuiusque rei natura discutitur, quo nihil contra naturam geratur in uita, sed unumquodque his usibus deputetur, in quos a creatore productum est. Inspectiua dicitur, qua supergressi uisibilia de diuinis aliquid et caelestibus contemplamur eaque mente sola intuemur, quoniam corporeum supergrediuntur adspectum.

58 Während Baehrens, GCS Orig. 8, 75.8, noch die Lesart enopticen aus der Handschriftengruppe D in den Text setzte, hat Kirchmeyer, Orige`ne, die Lesart epopticen aus der Handschriftengruppe A als die richtige erwiesen (die Gruppe C bietet, sachlich zutreffend, theoricen, wofür Delarue optierte). Diese Textfassung wurde von der Forschung allgemein akzeptiert und von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 128, in den Text genommen (vgl. deren Hinweise dazu ebd. 128 Anm. 1). Der Begriff entstammt der Sprache der Initiation in die griechischen Mysterien (vgl. Platon, symp. 210a; Phaidr. 250c; epist. 7, 333e; Plutarch, Dem. 26,1; Alc. 22,4) und wird von Clemens von Alexandria in die christliche Terminologie eingeführt, um die höchste Form der Schau Gottes zu bezeichnen: strom. II 47,4 (GCS Clem. Al. 24, 138); weitere Stellenhinweise bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 755. Origenes, Cels. III 37 (GCS Orig. 1, 234) und VII 10 (2, 162), verwendet das Wort im Zusammenhang mit mystischen Einsichten; vgl. auch in Luc. frg. 218 (GCS Orig. 92, 321). Zu seiner Verwendung als Bezeichnung für die dritte Disziplin der Philosophie siehe unten Anm. 61. 59 D.h. die Lateiner, für die Rufinus die griechischen Begriffe übersetzt. 60 Die Gliederung des einführenden Abschnitts, in dem Origenes die Disziplinen der griechischen Philosophie vorstellt, in drei Paragraphen bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 128–130, ist nicht ganz glücklich. Der Abschnitt besteht aus zwei Teilen: Im ersten, der erst mit dem folgenden Satz endet, benennt Origenes die Dreiteilung bzw. je nachdem, wie die Logik eingestuft wird, die Vierteilung, im zweiten, der mit est enim logice einsetzt, gibt er eine kurze Definition der Logik – in der zugleich begründet wird, weshalb manche Philosophen sie nicht als eigenständige vierte Disziplin betrachten, wodurch die beiden Teile des Abschnitts miteinander verknüpft sind –, der Ethik, der Physik und der Epoptik, ehe mit haec ergo ein neuer Gedankengang einsetzt. 61 Die klassische Dreiteilung der philosophischen Disziplinen in Ethik, Physik und Logik geht auf Xenokrates, frg. 1 Heinze, den dritten Leiter der platonischen Aka-

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kommen vermag, ist Folgendes. Es gibt drei allgemeine Disziplinen, durch die man zur Erkenntnis der Wirklichkeit gelangt. Die Griechen haben sie die ethische, die physikalische und die epoptische58 genannt, wir59 können sie die moralische, die natürliche und die betrachtende nennen. Allerdings haben einige bei den Griechen noch die logische, die wir die rationale nennen können, an die vierte Stelle gesetzt. 2.60 Andere haben dafür votiert, dass diese nicht separat für sich steht, sondern mit diesen drei Disziplinen, die wir oben erwähnt haben, verknüpft und in sie insgesamt integriert ist.61 Es ist nämlich diese logische oder, wie wir sagen, rationale Disziplin, die offenbar die Bedeutungen der Begriffe und Aussagen, ihre eigentlichen und uneigentlichen Verwendungen, ihre Gattungen und Arten behandelt und die verschiedenen Formen der jeweiligen Aussagen lehrt, weshalb es dieser Disziplin entspricht, nicht so sehr von den anderen getrennt als vielmehr in sie eingeflochten und integriert zu werden. 3. Als moralische wird aber jene Disziplin bezeichnet, durch welche die Lebensweise ehrenhaft gestaltet und die ethischen Einstellungen und Verhaltensweisen so geformt werden, dass sie auf die Tugend ausgerichtet sind. Die natürliche wird die Disziplin genannt, in der die Natur eines jeden Gegenstands erforscht wird, damit nichts im Leben gegen die Natur geschieht, sondern jeder Gegenstand zu dem Gebrauch bestimmt wird, zu dem er vom Schöpfer hervorgebracht worden ist. Betrachtend wird die Disziplin genannt, durch die wir, indem wir die sichtbaren Dinge überschreiten, etwas von den göttlichen und himmlischen Dingen betrachten und sie allein mit dem Geist anschauen, da sie die körperliche Anschauung überschreiten.

demie, zurück und wurde von den Stoikern popularisiert; vgl. Seneca, epist. 89,9, der ebd. 89,9–13 weitere Einteilungen erörtert. Während die Stoiker der Logik als Wissenschaft vom Reden und Diskutieren explizit einen eigenständigen Rang neben Ethik und Physik zuwiesen (vgl. etwa SVF II 35. 38), betrachtete Aristoteles sie unter dem Begriff ,Dialektik‘ als für alle Teile der Philosophie relevante Argumentationstechnik, was zu einer anhaltenden Diskussion über den Status der Logik als Teil oder Werkzeug der Philosophie führte. In der römischen Kaiserzeit folgten die Handbücher der platonischen Philosophie weitgehend der stoischen Einteilung, aufgenommen von Origenes, in Gen. hom. 14,3 (GCS Orig. 6, 124); vgl. auch Eusebius, praep. ev. XI 1,1 (GCS Eus. 8/2, 6). Schon für die Stoiker ist allerdings auch eine Erweiterung dieser Trias um ein viertes Stück namens Theologie bezeugt (SVF II 42). Nachdem Plutarch, Is. 77, 382D, behauptet hatte, Platon und Aristoteles hätten den zentralen Teil der Philosophie ,Epoptik‘ genannt, und die platonische Dialektik – womit Platon die Erörterung der Seinsprinzipien bezeichnet hatte – mit der aristotelischen Metaphysik und Theologie gleichgesetzt hatte, setzte sich in der platonischen Philosophie die Einteilung in Physik, Ethik und ,Epoptik‘, ,Schau‘, durch, die Origenes hier aufgreift, ebenso in Lam. frg. 14 (GCS Orig. 32, 241), wo er das dritte Glied als ,Mystik‘ bezeichnet. Siehe zu dieser Entwicklung Hadot, Les divisions des parties de la philosophie; ders.; Art. Philosophie; ferner Neuschäfer, Origenes als Philologe 80–82; Skeb, Exegese und Lebensform 230f.

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4. Haec ergo, ut mihi uidetur, sapientes quique Graecorum sumpta a Solomone, utpote qui aetate et tempore longe ante ipsos prior ea per Dei Spiritum didicisset, tamquam propria inuenta protulerunt et institutionum suarum uoluminibus comprehensa posteris quoque tradenda reliquere. Sed haec, ut diximus, Solomon ante omnes inuenit et docuit per sapientiam, quam accepit a Deo, sicut scriptum est: „Et dedit Deus prudentiam Solomoni et sapientiam multam ualde et latitudinem cordis sicut arenam, quae est ad oram maris. Et multiplicata est in eo sapientia super omnes antiquos filios hominum et super omnes sapientes Aegypti.“ a 5. Solomon ergo tres istas, quas supra diximus generales esse disciplinas, id est moralem, naturalem, inspectiuam, distinguere ab inuicem ac secernere uolens tribus eas libellis edidit suo quoque ordine singulis consequenter aptatis. 6. Primo ergo in Prouerbiis moralem docuit locum succinctis, ut decuit, breuibusque sententiis uitae instituta componens. Secundum uero, qui naturalis appellatur, comprehendit in Ecclesiaste, in quo multa de rebus naturalibus disserens et inania ac uana ab utilibus necessariisque secernens relinquendum uanitatem monet et utilia rectaque sectanda. 7. Inspectiuum quoque locum in hoc libello tradidit, qui habetur in manibus, id est in Cantico Canticorum, in quo amorem caelestium diuinorumque desiderium incutit animae sub specie sponsae ac sponsi, caritatis et amoris uiis perueniendum docens ad consortium Dei. a

1 Kön. 5,9f. LXX; 4,29f. Vulg.

62 Origenes greift – wiederholt in Cant. comm. II 5,2 – die traditionelle Vorstellung vom Diebstahl der Hellenen auf, nach der die griechischen Philosophen und Weisen ihre Lehren aus der alttestamentlichen Überlieferung des Mose und der Propheten übernommen und als eigene Erkenntnisse ausgegeben hätten. Im Zusammenhang mit dem an sich aus der griechisch-römischen Antike stammenden Altersbeweis, der zeigen soll, dass die alttestamentliche und damit auch die darauf aufbauende christliche Botschaft älter ist als die gesamte pagane Weisheit, wurde diese Gedankenfigur zuerst von der jüdischen und dann von der christlichen Apologetik jahrhundertelang vertreten. Vgl. beispielsweise Josephus, Apion. II 168. 257 (gr. Text: II p. 177. 185 Siegert; dt. Übersetzung: I p. 190. 209); Justin, apol. I 44,8–10 (SC 507, 244); 59,1 (507, 282); 60,1 (507, 284); Tatian, orat. ad Graec. 31,1 (PTS 43, 57); Theophilos, Autol. III 16–30 (PTS 44, 116–137); Clemens von Alexandria, strom. V 89,1–141,3 (GCS Clem. Al. 24, 384–421); Tertullian, apol. 47,1–4 (CChr.SL 1, 163). Diese und weitere Stellen bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 755f.; ferner dazu für die diesbezügliche antike, frühjüdische und frühchristliche Tradition vor Origenes: Pilhofer, Altersbeweis. Während die chronologische Priorität von Mose und Salomo gegenüber den griechischen Philosophen richtig ist, ist die Behauptung der inhaltlichen Abhängigkeit letzterer falsch. Sie verfolgt den Zweck, die griechisch-römische Kultur der Kaiserzeit mit ihrem literarischen Erbe und ihrer philosophischen Bildung in die auf der Basis der Bibel entstehende christliche Kultur zu integrieren und, wie Origenes dies im vorliegenden Kapitel seines Prologs zum Hoheliedkom-

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4. Dies also haben, wie mir scheint, alle Weisen der Griechen von Salomo übernommen, der ja dem Alter und der Zeit nach lange vor ihnen diese Dinge als erster durch den Geist Gottes gelernt hatte, es aber gleichwohl als eigene Entdeckungen ausgegeben und in den Büchern ihrer Unterweisungen auch den späteren Generationen als Überlieferung hinterlassen.62 Doch hat dies, wie wir gesagt haben, Salomo vor allen entdeckt und durch die Weisheit, die er von Gott empfing, gelehrt, wie geschrieben steht: „Und Gott gab Salomo Klugheit und sehr viel Weisheit und eine Weite des Herzens wie der Sand am Ufer des Meeres. Und die Weisheit in ihm überragte um ein Vielfaches alle früheren Menschenkinder und alle Weisen Ägyptens.“a 5. Weil Salomo also diese drei von uns oben erwähnten allgemeinen Disziplinen, nämlich die moralische, die natürliche und die betrachtende, voneinander unterscheiden und abgrenzen wollte, gab er sie in drei Büchern heraus, wobei jedes einzelne logisch konsequent seinen angemessenen Platz erhielt.63 6. Zuerst also lehrte er in den Sprichwörtern das moralische Teilstück, indem er in knappen und kurzen Sätzen, wie es angemessen war, Lebensregeln zusammenstellte. Das zweite aber, die Naturlehre, fasste er im Buch Prediger zusammen. Indem er darin vieles über die Naturdinge erörtert und unwichtige und nichtige von nützlichen und notwendigen Dingen unterscheidet, mahnt er dazu, die Nichtigkeit hinter sich zu lassen und das Nützliche und Rechte zu verfolgen. 7. Das betrachtende Teilstück hat er dann im vorliegenden Büchlein überliefert, das heißt im Lied der Lieder. Darin flößt er der Seele unter dem Bild der Braut und des Bräutigams die Liebe zu den himmlischen und die Sehnsucht nach den göttlichen Dingen ein, indem er lehrt, auf den Wegen der Liebe und des Eros64 zur Gemeinschaft mit Gott zu gelangen. mentar prononciert unternimmt, die wesentliche Konkordanz beider Wissenskulturen zu behaupten. Vgl. dazu Young, Biblical Exegesis 51; Fürst, Studien 99. 63 Clemens von Alexandria, strom. I 176,1–3 (GCS Clem. Al. 24, 108), korrelierte als erster die dreigeteilte Philosophie mit den verschiedenen Teilen des Alten Testaments. Davon inspiriert (so Skeb, Exegese und Lebensform 235f. 237), wie sel. in Ps. 76,21 (III p. 109 Pitra) zeigt (vgl. Kobusch, Christliche Philosophie 173 Anm. 4), oder im gemeinsamen Rückgriff auf die philosophische Tradition (so Kirchmeyer, Orige`ne 234f.) parallelisierte Origenes die drei Bücher Salomos, Sprichwörter, Kohelet und Hoheslied, mit den philosophischen Disziplinen Ethik, Physik und ,Epoptik‘. Davon ausgehend konzipierte er eine umfassende Analogie zwischen der Bibel und der Philosophie und schuf auf diese Weise ein wissenschaftstheoretisches Konzept (anders Skeb, ebd. 237–244, der die strukturelle Parallelisierung von Bibel und Philosophie lediglich apologetisch motiviert sieht) als hermeneutische Basis für die Exegese. Näheres dazu bei Kobusch, Christliche Philosophie 26–63; Fürst, Studien 95–100; ders., Exegesis and Philosophy 25–29; ferner Harl, Les trois livres de Salomon 250–254; zur Wirkungsgeschichte dieses Schemas bis ins Mittelalter: Leanza, La classificazione dei libri salomonici. 64 Zur Synonymität von caritas und amor bei Origenes siehe oben S. 72 Anm. 34.

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8. Haec uero eum uerae philosophiae fundamenta ponentem et ordinem disciplinarum institutionumque condentem quod non latuerit neque ab eo abiectus sit etiam rationalis locus, euidenter ostendit in principio statim Prouerbiorum suorum, primo omnium per hoc ipsum quod Prouerbia attitulauit libellum suum, quod utique nomen significat aliud quidem palam dici, aliud uero intrinsecus indicari. Hoc enim et communis usus prouerbiorum docet et Iohannes in euangelio Saluatorem ita scribit dicentem: „Haec in prouerbiis locutus sum uobis; ueniet hora, cum iam non in prouerbiis loquar uobis, sed manifeste de patre adnuntiem uobis.“ a Haec interim in ipsa tituli inscriptione. 9. In sequenti uero statim subiungit discretia

Joh. 16,25

65 Schon Justin, dial. 8,1 (PTS 47, 84), hat die christliche Lehre als „die einzig sichere und hilfreiche Philosophie“ bezeichnet und sich in seinem Werk bemüht, die Überlegenheit der christlichen Philosophie gegenüber der „menschlichen Philosophie“ zu erweisen: II apol. 15,3 (SC 507, 366). Der Begriff aÆlhuhÁw filosofiÂa taucht zum ersten Mal bei Clemens von Alexandria, strom. I 21,2 (GCS Clem. Al. 24, 14) und V 141,4 (23, 421), als Bezeichnung der christlichen Lehre auf. Vgl. dazu Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 756f. Origenes, in Gen. hom. 11,2 (GCS Orig. 6, 103), spricht von der „wahren Philosophie Christi“, in Cant. comm. prol. 3,14.17.20 ist von der „göttlichen Philosophie“ die Rede. 66 In der antiken Philosophie wurden ihre Teile offenbar aus didaktischen Gründen in eine Reihenfolge gebracht (SVF II 42; III 68 von Chrysipp). In der christlichen Philosophie fungierte die Abfolge der Disziplinen Ethik, Physik und ,Epoptik‘ als Programm ethischer, intellektueller und spiritueller Erziehung. In diesem Sinne haben Gregor von Nyssa und Hieronymus diesen Gedanken des Origenes aufgegriffen und explizit pädagogisch ausgebaut. Vgl. Gregor von Nyssa, in Cant. hom. 1 (GNO 6, 17–23), dazu Harl, Les trois livres de Salomon 256–258, ferner Dünzl, Braut und Bräutigam 228–230, der jedoch fälschlich einen Gegensatz zwischen Stadien philosophischer Bildung bei Origenes und einer pädagogischen Perspektive bei Gregor konstruiert. Hieronymus, comm. in Eccl. 1,1 (CChr.SL 72, 250f.), referiert das philosophische Erziehungsprogramm in Ethik, Physik und Theologie und schließt daran das christliche Programm der salomonischen Schriften an: „In den Sprichwörtern belehrt er (sc. Salomo) das kleine Kind und erzieht es sozusagen mit Hilfe von Merksätzen über die Pflichten, weshalb er das Wort häufig und wiederholt auch an den Sohn richtet. In Kohelet hingegen unterweist er den Mann reifen Alters, nichts in den Dingen der Welt für dauerhaft zu halten, sondern alles, was wir sehen, für hinfällig und kurzlebig. Zuletzt vereinigt er den bereits vollendeten und durch Verachtung der Welt vorbereiteten Mann im Hohelied mit den Umarmungen des Bräutigams. Denn wenn wir nicht zuvor die Laster hinter uns gelassen und uns dadurch, dass wir uns dem Pomp der Welt verweigern, ungehindert auf die Ankunft Christi vorbereitet haben, können wir nicht sagen: ,Er küsse mich mit einem Kuss seines Mundes‘ (Hld. 1,2).“ Angesichts der generell sehr hohen Abhängigkeit des Koheletkommentars des Hieronymus von Origenes dürften diese Ausführungen, die durch und durch origeneisch sind, auf den Alexandriner zurückgehen. Näheres dazu bei Fürst, Anthropokosmismus des Origenes 43–45. 64–85. 67 Origenes fasst Logik hier und im Folgenden (in Cant. comm. prol. 3,8–13), wenn er

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Vorwort 3,8–9

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8. Dass er aber, als er damit die Fundamente der wahren Philosophie65 legte und die Reihenfolge der Disziplinen und Unterweisungen begründete,66 auch das logische Teilstück weder weggelassen noch verworfen hat, zeigt er ganz deutlich gleich zu Beginn seiner Sprichwörter, zuerst vor allem durch die Tatsache selbst, dass er sein Buch als Sprichwörter betitelte, weil dieses Wort darauf hinweist, dass zwar etwas offen ausgesprochen, damit aber zugleich etwas anderes innerlich angezeigt wird.67 Dies lehrt nämlich schon der allgemeine Gebrauch von Sprichwörtern, und so schreibt auch Johannes im Evangelium, der Erlöser habe gesagt: „Dies habe ich euch in Sprichwörtern gesagt; es wird die Stunde kommen, da ich nicht mehr in Sprichwörtern zu euch spreche, sondern euch offen über den Vater verkünde.“a Dies einstweilen über die Titelüberschrift. 9. Im Folgenden68 hindarunter die Semantik der Begriffe und die verschiedenen Redeformen der Bibel (Parabel bzw. Gleichnis, Rätselreden, dunkle Ausdrücke und Aussprüche) subsumiert, vor allem als Sprachtheorie und Linguistik: Hadot, Einteilung der Philosophie 439f.; Harl, Les trois livres de Salomon 252 Anm. 17; Martens, Origen and Scripture 79. Somos, Logic and Argumentation 20–24, weist allerdings darauf hin, dass sich sein Verständnis von Logik darin nicht erschöpft, sondern auch im eigentlichen Sinne logische Kompetenzen wie das Verstehen von Trugschlüssen (Sophismen) dazugehören. Vgl. in diesem doppelten Sinne auch in Gen. frg. D 9 Metzler (OWD 1/1, 156) aus philoc. 14,2 (SC 302, 408): „Wer nicht gestimmt ist, dies aufzunehmen, der mag, wenn er kann, ein ethisches, naturwissenschaftliches oder theologisches Problem verstehen, ohne dass auf die nötige Weise genaue Erkenntnis über den Inhalt der Aussage und die Stellung nach der Aussagenlogik gewonnen wird.“ Übersetzung: Metzler, OWD 1/1, 157. Die Zuordnung der Logik zu den drei Disziplinen der Mystik, Physik und Ethik diskutiert Origenes auch in Lam. frg. 14 (GCS Orig. 32, 241). 68 Im Folgenden (in Cant. comm. prol. 3,9–11) liest Origenes die Eingangsperikope des Buches der Sprichwörter in der Fassung der Septuaginta so, dass er in den einzelnen Begriffen, die darin vorkommen, die philosophische Disziplin der Logik in seinem Verständnis (siehe die vorige Anmerkung) zum Ausdruck gebracht sieht. Zur besseren Nachvollziehbarkeit sei die deutsche Übersetzung von Spr. 1,1–6 LXX aus der Septuaginta Deutsch (p. 936) hierher gesetzt (die Abweichungen vom hebräischen Text sind darin kursiviert) und in Klammern die griechischen Begriffe sowie der zugehörige oder daraus gewonnene lateinische Begriff aus der Übersetzung des Rufinus notiert: „(1,1) Sprichwörter Salomos, des Sohnes Davids, der König war in Israel, (2) um Weisheit (sofiÂa; sapientia) und Erziehung (paideiÂa; disciplina) zu erkennen (gnv Ä nai; daraus: scientia), Worte der Klugheit (loÂgoyw fronhÂsevw; daraus: intellectum uerborum und prudentia) zu verstehen, (3) Wendungen von Worten (strofaÁw loÂgvn; uersutia uerborum) anzunehmen, wahre Gerechtigkeit (dikaiosyÂnh aÆlhuhÂw; iustitia uera) zu verstehen und Urteil gerade zu richten (kriÂma kateyuyÂnein; daraus: directio iudicii), (4) damit er Arglosen Schlauheit (panoyrgiÂa; astutia) gebe und dem jungen Kind Wahrnehmung (aiÍsuhsiw; sensus) und Einsicht (eÍnnoia; cogitatio). (5) Denn wer darauf als Weiser hört, wird weiser sein, der Einsichtige aber wird Führungskunst erwerben (6) und Gleichnis (parabolhÂ; parabola) und dunkles Wort (skoteinoÁw loÂgow; obscurus sermo) verstehen, und Reden von Weisen (rëhÂseiw sofv Ä n; dicta sapientium) und Rätsel (aiÆniÂgmata; aenigmata).“

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Hoheliedkommentar

ones uerborum et distinguit scientiam a sapientia et a scientia disciplinam et intellectum uerborum aliud ponit et prudentiam dicit in eo esse, ut excipere possit quis uersutiam uerborum. Distinguit etiam iustitiam, ueram a directione iudicii, sed et astutiam quandam nominat his, quos imbuit, necessariam, a illam credo, per quam sophismatum intelligi ac declinari possit argutia. Et ideo dicit innocentibus per sapientiam dari astutiam, b sine dubio, ne in Verbo Dei decipiantur fraude sophistica. 10. Sed et in hoc uidetur mihi rationalis disciplinae meminisse, per quam doctrina uerborum dictorumque significantiae discernuntur et uniuscuiusque sermonis proprietas certa cum ratione distinguitur. In qua praecipue erudiri conuenit pueros; hoc enim hortatur, cum dicit: „Vt det puero iuniori sensum et cogitationem.“ c Et quia, qui in his eruditur, necessario rationabiliter per ea, quae didicit, semet ipsum gubernat et uitam suam moderatius librat, propterea dicit: „Intelligens autem gubernationem acquiret.“ d 11. Post haec uero cognoscens in uerbis diuinis, quibus per prophetas humano generi traditus est ordo uiuendi, diuersos esse eloquii tropos et uarias dicendi species ac sciens haberi in iis aliquam figuram, quae parabola appelletur, et aliam, quae obscura dictio dicatur, aliasque, quae aenigmata nominentur, et alias, quae dicta sapientium dicantur, scribit: „Intelliges quoque parabolam et obscurum sermonem dictaque sapientium et aenigmata.“ e Per haec ergo singula rationalem locum manifeste et euidenter exponit ac more ueterum succinctis breuibusque sententiis ingentes et perfectos explicat sensus. 12. Quae, si quis est, qui in lege Domini meditetur die ac nocte, f et si quis est sicut os iusti, quod meditatur sapientiam, g inuestigare diligentius poterit et inuenire, si tamen recte quaesierit et quaerens pulsauerit ostium sapientiae petens a Deo, ut aperiatur ei h et mereatur accipere per Spiritum Sanctum Verbum sapientiae et Verbum scientiae i fierique particeps illius sapientiae, quae dicebat: a g

Spr. 1,2f. Ps. 36(37),30

b

Spr. 1,4 h Kol. 4,3

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Spr. 1,4 1 Kor. 12,8

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Spr. 1,5

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Spr. 1,6

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Ps. 1,2

69 So bestimmt Origenes auch den Sinn logischer Kenntnisse in comm. in Prov. 1,6 (PG 13, 24f.): Somos, Logic and Argumentation 23 Anm. 34. 70 In diesem Satz steckt der ethische Basissatz des Origenes, wonach das Wollen des Guten aus dessen vernünftiger Erkenntnis resultiert und an dieses gebunden bleibt, weil nur so die Verantwortung des Individuums für seine freien Entscheidungen gesichert werden kann. Vgl. princ. III 1,3 (GCS Orig. 5, 197f.): „Im Wesen der Vernunft liegen nun die Voraussetzungen für die Erkenntnis des (sittlich) Schönen und Hässlichen. Wenn wir diesen folgen und das Schöne und Hässliche erkennen, wählen wir das Schöne und meiden das Hässliche. Deshalb verdienen wir Lob,

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gegen fügt er sogleich die Bedeutungsunterschiede zwischen den Wörtern an und unterscheidet die Erkenntnis von der Weisheit und von der Erkenntnis die Erziehung und bezeichnet das Verstehen der Wörter wieder als etwas anderes und sagt, die Klugheit bestehe darin, dass jemand die Wendungen der Wörter aufzufassen vermag. Er unterscheidet darüber hinaus die wahre Gerechtigkeit von der Ausrichtung des Urteils, nennt aber auch eine gewisse Schlauheit, die für die, die er heranbildet, notwendig ista – ich glaube jene, durch die man in der Lage ist, die Spitzfindigkeit von Trugschlüssen zu durchschauen und abzuwehren.69 Und deshalb sagt er, dass den Unschuldigen durch die Weisheit Schlauheit verliehen wird,b ohne Zweifel zu dem Zweck, dass sie beim Wort Gottes nicht durch sophistische Hinterlist getäuscht werden. 10. Doch auch darin scheint er mir die logische Disziplin zu erwähnen, durch die der Inhalt der Wörter und die Bedeutungen der Aussagen unterschieden werden und die Eigentümlichkeit einer jeden Rede mit sicherem Urteil erfasst wird. In dieser ausgebildet zu werden kommt besonders den Knaben zu; dazu nämlich ermahnt er, wenn er sagt: „Damit er (sc. Salomo) dem jungen Knaben Wahrnehmung und Denken gibt.“c Und weil der, der in diesen Dingen unterrichtet ist, sich selbst notwendigerweise durch das, was er gelernt hat, vernünftig lenkt und sein Leben in einem harmonischen Gleichgewicht hält,70 deswegen sagt er: „Der Verständige wird aber die Kunst der Selbststeuerung erwerben.“d 11. Weil er aber erkannt hat, dass es in den göttlichen Worten, durch die dem Menschengeschlecht durch die Propheten eine Ordnung des Lebens überliefert ist, verschiedene Weisen des Sprechens und verschiedene Formen des Redens gibt, und weil er weiß, dass es in ihnen eine Redefigur gibt, die Parabel genannt wird, und eine andere, die dunkle Rede heißt, und andere, die Rätselworte genannt werden, und wieder andere, die Sprüche der Weisen heißen, schreibt er im Anschluss daran: „Du wirst auch die Parabel und die dunkle Rede, die Sprüche der Weisen und die Rätselworte verstehen.“e Durch diese einzelnen Begriffe also stellt er klar und deutlich die Logik dar und entfaltet nach Art der Alten mit knappen und kurzen Sätzen großartige und vollkommene Gedanken. 12. Diese Dinge wird jemand, der Tag und Nacht über das Gesetz des Herrn nachsinnt,f und jemand, der wie der Mund des Gerechten über die Weisheit nachsinnt,g sorgfältiger untersuchen und herausfinden können, wenn er nur recht fragt und fragend an das Tor zur Weisheit klopft, indem er von Gott erbittet, dass ihm geöffneth und er würdig werde, durch den Heiligen Geist das Wort der Weisheit und das Wort der Erkenntnisi zu empfangen und Teilhaber jener Weisheit zu wer-

wenn wir uns dem Tun des Schönen hingeben, und Tadel, wenn wir das Gegenteil tun.“ Übersetzung: p. 467–469 Görgemanns/Karpp. Siehe dazu Dihle, Vorstellung vom Willen 125f.

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„Extendebam enim uerba mea, et non audiebatis.“ a 13. Et merito extendere se dicit uerba in eius corde, cui dederat Deus, sicut supra diximus, latitudinem cordis. b Dilatatur namque illius cor, qui potest ea, quae breuiter in mysteriis dicta sunt, latiore doctrina sumptis ex uoluminibus diuinis assertionibus explanare. 14. Oportet igitur secundum hanc eandem sapientissimi Solomonis doctrinam eum, qui sapientiam scire desiderat, incipere ab eruditione morali et intelligere illud, quod scriptum est: „Concupisti sapientiam, custodi mandata, et Dominus dabit eam tibi.“ c Ob hoc ergo magister hic, qui primus homines diuinam philosophiam docet, operis sui exordium Prouerbiorum posuit libellum, in quo, ut diximus, moralis traditur locus, ut, cum intellectu quis moribusque profecerit, ueniat etiam ad naturalis intelligentiae disciplinam atque ibi rerum causas naturasque distinguens agnoscat uanitatem uanitatum d reliquendam, ad aeterna autem et perpetua properandum. 15. Et ideo post Prouerbia ad Ecclesiasten uenitur, qui docet, ut diximus, uisibilia omnia et corporea caduca esse ac fragilia, quae utique cum ita esse deprehenderit is, qui sapientiae studet, sine dubio contemnet ea ac despiciet et uniuerso, ut ita dicam, saeculo renuntians tendet ad inuisibilia et aeterna, quae spiritalibus quidem sensibus, sed adopertis amorum quibusdam figuris docentur in Cantico Canticorum. 16. Ideo enim nouissimum locum tenet hic liber, ut tunc ad eum ueniatur, cum et moribus quis fuerit defaecatus et rerum corruptibilium atque incorruptibilium scientiam distinctionemque didicerit, quo in nullo possit ex his figuris, quibus sponsae ad sponsum caelestem, id est animae perfectae amor ad Verbum Dei, describitur ac formatur, offendi. Praemissis namque his, quibus purificatur anima per actus et mores et in rerum discretionem naturalium perducitur, competenter ad doga

Spr. 1,24

b

1 Kön. 5,9 LXX; 4,29 Vulg.

c

Sir. 1,26

d

Koh. 1,2

71 Siehe in Cant. comm. prol. 3,4, ferner ebd. II 8,38. 72 Wenn hier Salomo als erster Lehrer der „göttlichen Philosophie“ gilt, scheint das zunächst im Widerspruch zur Rolle des Mose zu stehen, der sonst als der älteste Vertreter der hebräischen Wahrheit gilt, die älter ist als die Lehre der Griechen. Doch hier gilt Salomo als der erste, der in den drei ihm zugeschriebenen Büchern Sprichwörter, Kohelet und Hohelied die gesamte Philosophie als ein systematisches Ganzes zusammengefasst und gelehrt haben soll. 73 Siehe in Cant. comm. prol. 3,6. 74 Ebd. 75 Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 138 Anm. 1, weisen zu Recht darauf hin, dass die Verachtung des Materiellen nur die eine Seite der origeneischen Metaphysik ist. Auf der anderen Seite kann die materielle Welt auch sinnvoll genutzt werden (siehe in Cant. comm. prol. 2,37 und dazu oben S. 84 Anm. 52), und ebd. III 13,10 betont er, dass alles Geschaffene eine gewisse Ähnlichkeit mit etwas Himmlischem auf-

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den, die sagte: „Ich habe nämlich meine Worte ausgebreitet, und ihr habt nicht gehört.“a 13. Und zu Recht sagt sie, dass sie die Worte im Herzen dessen ausbreitet, dem Gott – wie wir oben gesagt haben71 – die Weite des Herzensb geschenkt hatte. Es weitet sich nämlich das Herz dessen, der das, was kurz in geheimnisvollen Worten gesagt wurde, durch eine weitere Lehre mit Hilfe von den göttlichen Schriften entnommenen Aussagen erklären kann. 14. Es muss daher nach derselben Lehre des weisesten Salomo jemand, der die Weisheit zu kennen begehrt, mit der moralischen Bildung beginnen und jenes Schriftwort verstehen, das da lautet: „Du hast Weisheit begehrt, halte die Gebote, und der Herr wird sie dir geben.“c Aus diesem Grund also hat dieser Lehrer, der als erster den Menschen die göttliche Philosophie lehrt,72 als Einleitung seines Werkes das Buch der Sprichwörter an den Anfang gestellt, in dem, wie wir gesagt haben,73 die moralische Lehre behandelt wird, damit, wenn jemand im Denken und im sittlichen Verhalten fortgeschritten ist, er auch zur Disziplin der natürlichen Erkenntnis kommt und da, indem er die Ursachen und die Naturen der Dinge unterscheidet, erkennt, dass er die Nichtigkeit der Nichtigkeitend hinter sich lassen, zu den ewigen und beständigen Dingen aber hineilen muss. 15. Und deshalb kommt man nach den Sprichwörtern zum Buch Prediger, der, wie wir gesagt haben,74 lehrt, dass alle sichtbaren und körperlichen Dinge hinfällig und vergänglich sind. Wenn jemand, der nach Weisheit strebt, erfasst hat, dass es sich mit diesen Dingen so verhält, wird er sie ohne Zweifel verachten und verschmähen,75 und indem er sozusagen der ganzen Welt entsagt, wird er nach den unsichtbaren und ewigen Dingen streben, die mit zwar geistigen, doch in erotischen Bildern versteckten Sinngehalten im Lied der Lieder gelehrt werden. 16. Deswegen nämlich nimmt dieses Buch den letzten Platz ein, damit man erst dann zu ihm gelangt, wenn man in seinem sittlichen Verhalten gereinigt worden ist und sich das Wissen um die Unterscheidung der vergänglichen von den unvergänglichen Dinge angeeignet hat, damit man in nichts durch diese Bilder, durch welche die Liebe der Braut zum himmlischen Bräutigam, das heißt die Liebe der vollkommenen Seele zum Wort Gottes, beschrieben und ausgedrückt wird, angefochten werden kann. Wenn nämlich diese Dinge, durch welche die Seele in ihren Handlungen und Sitten gereinigt und in die Unterscheidung der natürlichen Dinge einweist. Generell ist in der Heilsmetaphysik des Origenes die materielle Welt nicht nur Strafort für die gefallenen Seelen, sondern auch und ungleich mehr Ort ihrer Bewährung und Lernort für die Rückkehr in die Einheit mit Gott. Im strikten Aktualismus, als den Origenes Gott konzipiert, ist die Welt (und dazu die Geschichte) antiaristotelisch die „Bewegung Gottes“, in der die Freiheit Gottes, die sich aus Liebe seinen Geschöpfen zuwendet, in der sich ihm zuwendenden Freiheit seiner Geschöpfe zum Ziel und zur Fülle des Seins gelangt. Siehe dazu Hengstermann, Freiheitsmetaphysik.

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matica uenitur et ad mystica atque ad diuinitatis contemplationem sincero et spiritali amore conscenditur. 17. Hanc ergo triplicem diuinae philosophiae formam etiam in illis sanctis ac beatis uiris arbitror praesignatam, pro quorum sanctissimis institutionibus Deus summus dici uoluit Deus Abraham, Deus Isaac et Deus Iacob. a 18. Abraham namque moralem declarat philosophiam per oboedientiam; tanta enim fuit eius oboedientia et tanta obseruatio mandatorum, ut, cum audiret: „Exi de terra tua et de cognatione tua et de domo patris tui“, b non sit cunctatus, sed statim fecerit. Immo et horum amplius aliquid fecit: Audiens, ut immolaret filium suum, c nec inde quidem dubitat, sed obtemperat praecepto et ad exemplum oboedientiae, quae est moralis philosophia, posteris dandum nec filio suo unico pepercit. d 19. Isaac quoque naturalem philosophiam tenet, cum puteos fodit e et rerum profunda rimatur. Sed et Iacob inspectiuum obtinet locum, quippe qui et Istrahel ob diuinorum contemplationem nominatus sit f et qui castra caeli uiderit g et domum Dei h atque angelorum uias, scalas a terris in caelum porrectas prospexerit. i 20. Vnde et merito inuenimus tres istos beatos uiros altaria fixisse Deo, j hoc est philosophiae suae consecrasse profectus, quo scilicet edocerent non haec ad artes humanas, sed ad Dei gratiam referenda. Sed et in tabernaculis degunt, k ut per haec ostendant neque in terris habendum esse aliquid proprium huic, b c Ex. 3,6 Gen. 12,1 Gen. 22,2 g h Gen. 32,28(29) Gen. 32,2 Gen. 28,17 k 26,25; 33,20; 35,7 Hebr. 11,9

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Gen. 22,12 Gen. 28,12

j

e Gen. 26,15ff. Gen. 12,7f.; 22,9;

76 In den drei Disziplinen kann man auch die klassischen drei Stufen des Fortschritts der Seele erkennen, wie Origenes sie ausführlich in Num. hom. 27 (GCS Orig. 6, 255–280) darstellt: Der moralischen Disziplin entspricht die Stufe der Anfänger im Glauben, der natürlichen entspricht die Stufe der Fortgeschrittenen und der betrachtenden entsprechen die Vollkommenen. Die jeweiligen Eigenheiten und Forderungen der Disziplinen decken sich mit den Charakteristika der entsprechenden Stufen. Für die letzte Stufe begegnen hier weitere Vokabeln zur Beschreibung des dritten Teils der Philosophie, der in Cant. comm. prol. 3,1 als „betrachtend“, epoptice bzw. inspectiua, eingeführt worden ist: Die „Betrachtung“ ist demnach „Dogmatik“, „Mystik“ und „Kontemplation“. Auf der dritten Stufe gelangt der nach Vollkommenheit strebende Christ also zu den Lehrinhalten (dogmatica) der Theologie im engeren Sinne, die sich bei Origenes weitgehend aus der Beschäftigung mit der Bibel ergeben, ferner zu den Geheimnissen (mystica), die darin niedergelegt sind, und schließlich zur Versenkung (contemplatio) in die Gottheit, die mit der Sprachwelt des Hoheliedes als geistiger Liebesakt beschrieben wird. 77 Für die Auslegung von Gen. 22 siehe die für ihre psychologische Feinfühligkeit berühmte Predigt des Origenes, in Gen. hom. 8 (GCS Orig. 6, 77–86). 78 Zu den Brunnen, die Isaak grub, siehe die Predigt ebd. 13 (6, 113–121), und zur Symbolik des Brunnens v.a. in Num. hom. 12,1–3 (GCS Orig. 7, 93–103). Der

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geführt wird, vorangegangen sind, kommt man angemessen zu den dogmatischen und mystischen Lehren76 und steigt durch echte und geistige Liebe zur Schau der Gottheit auf. 17. Diese dreifache Gestalt der göttlichen Philosophie also ist meiner Meinung nach auch in jenen heiligen und seligen Männern vorgebildet, deren heiligste Unterweisungen der Grund dafür waren, dass der höchste Gott Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobsa genannt werden wollte. 18. Abraham nämlich offenbart die moralische Philosophie durch Gehorsam. Denn so groß war sein Gehorsam und so groß seine Befolgung der Gebote, dass er, als er die Aufforderung hörte: „Geh hinaus aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters“,b nicht zögerte, sondern sie sofort in die Tat umsetzte. Ja, er hat sogar noch etwas Größeres als dies getan: Als er hört, er solle seinen Sohn opfern,c zweifelt er auch daran nicht, sondern gehorcht dem Gebot, und um den späteren Generationen ein Beispiel für den Gehorsam, in dem die moralische Philosophie besteht, zu geben, verschonte er nicht einmal seinen einzigen Sohn.d 77 19. Isaak wiederum steht für die natürliche Philosophie, weil er Brunnen gräbte und die Tiefen der Wirklichkeit erforscht.78 Und Jakob dagegen steht für den betrachtenden Teil, ist er es doch, der wegen der Schau der göttlichen Dinge Israel genannt wurdef 79 und der die Heerlager des Himmels sahg und das Haus Gottesh sowie die Wege der Engel, die von der Erde zum Himmel reichenden Leitersprossen,i erblickte. 20. Daher finden wir auch, dass gerade diese drei seligen Männer Gott zu Recht Altäre errichtet haben,j das heißt, dass sie die Errungenschaften ihrer Philosophie der Gottheit geweiht haben, wodurch sie natürlich lehrten, dass diese nicht den menschlichen Künsten, sondern der Gnade Gottes zuzuschreiben sind. Aber sie hausten auch in Zelten,k um dadurch zu zeigen, dass jemand, der nach der göttlichen Philosophie strebt, kein Eigentum auf Erden haben darf

Brunnen steht bei Origenes einerseits für die Bibel, aus der zu schöpfen zu tieferer Erkenntnis und zur Vermählung der Seele mit Gott führt: in Gen. hom. 10,5 (GCS Orig. 6 99), andererseits für die Seele, in deren Tiefe das Antlitz Gottes ebenso verborgen ist wie in der Schrift: ebd. 13,3f. (6, 116–121); in Num. hom. 12,2 (GCS Orig. 7, 100). Aus diesem Grund ist der Brunnen eines der Lieblingssymbole des Origenes; vgl. etwa noch in Ioh. comm. XIII 1,3f. (GCS Orig. 4, 226); in Gen. hom. 7,5f. (GCS Orig. 6, 75f.); in Hier. hom. 18,4 (GCS Orig. 32, 154); dazu Fürst, Studien 105f. 79 Schon Philon, ebr. 82 (II p. 185 Cohn/Wendland), deutete den Beinamen Jakobs, Israel, auf diese Weise: ÆIsrahÁl … oÏrasin ueoyÄ mhnyÂei – „Israel … verkündet die Schau Gottes“. Diese Etymologie auch bei Origenes, in Gen. hom. 15,3 (GCS Orig. 6, 130); in Num. hom. 11,4 (GCS Orig. 7, 83); Hieronymus, int. hebr. nom. p. 13 Lagarde (CChr.SL 72, 75): Israhel est uidere deum siue uir aut mens uidens deum; ebd. p. 63 (72, 139); p. 74 (72, 152); p. 76 (72, 155). Vgl. Wutz, Onomastica sacra 21.

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qui diuinae philosophiae studet, et semper promouendum, non tam de loco ad locum quam de scientia inferiorum ad scientiam perfectorum. 21. Sed et alia multa in scripturis diuinis inuenies, quae ordinem hunc, quem in libellis Solomonis contineri diximus, secundum hanc eandem formam designant, sed ea nunc nobis prosequi aliud in manu habentibus longum est. 22. Si qui ergo primum locum in emendandis moribus mandatisque seruandis, qui per Prouerbia designatur, impleuit, post haec autem etiam deprehensa uanitate mundi et rerum caducarum fragilitate perspecta uenit in hoc, ut renuntiet mundo et omnibus, quae in mundo sunt, consequenter ueniet etiam ad contemplanda et desideranda ea, quae non uidentur et aeterna sunt. a 23. Ad quae tamen ut peruenire possimus, indigemus diuina misericordia, si forte ualeamus, perspecta pulchritudine Verbi Dei, salutari in eum amore succendi, ut et ipse dignetur huiusmodi animam diligere, quam desiderium sui habere perspexerit.

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Hld. 1,1: „Das Lied der Lieder, das von Salomo stammt.“ 4,1. Post haec exigit nos consequentia sermonis dicere etiam de superscriptione ipsa Cantici Canticorum. Simile enim est hoc illis, quae in tabernaculo testimonii appellantur sancta sanctorum, b et illis, quae in Numerorum libro memorantur opera operum c quaeque apud Paulum dicuntur saecula saeculorum. d 2. Sed quo differant a sanctis sancta sanctorum in Exodo a

2 Kor. 4,18

b

Ex. 30,29

c

Num. 4,47

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Röm. 16,27

80 Wie hier auf die Heimatlosigkeit in dieser Welt und den Weg in die geistige Welt deutet Origenes die Zelte der Patriarchen auch in Num. hom. 17,4 (GCS Orig. 7, 159–163) und 23,11 (7, 221); siehe dazu auch Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 757. In Ex. hom. 9,4 (GCS Orig. 6, 244) hingegen symbolisiert das Zelt die Tugendhaftigkeit der Erzväter: „Nicht umsonst nämlich wird über die Väter berichtet, dass sie in Zelten wohnten. So verstehe ich, dass Abraham und Isaak und Jakob in Zelten wohnten; sie bauten nämlich in sich ein Zelt für Gott, da sie sich mit so großen und so glanzvollen Tugenden schmückten.“ 81 Origenes entdeckt die Dreiteilung der Philosophie in diversen Varianten in der Bibel: In Gen. hom. 6,2f. (GCS Orig. 6, 67f.) verkörpern Abimelech die Ethik, seine Frau die Physik und seine Mägde die verschiedenen Formen der Dialektik

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und immer auf dem Weg sein muss, nicht so sehr von Ort zu Ort als vielmehr von der Erkenntnis der geringeren Gegenstände zur Erkenntnis der vollkommenen.80 21. Doch du wirst noch viele andere Stellen in den göttlichen Schriften finden, die diese Ordnung, die nach unserer Aussage in den Büchern Salomos enthalten ist, auf dieselbe Art ausdrücken.81 Dem aber jetzt nachzugehen würde uns, da wir mit etwas anderem beschäftigt sind, zu lange aufhalten. 22. Wenn jemand also den ersten Teil, der durch die Sprichwörter dargestellt wird, durch die Verbesserung der Sitten und die Einhaltung der Gebote absolviert hat, danach aber auch dadurch, dass er die Nichtigkeit der Welt erfasst und die Vergänglichkeit der hinfälligen Dinge durchschaut hat, dazu gekommen ist, der Welt und allem, was in der Welt ist, zu entsagen, gelangt er in der Folge auch zur Betrachtung und zum Verlangen nach den Dingen, die unsichtbar und ewig sind.a 23. Um diese allerdings erreichen zu können, sind wir auf die göttliche Barmherzigkeit angewiesen, wenn wir denn wirklich fähig sind, uns durch die Schau der Schönheit des Wortes Gottes von der heilsamen Liebe zu ihm entzünden zu lassen,82 damit es sich auch selbst herablässt, eine solche Seele zu lieben, von der es erkannt hat, dass sie Sehnsucht nach ihm hat. 4. Titel und Autor: Das Lied der Lieder als Höhepunkt des alttestamentlichen Liedguts und der Friedensstifter Salomo als Bild für Christus

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4,1. Nach diesen Erörterungen erfordert es die Abfolge der Darstellung, dass wir auch über den Titel des Liedes der Lieder selbst sprechen. Dieser Sprachgebrauch ist nämlich ähnlich wie bei den Dingen, die im Bundeszelt das Heilige des Heiligenb genannt werden, und wie bei jenen, die im Buch Numeri als Werke der Werkec erwähnt und bei Paulus als Ewigkeiten der Ewigkeitend bezeichnet werden.83 2. Worin sich aber das Heilige des Hei(Gen. 20,17). Ebd. 14,3 (6, 124f.) steht derselbe Abimelech für die Logik, sein Schwiegersohn Ahusat für die Physik, sein Heerführer Pichol für die Ethik (Gen. 26,26). In Ex. hom. 3,3 (GCS Orig. 6, 166) denkt Origenes beim Weg von drei Tagen (Ex. 3,18) unter anderem an die vernünftige (logische), natürliche (physikalische) und moralische (ethische) Weisheit. Siehe auch Crouzel, Orige`ne et la philosophie 22–25. 82 Siehe in Cant. comm. prol. 2,17 und dazu oben S. 71 Anm. 32. 83 In Cant. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 27) parallelisiert Origenes die Wendung ,Lied der Lieder‘ mit den Ausdrücken ,das Heilige des Heiligen‘ aus Ex. 26,34 und ,Sabbat der Sabbate‘ aus Lev. 16,31. In Cant. comm. III 12,11 leitet er aus den Titeln ,König der Könige‘ aus 1 Tim. 6,15 und ,Priester der Priester‘ aus Hebr. 4,14 die Bezeichnung ,Berg der Berge‘ für Christus ab.

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Hoheliedkommentar

et quo differant opera ab operibus operum in Numerorum libro, tractatibus, prout potuimus, dictum a nobis est. Sed et saecula saeculorum in locis, quibus occurrit, non omisimus et, ne eadem repetamus, illa sufficiant. 3. Nunc autem requiramus primo, quae sint cantica, quorum canticorum hoc esse canticum dicitur. Puto ergo quod cantica sint illa, quae dudum per prophetas uel per angelos canebantur. Lex enim dicitur per angelos ministrata in manu mediatoris. a Illa ergo omnia, quae per illos adnuntiabantur, cantica erant per amicos sponsi praecedentia; istud uero unum canticum est, quod ipsi iam sponso sponsam suam suscepturo epithalamii specie erat canendum, in quo sponsa non adhuc per amicos sponsi cantari sibi uult, sed ipsius iam sponsi praesentis audire uerba desiderat dicens: „Osculetur me ab osculis oris sui.“ b 4. Vnde et omnibus canticis merito praefertur; uidentur enim cetera cantica, quae lex et prophetae c cecinerunt, paruulae adhuc sponsae, et quae nondum uestibula maturae aetatis ingressa sit, decantata, hoc uero canticum adultae iam et ualde robustae, et quae capax iam sit uirilis potentiae perfectique mysterii, decantari. Secundum quod dicitur de ipsa a

Gal. 3,19

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Hld. 1,2

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Mt. 7,12

84 Vgl. in Ex. hom. 9,4 (GCS Orig. 6, 243): „Heilig kann das sein, was eine heilige Lebensführung in der gegenwärtigen Welt beinhalten kann. Das Heilige des Heiligen hingegen, in das man nur einmal eintritt (vgl. Ex. 30,10), ist, meine ich, der Übergang in den Himmel, wo sich der Sühnealtar mit den Cherubim befindet und wo Gott denen erscheinen kann, die reinen Herzens sind, oder weil der Herr sagt: ,Siehe, das Reich Gottes ist in euch‘ (Lk. 17,21)“; siehe dazu auch in Lev. hom. 13,6 (GCS Orig. 6, 477) zur Wendung sancta sanctorum in Lev. 24,9. In Num. hom. 5,2 (GCS Orig. 7, 27): „Wo die Schrift über die Werke der Kinder Israels spricht, nennt sie diese nicht Werke der Werke, sondern bloß Werke; wo aber über die Werke der Leviten, sprach sie nicht einfach nur von Werken, sondern von Werken der Werke. Wie es nämlich manches gibt, das heilig ist, anderes aber das Heilige des Heiligen ist, so sind manche Dinge Werke und andere Werke der Werke.“ Analog zur Unterscheidung von sancta und sancta sanctorum würden, so Origenes weiter, „sichtbare“ und „gewöhnliche zeitliche Werke“ bloß opera genannt, solche Werke aber, „die einen inneren mystischen und verborgenen Sinn enthalten“, nenne Mose opera operum. 85 Vgl. in Rom. comm. X 43,8 (SC 555, 448): „Was er aber ,in Ewigkeiten der Ewigkeiten‘ nennt, so ist es in der göttlichen Schrift üblich, damit die Unermesslichkeit der Zeiten zu bezeichnen.“ 86 Im Hoheliedkommentar verweist Origenes auf so viele andere Werke (Homilien) wie in keiner anderen seiner erhaltenen Schriften (vgl. die Sammlung der Stellen bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 757f.): auf die Exodushomilien (in Cant. comm. prol. 4,2), die Levitikushomilien (I 2,5), die Richterhomilien (prol. 4,9) und besonders auf die Numerihomilien (prol. 4,2.7; II 1,25; II 8,31). Diese Rückverweise bieten den chronologischen Anlass für die Annahme, dass Origenes nach Eusebius, hist. eccl. VI 32,2 (GCS Eus. 2, 586), den Hoheliedkommentar zu einem

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Vorwort 4,2–4

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ligen im Buch Exodus vom Heiligen unterscheidet und worin sich die Werke von den Werken der Werke im Buch Numeri unterscheiden, haben wir, soweit es uns möglich war, in verschiedenen Abhandlungen dargelegt.84 Aber auch die Ewigkeiten der Ewigkeiten haben wir an den Stellen, an denen sie vorkommen, nicht übergangen,85 und um nicht dasselbe zu wiederholen, sollen jene Erörterungen ausreichen.86 3. Jetzt aber wollen wir als erstes untersuchen, was denn das für Lieder sind, unter denen dieses als Lied der Lieder bezeichnet wird. Ich glaube also, dass die Lieder jene sind, die dereinst von den Propheten oder von den Engeln gesungen worden sind. Vom Gesetz wird nämlich gesagt, dass es durch die Engel in der Hand eines Mittlers erlassen wurde.a Alle jene also, die durch jene angekündigt wurden, waren Lieder, die durch die Freunde des Bräutigams vorweg vorgetragen wurden. Dieses eine aber ist das Lied, das der Bräutigam selbst wie ein Hochzeitslied zu singen hatte, als er schon im Begriff war, seine Braut zu empfangen, ein Lied, in dem die Braut nicht mehr durch die Freunde des Bräutigams besungen werden will, sondern die Worte des schon gegenwärtigen Bräutigams selbst zu hören begehrt und daher sagt: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“b 87 4. Daher wird dieses Lied auch allen anderen Liedern zu Recht vorgezogen.88 Es scheinen nämlich die übrigen Lieder, die das Gesetz und die Prophetenc gesungen haben, für eine noch junge Braut, die noch nicht in die Vorhalle des reifen Alters eingetreten ist, gesungen zu sein, dieses Lied dagegen scheint für eine schon erwachsene und sehr starke Braut, die schon aufnahmefähig ist für die männliche Kraft und das vollkommene Mysterium, gesungen zu werden. Zeitpunkt verfasste, als er noch nicht die Erlaubnis gegeben hatte, seine Predigten mitstenographieren und veröffentlichen zu lassen: ebd. VI 36,1 (2, 590). Wenn Eusebius sich mit seiner Datierung nicht irrt, können sich die Verweise im Hoheliedkommentar nicht auf diese Homilien beziehen. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 146 Anm. 1, erwägen daher zu Recht, ob sie nicht von Origenes, sondern vielmehr von seinem Übersetzer Rufinus stammen, der die genannten Origeneshomilien vor dessen Hoheliedkommentar (410) übersetzt hat. Das würde auch für den Römerbriefkommentar gelten, falls der Hinweis an der vorliegenden Stelle auf diesen zu beziehen ist. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass Origenes hier nicht auf seine Predigten, sondern auf Abhandlungen verweist, die nicht erhalten sind und in denen er sich zu diesen Bibelstellen bzw. Ausdrucksweisen ebenfalls geäußert hat. 87 Siehe dazu die Erläuterung von Hld. 1,2 auf der Erzählebene in Cant. comm. I 1,3f. 88 Auch in der rabbinischen und jüdischen Tradition gilt das Hohelied als das vornehmste aller Lieder und sogar als die allerheiligste unter den heiligen Schriften. Vgl. Rabbi Akiba in der Mischna, mJadajim 3,5: „Bewahre und behüte! Kein Mensch aus Israel streite über das Lied der Lieder, dass es nicht die Hände unrein mache, denn die ganze Welt ist nicht so viel wert wie der Tag, an dem Israel das Lied der Lieder gegeben wurde, da alle Schriften heilig sind, aber das Lied der Lieder ist hochheilig.“ Übersetzung: p. 16 Samuel. Vgl. dazu in der Tosefta tJadajim 2,14, ferner im Targum TgCant 1,1: „Ten songs were recited in this world; this song is the most excellent of them all.“ Übersetzung: p. 75 Alexander.

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quia una sit perfecta columba. a Quasi perfecta ergo perfecti uiri sponsa perfectae suscepit uerba doctrinae. 5. Primum igitur canticum cecinit Deo Moyses et filii Istrahel, b quando uiderunt Aegyptios mortuos ad litus maris c et quando uiderunt manum fortem et bracchium excelsum Domini d et crediderunt Deo et famulo eius Moysi. e Tunc ergo cantauerunt dicentes: „Cantemus Domino; gloriose enim glorificatus est.“ f Ego autem arbitror quod non possit ad istud perfectum quis et mysticum canticum peruenire et ad istam perfectionem sponsae, quae in hac scriptura continetur, nisi prius ambulet per siccum in medio mari et fiat ei aqua murus dextra laeuaque g et sic euadat de manibus Aegyptiorum, ita ut uideat eos mortuos ad litus maris h atque intuens manum fortem i Domini, quam fecit in Aegyptios, credat Domino ac famulo eius Moysi. j Moysi autem dico legi atque euangeliis omnibusque diuinis scripturis; tunc enim merito cantabit et dicet: „Cantemus Domino; gloriose enim glorificatus est.“ k Sed istud canticum canet quis, cum primum liberatus fuerit a seruitute Aegyptiorum. 6. Post hoc autem, cum transierit per illa omnia, quae in Exodo et quae in Leuitico scripta sunt et uenerit ad hoc, ut in diuinos Numeros adsumatur, tunc iterum secundum canticum canet, cum exierit de ualle Zareth, l quod interpretatur aliena descensio, et uenerit ad puteum, de quo scriptum est: „Et dixit Dominus ad Moysen: Congrega populum, et dabo iis aquam bibere de Hld. 6,9 Ex. 14,31 j Ex. 14,31 a

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Ex. 15,1 f Ex. 15,1 k Ex. 15,1

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Ex. 14,30 g Ex. 14,29 l Num. 21,12 c

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Dtn. 4,34; 5,15 etc.; vgl. Ex. 6,6; 14,31 h i Ex. 14,30 Dtn. 4,34; 5,15 etc.

89 Zur folgenden, aufsteigenden Reihung der Lieder des Alten Testaments siehe Bre´sard, L’E´chelle des Cantiques; ferner die Einführung von Rousseau, SC 372, 31–37. Alexander, Targum of Canticles 206–209, listet zehn Versionen des Midrasch von den zehn Liedern auf: Unter insgesamt 16 Liedern, die dafür namhaft gemacht werden, kommt eine größere Gruppe von sieben Schriften in ihrer Auswahl von zehn Liedern überein, während drei Texte eine leicht abweichende Liste bieten (siehe die Tabelle ebd. 208f.). Die Auswahl des Origenes von sieben Liedern weicht von allen diesen Varianten ab, was Alexander, ebd. 207, damit erklärt, dass Origenes mit der Zahl Sieben die Idee der Vollkommenheit hervorheben wollte, die Zahl Zehn im Midrasch hingegen für die Idee der Vollständigkeit steht, wofür es in der jüdischen Tradition etliche weitere Beispiele gibt, beispielsweise die zehn Gebote, die zehn Plagen, die zehn Hungersnöte (vgl. ebd. 75 Anm. 4). Da freilich immerhin sechs der sieben Lieder des Origenes mit dem Midrasch übereinstimmen (nur für 1 Chr. 16,7–9 gibt es keine rabbinische Parallele), hält Alexander, ebd. 207, es für wahrscheinlich, dass Origenes eine (ältere) Version des Midrasch von den zehn Liedern kannte und ihn für seine christlichen Zwecke anpasste. 90 Vgl. in Ex. hom. 6,1 (GCS Orig. 6, 191): „Wir lesen zwar, dass viele Lieder in den göttlichen Schriften gesungen werden, das erste von diesen allen ist jedoch das Lied, das das Volk Gottes, als die Ägypter und der Pharao ertrunken waren, nach dem Sieg gesungen haben.“

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Demgemäß wird über sie gesagt, dass diese eine die vollkommene Taube ist.a Wie eine vollkommene Braut eines vollkommenen Mannes also hat sie die Worte der vollkommenen Lehre empfangen. 5. Das erste Lied nun89 sangen Mose und die Kinder Israels für Gott,b 90 als sie die Ägypter tot am Ufer des Meeres erblicktenc und als sie die starke Hand und den erhobenen Arm des Herrn sahend und an Gott und seinen Diener Mose glaubten.e Damals also sangen sie und sagten: „Lasst uns dem Herrn singen; denn er ist ruhmvoll verherrlicht.“f Ich jedoch glaube, dass zu diesem vollkommenen und mystischen Lied und zu dieser Vollkommenheit der Braut, die in der vorliegenden Schrift enthalten ist, niemand gelangen kann, der nicht vorher durch das Trockene in der Mitte des Meeres wandert und dem das Wasser rechts und links zu einer Mauer wirdg und der so den Händen der Ägypter entkommt, so dass er sie tot am Ufer des Meeres erblickth und, weil er die starke Hand des Herrn geschaut hat,i die er gegen die Ägypter erhob, an den Herrn und seinen Diener Mose glaubt.j Mit Mose aber meine ich das Gesetz und die Evangelien und alle göttlichen Schriften; dann nämlich wird er zu Recht singen und sagen: „Lasst uns dem Herrn singen; denn er ist ruhmvoll verherrlicht.“k Doch dieses Lied wird jemand erst singen, sobald er aus der Knechtschaft der Ägypter befreit worden ist.91 6. Wenn er danach aber all jene Stationen durchschritten hat, die in Exodus und die in Levitikus beschrieben sind, und dahin gekommen ist, dass er in die göttlichen Numeri aufgenommen wird,92 dann wird er wiederum ein zweites Lied singen, wenn er aus dem Tal93 Zaret,l was übersetzt ,fremder Abstieg‘ bedeutet,94 herausgegangen und zu dem Brunnen gekommen ist, über den geschrieben steht: „Und der Herr sprach zu Mose: Sammle das Volk, und ich werde

91 Vgl. ebd. (6, 191f.): „Auch du also kannst, wenn du das Rote Meer durchschritten hast, wenn du die Ägypter hast untergehen und den Pharao ertrinken und in die Tiefe des Abgrunds stürzen sehen, Gott einen Hymnus singen.“ 92 Den Buchtitel Numeri, „Zahlen“, wörtlich aufgreifend, erklärt Origenes zu Beginn seiner ersten Numerihomilie, in Num. hom. 1,1 (GCS Orig. 7, 3f.), ausführlich, wer zu den „göttlichen Numeri“ (diuini Numeri), das heißt zur Zahl derer, die zu Gott gehören, zur „Schar Gottes“ (numerus Dei) gezählt werden kann. Aus diesem Grund ist, anders als in GCS Orig. 8, 81.7 und SC 375, 150, in diuinos Numeros wie analog in GCS Orig. 7, 3.2 groß zu schreiben. 93 Origenes folgt hier der Septuaginta, die das hebräische Original „Bach Zered“, das die Vulgata korrekt mit torrens Zared wiedergibt, mit „Tal Zaret“ (faÂragj Zaret) übersetzt. Origenes kommt die Version der Septuaginta entgegen, weil ,Tal‘ für ihn für ,Sünde‘ steht: Wer daraus ,herausgestiegen‘ ist, kann das zweite Lied singen. 94 Zu dieser Etymologie des hebräischen Zered vgl. Hieronymus, int. hebr. nom. p. 21 Lagarde (CChr.SL 72, 85): Zarath alienus uel descensio. Origenes deutet offenbar das Wort drz (Zered) von den Worten rz (fremd) und drum (Abstieg) her. Vgl. Wutz, Onomastica sacra 542.

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puteo.“ a Ibi enim cantabit et dicet: „Initiate ei puteum; foderunt illum principes, excuderunt eum reges gentium in regno suo, cum dominantur eorum.“ b 7. Sed de his plenius in Numerorum libro, secundum quod dedit nobis Dominus, dictum est. Oportet ergo uenire ad puteum, qui a principibus fossus est et a regibus excussus, in quo opere nemo plebeius operatur, sed omnes principes, omnes reges, regales scilicet et principales animae, quae altitudinem putei aquam uiuam c continentis inquirunt. 8. Post istud canticum uenitur ad Deuteronomii canticum, de quo dicit Dominus: „Et nunc scribite uobis uerba cantici huius, et docete illud filios Istrahel, et inicite illud in os eorum, ut fiat mihi canticum istud ad testimonium in filiis Istrahel.“ d Et uide, quantum et quale sit istud canticum, cui ad audiendum terra non sufficit, sed conuocatur et caelum; ait enim: „Attende caelum et loquar; et audiat terra uerba ex ore meo.“ e Vide, quam magna sint, quam ingentia, quae dicuntur. „Exspectetur“ ait „sicut pluuia eloquium meum, et descendat sicut ros super gramen, et sicut nix super foenum, quia nomen Domini inuocaui“ f et reliqua. 9. Quartum canticum est in libro Iudicum, de quo scriptum est: „Et cantauit Debbora et Barac filius Abinoem in die illa dicens: In incipiendo principes in Istrahel, in proposito populi benedicite Dominum. Audite reges, auribus percipite satrapae“ g et reliqua. Haec autem qui canit, apis esse debet, cuius opus tale est, quo reges et mediocres utantur ad sanitatem. Debbora namque apis interpretatur, quae istud canticum canit; sed et Barac cum ipsa; interpretatur autem Barac coruscatio. Et canitur istud canticum post uictoriam, quia nec ante quis potest, quae perfecta sunt, canere, nisi aduersarios uicerit. Sic denique et in ipso cantico dicitur: „Exsurge, a f

Num. 21,16 Dtn. 32,2f.

g

b Num. 21,17f. Ri. 5,1–3

c

Joh. 4,10

d

Dtn. 31,19

e

Dtn. 32,1

95 Origenes verweist wie bereits in Cant. comm. prol. 4,2 auf seine eigene Auslegung, um sich nicht wiederholen zu müssen; zu den chronologischen Problemen dieses Rückverweises siehe oben S. 104 Anm. 86. Dem interessierten Leser ist damit die selbstständige Lektüre der entsprechenden Schriften aufgetragen. Damit zeigt sich zum einen der hohe Anspruch, den Origenes an seine Leser stellt, zum anderen aber auch, dass ihm während der Auslegung seine vorangegangenen Werke immer präsent sind und diese stets mitgedacht werden müssen. 96 In seiner eindringlichen Auslegung von Num. 21,16f. in Num. hom. 12,1f. (GCS Orig. 7, 93–101) bezieht Origenes die Fürsten auf die Propheten und die Könige auf die Apostel: ebd. 12,2 (7, 99). Zur Symbolik des Brunnens siehe oben S. 100 Anm. 78. 97 Origenes, in Num. hom. 27,12 (GCS Orig. 7, 278), schildert die Biene aufgrund der Heiligen Schrift als lobenswertes und nützliches Tier: „Die Biene steht in den Schriften als lobenswertes Lebewesen, aus dessen Werken Könige und gewöhnliche Leute Nutzen für die Gesundheit ziehen.“ Im Folgenden deutet Origenes diese Werke der Biene auf die Schriften der Propheten und Apostel und konsequenterweise die Bibel als Bienenstock (apiarium). Für solch eine positive Deutung gibt es allerdings keine Belege aus der Bibel.

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ihnen Wasser aus dem Brunnen zu trinken geben.“a Dort nämlich wird er singen und sagen: „Weiht ihm den Brunnen! Ihn haben Fürsten gegraben, die Könige der Völker haben ihn in ihrer Herrschaft verfertigt, als sie über sie herrschten.“b 7. Doch hierüber ist, soweit es uns der Herr gegeben hat, mehr beim Buch Numeri gesagt worden.95 Man muss also zu dem Brunnen kommen, der von Fürsten gegraben und von Königen verfertigt worden ist. An diesem Werk wirkt kein einfacher Mann aus dem Volk mit, sondern lauter Fürsten, lauter Könige, das heißt königliche und fürstliche Seelen,96 die die Tiefe des Brunnens, der lebendiges Wasserc enthält, erforschen. 8. Nach diesem Lied kommt man zum Lied des Deuteronomium, über das der Herr sagt: „Und nun schreibt euch die Worte dieses Liedes auf, lehrt es die Kinder Israels und legt es in ihren Mund, damit dieses Lied mir zum Zeugnis unter den Kindern Israels wird.“d Und sieh, wie groß und bedeutend dieses Lied ist, das zu hören die Erde nicht ausreicht, sondern auch der Himmel hinzugerufen wird! Es heißt nämlich: „Merke auf, oh Himmel, und ich will reden; und die Erde höre die Worte aus meinem Munde.“e Sieh, wie groß, wie gewaltig die Dinge sind, die gesagt werden! „Mein Wort“, heißt es, „soll ersehnt werden wie der Regen, und wie Tau soll es auf das Gras herabkommen und wie Schnee auf das Heu, da ich den Namen des Herrn angerufen habe“f und so weiter. 9. Das vierte Lied findet sich im Buch der Richter, von dem geschrieben steht: „Und es sangen Debora und Barak, der Sohn Abinoams, an jenem Tag und sprachen: Zu Beginn, ihr Fürsten in Israel, gemäß dem Willen des Volkes, preiset den Herrn! Hört, ihr Könige, und vernehmt es mit den Ohren, ihr Statthalter“g und so weiter. Diejenige aber, die dies singt, muss eine Biene sein, deren Werk derartig ist, dass Könige und gewöhnliche Leute es zur Gesundung nutzen.97 Debora heißt nämlich übersetzt ,Biene‘,98 und sie singt dieses Lied; doch auch Barak singt es mit ihr; Barak aber heißt übersetzt ,Blitz‘.99 Und dieses Lied wird nach dem Sieg gesungen, denn keiner kann das, was vollkommen ist, besingen, wenn er nicht vorher die Feinde besiegt hat.100 So wird endlich auch in diesem Lied 98 Der Name Debora bedeutet im Hebräischen tatsächlich „Biene“ (hrubd), wie Origenes auch in Iud. hom. 5,2 (GCS Orig. 7, 493) herausstellt; ebenso Hieronymus, int. hebr. nom. p. 5 Lagarde (CChr.SL 72, 64): Debbora apis siue eloquentia; ebd. p. 32 (72, 99): Debbora apis uel loquax. Vgl. Wutz, Onomastica sacra 194. 99 Origenes, ebd. 5,4 (7, 494): Barac autem interpretatur coruscatio; Hieronymus, ebd. p. 31. 77 (72, 99. 156): Barac fulgurans. Auch hier trifft die Etymologie zu, weil das hebräische qrb wirklich „Blitz“ bedeutet. Vgl. Wutz, ebd. 10. 100 Ebd. 6,1 (7, 498) deutet Origenes das Siegeslied Deboras und Baraks eschatologisch und den Feind, der vernichtet ist, als den Tod: „Wir verstehen, dass dies alles Geheimnisse sind, die am Jüngsten Tag, am Ende der Welt durch die Kirche erfüllt werden und dass in diesem Lied gleichsam ihr Siegeslied (epinicia eius, id est uictoriae laudem, wie Rufinus ergänzend erläutert) beschrieben ist, und zwar zu der Zeit, wenn der letzte Feind vernichtet werden wird, der Tod (vgl. 1 Kor. 15,26).“

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exsurge, Debbora, exsuscita milia populi. Exsurge, exsurge, cane canticum; exsurge Barac.“ a Verum et de his plenius in illis oratiunculis, quas de libello Iudicum edidimus, disserta reperies. 10. Quintum post haec canticum est in secundo libro Regnorum, cum locutus est Dauid ad Dominum uerba cantici huius in die, qua liberauit eum Dominus de manu omnium inimicorum eius et de manu Saul et dixit: „Dominus mihi petra et munitio mea, liberator meus, Deus meus custos erit mihi.“ b Si ergo et tu potueris considerare, qui sunt inimici Dauid, quos in primo et secundo Regnorum libro superat ac prosternit, et quomodo dignus factus est, ut Domini adiutorium mereretur et liberaretur ab huiusmodi inimicis, tunc poteris et tu quintum istud canticum canere. 11. Sextum est canticum in primo Paralipomenon libro, ubi constituit Dauid in principio ad laudandum Dominum Asaph et fratres eius, et est initium cantici illius tale: „Laudate Dominum et confitemini et inuocate eum in nomine eius, notas facite in populis uoluntates eius. Canite ei et hymnum dicite, narrate omnes adinuentiones eius, quas fecit Dominus“ c et cetera. 12. Sciendum tamen est, quod canticum quidem, quod est in secundo Regnorum libro, ualde simile est psalmo decimo septimo. d Quod autem est in primo libro Paralipomenon in initiis quidem usque ad eum locum, ubi dicit: „Et in prophetas meos nolite malignari“, e simile est centesimo quarto psalmo. f Posteriora uero ab hoc loco g similitudinem gerunt primarum partium nonagesimi et quinti psalmi, ubi dicitur: „Cantate Domino, omnis terra“, usque ad eum locum, ubi ait: „Quia uenit iudicare terram“. h Igitur si in his concludendus est numerus canticorum, septimo in loco ponendus uidebitur liber hic Cantici Canticorum. 13. Si quis uero etiam Esaiae canticum i cum ceteris numerandum putet – licet non ualde conuenire uideatur, ut praecessisse putetur Esaiae canticum, quod longe posterioribus temporibus Esaias scripserit –, tamen, si quis putet quod prophetica dicta non temporibus, sed ratione pensanda sunt, adiunget etiam istud canticum et dicet hoc, quod Solomon cecinit, canticum esse canticorum non tantum eorum, quae prius, sed et quae postmodum canenda uidebantur. 14. Si quis uero putet etiam ex libro Psalmorum debere adsumi, sicubi in eo a f

b c d Ri. 5,12 2 Sam. 22,1–3 1 Chr. 16,7–9 Ps. 17(18),3 g h Ps. 104(105),1–15 1 Chr. 16,23–33 Ps. 95(96),1–13

i

e 1 Chr. 16,7–22 Jes. 5,1–7

101 Von Debora und Barak handelt ein großer Teil der fünften Richterhomilie: ebd. 5,1–4 (7, 492–495), von ihrem Lied die ganze sechste Homilie: ebd. 6 (7, 498–504). Zu den chronologischen Problemen dieses Rückverweises siehe erneut oben S. 104 Anm. 86. In diesem Fall kann man sich sehr gut vorstellen, dass der Satz von Rufinus stammt, weil auf ihn die Rede von einer ,Ausgabe‘ von Richterhomilien des Origenes unmittelbar zutrifft. 102 Zu diesen beiden Liedern gibt Origenes keinen Hinweis auf eigene frühere Auslegungen. Mit den Samuel-, Königs- und Chronikbüchern hat er sich in seiner Exegese kaum oder gar nicht beschäftigt. Lediglich zum Ersten Samuelbuch sind

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gesungen: „Erhebe dich, erhebe dich, Debora, erwecke die Tausenden des Volkes! Erhebe dich, erhebe dich, singe ein Lied, erhebe dich, Barak!“a Doch auch hierüber wirst du mehr in jenen Predigten dargelegt finden, die wir über das Buch der Richter herausgegeben haben.101 10. Das fünfte Lied danach steht im zweiten Buch der Königtümer. Die Worte dieses Liedes sprach David zum Herrn an dem Tag, als ihn der Herr aus der Hand aller seiner Feinde und aus der Hand Sauls befreite; er sagte: „Der Herr ist mir Fels und meine Burg, mein Befreier, mein Gott wird mir Beschützer sein.“b Wenn also auch du zu bedenken vermagst, wer die Feinde Davids sind, die er im ersten und zweiten Buch der Königtümer überwindet und niederwirft, und wie er würdig wurde, die Hilfe des Herrn zu verdienen und von solchen Feinden befreit zu werden, dann wirst auch du dieses fünfte Lied singen können. 11. Das sechste ist das Lied im ersten Buch der Chronik, wo David zu Beginn Asaph und seine Brüder zum Lob des Herrn einsetzte; der Anfang dieses Liedes lautet folgendermaßen: „Lobet den Herrn und bekennt und ruft ihn an in seinem Namen, macht seinen Willen unter den Völkern bekannt. Singt ihm, singt einen Hymnus, erzählt alle seine Wundertaten, die der Herr getan hat“c und so weiter.102 12. Man muss allerdings wissen, dass das Lied im zweiten Buch der Königtümer dem 17. Psalm sehr ähnlich ist.d Das Lied im ersten Buch der Chronik aber ist am Anfang bis zu der Stelle, wo es heißt: „Und meinen Propheten sollt ihr kein Leid antun“,e dem 104. Psalm ähnlich.f Die Teile nach dieser Stelleg aber haben Ähnlichkeit mit den ersten Passagen des 95. Psalms, wo es heißt: „Singt dem Herrn, alle Lande“, bis zu der Stelle, wo er sagt: „Denn er kommt, die Erde zu richten“.h Wenn damit also die Zahl der Lieder abzuschließen ist, muss man offenbar dieses Buch des Liedes der Lieder an die siebte Stelle setzen. 13. Wenn aber jemand meint,103 auch das Lied des Jesajai sei zu den anderen zu zählen – auch wenn die Annahme, das Lied des Jesaja sei (dem Hohelied) vorausgegangen, nicht recht zu passen scheint, weil Jesaja in viel späterer Zeit geschrieben hat –, wird doch jemand, der glaubt, dass die Aussprüche der Propheten nicht nach ihrer Zeit, sondern nach ihrer Bedeutung zu gewichten sind, auch dieses Lied hinzufügen und sagen, dieses Lied, dass Salomo gesungen hat, sei das Lied nicht nur der Lieder, die früher, sondern auch derer, die offenbar danach zu singen waren.104 14. Wenn aber jemand meint, man müsse auch zwei Predigten erhalten (über 1 Sam. 1f. und 1 Sam. 28), zu den übrigen Büchern nur wenige Fragmente: in Regn. frg. 15–22 (GCS Orig. 32, 299–303). Näheres dazu bei Fürst, OWD 7, 3–12. 103 Das ist eine für den Kommentar typische Vorgehensweise: Ein möglicher Einwand gegen die eigene Argumentation wird vorgestellt, beurteilt und entweder verworfen oder (wie in diesem Fall) als zulässig akzeptiert. Ähnlich geht Origenes auch in Cant. comm. II 1,5 vor. 104 In den Homilien zum Hohelied wird in der Reihe der Stationen der Seele auf dem Weg zur höchsten Erkenntnis an sechster Stelle nicht auf das Lied Davids im Ersten

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uel canticum scribitur uel canticum psalmi, multitudinem congregabit praecedentium canticorum. Iunget enim ceteris etiam quindecim simul graduum cantica a et requirens singulorum uirtutes canticorum atque ex his proficientis animae gradus colligens ac spiritali intelligentia ordinem rerum consequentiamque componens ostendere poterit, quam magnificis gressibus incedens sponsa per haec omnia perueniat usque ad thalamum sponsi digrediens in locum tabernaculi admirabilis usque ad domum Dei, in uoce exsultationis et confessionis, sonus epulantis b et perueniens usque ad ipsum, ut diximus, thalamum sponsi, ut audiat et loquatur cuncta haec, quae continentur in Cantico Canticorum. 15. Adhuc autem possumus et haec requirere, priusquam ad ipsum corpus libelli ueniamus, cur Solomon, qui uidetur in istis tribus libellis ministrasse uoluntati Spiritus Sancti, in Prouerbiis quidem dicitur Solomon, filius Dauid, qui regnauit in Istrahel, c in secundo uero libello non „Solomon“ scribitur, sed „uerba“ inquit „Ecclesiastae filii Dauid regis Istrahel in Hierusalem“ d et filium quidem sese Dauid, similiter ut in primo, et regem Istrahel scribit, sed ibi prouerbia, hic uerba posuit et se ipsum, quem ibi Solomonem, hic Ecclesiasten nominauit. Et cum ibi gentem solam, in qua regnauerat, posuisset, hic et gentem ponit et locum regni Hierusalem designat. 16. In Cantico uero Canticorum neque gentis nomen neque locum, in quo regnet, neque omnino quod rex sit neque quod patrem Dauid habeat scribit, sed tantummodo „Canticum“ ait „Canticorum, quod est ipsi Solomoni“. e Et quamuis difficile mihi uideatur aut perscrutari et attingere posse horum differentias aut utcumque inuestigatas palam proferre et chartulis credere, tamen, in quantum capere uel sensus noster uel auditus legentium potest, paucis aperire temptabimus. a

Ps. 119(120)–133(134)

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Ps. 41(42),5

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Spr. 1,1

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Koh. 1,1

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Hld. 1,1

Chronikbuch (1 Chr. 16,8–36) Bezug genommen, sondern auf das Weinberglied des Jesaja (Jes. 5,1–7): in Cant. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 28). Wenn der Kommentar zum Hohelied nach den Predigten zur selben Schrift verfasst sein sollte, dann hätte Origenes sich im Kommentar differenzierter geäußert als in den Homilien und stellten seine Ausführungen eine Art retractatio dar (so Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 156 Anm. 1). Im Falle der umgekehrten Chronologie könnte man den Befund vielleicht auch so deuten, dass er eine Überlegung, die er im Kommentar als zulässig diskutierte, in den Homilien ohne weitere Diskussion aufgriff. 105 Als eigentlicher Autor der Bibel gilt Origenes mit der gesamten altkirchlichen Exegese der Heilige Geist: princ. IV 2,2 (GCS Orig. 5, 308); philoc. 7,2 (SC 302, 328); in Regn. hom. graec. 4 (GCS Orig. 32, 286; dazu Fürst, OWD 7, 212f. Anm. 18. 22); in Num. hom. 26,3 (GCS Orig. 7, 247). Siehe dazu Neuschäfer, Origenes als Philologe 272–276; Martens, Origen and Scripture 194f. 106 Origenes folgt in Koh. 1,1 dem Text der Septuaginta, gemäß dem der Prediger „König Israels in Jerusalem“ ist, während der masoretische Text von ihm nur als „König in Jerusalem“ spricht. Die Septuaginta-Version ist wohl von Koh. 1,12 be-

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aus dem Buch der Psalmen jedes Stück aufnehmen, in dem von Lied oder Lied des Psalms die Rede ist, der wird eine Menge von (dem Hohelied) vorausgehenden Liedern sammeln. Er wird nämlich mit den anderen auch die insgesamt fünfzehn Stufenpsalmena verbinden und wird, wenn er die charakteristischen Stärken der einzelnen Lieder untersucht und aus ihnen die Stufen des Seelenfortschritts gewinnt und durch ein geistiges Verständnis eine Ordnung und logische Abfolge der Dinge herstellt, in der Lage sein zu zeigen, mit welch großen Schritten die Braut durch alle diese Dinge hindurchgeht und bis zum Gemach des Bräutigams gelangt und in den Ort des wunderbaren Zeltes eintritt bis hin zum Hause Gottes, mit der Stimme des Frohlockens und des Lobpreisens, dem Gesang einer Feiernden.b Und so gelangt sie, wie gesagt, bis zum Gemach des Bräutigams selbst, um alle die Dinge zu hören und zu sagen, die im Lied der Lieder enthalten sind. 15. Bevor wir aber zum Inhalt des Buches selbst kommen, können wir auch noch untersuchen, warum Salomo, der in diesen drei Büchern dem Willen des Heiligen Geistes zu dienen scheint,105 in den Sprichwörtern Salomo, der Sohn Davids, der in Israel regierte,c genannt wird, im zweiten Buch aber nicht „Salomo“ steht, sondern es heißt: „Worte des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs von Israel in Jerusalem“,d und er sich selbst zwar ähnlich wie im ersten Buch als Sohn Davids und König Israels beschreibt, dort aber Sprichwörter, hier Worte niederschrieb und sich selbst, den er dort Salomo nannte, hier als Prediger bezeichnete. Und während er dort allein das Volk, über das er geherrscht hatte, nannte, erwähnt er hier sowohl das Volk und bezeichnet auch den Ort seiner Herrschaft, nämlich Jerusalem.106 16. Im Lied der Lieder hingegen schreibt er weder den Namen des Volkes noch den Ort, an dem er regiert, noch überhaupt, dass er König ist, und auch nicht, dass er David zum Vater hat, sondern sagt bloß: „Das Lied der Lieder, das von Salomo stammt“.e Auch wenn es mir schwierig zu sein scheint, einerseits diese Unterschiede zu untersuchen und annähernd begreifen zu können, andererseits das wie weit auch immer Erforschte öffentlich vorzutragen und schriftlich niederzulegen, werden wir dennoch, soweit es unser Denken wie auch das Verständnis der Leser zu erfassen vermag, mit wenigen Worten ein paar Erklärungen versuchen.107

einflusst, wo von Kohelet als „König über Israel in Jerusalem“ die Rede ist. Schon Hieronymus, in Eccl. 1,1 (CChr.SL 72, 251), kritisierte diesen Zusatz in Koh. 1,1 als überflüssig. 107 Der Satz fängt trefflich die von Platon, Phaidr. 274b–279c; epist. 7, 341c–d, übernommenen Vorbehalte des Origenes gegen die schriftliche Niederlegung und Veröffentlichung theologisch-philosophisch anspruchsvoller Gedanken ein – paradigmatisch formuliert in Ioh. comm. V 1 (GCS Orig. 4, 100) –, was ihn freilich ebensowenig wie Platon davon abhielt, dies in keineswegs „wenigen Worten“, sondern in umfangreichen Büchern doch zu tun. Siehe Junod, Du danger d’e´crire.

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17. In plurimis Solomonem typum Christi ferre uel secundum hoc, quod pacificus dicitur, uel secundum quod regina austri uenit a finibus terrae audire sapientiam Solomonis, a non puto dubitandum. 18. Hic ergo et secundum quod filius Dauid b dicitur, regnat in Istrahel, c et secundum quod supra eos reges, pro quibus ipse rex regum d dicitur, regnat. Et rursus uerus Ecclesiastes ipse est, qui, cum in forma Dei esset, semet ipsum exinaniuit formam serui accipiens, e ut congregaret ecclesiam; a congregando enim ecclesiam Ecclesiastes appellatur. Tum uero quis ita Solomon, id est pacificus, ut Dominus noster Iesus Christus, qui factus est nobis sapientia a Deo et iustitia et pax? f 19. Igitur in primo Prouerbiorum libro, cum nos moralibus instituit disciplinis, rex esse dicitur in Istrahel g necdum in Hierusalem, h quia, etsi Istrahel dicamur i propter fidem, nondum tamen in hoc peruentum est, ut ad Hierusalem caelestem j peruenisse uideamur; ubi uero profecerimus et in hoc uentum fuerit, ut ecclesiae primitiuorum, quae in caelis est, k sociemur atque Hierusalem caelestem discussis diligentius priscis et naturalibus causis matrem nostram esse noscamus caelestem, l tunc iam nobis etiam ipse Christus Ecclesiastes efficitur et non solum in Istrahel, m sed et in Hierusalem regnare n dicitur. 20. Cum uero ad perfectionem omnium uentum fuerit et sponsa ei perfecta, omnis dumtaxat rationalis creatura, iungetur, quia paciMt. 12,42 Spr. 1,1 m Spr. 1,1 a

g

h

b Mt. 1,1 Koh. 1,1 n Koh. 1,1

Spr. 1,1 Gal. 6,16

c i

d j

1 Tim. 6,15 Hebr. 12,22

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Phil. 2,6f. Hebr. 12,23

f

1 Kor. 1,30 l Gal. 4,26

108 Diese Etymologie des Namens Salomo findet sich zuerst bei Philon, congr. 177 (III p. 109 Cohn/Wendland): eiÆrhnikoÂw, oÊw patriÂvì glvÂtthì SalomvÁn kaleiÄtai, und wird von Clemens von Alexandria, strom. IV 161,3 (GCS Clem. Al. 24, 319), aufgegriffen. Vgl. Origenes, in Ios. hom. 11,5 (GCS Orig. 7, 365): pacificus Solomon; sel. in Ps. 71(72),1 (XIII p. 1 Lommatzsch); Hieronymus, int. hebr. nom. p. 63 Lagarde (CChr.SL 72, 138): Salomon pacificus siue pacatus erit; ebd. p. 71 (72, 148): Salomon pacificus; Wutz, Onomastica sacra 109. 109 Dieser zweite Aspekt der Typologie wird im Kommentar in Cant. comm. II 1,26–41 breit ausgeführt. Vgl. auch in Cant. hom. 1,6 (GCS Orig. 8, 37): „,Die Königin des Südens kommt von den Enden der Erde, um die Weisheit‘ nicht jenes ,Salomo zu hören‘ (Mt. 12,42), der im Alten Testament gepriesen wird, sondern dessen, der im Evangelium größer als Salomo ist.“ 110 Das Wort ,Kohelet‘ (tlhq) ist vom hebräischen lhq abgeleitet, „versammeln“. Weil die „Versammlung“ im Griechischen eÆkklhsiÂa heißt, wurde ,Kohelet‘ in der Septuaginta daran angelehnt mit ÆEkklhsiasthÂw wiedergegeben, „Sammler“ oder „Versammler“ (lateinisch ecclesia und Ecclesiastes). Im Deutschen ist diese Etymologie kaum wiederzugeben.

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17. Dass Salomo in vielerlei Hinsicht ein Bild für Christus ist, sei es deshalb, weil er Friedensstifter heißt,108 sei es deshalb, weil die Königin des Südens von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomos zu hören,a 109 kann meines Erachtens nicht bezweifelt werden. 18. Dieser also herrscht sowohl, insofern er Sohn Davidsb genannt wird, in Israel,c als auch, insofern er über die Könige herrscht, für die er selbst König der Königed genannt wird. Und andererseits ist der wahre Prediger der, der zwar in der Gestalt Gottes war, aber sich selbst entäußerte, indem er die Gestalt eines Knechtes annahm,e um die Kirche zu sammeln; denn weil er die Kirche sammelt, wird er Prediger genannt.110 Wer aber ist schließlich so sehr Salomo, das heißt Friedensstifter, wie unser Herr Jesus Christus, der für uns zur Weisheit von Gott und zur Gerechtigkeit und zum Frieden geworden ist?f 19. Daher wird im ersten Buch der Sprichwörter, wenn er uns in den moralischen Lehren unterrichtet, gesagt, er sei König in Israel,g noch nicht in Jerusalem,h denn auch wenn wir wegen des Glaubens Israel genannt werden,i, sind wir doch noch nicht so weit vorangekommen, dass wir zum himmlischen Jerusalemj gelangt zu sein scheinen. Sobald wir aber Fortschritte gemacht haben und dahin gekommen sind, dass wir der Kirche der Erstgeborenen, die im Himmel ist,k eingegliedert werden und wir, wenn wir uns sorgsam von den alten und natürlichen Zuständen freigemacht haben, erkennen, dass das himmlische Jerusalem unsere himmlische Mutter ist,l dann wird uns endlich auch Christus selbst zum Prediger und wird gesagt, dass er nicht allein in Israel,m sondern auch in Jerusalem regiert.n 111 20. Wenn aber die Vollkommenheit von allem112 erreicht ist und die vollkommene Braut, das heißt jedes vernünf-

111 Anhand der Bezeichnungen Christi in Sprichwörter, Kohelet und Hohelied wird dessen Wirken an der Seele beschrieben. Den drei Büchern entsprechen die drei Gruppen der Gläubigen (Anfänger: Sprichwörter; Fortgeschrittene: Kohelet; Vollkommene: Hohelied), deren spezifische Kirchenzugehörigkeit kurz erläutert wird. Die Zugehörigkeit zur Kirche und die damit verbundene Erlösung werden dabei auch den einfachen Christen zugesprochen. Denn im Gegensatz zur Gnosis, die nur den Vollkommenen Erlösung zuspricht, ist für Origenes das Heil nicht allein auf die Vollkommenen beschränkt. Dies hält ihn aber nicht davon ab, die Gläubigen zu einem ständigen Voranschreiten im christlichen Leben, zu einem integren Lebenswandel und zu größerem Verständnis Gottes und der Schrift zu motivieren und anzuleiten. 112 In dieser Formulierung drückt sich die eschatologische Vorstellung vom endgültigen Heil als des Zustands aus, in dem alle Vernunftwesen die höchste Vollkommenheit erreicht haben. Für Origenes ist jeder Zustand, in dem es noch Unterschiede zwischen den vernünftigen Geschöpfen gibt, noch nicht der eschatologische Endzustand; princ. III 6,4 (GCS Orig. 5, 286): „Wenn aber die Dinge dahin drängen, ,dass alle eins werden‘ (Joh. 17,21), wie ,der Vater und der Sohn eins sind‘ (Joh. 10,30), muss man folgerichtig annehmen, dass, wo alle eins sind, keine Verschiedenheit mehr existieren wird.“ Übersetzung: p. 655 Görgemanns/Karpp.

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ficauit per sanguinem suum non solum, quae in terris sunt, sed et quae in caelis, a tunc Solomon tantummodo dicitur, „cum tradiderit regnum Deo et Patri, cum euacuauerit omnem principatum et potestatem. Oportet enim eum regnare, donec ponat inimicos suos sub pedibus suis et nouissimus inimicus destruatur mors“. b Et ita pacificatis omnibus Patrique subiectis cum erit iam „Deus omnia in omnibus“, c Solomon tantummodo, id est solum pacificus, nominabitur. 21. Competenter ergo in hoc libello, qui de amore sponsi et sponsae erat scribendus, etiam pro hoc neque filius Dauid neque rex neque aliud horum, quod ad corporeum pertinere possit intellectum, scribitur, ut merito de eo perfecta iam sponsa dicat quia: „Etsi cognouimus aliquando Christum secundum carnem, sed nunc iam non nouimus“, d ne quis eam putet corporeum aliquid amare aut in carne positum et macula aliqua amori eius credatur induci. Propterea ergo Canticum Canticorum Solomoni e tantummodo est et neque filio Dauid neque regi Istrahel, neque aliqua prorsus in his miscetur carnalis nominis intelligentia. 22. Et ne mireris quod, cum unus atque idem sit Dominus et Saluator noster, dicamus eum uelut minorem primo in Prouerbiis et inde proficientem in Ecclesiaste et post haec perfectiorem in Cantico Canticorum, cum haec etiam in euangeliis uideas scripta, ubi propter nos et in nobis ipse dicitur proficere; sic enim refertur quia: „Iesus proficiebat aetate et sapientia apud Deum et homines.“ f 23. Puto ergo quod pro his omnibus neque filius Dauid neque rex Istrahel scribitur, sed et pro eo adhuc, quod in Cantico Canticorum sponsa iam in tantum profecerat, ut maius aliquid esset, quam est regnum Hierusalem. Nam Hierusalem caelestem dicit apostolus esse atque ad eam mea Kol. 1,20 2,52

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1 Kor. 15,24–26

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1 Kor. 15,28

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2 Kor. 5,16

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113 Diese Aussage des Paulus in 1 Kor. 15,28 dient Origenes als biblischer Hauptbeleg für die von ihm konzipierte Allerlösung. Siehe dazu Schendel, Herrschaft 80–110. 114 Die Erkenntnis Christi als des Inkarnierten ist für Origenes der Anfang der christlichen Erkenntnis, auf der die tiefergehende geistige aufbauen kann; in Ioh. comm. I 7,43 (GCS Orig. 4, 13): „Deshalb ist es nötig, auf geistige und auf körperliche Weise Christ zu sein; und wo es nötig ist, das körperliche Evangelium zu verkünden, indem man den fleischlich Gesinnten gegenüber bekennt, ,nichts zu kennen als Jesus Christus und diesen als den Gekreuzigten‘ (1 Kor. 2,2), dann muss dies getan werden. Wenn sich aber welche finden, die dem Geist anhängen und in ihm Frucht bringen und die himmlische Weisheit lieben, muss man ihnen an dem Wort Anteil geben, das nach der Fleischwerdung zurückkehrt bis dorthin, wo es heißt: ,Im Anfang war es bei Gott‘ (Joh. 1,2).“

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tige Geschöpf, mit ihm verbunden wird, weil er durch sein Blut nicht nur befriedet hat, was auf Erden ist, sondern auch, was im Himmel ist,a dann wird er nur noch Salomo heißen, „wenn er die Herrschaft Gott und dem Vater übergeben, wenn er alle Herrschaft und Macht zunichtegemacht hat. Er muss nämlich herrschen, bis er seine Feinde unter seine Füße legt und als letzter Feind der Tod zerstört wird.“b Und wenn so alles befriedet und dem Vater unterworfen ist, wenn „Gott“ nunmehr „alles in allem“c 113 sein wird, wird er nur noch Salomo, das heißt nur noch Friedensstifter genannt werden. 21. Folgerichtig wird also in diesem Buch, das über die Liebe des Bräutigams und der Braut zu schreiben war, auch deswegen weder Sohn Davids noch König noch irgendetwas, was sich auf ein körperliches Verständnis beziehen könnte, geschrieben, damit die bereits vollkommene Braut zu Recht über ihn sagt: „Auch wenn wir Christus einmal dem Fleische nach gekannt haben, kennen wir ihn jetzt doch nicht mehr so“,d damit niemand meint, sie liebe etwas Körperliches oder ans Fleisch Gebundenes, und man nicht glaubt, ihre Liebe enthalte irgendeinen Makel.114 Deshalb also ist das Lied der Lieder allein von Salomoe und nicht vom Sohn Davids noch vom König Israels, und es wird mit diesem keinerlei fleischliches Verständnis dieses Namens vermischt. 22. Und wundere dich nicht darüber, dass wir unseren Herrn und Erlöser, obwohl er doch ein und derselbe ist, zuerst in den Sprichwörtern als einen geringeren und dann im Prediger als einen Voranschreitenden und danach im Lied der Lieder als einen Vollkommenen bezeichnen, da du dies auch in den Evangelien geschrieben siehst, wo es heißt, er selbst mache unseretwegen und in uns Fortschritte. Es wird nämlich Folgendes berichtet: „Jesus nahm zu an Alter und Weisheit vor Gott und den Menschen.“f 115 23. Ich meine also, dass aus allen diesen Gründen weder Sohn Davids noch König Israels geschrieben wird, darüber hinaus aber auch deshalb, weil die Braut im Lied der Lieder schon so weit fortgeschritten war, dass sie etwas Größeres war, als es die Herrschaft über Jerusalem ist. Denn es gibt, sagt der Apostel, ein himmlisches Jerusalem, und er

115 In der Homilie über diese Bibelstelle findet sich dieser Gedanke in ähnlicher Weise; in Luc. hom. 20,6 (GCS Orig. 92, 123): Die Idee, Christus sei irgendwann so beschaffen gewesen, dass er der Weisheit bedurfte hätte, wird ebenso zurückgewiesen wie die Vorstellung, dass er die Weisheit durch seine Erniedrigung in der Annahme eines Leibes verloren hätte und nun zurückgewinne. Beide Thesen werden dort als Fragen formuliert, die ein klares Nein als Antwort verlangen. Origenes geht es erneut darum, Christi Handeln als liebende Hilfestellung um der Menschen willen zu zeigen: Er, der Logos, wächst in der einzelnen Seele und macht in dieser Fortschritte, weshalb Origenes die Predigt in einen Aufruf münden lässt, ebd. 20,7 (92, 124), „erwachsene Menschen zu werden“; Übersetzung: Sieben, FC 4, 231. Die Göttlichkeit Christi und seine Allweisheit werden dabei nicht in Frage gestellt.

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morat credentes accedere; a hunc uero sponsum, ad quem nunc sponsa festinat, idem Paulus cum pontificem maximum dicit, ita de eo scribit, quasi qui non in caelis sit, sed penetrarit et pertransierit omnes caelos b et illuc quoque eum haec sua perfecta c sponsa sectetur, immo illuc adhaerens ei et coniuncta conscenderit; d est enim facta cum eo unus spiritus. e 24. Vnde uidetur mihi et ad Petrum, qui non poterat eum primo sequi, cum diceret: „Quo ego uado, uos non potestis uenire modo“, dixisse: „Sequeris autem postea.“ f 25. Quod autem sit aliquid maius et ab Istrahel, inde colligimus quod in Numerorum libro omnis quidem Istrahel numeratur et in duodecim tribubus Istrahel certo sub numero censetur, tribus uero Leuitica, utpote ceteris eminentior, supra hunc numerum habetur et nequaquam in Istrahelitico numero deputatur; g dicit enim ita: „Haec est uisitatio, in qua recensiti sunt filii Istrahel secundum domus familiarum suarum; omnis uisitatio eorum cum uirtute sua sescenta tria milia quingenti quinquaginta. Leuitae autem non sunt numerati cum iis, sicut praecepit Dominus Moysi.“ h Vides, quomodo ut eminentiores a filiis Istrahel sequestrantur Leuitae nec in eorum numero sociantur. 26. Et rursum Leuitis eminentiores scribuntur sacerdotes; sic enim in eadem scriptura continetur: „Et locutus est“ inquit „Dominus ad Moysen dicens: Accipe summam Leuitarum, et statues eos in conspectu Aaron sacerdotis, et ministrent ei.“ i Vides et in hoc, quomodo superiores Leuitis nominat sacerdotes et rursus Leuitas eminentiores ponit filiis Istrahel? 27. Haec autem uisi sumus discutere paulo curiosius uolentes etiam per haec ostendere rationem, qua in ipsis quoque attitulationibus librorum suorum Solomon differentiis usus est necessariis et aliud in Prouerbiis, aliud in Ecclesiaste, aliud etiam in Canticorum Cantico ex ipsa inscriptione tituli designauit. 28. Et adhuc quod in Cantico Canticorum, ubi iam perfectio ostenditur, neque filius Dauid neque rex scribitur, potest etiam hoc dici quia, cum factus fuerit seruus sicut Dominus et discipulus sicut magister, j uidetur iam neque seruus esse seruus, factus uidelicet sicut Dominus, neque discia g

Hebr. 12,22 Num. 1,49

b h

Hebr. 4,14 Num. 2,32f.

c

d e Hld. 6,9 Hld. 8,5 1 Kor. 6,17 i j Num 3,5f. Mt. 10,24; Lk. 6,40

f

Joh. 13,36

116 Hier scheint Origenes davon auszugehen, dass sich Christus, der nach Hebr. 4,14 die Himmel durchschritten hat (dielhlyuoÂta), nicht mehr im Himmel, sondern jenseits aller Himmel befindet, wohin er auch die vollkommene Seele führen wird. Wie princ. II 11,6f. (GCS Orig. 5, 189–192) zeigen kann, gehören die Himmel noch prinzipiell zu dieser materiellen Welt, von der aus die Gläubigen zur geistigen und radikal überweltlichen Sphäre aufsteigen werden. 117 In Cant. hom. 1,7 (GCS Orig. 8, 39) wendet Origenes diesen Aufstiegsgedanken auf sich selbst als Exegeten an. 118 Origenes schildet auch in Lev. hom. 5,3 (GCS Orig. 6, 340) Priester, Leviten und die Kinder Israels als drei Stufen der Erkenntnis der göttlichen Lehren: „Es gibt noch andere Lehren der Kirche, zu denen auch die Leviten gelangen können, aber

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erwähnt, dass die Gläubigen dorthin gelangen.a Wenn derselbe Paulus aber diesen Bräutigam, zu dem die Braut jetzt eilt, als Hohepriester bezeichnet, schreibt er so über ihn, als wäre er nicht in den Himmeln, sondern als hätte er alle Himmel durchdrungen und durchschrittenb 116 und als folge ihm diese seine vollkommenec Braut auch dorthin, ja steige, da sie ihm anhängt und mit ihm verbunden ist, mit ihm gemeinsam dorthin auf,d 117 denn sie ist mit ihm ein Geist geworden.e 24. Daher scheint er mir auch zu Petrus, der ihm zuerst nicht folgen konnte, nachdem er gesagt hatte: „Wohin ich gehe, könnt ihr noch nicht gelangen“, gesagt zu haben: „Du wirst aber später folgen.“f 25. Dass es aber auch etwas Größeres als Israel gibt, schließen wir daraus, dass im Buch Numeri zwar ganz Israel gezählt und Israel in zwölf Stämmen genau abgezählt wird, der Stamm der Leviten aber, weil er bedeutender als die anderen ist, extra gezählt und keineswegs in die Zahl der Israeliten eingerechnet wird.g Denn es heißt: „Dies ist die Musterung, bei der die Kinder Israels durchgezählt worden sind nach den Häusern ihrer Familien, und ihre ganze Musterung ergab zusammen mit ihrer Streitmacht 603.550. Die Leviten jedoch sind nicht mit ihnen gezählt worden, wie es der Herr Mose vorgeschrieben hat.“h Du siehst, wie die Leviten als bedeutender von den Kindern Israels unterschieden und nicht in ihre Zahl eingerechnet werden. 26. Und die Priester werden wiederum als bedeutender beschrieben als die Leviten; so ist nämlich in derselben Schrift zu lesen: „Und der Herr sprach“, heißt es, „zu Mose und sagte: Nimm die Gesamtheit der Leviten und stelle sie vor das Angesicht des Priesters Aaron, und sie sollen ihm dienen.“i Siehst du nicht auch hier, wie er die Priester als den Leviten überlegen bezeichnet und wiederum die Leviten als bedeutender darstellt als die Söhne Israels?118 27. Dies haben wir aber offensichtlich ein wenig sorgfältiger erörtert, weil wir auch dadurch den Grund aufweisen wollten, weshalb Salomo sogar in den Titeln seiner Bücher selbst verschiedene notwendige Bezeichnungen gebraucht hat und durch die Titelüberschrift selbst etwas anderes in den Sprichwörtern, etwas anderes im Prediger und wieder etwas anderes im Lied der Lieder angedeutet hat. 28. Und ferner kann dazu, dass im Lied der Lieder, wo nunmehr die Vollkommenheit offenbart wird, weder Sohn Davids noch König geschrieben steht, noch Folgendes gesagt werden: Wenn der Sklave wie der Herr geworden ist und der Schüler wie der Lehrer,j scheint der Sklave nicht mehr Sklave zu sein, da er ja wie der Herr geworden ist, und der Schüler nicht mehr Schüler, da er ja wie der sie sind geringer als die, zu denen die Priester Zugang haben. Ich weiß auch noch andere, zu denen auch die Kinder Israel kommen können, das heißt die Laien.“ An der vorliegenden Stelle sieht er in der Rangordnung Israel, Leviten, Priester einen Typos für die Rangfolge der drei salomonischen Bücher, die in den unterschiedlichen Bezeichnungen ihres Verfassers Salomo zum Ausdruck kommt – wie er im folgenden Satz selbst nochmals klarstellt.

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pulus esse discipulus, quippe qui sicut magister effectus est, sed fuisse quidem aliquando discipulus, nunc uero esse sicut magister et fuisse quidem seruus aliquando, nunc uero esse sicut Dominus. Simili igitur ratione etiam de rege et his, in quos regnat, aduerti posse uidebitur, cum regnum iam tradetur Deo et patri. a 29. Sed et hoc non lateat nonnullos attitulationem libelli huius Cantica Canticorum scribere, quod non recte scribitur; non enim pluraliter, sed singulariter Canticum hic dicitur Canticorum. Haec quasi in praefatione dicta sint a nobis de superscriptione ipsa libelli uel attitulatione. 30. Nunc iam Domino nostro nos adiuuante ipsius operis adoriamur exordia; et tamen ne illud quidem remaneat nobis omissum, quod quibusdam requirendum uisum est adhuc de ipsa attitulatione ac superscriptione libri, quae ita habetur: „Canticum Canticorum, quod est ipsi Solomoni“. b 31. Sic enim accipiunt, quasi canticum hoc esse dixerit canticorum Solomonis, ut ex pluribus suis canticis hoc unum esse signauerit. Sed nos quomodo recipiemus huiusmodi intelligentiam, cum neque ecclesia Dei ulla extrinsecus Solomonis cantica legenda susceperit neque apud Hebraeos, a quibus eloquia Dei ad nos uidentur esse translata, aliquid praeter hos tres libellos Solomonis, qui et apud nos sunt, amplius habeatur in canone? a

1 Kor. 15,24

b

Hld. 1,1

119 Aus dem Verhältnis der Unterordnung (Herr – Sklave, Lehrer – Schüler, König – Untertan) wird also eine gleichgeordnete Beziehung, die Origenes, orat. 1 (GCS Orig. 2, 298), mit Joh. 15,14f. in die Kategorie der Freundschaft kleidet, wenn Christus „nicht mehr Herr sein will, sondern zum Freund wird für die, deren Herr er vorher war“. Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 99. 120 Dies ist u.a. die Lesart des Codex Alexandrinus aus dem 5. Jahrhundert: ÍAismata aÆì smaÂtvn. In Cant. comm. II 1,20 verwendet Origenes unkommentiert und wohl mechanisch nach der Septuaginta diese Fassung: Cantica Canticorum. Beispiele für die Verwendung dieser Titelform in der späteren Auslegungsgeschichte bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 166 Anm. 1. 121 Hiermit beendet Origenes eigentlich formell die Erörterung der Einleitungsfragen, deren Gliederung er in Cant. comm. prol. 1,8 gegeben hat. Das Folgende (ebd. prol. 4,30–35) kann als Nachtrag zur Erörterung des Titels angesehen werden, aber auch so, dass er damit zur Auslegung des ersten Verses (Hld. 1,1) übergeht und diesen dabei förmlich zitiert. Da der erste Vers die Titel- und Verfasserangabe enthält, werden seine Ausführungen dazu notgedrungen zu einer Art Nachtrag zum dazu schon Gesagten. 122 Das Lateinische ist eine wortwörtliche Übersetzung des Griechischen der Septuaginta: ËAisma aÆì smaÂtvn, oÏ eÆstin tv Äì Salvmvn. Der Artikel tv Äì ist mit ipsi übersetzt: Baehrens, GCS Orig. 8, 83 app. bibl. 123 Bei dieser Aussage ist umstritten, ob sie auf Origenes oder erst auf Rufinus zurückgeht; siehe die ausgewogenen Diskussionen bei Lawson, ACW 26, 317 Anm. 65, und Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 168 Anm. 1. Origenes sagt hier ja nicht nur, dass keine anderen Lieder des Salomo als das Hohelied bei den Christen got-

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Vorwort 4,28–31

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Lehrer geworden ist, sondern er scheint einmal Schüler gewesen zu sein, jetzt aber wie der Lehrer zu sein, und einmal Sklave gewesen zu sein, jetzt aber wie der Herr zu sein. Eine ähnliche Gedankenfigur wird offenbar auch auf das Verhältnis des Königs zu denen, über die er herrscht, angewendet werden können, wenn die Herrschaft endlich Gott und dem Vater übergeben wird.a 119 29. Aber auch dies soll nicht verborgen bleiben, dass einige den Titel dieses Buches als „Lieder der Lieder“ schreiben,120 was nicht korrekt ist, denn nicht im Plural, sondern im Singular wird es als „Lied der Lieder“ bezeichnet. Dies sei von uns gleichsam in einer Vorrede über die Überschrift dieses kleines Buches selbst beziehungsweise seinen Titel gesagt.121 30. Jetzt wollen wir endlich mit der Hilfe unseres Herrn den Anfang des Werkes selbst angehen. Doch auch jenes wollen wir nicht beiseite lassen, was manchen Leuten noch über den Titel und die Überschrift des Buches selbst, die so lautet: „Das Lied der Lieder, das von Salomo stammt“,b 122 untersuchenswert erschien. 31. Sie fassen sie nämlich so auf, als wäre damit gesagt, dass dieses ein Lied von den Liedern Salomos sei, um anzuzeigen, dass dieses eine nur eines von vielen seiner Lieder sei. Aber wie können wir ein solches Verständnis akzeptieren, wo doch weder die Kirche Gottes irgendwelche anderweitigen Lieder Salomos zur Lesung zugelassen hat, noch bei den Hebräern, von denen offensichtlich die Worte Gottes an uns weitergegeben worden sind, irgendein anderes Buch Salomos über diese drei Bücher hinaus, die auch bei uns vorliegen, im Kanon enthalten ist?123

tesdienstlich gelesen werden, sondern auch, dass es insgesamt nur drei Schriften des Salomo gibt, die zum hebräischen Kanon gehören. In der auf Origenes zurückgehenden Kanonliste bei Eusebius, hist. eccl. VI 25,2 (GCS Eus. 2, 572–576), wird außer den Büchern der Sprichwörter, des Predigers und des Hoheliedes kein Werk des Salomo genannt. Die Vorstellung von der alleinigen Zugehörigkeit dieser drei Bücher zum Kanon ist also durchaus die Ansicht des Origenes selbst gewesen, so dass Zweifel an der origeneischen Herkunft der umstrittenen Passage unbegründet sind. – Zur in der Alten Kirche Jahrhunderte lang umstrittenen Autorschaft und Kanonizität des Buches der Weisheit siehe Fürst, Weisheit 293–297. Origenes wusste um den ungewissen Status dieses Buches. In princ. IV 4,6 (GCS Orig. 5, 357) zum Beispiel spricht er vom „Salomo zugeschriebenen Buch der Weisheit, das freilich nicht von allen als autoritativ anerkannt wird“, und in Cant. comm. III 13,15 lässt er die Autorschaft offen. Andererseits zitiert er die Sapientia als kanonische Schrift: exhort. mart. 35 (GCS Orig. 1, 32f.); orat. 1 (GCS Orig. 2, 297); Cels. III 60 (GCS Orig. 1, 254); III 72 (1, 263); IV 5 (1, 277); IV 28 (1, 297); V 29 (2, 31). In princ. III 1,14 (GCS Orig. 5, 221) – ein griechisch überlieferter Passus – setzte Rufinus in seiner lateinischen Übersetzung zum Zitat von Weish. 7,16 hinzu: sicut scriptura dixit. Da Origenes jedoch wusste, dass diese Schrift nicht zum hebräischen Kanon gehört, und ihre Kanonizität auch kirchlich umstritten war, berücksichtigte er sie bei seiner Diskussion über die kanonischen Bücher Salomos nicht.

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32. Volunt tamen, qui haec asserunt, inde confirmare sententiam suam, quod in Regnorum tertio libro scriptum est multa fuisse cantica Solomonis, ut unum ex multis hoc esse confirment. Ibi ergo refertur ita: „Et dedit Dominus prudentiam Solomoni et sapientiam multam ualde et latitudinem cordis sicut arenam, quae est ad oram maris. Et sapiens factus est Solomon ualde super sapientiam omnium antiquorum et super omnes sapientes Aegypti, et super Gethan Zariten et Henan et Chalcat et Darala, et locutus est Solomon tria milia parabolarum, et erant cantica eius quinque milia.“ a Ex his ergo quinque milibus canticis uolunt uideri hoc unum canticum, quod habemus in manibus, sed ista quando uel ubi sint cantata, non solum ad usum, sed ne ad notitiam quidem peruenit ecclesiarum Dei. 33. Operosum est autem et procul ab opere proposito, si uelimus nunc requirere, quam multorum librorum commemoratio fiat in scripturis diuinis, quorum lectio nobis nulla omnino est tradita. Sed neque apud Iudaeos quidem haberi usum huiusmodi reperimus lectionum, quas siue pro eo, quod aliqua supra humanam intelligentiam continebant, placuit Sancto Spiritui auferri de medio, siue quod scripturis his, quae appellantur apocryphae pro eo, quod multa in iis corrupta et contra fidem ueram inueniuntur, dari maioribus non placuit locum nec admitti ad auctoritatem. Supra nos est pronuntiare de talibus. 34. Illud tamen palam est multa uel ab apostolis uel ab euangelistis exempla esse prolata et nouo testamento inserta, quae in his scripturis, quas canonicas habemus, numquam legimus, in apocryphis tamen inueniuntur et euidenter ex ipsis ostenduntur assumpta. Sed nec sic quidem locus apocryphis dandus est; non enim transferendi sunt termini aeterni, quos statuerunt patres nostri. b Potuit enim fieri, ut apostoli uel euangelistae Sancto Spiritu repleti sciuerint, quid adsumendum esset ex illis scripturis, quid uero refutandum; nobis autem non est absque periculo aliquid tale praesumere, quibus non est a

1 Kön. 5,9–12 LXX; 4,29–32 Vulg.

b

Spr. 22,28

124 Das ist die Argumentation von Hippolyt, Cant. 1,13 (CSCO 263, 34f. georg. Text; CSCO 264, 25 lat. Übersetzung), für den das Hohelied eines der fünftausend Lieder Salomos ist, von denen in 1 Kön. 5,12 LXX die Rede ist; vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 169 Anm. 3. Möglicherweise wendet Origenes sich mit seiner Kritik also gegen Hippolyt. 125 Der zweite Teil dieses Satzes ist nach dem Sinn übersetzt, den er offenbar hat. Im Lateinischen ist der indirekte Fragesatz Subjekt von peruenit, in der Sache bezieht sich diese Aussage aber auf ista, denn es sind diese fünftausend Lieder gemeint, die man in den christlichen Gemeinden weder benutzt noch überhaupt kennt. Vermutlich geht der Singular des Verbums zu einem Subjekt im Neutrum Plural auf den griechischen Text zurück und hat Rufinus mechanisch übersetzt, so dass ein im Lateinischen etwas schiefer Satz herauskam. 126 In Matth. comm. ser. 28 (GCS Orig. 11, 49–51) führt Origenes eine ganze Reihe

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Vorwort 4,32–34

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32. Dennoch wollen die, die dies behaupten, ihre Meinung damit erhärten, dass im dritten Buch der Königtümer geschrieben steht, es habe viele Lieder Salomos gegeben, um zu erhärten, dass dieses Lied eines von vielen sei.124 Dort wird also Folgendes berichtet: „Und der Herr gab Salomo Klugheit und sehr viel Weisheit und eine Weite des Herzens wie der Sand am Ufer des Meeres. Und Salomo wurde weise weit über die Weisheit aller Alten und über alle Weisen Ägyptens hinaus, auch über Gethan, den Zariten, und Henan und Chalat und Darala hinaus, und Salomo erzählte dreitausend Gleichnisse, und seine Lieder waren fünftausend.“a Als eines von diesen fünftausend Liedern also wollen sie dieses Lied, das wir in Händen halten, angesehen wissen, doch wann oder wo sie auch immer gesungen worden sein mögen, in den Gemeinden Gottes sind sie nicht nur nicht in Gebrauch, sondern nicht einmal zur Kenntnis gelangt.125 33. Es wäre jedoch mühsam und würde von dem Werk, das wir uns vorgenommen haben, weit wegführen, wenn wir jetzt untersuchen wollten, wie viele Bücher in den göttlichen Schriften erwähnt werden, die bei uns für die Lesungen überhaupt nicht in Gebrauch sind. Aber auch bei den Juden finden wir nicht, dass Lesungen von solchen Texten Brauch sind, die entweder deshalb, weil sie etwas enthielten, was das menschliche Verständnis übersteigt, vom Heiligen Geist beseitigt worden sind, oder weil es den Vorfahren nicht gefiel, diesen Schriften, die Apokryphen genannt werden, weil sich in ihnen viele verderbte und gegen den wahren Glauben gerichtete Lehren finden, Raum zu geben und sie als Autorität zuzulassen. Es geht über unsere Fähigkeiten hinaus, uns über solche Dinge zu äußern. 34. Dies jedoch ist bekannt, dass viele Geschichten von den Aposteln oder von den Evangelisten vorgebracht und in das Neue Testament aufgenommen worden sind, die wir in den Schriften, die wir als kanonisch ansehen, nirgends lesen, die in den Apokryphen jedoch zu finden und augenscheinlich aus ihnen entnommen sind.126 Doch auch auf diesem Wege ist den Apokryphen kein Platz einzuräumen, denn die ewigen Grenzen, die unsere Väter festgelegt haben, dürfen nicht verschoben werden.b Es könnte nämlich sein, dass die Apostel oder Evangelisten, erfüllt vom Heiligen Geist, wussten, was aus jenen Schriften annehmbar war und was dagegen abzulehnen. Für uns aber ist es nicht ohne Gefahr, uns etwas derartiges anzumaßen, da wir den Geist nicht in solcher

von Aussagen über die Propheten im Neuen Testament auf (Mt. 23,37; 1 Thess. 2,14f.; Hebr. 11,37f.), die sich in den kanonischen Schriften des Alten Testaments so nicht belegen lassen, wohl aber in der sog. apokryphen Literatur zu finden sind, beispielsweise die Tradition, Jesaja sei zersägt worden (vgl. Hebr. 11,37), die in der sog. Himmelfahrt Jesajas erzählt wird: asc. Is. 1,1–3,12 (CChr.SA 7, 44–59); 5,1–14 (7, 72–75); 11,41 (7, 128f.). Zu dieser Schrift bzw. zu dieser Geschichte bei Origenes, die er z.B. in Is. hom. 1,5 (GCS Orig. 8, 247) heranzieht, siehe die Hinweise bei Fürst/Hengstermann, OWD 10, 204 Anm. 26.

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tanta Spiritus abundantia. 35. Et ideo de praesenti uersiculo nos eam tenemus editionem, quam supra exposuimus, maxime cum euidens habeatur in eo distinctio, ubi ait: „Canticum Canticorum, quod est ipsi Solomoni“. a Si enim uoluisset intelligi canticorum Solomonis hoc esse canticum, dixisset utique: Canticum Canticorum, quae sunt Solomonis, uel: Canticum ex Canticis Solomonis; nunc autem, quia dixit: „quod est Solomoni“, ostendit istud canticum, quod est in manibus et quod erat ei canendum, hoc esse Solomonis et de hoc attitulationem, quam proposuit, continere. Videamus ergo iam etiam quae sequuntur. a

Hld. 1,1

127 Vgl. hierzu die Mahnung in Matth. comm. ser. 28 (GCS Orig. 11, 51): „Man muss alle Schriften also vorsichtig betrachten, damit wir weder alle Geheimschriften, die in Umlauf sind, im Namen der Heiligen annehmen … noch alles verwerfen, was zum Beweis unserer Schriften gehört. Sache eines großen Mannes ist es also, zu hören und das Wort zu erfüllen: ,Prüft alles! Was gut ist, behaltet!‘ (1 Thess. 5,22).

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Vorwort 4,34–35

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Fülle besitzen.127 35. Und daher wollen wir uns in Bezug auf den vorliegenden Vers an die Fassung halten, die wir oben ausgelegt haben, besonders weil die mit ihr gegebene Präzision einleuchtend ist, wenn es heißt: „Das Lied der Lieder, das von Salomo stammt“.a Wenn er nämlich gewollt hätte, dass man darunter ein Lied der Lieder Salomos versteht, hätte er gewiss gesagt: Ein Lied der Lieder, die von Salomo stammen, oder: Ein Lied aus den Liedern Salomos. Da er nun aber gesagt hat: „das von Salomo stammt“, zeigt er an, dass dieses Lied, das wir in Händen halten und das er zu singen hatte, von Salomo stammt und daher den Titel trägt, den er gewählt hat. Schauen wir uns jetzt also auch den folgenden Text an.

Trotzdem darf wegen derer, die nicht wie Geldwechsler zwischen den Worten unterscheiden können, ob sie für wahr oder für falsch zu halten sind, … niemand zur Bekräftigung der Lehren Bücher benutzen, die nicht zu den kanonisierten Schriften gehören.“ Übersetzung: Vogt, BGrL 38, 78 (leicht modifiziert). Zu diesen Äußerungen des Origenes über die Apokryphen siehe Harnack, Ertrag II, 42–50.

Origenis

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In Canticum Canticorum Liber primus Hld. 1,2: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“ 1,1. „Osculetur me ab osculis oris sui.“ a Meminisse oportet illud, quod in praefatione praemonuimus, quia libellus hic epithalamii habens speciem dramatis in modum conscribitur. Drama autem esse diximus, ubi certae personae introducuntur, quae loquuntur, et aliae interdum superueniunt, aliae recedunt aut accedunt et sic totum in mutationibus agitur personarum. 2. Haec ergo erit totius libelli species, et secundum hanc pro uiribus historica a nobis aptabitur expositio. Spiritalis uero intelligentia secundum hoc nihilominus, quod in praefatione signauimus, uel de ecclesia ad Christum sub sponsae uel sponsi titulo uel de animae cum Verbo Dei coniunctione dirigitur. 3. Introducatur ergo nunc per historiae speciem sponsa quaedam, quae susceperit quaedam sponsaliorum et dotis titulo dignissima munera ab sponso nobilissimo, sed plurimo tempore moram faciente sponso sollicitari eam desiderio amoris eius et confici iacentem domi suae et agentem omnia, quatenus possit aliquando uidere sponsum suum atque osculis eius perfrui. Quae quoniam differri amorem suum nec adipisci se posse, quod desiderat, uidet, conuertat se ad orationem et supplicet Deo sciens eum Patrem esse sponsi sui. 4. Consideremus ergo eam leuantem sanctas manus sine ira et a

Hld. 1,2

128 Die „Sehnsucht“ der Seele bzw. der Kirche nach der Vereinigung mit Gott ist einer der Grundgedanken, mit dem Origenes, ausgehend von Hld. 1,2, das ganze Hohelied deutet. Siehe dazu die umfassende Darstellung von Rickenmann, Sehnsucht nach Gott. 129 Siehe in Cant. comm. prol. 1,1. 130 Siehe ebd. prol. 1,3. 131 Das in den Werken des Origenes überaus häufige Wort iëstoriÂa/historia hat, wie Studer, Begriff der Geschichte 150–158, gezeigt hat, die Bedeutung von „Geschichte“ im Sinne von „Erzählung“ (story), nicht von „Geschehenem“ (history) und bezieht sich auf eine aufgeschriebene Geschichte und damit auf einen Text. Ob der

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Origenes Über das Hohelied Erstes Buch 1. Die Sehnsucht128 der Kirche, die eine kollektive Person aus den Seelen der Gläubigen bildet, nach der Gotteserkenntnis

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1,1. „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“a Es ist daran zu erinnern, was wir in der Einleitung vorausgeschickt haben,129 dass nämlich dieses kleine Buch die Gestalt eines Hochzeitsliedes hat und nach Art eines Dramas geschrieben ist. Wir definierten aber ein Drama so, dass bestimmte Personen als Redner eingeführt werden und andere mitunter hinzukommen, andere abtreten und auftreten und so die gesamte Handlung im Wechsel der Personen abläuft.130 2. Dies wird also die Gattung des gesamten Buches sein, und ihr entsprechend werden wir nach Kräften die Auslegung der Erzählung131 vornehmen. Das geistige Verständnis aber wird, so wie wir es ebenfalls in der Einleitung angedeutet haben,132 unter der Bezeichnung von Braut und Bräutigam entweder auf die Verbindung der Kirche mit Christus oder der Seele mit dem Wort Gottes bezogen. 3. Es soll also jetzt nach dem literarischen Verständnis der Erzählung eine Braut auftreten, die von einem sehr noblen Bräutigam einige überaus wertvolle Gaben für die Verlobung und als Mitgift erhalten hat. Doch da der Bräutigam sehr lange auf sich warten lässt, ist sie von der Sehnsucht nach seiner Liebe aufgewühlt und leidet, während sie in ihrem Haus liegt und alles tut, um ihren Bräutigam endlich sehen und seine Küsse genießen zu können. Da sie aber sieht, dass seine Liebe noch ausbleibt und sie nicht erlangen kann, wonach sie sich sehnt, wendet sie sich zum Gebet und fleht Gott an, da sie weiß, dass er der Vater ihres Bräutigams ist. 4. Wir wollen sie uns also vor-

Erzählung tatsächlich historisches Geschehen zugrundeliegt, ist nicht eine stillschweigende Voraussetzung, sondern eine an den Text erst zu stellende Frage, die von Text zu Text verschieden zu beantworten ist. Siehe dazu grundsätzlich Fürst, OWD 7, 93–95. Den Text des Hoheliedes, den Origenes hinsichtlich seiner Gattung als Drama interpretiert, behandelt er im Kommentar durchgängig als literarische Erzählung und analysiert deren interne Struktur, ohne die Frage, ob ein reales Geschehen der Vergangenheit zugrundeliegt, überhaupt zu stellen. 132 Siehe in Cant. comm. prol. 1,1.

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disceptatione a in habitu ordinato cum uerecundia et sobrietate, b ornatam dignissimis ornamentis, quibus ornari decet nobilem sponsam, aestuantem uero desiderio sponsi et interno uulnere amoris agitatam orationem, ut diximus, fundere ad Deum et dicere de sponso suo: „Osculetur me ab osculis oris sui.“ c Haec sunt, quae dramatis in modum composita historica continet explanatio. 5. Interior uero intellectus uideamus si hoc modo poterit competenter aptari. Ecclesia sit desiderans Christo coniungi; ecclesiam autem coetum omnium aduerte sanctorum. Haec ergo ecclesia sit quasi omnium una persona, quae loquatur et dicat: Omnia habeo, repleta sum muneribus, quae sponsaliorum uel dotis titulo ante nuptias sumpsi. Dudum enim cum praepararer ad coniugium filii regis et primogeniti omnis creaturae, d obsecuti sunt et ministrauerunt mihi angeli sancti eius deferentes ad me legem sponsalis muneris loco; lex namque disposita per angelos dicitur in manu mediatoris. e 6. Ministrauerunt mihi etiam prophetae. Locuti sunt enim et ipsi omnia, per quae non solum ostenderent et indicarent mihi de Filio Dei, cui me delatis his, quae appellantur, arrhis et muneribus dotalibus spondere cupiebant; uerum ut et in amorem me eius desideriumque succenderent, denuntiauerunt mihi propheticis uocibus de aduentu eius et de innumeris uirtutibus operibusque eius immensis repleti Sancto Spiritu praedicauerunt. Pulchritudinem quoque eius et speciem ac mansuetudinem descripserunt, ita ut ex omnibus his ad amorem eius intolerabiliter inflammarer. 7. Sed quoniam saeculum iam paene finitum est et ipsius quidem praesentia non datur mihi, solos autem ministros eius uideo adscendentes et descendentes ad me, f propter hoc ad te Patrem sponsi mei precem fundo et obsecro, ut tandem 1 Tim. 2,8 28,12

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1 Tim. 2,9

c

Hld. 1,2

d

Kol. 1,15

e

Gal. 3,19

f

Vgl. Gen.

133 Zu dieser antiken Gebetshaltung und ihrer spirituellen Deutung bei Origenes vgl. orat. 9,1f. (GCS Orig. 2, 317–319); 31,1f. (2, 395f.). 134 In der strikt personalistischen Ekklesiologie des Origenes bildet die Kirche als Gesamtheit der zur Vollkommenheit gelangten Vernunftwesen, der „Versammlung aller Heiligen“, wie er hier sagt, bzw. der „Seelen der Gläubigen“, wie er die Kirche in Cant. comm. II 5,6 definiert, eine „kollektive Person“, die persona ecclesiae: ebd. II 1,14, oder auch una persona, doch ecclesiae innumerae: ebd. II 1,55. In dieser kommt die „wunderbare Einheit“ (mirabilis unitas) der Wirklichkeit, in der „mehrere Gerechte einer sind“, zum Ausdruck: in Regn. hom. lat. 4 (GCS Orig. 8, 7), dazu Fürst, OWD 7, 47f. Origenes formuliert diese Einheit auch mit der Metaphorik des eines Leibes aus 1 Kor. 12,20f.: in Lev. hom. 7,2 (GCS Orig. 6, 378); in Ios. hom. 7,6 (GCS Orig. 7, 333); Cels. VI 48 (GCS Orig. 2, 119); vgl. in Cant. comm.

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Buch I 1,4–7

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stellen, wie sie heilige Hände erhebt, frei von Zorn und Streita 133 in schicklicher Kleidung mit Anstand und Zucht,b geschmückt mit würdigsten Geschmeiden, mit denen geschmückt zu sein einer edlen Braut geziemt, jedoch vor Sehnsucht nach dem Bräutigam brennt und, von der inneren Wunde der Liebe erregt, ein Gebet, wie gesagt, an Gott richtet und über ihren Bräutigam sagt: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“c So viel zur Erläuterung der Erzählung, die nach Art eines Dramas aufgebaut ist. 5. Was aber das innere Verständnis anbelangt, wollen wir sehen, ob es auf folgende Weise passend dargelegt werden kann. Es soll die Kirche sein, die sich danach sehnt, mit Christus verbunden zu werden; unter der Kirche aber verstehe die Versammlung aller Heiligen.134 Diese Kirche also, gleichsam eine kollektive Person, ist es, die spricht und sagt: Ich besitze alles, ich bin reich beschenkt mit Gaben, die ich zur Verlobung oder als Mitgift vor der Hochzeit erhalten habe. Lange nämlich schon, seit ich auf die Hochzeit mit dem Sohn des Königs und dem Erstgeborenen aller Schöpfungd vorbereitet wurde, folgten und dienten mir seine heiligen Engel, die mir als Verlobungsgabe das Gesetz übergaben. Denn das Gesetz, heißt es, ist durch Engel in der Hand eines Mittlers erlassen worden.e 6. Es haben mir auch die Propheten gedient. Auch sie haben nämlich alles das gesagt, wodurch sie mir nicht allein den Sohn Gottes offenbarten und mich auf den hinwiesen, mit dem sie mich nach Überbringung der sogenannten Unterpfände und Gaben der Mitgift zu verloben gedachten. Um mich vielmehr auch in Liebe und Sehnsucht nach ihm zu entflammen, haben sie mir mit prophetischen Aussprüchen seine Ankunft verheißen und, erfüllt vom Heiligen Geist, seine unzähligen Wunder und unermesslichen Taten angekündigt. Sie haben auch seine Schönheit, seine Anmut und seine Sanftmut beschrieben, so dass ich durch dies alles unwiderstehlich in Liebe zu ihm entflammt wurde.135 7. Aber da die Welt schon fast an ihr Ende gekommen und mir seine Gegenwart immer noch nicht zuteil geworden ist, sondern ich nur seine Diener zu mir herauf- und herabsteigen sehe,f deshalb richte ich die Bitte an dich, den Vater meines Bräutigams, und beschwöre dich, dich endlich meiner Liebe zu erbarmen und ihn zu schi-

III 16(IV 2),17: „Die zur Vollkommenheit gelangten Seelen bilden alle zusammmen den Leib der Kirche.“ Siehe dazu Vogt, Kirchenverständnis 210–225. 135 Vgl. Vogt, ebd. 205: Die Kirche existiert für Origenes bereits „vom Beginn des Menschengeschlechtes und von der Erschaffung der Welt an …, ja … vor der Erschaffung der Welt“, wie Origenes, in Cant. comm. II 8,4, erklärt. Sie ist identisch mit den Heiligen aus dem Volk Israel, das von Mose und den Propheten belehrt wurde, und gründet im präexistenten Dasein der noch nicht gefallenen Vernunftwesen im himmlischen Jerusalem.

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miseratus amorem meum mittas eum, ut iam non mihi per ministros suos angelos dumtaxat et prophetas loquatur, sed ipse per semet ipsum ueniat et „osculetur me ab osculis oris sui“, a uerba scilicet in os meum sui oris infundat, ipsum audiam loquentem, ipsum uideam docentem. 8. Haec enim sunt Christi oscula, quae porrexit ecclesiae, cum in aduentu suo ipse praesens in carne positus locutus est ei uerba fidei et caritatis et pacis, secundum quod Esaias promiserat praemissus ad sponsam et dixerat: Non legatus neque angelus, sed „ipse Dominus saluabit eos“. b 9. Tertio uero expositionis loco introducamus animam, cuius omne studium sit coniungi et consociari Verbo Dei et intra mysteria sapientiae eius ac scientiae ueluti sponsi caelestis thalamos intrare; cuique animae praesentia etiam ipsius munera data sint, dotis scilicet nomine. Sicut enim ecclesiae dos fuit legis et prophetarum uolumina, ita huic lex naturae et rationabilis sensus ac libertas arbitrii dotalia munera deputentur. Habens autem haec dotis suae munera, sit ei primae eruditionis doctrina a monitoribus doctoribusque descendens. 10. Sed quoniam in his non est ei plena et perfecta desiderii sui et amoris expletio, deprecetur, ut mens eius pura et uirginalis ipsius Verbi Dei illuminationibus ac uisitationibus illustretur. Cum enim nullo hominis uel angeli ministerio diuinis sensibus et intellectibus mens repletur, tunc oscula ipsius Verbi Dei suscepisse se credat. Propter haec ergo et huiusmodi oscula dicat anima orans ad Deum: „Osculetur me ab osculis oris sui.“ c 11. Dum enim incapax fuit, ut ipsius Verbi Dei caperet meram solidamque doctrinam, necessario suscepit oscula, id est sensus, ab ore doctorum; ubi uero sponte iam coeperit obscura cernere, enodare perplexa, inuoluta dissoluere, parabolas et aenigmata dictaque sapientium competentibus intelligentiae lineis explicare, d tunc iam oscula ipsius sponsi sui, id est Verbi Dei, suscepisse se a

Hld. 1,2

b

Jes. 63,9

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Hld. 1,2

d

Vgl. Spr. 1,6

1 Cf. frg. 3 (Prokop 6; Barba`ra 1)

136 Origenes parallelisiert die alttestamentliche Verheißung und die natürliche Gottesund Moralerkenntnis des Menschen: Was Gesetz und Propheten für die Kirche sind, eine Vorbereitung auf Christi Ankunft, das sind die natürlichen Fähigkeiten des vernünftigen Denkens und des freien Entscheidens für die einzelne Seele. Diese natürlichen Eigenschaften der Seele gelten Origenes insofern als Mitgift und Brautgabe des göttlichen Logos, als die Teilhabe an der Vernunft immer schon Teilhabe am göttlichen Logos ist; princ. I 3,6 (GCS Orig. 5, 57): „Christus … ist im Herzen aller, insofern er der Logos ist, durch dessen Teilhabe sie vernünftig sind.“ Übersetzung: p. 173 Görgemanns/Karpp. Zu den genannten Gaben Gottes an jede Seele vgl. in Rom. comm. III 3,4 (SC 539, 96): „Gott hat dem Menschen alle Anlagen und alle Antriebe gegeben, mit deren Hilfe er zur Tugend streben und voranschreiten kann, und darüber hinaus auch die Kraft der Vernunft eingegeben,

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cken, damit er nicht mehr durch seine Diener, nämlich die Engel und Propheten, mit mir spricht, sondern höchst selbst in eigener Person kommt und „mich mit den Küssen seines Mundes küsst“,a das heißt, die Worte seines Mundes in meinen Mund fließen lässt, auf dass ich ihn selbst reden höre, ihn selbst lehren sehe. 8. Dies sind nämlich die Küsse Christi, die er der Kirche gegeben hat, als er bei seiner Ankunft, selbst im Fleische gegenwärtig, zu ihr die Worte des Glaubens, der Liebe und des Friedens sprach, wie es der zur Braut vorausgeschickte Jesaja verheißen und gesagt hatte: Kein Gesandter und kein Engel, sondern „der Herr selbst wird sie erlösen“.b 9. Auf einer dritten Stufe der Auslegung aber wollen wir eine Seele auftreten lassen, deren ganzes Streben darin besteht, mit dem Wort Gottes verbunden und vereint zu werden und in die Geheimnisse seiner Weisheit und Erkenntnis wie in das Brautgemach des himmlischen Bräutigams einzutreten. Und dieser Seele sind die Gaben, die er schenkt, schon gegenwärtig, und zwar als Mitgift. Wie nämlich die Bücher des Gesetzes und der Propheten die Mitgift der Kirche waren, so sollen dieser Seele das Gesetz der Natur und das vernünftige Denken und die Freiheit der Entscheidung als Brautgaben zugewiesen werden.136 Da sie aber über diese Gaben ihrer Mitgift verfügt, soll ihr die Lehre einer ersten Ausbildung zuteil werden, wie sie von Erziehern und Lehrern stammt. 10. Da ihre Sehnsucht und ihre Liebe in diesen Lehren aber keine vollständige und vollkommene Erfüllung findet, soll sie darum bitten, dass ihr reiner und jungfräulicher Verstand durch die Erleuchtungen und Heimsuchungen des Wortes Gottes selbst erleuchtet wird. Denn erst dann, wenn der Verstand ohne den Dienst eines Menschen oder eines Engels mit göttlichen Gedanken und Einsichten erfüllt wird, soll sie glauben, die Küsse des Wortes Gottes selbst empfangen zu haben. Um dieser Gaben und dieser Art von Küssen willen soll die Seele also im Gebet zu Gott sprechen: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“c 11. Solange sie nämlich noch unfähig war, die reine und feste Lehre des Wortes Gottes selbst aufzufassen, empfing sie notwendigerweise Küsse, das heißt Gedanken, aus dem Mund von Lehrern. Sobald sie aber von sich aus anfängt, Verborgenes einzusehen, Verworrenes zu entwirren, schwer Verständliches aufzulösen, Gleichnisse, Rätsel und Aussprüche der Weisen durch analoge Gedankenlinien zu erläutern,d dann soll sie glauben, dass sie nunmehr die Küsse ihres Bräutigams selbst, das heißt mit deren Hilfe er erkennen soll, was er tun, was er meiden soll.“ Speziell zum Naturgesetz vgl. ebd. II 6,2 (SC 532, 338); V 1,28 (SC 539, 384); ferner in Cant. comm. II 8,15. Zum kaum untersuchten Naturrechts-Gedanken des Origenes, in dem sein Konzept einer universalen Identität aller Vernunftwesen gründet, siehe Banner, Natural Law Concepts 68–77 (zu Contra Celsum), ferner die Lizentiatsarbeit von Emond, Loi naturelle.

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credat. 12. Ideo autem et pluraliter oscula posuit, ut intelligamus uniuscuiusque obscuri sensus illuminationem osculum esse Verbi Dei ad animam perfectam delatum. 13. Et secundum hoc forte dicebat prophetica et perfecta mens: „Os meum aperui et attraxi spiritum.“ a Os autem sponsi intelligamus uirtutem dici, qua illuminat mentem et uelut sermone quodam amoris ad eam facto, si tamen capere mereatur tantae uirtutis praesentiam, incognita quaeque sibi et obscura manifestat, et hoc est uerius propiusque et sanctius osculum, quod ab sponso Dei Verbo porrigi dicitur sponsae, purae scilicet animae ac perfectae. Cuius rei imago est illud osculum, quod in ecclesia sub tempore mysteriorum nobis inuicem damus. 14. Quotiens ergo in corde nostro aliquid, quod de diuinis dogmatibus et sensibus quaeritur, absque monitoribus inuenimus, totiens oscula nobis data esse ab sponso Dei Verbo credamus. Vbi uero quaerentes aliquid de diuinis sensibus inuenire non possumus, tunc affectu orationis huius assumpto petamus a Deo uisitationem Verbi eius et dicamus: „Osculetur me ab osculis oris sui.“ b 15. Scit autem Pater uniuscuiusque animae capacitatem et nouit in tempore, cui animae quae oscula Verbi porrigere in intellectibus dumtaxat et sensibus debeat.

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Hld. 1,2f.: „Ja, deine Brüste sind besser als Wein und der Duft deiner Salböle besser als alle Duftkräuter.“ 2,1. „Quia bona sunt ubera tua super uinum et odor unguentorum tuorum super omnia aromata.“ c Intellige prius quasi in historiae dramate sponsam eleuatis ad Deum manibus orationem fudisse ad Patrem et orasse, a

Ps. 118(119),131

b

Hld. 1,2

c

Hld. 1,2f.

10 Cf. frg. 4 (Prokop 7; Barba`ra 2) 137 In der Freiheitssoteriologie des Origenes ist dieser ,Verdienst‘-Gedanke so gefasst, dass Gott „angemessen“ auf die Entscheidungen des Menschen reagiert, wie er in princ. III 1,24 (GCS Orig. 5, 243) und orat. 6,3f. (GCS Orig. 2, 313) explizit sagt; vgl. auch in Regn. hom. lat. 5 (GCS Orig. 8, 10): „Wenn keine Werke der Bekehrung vorausgehen, werden wir die Gnade des Geistes nicht verdienen (mereri) und können wir aus ihr keine Gabe des Geistes hervorbringen.“ Übersetzung: Fürst, OWD 7, 137; dazu ebd. 57f.: „Wendet die Seele sich dem Guten zu, macht sie sich

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des Wortes Gottes, empfangen hat. 12. Es ist aber deshalb von Küssen im Plural die Rede, damit wir begreifen, dass die Erhellung eines jeden dunklen Gedankens ein Kuss des Wortes Gottes ist, den er der vollkommenen Seele gegeben hat. 13. Und dementsprechend hat vielleicht ein prophetischer und vollkommener Verstand gesagt: „Ich öffnete meinen Mund und sog den Geist ein.“a Als Mund des Bräutigams aber wollen wir die Kraft verstehen, durch die er den Verstand erleuchtet und gleichsam durch ein an ihn gerichtetes Wort der Liebe – wenn es ihm denn zukommt,137 die Gegenwart einer so großen Kraft zu erfassen – alles, was ihm unbekannt und verborgen ist, offenbar macht. Das ist der wahrere und eigentümlichere und heiligere Kuss, von dem es heißt, er werde der Braut, das heißt der reinen und vollkommenen Seele, vom Bräutigam, dem Wort Gottes, gegeben. Ein Abbild dieser Wirklichkeit ist jener Kuss, den wir uns einander in der Kirche während der Mysterien geben.138 14. Sooft wir also in unserem Herzen etwas, was über die göttlichen Lehren und Gedanken gefragt wird, ohne Lehrer herausgefunden haben, sollen wir glauben, dass uns Küsse vom Bräutigam, dem Wort Gottes, gegeben worden sind. Wenn wir jedoch etwas über die göttlichen Gedanken wissen wollen, es aber nicht herausfinden können, dann sollen wir die innere Einstellung dieses Gebets annehmen und von Gott den Besuch seines Wortes erbitten und sagen: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“b 15. Der Vater jedoch kennt die Fassungskraft einer jeden Seele und weiß zur rechten Zeit, welcher Seele er welche Küsse des Wortes in Einsichten und Gedanken darbieten muss. 2. Die Weisungen und Lehren Jesu, die in seinem Herzen verborgen sind und im Gesetz und in den Propheten sowie durch ihn selbst offenbart werden

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2,1. „Ja, deine Brüste sind besser als Wein und der Duft deiner Salböle besser als alle Duftkräuter.“c Zuerst musst du verstehen, dass die Braut wie in der dramatischen Darstellung einer Geschichte mit zu Gott erhobenen Hän-

,würdig‘, den Geist zu empfangen, wendet sie sich dem Schlechten zu, erwirbt sie dieses ,Verdienst‘ nicht, weil sie sich von Gott abwendet und in diesem Sinne kein ,Verdienst‘ hat, auf das aufbauend Gott durch die Einwirkung seines Geistes weiter an der Hinwendung zum Guten tätig werden könnte.“ Für den „Kuss des Bräutigams“ gilt dies analog. 138 Der heilige Kuss im Rahmen der altkirchlichen Eucharistiefeier, der sich trotz Aussagen des Paulus in 1 Thess. 5,26, 1 Kor. 16,20, 2 Kor. 13,12 und Röm. 16,16 für das Neue Testament als liturgische Handlung nicht nachweisen lässt, ist zum ersten Mal bei Justin, apol. I 65,2 (SC 507, 302), bezeugt: Thraede, Ursprünge und Formen des „Heiligen Kusses“.

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ut iam ueniret ad eam sponsus et ipse eam osculis proprii oris infunderet. Dumque haec orat ad Patrem, in ipsa oratione, qua dixit: „Osculetur me ab osculis oris sui“, a parat etiam alia orationis uerba subiungere ac dicere quia in hoc principio sermonis affuisse sponsus et oranti ei adstitisse ac reuelasse ubera sua ipsumque sponsum unguentis magnificis et quibus fraglare sponsum decebat constitisse delibutum. 2. Sponsa uero, ubi adesse uidit eum, pro quo orabat, ut adesset, et adhuc loquenti sibi praestitum, quod orabat, b ac data sibi ab ipso oscula, quae poposcerat, laeta pro hoc reddita et decore uberum ac fraglantiae ipsius odore permota propositae orationis sermonem conuertit ad praesentiam sponsi, qui aderat, et cum dixisset: „Osculetur me ab osculis oris sui“, c subiungit post haec ad praesentem iam sponsum loquens: „Bona ubera tua super uinum, et odor unguentorum tuorum super omnia aromata.“ d Haec interim secundum historicam intelligentiam, quam dramatis in modum praediximus textam. Nunc uero, quid intellectus interior habeat, requiramus. 3. Diuersis uocabulis principale cordis appellari in scripturis diuinis inuenimus, quae uocabula pro causis et rebus, de quibus agitur, aptari solent. Interdum enim cor dicitur, ut: „Beati mundo corde“ e et: „Corde creditur ad iustitiam.“ f 4. Si uero conuiuii tempus sit, pro specie et ordine discumbentium uel sinus uel pectus appellatur; sicut Iohannes in euangelio refert de quodam discipulo, quem amabat Iesus, quod in sinu eius g uel super pectus ipsius recumberet, h ille profecto, cui innuens Simon Petrus dicebat: „Interroga, quis est hic, de quo dicit.“ i Post haec uero recumbens super pectus Iesu, dicit ei: „Domine, quis est?“ j In his enim certum est quod Iohannes in principali cordis Iesu atque in internis doctrinae eius sensibus requieuisse a g

Hld. 1,2 Joh. 13,23

b

Vgl. Mk. 11,24 h Joh. 13,25

c i

Hld. 1,2 Joh. 13,24

d

Hld. 1,2f. j Joh. 13,25

e

Mt. 5,8

f

Röm. 10,10

139 Das hëgemonikoÂn als „führender Seelenteil“ ist ein stoischer Begriff, der von den christlichen Theologen aufgenommen worden ist. Von Origenes, in Ioh. frg. 18 (GCS Orig. 4, 497), wurde er mit dem höchsten Denkvermögen der Seele und zugleich mit ihrer Gottesebenbildlichkeit gleichgesetzt. Schon Zenon von Kition, der Begründer der Stoa, betrachtete das Herz als Sitz dieses Leitprinzips; vgl. Diogenes Lae¨rtios VII 159: „Die Führung liege bei dem obersten Teile der Seele, in dem die Vorstellungen und die Triebe entstehen und von dem der Verstand ausgeht; der Sitz dieser Leitung sei das Herz.“ Übersetzung: II p. 81 Apelt. Origenes hat diese Vorstellung übernommen, in Ioh. comm. II 35,215 (GCS Orig. 4, 94): „Inmitten des ganzen Leibes befindet sich das Herz, im Herzen aber das Leitprinzip der Seele“, und deshalb den biblischen Begriff des Herzens wie hier öfter mit dem philosophischen Begriff zu principale cordis verbunden: in Num. hom. 10,3 (GCS Orig. 7, 73); in Is. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 252); in Cant. hom. 1,6 (GCS Orig. 8, 36); orat.

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den ein Gebet an den Vater gerichtet und darum gebeten hat, dass der Bräutigam jetzt endlich zu ihr kommt und er selbst sie mit Küssen seines eigenen Mundes überhäuft. Und während sie dies zum Vater betet, bereitet sie sich schon während des Gebets selbst, in dem sie gesagt hat: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes“,a darauf vor, noch andere Gebetsworte folgen zu lassen und zu sagen, dass in diesem Anfang des Gebets der Bräutigam schon anwesend war und ihr beim Beten zur Seite gestanden und seine Brüste offenbart hat und dass der Bräutigam selbst mit kostbaren Salbölen, nach denen zu riechen dem Bräutigam geziemte, gesalbt war. 2. Sowie die Braut aber gewahr wurde, dass der, um dessen Gegenwart sie betete, da war und, noch während sie sprach, erfüllt wurde, worum sie betete,b und ihr von ihm selbst die Küsse gegeben wurden, die sie verlangt hatte, richtete sie, darüber beglückt und von der Schönheit seiner Brüste und dem Wohlgeruch seines Duftes erregt, die Worte des geplanten Gebets an den Bräutigam selbst, der ja schon da war, und nachdem sie gesagt hatte: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes“,c fügte sie folgende Worte an den bereits anwesenden Bräutigam hinzu: „Deine Brüste sind besser als Wein und der Duft deiner Salböle besser als alle Duftkräuter.“d Dies vorweg zum Verständnis der Erzählung, die, wie oben gesagt, nach Art eines Dramas gestaltet ist. Jetzt aber wollen wir untersuchen, was der innere Sinn des Textes enthält. 3. Wir finden, dass in den göttlichen Schriften der führende Teil des Herzens139 mit verschiedenen Bezeichnungen benannt wird. Diese Bezeichnungen werden je nach den Anlässen und Sachverhalten, um die es jeweils geht, verschieden gebraucht. Manchmal nämlich wird er einfach Herz genannt, wie in: „Selig, die reinen Herzens sind“e und in: „Mit dem Herzen zu glauben führt zur Gerechtigkeit.“f 4. Anlässlich eines Gastmahls jedoch wird er, um den Anblick und die Ordnung der zu Tische Liegenden zu beschreiben, Busen oder Brust genannt, wie Johannes im Evangelium über einen Jünger, den Jesus liebte, berichtet, dass er an seinem Buseng beziehungsweise an seiner Brust ruhte,h jener nämlich, dem Simon Petrus zunickte und sagte: „Frage, wer es ist, von dem er spricht.“i Danach aber lehnt er sich zurück an Jesu Brust und fragt ihn: „Herr, wer ist es?“j Damit soll nämlich gewiss gesagt werden, dass Johannes im führenden Teil des Herzens

29,2 (GCS Orig. 2, 382), wo er hëgemonikoÂn und kardiÂa direkt gleichsetzt (vgl. dazu von Stritzky, OWD 21, 244 Anm. 332). In princ. I 1,9 (GCS Orig. 5, 27) setzt er das Herz mit der Vernunft bzw. Denkkraft gleich. In Cant. comm. II 2,17 steht erst cor für hëgemonikoÂn, ebd. II 2,18 dann cogitationes, wie aus dem in philoc. 27,13 (SC 226, 312) erhaltenen Fragment hervorgeht (frg. 12 zu in Cant. comm. II 2,16–19); vgl. Junod, SC 226, 312 Anm. 2. Siehe auch die ergänzende Anmerkung von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 764f.

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dicatur ibi requirens et perscrutans thesauros sapientiae et scientiae, qui reconditi erant a in Christo Iesu. Sed et sinus Christi si in loco dogmatum sanctorum accipiatur, puto indecens non uideri. 5. Diuersis ergo modis, ut dicere coeperamus, principale cordis in scripturis sanctis designatur, sicut et in Leuitico nihilominus, ubi de sacrificiis pectusculum separationis et bracchium b sacerdotibus sequestratur; et in hoc enim sequestratum ac separatum pectusculum et bracchium praecellens ceteros homines principale cordis et operum decus uult esse in sacerdotibus. De quo plenius in libro Leuitici, prout Dominus dare dignatus est, exposuimus. 6. Secundum haec ergo etiam in praesenti loco, quoniamquidem amatorium uidetur drama, quod agitur, in uberibus principale cordis intelligamus, ut tale uideatur esse, quod dicitur: Cor tuum, o sponse, et mens, id est dogmata, quae intra te sunt, uel doctrinae gratia, superat omne uinum, quod cor hominis laetificare c solet. 7. Sicut enim in his, de quibus dicit: „Quia Deum uidebunt“, d cor competenter dictum uidetur et inter discumbentes sinus ac pectus ponitur, pro habitu sine dubio discumbentium formaque conuiuii, et rursus, ut apud sacerdotes pectusculum et bracchium mysticis designatur eloquiis, ita arbitror etiam in praesenti loco, ubi amantium habitus et colloquia describuntur, gratissime hoc ipsum principale cordis in uberibus appellatum. 8. Bona sunt ergo ubera sponsi, quoniamquidem thesauri sunt in iis sapientiae et scientiae reconditi. e Vbera autem haec uino comparat sponsa, sed ita comparat, ut praeferat. Vinum autem illa intelligenda sunt dogmata et doctrinae, quae per legem et prophetas f ante aduentum sponsi sumere sponsa consueuerat. Sed nunc considerans hanc doctrinam, quae ex uberibus a

Kol. 2,3

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Lev. 10,14

c

Ps. 103(104),15

d

Mt. 5,8

e

Kol. 2,3

f

Mt. 7,12

140 In Lev. hom. 7,3 (GCS Orig. 6, 381) erklärt Origenes kurz, dass derjenige, der Gott erkennt, das „Brüstchen der Absonderung“ (pectusculum segregationis) genießt, während der, der den Willen Gottes tut, die „Schulter der Teilung“ (bracchium separationis vel ablationis) verspeist, gibt aber sonst keine tiefere Erklärung dieser Passage. Vielleicht hat Origenes sich in einem nicht erhaltenen und auch sonst unbekannten Kommentar über das Buch Levitikus näher zu dieser Passage geäußert. Die noch überlieferten Excerpta in Leuiticum könnten auf die Existenz eines solchen über die Homilien hinausgehenden Werkes hinweisen, von dem allerdings Hieronymus in seinem Verzeichnis der Schriften des Origenes in epist. 33,4 (CSEL 54, 255–259) keine Notiz nimmt. 141 Das hebräische dodıˆm, der Plural von dod, „Geliebter“, fungiert in Hld. 1,2 als Abstraktum für „Liebe“: Zakovitch, Das Hohelied 111, oder lässt sich konkret als „Liebkosungen“ wiedergeben: Schwienhorst-Schönberger, Das Hohelied der Liebe 31. In der Septuaginta (mastoiÂ) und in der Vulgata (ubera) ist es mit dem Wort „Brüste“ übersetzt, bewegt sich also ebenfalls im Umfeld von „Liebesäußerungen“. Origenes assoziiert damit die Begriffe „Busen“ (sinus) und „Brust“ (pectus), die im Johannesevangelium von Jesus verwendet werden (Joh. 13,23 bzw. 13,25). Da er

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Jesu, also in den inneren Gedanken seiner Lehre geruht und dort die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, die in Christus Jesus verwahrt waren,a untersucht und erforscht hat. Aber auch wenn man den Busen Christi im Sinne von heiligen Lehren auffasst, scheint mir das nicht unpassend zu sein. 5. Auf verschiedene Weisen also wird, wie wir einführend schon gesagt haben, der führende Teil des Herzens in den heiligen Schriften bezeichnet, ebenso auch im Buch Levitikus, wo von den Opfergaben das Brüstchen der Teilung und die Schulterb für die Priester ausgesondert werden. Denn auch mit diesem ausgesonderten und abgetrennten Brüstchen und der Schulter will es sagen, dass bei den Priestern der führende Teil des Herzens und der Schmuck der Werke die anderen Menschen überragen soll. Hierüber haben wir mehr zum Buch Levitikus,140 so weit es der Herr zu geben gewährt hat, dargelegt. 6. Dementsprechend wollen wir also auch an der vorliegenden Stelle, da die Handlung ja wie ein Liebesdrama aussieht, unter den Brüsten den führenden Teil des Herzens verstehen, so dass das Gesagte folgendermaßen gemeint zu sein scheint: Dein Herz, oh Bräutigam, und dein Verstand, das heißt die Lehren, die in dir sind, beziehungsweise die Anmut deiner Lehre, ist besser als aller Wein, der das Herz der Menschen zu erfreuenc pflegt.141 7. Wie nämlich bei denen, von denen es heißt: „Denn sie werden Gott schauen“,d offenbar angemessen vom Herzen geredet wird und bei denen, die zu Tische liegen, der Ausdruck Busen und Brust gebraucht wird, ohne Zweifel wegen der Haltung der zu Tische Liegenden und wegen der Gestalt des Gastmahls, und wie desgleichen bei den Priestern das Brüstchen und die Schulter als Ausdrücke mit einem mystischen Sinn gebraucht werden, so glaube ich, dass auch an der vorliegenden Stelle, wo die Haltung und die Gespräche von Liebenden beschrieben werden, eben dieser führende Teil des Herzens am glücklichsten mit dem Ausdruck Brüste bezeichnet wird. 8. Gut sind also die Brüste des Bräutigams, weil in ihnen wirklich die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verwahrt sind.e Diese Brüste vergleicht die Braut mit dem Wein, aber sie vergleicht sie so, dass sie sie hervorhebt. Unter dem Wein jedoch hat man jene Satzungen und Lehren zu verstehen, die die Braut vor der Ankunft des Bräutigams durch das Gesetz und die Prophetenf zu empfangen pflegte. Aber wenn sie jetzt die Lehre betrachtet, die ihr aus den Brüsten des Bräutigams zufließt, wundert sie sich diese Begriffe als biblische Wiedergaben für den leitenden Seelenteil versteht, der ansonsten meist Herz heißt (siehe oben S. 134 Anm. 139), denkt er bei den „Brüsten“, die „besser als Wein“ sind, an das Herz Jesu und versteht sie als seine innersten Gedanken oder „heiligen Lehren“, die er der Seele mitteilt, wenn er sie „küsst“. Vgl. in Hiez. hom. 6,4 (GCS Orig. 8, 382): „Die Brüste aber stehen im Lied der Lieder (Hld. 1,2) für deine (sc. Christi) Gedanken und den Verstand (mens).“ Siehe dazu Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 762 sowie die weitergehenden Reflexionen ebd. 762–764.

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profluit sponsi, miratur et stupet uidens eam longe praestantiorem quam illam, ex qua ante aduentum sponsi laetificata fuerat tamquam ex uino spiritali, quod ministrabant sancti patres ac prophetae, qui etiam huius generis plantauerant uineas, ut Noe¨ primus a et Esaias in cornu in loco uberi, b et coluerant eas. 9. Videns ergo nunc multam esse eminentiam dogmatum et scientiae apud sponsum et longe ex eo perfectiorem, quam fuit apud antiquos, emanare doctrinam, dicit: „Bona sunt ubera tua super uinum“, c super illam scilicet doctrinam, in qua laetificabar ab antiquis. 10. De hoc enim antiquorum uino intelligendus est et Ecclesiastes dicere, ubi ait: „Dixi ego in corde meo: Veni et tentabo te in laetitia, et uide in bono.“ d Et iterum de iisdem uineis loquens idem Ecclesiastes dicit: „Magnificaui mihi opus meum, aedificaui mihi domos, plantaui mihi uineas, feci mihi hortos et paradisos“ e et reliqua. Sunt autem huius uini mystici etiam ministri quidam, qui uini fusores appellantur; sic enim idem dicit: „Et feci mihi cantores et cantatrices et in laetitia filiorum hominum, uini fusores et uini fusitrices.“ f 11. Vide ergo, si possumus cum in ceteris tum etiam in hoc intelligere Saluatorem ueterum uino nouella uberum suorum fluenta miscentem, cum Maria et Ioseph quaerentes inuenerunt eum in templo sedentem in medio doctorum et audientem atque interrogantem eos, quando et mirabantur omnes super responsis eius. g 12. Sed et ibi fortassis species formae huius expletur, ubi adscendens in montem h docebat populos et dicebat: „Dictum est antiquis: Non occides. Ego autem dico uobis: Omnis, qui irascitur fratri suo sine causa, reus erit“, i et: „Dictum est antiquis: Non adulterabis. Ego autem dico uobis: Omnis, qui uiderit mulierem ad concupiscendum eam, iam moechatus est eam in corde suo.“ j In quantum ergo doctrina haec eius illam praecellit antiquam, in tantum sponsa intelligit ac pronuntiat bona esse ubera eius super uinum. k 13. Sed et quod uenit filius hominis manducans et bibens et dicunt: ecce homo uorax et uinum bibens, l ad hoc nihilominus respicit. Tale et illud uinum puto fuisse in Chana Galilaeae, m quod bibebatur in conuiuio nuptiali, quo deficiente fecit ipse aliud uinum, cui testimonium reddit architriclinus, quod sit ualde bonum et illo uino, quod expensum fuerat, multo praestantius, cum dicit: „Omnis homo primum bonum uinum ponit et, cum inebriati fuerint, id quod inferius est; tu autem seruasti uinum bonum usque nunc.“ n 14. Sed et Solomonem, qui pro accepta Dei sapientia in admiratione fuit reginae Saba, quae uenerat tentare eum in quaestionibus, o quae sint, in quibus eum eadem regina miretur, audi scripturam reb c Vgl. Gen. 9,20 Jes. 5,1 Hld. 1,2 h i Lk. 2,46f. Mt. 5,1 Mt. 5,21f. m n o Joh. 2,1 Joh. 2,10 1 Kön. 10,1 a

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j

d Koh. 2,1 Mt. 5,27f.

e k

Koh. 2,4f. Hld. 1,2

Koh. 2,8 Mt. 11,19

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und staunt, weil sie sieht, dass sie weit hervorragender ist als jene, von der sie vor der Ankunft des Bräutigams erfreut worden ist wie von geistigem Wein, den die heiligen Väter und Propheten ausschenkten, die auch Weinberge dieser Art gepflanzt und kultiviert hatten, wie Noah als erstera und Jesaja auf einem Hang an einem fruchtbaren Ort.b 9. Weil sie jetzt also sieht, dass höchst erhabene Satzungen und Erkenntnis beim Bräutigam zu finden sind und von ihm eine weit vollkommenere Lehre herkommt, als sie bei den Alten zu finden war, sagt sie: „Deine Brüste sind besser als Wein“,c als jene Lehre nämlich, durch die mich die Alten erfreuten. 10. Über diesen Wein der Alten spricht nämlich, wie man begreifen muss, auch der Prediger, wo er sagt: „Ich sprach in meinem Herzen: Komm, und ich werde dich zur Freude verführen, und sieh auf das Gute!“d Und wenn er wiederum über dieselben Weinberge spricht, sagt derselbe Prediger: „Ich habe Großes vollbracht, habe mir Häuser gebaut, mir Weinberge gepflanzt, mir Gärten und Paradiese angelegt“e und so weiter. Es gibt aber auch gewisse Diener dieses mystischen Weines, die Weinschenke genannt werden. Denn derselbe Autor sagt so: „Und ich beschaffte mir Sänger und Sängerinnen und zur Freude der Menschenkinder männliche und weibliche Weinschenke.“f 11. Sieh also, ob wir wie an anderen Stellen so besonders auch an dieser den Erlöser erkennen können, wie er den neuen Wein, der von seinen Brüsten fließt, mit dem Wein der Alten mischt, etwa damals, als Maria und Josef ihn suchten und fanden, wie er im Tempel inmitten der Lehrer saß, ihnen zuhörte und Fragen stellte, als sich alle über seine Antworten wunderten.g 12. Aber vielleicht liegt auch an der Stelle diese Form von Typologie vor, wo er auf den Berg hinaufstieg,h um die Volksscharen zu lehren, und sprach: „Zu den Alten ist gesagt worden: Du sollst nicht töten. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder grundlos zürnt, wird sich schuldig machen“,i und: „Zu den Alten ist gesagt worden: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau begehrlich ansieht, hat mit ihr schon in seinem Herzen die Ehe gebrochen.“j In dem Maße also, wie diese seine Lehre jene alte überragt, so begreift und verkündet die Braut, sind seine Brüste besser als Wein.k 13. Aber auch die Aussage, dass der Sohn des Menschen gekommen ist, um zu essen und zu trinken – und sie sagen: Siehe, ein gefräßiger Mensch und Weinsäufer!l –, bezieht sich ebenfalls darauf. Von dieser Art war, meine ich, auch jener Wein in Kana in Galiläa,m der beim Hochzeitsmahl getrunken wurde, an dessen Stelle er selbst, als er ausgegangen war, einen anderen Wein machte, dem der Festmeister das Zeugnis ausstellte, dass er sehr gut und viel hervorragender ist als jener Wein, der ausgegangen war, indem er sagt: „Jeder Mensch setzt zuerst den guten Wein vor und, wenn sie betrunken sind, den weniger qualitätvollen. Du aber hast den guten Wein bis jetzt aufgehoben.“n 14. Aber auch von Salomo, der wegen der von Gott geschenkten Weisheit von der Königin von Saba, die gekommen war, um ihn durch Fragen auf die Probe zu stellen,o bewundert

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ferentem: „Et uidit“ inquit „regina Saba omnem sapientiam Solomonis et domum, quam aedificauit, et apparatum conuiuii eius et sedem puerorum eius et ordinem ministrorum eius et uestes eius et uini fusores eius et holocaustomata eius, quae offerebat in domo Domini, et obstupefacta est“ a et reliqua. 15. In his ergo aduerte, quomodo haec, quae uenit a finibus terrae audire sapientiam Solomonis, b inter cetera miratur et cibos conuiuii eius et uini fusores eius et super his dicitur obstupuisse. Nescio autem, si ita ineptam putemus fuisse reginam, quae ob hoc uenerat a finibus terrae, ut audiret sapientiam Solomonis, ut miretur cibos corporales et uinum commune istud ac pincernas uini in ministerio regis. Quid enim in his admiratione dignum reginae uideretur, quae communia sunt omnibus paene hominibus? Sed mihi uidetur mirata esse cibos doctrinae eius et uinum dogmatum, quae ab eo per diuinam sapientiam praedicabantur. 16. Hoc erat nimirum et illud, quod apud Hieremiam refertur de filiis Ionadab filii Rechab, qui tempore eo, quo peccata populi inualuerant et pro iniquitatibus plebis captiuitas imminebat, conuocati sunt, ut biberent uinum, et dixerunt quia mandauerat iis pater suus Ionadab, ne biberent uinum ipsi et filii sui in saeculum neque domos aedificarent neque seminarent semen neque plantarent uineas, sed in tabernaculis habitarent omnibus diebus uitae suae. c 17. Et amplectitur eos Deus, eo quod custodierint praeceptum patris sui et noluerint bibere uinum. d Pro peccatis enim tunc populi et iniquitatibus eorum erat uinea eorum ex uinea Sodomorum et palmites eorum ex Gomorra; uua eorum uua fellis et botrus amaritudinis; uenenum aspidum et furor draconum erat uinum eorum. e Propter hoc ergo laudabiles habentur filii Ionadab, qui tale uinum, uenenata scilicet dogmata et aliena a fide Dei, bibere et suscipere recusarunt. 18. Propter hoc ergo fortassis percussit Deus Aegyptiorum uineas, sicut in psalmo scriptum est, f ne tale facerent uinum. 19. Igitur si intelleximus uini differentias easque pro diuersitate dogmatum constare perspeximus, quod ait hic sponsa: „Quia bona sunt ubera tua super uinum“, g super uinum utique intelligamus bonum, non malum. 20. Bonis enim, non malis comparata dogmatibus sponsi dogmata praeferuntur. Bonum enim uinum gustauerat prius in lege et prophetis, h ex quo a f

1 Kön. 10,4f. Ps. 104(105),33

b

Mt. 12,42 g Hld. 1,2

c

Jer. 42(35),5–10 h Mt. 7,12

28 Cf. frg. 5 (Prokop 11; Barba`ra 3)

142 Siehe auch in Cant. comm. II 1,4.

d

Jer. 42(35),14

e

Dtn. 32,32f.

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Buch I 2,14–20

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wurde, höre, wie die Schrift darlegt, wofür diese Königin ihn bewundert: „Und es sah“, heißt es, „die Königin von Saba alle Weisheit Salomos und das Haus, das er erbaut hatte, und die Pracht seines Gastmahls und die Bank mit seinen Knaben und die Reihe seiner Diener und seine Kleider und seine Weinschenke und seine Brandopfer, die er im Haus des Herrn darbrachte, und sie geriet außer sich vor Verwunderung“a und so weiter. 15. Bei diesen Aussagen bemerke also, wie die, die von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomos zu hören,b unter anderem auch die Speisen seines Gastmahls und seine Weinschenke bewundert und darüber, heißt es, vor Verwunderung außer sich geraten ist. Ich weiß aber nicht, ob wir glauben sollen, die Königin, die deswegen von den Enden der Erde gekommen war, um die Weisheit Salomos zu hören, sei so töricht gewesen, dass sie körperliche Speisen und jenen gewöhnlichen Wein und Weinmischer im Dienste des Königs bewunderte. Denn was von diesen Dingen könnte der Bewunderung einer Königin würdig erscheinen, wo sie doch fast allen Menschen gemeinsam sind? Mir scheint vielmehr, dass sie die Speisen seiner Lehre und den Wein der Satzungen bewunderte, die von ihm durch die göttliche Weisheit verkündigt wurden.142 16. Das war es ohne Zweifel auch, was bei Jeremia über die Söhne Jonadabs, des Sohnes des Rechab, berichtet wird, die zu der Zeit, als die Sünden des Volkes die Oberhand gewannen und aufgrund der Untaten der Leute die Gefangenschaft drohte, zusammengerufen wurden, um Wein zu trinken, und die sagten, ihr Vater Jonadab hätte ihnen befohlen, dass sie selbst und ihre Kinder überhaupt keinen Wein mehr trinken und keine Häuser bauen und keinen Samen aussäen und keine Weinberge pflanzen, sondern in Zelten wohnen sollten alle Tage ihres Lebens.c 17. Und Gott hält sie in Ehren, weil sie das Gebot ihres Vaters hielten und keinen Wein trinken wollten.d Denn wegen der Sünden des Volkes damals und ihrer Untaten stammte ihr Weinberg aus dem Weinberg von Sodom und ihre Weinstöcke aus Gomorra; ihre Traube war eine Traube von Galle und eine Beere der Bitterkeit; und ihr Wein war Natterngift und Drachengrimm.e Deshalb also werden die Söhne Jonadabs für lobenswert gehalten, weil sie sich geweigert hatten, solchen Wein, nämlich vergiftete und dem Glauben an Gott fremde Lehren, zu trinken und anzunehmen. 18. Vielleicht deswegen also schlug Gott die Weinberge der Ägypter, wie im Psalm geschrieben steht,f damit sie keinen solchen Wein hervorbrachten. 19. Wenn wir also die Unterschiede im Wein verstanden und durchschaut haben, dass sie aufgrund der Verschiedenheit der Lehren bestehen, verstehen wir das, was die Braut hier sagt: „Ja, deine Brüste sind besser als Wein“,g gewiss vom guten, nicht vom schlechten Wein. 20. Denn verglichen mit den guten, nicht mit den schlechten Lehren werden die Lehren des Bräutigams bevorzugt. Guten Wein hatte die Braut nämlich zuvor im Gesetz und in den Prophetenh gekostet, durch den sie sich sozusagen darin eingeübt

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Hoheliedkommentar

uelut praemeditata fuerat sponsa laetitiam cordis accipere ac praeparare, ut capere posset etiam illam, quae affutura erat per ubera ipsius sponsi, excellentiorem cunctis eminentioremque doctrinam, et ideo dicit: „Bona sunt ubera tua super uinum“. a 21. Et uide si adhuc huic formae aptare possumus illam euangelii parabolam, quae dicit: „Simile est regnum caelorum thesauro abscondito in agro, quem qui inuenerit, abscondit, et prae gaudio eius uadit et uendit omnia, quae habet, et emit agrum illum.“ b Est ergo thesaurus hic non in deserto aliquo loco neque in siluis, sed in agro absconditus. Et possibile utique est agrum illum habere etiam uineas, quae afferant uinum, habere etiam thesaurum, propter quem distractis omnibus emit agrum illum is, qui inuenerat ibi thesaurum. Potest ergo dicere ille, qui emit agrum, quia bonus est thesaurus, qui est in agro, magis quam uinum, quod est in eo. 22. Ita ergo et bonus est sponsus atque ubera sponsi, qui uelut thesaurus absconditus est in lege et prophetis, c magis quam uinum, quod est in iis, illa scilicet doctrina, quae palam est et laetificat audientes. Bona sunt ergo ubera sponsi; thesauri enim sunt sapientiae et scientiae in eo absconditi, d qui cum aperti et reuelati fuerint oculis sponsae, multo praestantiores ei uidebuntur, quam fuit prius illud uinum legis et doctrina prophetica. 23. Sed et si tertia expositione de anima haec perfecta et Verbo Dei sentire debeamus, possumus dicere in his, quia, donec quis paruulus e est et nondum semet ipsum ex integro obtulit Deo, f bibit uinum, quod affert ager ille, qui habet intra se etiam thesaurum absconditum, et bibens laetificatur ex uino. 24. Cum autem obtulerit et deuouerit semet ipsum Deo ac Nazaraeus g fuerit effectus atque inuenerit thesaurum absconditum et ad ipsa ubera fontesque peruenerit Verbi Dei, uinum et siceram iam non bibet h dicens ad ipsum Dei Verbum de his thesauris, qui in ipso sapientiae et scientiae reconditi sunt: i „Quia bona sunt ubera tua super uinum.“ j

a g

b c d e Hld. 1,2 Mt. 13,44 Mt. 7,12 Kol. 2,3 Hebr. 5,13 h i j Vgl. Num. 6,2–8 Lk. 1,15 Kol 2,3 Hld. 1,2

f

Hebr. 9,14

143 Wenn Origenes nach diesen Auslegungen zur Deutung der Stelle in Bezug auf die Seele übergeht, hält er sich an sein im Prolog (in Cant. comm. prol. 1,1) und zu Beginn des ersten Buches (ebd. I 1,1) angekündigtes Schema, dem wörtlichen Sinn eine zweite Deutung auf Kirche und Christus und eine dritte auf Seele und Logos folgen zu lassen. Denn die vorangegangene Auslegung nennt zwar nicht explizit die

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Buch I 2,20–24

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hatte, die Freude des Herzens zu empfangen und sich darauf vorzubereiten, auch jene über alles erhabenere und herausragendere Lehre, die ihr durch die Brüste des Bräutigams selbst zukommen sollte, aufnehmen zu können, und deshalb sagt sie: „Deine Brüste sind besser als Wein.“a 21. Und sieh, ob wir zu diesem Bild auch noch jenes Gleichnis des Evangeliums hinzufügen können, in dem es heißt: „Das Himmelreich gleicht einem im Acker verborgenen Schatz, den der, der ihn gefunden hat, verbirgt. Und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.“b Es ist also dieser Schatz nicht an irgendeinem wüsten Ort und nicht in Wäldern, sondern in einem Acker verborgen. Und es ist durchaus möglich, dass jener Acker sowohl Weinstöcke trägt, die Wein hervorbringen, als auch einen Schatz birgt, dessentwegen der, der dort einen Schatz gefunden hatte, alles verkaufte, um jenen Acker zu erwerben. Es kann also jener, der den Acker kauft, sagen, dass der Schatz, der im Acker liegt, besser ist als der Wein, der auf ihm wächst. 22. So also ist auch der Bräutigam – und ebenso die Brüste des Bräutigams –, der wie ein Schatz im Gesetz und in den Prophetenc verborgen ist, besser als der Wein, der in ihnen ist, nämlich jene Lehre, die öffentlich ist und die Hörer erfreut. Gut sind also die Brüste des Bräutigams, denn die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis sind darin verborgen,d die der Braut, wenn sie ihren Augen eröffnet und offenbart worden sind, viel ausgezeichneter erscheinen werden, als es vorher jener Wein des Gesetzes und die prophetische Lehre gewesen ist.143 23. Aber auch wenn wir dies in einer dritten Auslegung von der vollkommenen Seele und vom Wort Gottes verstehen müssen, können wir darüber sagen, dass jemand, solange er noch kleine ist und sich selbst noch nicht ganz Gott geweiht hat,f den Wein trinkt, den jener Acker hervorbringt, der in sich auch einen verborgenen Schatz enthält, und sich trinkend am Wein erfreut. 24. Wenn er aber sich selbst Gott hingegeben und geweiht hat und ein Nasiräerg geworden ist, wenn er den verborgenen Schatz gefunden hat und zu den Brüsten und Quellen des Wortes Gottes selbst gelangt ist, wird er keinen Wein und kein berauschendes Getränk mehr trinken,h sondern zum Wort Gottes selbst über die Schätze, die in diesem an Weisheit und Erkenntnis verwahrt sind,i sagen: „Ja, deine Brüste sind besser als Wein.“j

Kirche, entspricht diesem Thema aber dadurch, dass hier inhaltlich vom Verhältnis des alten und des neuen Bundes die Rede ist und sich diese Aussage auf die Kirche bezieht, die ja die Braut ist, die von den Propheten die Lehre empfangen hat, die Christus dann überbietet.

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Hoheliedkommentar

Hld. 1,3: „Der Duft deiner Salböle ist besser als alle Duftkräuter.“ 98

3,1. Sunt autem etiam unguenta quaedam sponsi, quorum fraglantia delectata est sponsa et dicit: „Odor unguentorum tuorum super omnia aromata.“ a Aromata species sunt pigmentorum. Sponsa ergo habuit quidem usum et notitiam aromatum, hoc est uerborum legis et prophetarum, b quibus ante aduentum sponsi, mediocriter licet, instrui tamen uidebatur et exerceri ad cultum Dei, utpote paruula adhuc et sub curatoribus et actoribus agens c et paedagogis, d „lex“ enim inquit „paedagogus noster fuit ad Christum“. e Haec ergo omnia aromata fuerant, in quibus enutriri uisa est et sponso suo praeparari. 2. Sed ubi uenit plenitudo temporum f et adoleuit atque unigenitum suum Pater Spiritu Sancto unctum g misit in hunc mundum, h odorata sponsa diuini unguenti fraglantiam sentiensque quod illa omnia aromata, quibus prius usa uidebatur, longe inferiora sunt ad comparationem suauitatis noui huius et caelestis unguenti ait: „Odor unguentorum tuorum super omnia aromata.“ i 3. Et quoniam Christus idem sponsus j atque idem pontifex k dicitur, pontifex quidem secundum hoc, quod mediator est Dei et hominum l omnisque creaturae, pro qua et propitiatio m factus est, semet ipsum offerendo hostiam n pro peccato mundi, sponsus uero secundum hoc, quod ecclesiae iungitur non habenti maculam aut rugam aut aliquid horum, o 4. considera, ne forte unguentum illud pontificale, quod in Exodo componi iubetur arte pigmentarii, p istius unguenti, quod nunc odorata sponsa miratur, teneat rationem et uidens, quod illa quidem aromata, quibus illud compositum uidebatur, quo Aaron unctus est, quoniam erant terrena et materiae corporalis, hoc autem unguentum, quo nunc unctum uidit sponsum, spiritale est et caeleste, idcirco dicat quia: „Odor unguentorum tuorum super omnia aromata.“ q 5. Videamus ergo, quomodo compositum sit illud unguentum: „Et locutus est“ inquit „Dominus ad Moysen dicens: Accipe tibi florem myrrhae electae quingentos siclos et cinamomum Hld. 1,3 Apg. 10,38 m 1 Joh. 2,2 a

g

b

Mt. 7,12 h 1 Joh. 4,9 n Eph. 5,2

c

Gal. 4,1f. i Hld. 1,3 o Eph. 5,27

j

d Gal. 3,25 Mt. 9,15 p Ex. 30,25

k

e Gal. 3,24 Hebr. 2,17 q Hld. 1,3

l

f Gal. 4,4 1 Tim. 2,5

3 Cf. frg. 5 (Prokop 11; Barba`ra 3)

144 Zur Auslegung von Hld. 1,3 in diesem und im folgenden Kapitel (in Cant. comm. I 3f.) siehe die ausführliche Interpretation bei Meloni, Profumo dell’immortalita` 133–176.

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Buch I 3,1–5

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3. Die mystische Einsicht in die Barmherzigkeit der Menschwerdung des Wortes Gottes

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3,1. Es gibt aber auch gewisse Salböle des Bräutigams, von deren Wohlgeruch erfreut die Braut spricht: „Der Duft deiner Salböle ist besser als alle Duftkräuter.“a 144 Duftkräuter sind eine Art von Spezereien. Die Braut hatte also eine gewisse Erfahrung und Kenntnis von Duftkräutern, das heißt von den Worten des Gesetzes und der Propheten,b durch die sie vor der Ankunft des Bräutigams anscheinend, wenn auch nur mittelmäßig, doch immerhin in die Verehrung Gottes eingeführt und eingeübt wurde, freilich als noch kleines Kind, das Aufsehern und Verwalternc und Erziehernd untersteht, denn „das Gesetz“, heißt es, „war unser Erzieher auf Christus hin“.e Dies alles also waren die Duftkräuter, mit denen sie offensichtlich aufgezogen und auf ihren Bräutigam vorbereitet worden ist. 2. Sobald aber die Fülle der Zeiten gekommenf und sie herangewachsen ist und der Vater seinen einzigen Sohn, der mit dem Heiligen Geist gesalbt war,g in diese Welt gesandt hat,h sagt die Braut, die den Wohlgeruch des göttlichen Salböls gerochen hat und erkennt, dass alle jene Duftkräuter, die sie vorher offenbar gebrauchte, im Vergleich mit der Lieblichkeit dieses neuen und himmlischen Salböls weit geringer sind: „Der Duft deiner Salböle ist besser als alle Duftkräuter.“i 3. Und da derselbe Christus sowohl als Bräutigamj wie auch als Hohepriesterk bezeichnet wird – als Hohepriester deshalb, weil er der Mittler zwischen Gott und den Menschenl und der gesamten Schöpfung ist, für die er auch zur Versöhnungm geworden ist, indem er sich selbst als Opfer für die Sünde der Welt dargebracht hat,n Bräutigam aber deshalb, weil er sich mit der Kirche verbindet, die keinen Fleck und keine Runzel noch etwas dergleichen hato –, 4. so bedenke, ob nicht vielleicht jenes hohepriesterliche Salböl, dessen Herstellung gemäß der Kunst des Salbenmischers im Buch Exodus angeordnet wird,p die Bedeutung dieses Salböls hat, das die Braut jetzt riecht und bewundert.145 Und bedenke, ob die Braut nicht deshalb, weil sie sieht, dass jene Duftkräuter, aus denen jenes Salböl offenbar hergestellt war, mit dem Aaron gesalbt wurde, dass jene also irdisch und von körperlicher Materie waren, dieses Salböl aber, womit sie nun den Bräutigam gesalbt sieht, geistig und himmlisch ist, sagt: „Der Duft deiner Salböle ist besser als alle Duftkräuter.“q 5. Wir wollen uns also anschauen, wie jenes Salböl hergestellt worden ist. „Und der Herr“, heißt es, „sprach zu Mose und sagte: Nimm dir die Blüte ausgewählter Myrrhe, fünfhundert Schekel, und lieblich duften-

145 Auch die jüdische Tradition setzt das Salböl des Hohepriesters mit dem Salböl des Bräutigams im Hohelied in Beziehung: TgCant 1,3. Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 210 Anm. 1.

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Hoheliedkommentar

suaue ducentos quinquaginta siclos et calamum suauem ducentos quinquaginta siclos et ireos quingentos siclos secundum siclum sanctum et oleum ex oliuis Hin et facies illud oleum chrismatis sancti unguentum arte pigmentarii.“ a 6. Haec ergo in lege quidem referri audierat sponsa, sed rationem eorum ueritatemque nunc perspicit; uidet enim, quod istae quattuor species unguenti illius formam tenebant incarnationis Verbi Dei, quod ex quattuor elementis compaginatum corpus assumsit. 7. In quo corpore myrrha illa mortis eius, quam siue ut pontifex pro populo siue ut sponsus pro sponsa suscepit, seruat indicia. Quod uero non simpliciter myrrha, sed flos myrrhae et myrrhae electae scriptum est, non solum mortem eius, sed et primogenitum eum futurum ex mortuis b indicabat atque eos, qui complantati fuissent similitudini mortis eius, c non solum uocatos, sed electos futuros. d 8. Cinamomum uero immaculatum dicitur propter ecclesiam sine dubio, quam purificauit lauacro aquae et immaculatam fecit non habentem maculam aut rugam aut aliquid huiusmodi. e Sed et calamus assumitur, quia lingua eius est ut calamus scribae uelociter scribentis, f doctrinae gratiam pigmenti suauitate designans. Ireos quoque species adhibetur calidissima, ut fertur, et ardentissima, in qua uel Sancti Spiritus feruor uel futuri per ignem iudicii ostenditur forma. 9. Numerus uero quingentorum siue ducentorum quinquaginta uel quinque sensuum in eo mysterium tenet centupliciter perfectorum uel rea e

Ex. 30,22–25 Eph. 5,26f.

f

b Kol. 1,18 Ps. 44(45),2

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Röm. 6,5

d

Vgl. Mt. 22,14; Offb. 17,14

146 Origenes bezieht auch sonst die Zahl vier gerne auf die vier Elemente, die Christus in seiner Menschwerdung angenommen hat, etwa in Hiez. hom. 1,4 (GCS Orig. 8, 329): „Und da er (sc. Christus) einen aus den vier Elementen der Welt bestehenden Leib und dabei auch die (sc. fünf) menschlichen Sinnesorgane angenommen hat, deshalb wurde die Vision vielleicht sowohl im vierten Monat als auch am fünften Tag des Monats geschaut (vgl. Ez. 1,1).“ Siehe dazu Borret, SC 352, 450–454. Origenes folgt hier wie auch in princ. III 6,6 (GCS Orig. 5, 288) der Lehre, nach der jeder Körper aus den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer besteht. Vorangegangen in dieser Deutung des Chrisamöls ist Origenes Philon von Alexandria, rer. div. her. 196–200 (III p. 45 Cohn/Wendland), der analog die Herstellung des Weihrauchs aus vier Zutaten laut Ex. 30,34f. auf die vier Elemente, aus denen die Welt besteht, bezogen hat. 147 Wie aus Plinius, hist. nat. XXI 120, hervorgeht, denkt Origenes bzw. Rufinus wohl an den Rosenduft, den Schilfrohr ausströmt, wenn es zerrieben wird. 148 Vgl. Plinius, hist. nat. XXI 141. 149 Dies letztere ,Feuer‘ erklärt Origenes ausführlich in Is. hom. 4,4–6 (GCS Orig. 8, 261f.) ausgehend von dem Ausdruck „glühende Kohle“, mit der einer der Seraphim laut Jes. 6,6f. zum Propheten Jesaja kommt. Von Jes. 50,11 her erklärt Origenes, princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 177), dieses Feuer als die Gewissensqualen, die sich jeder Sünder selbst bereitet, sobald er seine Taten bzw. Untaten ehrlich erkennt. Weitere Belege dazu bei Fürst/Hengstermann, OWD 10, 238f. Anm. 80–82.

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den Zimt, zweihundertfünfzig Schekel, und lieblich duftendes Schilfrohr, zweihundertfünfzig Schekel, und Schwertlilie, fünfhundert Schekel, gemessen nach dem Schekel des Heiligtums, und Öl von den Oliven von Hin und mache dieses Öl zum Salböl der heiligen Salbung nach der Kunst des Salbenmischers.“a 6. Die Braut hatte also diesen Bericht im Gesetz zwar gehört, aber seine Bedeutung und Wahrheit durchschaut sie erst jetzt. Sie sieht nämlich, dass die vier Zutaten zu jenem Salböl das Bild der Inkarnation des Wortes Gottes in sich trugen, das einen aus den vier Elementen zusammengesetzten Leib angenommen hat.146 7. In diesem Leib dient jene Myrrhe als Hinweis auf seinen Tod, den er entweder als Hohepriester für das Volk oder als Bräutigam für die Braut auf sich genommen hat. Dass aber nicht einfach Myrrhe, sondern Blüte der Myrrhe und der ausgewählten Myrrhe geschrieben steht, zeigte nicht nur seinen Tod an, sondern auch, dass er der Erstgeborene aus den Totenb sein wird und dass die, die in die Gleichheit seines Todes mit eingepflanzt worden sind,c nicht nur berufen, sondern auserwählt sein werden.d 8. Der fleckenlose Zimt aber wird zweifellos wegen der Kirche genannt, die er im Wasserbad gereinigt und fleckenlos gemacht hat und die keinen Fleck und keine Runzel noch etwas dergleichen hat.e Aber auch das Schilfrohr wird hinzugenommen, weil seine Zunge wie die Rohrfeder eines schnell schreibenden Schreibers ist,f und mit dem lieblichen Duft dieser Spezerei147 die Anmut der Lehre angezeigt. Und die Schwertlilie wird als Zutat verwendet, die, wie man sagt,148 sehr heiß ist und am stärksten brennt, womit entweder die Feurigkeit des Heiligen Geistes oder ein Bild für das künftige Gericht durch Feuer hindurch angedeutet wird.149 9. Die Zahl 500 jedoch beziehungsweise 250 enthält150 zum einen das Mysterium der in ihm hundertfach vervollkommneten fünf Sinne,151 150 An dieser Stelle liest Baehrens, GCS Orig. 8, 99.21, tenent, was Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 212, mit zwei Handschriften und Delarue zu tenet korrigieren. Diese Lesart ist zwingend, weil das Subjekt numerus im Singular steht (auch wenn es sich auf zwei Zahlen bezieht), wie durch die folgende Konstruktion significat … numerus bestätigt wird. Origenes kommt auf die beiden Zahlen in Ex. 30,23f. zu sprechen und sagt von der einen (uel) wie von der anderen (uel), was sie jeweils bedeutet. 151 Nach Origenes, in Gen. hom. 16,6 (GCS Orig. 6, 143), bezeichnet der fünfte Teil Ernte, den die Ägypter nach der Hungersnot dem Pharao als Tribut zahlen müssen (vgl. Gen. 47,24), wie bei Philon, migr. Abr. 204 (II p. 308 Cohn/Wendland); plant. 132 (II p. 159), die fünf aufs materielle gerichteten Sinne, während die Tatsache, dass die Israeliten den Zehnten an ihre Priester abführen, als vollkommene Zahl die geistigen Mysterien, die dieser Welt unbekannt sind, andeuten soll. Die mit Hundert multiplizierte Zahl der Sinne soll also die Vollkommenheit der geläuterten Sinneswahrnehmung ausdrücken. Zur Vollkommenzeit der Zahl Zehn als Summe der Zahlen Eins, Zwei, Drei und Vier vgl. Aristoteles, met. I 5, 986 a 8–10, ferner Origenes, in Ex. hom. 9,3 (GCS Orig. 6, 240); Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 212 Anm. 5; Habermehl, OWD 1/2, 290f. Anm. 505f.

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missionem peccatorum per eum datam significat quinquagenarius ueniabilis numerus quinquipliciter positus. a 10. Sed haec omnia oleo puro colliguntur, per quod ostenditur uel misericordiae solius causa fuisse, quod is, qui erat in forma Dei, formam serui susceperit, b uel ea, quae ex materiali substantia in Christo fuerant assumpta, per Spiritum Sanctum redacta in unum fuisse atque in unam speciem, quae est persona mediatoris, c effecta. 11. Illud ergo oleum materiale nullo genere oleum laetitiae d appellari potuit. Istud autem oleum, id est Sancti Spiritus unguentum, quo unctus est Christus e et cuius nunc odorem sponsa percipiens admirata est, oleum laetitiae, quia fructus spiritus gaudium f est, merito appellatur, quo Deus unxit eum, qui dilexit iustitiam et odio habuit iniquitatem. g „Propterea“ enim dicitur „unxit eum Dominus Deus suus oleo laetitiae prae participibus suis.“ h Et ideo „odor unguentorum“ eius est „super omnia aromata“. i 12. Simili autem expositione utimur, etiam si ad unamquamque animam in amore et desiderio Verbi Dei positam transferatur hic sermo, cui fuerint omnes doctrinae per ordinem decursae, in quibus ante agnitionem Verbi Dei exercitata uidetur et erudita, siue ex moralibus descendentes siue ex naturalibus scholis. Erant enim ei ista omnia aromata quaedam pro eo, quod in his institutio probabilis et morum conquiritur emendatio, quod deprehenditur in his uanitas saeculi et caducarum rerum respuuntur falsa miracula. Erant ergo haec omnia uelut aromata et odoramenta, quaedam animae pigmenta. 13. Sed ubi ad agnitionem mysteriorum et diuinorum dogmatum scientiam uentum est, ubi ad ianuas ipsius sapientiae et sapientiae non huius mundi neque principum huius mundi, qui destruuntur, j accessum est, sed ad ipsam Dei sapientiam, quae inter perfectos disseritur, et ubi mysterium, quod prioribus generationibus non fuit notum, filiis hominum reuelatum est, k ubi, inquam, anima ad agnitionem tanti huius adscendit arcani, merito dicit: „Quia odor unguentorum tuorum“ – spiritalis scilicet intelligentia et mystica – „super omnia aromata“ l moralis naturalisque philosophiae. b c d Vgl. Lev. 25,10 Phil. 2,6f. 1 Tim. 2,5 Ps. 44(45),8 g h i j Gal. 5,22 Ps. 44(45),8 Ps. 44(45),8 Hld. 1,3 1 Kor. 2,6 l Hld. 1,3 a f

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Apg. 10,38 k Kol. 1,26

152 Für Philon, mut. nom. 288 (III p. 196 Cohn/Wendland), bedeutet die „heilige Zahl fünzig“ „die vollkommene Vergebung zur Freiheit“ (hë pantelhÁw eiÆw eÆleyueriÂan aÍfesiw); vgl. sacr. 122 (I p. 251). Clemens von Alexandria, strom. VI 87,2 (GCS Clem. Al. 24, 475), sieht die Zahl fünfzig als Symbol für die Hoffnung und die Vergebung im fünfzigsten Jahr. So auch Origenes, in Num. hom. 5,2 (GCS Orig. 7, 27f.); in Matth. comm. XI 3 (GCS Orig. 10, 38). 153 In Ioh. comm. I 20,121 (GCS Orig. 4, 25) gibt Origenes als Grund für die Menschwerdung und den Kreuzestod des Wortes Gottes explizit die „Menschenliebe“ (filanurvpiÂa) an.

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Buch I 3,9–13

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zum anderen bezeichnet die fünfmal genommene, Vergebung anzeigende Zahl fünfzig die durch ihn gewährte Vergebung der Sünden.a 152 10. Aber alle diese Zutaten werden mit reinem Öl vermengt, wodurch entweder angedeutet wird, dass einzig die Barmherzigkeit die Ursache dafür war, dass der, der in der Gestalt Gottes war, Knechtsgestalt angenommen hat,b 153 oder dass das, was in Christus aus der materiellen Substanz angenommen worden war, durch den Heiligen Geist in eine Einheit gebracht und zu einer Gestalt, welche die Person des Mittlers ist,c gemacht worden ist. 11. Jenes materielle Öl konnte also auf keine Weise Öl der Freuded genannt werden. Dieses Öl jedoch, das heißt das Salböl des Heiligen Geistes, mit dem Christus gesalbt iste und dessen Duft die Braut nunmehr wahrgenommen und bewundert hat, wird, weil die Frucht des Geistes Freudef ist, zu Recht Öl der Freude genannt, mit dem Gott den gesalbt hat, der die Gerechtigkeit geliebt und die Ungerechtigkeit gehasst hat.g „Deshalb“, heißt es nämlich, „salbte ihn der Herr, sein Gott, mit dem Öl der Freude mehr als seine Gefährten.“h Und daher ist „der Duft“ seiner „Salböle besser als alle Duftkräuter“.i 12. Eine ähnliche Auslegung wenden wir aber auch an, wenn wir diese Rede auf jede Seele beziehen, die in Liebe und Sehnsucht nach dem Wort Gottes brennt, nachdem sie der Reihe nach alle Lehren durchlaufen hat, in denen sie, bevor sie das Wort Gottes kennenlernte, ausgebildet und erzogen worden zu sein scheint, seien es die aus den moralischen, seien es die aus den naturwissenschaftlichen Unterweisungen.154 Denn für sie waren alle diese Dinge deshalb sozusagen Duftkräuter, weil man in ihnen eine akzeptable Bildung und eine Verbesserung der Sitten erwirbt, weil man in ihnen die Nichtigkeit der Welt erfasst und die trügerischen Wunder der vergänglichen Dinge verwirft. Es waren diese Dinge also alle so etwas wie Duftkräuter und Spezereien, gewissermaßen Balsam für die Seele. 13. Aber sobald man die Mysterien kennengelernt hat und zur Erkenntnis der göttlichen Lehren gelangt ist, sobald man zu den Türen der Weisheit selbst, und zwar der Weisheit nicht dieser Welt und nicht der Fürsten dieser Welt, die zerstört werden,j sondern zur Weisheit Gottes selbst, die unter den Vollkommenen erörtert wird, Zutritt hat und sobald das Mysterium, das den früheren Generationen nicht bekannt war, den Menschenkindern offenbart worden ist,k sobald, sage ich, die Seele zur Erkenntnis dieses so großen Geheimnisses hinaufsteigt, sagt sie zu Recht: „Ja, der Duft deiner Salböle“ – die geistige und mystische Einsicht nämlich155 – „ist besser als alle Duftkräuter“l der moralischen und naturwissenschaftlichen Philosophie. 154 Die anima perfecta hat die Schule der zwei anderen Bücher Salomos bereits durchlaufen: Die Sprichwörter enthalten die ethischen Lehren, Kohelet die naturwissenschaftlichen; siehe in Cant. comm. prol. 3,5–15. 155 Auch in Cant. comm. prol. 3,16 spricht Origenes für die dritte Stufe der Philosophie von „mystischen“ Lehren und „Schau“ der Gottheit.

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14. Non autem lateat nos, quod in quibusdam exemplaribus pro eo, quod nos legimus: „Quia bona sunt ubera tua super uinum“, a inuenimus scriptum: „Quia bonae sunt loquelae tuae super uinum“, quod quamuis euidentius significasse uideatur ea ipsa, quae a nobis spiritali interpretatione disserta sunt, tamen nos Septuaginta interpretum scripta per omnia custodimus, certi quod Spiritus Sanctus mysteriorum formas obtectas esse uoluit in scripturis diuinis et non palam atque in propatulo haberi.

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Hdl. 1,3f.: „Ausgegossenes Salböl ist dein Name. Deswegen haben sich die Mädchen in dich verliebt, sie haben dich an sich gezogen: Zum Duft deiner Salböle werden wir hinter dir herlaufen.“ 4,1. „Vnguentum exinanitum nomen tuum. Propterea adulescentulae dilexerunt te, traxerunt te; post te in odorem unguentorum tuorum curremus.“ b Historica quidem expositio eadem quae in superioribus percurrit etiam in praesenti loco, donec fiat aliqua commutatio personarum; ita quippe ordo dramatis, qui in hac expositione a nobis receptus est, poscit. 2. Potest sane in his prophetia quaedam uideri ex persona sponsae prolata de Christo, quod futurum esset, ut in aduentu Domini et Saluatoris nostri nomen eius ita per orbem terrae et per uniuersum mundum diffunderetur, ut fieret odor suauitatis in omni loco, sicut et apostolus dicit: „Quia Christi bonus odor sumus in omni loco, aliis quidem odor ex morte in mortem, aliis autem odor de uita in uitam.“ c 3. Si enim omnibus fuisset odor uitae in a

Hld. 1,2

b

Hld. 1,3f.

c

2 Kor. 2,15f.

13 Cf. frg. 6 (Prokop 12; Barba`ra 4)

156 Obwohl Origenes eine Lesart kennt, die seine Auslegung besser stützt, bleibt er aus zwei Gründen beim Septuaginta-Text. Zum einen ist die Septuaginta für ihn eine gottgewollte, also inspirierte Übersetzung, zum anderen hat auch ein dunkler Text in der Schrift seinen Sinn: Er schützt die in ihm verborgenen Geheimnisse und ist Mahnung zum Erfassen des geistigen Sinns. Die Ansicht, dass die siebzig Übersetzer des Alten Testaments in das Griechische ihre Übersetzung in göttlicher Eingebung angefertigt haben, hat Origenes von Philon, vit. Mos. II 25–44 (IV p. 206–210 Cohn/Wendland), der die Legende von der göttlichen Inspiration der Septuaginta geschaffen hat, die von allen frühchristlichen Theologen, beispielsweise Justin, apol. I 31,2–5 (SC 507, 210), Irenäus von Lyon, adv. haer. III 21,2 (SC 211, 402–404), und Clemens von Alexandria, strom. I 148,1–149,3 (GCS Clem. Al. 24, 92), geteilt wurde. Auch die nicht text-, sondern literarkritische Arbeit des Origenes am Text der Septuaginta im Rahmen seiner gigantischen Bibelsynopse, der Hexapla, verfolgte nicht den Zweck, den Septuaginta-Text zu korrigieren, sondern den, der wissen-

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14. Es soll uns aber nicht verborgen bleiben, dass wir in manchen Ausgaben an Stelle unserer Lesart: „Ja, deine Brüste sind besser als Wein“a geschrieben finden: „Ja, deine Worte sind besser als Wein.“ Obwohl diese Lesart klarer eben das ausgedrückt zu haben scheint, was wir in der geistigen Auslegung erörtert haben, halten wir dennoch in allen Fällen an dem fest, was die siebzig Übersetzer geschrieben haben, weil wir sicher sind, dass der Heilige Geist die Bilder für die Mysterien in den göttlichen Schriften verhüllt und nicht offen und in aller Öffentlichkeit feilgeboten haben wollte.156

4. Die universale Anziehungskraft des menschgewordenen Gotteswortes auf die Sinne des inneren Menschen: Die Theorie der geistigen Sinnlichkeit

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4,1. „Ausgegossenes Salböl ist dein Name. Deswegen haben sich die Mädchen in dich verliebt, sie haben dich an sich gezogen: Zum Duft deiner Salböle werden wir hinter dir herlaufen.“b Dieselbe Auslegung der Erzählung wie in den vorausgehenden Passagen gilt auch für die vorliegende Stelle, bis es zu einem Wechsel der Personen kommt. So jedenfalls erfordert es die Ordnung des Dramas, die von uns für diese Auslegung angenommen worden ist.157 2. Man kann in diesen Worten gewiss eine Art Prophezeiung erblicken, vorgebracht von der Person der Braut über Christus, dass nämlich in der Zukunft bei der Ankunft unseres Herrn und Erlösers sein Name so über den Erdkreis und die ganze Welt verbreitet werden würde,158 dass er ein Geruch von Lieblichkeit an jedem Ort werden würde, wie auch der Apostel sagt: „Ja, wir sind Christi Wohlgeruch an jedem Ort, für die einen ein Geruch vom Tode zum Tode, für die anderen jedoch ein Geruch vom Leben zum Leben.“c 3. Wenn nämlich der Geruch des Lebens zum Leben

schaftlichen Auslegung ein Arbeitsinstrument zur Verfügung zu stellen, wie er es an der vorliegenden Stelle selbst nutzte. Zur Haltung des Origenes gegenüber der Septuaginta siehe des Näheren Sgherri, Valutazione origeniana. 157 Siehe in Cant. comm. prol. 1,1–3. 158 Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 765f., weisen darauf hin, dass Rufinus in Hld. 1,3 unguentum exinanitum übersetzt, „ausgegossenes Salböl“, wörtlich also „ausgeleertes“, „entleertes“, den Text aber im Verbum diffundere, „ausbreiten“, in dem Sinne erklärt, wie er von Hieronymus in der Hoheliedhomilie übersetzt wurde, in Cant. hom. 1,4 (GCS Orig. 8, 33): unguentum effusum, wo die Aspekte des Ausgießens und des Ausbreitens kombiniert sind. Allerdings verbindet Origenes den Text seinerseits schon mit Phil. 2,6f. (siehe in Cant. comm. I 4,27–30) und integriert damit die Bedeutung von se exinanire, „sich entäußern“, die zur Übersetzung des Rufinus passt, in seine Erklärung. Vgl. auch frg. 276 aus der Evangelienkatene zu in Matth. comm. ser. 64 (GCS Orig. 11, 150); ferner pasch. 18 (p. 188 Gue´raud/Nautin).

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uitam, dixisset utique et hic: Omnes dilexerunt te et traxerunt te. Sed nunc ait: Vbi nomen tuum factum est unguentum exinanitum, dilexerunt te, non illae uetulae ac ueterem hominem a indutae animae neque rugas habentes aut maculas, b sed adulescentulae in augmento scilicet aetatis et pulchritudinis positae animae, quae semper innouantur et de die in diem renouantur, c nouum se induentes hominem, qui secundum Deum creatus est. d 4. Propter istas ergo animas adulescentulas et in augmentis uitae ac profectibus positas exinaniuit se ille, qui erat in forma Dei, e ut fieret unguentum exinanitum nomen eius, f ut non iam inaccessam lucem tantummodo habitaret g et in forma Dei permaneret, sed Verbum caro fieret, h quo possent istae adulescentulae et in augmento profectuum positae animae non solum diligere, sed et trahere eum ad se. Trahit enim unaquaeque anima et adsumit ad se Verbum Dei pro capacitatis et fidei suae mensura. 5. Cum autem traxerint ad se animae Verbum Dei et sensibus suis atque intellectibus inseruerint ac dulcedinis eius et odoris sumpserint suauitatem, ubi unguentorum eius fraglantiam ceperint, rationem dumtaxat aduentus eius et redemptionis ac passionis causas caritatemque eius agnouerint, qua pro salute omnium usque ad mortem crucis i immortalis accessit, et his omnibus uelut diuini cuiusdam et ineffabilis unguenti odoribus inuitatae adulescentulae istae animae plenae uigoris atque alacritatis effectae currunt post ipsum atque in odorem suauitatis eius non leni gradu nec tardis passibus, sed rapido cursu et tota properatione festinant, quemadmodum et ille, qui dicebat: „Sic curro, ut comprehendam.“ j 6. Verum quod ait: „Vnguentum exinanitum nomen tuum; propterea adulescentulae dilexerunt te, traxerunt te; post te in odorem unguentorum tuorum curremus“, k trahunt ad se Christum adulescentulae, siquidem de ecclesiis intelligatur, quae una quidem est, cum perfecta est, multae uero a g

Eph. 4,22 1 Tim. 6,16

b

Eph. 5,27 h Joh. 1,14

c

2 Kor. 4,16 i Phil 2,8

d j

Eph. 4,24 1 Kor. 9,24

e

Phil. 2,6f. k Hld. 1,3f.

f

Hld. 1,3

159 Dass der göttliche Logos von den verschiedenen Wesen verschieden verstanden und je nach deren Auffassungsgabe aufgenommen wird, ist ein grundlegender Gedanke der Christologie des Origenes; vgl. in Cant. comm. I 4,13; II 8,40; III 5,7. Er kommt in seiner Lehre von den verschiedenen Aspekten (Epinoiai) Christi zum Ausdruck (siehe dazu oben S. 78 Anm. 43). Diese gelten ihm als Anpassung des ewigen Wortes Gottes an die verschiedenen Erkenntnismöglichkeiten der Geschöpfe; vgl. Cels. IV 18 (GCS Orig. 1, 287): „Die Natur des Logos (könnte man) folgendermaßen (in den Blick nehmen): Wie sich die Beschaffenheit der Nahrung bei der Mutter in Anpassung an die Natur des Kindes in Milch verwandelt oder vom Arzt nach den Erfordernissen der Gesundheit für den Kranken verordnet oder für den kräftigeren Menschen seinen größeren Kräften entsprechend zubereitet wird, so verändert Gott die Kraft des Logos, der dazu bestimmt ist, die menschliche Seele zu ernähren, für die Menschen nach ihren jeweiligen Bedürfnissen.“ Übersetzung: Barthold, FC 50, 691–693.

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für alle gewesen wäre, hätte er sicherlich auch hier gesagt: Alle haben sich in dich verliebt und dich an sich gezogen. Aber jetzt heißt es: Sobald dein Name zu ausgegossenem Salböl geworden ist, haben sie sich in dich verliebt, nicht jene ältlichen und mit dem alten Menschena bekleideten Seelen und nicht die, die Runzeln und Flecken haben,b sondern die jungen Seelen, also die, die an Alter und Schönheit zunehmen, die beständig neu und von Tag zu Tag erneuert werden,c indem sie den neuen Menschen anziehen, der nach Gott geschaffen ist.d 4. Wegen dieser jungen Seelen also, die sich mitten im Wachsen und Voranschreiten des Lebens befanden, hat sich jener entäußert, der in der Gestalt Gottes war,e damit sein Name ausgegossenes Salbölf wurde, damit er nicht mehr nur in unzugänglichem Licht wohnteg und in der Gestalt Gottes blieb, sondern das Wort Fleisch wurde,h wodurch jene jungen Seelen, die sich in voranschreitendem Wachstum befanden, ihn nicht nur lieben, sondern auch an sich ziehen konnten. Eine jede Seele zieht nämlich das Wort Gottes an sich und nimmt es je nach dem Maß ihrer Fassungskraft und ihres Glaubens auf.159 5. Wenn aber die Seelen das Wort Gottes an sich gezogen und in ihre Sinne und Gedanken aufgenommen und die Lieblichkeit seiner Süße und seines Duftes eingesogen haben, wenn sie den Wohlgeruch seiner Salböle in sich aufgenommen haben – das heißt, wenn sie den Grund für seine Ankunft und die Ursachen für die Erlösung und das Leiden und seine Liebe erkannt haben, durch die der Unsterbliche für das Heil aller bis zum Tod am Kreuzi gegangen ist –, dann laufen auch diese von allen diesen Düften eines gleichsam göttlichen und unaussprechlichen Salböls angezogenen Mädchen, da sie zu Seelen voller Kraft und Eifer geworden sind, ihm nach und eilen im Duft seiner Lieblichkeit nicht langsam und nicht mit trägen Schritten, sondern in schnellem Lauf und in aller Eile, wie auch jener, der gesagt hat: „Ich laufe so, dass ich gewinne.“j 6. Was allerdings die Aussage angeht: „Ausgegossenes Salböl ist dein Name. Deswegen haben sich die Mädchen in dich verliebt, sie haben dich an sich gezogen: Zum Duft deiner Salböle werden wir hinter dir herlaufen“,k so ziehen die Mädchen Christus an sich, sofern sie denn auf die Kirchen bezogen wird, die eine ist, wenn sie vollkommen ist,160 aber aus 160 Dass hier „Kirchen“ im Plural steht, der daran anknüpfende Relativsatz allerdings im Singular, ist eine grammatische Inkongruenz, die aber Ausdruck des Gedankengangs des Origenes ist: Wenn das Verhältnis der Mädchen (Plural) zu Christus auf die Relation der Kirche zu Christus bezogen wird, scheint die Tatsache, dass die Mädchen im Plural stehen, dazu zu führen, dass auch die Kirchen im Plural stehen. Die Vielzahl von Mädchen und die Vielzahl der Kirchen ist für Origenes ein Zeichen dafür, dass die Kirche im Plural die Kirchen darstellt, die noch auf dem Weg zur Vollkommenheit der einen Kirche sind, denn Vollkommenheit ist, platonisch gedacht, durch Einheit ausgezeichnet: quae una quidem est, cum perfecta est. Zu diesem Ideal der Einheit im metaphysischen und ethischen Sinne, wie Origenes es in Regn. hom. lat. 4 (GCS Orig. 8, 5–7) entfaltet, siehe Fürst, OWD 7, 31–59.

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sunt adulescentulae, cum adhuc instruuntur et proficiunt. Istae ergo ad se trahunt Christum per fidem, quia Christus, ubi congregatos uiderit duos uel tres in fide nominis sui, uadit illuc et est in medio eorum, a fide eorum tractus et unanimitate prouocatus. 7. Si uero tertia expositione de anima Verbum Dei sequente intelligi haec oportet, quaecumque anima fuerit erudita primo in moralibus, secundo etiam in naturalibus exercitata, per illa omnia, quae in his disciplinis edoceri supra ostendimus, ipsa morum emendatio et eruditio rerum ac probitas disciplinae trahit ad se Verbum Dei; et libens trahitur, gratissime enim ad eruditas animas uenit et trahi se ab his indulgenter accipit benigneque concedit. 8. Requiro sane, si solum nomen eius, quia unguentum factum est exinanitum, tantum operis egit et ita suscitauit adulescentulas, ut primo eum traherent ad se et habentes eum apud se caperent unguentorum eius odorem et statim currerent post eum, si haec, inquam, omnia solo nomine eius effecta sunt, quid, putas, faciet ipsa eius substantia? Quid ex illa adulescentulae istae uirtutis, quid uigoris accipient, si quo pacto potuerint aliquando ad ipsam eius incomprehensibilem atque ineffabilem substantiam peruenire? 9. Ego puto, quod, si ad hoc aliquando peruenerint, iam non ambulent neque currant, sed uinculis quibusdam caritatis eius adstrictae adhaereant ei nec ultra mobilitatis alicuius ullus in iis resideat locus, sed sint cum eo unus spiritus b et compleatur in illis hoc, quod scriptum est: „Sicut tu, Pater, in me et ego in te unum sumus, ita et isti in nobis unum sint.“ c 10. Sed nunc interim, ut uidetur, sponsa consociatis sibi adulescentulis multis, quarum in posterioribus nullus esse numerus d dicitur, ab uno solo sensu, id est odoratu, tantummodo capta currere se in odorem unguentorum sponsi commemorat, siue quod et ipsa cursu indigeat adhuc et profectu, siue quod ipsa quidem perfecta sit, pro his autem adulescentulis, quae adhuc cursu et profectibus indigent, etiam ipsa currere se fatetur, sicut et ille, qui, cum sub lege non esset, fit tamen sub lege, ut eos, qui sub lege sunt, lua

Mt. 18,20

b

1 Kor. 6,17

c

Joh. 17,21

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Hld. 6,8

161 Siehe in Cant. comm. prol. 3,1–7. 162 In dieser Formulierung spiegelt sich die origeneische Vorstellung vom endgültigen Heil, dass gerade darin besteht, dass die Vollkommenheit keine Bewegung und daher auch keine Möglichkeit eines Abfalls von der vollkommenen Verbindung der Seele mit dem Wort Gottes mehr kennt, weil der göttliche Logos die Seele ganz und gar erfüllt: princ. III 6,3 (GCS Orig. 5, 283). Zur Liebe als die Kraft, die nach 1 Kor. 13,8 diese endgültige Bindung der Seele an Gott bewirkt, vgl. ausführlich in Rom. comm. V 10,11–15 (SC 539, 516–522); dazu Vogt, Kirchenverständnis 344f.; ferner Nemeshegyi, Paternite´ de Dieu 203–216, und v.a. Roukema, Liebe.

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vielen Mädchen besteht, solange sie noch erzogen werden und voranschreiten. Diese also ziehen Christus durch den Glauben an sich, weil Christus dorthin geht, wo er zwei oder drei im Glauben an seinen Namen versammelt sieht, und in ihrer Mitte ist,a angezogen von ihrem Glauben und herbeigerufen von ihrer Einmütigkeit. 7. Wenn man dies aber in einer dritten Auslegung auf die dem Wort Gottes folgende Seele beziehen muss, dann auf folgende Weise: Wenn eine Seele zuerst in den moralischen Lehren ausgebildet, zweitens auch in den naturwissenschaftlichen geschult worden ist, zieht durch alles das, was in diesen Disziplinen nach unserer obigen Darstellung gelehrt wird,161 die Verbesserung der Sitten und die Kenntnis der Wirklichkeit und die Rechtschaffenheit der Lebensweise als solche das Wort Gottes an sich. Und dieses lässt sich freiwillig anziehen, sehr gerne nämlich kommt es zu gebildeten Seelen und akzeptiert nachsichtig und gewährt gütig, sich von diesen anziehen zu lassen. 8. Ich frage allerdings, wenn allein sein Name, weil er ausgegossenes Salböl geworden ist, ein so großes Werk vollbracht und die Mädchen so angetrieben hat, dass sie ihn zuerst an sich zogen und, als sie ihn bei sich hatten, den Duft seiner Salböle einsogen und ihm sogleich nachliefen, wenn dies alles, frage ich, allein durch seinen Namen bewirkt worden ist, was, glaubst du, wird dann erst sein Wesen selbst bewirken? Was für eine Kraft, was für eine Energie werden jene Mädchen von ihm empfangen, wenn sie, auf welche Weise auch immer, einmal zu seinem unbegreiflichen und unaussprechlichen Wesen selbst zu gelangen vermögen? 9. Ich selbst glaube, dass sie dann, wenn sie einmal dahin gelangt sind, nicht mehr gehen noch laufen, sondern ihm, gleichsam mit Fesseln seiner Liebe gebunden, anhängen und keinerlei Platz mehr für irgendeine Bewegung in ihnen verbleibt, sondern sie ein Geistb mit ihm sind und sich in ihnen erfüllt, was geschrieben steht: „So wie wir, du, Vater, in mir und ich in dir, eins sind, so sollen auch diese in uns eins sein.“c 162 10. Für hier und jetzt aber erwähnt, wie es scheint, die Braut, die von vielen Mädchen begleitet wird, von denen es weiter unten heißt, sie seien zahllos,d dass sie von nur einem einzigen Sinn, dem Geruchssinn, betört dem Geruch der Salböle des Bräutigams nachläuft, sei es, dass auch sie selbst das Laufen und das Voranschreiten noch nötig hat, sei es, dass sie selbst zwar vollkommen ist, doch für die Mädchen, die noch das Laufen und das Voranschreiten nötig haben, bekennt, dass sie auch selbst läuft.163 So unterstellte sich auch jener (sc. Paulus), obwohl er dem Gesetz nicht unterstand, den-

163 Der Unterschied zwischen der Bewegung als Bild für das praktische Leben und der Ruhe bzw. dem Warten als Symbol für das meditative Leben wird in Ioh. frg. 80 (GCS Orig. 4, 547f.) an den Figuren Martha und Maria (vgl. Joh. 11,18f.) veranschaulicht.

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crifaciat et iterum, cum in lege sit Christi, his tamen, qui sine lege sunt, fit et ipse sine lege, ut eos, qui sine lege sunt, saluet. a 11. Et hoc fit, ut diximus, solo adhuc odoratu eius accepto. Quid, putas, agent, cum et auditum earum et uisum et tactum gustumque occupauerit Verbum Dei et singulis quibusque sensibus uirtutes ex se competentes naturae earum capacitatique praebuerit, ita ut oculus, si uidere potuerit gloriam eius, gloriam tamquam unigeniti a Patre, b aliud uidere ultra iam nolit neque auditus aliud quam uerbum uitae c et salutis d audire? 12. Sed et cuius manus palpauerint de uerbo uitae, e nihil ultra materiale, nihil fragile caducumque palpabit neque gustas, cum gustauerit bonum Dei Verbum f carnesque eius et panem, qui de caelo descendit, g aliud quid post haec gustare patietur. Prae dulcedine namque ipsius et suauitate omnis ei reliquus sapor asper uidebitur et amarus et ideo hoc solo uescetur. Omnem namque suauitatem, quamcumque concupierit, in hoc inueniet; ad omnia namque aptum se reddit et habilem. 13. Denique his, qui ex corruptibili semine regenerantur, h rationabile et sine dolo efficitur lac; i his uero, qui infirmantur in aliquo, olera j se praebet ad hospitalitatis amicitiam et gratiam; his uero, qui pro possibilitate sumendi exercitatos habent sensus ad discretionem boni et mali, cibum se solidum tribuit. k Si qui uero sunt, qui exierunt de Aegypto l et secuti columnam ignis et nubis m in eremum ueniunt, n de caelo ad illos descendit minutum et subtilem o praebens iis cibum angelico similem, ita ut panem angelorum manducet homo. p 14. Habet et alias multas in semet ipso atque innumeras ciborum differentias, quas interim pelle quis et carne ossibusque indutus et neruis capere non potest. Qui autem dignus fuerit redire et esse cum Christo q quique in paruo fidelis inuentus constituetur super multa, r ille gustabit et capiet uoluptatem Domini s perductus ad locum quendam, qui 1 Kor. 9,20f. Joh. 6,33 l Ex. 13,17f. q Phil. 1,23 a

g

c d e f Joh. 1,14 1 Joh. 1,1 Apg. 13,26 1 Joh. 1,1 Hebr. 6,5 i j k 1 Petr. 1,23 1 Petr. 2,2 Röm. 14,2 Hebr. 5,14 m n o p Ex. 13,21f. Ex. 16,1 Ex. 16,14 Ps. 77(78),25 r s Mt. 25,21 Ps. 26(27),4 b

h

164 Siehe dazu oben S. 59 Anm. 10. 165 Auch hier spiegelt sich das origeneische Konzept von den verschiedenen Aspekten Christi, die jedwedes Bedürfnis der Geschöpfe befriedigen können, weil Christus als der Inbegriff aller Güter seine Wirkung an die Aufnahmefähigkeit eines jeden Wesens anzupassen vermag; in Ex. hom. 7,8 (GCS Orig. 6, 215f.): „Und wundere dich nicht darüber, dass das Wort Gottes auch Fleisch und sowohl Brot als auch Milch genannt wird, wie es auch Gemüse genannt wird, und der Auffassungsgabe der Gläubigen beziehungsweise ihrem Fassungsvermögen (vgl. Hebr. 5,14) entsprechend unterschiedlich bezeichnet wird … Jetzt also lasst uns eilen, das himmlische Manna zu empfangen; denn dieses Manna hinterlässt im Mund eines jeden einen solchen Geschmack, wie er es haben möchte.“ Vgl. auch in Cant. comm. III 5,7.

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noch dem Gesetz, um die, die dem Gesetz unterstehen, zu gewinnen, und ebenso wird er, obwohl er im Gesetz Christi lebt, dennoch denen, die ohne Gesetz sind, auch selbst einer ohne Gesetz, um die, die ohne Gesetz sind, zu retten.a 11. Und dies geschieht, wie gesagt, nachdem sie erst nur seinen Geruch wahrgenommen haben. Was, glaubst du, werden sie tun, wenn das Wort Gottes auch ihren Gehörsinn und Sehsinn, ihren Tastsinn und Geschmackssinn ergriffen hat und allen einzelnen Sinnen aus sich die Kräfte hat zukommen lassen, die ihrer Natur und Fassungskraft entsprechen, so dass das Auge, wenn es seine Herrlichkeit zu schauen vermocht hat, die Herrlichkeit des gleichsam einzig vom Vater Geborenen,b darüber hinaus aber nichts anderes mehr sehen und auch der Gehörsinn nichts anderes mehr hören will als das Wort des Lebensc und des Heils?d 12. Aber auch der, dessen Hände das Wort des Lebens gestreichelt haben,e wird nichts Materielles, nichts Zerbrechliches und Vergängliches mehr streicheln, und wenn der Geschmackssinn vom guten Wort Gottes gekostet hat,f von seinem Fleisch und von dem Brot, das vom Himmel herabgekommen ist,g wird er danach von nichts anderem mehr kosten wollen. Denn im Vergleich mit seiner Süße und Lieblichkeit wird ihm jeder andere Geschmack bitter und herb erscheinen, und deshalb wird er dies allein genießen. Denn alle Lieblichkeit, die immer er begehren mag, wird er darin finden, denn es erweist sich für alles als angemessen und geeignet. 13. Für die schließlich, die aus vergänglichem Samen wiedergeboren werden,h wird er zu vernünftiger und trugloser Milch.i Für die aber, die in einer bestimmten Hinsicht schwach sind, bietet er sich zum Erweis der Freundschaft und der Gunst der Gastfreundschaft als Gemüsej dar. Denen aber, die entsprechend ihrer Aufnahmefähigkeit164 geübte Sinne zur Unterscheidung von Gut und Böse haben, bietet er sich als feste Speise dar.k Wenn aber welche da sind, die aus Ägypten ausgezogen sindl und, indem sie der Säule von Feuer und Rauch gefolgt sind,m in die Wüste gelangen,n steigt er vom Himmel zu ihnen herab und bietet ihnen ein zerkleinertes und verfeinertes Mahl,o das dem Mahl der Engel ähnlich ist, so dass der Mensch das Brot der Engel isst.p 165 14. Er hat noch viele andere unzählige Arten von Speisen in sich, die einer, der jetzt noch mit Haut und Fleisch und Knochen und Sehnen umkleidet ist, nicht zu fassen vermag. Wer jedoch würdig geworden ist, zurückzukehren166 und bei Christus zu sein,q und wer, im Kleinen für treu befunden, über Vieles gesetzt wird,r der wird die Wonne des Herrns kosten und aufnehmen, indem er an einen Ort 166 In diesem „Zurückkehren“ spiegelt sich die Präexistenzvorstellung des Origenes, der u.a. in princ. II 9,2f. (GCS Orig. 5, 165f.) die Annahme erörtert, dass die Vernunftwesen schon vor der Schöpfung der Welt existierten und erst durch ihren Fall diese Welt entstand. Daher ist für Origenes die Erlösung und Vollendung der Geschöpfe zugleich deren „Wiederherstellung“ (aÆpokataÂstasiw/restitutio): ebd. III 5,7 (5, 278). Siehe dazu Harl, Pre´existence des aˆmes.

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pro huiusmodi ciborum copiis et uarietatibus deliciarum nominatur locus. a Propter quod et in Eden positus dicitur, b quod delicias indicat; ibi enim dicitur ad eum: „Deliciare in Domino!“ c 15. Deliciabitur autem non in uno solo edendi gustandique sensu, sed et auditu deliciabitur et uisu et tactu odoratuque deliciabitur. In odorem namque unguenti eius curret. d Et ita omnibus sensibus suis deliciabitur in Verbo Dei is, qui ad summam perfectionis ac beatitudinis uenerit. 16. Vnde et in his positi locis deprecamur auditores horum, ut mortificent carnales sensus, ne quid ex his, quae dicuntur, secundum corporis motus excipiant, sed illos diuiniores interioris hominis e ad haec capienda sensus adhibeant, sicut ipse Solomon edocet nos dicens: „Sensum autem diuinum inuenies“ f et ut Paulus quoque ad Hebraeos scribit de perfectis, ut supra memorauimus, qui exercitatos habent sensus ad discretionem boni uel mali, g ostendens esse in homine praeter hos corporeos quinque sensus alios nihilominus, qui per exercitia quaeruntur et exercitati dicuntur, cum scilicet intelligentiam rerum acumine acriore discutiunt. Non enim perfunctorie et ut libet audiendum est, quod apostolus de perfectis dicit quia exercitatos habent sensus ad discretionem boni uel mali. h 17. Quod ut clarius elucescat, sumamus, si uidetur, exemplum ab his corporalibus sensibus et ita demum ad illos diuinos, quos scriptura nominat, sensus interioris hominis i ueniemus. Si ergo corporeus oculus exercitium uisus habeat, nullo impediente obstaculo a b c Vgl. Gen. 2,8f. Vgl. Ez. 28,13 Ps. 36(37),4 f g h 2 Kor. 4,16 Spr. 2,5 Hebr. 5,14 Hebr. 5,14

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e Hld. 1,4 Röm. 7,22; i Röm. 7,22; 2 Kor. 4,16

167 Diese Erklärung geht auf eine gewisse Kenntnis des Hebräischen zurück, wo der Name des Ortes, an den das Paradies gesetzt wird (ñdÃyÃ), und die Vokabel für „Wonne, Lust, Genuss“ (ñdÃyÈ) nahezu identisch lauten. Philon, leg. all. I 45 (I p. 72 Cohn/Wendland), hingegen bietet eine andere Etymologie: Nach ihm bedeutet Eden „Nahrung“ (ÆEdeÂm, toyÄto de eÆsti tryfhÂ); vgl. ferner Cher. 12 (I p. 173); plant. 38 (II p. 141); somn. II 242 (III p. 297). Diese Erklärung wurde von Clemens von Alexandria, strom. II 51,4 (GCS Clem. Al. 24, 140), übernommen. Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 229 Anm. 4. Nach Hieronymus, int. hebr. nom. p. 5 Lagarde (CChr.SL 72, 65), bedeutet Eden „Lust beziehungsweise Genuss oder Luxus“ (Eden uoluptas siue deliciae uel ornatus). Vgl. Wutz, Onomastica sacra 424. 168 Baehrens, GCS Orig. 8, 104.22, liest dicitur, während Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 228, mit zwei Handschriften und Delarue zu dicetur korrigieren. Eine Änderung ist nicht zwingend, auch wenn die Verben davor und danach jeweils im Futur stehen. 169 Zur hier in Cant. comm. I 4,10–15 und weiter ebd. I 4,16–20 entwickelten Theorie der geistigen Sinnlichkeit siehe ebd. prol. 2,9–11 und dazu oben S. 68 Anm. 26. 170 Die Wendung in his positi locis ist nicht auf die Stelle im Hohelied zu beziehen, an der Origenes sich gerade befindet – so wird sie von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 231, aufgefasst: „arrive´ a` ce point“ –, sondern auf diese Welt – so Lawson, ACW 26, 79: „from the position where we find ourselves“, und Simonetti,

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geführt wird, der wegen des Reichtums und der Mannigfaltigkeit derartiger Speisen Ort der Genüsse genannt wird.a Deshalb heißt es auch, er sei nach Eden gebracht worden,b was soviel wie Genuss bedeutet.167 Dort wird nämlich zu ihm gesagt:168 „Genieße im Herrn!“c 15. Er wird jedoch nicht nur in dem einen Sinn des Essens und Schmeckens genießen, sondern er wird auch durch den Gehörsinn genießen, und er wird durch den Sehsinn, den Tastsinn und den Geruchssinn genießen. Er wird nämlich zum Duft seines Salböls laufen.d Und so wird mit allen seinen Sinnen im Wort Gottes Genuss empfinden, wer zur höchsten Vollkommenheit und Glückseligkeit gelangt ist.169 16. Daher bitten wir auch, da wir uns an diesen irdischen Orten befinden,170 die Hörer dieser Dinge, ihre fleischlichen Sinne abzutöten, damit sie nicht etwas von dem Gesagten im Sinne von Regungen des Körpers auffassen, sondern jene göttlicheren Sinne des inneren Menschene verwenden, um diese Dinge zu begreifen, so wie Salomo selbst uns belehrt, wenn er sagt: „Den göttlichen Sinn aber wirst du finden“,f 171 und wie auch Paulus, wie oben erwähnt,172 an die Hebräer über die Vollkommenen schreibt, die geübte Sinne zur Unterscheidung von Gut und Böse haben.g Hiermit zeigt er, dass es im Menschen über diese fünf körperlichen Sinne hinaus noch andere gibt, die durch Übung erworben werden und geübt genannt werden, und zwar wenn sie das Verständnis der Wirklichkeit mit gesteigertem Scharfsinn erörtern. Denn nicht oberflächlich und aufs Geratewohl muss man hören, was der Apostel über die Vollkommenen sagt, dass sie nämlich geübte Sinne zur Unterscheidung von Gut und Böse haben.h 17. Damit dies klarer hervortritt, wollen wir, wenn’s recht ist, ein Beispiel von diesen körperlichen Sinnen aufgreifen und werden so schließlich zu jenen göttlichen Sinnen gelangen, die die Schrift Sinne des inneren Menschen nennt.i Wenn also das körperliche Auge Übung im Sehen hat, wird es, wenn kein Hin-

CTePa 1, 95: „mentre stiamo ancora in questi luoghi terreni“. Origenes kehrt damit gleichsam von der Vollkommenheit und Glückseligkeit, von der unmittelbar davor die Rede war, in die Realität der Welt zurück, so wie er in Cant. comm. I 4,10 mit nunc interim in die Gegenwart zurückkehrte, nachdem er davor (ebd. I 4,9) vom eschatologischen Eins-Sein der Seele mit Gott gesprochen hatte. 171 Zu dieser Verwendung von Spr. 2,5 bei Origenes vgl. neben Cels. VII 34 (GCS Orig. 2, 185) bes. princ. I 1,9 (GCS Orig. 5, 27): Aus der Stelle gehe hervor, „dass es zwei Arten von Sinneswahrnehmungen in uns gibt: die eine Art sterblich, vergänglich und menschlich, die andere unsterblich und geistig; und diese hat er (sc. Salomo) hier göttlich genannt.“ Ebenso ebd. IV 4,10 (5, 364): „Darin lehrt er (sc. Salomo), man müsse das Geistige nicht mit dem körperlichen Wahrnehmungsvermögen suchen, sondern mit einem anderen, das er göttlich nennt.“ Übersetzungen: p. 121. 821 Görgemanns/Karpp. 172 Siehe in Cant. comm. I 4,13.

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integre et absque ulla falsitate uel colores corporum uel magnitudines qualitatesque deprehendet; nam si aut caligine aut alia qualibet infirmitate impediatur adspectus et rubrum pro albo aut uiride pro nigro aut rectum aliquid putet esse, cum curuum sit et tortuosum, conturbabitur sine dubio iudicium mentis et aliud pro alio agetur. 18. Ita ergo et interior uisus nisi eruditione et industria fuerit exercitatus, quo per multam peritiam discretionem boni habeat ac mali, a sed ignorantia ei et imperitia tamquam caligo oculis insederit aut etiam malitiae alicuius languor tamquam lippis accesserit, discrimen boni aut mali capere nullatenus possit et inde fit, ut mala pro bonis agat, bona uero pro malis spernat. 19. Secundum hanc uero formam, quam de uisu corporis animaeque tractauimus, consequenter etiam de auditu et gustu et odoratu tactuque per singulas quasque sui generis uirtutes sensum corporalium referens ad animae sensus, quae in singulis adhiberi debeant exercitia quaeue emendatio parari, dilucide recognosces. 20. Haec autem paulo latiori excesssu prosecuti sumus ostendere uolentes odoratum sponsae et adulescentularum, quo odoratae sunt odorem unguentorum sponsi, non corporis sensus, sed diuini odoris illius et interioris qui appellatur hominis b dici. 21. Hic ergo odorationis sensus, in quo sanus est et integer, odore Christi accepto ex uita adducit ad uitam; si uero non sit sanus, hoc odore suscepto de morte in mortem deicit, secundum illum, qui dicebat: „Quoniam Christi bonus odor sumus, aliis quidem de uita in uitam, aliis autem odor de morte in mortem.“ c 22. Denique et hi, quibus intellectus herbarum pigmentorumque peritia est, ferunt esse quaedam pigmenta, quorum et si odorem ceperint, nonnulla animalia continuo intereunt, alia uero eodem odore recreantur uitamque recipiunt. 23. Et nunc ergo in his ipsis expositionibus et sermonibus, quos habemus in manibus, uidetur esse aliis uita ex uita, aliis uero mors ex morte. Nam si haec ita exponi audiat animalis qui dicitur homo, qui non potest percipere et intelligere, quae sunt Spiritus Dei, d irridebit sine dubio atque inepta haec esse et inania pronuntiabit soma

Hebr. 5,14

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Röm. 7,22; 2 Kor. 4,16

c

2 Kor. 2,15f.

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1 Kor. 2,14

173 Exkurse, die auch als solche ausgewiesen werden, sind in den Schriften des Origenes, bes. in den Kommentaren, üblich. Zu denen in den griechisch erhaltenen Schriften siehe Cacciari, Origen’s language. 174 Diese doppelte Wirkung von gewissen Duftstoffen wird von dem Sophisten Aelian beschrieben, wenn er einmal sagt, dass gewisse schädliche Käfer, wenn man sie mit Duftöl bestäubt, an dem Geruch, den sie nicht vertragen, sterben: nat. anim. I 38 (p. 18 Garci´a Valde´s/Llera Fueyo/Rodri´guez-Noriega Guille´n). Ebd. IV 19 (p. 80) spricht derselbe Autor davon, dass Duftöl für Geier tödlich sei. Gregor von Nyssa, in Cant. hom. 3 (GNO 6, 91), beschreibt die gegensätzliche Wirkung von

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dernis im Weg ist, vollkommen und ohne irgendeine Täuschung die Farben von Dingen wie auch ihre Größen und Eigenschaften wahrnehmen. Denn wenn der Sehsinn durch Nebel oder durch irgendeine andere Schwäche behindert wird und er Rot für Weiß oder Grün für Schwarz hält oder meint, etwas sei gerade, obwohl es gebogen und gewunden ist, wird ohne Zweifel das Urteil des Verstandes verwirrt und das eine statt des anderen getan werden. 18. So also kann auch der innere Sehsinn, wenn er nicht durch Ausbildung und Fleiß geübt ist, so dass er durch viel Erfahrung über die Gabe der Unterscheidung von Gut und Böse verfügt,a sondern ihm Unkenntnis und Unerfahrenheit gleichsam wie ein Nebel den Augen innewohnt oder ihn irgendeine krankhafte Erschlaffung wie triefende Augen befällt, auf keine Weise den Unterschied zwischen Gut und Böse erfassen, und so kommt es, dass er das Böse statt des Guten tut, das Gute aber statt des Bösen verachtet. 19. Wenn du aber auf eben diese Weise, wie wir vom Sehsinn des Körpers und der Seele gehandelt haben, folgerichtig auch beim Gehörsinn, Geschmackssinn, Geruchssinn und Tastsinn die einzelnen Fähigkeiten der körperlichen Sinne in ihrer jeweiligen Eigenart auf die Sinne der Seele beziehst, wirst du klar und deutlich erkennen, welche Übungen bei den einzelnen Sinnen anzuwenden sind und welche Verbesserungen durchgeführt werden müssen. 20. Dem aber sind wir in einem etwas längeren Exkurs nachgegangen,173 weil wir zeigen wollten, dass mit dem Geruchssinn der Braut und der Mädchen, mit dem sie den Geruch der Salböle des Bräutigams gerochen haben, nicht ein Sinn des Körpers bezeichnet wird, sondern der Sinn für seinen göttlichen Geruch und der des sogenannten inneren Menschen.b 21. Sofern dieser Geruchssinn also gesund und unverdorben ist, führt er, wenn er den Geruch Christi aufgenommen hat, vom Leben zum Leben. Wenn er aber nicht gesund ist, fällt er, wenn er diesen Geruch wahrgenommen hat, vom Tod in den Tod, wie es der bezeugt, der gesagt hat: „Ja, wir sind Christi Wohlgeruch, für die einen vom Leben zum Leben, für die anderen jedoch ein Geruch vom Tode zum Tode.“c 22. Schließlich berichten auch die Experten in der Kunde der Heilkräuter und Spezereien, dass es bestimmte Spezereien gibt, an deren Geruch einige Lebewesen, wenn sie ihn aufnehmen, sofort zugrundegehen, während andere durch denselben Geruch wiederhergestellt werden und das Leben wiedererlangen.174 23. Auch jetzt also bei eben den Darlegungen und Worten, die wir in Händen halten, scheint es für die einen das Leben aus dem Leben, für die anderen aber den Tod aus dem Tod zu geben. Denn wenn ein sogenannter animalischer Mensch, der nicht begreifen und verstehen kann, was vom Geist Gottes ist,d diese Auslegung hört, wird er ohne Zweifel darüber lachen und Salböl auf den Mistkäfer und auf die Taube: Diese lebt auf, jener geht zugrunde. Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 234 Anm. 1.

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nia dicens potius quam rerum causas et dogmata diuina tractari. 24. His ergo odor hic Cantici Canticorum efficitur de morte in mortem, de morte scilicet infidelitatis in mortem iudicii et condemnationis. Sequentibus uero spiritalem sensum et subtilem atque intelligentibus maiorem inesse ueritatem in his, quae non uidentur, quam in his, quae uidentur, a et uiciniora haberi apud Deum inuisibilia et spiritalia magis quam uisibilia et corporea, amplectenda sine dubio huiusmodi intelligentia uidebitur et sequenda; agnoscunt enim tale esse intelligendae ueritatis iter, quo peruenitur ad Deum. 25. Sed si quidem alienus a fide sit is, qui haec stulta iudicat et ridenda, nihil mirum. Si uero aliquis ex his sit, qui uidentur credere et scripturarum auctoritatem recipere, non tamen recipit expositionis huius spiritalis formam, sed irridet ac derogat, temptemus ex aliis scripturarum locis instruere eum ac suadere, si forte poterit sic resipiscere, et talia quaedam dicamus ad eum: Scriptum est: „Praeceptum Domini lucidum, illuminans oculos.“ b Dicat ergo nobis, qui sunt oculi, qui illuminantur luce praecepti. Et iterum: „Qui habet aures audiendi, audiat!“ c Quae sunt aures istae, quas qui habuerit ipse solus uerba Christi audire dicatur? Et iterum: „Quoniam Christi bonus odor sumus Deo“ d et in aliis: „Gustate et uidete, quoniam suauis est Dominus!“ e Et quid alius ait? „Et manus nostrae palpauerunt de uerbo uitae.“ f 26. Putasne in his omnibus non mouebitur, ut aduertat uniuersa haec non de corporeis sensibus dicta, sed de his, quos secundum interiorem hominem g inesse unicuique edocuimus, nisi si contentionis et iactantiae uitio agitur, qui eiusmodi est? Quibus uitiis quoniam et uisus ille interior excaecatur et odoratus obcluditur et obturatur auditus, merito nec uidere, quae spiritalia sunt, nec audire potest, sed nec odorem istum Christi capere, quo nunc percepto adulescentulae istae, in quibus bene sanus et uigens erat hic sensus, in odorem unguentorum eius currunt post ipsum h nec currentes deficiunt aut laborant, quia suauitate odoris ipsius, qui est de uita in uitam, refectae iugiter inualescunt. 27. Potest adhuc et hoc modo accipi, quod ait: „Vnguentum exinanitum nomen tuum; propterea adulescentulae dilexerunt te.“ i Vnigenitus filius, j a b c d 2 Kor. 4,18 Ps. 18(19),9 Mt. 11,15 2 Kor. 2,15 g h i 1,1 Röm. 7,22; 2 Kor. 4,16 Hld. 1,4 Hld. 1,3

e

Ps. 33(34),9 j Joh. 3,16

f

1 Joh.

175 Siehe in Cant. comm. I 4,10–20, ferner princ. I 1,9 (GCS Orig. 5, 27): „Häufig werden nämlich die Bezeichnungen der Sinnesorgane auf die Seele bezogen, … das heißt: Sie erschließt einen geistigen Gegenstand durch die Kraft ihrer Vernunft.“ Übersetzung: p. 121 Görgemanns/Karpp. Siehe dazu oben S. 68 Anm. 26 und S. 159 Anm. 171.

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behaupten, sie sei ungereimt und nichtig, und sagen, dass eher Träumereien als die Prinzipien der Wirklichkeit und göttliche Lehren behandelt werden. 24. Für diese Leute also führt dieser Geruch des Liedes der Lieder vom Tod zum Tod, nämlich vom Tod des Unglaubens zum Tod des Gerichts und der Verdammnis. Diejenigen aber, die dem geistigen und feinen Sinn folgen und verstehen, dass eine größere Wahrheit in den Dingen liegt, die nicht gesehen werden, als in denen, die gesehen werden,a und dass die unsichtbaren und geistigen Dinge näher bei Gott sind als die sichtbaren und körperlichen, werden ohne Zweifel der Ansicht sein, dass man sich eine Erkenntnis dieser Art aneignen und ihr folgen muss. Sie erkennen nämlich, dass von solcher Art der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit ist, auf dem man zu Gott gelangt. 25. Wenn es freilich einer, der dem Glauben fern steht, ist, der dies für töricht und lächerlich hält, ist das nicht verwunderlich. Wenn aber jemand zu denen gehört, die zu glauben und die Autorität der Schriften anzunehmen scheinen, die Form dieser geistigen Auslegung aber nicht akzeptiert, sondern verlacht und ablehnt, wollen wir versuchen, ihn mit anderen Stellen der Schriften zu belehren und zu überzeugen, ob er vielleicht so zu Verstand kommen kann, und ihm Stellen der folgenden Art vorhalten. Es steht geschrieben: „Das Gebot des Herrn ist klar, es erleuchtet die Augen.“b Er soll uns also sagen, was das für Augen sind, die durch das Licht des Gebotes erleuchtet werden. Und desgleichen: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“c Was sind das für Ohren, von denen gesagt wird, dass allein der, der sie besitzt, die Worte Christi hört? Und erneut: „Ja, wir sind Christi Wohlgeruch für Gott“d und andernorts: „Kostet und seht, dass der Herr süß ist!“e Und was sagt ein anderer? „Und unsere Hände haben das Wort des Lebens gestreichelt.“f 26. Meinst du, dass er an allen diesen Stellen nicht dazu bewegt wird zu bemerken, dass all dies nicht über die körperlichen Sinne gesagt ist, sondern über die, die – wie wir gelehrt haben175 – in jedem gemäß dem inneren Menscheng vorhanden sind, außer wenn ein solcher Mensch vom Laster der Streitsucht und der Selbstverherrlichung getrieben wird? Da durch diese Laster jener innere Sehsinn geblendet und der Geruchssinn verschlossen, auch der Gehörsinn verstopft wird, kann er aus gutem Grund weder sehen noch hören, was geistig ist, aber auch diesen Geruch Christi nicht aufnehmen, aufgrund dessen jetzt, da sie ihn wahrgenommen haben, diese Mädchen, in denen dieser Sinn sehr gesund und kräftig war, zum Duft seiner Salböle hinter ihm herlaufenh und beim Laufen weder ermatten noch sich schwer tun, weil sie durch die Lieblichkeit des Duftes selbst, der vom Leben zum Leben führt, unablässig genährt und gekräftigt werden. 27. Die Aussage: „Ausgegossenes Salböl ist dein Name; deswegen haben sich die Mädchen in dich verliebt“i kann auch noch auf folgende Art aufgefasst werden. Obwohl der einzige Sohnj in der Gestalt Gottes war, ent-

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cum in forma Dei esset, exinaniuit semet ipsum et formam serui accepit. a Exinaniuit autem de plenitudine sine dubio, in qua erat. Illi ergo, qui dicunt: „Quia de plenitudine eius nos omnes accepimus“, b ipsi sunt adulescentulae, quae de ea plenitudine, ex qua se ille exinaniuit et factum est unguentum exinanitum nomen eius, percipientes dicunt: „Post te in odorem unguentorum tuorum curremus.“ c 28. Nisi enim exinanisset unguentum, hoc est plenitudinem diuini Spiritus, et humiliasset se usque ad formam serui, d capere eum nullus in illa deitatis plenitudine potuisset, nisi sola fortassis sponsa pro eo, quod uidetur indicare, quia unguentum istud exinanitum non sibi, sed adulescentulis dilectionis dederit causam. 29. Sic enim dicit: „Vnguentum exinanitum nomen tuum; propterea adulescentulae dilexerunt te“, e ac si diceret: Adulescentulae quidem propterea dilexerunt te, quia exinanisti te de forma Dei f et factum est unguentum exinanitum nomen tuum; ego autem non pro exinanito unguento, sed pro ipsa plenitudine unguentorum dilexi te. Hoc enim indicat in eo, ubi dicit: „Odor unguentorum tuorum super omnia aromata.“ g 30. Quod uero etiam ipsa cum adulescentulis currit post ipsum, hanc esse causam, quod perfecti quique omnibus omnia fiunt, ut omnes lucrifaciant, h sicut iam superius exposuimus.

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Hld. 1,4: „Der König hat mich in sein Gemach geführt. Wir wollen jubeln und uns an dir freuen.“ 5,1. „Introduxit me rex in cubiculum suum; exsultemus et iucundemur in te.“ i Cum indicasset sponso suo sponsa, quod adulescentulae odore eius captae currerent post ipsum, cum quibus etiam ipsa cursura esset, ut eis formam praeberet in omnibus, j nunc quasi laboris sui consecuta iam palmam pro eo, quod concurrerit currentibus, k introductam se dicit ab sponso rege in cubiculum eius, ut ibi uideret cunctas opes regias. 2. In quo utique merito iucundatur et exsultat, utpote quae secreta iam regis et arcana prospexerit. Hic est secundum propositi dramatis ordinem quasi historicus intellectus. a g

Phil. 2,6f. Hld. 1,3

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b Joh. 1,16 1 Kor. 9,22

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Hld. 1,4 Hld. 1,4

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e f Phil 2,7f. Hld. 1,3 Phil. 2,6f. k 1 Thess. 1,6f. 1 Kor. 9,24

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äußerte er sich selbst und nahm die Gestalt eines Knechtes an.a Er entäußerte sich aber ohne Zweifel der Fülle, in der er war. Jene also, die sagen: „Ja, von seiner Fülle haben wir alle empfangen“,b sind die Mädchen selbst, die von der Fülle, derer jener sich entäußert hat und wodurch sein Name ausgegossenes Salböl geworden ist, empfangen und sagen: „Zum Duft deiner Salböle werden wir hinter dir herlaufen.“c 28. Wenn er nämlich nicht das Salböl, das heißt die Fülle des göttlichen Geistes, ausgegossen und sich bis zur Knechtsgestalt erniedrigt hätte,d hätte ihn niemand in jener Fülle der Gottheit fassen können, außer vielleicht die Braut allein, und zwar weil sie anzudeuten scheint, dass jenes ausgegossene Salböl nicht ihr, sondern den Mädchen den Grund zur Liebe geliefert hat. 29. Sie drückt sich nämlich so aus: „Ausgegossenes Salböl ist dein Name; deswegen haben sich die Mädchen in dich verliebt“,e als würde sie sagen: Die Mädchen haben sich zwar deswegen in dich verliebt, weil du dich der Gestalt Gottes entäußert hastf und dein Name ausgegossenes Salböl geworden ist. Ich aber habe mich nicht wegen des ausgegossenen Salböls, sondern wegen der Fülle der Salböle selbst in dich verliebt. Dies deutet sie nämlich in folgenden Worten an: „Der Duft deiner Salböle ist besser als alle Duftkräuter.“g 30. Dass aber auch sie selbst zusammen mit den Mädchen hinter ihm herläuft, hat den Grund, dass alle Vollkommenen allen alles werden, um alle zu gewinnen,h wie wir schon oben dargelegt haben.176 5. Der „Sinn Christi“, in dem die unermesslichen Schätze seiner unaussprechlichen Weisheit verborgen sind

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5,1. „Der König hat mich in sein Gemach geführt. Wir wollen jubeln und uns an dir freuen.“i Nachdem die Braut ihrem Bräutigam zu verstehen gegeben hatte, dass die Mädchen, von seinem Duft verführt, hinter ihm herliefen und dass auch sie selbst das zusammen mit ihnen tun würde, um ihnen in allem ein Vorbild zu geben,j sagt sie jetzt, als hätte sie den Siegespreis für ihre Mühe schon erreicht, weil sie mit den Laufenden mitgelaufen ist,k dass sie vom Bräutigam, dem König, in sein Gemach geführt worden ist, um dort alle königlichen Reichtümer zu schauen. 2. Darüber freut sie sich und jubelt gewiss zu Recht, da sie ja die geheimen und verborgenen Dinge des Königs schon gesehen hat. Das ist gewissermaßen das Verständnis der Erzählung, wie es sich aus der Anordnung der dramatischen Handlung ergibt.

176 Siehe in Cant. comm. I 4,10.

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Hoheliedkommentar

3. Sed quoniam, cui res agitur, ecclesia est ad Christum ueniens uel anima Verbo Dei adhaerens, quod aliud cubiculum Christi et promptuarium Verbi Dei credendum est, in quo uel ecclesiam suam uel animam cohaerentem sibi introducat, nisi ipse Christi arcanus et reconditus sensus? De quo et Paulus dicebat: „Nos autem sensum Christi habemus, a ut sciamus, quae a Deo donata sunt nobis.“ b Haec illa sunt, quae oculus non uidit nec auris audiuit nec in cor hominis adscendit, quae praeparauit Deus his, qui diligunt eum. c 4. Cum igitur animam Christus in intelligentiam sui sensus inducit, in cubiculum regis introducta d dicitur, in quo sunt thesauri sapientiae ac scientiae eius absconditi. e 5. Non mihi autem uacuum uidetur, quod, cum potuisset dicere: Introduxit me sponsus meus aut fraternus meus aut aliquid huiusmodi, ut ei moris est, nunc, quia cubiculum dictura erat, regis dixerit cubiculum et non aliud nomen posuerit, in quo posset fortassis aliquis et mediocris intelligi. Sed propterea arbitror in his regem nominatum, ut ostenderetur per hoc nomen praediues cubiculum, utpote regium et multis atque immensis opibus repletum. 6. Prope hunc [anima] mihi uidetur fuisse aut sequens eum ille, qui dixit raptum se esse usque ad tertium caelum et inde in paradisum et audisse uerba ineffabilia, quae non licet homini loqui. f Quid enim putas, illa uerba, quae audiuit, nonne a rege audiuit et in cubiculo aut prope cubiculum positus audiuit? 7. Et erant, credo, uerba illa talia quaedam, quae hortarentur eum ad maiorem profectum et promitterent ei, quod, si perseueraret usque in finem, g et ipse posset regis intrare cubiculum secundum illud, quod per prophetam quoque promittitur: „Dabo tibi thesauros obscuros, occultos; inuisibiles aperiam tibi, ut cognoscas, quia ego sum Dominus Deus tuus, qui uocaui nomen tuum, Deus Istrahel.“ h 8. Currunt ergo adulescentulae post ipsum et in odorem eius, i unaquaeque tamen pro uiribus, alia quidem uelocius, alia paulo tardius, alia a f

1 Kor. 2,16 2 Kor. 12,2–4

1 Kor. 2,12 Mt. 10,22

b g

h

c d 1 Kor. 2,9 Hld. 1,4 i Jes. 45,3 Hld. 1,4

e

Kol. 2,3

1 Cf. frg. 7 (Prokop 20; Barba`ra 5)

177 Dieser „Sinn Christi“ ist für das geistige Verständnis der Schrift unentbehrlich; in Ioh. comm. I 4,24 (GCS Orig. 4, 9): „Was für einen hohen Sinn müssen wir also haben, um das den irdenen Schatzkammern (vgl. 2 Kor. 4,7) des nichtigen Wortlauts einwohnende Wort in würdiger Weise entnehmen zu können? ... Wer das Bibelwort recht erfassen will, der muss in Wahrheit sagen können: ,Wir aber haben den Sinn Christi, um das uns von Gott Geschenkte zu verstehen‘ (1 Kor. 2,16.12).“ Übersetzung: p. 100 Gögler. Weitere Belege für den sensus Christi, den „Sinn“, das „Denken“ (noyÄw) Christi, in den Werken des Origenes bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 242 Anm. 1. 178 Zu dieser Bedeutung siehe in Cant. comm. II 10,2f., wo Origenes das Wort fraternus erklärt.

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3. Da aber die Sache, um die es geht, die Kirche ist, die zu Christus kommt, beziehungsweise die Seele, die dem Wort Gottes anhängt: Wofür anderes muss man das Gemach Christi und die Kammer des Wortes Gottes, in die er entweder seine Kirche oder die ihm anhängende Seele einführt, halten, wenn nicht für den geheimen und verborgenen Sinn Christi selbst?177 Darüber sagte auch Paulus: „Wir jedoch haben den Sinn Christi,a damit wir erkennen, was uns von Gott gegeben ist.“b Das sind jene Dinge, die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und die in keines Menschen Herz dringen, die Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.c 4. Wenn Christus also eine Seele in das Verständnis seines Denkens einführt, wird sie eine in das Gemach des Königs Eingeführte genannt,d in dem die Schätze seiner Weisheit und Erkenntnis verborgen sind.e 5. Es scheint mir jedoch nicht ohne Bedeutung zu sein, dass sie, obwohl sie hätte sagen können: Mein Bräutigam hat mich eingeführt oder mein Geliebter,178 oder einen entsprechenden Begriff, wie es ihre Gewohnheit ist, hätte gebrauchen können, jetzt, da sie auf das Gemach zu sprechen kam, vom Gemach des Königs sprach und keine andere Bezeichnung verwendete, unter der vielleicht auch eine gewöhnliche Person verstanden werden könnte. Aber ich glaube, dass hier deswegen das Wort ,König‘ verwendet ist, um durch diesen Begriff ein reich gefülltes Gemach zu bezeichnen, und zwar ein königliches und mit vielen und unermesslichen Schätzen angefülltes. 6. Diesem König179 scheint mir jener nahe gewesen oder gefolgt zu sein, der gesagt hat, er sei bis zum dritten Himmel und von dort in das Paradies entrückt worden und habe unaussprechliche Worte gehört, die kein Mensch aussprechen darf.f Was meinst du? Hat er denn jene Worte, die er gehört hat, nicht von einem König gehört? Und hat er sie nicht im Gemach oder nahe beim Gemach gehört? 7. Und es waren, glaube ich, jene Worte von der Art, dass sie ihn aufforderten, weiter voranzuschreiten, und ihm versprachen, dass er, wenn er bis zum Ende ausharrt,g auch selbst in das Gemach des Königs eintreten kann, wie es auch durch den Propheten verheißen wird: „Ich werde dir dunkle, verborgene Schätze geben. Unsichtbares werde ich dir eröffnen, damit du erkennst, dass ich der Herr, dein Gott bin, der ich deinen Namen gerufen habe, der Gott Israels.“h 8. Die Mädchen laufen also hinter ihm und seinem Duft her,i eine jede freilich nach ihren Kräften, die eine schneller, die andere ein wenig träger,

179 Das in den meisten Handschriften gelesene anima ergibt keinen Sinn und muss daher – wie auch Baehrens, GCS Orig. 8, 109.11, vorschlägt, übernommen von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 244 – getilgt werden. Vielleicht hat hier wirklich einmal prope hunc omnino gestanden, wie Delarue geschrieben hat, dem auch Baehrens, ebd. app. crit., zu folgen geneigt war.

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Hoheliedkommentar

etiam inferius ceteris et ultimo aliquo in loco. Verumtamen currunt omnes, sed una est perfecta, a quae sic cucurrit, ut perueniret et sola acciperet palmam. b Sola enim est, quae dicit: „Introduxit me rex in cubiculum suum“, c cum prius non de se sola, sed de pluribus dixisset quia: „Post te in odorem unguentorum tuorum curremus.“ d 9. Introducitur ergo in cubiculum regis et efficitur regina et ipsa est, de qua dicitur: „Regina adstitit a dextris tuis, in uestitu deaurato circumamicta uarietatibus.“ e De his autem adulescentulis, quae post ipsam cucurrerant et procul ab ea in ipsis currendi spatiis remanserunt, dicitur: „Adducentur regi uirgines post eam, proximae eius adducentur tibi; adducentur in laetitia et exsultatione, inducentur in templum regis.“ f 10. Sed et illud in hoc debemus aduertere, quod, sicut rex habet cubiculum quoddam, in quod reginam siue sponsam suam introducit, ita habet et sponsa suum cubiculum, in quod monetur per Verbum Dei ingressa claudere ostium et ita conclusis illis omnibus diuitiis suis intra illud cubiculum orare Patrem, qui uidet in abscondito g et perspicit, quantas opes, animi scilicet uirtutes, intra cubiculum suum sponsa condiderit, ut uidens eius diuitias det ei petitiones suas; „omni“ enim „habenti dabitur“. h

Hld. 1,4: „Wir wollen jubeln und uns an dir freuen. Wir werden deine Brüste mehr lieben als Wein. Die Redlichkeit hat sich in dich verliebt.“ 6,1. Quod autem ait: „Exsultemus et iucundemur in te“, i uidetur ex persona adulescentularum dici uel optantium et precantium ab sponso, ut, a g

Hld. 6,8 Mt. 6,6

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1 Kor. 9,24 Mt. 25,29

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Hld. 1,4 Hld. 1,4

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Hld. 1,4

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Ps. 44(45),10

f

Ps 44(45),15f.

180 So beschreibt Origenes generell den sich stufenweise in unendlich langen Zeiträumen vollziehenden Prozess der Rückkehr der gefallenen Geistwesen zu Gott, der aus zahllosen Stufen von Voranschreitenden besteht; princ. III 6,6 (GCS Orig. 5, 287f.): „Einige eilen voraus und streben rascher zur Höhe, andere folgen in kurzem Abstande, und wieder andere weit hinten.“ Übersetzung: p. 659 Görgemanns/Karpp. In Cant. comm. II 5,16 sind die ganz hinten diejenigen, die die Selbsterkenntnis verweigern. 181 Zu dieser Gebetsanweisung vgl. orat. 20,2 (GCS Orig. 2, 344f.): Der aufrichtige Beter, der sich nicht heuchlerisch zur Schau stellt, „tritt ein in seine eigene Kammer

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eine andere noch langsamer als die anderen und an letzter Stelle.180 Gleichwohl laufen alle, doch nur eine ist vollkommen,a die so gelaufen ist, dass sie ans Ziel gelangte und als einzige den Siegespreis empfing.b Es ist nämlich nur eine, die sagt: „Der König hat mich in sein Gemach geführt“,c während sie vorher nicht nur von sich allein, sondern von mehreren gesagt hatte: „Zum Duft deiner Salböle werden wir hinter dir herlaufen.“d 9. Sie wird also in das Gemach des Königs geführt und zur Königin gemacht, und das ist die, über die gesagt wird: „Die Königin stellte sich zu deiner Rechten, gehüllt in ein goldbesticktes Kleid und bunt geschmückt.“e Über die Mädchen aber, die hinter ihr hergelaufen und in einigem Abstand von ihr auf den Abschnitten des Weges zurückgeblieben sind, wird gesagt: „Nach ihr werden Jungfrauen zum König geführt werden, ihre Gespielinnen werden zu dir geführt werden. Sie werden mit Freude und Jubel herbeigeführt werden, sie werden in den Tempel des Königs hineingeführt werden.“f 10. Doch auch dies müssen wir an dieser Stelle bemerken, dass so, wie der König ein Gemach hat, in das er seine Königin oder Braut hineinführt, auch die Braut ihr Gemach hat. Wenn sie in dieses eingetreten ist, wird sie vom Wort Gottes ermahnt, die Tür zu schließen und, wenn sie so alle ihre Reichtümer in dieses Gemach eingeschlossen hat, zum Vater zu beten, der im Verborgenen siehtg und wahrnimmt, welch große Schätze, nämlich die Tugenden ihrer Seele, die Braut in ihrem Gemach verwahrt, damit er ihr, da er ihre Reichtümer sieht, ihre Bitten erfüllt, denn „jedem, der hat, wird gegeben werden“.h 181 6. Die ethisch motivierte Sehnsucht nach der vollkommenen Glückseligkeit der mystischen Lehre: Christus als Prinzip und Summe der Tugenden

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6,1. Die Aussage aber: „Wir wollen jubeln und uns an dir freuen“i scheint zur Rolle der Mädchen zu gehören,182 die entweder vom Bräutigam

(vgl. Mt. 6,6), wo er zusätzlich zu seinem Reichtum, der dort aufbewahrt wird, für sich selbst den Schatz ,der Weisheit und Erkenntnis‘ (Kol. 2,3; 1 Tim. 6,18f.) einschließt. Er wendet sich nicht im Geringsten nach außen und strebt nicht nach den Außendingen. Er schließt vielmehr jede Tür der Sinneswahrnehmung zu, damit er nicht durch sie abgelenkt wird und sich etwa eine sinnliche Wahrnehmung in seinem Geist einprägt, und betet zu dem Vater, der so ein Verborgenes nicht flieht noch verlässt, sondern in dem Beter wohnt, während auch sein einziger Sohn mit ihm dort anwesend ist.“ Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 177–179. 182 In Cant. comm. I 5,1f. wird dieser Vers der Aussage der Braut zugerechnet. Hier jedoch wird gesagt, dass diese Worte als Aussage der Mädchen zu gelten haben. Vielleicht ist ebd. I 5,1 das Zitat mechanisch etwas zu weit gefasst worden. In der Auslegung innerhalb von Kap. I 5 kommt dieser Passus jedenfalls nicht zur Sprache.

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Hoheliedkommentar

quemadmodum sponsa consecuta est, quae perfecta sunt, et exsultat, ita etiam ipsae implere suum cursum et peruenire usque ad regis cubiculum mereantur, ut perspectis et intuitis omnibus his, de quibus gloriatur, etiam ipsae exsultent sicut et illa et iucundentur in eo, 2. uel etiam ad sponsam potest dictum uideri ab adulescentulis congratulantibus ei et promittentibus, quod participes fiant exsultationis eius et laetitiae. 3. „Diligemus ubera tua super uinum.“ a Sponsa quidem, posteaquam oscula meruit ab ipso sponsi ore suscipere et uberibus eius perfrui, ait ad eum: „Bona sunt ubera tua super uinum“; b adulescentulae uero, quae nondum in id beatitudinis uenerant neque summam perfectionis acceperant neque usu et operibus fructus perfectae caritatis expleuerant, ut quasi expertae pronuntiarent de uberibus eius, quia bona sunt, uidentes tamen sponsam delectari et refici ex uberibus sponsi, ex fontibus scilicet sapientiae et scientiae, c quae de uberibus eius profluunt, pocula caelestis doctrinae sumentem, tamquam imitatrices perfectionis eius et desiderantes iisdem uestigiis incedere promittunt et dicunt: „Diligemus ubera tua super uinum“, d id est: Nos quidem nondum in id perfectionis adscendimus, ut iam diligamus ubera tua plus quam uinum uel certe ubera tua, quae sunt super uinum – utroque enim modo sensus stare uidebitur –, gerimus tamen spem, utpote adulescentulae, in id aetatis proficere, quo possimus non solum pasci et ali ex uberibus Verbi Dei, sed et diligere alentem. 4. Istae sunt autem adulescentulae, ut saepe iam diximus, a

Hld. 1,4

b

Hld. 1,2

c

Kol. 2,3

d

Hld. 1,4

16 Cf. frg. 8 (Prokop 27; Barba`ra 6) 183 Folgt man der Interpunktion von Baehrens, GCS Orig. 8, 110.28, übernommen von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 250, beginnt also mit diesem uel einen neuen Satz, setzt Komma nach laetitiae und zieht das folgende Zitat von Hld. 1,4d zu diesem Satz, ergibt sich die Widersprüchlichkeit, die ebd. 250 Anm. 2 beschrieben wird: Dann würde Origenes die „Brüste“, von denen in Hld. 1,4d die Rede ist, zunächst auf die Braut beziehen, dann auf den Bräutigam, ohne die gegensätzlichen Aussagen abzugleichen. Abgesehen davon, dass die Konstruktion des solchermaßen in § 2 gebildeten Satzes mit dem nachklappenden Zitat von Hld. 1,4d schwierig ist, lässt sich ein sinnvoller Text dadurch gewinnen, dass man das Zitat von Hld. 1,4d als eigenständigen Satz nimmt, an den die folgende Erklärung angeschlossen wird (weshalb wir § 3 abweichend von der SC-Ausgabe mit diesem Zitat beginnen). Der Satz in § 2 (ohne Hld. 1,4d) gehört eng zu § 1, und zwar so, dass die Aussage über den Jubel und die Freude zwei mögliche Erklärungen bekommt: Entweder ist sie an den Bräutigam gerichtet oder an die Braut. Die Konstruktion dieser Alternative mit uel – uel ist inkonzinn, weil einmal Partizipien angeschlossen sind (optantium et precantium), die sich auf adulescentularum beziehen, dann aber vom korrespondierenden uel ein neuer Hauptsatz eingeleitet wird (potest dictum uideri ab adulescentulis), doch ist eine solche Konstruktion möglich. In der Sache scheint sie sogar geboten, weil sich auch die Aussage im zweiten uel-Satz auf den Jubel und die Freude bezieht, von denen in Hld. 1,4c die Rede ist, nicht auf die Liebe zu den Brüsten in Hld. 1,4d –

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wünschen und erbitten, dass so, wie die Braut erlangt hat, was vollkommen ist, und jubelt, auch sie verdienen, ihren Lauf zu vollenden und bis zum Gemach des Königs zu gelangen, damit sie, nachdem sie alles wahrgenommen und betrachtet haben, wessen sie sich rühmt, selbst ebenfalls so jubeln wie jene auch und sich an ihm freuen. 2. Oder183 sie kann auch als Ausspruch der Mädchen an die Braut aufgefasst werden, die sie beglückwünschen und sich Hoffnung machen, an ihrem Jubel und ihrer Freude Anteil zu bekommen. 3. „Wir werden deine Brüste mehr lieben als Wein.“a Nachdem die Braut für würdig befunden worden ist, Küsse vom Mund des Bräutigams selbst zu empfangen und seine Brüste zu genießen, sagt sie zu ihm: „Deine Brüste sind besser als Wein.“b Weil die Mädchen hingegen noch nicht zu diesem Grad der Glückseligkeit gelangt waren und noch nicht die Fülle der Vollkommenheit empfangen und noch nicht durch Übung und Werke Früchte der vollkommenen Liebe hervorgebracht hatten, so dass sie gleichsam aus Erfahrung von seinen Brüsten verkünden würden, dass sie gut sind, aber dennoch sehen, wie die Braut von den Brüsten des Bräutigams, also von den Quellen der Weisheit und der Erkenntnis,c die aus seinen Brüsten strömen, erfreut und erfrischt wird und aus den Pokalen himmlischer Lehre trinkt, geben sie gleichsam als Nachahmerinnen ihrer Vollkommenheit und im Verlangen, in denselben Spuren zu wandeln, ein Versprechen und sagen: „Wir werden deine Brüste mehr lieben als Wein“,d das heißt: Wir steigen zwar noch nicht zu diesem Grad der Vollkommenheit auf, dass wir deine Brüste bereits mehr lieben als Wein, oder auch: deine Brüste, die besser sind als Wein – denn auf beiderlei Weise wird sich der Sinn als derselbe erweisen –, doch hegen wir die Hoffnung, als Mädchen, die wir noch sind, zu dem Alter voranzuschreiten, da wir nicht nur von den Brüsten des Wortes Gottes aufgezogen und genährt werden, sondern den Ernährenden auch lieben können. 4. Diese Mädchen jedoch sind, wie wir

was eine neue Aussage ist, die erst im Folgenden erläutert wird –, und weil in beiden möglichen Deutungen die Aussage in Hld. 1,4c den Mädchen zugeschrieben wird. Simonetti, CTePa 1, 102f., hat schon den Text in diesem Sinne unterteilt und übersetzt, wohingegen Lawson, ACW 26, 87, der Textgestaltung von Baehrens gefolgt ist. Die in der vorliegenden Ausgabe vorgenommene Änderung der Interpunktion und Texteinteilung dürfte damit gerechtfertigt sein. Sie findet auch darin eine Bestätigung, dass anders, als Bre´sard/Crouzel/Borret, ebd., meinen, in der ersten Hoheliedhomilie die Brüste in Hld. 1,4d eindeutig auf den Bräutigam bezogen werden; in Cant. hom. 1,5 (GCS Orig. 8, 35): „,Wir werden jubeln und uns an dir freuen. Wir werden deine Brüste lieben‘ (Hld. 1,4). Jene, die größer ist, genießt bereits die Milch deiner Brüste und spricht jubelnd: ,Deine Brüste sind besser als Wein‘ (Hld. 1,2); diese aber schieben den Jubel und die Freude auf (sie sind ja noch Mädchen), sie schieben die Liebe auf und sagen: ,Wir werden jubeln und uns an dir freuen. Wir werden‘ – nicht: wir lieben, sondern: wir werden – ,deine Brüste mehr lieben als Wein‘ (Hld. 1,4).“

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animae, quae primis et initia alentibus eruditionibus uidentur imbutae et uelut uino quodam laetificatae institutione dumtaxat tutorum curatorumque et paedagogi, a utpote paruulae, et quae haberent quidem in uiribus amare uinum, non tamen haberent in aetate, ut amore uberum sponsi moueri aut excitari possent. 5. Sed ubi aduenit iam plenitudo temporum b et Christus in iis profecit aetate et sapientia c et iam sentire coeperunt, quid sint ubera sponsi quaeque in his perfectio Verbi Dei et doctrinae spiritalis plenitudo designetur, promittunt, quia plus quam uinum, quod nunc tamquam paruulae diligunt, dilecturae sint ubera sponsi, id est propensiores futurae erga perfecta et in omni plenitudine decreta Christi dogmata, quam siue in communibus studiis siue in legis et prophetarum d uisae sunt institutionibus exstitisse. 6. „Aequitas dilexit te.“ e Etiam hoc uidentur mihi adulescentulae proloqui, uelut satisfacientes pro eo, quod dilecturas se super uinum promiserant ubera sponsi et non in praesenti iam diligant neque integram uim caritatis ostendant. 7. Est ergo uox ista uelut incusantium semet ipsas, quasi quae nondum abiecta omni iniquitate peruenerint ad aequitatem, ut possint iam diligere super uinum ubera sponsi, scientes inconueniens omnino esse, ut aliquid adhuc resideat iniquitatis in eo, qui ad perfectionem spiritalis et mysticae doctrinae peruenerit. 8. Quia ergo summa perfectionis in caritate consistit, caritas autem nihil iniquitatis admittit – ubi autem nihil iniquitatis est, ibi sine dubio est aequitas –, merito ergo aequitas esse dicitur, quae diligit sponsum. 9. Et uide, si non ob hoc uidetur etiam illud in euangelio a Saluatore dictum: „Si diligitis me, mandata mea seruate!“ f Si ergo qui diligit Christum, mandata eius custodit, et qui mandata eius custodit, nulla est in eo iniquitas, sed aequitas in eo permanet, aequitas ergo est, quae et mandata custodit et diligit Christum. 10. Et rursum: Si is, qui mandata custodit, ipse diligit Christum, mandata autem in aequitate seruantur et aequitas est, quae diligit Christum, qui iniquum aliquid gerit, neque mandata custodit neque diligit Christum. Erit ergo, ut, quantum iniquitatis in nobis est, tantum longe simus a dilectione Christi et tantum mandatorum eius praeuaricatio habetur in nobis. 11. Et ideo regulam quandam directam ponamus esse aequitatem, ut, si quid in nobis iniquitatis est, hanc adhibentes et superdua

Gal. 4,2; 3,25

b

Gal. 4,4

c

Lk. 2,52

d

Mt. 7,12

e

Hld. 1,4

f

Joh. 14,15

184 Siehe dazu auch in Cant. comm. II 2,11, ferner die Ausführungen zur „rectitude“ in Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 766f.

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schon oft gesagt haben, die Seelen, die offenbar in die ersten und in die Grundlagen einführenden Unterweisungen eingewiesen und wie von Wein vom Unterricht von lediglich Vormündern und Pflegern und einem Erziehera erfreut sind, eben weil sie noch klein sind und zwar die Anlagen dazu haben, den Wein zu lieben, aber noch nicht in einem Alter sind, dass sie von der Liebe zu den Brüsten des Bräutigams bewegt oder erregt werden könnten. 5. Aber sobald bereits die Fülle der Zeiten gekommen istb und Christus in ihnen an Alter und Weisheit zugenommen hatc und sie schon angefangen haben zu begreifen, was die Brüste des Bräutigams sind und welche Vollkommenheit des Wortes Gottes und Fülle der geistigen Lehre in ihnen dargestellt wird, versprechen sie, dass sie mehr als den Wein, den sie jetzt noch als Kinder lieben, die Brüste des Bräutigams lieben werden, das heißt, dass sie lernwilliger sein werden in Bezug auf die vollkommenen und in aller Fülle erlassenen Lehren Christi, als sie es offensichtlich in den allgemeinen Studien oder in den Unterweisungen des Gesetzes und der Prophetend gewesen sind. 6. „Die Redlichkeit hat sich in dich verliebt.“e Auch dies scheinen mir die Mädchen zu sagen, als würden sie sich dafür entschuldigen, dass sie versprochen hatten, die Brüste des Bräutigams mehr als Wein zu lieben, und ihn nicht schon in der Gegenwart lieben und noch nicht die volle Kraft der Liebe zeigen. 7. Es ist also dies die Stimme derer, die sich gleichsam selbst anklagen, als wären sie noch nicht frei von aller Unredlichkeit zur Redlichkeit gelangt, so dass sie schon in der Lage wären, die Brüste des Bräutigams mehr zu lieben als Wein, da sie wissen, dass es völlig unpassend ist, dass noch irgendetwas an Unredlichkeit in dem verbleibt, der zur Vollkommenheit der geistigen und mystischen Lehre gelangt ist. 8. Weil also der Gipfel der Vollkommenheit in der Liebe besteht, die Liebe aber keinerlei Unredlichkeit zulässt – wo aber keinerlei Unredlichkeit ist, dort ist ohne Zweifel Redlichkeit –, heißt es also zu Recht, dass es die Redlichkeit ist, die den Bräutigam liebt. 9. Und schau, ob nicht deswegen im Evangelium vom Erlöser auch dies gesagt worden zu sein scheint: „Wenn ihr mich liebt, haltet meine Gebote!“f Wenn also einer, der Christus liebt, seine Gebote beachtet und wenn in dem, der seine Gebote beachtet, keine Unredlichkeit ist, sondern beständige Redlichkeit, ist es also die Redlichkeit, die sowohl die Gebote beachtet als auch Christus liebt. 10. Und umgekehrt: Wenn eben der, der die Gebote beachtet, Christus liebt, die Gebote aber in Redlichkeit gehalten werden und es die Redlichkeit ist, die Christus liebt, dann beachtet, wer etwas Unredliches tut, weder die Gebote noch liebt er Christus. Es wird also so sein, dass wir in dem Maße, in dem Unredlichkeit in uns ist, von der Liebe zu Christus fern sind und dass dem die Größe der Gebotsübertretung bei uns entspricht. 11. Und deshalb wollen wir die Redlichkeit als eine Art Richtschnur184 festsetzen: Sollte in uns irgendeine Unredlichkeit sein, wollen wir dieses Richtmaß der Gebote Gottes heranziehen und anwenden,

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centes directoriam mandatorum Dei, si quid in nobis curuum, si quid tortuosum est, ad huius regulae lineam resecetur, ut possit et de nobis dici: „Aequitas dilexit te.“ a 12. Possumus autem etiam sic accipere, ut uideatur simile esse, quod dixit: „Aequitas dilexit te“, b ac si dixisset: Iustitia dilexit te et ueritas et sapientia et pudicitia et singulae quaeque uirtutes. 13. Nec mireris sane, si dicimus uirtutes esse, quae diligunt Christum, cum in aliis ipsarum uirtutum substantiam Christum soleamus accipere. Quod et frequentur inuenies in scripturis diuinis pro locis et opportunitatibus aptari; inuenimus namque ipsum et iustitiam c dici et pacem d et ueritatem. e Et rursus scriptum est in Psalmis: „Iustitia et pax osculatae sunt“ f et: „Veritas de terra orta est, et iustitia de caelo prospexit.“ g 14. Quae utique omnia et ipse esse et rursum ipsum dicuntur amplecti. Sed et sponsus idem dicitur, h idem etiam sponsa nominatur, ut in propheta scriptum est: „Sicut sponso imposuit mihi mitram, et sicut sponsam ornauit me ornamento.“ i a g

b c d Hld. 1,4 Hld. 1,4 1 Kor. 1,30 Eph. 2,14 h i Ps. 84(85),12 Mt. 9,15 Jes. 61,10

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Joh. 14,6

f

Ps. 84(85),11

185 Vgl. in Matth. comm. ser. 63 (GCS Orig. 11, 146): „Die Tugenden sind der Substanz nach Christus (uirtutes, quae sunt substantia Christus).“ Siehe dazu Horn, Antakoluthie der Tugenden 24–26. 186 Für Christus als „Gerechtigkeit“, „Friede“ und „Wahrheit“ vgl. in Ios. hom. 17,3 (GCS Orig. 7, 404). Siehe auch in Cant. comm. prol. 2,27 sowie oben S. 78 Anm. 43 zur Epinoiai-Lehre. 187 Zu Christus als Prinzip und Gesamtheit aller Tugenden siehe Hengstermann, Leben des Einen 440–451, und Fürst, OWD 7, 36–49. Vgl. in Num. hom. 12,4 (GCS Orig. 7, 104f.): Christus als uirtutum princeps; 20,2 (7, 190): Christus ist die Tugenden, nämlich Wort, Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und dergleichen; Cels. I 57 (GCS Orig. 1, 108): Christus als „Quelle und Prinzip“ der Tugenden; III 81 (1, 271): Christus ist das Wort (der Logos), die Weisheit und jede Tugend; V 39 (2, 43): Christus ist „die Tugend, die alle Tugenden umfasst“; VIII 17 (2, 234f.); in Ioh.

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um, wenn etwas in uns gebogen, wenn etwas krumm ist, es gemessen an dieser Richtschnur wegzuschneiden, damit auch über uns gesagt werden kann: „Die Redlichkeit hat sich in dich verliebt.“a 12. Wir können es aber auch so auffassen, dass die Aussage: „Die Redlichkeit hat sich in dich verliebt“b dem zu entsprechen scheint, als wäre gesagt worden: Die Gerechtigkeit hat sich in dich verliebt und die Wahrheit und die Weisheit und die Keuschheit und alle einzelnen Tugenden überhaupt. 13. Und wundere dich nicht, wenn wir sagen, es seien die Tugenden, die Christus lieben, da wir andernorts Christus als die Substanz der Tugenden selbst aufzufassen pflegen.185 Das wirst du auch häufig in den göttlichen Schriften je nach Stellen und Umständen in verschiedenen Varianten finden. Wir finden ihn nämlich als Gerechtigkeit,c als Frieded und als Wahrheite bezeichnet.186 Und desgleichen steht in den Psalmen geschrieben: „Gerechtigkeit und Friede küssten sich“f und: „Wahrheit ist aus der Erde entsprungen, und Gerechtigkeit schaute vom Himmel herab.“g 14. Das bedeutet, dass er sowohl selbst alle diese Tugenden ist als auch dass sie ihn andererseits alle umfassen.187 Aber derselbe wird auch Bräutigam genannt,h derselbe wird auch als Braut bezeichnet,188 wie beim Propheten geschrieben steht: „Wie einem Bräutigam hat er mir eine Mitra aufgesetzt, und wie eine Braut schmückte er mich mit Schmuck.“i

comm. VI 19,107 (GCS Orig. 4, 128): Es ist „der Erlöser, auf den sich jede Tugend richtet“; XXXII 11,127 (4, 444): „Der Herr ist die beseelte und lebendige Tugend“; in Matth. comm. XII 14 (GCS Orig. 10, 97): Christus ist jede Tugend; XIV 7 (10, 290): Christus ist die Gerechtigkeit, die Weisheit, die Wahrheit „und die übrigen Tugenden“; in Matth. comm. ser. 33 (GCS Orig. 11, 62): Christus ist alle Tugenden; in Rom. comm. IX 34 (SC 555, 198): „Oft haben wir gesagt, dass Christus die Weisheit ist und die Gerechtigkeit und die Heiligung und die Wahrheit und alle Tugenden zugleich.“ Siehe auch in Cant. comm. III 6,4. 188 Vgl. in Gen. hom. 14,1 (GCS Orig. 6, 122): „Als Wort Gottes heißt man ihn den Bräutigam (vgl. Mt. 9,15), als Weisheit wiederum wird er die Braut gerufen, wie auch der Prophet in seinem Namen sagt: ,Wie einem Bräutigam setzte er mir die Mitra auf, und wie eine Braut schmückte er mich mit Schmuck‘ (Jes. 61,10).“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 251.

Liber secundus Hld. 1,5: „Dunkel bin ich und schön, Töchter Jerusalems, wie die Zelte von Kedar, wie die Planen Salomos.“

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1,1. „Fusca sum et formosa, filiae Hierusalem, ut tabernacula Cedar, ut pelles Solomonis.“ a In aliis exemplaribus legimus: „Nigra sum et formosa.“ Rursus in hoc persona sponsae loquentis introducitur, loquentis autem non ad illas adulescentulas, quae cum ipsa currere solent, sed ad filias Hierusalem, quibus, tamquam quae derogauerint foeditati eius, respondere uidetur et dicere: Fusca quidem sum – uel nigra –, quantum ad colorem spectat, o filiae Hierusalem, formosa uero, si quis interna membrorum liniamenta perspiciat. 2. Nam et tabernacula, inquit, Cedar, quae est gens magna, nigra sunt et ipsa gens Cedar nigredo uel obscuritas interpretatur. Sed et pelles Solomonis nigrae sunt nec ob hoc tamen tanto regi in omni gloria sua b pellium uisa est indecora nigredo. Non ergo mihi, o filiae Hierusalem, exprobretis culpam coloris, cum siue naturalis siue exercitio quaesita corpori pulchritudo non desit. Haec continet historicum drama et propositae fabulae species. Sed redeamus ad ordinem mysticum. 3. Haec sponsa, quae loquitur, ecclesiae personam tenet ex gentibus c congregatae; filiae uero Hierusalem, ad quas ei sermo est, illae sunt animae, quae carissimae quidem dicuntur propter electionem patrum, inimicae autem propter euangelium. d Istae ergo sunt filiae Hierusalem huius terrenae, quae uidentes ecclesiam ex gentibus – quamuis pro eo ignobilem, quod generositatem sibi Abraham et Isaac et Iacob non possit adscribere, obliuiscentem tamen populum suum et domum patris sui e atque ad Christum uenientem – uelut spernunt eam et pro ignobilitate generis offuscant. 4. Quod sponsa sentiens filias prioris populi imputare sibi et pro hoc etiam a

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Mt. 6,29

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Apg. 15,14

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Röm. 11,28

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Ps. 44(45),11

16 Cf. frg. 9 (Prokop 30; Barba`ra 7)

189 Die Septuaginta liest in Hld. 1,5: meÂlaina eiÆmi kaiÁ kalhÂ. Hieronymus übersetzte in Cant. hom. 1,6 (GCS Orig. 8, 35): nigra sum et speciosa, in der Vulgata: nigra sum, sed formosa. Auf welche anderen Ausgaben sich Origenes genau bezieht – gewiss eine der im Rahmen der Hexapla aufgeführten –, gibt er (bzw. Rufinus) nicht an.

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Zweites Buch 1. Die in der Gottesebenbildlichkeit gründende und durch Buße und Glauben wiedererworbene Schönheit der aufgrund ihrer Sünde dunklen Kirche aus den Völkern

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1,1. „Dunkel bin ich und schön, Töchter Jerusalems, wie die Zelte von Kedar, wie die Planen Salomos.“a In anderen Ausgaben lesen wir: „Schwarz bin ich und schön.“189 Erneut wird hier die Person der Braut als Sprecherin eingeführt, sie spricht jedoch nicht zu jenen Mädchen, die mit ihr zu laufen pflegen, sondern zu den Töchtern Jerusalems. Diesen scheint sie, als hätten sie schlecht über ihre Hässlichkeit geredet, zu antworten und zu sagen: Dunkel bin ich zwar – oder schwarz –, was die Hautfarbe angeht, ihr Töchter Jerusalems, schön jedoch, wenn man auf die inneren Züge der Glieder schaut. 2. Denn auch die Zelte, sagt sie, von Kedar, einem großen Volk, sind schwarz, und das Volk Kedar selbst bedeutet übersetzt Schwärze oder Dunkelheit.190 Doch auch die Planen Salomos sind schwarz, und doch galt nicht deswegen für einen so großen König in all seiner Herrlichkeitb die Schwärze der Planen als unschicklich. Also, ihr Töchter Jerusalems, werft mir nicht meine Hautfarbe als Schuld vor, wenn doch die natürliche oder durch Übung erworbene Schönheit meinem Leib nicht fehlt. Dies sind der Inhalt des Dramas auf der literarischen Ebene und die äußere Gestalt der vorliegenden Erzählung. Doch wir wollen zum mystischen Zusammenhang zurückkehren. 3. Die Braut, die hier spricht, steht für die aus den Völkernc versammelte Kirche. Die Töchter Jerusalems hingegen, an die sich ihre Rede richtet, sind jene Seelen, die wegen der Erwählung ihrer Väter als innig Geliebte, wegen des Evangeliums aber als Feindinnen bezeichnet werden.d Sie sind also die Töchter dieses irdischen Jerusalem, die beim Anblick der Kirche aus den Völkern – die gewissermaßen deshalb von niederer Herkunft ist, weil sie sich die edle Abkunft von Abraham und Isaak und Jakob nicht zuschreiben kann, aber gleichwohl ihr Volk und das Haus ihres Vaters vergisste und zu Christus kommt – diese gleichsam verachten und wegen ihrer niederen Herkunft anschwärzen. 4. Weil die Braut bemerkt, dass die Töchter 190 Hieronymus gibt dieselbe Etymologie „Dunkelheit“ zusammen mit der daraus abgeleiteten Bedeutung „Trauer“: int. hebr. nom. p. 4. 48 Lagarde (CChr.SL 72, 63. 119): Cedar tenebrae uel moeror; ebd. p. 57 (72, 130): Cedar tristis uel tenebrae. Vgl. Wutz, Onomastica sacra 145. 264.

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nigram se appellari, quasi quae paternae eruditionis non habeat claritatem, respondens ad haec dicit: Nigra sum quidem, o filiae Hierusalem, pro eo, quod non descendo de stirpe clarorum uirorum neque illuminationem Moysi legis accepi, habeo tamen pulchritudinem meam mecum. Namque et in me est illud primum, quod ad imaginem Dei a in me factum est; et nunc accedens ad Verbum Dei recepi speciem meam. 5. Quamuis enim pro coloris obscuritate comparetis me tabernaculis Cedar et pellibus Solomonis, tamen et Cedar ex Ismael descendit; secundo namque loco ex Ismael natus est, b qui Ismael non fuit expers diuinae benedictionis. c Sed et pellibus Solomonis comparatis me, quae non aliae sunt quam pelles tabernaculi Dei, d et tamen miror uos, o filiae Hierusalem, coloris mihi exprobrare uelle nigredinem. 6. Quomodo non meministis, quod in lege uestra scriptum est, e quid passa sit Maria, quae derogauit Moysi, cur Aethiopissam nigram accepisset uxorem? f Quomodo ignoratis illius imaginis adumbrationem in me nunc ueritate compleri? Ego sum illa Aethiopissa, ego sum nigra quidem pro ignobilitate generis, formosa uero propter paenitentiam et fidem. Suscepi enim in me Filium Dei, recepi Verbum carnem factum. g Accessi ad eum, qui est imago Dei, primogenitus omnis creaturae, h et qui est splendor gloriae et figura substantiae Dei, i et facta sum formosa. 7. Tu ergo, ut quid improperas conuertenti se a peccato, j quod utique lex fieri uetat? Et quomodo tu gloriaris in lege praeuaricans legem? k 8. Verum quoniam in his locis sumus, ubi ecclesia, quae ex gentibus l uenit, nigram se esse dicit et formosam, quamuis longum uideatur esse et operosum colligere ex scripturis diuinis, in quibus uel qualiter sacramenti huius forma praecesserit, tamen non mihi penitus omittendum uidetur, sed Gen. 1,27 Num. 12,1 l Apg. 15,14 a f

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b c Gen. 25,13 Gen. 16,11f. h i Joh. 1,14 Kol. 1,15 Hebr. 1,3

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Ex. 25,4 j Sir. 8,5(6)

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Joh. 10,34 Röm. 2,23

191 Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen nach Gen. 1,26f. ist das fundamentale anthropologische Datum der Theologie des Origenes: in Gen. hom. 1,13 (GCS Orig. 6, 15–18); princ. I 2,6 (GCS Orig. 5, 34); siehe dazu Crouzel, The´ologie de l’image 147–179. 217–245; ders., Orige`ne 130–137. Dass der Mensch „nach dem Bild Gottes“, d.h. nach Christus geschaffen ist, denn Christus ist das „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol. 1,15), gilt ihm einerseits als kreatürliches Faktum menschlicher Existenz, als „Hauptsubstanz“: in Ioh. comm. XX 22,182 (GCS Orig. 4, 355), die er nicht verlieren kann. Mit der Differenzierung zwischen „Bild“ und „Ähnlichkeit“ – vgl. in Gen. hom. 1,13 (GCS Orig. 6, 17f.) – konzipiert Origenes die Gottesebenbildlichkeit andererseits zugleich als Ziel des Menschen: Da der Mensch die Ähnlichkeit mit dem Bild durch die Sünde beeinträchtigt hat, ist es seine Lebensaufgabe, diese durch ein entsprechendes sittlich ,schönes‘ Leben wiederzuerlangen: in Ioh. comm. XX 22,182f. (GCS Orig. 4, 355); princ. III 6,1 (GCS

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des früheren Volkes ihr dies vorwerfen und sie deshalb sogar schwarz genannt wird, gleichsam als besäße sie nicht die Helligkeit der väterlichen Erziehung, reagiert sie darauf und sagt: Schwarz, ihr Töchter Jerusalems, bin ich zwar deshalb, weil ich nicht von einem Geschlecht berühmter Männer abstamme noch die Erleuchtung des Gesetzes des Mose empfangen habe, aber ich habe dennoch meine Schönheit an mir. Denn auch in mir ist jenes Ursprüngliche, das nach dem Bild Gottesa in mir geschaffen worden ist. Und da ich jetzt zum Wort Gottes hinzutrete, habe ich meine Schönheit wiedererlangt.191 5. Obgleich ihr mich nämlich wegen der Dunkelheit meiner Hautfarbe mit den Zelten von Kedar und den Planen Salomos vergleicht, stammt doch auch Kedar von Ismael ab, denn an zweiter Stelle ist er aus Ismael geboren,b 192 und dieser Ismael war nicht ohne einen göttlichen Segen.c Aber auch mit den Planen Salomos vergleicht ihr mich, die keine anderen sind als die Planen des Zeltes Gottes,d und dennoch bin ich erstaunt, ihr Töchter Jerusalems, dass ihr mir meine schwarze Farbe zum Vorwurf machen wollt. 6. Wie konntet ihr vergessen, was in eurem Gesetz geschrieben steht,e nämlich was Maria193 widerfahren ist, die Mose tadelnd fragte, warum er eine schwarze Äthiopierin zur Frau genommen hatte?f Wie kommt es, dass ihr nicht versteht, dass der Schatten jenes Bildes jetzt in mir in Wahrheit erfüllt wird? Ich bin jene Äthiopierin. Ich bin zwar schwarz wegen der Niedrigkeit meiner Herkunft, aber schön wegen der Buße und des Glaubens. Ich habe nämlich den Sohn Gottes in mich aufgenommen, ich habe das Fleisch gewordene Wortg empfangen. Ich bin zu dem gekommen, der das Bild Gottes ist, der Erstgeborene der gesamten Schöpfungh und der Glanz der Herrlichkeit und das Abbild des Wesens Gottes,i und ich bin schön geworden. 7. Weshalb also machst du der Vorwürfe, die sich von der Sünde abwendet,j – was das Gesetz doch gewiss verbietet? Und wie kommst du dazu, dich im Gesetz zu rühmen, wo du doch das Gesetz übertrittst?k 8. Da wir aber bei den Stellen sind, wo die Kirche, die aus den Völkernl stammt, sagt, sie sei schwarz und schön, meine ich, auch wenn es langwierig und mühsam erscheinen mag, aus den göttlichen Schriften die Stellen zu sammeln, an denen in irgendeiner Weise die Typologie dieses Geheimnisses vorgeprägt ist, diese doch nicht völlig weglassen zu dürfen, sondern sie so Orig. 5, 280f.), mithin die ursprüngliche Schönheit des verdunkelten Bildes wiederherzustellen; siehe dazu Kobusch, Bild und Gleichnis Gottes. 192 Vgl. in Gen. hom. 11,2 (GCS Orig. 6, 104): „Aber auch wenn in der Schrift von der Königin von Kedar die Rede ist (Jer. 30,23 LXX), muss man nichtsdestoweniger wissen, dass sowohl Kedar als auch Abraham aus demselben Geschlecht der Chettura hervorgegangen sind. Aber auch in den Genealogien des Ismael wirst du Ähnliches finden (vgl. Gen. 25,13).“ 193 Rufinus bietet die latinisierte Form Maria, die dem griechischen Mariam der Septuaginta entspricht, das selbst wiederum Wiedergabe des hebräischen Mirjam (targumisch: Marjam) ist.

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quam potuerit breuiter memorandum. 9. Primo ergo in libro Numerorum de Aethiopissa ita scriptum est: „Et locuta est Maria et Aaron, et derogauerunt Moysi propter mulierem Aethiopissam, quam accepit uxorem, et dixerunt: Numquid Moysi soli locutus est Dominus? Nonne et nobis locutus est?“ a 10. Et iterum in tertio Regnorum libro scriptum est de regina Saba „quia uenit a finibus terrae audire sapientiam Solomonis“ b hoc modo: „Et regina Saba audiuit nomen Solomonis et nomen Domini et uenit tentare eum in parabolis; et uenit in Hierusalem in uirtute magna ualde, et cameli portantes odoramenta et aurum multum ualde et lapidem pretiosum; et ingressa est ad Solomonem et locuta est ei omnia, quaecumque erant in corde suo; et enuntiauit ei Solomon omnia uerba eius, et non fuit uerbum, quod omiserit rex et non enuntiauerit ei. 11. Et uidit regina Saba omnem prudentiam Solomonis et domum, quam aedificauit, et cibos Solomonis et sedem puerorum eius et ordinem ministrorum eius et uestes eius et uini fusores eius et holocausta eius, quae offerebat in domo Domini, et obstupuit. Et dixit ad regem Solomonem: Verus est sermo, quem ego audiui in terra mea de uerbo tuo et prudentia tua; et non credidi his, qui loquebantur mihi, usque quo uenirem et uiderent oculi mei, et ecce, nec media pars est, quae nuntiabantur mihi; addidisti enim bona super omnem auditionem, quam audiui in terra mea. 12. Beatae mulieres tuae, beati pueri isti, qui assistunt in conspectu tuo semper et audiunt omnem prudentiam tuam! Sit Dominus Deus tuus benedictus, qui tibi dedit sedem Istrahel! Quoniam enim dilexit Dominus Istrahel et uoluit eum permanere in aeternum, posuit te regem super eos, ut facias iudicium cum iustitia et iudices eos. 13. Et dedit Solomoni centum uiginti talenta auri et odoramenta multa ualde et lapidem pretiosum; numquam uenerant talia odoramenta nec in tanta multitudine, quae dedit regina Saba regi Solomoni.“ c 14. Hanc autem historiam paulo latius repetere uoluimus et inserere huic expositioni nostrae scientes in tantum conuenire haec ad personam ecclesiae, quae ex gentibus d uenit ad Christum, ut ipse Dominus in euangeliis reginae huius faceret mentionem, dicens eam uenisse a finibus terrae, ut audiret sapientiam Solomonis. e Austri autem reginam f dicit eam pro eo, quod Aethiopia in austri partibus iaceat, et a finibus terrae, quasi in ultimo posita. 15. Inuenimus autem huius ipsius reginae etiam Iosepum in historia sua facere mentionem addentem etiam a f

Num. 12,1f. Mt. 12,42

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194 Die Formulierung persona ecclesiae ist ein Hinweis darauf, dass die langen ekklesiologischen Ausführungen im vorliegenden Kapitel im Zusammenhang mit dem per-

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kurz wie möglich erwähnen zu sollen. 9. Erstens also steht im Buch Numeri über eine Äthiopierin Folgendes geschrieben: „Maria und Aaron sprachen. Sie tadelten Mose wegen der Äthiopierin, die er zur Frau genommen hatte, und sagten: Hat denn der Herr einzig zu Mose gesprochen? Hat er nicht auch zu uns gesprochen?“a 10. Desgleichen steht im dritten Buch der Königtümer über die Königin von Saba geschrieben, „dass sie von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomos zu hören“,b und zwar so: „Und die Königin von Saba hörte den Namen Salomos und den Namen des Herrn und kam, um ihn mit Rätselaufgaben auf die Probe zu stellen. Und sie kam nach Jerusalem mit sehr großem Hofstaat, und Kamele trugen Spezereien und sehr viel Gold und Edelsteine. Und sie ging zu Salomo hinein und sagte ihm alles, was sie auf dem Herzen hatte. Und Salomo antwortete ihr auf alle ihre Worte, und es gab kein Wort, dass der König überging und ihr nicht beantwortete. 11. Und die Königin von Saba sah die ganze Klugheit Salomos und das Haus, das er erbaut hatte, dazu die Speisen Salomos, den Sitz seiner Knaben, die Ordnung seiner Diener, seine Kleider, seine Mundschenke und seine Brandopfer, die er im Haus des Herrn darbrachte, und sie erstaunte. Und sie sagte zu König Salomo: Wahr ist, was ich in meinem Land über dein Wort und deine Klugheit habe reden hören. Doch ich habe denen nicht geglaubt, die es mir sagten, bis ich kam und meine Augen es sahen. Und siehe, nicht einmal die Hälfte davon wurde mir mitgeteilt! Du hast nämlich Gutes über alles das hinaus hinzugefügt, was ich in meinem Land gehört habe. 12. Selig sind deine Frauen, selig die Knaben, die sich immer in deiner Nähe aufhalten und deine ganze Klugheit hören! Gepriesen sei der Herr, dein Gott, der dir den Thron Israels gegeben hat! Weil nämlich der Herr Israel liebte und wollte, dass es ewig Bestand hat, setzte er dich als König über sie ein, damit du Recht sprichst mit Gerechtigkeit und sie richtest. 13. Und sie gab Salomo hundertzwanzig Talente Gold und sehr viele Spezereien und Edelsteine. Niemals waren Spezereien von solcher Art und in solcher Menge gekommen wie die, die die Königin von Saba dem König Salomo gab.“c 14. Diese Geschichte wollten wir etwas breiter wiedergeben und unserer Auslegung hier einfügen, weil wir wissen, dass diese so sehr auf die Person der Kirche,194 die aus den Völkernd zu Christus kommt, zutrifft, dass der Herr selbst in den Evangelien diese Königin erwähnt, wenn er sagt, dass sie von den Enden der Erde gekommen ist, um die Weisheit Salomos zu hören.e Königin des Südensf aber nennt er sie deshalb, weil Äthiopien in den südlichen Teilen der Erde liegt, und von den Enden der Erde redet er, weil es gleichsam ganz am Rand gelegen ist. 15. Wir finden aber, dass sogar Josephus in seiner Geschichte eben diese Königin erwähnt und noch Folgendes hinzufügt: Nachdem sie, sagt er, von sonalen Kirchenbegriff zu lesen sind, wie Origenes ihn in Cant. comm. I 1,5 grundgelegt hat. Siehe dazu oben S. 128 Anm. 134.

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hoc, quod, posteaquam regressa est, inquit, a Solomone, Cambyses rex miratus eius sapientiam, quam sine dubio ex Solomonis doctrina susceperat, cognominauit, inquit, nomen eius Meroen. Refert autem, quod non solum Aethiopiae, sed et Aegypti regnum tenuerit. 16. Adhuc autem addemus et ea, quae in sexagesimo septimo psalmo de hac eadem forma continentur. Ait ergo ibi: „Disperge gentes, quae bella uolunt, uenient legati ex Aegypto, Aethiopia praeueniet manus eius Deo. Regna terrae, cantate Deo, psallite Domino!“ a 17. Est adhuc quarto in loco apud Sophoniam prophetam de hac eadem figura hoc modo scriptum: „Propterea sustine me, dicit Dominus, in die resurrectionis meae in martyrio“, hoc est in testimonio, „quoniam iudicium meum est ad congregationes gentium, ut suscipiam reges et effundam super eos omnem iram indignationis meae; in igne enim zeli mei consumetur omnis terra. Quoniam tunc conuertam in populis linguam in generationem eius, ut inuocent omnes nomen Domini et seruiant ei sub iugum unum. De ultra flumina Aethiopiae suscipiam eos, qui dispersi sunt, et afferent sacrificium mihi. In die illa non confunderis, Saba, ab omnibus adinuentionibus tuis, in quibus impie egisti in me.“ b 18. Sed et in Hieremia scriptum est quod „principes quidem populi Istrahel miserunt Hieremiam in lacum Melchiae filii regis, qui erat in domo carceris, et deposuerunt eum cum funibus, et in lacu non erat aqua, sed caenum, et erat in caeno. Audiens autem Abdimelech, Aethiops uir eunuchus, qui erat in domo regis, quia miserunt Hieremiam in lacum, locutus est regi et dixit: Domine rex, male fecerunt uiri isti omnia, quae fecerunt in Hieremiam prophetam, quia miserunt eum in lacum et morietur ibi a facie famis, quoniam non sunt iam panes in ciuitate. Et praecepit rex ipsi Abdimelech Aethiopi dicens: Tolle hinc triginta homines et educ eum de lacu, ut non ibi moriatur!“ c 19. Et quid plura? Abdimelech Aethiops fuit, qui Hieremiam eduxit de lacu. Et paulo post: „Factus est sermo Domini ad Hieremiam dicens: Vade et dic Abdimelech Aethiopi dicens: Sic dixit Dominus Deus Istrahel: Ecce ego adduco uerba mea super ciuitatem istam in mala et non in bona, et saluabo a

Ps. 67(68),31–33

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Zef. 3,8–11

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Jer. 45(38),6–10

195 Vgl. Josephus Flavius, ant. Iud. II 10,2(249) (I p. 135 Niese): „Zuletzt wurden sie (sc. die Israeliten) nach Saba, der Königsstadt Äthiopiens, zurückgedrängt, die später Kambyses nach seiner Schwester Meroe¨ nannte, und hier belagert“; ebd. VIII 6,5(165) (II p. 213): „Die Beherrscherin von Ägypten und Äthiopien, die nach Weisheit dürstete und auch im übrigen vortreffliche Eigenschaften besaß, hatte so viel von Salomos Weisheit und Tugenden gehört, dass sie vor Verlangen brannte, ihn persönlich zu sehen.“ Übersetzung: I p. 116. 496f. Clementz. Origenes vermengt die Schilderung dieser beiden Ereignisse, indem er die Umbenennung der Stadt Saba in Meroe¨ auf die Königin von Saba bezieht. 196 Mit dieser Hinzufügung erklärt Rufinus seinen lateinischen Lesern, dass an dieser Stelle, an der im Septuaginta-Text martyÂrion steht, nicht die inzwischen übliche

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Salomo zurückgekehrt war, bewunderte König Kambyses ihre Weisheit, zu der sie zweifellos durch die Belehrung durch Salomo gekommen hatte, und gab ihr deshalb, wie er sagt, den Beinamen Meroe¨. Er berichtet aber, dass sie nicht nur die Herrschaft über Äthiopien, sondern auch über Ägypten innehatte.195 16. Wir wollen aber auch noch das hinzufügen, was im 67. Psalm in Bezug auf dieselbe Typologie enthalten ist. Dort also steht: „Zerstreue die Völker, die Kriege führen wollen! Aus Ägypten werden Gesandte kommen, Äthiopien wird seine Hände zuerst zu Gott ausstrecken. Ihr Königreiche der Erde, singt Gott, singt dem Herrn Psalmen!“a 17. Ferner steht an einer vierten Stelle bei dem Propheten Zefania in Bezug auf dieselbe Typologie Folgendes geschrieben: „Deshalb warte auf mich, spricht der Herr, am Tag, da ich mich erhebe zur Bezeugung“, das heißt: zum Zeugnis,196 „da mein Urteil ergeht über die Versammlungen der Völker, dass ich die Könige vor mich stelle und den ganzen Zorn meiner Entrüstung über sie ausgieße, denn im Feuer meines Eifers wird die ganze Erde dahingerafft werden. Denn dann werde ich die Sprache unter den Völkern für ihre Generation verändern, so dass alle den Namen des Herrn anrufen und ihm unter einem Joch dienen. Von jenseits der Flüsse Äthiopiens werde ich die, die zerstreut sind, aufnehmen, und sie werden mir ein Opfer darbringen. An jenem Tag wirst du nicht beschämt werden, Saba, von allen deinen Machenschaften, in denen du frevelhaft gegen mich gehandelt hast.“b 18. Doch auch bei Jeremia steht geschrieben, dass „die Führer des Volkes Israel Jeremia in die Zisterne des Königssohnes Melchias warfen, die sich im Gebäude des Kerkers befand, und ihn mit Seilen hinabließen, in der Zisterne aber kein Wasser war, sondern Schlamm, und er sich im Schlamm befand. Als aber Abdimelech, ein Äthiopier und Eunuch, der im Hause des Königs weilte, hörte, dass sie Jeremia in die Zisterne geworfen hatten, sprach er beim König vor und sagte: Herr und König, übel haben diese Männer gehandelt in allem, was sie dem Propheten Jeremia angetan haben, dass sie ihn in die Zisterne geworfen haben und er dort an Hunger sterben wird, da es in der Stadt keine Brote mehr gibt. Und der König trug dem Äthiopier Abdimelech auf und sagte: Nimm dreißig Mann mit und hole ihn aus der Zisterne heraus, damit er dort nicht stirbt!“c 19. Und was geschah weiter? Es war der Äthiopier Abdimelech, der Jeremia aus der Zisterne herausholte. Und wenig später „erging das Wort des Herrn an Jeremia, das besagte: Geh und sage dem Äthiopier Abdimelech Folgendes: So hat der Herr, der Gott Israels, gesprochen: Siehe, ich bringe meine Worte über diese Stadt zum Bösen und nicht zum Guten, aber dich werde ich an jenem Tag retten und dich nicht in die Hände der

Bedeutung von martyrium, eben „Martyrium“ im Sinne von „Blutzeugnis“, gemeint ist, sondern die ursprüngliche von „Zeugnis“. Zur Bedeutungsentwicklung dieses zentralen altkirchlichen Begriffs siehe Brox, Zeuge und Märtyrer.

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te in die illa, et non te dabo in manus hominum, quos tu times a facie eorum. Quia saluans saluabo te, et in gladio non cades, sed erit anima tua in salutem, quoniam confisus es in me, dicit Dominus.“ a 20. Haec interim ad praesens de scripturis sanctis occurrere potuerunt, quibus mihi uidetur propositi de Canticis Canticorum uersiculi mysterium comprobari, in quo dicit: „Fusca sum“ – siue „nigra sum“ – „et formosa, filiae Hierusalem, sicut tabernacula Cedar et sicut pelles Solomonis“. b 21. Inuenitur ergo et Moyses in Numeris accipere Aethiopissam uxorem, fuscam uidelicet uel nigram, pro qua Maria et Aaron derogant ei et indignantes dicunt: „Numquid Moysi soli locutus est Dominus? Nonne et nobis?“ c 22. In quo, si diligenter consideres, nec consequentiam sermo habere inuenitur historicus. Quid enim conuenire ad rem uidebitur, ut indignantes pro Aethiopissa dicant: „Numquid Moysi soli locutus est Dominus? Nonne et nobis locutus est?“ d Oportebat enim, si hoc erat in causa, dici ab iis: Non oportuit te, o Moyses, uxorem accipere Aethiopissam et de semine Cham, sed ex genere tuo et de domo Leui. Horum nihil dicunt, sed aiunt: „Numquid Moysi soli locutus est Dominus? Nonne et nobis locutus est?“ e 23. In quo mihi uidetur secundum mysterium magis intellexisse, quod gestum est, et uidisse, quod iam Moyses, id est spiritalis lex, f in nuptias et coniugium congregatae ex gentibus g migrat ecclesiae et Mariam, quae synagogae derelictae formam, et Aaron, qui sacerdotii carnalis tenebat imaginem, uidentes ablatum esse a semet ipsis regnum et datum esse genti facienti fructus eius h dicere: „Numquid Moysi soli locutus est Deus? Nonne et nobis locutus est?“ i 24. Denique et Moyses ipse, cum tanta et tam magnifica eius opera fidei ac patientiae referantur, numquam tantis a Deo elatus est laudibus ut nunc, cum Aethiopissam accepit uxorem. Nunc de eo dicitur quia: „Moyses homo mansuetus ualde super omnes homines, qui sunt super terram.“ j Nunc et illud de eo dicit Dominus quia: „Si fuerit in uobis propheta, in uisionibus loquar ei aut in somniis. Non ita, ut famulo meo Moysi, qui in omni domo mea fidelis est; os ad os loquar ad eum, in specie et non per a f

b c d e Jer. 46(39),15–18 Hld. 1,5 Num. 12,2 Num. 12,2 Num. 12,2 g h i j Röm. 7,14 Apg. 15,14 Mt. 21,43 Num. 12,2 Num. 12,3

197 Zu dieser von Origenes eigentlich abgelehnten Titelform, die er hier wohl mechanisch nach der Septuaginta wiedergibt, siehe in Cant. comm. prol. 4,29 und dazu oben S. 120 Anm. 120. 198 Vgl. in Num. hom. 6,4 (GCS Orig. 7, 36): „Um dies ausführlicher zu erklären, sagen wir, dass Maria typologisch für das frühere Volk stand, Mose aber, das heißt das Gesetz des Herrn, eine Ehe mit der Äthiopierin einging, die aus den Völkern versammelt wurde. Diese also nahm Mose, das heißt das geistige Gesetz, zur Frau. Darüber empört sich Maria, die nunmehr die Synagoge ist, und schmäht ihn zusammen mit Aaron, mit den Priestern also und mit den Pharisäern.“ Die Vorstellung

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Menschen geben, vor denen du dich fürchtest. Denn ich werde dich retten, ja retten, und du wirst nicht durch das Schwert fallen, sondern dein Leben wird gerettet werden, da du auf mich vertraut hast, spricht der Herr.“a 20. Diese Aussagen aus den heiligen Schriften vermochten mir momentan einzufallen, durch die, wie ich meine, der geheimnisvolle Sinn des vorliegenden Verses aus den Liedern der Lieder197 bekräftigt wird, in dem es heißt: „Dunkel bin ich“ – oder: „schwarz bin ich“ – „und schön, Töchter Jerusalems, wie die Zelte von Kedar und wie die Planen Salomos.“b 21. Man findet also unter anderem, dass Mose im Buch Numeri eine Äthiopierin zur Frau nimmt, offensichtlich eine dunkle beziehungsweise schwarze, deretwegen Maria und Aaron ihn tadeln und empört sagen: „Hat denn der Herr einzig zu Mose gesprochen? Nicht auch zu uns?“c 22. Wenn du es genau betrachtest, fehlt hierin, wie sich herausstellt, der literarischen Erzählung die Folgerichtigkeit. Inwiefern nämlich wird es dem Sachverhalt angemessen erscheinen, dass die über die Äthiopierin Empörten sagen: „Hat denn der Herr einzig zu Mose gesprochen? Hat er nicht auch zu uns gesprochen?“d Wenn diese Ehe das Problem war, hätten sie nämlich sagen müssen: Oh Mose, du hättest keine Äthiopierin und keine aus dem Samen Hams zur Frau nehmen dürfen, sondern eine aus deinem Geschlecht und aus dem Hause Levi. Davon sagen sie nichts, sondern sie sagen: „Hat denn der Herr einzig zu Mose gesprochen? Hat er nicht auch zu uns gesprochen?“e 23. In dieser Aussage scheinen sie mir das, was geschehen ist, eher nach dem geheimnisvollen Sinn aufgefasst und gesehen zu haben, dass schon Mose, das heißt das geistige Gesetz,f eine eheliche Verbindung mit der aus den Völkerng versammelten Kirche eingeht und dass Maria, die typologisch die verlassene Synagoge, und Aaron, der ebenfalls typologisch das fleischliche Priestertum repräsentiert, erkennen, dass ihnen die Herrschaft genommen und einem Volk gegeben worden ist, das seine Frucht bringt,h und daher sagen: „Hat denn Gott einzig zu Mose gesprochen? Hat er nicht auch zu uns gesprochen?“i 198 24. Schließlich ist auch Mose selbst, obwohl so große und so großartige Werke des Glaubens und der Geduld von ihm berichtet werden, niemals von Gott mit solchem Lob erhöht worden wie jetzt, da er eine Äthiopierin zur Frau genommen hat. Jetzt wird über ihn gesagt: „Mose war ein sehr sanftmütiger Mensch, mehr als alle Menschen, die es auf der Erde gibt.“j Jetzt sagt der Herr auch Folgendes über ihn: „Wenn es unter euch einen Propheten gibt, werde ich zu ihm in Visionen oder in Träumen reden, nicht so, wie zu meinem Diener Mose, der in meinem ganzen Hause treu ist; zu ihm werde ich von Mund zu Mund von Mose als „geistigem Gesetz“ bzw. sogar als „beseeltem Gesetz“ geht auf Philon, vit. Mos. I 162 (IV p. 159 Cohn/Wendland); II 4 (IV p. 201), und Clemens von Alexandria, strom. I 167,3 (GCS Clem. Al. 24, 104), zurück. Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 272 Anm. 1.

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aenigmata, et gloriam Domini uidit; et cur non timuistis detrahere famulo meo Moysi?“ a Haec omnia pro coniugio Aethiopissae Moyses audire meruit a Domino. 25. Verum de his plenius in libro Numerorum prosecuti sumus, quae si quis dignum iudicat noscere, illa perquirat. Nunc autem sufficiat approbare ex his, quod ipsa est nigra haec et formosa, b quae et Aethiopissa, quam Moyses, id est lex spiritalis, c qui sine dubio Verbum Dei et Christus est, in coniugium sumit, licet obtrectent et derogent filiae Hierusalem, plebs scilicet illa cum sacerdotibus suis. 26. Videamus autem et ea, quae ex tertio Regnorum libro protulimus de regina Saba, et ipsa nihilominus Aethiopissa, cui testimonium dat Dominus in euangeliis, quod in die iudicii ueniat cum uiris generationis incredulae et condemnet eos, quia uenit a finibus terrae audire sapientiam Solomonis, et addit quia „plus Solomone hic“ d docens per hoc plus esse ueritatem quam ueritatis figuras. 27. Venit ergo et haec, immo secundum figuram eius ecclesia uenit ex gentibus e audire sapientiam ueri Solomonis et ueri pacifici Domini nostri Iesu Christi. Venit et haec primo quidem tentans eum per aenigmata et quaestiones, f quae ei prius insolubiles uidebantur, atque ab ipso de agnitione ueri Dei et de creaturis mundi uel de animae immortalitate et iudicio futuro, quod apud eam et apud doctores eius, gentiles dumtaxat philosophos, incertum semper ac dubium manebat, absoluitur. 28. Venit ergo in Hierusalem, ad uisionem scilicet pacis, cum multitudine et uirtute multa; g non enim cum una sola gente, ut prius synagoga solos habuit Hebraeos, sed cum totius mundi gentibus uenit deferens etiam munera digna Christo, odoramentorum inquit suauitates, opera scilicet bona, quae ad Deum per odorem suauitatis adscendunt. h Sed et auro uenit rea f

Num. 12,6–8 1 Kön. 10,1

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b Hld. 1,5 1 Kön. 10,2

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c Röm. 7,14 Lev. 2,9.12

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Mt. 12,42

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199 Wie Origenes die Wendung in specie in Num. 12,8 auffasst, erhellt aus seiner Erklärung dazu in Num. hom. 7,2 (GCS Orig. 7, 39): „Seit nämlich Mose jüngst zu uns gekommen ist und sich mit dieser unserer Äthiopierin verbunden hat, wird das Gesetz Gottes nicht mehr in Symbolen und in Bildern erkannt wie früher, sondern im Angesicht der Wahrheit selbst (in ipsa specie ueritatis); und worauf früher in einem Rätsel hingewiesen wurde, das erfüllt sich jetzt direkt (in specie) und in Wahrheit.“ Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 274 Anm. 1, erklären zutreffend, dass der Begriff in specie die direkte Schau der Wirklichkeit meint. 200 Origenes verweist wohl auf seine Numerihomilien (von einem Kommentar zum Buch Numeri ist nichts bekannt), wie aus den in den vorigen beiden Anmerkungen notierten Stellen hervorgeht. Wenn dem so ist, wäre die Aussage chronologisch dahingehend auszuwerten, dass die Numerihomilien vor der Abfassung des Hoheliedkommentars publiziert waren. Zu den Schwierigkeiten dieser Chronologie und der möglichen Lösung, dass die Bemerkung auf Rufinus zurückgeht, siehe aber oben S. 104 Anm. 86.

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reden, direkt ins Angesicht199 und nicht in Rätseln, und er sieht die Herrlichkeit des Herrn. Und warum seid ihr nicht davor zurückgeschreckt, meinen Diener Mose zu schmähen?“a Dieses alles verdiente Mose für seine Ehe mit der Äthiopierin vom Herrn zu hören. 25. Dem sind wir freilich ausführlicher im Buch Numeri nachgegangen. Wenn jemand es als wissenswert erachtet, soll er dort nachschlagen.200 Jetzt aber soll es genügen, aus diesen Aussagen zu erweisen, dass diese schwarze und schöne Fraub dieselbe ist wie die Äthiopierin, die Mose, das heißt das geistige Gesetz,c das ohne Zweifel das Wort Gottes und Christus ist, in die Ehe führt, mögen die Töchter Jerusalems, nämlich jenes Volk mit seinen Priestern, sie auch herabsetzen und schmähen. 26. Wir wollen aber auch die Passage betrachten, die wir aus dem dritten Buch der Königtümer über die Königin von Saba zitiert haben, ihrerseits ebenfalls eine Äthiopierin, der der Herr in den Evangelien das Zeugnis ausstellt, dass sie am Tag des Gerichts zu den Männern der ungläubigen Generation kommt und sie verdammt, weil sie von den Enden der Erde gekommen ist, um die Weisheit Salomos zu hören, und er fügt hinzu: „Hier ist mehr als Salomo“,d womit er lehrt, dass die Wahrheit mehr ist als die Symbole der Wahrheit. 27. Es kommt also auch diese, vielmehr kommt in ihrer Gestalt die Kirche aus den Völkern,e um die Weisheit des wahren Salomo und des wahren Friedensbringers zu hören, die unseres Herrn Jesus Christus.201 Es kommt auch diese zuerst so, dass sie ihn durch Rätsel und Fragen auf die Probe stellt,f die ihr davor unlösbar zu sein schienen, und wird von ihm über die Erkenntnis des wahren Gottes und die Geschöpfe der Welt oder auch über die Unsterblichkeit der Seele und das künftige Gericht, was bei ihr und bei ihren Lehrern, bei den heidnischen Philosophen nämlich, immer ungewiss und zweifelhaft geblieben war, aufgeklärt. 28. Sie kommt also nach Jerusalem, das heißt zur Schau des Friedens,202 mit einer Menge Leute und großem Hofstaat.g Denn sie kommt nicht mit nur einem Volk, wie früher zur Synagoge einzig die Hebräer gehörten, sondern mit den Völkern der ganzen Welt und bringt auch Gaben dar, die Christi würdig sind, süße Gerüche, heißt es, von Spezereien, nämlich gute Werke, die zu Gott mit süßem Duft emporsteigen.h Sie kommt aber auch überhäuft

201 Zu Salomo als „Bild für Christus, weil er Friedensstifter heißt“, siehe in Cant. comm. prol. 4,17 und dazu oben S. 114 Anm. 108, ferner ebd. II 1,53. 202 Vgl. Philon, somn. II 259 (III p. 298 Cohn/Wendland): „Die Stadt Gottes wird von den Hebräern Jerusalem genannt, deren Name übersetzt ,Schau des Friedens‘ (oÏrasiw eiÆrhÂnhw) bedeutet.“ Für diese Etymologie bei Origenes siehe z.B. in Ios. hom. 21,2 (GCS Orig. 7, 431): De Hierusalem frequenter diximus quod uisio pacis interpretatur; in Hier. hom. 9,2 (GCS Orig. 32, 65); ferner Hieronymus, int. hebr. nom. p. 50 Lagarde (CChr.SL 72, 121): Ierusalem uisio pacis. Vgl. Wutz, Onomastica sacra 109. 585.

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pleta, a sensibus sine dubio et rationabilibus disciplinis, quas ante fidem adhuc ex communi hac et scolari eruditione collegerat. Detulit etiam lapidem pretiosum, b quae ornamenta morum possumus intelligere. 29. Cum hoc ergo apparatu intrat ad pacificum regem Christum et ipsi aperit cor suum, in confessione scilicet et paenitentia praecedentium delictorum, et locuta est ei omnia, quae erant in corde suo, c propter quod et Christus, qui est pax nostra, d enuntiauit ei omnia uerba eius, et non est uerbum, quod omiserit rex et non enuntiauerit ei. e 30. Denique cum iam tempus passionis appropinquaret, sic loquitur ad eam, id est ad electos discipulos suos: „Iam non dicam uos seruos, sed amicos, quia seruus nescit, quid faciat dominus eius. Ego autem nota feci uobis omnia, quaecumque audiui a Patre meo.“ f Sic ergo impletur, quod dixit, quia non fuit uerbum, quod non enuntiauerit pacificus Dominus reginae Saba, ecclesiae ex gentibus g congregatae. 31. Quodsi intuearis ecclesiae statum et dispensationes eius ordinationesque consideres, tunc aduertes, quomodo mirata sit regina omnem prudentiam Solomonis. h Simul et require, cur non dixerit omnem sapientiam, sed omnem prudentiam Solomonis: quoniamquidem eruditi uiri prudentiam de humanis negotiis, sapientiam de diuinis intellegi uolunt. Idcirco fortassis et ecclesia nunc interim Christi prudentiam miratur, dum in terris est et inter homines conuersatur, cum autem uenerit, quod perfectum est, i et de terris translata fuerit ad caelum, tunc uidebit omnem sapientiam eius, cum iam non per speciem et per aenigmata, sed facie ad faciem j de singulis quibusque perspiciet. 32. Vidit autem et domum, quam aedificauit, k sine dubio incarnationis eius mysteria; ipsa est enim domus, quam sibi aedificauit sapientia. l Vidit et cibos Solomonis, m illos puto, de quibus dicebat: „Meus cibus est, ut faciam uoluntatem eius, qui me misit, et perficiam opus eius.“ n Vidit et 1 Kön. 10,2 Joh. 15,15 k 1 Kön. 10,4 a f

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b c d 1 Kön. 10,2 1 Kön. 10,2 Eph. 2,14 h i Apg. 15,14 1 Kön. 10,4 1 Kor. 13,10 l m n Spr. 9,1 1 Kön. 10,5 Joh. 4,34

1 Kön. 10,3 1 Kor. 13,12

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203 Mit dieser Begriffsbestimmung folgt Origenes einer Definition, wie sie etwa in einem Rhetorikhandbuch überliefert ist, gemäß der sich die Klugheit auf das rechte Handeln in praktischen Angelegenheiten bezieht, die Weisheit hingegen das Wissen um die ersten Prinzipien beinhaltet: Ch. Walz, Rhetores Graeci VII, Stuttgart u.a. 1833, 696.5–8. Ansonsten freilich folgt Origenes meist der stoischen Definition (vgl. Cicero, fin. II 37; Tusc. IV 57; V 7; off. I 153: sapientia … rerum est diuinarum et humanarum scientia; ebd. II 5; Sextus Empiricus, adv. phys. 1,13: sofiÂa eÆpisthÂmh ueiÂvn te kaiÁ aÆnurvpiÂnvn pragmaÂtvn), nach der die Weisheit das „Wissen von den göttlichen und menschlichen Dingen sowie ihren Ursachen“ ist, wie er in Cels. III 72 (GCS Orig. 1, 263), sagt (Übersetzung: Barthold, FC 50, 643). Vgl. ferner in Hier. hom. 8,2 (GCS Orig. 32, 57); in Matth. comm. XVII 2 (GCS Orig. 10, 578); frg. in Prov. 1,2 (PG 13, 17–20); dazu Philon, congr. 79 (III p. 88 Cohn/Wendland). Siehe dazu Logan, Alexandrian Wisdom Christology 124f. 204 Weil Origenes den Begriff species im gegenteiligen Sinn der hier in 1 Kor. 13,12

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mit Gold,a zweifellos mit vernünftigen Gedanken und Kenntnissen, die sie schon vor dem Glauben durch die allgemeine und schulische Bildung erworben hatte. Sie brachte auch Edelsteine,b worunter wir den Schmuck der guten Sitten verstehen können. 29. Mit diesem Prunk also geht sie zum Friedenskönig Christus hinein und öffnet ihm ihr Herz, und zwar im Bekenntnis und in der Buße für ihre vorangegangenen Verfehlungen, und sagte ihm alles, was sie auf dem Herzen hatte,c weswegen Christus, der unser Friede ist,d auch auf alle ihre Fragen antwortete, und es gibt kein Wort, das der König überging und ihr nicht kundtat.e 30. Schließlich, als die Zeit der Passion schon nahe war, spricht er folgendermaßen zu ihr, das heißt zu seinen erwählten Jüngern: „Ich werde euch nicht mehr Diener nennen, sondern Freunde, denn der Diener weiß nicht, was sein Herr tut. Ich jedoch habe euch alles bekannt gemacht, was ich von meinem Vater gehört habe.“f So also erfüllt sich die Aussage, dass es kein Wort gab, das der Frieden bringende Herr der Königin von Saba, der aus den Völkerng versammelten Kirche, nicht kundtat. 31. Wenn du aber den Zustand der Kirche betrachtest und ihre Einrichtungen und Ämter bedenkst, dann wirst du bemerken, warum die Königin die ganze Klugheit Salomos bewunderte.h Zugleich frage auch danach, warum nicht von der ganzen Weisheit, sondern von der ganzen Klugheit Salomos die Rede war: deshalb nämlich, weil sich nach Ansicht der Gelehrten die Klugheit auf menschliche Angelegenheiten, die Weisheit auf göttliche bezieht.203 Deshalb bewundert vielleicht auch die Kirche jetzt unterdessen die Klugheit Christi, solange sie noch auf Erden und unter den Menschen weilt. Wenn aber gekommen sein wird, was vollkommen ist,i und wenn sie von der Erde in den Himmel überführt worden ist, dann wird sie seine ganze Weisheit sehen, wenn sie nicht mehr durch ein Spiegelbild204 noch durch ein Rätsel, sondern von Angesicht zu Angesichtj alles im Einzelnen erkennen wird. 32. Sie sah aber auch das Haus, das er erbaut hat,k ohne Zweifel die Mysterien seiner Inkarnation, denn diese ist das Haus, das sich die Weisheit erbaut hat.l Sie sah auch die Speisen Salomos,m ich meine jene, über die er sagte: „Meine Speise ist es, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollende.“n 205 Sie vorliegenden Bedeutung verwendet, nämlich als direkte Schau der Wirklichkeit (so in Cant. comm. II 1,24 und dazu oben S. 186 Anm. 199), dürfte die Wendung per speciem wohl auf einen Fehler Rufins oder eines Abschreibers zurückgehen, zumal in Cant. comm. II 1,36 der Vers (diÆ eÆsoÂptroy eÆn aiÆniÂgmati) korrekt wiedergegeben ist: in speculo et aenigmate; vgl. auch ebd. III 14,14: per speculum in aenigmate. Siehe dazu Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 279 Anm. 3. Vielleicht dachte Rufinus bei species, „Bild“, aber auch an das Bild, wie man es in einem Spiegel sieht; daher die Übersetzung „Spiegelbild“. 205 Zur geistigen Speise Christi vgl. in Ioh. comm. XIII 34,215–225 (GCS Orig. 4, 259f.). In Num. hom. 17,6 (GCS Orig. 7, 165) versteht Origenes darunter die „Völker, die sich zum Glauben bekehren“.

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sedem puerorum eius, a ecclesiasticum, puto, ordinem dicat, qui in episcopatus uel presbyterii sedibus habetur. Vidit et ordines — siue stationes — ministrorum eius, b diaconorum, ut mihi uidetur, ordinem memorat adstantium diuino ministerio. 33. Sed et uestes eius uidit, c illas credo, quibus induit eos, de quibus dicitur: „Quicumque autem in Christo baptizati estis, Christum induistis.“ d Sed et uini fusores eius; e doctores arbitror dici, qui Verbum Dei et doctrinam quasi uinum populis miscent, quod auditorum corda laetificet. f Vidit et holocausta eius, g orationum sine dubio supplicationumque mysteria. 34. Haec ergo omnia ubi uidit in domo regis pacifici, immo Christi, nigra haec et formosa, obstupuit h et ait ad eum: „Verus est sermo, quem audiui in terra mea de uerbo tuo et de prudentia tua.“ i Propter uerbum enim tuum, quod agnoui esse uerum uerbum, ueni ad te. Omnia etenim uerba, quae mihi dicebantur et quae audiebam, cum essem in terra mea, a doctoribus scilicet saeculi et philosophis, non erant uera. Istud est solum uerum uerbum, quod est in te. 35. Sed fortassis quaerendum uidebitur, quomodo dicat regi regina haec, quia: Non credidi his, qui dicebant mihi de te, cum utique nec uenisset ad Christum, nisi credidisset. Sed uide, si possumus hoc modo soluere, quod proponitur. „Non“ inquit „credidi his, qui loquebantur mihi.“ j Non enim fidem meam in illos, qui locuti sunt de te, sed in te direxi, id est non hominibus, sed tibi credidi Deo. Et per illos quidem audiui, ad te autem ueni, et tibi credidi, apud quem multo plura uiderunt oculi mei, quam annuntiabantur mihi. 36. Reuera enim, cum peruenerit nigra haec et formosa in Hierusalem caelestem k et ingressa fuerit uisionem pacis, multo plura et magnificentiora, quam nunc ei sunt annuntiata, perspiciet. Nunc enim tamquam in speculo et aenigmate, tunc autem 1 Kön. 10,5 Ps. 103(104),15 k Hebr. 12,22 a f

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1 Kön. 10,5 g 1 Kön. 10,5

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1 Kön. 10,5 1 Kön. 10,5

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d Gal. 3,27 1 Kön. 10,6f.

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1 Kön. 10,5 1 Kön. 10,7

206 In dieser Auslegung spiegelt sich die Gepflogenheit im Gottesdienst, dass die Bischöfe und Presbyter sitzen, die Diakone aber stehend daran teilnehmen: Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 280 Anm. 2. Siehe dafür in späterer Zeit die Anweisung des 18. Kanons des Konzils von Nizäa 325, dass die Diakone nicht inmitten der Presbyter sitzen dürfen (COD I, 15). In den Constitutiones Apostolorum II 57,4 (SC 320, 312) ist festgelegt, dass der Bischof und die Presbyter im Gottesdienst sitzen, während die Diakone wie die übrigen Kleriker stehen. 207 In Lev. hom. 9,9 (GCS Orig. 6, 436) zählt Origenes eine Reihe von „Brandopfern“ (holocausta) auf, die jeder in sich trägt und auf seinem Altar entzündet, wenn z.B. jemand sein Kreuz auf sich nimmt und Christus nachfolgt (vgl. Mk. 8,34) oder das

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sah auch den Sitz seiner Knaben.a Damit wird wohl, glaube ich, die kirchliche Ordnung bezeichnet, die in den Sitzen des Episkopats und des Presbyteriums eingehalten wird. Sie sah auch die Ordnungen – oder Standorte – seiner Diener,b womit, wie mir scheint, die Ordnung der Diakone erwähnt wird, die beim göttlichen Dienst dabeistehen.206 33. Doch sie sah auch seine Kleider,c ich glaube die, mit denen er die bekleidet, über die gesagt wird: „Ihr alle aber, die ihr in Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“d Doch auch seine Mundschenke:e So werden, meine ich, die Lehrer genannt, die das Wort Gottes und die Lehre wie Wein für die Leute mischen, der die Herzen der Zuhörer erfreuen soll.f Sie sieht auch seine Brandopfer,g zweifellos die Mysterien der Gebete und der Bitten.207 34. Als diese schwarze und schöne Frau also dies alles im Haus des Friedenskönigs, vielmehr Christi, sah, erstaunte sieh und sagte zu ihm: „Wahr ist, was ich in meinem Land über dein Wort und deine Klugheit habe reden hören.“i Wegen deines Wortes nämlich, von dem ich erkannt habe, dass es das wahre Wort ist, bin ich zu dir gekommen. Alle Worte nämlich, die mir gesagt wurden und die ich hörte, solange ich in meinem Land war, und zwar von den Lehrern der Welt und den Philosophen, waren nicht wahr.208 Dies ist allein das wahre Wort, das in dir ist. 35. Doch vielleicht wird sich die Frage aufdrängen, wie diese Königin zum König sagen kann: Ich habe denen nicht geglaubt, die mir von dir erzählten, wo sie doch gar nicht zu Christus gekommen wäre, wenn sie nicht geglaubt hätte. Doch schau, ob wir diesen Einwand nicht auf folgende Weise lösen können. „Ich habe“, sagt sie, „denen nicht geglaubt, die es mir sagten.“j Denn ich habe meinen Glauben nicht auf die gerichtet, die über dich gesprochen haben, sondern auf dich, das heißt, ich habe nicht auf Menschen, sondern auf dich vertraut, auf Gott. Auch hörte ich zwar durch jene, kam aber zu dir und glaubte dir, bei dem meine Augen viel mehr sahen, als man mir ankündigte. 36. Wenn nämlich diese schwarze und schöne Frau in das himmlische Jerusalemk gekommen und in die Schau des Friedens eingetreten sein wird, wird sie wahrlich viel mehr und großartigere Dinge schauen, als ihr jetzt angekündigt sind. Jetzt nämlich schaut sie gleichsam im Spiegel und im Rätsel, dann aber wird sie von Angesicht zu Ange-

Martyrium auf sich nimmt oder für seine Glaubensbrüder in den Tod geht oder ein enthaltsames Leben führt. 208 Origenes äußert sich öfter sehr kritisch über die Philosophie und die einzelnen philosophischen Schulen, in den Kommentaren wie an der vorliegenden Stelle verhaltener – vgl. etwa in Matth. comm. XII 1 (GCS Orig. 10, 70); siehe auch in Cant. comm. III 17(IV 3),27 –, in den Homilien deutlich schärfer, um seine Zuhörer von der „trügerischen Nahrung der Philosophie“ fernzuhalten, wie er in Lev. hom. 10,2 (GCS Orig. 6, 444) sagt. Weiteres dazu mit zahlreichen Belegen bei Harnack, Ertrag I, 39–47; II, 89–99; Crouzel, Orige`ne et la philosophie; ders., Orige`ne 207–215; Malingrey, ,Philosophia‘ 161–173; Fürst, Art. Origenes 507–513.

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uidebit facie ad faciem, a cum consequetur ea, „quae oculus non uidit nec auris audiuit nec in cor hominis adscendit“. b Et tunc uidebit, quia nec medietas est eorum, quae audiuit in hac sua terra posita. c 37. Beatae ergo sunt mulieres Solomonis, animae sine dubio, quae Verbo Dei et paci eius participes fiunt; beati pueri eius, qui assistunt in conspectu eius semper; d non illi, qui aliquando assistunt et aliquando non assistunt, sed qui semper et sine intermissione assistunt Verbo Dei, uere beati sunt. Talis erat et illa Maria, quae sedebat secus pedes Iesu audiens eum, e cui et testimonium reddit ipse Dominus dicens ad Martham: „Maria optimam partem elegit, quae non auferetur ab ea.“ f 38. Adhuc nigra haec et formosa dicit: Benedictus Dominus, qui uoluit dare te super sedem Istrahel! Vere enim quia dilexit Dominus Istrahel et uoluit, ut staret in aeternum, posuit te regem super eum. g Quem? Pacificum sine dubio. Christus est enim pax nostra, qui fecit utraque unum et medium parietem saepis soluit. h 39. Et post haec omnia dedit, inquit, centum uiginti talenta auri regi Solomoni regina Saba. i Numerus hic centum uiginti consecratus est uitae hominum eorum, qui fuerunt in diebus Noe¨, j quibus istud conceditur spatium uitae, quo inuitantur ad paenitentiam. Ipse autem numerus annorum et Moysis uitae fuit. k Offert ergo Christo ecclesia in auri specie et pondere non solum multitudinem sensuum suorum et intellectuum, sed et legi Dei consecratos indicat sensus suos per hunc, qui Moysi annos uitae continet, numerum. 40. Offert etiam suauitates odoramentorum, quales et quantae numquam uenerant. l Vel orationes in hoc uel opera misericordiae intellige. Numquam enim uel tam recte orauerat ut nunc, cum accessit ad Christum, uel tam pie operata fuerat, ut cum cognouit iustitiam suam non facere coram hominibus, sed coram Patre, qui uidet in occulto et reddet palam. m 41. Sed multum est alienis in locis simul uniuersa persequi haec, quae testimonii gratia uidentur assumpta. Sufficiant ista de tertio Regnorum libro. 42. Videamus aliqua et ex his, quae de sexagesimo septimo psalmo protulimus, ubi ait: „Aethiopia praeueniet manus eius Deo.“ n Si enim intuearis, quomodo ex delicto Istrahel salus sit gentibus et quod illorum lapsus b c d 1 Kor. 13,12 1 Kor. 2,9 1 Kön. 10,7 1 Kön. 10,8 g h i j Lk. 10,42 1 Kön. 10,9 Eph. 2,14 1 Kön. 10,10 Gen. 6,3 l m n 1 Kön. 10,10 Mt. 6,1.4 Ps. 67(68),32 a

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209 Vgl. Philon, quaest. in Gen. I 91 (I p. 164–171 Mercier); Josephus Flavius, ant. Iud. I 3,2(75) (I p. 18 Niese); I 6,5(152) (I p. 38). Nach dem Kommentar von A. Gudeman zu Tacitus’ Dialogus de oratoribus, Leipzig/Berlin 21914, 59, ist es „bei Griechen, Römern und orientalischen Völkern ein alter und weitverbreiteter Glaube, der sich sogar noch bis ins 16. Jahrhundert verfolgen lässt, dass gerade 120 Jahre die

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sicht schauen,a wenn sie erlangen wird, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz dringt“.b Und dann wird sie sehen, dass das, was sie gehört hat, als sie noch in ihrem eigenen Land weilte, nicht die Hälfte davon ist.c 37. Selig sind also die Frauen Salomos, zweifellos die Seelen, die des Wortes Gottes und seines Friedens teilhaftig werden, selig seine Knaben, die sich immer in seiner Nähe aufhalten.d Nicht die, die manchmal da sind und manchmal nicht da sind, sondern die, die sich immer und ohne Unterlass beim Wort Gottes aufhalten, sind wahrhaftig selig. So war auch jene Maria, die zu Füßen Jesu saß und ihm zuhörte,e der auch der Herr selbst das Zeugnis ausstellt, indem er zu Martha sagt: „Maria hat den besten Teil gewählt, der ihr nicht genommen werden wird.“f 38. Außerdem sagt diese schwarze und schöne Frau: Gepriesen sei der Herr, der dich auf den Thron Israels setzen wollte! Wahrhaftig nämlich deshalb, weil der Herr Israel liebte und wollte, dass es in Ewigkeit Bestand hat, hat er dich als König darüber eingesetzt.g Wen? Zweifellos den Friedensstifter. Christus ist nämlich unser Friede, der beide zu einem gemacht und die zwischen ihnen liegende Trennmauer aufgelöst hat.h 39. Und nach alledem gab, heißt es, die Königin von Saba dem König Salomo hundertzwanzig Talente Gold.i Diese Zahl Hundertzwanzig ist dem Leben derjenigen Menschen geweiht, die in den Tagen des Noah lebten,j 209 denen diese Lebensspanne zugestanden wird, in der sie zur Buße eingeladen werden. Eben diese Zahl war aber auch die der Lebensjahre des Mose.k Die Kirche bringt also Christus in der Gestalt und im Gewicht des Goldes nicht nur die Menge ihrer Gedanken und Einsichten dar, sondern weist darauf hin, dass durch diese Zahl, die die Lebensjahre des Mose enthält, ihre Gedanken auch dem Gesetz Gottes geweiht sind. 40. Sie bringt auch den süßen Duft von Spezereien in einer Beschaffenheit und in einer Menge dar, wie es noch nie vorgekommen war.l Verstehe hierunter entweder die Gebete oder die Werke der Barmherzigkeit. Niemals nämlich hatte sie entweder so richtig gebetet wie jetzt, da sie zu Christus getreten ist, oder so fromm gehandelt, wie nachdem sie erkannt hat, dass sie ihre Gerechtigkeit nicht vor den Menschen wirkt, sondern vor dem Vater, der im Verborgenen sieht und öffentlich sichtbar vergilt.m 41. Aber es wäre zu viel, zugleich an den anderen Bibelstellen vollständig dem nachzugehen, was dort zum Zeugnis angeführt zu sein scheint. Es sollen diese Zeugnisse aus dem dritten Buch der Königtümer genügen. 42. Wir wollen auch einiges von dem betrachten, was wir aus dem 67. Psalm zitiert haben, wo es heißt: „Äthiopien wird seine Hände zuerst zu Gott ausstrecken.“n Wenn du nämlich anschaust, wie aus der Verfehlung Israels das Heil für die Völker kommt und wie ihr Fall den Weg für die äußerste normale Lebensdauer des Menschen bilden“, wozu er ebd. Anm. 4 zahlreiche Stellen zusammengetragen hat.

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introeundi uiam nationibus dedit, a aduertes, quomodo praeuenit et praecedit Aethiopiae manus, hoc est gentium populus illos ad Deum, quibus primis data sunt eloquia Dei, et in hoc compleri: „Aethiopia praeueniet manus eius Deo“, et fit nigra ista formosa, etiam si nolunt, etiam si inuident et obtrectant filiae Hierusalem. 43. Sed et prophetae testimonium, quod posuimus, ubi suscepit Dominus etiam eos, qui ueniunt de locis, quae sunt ultra flumina Aethiopum, et afferunt hostias Deo, b simili sensu aduertendum puto. 44. Videtur enim mihi, quod ultra flumina Aethiopiae esse dicitur ille, qui nimiis et superabundantibus peccatis infuscatus est et atro malitiae fuco infectus niger et tenebrosus est redditus; et tamen ne hos quidem repellit Dominus, sed omnes, qui sacrificia contribulati spiritus et humiliati cordis c offerunt Deo, confessionis scilicet ac paenitentiae titulo ad eum conuersi, non repelluntur ab eo. Sic enim pacificus dicit Dominus noster: „Ego uenientem ad me non repello.“ d 45. Potest autem et de illis dictum uideri, quod ultra flumina Aethiopum positi uenient etiam ipsi ad Dominum hostias deferentes, qui, posteaquam intrauerit omnis plenitudo gentium, e quae fluminibus Aethiopiae comparatur, uenient etiam ipsi, et tunc omnis Istrahel saluabitur, f et pro eo ultra flumina Aethiopum dicantur, quasi qui ulteriores et posteriores sint ab his spatiis, in quibus currit et inundatur gentium salus. Et ita forte compleri uidetur hoc, quod dicit quia: „In die illa non confunderis“, omnis Istrahel, „ex omnibus adinuentionibus tuis, quibus impie egisti in me.“ g 46. Superest, ut illud testimonium, quod de Hieremia assumpsimus, explicetur, ubi Abdimelech nihilominus Aethiops uir eunuchus, cum audisset, quia Hieremias in lacum missus est a principibus populi, educit eum inde. h 47. Et puto inconueniens non uideri, si dicamus, quod eum, quem principes Istrahel condemnauerunt et in lacum mortis tradiderunt, iste alienigena et obscurae gentis homo et degeneris, id est populus gentium, educit eum de lacu mortis, resurrectionem scilicet eius a mortuis credens, et fide sua hunc, quem illi in mortem tradiderant, iste de infernis reuocat ac reducit. 48. Sed et eunuchus hic ipse Aethiops i dicitur, credo, quia castrauerit semet a f

Röm. 11,11 Röm. 11,26

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b Zef. 3,10 Zef. 3,11

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c Ps. 50(51),19 Jer. 45(38),6–10

i

d Joh. 6,37 Jer. 45(38),7

e

Röm. 11,25

23 Cf. frg. 10 (Baehrens, GCS Orig. 8, liv; Barba`ra App. 4)

210 Diese Bezeichnung findet sich nicht im Septuagintatext dieser Stelle (Jer. 45,7 LXX), ist aber später in der Vulgata bezeugt: Aethiops vir eunuchus (Jer. 38,7 Vulg.). Origenes muss eine Septuagintaversion vor sich gehabt haben, die dieses Attribut enthielt.

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Völker frei gemacht hat, um einzutreten,a wirst du bemerken, wie die Hand Äthiopiens, das heißt das Volk der Heiden, jenen, denen die Worte Gottes als ersten gegeben worden sind, zu Gott vorausgeht und zuvorkommt und sich darin der Ausspruch erfüllt: „Äthiopien wird seine Hände zuerst zu Gott ausstrecken“ und wie diese Schwarze schön wird, auch wenn die Töchter Jerusalems das nicht wollen, auch wenn sie es ihr neiden und sie schmähen. 43. Doch auch das von uns angeführte Zeugnis des Propheten, nach dem der Herr auch die angenommen hat, die aus Gegenden kommen, die jenseits der Flüsse Äthiopiens gelegen sind, und Gott Opfer darbringen,b ist, meine ich, in ähnlichem Sinne zu verstehen. 44. Denn mir scheint mit dem, der sich jenseits der Flüsse Äthiopiens befindet, jener bezeichnet zu werden, der durch maßlose und übermäßige Sünden düster und, mit schwarzer Schminke der Schlechtigkeit gefärbt, schwarz und dunkel geworden ist. Und dennoch weist der Herr nicht einmal diese zurück. Vielmehr werden alle, die Gott die Opfer eines zerknirschten Geistes und eines geknickten Herzensc darbringen, sich also mit der Absicht des Schuldbekenntnisses und der Buße an ihn wenden, von ihm nicht zurückgewiesen. So nämlich spricht unser Frieden bringender Herr: „Ich weise einen, der zu mir kommt, nicht zurück.“d 45. Es kann aber die Aussage, dass selbst die, die sich jenseits der Flüsse der Äthiopier befinden, zum Herrn kommen und Opfer darbringen, anscheinend auch über jene gemacht sein, die, nachdem die ganze Fülle der Völker, die mit den Flüssen Äthiopiens verglichen wird, eingetreten ist,e auch ihrerseits kommen werden, und dann wird ganz Israel gerettet werden.f Und von jenseits der Flüsse Äthiopiens ist für sie deshalb die Rede, weil sie gleichsam außerhalb und jenseits jener Gegenden sind, in denen das Heil der Völker in überfließender Fülle dahinströmt. Und so erfüllt sich vielleicht das Wort, das lautet: „An jenem Tage wirst du“, ganz Israel, „nicht beschämt werden von allen deinen Machenschaften, durch die du frevelhaft gegen mich gehandelt hast.“g 46. Es bleibt noch, dass jenes Zeugnis, das wir aus Jeremia angeführt haben, ausgelegt wird, wo Abdimelech, gleichfalls ein Äthiopier, ein Eunuch, nachdem er gehört hat, dass Jeremia von den Führern des Volkes in eine Zisterne geworfen worden ist, ihn dort herausholt.h 47. Und es wird meines Erachtens nicht unpassend erscheinen, wenn wir sagen, dass den, den die Führer Israels verurteilt und in die Zisterne des Todes geworfen haben, dieser fremdstämmige Mensch von dunkler und niedriger Herkunft, das heißt das Volk der Heiden, aus der Zisterne des Todes herausholt, und zwar weil er an seine Auferstehung von den Toten glaubt, und dass dieser durch seinen Glauben den, den jene dem Tod ausgeliefert hatten, aus der Unterwelt zurückruft und zurückbringt. 48. Doch dieser selbe Äthiopier wird auch als Eunuchi bezeichnet,210 ich glaube, weil er sich selbst um des Rei-

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ipsum propter regnum Dei a uel etiam quod semen malitiae in semet ipso non habebat. 49. Seruus quoque est regis, quia seruus sapiens imperat dominis stultis; b interpretatur enim Abdimelech seruus regum. Et ideo Dominus relinquens populum Istrahel pro peccatis suis ad Aethiopem uerba dirigit et ad ipsum mittit prophetam et ipsi dicit: „Ecce ego“ inquit „adduco uerba mea super ciuitatem istam in mala et non in bona, et saluabo te in die illa, et non te dabo in manus hominum, sed saluans saluabo te.“ c Salutis autem causa haec est ei, quia eduxit prophetam de lacu, id est quod fide sua, qua Christum resurrexisse credit a mortuis, d eduxisse eum uidetur ex lacu. 50. Habet ergo plurima testimonia fusca haec – uel nigra – et formosa, in quibus libere agat et cum fiducia dicat ad filias Hierusalem, quia fusca sum quidem – uel nigra – sicut tabernacula Cedar, formosa autem sicut pelles Solomonis. e 51. De pellibus Solomonis scriptum aliquid proprie non memini. Puto autem referri posse ad gloriam eius, de qua dicit Saluator: „Quia nec Solomon in omni gloria sua opertus est sicut unum horum.“ f 52. Nomen tamen ipsum pellium in tabernaculo testimonii inuenimus frequenter referri, sicut cum dicit: „Et facies pelles ex caprarum pilis operimentum super tabernaculum testimonii, undecim pelles facies; longitudo pellis unius triginta cubitorum, latitudo quattuor cubitorum. Eadem mensura erit undecim pellibus; et coniunges quinque pelles simul et alias sex simul; et replicabis sextam pellem a fronte tabernaculi; et facies quinquaginta ansulas per oram pellis unius et quinquaginta ansulas per oram pellis alterius, per quas coniungantur altera ad alteram; et facies circulos aereos quinquagenos, et coniunges ex ipsis pelles et erit unum totum; et replicabis, quod superest ex pellibus, medietatem pellis unius a fronte tabernaculi; et ex alia medietate quae superest, uelabis posteriora tabernaculi; cubitum hinc et cubitum inde ex eo, quod abundat in longitudine pellium, et erit adopertum tabernaculum ex lateribus hinc et inde.“ g 53. Puto ergo, quod harum pellium mentio fiat in Cantico Canticorum et istae dicantur esse Solomonis, qui accipitur in pacificum Christum. Ipsius ergo est tabernaculum et ea, quae ad tabernaa f

Mt. 19,12 Mt. 6,29

g

b Spr. 17,2 Ex. 26,7–13

c

Jer. 46(39),16–18

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1 Kor. 15,12

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Hld. 1,5

211 In Matth. comm. XV 1f. (GCS Orig. 10, 348–353) lehnt Origenes ein solches wörtliches Verständnis von Mt. 19,12 mit deutlichen Worten ab. Die Unterstellung des Eusebius, hist. eccl. VI 8,1–3 (GCS Eus. 2, 534–536), Origenes habe eine solche Handlung in seiner Jugend selbst an sich vollzogen, entbehrt der historischen Wahrscheinlichkeit. Siehe dazu Markschies, Kastration. 212 Diese Etymologie auch bei Hieronymus, int. hebr. nom. p. 53 Lagarde (CChr.SL 72, 125): Abdemelech seruus regis. Vgl. Wutz, Onomastica sacra 521. 963.

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ches Gottes willen entmannt hata 211 oder auch weil er den Samen der Schlechtigkeit nicht in sich hatte. 49. Er ist auch Diener des Königs, weil ein weiser Diener über dumme Herren gebietet.b Abdimelech bedeutet nämlich übersetzt Diener von Königen.212 Und deshalb richtet der Herr, als er das Volk Israel wegen seiner Sünden verlässt, Worte an den Äthiopier und schickt den Propheten zu ihm und sagt ihm: „Siehe, ich bringe meine Worte“, heißt es, „über diese Stadt zum Bösen und nicht zum Guten, und ich werde dich an jenem Tag retten und dich nicht in die Hände der Menschen geben, sondern retten, ja retten werde ich dich.“c Der Grund für seine Rettung ist aber, dass er den Propheten aus der Zisterne herausgeholt hat, das heißt, dass er ihn durch seinen Glauben, mit dem er glaubt, dass Christus von den Toten auferstanden ist,d offenbar aus der Zisterne herausgeholt hat. 50. Es gibt also sehr viele Zeugnisse, in denen diese dunkle – oder schwarze – und schöne Frau frei handelt und mit Zuversicht zu den Töchtern Jerusalems sagt: Ich bin zwar dunkel – oder schwarz – wie die Zelte von Kedar, aber schön wie die Planen Salomos.e 51. Ich erinnere mich an keine Stelle, an der explizit etwas über die Planen Salomos geschrieben steht. Ich meine aber, sie können auf seine Herrlichkeit bezogen werden, über die der Erlöser sagt, „dass auch Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie einer von diesen“.f 52. Das Wort ,Planen‘ selbst hingegen finden wir beim Zelt des Bundes häufig erwähnt, etwa wenn es heißt: „Du sollst Planen aus Ziegenhaar machen als Bedeckung für das Zelt des Bundes. Elf Planen sollst du machen. Die Länge einer Plane sei dreißig Ellen, die Breite vier Ellen. Die elf Planen sollen dieselben Maße haben. Und du sollst fünf Planen miteinander verbinden und die anderen sechs ebenso. Und du sollst die sechste Plane an der Vorderseite des Zeltes zurückschlagen. Und du sollst fünfzig Ösen am Saum der einen Plane machen und fünfzig Ösen am Saum der anderen Plane, durch welche die eine mit der anderen verbunden wird. Und du sollst fünfzig kupferne Ringe machen, und du sollst mit diesen die Planen miteinander verbinden, und es wird ein einziges Ganzes entstehen. Und du sollst von dem, was von den Planen übrigbleibt, die Hälfte der einen Plane an der Vorderseite des Zeltes zurückschlagen. Und mit der anderen Hälfte, die übrig ist, sollst du die Rückseite des Zeltes bedecken, eine Elle von hier, eine Elle von dort von dem, was in der Länge der Planen übersteht. Und das Zelt soll von beiden Seiten von hier und von dort aus bedeckt sein.“g 53. Ich meine also, dass diese Planen im Lied der Lieder erwähnt werden und sie Planen Salomos genannt werden, der auf den Frieden bringenden Christus bezogen wird.213 Diesem also gehört das Zelt sowie das, was sich auf das Zelt

213 Siehe in Cant. comm. prol. 4,17 und dazu oben S. 114 Anm. 108, ferner ebd. II 1,27.

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culum pertinent, et praecipue, si illud tabernaculum consideremus, quod dicitur tabernaculum uerum, quod fixit Deus et non homo, a et quod ait: „Non enim in manu facta sancta intrauit Iesus, exemplaria uerorum.“ b 54. Si ergo pulchritudinem suam sponsa pellibus comparat Solomonis, illarum sine dubio pellium gloriam et pulchritudinem dicit, quae operiunt illud tabernaculum, quod fixit Deus et non homo. c Si uero nigredinem suam, quae exprobrari a filiabus Hierusalem uidebatur, pellibus contulit Solomonis, huius tabernaculi, quod exemplar ueri tabernaculi appellatur, d accipiendae sunt pelles, quasi quod et ipsae nigrae sint quidem, utpote caprarum pilis e textae, et tamen usum ornatumque exhibeant diuino tabernaculo. 55. Quod autem, cum uideatur una esse persona, quae loquitur, pluribus se uel tabernaculis Cedar in nigredine uel Solomonis pellibus comparauit, ita accipiendum est, quia una quidem persona uidetur, ecclesiae innumerae tamen sunt, quae per orbem terrae diffusae sunt, atque immensae congregationes ac multitudines populorum; sicut et regnum caelorum unum quidem dicitur, sed multae esse mansiones memorantur apud Patrem. f 56. Potest autem et de unaquaque anima, quae post peccata plurima conuertitur ad paenitentiam, dici, quod nigra sit pro peccatis, formosa autem propter paenitentiam et fructus paenitentiae. g 57. Denique et de hac ipsa, quae nunc dicit: „Nigra sum et formosa“, h quia non in finem in nigredine ista permansit, post haec dicunt de ea ipsa filiae Hierusalem: „Quae est ista, quae adscendit dealbata incumbens super fraternum suum?“ i a g

Hebr. 8,2 Lk. 3,8

h

b c Hebr. 9,24 Hebr. 8,2 i Hld. 1,5 Hld. 8,5

d

Hebr. 9,24

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Ex. 26,7

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Joh. 14,2

214 Zur einen Person der vielen Gemeinden bzw. Kirchen siehe in Cant. comm. I 1,5 (auch ebd. II 1,14) und dazu oben S. 128 Anm. 134, zu den zahllosen Völkern ebd. III 12,3 und dazu unten S. 354 Anm. 415. 215 Nachdem Origenes im ganzen vorausgehenden Kapitel II 1,3–55 die Aussage in Hld. 1,5 nur auf die Kirche bezogen hat, widmet er diesen einen Satz einer Auslegung in Bezug auf die Seele. Die Verknüpfung zwischen beiden Auslegungen bildet auch hier der kurz zuvor geäußerte Gedanke von der „einen Person der

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bezieht, und dies gilt besonders, wenn wir jenes Zelt betrachten, das das wahre Zelt genannt wird, das Gott errichtet hat und nicht ein Mensch,a und worüber es heißt: „Denn nicht in von Hand gemachte Heiligtümer ist Jesus eingetreten, in Abbilder von wahren Heiligtümern.“b 54. Wenn also die Braut ihre Schönheit mit den Planen Salomos vergleicht, spricht sie ohne Zweifel von der Herrlichkeit und Schönheit jener Planen, die jenes Zelt bedecken, das Gott errichtet hat und nicht ein Mensch.c Wenn sie aber ihre Schwärze, die anscheinend von den Töchtern Jerusalems getadelt wurde, mit den Planen Salomos verglichen hat, muss man annehmen, dass die Planen zu dem Zelt gehören, das Abbild des wahren Zeltes genannt wird,d weil sozusagen auch sie selbst zwar schwarz sind, da sie ja aus Ziegenhaare gewebt sind, und dennoch dem göttlichen Zelt zum Nutzen und zum Schmuck gereichen. 55. Die Tatsache aber, dass sie sich, obwohl es eine einzige Person zu sein scheint, die spricht, in ihrer Schwärze mit mehreren Zelten von Kedar beziehungsweise Planen Salomos verglichen hat, ist so aufzufassen, dass zwar eine einzige Person erscheint, es jedoch zahllose Gemeinden gibt, die über den Erdkreis verstreut sind, und unzählige Versammlungen und Mengen von Völkern,214 so wie auch das Himmelreich zwar als ein einziges bezeichnet, doch erwähnt wird, dass es viele Wohnungen beim Vater gibt.f 56. Man kann aber auch über jede Seele, die sich nach sehr vielen Sünden zur Buße bekehrt, sagen, dass sie schwarz ist wegen der Sünden, schön aber wegen der Buße und der Früchte der Buße.g 215 57. Weil schließlich eben die, die jetzt sagt: „Schwarz bin ich und schön“,h nicht bis zum Ende in dieser Schwärze verblieben ist, sagen daraufhin die Töchter Jerusalems über eben diese: „Wer ist diese, die weiß geworden hinaufsteigt, auf ihren Geliebten216 gestützt?“i

zahllosen Kirchen“. Auch in Hier. hom. 11,6 (GCS Orig. 32, 84) nennt er diese Deutung mit nur einer Zeile, wohingegen er in Num. hom. 6,4 (GCS Orig. 7, 36), zitiert oben S. 184 Anm. 198, die Deutung auf die Kirche ausführlich darlegt. Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 262 Anm. 1. 216 Zu dieser Bedeutung von fraternus siehe unten S. 285 Anm. 331 zu in Cant. comm. II 10,2f., wo Origenes das Wort seinerseits erklärt.

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Hoheliedkommentar

Hld. 1,6: „Starrt mich nicht an, weil ich dunkel geworden bin, denn die Sonne hat auf mich herabgeschaut.“

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2,1. „Ne uideatis me, quoniam infuscata sum ego, quia despexit me sol.“ a Si competenter nobis uidetur aptata expositio, quam in superioribus uel de Aethiopissa, quae a Moyse suscepta est in coniugium, uel de regina Aethiopum Sabina, quae sapientiam Solomonis uenit audire, b texuimus, merito nunc haec, quae fusca – uel nigra – est et formosa, c satisfacere uidetur pro nigredine uel infuscatione sua causasque reddere exprobrantibus, quasi quae non natura talis nec ita a conditore creata sit, sed ex accidentibus hoc passa sit. Ex eo, inquit, „quod sol despexit me“. d 2. In quo ostendit non de nigredine corporis fieri sermonem, quod utique sol infuscare et denigrare solet, cum respicit magis quam cum despicit. Ita denique et apud omnem illam gentem Aethiopum ferunt, cui iam naturalis quaedam inest ex seminis carnalis successione nigredo, quod in illis locis sol radiis acrioribus ferueat et adusta iam semel atque infuscata corpora genuini uitii successione permaneant. 3. Contrarii uero ordinis est animae nigredo; nam neque adspectu, sed despectu solis inuritur, neque nascendo, sed negligendo conquiritur; et ideo sicut ignauia assumitur, ita industria repellitur et propulsatur. 4. Denique, ut superius dixi, haec ipsa, quae nunc nigra dicitur, circa finem Cantici huius dealbata memoratur adscendere incumbens super fraternum suum. e Effecta est ergo nigra, quia descendit; si autem coeperit adscendere et incumbere super fraternum suum et adhaerere ei nec omnino separari ab eo, erit dealbata et candida abiectaque omni nigredine ueri luminis f circumfusa luce radiabit. 5. Dicit ergo nunc ad filias Hierusalem pro nigredine sua a

Hld. 1,6

b

Mt. 12,42

c

Hld. 1,5

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Hld. 1,6

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Hld. 8,5

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Joh. 1,9

217 Die Septuaginta bietet hier pareÂbleceÂn me, „sah mich von der Seite an“, „übersah mich“ oder „achtete nicht auf mich“, was nach Septuaginta Deutsch 1000 (Anm. 1,6a) im Sinne von „verbrannte mich“ zu übersetzen ist. Die von Rufinus (nicht einheitlich) verwendete Begrifflichkeit von respicere (draufschauen, anschauen) und despicere (herabschauen), von adspectus (Hinschauen) und despectus (Herabschauen) ist kaum adäquat in das Deutsche zu übersetzen, doch ist im „Herabschauen“ immerhin der Aspekt der „Verachtung“ enthalten. Analoge Überlegungen für das Französische sind zu finden bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 769. 218 Mit dieser Formulierung wendet sich Origenes gegen die gnostisch-valentinianische Naturenlehre, die nach seiner Ansicht das Böse im Menschen auf seine Natur und nicht auf seine freie Entscheidung zurückführt. So schreibt Origenes in Bezug auf die unterschiedlichen Verfassungen, in der sich die Vernunftwesen innerhalb der Welt befinden, in princ. I 8,1 (GCS Orig. 5, 95).: „Von all dem muss man annehmen, dass es nicht zufällig und nach Belieben geschieht, und auch nicht, weil diese

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Buch II 2,1–5

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2. Die zweifache Kraft der Sonne der Gerechtigkeit, die die Sünder für ihre Nachlässigkeit und ihren Unglauben verbrennt, die Gerechten aber für ihre Rechtschaffenheit und ihren Eifer erleuchtet

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2,1. „Starrt mich nicht an, weil ich dunkel geworden bin, denn die Sonne hat auf mich herabgeschaut.“a 217 Wenn uns die Auslegung, die wir oben einerseits über die Äthiopierin, die von Mose zur Ehefrau genommen wurde, andererseits über die sabinische Königin der Äthiopier, die kam, um die Weisheit Salomos zu hören,b entwickelt haben, passend erscheint, scheint sich jetzt mit guten Grund die, die dunkel – oder schwarz – und schön ist,c für ihre Schwärze oder Dunkelheit zu rechtfertigen und ihren Anklägerinnen die Ursachen dafür anzugeben, dass sie nämlich nicht von Natur aus so ist und nicht vom Schöpfer so geschaffen worden ist, sondern dass ihr dies durch die Umstände widerfahren ist:218 deshalb, sagt sie, „weil die Sonne auf mich herabgeschaut hat“.d 2. Damit zeigt sie, dass nicht von der Schwärze des Körpers die Rede ist, weil ja die Sonne eher dunkel und schwarz zu machen pflegt, wenn sie draufschaut, als wenn sie herabschaut. So wird schließlich auch von jenem ganzen Geschlecht der Äthiopier, dem schon eine gewisse natürliche Schwärze durch die Vererbung des fleischlichen Samens innewohnt, berichtet, dass in jenen Gegenden die Sonne mit schärferen Strahlen brennt und die einmal verbrannten und dunkel gewordenen Körper durch die Vererbung des angeborenen Makels so bleiben. 3. Die Schwärze der Seele aber ist von gegenteiliger Art, denn nicht durch das Hinschauen, sondern durch das Herabschauen der Sonne wird sie eingebrannt, und nicht durch Geburt, sondern durch Vernachlässigung wird sie erworben. Und daher wird sie so, wie sie durch Trägheit angenommen wird, durch Fleiß entfernt und abgewendet. 4. Schließlich wird, wie ich weiter oben gesagt habe,219 eben die, die jetzt schwarz genannt wird, gegen Ende dieses Liedes als eine erwähnt, die weiß geworden hinaufsteigt, gestützt auf ihren Geliebten.e Sie ist also schwarz geworden, weil sie hinabgestiegen ist. Wenn sie aber beginnt hinaufzusteigen und sich auf ihren Geliebten zu stützen und ihm anzuhängen und sich durch überhaupt nichts von ihm trennen zu lassen, wird sie weiß und strahlend sein, und wenn sie alle Schwärze abgelegt hat, wird sie vom Licht des wahren Lichtsf umstrahlt leuchten. 5. Sie sagt also jetzt zu den Töchtern Jerusalems, um sich für ihre Wesen von Natur derart geschaffen wären, denn auch darin läge ein Vorwurf gegen den Schöpfer wegen ungleicher Behandlung; sondern man muss glauben, dass diese Aufgaben entsprechend den Verdiensten und Tugenden, der Tatkraft und dem Charakter eines jeden von Gott, dem allergerechtesten Lenker des Alls, erteilt werden.“ Übersetzung: p. 253–255 Görgemanns/Karpp. In diesem Sinne hat Origenes sich ständig geäußert und seine Freiheitsphilosophie explizit gegen einen naturalistischen Determinismus entworfen. 219 Siehe in Cant. comm. II 1,57.

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Hoheliedkommentar

satisfaciens: Non putetis, o filiae Hierusalem, quod naturalis sit ista nigredo, quam uidetis in uultu meo, sed scitote, quoniam despectu solis facta est. Sol enim iustitiae, a quia me non inuenit recte stantem, nec ipse rectos in me direxit lucis suae radios. 6. Ego enim sum gentium populus, qui prius non adspexi ad solem iustitiae nec steti ante Dominum; et ideo nec ille me adspexit, sed despexit, neque adstitit mihi, sed praeteriit. 7. Hoc autem ita esse etiam tu, qui Istrahel diceris, re ipsa expertus iam iamque cognosces et dices: Sicut enim me aliquando non credente tu assumptus es et misericordiam consecutus et te respexit sol iustitiae, me autem utpote inoboedientem et incredulum despexit et spreuit, ita et nunc, ubi tu incredulus et inoboediens factus es, ego spero respici a sole iustitiae et misericordiam consequi. 8. Quod autem mutua nobis sit solis ista despectio et ego primo pro inoboedientia mea despectus sim, tu uero respectus, nunc autem etiam tibi non solum despectus solis, sed et caecitas quaedam licet ex parte contigerit, testem tibi producam magnificum et caelestis secreti conscium Paulum, qui ita dicit: „Sicut enim uos“ – de gentibus sine dubio loquens – „aliquando non credidistis Deo, nunc autem misericordiam consecuti estis propter istorum incredulitatem, ita et isti nunc non crediderunt in uestra misericordia, ut et ipsi misericordiam consequantur.“ b Et item in aliis dicit: „Quia caecitas ex parte contigit in Istrahel, donec plenitudo gentium subintraret.“ c 9. Hinc ergo est in me, quam exprobras, ista nigredo, quia despexit me sol propter incredulitatem et inoboedientiam meam. Cum uero recte stetero ante eum et non fuero obliquus in aliquo nec declinauero ad dexteram neque ad sinistram, d sed fecero rectas semitas pedibus meis e contra solem iustitiae f incedens in omnibus iustificationibus eius sine querela, tunc et ipse rectus me respiciet et nulla erit obliquitas nec erit causa ulla despectus et tunc reddetur mihi lux mea et splendor meus et in tantum propelletur a me, a f

Mal. 4,2(3,20) Mal. 4,2(3,20)

b

Röm. 11,30f.

c

Röm. 11,25

d

Spr. 4,27

e

Spr. 4,26

4 Cf. frg. 11 (Prokop 33; Barba`ra 8)

220 Origenes hat besonders in seinen Predigten seine christlichen Zuhörer davor gewarnt, dass es ihnen, wenn sie im Glauben nachlässig werden oder sich gar davon abwenden, genauso ergehen werde wie den Juden, die nicht an Jesus glauben: Trotz ihrer früheren Berufung werden sie des Heiles wieder verlustig gehen. Wie hier beruft er sich dafür regelmäßig auf die Überlegungen des Paulus in Röm. 11. Vgl. in Hier. hom. 4,5 (GCS Orig. 32, 27): „Da jene aus den Segensgütern und den Verheißungen herausgefallen sind und es ihnen nichts genützt hat, von den Patriarchen abzustammen, müssen wir bedenken, um wieviel mehr dann wir, wenn wir sündigen, verlassen werden“; ferner ebd. 10,8 (32, 78); 11,6 (32, 85); 12,13 (32, 101): „Wenn nun jene Herde des Herrn zerschlagen wurde, müssen dann nicht wir, der

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Schwärze zu rechtfertigen: Glaubt nicht, ihr Töchter Jerusalems, dass diese Schwärze, die ihr in meinem Gesicht seht, natürlich ist, sondern wisst, dass sie durch das Herabschauen der Sonne entstanden ist. Die Sonne der Gerechtigkeita hat nämlich, da sie mich nicht gerade stehend fand, ihrerseits auch die Strahlen ihres Lichts nicht gerade auf mich gerichtet. 6. Ich bin nämlich das Volk der Heiden, das früher nicht zur Sonne der Gerechtigkeit schaute und nicht vor dem Herrn stand. Und deswegen hat jener mich auch nicht angeschaut, sondern herabgeschaut, und er stand nicht bei mir, sondern ging vorüber. 7. Dass dem aber so ist, wirst sogar du, die du Israel genannt wirst, weil du es faktisch erfahren hast, allmählich erkennen und sagen: So wie nämlich du, weil ich einst nicht glaubte, angenommen worden bist und Barmherzigkeit erlangt hast und die Sonne der Gerechtigkeit dich angeschaut, auf mich aber als ja Ungehorsame und Ungläubige herabgeschaut und mich missachtet hat, so hoffe auch ich jetzt, wo du ungläubig und ungehorsam geworden bist, von der Sonne der Gerechtigkeit angeschaut zu werden und Barmherzigkeit zu erlangen. 8. Dafür aber, dass uns dieses Herabschauen der Sonne gemeinsam ist und ich zuerst wegen meines Ungehorsams verachtet war, du aber angesehen warst, jetzt aber dir sogar nicht nur die Verachtung der Sonne, sondern auch eine gewisse, wenn auch nur teilweise Blindheit zuteil geworden ist, führe ich dir als Zeugen den großartigen und des himmlischen Geheimnisses kundigen Paulus an, der so spricht: „Wie nämlich ihr“ – er spricht zweifellos über die Heiden – „einst nicht an Gott geglaubt habt, jetzt aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Unglaubens, so haben auch diese jetzt nicht an die Barmherzigkeit geglaubt, die euch zuteil geworden ist, damit auch sie Barmherzigkeit erlangen.“b Und an anderer Stelle sagt er ebenso: „Ja, Blindheit ist einem Teil in Israel zuteil geworden, bis die Fülle der Heiden eingetreten ist.“c 220 9. Daher also habe ich diese Schwärze an mir, die du tadelst, weil die Sonne wegen meines Unglaubens und Ungehorsams auf mich herabgeschaut hat. Wenn ich aber gerade vor ihr stehe und nicht in irgendeiner Hinsicht krumm bin und weder nach rechts noch nach links abweiche,d sondern meine Füße auf geraden Wegen wandeln,e indem ich der Sonne der Gerechtigkeitf entgegengehe und allen ihren Vorschriften untadelig gerecht werde, dann wird auch sie selbst mich gerade anschauen und es wird keine schiefen Blicke und keinen Grund für Verachtung geben, und dann wird mir mein Licht und mein Glanz zurückgegeben werden und die Schwärze,

wilde Ölbaum, der wider seine Natur auf den edlen Ölbaum der Väter aufgepfropft wird (vgl. Röm. 11,17.24), noch viel mehr fürchten, dass vielleicht auch diese Herde des Herrn zerschlagen wird?“ In den neu gefundenen Psalmenhomilien äußert er sich ähnlich: in Ps. 73 hom. 1,1 (GCS Orig. 13, 225); hom. 2,2 (13, 240). Siehe dazu Fürst, Judentum 284f.

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Hoheliedkommentar

quam nunc exprobratis, ista nigredo, ut etiam lux mundi a merear appellari. 10. Sic ergo sol quidem iste uisibilis ea corpora, quibus a libramine summo insederit, infuscat et urit, ea uero, quae procul sunt et ab ista collibratione longius posita, conseruat in candore suo nec omnino urit ea, sed illuminat; sol uero spiritalis, qui est sol iustitiae, in cuius pennis sanitas b esse dicitur, e contrario eos quidem, quos recti cordis inuenerit et ad libram splendoris sui consistentes, illuminat et omni fulgore circumdat, eos autem, qui obliqui incedunt cum eo, c necessario etiam ipse oblique non tam respicit quam despicit, hoc iis praestante inconstantia sua et instabilitate. 11. Quomodo enim, qui peruersi sunt, possunt suscipere, quod rectum est? Velut si curuo ligno adhibeas aequissimam regulam, uidebitur quidem per regulam argui materiae prauitas, non tamen regula est, quae ligno causam peruersitatis imposuit. 12. Et ideo festinandum est ad uias rectas et standum in semitis uirtutum, ne forte sol iustitiae rectus incedens, si nos obliquos stare inueniat et peruersos, despiciat nos et efficiamur denigrati. In quantum enim incapaces fuerimus lucis eius, in tantum tenebris et nigredini dabimus locum. 13. Hic enim est ipse sol, qui et lux uera illuminans omnem hominem uenientem in hunc mundum, et qui in hoc mundo erat, et mundus per ipsum factus est. d Non enim per istud uisibile lumen mundus factus est, cum et ipsum portio sit mundi, sed per illud uerum lumen, a quo lumine, si nos peruersi incesserimus, despici dicimur. 14. Et ipsum enim nobis peruerse incedentibus peruersum quodammodo incedit, sicut scriptum est in maledictionibus Leuitici: „Et si incesseritis“, inquit, „mecum peruersi et nolueritis oboedire mihi, adiciam uobis plagas septem“ e et post pauca: „Et si non fueritis“, inquit, „emendati, sed incesseritis mecum peruersi, incedam et ego uobiscum peruersus“ f siue, ut in aliis exemplaribus legimus: „Si incesseritis mecum obliqui, et ego incedam uobiscum obliquus.“ Et post aliquanta iterum dicit ad ultimum: „Et quoniam ambulauerunt in conspectu meo obliqui, et ego ambulabo cum iis in furore obliquus.“ g 15. Haec autem assumpsimus, ex quibus probaremus, qualiter despicere, hoc est oblique adspicere, a f

Mt. 5,14 Lev. 26,23f.

b

Mal. 4,2(3,20) Lev. 26,40f.

g

c

Lev. 26,21

d

Joh. 1,9

e

Lev. 26,21

221 Siehe dazu auch in Cant. comm. I 6,11. – Nach diesem Prinzip erklärt Origenes beispielsweise auch die Verstockung Pharaos: Durch das Handeln Gottes wird seine Verstocktheit nicht verursacht, sondern sichtbar gemacht; ihre eigentliche Ursache ist die dem Pharao innewohnende Schlechtigkeit: princ. III 1,10.11 (GCS Orig. 5, 210. 212. 214); siehe dazu unten S. 206 Anm. 224. Ebd. III 1,14 (5, 219) verallgemeinert er dies: „Denn keines Menschen Herz ist von Gott als ,steinernes‘ (vgl. Ez. 11,19) geschaffen, sondern es wird durch seine Schlechtigkeit dazu.“ Übersetzung: p. 511 Görgemanns/Karpp.

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Buch II 2,9–15

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die ihr jetzt tadelt, wird so sehr von mir entfernt werden, dass ich sogar Licht der Welta genannt zu werden verdiene. 10. So also schwärzt und verbrennt diese sichtbare Sonne die Körper, über denen sie im Zenit steht, die hingegen, die fern und weiter von ihrem höchsten Stand entfernt sind, erhält sie in ihrem Glanz und verbrennt sie überhaupt nicht, sondern erleuchtet sie. Die geistige Sonne jedoch, die Sonne der Gerechtigkeit, unter deren Flügeln, wie es heißt, Gesundheit wohnt,b erleuchtet im Gegensatz dazu die, die sie rechten Herzens antrifft und die sich nahe am Zenit ihres Glanzes befinden, und umstrahlt sie mit allem Leuchten. Die aber, die auf schiefen Bahnen vor ihr wandeln,c schaut sie notwendigerweise auch selbst nicht nur schief an, sondern verachtet sie sogar, wobei ihnen dies durch ihre eigene Unbeständigkeit und Unfertigkeit widerfährt. 11. Denn wie können die, die verkrümmt sind, das aufnehmen, was gerade ist? Wenn du zum Beispiel ein schnurgerades Lineal an ein krummes Stück Holz hältst, wird zwar durch das Lineal die Krümmung des Gegenstands sichtbar werden, doch ist es nicht das Lineal, das die Krümmung des Holzes verursachte.221 12. Und deswegen müssen wir zu den geraden Wegen eilen und auf den Pfaden der Tugenden stehen, damit uns nicht etwa die Sonne der Gerechtigkeit, die ja gerade daherkommt, verachtet, wenn sie uns krumm und verkehrt dastehend vorfindet, und wir schwarz werden. Inwieweit wir nämlich unfähig sind, ihr Licht aufzunehmen, insoweit werden wir der Finsternis und der Schwärze Raum geben. 13. Der nämlich ist die Sonne selbst, der auch das wahre Licht ist, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt, und der in dieser Welt war, und die Welt ist durch ihn selbst geworden.d Denn nicht durch dieses sichtbare Licht ist die Welt geworden, da es ja selbst Teil der Welt ist, sondern durch jenes wahre Licht, von dem wir, wie es heißt, verachtet werden, wenn wir verkehrt einherschreiten. 14. Auch es selbst nämlich schreitet uns gewissermaßen verkehrt entgegen, wenn wir verkehrt einherschreiten, wie in den Fluchformeln des Buches Levitikus geschrieben steht: „Und wenn ihr“, heißt es, „mir zuwider verkehrt einherschreitet und mir nicht gehorchen wollt, werde ich euch sieben Schläge zufügen.“e Und etwas später heißt es: „Und wenn ihr euch nicht bessert, sondern mir zuwider verkehrt einherschreitet, werde auch ich euch zuwider verkehrt einherschreiten“,f oder wie wir in anderen Ausgaben lesen: „Wenn ihr mir zuwider krumm einherschreitet, werde auch ich euch zuwider krumm einherschreiten.“222 Und nach einigen anderen Aussagen heißt es wiederum am Schluss: „Und da sie mir zuwider krumm gelaufen sind, werde auch ich ihnen zuwider krumm laufen im Zorn.“g 15. Diese Texte haben wir aber herangezogen, um damit zu zeigen, in welchem Sinne 222 Diese Variante des Textes mit obliquus statt peruersus dürfte eine innerlateinische Varianz darstellen, die Rufinus aus der altlateinischen Tradition beigebracht hat. Vgl. Lawson, ACW 26, 332 Anm. 66.

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sol dicatur. Et euidenter claruit, quod hos despiciat et cum his oblique incedat ac peruerse, qui oblique incedunt cum eo. 16. Sed et hoc, quod admonuit praesens locus, indiscussum non omittamus, quia sol duplicis uidetur esse uirtutis, unius, qua illuminat, alterius, qua adurit, sed pro rebus et materiis subiacentibus aut illuminat aliquid luce aut infuscat et obdurat ardore. 17. Secundum haec ergo fortassis et indurasse dicitur Deus cor Pharaonis, a quod scilicet talis fuerat materia cordis ipsius, quae praesentiam solis iustitiae b non ea parte, qua illuminat, sed ea, qua urit et indurat, exceperit; propter hoc sine dubio, quod et ipse affligebat Hebraeorum uitam in operibus duris et quod luto et latere conficiebat eos. c Et erat utique cor eius secundum ea, quae cogitabat, luteum et limosum. 18. Et sicut materiam luti sol iste uisibilis stringit et indurat, ita sol iustitiae his iisdem radiis, quibus illuminabat populum Istrahel, Pharaonis cor, cui inerant luteae cogitationes, pro ipsis motuum suorum qualitatibus indurabat. 19. Haec autem quod ita se habeant et non communem, ut uidetur hominibus, historiam famulus Dei per Spiritum Sanctum scribat, ostenditur etiam inde, quod, ubi refert ingemuisse filios Istrahel, non dicit a luto neque a latere neque a paleis ingemuisse eos, sed ab operibus, inquit, suis. Et rursus: „Et adscendit“, inquit, „clamor eorum ad Deum“; non dixit: a luto et latere, sed iterum: „ab operibus suis“. d Propter quod et subiungit quia: „Exaudiuit Dominus gemitum ipsorum“, e cum utique non exaudiat eorum gemitum, qui non ex operibus suis clamant ad Dominum. 20. Haec quamuis per excessum dicta uideantur, tamen locorum opportunitate commoniti nequaquam iudicauimus omittenda, maxime cum habeant aliquid similitudinis ad a

Ex. 9,12

b

Mal. 4,2(3,20)

c

Ex. 1,14

d

Ex. 2,23

e

Ex. 2,24

3 Cf. frg. 12 (Philocalia 27,13; Barba`ra App. 5)

223 Vgl. in Ex. hom. 13,4 (GCS Orig. 6, 275): „Das Feuer aber hat eine zweifache Kraft: eine, mit der sie erleuchtet, eine, mit der sie entzündet.“ Vgl. auch in Ios. hom. 4,3 (GCS Orig. 7, 311f.). 224 Origenes bespricht die anstößige biblische Vorstellung von der Verstockung des Pharao ausführlich in princ. III 1,8–11 (GCS Orig. 5, 206–214); siehe dazu Perrone, Il cuore indurito. Er setzt dabei voraus, dass die Ansicht, Gott selbst sei die Ursache dafür, dass der Pharao verstockt wurde, der Güte und Gerechtigkeit Gottes widerspricht (siehe oben S. 204 Anm. 221). Daher erklärt er ebd. III 1,10 (5, 210): Gott „hat dabei nicht die Absicht zu verstocken, sondern er hat eine gute Absicht; diese hat (nur) zur Folge – wegen des Substrats an Schlechtigkeit (auf welches diese gute Absicht bei den Menschen trifft) –, dass die ihnen selbst innewohnende Schlechtigkeit sich verhärtet; und deshalb heißt es, Gott verstocke den, der sich (in seiner Schlechtigkeit) verhärtet.“ Übersetzung: p. 493 Görgemanns/Karpp.

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von der Sonne gesagt wird, sie schaue herab, das heißt, sie schaue schief hin. Und es ist eindeutig klar geworden, dass sie auf jene herabschaut und mit denen krumm und verkehrt einhergeht, die krumm mit ihr einhergehen. 16. Doch auch das, worauf uns die vorliegende Stelle aufmerksam gemacht hat, wollen wir nicht unerörtert lassen, nämlich dass die Sonne offenbar eine zweifache Kraft hat, eine, durch die sie erleuchtet, eine andere, durch die sie verbrennt.223 Doch je nach den vorliegenden Objekten und Materialien erleuchtet sie entweder etwas durch das Licht oder schwärzt und verhärtet es durch die Hitze. 17. Demgemäß heißt es vielleicht also auch, Gott habe das Herz des Pharao verhärtet,a weil nämlich die Materie seines Herzens so beschaffen war, dass sie die Gegenwart der Sonne der Gerechtigkeitb nicht nach der Eigenschaft, durch die sie erleuchtet, sondern nach der, durch die sie verbrennt und verhärtet, aufgenommen hat.224 Ohne Zweifel deswegen geschah es auch, dass er den Hebräern das Leben mit harter Arbeit verleidete und dass er sie mit Lehm und Ziegel zermürbte.c Und sein Herz war gewiss so wie das, was es ersann: lehmig und schlammig. 18. Und wie diese sichtbare Sonne das Material Lehm zusammenzieht und härtet, so verhärtete die Sonne der Gerechtigkeit mit denselben Strahlen, mit denen sie das Volk Israel erleuchtete, das Herz des Pharao, das voller lehmiger Gedanken war, entsprechend der Beschaffenheit seiner Regungen. 19. Dass sich diese Dinge aber so verhalten und der Diener Gottes (sc. Mose) durch den Heiligen Geist nicht eine gewöhnliche Geschichte, wie sie den Menschen erscheint, niederschreibt, zeigt sich auch darin, dass er dort, wo er berichtet, die Kinder Israels hätten aufgeseufzt, nicht sagt, sie hätten wegen des Lehms und des Ziegels und wegen der Spreu aufgeseufzt, sondern wegen ihrer Mühen, wie es heißt. Und erneut heißt es: „Und ihr Schreien stieg auf zu Gott“; es heißt nicht: wegen des Lehms und des Ziegelsteins, sondern erneut: „wegen ihrer Mühen“.d Deshalb fügt er auch hinzu: „Der Herr erhörte ihr Seufzen“,e weil er sicherlich das Seufzen derer nicht erhört, die nicht wegen ihrer Mühen zum Herrn rufen.225 20. Mögen diese Ausführungen auch wie eine Abschweifung erscheinen, meinten wir sie dennoch, da wir aus Anlass dieser Stellen darauf aufmerksam wurden, keinesfalls übergehen zu dürfen, besonders weil sie eine gewisse Ähnlichkeit

225 Zu diesem Seufzen oder Stöhnen zu Gott vgl. in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 242): „Für jeden von uns lebt ein Usija oder ein Pharao, und wir stöhnen nicht auf, während wir ägyptische Sklavenarbeit verrichten. Wenn er aber stirbt, dann stöhnen wir auf, wie es im Buch Exodus heißt (vgl. Ex. 2,23).“ Übersetzung: Fürst/Hengstermann, OWD 10, 195.

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Hoheliedkommentar

hoc, quod dicit haec, quae infuscata est, quia despexerit eam sol, quod utique ostenditur ibi accidere, ubi peccatorum causa praecedit, et ibi infuscari uel aduri aliquem sole, ubi peccati materia subsistit. Vbi uero non est peccatum, sol neque adurere dicitur neque infuscare, sicut de iusto refertur in Psalmis: „Per diem sol non uret te neque luna per noctem.“ a Vides ergo, quia sanctos, in quibus peccatorum causa nulla est, sol numquam adurit. 21. Vt enim diximus, duplicis uirtutis est sol; iustos quidem illuminat, peccatores uero non illuminat, sed adurit, quoniam et ipsi oderunt lucem, quia male agunt. b Denique ob hoc et Deus noster ignis dicitur esse consumens c et nihilominus lux, in quo tenebrae non sunt. d Lux sine dubio iustis et ignis efficitur peccatoribus, ut consumat in iis omne, quod in anima eorum corruptibilitatis aut fragilitatis inuenerit. 22. Quod autem in multis scripturae locis et sol et ignis non iste uisibilis, sed ille inuisibilis et spiritalis dicatur, etiam ipse, si recenseas, abundanter inuenies.

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Hld. 1,6: „Die Söhne meiner Mutter kämpften in mir, sie setzten mich zur Hüterin der Weinberge ein; meinen Weinberg habe ich nicht behütet.“ 3,1. „Filii matris meae dimicauerunt in me, posuerunt me custodem in uineis; uineam meam non custodiui.“ e Adhuc ipsa, quae fusca quidem pro delictis prioribus, formosa uero est pro fide et conuersione, etiam haec dicit asseuerans, quod filii matris suae dimicauerunt non contra eam, sed in ea, et post hoc bellum, quod in ea gesserunt, constituerint eam uinearum custodem, non unius uineae, sed multarum. Adstruit autem haec eadem, quod praeter illas uineas, quas a filiis matris suae custodire posita est, habuerit aliam propriam uineam, quam non custodierit. Haec est propositi dramatis fabula. a

Ps. 120(121),6

b

Joh. 3,20

c

Dtn. 4,24

10 Cf. frg. 11 (Prokop 33; Barba`ra 8)

d

1 Joh. 1,5

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Hld. 1,6

15 Cf. frg. 13 (Prokop 35; Barba`ra 9)

226 Zu diesem „verzehrenden“ Feuer aus Dtn. 4,24, das Origenes in Verbindung mit 1 Kor. 3,11–15 interpretiert, vgl. in Lev. hom. 9,8 (GCS Orig. 6, 432f.); in Is. hom. 4,5f. (GCS Orig. 8, 262); in Hier. hom. 19,8f. (GCS Orig. 32, 190–192); in Hiez. hom. 1,3 (GCS Orig. 8, 323f.). Siehe für diese Stellen von Balthasar, Geist und Feuer 484–491; viele weitere Belege für dieses reinigende Feuer, das der Sünder sich

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Buch II 2,20–3,1

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mit dem haben, was die Frau sagt, die schwarz geworden ist, weil die Sonne auf sie herabgeschaut hat. Daran zeigt sich jedenfalls, dass dies dort geschieht, wo die Ursache dafür, nämlich die Sünden, vorausgeht, und dass jemand dort von der Sonne geschwärzt oder verbrannt wird, wo das Material dafür, die Sünde, vorhanden ist. Wo aber keine Sünde ist, heißt es auch nicht von der Sonne, dass sie verbrennt oder schwärzt, so wie über den Gerechten in den Psalmen gesagt wird: „Tagsüber wird die Sonne dich nicht verbrennen noch der Mond über Nacht.“a Du siehst also, dass die Sonne niemals die Heiligen verbrennt, die die Ursache dafür, nämlich die Sünden, nicht in sich haben. 21. Denn wie wir gesagt haben, besitzt die Sonne eine zweifache Kraft: Die Gerechten erleuchtet sie, die Sünder aber erleuchtet sie nicht, sondern verbrennt sie, da sie auch ihrerseits das Licht hassen, weil sie sich böse verhalten.b Schließlich wird deswegen auch gesagt, unser Gott sei verzehrendes Feuerc und nichtsdestoweniger Licht, in dem keine Finsternis ist.d Licht wird er ohne Zweifel für die Gerechten und Feuer für die Sünder, damit er in ihnen alles verzehrt, was er in ihrer Seele an Verderbtheit und Schwachheit findet.226 22. Dass aber an vielen Stellen der Schrift mit den Worten Sonne und Feuer nicht dieses sichtbare, sondern jenes unsichtbare und geistige Wesen bezeichnet wird, wirst du, wenn du dem nachgehst, auch selbst wieder und wieder finden. 3. Der Kampf der Apostel in der Kirche bzw. in der Seele gegen Unglauben und Laster der jüdischen wie der heidnischen Religion und Kultur

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3,1. „Die Söhne meiner Mutter kämpften in mir, sie setzten mich zur Hüterin der Weinberge ein; meinen Weinberg habe ich nicht behütet.“e Immer noch wird auch dies von der gesagt, die zwar dunkel wegen der früheren Vergehen, jedoch schön wegen des Glaubens und der Bekehrung ist. Sie behauptet, dass die Söhne ihrer Mutter nicht gegen sie, sondern in ihr gekämpft und sie nach diesem Krieg, den sie in ihr geführt haben, zur Hüterin der Weinberge eingesetzt haben, nicht nur eines Weinbergs, sondern vieler. Dieselbe fügt aber hinzu, dass sie außer jenen Weinbergen, die zu behüten sie von den Söhnen ihrer Mutter eingesetzt wurde, noch einen anderen eigenen Weinberg besaß, den sie nicht behütet hat. Dies ist die Handlung des dargestellten Dramas.

in seinem Gewissen selbst entzündet – so in princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 177) –, bei Fürst/Hengstermann, OWD 10, 238f. Anm. 80–82. Origenes wurde damit zum Begründer der Lehre vom Fegefeuer: Anrich, Fegfeuer; Crouzel, Purification eschatologique.

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Hoheliedkommentar

2. Sed nunc requiramus, quae sit mater sponsae huius, quae haec allegat, qui sint etiam alii filii eius, qui dimicauerunt in ea et confecto bello tradiderunt ei uineas, quas custodiret, quasi quae non potuisset eas seruare, nisi ab illis dimicatum fuisset, illa uero suscepta aliarum custodia uinearum propriam uineam uel noluisse uel non potuisse seruare. 3. Ad Galatas scribens Paulus ait: „Dicite mihi, qui sub lege uultis esse, legem non audistis? Scriptum est enim, quia Abraham duos filios habuit, unum ex ancilla et unum de libera. Sed is quidem, qui de ancilla, secundum carnem natus est; qui uero ex libera, secundum repromissionem. Quae sunt allegorica. Haec enim sunt duo testamenta, unum quidem a monte Sina in seruitutem generans, quae est Agar. Sina enim mons est in Arabia, qui confertur huic, quae nunc est Hierusalem et seruit cum filiis suis. Quae autem sursum est Hierusalem, libera est, quae est mater omnium nostrum.“ a 4. Hanc ergo Hierusalem caelestem b dicit esse Paulus et suam et omnium credentium matrem. Denique addit in posterioribus et dicit: „Propter quod, fratres, non sumus filii ancillae, sed liberae, qua libertate liberauit nos Christus.“ c Euidenter igitur Paulus pronuntiat, quod omnis, qui per fidem a Christo consequitur libertatem, filius sit liberae, et hanc dicit sursum Hierusalem liberam, quae est mater omnium nostrum. 5. Huius ergo matris et ipsa haec sponsa filia esse intelligitur et hii, qui dimicauerunt in ea et constituerunt eam uinearum custodem. Vnde uidentur isti, qui tantum potestatis habuerint, ut et bellum gererent in ea et ordinarent eam uinearum custodem, non cuiuscumque humilis aut contemnendi loci fuisse. Possumus ergo apostolos Christi accipere filios matris sponsae, hoc est filios Hierusalem caelestis, qui pugnauerunt prius in ista, quae ex gentibus d congregatur. 6. Pugnauerunt autem, ut uincerent in ea illos, quos prius habuit infidelitatis et inoboedientiae sensus, et omnem elationem extollentem se aduersus scientiam Christi, sicut et Paulus dicit: „Cogitationes destruentes et omnem altitudinem extollentem se aduersus scientiam Christi.“ e Pugnauerunt ergo non aduersus eam, sed in ea, hoc est in sensibus et corde eius, ut destruerent et depellerent omnem infidelitatem, omne uitium omnesque doctrinas, quae ei inter gentes positae falsis sophistarum assertionibus a

Gal. 4,21–26

b

Hebr. 12,22

c

Gal. 4,31–5,1

d

Apg. 15,14

e

2 Kor. 10,4f.

227 Als solche hat Origenes die Braut in Cant. comm. II 1,3 bestimmt: „Die Braut, die hier spricht, steht für die aus den Völkern (vgl. Apg. 15,14) versammelte Kirche“ und diese Deutung ebd. II 1,3–55 ausführlich entfaltet. 228 Zur Kritik des Origenes an ,Sophisten‘ vgl. in Ex. hom. 4,6 (GCS Orig. 6, 178); in Ios. hom. 18,3 (GCS Orig. 7, 408f.); in Iud. hom. 2,3 (GCS Orig. 7, 477). „Der stolze Dünkel der griechischen Beredsamkeit“, wie er in Gen. hom. 10,2 (GCS Orig. 6, 96) kritisch vermerkt, ist „überflüssige Kompositionskunst“: in Rom. comm. VI 3,1 (SC 543, 100). Vgl. auch in Cant. comm. II 5,14; III 17(IV 3),27.

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Buch II 3,2–6

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2. Doch jetzt wollen wir untersuchen, wer die Mutter dieser Braut, die dies vorbringt, ist und wer ihre anderen Kinder sind, die in ihr gekämpft und ihr nach Beilegung des Krieges Weinberge zum Hüten übergeben haben, als ob sie nicht in der Lage gewesen wäre, diese zu bewachen, wenn von jenen nicht gekämpft worden wäre, nach Übernahme der Aufsicht über die anderen Weinberge aber den eigenen Weinberg entweder nicht bewachen wollte oder nicht bewachen konnte. 3. Im Schreiben an die Galater sagt Paulus: „Sagt mir, die ihr dem Gesetz unterstehen wollt, habt ihr das Gesetz nicht gehört? Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien. Doch der, der von der Magd ist, ist gemäß dem Fleisch geboren worden, der von der Freien jedoch gemäß der Verheißung. Diese Aussagen sind allegorisch. Sie sind nämlich die beiden Testamente, eines vom Berg Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, das ist Hagar. Der Sinai ist nämlich ein Berg in Arabien, der verglichen wird mit der, die jetzt Jerusalem ist und mit ihren Söhnen dient. Die aber, die das obere Jerusalem ist, ist frei. Sie ist die Mutter von uns allen.“a 4. Dieses himmlische Jerusalemb also, sagt Paulus, ist sowohl seine als auch aller Gläubigen Mutter. Schließlich fügt er später Folgendes hinzu: „Deshalb, Brüder, sind wir nicht Söhne der Magd, sondern der Freien. Zu dieser Freiheit hat uns Christus befreit.“c Paulus verkündet also unzweideutig, dass jeder, der durch den Glauben von Christus die Freiheit erlangt, ein Sohn der Freien ist, und diese nennt er das obere, freie Jerusalem, das die Mutter von uns allen ist. 5. Als Tochter dieser Mutter also wird sowohl eben diese Braut verstanden als auch die, die in ihr gekämpft und sie zur Hüterin der Weinberge eingesetzt haben. Daher scheinen die, die so viel Macht hatten, dass sie sowohl Krieg in ihr führten als auch sie zur Hüterin der Weinberge einsetzten, nicht von irgendeinem niederen und verächtlichen Stand gewesen zu sein. Wir können also die Söhne der Mutter der Braut als die Apostel Christi auffassen, das heißt als Söhne des himmlischen Jerusalem, die zuvor in der gekämpft haben, die aus den Völkernd versammelt wird.227 6. Sie kämpften aber, um in ihr jene Regungen des Unglaubens und Ungehorsams, die sie früher in sich hatte, und allen Hochmut, der sich gegen die Erkenntnis Christi erhebt, zu besiegen, wie auch Paulus sagt: „Wir zerstören Gedanken und alles Hohe, das sich gegen die Erkenntnis Christi erhebt.“e Sie kämpften also nicht gegen sie, sondern in ihr, das heißt in ihren Sinnen und in ihrem Herzen, um allen Unglauben zu zerstören und zu vertreiben, alle Untugend und alle Lehren, die ihr, solange sie unter den Völkern lebte, durch die falschen Behauptungen der Sophisten228 eingepflanzt worden wa-

Siehe dazu Neuschäfer, Origenes als Philologe 255–257; Fürst, Art. Origenes 498f.

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inoleuerant. 7. Fuit ergo apostolis Christi grande bellum, donec omnes ex ea mendacii turres et muros peruersae doctrinae subruerent, donec iniquitatis argumenta prosternerent et operantes haec ac succendentes in corde eius daemones debellarent. 8. Vbi ergo effugarunt ab ea omnes sensus infidelitatis antiquae, non eam relinquunt otiosam, ne forte per otium rursus antiqua subripiant et redeant, quae depulsa sunt, sed dant ei opus, quod agat, et consignant ei custodiam uinearum. 9. Vineas accipiamus singula quaeque uolumina legis ac prophetarum; erat enim unusquisque eorum sicut ager plenus, quem benedixit Dominus. a Haec ergo isti uiri fortes post uictoriam belli seruanda ei et custodienda consignant; non enim relinquunt eam, ut diximus, otiosam. 10. Sed et euangelica scripta atque ipsorum apostolorum litteras possumus similiter uineas accipere, quas huic, quae ex gentibus congregatur, pro qua etiam dimicauerunt, custodiendas colendasque tradiderunt. 11. Quod uero ait, quia suam propriam uineam non custodierit, b illam possumus eruditionem dicere, qua unusquisque exercebatur ante fidem, quam sine dubio credens Christo relinquit ac deserit et ea, quae sibi lucra uidebantur, ducit propter Christum detrimenta. c Sicut et Paulus gloriatur legis obseruantias et omnem Iudaicae institutionis gloriam fuisse sibi ut stercora tantum, ut in Christo inueniretur non habens suam iustitiam, quae ex lege est, sed iustitiam, quae ex Deo est. d 12. Sicut ergo Paulus accepta Christi fide non custodiuit uineam suam, Iudaicae scilicet traditionis obsequia, et idcirco fortasse non custodiuit, quia, cum plantata esset a Deo uitis uera, conuersa est in amaritudinem uitis alienae e et erat iam „uinea Sodomorum uitis eorum et palmes eorum ex Gomorra et botrus amaritudinis in iis et furor draconum uinum eorum et furor aspidum insanabilis“, f ita et apud gentes erant plurimae huiusmodi doctrinae, quas post illa bella, quibus pro fide et agnitione Christi a doctoribus dimicatum est, puto quod iam criminis loco ducatur, si custodiat aliquis huiusmodi uineas et agrum colat ultra uenenatis et noxiis consitum disciplinis. 13. Nec mireris, si his culpis aliquando fuisse uideatur obnoxia haec, quae ex nationum dispersione colligitur g et Christo sponsa praeparatur. Recordare, quomodo prima mulier seducta est et in praeuaricatione facta, a g

b Gen. 27,27 Hld. 1,6 Ps. 105(106),47; Ez. 11,17

c

Phil. 3,7

d

Phil. 3,8f.

e

Jer. 2,21

f

Dtn. 32,32f.

229 Origenes meint damit wahrscheinlich jene Lehren und Errungenschaften der paganen Kultur, die mit der heidnischen Religion so sehr verknüpft sind, dass sie für Christen keine Beschäftigung zulassen. Denn ansonsten hat er das Studium der Wissenschaften und der philosophischen Lehren der Griechen als Vorbereitung auf die höhere Erkenntnis innerhalb des Christentums energisch propagiert und betrieben. Zu diesem komplexen Verhältnis des Origenes zur antiken Philosophie siehe O’Leary, Christianisme et philosophie 31–88; Fürst, Art. Origenes 507–514. 522–531.

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ren. 7. Es bedeutete also für die Apostel Christi einen großen Kampf, bis sie in ihr alle Türme der Lüge und alle Mauern der verkehrten Lehre niedergerissen, bis sie die Argumente der Ungerechtigkeit niedergeworfen und die Dämonen, die dies in ihrem Herzen bewirkten und entfachten, besiegt hatten. 8. Sowie sie also alle Regungen des alten Unglaubens von ihr vertrieben haben, lassen sie sie nicht müßig zurück, damit sich nicht etwa durch die Muße die alten Laster, die vertrieben worden sind, wieder einschleichen und zurückkehren, sondern sie geben ihr eine Aufgabe, die sie erfüllen soll, und übertragen ihr den Schutz der Weinberge. 9. Die Weinberge wollen wir als die einzelnen Bände des Gesetzes und der Propheten auffassen. Es war nämlich ein jeder von ihnen wie der reiche Acker, den der Herr gesegnet hat.a Diese also haben ihr diese tapferen Männer nach dem Sieg im Kampf zum Behüten und Bewachen übertragen, denn sie ließen sie, wie gesagt, nicht müßig zurück. 10. Aber auch die Evangelienschriften und die Briefe der Apostel selbst können wir desgleichen als Weinberge auffassen, die sie der, die aus den Völkern versammelt wird und für die sie auch gekämpft haben, zum Bewachen und zum Bebauen übergeben haben. 11. Wenn sie aber sagt, dass sie ihren eigenen Weinberg nicht behütet hat,b können wir diesen als die Bildung bezeichnen, in der jeder vor dem Glauben ausgebildet wurde und die ein an Christus Glaubender zweifellos zurücklässt und preisgibt und das, was ihm als Gewinn erschien, um Christi willen für einen Verlust hält.c So rühmt sich auch Paulus, dass die Beachtung des Gesetzes und alle Herrlichkeit des jüdischen Unterrichts ihm nur noch wie Unrat galt, damit er in Christus nicht mit seiner eigenen Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, angetroffen wurde, sondern mit der Gerechtigkeit, die aus Gott kommt.d 12. Wie also Paulus nach der Annahme des Glaubens an Christus seinen Weinberg, nämlich die Befolgung der jüdischen Tradition, nicht behütet, und zwar wahrscheinlich deshalb nicht behütet hat, weil er sich, obwohl er von Gott als wahrer Weinstock gepflanzt worden war, in die Bitterkeit eines fremden Weinstocks verwandelt hate und „ihr Weinstock schon ein Weinberg der Sodomiter war und ihre Weinreben aus Gomorra waren und Weinbeeren der Bitterkeit an ihnen waren und ihr Wein Gift von Drachen und unheilbares Gift von Nattern war“,f so gab es auch bei den Völkern sehr viele derartige Lehren, bei denen es meines Erachtens nach jenen Kämpfen, in denen von den Lehrern für den Glauben und die Erkenntnis Christi gekämpft worden ist, schon wie ein Vergehen anzusehen ist, wenn jemand Weinberge dieser Art behütet und weiterhin einen Acker bebaut, der mit giftigen und schädlichen Lehren besät ist.229 13. Aber wundere dich nicht, wenn sich offenbar die einst dieser Vergehen schuldig gemacht hat, die aus der Zerstreuung der Völker gesammeltg und als Braut für Christus vorbereitet wird. Erinnere dich, wie die erste Frau verführt worden ist und sich verfehlt hat, von der es heißt, dass sie nicht anders gerettet werden kann

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Hoheliedkommentar

quae non aliter salua fieri dicitur nisi per filiorum generationem, illorum dumtaxat, qui permanent in fide et caritate cum sanctitate. a 14. Hoc ergo, quod de Adam et Eua scribitur, sic asseuerat apostolus: „Mysterium magnum est in Christo et in ecclesia“, b qui eam ita dilexit, ut semet ipsum traderet pro ea, cum esset adhuc haec ipsa impia, sicut ipse dixit: „Cum enim adhuc secundum tempus impii essemus, Christus pro nobis mortuus est“ c et iterum: „Quia cum adhuc peccatores essemus, Christus pro nobis mortuus est.“ d Non ergo mirum est, si haec, quae seducta et in praeuaricatione facta est, quae impia secundum tempus fuit et peccatrix, talem dicatur uineam coluisse eo tempore, quo adhuc impia erat, quam relinquere debuerit et nequaquam omnino seruare. 15. Quod si etiam tertium explanationis locum placet exsequi, referamus haec ad unamquamque animam, quae conuersa ad Deum et ad fidem ueniens patitur sine dubio cogitationum pugnas et obluctationes daemonum reuocare eam nitentium ad prioris uitae illecebras uel infidelitatis errores. 16. Sed ne hoc fiat neue rursum daemonibus in ea tantum liceat, prospexit diuina prouidentia, ut paruulis quibusque et his, qui pro semet ipsis aduersus astutias diaboli e et daemonum pugnas dimicare non possunt, utpote infantes adhuc et lactantes f in Christo, daret angelos propugnatores et defensores, qui uelut tutores et procuratores g constituti sunt a Deo eorum, qui infra aetatem positi pro semet ipsis, ut diximus, pugnare non possunt. Et ut hoc maiore cum fiducia agant, conceditur iis semper uidere faciem Patris, qui in caelis est, h et istos puto esse paruulos, quos uenire ad se Iesus iussit et non sinit prohiberi i et quos semper uidere dicit faciem Patris. 17. Nec tibi contrarium uideatur, si eos haec anima, quae ad Deum tendit, matris suae filios j appellat. Si enim animarum mater Hierusalem caelestis k est et angeli nihilominus caelestes nominantur, nihil dissonans uidebitur, si hi, qui similiter ut ipsa a g

b 1 Tim. 2,14f. Eph. 5,32 h Gal. 4,2 Mt. 18,10

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c Röm. 5,6 Mt. 19,14

Röm. 5,8 Hld. 1,6

d j

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e Eph. 6,11 Hebr. 12,22

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230 Für Origenes ist, wie in Matth. comm. XIII 26 (GCS Orig. 10, 252–254) zeigt, die Verbindung der Seele mit ihrem Schutzengel ein Zustand, in dem diese Seele noch nicht die Vollkommenheit erreicht hat. Solange die Seele noch ,klein‘ ist und noch nicht Anteil am Geist der Kindschaft hat, sondern erst am Geist der Knechtschaft und Furcht (vgl. Röm. 8,15), untersteht sie noch der Aufsicht ihres Engels als eines Aufsehers, während sich die vollkommene Seele mit Christus direkt verbindet. Vgl. Strutwolf, Gnosis als System 306. 231 Origenes deutet Mt. 18,10 und 19,14 offenbar so, dass es die Engel der Kleinen sind, die in Mt. 19,13 auf Jesus zukommen und gesegnet werden wollen. Siehe auch in Cant. comm. II 8,8f.34. In orat. 11,1–5 (GCS Orig. 2, 321–324) erläutert Origenes die Funktion dieser aus der jüdischen Tradition stammenden Schutzengel, mit dem

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außer durch das Gebären von Söhnen, von solchen freilich, die im Glauben und in der Liebe mit Heiligkeit verharren.a 14. Das also, was über Adam und Eva geschrieben ist, bekräftigt der Apostel so: „Ein großes Geheimnis gibt es in Bezug auf Christus und die Kirche“,b der sie so sehr liebte, dass er sich selbst für sie dahingab, obwohl sie selbst noch ungläubig war, wie er selbst gesagt hat: „Obwohl wir nämlich zu der Zeit noch ungläubig waren, ist Christus für uns gestorben“;c und erneut: „Denn obwohl wir noch Sünder waren, ist Christus für uns gestorben.“d Es ist also kein Wunder, wenn die, die verführt worden ist und sich verfehlt hat, die zu der Zeit ungläubig und eine Sünderin war, als eine bezeichnet wird, die zu der Zeit, als sie noch ungläubig war, einen solchen Weinberg bestellte, den sie zurücklassen musste und auf gar keinen Fall bewahren durfte. 15. Wenn aber noch eine dritte Möglichkeit der Auslegung ausgeführt werden darf, wollen wir diese Aussagen auf jede Seele beziehen, die, zu Gott bekehrt und zum Glauben kommend, zweifellos Kämpfe der Gedanken und Widerstände der Dämonen erleidet, die mit aller Macht versuchen, sie zu den Verlockungen des früheren Lebens beziehungsweise zu den Irrtümern des Unglaubens zurückzurufen. 16. Doch damit dies nicht geschieht und die Dämonen nicht wieder so große Macht über sie erhalten, hat die göttliche Vorsehung dafür Sorge getragen, dass sie allen Kleinen und denen, die nicht für sich selbst gegen die Verschlagenheiten des Teufelse und die Angriffe der Dämonen kämpfen können, da sie ja noch Kinder und Säuglingef in Christus sind, Engel als Vorkämpfer und Verteidiger an die Seite gestellt, die wie Vormünder und Bevollmächtigteg von Gott über die eingesetzt sind, die, wie gesagt, nicht für sich selbst kämpfen können, da sie noch nicht erwachsen sind.230 Und damit sie diese Aufgabe mit größerer Zuversicht erfüllen, wird ihnen zugestanden, ständig das Angesicht des Vaters, der im Himmel ist, zu schauen.h Und ich glaube, dass diese die kleinen Kinder sind, die Jesus zu sich kommen ließ und die daran zu hindern er nicht zulässti und von denen er sagt, dass sie immer das Angesicht des Vaters schauen.231 17. Und es soll dir nicht widersprüchlich erscheinen, wenn jene Seele, die zu Gott eilt, diese Engel Söhne ihrer Mutterj nennt. Wenn nämlich die Mutter der Seelen das himmlische Jerusalemk ist und die Engel gleichfalls himmlisch genannt werden, wird es nicht ungereimt erscheinen,

Schutzbefohlenen zu beten und seine Gebete zu Gott emporzutragen; vgl. ebd. 11,5 (2, 324): „Der Engel jedes Einzelnen, auch ,der Kleinen‘ in der Kirche, ,der immer in das Angesicht des Vaters schaut, der im Himmel ist‘ (Mt. 18,10), und auf die Gottheit unseres Schöpfers blickt, betet mit uns und unterstützt uns so weit wie möglich bei dem, worum wir bitten.“ Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 143. Vgl. auch Cels. VIII 36 (GCS Orig. 2, 252).

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caelestes sunt, filii ab ea matris appellantur. Super omnia autem congruum uidebitur et conueniens, ut, quibus unus est Deus Pater, a una sit et Hierusalem mater. b 18. Quod uero ait: „Vineam meam non custodiui“, c instituta illa ac mores et propositum, in quo exercebatur secundum ueterem hominem uiuens, indicare uidetur laudabiliter a se non esse seruata, ex quo adiutorio angelorum dimicauit et uicit ac penitus a se fugauit ueterem hominem cum actibus suis d constituta ab iis uinearum custos, sensuum scilicet ac dogmatum diuinorum, ex quibus possit uinum bibere, quod laetificet cor eius. e

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Hld. 1,7: „Lass mich wissen, du, in den sich meine Seele verliebt hat, wo du weidest, wo du am Mittag deine Lagerstätte hast, damit ich nicht etwa werde wie eine, die unter den Herden deiner Gefährten verhüllt ist.“ 4,1. „Annuntia mihi, quem dilexit anima mea, ubi pascis, ubi cubile habes in meridie, ne forte efficiar sicut adoperta super greges sodalium tuorum.“ f Adhuc sponsa loquitur etiam haec, sed ad sponsum et non iam ad filias Hierusalem. Igitur ab initio, ubi ait: „osculetur me“ g usque ad hunc locum: „super greges sodalium“ h cuncta, quae dicta sunt, uerba sponsae sunt. Sed primo sermo eius ad Deum factus est, secundo ad sponsum, tertio ad adulescentulas, inter quas et sponsum media quaedam et, ut se dramatis huius species habet, quasi mesochorus effecta nunc ad illas, nunc ad ipsum, nunc etiam ad filias Hierusalem respondens dirigit uerba. 2. Hos ergo nunc ultimos sermones suos facit ad sponsum requirens ab eo, ubi pascat in meridie, ubi collocet gregem, uerens, ne, dum requirit eum, incurrat in ea loca, ubi sodales sponsi collocatos habent per meridiem greges. 3. Ostenditur autem per haec, quia sponsus hic etiam pastor sit. In superioribus autem didiceramus eum esse et regem, pro eo sine dubio, quod homines regat, pastor est uero pro eo, quod oues pascat, sponsus autem pro eo, quod habeat sponsam, quae cum eo regnet, secundum quod scriptum est: „Adstitit regina a dextris tuis in uestitu deaurato.“ i Haec interim continet dramatis ipsius qui est quasi historicus ordo. a g

1 Kor. 8,6 Hld. 1,2

Gal. 4,26 Hld. 1,7

b h

d Hld. 1,6 Kol. 3,9 Ps. 44(45),10

c i

232 Zum ,alten Menschen‘ siehe in Cant. comm. I 4,3.

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Buch II 3,17–4,3

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wenn die, die ebenso wie sie selbst himmlisch sind, von ihr Söhne der Mutter genannt werden. Über alles hinaus aber wird es passend und angemessen erscheinen, dass für die, deren Vater der eine Gott ist,a auch Jerusalem die eine Mutter ist.b 18. Dass sie aber sagt: „Meinen Weinberg habe ich nicht behütet“,c scheint anzudeuten, dass jene Bräuche und Sitten und die Lebensweise, in der sie ausgebildet wurde, solange sie nach Art des alten Menschen lebte, lobenswerterweise von ihr nicht bewahrt worden ist, seit sie mit Hilfe der Engel gekämpft und gesiegt und den alten Menschen mit seinen Handlungend vollständig von sich weggejagt hat,232 nachdem sie von ihnen zur Hüterin der Weinberge eingesetzt worden war, das heißt der göttlichen Sinne und Lehren, aus denen sie einen Wein trinken kann, der ihr Herz erfreut.e 4. Die Sehnsucht der Seele nach der erquickenden Intimität der Liebe und nach der Schau Gottes in der Fülle der Wahrheit und der Erkenntnis

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4,1. „Lass mich wissen, du, in den sich meine Seele verliebt hat, wo du weidest, wo du am Mittag deine Lagerstätte hast, damit ich nicht etwa werde wie eine, die unter den Herden deiner Gefährten verhüllt ist.“f Auch dies spricht noch immer die Braut, jedoch zum Bräutigam und nicht mehr zu den Töchtern Jerusalems. Von Anfang an also, wo sie sagt: „er küsse mich“,g bis zu dieser Stelle: „unter den Herden der Gefährten“,h sind alle Aussagen, die gemacht werden, Worte der Braut. Doch zuerst richtete sich ihre Rede an Gott, als zweites an den Bräutigam, zum dritten an die Mädchen, wobei sie zwischen diesen und dem Bräutigam sozusagen in der Mitte steht und, wie es sich für die Gattung eines solchen Dramas gehört, gewissermaßen als Chorführerin ihre Antworten mal an jene, mal an ihn selbst, mal auch an die Töchter Jerusalems adressiert. 2. Diese ihre letzten Worte richtet sie also jetzt an den Bräutigam, indem sie ihn fragt, wo er am Mittag weidet, wo er die Herde einpfercht, weil sie befürchtet, dass sie, während sie ihn sucht, an die Orte gerät, wo die Gefährten des Bräutigams ihre Herden über Mittag eingepfercht haben. 3. Daran aber zeigt sich, dass dieser Bräutigam zugleich ein Hirte ist. Weiter oben hatten wir aber gelernt, dass er auch ein König ist,233 ohne Zweifel deshalb, weil er die Menschen regiert. Ein Hirte hingegen ist er deshalb, weil er die Schafe weidet, Bräutigam aber deshalb, weil er eine Braut hat, die mit ihm regiert gemäß dem, was geschrieben steht: „Die Königin stand zu deiner Rechten in einem vergoldeten Gewand.“i Dies ist einstweilen der sozusagen literarische Inhalt des Dramas als solchen. 233 Siehe in Cant. comm. I 5,5.

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4. Nunc autem requiramus intelligentiam mysticam et, si oportet praeuenire paululum ea, quae in posterioribus referenda sunt, quo quis sit affectus horum sodalium pateat, memoremus illud, quod scriptum est, quia reginae sunt sexaginta, sed ex his omnibus una sit columba et una perfecta a ac particeps regni, ceterae uero iam inferiores sunt, quae octoginta appellantur concubinae; adulescentulae autem, quarum numerus nullus est, b post ordinem concubinarum ponuntur. 5. Istae autem omnes differentiae eorum sunt, qui in Christo credentes diuersis ei affectibus sociantur, ut, uerbi gratia, dicamus omnem ecclesiam per aliam figuram corpus esse Christi, c sicut apostolus dicit, in quo corpore diuersa membra pronuntiat et alios esse oculos, alios uero manus, alios etiam pedes et singulos pro operum suorum studiorumque meritis in membra corporis huius aptari. d 6. Secundum hanc ergo speciem etiam haec intelligenda sunt et alias quidem animas putandum est in hoc sponsali dramate, quae magnificentiore affectu sponso atque illustriore sociantur, apud eum reginarum loco et affectu haberi, alias, quarum inferior sine dubio in profectibus et uirtutibus honor est, concubinarum loco duci et alias adulescentularum, quae uidentur extra aulam quidem positae, non tamen extra urbem regiam, posteriores uero et post omnes, quae supra memoratae sunt, esse eas animas, quae oues e appellantur. 7. Si uero perspiciamus attentius, adhuc fortasse etiam harum omnium inueniemus inferiores alias et ultimas omnium, illas scilicet, quae in sodalium eius gregibus numerantur. 8. Et ipsi enim habere greges quosdam dicuntur, in quos non uult sponsa incurrere; et ob hoc petit ab sponso, ut annuntiet sibi, ubi pascat, ubi meridiem faciat, „ne forte“, inquit, „efficiar sicut adoperta super greges sodalium tuorum“. f 9. Quaeritur ergo, sodales isti, qui habere quosdam greges dicuntur, utrum sponso operam dantes et sub ipso uelut pastorum principe g agentes hoc faciant, quoniamquidem sodales eius nominantur, an proprium aliquid et sequestratum habere cupientes et quod non sit cum animo sponsi, quoniamquidem refugit sponsa et ueretur, ne a Hld. 6,8f. Mt. 9,36

f

b Hld. 6,8 Hld. 1,7

g

c 1 Kor. 12,27 1 Petr. 5,4

d

Vgl. 1 Kor. 12,12–31

e

Lk. 15,3–7;

234 Anders legt Origenes Hld. 6,7f. in Num. hom. 20,3 (GCS Orig. 7, 192) aus: Da bezieht er die sechzig Königinnen, achtzig Konkubinen und zahllosen Mädchen auf vielerlei Lehren und die eine Taube auf die „Regel der Wahrheit“ (regula ueritatis), von der nicht abzuweichen „ein großes und wahrhaftes Werk Gottes ist“. 235 Zu diesen Gruppen von Gläubigen siehe Vogt, Kirchenverständnis 206. 236 In Lev. hom. 3,3 (GCS Orig. 6, 305f.) stellt Origenes vier Gruppen von Gläubigen dar, die den hier geschilderten entsprechen: Menschen Gottes, Schafe Gottes, reine und unreine Tiere. Den Königinnen kommen die Menschen Gottes gleich, die die Worte Gottes verstehen, also ein geistiges Verständnis der Schrift besitzen. Den Konkubinen entsprechen die Schafe, die Gottes Stimme hören; sie mühen sich zwar

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4. Jetzt aber wollen wir das mystische Verständnis untersuchen und – wenn ein wenig dem vorgegriffen werden darf, was in späteren Passagen zu behandeln ist, damit klar wird, was die Einstellung dieser Gefährten ist – die Passage erwähnen, wo geschrieben steht, dass es sechzig Königinnen gibt, doch von diesen allen eine einzige die Taube und eine einzige vollkommen ista und an der Königsherrschaft teilhat, es aber noch andere, geringere gibt, die als achtzig Konkubinen bezeichnet werden. Die Mädchen aber, die ohne Zahl sind,b nehmen den Rang nach den Konkubinen ein. 5. Diese alle aber stehen für die verschiedenen Gruppen derer, die an Christus glauben, ihm aber in unterschiedlichen Graden an Zuneigung verbunden sind,234 so dass wir zum Beispiel sagen, dass die Kirche als ganze mit einem anderen Bild der Leib Christi ist,c wie der Apostel sagt, wobei er in diesem Leib verschiedene Glieder benennt und sagt, dass die einen die Augen, andere aber die Hände, andere auch die Füße sind und die einzelnen entsprechend den Verdiensten ihrer Werke und Bemühungen als Glieder in diesen Leib eingefügt werden.d 6. Auf diese Weise also muss man auch diese Aussagen verstehen und annehmen, dass in diesem Hochzeitsdrama einige Seelen, die dem Bräutigam in größerer und klarerer Zuneigung verbunden sind, bei ihm die Stellung und die Zuneigung von Königinnen haben, andere, deren Rang an Fortschritten und Tugenden zweifellos geringer ist, die Stellung von Konkubinen einnehmen und andere die Mädchen sind, die sich zwar außerhalb des Palastes zu befinden scheinen, nicht jedoch außerhalb der königlichen Stadt, dass danach aber und nach allen, die oben genannt worden sind, die Seelen kommen, die Schafee genannt werden.235 7. Wenn wir aber genauer hinschauen, werden wir vielleicht sogar noch Geringere als alle diese und die Geringsten von allen finden, jene nämlich, die zu den Herden seiner Gefährten gezählt werden.236 8. Denn auch von ihnen heißt es, dass sie bestimmte Herden haben, in welche die Braut nicht hineingeraten will. Und deswegen bittet sie den Bräutigam, dass er sie wissen lässt, wo er weidet, wo er den Mittag verbringt, „damit ich“, sagt sie, „nicht etwa werde wie eine, die unter den Herden deiner Gefährten verhüllt ist“.f 9. Es fragt sich also, ob diese Gefährten, von denen es heißt, sie hätten bestimmte Herden, dem Bräutigam zu Diensten sind und unter ihm wie unter dem Führer der Hirteng handeln, wenn sie dies tun, da sie ja seine Gefährten genannt werden, oder ob sie etwas Eigenes und Abgesondertes haben wollen und etwas, was nicht im Sinne des Bräutigams ist, da ja die Braut flieht und befürchtet, in die Herden der Gefährten zu geraten, wähnicht um ein geistiges Verständnis, sind aber ihrem Herrn treu. Die reinen Tiere kommen den Mädchen gleich; diese sind „rein um Christi willen, aber tot aufgrund der Sünde“. Den unreinen Tieren entsprechen die im vorliegenden Text genannten Schafe; sie werden vom Teufel durch die Sünde gefangen gehalten, sind fern von Christus (extra Christum) und haben weder Vernunft noch Glauben.

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forte incurrat sodalium greges, dum sponsum suum requirit. 10. Sed et quod dixit: „ne forte efficiar“ non adoperta, sed „sicut adoperta“, require, ne forte ostendat per haec esse aliquam uel aliquas sodalium quasi sponsas habentes etiam ipsas habitum sponsalem et esse adopertas et, sicut apostolus dicit, uelamen habentes super caput. a 11. Et ut manifestior sermonis huius species fiat, iterum quasi dramatis ordine, quod dicitur, exsequamur. Exposcit ab sponso suo sponsa, ut ei locum secreti sui indicet et quietis, quoniamquidem amoris impatiens etiam per meridiem cupit adire sponsum, eo praecipue tempore, quo clarior lux et splendor diei perfectus et purus est, ut assistat ei oues pascenti uel refrigeranti; et studiose uult uiam discere, qua ire ad eum debeat, ne forte, si non fuerit edocta itineris huius anfractus, incurrat in greges sodalium et uideatur similis esse alicui illarum, quae adopertae ueniunt ad sodales eius nec pudoris curam gerunt aut uerentur passim discurrere et multis apparere. Ego autem, quae a nullo, inquit, alio uideri uolo, nisi a te solo, scire desidero, quo ad te itinere ueniam, ut secretum sit, ut nemo sit medius, ut nullus arbiter peregrinus et alienus occurrat. 12. Et forte ob hoc requirit loca ista, in quibus pascit sponsus oues suas, et ostendit ei uerecundiam suam, pro qua non uult incurrere greges sodalium, ut ille segreget oues suas a sodalibus et seorsum pascat, ut non solum sponsa non uideatur ab aliis, sed et arcanis et ineffabilibus mysteriis sponsi secretius perfruatur. 13. Nunc ergo iam uideamus per singula. Et primo quidem uide, si possumus dicere, quod Dominus, cuius portio erat Iacob et funiculus hereditatis eius Istrahel, b ipse intelligendus sit sponsus, sodales uero eius angeli illi, ad quorum numerum, „cum diuideret excelsus gentes et dispergeret filios Adam, statuit terminos gentium secundum numerum“, ut ait, „angelorum Dei“, c et isti sint fortassis greges sodalium sponsi, gentes scilicet cunctae, quae uelut pecora sub angelis pastoribus constitutae sunt, grex uero sponsi illae dicantur, de quibus ipse in euangelio dicit: „Oues meae uocem meam audiunt.“ d Vide enim et obseruanter intende, quoniam dicit: „oues meae“, quasi sint et aliae oues, quae non sint eius, sicut et ipse in aliis dicit: a

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Dtn. 32,9

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Dtn. 32,8

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237 Eine jüdische Vorstellung aufgreifend, erklärte Origenes Dtn. 32,8f. so, dass Gott die Anzahl der Völker nach der Anzahl der Engel bestimmte und ihnen die Herrschaft über diese übertrug; nur Israel sollte von Gott allein regiert werden: in Gen. hom. 9,3 (GCS Orig. 6, 91); 16,2 (6, 138); in Ex. hom. 8,2 (GCS Orig. 6, 220); in Hiez. hom. 13,1 (GCS Orig. 8, 441); Cels. V 29–31 (GCS Orig. 2, 29–33); ferner in Cant.

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rend sie ihren Bräutigam sucht. 10. Aber auch im Hinblick darauf, dass sie nicht sagte: „dass ich verhüllt werde“, sondern „wie eine werde, die verhüllt ist“, überlege, ob sie damit nicht vielleicht zeigt, dass es eine oder mehrere sogenannte Bräute der Gefährten gibt, die ebenfalls das Aussehen einer Braut haben und verhüllt sind und, wie der Apostel sagt, eine Hülle über dem Kopf haben.a 11. Und damit klarer wird, was diese Rede darstellt, wollen wir das Gesagte erneut nach seiner gleichsam dramatischen Anordnung durchgehen. Die Braut fordert von ihrem Bräutigam, dass er ihr den Ort seiner Abgeschiedenheit und Ruhe bekannt macht, da es sie vor Liebe ungeduldig drängt, auch über Mittag zum Bräutigam zu gehen, also gerade zu der Zeit, da das Licht heller und der Glanz des Tages vollkommen und rein ist, damit sie bei ihm ist, wenn er die Schafe weidet und erquickt. Und voller Eifer will sie den Weg kennenlernen, auf dem sie zu ihm gehen muss, damit sie nicht etwa, wenn sie nicht über die Windungen dieses Weges unterrichtet ist, in die Herden der Gefährten gerät und einer von denen zu gleichen scheint, die verhüllt zu seinen Gefährten kommen und für die Scham keine Sorge tragen oder sich nicht scheuen, überall umherzulaufen und von vielen gesehen zu werden. Ich aber, die ich, sagt sie, von keinem anderen gesehen werden will außer von dir allein, begehre zu wissen, auf welchem Weg ich zu dir komme, damit es geheim bleibt, damit niemand zwischen uns ist, damit kein herumstreunender und fremder Augenzeuge auftaucht. 12. Und vielleicht erfragt sie deshalb die Orte, an denen der Bräutigam seine Schafe weidet, und zeigt ihm ihre Schamhaftigkeit, um derentwillen sie nicht in die Herden der Gefährten geraten will, damit er seine Schafe von den Gefährten trennt und abgesondert weidet, damit die Braut nicht nur von den anderen nicht gesehen wird, sondern auch damit sie die geheimen und unaussprechlichen Mysterien des Bräutigams in größerer Intimität genießt. 13. Jetzt also wollen wir das auch gleich im Einzelnen betrachten. Zuerst allerdings überlege, ob wir sagen können, dass der Herr selbst, dessen Anteil Jakob war und sein Erbteil Israel,b als der Bräutigam zu verstehen ist, seine Gefährten aber als jene Engel, nach deren Zahl „der Höchste, als er die Völker aufteilte und die Söhne Adams zerstreute, die Grenzen der Völker nach der Zahl“, wie es heißt, „der Engel Gottes festlegte“,c und ob diese vielleicht die Herden der Gefährten des Bräutigams sind, nämlich alle Völker, die wie Weidevieh den Hirtenengeln unterstellt sind,237 als Herde des Bräutigams aber jene bezeichnet werden, über die er selbst im Evangelium sagt: „Meine Schafe hören meine Stimme.“d Sieh nämlich und betrachte genau, dass er sagt: „meine Schafe“, als ob es noch andere Schafe gäbe, die nicht seine sind, wie er auch selbst an anderen Stellen sagt: „Ihr seid nicht comm. III 17(IV 3),20. Zu diesen Völkerengeln siehe Danie´lou, Orige`ne 222–235; ders., Sources juives; Monaci Castagno, Art. Angelo delle nazioni.

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Hoheliedkommentar

„Vos non estis de ouibus meis.“ a Quae singula utique huic occulto mysterio conuenienter uidebantur aptari. 14. Quod si haec ita se habent, competenter et sponsa uniuscuiusque sodalium gregem sponsam eius intelligi uoluit, quam adopertam b nominauit. Sed quoniam certa erat, quod super omnes illas ipsa esset, non uult similis uideri alicui illarum, utpote quae sciret tantum se debere praecellere illas sodalium sponsas, uel, ut sponsa nominat, adopertas, quantum eminentiae sponsus suus habeat ad sodales. 15. Sed et pro hoc adhuc uidebitur percontandi causas habuisse, quoniamquidem boni pastoris scit esse studium, ut optima ouibus pascua requirat et ut uiridantia atque opaca quaeque nemora ad requiem meridiani aestus inueniat, quod sodales sponsi facere nesciant nec in eligendis pascuis aut scientiae tantum aut sollicitudinis gerant; et ob hoc dicit: „Annuntia mihi, ubi pascis, ubi cubile habes in meridie“, c cupiens scilicet tempus illud, quo copiosius mundo lumen infunditur, quo merus est dies et purior ac florulentior lux. 16. „Tunc“, inquit, „enuntia mihi, o tu, quem dilexit anima mea, ubi pascis, ubi cubile habes in meridie, ne forte efficiar sicut adoperta super greges sodalium tuorum.“ d Nouo nunc nomine sponsa appellauit sponsum. Sciens enim ipsum esse filium caritatis, immo ipsum esse caritatem, quae ex Deo est, e quasi uocabulum ei istud posuit: „quem dilexit anima mea“. Et tamen non dixit: quem dilexi, sed „quem dilexit anima mea“, sciens non qualicumque dilectione, sed ex tota anima et ex totis uiribus et ex toto corde f habendam esse dilectionem sponsi. 17. „Vbi“, inquit, „pascis et ubi cubile habes?“ g Puto autem, quod et propheta de hoc loco, quem nunc sponsa discere ab sponso desiderat et audire, etiam ipse sub eodem positus pastore dicat: „Dominus regit me“ – siue ut in aliis legimus: „Dominus pascit me“ – „et nihil mihi deerit.“ h 18. Et quoniam sciebat alios pastores uel ignauia uel imperitia faciente greges in locis aridioribus collocare, de hoc optimo pastore Domino dicit: „In loco uiridi, ibi me collocauit; super aquam refectionis educauit me“ i ostendens pastorem hunc non solum abundantes aquas ouibus suis, sed et salubres ac a Joh. 10,26 (Dtn. 6,5)

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b Hld. 1,7 Hld. 1,7

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c Hld. 1,7 Ps. 22(23),1

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e Hld. 1,7 1 Joh. 4,7 Ps. 22(23),2

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Lk. 10,27

238 Vgl. in Cant. hom. 1,8 (GCS Orig. 8, 39): „Ich erfrage keine andere Zeit, wenn du am Abend, wenn du am Morgen, wenn du beim Sonnenuntergang weidest. Nach jener Zeit frage ich, wenn du dich in der Blüte des Tages, wenn du dich bei vollem Licht im Glanz deiner Herrlichkeit befindest.“ 239 Zum Vater, der die Liebe ist, und zum Sohn, der aus ihm stammt und daher ebenfalls die Liebe ist, siehe in Cant. comm. prol. 2,26 und dazu oben S. 76 Anm. 42. Vgl. auch ebd. III 10,7. 240 In der Septuaginta steht in Ps. 22(23),1: KyÂriow poimaiÂnei me – „der Herr weidet mich“ (der Codex Sinaiticus und der Codex Alexandrinus lesen Futur: poimaneiÄ), in

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Buch II 4,13–18

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von meinen Schafen.“a Jede einzelne dieser Aussagen schien sich passend auf dieses verborgene Mysterium beziehen zu lassen. 14. Wenn sich dies aber so verhält, wollte angemessenerweise auch die Braut, dass die Herde jedes einzelnen Gefährten als seine Braut aufgefasst wird, die sie verhülltb nannte. Doch weil sie sicher war, dass sie selbst über jenen allen stand, will sie keiner von jenen ähnlich erscheinen, zumal sie ja wusste, dass sie jene Bräute der Gefährten beziehungsweise, wie die Braut sie nennt, jene Verhüllten so viel überragen musste, wie ihr Bräutigam den Gefährten überlegen war. 15. Aber auch deshalb wird sie anscheinend noch weitere Gründe für ihre Frage gehabt haben, weil sie weiß, dass es das Bestreben eines guten Hirten ist, die besten Weideplätze für die Schafe zu suchen und möglichst grünende und schattige Haine zur Rast in der Mittagshitze zu finden, was die Gefährten des Bräutigams nicht zu tun wissen, die bei der Wahl der Weideplätze nicht so viel Wissen und Sorgfalt an den Tag legen. Und deshalb sagt sie: „Lass mich wissen, wo du weidest, wo du am Mittag deine Lagerstätte hast“,c womit sie sich freilich nach der Zeit sehnt, da das Licht reichlicher auf die Welt ausgegossen wird, da der Tag klar ist und das Licht reiner und strahlender.238 16. „Dann“, sagt sie, „lass mich wissen, oh du, in den sich meine Seele verliebt hat, wo du weidest, wo du am Mittag deine Lagerstätte hast, damit ich nicht etwa werde wie eine, die unter den Herden deiner Gefährten verhüllt ist.“d Mit einem neuen Namen hat die Braut jetzt den Bräutigam angeredet. Weil sie nämlich wusste, dass er der Sohn der Liebe ist, ja sogar selbst die Liebe ist, die aus Gott stammt,e 239 hat sie ihm gleichsam diese Bezeichnung beigelegt: „in den sich meine Seele verliebt hat“. Und gleichwohl hat sie nicht gesagt: in den ich mich verliebt habe, sondern: „in den sich meine Seele verliebt hat“, weil sie wusste, dass der Bräutigam nicht mit irgendeiner beliebigen Art von Liebe, sondern aus ganzer Seele und mit allen Kräften und aus ganzem Herzenf geliebt werden muss. 17. „Wo“, fragt sie, „weidest du und wo hast du deine Lagerstätte?“g Ich glaube aber, dass auch der Prophet, da er selbst auch demselben Hirten untersteht, über diesen Ort, den die Braut jetzt vom Bräutigam zu lernen und zu hören begehrt, sagt: „Der Herr führt mich“ – oder wie wir in anderen Ausgaben lesen: „Der Herr weidet mich“ – „und nichts wird mir fehlen.“h 240 18. Und weil er wusste, dass die anderen Hirten, sei es aus Trägheit, sei es aus Unerfahrenheit, die Herden an trockeneren Orten einpferchen, sagt er über diesen besten Hirten, den Herrn: „An einen grünen Ort, dorthin hat er mich gebracht; zum Wasser der Erquickung hat er mich geführt“,i womit er zeigt, dass dieser Hirte seine Schafe nicht nur mit reichlich, sondern auch mit gesundem und reinem und rundum erquickendem manchen Hanschriften aber: oëdhÂghse me – „er führte mich“. Letzteres (im Futur) ist auch die Übersetzung der Vulgata nach der Septuaginta: Dominus reget me, während sich Hieronymus in der Übersetzung nach dem Hebräischen für pascit entschied.

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Hoheliedkommentar

puras, et quae per omnia reficiant, prouidere. 19. Sed quoniam ab hoc statu, quo ut ouis sub pastore deguerat, conuersus ad rationabilia et celsiora profecit idque adeptus est per conuersionem, subiungit et dicit: „Animam meam conuertit; deduxit me super semitas iustitiae propter nomen suum.“ a 20. Hinc uero quoniamquidem in hoc profecerat, ut iustitiae incederet uias, iustitia autem habet sine dubio impugnantem se iniustitiam et necesse est eum, qui iustitiae iter incedit, habere pugnas aduersantium, fide confisus et spe dicit de iis: „Nam et si ambulem in medio umbrae mortis, non timebo mala, quoniam tu mecum es.“ b 21. Post haec uero, quasi gratias referens ei, qui se pastoralibus imbuerat disciplinis: „Virga“, inquit, „tua et baculus tuus“ – quibus institutus uideor ad pastoris officium – „ipsa me consolata sunt.“ c 22. Hinc uero, ubi se a pastoralibus uidet pascuis ad rationabiles cibos et mystica secreta translatum, addit et dicit: „Parasti in conspectu meo mensam aduersus eos, qui tribulant me; impinguasti in oleo caput meum, et poculum tuum inebrians quam praeclarum est. Et misericordia tua subsequetur me omnibus diebus uitae meae, ut inhabitem in domo Domini in longitudinem dierum.“ d 23. Illa ergo prima, id est pastoralis, institutio initiorum fuit, ut in loco uiridi collocatus super aquam refectionis educaretur. e Haec uero, quae sequuntur, de profectibus et perfectione referuntur. 24. Et quoniam de pascuis et uiriditate proposuimus, conueniens uidetur etiam de euangeliis confirmare, quae dicimus. Inueni etiam ibi pastorem hunc bonum de pascuis ouium disserentem, ubi ad hoc, quod pastorem se profitetur, f etiam ostium se commemorat et dicit: „Ego sum ostium; per me si quis introierit, saluabitur, et ingredietur et egredietur, et pascua inueniet.“ g 25. Hunc ergo etiam nunc sponsa percontatur, ut ab eo audiat et discat, in quibus pascuis oues agat uel in quibus amoenitatibus meridianos procuret aestus, meridiem appellans illa scilicet cordis secreta, quibus clariorem scientiae lucem a Verbo Dei anima consequitur; hoc enim tempus est, quo sol celsiorem circuitus sui uerticem tenet. Si quando ergo et sol iustitiae h Christus ecclesiae suae excelsa et ardua uirtutum suarum secreta manifestat, amoena eam pascua cubiliaque meridiana uidebitur edocere. 26. Nam cum adhuc initia habet discendi et prima, ut ita dicam, ab eo scientiae suscipit rudimenta, tunc dicit propheta: „Et adiuuabit eam Deus mane diluculo.“ i Nunc ergo, quia perfectiora iam quaerit et celsiora desiderat, meridianum a f

Ps. 22(23),3 Joh. 10,11

g

b c Ps. 22(23),4 Ps. 22(23),4 h Joh. 10,9 Mal. 4,2(3,20)

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d Ps. 22(23),5f. Ps. 45(46),6

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Buch II 4,18–26

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Wasser versorgt. 19. Aber weil er sich von diesem Zustand, in dem er wie ein Schaf unter einem Hirten gelebt hatte, vernünftigen und höheren Dingen zuwandte, darin Fortschritte machte und dies durch eine Bekehrung erlangte, fügt er hinzu und sagt: „Er hat meine Seele bekehrt, er führte mich auf den Pfaden der Gerechtigkeit wegen seines Namens.“a 20. Da er jedoch von da aus bis dahin fortgeschritten war, dass er die Wege der Gerechtigkeit beschritt, die Gerechtigkeit aber zweifellos mit der sie bekämpfenden Ungerechtigkeit einhergeht und es für den, der den Weg der Gerechtigkeit beschreitet, unvermeidlich ist, in Kämpfe mit Gegnern zu geraten, sagt er im Vertrauen auf Glaube und Hoffnung über diese Gegner: „Denn auch wenn ich inmitten des Schattens des Todes wandle, werde ich nichts Böses fürchten, denn du bist bei mir.“b 21. Danach jedoch heißt es, als sagte er dem Dank, der ihn in die Aufgaben eines Hirten eingeführt hatte: „Dein Stock und dein Stab“ – durch die ich zum Hirtendienst bestellt zu sein scheine –, „die haben mich getröstet.“c 22. Sowie er daraufhin aber sieht, dass er von den Hirtenweiden zu vernünftigen Speisen und mystischen Geheimnissen geführt worden ist, fügt er hinzu und sagt: „Du hast vor meinen Augen einen Tisch bereitet gegen die, die mich bedrängen. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, und dein Becher, der berauscht, wie vortrefflich ist er! Und deine Barmherzigkeit wird mir alle Tage meines Lebens folgen, damit ich im Hause des Herrn auf lange Zeit wohne.“d 23. Jene erste Unterweisung also, das heißt die zum Hirtendienst, betraf die Anfänge, so dass man, an einen grünenden Ort gebracht, am Wasser der Erquickung erzogen wurde.e Die Dinge jedoch, die folgen, beziehen sich auf die Fortschritte und die Vollendung. 24. Und da wir über grünende Weiden gehandelt haben, scheint es angemessen, auch aus den Evangelien zu bekräftigen, was wir sagen. Ich fand auch dort diesen guten Hirten über die Weiden der Schafe sprechen, wo er sich zu dem, dass er sich als Hirten bezeichnet,f auch Tür nennt und sagt: „Ich bin die Tür. Wer durch mich eintritt, wird gerettet werden, und er wird hinein- und hinausgehen, und er wird Weideplätze finden.“g 25. Diesen also befragt auch jetzt die Braut, um von ihm zu hören und zu lernen, auf welche Weiden er die Schafe führt oder an welchen lieblichen Orten er der Mittagshitze Linderung verschafft, wobei sie als Mittag freilich jene geheimen Orte des Herzens bezeichnet, an denen die Seele vom Wort Gottes ein klareres Licht der Erkenntnis erhält. Dies nämlich ist die Zeit, da die Sonne den höchsten Punkt ihrer Bahn einnimmt. Wenn also einmal auch die Sonne der Gerechtigkeit,h Christus, seiner Kirche die erhabenen und herausragenden Geheimnisse seiner Tugenden offenbart, wird er sie, wie es aussieht, über liebliche Weideplätze und mittägliche Lagerstätten belehren. 26. Denn solange sie noch in den Anfängen des Lernprozesses steckt und sozusagen die ersten Stücke der Erkenntnis von ihm empfängt, da sagt der Prophet: „Und Gott wird ihr helfen in der frühen Morgendämmerung.“i Jetzt also, da sie schon Vollkommeneres sucht und

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Hoheliedkommentar

scientiae lumen exposcit. 27. Hinc puto et Abrahae post multas eruditiones, quibus apparens ei Deus imbuit eum de singulis et edocuit, post haec refertur quia uisus sit ei Deus ad quercum Mambre sedenti ad ostium tabernaculi sui meridie. „Et respiciens“, inquit, „oculis suis uidit; et ecce, tres uiri stabant super eum.“ a 28. Quod si credimus haec per Spiritum Sanctum scripta, non puto frustra placuisse diuino Spiritui, ut etiam tempus et hora uisionis scripturae paginis mandaretur, nisi et horae istius et temporis ratio aliquid conferret ad scientiam filiis Abrahae, quibus utique sicut opera Abrahae facienda, b ita et uisitationes istae sperandae sunt. Qui enim potest dicere: „Nox praecessit, dies autem appropinquauit; sicut in die honeste ambulemus, non in comessationibus et ebrietatibus, non in cubilibus et impudicitiis, non in contentione et aemulatione“, c cum haec omnia transierit, supergressus uidebitur tempus hoc, quod nox praecessit et dies appropinquauit, et festinare non ad initium diei, sed ad meridiem, ut et ipse ad gratiam perueniat Abrahae. 29. Si enim lux, quae in ipso est, mentis et puritas cordis clara fuerit et splendida, iste meridianum tempus in semet ipso habere uidebitur; et per hanc puritatem cordis quasi in meridie positus Deum uidebit sedens ad quercum Mambre, d quod interpretatur a uisione. Apud uisionem ergo sedet in meridie, qui uacat ad uidendum Deum. 30. Inde denique non dicitur intra tabernaculum, sed foris ad ostium sedere tabernaculi. Foris enim est et extra corpus posita mens eius, qui longe est a corporalibus cogitationibus, longe a carnalibus desideriis, et ideo ab his omnibus foris positum uisitat Deus. 31. Eiusdem quoque mysterii est, quod et Ioseph, fratres suos cum suscepisset in Aegypto, meridie eos pascit et in meridie adorant eum cum muneribus. e 32. Propterea denique puto et de his, quae Iudaei in Saluatorem commiserunt, nullum euangelistarum uoluisse scribere, quia meridie haec gesta sint; cum utique sexta hora non aliud quam meridianum a

Gen. 18,1f.

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Joh. 8,39

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Röm. 13,12f.

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Gen. 18,1–3

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Gen. 43,16.25

241 Abraham gilt als Urbild des fortgeschrittenen Gläubigen, und gerade die Stunde seiner Gottesbegegnung ist Ausdruck für seine Vollkommenheit; in Gen. hom. 4,1 (GCS Orig. 6, 51): „Zu Abraham kommen also drei Männer mittags, zu Lot kommen zwei, und abends. Denn Lot war der Stärke des mittäglichen Lichts nicht gewachsen. Abraham hingegen war imstande, den vollen Glanz des Lichts zu ertragen.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 113. So wörtlich schon Philon, quaest. in Gen. IV 30 (II p. 202–205 Mercier). 242 Diese Etymologie stammt offenbar von Philon, migr. Abr. 165 (II p. 300 Cohn/Wendland): MambrhÄ, oÊ metalhfueÁn aÆpoÁ oëraÂsevw kaleiÄtai – „Mamre, was übersetzt ,von der Schau‘ heißt“. Vgl. Wutz, Onomastica sacra 416. Die etwas fragwürdige Etymologie scheint daher zu rühren, dass Mamre vom hebräischen har mit der Präposition ñim abgeleitet wird. Etwas anders deutet Origenes das Wort in Gen. hom. 4,3 (GCS Orig. 6, 53): „,Unter dem Baum von Mamre‘ (Gen. 18,1), sagt die Schrift. ,Mamre‘ wird in unserer Sprache mit ,Gesicht‘ oder ,Scharfsichtigkeit‘

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sich nach Höherem sehnt, verlangt sie nach dem Mittagslicht der Erkenntnis. 27. Von daher glaube ich, dass auch von Abraham nach vielen Unterweisungen, in denen Gott ihn, wenn er ihm erschien, im Einzelnen eingeweiht und belehrt hat, danach berichtet wird, dass ihm Gott erschienen ist bei der Eiche von Mamre, während er mittags am Eingang seines Zeltes saß. „Und aufblickend“, heißt es, „sah er mit seinen eigenen Augen. Und siehe: Drei Männer standen vor ihm.“a 28. Wenn wir aber glauben, dass dieser Text vom Heiligen Geist geschrieben worden ist, glaube ich nicht, dass der göttliche Geist grundlos beschlossen hat, auch die Zeit und die Stunde der Erscheinung den Seiten der Schrift anzuvertrauen, wenn nicht auch die Bedeutung dieser Stunde und dieser Zeit etwas zur Erkenntnis der Kinder Abrahams beitragen würde, die gewiss so, wie sie die Werke Abrahams vollbringen müssen,b auch diese Besuche zu erhoffen haben.241 Denn wer sagen kann: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber herangekommen; wie am Tage wollen wir ehrbar wandeln, nicht in Gelagen und Trunkenheit, nicht in Beischlaf und Unzucht, nicht in Streit und Eifersucht“,c der wird, wenn alle diese Dinge vergangen sein werden, diese Zeit offensichtlich überwunden haben, weil die Nacht vorgerückt und der Tag herangekommen ist, und er wird nicht dem Anfang des Tages entgegeneilen, sondern dem Mittag, damit auch er zur Gnade Abrahams gelangt. 29. Wenn nämlich das Licht des Verstandes, das in ihm ist, und die Reinheit des Herzens klar und leuchtend sind, wird er die Mittagszeit offensichtlich in sich selbst haben. Und wenn er sich durch diese Reinheit des Herzens gleichsam in der Mittagszeit befindet, wird er Gott schauen, während er bei der Eiche von Mamre sitzt,d was übersetzt heißt: von der Schau.242 Bei der Schau also sitzt am Mittag, wer seine Zeit der Schau Gottes widmet. 30. Deshalb wird schließlich nicht gesagt, dass er im Zelt, sondern draußen am Eingang des Zeltes sitzt. Draußen nämlich und außerhalb des Körpers befindet sich der Verstand des Menschen, der weit von körperlichen Gedanken, weit von fleischlichen Begierden entfernt ist, und deswegen besucht Gott den, der sich außerhalb aller dieser Dinge befindet. 31. Es gehört auch zum selben Mysterium, dass auch Josef, nachdem er seine Brüder in Ägypten aufgenommen hat, sie am Mittag weidet und sie ihn am Mittag mit Geschenken ehren.e 32. Deswegen glaube ich schließlich auch, dass über das, was die Juden gegen den Erlöser begangen haben, keiner der Evangelisten schreiben wollte, dass es am Mittag geschehen ist. Obwohl doch die sechste Stunde übersetzt. Siehst du, was für ein Ort das ist, an dem der Herr Mahl halten kann? Ihn erfreuten Abrahams Gesicht und Scharfsichtigkeit. Er war nämlich reinen Herzens, so dass er Gott sehen konnte. An einem solchen Ort also, in einem solchen Herzen kann der Herr mit seinen Engeln Mahl halten.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 117. Wieder anders Hieronymus, int. hebr. nom. p. 8 Lagarde (CChr.SL 72, 69): Mamre diuisio siue perspicuum (stammt dieses diuisio aus de (a) uisione?).

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Hoheliedkommentar

tempus ostendat, nullus tamen meridiem nominauit. Sed Matthaeus quidem ita dicit: „Ab hora autem sexta tenebrae factae sunt super omnem terram usque in horam nonam“, a Lucas uero: „Erat iam quasi hora sexta et tenebrae factae sunt super omnem terram usque in horam nonam deficiente sole“; b sed et Marcus: „Cum autem esset facta hora sexta, tenebrae factae sunt super omnem terram usque in horam nonam.“ c 33. Vnde apparet, quoniam in uisitatione quidem Abrahae et in conuiuio patriarcharum apud Ioseph non indigebat, ut tempus istud sub nomine sexti numeri signaretur, sed ut meridies diceretur. Volebat enim sponsa, quae iam tunc in illis adumbrabatur, discere, ubi pasceret sponsus et ubi haberet cubile, et ideo meridiem nominat. 34. Euangelistae uero in his, quae narrabant, non meridianum tempus, sed horae sextae numerum requirebant, ad enarrandum scilicet sacrificium hostiae eius, quae oblata est in die Paschae pro redemptione hominis, qui in die sexta d formatus est a Deo, posteaquam produxit terra animam uiuam secundum genus, quadrupedia et repentia et bestias terrae. e 35. Ob hoc igitur in praesenti loco illuminari sponsa desiderat pleno scientiae lumine, ne per imperitiam errans in aliquo similis efficiatur illis doctorum scholis, quae non per ipsam Dei sapientiam, sed per sapientiam mundi uel principum huius mundi exercentur. 36. Hoc enim et apostolus dicere uidetur in eo, ubi ait quia: „Loquimur Dei sapientiam in mysterio absconditam, quam nemo principum huius saeculi cognouit.“ f Et iterum haec eadem significat, cum dicit: „Non enim spiritum huius mundi accepimus, sed spiritum, qui ex Deo est, ut sciamus, quae a Deo donata sunt nobis.“ g 37. Ob hoc ergo requirit sponsa Christi meridiana cubilia et plenitudinem scientiae poscit a Deo, ne uideatur esse sicut una ex philosophorum scholis, quae adoperta nominatur pro eo, quod plenitudo ueritatis apud eos tecta est et adoperta. Sponsa autem Christi dicit: „Nos autem reuelata facie gloriam Dei speculamur.“ h a f

Mt. 27,45 1 Kor. 2,7f.

b g

Lk. 23,44 1 Kor. 2,12

c h

Mk. 15,33 2 Kor. 3,18

d

Gen. 1,24–31

e

Gen. 1,24

243 In princ. III 3,1–3 (GCS Orig. 5, 256–260) unterscheidet Origenes im Anschluss an 1 Kor. 2,6–8 zwischen der „Weisheit dieser Welt“ bzw. der „Weisheit der Fürsten dieser Welt“ und der „Weisheit Gottes“. Die „Weisheit dieser Welt“ besteht nach ihm in Erkenntnissen, die „diese Welt“ betreffen. „Sie hat jedoch keine Möglichkeit, über die Gottheit, den Sinn der Welt oder irgendwelche höheren Dinge oder über die Regeln des guten und glücklichen Lebens Aussagen zu machen.“ Die „Weisheit der Fürsten dieser Welt“ dagegen besteht in der „sogenannten Geheimphilosophie der Ägypter, der Astrologie der Chaldäer und Inder, welche das Wissen von den überirdischen Dingen zu lehren versprechen“, aber in Wahrheit Trug und Scheinwissen darstellen: ebd. III 3,2 (5, 257); Übersetzung: p. 589 Görgemanns/Karpp. Diese verschiedenen Lehren der Völker werden dann auf die verschiedenen Völkerengel zurückgeführt (siehe dazu oben S. 220 Anm. 237 zu in

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keine andere Zeit als die Mittagszeit anzeigt, nannte dennoch keiner sie Mittag. Matthäus drückt sich vielmehr so aus: „Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über die ganze Erde bis zur neunten Stunde“,a Lukas hingegen so: „Es war schon ungefähr die sechste Stunde, und eine Finsternis kam über die ganze Erde bis zur neunten Stunde; die Sonne war verschwunden“;b doch Markus ebenso: „Als aber die sechste Stunde gekommen war, kam Finsternis über die ganze Erde bis zur neunten Stunde.“c 33. Von daher wird deutlich, dass es beim Besuch bei Abraham und beim Gastmahl der Patriarchen bei Josef nicht nötig war, jene Zeit mit dem Begriff der Zahl Sechs zu bezeichnen, sondern sie Mittag zu nennen. Die Braut, die schon damals schattenhaft in ihnen angedeutet wurde, wollte nämlich erfahren, wo der Bräutigam weidet und wo er seine Lagerstätte hat, und deshalb verwendet sie das Wort Mittag. 34. Die Evangelisten aber gebrauchten in ihrer Erzählung nicht den Ausdruck ,Mittagszeit‘, sondern die Zahlangabe ,sechste Stunde‘ – natürlich, um die Opferung des Opfers zu erzählen, das am Paschatag dargebracht wurde für die Erlösung des Menschen, der am sechsten Tagd von Gott geformt worden ist, nachdem die Erde Lebewesen nach ihrer Art hervorgebracht hatte, Vierfüßler und Kriechtiere und die Raubtiere der Erde.e 35. Deshalb also sehnt sich die Braut an der vorliegenden Stelle danach, vom vollen Licht der Erkenntnis erleuchtet zu werden, damit sie nicht, weil sie aus Unwissenheit irrt, in irgendeiner Hinsicht jenen Schulen der Lehrer ähnlich wird, wo man nicht durch die Weisheit Gottes selbst, sondern durch die Weisheit der Welt beziehungsweise der Fürsten dieser Welt ausgebildet wird.243 36. Dies scheint nämlich auch der Apostel an der Stelle zu sagen, wo er schreibt: „Wir sprechen von der Weisheit Gottes, die im Mysterium verborgen ist, die keiner der Fürsten dieser Welt erkannt hat.“f Und erneut verweist er auf dasselbe, wenn er sagt: „Wir haben nämlich nicht den Geist dieser Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist.“g 37. Deshalb also fragt die Braut Christi nach den mittäglichen Lagerstätten und fordert von Gott die Fülle der Erkenntnis, damit sie nicht wie eine aus den Schulen der Philosophen aussieht, die deshalb verhüllt genannt wird, weil die Fülle der Wahrheit bei ihnen versteckt und verhüllt ist. Die Braut Christi aber sagt: „Wir aber schauen mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit Gottes.“h Cant. comm. II 4,13). Origenes hält diese Völkerengel aber nicht a priori für böse, denn er fragt sich, ob sie die Völker willentlich und bewusst täuschen oder aber nur das lehren, was sie selbst, die ja gefallene und daher nicht mehr vollkommene Wesen sind, glauben. Er selbst neigt dabei der letzteren Meinung zu: ebd. III 3,3 (5, 258). Auch in der dritten Jesajahomilie (GCS Orig. 8, 253–257) diskutiert Origenes ausführlich den Gegensatz zwischen der Weisheit Christi und der Weisheit dieser Welt bzw. der Fürsten dieser Welt. Siehe auch noch in Cant. comm. III 13,8.

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Hoheliedkommentar

Hld. 1,8: „Wenn du dich nicht erkennst, du gute unter den Frauen, geh hinaus auf den Spuren der Herden und weide deine Böcke bei den Zelten der Hirten!“

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5,1. „Nisi cognoueris te, o bona“ – siue „pulchra“ – „inter mulieres, egredere tu in uestigiis gregum et pasce haedos tuos in tabernaculis pastorum.“ a Vnius ex septem, quos apud Graecos singulares in sapientia fuisse fama concelebrat, haec inter cetera mirabilis fertur esse sententia, qua ait: „Scito te ipsum“ uel „Cognosce te ipsum“. 2. Quod tamen Solomon, quem praecessisse omnes hos tempore et sapientia ac rerum scientia in praefatione nostra docuimus, ad animam quasi ad mulierem sub comminatione quadam loquens dicit: Nisi cognoueris temet ipsam, o pulchra inter mulieres, et agnoueris pulchritudinis tuae causas inde descendere, quod ad imaginem Dei facta es, b per quod inest tibi plurimum naturalis decoris, et agnoueris, quam pulchra eras ex initio, quamuis et nunc iam praecellas ceteras mulieres et pulchra inter eas sola dicaris, tamen, nisi te ipsam cognoueris, quae sis – non enim ex comparatione inferiorum uolo bonam uideri pulchritudinem tuam, sed ex eo, ut tibi ipsi et decori tuo collata atque exaequata respondeas –, quod nisi feceris, iubeo te exire et in ultimis gregum uestigiis collocari et non iam oues neque agnos, sed haedos pascere, illos uidelicet, qui pro prauitate et lasciuia a sinistris staturi sunt regis c iudicio praesidentis. 3. Et cum tibi introductae in cubiculum regium ostenderim, quae summa sunt bona, si a

Hld. 1,8

b

Gen. 1,27

c

Mt. 25,33

1 Cf. frg. 14 (Prokop 45; Barba`ra 10)

244 Während der hebräische Text in Hld. 1,8 einfach lautet: „Wenn du es selbst nicht weißt“, übersetzt die Septuaginta: „Wenn du dich selbst nicht kennst“ (eÆaÁn mhÁ gnv Äì w seaythÂn), und die lateinische Überlieferung folgt dem (nisi cognoueris te) wie auch die Vulgata (si ignoras te). Origenes identifiziert darin aufgrund der ihm vorliegenden Textversion den delphischen Spruch „Erkenne dich selbst!“ (gnv Ä ui saytoÂn) – so auch schon Hippolyt, in Cant. 1,8 frg. 6 (GCS Hippolyt. 1, 345f.) – und schreibt ein ganzes Kapitel zur Selbsterkenntnis, in dem er sie mit der Gottesebenbildlichkeit in Verbindung bringt und in dieser Perspektive ein umfassendes Konzept entwickelt. Einige Blicke in die auf diesen Übersetzungsfehler der Septuaginta zurückgehenden altkirchlichen Auslegungen von Hld. 1,8 (bzw. Hld. 1,7f.) wirft Simke, Cant. 1,7f. (zu Origenes: ebd. 258–261). Einen Aspekt, der im Hoheliedkommentar nicht zur Sprache kommt, erwähnt Origenes im Johanneskommentar, in Ioh. comm. XXXII 28,345f. (GCS Orig. 4, 473): Der Sohn wird verherrlicht (nach Joh. 13,31f.) sowohl, weil er den Vater erkennt, als auch, weil er sich selbst erkennt. Nach dem Zeugnis seines Schülers Gregor Thaumaturgos, pan. Orig. 119–122.140–142 (SC 148,

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Buch II 5,1–3

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5. „Erkenne dich selbst!“ Die Erkenntnis der Regungen und des Wesens der gottesebenbildlichen schönen Seele, die für sich selbst Sorge trägt, als höchste Glückseligkeit

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5,1. „Wenn du dich nicht erkennst,244 du gute“ – oder „schöne“ – „unter den Frauen, geh hinaus auf den Spuren der Herden und weide deine Böcke bei den Zelten der Hirten!“a Von einem der Sieben, deren in der Weisheit überragender Ruhm bei den Griechen gefeiert wird, soll unter anderem dieser wunderbare Spruch stammen, der lautet: „Wisse um dich selbst!“ oder „Erkenne dich selbst!“245 2. Was jedoch Salomo betrifft, von dem wir in unserem Vorwort dargelegt haben, dass er diesen allen zeitlich wie auch an Weisheit und an Erkenntnis der Wirklichkeit vorangeht,246 so sagt er, indem er zur Seele wie zu einer Frau mit einer Art Drohung spricht: Wenn du dich selbst nicht erkennst, du schöne unter den Frauen, und nicht verstehst, dass die Gründe für deine Schönheit daher stammen, dass du nach dem Bild Gottes geschaffen bist,b wodurch dir sehr viel natürliche Anmut innewohnt, und wenn du nicht verstehst, wie schön du von Anfang an warst, obgleich du auch jetzt noch die übrigen Frauen überragst und unter ihnen als einzige schön genannt wirst, wenn du dich dennoch selbst nicht erkennst, wer du bist – denn ich will nicht, dass deine Schönheit im Vergleich mit Geringerem als gut erscheint, sondern weil du dem entsprichst, was dir selbst und deiner Anmut gemäß ist und gleichkommt –, wenn du das nicht tust, befehle ich dir, hinauszugehen und dich bei den hintersten Spuren der Herden aufzuhalten und nicht mehr Schafe noch Lämmer zu weiden, sondern Böcke, jene nämlich, die wegen ihrer Verkehrtheit und Zügellosigkeit zur Linken des Königs stehen werden,c der dem Gericht vorsitzt. 3. Und da ich dir, nachdem du in das königliche Gemach eingeführt worden warst, gezeigt habe, was die höchsten Güter sind, werde ich dir, wenn

144–146. 152–154), bildete die Selbsterkenntnis auch den Ausgangspunkt seines philosophischen Unterrichts. Siehe dazu Courcelle, Connais-toi toi-meˆme 97–101; Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 770–772. 245 Das weit verbreitete gnv Ä ui saytoÂn, dessen Ursprung unbekannt ist und das über dem Eingang des Apollon-Tempels in Delphi gestanden haben soll, wird mal Apollon selbst, mal der Pythia zugeschrieben, aber auch den Sieben Weisen, sei es ihnen allen kollektiv, sei es einzelnen unter ihnen wie Thales von Milet oder Chilon von Sparta (so bei Diogenes Lae¨rtios I 40): Courcelle, Connais-toi toi-meˆme 11. Ursprünglich meinte der Spruch eine Aufforderung, sich als Mensch seiner Begrenztheit und Vergänglichkeit bewusst zu werden, eben ein Mensch, kein Gott zu sein: ebd. 12f. So geben beispielsweise Seneca, cons. ad Marc. 11,3, und Plutarch, E ap. Delph. 394C, den Gehalt des Motivs an, und diese Bedeutung liegt auch bei Minucius Felix, Oct. 5,5f. (p. 3 Kytzler), vor (dazu Fürst, Selbsterkenntnis). 246 Siehe in Cant. comm. prol. 3,4.

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non agnoueris temet ipsam, ostendam tibi etiam, quae sint ultima mala, ut ex utroque proficias, tam malorum metu quam desiderio bonorum. Si enim nescieris temet ipsam et in ignorantia tui uixeris nec scientiae studium gesseris, sine dubio nec tabernaculum proprium habebis, sed per pastorum tabernacula discurres et nunc in huius, nunc in illius pastoris tabernaculis pasces haedos, inquietum animal et uagum ac peccatis deputatum. 4. Haec autem patieris, donec rebus ipsis et experimentis intelligas, quantum mali sit animam nescire semet ipsam neque pulchritudinem suam, per quam praecellit ceteras, non uirgines, sed mulieres, illas scilicet, quae corruptionem passae sunt nec in uirginitatis integritate permanserunt. 5. Haec sunt, quae sponsus post illa omnia, quae locuta fuerat sponsa, austera quadam commonitione sponsae animos ad agnitionis suae curam suscitans per ordinem propositi dramatis dicit. 6. Sed nunc consequenter, ut cetera, ad Christum haec et ad ecclesiam referamus, qui ad sponsam suam, ad animas scilicet credentium, loquens summam salutis et beatitudinis in scientia 〈sui〉 et agnitione constituit. Quomodo igitur anima cognoscat semet ipsam, nec facile puto nec breuiter explicari posse; tamen pro uiribus pauca ex multis aperire temptabimus. 7. Videtur ergo mihi duplici modo agnitionem sui capere animam debere, quidue sit ipsa et qualiter moueatur, id est, quid in substantia et quid in affectibus habeat; 8. ut puta, ut intelligat, si boni affectus sit aut non boni, et recti propositi aut non recti; et si quidem recti sit, si erga omnes uirtutes eundem tenorem habeat, tam in intelligendo quam in agendo, an erga ne-

247 Siehe auch in Cant. comm. II 5,17 und dazu unten S. 238 Anm. 258. Vielleicht liegt, wie Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 356 Anm. 1, annehmen, auch eine Anspielung auf den ,Sündenbock‘ in Lev. 16 vor. 248 Nach in Cant. comm. II 4,1 spricht in Hld. 1,1–7 einzig die Braut. Erst hier kommt in der von Origenes angenommenen dramatischen Textgestaltung der Bräutigam erstmals zu Wort. 249 Die Sorge für sich selbst bzw. die Sorge für die eigene Seele ist seit Platon, Alkib. maior 127d–135e, ein Grundgedanke der antiken Philosophie, die sich wesentlich als Lebensform und Seelenleitung versteht, wie Hadot, Philosophie als Lebensform, aufgezeigt hat. Das Christentum und hierin als erster Origenes hat diese Sorge der Seele um sich selbst und damit verknüpft um Selbsterkenntnis uneingeschränkt übernommen. Siehe dazu Kobusch, Christliche Philosophie 34–40. 250 Im personalen Kirchenbegriff des Origenes, wie er ihn in Cant. comm. I 1,5 grundlegt (dazu oben S. 128 Anm. 134), ist die Kirche identisch mit der Gemeinschaft der an Christus glaubenden Seelen, weshalb die Christusbeziehung der Kirche mit der Christusbeziehung dieser Seelen koinzidiert. 251 Baehrens, GCS Orig. 8, 142.25 mit app. crit., scheint nicht sicher zu sein, ob das von ihm ergänzte sui hier wirklich zu lesen ist oder nicht, ob also von der Erkenntnis allgemein oder von der Selbsterkenntnis der Seele die Rede ist. Im Hinblick auf den

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du dich selbst nicht erkennst, auch zeigen, was die äußersten Übel sind, damit du von beidem profitierst, sowohl von der Furcht vor den Übeln als auch von der Sehnsucht nach den Gütern. Denn wenn du dich selbst nicht kennst und in Unkenntnis deiner selbst lebst und dich nicht dem Streben nach Erkenntnis widmest, wirst du zweifellos auch kein eigenes Zelt haben, sondern durch die Zelte der Hirten irren und mal bei den Zelten dieses, mal bei den Zelten jenes Hirten die Böcke weiden, ein unruhiges, unstetes und für die Sünden bestimmtes Tier.247 4. Dies aber wirst du erleiden, bis du aus der Realität und aus Erfahrung einsiehst, ein wie großes Übel es für die Seele ist, weder sich selbst zu kennen noch die eigene Schönheit, durch die sie die übrigen, nicht Jungfrauen, sondern Frauen, überragt, jene nämlich, die verdorben wurden und nicht in der Unberührtheit der Jungfräulichkeit ausharrten. 5. Das ist es, was der Bräutigam nach all dem, was die Braut gesagt hatte,248 entsprechend der Handlungsfolge des angenommenen Dramas in einer in gewisser Weise strengen Ermahnung der Braut sagt, um die Seelen zur Sorge um die Erkenntnis ihrer selbst aufzufordern.249 6. Doch jetzt wollen wir diese Aussagen wie die übrigen folgerichtig auf Christus und auf die Kirche beziehen, der mit diesen Worten an seine Braut, also an die Seelen der Gläubigen,250 die höchste Stufe des Heils und der Glückseligkeit als Erkenntnis und Kenntnis 〈ihrer selbst〉251 bestimmt hat. Wie also die Seele sich selbst erkennt, kann, glaube ich, weder leicht noch kurz erklärt werden. Dennoch werden wir versuchen, nach Kräften einiges weniges von vielem darzulegen. 7. Mir scheint also, dass die Seele die Erkenntnis ihrer selbst auf zweierlei Weise erlangen muss, nämlich, was sie selbst ist und wie sie sich bewegt, das heißt, was sie hinsichtlich ihres Wesens und was sie hinsichtlich ihrer Affekte ausmacht.252 8. Zum Beispiel soll sie erkennen, ob sie von einem guten oder einem nicht guten Affekt bestimmt wird und von einer rechten oder einer nicht rechten Einstellung; und wenn von einer rechten, ob sie nach allen Tugenden mit derselben Ausdauer

vorangegangenen Kontext und auf den unmittelbar folgenden Satz in Cant. comm. II 5,6, wo gefragt wird, „wie die Seele sich selbst erkennt“, und da der Gedanke ebd. II 5,7 eindeutig mit der Formulierung agnitio sui weitergeführt wird – vgl. auch ebd. II 5,21: sui agnitio; II 5,31: scientia sui agnitioque –, wird man auch an der vorliegenden Stelle sui lesen müssen, wie das auch Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 356, tun. 252 Origenes unterscheidet zwischen dem Wesen der Seele, ihrer oyÆsiÂa, vgl. princ. I praef. 5 (GCS Orig. 5, 11f.), und den Affekten, denen diese Seelensubstanz unterliegt. Das Wesen der Seele liegt in ihrer Unkörperlichkeit und Geistigkeit sowie in ihrer Gottesebenbildlichkeit (vgl. in Cant. comm. II 5,15), die durch die Sünde nicht aufgehoben, sondern nur verdunkelt werden kann. Die Affekte dagegen gehen auf das Verhalten der Seele zurück und sind daher auch durch Handeln veränderbar; vgl. princ. II 10,5 (GCS Orig. 5, 178).

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cessaria tantum et quae in promptu sunt; et utrum in eo sit, ut recipiat profectus et augeatur in intellectu rerum augmentoque uirtutum, an in eo stet et resideat, in quod potuit peruenire; et utrum erga semet ipsam tantummodo excolendam, an et aliis prodesse et conferre aliquid utilitatis uel in uerbo doctrinae uel in exemplis gestorum potest. 9. Si uero cognoscat semet ipsam non esse boni affectus neque recti propositi, in hoc ipso, ut intelligat, utrum satis ei desit et procul a uirtutum uia sit an in ipso iam posita sit itinere et incedere iam conetur cupiens, quae in ante sunt apprehendere et quae retro sunt obliuisci, a sed nondum approximauerit aut proxima quidem sit, nondum tamen ad perfectionem uenerit. 10. Sed et in eo opus uidetur esse animae cognoscentis semet ipsam, si haec ipsa, quae operatur mala, ex affectu ea et studio operetur an fragilitate quadam et, ut ille ait, quasi quod non uult agens et quae odit faciens, b et rursus ea, quae bona sunt, affectibus et recto proposito gerere uidetur. 11. Verbi gratia, si iracundiam apud aliquos quidem cohibet, apud aliquos autem effert, an semper eam cohibet et apud nullum omnino profert. Similiter et tristitiam, si in aliquibus quidem negotiis uincit, in aliquibus uero recipit, an in omnibus omnino non recipit. Ita et timorem aliaque similiter, quae uirtutibus uidentur esse contraria. 12. Adhuc et istud opus est animae cognoscentis se, si gloriae multum cupida sit aut parum aut omnino nihil. Quod inde colligit, si laudibus multum aut mediocriter delectetur aut omnino nihil et si in opprobriis satis aut parum a

Phil. 3,13

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Röm. 7,15

253 Da Christus, wie Origenes, in Cant. comm. I 6,14, sagt, „selbst alle Tugenden ist und diese ihn alle umfassen“, muss die Seele, die sich selbst erkennen will und sich dabei auf Christus ausrichtet, nach allen Tugenden streben. Siehe dazu oben S. 174 Anm. 187. Zu den philosophischen Quellen der Vorstellung von der Einheit aller Tugenden siehe Horn, Antakoluthie der Tugenden. Die Unterscheidung zwischen Tugenden des Denkens und Tugenden des Handelns geht auf Aristoteles, eth. Nic. VI 2, 1139a–b, zurück. Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 358 Anm. 1. 254 Delarue hat hier scire eingefügt, das Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 358, anders als Baehrens, GCS Orig. 8, 143.19, in den Text nehmen. Man könnte dafür auf frg. 14 verweisen, in dem derselbe Gedanke so formuliert ist: ginvÂskei de tiw eëaytoÁn eiÆdvÁw eiÆ … Allerdings taugen die Fragmente bei Prokop, die den Text des Origenes stark zusammenfassen, einerseits nicht für textkritische Fragen, und andererseits ist die Ergänzung von scire im lateinischen Text nicht erforderlich. Der mit si beginnende Nebensatz hängt nämlich nicht in der Luft, wie man meinen könnte, sondern ist auf in eo zu beziehen. Es liegt nicht die Junktur opus esse, „nötig sein“, vor (in der SC-Ausgabe: „l’aˆme … a besoin“, dazu ergänzt: „de savoir“), denn diese wird mit Dativ konstruiert; animae ist aber, wie cognoscentis zeigt, Genitiv, also: „darin scheint eine Aufgabe der Seele zu liegen, ob“, oder man übersetzt so wie oben geschehen. Ganz parallel ist der erste Satz in Cant. comm. II 5,12, wo weder Delarue noch die SC-Ausgabe ein scire ergänzen; das istud dort, worauf sich si bezieht, entspricht dem in eo hier.

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strebt, im Verstehen ebenso wie im Handeln,253 oder nur nach dem Notwendigen und dem, was leicht erreichbar ist, und ob sie in einem Zustand ist, dass sie Fortschritte macht und im Verstehen der Wirklichkeit und im Wachstum der Tugenden zunimmt, oder ob sie darin stillsteht und sich darauf ausruht, wohin sie hat gelangen können, und ob sie nur für ihre eigene Bildung oder auch für die anderen etwas beitragen und ihnen etwas Nützliches in einem Wort der Lehre oder in Beispielen von Taten vermitteln kann. 9. Wenn sie jedoch erkennt, dass sie selbst nicht von einem guten Affekt noch von einer rechten Einstellung bestimmt wird, soll sie in diesem Fall erkennen, ob ihr reichlich viel fehlt und sie weit vom Weg der Tugenden entfernt ist oder ob sie schon auf eben diesem Weg ist und schon versucht, ihn zu beschreiten, in dem Bestreben, das, was vor ihr liegt, zu ergreifen, und das, was hinter ihr liegt, zu vergessen,a dem aber noch nicht näher gekommen ist, oder ob sie zwar schon sehr nahe ist, aber doch noch nicht zur Vollkommenheit gelangt ist. 10. Doch auch damit scheint sich eine sich selbst erkennende Seele befassen zu müssen,254 ob sie eben die bösen Dinge, die sie tut, aus Leidenschaft und mit Eifer tut oder aufgrund einer gewissen Schwäche und so, dass sie, wie jener sagt, gleichsam tut, was sie nicht will, und macht, was sie hasst,b 255 und ob sie andererseits das, was gut ist, aus Leidenschaft und mit der rechten Einstellung zu tun scheint. 11. So ist zum Beispiel zu fragen, ob sie den Zorn gegenüber den einen zügelt, ihm gegenüber anderen aber freien Lauf lässt oder ihn immer zügelt und an überhaupt niemandem auslässt; ähnlich auch bei der Traurigkeit, ob sie sie in manchen Situationen überwindet, in anderen jedoch aufkommen lässt oder sie in überhaupt keinem Fall zulässt; so auch bei der Furcht und ähnlich bei anderen Affekten, die den Tugenden offenbar entgegengesetzt sind. 12. Ferner muss sich eine sich erkennende Seele auch damit befassen, ob sie sehr begierig nach Ruhm ist oder wenig oder überhaupt nicht. Das erschließt sie daraus, ob sie von Lobpreisungen sehr oder mäßig oder überhaupt nicht erfreut wird und ob sie bei Schmähungen stark oder wenig oder überhaupt

255 In seiner Auslegung dieses Verses (und des ganzen Passus Röm. 7,14–25) im Römerbriefkommentar weist Origenes nachdrücklich auf die Schwäche und die „Macht der Gewohnheit“ zum Sündigen hin, die es dem Menschen erschwert, das als Gut erkannte in die Tat umzusetzen: in Rom. comm. VI 9f. (SC 543, 174–194). Siehe dazu Fürst, OWD 7, 50f.; ferner Müller, Willensschwäche 242–284; ders., Willensschwäche und innerer Mensch, der allerdings dazu tendiert, Origenes einen Willen zu unterstellen, der sich gegen das als Gut Erkannte wenden kann. Aus der Sicht des Origenes würde ein solcher Begriff von Willensschwäche jedoch die moralische Verantwortung des Menschen untergraben, die nur an die Erkenntnis der Vernunft gebunden sein kann. Bei Origenes betrifft die Schwäche, wie auch an der vorliegenden Stelle, lediglich (aber da massiv) die Schwierigkeit der Umsetzung des als Gut Erkannten in ein entsprechendes Handeln, ist also ein praktisches Problem.

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aut omnino nihil contristetur. 13. Sed et in dando et accipiendo animae cognoscentis semet ipsam sunt quaedam indicia, si quod tribuit et praebet, utrum communicabili affectu et quasi cui aequitatem haberi inter homines placeat, an, ut ille ait, ex tristitia aut necessitate a uel certe gratiam siue ab accipientibus siue ab audientibus quaerens. Sed et in accipiendo anima, quae cognoscit semet ipsam, obseruabit, utrum indifferenter habeat ea, quae accipit, an uelut super aliquo bono gaudeat. 14. Sed et in intellectu perpensabit semet ipsam huiusmodi anima, ut cognoscat, utrum facile eam moueat cuiuscumque uerisimilitudinis auditio et subripiatur ei arte uel suauitate uel calliditate sermonum an raro hoc an numquam omnino patiatur. 15. Sed sufficiant ista in hoc agnitionis genere a nobis dicta. Possibile est enim uolenti ad horum similitudinem et alia innumera colligere, quibus cognoscere semet ipsam anima probetur et pulchritudinem suam, quam ad imaginem Dei b in conditione suscepit, si reparare aut restituere potuerit, contemplari. 16. Hoc igitur est, quod praesens sermo sub specie mulieris animam docet, ut cognoscat semet ipsam, et ait: „Nisi cognoueris temet ipsam“, c hoc est nisi per haec singula, quae supra memorauimus, duxeris sensus tuos et discretionem singulorum tenueris, quae agenda sint, quae cauenda, quid desit tibi et quid abundet, quid emendandum sit quidue seruandum, sed si uolueris indifferenter agere inter ceteras animas communis uitae hominum, quas hic mulieres appellat, inter quas tu pulchra es, utpote quae iam et oscula Verbi Dei susceperis et cubilis eius arcana perspexeris, si, inquam, non te cognoueris, sed indifferenter et ut communis uulgus agere uolueris, exi in uestigiis gregum, id est esto in reliquo grege, si nihil egregium post haec omnia, quae in te collata sunt, agis neque agnoscens temet ipsam a conuersatione gregali sequestraueris. Et eris non solum in grege, sed in uestigiis gregum; ultimus enim fiet et nouissimus, d qui primatus suos non intellexerit. 17. Et ob hoc iam, ubi scientiam neglexerit, necesse est, ut circumferatur omni uento doctrinae ad deceptionem errorum, e ita ut modo quidem apud a

2 Kor. 9,7

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Gen. 1,27

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Hld. 1,8

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Mt. 19,30

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Eph. 4,14

256 Zur Kritik des Origenes an der Rhetorik siehe in Cant. comm. II 3,6 und dazu oben S. 210 Anm. 228.

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nicht betrübt wird. 13. Doch auch darin, wie eine sich selbst erkennende Seele gibt und nimmt, gibt es gewisse Hinweise darauf, ob sie, wenn sie etwas gibt und schenkt, es mit einer gebefreudigen Einstellung tut und als eine, der es gefällt, dass es Gleichheit unter den Menschen gibt, oder, wie jener sagt, aus Traurigkeit oder Zwanga oder so, dass sie von den Empfängern oder von den Hörern zumindest Dank erwartet. Aber auch im Nehmen wird eine Seele, die sich selbst erkennt, beobachten, ob sie sich gleichgültig gegenüber den Dingen verhält, die sie bekommt, oder ob sie sich darüber wie über irgendein Gut freut. 14. Doch auch beim Akt des Verstehens wird eine derartige Seele sich selbst sehr genau betrachten, um zu erkennen, ob das Hören irgendeiner scheinbaren Wahrheit sie leicht beeindruckt und sie sich von der Kunst oder der Anmut oder der Gewandtheit der Worte hinreißen lässt256 oder ob ihr dies selten oder überhaupt nie passiert. 15. Doch über diese Art der Erkenntnis soll damit von uns genug gesagt sein. Denn jeder, der will, kann noch unzählige andere ähnliche Punkte sammeln, an denen sich erweist, dass eine Seele sich selbst erkennt und ihre Schönheit, die sie nach dem Bild Gottesb bei der Schöpfung empfangen hat, daraufhin betrachtet, inwiefern sie sie erneuern oder wiederherstellen kann. 16. Dies also ist es, was der vorliegende Text der Seele in Gestalt einer Frau lehrt, damit sie sich selbst erkennt. Es heißt: „Wenn du dich selbst nicht erkennst“,c das bedeutet: Wenn du in deinen Gedanken nicht die einzelnen Punkte, die wir oben erwähnt haben, durchgehst und dich nicht im Einzelnen an die Unterscheidung hältst, was du tun, was du meiden musst, was dir fehlt und was du im Übermaß besitzt, was zu verbessern oder was zu bewahren ist, sondern wenn du gleichgültig unter den übrigen Seelen das gewöhnliche Leben der Menschen führen willst, die er hier Frauen nennt, unter denen du schön bist, da du ja sogar schon die Küsse des Wortes Gottes empfangen und die Geheimnisse seines Gemachs geschaut hast, wenn du, sage ich, dich nicht erkennst, sondern gleichgültig und wie der gemeine Pöbel leben willst, dann geh hinaus in den Spuren der Herden, das heißt, halte dich am Ende der Herde auf, wenn du nach all den Gaben, mit denen du überhäuft worden ist, nichts Außergewöhnliches tust und dich nicht dich selbst erkennend von der herdenmäßigen Lebensweise absonderst. Und du wirst nicht nur in der Herde sein, sondern in den Spuren der Herden. Zum letzten nämlich ganz hintend wird werden, wer seine Vorzüge nicht erkennt.257 17. Und schon aus diesem Grund wird sie, wenn sie die Erkenntnis vernachlässigt, unausweichlich von jedem Wind der Lehre zur Täuschung durch Irrtümer hin und hergetrieben,e so dass sie einmal bei jenem Hirten,

257 Zu dieser Stufung der Seelen siehe auch in Cant. comm. I 5,8 und dazu die oben S. 168 Anm. 180 zitierte Stelle aus princ. III 6,6 (GCS Orig. 5, 287f.).

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illum pastorem, id est doctorem Verbi, tabernaculum ponat, nunc uero apud alium; et sic ubique circumfertur pascens non oues, quod est animal simplex, sed haedos, lasciuos scilicet et inquietos sensus atque ad peccatum deputatos, diuersis doctoribus excolens ad hoc ipsum quaesitis; et haec erit poena culpae illius animae, quae se ipsam non studuerit agnoscere et illum solum sequi pastorem, qui animam suam ponit pro ouibus suis. a Haec est una species, qua intelligere semet ipsam anima in affectibus et actibus suis debeat. 18. Illa uero alia pars profundior est et difficilior, qua iubetur anima, quae tamen iam in mulieribus pulchra est, agnoscere semet ipsam. Quod si obtinere potuerit, speret sibi bona omnia; si minus, sciat exeundum sibi post uestigia gregum et pascendum haedos in tabernaculis pastorum b alienorum a se. Videamus ergo et incipiamus pro uiribus etiam huius partis agnitionem discutere. 19. Dicit per prophetam Sermo diuinus: „Illuminate uobis lumen scientiae.“ c Sed et in donis spiritalibus unum et quidem maximum donum est, quod per Spiritum Sanctum ministratur, sermo scientiae; d cuius scientiae opus illud principale est, quod in euangelio secundum Matthaeum quidem ita dicit: „Nemo nouit Filium nisi Pater, neque Patrem quis nouit nisi Filius et cui uoluerit Filius reuelare.“ e In Luca autem ita ait: „Nemo scit, quid sit Filius, nisi Pater, et nemo scit, quid sit Pater, nisi Filius et cui uoluerit Filius reuelare.“ f Secundum Iohannem uero ita scriptum est: „Sicut cognoscit me Pater et ego agnosco Patrem.“ g In quadragesimo uero et quinto psalmo dicit: „Vacate, et cognoscite quoniam ego sum Deus.“ h 20. Igitur principale munus scientiae est agnoscere Trinitatem, secundo uero in loco cognoscere creaturam eius, secundum eum, qui dicebat: „Ipse enim mihi dedit horum, quae sunt, scientiam ueram, substantiam mundi et uirtutem elementorum, initium et finem et medietatem temporum“ i et reliqua. 21. Inter haec ergo erit animae quaedam etiam sui agnitio, per quam scire debet, quae sit eius substantia, utrum corporea an incorporea et utrum simplex an ex duobus uel a g

Joh. 10,11 Joh. 10,15

b

c d Hld. 1,8 Hos. 10,12 1 Kor. 12,8 i Ps. 45(46),11 Weish. 7,17f.

h

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Mt. 11,27

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Lk. 10,22

258 Siehe in Cant. comm. II 5,3. Dieselbe allegorische Deutung der Böcke auf luxuria, libido und lascivia gibt Origenes auch in Ex. hom. 9,4 (GCS Orig. 6, 241) und in Lev. hom. 2,2 (GCS Orig. 6, 290). 259 Diesen Hosea-Vers zitiert Origenes auch als Motto am Schluss des Vorworts seiner Grundlagenschrift: princ. I praef. 10 (GCS Orig. 5, 16). Vgl. ferner in Ioh. comm. I 6,36 (GCS Orig. 4, 11); orat. 11,3 (GCS Orig. 2, 323); in Cant. comm. II 8,15; zum „Licht der Erkenntnis“ siehe auch ebd. III 11,18. 260 Diese Abfolge der Erkenntnisse spiegelt sich auch im Aufbau des systematischen Hauptwerks des Origenes, wo in einem doppelten Durchgang jeweils zuerst Vater, Sohn und Heiliger Geist (princ. I 1,1–4,2; II 4,1–7,4) und dann die Geschöpfe (ebd. I 4,3–II 3; II 7–III 6) behandelt werden.

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das heißt Lehrer des Wortes, ihr Zelt aufschlägt, dann jedoch wieder bei einem anderen. Und so treibt sie sich überall herum, wobei sie nicht Schafe weidet, das heißt ein schlichtes Tier, sondern Böcke, also zügellose und unruhige und für die Sünde bestimmte Gedanken,258 durch verschiedene Lehrer, die sie eben dazu ausgesucht hat, heranzieht. Und das wird die Strafe für die Schuld der Seele sein, die sich nicht bemühte, sich selbst zu erkennen und einzig jenem Hirten zu folgen, der sein Leben für seine Schafe hingibt.a Dies ist die eine Art, wie die Seele sich selbst in ihren Affekten und Handlungen erkennen muss. 18. Jener andere Teil aber reicht tiefer und ist schwieriger: Obwohl sie doch schon schön unter den Frauen ist, wird der Seele darin befohlen, sich selbst zu erkennen. Wenn sie diese Erkenntnis zu erlangen vermochte, mag sie für sich alle Güter erhoffen, wenn nicht, soll sie wissen, dass sie hinausgehen muss, den Spuren der Herden nach, und die Böcke bei den Zelten der Hirten weiden muss,b die ihr fremd sind. Wir wollen also zusehen und beginnen, nach Kräften auch die Erkenntnis dieses Teils zu erörtern. 19. Das göttliche Wort spricht durch den Propheten: „Zündet euch das Licht der Erkenntnis an!“c 259 Doch auch unter den geistigen Gaben ist eine gewiss auch die größte Gabe, die durch den Heiligen Geist dargeboten wird: das Wort der Erkenntnis.d Der hauptsächliche Gegenstand dieser Erkenntnis ist, was im Evangelium nach Matthäus so steht: „Niemand kennt den Sohn außer dem Vater, und keiner kennt den Vater außer dem Sohn und dem der Sohn es offenbaren wollte.“e Bei Lukas aber heißt es so: „Niemand weiß, was der Sohn ist, außer dem Vater, und niemand weiß, was der Vater ist, außer dem Sohn und wem der Sohn es offenbaren wollte.“f Nach Johannes aber steht so geschrieben: „Wie mich der Vater erkennt und ich den Vater erkenne.“g Im 45. Psalm aber heißt es: „Werdet ruhig und erkennt, dass ich Gott bin!“h 20. Also ist die hauptsächliche Aufgabe der Erkenntnis, die Trinität zu erkennen, an zweiter Stelle aber, seine Schöpfung zu erkennen,260 entsprechend dem, der gesagt hat: „Er selbst nämlich gab mir die wahre Erkenntnis der Dinge, die sind, die Substanz der Welt und die Wirkung der Elemente, den Anfang und das Ende und die Mitte der Zeiten“i und so weiter. 21. Darunter wird es also für die Seele gleichsam eine Erkenntnis auch ihrer selbst geben, durch die sie erkennen muss, was ihre Substanz ist,261 ob sie körperlich oder unkörperlich262 und ob sie einfach oder aus zwei oder

261 Diese Fragen betreffen also die Erkenntnis des Wesens der Seele, die Origenes bereits in Cant. comm. II 5,7 angesprochen hat. 262 In princ. I 1,7 (GCS Orig. 5, 23) argumentiert Origenes für die Unkörperlichkeit der Seele, die er immer wieder als selbstverständliches platonisches Erbe voraussetzt: ebd. II 7,1 (5, 86); Cels. VI 71 (GCS Orig. 2, 141); VII 32 (2, 182f.).

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Hoheliedkommentar

tribus an uero ex pluribus composita. 22. Sed et iuxta quorundam quaestiones, utrum facta an omnino a nullo sit facta; et, si facta sit, quomodo facta sit, utrum, ut putant aliqui, in semine corporali etiam ipsius substantia continetur et origo eius pariter cum origine corporis traducitur an perfecta extrinsecus ueniens parato iam et formato intra uiscera muliebria corpore induitur. 23. Et si ita sit, utrum nuper creata ueniat et tunc primum facta, cum corpus uidetur esse formatum, ut causa facturae eius animandi corporis necessitas exstitisse credatur, an prius et olim facta ob aliquam causam ad corpus sumendum uenire aestimetur; et si ex causa aliqua in hoc deduci creditur, quae illa sit causa, ut agnosci possit, scientiae opus est. 24. Sed et illud requiritur, utrum semel tantum corpore induatur et id postmodum depositum ultra non quaerat, an cum semel susceptum deposuerit, iterum assumat; et si secundo, sumptum semper habeat an aliquando iterum abiciat.

263 Origenes geht davon aus, dass der Mensch aus Leib, Seele und Geist besteht: princ. IV 2,4 (GCS Orig. 5, 313): oë aÍnurvpow syneÂsthken eÆk svÂmatow kaiÁ cyxhÄw kaiÁ pneyÂmatow; Cels. II 51 (GCS Orig. 1, 174). Obwohl für Origenes der innere Mensch aus Seele und Geist besteht, lehnt er sowohl die platonische Meinung (vgl. Platon, polit. IV 434d–441c; Phaidr. 246a–b; Tim. 69c–72d) von den drei Seelenteilen ab: princ. III 4,1 (GCS Orig. 5, 263f.) als auch die u.a. von Numenios von Apamea (frg. 44 des Places) vertretene Vorstellung, dass der innere Mensch aus zwei Seelen bestehe, einer göttlichen und einer niederen, wobei letztere die Triebkraft zum Schlechten darstelle: ebd. III 4,1–4 (5, 263–270). 264 Diese als Traduzianismus bekannte These ist in die christliche Theologie von Tertullian eingeführt worden. Sie besagt, die Seele entstehe bei der Zeugung des Menschen aus dem Samen der Seele. Da die Seele ein körperliches Wesen sei, werde auch sie durch einen eigenen körperlichen Seelensamen fortgepflanzt, der vom Samen des menschlichen Leibes zwar unterschieden, aber faktisch mit ihm untrennbar vermischt sei. Der Seelensamen sei nämlich seit der Schöpfung Adams mit dem Körpersamen vermengt worden, so dass nicht nur die Leiber, sondern auch die Seelen der Vererbung unterliegen: Tertullian, an. 27,6–8 (CChr.SL 2, 823f.). Dieser Traduzianismus ist eine eigenständige Synthese aus der stoischen Vorstellung von der Zeugung der Seele aus dem Seelensamen (vgl. Pohlenz, Stoa I, 86) und der biblischen, dass alle Menschen aus Adam hervorgegangen sind. Ausführlich dazu Karpp, Anthropologie 41–91. 265 Tertullian, an. 25,2 (CChr.SL 2, 819), führt dazu aus, dass es eine irrige Meinung sei, dass die Seele erst nach der Geburt in den leblosen Leib eingefügt wird. 266 Das ist der sog. Kreatianismus, der sich in der lateinischen Kirche seit der Spätantike als orthodoxe Lehre etablierte, ohne je als solche dogmatisch fixiert worden zu sein. Siehe Karpp, Anthropologie 92–171. 240f. 267 Das ist die Lehre von der Präexistenz der Seele: Karpp, Anthropologie 186–229. Auch in princ. I praef. 5 (GCS Orig. 5, 13) fragt Origenes, ob die Seele von außen in den Leib eingefügt worden ist, und beantwortet diese Frage ebd. I 7,4 (5, 90f.) in dem Sinne, dass die präexistenten Seelen von außen in den Leib eingesetzt worden sein müssen, weil sonst die Gerechtigkeit Gottes angesichts der verschiedenen Le-

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Buch II 5,21–24

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drei oder aber aus vielen Teilen zusammengesetzt ist.263 22. Doch manche Leute fragen auch, ob sie geschaffen oder überhaupt von niemandem geschaffen worden ist, und wenn sie geschaffen worden ist, wie sie geschaffen worden ist, ob, wie manche meinen, im körperlichen Samen auch ihre Substanz enthalten ist und ihre Entstehung gleichzeitig mit der Entstehung des Körpers herbeigeführt wird264 oder ob sie vollkommen fertig von außen kommt und in den schon vorbereiteten und innerhalb der weiblichen Eingeweide geformten Körper eingefügt wird.265 23. Und wenn dem so sei, ob sie als eine jüngst geschaffene kommt und erst dann entstand, als anscheinend der Körper geformt wurde, so dass man glaubt, der Grund für ihre Erschaffung sei die Notwendigkeit der Beseelung des Körpers gewesen,266 oder ob man meint, dass sie früher und vor langer Zeit entstanden und aus irgendeinem Grund dazu gekommen ist, einen Körper anzunehmen.267 Und wenn man glaubt, dass sie aus irgendeinem Grund in diesen hinabgeführt wird, ist Erkenntnis nötig, um erkennen zu können, was dieser Grund ist.268 24. Doch auch danach wird gefragt, ob sie nur einmal mit einem Körper bekleidet wird und später, wenn sie ihn abgelegt hat, nicht mehr nach ihm fragt,269 oder ob sie, nachdem sie den einmal angenommenen abgelegt hat, ihn wieder annimmt270 und ob sie ihn, wenn sie ihn ein zweites Mal angenommen hat, immer haben wird oder irgendwann einmal wieder ablegen bensschicksale der Menschen nicht verteidigt werden kann: „Was nun den Menschen betrifft: Wie kann die Seele dessen mit dem Körper zusammen gebildet sein, der ,im Mutterleibe seinen Bruder zu Fall brachte‘ (vgl. Gen. 25,22–26), nämlich Jakob? Oder wie kann die Seele dessen mit dem Körper zusammen gebildet sein, der noch ,im Mutterleib vom Heiligen Geist erfüllt wurde‘ (Lk. 1,41)? … Es darf ja nicht scheinen, als erfülle Gott irgendwelche Menschen mit dem Heiligen Geist ohne Urteil und nicht nach ihrem Verdienst, und als heilige er sie ohne Verdienst. Wie würden wir dann dem Wort ausweichen können: ,Gibt es denn Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne!‘ (Röm. 9,14) und: ,Gibt es ein Ansehen der Person vor Gott?‘ (Röm. 2,11). Das wäre nämlich die Folge einer Lehre, nach der die Seelen zusammen mit den Körpern ins Dasein treten.“ Übersetzung: p. 239–241 Görgemanns/Karpp. 268 Der Grund für die Einfügung der Seele in den Leib ist für Origenes der Fall der präexistenten Vernunftwesen, die danach der Erziehung in dieser Welt bedürfen. So spricht er in princ. III 5,4 (GCS Orig. 5, 275) von jenen Seelen, „die wegen der großen Mängel ihrer Intelligenz der dichten und festen irdischen Körper bedurften; und um derer willen, die solches nötig hatten, wurde diese sichtbare Welt eingerichtet.“ Übersetzung: p. 631 Görgemanns/Karpp. 269 Das ist die platonische Ansicht, wie sie sich etwa in der Polemik des Kelsos gegen die christliche Auferstehungslehre ausspricht: Wenn die Seele den Leib einmal verlassen hat, wird sie kaum das Bedürfnis haben, wieder in ihn zurückzukehren, da er für sie eine Last darstellt, ja sogar nach dem berühmten Diktum des Heraklit „Leiber schlimmer als Dung“ sind: Cels. V 14 (GCS Orig. 2, 15). 270 Das beschreibt die allgemeine Auferstehung: Der Seele ist einmalig ein Leib zugeordnet, den sie am Ende der Weltzeit in verklärter Weise erneut annimmt.

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Hoheliedkommentar

Et si quidem secundum auctoritatem scripturarum consummatio immineat mundi et corruptibilis status hic in incorruptibilem commutabitur, a ambiguum non uideri, quod in praesentis uitae statum secundo aut tertio in corpus uenire non possit. Nam si recipiatur hoc, necessario sequitur, ut huiusmodi successionibus consequentibus finem nesciat mundus. 25. Et adhuc in cognitione sui anima requirat, si est aliquis ordo aut sunt aliqui spiritus eiusdem cum ipsa substantiae, alii uero non eiusdem, sed diuersi ab ea, id est, si sunt et alii spiritus rationabiles, ut ipsa est, et alii carentes ratione; et si eadem est ipsius, quae et angelorum substantia, quoniam rationabile a rationabili nequaquam differre creditur, 26. aut si non est quidem talis per substantiam, sed erit talis per gratiam, si meruerit, an non possit omnino similis effici angelis, nisi hoc naturae suae qualitas ac similitudo receperit; reddi enim uidebitur posse, quod amissum est, non tamen conferri id, quod ex initio conditor non dedit. 27. Sed et hoc adhuc in cognoscenda semet ipsa anima requirat, si uirtus animi eius accedere potest et decedere et est mutabilis an acquisita semel ultra non defluit. 28. Et quid opus est plura memorare, quibus ex causis semet ipsam cognoscat anima, ne forte, si neglexerit perfecte semet ipsam cognoscere, exire iubeatur in uestigiis gregum a

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271 Origenes diskutiert die Frage, ob die Vernunftwesen im endgültigen Heil in einer höchsten Form von Körperlichkeit oder aber ganz und gar körperlos sein werden, in princ. II 3,7 (GCS Orig. 5, 125) und überlässt dem Leser die Entscheidung, welche Alternative er für die plausiblere halten will. 272 Damit lehnt Origenes die platonische Seelenwanderungslehre ab und begründet dies mit der biblischen Lehre vom Ende der Welt, das im Rahmen eines Kreises von Wiedergeburten nicht denkbar wäre: in Matth. comm. X 20 (GCS Orig. 10, 27); XI 17 (10, 64); XIII 1 (10, 172–176); Cels. III 75 (GCS Orig. 1, 267); IV 17 (1, 286); IV 83 (1, 354); V 29 (2, 31); V 49 (2, 53f.); VI 36 (2, 105); VII 32 (2, 182); VIII 30 (2, 245f.). 273 Origenes erklärt in princ. III 5,4 (GCS Orig. 5, 275) gegen die valentinianische Naturenlehre, dass alle Vernunftwesen, d.h. Engel, Menschen und Dämonen, die gleiche Natur und den gleichen Ursprung teilen. Gegen die Vorstellung, dass verschiedene Naturen die Verhaltensmöglichkeiten der daran Teilhabenden bestimmen, betont Origenes immer wieder, dass diese Unterschiede nicht Ausdruck einer von Gott (oder verschiedenen Göttern) geschaffenen Natur darstellen, sondern aus den verschiedenen Bewegungen und Willensentscheidungen der präexistenten Vernunftwesen herrühren: ebd. I 8,2 (5, 98); IV 4,9 (5, 362). Vgl. auch die Zitate aus De principiis bei Hieronymus, epist. 124,14 (CSEL 56/1, 116f.). 274 Origenes teilt mit neuplatonischen und gnostischen Denkern die Annahme, dass das endgültige Heil in gewissem Sinne die Wiederherstellung des Anfangszustandes sein wird: princ. I 6,2 (GCS Orig. 5, 119). Da der Mensch, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist, seinen ursprünglichen Zustand verloren hat, ist die Erlösung die „Wiederherstellung“ des verlorenen Anfangszustands der Vernunftwesen. Diese

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wird.271 Und wenn gemäß der Autorität der Schriften die Vernichtung der Welt droht und der jetzige vergängliche Zustand in einen unvergänglichen verwandelt werden wird,a erscheint es nicht zweifelhaft, dass sie im Zustand des gegenwärtigen Lebens nicht ein zweites oder drittes Mal in den Körper kommen kann. Denn wenn man dies annimmt, folgt mit Notwendigkeit, dass die Welt für diese sich aneinanderreihenden Abfolgen kein Ende kennt.272 25. Ferner soll die Seele in ihrer Selbsterkenntnis fragen, ob es irgendeine Gattung oder irgendwelche Geistwesen mit derselben Substanz wie sie gibt, andere aber nicht mit derselben, sondern mit einer von ihr verschiedenen, das heißt, ob es einerseits andere vernünftige Geistwesen wie sie selbst gibt und andererseits andere, die keine Vernunft besitzen, und ob ihre Substanz dieselbe ist wie die der Engel, da man ja glaubt, dass sich Vernunftwesen von Vernunftwesen auf keinen Fall unterscheidet,273 26. oder ob sie ein solches zwar nicht aufgrund ihrer Substanz ist, jedoch aufgrund der Gnade, falls sie es verdient, ein solches sein wird, oder sie den Engeln überhaupt nicht ähnlich werden kann, wenn die Beschaffenheit und Ähnlichkeit ihrer Natur das nicht zulässt, denn anscheinend wird, was verloren worden ist, zurückgegeben, nicht jedoch, was der Schöpfer von Anfang an nicht gegeben hat, übertragen werden können.274 27. Doch auch dies soll die Seele in ihrem Akt der Selbsterkenntnis noch fragen, ob die Tugend ihres Geistes zunehmen und abnehmen kann und veränderlich ist oder einmal erworben nie mehr verschwindet.275 28. Und wozu ist es nötig, noch mehr Gründe zu erwähnen, warum die Seele sich selbst erkennen soll, damit sie nicht etwa, sollte sie vernachlässigt haben, sich selbst vollkommen zu erkennen, befohlen bekommt, hinauszugehen auf den Spuren der Her-

Wiederherstellung der gefallenen Vernunftwesen, die Origenes in ihrem tiefsten Fall sogar als „unvernünftige Vernunftwesen“ (aÍlogoi loÂgoi) bezeichnen kann, ist nur möglich, weil selbst die verdorbensten Wesen noch „Spuren“ (Íixnh) dessen in sich tragen, was Gott ihnen ursprünglich eingepflanzt hat: exhort. mart. 47 (GCS Orig. 1, 42f.). 275 Origenes betont stark den Unterschied zwischen der Unwandelbarkeit des Schöpfers und der Wandelbarkeit der Geschöpfe, der eben in ihrer Kreatürlichkeit bedingt ist; princ. II 9,2 (GCS Orig. 5, 165): Die Vernunftwesen „erhielten eben dadurch, dass sie nicht waren und dann zu sein begannen, notwendigerweise ein wandelbares und veränderliches Sein; denn alles, was ihre Substanz an Tugend enthielt, lag nicht von Natur darin, sondern war durch die Güte des Schöpfers bewirkt.“ Übersetzung: p. 403–405 Görgemanns/Karpp, die allerdings uirtus mit „Kraft“ statt mit „Tugend“ übersetzen (ebenso Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 371, an der vorliegenden Stelle uirtus: „la capacite´“; Lawson, ACW 26, 136: „power“; Simonetti, CTePa 1, 152: „virtu´“). Daher gilt, ebd. I 6,2 (5, 80): „Die Güte war ihnen nicht substantiell eigen, wie Gott, seinem Christus und dem Heiligen Geist. Dieser Dreiheit allein, der Urheberin aller Dinge, ist Güte substantiell eigen, alle anderen haben sie als Hinzukommendes und wieder Wegfallendes.“ Übersetzung: ebd. p. 221.

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et pascere haedos et hoc non in proprio tabernaculo, sed in tabernaculis pastorum, a cum praesto sit uolenti haec persequi largissimas occasiones ex his, quae supra memorauimus, sumere, in quibus exerceri in sermone scientiae b pro uiribus possit? 29. Dicantur uero haec a Verbo Dei etiam ad animam, quae in profectibus quidem posita est, nondum tamen ad summam perfectionis adscendit. Quae pro eo quidem, quod proficit, pulchra c dicitur; ut autem peruenire possit ad perfectionem, fiat ad eam comminatio necessaria; quod nisi per ista singula, quae supra diximus, semet ipsam cognouerit et uigilanter exercuerit in Verbo Dei et lege diuina, continget ei de his singulis opiniones colligere diuersorum et sequi homines nihil egregium, nihil ex Sancto Spiritu locutos. 30. Hoc est enim exire in uestigia gregum et eorum doctrinas sectari, qui et ipsi permanserint peccatores et nullum peccantibus remedium prouidere potuerint. Quos qui sequitur, haedos utique, qui peccatorum indicium tenent, uidebitur pascere circumiens tabernacula pastorum, diuersas scilicet sectas philosophorum. 31. Intuere ergo plenius, quam terribile est, quod sub hac adumbratur figura. „Exi“, inquit, „tu in uestigiis gregum“; d quasi quae intus iam sit anima et intra mysteria collocata, pro eo tamen, quod negligat agnoscere semet ipsam et requirere, quae sit et quid uel quomodo agere debeat quidue non agere, dicitur ei „exi tu“, quasi quae ob hanc desidiae culpam foras mittatur ab eo, qui praeest. Sic ingens animae periculum est scientiam sui agnitionemque negligere. 32. Sed fortasse, quoniam duplicem expositionem dedimus agnitionis suae animae, uidebitur secundum eam quidem, qua de actibus suis discutere negligit et inquirere de profectibus suis aut perscrutari de uitiis, merito ei dici: „Exi“, per quod uideatur quasi de interioribus foras propelli. 33. Si uero secundum editionem aliam, qua diximus, quod naturam substantiamque suam agnoscere debeat et statum, uel in quo fuerit uel in quo erit, graue credatur. Quae enim facile talis anima inuenietur ita perfecta, ita praepotens, cui horum omnium ratio et intelligentia pateat? Ad hoc respondebimus, quoniam sermo, qui habetur in manibus, non ad omnes animas fit neque ad adulescentulas hic loquitur sponsus neque ad ceteras mulieres neque ad octoginta concubinas aut sexaginta rea

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276 Siehe dafür in Cant. comm. II 5,3.17. 277 Zur Kritik des Origenes an der heidnischen Philosophie im Allgemeinen – vgl. dafür auch in Cant. comm. II 1,34; III 17(IV 3),27 – und an einzelnen Philosophenschulen siehe Crouzel, Orige`ne et la philosophie 19–67, und Fürst, Art. Origenes 507–513.

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den und Böcke zu weiden, und dies nicht beim eigenen Zelt, sondern bei den Zelten der Hirten,a wo es doch dem, der dies verfolgen will, leicht möglich ist, aus dem, was wir oben erwähnt haben, die reichlichsten Gelegenheiten zu schöpfen, in denen er sich im Wort der Erkenntnisb nach Kräften üben kann? 29. Dies soll jedoch vom Wort Gottes auch zu der Seele gesagt werden, die sich zwar auf dem Weg des Fortschritts befindet, aber noch nicht zur höchsten Stufe der Vollkommenheit aufgestiegen ist. Diese wird zwar dafür, dass sie vorankommt, schönc genannt. Damit sie aber zur Vollkommenheit gelangen kann, ergeht an sie eine notwendige Warnung: Wenn sie sich nicht in den einzelnen Punkten, die wir oben genannt haben, selbst erkennt und sich wachsam im Wort Gottes und im göttlichen Gesetz übt, wird es ihr widerfahren, dass sie über diese einzelnen Punkte Meinungen von verschiedenen Menschen sammelt und denen folgt, die nichts Herausragendes, nichts vom Heiligen Geist Stammendes gesagt haben. 30. Das nämlich heißt, hinauszugehen in den Spuren der Herden und deren Lehren zu folgen, die sowohl selbst Sünder geblieben sind als auch den Sündern kein Heilmittel bereitzustellen vermochten. Wer diesen folgt, wird anscheinend tatsächlich Böcke, die ein Hinweis auf Sünder sind,276 weiden, indem er sich bei den Zelten der Hirten herumtreibt, das heißt bei den verschiedenen Philosophenschulen.277 31. Betrachte also etwas näher, wie erschreckend das ist, was mit diesem Bild angedeutet wird. „Geh du hinaus“, heißt es, „auf den Spuren der Herden!“d Als würde die Seele, die schon drinnen ist und sich innerhalb der Mysterien befindet, dennoch deswegen, weil sie es vernachlässigt, sich selbst zu erkennen und zu erforschen, wer sie ist und was sie wie zu tun hat beziehungsweise was sie nicht zu tun hat, gesagt bekommen: „Geh du hinaus“, als würde sie wegen dieser Schuld der Trägheit von dem nach draußen geschickt, der ihr vorsteht. So ungeheuer gefährlich ist es für die Seele, die Erkenntnis und Kenntnis ihrer selbst zu vernachlässigen. 32. Doch da wir eine zweifache Erklärung der Selbsterkenntnis der Seele vorgelegt haben, wird es vielleicht scheinen, dass ihr gemäß der Erklärung, nach der sie es vernachlässigt, ihre eigenen Handlungen zu erörtern und ihre Fortschritte zu prüfen oder ihre Laster zu untersuchen, verdientermaßen gesagt wird: „Geh hinaus“, wodurch sie offenbar gleichsam von drinnen nach draußen geworfen wird. 33. Wenn dies jedoch gemäß dem anderen Vorschlag verstanden wird, gemäß dem wir gesagt haben, dass sie ihre Natur und Substanz erkennen muss sowie den Zustand, in dem sie gewesen ist, wie auch den, in dem sie sein wird, wird man das wohl schwer glauben. Wird man denn leicht eine solche Seele finden, die so vollkommen, so genial ist, dass ihr der Sinn und das Verständnis aller dieser Dinge zugänglich sind? Darauf werden wir antworten, dass sich der Text, den wir in Händen halten, nicht an alle Seelen richtet und der Bräutigam hier nicht zu den Mädchen spricht, auch nicht zu den übrigen Frauen und nicht zu den acht-

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ginas, a sed ad illam, quae inter omnes mulieres sola pulchra b dicitur et perfecta. c 34. Vnde apparet ad dilectas quasque animas haec dici, quibus cum gratia multa sentiendi et intelligendi a Deo data sit, negligunt tamen scientiae partes et cognoscendi semet ipsas nullum adhibent studium. His ergo comminatur Sermo diuinus quia, quibus multum datur, multum ex iis exigitur, d et humilis quidem uenia et misericordia dignus erit, potentes autem potenter cruciabuntur. e 35. Si ergo et tu, o anima, quae pulchrior es et eminentior inter ceteros, uerbi gratia, doctores, negligas temet ipsam et in ignorantia tui maneas, quomodo poterunt uel hi, qui aedificari desiderant, instrui uel conuinci et argui contradicentes? Digne ergo cum comminatione quadam ad eam dicitur: „Exi tu in uestigiis gregum et pasce haedos tuos in tabernaculis pastorum.“ f 36. Potest ad hoc trahi etiam illud, quod Moyses scribit, quod, si qua Istraelitica mulier adulterauerit, lapidetur; g si uero filia sacerdotis, ignibus exuratur. h Sic ergo iusta uidebitur esse comminatio in eos, qui capaces esse possunt ad agnitionem et scientiam, sed per desidiam negligunt; in quos iustissima indignatio sponsi est, quia scit unius negligentiam cedere ad damna multorum. i 37. Similis enim uidebitur huiusmodi anima uel illi, qui acceptum denarium abscondit in terram, j ne lucri aliquid ex eo pecuniae dominus acquireret, uel illi, quem occidisse dicitur Deus, quia malignus erat, eum scilicet, qui accepta semina scientiae naturalis posteritati inuidens profundebat in terra. k 38. Pastores l quoque, sicut et ante iam diximus, si quidem ad ecclesiam comminationis hic sermo fit, huius mundi principes m accipiendi sunt uel illi angeli, sub quorum cura reliquae gentes habentur n siue sorte in hoc siue secretioribus quibusdam causis deductae. 39. Si uero ad unamquamque animam comminatio ista referatur, quae semet ipsam negligit agnoscere, sapientes et magistri huius saeculi intelligendi sunt docentes sapientiam huius mundi, o ut in summa hoc intelligatur, quia necesse est animam, eam praecipue, quae bona et pulchra est sensibus et ingenio uigilans, cognoscere semet ipsam et dare operam ad agnitionem sui per exercitia doctrinae et studia diuina ac per hoc agi spiritu Dei et spiritu adoptionis. p 40. Aut si talis haec anima semet ipsam neglexerit et a diuinis studiis deHld. 6,8 Lev. 20,10 m 1 Kor. 2,6 a

g

b

Hld. 1,8 Lev. 21,9 n Dtn. 32,8

h

c i

d e Hld. 6,9 Lk. 12,48 Weish. 6,6 j k Röm. 5,15 Mt. 25,18 Gen. 38,9f. o p 1 Kor. 2,6 Röm. 8,14f.

f l

Hld. 1,8 Hld. 1,8

278 Siehe in Cant. comm. II 4,13, und zu den Völkerengeln oben S. 220 Anm. 237. 279 Erneut legt Origenes hier in II 5,38f. den Text so aus, dass er ihn einerseits auf die Kirche, andererseits auf die Seele bezieht. Während dies aufgrund seines personalistischen Kirchenbegriffs (siehe erneut in Cant. comm. I 1,5 und dazu oben S. 128 Anm. 134) oft koinzidiert, präsentiert er hier zwei Bezugnahmen, einerseits die Fürsten, andererseits die Weisen dieser Welt (beides aus 1 Kor. 2,6) – was freilich

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zig Konkubinen oder sechzig Königinnen,a sondern zu jener, die als einzige unter allen Frauen schönb und vollkommenc genannt wird. 34. Von daher wird deutlich, dass dies zu allen geliebten Seelen gesagt wird, die, obwohl ihnen die Gnade des Denkens und Verstehens von Gott in reichem Maße geschenkt worden ist, dennoch einzelne Aspekte der Erkenntnis vernachlässigen und keine Mühe auf die Erkenntnis ihrer selbst verwenden. Diesen also droht das göttliche Wort an, dass von denen, denen viel gegeben wird, viel gefordert wirdd und der Geringe der Vergebung und des Erbarmens würdig sein wird, die Mächtigen aber mächtig gepeinigt werden.e 35. Wenn also auch du, oh Seele, die du schöner und erhabener bist als andere, zum Beispiel Lehrer, dich selbst vernachlässigst und in der Unkenntnis deiner selbst verharrst, wie werden dann die, die auferbaut werden wollen, unterrichtet werden oder die, die widersprechen, überwunden und widerlegt werden können? Zu Recht also wird mit einer gewissen Drohung zu ihr gesagt: „Geh du hinaus auf den Spuren der Herden und weide deine Böcke bei den Zelten der Hirten!“f 36. Hierauf kann auch jenes, was Mose schreibt, bezogen werden, dass eine Israelitin, wenn sie die Ehe gebrochen hat, gesteinigt,g eine Tochter eines Priesters hingegen mit Feuer verbrannt werden soll.h So also wird die Drohung gegen jene, die für Einsicht und Erkenntnis aufnahmefähig sein können, aber diese aus Trägheit vernachlässigen, gerecht erscheinen. Gegen diese ist der Unwille des Bräutigams höchst gerecht, da er weiß, dass die Nachlässigkeit eines einzigen zum Schaden für viele führt.i 37. Denn eine solche Seele wird entweder dem ähnlich erscheinen, der den empfangenen Denar in der Erde vergrub,j so dass der Herr keinerlei Gewinn aus seinem Geld schöpfte, oder dem, von dem es heißt, Gott habe ihn getötet, weil er missgünstig war – ich spreche von dem, der die Samen der natürlichen Erkenntnis der Nachkommenschaft missgönnte und auf die Erde fallen ließ.k 38. Die Hirtenl sind auch, wie wir oben schon gesagt haben, wenn sich dieses Drohwort an die Kirche richtet, als die Fürsten dieser Weltm zu verstehen oder als jene Engel, unter deren Obhut die übrigen Völker stehen,n sei es, dass sie durch Los, sei es, dass sie aus irgendwelchen verborgeneren Ursachen dahin gelangt sind.278 39. Wenn diese Drohung aber auf jede Seele bezogen wird,279 die ihre Selbsterkenntnis vernachlässigt, sind darunter die Weisen und Lehrer dieser Welt zu verstehen, die die Weisheit dieser Welt lehren,o damit definitiv begriffen wird, dass die Seele und besonders die, die gut und schön ist, weil sie in ihren Sinnen und in ihrem Geist wach ist, sich unbedingt selbst erkennen und sich durch Übungen in der Lehre und durch göttliche Studien um die Selbsterkenntnis bemühen muss und dabei vom Geist Gottes und vom Geist der Kindschaft angetrieben wird.p 40. Sollte aber diese so beschaffene Seele sich selbst vererneut darin übereinkommt, dass die Kirche = die Seelen diesen weltlichen Mächten nicht folgen sollen.

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clinauerit, necesse est eam dare operam studiis mundanis et sapientiae saeculi et agi spiritu huius mundi iterum in timore. Quod designat apostolus, cum dicit: „Nos autem non spiritum huius mundi accepimus, sed spiritum, qui ex Deo est“ a et iterum: „Non enim accepistis spiritum seruitutis iterum in timore, sed accepistis spiritum adoptionis, in quo clamamus: Abba Pater!“ b Haec interim nobis de praesenti loco occurrere potuerunt; nunc iam conuertamur ad consequentia.

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Hld. 1,9: „Meiner Reiterei unter den Streitwagen des Pharao habe ich dich gleich erachtet, meine Gefährtin.“

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6,1. „Equitatui meo in curribus Pharaonis similem te arbitratus sum, proxima mea.“ c Historicus quidem sensus hoc est, quod uidetur ostendere: Sicut, inquit, tunc in Aegypto, cum Pharao persequens populum Istrahel processit in curribus et equitatu d et meus, hoc est sponsi Domini, equitatus longe praecellebat currus Pharaonis et praestantior erat, utpote qui illos superauerit et in mare demerserit, e ita et tu, proxima mea sponsa, praecellis omnes mulieres, similis effecta equitatui meo, qui Pharaonis curribus comparatus potentior utique habetur et magnificentior. Hic interim uidetur ordo esse sermonum ipsorum uerborumque directio. 2. Videamus autem nunc, ne forte secundum intelligentiam mysticam animas, quae sunt sub illo spiritali Pharaone et sub spiritalibus nequitiis positae, currus dicat esse Pharaonis et quadrigas eius, quas ipse agit et ducit ad persequendum populum Dei et ad opprimendum Istrahel. Certum est enim, quia tentationes et tribulationes, quas excitant daemones sanctis, per aliquas animas excitant ad hoc ipsum aptas et conuenientes. Quibus tamquam curribus adscensis exagitant et impugnant uel ecclesiam Dei uel singulos quosque fidelium. 3. De equitatu uero Domini, quis sit eius iste equitatus, in a

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Röm. 8,15

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Hld. 1,9

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Ex. 14,9f.

e

Ex. 14,27f.

280 Vgl. dazu auch in Cant. hom. 1,10 (GCS Orig. 8, 41). 281 Vgl. in Ex. hom. 6,2 (GCS Orig. 6, 193): „Alle also, die die Heiligen verfolgen, sind wiehernde Pferde, sie haben als Reiter, die sie lenken, böse Engel; deshalb sind sie wild. Wenn du also einmal deinen Verfolger allzu sehr wüten siehst, dann wisse, dass er von einem dämonischen Reiter angetrieben wird und aus diesem Grund wütend und grausam ist.“ Übersetzung: p. 111 Heither. Vgl. ferner in Ios. hom. 15,3 (GCS Orig. 7, 384f.); sel. in Ps. 75(76),6 (XIII p. 16 Lommatzsch). In Is. hom. 1,1 (GCS

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nachlässigt und von den göttlichen Studien abgewandt haben, bemüht sie sich unausweichlich um weltliche Studien und die Weisheit der Welt und wird vom Geist dieser Welt angetrieben, erneut in Angst. Darauf verweist der Apostel, wenn er sagt: „Wir aber haben nicht den Geist dieser Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist.“a Und noch einmal: „Denn ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, erneut in Angst, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“b Diese Überlegungen vermochten uns einstweilen zur vorliegenden Stelle in den Sinn zu kommen. Jetzt wollen wir uns den folgenden Passagen zuwenden. 6. Die Seele zwischen der dämonischen Versuchung zur Sünde und dem Vorbild der vollkommenen Seele Christi

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6,1. „Meiner Reiterei unter den Streitwagen des Pharao habe ich dich gleich erachtet, meine Gefährtin.“c Der Sinn der Erzählung besteht offenbar darin, Folgendes zu zeigen: Wie, sagt er, damals in Ägypten, als der Pharao bei der Verfolgung des Volkes Israel mit Streitwagen und Reiterei vorrückted und meine, das heißt des Bräutigams und Herrn, Reiterei bei weitem die Streitwagen des Pharao übertraf und ihnen überlegen war – da er sie ja überwand und im Meer versenktee –, so übertriffst auch du, meine Gefährtin und Braut, alle Frauen und bist meiner Reiterei gleich geworden, die sich verglichen mit den Streitwagen des Pharao jedenfalls als mächtiger und herrlicher erwiesen hat.280 Dies scheint einstweilen die Ordnung der Aussagen selbst und der Sinn der Worte zu sein. 2. Wir wollen aber jetzt sehen, ob er nicht vielleicht entsprechend dem mystischen Verständnis die Seelen, die jenem geistigen Pharao und den geistigen Übeln unterworfen sind, als Streitwagen des Pharao und seine Viergespanne bezeichnet, die dieser selbst lenkt und führt, um das Volk Gottes zu verfolgen und um Israel zu unterdrücken. Es ist nämlich sicher, dass die Dämonen die Versuchungen und Bedrängnisse, die sie auf die Heiligen loslassen, durch irgendwelche Seelen, die sich eben dazu bestens eignen, loslassen.281 Indem sie diese wie Streitwagen besteigen, verfolgen und bekämpfen sie einerseits die Kirche Gottes, andererseits alle einzelnen Gläubigen. 3. Über die Reiterei des Herrn aber und die Frage, wer diese seine Orig. 8, 242f.) beschreibt Origenes, dass jeder Mensch einen solchen Herrscher der Sünde wie den Pharao oder Usija in seiner Seele hat, der sterben muss, damit die Seele sich am Guten orientieren und darin auf Gott ausrichten kann: „Elend ist der Mensch, über den die Sünde herrscht, der sich einem solchen König ausliefert, das Reich Gottes verachtet und sich dem Vergnügen unterwirft.“ Übersetzung: Fürst/Hengstermann, OWD 10, 195.

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Hoheliedkommentar

Exodo quidem, ubi superantur currus Pharaonis et demerguntur in mare, a nihil legimus scriptum nisi tantum, quod Dominus currus Pharaonis et exercitum eius proiecit in mare rubrum. b 4. Inuenimus tamen in quarto Regnorum libro, quod Helisaeus de aduentu hostium, qui cum equitatu et curribus uenerant, formidanti puerulo suo dicit: „Ne timeas, quoniam plures sunt nobiscum quam cum illis. Et orauit“, inquit, „Helisaeus et dixit: Domine, aperi oculos pueri huius, ut uideat; et aperuit Dominus oculos eius et uidit; et ecce, mons plenus erat equitibus et currus ignei in circuitu Helisaei, qui descenderant ad eum.“ c 5. Sed et in propheta Habacuc manifeste et euidenter legimus de equitatu Domini et quod adscendat equos suos. Sunt ergo scripturae uerba haec: „Numquid in fluminibus irasceris, Domine, aut in fluminibus furor tuus aut in mari impetus tuus? Quia adscendes equos tuos, et equitatus tuus salus.“ d Sunt ergo equi Domini, quibus adscendit, et equitatus eius. Quos ego non alios esse puto quam illas animas, quae frenum disciplinae eius accipiunt et iugum portant suauitatis e eius et quae spiritu Dei aguntur, f et in hoc est iis salus. 6. In reuelatione autem Iohannis legimus, quod apparuit ei equus, et sedens super eum quidam fidelis et uerus et cum iustitia iudicans, cuius „nomen“, inquit, „est Verbum Dei“. Ait ergo: „Et uidi caelum apertum, et ecce equus albus, et qui sedebat super eum, uocabatur fidelis et uerus et cum iustitia iudicans et pugnans. Et oculi eius sicut flamma ignis, et super caput eius diademata multa habentia nomen scriptum, quod nullus nouit nisi ipse. Et adopertus erat uestimentum sanguine conspersum, et uocabatur nomen eius Verbum Dei. Et exercitus eius erat in caelo et sequebantur eum in equis albis induti byssino albo puro.“ g 7. Sed opus est gratia Dei, quae horum nobis aperiat intellectum, quo possimus aduertere, quid istae indicent uisiones, qui sit equus albus et qui sit, qui sedet super eum, cuius nomen est Verbum Dei. 8. Et forte quidem dicet aliquis album esse equum corpus, quod assumpsit Dominus et quo ille, qui in principio erat apud Deum Deus Verbum, h uelut uectus est. Alius autem magis animam dicet, quam assumpsit primogenitus omnis creaturae i et de qua dicebat: „Potestatem habeo ponendi eam, et potestatem habeo iterum sumendi eam.“ j Alius uero utrumque simul, corpus atque animam, quasi, ubi peccatum non fuerit, equum dici album putabit. 9. Alius adhuc quarto loco ecclesiam dicet, quae et corpus eius nominatur, k album uideri equum, quasi non habentem maculam b Ex. 14,27f. Ex. 15,4 g 8,14 Offb. 19,11–14

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d e f 2 Kön. 6,14–17 Hab. 3,8 Mt. 11,29f. Röm. i j k Joh. 1,1 Kol. 1,15 Joh. 10,18 Kol. 1,24

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Reiterei ist, lesen wir im Buch Exodus, wo die Streitwagen des Pharao überwunden und im Meer versenkt werden,a nichts außer einzig dies, dass der Herr die Streitwagen des Pharao und sein Heer ins Rote Meer warf.b 4. Im vierten Buch der Königtümer finden wir jedoch, dass Elischa über die Ankunft der Feinde, die mit Reiterei und Streitwagen gekommen waren, seinem angsterfüllten Knecht sagt: „Fürchte dich nicht, denn es sind mehr mit uns als mit jenen. Und Elischa“, heißt es, „betete und sprach: Herr, öffne die Augen dieses Knaben, damit er sieht! Und der Herr öffnete ihm die Augen, und er sah. Und siehe, der Berg war voll von Reitern, und Streitwagen von Feuer waren um Elischa herum, die zu ihm herabgestiegen waren.“c 5. Doch auch beim Propheten Habakuk lesen wir klar und deutlich von der Reiterei des Herrn, und dass er seine Pferde besteigt. Es sind also die Worte der Schrift die folgenden: „Zürntest du etwa den Flüssen, Herr, oder entbrannte dein Zorn gegen die Flüsse oder gegen das Meer dein Ungestüm? Denn du wirst deine Pferde besteigen, und deine Reiterei bringt Rettung.“d Es gibt also Pferde des Herrn, die er besteigt, und es gibt seine Reiterei. Diese, glaube ich, sind nichts anderes als jene Seelen, die das Zaumzeug seiner Unterweisung anlegen und das Joch seiner Sanftheite tragen und die vom Geist Gottes geführt werden,f und darin besteht für sie das Heil. 6. In der Offenbarung des Johannes aber lesen wir, dass ihm ein Pferd erschienen ist, und auf diesem saß einer, der treu und wahrhaftig war und mit Gerechtigkeit richtete, dessen „Name“, heißt es, „Wort Gottes ist“. Es heißt also: „Und ich sah den Himmel offen, und siehe: ein weißes Pferd, und der, der auf ihm saß, wurde treu und wahrhaftig genannt, der mit Gerechtigkeit richtet und kämpft. Und seine Augen waren wie Feuerflammen, und auf seinem Haupt trug er viele Diademe und dort stand ein Name geschrieben, den niemand kannte außer ihm selbst. Und er war bedeckt mit einem mit Blut bespritzten Gewand, und als sein Name wurde gerufen: Wort Gottes. Und sein Heer war im Himmel, und sie folgten ihm auf weißen Pferden, bekleidet mit reinem weißem Linnen.“g 7. Doch wir benötigen die Gnade Gottes, um uns das Verständnis dieser Dinge zu eröffnen, damit wir begreifen können, was diese Visionen bedeuten, wer das weiße Pferd ist und wer der ist, der auf ihm sitzt, dessen Name Wort Gottes ist. 8. Und vielleicht wird jemand sagen, das weiße Pferd sei der Leib, den der Herr angenommen hat und auf dem jener, der im Anfang als Gott, das Wort, bei Gott war,h gleichsam geritten ist. Ein anderer aber wird eher die Seele so bezeichnen, die der Erstgeborene der ganzen Schöpfungi angenommen hat und über die er sagte: „Ich habe die Macht, sie abzulegen, und ich habe die Macht, sie wiederum anzunehmen.“j Ein anderer hingegen wird meinen, dass beide zugleich, Leib und Seele, in denen keine Sünde war, gleichsam als weißes Pferd bezeichnet werden. 9. Wieder ein anderer wird viertens sagen, die Kirche, die auch sein Leib genannt wird,k erscheine als

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Hoheliedkommentar

aut rugam, a quam sibi ipse sanctificauit lauacro aquae. b Secundum haec autem singula etiam illa accipiet, quae sequuntur, militiam caeli et exercitum Verbi Dei et quomodo singuli quique eorum sequentes Verbum Dei equis albis sedeant et byssinis albis induantur et mundis. 10. Huic ergo equo albo, quo ipse uehitur, qui Verbum Dei appellatur, uel huic equitatui caelesti, qui eum sequitur in albis nihilominus equis, comparat et similem facit Christus ecclesiam suam. 11. „In curribus“ autem „Pharaonis“ c uel ita possumus accipere, ut, quantum hic Domini equitatus equitatum et currus Pharaonis eminet et praecellit, tantum tu, quae pulchra es in mulieribus, d praecellis et emines omnes reliquas animas, quae adhuc iugum Pharaonis portant et sessores eius patiuntur; uel certe quod equitatus hic meus, qui lauacro aquae mundatus e purus et candidus factus est et Verbum Dei meruit habere sessorem, ex curribus assumptus est Pharaonis. Inde enim omnes ueniunt credentes, quia Christus in hunc mundum uenit peccatores saluos facere. f 12. Hoc ergo modo potest explanari uersiculi huius sensus: „Equitatui meo“, qui fuit ante „in curribus Pharaonis“ et nunc sequitur me in equis albis g purificatus per lauacrum aquae, h „similem te arbitror, proxima mea.“ i Beatae ergo sunt illae animae, quae dorsum suum curuauerunt, ut suscipiant super se sessorem Verbum Dei et frena eius patiuntur, ut, quocumque ipse uoluerit, flectat eas et agat habenis praeceptorum suorum; quia iam non sua uoluntate incedunt, sed ad omnia ducuntur et reducuntur uoluntate sessoris. 13. Et fortassis uidebitur secundum hoc, quod ex multis animabus congregata est ecclesia et exemplum uitae accepit a Christo, quod non tam ab ipsa deitate Verbi Dei a g

Eph. 5,27 Offb. 19,14

b

Eph. 5,26 h Eph. 5,26

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Hld. 1,9 i Hld. 1,9

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Hld. 1,8

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Eph. 5,26

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1 Tim. 1,15

282 Der Satz wirkt wie ein merkwürdiger Widerspruch zum Freiheitspathos des Origenes, wenn er den Seelen hier einen eigenen Willen abspricht. Es verhält sich öfter so in den Schriften des Origenes, dass einzelne Aussagen in manchmal diametralem Gegensatz zu anderen Aussagen stehen, wenn man sie jeweils isoliert liest (ein weiteres Beispiel bietet in Cant. comm. II 9,5; dazu unten S. 280 Anm. 325). So kann er im Freiheitstraktat in De principiis über das Zusammenwirken von Gnade und Freiheit zunächst sagen, princ. III 1,6 (GCS Orig. 5, 201), „dass es unsere eigene Leistung ist, gut zu leben, und dass Gott dies von uns fordert als etwas, das nicht von ihm ist oder von einem anderen kommt oder, wie manche meinen, von der Schicksalsnotwendigkeit, sondern als unser eigenes Werk“, um weiter unten, ebd. III 1,19 (5, 231f.), zu betonen, dass der fromme Christ im Bewusstsein seiner Schwäche (siehe dazu oben S. 235 Anm. 255) „die Leistung in Dankbarkeit Gott dem Vollender zuschreibt“, denn „unsere Vollendung geschieht nicht, ohne dass wir etwas tun; aber sie wird nicht von uns zu Ende geführt, sondern Gott wirkt das meiste dabei“. Übersetzung: p. 475. 535–537 Görgemanns/Karpp (leicht modifiziert). Siehe dazu Schockenhoff, Zum Fest der Freiheit 116–123, und Fürst, OWD 7, 55–57, mit weiteren Stellen. In diesem Spektrum gehört die vorliegende Stelle zu denjenigen,

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Buch II 6,9–13

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weißes Pferd, gleichsam weil sie keinen Fleck und keine Runzela hat, sie, die er sich selbst durch das Bad im Wasser geheiligt hat.b Demgemäß wird er aber auch alle folgenden Aussagen auffassen, die Heerschar des Himmels und das Heer des Wortes Gottes und wie alle einzelnen von ihnen im Gefolge des Wortes Gottes auf weißen Pferden sitzen und mit weißen und reinen Linnen bekleidet sind. 10. Mit diesem weißen Pferd also, auf dem der reitet, der Wort Gottes genannt wird, beziehungsweise mit dieser himmlischen Reiterei, die ihm auf nicht weniger weißen Pferden folgt, vergleicht und identifiziert Christus seine Kirche. 11. „Unter den Streitwagen des Pharao“c aber können wir entweder so auffassen: So weit, wie hier die Reiterei des Herrn die Reiterei und die Streitwagen des Pharao übertrifft und überragt, so weit überragst und übertriffst du, die du schön bist unter den Frauen,d alle übrigen Seelen, die noch das Joch des Pharao tragen und seine Reiter zu erleiden haben. Oder sicherlich so: Diese meine Reiterei, die, durch das Bad im Wasser gereinigt,e rein und glänzend geworden ist und verdient hat, das Wort Gottes als Reiter zu haben, ist aus den Streitwagen des Pharao angenommen worden. Von dort kommen nämlich alle Gläubigen, weil Christus in diese Welt gekommen ist, um die Sünder zu retten.f 12. Auf diese Weise also kann man den Sinn dieses Verses erklären: „Meiner Reiterei“, die vorher „unter den Streitwagen des Pharao“ war und mir jetzt auf weißen Pferden folgt,g gereinigt durch das Bad im Wasser,h „erachte ich dich gleich, meine Gefährtin.“i Selig sind also jene Seelen, die ihren Rücken gekrümmt haben, damit sie als Reiter das Wort Gottes auf sich nehmen und sein Zaumzeug dulden, damit er sie lenkt, wohin immer er will, und mit den Zügeln seiner Gebote führt, weil sie nicht mehr nach ihrem eigenen Willen einherschreiten, sondern vom Willen des Reiters in alle Richtungen geführt und zurückgebracht werden.282 13. Und vielleicht wird aufgrund der Tatsache, dass die Kirche aus vielen Seelen besteht283 und das Vorbild für ihre Lebensführung von Christus empfangen hat, deutlich werden, dass sie dies nicht so sehr von der Göttlichkeit284 des Wortes Gottes empfangen hat, die über die Handlungen an denen Origenes hervorhebt, dass die Seele sich entscheiden muss, entweder dem Bösen (Pharao) oder dem Guten (Christus) zu folgen und sich dabei seinen Geboten zu unterstellen. Dass sie dabei freilich ihren eigenen Willen aufgeben soll, bleibt eine Aussage, die zum sonstigen Willens- und Freiheitskonzept des Origenes nicht so recht passen will. 283 Siehe dazu erneut in Cant. comm. I 1,5. 284 Baehrens, GCS Orig. 8, 153.16, korrigierte das überlieferte deitate zu deitatem (vgl. ebd. xxiv), was aber, wie de Brouwer, Note critique, nachgewiesen hat, nicht berechtigt ist, weshalb Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 388 (vgl. die inhaltliche Begründung ebd. 388 Anm. 2), deitate bevorzugen. Zum einen passt der Ablativ deitate vortrefflich zu ab ipsa, zum anderen ergibt die Lesart mit Ablativ einen passenden Sinn.

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Hoheliedkommentar

acceperit, quae utique supereminet eos actus uel affectus, qui ad exemplum dari hominibus debeant, sed illa anima, quae assumpta est ab eo, in qua fuit summa perfectio, ipsa sit ad exemplum posita et ipsam dicat hic proxima mea, cuius similitudinem habere debeat etiam ecclesia, quae ex multis congregatur animabus, illis scilicet, quae prius fuerant sub iugo et curribus Pharaonis et equitatus Domini a appellantur. Quae autem ex duabus expositio conuenire magis proposito uersiculo uideatur, probabis etiam tu, qui leges.

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Hld. 1,10: „Wie anmutig sind deine Wangen geworden wie die einer Turteltaube, dein Nacken wie Geschmeide.“

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7,1. „Quam speciosae factae sunt genae tuae tamquam turturis, ceruix tua sicut redimicula.“ b Ordo dramatis huiusmodi uidetur habere consequentiam, quod, posteaquam austeriore usus est commonitione sponsus ad sponsam, protestatus ei, quod, nisi cognosceret semet ipsam, exitura esset in uestigiis gregum et pasceret non oues, sed haedos, c erubuerit super austeritatem praecepti et rubor uerecundiae diffusus in uultu speciosas effecerit genas eius et multo, quam fuerant, pulchriores. 2. Non solum autem genae, sed et ceruix eius tam decora sit reddita quasi monilium redimiculis adornata. Pulchritudo uero genarum turturibus comparatur, quod per huiusmodi aues simul et honestas uultus et alacritas indicetur. Haec est historici dramatis explanatio. Sed ueniamus ad rem. 3. Paulus apostolus scribens ad ecclesiam Corinthiorum ita dicit: „Corpus autem non est unum membrum, sed multa. Et si dixerit pes: Quia non sum manus, non sum de corpore, non propterea non est ex corpore. Et si dixerit auricula: Quia non sum oculus, non sum de corpore, non propterea non est ex corpore. Si totum corpus oculus, ubi est auditus? Si totum auditus, ubi odoratus? Nunc autem Deus posuit unumquodque membrum in corpore, sicut uoluit.“ d Et cum plura de hoc disputasset, ad ultimum dicit: „Vos autem estis corpus Christi et membra ex parte.“ e 4. Et iterum ad Ephesios scribens dicit: „Subiecti inuicem in timore Christi, mulieres uiris a

Hab. 3,8

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Hld. 1,10

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1 Kor. 12,14–18

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1 Kor. 12,27

285 Es gehört zu den charakteristischen Eigenheiten des forschenden Denkstils des Origenes, dass er dem Leser des öfteren mehrere Lösungsmöglichkeiten für ein Problem offeriert und diesem die Wahl oder auch eine eigene Lösung überlässt, so etwa

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Buch II 6,13–7,4

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und Empfindungen, die den Menschen als Beispiel gegeben werden müssen, gewiss weit erhaben ist, sondern dass jene Seele, die von ihm angenommen worden ist und in der die höchste Vollkommenheit zu finden war, selbst als Vorbild hingestellt worden ist und dass er eben diese hier „meine Gefährtin“ nennt, mit der auch die Kirche Ähnlichkeit haben muss, die aus vielen Seelen besteht, jenen nämlich, die vorher unter dem Joch und den Streitwagen des Pharao waren und Reiterei des Herrna genannt werden. Welche von beiden Auslegungen dem vorliegenden Vers aber mehr zu entsprechen scheint, wirst du, der du dies liest, auch selbst entscheiden.285 7. Die Schönheit der Kirche als Leib des einen Christus in Keuschheit und Gehorsam

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7,1. „Wie anmutig sind deine Wangen geworden wie die einer Turteltaube, dein Nacken wie Geschmeide.“b Der Ablauf eines derartigen Dramas scheint folgende Fortsetzung zu finden: Nachdem sich der Bräutigam gegenüber der Braut einer strengeren Ermahnung bedient und ihr angekündigt hat, wenn sie sich selbst nicht erkennt, werde sie hinausgehen müssen auf den Spuren der Herden und nicht Schafe, sondern Böcke weiden,c errötete sie ob der Strenge des Gebots, und die Röte der Scham, die sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, machte ihre Wangen anmutig und noch viel schöner, als sie vorher gewesen waren. 2. Aber nicht nur ihre Wangen, sondern auch ihr Nacken ist so reizend geworden wie mit Geschmeiden von Halsketten geschmückt. Die Schönheit der Wangen hingegen wird mit Turteltauben verglichen, weil durch Vögel dieser Art zugleich sowohl die Würde als auch der freudige Eifer des Antlitzes angezeigt wird. Dies zur Erklärung des erzählten Dramas. Doch kommen wir zur Sache! 3. Im Schreiben an die Kirche der Korinther sagt Paulus, der Apostel, Folgendes: „Der Leib jedoch ist nicht ein Glied, sondern viele. Und wenn der Fuß sagt: Weil ich nicht die Hand bin, gehöre ich nicht zum Leib, ist er nicht deshalb kein Teil des Leibes. Und wenn das Ohr sagt: Weil ich nicht das Auge bin, gehöre ich nicht zum Leib, ist es nicht deshalb kein Teil des Leibes. Wenn der ganze Leib Auge ist, wo ist dann das Gehör? Wenn ganz Gehör, wo der Geruch? Nun hat aber Gott ein jedes Glied in den Leib eingesetzt, wie er es wollte.“d Und nachdem er einiges darüber gesagt hat, sagt er zum Schluss: „Ihr aber seid der Leib Christi und Glieder, jeder für seinen Teil.“e 4. Und im Schreiben an die Epheser sagt er erneut: „Einander untergeordnet in der Furcht Christi, sollen die Frauen ihren Männern unprinc. II 6,7 (GCS Orig. 5, 147); II 8,4.5 (5, 162. 163), ferner in Cant. comm. III 14,34; III 17(IV 3),16. Für De principiis siehe dazu Crouzel, Traite´ des Principes 250–256, für den Matthäuskommentar Vogt, Matthäuskommentar.

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Hoheliedkommentar

suis subiectae sint sicut Domino, quia uir caput est mulieris, sicut et Christus caput est ecclesiae, ipse Saluator corporis. Sed sicut ecclesia subiecta est Christo, ita et mulieres uiris suis in omnibus. Viri, diligite uxores uestras, sicut et Christus dilexit ecclesiam suam et semet ipsum tradidit pro ea, ut eam sanctificaret lauacro aquae in uerbo, ut ipse sibi praepararet gloriosam ecclesiam non habentem maculam aut rugam aut aliquid huiusmodi, sed ut esset sancta et immaculata.“ a Et post pauca: „Nemo enim“, inquit, „aliquando carnem suam odio habuit, sed nutrit et fouet eam sicut et Christus ecclesiam, quia membra sumus corporis eius“ b et reliqua. 5. Per haec ergo edocemur, quomodo sponsa Christi, quae est ecclesia, etiam sit corpus eius et membra. Si ergo audias sponsi membra nominari, ecclesiae membra dici intellige. In quibus sicut sunt aliqui, qui dicuntur oculi, pro intelligentiae sine dubio ac scientiae lumine, et alii aures pro audiendo uerbo doctrinae, alii manus pro bonis operibus religiosisque ministeriis, ita sunt aliqui, qui genae eius appellentur. 6. Genae autem uultus dicuntur, in quibus honestas et uerecundia animae agnoscitur, per quod sine dubio illi in membris ecclesiae declarantur, qui castitatis et pudicitiae excolunt honestatem. Pro his ergo ad omne corpus sponsae dicitur: „Quam speciosae factae sunt genae tuae.“ c 7. Et obserua, quia non dixit: Quam speciosae sunt genae tuae, sed: „Quam speciosae factae sunt“, ut ostendat prius quidem non eas fuisse ita speciosas, sed posteaquam suscepit oscula sponsi et ipse, qui loquebatur prius per prophetas, d affuit et mundauit sibi ipsi ecclesiam suam lauacro aquae e et fecit eam non habere maculam aut rugam f et agnitionem sui praestitit ei, tunc factae sunt speciosae genae eius. Tunc enim castitas et pudicitia et uirginitas, quae prius non fuerat, per ecclesiae genas specioso decore diffusa est. 8. Quae tamen genarum species, id est pudicitiae et castitatis, turturibus comparatur. Turturum ferunt naturam huiusmodi esse, ut neque masculus praeter unam feminam adeat aliam neque femina amplius quam unum patiatur marem, ita ut, si accidat altero intercepto superesse alterum, pariter cum coniuge exstinctus ei sit concubitus amor. 9. Conuenienter igitur similitudo turturis a

Eph. 5,21–27

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Eph 5,29f.

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Hld. 1,10

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Hebr. 1,1

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Eph. 5,26

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Eph. 5,27

10 Cf. frg. 15 (Prokop 50; Barba`ra 11)

286 Die vermeintlich strenge Monogamie der Turteltauben ist ein weit verbreiteter Topos in der Antike: Aristoteles, hist. anim. IX 7, 612b; Plinius, hist. nat. X 104; Clemens von Alexandria, strom. II 139,4 (GCS Clem. Al. 24, 190); Origenes, in Lev.

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tergeordnet sein wie dem Herrn, weil der Mann das Haupt der Frau ist, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist, er, der Erlöser des Leibes. Doch wie die Kirche Christus untergeordnet ist, so auch die Frauen in allem ihren Männern. Männer, liebt eure Ehefrauen, wie auch Christus seine Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, damit er sie im Wort durch das Bad im Wasser heiligt, damit er selbst sich eine herrliche Kirche bereitet, die keinen Fleck oder keine Runzel hat oder irgendetwas von dieser Art, sondern dass sie heilig und unbefleckt ist.“a Und etwas später sagt er: „Niemand nämlich hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es wie auch Christus seine Kirche, weil wir Glieder seines Leibes sind“,b und so weiter. 5. Dadurch werden wir also darüber belehrt, wie die Braut Christi, die die Kirche ist, auch seinen Leib und seine Glieder darstellt. Wenn du also hörst, dass die Glieder des Bräutigams genannt werden, verstehe darunter die Glieder der Kirche. Wie es unter diesen manche gibt, die Augen genannt werden, zweifellos wegen des Lichts der Einsicht und der Erkenntnis, und andere Ohren, weil sie das Wort der Lehre hören, andere Hände wegen der guten Werke und frommen Dienste, so gibt es manche, die seine Wangen genannt werden. 6. Als Wangen aber werden die Gesichter bezeichnet, auf denen die Ehrbarkeit und das Schamgefühl der Seele zu erkennen sind, womit zweifellos jene unter den Gliedern der Kirche bezeichnet werden, die die Ehrbarkeit der Keuschheit und der Schamhaftigkeit pflegen. Um dieser willen wird also zum ganzen Leib der Braut gesagt: „Wie anmutig sind deine Wangen geworden.“c 7. Und beachte, dass er nicht sagte: Wie anmutig sind deine Wangen, sondern: „Wie anmutig sind sie geworden“, um zu zeigen, dass sie vorher nicht so anmutig gewesen sind. Doch nachdem sie die Küsse des Bräutigams empfangen hat und er selbst, der vorher durch die Propheten zu sprechen pflegte,d gekommen ist und sich selbst seine Kirche durch das Bad im Wasser gereinigte und dafür gesorgt hat, dass sie keinen Fleck und keine Runzelf hat, und er ihr die Selbsterkenntnis verliehen hat, da sind ihre Wangen anmutig geworden. Da nämlich verbreiteten sich Keuschheit und Schamhaftigkeit und Jungfräulichkeit, die es vorher nicht gegeben hatte, in anmutiger Schönheit über die Wangen der Kirche. 8. Diese Anmut der Wangen jedoch, das heißt der Schamhaftigkeit und der Keuschheit, wird mit Turteltauben verglichen. Man sagt, die Natur der Turteltauben sei von der Art, dass weder ein Männchen sich einem anderen Weibchen nähert außer einem einzigen noch ein Weibchen mehr als einen einzigen Partner duldet, so dass, wenn der eine stirbt und der andere übrigbleibt, ihm zugleich mit dem Partner der Trieb zur Begattung erlischt.286 9. Der Vergleich

hom. 2,2 (GCS Orig. 6, 290). Vgl. Lawson, ACW 26, 337 Anm. 161; ferner physiol. 28 (p. 259 Lauchert).

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Hoheliedkommentar

aptatur ecclesiae, quod uel alterius uiri post Christum coniugium nesciat uel quod continentiae et pudicitiae in ea tamquam turturum uolitet multitudo. 10. Secundum hanc intelligentiam etiam ceruicem sponsae accipiamus. Quae sine dubio illae intelligi debent animae, quae iugum Christi suscipiunt dicentis: „Suscipite super uos iugum meum, quia iugum meum suaue est.“ a Oboedientia igitur eius ceruices eius appellantur. 11. Ceruix ergo eius speciosa facta est sicut redimicula, b et merito. Quam enim prius praeuaricationis inoboedientia turpem fecerat, nunc oboedientia fidei speciosam fecit et pulchram. Ceruix ergo tua speciosa facta est sicut redimicula; ad utrumque enim subauditur speciosa facta est. 12. Redimicula hic dicit constrictiones uel connexiones monilium, quae in ceruicibus sedere solent, ex quibus deducitur et descendit per omne collum reliquus ornatus. Ipsi ergo ornamento, quod ceruicibus et collo imponi solet, ceruicem sponsae comparauit. 13. Quod dictum ita aduertimus. Ceruicem diximus subiectionem et oboedientiam dici pro eo, quod quasi iugum Christi suscipiat c et fidei eius oboedientiam praebeat. 14. Ornamentum ergo ceruicis eius, quae est oboedientia, Christus est. Ipse enim prior „factus est oboediens usque ad mortem“, d et „sicut per unius“ – Adae scilicet – „inoboedientiam peccatores constituti sunt multi, ita et per unius oboedientiam“ – Christi dumtaxat – „iusti constituentur multi“. e Ornamentum ergo et monile ceruicis ecclesiae oboedientia Christi est. 15. Sed et ceruix ecclesiae, id est oboedientia eius, similis effecta est oboedientiae Christi, quod est monile ceruicis. Magna ergo in hoc laus sponsae est, magna ecclesiae gloria, ubi imitatio oboedientiae eius exaequatur oboedientiae Christi, quem imitatur ecclesia. 16. Haec ipsa species monilis etiam in Genesi memoratur a Iuda patriarcha Thamar nurui suae, quando cum ea quasi cum meretrice concubuit, f data. Quod mysterium non omnibus patet. Intelligitur per hoc, quod Christus ecclesiae, quam ex multorum dogmatum prostitutione collegerat, futurae perfectionis haec dedit pignora et istud oboedientiae monile ceruici eius imposuit. a Mt. 11,29f. 38,11–26

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Hld. 1,10

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Mt. 11,29

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Phil. 2,8

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Röm. 5,19

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Gen.

287 In Regn. hom. graec. 2 (GCS Orig. 32, 284) zählt Origenes die Erzählung von Juda und Tamar zu den Geschichten, die wörtlich keinen Sinn ergeben: „Welchen Nutzen habe ich von der einfach nur erzählten Geschichte von Juda und Tamar und was mit dieser geschah?“ Siehe zu solchen Geschichten in Cant. comm. III 16(IV 2),4 und dazu die Erläuterung unten S. 404 Anm. 488.

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mit der Turteltaube passt daher trefflich auf die Kirche, entweder weil sie nach Christus keine Vereinigung mit einem anderen Mann kennt oder weil die Menge an Enthaltsamkeit und Schamhaftigkeit in ihr gleich einem Schwarm Turteltauben umherfliegt. 10. Diesem Verständnis entsprechend wollen wir auch den Nacken der Braut auffassen. Darunter muss man zweifellos jene Seelen verstehen, die das Joch Christi auf sich nehmen, der sagt: „Nehmt mein Joch auf euch, denn mein Joch ist angenehm.“a Aufgrund ihres Gehorsams also wird ihr Nacken erwähnt. 11. Ihr Nacken ist also anmutig geworden wie Geschmeide,b und das wohlverdient. Den nämlich, den vorher der Ungehorsam der Pflichtverletzung hässlich gemacht hatte, den hat jetzt der Gehorsam des Glaubens anmutig und schön gemacht. Dein Nacken ist also anmutig geworden wie Geschmeide; zu beidem nämlich hört man mit: ist anmutig geworden. 12. Geschmeide nennt er hier die Verschlüsse oder Scharniere der Halsketten, die im Nacken zu sitzen pflegen, von denen aus der übrige Schmuck über den ganzen Hals herabhängt. Mit diesem Schmuck, der um den Nacken und den Hals gelegt zu werden pflegt, hat er also den Nacken der Braut verglichen. 13. Diesen Ausspruch verstehen wir folgendermaßen: Wir haben gesagt, der Nacken bezeichne die Unterordnung und den Gehorsam deswegen, weil er gleichsam das Joch Christi auf sich nimmtc und dem Glauben an ihn Gehorsam leistet. 14. Der Schmuck ihres Nackens also, der ihr Gehorsam ist, ist Christus. Er selbst nämlich ist vorher „gehorsam geworden bis zum Tod“,d und „wie durch den Ungehorsam des einen“ – nämlich Adams – „viele zu Sündern gemacht worden sind, so sind auch durch den Gehorsam des einen“ – nämlich Christi – „viele gerecht gemacht worden“.e Der Schmuck also und die Halskette am Nacken der Kirche ist der Gehorsam Christi. 15. Aber auch der Nacken der Kirche, das heißt ihr Gehorsam, ist dem Gehorsam Christi gleichgemacht worden, also der Halskette am Nacken. Groß ist also hierin das Lob der Braut, groß die Herrlichkeit der Kirche, wo ihr nachgeahmter Gehorsam dem Gehorsam Christi gleichgestellt wird, den die Kirche nachahmt. 16. Eben dieses Bild der Halskette wird auch in der Genesis erwähnt, wo vom Patriarchen Juda seiner Schwiegertochter Tamar eine gegeben wurde, als er mit ihr wie mit einer Dirne schlief.f Dieses Mysterium ist nicht allen zugänglich.287 Darunter ist zu verstehen, dass Christus288 der Kirche, die er aus der Prostitution der vielen Lehren gesammelt hatte, dieses Unterpfand der künftigen Vollkommenheit gab und ihre jene Halskette des Gehorsams um den Nacken legte.

288 Zu Juda als Typos für Christus vgl. in Hier. hom. 5,15 (GCS Orig. 32, 45); 9,1.4 (32, 65. 68); und bes. ebd. 16,10 (32, 141).

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Hoheliedkommentar

Hld. 1,11f.: „Nachbildungen von Gold werden wir dir machen mit Verzierungen von Silber, solange der König auf seinem Lager ruht.“

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8,1. „Similitudines auri faciemus tibi cum distinctionibus argenti, quoadusque rex sit in recubitu suo.“ a Supra diximus, quod specie dramatis libellus hic ordinatus personarum immutatione contexitur; et nunc ergo uidentur haec amici uel sodales sponsi ad sponsam locuti, qui secundum intelligentiam mysticam, ut et supra iam diximus, aut angeli uel etiam prophetae aut patriarchae possunt intelligi. 2. Non enim tunc solum, cum post baptismum Iohannis in deserto tentatus est a diabolo Dominus, accesserunt angeli et ministrauerunt ei, b sed ante aduentum praesentiae corporalis ministrauerunt semper. Nam et lex disposita per angelos dicitur in manu mediatoris. c Et ad Hebraeos scribens apostolus dicit: „Si enim qui per angelos habitus est sermo, factus est firmus.“ d 3. Ipsi ergo erant uelut actores et procuratores e appositi paruulae sponsae cum paedagogo lege, donec plenitudo temporum ueniret et mitteret Deus Filium suum factum ex muliere, factum sub lege f et adduceret eam sub actoribus et procuratoribus et paedagogo lege, ut ipsius Verbi Dei oscula, doctrinam scilicet uerbaque, susciperet. Ante ergo quam tempus adesset horum, in multis angelorum ministerio excolebatur sponsa, qui apparebant tunc hominibus et loquebantur ea, quae res poscebat et tempus. 4. Non enim mihi ex aduentu Saluatoris in carne sponsam dici aut ecclesiam putes, sed ab initio humani generis et ab ipsa constitutione mundi, immo, ut Paulo duce altius mysterii huius originem repetam, ante etiam constitutionem mundi. Sic enim dicit ipse: „Sicut elegit nos in Christo ante constitutionem mundi, ut essemus sancti et immaculati coram ipso, in caritate praedestinans nos in adoptionem filiorum.“ g Sed et in Psalmis scribitur: „Memento congregationis tuae, Domine, quam congregasti ab initio.“ h Prima etenim fundamenta congregationis ecclesiae statim ab initio sunt posita, unde et apostolus dicit aedificari ecclesiam non a g

Hld. 1,11f. Eph. 1,4f.

b h

Mt. 4,1–11 Ps. 73(74),2

c

Gal. 3,19

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Hebr. 2,2

e

Gal. 4,2

f

Gal. 4,4

289 Siehe in Cant. comm. prol. 1,3; I 1,1. 290 Siehe in Cant. comm. I 5,6; II 4,13. 291 Die Kirche existiert nach Origenes nicht erst seit Christi Inkarnation, sondern seit der Erschaffung der Vernunftwesen, Engel und Menschen, die Origenes für präexistent hält; vgl. z.B. princ. II 9,2 (GCS Orig. 5, 165). Siehe dazu Cheˆnevert, L’E´glise 13–78; Vogt, Kirchenverständnis 205–210. Zur diesbezüglichen christlichen Tradition vor Origenes siehe folgende bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 408 Anm. 1, notierte Stellen: 2 Clem. 14,1; Hermas, vis. I 1,6; II 4,1; Clemens

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8. Hohelied-Metaphysik: Die präexistente Kirche der Engel und Heiligen, die noe¨tische Einheit und logische Vielheit der Wirklichkeit in Christus und die Pädagogik der Einführung vom Bild in die Wahrheit

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8,1. „Nachbildungen von Gold werden wir dir machen mit Verzierungen von Silber, solange der König auf seinem Lager ruht.“a Oben haben wir gesagt, dass dieses Buch nach Art eines Dramas komponiert und durch den Wechsel der Personen strukturiert ist.289 Und jetzt scheinen also die Freunde beziehungsweise Gefährten des Bräutigams dies zur Braut gesagt zu haben, die gemäß dem mystischen Verständnis, wie wir ebenfalls oben schon gesagt haben,290 als Engel oder auch als Propheten oder Patriarchen verstanden werden können. 2. Denn nicht nur damals, als der Herr nach der Taufe durch Johannes vom Teufel in der Wüste versucht wurde, kamen Engel zu ihm und dienten ihm,b sondern schon vor seiner Ankunft in körperlicher Gegenwart dienten sie ihm allezeit. Denn auch vom Gesetz heißt es, es sei durch Engel in der Hand eines Mittlers verordnet worden.c Und im Schreiben an die Hebräer sagt der Apostel: „Wenn nämlich das Wort, das durch Engel gesagt worden ist, kraftvoll geworden ist.“d 3. Diese also waren gleichsam als Verwalter und Bevollmächtigtee für die junge Braut zusammen mit einem Erzieher, dem Gesetz, eingesetzt, bis die Fülle der Zeiten kam und Gott seinen Sohn sandte, der aus einer Frau geboren und dem Gesetz unterstellt war,f und sie unter der Anleitung der Verwalter und Bevollmächtigten und des Erziehers, des Gesetzes, dahin führte, dass sie die Küsse des Wortes Gottes selbst, nämlich seine Lehre und Worte, empfing. Bevor also die Zeit für diese Ereignisse gekommen war, wurde die Braut in vielen Dingen durch den Dienst der Engel ausgebildet, die damals den Menschen erschienen und das sagten, was die Umstände und die Zeit erforderten. 4. Denn du sollst mir nicht meinen, dass sie erst seit der Ankunft des Erlösers im Fleisch Braut oder Kirche genannt wird, sondern vom Anfang des Menschengeschlechts und schon von der Grundlegung der Welt an, ja sogar, um geführt von Paulus den Ursprung dieses Mysteriums noch weiter zurückzuverfolgen, noch vor der Grundlegung der Welt.291 So nämlich sagt er selbst: „Wie er uns in Christus vor der Grundlegung der Welt erwählt hat, damit wir heilig und unbefleckt sind vor ihm, indem er uns in Liebe zur Annahme als Söhne vorherbestimmt hat.“g Aber auch in den Psalmen steht geschrieben: „Gedenke deiner Versammlung, Herr, die du von Anfang an gesammelt hast.“h Denn die ersten Fundamente der Versammlung der Kirche wurden gleich am Anfang gelegt, weshalb auch der Apostel sagt, die Kirche werde auf dem Fundament nicht nur der Apostel, sondern auch der

von Alexandria, strom. VII 92,3 (GCS Clem. Al. 33, 65); ferner Hippolyt, in Dan. I 17,6–8 (GCS Hippolyt. 1, 28f.).

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solum super apostolorum fundamentum, sed etiam prophetarum. a 5. Inter prophetas autem numeratur et Adam, qui magnum mysterium prophetauit in Christo et in ecclesia dicens: „Propter hoc relinquet homo patrem suum et matrem suam et adhaerebit uxori suae, et erunt ambo in carne una“; b euidenter enim de his dictis eius dicit apostolus quia: „Mysterium hoc magnum sit, ego autem dico in Christo et in ecclesia.“ c 6. Sed et idem apostolus, cum dicit: „Sic enim Christus dilexit ecclesiam, ut semet ipsum traderet pro ea sanctificans eam lauacro aquae“, d non utique ostendit eam prius non fuisse. Quomodo enim dilexisset eam, quae non erat? Sed eam sine dubio dilexit, quae erat. Erat autem in omnibus sanctis, qui ab initio saeculi fuerunt. 7. Diligens ergo eam uenit ad eam et, sicut pueri sui communicauerunt sanguini et carni, similiter et ipse particeps factus est eorundem e ac semet ipsum pro iis tradidit. f Ipsi enim erant ecclesia, quam dilexit, ut eam uel numerositate augeret uel uirtutibus excoleret uel perfectionis caritate de terris transferret ad caelum. 8. Ministrauerunt ergo et prophetae ab initio, ministrauerunt et angeli. Quid enim aliud fiebat tunc, cum apparuerunt tres uiri Abrahae sedenti ad quercum Mambre? g Licet illa angelorum species plus aliquid quam angelicum ostenderit ministerium; nam Trinitatis ibi mysterium prodebatur. 9. Hoc erat et in Exodo, cum angelus Domini dicitur in flamma ignis apparuisse Moysi in rubo. h Continuo autem in subsequentibus Dominus et Deus loqui in angelo scribitur, et ipse esse Deus Abraham et Deus Isaac et Deus Iacob designatur. i Quod quidam haereticorum legentes dixerunt Deum legis et prophetarum longe inferiorem esse quam Iesum Christum et Spiritum Sanctum et eo usque impietatem suam pertenderunt, ut plenitudinem quidem in Christo ponant et in Spiritu Sancto, imperfectionem uero et infirmitatem in Deo legis. Sed haec alias. a g

Eph. 2,20 Gen. 18,1f.

b

Gen. 2,24 h Ex. 3,2

c

Eph. 5,32 i Ex. 3,2–6

d

Eph. 5,25f.

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Hebr. 2,14

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Gal. 2,20

292 Nach dieser Deutung von Gen. 2,24 in Eph. 5,32 hat schon Adam auf die Verbindung von Christus und der Kirche hingewiesen und erweist sich so als erster der Propheten. Theophilus von Antiochia, Autol. II 28,4 (PTS 44, 78), meinte, dass Adam mit dem Ausspruch in Gen. 2,24 prophezeit habe, ohne diese Prophezeiung aber auf Christus und die Kirche zu beziehen. Von Origenes, princ. I 3,6 (GCS Orig. 5, 58), wird Adam selbstverständlich als Prophet angesehen, weil er „über manche Dinge prophezeit“ habe. Ähnlich sehen dies Tertullian, an. 11,4 (CChr.SL 2, 797); 21,2 (2, 813), und Clemens von Alexandria, strom. I 135,3 (GCS Clem. Al. 24, 84). 293 In Gen. hom. 4,6 (GCS Orig. 6, 57) heißt es am Ende, ohne dass Origenes zuvor auf die Trinität einging: „Wir aber wollen uns mühen, dass unsere Taten, unser Lebenswandel so ausfallen, dass wir Gottes Beachtung für würdig befunden werden, dass er sich geneigt zeigt, uns zu kennen, dass wir der Beachtung seines Sohnes Jesus

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Propheten erbaut.a 5. Zu den Propheten aber zählt auch Adam, der ein großes Mysterium in Christus und in der Kirche prophezeite, indem er sagte: „Deswegen wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Ehefrau anhängen, und beide werden in einem Fleisch sein.“b Denn offenkundig über diese seine Worte sagt der Apostel: „Dieses Mysterium ist groß, ich aber beziehe es auf Christus und die Kirche.“c 292 6. Aber auch wenn derselbe Apostel sagt: „So nämlich hat Christus die Kirche geliebt, dass er sich selbst für sie hingab, um sie durch das Bad im Wasser zu heiligen“,d zeigt er keineswegs, dass sie vorher nicht existierte. Wie nämlich hätte er die lieben können, die es nicht gab? Vielmehr liebte er zweifelsohne die, die es gab. Sie existierte aber in allen Heiligen, die es vom Anfang der Weltzeit an gegeben hat. 7. Weil er sie also liebte, kam er zu ihr, und wie seine Kinder an Blut und Fleisch Anteil hatten, ist er in gleicher Weise auch selbst Teilhaber derselben Dinge gewordene und hat sich selbst für sie hingegeben.f Sie nämlich waren die Kirche, die er liebte, um ihre Anzahl zu vermehren oder sie durch die Tugenden zu veredeln oder sie durch die Liebe zur Vollkommenheit von der Erde in den Himmel zu versetzen. 8. Es dienten also auch die Propheten von Anfang an, es dienten auch die Engel. Was sonst geschah denn damals, als drei Männer dem Abraham erschienen, der bei der Eiche von Mamre saß?g Freilich: Jene Erscheinung der Engel hat etwas Größeres manifestiert als einen Engeldienst, denn dort wurde das Mysterium der Trinität offenbart.293 9. Dies war auch der Fall im Buch Exodus, als der Engel des Herrn, wie es heißt, in der Feuerflamme Mose im Brombeerstrauch294 erschien.h Gleich darauf aber steht im Folgenden geschrieben, dass der Herr und Gott im Engel spricht, und er selbst wird als Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs bezeichnet.i Als dies einige von den Häretikern lasen, sagten sie, der Gott des Gesetzes und der Propheten sei weit geringer als Jesus Christus und der Heilige Geist, und gingen in ihrer Gottlosigkeit so weit, die Fülle Christus und dem Heiligen Geist zuzuschreiben, die Unvollkommenheit und Schwachheit aber dem Gott des Gesetzes.295 Doch darüber ein andermal. Christus und der Beachtung des Heiligen Geistes für würdig befunden werden, dass auch wir, von der Trinität erkannt, es verdienen, das Geheimnis der Trinität ganz, rein und vollkommen zu erkennen, wenn der Herr Jesus Christus es uns enthüllt.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 125. Zum Begriff trinitas, den Rufinus für das origeneische triaÂw verwendete, siehe oben S. 81 Anm. 48. 294 Man mag sich wundern, dass hier nicht vom Dornbusch (hnÃsÂ) die Rede ist, aber rubus bedeutet „Brombeerstrauch“, was auch der zugrundeliegenden Septuaginta entspricht, in der baÂtow in erster Linie „Brombeerstrauch“ und dann auch allgemein „Buschwerk“ oder „Dornenhecke“ bedeutet. Die Vulgata bietet wie Rufinus hier rubus. 295 Diese Spitze richtet sich u.a. gegen Markion, der den Gott des Alten Testaments von dem Gott, der sich im Neuen Testament in Jesus Christus offenbart hat, unter-

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10. Nunc autem nobis propositum est ostendere, quomodo sancti angeli, qui ante aduentum Christi uelut paruulae adhuc sponsae tutelam procurabant, ipsi sunt amici et sodales sponsi, qui ad eam dicere uideantur: „Faciemus tibi similitudines auri cum distinctionibus argenti, usquequo rex sit in recubitu suo.“ a 11. Indicant ergo, quod ipsi faciant sponsae non aurum – neque enim habebant tale aurum, quale dignum erat offerri sponsae –, sed pro auro similitudines auri facere se promittunt, et non unam similitudinem, sed multas. 12. Ita etiam de argento dicunt, sed quasi habentes, licet paruam, argenti materiam promittunt se ei facere non similitudines, sed distinctiones argenti, utpote quibus non tanta abundaret argenti materia, ut connexum aliquid et solidum ex eo producere opus possent, sed distinctiones solas ac signa quaedam parua uelut puncta intersererent illi operi, quod ei ex auri similitudine faciebant. Haec ergo amici sponsi illi, de quibus supra diximus, sponsae faciunt ornamenta. 13. Sed quid in his secreti contineatur et quid elocutionis nouitas ipsa parturiat, omnipotentis Verbi ac sponsi Patrem precemur, ut ipse nobis arcani huius claustra patefaciat, quo possimus non solum ad intelligenda haec illuminari, uerum et ad proferenda ac secundum mensuram eorum, qui lecturi sunt, moderationem eloquii spiritalis accipere. 14. Auri speciem in multis saepe ostendimus figuram tenere intellegibilis et incorporeae naturae, argentum uero uirtutem uerbi ac rationis, secundum quod et Deus per prophetam dicit: „Dedi uobis argentum et aurum; uos autem fecistis argentea et aurea Baalim“ b ostendens per haec et dicens quia: Ego dedi uobis sensum et rationem, qua me Deum et sentire possetis et colere; uos autem et sensum et rationem, quae in uobis est, ad colenda daemonia transtulistis. 15. Sed et „eloquia Domini eloquia casta, argentum igne probatum“ c dicitur; et item in aliis „argentum ignitum iusti lingua“ d memoratur. Cherubim uero aurea a

Hld. 1,11f.

b

Hos. 2,8(10)

c

Ps. 11(12),7

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scheidet und den einen als bloß gerechten, den anderen dagegen als den guten Gott bezeichnet und betont, dass der gerechte Gott selbst bis zur Offenbarung des fremden Gottes nichts von jenem höchsten Gott wusste. Vgl. Tertullian, adv. Marc. I 11,9 (CChr.SL 1, 453); II 1 (1, 475); II 28,1 (1, 507). Die Unterscheidung dieser beiden Götter kannten laut Irenäus, adv. haer. I 5,3 (SC 264, 81f.), und Hippolyt, ref. VI 33,1 (PTS 25, 245), auch die Valentinianer und nach Hippolyt, ebd. VII 25,3f. (25, 295), die Anhänger des Basilides. Origenes bekämpfte diese Lehre ausführlich in princ. II 4,1–5,2 (GCS Orig. 5, 126–135); vgl. ferner in Tit. frg. 2 (Opere di Origene 14/4, 388–390). 296 Vgl. in Ex. hom. 9,3 (GCS Orig. 6, 240): „Der Glaube kann mit Gold verglichen werden“ oder ebd. 13,2 (6, 271): „Wenn du also im Herzen glaubst, ist dein Herz und dein Denken Gold, du hast also als Gold für das Zelt den Glauben deines Herzens dargebracht.“ Übersetzung: p. 191. 251 Heither. Ferner in Num. hom. 9,1

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10. Jetzt aber haben wir uns vorgenommen zu zeigen, auf welche Weise die heiligen Engel, die vor der Ankunft Christi die Vormundschaft über die gleichsam noch unmündige Braut ausübten, mit den Freunden und Gefährten des Bräutigams identisch sind, die, wie es scheint, zu ihr sagen: „Wir werden dir Nachbildungen von Gold machen mit Verzierungen von Silber, solange der König auf seinem Lager ruht.“a 11. Sie weisen also darauf hin, dass sie selbst der Braut kein Gold machen – denn sie hatten auch kein solches Gold, wie der Braut anzubieten wert gewesen wäre –, sondern versprechen, statt Gold Nachbildungen von Gold zu machen, und nicht eine Nachbildung, sondern viele. 12. So reden sie auch über das Silber, doch als hätten sie Silbermaterial – wenn auch nur wenig –, versprechen sie, dass sie ihr keine Nachbildungen, sondern Verzierungen von Silber machen, weil ihnen kein so großer Vorrat an Silbermaterial zur Verfügung steht, dass sie ein zusammenhängendes massives Stück daraus herstellen könnten, sondern nur Verzierungen und einige kleine punktuelle Zeichen an dem Stück anbringen würden, das sie ihr aus einer Nachbildung von Gold machten. Diese Schmuckstücke also machen jene Freunde des Bräutigams, über die wir oben gesprochen haben, für die Braut. 13. Doch was für ein Geheimnis ist darin enthalten und was wird allein schon durch die Neuheit der Ausdrucksweise ans Licht gebracht? Den Vater des allmächtigen Wortes und Bräutigams wollen wir darum bitten, dass er selbst uns die Riegel dieses Geheimnisses öffne, wodurch wir nicht nur erleuchtet werden können, um es zu erkennen, sondern auch, um es vorzutragen, und entsprechend der Aufnahmefähigkeit der künftigen Leser die angemessene Form der geistigen Beredsamkeit empfangen. 14. In vielen Zusammenhängen haben wir oft gezeigt,296 dass der Glanz des Goldes die verständige und unkörperliche Natur versinnbildlicht, Silber hingegen die Kraft des Wortes und der Vernunft,297 entsprechend dem, was auch Gott durch den Propheten sagt: „Ich habe euch Silber und Gold gegeben, ihr aber habt silberne und goldene Baale daraus gemacht“,b womit er zeigt und sagt: Ich habe euch den Verstand und die Vernunft gegeben, durch die ihr mich, Gott, denken und verehren könntet. Ihr aber habt den Verstand und die Vernunft, die in euch sind, zur Verehrung von Dämonen missbraucht. 15. Aber es heißt auch: „Die Worte des Herrn sind reine Worte, durch Feuer geläutertes Silber“,c und desgleichen wird anderswo „die Zunge des Gerechten“ als „feuriges Silber“d erwähnt. Die Cherubim hingegen werden (GCS Orig. 7, 54f.); in Luc. hom. 27,6 (GCS Orig. 92, 160). Siehe auch in Cant. comm. III 16(IV 2),23. 297 Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 415 Anm. 2, weisen richtig darauf hin, dass Rufinus mit uerbum ac ratio wohl die beiden Hauptbedeutungen des griechischen Wortes loÂgow mit zwei lateinischen Begriffen wiedergibt. Analog verfährt er in Cant. comm. II 8,23; III 1,6.

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dicuntur, a quoniam quidem plenitudo scientiae interpretantur. Sed et candelabrum in tabernaculo testimonii aureum b et solidum poni iubetur, quod mihi uidetur formam tenere naturalis legis, in qua lux scientiae c habetur. 16. Sed quid opus est multa congregare testimonia, cum in promptu sit scire uolentibus in multis scripturae locis hoc indicari, quod aurum ad sensum mentemque reuocetur, argentum uero ad uerbum atque eloquia referatur? Nunc ergo properemus ad contemplandum, quomodo secundum ea, quae praemisimus, amici sponsi dicant se similitudines auri facere sponsae cum distinctionibus argenti. d 17. Videtur ergo mihi, quod lex, quae per angelos disposita est in manu mediatoris, e quoniamquidem umbram habebat futurorum bonorum, non ipsam imaginem rerum, f et quaecumque contingebant illis, qui in lege referuntur, in figura et non in ueritate contingebant, ista omnia similitudines auri fuerunt, non aurum uerum. Quod scilicet aurum uerum in illis, quae incorporea sunt et inuisibilia ac spiritalia, intelligatur, similitudo uero auri, in quo non est ipsa ueritas, sed umbra ueritatis, ista corporea et uisibilia accipiantur. 18. Verbi gratia, similitudo auri fuit illud tabernaculum manu factum, g de quo dicit apostolus: „Non enim in sancta manu facta introiuit Iesus exemplaria uerorum, sed in ipsum caelum.“ h 19. Ergo quae in caelis sunt inuisibilia et incorporea, illa sunt uera, ista autem, quae in terris sunt uisibilia et corporea, exemplaria uerorum dicuntur esse, non uera. Ista ergo sunt, quae et similitudines auri appellantur, in quibus est et arca testamenti i et propitiatorium et Cherubim j et altare incensi k et mensa propositionis et Ex. 25,17(18) Hebr. 10,1 25,16–21(17–22) a f

g

b Ex. 25,30(31) Hebr. 9,11 k Ex. 30,1–6

h

c Hos. 10,12 Hebr. 9,24

i

d e Hld. 1,11 Gal. 3,19 j Ex. 25,9–16(10–17) Ex.

298 Vgl. Philon, vit. Mos. II 98 (IV p. 223 Cohn/Wendland): „Cherubim in der hebräischen Sprache, aber wie es die Griechen übersetzen: vollständiges Wissen und vollständige Erkenntnis (eÆpiÂgnvsiw kaiÁ eÆpisthÂmh pollhÂ).“ Diese Etymologie auch bei Clemens von Alexandria, strom. V 35,6 (GCS Clem. Al. 24, 350); Origenes, in Num. hom. 5,3 (GCS Orig. 7, 29): multitudo scientiae; Hieronymus, int. hebr. nom. p. 4 Lagarde (CChr.SL 72, 63); p. 12 (72, 74); p. 17 (72, 80); p. 35 (72, 103). Siehe Wutz, Onomastica sacra 158. 742. 299 Zum Naturgesetz bei Origenes siehe in Cant. comm. I 1,9 und dazu oben S. 130 Anm. 136, zum „Licht der Erkenntnis“ aus Hos. 10,12 siehe ebd. II 5,19 und dazu oben S. 238 Anm. 259. 300 Hinter dieser Unterscheidung dürfte die zwischen noe¨tischen Inhalten und sprachlichem Ausdruck stehen, wie sie von Origenes, sel. in Hiez. 16,11 (XIV p. 220 Lommatzsch), ausgedrückt wird, wo Gold die nohÂmata ueiÂa und Silber die loÂgoi iëeroi symbolisiert. Wenn dem so ist, dann bezieht Origenes Gold und Silber auf die „noe¨tische“ und die „logische“ Dimension der geistigen Wirklichkeit, mithin auf das geistige Sein in seiner Einheit (noyÄw) und in seiner in Raum und Zeit explizierten Vielheit (loÂgow). Für dieses Konzept der Verschränkung von Einheit und Vielheit der Wirklichkeit in der christologischen Weisheits-Metaphysik des Origenes

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golden genannt,a da sie ja übersetzt Fülle der Erkenntnis bedeuten.298 Doch es wird auch angeordnet, dass ein massiver goldenerb Leuchter im Zelt des Zeugnisses aufgestellt wird, der mir das natürliche Gesetz, in dem das Licht der Erkenntnisc enthalten ist,299 zu symbolisieren scheint. 16. Doch wozu viele Zeugnisse zusammentragen, wo doch für die, die es wollen, leicht zu erkennen ist, dass an vielen Stellen der Schrift darauf hingewiesen wird, dass Gold den Verstand und das Denken betrifft, Silber hingegen auf das Wort und die Ausdrucksweise hinweist?300 Nun also wollen wir rasch dazu kommen, zu betrachten, in welchem Sinn entsprechend dem, was wir vorausgeschickt haben, die Freunde des Bräutigams sagen, der Braut Nachbildungen von Gold mit Verzierungen von Silber zu machen.d 17. Weil also das Gesetz, das durch Engel in der Hand eines Mittlers verordnet worden ist,e da es ja nur einen Schatten der künftigen Güter, nicht das Bild der Wirklichkeit selbst aufwies,f und weil all die Dinge, die jenen widerfuhren, die im Gesetz erwähnt werden, ihnen im Bild und nicht in Wahrheit widerfuhren, waren sie alle, scheint mir, Nachbildungen von Gold, nicht wahres Gold. Als dieses wahre Gold freilich werden die Dinge verstanden, die unkörperlich und unsichtbar und geistig sind, als Nachbildung des Goldes hingegen, in der nicht die Wahrheit selbst, sondern ein Schatten der Wahrheit ist, werden diese körperlichen und sichtbaren Dinge angesehen.301 18. Eine Nachbildung von Gold war zum Beispiel jenes handgemachte Zelt,g über das der Apostel sagt: „Denn Jesus ist nicht in die handgemachten Heiligtümer hineingegangen, die Abbilder der wahren sind, sondern in den Himmel selbst.“h 19. Also sind die Dinge, die im Himmel sind, die unsichtbaren und unkörperlichen, die wahren Dinge, die auf Erden aber, die sichtbaren und körperlichen, werden als Abbilder der wahren bezeichnet, nicht als wahre. Diese Dinge also sind es, die auch als Nachbildungen von Gold bezeichnet werden. Zu diesen gehört die Bundeslade,i der Gnadenthron,302 die Cherubim,j der Räucheraltar,k der Tisch und die siehe den grundlegenden Passus in Ioh. comm. I 19,111–115 (GCS Orig. 4, 23f.): Unter der Weisheit (die strukturell dem noyÄw entspricht) „ist die in sich strukturierte geistige Schau des Alls zu verstehen, unter Wort die Mitteilung des Geschauten an die Vernunftwesen“, und „entsprechend den Strukturvorgaben, wie Gott sie zuvor für all das, was sein würde, in der Weisheit festgesetzt hatte“, und „entsprechend den Mustern, die in ihr beschlossen lagen“, haben „die Wesen und die Materie Form und Gestalt und überhaupt ihr Dasein“ erhalten. 301 Nach platonischer Vorstellung ist die sinnenhafte Welt ein Schatten der wirklichen, geistigen Welt; der Gegensatz zu Wahrheit ist nicht Lüge oder Täuschung, sondern Bild (Abbild, Nachbildung). Vgl. Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 416 Anm. 1. In diesem Sinne ist die ganze in der Bibel dargelegte Geschichte ein „historisches Bild“ (eiÆkvÁn iëstorikhÂ) für das Heilswirken Gottes: in Ioh. comm. X 4,17 (GCS Orig. 4, 174). Siehe dazu Fürst, Studien 126–140. 302 Wahrscheinlich bezieht sich „Gnadenthron“ auf Ex. 25,16(17) und die dort erwähnte „Sühnestätte“.

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panes, a sed et uelamen b et columnae c ac serae et altare holocaustorum d et ipsum templum e atque omnia, quae in lege scripta sunt. Omnia haec similitudines erant auri. 20. Sed et ipsum aurum uisibile, pro eo quod uisibile erat, non erat aurum uerum, sed similitudo erat illius ueri auri inuisibilis. Istas ergo similitudines auri fecerunt sponsae ecclesiae amici sponsi, angeli uidelicet et prophetae, qui ministrauerunt in lege ceterisque mysteriis. Haec, opinor, et Paulus intelligens dicebat: „in religione angelorum, in his, quae uidet, frustra inflatus a sensu carnis suae“. f 21. Omnis ergo iudaicus cultus et religio similitudines sunt auri. Cum autem conuersus fuerit quis ad Dominum et ablatum fuerit ab eo uelamen, g tunc uidebit aurum uerum; cuius auri, antequam adesset et agnoscendum se praeberet, similitudines fecerunt sponsae amici eius, ut ex illis similitudinibus commonita et prouocata ueri auri desiderium caperet. 22. Hoc enim factum indicat Paulus, cum dicit: „Haec autem in figura contingebant illis, scripta sunt autem propter nos, in quos finis saeculorum deuenit.“ h Sed et finem, quem dicit Paulus, non intelligas temporalem; finis enim temporalis multos inueniet, pro quibus non scripta haec; neque enim huiusmodi de his recipient intellectum. Sed finem saeculorum perfectionem rerum intellige, quae utique Paulo et similibus eius aduenisse et propter ipsos scripta haec esse dicuntur. 23. Sed haec in excessu diximus uolentes ostendere, quomodo amici sponsi dicant ad sponsam facere se ei „similitudines auri cum distinctionibus argenti“ i per ea scilicet, quae in lege et prophetis j per figuras et imagines et similitudines et parabolas scripta tradiderunt. Sunt tamen in his et paruae quaedam distinctiones argenti, indicia scilicet quaedam spiritalis uerbi et interpretationis rationabilis, licet ualde rara et exigua. 24. Ante aduentum namque Domini uix sicubi aliquis prophetarum parum quid occulti sermonis a f

b c d e Ex. 25,25–29(23–30) Ex. 26,31 Ex. 26,37 Ex. 27,1–8 1 Kön. 6,2–38 g h i j Kol. 2,18 2 Kor. 3,16 1 Kor. 10,11 Hld. 1,11 Mt. 7,12

23 Cf. frg. 16 (Prokop 54; Barba`ra 12)

303 Siehe dazu in Cant. comm. II 8,2–9. 304 Vgl. in Gen. hom. 15,6 (GCS Orig. 6, 134): „Denn als Ende gilt die Vollkommenheit der Dinge und die Vollendung der Tugenden.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 277. Princ. I 6,1 (GCS Orig. 5, 78): „(Das Wort) ,Ende‘ lässt an eine ,Vollendung‘ der Dinge denken.“ Übersetzung: p. 215 Görgemanns/Karpp. 305 Die hier entwickelten Gedanken sind zentral in der Exegese des Origenes. Wie die sichtbare Welt ein Schatten und ein Bild der geistigen ist, so ist das Alte Testament Schatten und Vorausbild des Neuen und erfährt seine Erfüllung erst mit Christi

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Schaubrote,a aber auch der Vorhang,b die Säulenc und Querbalken, der Brandopferaltard und der Tempel selbste sowie alles, was im Gesetz geschrieben steht. Alle diese Dinge waren Nachbildungen von Gold. 20. Aber auch das sichtbare Gold selbst war deshalb, weil es sichtbar war, nicht das wahre Gold, sondern es war eine Nachbildung jenes wahren unsichtbaren Goldes. Solche Nachbildungen von Gold also machten die Freunde des Bräutigams für die Braut, die Kirche, offenbar die Engel und die Propheten, die Dienst taten im Gesetz und in den übrigen Mysterien.303 Weil dies, vermute ich, auch Paulus verstand, sprach er von „Verehrung der Engel in dem, was er sieht, ohne Grund aufgeblasen von seinem fleischlichen Denken“.f 21. Also sind der ganze jüdische Kult und die ganze jüdische Religion Nachbildungen von Gold. Wenn sich aber jemand zum Herrn bekehrt und die Hülle von ihm weggenommen wird,g dann wird er das wahre Gold sehen. Bevor dieses Gold da war und sich zu erkennen gab, machten seine Freunde der Braut Nachbildungen davon, damit sie von jenen Nachbildungen gemahnt und gelockt die Sehnsucht nach dem wahren Gold verspürte. 22. Auf dieses Geschehen nämlich weist Paulus hin, wenn er sagt: „Dies widerfuhr ihnen aber symbolisch, aufgeschrieben aber ist es unseretwegen, denen das Ende der Zeiten gekommen ist.“h Doch auch das Ende, von dem Paulus spricht, sollst du nicht als zeitliches verstehen, denn das zeitliche Ende wird viele treffen, für die das nicht aufgeschrieben ist. Leute dieser Art werden nämlich auch kein Verständnis für diese Dinge erlangen. Verstehe das Ende der Zeiten vielmehr als die Vollendung der Dinge,304 von denen es heißt, dass sie jedenfalls Paulus und seinesgleichen zuteil geworden und ihretwegen aufgeschrieben worden sind.305 23. Aber dies haben wir in einem Exkurs besprochen, weil wir zeigen wollten, in welchem Sinne die Freunde des Bräutigams zur Braut sagen, dass sie ihr „Nachbildungen von Gold mit Verzierungen von Silber“i machen, durch die Dinge nämlich, die sie im Gesetz und in den Prophetenj durch Symbole und Bilder und Gleichnisse und Parabeln schriftlich überliefert haben. Es gibt in diesen freilich auch kleine Verzierungen von Silber, das heißt gewisse Spuren des geistigen Wortes und einer vernunftgemäßen Interpretation,306 wenn auch sehr selten und ganz knapp. 24. Vor der Ankunft des Herrn nämlich legte kaum irgendwo einer der Propheten auch nur ein

Menschwerdung und Auferstehung. Damit legitimiert Origenes seine Auslegung des Alten Testaments: Die Buchstaben der alttestamentlichen Schriften haben einen tieferen Sinn, der im Auftreten Christi offenbar geworden ist. Und für Altes und Neues Testament zusammen gilt darüber hinaus, dass sie ihrerseits ein Bild für die Wahrheit Gottes sind (siehe oben S. 267 Anm. 301), die erst in der „Vollendung der Dinge“ allen (nicht nur „Paulus und seinesgleichen“) offenbar werden wird. 306 Zu dieser Deutung des Silbers siehe in Cant. comm. II 8,14.

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aperuit, uerbi gratia ut Esaias, cum dicit: „Vinea enim Domini Sabaoth domus Istrahel est, et domus Iuda nouella dilecta“ a et iterum alibi: „Aquae multae gentes multae sunt.“ b Et Ezechiel duas sorores nominans Oollam et Oolibam aliam Samariam distinguit esse et aliam Iudam; c et, sicubi talia quaedam ipsis prophetis interpretantibus aperiuntur, istae distinctiones dicuntur argenti. 25. Vbi uero Saluator et Dominus noster Iesus Christus aduenit ferens omnia uerbo uirtutis suae, d in passione eius indicium datum est, quod ea, quae in absconditis tegebantur et arcanis, in lucem proferentur et ad manifestationem uenient, per hoc, quod uelum templi, quo abdita sanctorum et arcana uelabantur, scissum est desursum usque deorsum e palam fore denuntians omnibus, quod intrinsecus uidebatur obtectum. 26. Sic ergo illud, quod per angelos et prophetas ministratum est, similitudo fuit auri cum distinctionibus paruis et exiguis argenti; haec autem, quae per ipsum Dominum nostrum Iesum Christum tradita sunt, in auro uero et argento solido collocata sunt. 27. Haec enim, quae per amicos sponsi facta est, „similitudo auri cum distinctionibus argenti“, f non in sempiternum mansura promittitur, sed tempus ei statuitur ab illis ipsis dicentibus: „usque quo rex sit in recubitu suo“. g 28. Cum enim recubans dormierit ut leo et sicut catulus leonis h et post haec suscitauerit eum Pater et resurrexerit a mortuis, i si qui fuerint conformes resurrectionis eius, j iam non in similitudine auri, id est non in rerum corporalium cultu manebunt, sed aurum uerum ab ipso percipient quaerentes et sperantes non ea, quae uidentur, sed quae non uidentur, k nec quae in terris sunt, sed quae in caelis, ubi Christus est in dextera Dei sedens, l et dicent quia „et si cognouimus Christum secundum carnem aliquando, sed nunc iam non nouimus“. m 29. Non ergo iam distinctionibus paruis argenti, sed in latitudinem diffuso utentur argento. Audient enim, quia in illa auri similitudine petra, quae sequi dicitur et potum populo praebere, Christus est n et mare baptismus est o et nubes Spiritus Sanctus est, et manna Verbum Dei est p et agnus paschae Saluator est q et sanguis agni passio Christi est, r et uelum, quod est in sanctis sanctorum, s quo diuina illa et b c d Jes. 5,7 Offb. 17,15 Ez. 23,4 Hebr. 1,3 h i j Hld. 1,12 Gen. 49,9 Gal. 1,1 Phil. 3,10 m n o 2 Kor. 5,16 1 Kor. 10,4 1 Kor. 10,1f. r s Offb. 7,14 Ex. 26,31 a

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e Mt. 27,51 2 Kor. 4,18 p Joh. 6,31–35 k

Hld. 1,11 Kol. 3,2.1 q Joh. 1,29

f l

307 Origenes vermischt wohl Offb. 17,15 mit Jer. 51,13 und weist den Satz irrtümlich Jesaja zu. Beispiele für derartige Mischzitate, die Origenes öfter unterlaufen, bei Koetschau, Bibelcitate 331f. 333f. 308 Vgl. die ausführliche Auslegung dazu in Matth. comm. ser. 138 (GCS Orig. 11, 284–286). 309 Siehe dazu in Cant. hom. 1,10 (GCS Orig. 8, 42).

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weniges von der verborgenen Rede offen dar, wie zum Beispiel Jesaja, wenn er sagt: „Denn ein Weinberg des Herrn Zebaoth ist das Haus Israel, und das Haus Juda sein geliebter junger Weinstock“,a und desgleichen anderswo: „Die vielen Wasser sind die vielen Völker.“b 307 Und Ezechiel, der zwei Schwestern Oolla und Ooliba nennt, macht die Unterscheidung, dass die eine Samaria und die andere Juda ist.c Und wo immer solche Dinge dadurch, dass die Propheten selbst sie erläutern, offen dargelegt werden, ist von Verzierungen von Silber die Rede. 25. Sobald jedoch unser Erlöser und Herr Jesus Christus ankam, der alle Dinge mit dem Wort seiner Macht trägt,d wurde durch sein Leiden ein Hinweis darauf gegeben, dass das, was im Verborgenen und im Geheimen versteckt war, ans Licht gebracht und dadurch offenbar werden wird, dass der Vorhang des Tempels, von dem die verborgenen und geheimen Heiligtümer verhüllt wurden, von oben bis unten zerriss,e wodurch für alle draußen öffentlich gemacht wurde, was drinnen verborgen zu sein schien.308 26. So war also das, was durch die Engel und Propheten dargeboten worden ist, eine Nachbildung von Gold mit kleinen und knappen Verzierungnen von Silber. Das aber, was durch unseren Herrn Jesus Christus selbst übergeben worden ist, ist in wahres Gold und massives Silber gefasst. 27. Denn das, was von den Freunden des Bräutigams angefertigt worden ist, die „Nachbildung von Gold mit Verzierungen von Silber“,f verspricht nicht ewige Dauer, sondern ihm wird eine Frist gesetzt von jenen, die selbst sagen: „solange der König auf seinem Lager ruht“.g 28. Nachdem er sich nämlich zur Ruhe gelegt und geschlafen hat wie ein Löwe und wie ein Löwenjungesh und der Vater ihn danach auferweckt hat und er von den Toten auferstanden ist,i werden, wenn es welche geben wird, die seiner Auferstehung gleichgestaltet sind,j diese nicht mehr in der Nachbildung von Gold, das heißt nicht in der Verehrung von körperlichen Dingen verharren, sondern wahres Gold von ihm empfangen,309 da sie nicht erfragen und erhoffen, was man sieht, sondern was man nicht sieht,k noch was auf Erden ist, sondern was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt,l und sie werden sagen: „Auch wenn wir Christus einst dem Fleische nach gekannt haben, kennen wir ihn jetzt doch nicht mehr so.“m 29. Sie werden also nicht mehr kleine Verzierungen von Silber verwenden, sondern großflächig aufgetragenes Silber. Sie werden nämlich vernehmen, dass in jener Nachbildung von Gold der Fels, von dem es heißt, er folge dem Volk und gebe ihm zu trinken, Christus ist,n das Meer die Taufe ist,o die Wolke der Heilige Geist ist,310 das Manna das Wort Gottes ist,p das Paschalamm der Erlöser ist,q das Blut des Lammes das Leiden Christi ist,r der Vorhang im Allerheiligsten,s von dem jene göttlichen und geheimen Dinge 310 Vgl. dazu die ausführlichen Allegorien zur „lichten Wolke“ in Mt. 17,2 in Matth. comm. XII 42 (GCS Orig. 10, 165–167), wo diese Wolke u.a. als Heiliger Geist aufgefasst wird.

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arcana tegebantur, caro eius est, a aliaque innumera ex resurrectione eius patebunt, non iam parua ut prius distinctione, sed latissima expositione patefacta. 30. Adhuc autem ut clarius fiat, quod dicit: „usque quo rex sit in recubitu suo“, b etiam de secunda Balaam prophetia, quae de Christo ita continet, proferamus: „Orietur“, inquit, „stella ex Iacob, et exiet homo de semine eius, et dominabitur gentibus multis; et exaltabitur Gog regnum eius, et crescet regnum eius. Deus educet eum ex Aegypto, sicut gloria unicornis, et comedet gentes inimicorum suorum et crassitudines eorum emedullabit et iaculis suis sagittabit eos. Recumbens requiescet ut leo et sicut catulus leonis; quis suscitabit eum?“ c 31. Considera ergo ex his diligentius et uide, quomodo omnis similitudo auri usque ad certum tempus, ad recubitum scilicet regis, stare memoratur. Post haec autem exaltabitur Gog, id est super tecta, regnum eius, cum uidelicet de terris ad caelestia fuerit tecta translatum. Sed de his plenius, prout Dominus dedit, in Numerorum libro prosecuti sumus. 32. Requiramus sane, si etiam sanctis patribus ipsis et prophetis, qui ministrauerunt Verbum ante aduentum Domini nostri Iesu Christi, perfectionis huius, quae est ueri auri, gratia data sit an tantum futura haec intellexerint et in spiritu uentura praeuiderint d atque ob hoc solum dixerit Dominus de Abraham, quia desiderauerit uidere diem eius et uiderit et laetatus sit, e quod scilicet in spiritu futura praeuiderit. 33. Et magis fortasse hoc ita esse etiam ille sermo confirmet, qui ait: „Multi iusti desiderauerunt uidere, quae uidetis, et non uiderunt, et audire, quae auditis, et non audierunt.“ f Quamuis nec illis potuerit defuisse perfectio ueniens ex fide. Quae enim nos facta credimus, haec illi maiore cum exspectatione futura credebant. Sicut a f

Hebr. 10,20 Mt. 13,17

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Hld. 1,12

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Num. 24,17.7–9

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1 Petr. 1,10–12

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Joh. 8,56

311 Bei Plinius, hist. nat. VIII 76, findet man das Einhorn wie folgt beschrieben: Es lebt in Indien, hat den Körper eines Pferdes, den Kopf eines Hirsches, die Füße eines Elephanten, den Schwanz einer Ziege, und sein Brüllen ist gewaltig. Außerdem trägt es in der Mitte der Stirn ein schwarzes Horn von einer Länge von zwei Ellen, und es kann nicht gefangen werden. 312 Der lateinische Text scheint hier etwas unglücklich formuliert, ist aber doch verständlich: Der Zeitraum, währenddessen die „Nachbildungen von Gold Bestand haben“, ist charakterisiert durch das Ruhen des Königs (nach seinem Aufstehen, der Auferstehung, gibt es echtes Gold). Das drückt Rufinus parallel aus: usque ad …, (usque) ad …, wobei allerdings zum ersten usque ad ein Zeitpunkt angegeben wird, der einen Zeitraum abschließt, zum zweiten eine Tätigkeit (das Ruhen des Königs), die während dieses Zeitraums stattfindet – nicht zu dem Zeitpunkt eintritt, da der zuerst genannte Zeitraum endet (so übersetzen Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 425, fälschlich: „jusqu’au coucher du Roi“; ebenso Lawson, ACW 26, 156: „until

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verborgen wurden, sein Fleisch ista und dass unzählige andere Dinge seit seiner Auferstehung offen liegen werden, offenbar gemacht nicht mehr durch eine kleine Verzierung wie früher, sondern durch eine weit ausholende Darlegung. 30. Damit aber noch deutlicher wird, was die Aussage: „solange der König auf seinem Lager ruht“b bedeutet, wollen wir auch einen Passus aus der zweiten Weissagung Bileams heranziehen, die über Christus Folgendes enthält: „Ein Stern“, sagt er, „wird aus Jakob aufgehen und ein Mensch aus seinem Samen hervorgehen, und er wird über viele Völker herrschen, und sein Königreich wird über Gog erhöht werden und sein Königreich wird wachsen. Gott wird ihn aus Ägypten herausführen wie die Herrlichkeit eines Einhorns,311 und er wird die Völker seiner Feinde auffressen und ihnen das Mark aus den Knochen saugen und sie mit seinen Pfeilen durchbohren. Wenn er sich niederlegt, wird er ruhen wie ein Löwe und wie ein Löwenjunges. Wer wird ihn aufwecken?“c 31. Ziehe daraus also sorgfältiger deine Schlussfolgerungen und sieh, in welchem Sinn erwähnt wird, dass jede Nachbildung von Gold bis zu einer bestimmten Zeit, solange312 nämlich der König ruht, Bestand hat. Danach aber wird sein Königtum über Gog, das heißt: über die Dächer,313 erhöht werden, wenn er nämlich von der Erde zu den himmlischen Wohnungen entrückt sein wird. Doch hierüber haben wir, soweit der Herr es gewährt hat, im Buch Numeri ausführlicher gehandelt.314 32. Wir wollen allerdings untersuchen, ob auch den heiligen Vätern selbst und den Propheten, die dem Wort vor der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus dienten, die Gnade dieser Vollkommenheit, die von wahrem Gold ist, gewährt worden ist oder ob sie diese Dinge nur als zukünftige verstanden und ihr Kommen im Geist vorhergesehen habend und allein deswegen der Herr über Abraham gesagt hat, dass er sich danach sehnte, seinen Tag zu sehen, und ihn sah und sich freute,e weil er nämlich im Geist die Zukunft vorhergesehen hat. 33. Und dass es sich so verhält, bestätigt vielleicht auch jener Ausspruch noch mehr, der lautet: „Viele Gerechte ersehnten zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“f Freilich konnte auch ihnen die Vollkommenheit, die aus dem Glauben kommt, nicht fehlen. Was wir nämlich als Geschehenes glauben, glaubten jene mit größerer Erwartung als

the King’s reclining“; Simonetti, CTePa 1, 172, hat diesen Satzteil zu übersetzen vergessen). Angesichts aller Erläuterungen, die Origenes im Vorausgehenden gegeben hat, kann der Text nur so gemeint sein, wie wir ihn übersetzen. 313 Vgl. in Num. hom. 17,5 (GCS Orig. 7, 164): Gog super tecta interpretatur. Vgl. Hieronymus, int. hebr. nom. p. 51 Lagarde (CChr.SL 72, 123): Gog dv Ä ma, id est tectum; p. 57 (72, 131); p. 80 (72, 160). 314 Siehe die Auslegung von Num. 24,7f. in Num. hom. 17,5 (GCS Orig. 7, 164f.). Zum selben Hinweis in Cant. comm. prol. 4,2 siehe oben S. 104 Anm. 84.

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ergo ex aduentu Christi credentes praeteritorum fides, ita et illos futurorum ad summam perfectionis adduxit. 34. Quod si ad unamquamque animam referatur expositio, uidebitur: Donec paruula est adhuc anima et imperfecta et sub tutoribus et procuratoribus a posita, siue doctoribus ecclesiae siue angelis, qui paruulorum esse dicuntur et uidere semper faciem Patris, qui in caelis est, b similitudines auri fiunt ei, cum non solidis et fortibus alitur Verbi Dei cibis, c sed similitudinibus imbuitur, uelut si dicamus, parabolis et exemplis docetur, pro quibus et ipse Christus dicitur aetate et sapientia crescere et gratia apud Deum et homines. d 35. In istis ergo similitudinibus imbuitur et fiunt ei paruulae distinctiones argenti. e Aperiuntur enim interdum et his, qui imbuuntur, parua aliqua et rara de secretioribus mysteriis, ut desiderium concipiant maiorum; neque enim desiderari quid potest, si penitus ignoretur. 36. Et ideo incipientibus et primis in eruditionibus positis sicut non sunt ad subitum cuncta pandenda, ita neque penitus abscondenda sunt spiritalia et mystica, sed, ut ait Sermo diuinus, faciendae sunt iis distinctiones argenti et scintillae quaedam spiritalis intelligentiae animis eorum iniciendae sunt, ut gustum quodammodo desiderandae dulcedinis sumant, ne, ut diximus, si penitus ignoretur, nec omnino desideretur. 37. Verum quod paruulam nominamus animam, nemo ita accipiat, quasi secundum substantiam paruula dicatur, sed cui deest eruditio et in qua exiguus est intellectus ac minima peritia, hanc paruulam dicimus animam. Igitur haec fieri conuenit, „usque quo rex sit in recubitu suo“, f id est usque quo in id proficiat huiusmodi anima, ut capiat regem recumbentem in semet ipsa. 38. Sic enim dicit hic rex quia: „Habia

Gal. 4,2

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Mt. 18,10

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Hebr. 5,12

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Lk. 2,52

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Hld. 1,11

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Hld. 1,12

315 Nach Origenes steht die Erkenntnis der Väter und Propheten im Alten Testament derjenigen der Apostel im Neuen Testament nur in der Hinsicht nach, dass die Apostel zusätzlich die Erfüllung der alttestamentlichen Voraussagen erfahren haben. Beiden aber wurde aufgrund ihrer Bemühungen Einsicht in die göttlichen Mysterien gewährt; in Ioh. comm. VI 5,30 (GCS Orig. 4, 113): „So sind auch die Apostel nicht weiser als die Väter oder als Mose und die Propheten und besonders nicht als diejenigen, die ob langer Bemühung göttlicher Erscheinungen und Kundgaben und der Offenbarungen großer Mysterien gewürdigt wurden.“ Übersetzung: p. 180 Gögler. 316 Siehe dazu auch in Cant. comm. II 3,16. 317 Auch hiermit grenzt sich Origenes von gnostischen Vorstellungen ab, nach denen die Unvollkommenheit der „Kleinen“, d.h. der „Psychiker“ – nach Herakleon, frg. 40 (p. 80 Völker), aus Origenes, in Ioh. comm. XIII 60,416 (GCS Orig. 4, 291), ist

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Zukünftiges. Wie also seit der Ankunft Christi der Glaube an vergangene Ereignisse die Gläubigen, so führte auch jene der an zukünftige zur höchsten Vollkommenheit.315 34. Wenn aber die Erklärung auf die einzelne Seele bezogen wird, wird Folgendes erkennbar werden: Solange die Seele noch klein und unvollkommen ist und unter der Aufsicht von Vormündern und Bevollmächtigtena steht, entweder von Lehrern der Kirche oder von Engeln, von denen man sagt, dass sie die Engel für die Kleinen sind und allezeit das Angesicht des Vaters, der im Himmel ist, schauen,b 316 werden Nachbildungen von Gold für sie gemacht, weil sie nicht mit den festen und starken Speisen des Wortes Gottes ernährt,c sondern mit Nachbildungen eingeführt wird, als ob wir sagten, dass sie mit Gleichnissen und Beispielen belehrt wird, deretwegen es auch von Christus selbst heißt, dass er an Alter und Weisheit sowie an Gnade bei Gott und den Menschen zunimmt.d 35. Mit Hilfe dieser Gleichnisse wird sie also eingeführt, und es werden für sie, die noch klein ist, Verzierungen von Silbere gemacht. Es werden nämlich auch denen, die eingeführt werden, hier und da kleine und wenige Teile von den geheimeren Mysterien eröffnet, damit sie Sehnsucht nach Größerem bekommen. Es kann nämlich nichts ersehnt werden, wenn man es überhaupt nicht kennt. 36. Und daher darf man den Anfängern und denen, die sich in den ersten Ausbildungsphasen befinden, ebenso, wie man ihnen nicht auf einmal alle Lehren eröffnen darf, auch die geistigen und mystischen nicht vollkommen verbergen, sondern muss ihnen, wie das göttliche Wort sagt, Verzierungen von Silber machen und ihren Seelen gewisse Funken geistiger Erkenntnis einträufeln, damit sie gewissermaßen Geschmack an der begehrenswerten Süße bekommen, damit sie nicht, wie gesagt, wenn man sie überhaupt nicht kennt, auch überhaupt nicht ersehnt wird. 37. Dass wir aber die Seele als klein bezeichnen, möge niemand so auffassen, als würde sie hinsichtlich ihrer Substanz klein genannt, sondern die Seele, der die Bildung fehlt und in der der Verstand gering und die Erfahrung ganz gering ist, die nennen wir klein.317 Deshalb hat dies geziemenderweise zu geschehen, „bis318 der König auf seinem Lager ruht“,f das heißt, bis eine solche Seele dahin gelangt, dass sie den König aufnimmt, der sich in ihr selbst niederlegt. 38. Dieser König

der „kleine König“ ein Bild des psychischen Schöpfergottes –, auf ihre Substanz oder Natur zurückzuführen ist. Für Origenes besteht ihre „Kleinheit“ nur in ihrer mangelnden Übung und Ausbildung und ist deshalb durch Erziehung überwindbar. 318 Anders als in Cant. comm. II 8,31 (siehe oben S. 272 Anm. 312) verschiebt Origenes mit dieser Auslegung den Sinn des usque quo von „solange“ zu „bis“. Das entsprechende Kolon aus Hld. 1,12 markiert hier nicht einen Zeitraum, der einmal endet, damit etwas Neues beginnt, sondern den Zeitpunkt, an dem dieses Neue beginnt und dann nicht mehr endet.

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tabo in iis et inambulabo in iis“, a profecto qui tantam Verbo Dei cordis sui latitudinem praebent, ut etiam in iis deambulare dicatur, spatiis scilicet amplioris intelligentiae agnitionisque diffusioris. 39. Ita ergo et recubare dicitur in anima illa sine dubio, de qua ipse Dominus dicit per prophetam: „Super quem requiescam nisi super humilem et quietum et trementem sermones meos?“ b Habet ergo rex iste, qui est Sermo Dei, in ea anima, quae iam ad perfectum uenerit, recubitum suum, si tamen non sit in ea aliquod uitium, sed plena sit sanctitate, plena pietate, fide, caritate, pace omnibusque uirtutibus. Tunc enim delectat in ea recubare regem et habere recubitum. 40. Ad hanc enim animam Dominus dicebat quia: „Ego et Pater ueniemus et caenabimus cum eo et mansionem faciemus apud eum.“ c Vbi ergo caenat Christus cum Patre et ubi mansionem facit, quidni et recumbit? Beata latitudo illius animae, beata strata illius mentis, ubi et Pater et Filius, ut non dubito, una cum Spiritu Sancto recumbit et caenat et mansionem facit. 41. Quibus putas opibus, quibus copiis tales conuiuae pascuntur? Pax ibi primus cibus est, humilitas simul apponitur ac patientia, mansuetudo quoque et lenitas, et quod summae ei suauitatis est, puritas cordis. Caritas autem in hoc conuiuio principalem obtinet locum. 42. Tali ergo modo etiam tertia expositione ad unamquamque animam referri posse uidebitur, quod ait: „Similitudines auri faciemus tibi cum distinctionibus argenti, quoadusque rex sit in recubitu suo.“ d a

2 Kor. 6,16; Lev. 26,11f.; Ez. 37,27

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Jes. 66,2

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Joh. 14,23

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Hld. 1,11f.

319 In Cant. comm. prol. 3,13 hat Origenes schon das Thema der „Weite der Seele“ angesprochen, die darin besteht, einen geistigen Raum, eine geistige Aufnahmefähigkeit für die großen Geheimnisse zu bieten. Vgl. auch in Luc. hom. 21,5f. (GCS Orig. 92, 130f.). 320 Vgl. in Gen. hom. 14,4 (GCS Orig. 6, 126): „Er richtet dir also ein großes Gastmahl aus, und er selbst speist mit dir – wenn er nicht in dir jemanden findet, dem er sagen muss: ,Ich konnte nicht mit euch reden wie mit Geistigen, sondern wie mit Fleischlichen, wie mit Kleinkindern in Christus‘ (1 Kor. 3,1).“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 259. Vgl. auch in Hiez. hom. 14,2 (GCS Orig. 8, 453).

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spricht nämlich so: „Ich werde in ihnen wohnen und in ihnen wandeln“,a sicherlich in denen, die dem Wort Gottes in ihrem Herzen eine solche Weite bieten, dass es heißt, er wandle sogar in ihnen, das heißt in den Weiten eines größeren Verständnisses und einer breiteren Erkenntnis.319 39. So wird also ohne Zweifel auch gesagt, er ruhe in jener Seele, über die der Herr selbst durch den Propheten spricht: „Auf wem soll ich ruhen, wenn nicht auf dem Demütigen und Friedfertigen, der vor meinen Worten zittert?“b Dieser König, der das Wort Gottes ist, hat also sein Ruhelager in der Seele, die schon zum Vollkommenen gelangt ist, allerdings nur, wenn sich in ihr keinerlei Laster befindet, sondern sie voller Heiligkeit, voller Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Frieden und allen Tugenden ist. Dann nämlich macht es dem König Freude, sich in ihr niederzulegen und sein Ruhelager zu haben. 40. Zu dieser Seele nämlich sagte der Herr: „Ich und der Vater werden kommen und mit ihm speisen und bei ihm Wohnung nehmen.“c Wo also Christus zusammen mit dem Vater speist320 und wo er Wohnung nimmt, sollte er sich dort nicht auch niederlegen? Selig ist die Weite jener Seele, selig sind die Polster ihres Verstandes, wo sich sowohl der Vater als auch der Sohn zusammen, wie ich nicht bezweifle, mit dem Heiligen Geist321 niederlegen und speisen und Wohnung nehmen. 41. Was glaubst du, von welchen Schätzen, von welcher Fülle solche Tischgenossen sich ernähren? Friede ist dort die erste Speise, zugleich wird Demut und Geduld aufgetragen, auch Sanftmut und Milde, und, was für ihn von höchster Süße ist, Reinheit des Herzens.322 Die Liebe aber nimmt bei diesem Gastmahl den führenden Platz ein. 42. Auf diese Weise also wird man anscheinend auch mit einer dritten Auslegung auf die einzelne Seele beziehen können, was so gesagt ist: „Nachbildungen von Gold werden wir dir machen mit Verzierungen von Silber, solange der König auf seinem Lager ruht.“d

321 Auch wenn im Bibeltext nur vom Kommen von Vater und Sohn die Rede ist, zweifelt Origenes von seiner triadischen Offenbarungsvorstellung her nicht daran, dass diese Einwohnung von Vater und Sohn nur in Verbindung mit der Einwirkung des Heiligen Geistes möglich ist. Denn nach princ. I 3,8 (GCS Orig. 5, 61) können Vater und Sohn nur in einer Seele einwohnen, die durch den Heiligen Geist geheiligt worden ist. 322 Zu diesen Speisen siehe auch in Cant. comm. III 5,7.

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Hoheliedkommentar

Hld. 1,12: „Mein Nardenöl verströmte seinen Geruch.“

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9,1. „Nardus mea dedit odorem suum“ – siue „odorem eius.“ a In specie dramatis hoc uidetur ostendi, quod post haec uerba ingressa sit sponsa ad sponsum et unguentis suis unxerit eum, ac miro quodam genere, quasi nardus, quae prius odorem non dederat, cum esset apud sponsam, tunc dederit odorem suum, cum corpus contigit sponsi, ut non tam ille ex nardo odorem quam nardus ex ipso sumpsisse uideatur. 2. Si uero secundum hanc differentiam, quae in aliis inuenitur exemplaribus, legimus: „Nardus mea dedit odorem eius“, inuenitur adhuc aliquid diuinius, ut [uideatur] unguentum hoc nardi, quo unctus est sponsus, non tam suum, qui nardo inesse naturaliter solet, sed ipsius sponsi odorem ceperit et ipsius odorem ad sponsam reportauerit nardus, ut in eo, quo unxit eum, odorem sponsi ipsius unguenti munus acceperit et hoc sit, quod dicere uideatur: Nardus mea, qua unxi sponsum, regressa ad me odorem mihi detulit sponsi et uelut superato naturali suo odore, prae fraglantia sponsi ipsius mihi detulit suauitatem. Haec habet historici dramatis explanatio; sed ueniamus iam nunc ad intelligentiam spiritalem. 3. Ponamus hic sponsam ecclesiam in persona Mariae, quae decenter utique dicitur afferre libram unguenti nardi pretiosi et unguere pedes Iesu et detergere capillis suis b et recipere quodammodo ac recuperare per crinem capitis sui ad semet ipsam unguentum ex qualitate ac uirtute corporis eius infectum et odorem non tam nardi per unguentum quam ipsius Verbi Dei ad se trahentem per capillos, quibus abstergebat pedes, et imposuisse capiti suo non tam nardi quam Christi fraglantiam et dicere quia nardus mea missa in corpus Christi reddidit mihi odorem eius. 4. Denique uide, quomodo haec ipsa referuntur. „Maria“, inquit, „attulit libram unguenti nardi pretiosi et unxit pedes Iesu et extersit capillis capitis sui; domus autem“, inquit, „tota repleta est odore unguenti.“ c 5. Quod utique indicat, quia odor doctrinae, qui procedit de Christo, et Sancti Spiritus fraglantia repleuit omnem mundi a

Hld. 1,12

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Joh. 12,3

c

Joh. 12,3

6 Cf. frg. 17 (Prokop 59; Barba`ra 13)

323 Ausführlicher zur Person und zur Szene siehe in Cant. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 43f.).

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9. Der Glaube der Seele und die vielfältigen Gaben Christi und des Heiligen Geistes

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9,1. „Mein Nardenöl verströmte seinen Geruch“ – oder „den Geruch von ihm.“a Nach Art des Dramas scheint Folgendes dargestellt zu werden: Nach den vorausgegangenen Worten ist die Braut zum Bräutigam hineingegangen und hat ihn mit ihren Salbölen gesalbt, und auf irgendeine wundersame Weise hat gleichsam das Nardenöl, das vorher, während es bei der Braut verblieb, keinen Geruch verströmt hatte, danach, sobald es den Leib des Bräutigams berührte, seinen Geruch verströmt, so dass offenbar nicht so sehr jener vom Nardenöl als vielmehr das Nardenöl von ihm den Geruch empfangen hat. 2. Wenn wir aber mit der Variante, die sich in anderen Ausgaben findet, lesen: „Mein Nardenöl verströmte den Geruch von ihm“, findet man noch etwas Göttlicheres, nämlich, dass dieses Salböl von Narde, mit dem der Bräutigam gesalbt wurde, nicht so sehr seinen eigenen Geruch, der dem Nardenöl natürlicherweise anzuhaften pflegt, sondern den des Bräutigams selbst angenommen hat und dass das Nardenöl dessen Geruch zur Braut zurückgebracht hat, so dass sie darin, womit sie ihn salbte, den Geruch des Bräutigams selbst als Gegengabe für das Salböl empfangen hat und sie damit Folgendes zu sagen scheint: Mein Nardenöl, mit dem ich den Bräutigam gesalbt habe, kam zu mir zurück und brachte mir den Geruch des Bräutigams, und als wäre sein eigener natürlicher Geruch durch den Duft des Bräutigams überwunden worden, brachte es mir seine Süße. Soweit die Erklärung des erzählten Dramas. Doch nunmehr wollen wir zum geistigen Verständnis kommen. 3. Wir wollen hier die Braut, die Kirche, als die Person der Maria ansehen,323 von der jedenfalls ganz passend erzählt wird, sie habe ein Pfund kostbaren Nardensalböls gebracht und die Füße Jesu gesalbt und mit ihren Haaren abgewischt,b und irgendwie habe sie durch das Haar ihres Hauptes für sich selbst das Salböl, das von der Qualität und Kraft seines Leibes imprägniert worden war, zurückbekommen und wiedergewonnen, und indem sie durch das Salböl nicht so sehr den Geruch des Nardenöls als vielmehr den des Wortes Gottes selbst mit ihren Haaren, mit denen sie die Füße abtrocknete, an sich zog, habe sie nicht so sehr den Duft des Nardenöls als vielmehr den Duft Christi auf ihr Haupt getan und gesagt: Mein Nardenöl, das auf den Leib Christi getan wurde, gab mir den Geruch von ihm zurück. 4. Sieh schließlich, wie diese Dinge geschildert werden: „Maria“, heißt es, „brachte ein Pfund kostbaren Nardensalböls und salbte die Füße Jesu und trocknete sie mit den Haaren ihres Hauptes. Das Haus aber“, heißt es, „war ganz erfüllt vom Geruch des Öls.“c 5. Das weist gewiss darauf hin, dass der Geruch der Lehre, der von Christus ausgeht, und der Duft des Heiligen

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Hoheliedkommentar

huius domum aut totius ecclesiae domum. Vel certe repleuit omnem domum animae illius, quae odoris Christi suscepit participium offerens primo fidei suae munus uelut unguentum nardi et recipiens ex hoc gratiam Spiritus Sancti et spiritalis doctrinae fraglantiam. 6. Quid ergo interest, utrum in Cantico Canticorum sponsa perunguat unguento sponsum an in euangelio discipula magistrum et Maria Christum sperans, ut diximus, redire ad se ex hoc unguento odorem Verbi et fraglantiam Christi, ut et ipsa dicat: „Bonus odor sumus Deo“? a 7. Et quoniam fide plenum fuit istud unguentum et pretiosi affectus, ob hoc et Iesus testimonium reddidit ei dicens: „Bonum opus operata est in me.“ b Sic ergo rursus in Cantico Canticorum post aliquanta amplectitur emissiones sponsae sicut hic opus Mariae; ait enim: „Emissiones tuae paradisus cum fructu pomorum, cyprus cum nardis, nardus et crocus.“ c Amplectitur ergo et in his emissiones ac munera sponsae. 8. Obseruauimus sane, quod in his, quae nunc memorauimus, pluraliter primo et postmodum singulariter nardum posuit. Quod puto secundum illam rationem dictum, qua negotiator regni caelorum primo plures margaritas negotiatur, usque quo ad unam perueniat pretiosam. d 9. Et forte, quod dixit: „Emissiones tuae paradisus cum fructibus pomorum“, e illos indicat fructus cum nardis plurimis, quos afferimus ex institutionibus et doctrina prophetica. Ex doctrina uero ipsius Domini Iesu Christi emissiones nostrae et munera non plures habent nardos, sed unam. a

2 Kor. 2,15

b

Mk. 14,6

c

Hld. 4,13f.

d

Mt. 13,45f.

e

Hld. 4,13

324 Baehrens, GCS Orig. 8, 166.17f., schreibt mit folgender Kommasetzung: odor doctrinae, qui procedit de Christo et Sancti Spiritus fraglantia, repleuit etc., was so zu übersetzten wäre: „Der Geruch der Lehre, der von Christus und vom Duft des Heiligen Geistes ausgeht, erfüllte“ etc. Demgegenüber ist wegen des folgenden Satzes (siehe die Erklärung in der folgenden Anmerkung) die Kommasetzung von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 438, und die entsprechende Übersetzung zu bevorzugen, auch wenn zu odor und fraglantia das Verbum im Singular konstruiert ist, was aber möglich ist, weil der Geruch Christi und der Duft des Heiligen Geistes als gleichsam zwei Aspekte ein und derselben Größe erscheinen. 325 Ebenso in princ. I 3,5 (GCS Orig. 5, 56): „Allein in denen, meine ich, wirkt der Heilige Geist, die sich bereits zum Besseren bekehrt haben und auf den Wegen Jesu Christi schreiten, die in guten Werken leben und in Gott bleiben.“ Übersetzung: p. 171 Görgemanns/Karpp. Im selben Sinn äußert sich Origenes ausführlich in einer energischen Verteidigung der Willensfreiheit in Num. hom. 12,3 (GCS Orig. 7, 101f.), darunter der Satz, ebd. (7, 102): „Wenn wir ihm nämlich unseren Glauben und unsere Zuneigung dargebracht haben, dann schenkt auch er selbst uns die

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Geistes324 das ganze Haus dieser Welt oder das Haus der ganzen Kirche erfüllt hat. Doch sicherlich hat er das ganze Haus jener Seele erfüllt, die am Geruch Christi Anteil erhalten hat, indem sie zuerst die Gabe ihres Glaubens wie Nardensalböl dargebracht und daraus die Gnade des Heiligen Geistes und den Duft der geistigen Lehre zurückbekommen hat.325 6. Was macht es also für einen Unterschied, ob im Hohelied die Braut den Bräutigam mit Salböl salbt oder im Evangelium die Jüngerin den Meister, Maria Christus, in der Hoffnung, wie wir gesagt haben, dass von dieser Salbe der Geruch des Wortes und der Duft Christi zu ihr zurückkehrt, wie sie auch selbst sagt: „Wir sind ein Wohlgeruch für Gott“?a 7. Und da dieses Salböl voll von Glauben und kostbarer Zuneigung war, deswegen stellte auch Jesus ihr das Zeugnis aus: „Ein gutes Werk wurde an mir getan.“b So also wie hier das Werk der Maria heißt er desgleichen im Hohelied etwas später die Schösslinge der Braut gut. Er sagt nämlich: „Deine Schösslinge sind ein Paradiesgarten mit der Frucht von Obstbäumen, eine Zypresse mit Nardenölen, Narde und Krokus.“c Er nimmt also auch hierin die Schösslinge und Gaben der Braut gerne an. 8. Wir haben allerdings bemerkt, dass in dem Passus, den wir gerade erwähnt haben, das Wort Narde zuerst im Plural und dann im Singular steht. Dies, glaube ich, ist aus dem Grund so gesagt worden, aus dem der Kaufmann des Himmelreiches zuerst viele Perlen kauft, bis er zu der einen kostbaren Perle gelangt.d 9. Und vielleicht weist die Aussage: „Deine Schösslinge sind ein Paradiesgarten mit Früchten von Obstbäumen“e auf jene Früchte mit sehr vielen Narden hin, die wir aus den Unterweisungen und der prophetischen Lehre beibringen. Aus der Lehre des Herrn Jesus Christus selbst hingegen haben unsere Schösslinge und Gaben nicht viele Narden, sondern eine einzige.

verschiedenen Gaben des Heiligen Geistes.“ Ebd. 24,2 (7, 228f.) erläutert er denselben Zusammenhang ausgehend vom Gebot der Gottesliebe, die der Mensch aufzubringen hat. Ebd. 23,2 (7, 211) betont er freilich andererseits, dass alle Gaben, die der Mensch Gott darbringt, ihm von diesem gegeben worden sind: „Niemand bringt Gott etwas Eigenes dar, sondern was er darbringt, gehört dem Herrn, und er bringt nicht so sehr Eigenes dar; vielmehr gibt er ihm zurück, was sein ist.“ Vgl. auch noch in Gen. hom. 8,10 (GCS Orig. 6, 85): „Denn wenn du dich Gott froh nahst, gibt er dir wieder zurück, was du gegeben hast … So wirst du denn, was du Gott gibst, vielfältig zurückempfangen.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 179. Diese gegensätzlichen Äußerungen gehören in das Spektrum der wie hier kontextbedingt widersprüchlichen Aussagen in der Freiheitslehre des Origenes, das oben S. 252 Anm. 282 angesprochen ist. Die beiden Versionen des Textes in Hld. 1,12 und die daran hängenden beiden Auslegungen illustrieren die intime Verschränkung von menschlichem und göttlichem Handeln, die Origenes nicht als Gegensatz denkt, sondern im Sinne einer Liebesbeziehung, in welcher der göttlichen Gnade aber doch eine Priorität zukommt.

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Hoheliedkommentar

10. Sed redeamus ad eam, quae dicit: „Nardus mea dedit odorem suum“, a et uide, si possumus adhuc etiam hoc in loco intelligere praesenti quod, si quando ualuerimus integre et decenter exponere de deitate Christi uirtutemque eius ac maiestatem dignis assertionibus consignare, tunc fortassis merito dicet uel ecclesia uel anima illa, quae ita manifeste potuerit gloriam eius exponere: „Nardus mea dedit odorem suum.“ 11. Nec mirum uideri debet, si Christus, quemadmodum fons b est et flumina aquae uiuae de eo procedunt c et quemadmodum panis est et uitam dat, d ita et nardus est et odorem reddit et unguentum est, quo qui uncti fuerint, Christi fiant, sicut dicit in psalmo: „Nolite tangere Christos meos.“ e 12. Et fortasse secundum illud, quod dicit apostolus, his, „qui exercitatos habent sensus ad discretionem boni uel mali“, f singulis quibusque sensibus animae singula quaeque Christus efficitur. Idcirco enim et uerum lumen g dicitur, ut habeant oculi animae, quo illuminentur; idcirco et uerbum, h ut habeant aures, quod audiant; idcirco et panis uitae, i ut habeat gustus animae, quod gustet. 13. Idcirco ergo et unguentum uel nardus appellatur, ut habeat odoratus animae fraglantiam Verbi. Idcirco et palpabilis ac manu contractabilis et Verbum caro factum j dicitur, ut possit interioris animae manus contingere de Verbo uitae. 14. Haec autem omnia unum atque idem est Verbum Dei, quod per haec singula affectibus orationis commutatum nullum animae sensum gratiae suae relinquat expertem. a g

Hld. 1,12 Joh. 1,9

b h

Joh. 4,14 Joh. 1,1

c i

Joh. 7,38 Joh. 6,35

d

Joh. 6,35 j Joh. 1,14

e

Ps. 104(105),15

f

Hebr. 5,14

326 Das Wortspiel des ursprünglichen griechischen Textes, nach dem Christus der „Gesalbte“ bedeutet und zugleich Titel für Jesus von Nazareth geworden ist und daher hinter Christus (XristoÂw) und den Gesalbten (XristoiÂ) dieselbe Vokabel steckt (xriÂein), ließ sich für Rufinus im Lateinischen nicht nachahmen (da heißt „gesalbt“ unctus bzw. uncti), weshalb er die griechische Vokabel, die überall die Bedeutung „Gesalbter“ hat, mit dem griechischen Fremdwort Christus (Singular) bzw. Christi (Plural) wiedergibt. Den Gedanken, dass „von einem Gesalbten (Christus) viele Gesalbte (Christen) abstammen“, hat Origenes gern formuliert: in Is. frg. 1 (OWD 10, 308f.); in Ioh. comm. VI 6,42 (GCS Orig. 4, 115); Cels. VI 79 (GCS Orig. 2, 150f.). 327 Die platonische Junktur „Auge(n) der Seele“ (vgl. Platon, polit. VII 533c–d; soph. 254a), die zum Gemeingut der hellenistischen Philosophie geworden ist (siehe die Hinweise dazu bei Fürst/Hengstermann, OWD 10, 268 Anm. 124), begegnet

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Buch II 9,10–14

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10. Doch wir wollen zu der zurückkehren, die sagt: „Mein Nardenöl verströmte seinen Geruch“,a und sieh, ob wir es auch an dieser vorliegenden Stelle noch so verstehen können, dass dann, wenn wir einmal fähig sind, tadellos und angemessen von der Gottheit Christi zu handeln und seine Macht und Hoheit mit würdigen Aussagen zu beschreiben, die Kirche oder jene Seele, die seine Herrlichkeit so evident darzustellen vermag, vielleicht zu Recht sagen wird: „Mein Nardenöl verströmte seinen Geruch.“ 11. Und es muss nicht befremdlich erscheinen, wenn Christus, so wie er Quelleb ist und Flüsse lebendigen Wassers von ihm ausgehenc und wie er Brot ist und Leben gibt,d auch Narde ist und Geruch verströmt und Salböl ist, durch das diejenigen, die damit gesalbt worden sind, zu Gesalbten326 werden, wie es im Psalm heißt: „Rührt mir meine Gesalbten nicht an!“e 12. Und vielleicht wird entsprechend dem, was der Apostel sagt, Christus für die, „die geübte Sinne zur Unterscheidung von Gut oder Böse haben“,f für alle einzelnen Sinne der Seele zu allen diesen einzelnen Eigenschaften. Deshalb nämlich wird er auch wahres Lichtg genannt, damit die Augen der Seele327 etwas haben, wodurch sie erleuchtet werden; deshalb auch Wort,h damit die Ohren etwas haben, was sie hören; deshalb auch Brot des Lebens,i damit der Geschmackssinn der Seele etwas hat, was er schmeckt. 13. Deshalb also wird er auch Salböl oder Narde genannt, damit der Geruchssinn der Seele den Duft des Wortes wahrnimmt. Deshalb wird er auch als berührbar und mit der Hand betastbar und als fleischgewordenes Wortj bezeichnet, damit die Hand der inneren Seele etwas vom Wort des Lebens berühren kann. 14. Dies alles aber ist ein und dasselbe Wort Gottes, das dadurch, dass es sich mit Hilfe dieser einzelnen Eigenschaften den Regungen des Gebets jeweils anders anpasst,328 keinen Sinn der Seele ohne seine Gnade lässt.329

häufig in den Werken des Origenes: in Ex. hom. 10,3 (GCS Orig. 6, 247); in Num. hom. 20,3 (GCS Orig. 7, 194); in Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 274); 6,7 (8, 278); 7,3 (8, 283); in Luc. hom. 3,2 (GCS Orig. 92, 20); princ. I 1,9 (GCS Orig. 5, 27): „Augen des Herzens“; orat. 9,2 (GCS Orig. 2, 318): „Augen des Geistes“. 328 Gemeint ist Folgendes: Je nachdem, wie (affectus) der Mensch sich an Gott wendet, also betet (oratio), kommt dieser ihm flexibel in jeweils anderer Form entgegen und wirkt so (gratia) auf jeden einzelnen Sinn der Seele ein. Der Gedanke ist Ausdruck der Theorie des Origenes von den verschiedenen Aspekten (eÆpiÂnoiai) Christi, die der Vermittlung zwischen der Vielfalt der Seelen und dem einen einzigen Wort dienen. Siehe dazu oben S. 78 Anm. 43. 329 Zur Lehre von den geistigen Sinnen bzw. Sinnen der Seele siehe in Cant. comm. prol. 2,9 und dazu oben S. 68 Anm. 26.

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Hoheliedkommentar

Hld. 1,13: „Ein Bündel Myrrhe ist mein Geliebter für mich, inmitten meiner Brüste wird er bleiben.“

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10,1. „Alligamentum guttae fraternus meus mihi, in medio uberum meorum manebit“ – siue „commorabitur.“ a Eiusdem adhuc uerba sunt sponsae ad adulescentulas, ut uidetur, loquentis. Prius quidem dixerat, quia nardus sua dedisset ei odorem sponsi b et quia per unguentum, quo unxerat eum, odoris eius fraglantiam recepisset. Nunc autem ait: Fraternus meus mihi guttam redolet et hanc non diffusam, neque, ut libet, dispersam, sed colligatam et constrictam, quo scilicet odoris ipsius suauitas densior reddatur et uehementior. Et hic, inquit, cum talis sit, in medio uberum meorum demoratur et commanet et requiem ac mansionem suam facit in loco pectoris mei. 2. Verum quod nunc primum cognominauit eum fraternum suum sponsa et nominis huius appellatione per totum paene libelli textum frequenter utitur, dignum puto, ut prius requiramus appellationis ipsius causam et, quid uel unde fraternus dicitur, exponamus. 3. Fraternus appellatur fratris filius. Requiramus ergo primo, quis sit frater sponsae, cuius hic filius habeatur, et uide, si possumus dicere sponsam quidem esse ex gentibus c ecclesiam, fratrem uero eius priorem populum et fratrem, ut res indicat, seniorem. Quia ergo ex illo populo Christus secundum carnem d nascitur, ob hoc ab ecclesia gentium fratris filius appellatur. 4. Quod ergo ait: „Alligamentum guttae fraternus meus mihi“, e corporeae natiuitatis eius indicat sacramentum; uidetur enim quodammodo alligamentum esse et uinculum quoddam animae corpus, quo alligamento gutta in Christo diuinae uirtutis ac suauitatis adstringitur. a

Hld. 1,13

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Hld. 1,12

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Apg. 15,14

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Röm. 9,5

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Hld. 1,13

1 Cf. frg. 18 (Prokop 62; Barba`ra 15)

330 Alligamentum guttae müsste wörtlich mit „ein Bündel eines Tropfens“ übersetzt werden. Im hebräischen Bibeltext ist sicherlich „ein Bündel Myrrhe“ gemeint, also ein Säckchen voll mit getrockneter Myrrhe, das entsprechend gut riecht. Laut Gesenius, Handwörterbuch 458, ist Myrrhe „ein kostbares, terpentinartig riechendes, bitter schmeckendes Gummi, das in Arabien aus einem der Akazie ähnlichen Baume träufelt und als Räucherwerk benutzt wird“. Siehe dafür Plinius, hist. nat. XII 35. Dieses Wort gibt die Septuaginta mit stakthÂ, „Myrrhenöl“, wieder. Für die Übersetzung ergibt sich die Schwierigkeit, sich „ein Bündel eines Tropfens“ vorzustellen, denn man kann zwar bei der Form eines Tropfens an ein Bündel denken, doch kombiniert ergeben die beiden Begriffe ein schiefes Bild. Es wird also der Verständlichkeit halber mit „ein Bündel Myrrhe“ übersetzt und nur an der Stelle, wo Origenes mit der Konnotation „Tropfen“ arbeitet (in Cant. comm. II 10,8–10), gutta mit „Tropfen“ übersetzt. Siehe auch die Diskussion zur Stelle bei Lawson, ACW 26, 341 Anm. 223, und Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 773.

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10. Die göttliche Süße im menschlichen Leib Christi und der eine Leib der Wahrheit

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10,1. „Ein Bündel Myrrhe330 ist mein Geliebter331 für mich, inmitten meiner Brüste wird er bleiben“ – oder „verweilen.“a Dies sind noch immer die Worte derselben Braut, die, wie es scheint, zu den Mädchen spricht. Vorher hatte sie gesagt, dass ihr Nardenöl ihr den Geruch des Bräutigams verschafftb und dass sie durch das Salböl, mit dem sie ihn gesalbt hatte, den Duft seines Geruchs zurückbekommen hatte. Jetzt aber sagt sie: Mein Geliebter duftet für mich nach Myrrhe, und diese ist nicht ausgebreitet, auch nicht beliebig ausgestreut, sondern zusammengebunden und zusammengeschnürt, wodurch natürlich die Süße des Geruchs selbst intensiver und kräftiger werden soll. Und weil dieser, sagt sie, so beschaffen ist, weilt und ruht er inmitten meiner Brüste und nimmt seinen Ruheplatz und seine Wohnung an meinem Busen. 2. Aber da die Braut ihn jetzt zum ersten Mal ihren Geliebten (Neffen) genannt hat und diese Namensbezeichnung fast das gesamte Buch über häufig gebraucht, halte ich es für wert, dass wir vorweg den Grund für diese Bezeichnung untersuchen und darlegen, was der Begriff ,Geliebter‘ (,Neffe‘) bedeutet und wo er herkommt. 3. Neffe wird der Sohn des Bruders genannt. Wir wollen also zuerst untersuchen, wer der Bruder der Braut ist, für dessen Sohn dieser gehalten wird, und sieh, ob wir sagen können, die Braut sei die Kirche aus den Völkern,c ihr Bruder aber das frühere Volk, und zwar, wie sich aus der Sachlage ergibt, ihr älterer Bruder. Da also Christus aus jenem Volk dem Fleische nachd geboren wird, deswegen wird er von der Kirche der Völker Sohn des Bruders genannt. 4. Ihr Ausspruch: „Ein Bündel Myrrhe ist mein Neffe (Geliebter) für mich“e weist also auf das Geheimnis seiner körperlichen Geburt hin. Der Körper scheint nämlich sozusagen ein Bündel und eine Art Band für die Seele zu sein, ein Bündel, mit dem die Myrrhe der göttlichen Kraft und Süße in Christus verschnürt wird.

331 Das lateinische fraternus kann sowohl „der zum Bruder gehörende“ als auch „Neffe“ heißen. In der Septuaginta steht mit aÆdelfidoÂw ein Wort, das eine Neubildung ist und „Brüderchen“ (aÆdelfiÂdion) oder „Neffe“ (aÆdelfideoÂw) heißen kann und als Kosewort im Sinne von „Geliebter“ gebraucht wird. Die Vulgata bietet für diese griechische Neubildung durchaus korrekt dilectus. An den Stellen, wo eindeutig die Grundbedeutung zum Verständnis der Auslegung nötig ist, übersetzen wir fraternus mit „Neffe“ (so gleich anschließend in Cant. comm. II 10,2–4), wählen sonst aber die übertragene Bedeutung „Geliebter“ (so auch Simonetti, CTePa 1, 179 mit der Erklärung ebd. Anm. 331; Lawson, ACW 26, 163, hingegen übersetzt immer „nephew“). Siehe dazu auch die Ausführungen bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 774–776.

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Hoheliedkommentar

5. Si autem ad unamquamque animam, quae dicta sunt, referantur, alligatura guttae dogmatum continentia et constrictio ac diuinarum sententiarum nodositas intelligitur; innexae enim sibi inuicem sunt fidei rationes et uinculis ueritatis adstrictae. 6. Denique et lex mundum dicit esse omne uas, quod alligatum est, immundum uero, quod solutum fuerit et non ligatum. a Cuius rei haec profecto figura erat, quod Christus, in quo numquam fuit ulla immunditia peccati, alligamentum guttae dicitur. 7. Et ideo anima non debet contingere aliquid dissolutum et quod non sit ratione subnixum et dogmatum ueritate constrictum, ne immunda fiat. Qui enim immundum contigerit, immundus erit b secundum legem; contigit namque eum sensus irrationabilis et alienus a sapientia Dei et fecit eum immundum. 8. Vide autem, si forte aduentum filii Dei in carne guttam dictum et quasi breue aliquid et exiguum nominatum possumus accipere, sicut et Daniel de eo dicit lapidem paruum de monte excisum sine manibus et factum post haec montem magnum, c uel sicut in libello duodecim prophetarum nihilominus gutta quaedam futura dicitur, quae congreget populum. 9. Est ergo et in prophetis ita scriptum: „Et erit, ex gutta populi huius congregatus congregabitur Iacob.“ d Decebat enim eum, qui ueniebat congregare non solum Iacob, sed et omnes gentes, quae, sicut propheta dicit, reputatae sunt tamquam gutta ex situla, e exinanientem se de Dei forma f effici et ipsum guttam et sic uenire ad congregandam guttam gentium et guttam nihilominus reliquiarum Iacob. 10. Sed et in quadragesimo quarto psalmo dicitur ad dilectum, g cui etiam ipse psalmus adscribitur: „myrrha et gutta et casia a uestimentis tuis“. h A uestimentis ergo Verbi Dei, quae est doctrina sapientiae, myrrha procedit, mortis dumtaxat indicium pro humano genere susa g

Num. 19,15 Ps. 44(45),1

b h

c Lev. 5,2 Dan. 2,34f. Ps. 44(45),9

d

Mi. 2,12

e

Jes. 40,15

f

Phil. 2,6

22 Cf. frg. 19 (Prokop 61; Barba`ra 14)

332 Für Origenes bildet die christliche Wahrheit ein organisches Ganzes. Die höchste Glaubenserkenntnis besteht für ihn eben darin, den inneren Zusammenhang der christlichen Wahrheit zu erkennen; princ. I praef. 10 (GCS Orig. 5, 16): „Man muss also gleichsam von grundlegenden Elementen dieser Art ausgehen – nach dem Gebot ,Zündet euch selbst das Licht der Erkenntnis an‘ (Hos. 10,12) –, wenn man ein zusammenhängendes und organisches Ganzes aus all dem herstellen will; so kann man mit klaren und zwingenden Begründungen in den einzelnen Punkten die Wahrheit erforschen und, wie gesagt, ein organisches Ganzes herstellen aus Beispielen und Lehrsätzen, die man entweder in den heiligen Schriften gefunden oder

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5. Wenn diese Aussagen aber auf die einzelne Seele bezogen werden sollen, wird das Bündel Myrrhe als Zusammenhang und Verknüpfung der Lehrsätze und als die Verwobenheit der göttlichen Sätze untereinander verstanden. Die Gründe für den Glauben sind nämlich miteinander verknüpft und durch die Bande der Wahrheit zusammengebunden.332 6. Schließlich sagt auch das Gesetz, dass jedes Gefäß rein ist, das zusammengebunden ist, unrein hingegen eines, das geöffnet wurde und nicht zusammengebunden ist.a Ein Symbol für diesen Sachverhalt war sicherlich, dass Christus, in dem niemals irgendeine Unreinheit der Sünde war, ein Bündel Myrrhe genannt wird. 7. Und deswegen darf die Seele nichts anrühren, das ungebunden ist und das nicht auf Vernunft gestützt und von der Wahrheit der Lehrsätze zusammengebunden ist, damit sie nicht unrein wird. Wer nämlich Unreines berührt, wird nach dem Gesetz unrein sein,b denn ein unvernünftiger und der Weisheit Gottes fremder Sinn hat ihn berührt und ihn unrein gemacht.333 8. Überlege aber, ob wir vielleicht annehmen können, dass die Ankunft des Sohnes Gottes im Fleisch ein Tropfen genannt334 und gleichsam als etwas Kleines und Geringes bezeichnet wird, wie auch Daniel über ihn als einen kleinen Stein spricht, der ohne Zutun von Händen aus einem Berg herausgebrochen und danach zu einem großen Berg geworden ist,c oder wie im Buch der zwölf Propheten desgleichen von einem zukünftigen Tropfen gesprochen wird, der das Volk sammeln soll. 9. Es steht also auch bei den Propheten Folgendes geschrieben: „Und es wird geschehen, aus dem Tropfen dieses Volkes versammelt wird Jakob versammelt werden.“d Es war nämlich durchaus angemessen, dass der, der kam, um nicht nur Jakob zu versammeln, sondern auch alle Völker, die, wie der Prophet sagt, angesehen wurden wie ein Tropfen aus einem Eimer,e sich der Gestalt Gottes entäußertef und auch selbst ein Tropfen wurde und so kam, um den Tropfen der Völker und desgleichen den Tropfen der Überreste Jakobs zu versammeln. 10. Doch auch im 44. Psalm wird zum Geliebten,g dem der Psalm selbst sogar gewidmet ist, gesagt: „Myrrhe und Myrrhetropfen und Kassiazimt gehen von deinen Gewändern aus.“h Von den Gewändern des Wortes Gottes also, welche die Lehre der Weisheit bedeuten, geht Myrrhe aus, recht betrachtet ein Hinweis auf den Tod, den er für das Menschengeschlecht auf durch logisches Schlussfolgern und konsequente Verfolgung des Richtigen entdeckt hat.“ Übersetzung: p. 99 Görgemanns/Karpp. Vgl. in Ioh. comm. XIII 46,303 (GCS Orig. 4, 272): „Der eine Leib der Wahrheit“ ist das „Ziel der allmählichen Entfaltung der Theologie“: Görgemanns/Karpp 99 Anm. 34. 333 Vgl. in Lev. hom. 3,3 (GCS Orig. 6, 304): „Wenn jemand mit der Sünde in Berührung kommt, geht von der Sünde selbst eine gewisse böse Kraft aus, die den, der sie berührt, unrein macht; und das bedeutet, tatsächlich mit dem Unreinen in Berührung gekommen zu sein.“ 334 Siehe dazu ausführlich in Cant. hom. 2,3 (GCS Orig. 8, 44f.).

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Hoheliedkommentar

ceptae. Gutta, ut supra diximus, exinanita diuinitatis forma, seruilis formae suscepta dignatio. Casia quoque, quoniam id genus herbae aquis indesinentibus nutriri dicitur et coalescere, redemptionem generis humani per aquas baptismi indicat datam. 11. Sic ergo alligaturam guttae fraternum suum sponsa tamquam nuptiali dramate loquens inter medium uberum suorum commorantem a dicit; ubera, ut superius iam diximus, principale cordis aduerte, in quo ecclesia Christum uel anima Verbum Dei desiderii sui uinculis alligatum tenet et adstrictum. Si quis enim Verbum Dei toto affectu in corde suo et toto amore b constringit, ipse solus poterit odorem fraglantiae eius et suauitatis accipere.

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Hld. 1,14: „Eine Traube Zyperns ist mein Geliebter für mich in den Weinbergen von En-Gedi.“

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11,1. „Botrus cypri fraternus meus mihi in uineis Engaddi.“ c Quantum ad litterae ipsius explanationem, habet aliquid ambiguum, quod ait: „botrus cypri“, quia et uua florens cyprus appellatur et species quaedam extrinsecus uirgulti est, quae cyprus dicitur, ferens etiam ipsa floridum quendam fructum in modum florentis uuae prolatum. 2. Sed uidetur magis ad fructum uitis sermo respicere, quoniamquidem uinearum Engaddi facta memoria est. Engaddum autem ager terrae Iudaeae est non tantum uineis quantum balsamis florens. 3. Hic ergo erit historicus sensus sponsae loquentis ad adulescentulas, ut intelligatur dicens primo quidem: „Nardus mea odorem mihi sponsi mei reddidit“; d secundo uero: „Alligamentum guttae effectus est mihi fraternus meus demorans inter media ubera mea“; e tertio: „botrus cypri ex uineis Engaddi“ f superans omne, quidquid est in odoribus et floribus suauitatis, quo scilicet audientes haec adulescentulae magis ac magis ad caritatem sponsi concitentur et amorem. 4. Idcirco autem singulatim et per ordinem a

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Mk. 12,30

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Hld. 1,13

f

Hld. 1,14

335 Vgl. Plinius, hist. nat. XII 85. 98. 336 Siehe in Cant. comm. I 2,3f. und dazu oben S. 134 Anm. 139. 337 Ähnlich in Luc. hom. 15,2 (GCS Orig. 92, 93): „Wenn jemand die Welt verlassen, wenn jemand aus dem Gefängnis und aus dem Gefangenenhaus freikommen will, dann nehme er Jesus in seine Hände, dann umschlinge er ihn mit seinen Armen, dann drücke er ihn gegen seine Brust. Vor Freude jubelnd wird er gehen können,

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Buch II 10,10–11,4

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sich genommen hat. Der Tropfen bedeutet, wie oben gesagt, die Gnadentat, das er sich der Gestalt der Göttlichkeit entäußert, die Knechtsgestalt angenommen hat. Auch Kassiazimt, da diese Art von Kraut, wie es heißt,335 von unaufhörlich fließendem Wasser genährt wird und heranwächst, weist auf die Erlösung des Menschengeschlechts hin, die durch das Wasser der Taufe gewährt wird. 11. In diesem Sinne also bezeichnet die Braut, die wie in einem Hochzeitsdrama spricht, ihren Geliebten als einen Tropfen von Myrrhe, der inmitten ihrer Brüste verweilt.a Unter Brüsten verstehe, wie wir weiter oben schon gesagt haben,336 den führenden Teil des Herzens, in dem die Kirche Christus beziehungsweise die Seele das Wort Gottes durch die Bande ihrer Sehnsucht festgebunden und verschnürt hält. Denn nur wer das Wort Gottes mit ganzer Zuneigung und mit ganzer Liebeb in seinem Herzen festbindet, der allein wird den Geruch seines Duftes und seiner Süße empfangen können.337 11. Die Stufen des Fortschritts der Seele in der Liebe bis zur vollkommenen Aufnahme der Gnade des göttlichen Wohlgeruchs 11,1. „Eine Traube Zyperns ist mein Geliebter für mich in den Weinbergen von En-Gedi.“c Was die Erklärung des Buchstabens selbst betrifft, hat der Ausdruck „Traube Zyperns“ etwas Zweideutiges an sich, da sowohl eine blühende Weintraube Zyprus genannt wird wie es außerdem auch eine bestimmte Sorte von Strauch gibt, die Zyprus heißt, die ihrerseits eine blühende Frucht trägt, die nach Art einer blühenden Traube hervorgebracht wird. 2. Doch scheint sich das Wort eher auf die Frucht des Weinstocks zu beziehen, da ja die Weinberge von En-Gedi erwähnt sind. En-Gedi aber ist eine Landschaft des Landes Judäa, wo nicht so sehr Weinstöcke als vielmehr Balsamstauden wachsen. 3. Folgendes wird also der literarische Sinn dessen sein, was die Braut zu den Mädchen sagt: Man muss verstehen, dass sie zuerst sagt: „Mein Nardenöl gab mir den Geruch meines Bräutigams zurück“,d 338 zweitens aber: „Ein Bündel Myrrhe ist mein Geliebter für mich geworden, der inmitten meiner Brüste weilt“,e und drittens: „eine Traube Zyperns aus den Weinbergen von En-Gedi“,f die alles übertrifft, was es immer an Gerüchen und Blüten von Süßigkeit geben mag, damit nämlich die Mädchen, wenn sie dies hören, mehr und mehr zur Liebe und zum Verlangen nach dem Bräutigam angestachelt werden. 4. Deswegen aber wohin er will.“ Übersetzung: Sieben, FC 4, 178–180. Zu dieser Innigkeit der JesusFrömmigkeit des Origenes siehe de Lubac, Geist aus der Geschichte 75–79; Hausherr, Noms du Christ 43–52; Fürst, Studien 112–114. 338 Damit zitiert Origenes Hld. 1,12 in der Fassung, die er in seiner Auslegung bevorzugt: in Cant. comm. II 9.

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Hoheliedkommentar

primo nardum suam, deinde guttam, post haec etiam botrum cypri nominat, ut per eos gradus quosdam profectuum doceat caritatis. 5. Sed uideamus iam, quid spiritalis habeat intellectus. Si quidem hic, qui appellatur botrus, ad fructum uitis referendus est, Verbum Dei accipimus sicut sapientiam et uirtutem a et thesaurum scientiae b aliaque multa, ita et uitem ueram c dici. 6. Sicut ergo his, quibus efficitur sapientia et scientia, non ad subitum, sed per profectus quosdam et gradus, pro studiis et intentione ac fide eorum, qui ei uel in sapientia uel in scientia uel in uirtute participantur, sapientes eos et scientes reddit uigentesque uirtutibus, ita et in quibus uitis uera efficitur, non iis ad subitum maturos botros producit et dulces nec repente iis efficitur uinum suaue et laetificans cor hominis, d sed primo producit iis suauitatem tantummodo odoris in flore, ut gratia fraglantiae ipsius inuitatae in initiis animae post haec pati possint acerbitatem tribulationum et tentationum, quae propter Verbum Dei credentibus excitantur. 7. Et ita demum maturitatis eis dulcedinem praebet, usquedum perducat eos ad torcularia, ubi effunditur sanguis uuae, sanguis noui testamenti, e qui bibatur in die festo in superioribus, f ubi stratum magnum paratum est. g 8. Sic ergo per singulos hos profectuum gradus incedere oportet eos, qui per sacramentum uitis et botrum cypri initiati ad perfectionem feruntur et calicem noui testamenti h ab Iesu susceptum bibere contendunt. 9. Quod si cyprus sui generis arbor accipienda est, cuius fructus et flos non tantum odoris suauitatem, quantum et uim calefaciendi ac fouendi dicitur possidere, illa sine dubio accipietur sponsi uirtus, qua incalescunt animae erga fidem eius et caritatem, quae contigerat eos, qui dicebant: „Nonne cor nostrum erat ardens intra nos, cum adaperiret nobis scripturas?“ i 10. Vel certe quoniam de uineis Engaddi botrus j hic florens esse nominatur, Engaddi autem interpretatur oculus tentationis meae, si quis est, qui intellectum b c d e 1 Kor. 1,24 Kol. 2,3 Joh. 15,1 Ps. 103(104),15 Mk. 14,24 g h i j 14,15 Lk. 22,12 Lk. 22,20 Lk. 24,32 Hld. 1,14

a

f

Mk.

339 Zu solchen Epinoiai Christi siehe oben S. 78 Anm. 43, zu deren erkenntnistheoretischen Funktionen S. 152 Anm. 159. 340 Hier könnte auf die Christenverfolgungen angespielt sein, deren Zeuge Origenes während seiner Lebenszeit mehrfach gewesen ist. So ist sein Vater nach Eusebius, hist. eccl. VI 2,12 (GCS Eus. 2, 522), den Märtyrertod gestorben, wie auch einige seiner Schüler für den christlichen Glauben ihr Leben in der Verfolgung ließen: ebd. VI 3,13–4,3 (2, 528–530). Schließlich ist auch seine „Aufforderung zum Martyrium“, die er seinem Mäzen Ambrosius widmete, als Trost- und Ermahnungsschrift für eine erwartete Verfolgung unter Kaiser Maximinus Thrax im Jahre 235 geschrieben worden: ebd. VI 28 (2, 582). 341 Siehe Plinius, hist. nat. XXIII 90, nach dem diese Frucht „entzündet und heiß macht (excalfacit).“ Vgl. auch Dioskorides, De materia medica I 95 (I p. 86 Wellmann).

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nennt sie einzeln und der Reihenfolge nach zuerst ihr Nardenöl, dann die Myrrhe, danach auch die Traube Zyperns, um dadurch bestimmte Stufen der Fortschritte in der Liebe zu lehren. 5. Doch nun wollen wir sehen, was der geistige Sinn ist. Wenn das, was Traube genannt wird, auf die Frucht des Weinstocks zu beziehen ist, nehmen wir an, dass so, wie das Wort Gottes Weisheit und Krafta und Schatz der Erkenntnisb und vieles andere genannt wird,339 es auch als wahrer Weinstockc bezeichnet wird. 6. Wie es also die, für die es Weisheit und Erkenntnis wird, nicht auf einmal, sondern über bestimmte Fortschritte und Stufen entsprechend den Mühen und der Aufmerksamkeit und dem Glauben derer, die an ihm entweder in der Weisheit oder in der Erkenntnis oder in der Tugend teilhaben, zu Weisen und Wissenden und in den Tugenden Kräftigen macht, so bringt es auch für die, in denen es wahrer Weinstock wird, nicht auf einmal reife und süße Trauben hervor und wird auch nicht plötzlich für sie süßer und das Herz des Menschen erfreuender Wein,d sondern gibt ihnen zuerst nur die Süße des Geruchs in der Blüte, damit die zu Beginn von der Anmut seines Duftes eingeladenen Seelen danach die Bitterkeit der Bedrängnisse und Versuchungen ertragen können, die wegen des Wortes Gottes auf die Gläubigen hereinbrechen.340 7. Und so reicht es ihnen erst dann die Süße der Reife dar, wenn es sie zu den Weinpressen führt, wo das Blut der Traube vergossen wird, das Blut des neuen Bundes,e das am Festtag an höheren Ortenf getrunken wird, wo ein großes Polster vorbereitet ist.g 8. Auf diesen einzelnen Stufen müssen so also die voranschreiten, die, eingeführt durch das Geheimnis des Weinstocks und durch die Traube Zyperns, zur Vollkommenheit geführt werden und den von Jesus empfangenen Kelch des neuen Bundesh zu trinken verlangen. 9. Wenn allerdings Zyprus als Baum eigener Art aufzufassen ist, dessen Frucht und Blüte, wie man sagt, nicht so sehr die Süße des Geruchs als vielmehr die Kraft des Erwärmens und Warmhaltens besitzt,341 wird man ihn zweifellos als die Kraft des Bräutigams auffassen, von der die Seelen zum Glauben an ihn und zur Liebe entflammt werden, welche die ergriffen hatte, die sagten: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er uns die Schriften erschloss?“i 10. Und da diese blühende Traube als eine bezeichnet wird, die aus den Weinbergen von En-Gedij stammt, En-Gedi übersetzt aber Auge meiner Versuchung bedeutet,342 wird sicherlich, wenn es jemanden gibt, der

342 Zu dieser Etymologie siehe in Cant. hom. 2,3 (GCS Orig. 8, 46f.). Eine andere Erklärung gibt Hieronymus, int. hebr. nom. p. 27 Lagarde (CChr.SL 72, 93): Engaddi fons haedi – „Quelle des Bockes“. Seine spätere Erklärung ebd. p. 57 (72, 131) entspricht jedoch der vorliegenden: oculus uel fons haedi – „Auge oder Quelle des Bockes“. Vgl. Wutz, Onomastica sacra 292. 548.

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Hoheliedkommentar

habere potest, quomodo tentatio est uita hominis, quae est super terram, a et intelligit, quomodo quis in Deo eripitur a tentatione, et qui agnoscit qualitatem tentationis suae, ita ut possit de ipso dici, quia in his omnibus non peccauit labiis suis coram Deo, b huic botrus cypri de uineis Engaddi efficitur Verbum Dei. 11. Obseruandum tamen est, quod uerba sponsae ita referuntur, ut et nardus c et alligamentum guttae d et botrus cypri e ipsi soli sint, utpote quae in hos iam profectus adscenderit. Sola enim perfecta anima est, quae ita habeat purum et purgatum odoratus sui sensum, ut possit nardi et guttae et cypri ex Verbo Dei procedentis fraglantiam capere et gratiam diuini odoris haurire. a

Ijob 7,1

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Ijob 2,10

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in der Lage ist zu verstehen, auf welche Weise das Leben des Menschen auf Erden eine Versuchung ist,a und der versteht, wie jemand in Gott der Versuchung entrissen wird, und der die Beschaffenheit seiner Versuchung erkennt, so dass über ihn gesagt werden kann, dass er in allen diesen Dingen mit seinen Lippen vor Gott nicht gesündigt hat,b diesem das Wort Gottes zur Traube Zyperns aus den Weinbergen von En-Gedi. 11. Man muss allerdings beachten, dass die Worte der Braut so wiedergegeben werden, dass sowohl das Nardenölc als auch das Bündel Myrrhed und die Traube Zypernse für sie allein sind, da sie schon zu diesen Stufen des Fortschritts aufgestiegen ist. Denn allein die Seele ist vollkommen, die ihren Geruchssinn so rein und sauber besitzt, dass er den Duft des Nardenöls und der Myrrhe und des Zyprus, der vom Wort Gottes ausgeht, aufnehmen und die Gnade des göttlichen Geruches einatmen kann.

Liber tertius Hld. 1,15: „Siehe, du bist schön, meine Gefährtin; siehe, du bist schön; deine Augen sind Tauben.“

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1,1. „Ecce es speciosa, proxima mea; ecce es speciosa; oculi tui columbae.“ a Secundo iam sponsus cum sponsa in uerbo colloquioque miscetur. Et primo quidem sermone inuitauit eam ad hoc, ut cognosceret semet ipsam, dicens ei, quod bona quidem esset inter mulieres, b sed, nisi cognosceret semet ipsam, certa quae pateretur. Et quasi quae uelociter ad agnitionem sui sensu intellectuque cucurrerit, comparat eam equis suis uel equitatui, quibus obtinuerit currus Pharaonis. c Simul et genas eius pro insigni uerecundia et conuersionis pernicitate turturibus comparat ceruicemque eius ornamentorum redimiculis. d 2. Nunc autem iam speciosam profitetur eam et speciosam, non sicut prius in mulieribus e tantum, sed quasi proximam sibi, et adhuc in maius titulum laudis extollit et affı`rmat, quia non tantum, cum proxima ei est, speciosa sit, sed et si contingat ei absentem esse, etiam sic speciosa sit. Hoc enim indicatur in eo, quod, cum dixisset: „Ecce, es speciosa, proxima mea“, addidit post haec absolute et sine ulla adiunctione: „Ecce, es speciosa“. f 3. Sed in superioribus non laudauerat uisum eius, credo quod nondum ad intuitum profecerat spiritalis intelligentiae. Nunc ergo ait: „Oculi tui columbae.“ g Grandis in hoc profectus eius ostenditur, ut, quae prius tantum speciosa in mulieribus dicta est, h nunc proxima et speciosa dicatur, ex ipso sine dubio sponso splendorem decoris accipiens, ut semel ab ipso sumpta pulchritudine, etiamsi accidat ei paululum sponsi absentiam pati, nihilominus pulchra permaneat. 4. Quod autem oculi eius comparantur columbis, ob hoc profecto, quia scripturas diuinas non iam secundum litteram, sed secundum spiritum intelligat et adspiciat in iis spiritalia mysteria; columba enim indicium est Spiritus Sancti. i Spiritali ergo sensu intelligere legem et prophetas, hoc est oculos columbae habere. 5. Et hic quidem columbae oculi a g

Hld. 1,15 Hld. 1,15

b h

Hld. 1,8 Hld. 1,8

c i

Hld. 1,9 Mt. 3,16

10 Cf. frg. 20 (Prokop 68; Barba`ra 16)

d

Hld. 1,10

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Hld. 1,8

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Hld. 1,15

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Drittes Buch 1. Die Schönheit der Seele aufgrund von Nachahmung Christi in dieser und aufgrund von eigener Vollkommenheit in der künftigen Welt und die Schau der geistigen Einsicht

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1,1. „Siehe, du bist schön, meine Gefährtin; siehe, du bist schön; deine Augen sind Tauben.“a Schon zum zweiten Mal wendet sich der Bräutigam im Gespräch an die Braut. Und in der ersten Rede lud er sie dazu ein, sich selbst zu erkennen, indem er ihr sagte, dass sie zwar gut sei unter den Frauen,b doch würde sie sich selbst nicht erkennen, hätte sie sicher einiges zu erleiden. Und als wäre sie schnell zur Erkenntnis ihres Sinnes und Verstandes gekommen, vergleicht er sie mit seinen Pferden beziehungsweise seiner Reiterei, mit denen er die Streitwagen des Pharao besiegte.c Zugleich vergleicht er auch ihre Wangen wegen ihrer auffallenden Schamhaftigkeit und der Behändigkeit ihrer Bekehrung mit Turteltauben und ihren Nacken mit Halsketten von Geschmeiden.d 2. Jetzt aber erklärt er sie für bereits schön, und schön nicht wie vorher nur unter den Frauen,e sondern gleichsam als seine Gefährtin, und erhebt sie auf eine noch höhere Stufe des Lobes und betont, dass sie nicht nur, wenn sie als Gefährtin an seiner Seite ist, schön ist, sondern dass sie sogar, wenn er einmal nicht da sein sollte, auch so schön ist. Darauf wird nämlich dadurch hingewiesen, dass er, nachdem er gesagt hatte: „Siehe, du bist schön, meine Gefährtin“, danach einfach und ohne irgendeinen Zusatz hinzufügte: „Siehe, du bist schön“.f 3. Doch in den vorausgegangenen Passagen hatte er ihren Blick nicht gelobt, ich glaube, weil sie noch nicht zur Schau der geistigen Einsicht vorangeschritten war. Jetzt also sagt er: „Deine Augen sind Tauben.“g Ihr großer Fortschritt dabei zeigt sich darin, dass sie, die vorher nur als schön unter den Frauen bezeichnet wurde,h jetzt als Gefährtin und als schön bezeichnet wird, weil sie zweifellos den Glanz der Anmut vom Bräutigam selbst empfängt, so dass sie, nachdem sie einmal die Schönheit von ihm angenommen hat, auch dann, wenn sie einmal für kurze Zeit die Abwesenheit des Bräutigams zu ertragen hat, nichtsdestoweniger schön bleibt. 4. Dass ihre Augen aber mit Tauben verglichen werden, geschieht sicherlich deshalb, weil sie die göttlichen Schriften nicht mehr nach dem Buchstaben, sondern dem Geist nach versteht und in ihnen geistige Mysterien erblickt. Die Taube ist nämlich ein Hinweis auf den Heiligen Geist.i Gesetz und Propheten im geistigen Sinne zu verstehen bedeutet also, die Augen einer Taube zu haben. 5. Und hier werden ihre Augen Tauben genannt, in den

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Hoheliedkommentar

eius appellantur, in psalmis uero huiusmodi anima pennas sibi dari columbae desiderat, a ut uolare possit in intellectu spiritalium mysteriorum et requiescere in atriis sapientiae. 6. Sed et si dormire quis possit, hoc est collocari et requiescere in medio sortium atque intelligere rationem sortium et agnoscere diuini iudicii causas, non solum pennae columbae, quibus in spiritalibus intellectibus uolet, promittuntur ei, sed et deargentatae pennae, b id est uerbi et rationis ornamento decoratae. Scapulae quoque eius in specie auri fieri dicuntur, ubi constantia fidei et dogmatum stabilitas indicatur perfectorum. 7. Ergo sicut caput esse Christus c dicitur, nihil puto absurdum uideri, si et oculi eorum, qui secundum interiorem hominem d spiritaliter intelligunt et spiritaliter diiudicant, e Spiritus Sanctus esse dicantur. 8. Et ob hoc fortassis in lege sicut agnus f positus est, per cuius hostiam populus purificaretur in pascha, ita et columbae g positae sunt, quibus purificetur homo ingressus hunc mundum. 9. Sed de his nunc dicere et hostiarum qualitates discutere longus uidetur excessus et proposito operi minime conueniens. Haec autem memorasse sufficiat pro eo, quod praesens sermo continet: „Oculi tui columbae“. h Quasi diceret: Oculi tui spiritales sunt spiritaliter uidentes, spiritaliter intelligentes. 10. Potest adhuc profundiore fortasse sacramento, quod dixit: „Ecce, es speciosa, proxima mea“, i intelligi de praesenti saeculo dictum, quia speciosa sit quidem et hic ecclesia, cum proxima est Christo et cum imitatur Christum. 11. Quod uero iterauit et dixit: „Ecce, es speciosa“, j potest ad futurum saeculum pertinere, ubi iam non solum imitatione, sed ipsa sui perfectione formosa est et speciosa, et ibi dicat esse oculos eius columbas, ut duorum oculorum duae columbae intelligantur esse Filius Dei et Spiritus Sanctus. 12. Et ne mireris, si columbae simul dicantur, cum uterque similiter aduocatus dicatur, sicut Iohannes euangelista declarat Spiritum quidem Sanctum dicens paracletum, k quod est aduocatus; et de Iesu Christo nihilominus in epistola sua dicit, quia ipse sit aduocatus apud Patrem l pro peccatis nostris. 13. Sed et apud Zachariam prophetam duae oliuae ad dexteram et ad sinistram candelabri positae m unigenitum nihilominus et Spiritum Sanctum designare creduntur. Ps. 54(55),7 Ex. 12,5–11 l 1 Joh. 2,1 a f

b c d Ps. 67(68),14 1 Kor. 11,3 Röm. 7,22 h i j Lev. 12,8 Hld. 1,15 Hld. 1,15 Hld. 1,15 m Sach. 4,3 g

e k

1 Kor. 2,15 Joh. 14,16f.

343 Ein ähnliches Bild gebraucht Origenes, in Rom. comm. VII 9,2 (SC 543, 336): „Durch die riesigen Räume der mystischen und geistigen Einsicht werde ich galoppieren“, nämlich beim Studium der Bibel. 344 Mit uerbum und ratio dürfte Rufinus wie in Cant. comm. II 8,14 und II 8,23 (dazu oben S. 265 Anm. 297) die beiden Grundbedeutungen von loÂgow wiedergeben. Auch in Ex. hom. 9,3 (GCS Orig. 6, 240) vergleicht Origenes das Wort, hier das „Wort (sermo) der Verkündigung“, mit Silber. 345 Für diese symbolische Bedeutung von Silber und Gold siehe in Cant. comm. II 8,14.

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Psalmen jedoch sehnt sich eine derartige Seele danach, dass ihr die Flügel einer Taube gegeben werden,a damit sie im Verstehen der geistigen Mysterien fliegen343 und in den Hallen der Weisheit zur Ruhe kommen kann. 6. Doch auch wenn jemand schlafen, das heißt sich inmitten seiner Geschicke niederlegen und ruhen, den Sinn seiner Geschicke verstehen und die Gründe für das göttliche Urteil erkennen kann, werden ihm nicht nur die Flügel einer Taube versprochen, mit denen er in den geistigen Einsichten fliegt, sondern auch versilberte Flügel,b das heißt mit dem Schmuck des Wortes und der Vernunft344 verzierte Flügel. Auch ihr Rücken, heißt es, werde aussehen wie Gold, womit auf die Beständigkeit des Glaubens und die Festigkeit der Lehrsätze der Vollkommenen hingewiesen wird.345 7. Wie also gesagt wird, das Haupt sei Christus,c scheint es mir nicht absurd zu sein, wenn auch die Augen derer, die nach dem inneren Menschend geistig verstehen und geistig urteilen,e als Heiliger Geist bezeichnet werden. 8. Und vielleicht wurden deshalb im Gesetz so, wie ein Lammf dargebracht wurde, durch dessen Opferung das Volk am Paschafest gereinigt wurde, auch die Taubeng dargebracht, durch die der Mensch, der in diese Welt eingetreten ist, gereinigt wird. 9. Doch darüber jetzt zu sprechen und die unterschiedliche Beschaffenheit der Opfertiere zu erörtern, wäre sichtlich eine lange Abschweifung und dem vorgenommenen Werk keineswegs angemessen. Dies aber erwähnt zu haben, mag für den Inhalt des vorliegenden Satzes ausreichen: „Deine Augen sind Tauben.“h Es ist, als ob er sagte: Deine Augen sind geistig, weil sie geistig sehen und geistig verstehen. 10. Der Satz: „Siehe, du bist schön, meine Gefährtin“,i kann vielleicht noch in einem tieferen Mysterium als Aussage über die gegenwärtige Weltzeit verstanden werden, weil die Kirche auch hier schön ist, wenn sie Christus ganz nahe ist und wenn sie Christus nachahmt. 11. Die Wiederholung hingegen in dem Satz: „Siehe, du bist schön“,j kann sich auf die zukünftige Weltzeit beziehen, wo sie nicht mehr nur durch Nachahmung, sondern durch ihre eigene Vollkommenheit wohlgeformt und schön ist. Dort sagt er wohl auch, dass ihre Augen Tauben sind, damit man unter den zwei Tauben der beiden Augen den Sohn Gottes und den Heiligen Geist versteht. 12. Und wundere dich nicht, wenn sie gleichermaßen Tauben genannt werden, wo doch beide gleichermaßen Beistand genannt werden, wie der Evangelist Johannes erklärt, indem er den Heiligen Geist Paraklet nennt, was Beistand heißt,k und über Jesus Christus desgleichen in seinem Brief sagt, dass er der Beistand beim Vaterl für unsere Sünden ist. 13. Doch auch von den beiden Olivenbäumen beim Propheten Sacharja, die rechts und links des Leuchters aufgestellt sind,m glaubt man, dass sie den einzigen Sohn und desgleichen den Heiligen Geist bezeichnen.346 346 Diese Auslegung gehört in eine Reihe ähnlicher Allegorien des Origenes, in denen er Paare im Alten Testament symbolisch auf Christus und den Heiligen Geist be-

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Hoheliedkommentar

Hdl. 1,16: „Siehe, du bist gut, mein Geliebter, und, ja siehe, du bist schön; unser Lager ist schattig.“

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2,1. „Ecce es bonus, fraternus meus, et quidem ecce es speciosus, cubile nostrum umbrosum.“ a Nunc primum uidetur attentius inspexisse sponsi sui pulchritudinem sponsa et considerasse illis oculis, qui columbae esse dicti sunt, decus et speciem Verbi Dei. Quia reuera nec potest prius perspici nec agnosci, quanta sit in Verbo magnificentia, nisi prius oculos quis columbae, id est intelligentiam spiritalem, accipiat. 2. Commune autem sibi cubile quod dicit esse cum sponso, corpus hoc mihi uidetur indicari animae, in quo adhuc posita digna habita sit adscisci ad consortium Verbi Dei. Idque umbrosum, utpote non aridum, sed fructuosum memorat et tamquam densitate boni operis nemorosum. Sed haec sponsa dicit, anima dumtaxat, quae columbae iam oculos habet. 3. Hi uero, qui tantummodo credunt sponso, non tamen perspicere potuerunt, in Verbo Dei quanta sit pulchritudo, dicunt: „Et uidimus, et non habebat speciem neque decorem, sed species eius indecora et deficiens prae filiis hominum.“ b Quae autem bene profecit et supergressa est adulescentularum et octoginta concubinarum et sexaginta reginarum c ordinem, ista anima potest dicere: „Ecce, es decorus, fraternus meus, et quidem speciosus.“ d 4. Sed et si adhuc in corpore positus intelligam densitatem spiritalium sensuum, intelligentiam scripturarum diuinarum tam crebra opacitate contextam, ut rapidior aestus, qui multos solet adurere et arefacere fructus eorum, me tamen tenebrare non possit nec ulla uis tentationum fidei in me germen arefacere, tunc possum dicere, quia „cubile nostrum umbrosum“. e a

Hld. 1,16

b

Jes. 53,2f.

c

Hld. 6,8

d

Hld. 1,16

e

Hld. 1,16

2 Cf. frg. 21 (Prokop 73; Barba`ra 17)

zieht, neben Augen und Tauben in Hld. 1,15 und Ölbäumen in Sach. 4,3 auch die „zwei lebenden Wesen“, von denen in Hab. 3,2 LXX die Rede ist: princ. I 3,4 (GCS Orig. 5, 25f.), auch als griechisches Fragment überliefert bei Justinian, epist. Men. (ACO III 210). Die berühmteste solcher Auslegungen war seine Deutung der Seraphim in Jes. 6,2f. auf Christus und den Heiligen Geist: princ. I 3,4 (GCS Orig. 5, 25f.); IV 3,14 (5, 346); Cels. VI 18 (GCS Orig. 2, 89) und bes. in Is. hom. 1,2–4 (GCS Orig. 8, 244–247); 4,1 (8, 257–259). Die trinitarische Deutung der Gottesvision Jesajas hat ihm im 4. Jahrhundert heftige Kritik eingetragen. Siehe dazu Fürst/Hengstermann, OWD 10, 75–77. 165–187.

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Buch III 2,1–4

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2. Die Schönheit des Wortes Gottes und die Leiber der Gläubigen als der Leib Christi

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2,1. „Siehe, du bist gut, mein Geliebter, und, ja siehe, du bist schön; unser Lager ist schattig.“a Jetzt scheint die Braut zum ersten Mal die Schönheit ihres Bräutigams aufmerksamer angeschaut und mit jenen Augen, die als Tauben bezeichnet worden sind, die Zierde und Anmut des Wortes Gottes betrachtet zu haben. Denn wahrhaftig kann niemand eher erblicken oder erkennen, wie groß die Hoheit im Wort ist, wenn er nicht zuvor die Augen einer Taube, das heißt die geistige Einsicht, empfängt. 2. Das Lager aber, von dem sie sagt, es mit dem Bräutigam gemeinsam zu haben, scheint mir auf den Leib der Seele hinzuweisen, in dem sie sich noch befindet, aber dennoch für würdig gehalten wurde, zur Teilhabe am Wort Gottes zugelassen zu werden. Und es wird als schattig bezeichnet, weil es nicht vertrocknet, sondern fruchtbar ist, gleichsam überschattet von einer dichten Menge guter Werke.347 Doch dies sagt die Braut, also die Seele, die schon die Augen einer Taube hat. 3. Diejenigen hingegen, die an den Bräutigam bloß glauben, jedoch nicht zu erblicken vermochten, von welch großer Schönheit das Wort Gottes ist, sagen: „Und wir sahen, und er hatte keine Anmut und keine Zierde, sondern seine Gestalt war hässlich und mangelhaft vor den Söhnen der Menschen.“b Die Seele aber, die gute Fortschritte gemacht hat und über die Stufe der Mädchen und der achtzig Konkubinen und sechzig Königinnenc hinausgeschritten ist, die kann sagen: „Siehe, du bist anmutig, mein Geliebter, und wirklich schön.“d 4. Doch auch wenn ich mich noch im Leib befinde, gleichwohl aber die geistigen Gedanken in ihrer Dichte verstehe, den Sinn der göttlichen Schriften, der in so schattiger Dichte gewoben ist, dass die sengende Glut, die viele zu verbrennen und ihre Früchte zu vertrocknen pflegt, mich dennoch nicht ins Dunkel hüllen und keine Kraft der Versuchungen den Samen des Glaubens in mir austrocknen kann, dann kann ich sagen, dass „unser Lager schattig ist“.e

347 Etwas anders erklärt Origenes, in Num. hom. 17,4 (GCS Orig. 7, 160f.), die „schattigen Haine“ in Num. 24,6: „Die nämlich diesen Weg (sc. den Weg der Weisheit Gottes) beschreiten, schreiten durch schattige Haine. Schattige Haine nämlich sind für sie die gesamte Versammlung der Gerechten und der Reigen der heiligen Propheten. Denn im Schatten der Gedanken, die sie bei jenen geschrieben finden, werden ihre Seelen erquickt, und an ihren Lehren erfreuen sie sich, als schritten sie durch den Schatten von Hainen.“

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Hoheliedkommentar

5. Quod autem dicit „cubile nostrum“, quasi communem sibi cum sponso corporis sui indicans locum, ad illam similitudinem dictum intellige, qua et Paulus dixit, quia corpora nostra membra Christi sunt. a Cum enim dicit corpora nostra, quasi sponsae id esse corpus ostendit; cum uero membra Christi memorat, eadem corpora etiam sponsi esse indicat corpus. 6. Haec ergo corpora si umbrosa sint, ut superius diximus, bonis dumtaxat operibus referta et spiritalium sensuum densitate comantia, de his talibus dici potest: „Per diem sol non uret te neque luna per noctem.“ b Iustum namque sol tentationis non adurit requiescentem sub umbra Verbi Dei (iste enim sol, qui adurit iustum, non est laudabilis, sed ille magis, qui se transfigurat in angelum lucis c). 7. Bonus ergo et decorus dicitur fraternus et quanto magis inspici potuerit spiritalibus oculis, tanto speciosior inuenitur et pulchrior, quia non solum illius species et pulchritudo mirabilis apparebit, uerum et inspicienti atque intuenti eum decus ingens et species formae noua ac mirabilis orietur secundum illud, quod apostolus Verbi Dei intuens pulchritudinem dicit: „Nam et si is, qui foris est, homo noster corrumpitur, sed qui intus est, renouatur de die in diem.“ d 8. Merito ergo talis haec anima commune habet cubile cum Verbo corpus suum; peruenit enim diuina uirtus usque ad corporis gratiam, cum in eo uel castitatis donum uel continentiae aliorumque bonorum operum collocat gratiam. 9. Considera sane, ne forte possit etiam illud corpus, quod assumpsit Iesus, commune ei cum sponsa cubile nominari, quoniamquidem per ipsum uidetur ecclesia Christo esse sociata et participium Verbi Dei capere potuisse, secundum quod et mediator Dei et hominum e dicitur et secundum quod apostolus dicit, quoniam in ipso habemus accessum per fidem in spe gloriae Dei. f a f

1 Kor. 6,15 Röm. 5,2

b

Ps. 120(121),6

c

2 Kor. 11,14

d

2 Kor. 4,16

e

1 Tim. 2,5

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Buch III 2,5–9

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5. Was sie aber „unser Lager“ nennt, womit sie gleichsam auf einen mit dem Bräutigam gemeinsamen Ort ihres Leibes hinweist, das verstehe als dem Gleichnis entsprechend gesagt, mit dem auch Paulus gesagt hat, dass unsere Leiber die Glieder Christi sind.a Wenn er nämlich von unseren Leibern spricht, zeigt er, dass es sich gleichsam um den Leib der Braut handelt; wenn er hingegen die Glieder Christi erwähnt, weist er darauf hin, dass dieselben Leiber auch der Leib des Bräutigams sind. 6. Wenn diese Leiber also schattig sind, insofern sie, wie wir weiter oben gesagt haben, reich an guten Werken und dicht mit geistigen Gedanken belaubt sind, kann man über so beschaffene Leiber sagen: „Tagsüber wird die Sonne dich nicht verbrennen noch der Mond über Nacht.“b Denn den Gerechten verbrennt die Sonne der Versuchung nicht, da er im Schatten des Wortes Gottes ruht (diese Sonne nämlich, die den Gerechten verbrennt, ist nicht lobenswert, sondern es handelt sich vielmehr um jene, die sich in den Engel des Lichts verwandeltc 348). 7. Gut und anmutig also wird der Geliebte genannt, und je mehr man ihn mit geistigen Augen anzuschauen vermag, als umso graziöser und schöner entdeckt man ihn. Denn nicht allein seine Gestalt und Schönheit wird wunderbar erscheinen, sondern dem, der ihn anschaut und betrachtet, wird auch seine ungeheure Anmut und die neue und wunderbare Zierde seiner Gestalt aufgehen gemäß jenem Wort des Apostels, der bei der Schau der Schönheit des Wortes Gottes sagt: „Denn auch wenn unser äußerer Mensch zugrundegeht, wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“d 8. Zu Recht also hat diese so beschaffene Seele ihren Leib als Lager mit dem Wort gemeinsam. Die göttliche Kraft reicht nämlich bis zur Anmut des Leibes, wenn sie in ihn die Gabe der Keuschheit oder die Gnade der Enthaltsamkeit und anderer guter Werke hineinlegt. 9. Bedenke allerdings, ob nicht vielleicht auch jener Leib, den Jesus angenommen hat, als ihm und der Braut gemeinsames Lager bezeichnet werden kann, da ja durch diesen die Kirche allem Anschein nach mit Christus verbunden und zur Teilhabe am Wort Gottes befähigt worden ist, gemäß der Aussage, dass er der Mittler zwischen Gott und den Menschene ist, und gemäß dem, was der Apostel sagt, dass wir in ihm Zugang haben durch den Glauben in der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes.f

348 Dieser „Engel des Lichts“ ist der Teufel, der sich in sozusagen falsches Licht verwandelt, um die Menschen unter dem Anschein des Guten zu täuschen. Zum Teufel, der vor seinem Abfall von Gott „Licht“ war, vgl. princ. I 5,5 (GCS Orig. 5, 77).

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Hoheliedkommentar

Hld. 1,17: „Die Balken unserer Häuser sind Zedern, unsere Querbalken Zypressen.“

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3,1. „Tigna domorum nostrarum cedri, trabes nostrae cypressi.“ a Videtur ab sponso responderi ad gratiam eorum, quae dicta fuerant prius ab sponsa, quibus edoceat eam, cuiusmodi sint tecta ista communia et qualis in iis materia contignationis habeatur. Haec habet historica narratio. 2. Videtur autem ecclesia describi a Christo, quae est domus spiritalis et domus Dei, sicut docet Paulus dicens: „Si autem tardius uenero, ut scias, quomodo te oporteat in domo Dei conuersari, quae est ecclesia Dei uiui, columna et firmamentum ueritatis.“ b Si ergo ecclesia domus Dei est, quia omnia, quae habet Pater, Filii sunt, c ecclesia domus Filii Dei est. 3. Frequenter autem et plurali numero appellantur ecclesiae, ut ait ibi: „Nos talem consuetudinem non habemus neque ecclesiae Dei.“ d Et iterum scribit ecclesiis Galatiae e Paulus et Iohannes septem ecclesiis. f Sunt ergo siue ecclesia uel ecclesiae domus sponsi et sponsae siue animae et domus Verbi, in quibus tigna sunt cedrina. 4. Legimus esse quasdam cedros Dei, super quas uinea, quae translata est de Aegypto, extendisse dicitur traduces siue arbusta sua, g sicut ait in Psalmis: „Operuit montes umbra eius, et arbusta eius cedros Dei.“ h 5. Euidenter igitur per haec quaedam in ecclesia cedri Dei nominantur. Cum ergo dicit sponsus: „Tigna domorum nostrarum cedri“, i intelligere debemus cedros Dei esse eos, qui ecclesiam contegunt, et esse aliquos horum ualidiores, qui trabes appellantur. Et puto, quod conuenienter hi, qui episcopatum bene ministrant in ecclesia, trabes dici possunt, quibus sustentatur et tegitur omne aedificium uel ab imbrium labe uel ab ardoribus solis. 6. Secundo autem horum loco tigna presbyteros opinor appellari et trabes quidem dici cypressos, quibus et fortitudo robustior et odoris suauitas inest, per quod et in operibus solidum et in doctrinae gratia fraglantem designat episcopum. Similiter autem et tigna cedros appellauit, ut per hoc incorruptionis uirtutis et odoris scientiae Christi plenos designaret debere esse presbyteros. a g

Hld. 1,17 Ps. 79(80),9

b

c d 1 Tim. 3,15 Joh. 16,15 1 Kor. 11,16 h i Ps. 79(80),11 Hld. 1,17

e

Gal. 1,2

f

Offb. 1,4

349 In Gen. hom. 2,4 (GCS Orig. 6, 32) deutet Origenes die „Vierkanthölzer“ in Gen. 6,14 im selben Sinne: „Meines Erachtens sind das die Lehrer der Kirche, die Häupter und die Eiferer des Glaubens, die die Leute im Inneren mit dem Wort der Erquickung und der Wohltat der Unterweisung trösten und den von draußen an-

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Buch III 3,1–6

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3. Die Kirche als geistiges Haus Gottes und die kirchlichen Amtsträger

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3,1. „Die Balken unserer Häuser sind Zedern, unsere Querbalken Zypressen.“a Dies scheint die Antwort des Bräutigams auf die anmutigen Worte zu sein, die die Braut zuvor geäußert hatte. Mit diesen Worten lehrt er sie, wie diese gemeinsamen Dächer beschaffen sind und was das Material für das Gebälk in ihnen ist. Das ist der Inhalt der dargestellten Erzählung. 2. Offenbar aber wird von Christus die Kirche beschrieben, die das geistige Haus und das Haus Gottes ist, wie Paulus lehrt, wenn er sagt: „Wenn ich aber später komme, sollst du wissen, wie du dich im Hause Gottes, das die Kirche des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Stütze der Wahrheit, verhalten musst.“b Wenn also die Kirche das Haus Gottes ist, ist die Kirche, weil alles, was der Vater hat, dem Sohn gehört,c das Haus des Sohnes Gottes. 3. Oft ist allerdings auch in der Mehrzahl von Kirchen die Rede, etwa wo es heißt: „Einen solchen Brauch haben weder wir noch die Kirchen Gottes.“d Und desgleichen schreibt Paulus an die Kirchen in Galatiene und Johannes an sieben Kirchen.f Es sind also sowohl die Kirche als auch die Kirchen das Haus des Bräutigams und der Braut beziehungsweise das Haus der Seele und des Wortes, in denen es Balken aus Zedernholz gibt. 4. Wir lesen, dass es bestimmte Zedern Gottes gibt, über die der Weinstock, der aus Ägypten eingeführt worden ist, seine Ranken beziehungsweise Reben ausgebreitet hat,g wie es in den Psalmen heißt: „Sein Schatten bedeckte die Berge und seine Reben die Zedern Gottes.“h 5. Offensichtlich werden damit also bestimmte Dinge in der Kirche Zedern Gottes genannt. Wenn der Bräutigam also sagt: „Die Balken unserer Häuser sind Zedern“,i müssen wir begreifen, dass Zedern Gottes die sind, die die Kirche schützen, und dass es unter diesen einige stärkere gibt, die Querbalken genannt werden. Und ich glaube, dass passend diejenigen, die das Bischofsamt gut verwalten, in der Kirche Querbalken genannt werden können, durch die das ganze Gebäude gestützt und geschützt wird, sei es vor Regengüssen, sei es vor den Gluten der Sonne. 6. An zweiter Stelle werden aber, meine ich, die Presbyter als Balken bezeichnet und die Querbalken Zypressen genannt, die sowohl eine größere Stärke als auch einen süßen Duft an sich haben. Dies bezeichnet einen Bischof, der sowohl in seinem Tun solide ist als auch durch die Anmut seiner Lehre einen Wohlgeruch verströmt. Im selben Sinne aber nannte er auch die Balken Zedern, um dadurch aufzuzeigen, dass die Presbyter ganz von der Tugend der Unverdorbenheit und vom Wohlgeruch der Erkenntnis Christi erfüllt sein müssen.349 greifenden Heiden oder Häretikern, die die Fluten der Streitfragen und die Stürme der Glaubensdispute aufrühren, mit der Gewalt des Wortes und der Weisheit der Vernunft Widerstand leisten.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 77.

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Hoheliedkommentar

Hld. 2,1f.: „Ich bin eine Blume des Feldes und eine Lilie der Täler; wie eine Lilie inmitten der Dornen, so ist meine Gefährtin inmitten der Töchter.“

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4,1. „Ego flos campi et lilium conuallium; sicut lilium in medio spinarum, ita proxima mea in medio filiarum.“ a Haec ille, qui sponsus et Verbum et sapientia est, de semet ipso et de sponsa ad amicos ac sodales suos loqui uidetur. Sed secundum propositae expositionis ordinem Christus haec de ecclesia loqui intelligendus est et ipse dicere se esse florem campi et lilium conuallium. 2. Campus planities terrae dicitur, cui cultura adhibetur et excolitur ab agricolis; conualles uero saxosa magis et inculta indicant loca. Possumus ergo campum illum intelligere populum, qui per prophetas colebatur et legem, conuallem uero saxosum et incultum gentium locum. 3. Sponsus ergo hic in illo populo flos fuit, sed quoniam neminem ad perfectum adduxit lex, b idcirco ibi Verbum Dei non potuit a flore proficere et ad perfectionem fructuum peruenire. In ista tamen conualle gentium effectus est lilium. Cuiusmodi autem lilium? Tale sine dubio, quale et ipse in euangeliis dicit, quod Pater caelestis uestit et „neque Solomon in omni gloria sua indutus est sicut unum ex istis“. c Fit ergo lilium in hac conualle sponsus in eo, quod uestiuit eum pater caelestis tali indumento carnis, quale nec Solomon in omni gloria sua habere potuit. Non enim habuit Solomon absque concupiscentia uiri et concubitu mulieris immaculatam et nulli prorsus peccato obnoxiam carnem. 4. Sed et causam, cur is, qui in campo flos fuerat, uoluerit esse in conuallibus lilium, uidetur ostendere. Cum enim multo tempore flos fuisset in campo, nullum dicit ex ipso campo florem ad imitationem sui ac similitudinem processisse. Vbi uero factus est in conuallibus lilium, continuo efficitur etiam proxima eius imitatione ipsius lilium, ut operae pretium fuerit, quoniam ipse effectus est lilium, ut etiam proxima sua, id est unaquaeque anima, quae ei approximat et exemplum eius imitationemque sectatur, lilium fiat. 5. Quod ergo ait: „Sicut lilium in medio a

Hld. 2,1f.

b

Hebr. 7,19

c

Mt. 6,28–30

10 Cf. frg. 22 (Prokop 78; Barba`ra 18)

350 Nach princ. II 6,5 (GCS Orig. 5, 144f.) hat die Seele Jesu, der wie jeder anderen Seele die Fähigkeit zukommt, zwischen Gut und Böse zu wählen, „die ,Liebe zur Gerechtigkeit‘ (Ps. 44[45],6) gewählt, derart dass sie entsprechend der unermesslichen Größe der Liebe unwandelbar und untrennbar an ihm hing; und so schloss die Festigkeit des Entschlusses, die überwältigende Größe der Zuneigung und die unauslöschliche Wärme der Liebe jeden Gedanken an Umkehr und Veränderung aus. Was ursprünglich von freier Entscheidung abhing, ist durch die Wirkung langer Gewohnheit jetzt zur Natur geworden. So muss man annehmen, dass in Christus zwar eine menschliche Vernunftseele war, dass sie aber keinen Gedanken an Sünde

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Buch III 4,1–5

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4. Das Wort Gottes im Volk Gottes und die Menschwerdung als Vorbild für die nach Vollkommenheit strebende Seele

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4,1. „Ich bin eine Blume des Feldes und eine Lilie der Täler; wie eine Lilie inmitten der Dornen, so ist meine Gefährtin inmitten der Töchter.“a Dies scheint jener, der der Bräutigam und das Wort und die Weisheit ist, über sich selbst und über die Braut zu seinen Freunden und Gefährten zu sprechen. Doch gemäß der Ordnung der vorgeschlagenen Auslegung ist es so zu verstehen, dass Christus dies über die Kirche spricht und von sich selbst sagt, er sei eine Blume des Feldes und eine Lilie der Täler. 2. Als Feld bezeichnet man eine Ebene der Erde, die von Bauern kultiviert und bearbeitet wird. Täler hingegen deuten eher auf steinige und unkultivierte Orte hin. Wir können also unter dem Feld jenes Volk verstehen, das von den Propheten und dem Gesetz bearbeitet wurde, unter dem Tal hingegen den steinigen und unkultivierten Ort der Völker. 3. Der Bräutigam ist also in jenem Volk diese Blume gewesen, doch weil das Gesetz niemanden zur Vollendung geführt hat,b deswegen konnte sich das Wort Gottes dort nicht aus der Blume entwickeln und zur Vollendung der Früchte gelangen. In diesem Tal der Völker jedoch ist er zur Lilie geworden. Aber was für eine Lilie? Ohne Zweifel eine solche, von der er auch selbst in den Evangelien sagt, dass der himmlische Vater sie bekleidet und „nicht einmal Salomo in all seiner Pracht gekleidet gewesen ist wie eine von diesen“.c Der Bräutigam wird also in diesem Tal dadurch zur Lilie, dass der himmlische Vater ihn mit einem solchen Gewand aus Fleisch bekleidet hat, wie es nicht einmal Salomo in all seiner Pracht haben konnte. Denn Salomo besaß kein Fleisch, das ohne die Begierde eines Mannes und den Beischlaf mit einer Frau unbefleckt und überhaupt keiner Sünde schuldig war.350 4. Doch es wird anscheinend auch der Grund dafür angezeigt, warum der, der auf dem Feld eine Blume gewesen war, in den Tälern eine Lilie sein wollte. Obwohl er nämlich lange Zeit eine Blume auf dem Feld gewesen ist, ist aus dem Feld, sagt er, keine Blume gewachsen, die ihn nachahmt oder ihm ähnlich ist. Sobald er aber in den Tälern eine Lilie geworden ist, wird sogleich auch seine Gefährtin, indem sie ihn nachahmt, eine Lilie, so dass es der Mühe wert war, dass er selbst eine Lilie geworden ist, damit auch sein Gefährtin, das heißt jede Seele, die sich ihm naht und seinem Beispiel und Vorbild folgt, eine Lilie wird. 5. Wenn er also sagt: „Wie eine Lilie inmitten der

und keine Möglichkeit dazu hatte.“ Übersetzung: p. 369 Görgemanns/Karpp. Anlässlich der Auslegung von Röm. 8,3 weist Origenes darauf hin, dass „das Fleisch des Sohnes Gottes nicht Sünde, sondern in der Gestalt der Sünde war, da er ja auch nicht aus dem Samen des Mannes kam, der im Beischlaf mit der Frau zusammenkam“: in Rom. frg. 45 (p. 17 Ramsbotham). Übersetzung: Heither, FC 2/6, 209.

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Hoheliedkommentar

spinarum, ita proxima mea in medio filiarum“, a accipiemus ecclesiam gentium dici, quod uel e medio infidelium et non credentium quasi ex spinis emerserit uel pro haereticorum circumstrepentium se morsibus in medio spinarum posita dicatur. 6. Quod et magis uidebitur uerisimile pro eo, quod dicit: „ita proxima mea in medio filiarum“. b Non enim filias appellasset illas animas, quae numquam omnino uenerint ad credendum. Omnes enim haeretici primo ad credulitatem ueniunt et post haec ab itinere fidei et dogmatum ueritate declinant. Sicut et Iohannes apostolus in epistola sua dicit quia: „A nobis exierunt, sed non erant ex nobis; nam si fuissent ex nobis, mansissent utique nobiscum.“ c 7. Possumus autem et ad unamquamque id animam referentes huic quidem animae, quae pro simplicitate sui et planitie uel aequitate campus dici potest, florem fieri Verbum Dei et initia bonorum operum docere. His uero, qui profundiora iam quaerunt et demersiora scrutantur, quasi in conuallibus uel pro claritate pudicitiae uel pro fulgore sapientiae efficitur lilium, ut et ipsi fiant lilia erumpentia de medio spinarum, id est fugientes cogitationes et sollicitudines saeculares, quae spinis in euangelio comparatae sunt. d

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Hld. 2,3: „Wie ein Apfelbaum unter Waldhölzern, so ist mein Geliebter inmitten der Söhne; in seinem Schatten zu weilen sehnte ich mich und saß ich, und seine Frucht war süß in meiner Kehle.“

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5,1. „Sicut arbor mali inter ligna siluae, ita fraternus meus inter medium filiorum; in umbra eius concupiui et sedi, et fructus eius dulcis in faucibus meis.“ e Decuit quidem sponsum et de semet ipso dicere, quid esset in campo, quid etiam in conuallibus, et de sponsa, quae esset qualisue inter ceteras filias haberetur. Sponsam uero ad haec respondentem non conueniebat de semet ipsa aliquid dicere, sed effici totam erga admirationem sponsi et ipsius laudibus inhaerere. 2. Comparat ergo eum arbori mali. Sed ne ex similitudine sermonis simpliciores aliqui arborem mali malam arborem putent et a a

Hld. 2,2

b

Hld. 2,2

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1 Joh. 2,19

d

Mt. 13,22

e

Hld. 2,3

21 Cf. frg. 23 (Prokop 83; Barba`ra 19) 1. Absatz

351 Origenes vertritt wie andere altkirchliche Theologen die Ansicht, dass die rechte Lehre sachlich wie zeitlich den Primat gegenüber der Häresie besitzt. Häresie ist demnach immer Abfall von der wahren Lehre, die Jesus seinen Aposteln anvertraut

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Buch III 4,5–5,2

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Dornen, so ist meine Gefährtin inmitten der Töchter“,a werden wir dies als Aussage über die Kirche der Völker auffassen, entweder weil sie aus der Mitte der Ungläubigen und Nichtglaubenden wie aus Dornen hervorgegangen ist oder weil sie wegen der Attacken der sie umlärmenden Häretiker als eine bezeichnet wird, die sich inmitten von Dornen befindet. 6. Diese Erklärung wird auch deshalb als wahrscheinlicher erscheinen, weil er sagt: „So ist meine Gefährtin inmitten der Töchter.“b Er hätte nämlich nicht jene Seelen als Töchter bezeichnet, die überhaupt nie zum Glauben gekommen wären. Sämtliche Häretiker kommen nämlich zuerst zum Glauben und fallen danach vom Weg des Glaubens und der Wahrheit der Lehren ab.351 So sagt auch der Apostel Johannes in seinem Brief: „Von uns sind sie ausgegangen, aber sie waren nicht von uns, denn wenn sie von uns gewesen wären, wären sie gewiss bei uns geblieben.“c 7. Wir können aber auch sagen, indem wir dies auf jede einzelne Seele beziehen, dass für die Seele, die wegen ihrer Einfachheit und Ebenmäßigkeit und ihres Gleichmuts Feld genannt werden kann, das Wort Gottes eine Blume wird und sie die Anfänge der guten Werke lehrt. Für die hingegen, die schon nach tieferen Dingen fragen und die verborgenen Dinge gleichsam in den Tälern untersuchen, wird er, sei es wegen der Helligkeit der Keuschheit, sei es wegen des Glanzes der Weisheit, eine Lilie, damit sie auch selbst Lilien werden, die aus der Mitte der Dornen hervorbrechen, das heißt, die weltlichen Gedanken und Sorgen fliehen, die im Evangelium mit Dornen verglichen werden.d 5. Leben im Schutz des Wortes Gottes und der kirchlichen Lehre

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5,1. „Wie ein Apfelbaum unter Waldhölzern, so ist mein Geliebter inmitten der Söhne; in seinem Schatten zu weilen sehnte ich mich und saß ich, und seine Frucht war süß in meiner Kehle.“e Für den Bräutigam ziemte es sich, sowohl über sich selbst als auch über die Braut zu sagen, was er auf dem Feld, was er auch in den Tälern war und wer sie war und welches Ansehen sie unter den übrigen Töchtern hatte. Für die darauf antwortende Braut hingegen ziemte es sich nicht, etwas über sich selbst zu sagen, sondern sich ganz der Bewunderung für den Bräutigam hinzugeben und in dessen Lob aufzugehen. 2. Sie vergleicht ihn also mit einem Apfelbaum. Doch damit nicht aufgrund der Ähnlichkeit des Ausdrucks irgendwelche einfa-

hat. Auf die einzelnen Häresiarchen übertragen bedeutet das, dass auch sie zunächst die christliche Lehre in ihrer Wahrheit empfangen und dann diese überkommene Lehre verfälscht haben. Siehe dazu mit vielen Belegen Brox, Art. Häresie 260–262.

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Hoheliedkommentar

malitia dictam, dicamus nos arborem meli, graeco quidem nomine utentes, sed simplicioribus quibusque Latinorum plus notiore quam mali. Melius est enim, ut grammaticos offendamus, quam legentibus scrupulum aliquem in ueritatis explanatione ponamus. 3. Comparat igitur eum arbori meli, sodales uero eius reliquis arboribus siluae. Sed sponsum ita arbori huic meli similem dicit, ut etiam concupisse se dicat sub umbra eius sedere fructumque eius dulcem sibi effectum in faucibus asseueret. Et haec ad adulescentulas loqui uidetur, sicut et sponsus locutus est prius ad sodales suos. 4. Sed uideamus nunc secundum mysterium, quos dicat sponsa filios, inter quos tamquam arborem meli praecellere reliqua siluae ligna asserat sponsum; et uide, si possumus, secundum quae in superioribus de filiabus et spinis dupliciter exposuimus, ita etiam hic filios uel eos, qui aliquando fuerunt et non sunt, uel multitudines caelestium ministrorum dictos esse intelligere. 5. Ad omnes enim in initio pertinet illud, quod scriptum est: „Ego dixi: Dii estis et filii Excelsi omnes.“ a Sed differentia intercessit per hoc, quod ait: „Vos autem ut homines moriemini et sicut unus de principibus cadetis.“ b Sed et illud in hoc respicit: „Quoniam quis in nubibus aequabitur Domino? Aut quis assimilabitur ei inter filios Dei?“ c 6. Sicut ergo arbor meli inter reliqua ligna siluae, ita est sponsus inter filios habens fructum, qui non solum sapore omnes, sed et odore praecellat et duos pariter animae sensus, id est gustum simul et odoratum, efficiat. 7. Diuersis namque copiis mensam suam nobis praeparat sapientia, d in qua non solum panem uitae e apponit, sed et immolat carnes Verbi; et non solum miscet in cratere suum uinum, f sed et mela odorata satis adhibet et dulcia, quae non tantum in ore et labiis suauitatem reddant, sed et interioribus tradita faucibus dulcedinem seruent. a

Ps. 81(82),6

b

Ps. 81(82),7

c

Ps. 88(89),7

d

Spr. 9,1f.

e

Joh. 6,35

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Spr. 9,2

352 Dies ist offenbar ein Einschub des Rufinus, der seinen lateinischen Lesern helfen will, das Missverständnis zu vermeiden, dass man unter dem Wort malum nicht den Apfel (ma¯lum), sondern die Schlechtigkeit (ma˘lum) versteht. Daher greift er auf das griechische Wort für „Apfelbaum“, mhÄlon (dorisch: maÄlon), zurück, das angeblich auch seinen lateinischen Lesern vertrauter ist als das lateinische ma¯lum. Vgl. Grandgent, Vulgar Latin 82 § 195,5. 353 Siehe in Cant. comm. III 4,5f. 354 Zur Deutung der in Ps. 81(82),6f. angesprochenen Götter als Menschen siehe in Ioh. comm. XX 27,242f. (GCS Orig. 4, 364); XXXII 18,233f. (4, 457); in Matth. comm. XVII 1 (GCS Orig. 10, 574); XVII 19 (10, 638f.); XVII 32 (10, 679); in Hier. hom. 15,6 (GCS Orig. 32, 130); Cels. IV 31 (GCS Orig. 1, 302). Schon vor Origenes ist dieser Psalm so aufgefasst worden: Justin, dial. 124,2f. (PTS 47, 284f.); Irenäus, adv. haer. III 6,1 (SC 211, 68); III 19,1 (211, 372); IV 38,4 (100, 958);

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cheren Leute den Apfelbaum für einen schlechten Baum halten und meinen, sein Name leite sich von der Schlechtigkeit ab, wollen wir ihn Melonbaum nennen, indem wir ein griechisches Wort verwenden, das aber gerade den einfachen Leuten unter den Lateinern weit bekannter ist als das Wort Apfel.352 Es ist nämlich besser, dass wir die Grammatiker verärgern, als dass wir den Lesern irgendeinen Skrupel bei der Erklärung der Wahrheit bereiten. 3. Sie vergleicht ihn also mit einem Apfelbaum, seine Gefährten hingegen mit den übrigen Bäumen des Waldes. Doch den Bräutigam nennt sie insofern dem Apfelbaum ähnlich, als sie sagt, sie habe sich auch danach gesehnt, in seinem Schatten zu sitzen, und behauptet, seine Frucht sei ihr in der Kehle süß geworden. Und dies scheint sie zu den Mädchen zu sagen, wie auch der Bräutigam vorher zu seinen Gefährten gesprochen hat. 4. Doch jetzt wollen wir sehen, wen die Braut dem geheimnisvollen Sinn nach als die Söhne bezeichnet, unter denen, wie sie behauptet, der Bräutigam herausragt wie ein Apfelbaum unter den übrigen Hölzern des Waldes. Und schau, ob wir entsprechend dem, was wir oben über die Töchter und die Dornen in zweifacher Weise dargelegt haben,353 so auch hier verstehen, dass als Söhne entweder die bezeichnet sind, die es einmal waren und nicht mehr sind, oder die Scharen der himmlischen Diener. 5. Auf alle nämlich bezieht sich zu Beginn das, was geschrieben steht: „Ich habe gesagt: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten alle.“a Aber ein Unterschied ergab sich durch das, was er dann sagt: „Ihr aber werdet sterben wie Menschen, und wie einer der Fürsten werdet ihr fallen.“b 354 Aber auch dies bezieht sich hierauf: „Denn wer in den Wolken wird dem Herrn gleichkommen? Oder wer unter den Söhnen Gottes wird mit ihm verglichen werden?“c 6. Wie also der Apfelbaum unter den übrigen Hölzern des Waldes, so ist der Bräutigam unter den Söhnen, weil er eine Frucht trägt, die nicht nur an Geschmack, sondern auch an Geruch alle übertrifft und gleich zwei Sinne der Seele anspricht,355 und zwar den Geschmackssinn genauso wie den Geruchssinn. 7. Denn mit verschiedenen Speisen bereitet uns die Weisheit ihre Tafel,d auf der sie nicht nur das Brot des Lebense aufträgt, sondern auch das Fleisch des Wortes als Opfer darbringt. Und sie mischt nicht nur ihren Wein in einem Krug,f sondern reicht auch reichlich duftende und süße Äpfel, die nicht allein im Mund und auf den Lippen süß schmecken, sondern auch noch, wenn sie in die Kehle geschluckt werden, ihre Süße bewahren.356 Clemens von Alexandria, protr. 123,1 (GCS Clem. Al. 13, 86); paed. I 26,1 (13, 105); strom. II 125,4f. (24, 181); IV 149,8 (24, 314). 355 Zu den ,geistigen Sinnen‘ siehe in Cant. comm. prol. 2,9–11 und dazu oben S. 68 Anm. 26. Auch in den Homilien legt Origenes Hld. 2,3 in diesem Sinne aus: in Cant. hom. 2,6 (GCS Orig. 8, 50f.). 356 Den ,geistigen Sinnen‘ entsprechend wird die Seele auch mit ,geistiger Nahrung‘ ernährt. Siehe Crouzel, Connaissance mystique 166–184.

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Hoheliedkommentar

8. Possumus autem ligna siluae accipere illos angelos, qui uniuscuiusque haereseos auctores fautoresque uisi sunt exstitisse, ita ut uideatur ecclesia comparans suauitatem doctrinae Christi ad asperitatem haereticorum dogmatum ac sterilem eorum infructuosamque doctrinam dicere mela quidem suauia et dulcia esse ecclesiastica dogmata, quae in Christi ecclesia praedicantur, ligna uero esse siluae ea, quae a diuersis haereticis affirmantur. Et de istis uidebitur infructuosis lignis siluae dici, quod in euangelio scriptum est: „Ecce, iam securis ad radices arborum posita est; omnis ergo arbor, quae non affert fructum bonum, excidetur et in ignem mittetur.“ a Fraternus ergo sponsae est ut arbor meli in ecclesia Christi; ceteri uero haeresiarchae tamquam infructuosa ligna siluae diuino iudicio ut securi excidenda et in ignem mittenda. 9. Igitur in huius meli umbra concupiscit sponsa residere, uel ecclesia, ut diximus, in protectione Filii Dei, b uel anima refugiens omnes reliquas doctrinas et adhaerens uni soli Verbo Dei, cuius etiam dulcem habeat in faucibus fructum, meditando scilicet indesinenter legem Dei c et semper eam uelut mundum animal ruminando. 10. Verum de appellatione umbrae istius, sub qua sedere concupisse se dicit ecclesia, non puto absurdum, si ea, quae inuenire possumus in scripturis diuinis, proferamus in medium, ut, quae sit umbra meli huius, dignius et diuinius agnoscatur. 11. Ait Hieremias in Lamentationibus: „Spiritus uultus nostri Christus Dominus comprehensus est in corruptionibus nostris, cui diximus: In umbra eius uiuemus in gentibus.“ d Vides ergo, quomodo Spiritu Sancto propheta permotus uitam de umbra Christi praeberi gentibus dicit; et quomodo non uitam nobis praebeat umbra eius, cum et in conceptu corporis ipsius ad Mariam dicatur: „Spiritus Sanctus ueniet super te, et uirtus Altissimi obumbrabit tibi“? e Si ergo obumbratio fuit Altissimi in conceptu corporis eius, merito umbra eius uitam gentibus dabit. 12. Et merito sponsa eius ecclesia sub meli umbra sedere concupiscit, sine dubio, ut uitae, quae est in umbra eius, particeps fiat. Reliquorum uero lignorum siluae umbra talis est, ut, qui sederit sub ipsa, sedere uideatur in regione umbrae mortis. f a

Mt. 3,10

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Ps. 90(91),1

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Ps. 1,2

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Klgl. 4,20

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Lk. 1,35

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Mt. 4,16

17 Cf. frg. 23 (Prokop 83; Barba`ra 19) 2. Absatz

357 Für Origenes sind die Urheber der Häresie die „Fürsten dieser Welt“ (1 Kor. 2,6), unter denen er die gefallenen Engel versteht. Diese geben den Menschen Lehren und Meinungen ein, die zu einer falschen Erkenntnis führen: princ. III 3,2 (GCS Orig. 5, 257f.). Dass die Häresie vom Teufel bzw. von Dämonen verursacht wird, war ein weit verbreitetes Erklärungsmuster der Alten Kirche: Brox, Art. Häresie 265, mit zahlreichen Belegen. 358 Vgl. in Lev. hom. 7,6 (GCS Orig. 6, 389): „Meiner Meinung nach sagt man von dem, dass er wiederkäut, der sich um Erkenntnis bemüht und Tag und Nacht über das Gesetz des Herrn nachsinnt.“ ,Wiederkäuen‘ bedeutet, „das, was man im Text

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8. Wir können aber die Hölzer des Waldes als jene Engel auffassen, die die Urheber und Unterstützer jedweder Häresie gewesen zu sein scheinen,357 so dass die Kirche, wenn sie die Süße der Lehre Christi mit der Bitterkeit der Lehrsätze der Häretiker und ihrer ertraglosen und fruchtlosen Lehre vergleicht, zu sagen scheint, dass die kirchlichen Lehrsätze, die in der Kirche Christi verkündet werden, liebliche und süße Äpfel sind, Hölzer des Waldes hingegen das, was von den verschiedenen Häretikern behauptet wird. Und über diese unfruchtbaren Hölzer des Waldes wird anscheinend gesagt werden, was im Evangelium geschrieben steht: „Siehe, schon ist die Axt an die Wurzeln der Bäume gelegt. Jeder Baum also, der keine gute Frucht hervorbringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen werden.“a Der Geliebte der Braut ist also wie ein Apfelbaum in der Kirche Christi. Die übrigen aber, die Urheber der Häresie, sind wie unfruchtbare Hölzer des Waldes durch das göttliche Gericht wie mit einer Axt abzuhauen und ins Feuer zu werfen. 9. Im Schatten dieses Apfelbaumes also begehrt die Braut zu ruhen, sei es die Kirche, wie gesagt, im Schutz des Sohnes Gottes,b sei es die Seele, die vor allen anderen Lehren flieht und allein dem einen Wort Gottes anhängt, dessen süße Frucht sie auch in der Kehle hat, indem sie nämlich unaufhörlich das Gesetz Gottes betrachtetc und es wie ein reines Tier ständig wiederkäut.358 10. Aber im Hinblick auf die Nennung dieses Schattens, unter dem die Kirche nach ihren Worten zu sitzen begehrt hat, halte ich es nicht für unpassend, wenn wir das, was wir in den göttlichen Schriften dazu finden können, vorstellen, damit man auf würdigere und Gott angemessenere Weise erkennt, was der Schatten dieses Apfelbaumes ist. 11. Jeremia sagt in den Klageliedern: „Der Hauch unseres Angesichts, Christus, der Herr, wurde ergriffen in unseren Verderbtheiten, er, zu dem wir gesagt haben: In seinem Schatten werden wir unter den Völkern leben.“d Du siehst also, wie der Prophet vom Heiligen Geist bewegt davon spricht, dass den Völkern durch den Schatten Christi Leben gewährt wird. Und wie sollte uns sein Schatten nicht Leben gewähren, wo doch auch bei der Empfängnis seines Leibes zu Maria gesagt wird: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“?e Wenn also bei der Empfängnis seines Leibes die Überschattung durch den Höchsten stattfand, wird zu Recht sein Schatten den Völkern Leben geben. 12. Und zu Recht begehrt die Kirche als seine Braut, unter dem Schatten des Apfelbaumes zu sitzen, ohne Zweifel um des Lebens teilhaftig zu werden, das in seinem Schatten ist. Der Schatten der übrigen Hölzer des Waldes hingegen ist von der Art, dass der, der unter ihm sitzt, in der Region des Todesschattens zu sitzen scheint.f gelesen hat, auf einen geistigen Sinn zu beziehen und vom Niedrigen und Sichtbaren zum Unsichtbaren und Höheren aufzusteigen“.

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Hoheliedkommentar

13. Sed adhuc, ut magis ac magis planior reddatur locus, qui habetur in manibus, requiramus, quomodo et apostolus dicat legem umbram habere futurorum bonorum a et omnia, quae uel de diebus festis uel sabbatis uel neomeniis b scripta sunt, umbram memoret esse futurorum bonorum, in his scilicet, quae secundum litteram gerebantur; et quomodo omnem ueterum culturam exemplar et umbram pronuntiet esse caelestium. c Quod utique si ita est, ostenduntur sub umbra legis sedisse omnes, quicumque sub lege erant et umbram magis uerae legis habebant. 14. Nos autem alieni sumus ab umbra eorum, quoniam non sumus sub lege, sed sub gratia. d Sed quamuis non simus sub umbra illa, quam legis littera faciebat, sumus tamen sub umbra meliore. In umbra enim Christi uiuimus inter gentes. e 15. Et est profectus quidam de umbra legis uenire ad umbram Christi, ut, quia Christus uita est et ueritas et uia, f efficiamur primo in umbra uiae et in umbra uitae et in umbra ueritatis et comprehendamus ex parte et in speculo ac in aenigmate, g ut post haec, si incedamus per hanc uiam, quae est Christus, peruenire possimus in hoc, ut facie ad faciem comprehendamus ea, quae prius in umbra et in aenigmate uideramus. h Non enim quis poterit ad illa, quae uera sunt et perfecta, peruenire, nisi prius desiderauerit et concupierit in hac umbra residere. 16. Sed et Iob omnem hominum uitam umbram dicit esse super terram, i credo pro eo, quod omnis anima in hac uita uelamento crassi huius corporis obumbratur. Omnes ergo, qui in hac uita sunt, necesse est in umbra quadam esse. 17. Sed alii quidem sunt sedentes in regione umbrae mortis, j hi profecto, qui non credunt Christo; ecclesia uero cum fiducia dicit: „In umbra sponsi concupiui et sedi“, k quamuis fuerit tempus, quo potuerit quis sub umbra legis residens defendi a duritia ardoris et aestus. Sed transiit illud tempus. Veniendum nunc est ad arboris meli umbram et, quamuis diuersa quis utatur umbra, uidetur tamen omnis anima, donec in praesenti uita est, umbram habere necessariam, propter illum credo ardorem solis, qui, cum exortus fuerit, continuo semen, quod non alta radice demersum est, arescit l et deperit. 18. Sed hunc ardorem tenuiter quidem legis umbra propellit, Christi uero umbra, in qua nunc in gentibus uiuimus, m id est incarnationis eius fides, auertit penitus et exstinguit (ille enim, qui adurebat ambulantes sub umbra legis tempore passionis Christi, sicut fulgur uisus Hebr. 10,1 1 Kor. 13,12 m Klgl. 4,20 a

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c Kol. 2,16f. Hebr. 8,5 h i 1 Kor. 13,12 Ijob 8,9

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Röm. 6,15 j Mt. 4,16

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Klgl. 4,20 Hld. 2,3

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Joh. 14,6 Mt. 13,6

359 Zu diesen Schatten, unter denen ein Mensch lebt, siehe die Erklärungen bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 778; hier auch Hinweise auf dieses Thema in den Hoheliedhomilien des Bernhard von Clairvaux.

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13. Doch damit die Stelle, die wir in Händen haben, mehr und mehr klarer wird, wollen wir zudem untersuchen, in welchem Sinne auch der Apostel davon spricht, dass das Gesetz einen Schatten der künftigen Güter enthält,a und erklärt, dass alles, was über die Festtage oder die Sabbate oder die Neumondeb geschrieben steht, ein Schatten der künftigen Güter ist – es geht also um Dinge, die buchstäblich so verrichtet wurden –, und in welchem Sinne er verkündet, dass der ganze Kult der Alten ein Beispiel und ein Schatten der himmlischen Dinge ist.c Wenn dem wirklich so ist, zeigt sich, dass alle unter dem Schatten des Gesetzes saßen, die dem Gesetz unterstanden und eher einen Schatten denn das wahre Gesetz hatten. 14. Wir aber sind weit weg von ihrem Schatten, da wir nicht unter dem Gesetz stehen, sondern unter der Gnade.d Doch auch wenn wir nicht unter jenem Schatten stehen, den der Buchstabe des Gesetzes warf, stehen wir dennoch unter einem besseren Schatten. Denn im Schatten Christi leben wir unter den Völkern.e 15. Und es bedeutet einen gewissen Fortschritt, vom Schatten des Gesetzes zum Schatten Christi zu gelangen: Weil Christus das Leben und die Wahrheit und der Weg ist,f finden wir uns zuerst im Schatten des Weges und im Schatten des Lebens und im Schatten der Wahrheit wieder und verstehen teilweise und im Spiegel und im Rätsel,g damit wir danach, wenn wir auf dem Weg, der Christus ist, voranschreiten, dahin gelangen können, dass wir das von Angesicht zu Angesicht verstehen, was wir vorher im Schatten und im Rätsel geschaut hatten.h Denn niemand wird zu dem, was wahr und vollkommen ist, gelangen können, wenn er sich nicht vorher danach gesehnt und danach verlangt hat, in diesem Schatten zu sitzen. 16. Aber auch Hiob sagt, das ganze Menschenleben sei ein Schatten auf Erden,i ich glaube deshalb, weil jede Seele in diesem Leben von der Hülle dieses dichten Leibes überschattet wird. Alle also, die in diesem Leben weilen, sind unausweichlich unter einem bestimmten Schatten.359 17. Doch es gibt einige, die sitzen in der Region des Todesschattens,j nämlich die, die nicht an Christus glauben. Die Kirche aber spricht mit Zuversicht: „Im Schatten des Bräutigams zu weilen sehnte ich mich und saß ich“,k auch wenn es eine Zeit gab, da jemand, der unter dem Schatten des Gesetzes weilte, vor der Härte der Hitze und des Unwetters geschützt werden konnte. Aber jene Zeit ist vergangen. Jetzt muss man zum Schatten des Apfelbaumes kommen, und auch wenn jemand einen anderen Schatten nutzen mag, scheint dennoch jede Seele, solange sie im gegenwärtigen Leben weilt, einen Schatten nötig zu haben, ich glaube wegen jener Hitze der Sonne, die, sobald sie aufgegangen ist, sogleich den Samen, der nicht tief verwurzelt ist, versengtl und zugrunderichtet. 18. Doch der Schatten des Gesetzes wehrt diese Hitze nur schwach ab, der Schatten Christi hingegen, in dem wir jetzt unter den Völkern leben,m das heißt der Glaube an seine Inkarnation, vertreibt sie vollständig und löscht sie aus (jener nämlich, der die, die unter dem Schatten des Gesetzes wandelten, verbrannte, wurde zur Zeit des Leidens Christi

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Hoheliedkommentar

est cecidisse de caelo; a quamuis etiam eius umbrae tempus in fine saeculi compleatur, quia, sicut diximus, post consummationem saeculi iam non per speculum et in aenigmate, sed facie ad faciem uidebimus b ueritatem. 19. Simile puto esse et illud, quod scriptum est: „Sub umbra alarum tuarum exsultabo.“ c Sed et in sequentibus huius libelli ita dicit sponsa: „Fraternus meus mihi et ego illi ipsi, qui pascit inter lilia, donec respiret dies et amoueantur umbrae“ d edocens per haec, quia ueniet tempus, cum omnes umbrae remouebuntur et permanebit ueritas sola. 20. Sed et quod ait: „Et fructus eius dulcis in faucibus meis“, e illius animae est hoc dicere, quae nihil emortuum, nihil insensibile habet in faucibus suis et in nullo prorsus similis est illis, de quibus dicitur: „Sepulcrum patens est guttur eorum.“ f Quicumque enim uerba mortis et interitus de faucibus proferunt, ipsorum fauces sepulcra dicuntur, sicut sunt omnes, qui uel contra ueram fidem loquuntur uel contra disciplinam castitatis et iustitiae ac sobrietatis aliquid proferunt. Ipsi ergo sunt, quorum fauces sepulcra sunt et loca mortis, unde mortis uerba proferuntur. 21. Iustus autem dicit: „Quam dulcia faucibus meis eloquia tua.“ g Et alius, qui uerba uitae docebat, ita dicit: „Os nostrum patet ad uos, o Corinthii, cor nostrum dilatatum est.“ h Sed et alius, qui Verbo Dei aperuit os suum, dicit: „Os meum aperui et attraxi spiritum.“ i

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Hld. 2,4: „Führt mich in das Haus des Weines hinein!“

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6,1. „Introducite me in domum uini.“ j Sponsae adhuc uerba sunt, sed ad amicos et familiares sponsi, ut arbitror, diriguntur, a quibus uidetur exposcere, ut introducant eam in domum laetitiae, ubi uinum bibitur et epulae parantur. Quae enim iam uiderat cubiculum regium, k desiderat etiam nunc regale introire conuiuium et frui uino laetitiae. a g

b c d Lk. 10,18 1 Kor. 13,12 Ps. 62(63),8 Hld. 2,16f. h i Ps. 118(119),103 2 Kor. 6,11 Ps. 118(119),131

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e Hld. 2,3 Hld. 2,4

Ps. 5,10 Hld. 1,4

f k

21 Cf. frg. 24 (Prokop 86; Barba`ra 20) 360 Mit diesem Einschub stellt Origenes klar, dass er hier unter der Hitze, welche die unter dem Gesetz lebenden Menschen verbrennt, den Teufel versteht, der sich als „Engel des Lichts“ ausgibt, wie er in Cant. comm. III 2,6 ausführt (dazu oben S. 301 Anm. 348), nicht das göttliche Wort, das als Sonne der Gerechtigkeit (siehe dazu

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gesehen, wie er wie ein Blitz vom Himmel fiel,a 360 obgleich auch die Zeit seines Schattens am Ende der Weltzeit vollendet wird, da wir, wie gesagt, nach Vollendung der Weltzeit nicht mehr durch einen Spiegel und im Rätsel, sondern von Angesicht zu Angesicht die Wahrheit schauen werden.b 19. Ähnlich ist, glaube ich, auch jenes Schriftwort: „Im Schatten deiner Flügel werde ich jubeln.“c Aber auch in späteren Passagen des vorliegenden Buches spricht die Braut so: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein, der zwischen Lilien weidet, bis der Tag wieder auflebt und die Schatten weichen“,d wodurch sie lehrt, dass eine Zeit kommen wird, da alle Schatten weichen werden und allein die Wahrheit bleiben wird. 20. Doch auch zu sagen: „Und seine Frucht war süß in meiner Kehle“e steht jener Seele zu, die nichts Abgestorbenes, nichts Gefühlloses in ihrer Kehle hat und in schlechterdings nichts denen ähnlich ist, über die gesagt wird: „Ein offenes Grab ist ihre Kehle.“f Die Kehlen all derer nämlich, die Worte des Todes und des Verderbens aus ihren Kehlen hervorbringen, werden Gräber genannt, was für alle gilt, die entweder gegen den wahren Glauben reden oder etwas gegen die Lebensordnung der Keuschheit und der Gerechtigkeit und der Nüchternheit vorbringen. Diese also sind es, deren Kehlen Gräber und Orte des Todes sind, aus denen Worte des Todes hervorgehen. 21. Der Gerechte aber spricht: „Wie süß sind meiner Kehle deine Worte!“g Und ein anderer, der die Worte des Lebens lehrte, sagt so: „Unser Mund ist offen euch gegenüber, ihr Korinther, unser Herz ist weit.“h Doch auch ein anderer, der seinen Mund für das Wort Gottes öffnete, sagt: „Ich öffnete meinen Mund und sog den Geist ein.“i 6. Die Sehnsucht der Kirche bzw. der Seele nach der Freude im Reich Gottes und nach der Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse

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6,1. „Führt mich in das Haus des Weines hinein!“j Dies sind immer noch die Worte der Braut,361 doch werden sie, wie ich meine, an die Freunde und das Gesinde des Bräutigams gerichtet, von denen sie zu fordern scheint, dass sie sie in das Haus der Freude hineinführen, wo Wein getrunken wird und Speisen aufgetragen werden. Da sie nämlich das königliche Gemachk schon gesehen hatte, begehrt sie nunmehr auch, zum königlichen Gastmahl eingelassen zu werden und den Wein der Freude zu genießen.

ebd. II 2,13–19) die Ungerechten aller Zeiten, nicht nur die ,unter dem Gesetz‘ verbrennt. 361 In den Homilien spricht Origenes diese Worte dem Bräutigam zu: in Cant. hom. 2,7 (GCS Orig. 8, 51).

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Hoheliedkommentar

2. Supra iam diximus amicos sponsi prophetas et omnes, qui ministrauerunt Verbum Dei ab initio saeculi, intelligendos, ad quos recte uel ecclesia Christi uel anima Verbo Dei adhaerens dicat, ut se introducant in domum uini, id est ubi sapientia miscuit in cratere uinum suum et deprecatur per seruos suos omnem insipientem et egentem sensu a dicens: „Venite, manducate panes meos et bibite uinum, quod miscui uobis.“ b 3. Ista est domus uini domusque conuiuii, in quo conuiuio omnes, qui ueniunt ab oriente et occidente, recumbent cum Abraham et Isaac et Iacob in regno c Dei. Ad quam domum et ad quod conuiuium prophetae perducunt animas, quae tamen eos audiunt et intelligunt; sed et sancti angeli caelestesque uirtutes, quae in ministerio mittuntur propter eos, qui hereditatem capiunt salutis. d 4. Istud est uinum, cui scribuntur illi psalmi, qui „pro torcularibus“ e attitulantur. Istud est uinum ex illa uite uindemiatum, quae dicit: „Ego sum uitis uera“, f quod expressit Pater caelestis agricola. Istud est uinum, quod attulerunt illi palmites, qui in Iesu permanserunt non solum in terris, sed etiam in caelis. Sic enim ego audio illud, quod dicitur, quia omnis palmes, qui non manet in me, non potest afferre fructum. g Nemo enim producit fructum uini huius, nisi qui permanet in Verbo et sapientia et ueritate et iustitia et pace omnibusque uirtutibus. 5. Istud est uinum, quo etiam inebriari iustis et sanctis quibusque optabile ducitur. Haec puto et in spiritu iam tunc Noe¨ contuens inebriatus esse h dicitur; et Dauid admiratur huius conuiuii calicem et dicit: „Et poculum tuum inebrians quam praeclarum est!“ i 6. Ad hanc ergo domum uini ecclesia uel anima unaquaeque desiderans, quae perfecta sunt, festinat intrare et dogmatibus sapientiae mysteriisque scientiae uelut epularum suauitate et uini laetitia perfrui. 7. Sciendum sane est quia, sicut est istud uinum, quod de dogmatibus ueritatis pressum commiscetur in cratere sapientiae, ita est et contrarium uinum, quo inique inebriantur peccatores et hi, qui falsae scientiae dogmata a f

Spr. 9,1–6 Joh. 15,1

Spr. 9,5 Joh. 15,4

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Mt. 8,11 Gen. 9,21

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e Hebr. 1,14 Ps. 8,1; 80(81),1; 83(84),1 i Ps. 22(23),5

362 Siehe in Cant. comm. II 8,20. 363 Zu Gott als Winzer vgl. in Ioh. comm. VI 57,292 (GCS Orig. 4, 165), wo er als „Winzer des wahren Weinstocks“ bezeichnet wird, ferner in Cant. comm. III 15(IV 1),11; zu Gott allgemein als Bauer siehe ebd. III 8,9. 364 Zu Christus als Prinzip und Summe aller Tugenden siehe in Cant. comm. I 6,13f. und dazu oben S. 174 Anm. 185 und 187.

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2. Oben haben wir schon gesagt, dass unter den Freunden des Bräutigams die Propheten und alle, die von Beginn der Weltzeit an im Dienst des Wortes Gottes gestanden haben, zu verstehen sind.362 Diese fordert entweder die Kirche Christi oder die dem Wort Gottes anhängende Seele zu Recht auf, sie in das Haus des Weines hineinzuführen, das heißt dorthin, wo die Weisheit ihren Wein im Krug gemischt hat und durch ihre Knechte jeden Unverständigen und jeden, dem es an Verstand mangelt, anfleht,a indem sie sagt: „Kommt, esst meine Brote und trinkt den Wein, den ich euch gemischt habe.“b 3. Dies ist das Haus des Weines und das Haus des Gastmahls. Bei diesem Gastmahl werden sich alle, die aus dem Osten und dem Westen kommen, mit Abraham und Isaak und Jakob im Reich Gottes zu Tisch legen.c Zu diesem Haus und zu diesem Gastmahl führen die Propheten die Seelen, die jedenfalls auf sie hören und sie verstehen, aber auch die heiligen Engel und die himmlischen Mächte, die um derentwillen zum Dienst geschickt werden, die das Erbe des Heils erhalten.d 4. Dies ist der Wein, für den jene Psalmen geschrieben werden, die „Für die Weinpressen“e überschrieben sind. Dies ist der Wein, der von jenem Weinstock geerntet wurde, der sagt: „Ich bin der wahre Weinstock“,f den der himmlische Vater als Winzer363 ausgepresst hat. Dies ist der Wein, den jene Reben hervorgebracht haben, die nicht nur auf Erden, sondern auch im Himmel in Jesus geblieben sind. So nämlich höre ich jene Aussage, dass jede Rebe, die nicht in mir bleibt, keine Frucht bringen kann.g Denn niemand bringt die Frucht dieses Weines hervor, außer wer im Wort und in der Weisheit und in der Wahrheit und in der Gerechtigkeit und im Frieden und in allen Tugenden verbleibt.364 5. Dies ist der Wein, von dem sogar berauscht zu werden jedem Gerechten und jedem Heiligen als erstrebenswert gilt. Weil dies, glaube ich, auch Noah schon damals im Geist geschaut hat, soll er betrunken gewesen sein.h Und David bewundert den Kelch dieses Gastmahls und sagt: „Und dein Becher, der trunken macht, wie herrlich ist er!“i 6. In dieses Haus des Weines also eilt die Kirche oder jede Seele aus Sehnsucht nach dem, was vollkommen ist, einzutreten und die Lehren der Weisheit und die Mysterien der Erkenntnis wie die Süßigkeit von Speisen und die Fröhlichkeit von Wein zu genießen. 7. Man muss freilich wissen, dass es so, wie es diesen Wein gibt, der aus den Lehren der Wahrheit gepresst im Krug der Weisheit gemischt wird, auch einen entgegengesetzten Wein gibt, von dem die Sünder und die, die die verderblichen Lehrsätze der falschen Erkenntnis365 aufnehmen, in unan365 Das ist eine Anspielung auf die Gnosis, die von den Kirchenvätern mit einer Junktur aus 1 Tim. 6,20 als „fälschlich so genannte Erkenntnis“ abqualifiziert wird, z.B. von Clemens von Alexandria, strom. III 30,1 (GCS Clem. Al. 24, 209); für Origenes vgl. in Ioh. comm. V 8 (GCS Orig. 4, 105); in Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 253): falsi nominis scientia; ferner in Cant. comm. III 14,16: falsae scientiae dogmata peruersa; III 17(IV 3),21: deceptiones et fraudes falsae scientiae.

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Hoheliedkommentar

perniciosa suscipiunt. 8. De quibus Solomon in prouerbiis dicit: „Hi autem edunt cibos impietatis, uino autem iniquo inebriantur.“ a De hoc eodem iniquo uino etiam in Deuteronomio legimus ita scriptum: „Ex uinea Sodomorum uitis eorum, et palmes eorum ex Gomorra; uua eorum uua fellis, et botrus amaritudinis iis; furor draconum uinum eorum et furor aspidum insanabilis.“ b 9. Illud autem uinum, quod de uite uera c procedit, nouum semper est; semper enim per profectus discentium scientiae et sapientiae diuinae innouatur agnitio. Et ideo dicebat Iesus discipulis suis quia: „Nouum illud bibam uobiscum in regno Patris mei.“ d Innouatur enim semper agnitio secretorum arcanorumque reuelatio per sapientiam Dei non solum hominibus, sed et angelis caelestibusque uirtutibus.

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Hld. 2,4: „Ordnet in mir die Liebe!“ 7,1. „Ordinate in me caritatem.“ e Eiusdem sponsae ad eosdem uerba sunt, nisi quod possunt fortassis etiam apostoli Christi inter eos haberi, ad quos ista memorantur. 2. Quod ergo ait: „Ordinate in me caritatem“, hunc habet sensum. Omnes homines amant sine dubio aliquid, et nullus est, qui ad id aetatis uenerit, ut amare iam possit et non aliquid amet, sicut etiam in praefatione huius operis sufficienter ostendimus. Sed hic amor uel haec caritas in nonnullis quidem suo ordine et conuenienter aptata procedit, in plurimis uero contra ordinem. 3. Dicitur autem contra ordinem esse in aliquo caritas, cum aut id diligit, quod non debet, aut quod debet diligit, sed plus iusto diligit a

Spr. 4,17

b

Dtn. 32,32f.

c

Joh. 15,1

d

Mt. 26,29

e

Hld. 2,4

366 Das ist nach in Cant. comm. I 2,7 und II 3,12 die dritte Zitierung von Dtn. 32,32f., und jede hat einen etwas anderen Wortlaut (und das wohl nicht erst im Lateinischen, sondern auch schon im Griechischen). Origenes zitiert gewöhnlich aus dem Gedächtnis, was dazu führt, dass Wiedergaben einzelner Bibelstellen variabel ausfallen können. Ähnliches gilt für die abweichenden Zitierungen von Jer. 15,1 in Regn. hom. graec. 2 und 3 (GCS Orig. 32, 284. 285) und lat. 5 (GCS Orig. 8, 9), die von Gal. 6,14 in pasch. 15.29f. und 15.35–16.4 (p. 182–184 Gue´raud/Nautin) und von Offb. 22,13 in Ioh. comm. I 4,22 (GCS Orig. 4, 8); I 19,116 (4, 24) und I 22,132 (4, 26). Siehe dazu die Erläuterungen von Fürst, OWD 7, 207 Anm. 9. 367 Siehe dazu in Cant. comm. prol. 3,20.

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Buch III 6,7–7,3

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gebrachter Weise betrunken werden. 8. Über diese sagt Salomo in den Sprichwörtern: „Diese jedoch essen die Speisen der Gottlosigkeit, durch unangebrachten Wein aber werden sie betrunken.“a Von eben demselben unangebrachten Wein lesen wir auch im Deuteronomium Folgendes geschrieben: „Vom Weinstock der Sodomiter stammt ihr Weinstock, und ihre Reben aus Gomorra. Ihre Traube ist eine Traube von Galle, und eine Traube der Bitterkeit haben sie. Das Rasen von Drachen ist ihr Wein und ein unheilbares Rasen von Nattern.“b 366 9. Jener Wein aber, der aus dem wahren Weinstockc hervorgeht, ist immer neu. Denn durch die Fortschritte der Lernenden367 wird die Einsicht in die göttliche Erkenntnis und Weisheit beständig erneuert. Und deshalb sagte Jesus seinen Jüngern: „Jenen neuen Wein werde ich mit euch im Reich meines Vaters trinken.“d Die Einsicht in die Mysterien und die Offenbarung der Geheimnisse wird nämlich durch die Weisheit Gottes nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Engel und die himmlischen Mächte beständig erneuert. 7. Die Ordnung der Liebe: Die unterschiedlichen Maße der Gottesliebe, der Nächstenliebe, der Selbstliebe, der Feindesliebe und der Liebe Gottes

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7,1. „Ordnet in mir die Liebe!“e Die Worte sind die derselben Braut368 an dieselben Personen, obwohl vielleicht auch die Apostel Christi zu denen gezählt werden können, an die sie gerichtet sind.369 2. Die Aussage also: „Ordnet in mir die Liebe“ hat folgenden Sinn:370 Alle Menschen lieben ohne Zweifel etwas, und es gibt niemanden, der das Lebensalter erreicht hat, dass er schon lieben kann, und nicht etwas liebt, wie wir auch im Vorwort zu diesem Werk hinreichend dargelegt haben.371 Doch dieser Eros oder diese Liebe372 gestaltet sich bei einigen zwar in rechter Ordnung und in angemesser Weise, bei den meisten aber gegen die Ordnung. 3. Man sagt aber, dass die Liebe in jemandem gegen die Ordnung ist, wenn er entweder das liebt, was sich nicht gehört, oder zwar das liebt,

368 Wie den vorangegangenen Satz weist Origenes auch diesen Vers in Cant. hom. 2,8 (GCS Orig. 8, 52) dem Bräutigam zu. 369 Auf diesen Bezug geht Origenes erst ganz am Ende dieses Kapitels kurz ein: in Cant. comm. III 7,31. 370 Ein Seitenstück zu diesem Kapitel ist in Luc. hom. 25 (GCS Orig. 92, 149–152), in der es um „die Natur und die Motive“ (natura et causae) und um „das Maß und die Grenze der Liebe“ (mensura caritatis modusque) geht. 371 Siehe in Cant. comm. prol. 2,39. 372 Zu den nach Ansicht des Origenes synonymen Vokabeln amor und caritas siehe in Cant. comm. prol. 2,20 und dazu oben S. 72 Anm. 34.

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Hoheliedkommentar

aut minus iusto. In istis ergo inordinata esse caritas dicitur, in illis uero, quos ualde paucos esse arbitror, qui scilicet per uiam uitae incedant et non declinent neque ad dexteram neque ad sinistram, a in ipsis solis ordinata est caritas et ordinem suum tenet. 4. Est autem ordo eius et mensura huiusmodi, uerbi gratia, Deum diligere nullus modus, nulla mensura est, nisi haec sola, ut totum exhibeas, quantum habes. In Christo enim Iesu diligendus est Deus ex toto corde et ex tota anima et ex totis uiribus. b In hoc ergo nulla mensura est. Diligere uero proximum est iam mensura aliqua. „Proximum“, inquit, „tuum diliges sicut te ipsum.“ c 5. Si ergo aut in Dei dilectione minus aliquid feceris, quam potes et quam in uiribus tuis est, aut inter te et proximum non seruaueris aequitatem, sed aliquid differentiae habueris, non est in te caritas ordinata nec ordinem suum tenens. 6. Verum quoniam sermo nobis de ordine caritatis est, diligentius per singula requiramus, uel quos diligi uel quantum diligi oporteat. Nam si, ut apostolus dicit, membra alterutrum sumus, d puto, quod hunc affectum erga proximos habere debeamus, ut eos non quasi aliena corpora, sed uelut membra nostra diligamus. 7. Secundum hoc ergo, quod membra nostra inuicem sumus, aequalem erga omnes habere dilectionem similemque conueniet. Secundum hoc uero, quod sunt in corpore aliqua membra honorabiliora et honestiora, alia uero inhonestiora et inferiora, e puto, quod rursus pro membrorum meritis et honore etiam dilectionis librari debeat modus. 8. Si quis ergo rationabiliter cuncta agere et secundum Verbum Dei actus suos et affectus temperare proponit, puto, quod erga haec singula ordinem caritatis et scire debeat et tenere. Verum ut apertius fiat, quod dicimus, paulo euidena

Spr. 4,27

b

Lk. 10,27 (Dtn. 6,5)

c

Mt. 22,39

d

Eph. 4,25

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1 Kor. 12,22f.

373 In der 25. Homilie zum Lukasevangelium führt Origenes Johannes den Täufer und Paulus als Beispiele für Leute an, die zwar völlig zu Recht, aber über das rechte Maß hinaus geliebt und bewundert werden: in Luc. hom. 25,1–5 (GCS Orig. 92, 149–151). Schließlich verweist er in einer seiner seltenen autobiographischen Notizen auf sich selbst als Beispiel für jemanden, der einerseits zu sehr verehrt, andererseits maßlos kritisiert, ja gehasst wird, ebd. 25,6 (92, 151): „Wir machen auch selber diese Erfahrung in der Kirche. Weil viele uns mehr lieben, als wir es verdienen, spenden sie überall laut herumposaunend unseren Predigten und unserer Lehre ein solches Lob, wie es unser Gewissen nicht annimmt. Andere wiederum beklagen sich zu Unrecht über unsere Predigten und werfen uns Ansichten vor, von denen wir wissen, dass wir sie niemals vertreten haben. Aber weder die, die über das Maß lieben, noch die, die hassen, halten sich an den Maßstab der Wahrheit. Die einen sagen die Unwahrheit aus Liebe, die anderen aus Hass.“ Übersetzung: Sieben, FC 4, 273. Es ist, als würde Origenes hier den späteren, nicht selten maßlos übertriebenen Dauerstreit über seine Theologie prophezeien. Siehe dazu de Lubac, Geist aus der Geschichte 23–42.

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Buch III 7,3–8

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was sich gehört, es jedoch mehr, als recht ist, oder weniger, als recht ist, liebt.373 In diesen also, sagt man, ist die Liebe ungeordnet, in jenen hingegen, die, meine ich, sehr wenige sind, die nämlich auf dem Weg des Lebens wandeln und nicht nach rechts noch nach links abweichen,a in diesen allein ist die Liebe geordnet und hält ihre Ordnung ein. 4. Ihre Ordnung und ihr Maß aber ist von der Art, dass es zum Beispiel in der Liebe zu Gott keine Grenze, kein Maß gibt außer einzig dem, dass man alles aufbringt, was man hat. In Christus Jesus nämlich ist Gott aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele und mit allen Kräften zu lieben.b 374 Hierin gibt es also kein Maß. In der Liebe zum Nächsten aber gibt es schon ein bestimmtes Maß. „Liebe deinen Nächsten“, heißt es, „wie dich selbst!“c 5. Wenn du also entweder in der Liebe zu Gott weniger tust, als du vermagst oder als es in deinen Kräften steht, oder wenn du zwischen dir und dem Nächsten nicht das Gleichgewicht wahrst, sondern irgendeinen Unterschied machst, ist in dir die Liebe nicht geordnet und hält nicht ihre Ordnung ein. 6. Da wir jedoch das Thema der Ordnung der Liebe behandeln, wollen wir genauer im Einzelnen untersuchen, wen man lieben und wie sehr man lieben muss. Denn wenn wir, wie der Apostel sagt, untereinander Glieder sind,d glaube ich, dass wir gegen die Nächsten eine solche Zuneigung haben müssen, dass wir sie nicht wie fremde Körper, sondern wie unsere eigenen Glieder lieben. 7. Hinsichtlich dessen also, dass wir untereinander Glieder sind, wird es angemessen sein, gegenüber allen die gleiche und ähnliche Liebe zu empfinden. Hinsichtlich dessen aber, dass im Körper manche Glieder ehrenhafter und angesehener sind, andere hingegen unehrenhafter und geringer,e glaube ich, dass entsprechend auch das Ausmaß der Liebe nach den Verdiensten und der Ehre der Glieder auszurichten ist. 8. Wenn sich also jemand vornimmt, alles auf vernünftige Weise zu tun und seine Handlungen und Gefühle am Wort Gottes auszurichten,375 muss er, meine ich, gegenüber alldem die Ordnung der Liebe im Einzelnen sowohl kennen als auch einhalten. Damit jedoch deutlicher wird, wovon wir sprechen, wollen

374 Dass man Gott in Christus aus ganzem Herzen lieben soll, sagt Origenes auch in Luc. hom. 25,8 (GCS Orig. 92, 152) und betont dabei, dass die Liebe zu Christus keine andere ist als die Liebe zu Gott, weil beide eins sind (dazu oben S. 76 Anm. 42). Daher soll man den Vater im Sohn und den Sohn im Vater lieben. Siehe auch in Cant. comm. III 10,8. 375 Im Parallelismus dieses Kolons kommt die Doppeldeutigkeit des griechischen Logos als „Wort“ (uerbum) und „Vernunft“ (ratio) zum Ausdruck (dazu oben S. 265 Anm. 297). Das Wort, der Logos, Gottes steht für die Rationalität der Welt, an der sich „auf vernünftige Weise“ zu orientieren gleichbedeutend damit ist, dem „Wort Gottes“ zu folgen.

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Hoheliedkommentar

tioribus utamur indiciis. 9. Si quis, uerbi gratia, laboret in Verbo a Dei atque animas nostras instruat et illuminet, uiam salutis doceat, uiuendi ordinem tradat, non tibi uidetur et hic proximus quidem esse, sed multo amplius alio proximo diligendus, qui horum nihil gerit? Nam et ille quidem diligendus est pro eo, quod membra unius corporis sumus b uniusque substantiae, sed hic multo amplius, qui, cum et ius proximi nobiscum habeat, quod ceteri homines habent, dat tamen hanc maiorem caritatis erga se causam, quod uiam Dei ostendit et animae salutem diuini Verbi illuminationibus confert. 10. Quod si aliquis me errantem et in praecipitio positum muliebris peccati ad lucem reuocet ueritatis et de ipso iam interitu eripiat ac retrahat ad salutem atque ex ipsis faucibus aeternae mortis abripiat, non tibi uidetur, quod illa ipsa, si fieri potest, plenitudine caritatis, qua Deum diligimus, diligendus sit post Deum? 11. Et ne putes, quod nos ita praesumimus, audi et apostolum Paulum de his, qui in Verbo Dei laborant, c dicentem: „Vt superabundantius habeatis in caritate eos, qui eiusmodi sunt propter opus ipsorum.“ d 12. Videamus autem et alium adhuc ordinem caritatis, eius dumtaxat, quae erga proximos haberi iubetur. Si sit aliquis non quidem habens docendi uel instruendi gratiam neque Verbum Domini praedicandi, sed tamen sanctae uitae uir, innocens, immaculatus, et qui in iustificationibus et mandatis Dei ingrediatur sine querela, e uideturne tibi talis hic uir in eodem caritatis ordine habendus, quo ille, qui nihil horum agit, quoniamquidem uterque proximus dicitur? Nonne et hic propter opus suum et uitae meritum secundum apostoli dictum similiter ut ille, qui in Verbo Dei laborat, f superabundantius habendus est in caritate propter opus g uitae suae? 13. Est adhuc alius ordo caritatis. Iubemur enim et inimicos nostros diligere. h Sed uideamus, si etiam in ipsis unus solus modus erit dilectionis an et ibi habebit locum sermo iste, qui dicit: „Ordinate in me caritatem.“ i 14. Puto ergo, quod in his sit ordo caritatis; uerbi gratia, est aliquis mihi inimicus, in aliis tamen bene agens, pudicus, sobrius, j mandata Dei plurima ex parte custodiens, in aliquibus tamen errans ut homo; et alius, qui inimicus a f

1 Tim. 5,17 1 Tim. 5,17

g

b 1 Kor. 12,12 1 Thess. 5,13

h

c d 1 Tim. 5,17 1 Thess. 5,13 i j Mt. 5,44 Hld. 2,4 Tit. 2,2

e

Lk. 1,6

376 Da Origenes in diesem Abschnitt gegenüber den christlichen Lehrern und damit gegenüber jemandem wie ihm selbst eine über das übliche Maß der Nächstenliebe hinausgehende Liebe fordert, beschließt er diesen Gedanken mit einem Zitat aus Paulus (1 Thess. 5,13), aus dem dieser Gedanke hervorgeht. In den neu entdeckten Psalmenhomilien gibt es dazu einen Passus, in dem er verklausuliert, aber mit unverkennbarem Stolz auf seine eigene Leistung als orthodoxer christlicher Lehrer in der Bekämpfung der gnostischen Häresie hinweist; in Ps. 77 hom. 2,4 (GCS Orig. 13, 372): „Als aber die Gnade Gottes eine reichlichere Belehrung aufstrahlen ließ

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wir etwas eindeutigere Beispiele heranziehen. 9. Wenn sich jemand zum Beispiel abmüht im Worta Gottes und unsere Seelen unterrichtet und erleuchtet, den Weg des Heils lehrt, die Ordnung des Lebens weitergibt, scheint dir nicht auch dieser ein Nächster zu sein, der jedoch viel mehr als ein anderer Nächster zu lieben ist, der nichts davon tut? Denn auch jener ist zwar deshalb zu lieben, weil wir Glieder eines einzigen Körpersb und einer einzigen Substanz sind, doch dieser viel mehr, der, wenn er auch das Recht des Nächsten mit uns gemeinsam hat, das die übrigen Menschen haben, dennoch diesen größeren Grund für die Liebe zu ihm liefert, dass er den Weg zu Gott zeigt und der Seele durch die Erleuchtungen des göttlichen Wortes das Heil bringt. 10. Wenn mich aber jemand, wenn ich irre gehe und mich im Abgrund der Sünde mit einer Frau befinde, zum Licht der Wahrheit zurückruft und dem schon gegenwärtigen Untergang entreißt und zum Heil zurückführt und direkt dem Rachen des ewigen Todes entreißt, meinst du nicht, dass der mit derselben – wenn dies möglich ist – Fülle der Liebe, mit der wir Gott lieben, nach Gott zu lieben ist? 11. Und damit du nicht meinst, dass wir uns damit etwas herausnehmen, höre auch den Apostel Paulus, wie er über die, die sich im Wort Gottes abmühen,c sagt: „Erweist denen“, die von dieser Art sind, „eine noch überschwänglichere Liebe wegen ihrer Arbeit!“d 376 12. Wir wollen aber auch noch eine andere Ordnung der Liebe betrachten, derjenigen nämlich, die uns gegenüber unseren Nächsten aufgetragen wird. Stellen wir uns jemanden vor, der zwar nicht die Gabe des Lehrens und der Unterweisung hat und auch nicht die Gabe, das Wort des Herrn zu verkünden, aber dennoch ein Mann von heiliger Lebensweise ist, unschuldig, unbefleckt, und der in den Riten und Geboten Gottes ohne Klage wandelt.e Scheint dir ein solcher Mann denselben Grad der Liebe zu verdienen wie jener, der nichts davon tut, einfach weil jeder von beiden als Nächster bezeichnet wird? Ist nicht auch dieser aufgrund seines Tuns und aufgrund der Lebensleistung gemäß der Aussage des Apostels ähnlich wie jener, der sich im Wort Gottes abmüht,f überschwänglicher zu lieben wegen der Leistungg seines Lebens? 13. Es gibt noch eine andere Ordnung der Liebe. Es wird uns nämlich aufgetragen, auch unsere Feinde zu lieben.h Doch wir wollen sehen, ob es auch bei diesen nur ein einziges Maß der Liebe geben oder auch hier das Wort am Platz sein wird, das besagt: „Ordnet in mir die Liebe!“i 14. Ich glaube also, dass bei diesen eine Ordnung der Liebe gilt. Es kann zum Beispiel jemanden geben, der mein Feind ist, anderen gegenüber jedoch gut handelt, sittsam, nüchtern,j der die meisten Gebote Gottes zum Teil hält, in anderen jedoch als Mensch, der er nun einmal ist, in die Irre geht. Und es (sc. durch das Wirken des Origenes), lösten sich die Häresien Tag für Tag auf. Ihre angeblichen Geheimlehren wurden entlarvt und erwiesen sich als Gotteslästerungen und als unfromme und gottlose Lehren.“

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quidem sit et ipse nobis, sit tamen suae uitae atque animae inimicus, paratus ad scelera, praeceps ad flagitia, nihil sancti, nihil religiosi ducens: Non tibi uidetur esse etiam inter ipsos inimicos quaedam diuersitas habenda caritatis? 15. Puto quidem, quod ex his satis abunde patuerit esse uim quidem caritatis unam, multas tamen habere causas et multos ordines diligendi et propter hoc dicere nunc sponsam: „Ordinate in me caritatem“, a hoc est docete me diuersos ordines caritatis. 16. Quodsi adhuc addendum his aliquid uidetur, possumus etiam illud in medium adducere, quod ait apostolus: „Viri, diligite uxores uestras sicut corpora uestra, sicut Christus dilexit ecclesiam.“ b Quid ergo? Debent quidem uiri uxores suas diligere, alias uero mulieres non debent omnino diligere in omni castitate et sanctitate? An non uidebuntur etiam ipsae esse de proximis, sed impendenda quidem est dilectio uel in coniugem uel in matrem uel in sororem, si tamen fideles sint et Deo adhaerentes, et erga aliam nullam mulierem, secundum quod et ipsa proxima dicitur, est nobis impendenda dilectio? 17. Quod si hoc absurdum uidetur, debet autem secundum mandati ordinem etiam erga eas casta haberi dilectio, prorsus inter ipsas personas feminarum, quibus impendenda dilectio est, habendus profecto est ordo quidam in caritate conueniensque distinctio. 18. Et maiore quidem cum honorificentia matri deferenda dilectio est, sequenti uero gradu cum quadam nihilominus reuerentia etiam sororibus. Proprio uero quodam et sequestrato ab his more caritas coniugibus exhibenda. Post has uero personas pro meritis etiam et causis unicuique in omni, ut supra diximus, castitate deferenda dilectio est. Secundum haec uero etiam de patre uel fratre atque aliis propinquis obseruabimus. 19. Erga sanctos uero, qui nos in Christo genuerunt, c sed et pastores atque episcopos uel qui Verbo Dei praesunt presbyteri aut qui bene ministrant in ecclesia uel qui in fide praecellunt ceteros, quomodo non pro uniuscuiusque meritis affectio pensabitur caritatis longe eminentior, quam erga eos haberi potest, qui aut nihil horum aut non integre egerunt? 20. Sed et inter fideles parentes et infideles et fratres fideles ac infideles sororesque potestne fieri, ut non erga hos singulos diuersus habeatur ordo caritatis? 21. Quas diuersitates intuens sponsa et uidens de his omnibus animae ad perfectionem tendenti necessariam uideri scientiam rea

Hld. 2,4

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gibt einen anderen, der zwar ebenfalls unser Feind sein mag, doch andererseits seinem eigenen Leben und seiner Seele feind ist, bereit zu Verbrechen, geneigt zu Schandtaten, der nichts Heiliges, nichts Frommes im Sinn hat. Meinst du nicht, dass auch unter den Feinden selbst ein gewisser Unterschied in der Liebe zu machen ist? 15. Ich glaube allerdings, dass daraus vollauf zur Genüge klar geworden sein dürfte, dass es zwar eine einzige Kraft der Liebe, doch viele Gründe und viele Grade des Liebens gibt und deswegen die Braut jetzt sagt: „Ordnet in mir die Liebe“,a das heißt: Lehrt mich die verschiedenen Grade der Liebe! 16. Wenn man aber meint, dass dem noch etwas hinzugefügt werden muss, können wir auch das vorbringen, was der Apostel sagt: „Männer, liebt eure Ehefrauen wie eure Körper, so wie Christus die Kirche geliebt hat.“b Was nun? Dürfen die Männer zwar ihre Ehefrauen lieben, andere Frauen aber dürfen sie überhaupt nicht in aller Keuschheit und Heiligkeit lieben? Oder werden nicht auch diese offensichtlich zu den Nächsten gehören, doch ist die Liebe zwar auf die Gattin, auf die Mutter oder auf die Schwester zu richten – wenn diese denn gläubig sind und Gott anhängen – und dürfen wir die Liebe auf keine andere Frau entsprechend ihrer Bezeichnung als Nächste richten? 17. Wenn das aber offenbar absurd ist, man aber entsprechend der Ordnung des Gebots auch gegenüber diesen eine reine Liebe empfinden muss, muss es gewiss zwischen den weiblichen Personen, denen man Liebe zuwenden muss, durchaus eine bestimmte Ordnung und eine angemessene Unterscheidung in der Liebe geben. 18. Und mit größerer Ehrerbietung ist der Mutter Liebe zu erweisen, auf der folgenden Stufe hingegen mit einem nicht geringeren Respekt auch den Schwestern. Auf eine eigene und von diesen deutlich unterschiedene Weise ist hingegen den Gattinnen Liebe zu erweisen. Nach diesen Personen hingegen ist auch je nach Verdiensten und Gründen jedem einzelnen Menschen in aller Keuschheit, wie wir oben gesagt haben, Liebe zu erweisen. Dem entsprechend werden wir uns aber auch in Bezug auf den Vater oder auf den Bruder und andere Verwandte verhalten. 19. Den Heiligen hingegen, die uns in Christus gezeugt haben,c aber auch den Hirten und Bischöfen oder denen, die als Presbyter dem Dienst am Wort Gottes vorstehen, oder denen, die gute Dienste in der Kirche leisten oder die im Glauben die übrigen übertreffen, wie wird man denen nicht wegen der Verdienste eines jeden in weit höherem Maße das Gefühl der Liebe entgegenbringen, als man es gegenüber denen empfinden kann, die entweder nichts dergleichen oder es nicht zur Gänze getan haben? 20. Doch kann es nicht auch zwischen gläubigen und ungläubigen Eltern und zwischen gläubigen und ungläubigen Brüdern und Schwestern geschehen, dass es für jeden Einzelnen jeweils eine verschiedene Ordnung der Liebe gibt? 21. Weil die Braut diese Unterschiede wahrnimmt und sieht, dass in allen diesen Fällen für die Seele, wenn sie nach Vollkommenheit strebt, offenbar die Erkenntnis der Wirklichkeit notwendig ist, da-

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Hoheliedkommentar

rum, ut uniuscuiusque loci et ordinis mensuras possit tenere caritatis, dicit ad amicos sponsi, eos uidelicet, qui Verbum Dei subministrant: „Ordinate in me caritatem“, a hoc est docete me et tradite mihi, quomodo per haec singula ordinem seruare debeam caritatis. 22. Omnes enim homines, sicut iam diximus, secundum hoc, quod similes [homines] nobis sunt, similiter diligendi sunt: Immo omnis rationabilis natura a nobis utpote rationabilibus aequaliter diligenda est. Adiciendum tamen in caritate est unicuique ad hoc, quod homo est, et ad hoc, quod rationabilis est; si, uerbi gratia, aut in moribus aut in opere aut in proposito aut in scientia aut in studiis ceteros praecellit, et pro his singulis secundum suum cuique meritum ad generalem dilectionem addendum est etiam specialis aliquid caritatis. 23. Verum ut maior de his habeatur auctoritas, ab ipso Deo capiamus exemplum. Et ipse enim amat omnia, quae sunt, aequaliter ac nihil odit eorum, quae fecit; neque enim fecit aliquid, quod odio haberet. b 24. Non tamen ob hoc similiter dilexit Hebraeos et Aegyptios et Pharaonem ut Moysen et Aaron. Nec rursus reliquos filios Istrahel similiter dilexit ut Moysen et Aaron et Mariam nec iterum Aaron et Mariam similiter dilexit ut Moysen; sed, quamuis uerum sit, ut dicitur ad eum: „Parcis autem omnibus, quia omnia tua sunt, Domine, amator animarum; spiritus enim incorruptionis est in omnibus“, c tamen ille, qui mensura et numero et pondere disposuit omnia, d secundum mensuram sine dubio uniuscuiusque meritorum etiam dilectionis suae temperat libram. 25. Numquidnam putabimus, quia similiter ab eo dilectus est Paulus tum, cum persequeretur ecclesiam Dei, e sicut diligebatur, cum ipse pro ea persecutiones cruciatusque tolerabat f et cum dicebat inesse sibi sollicitudinem omnium ecclesiarum? g 26. Multum est nunc, ut inter istos ordines caritatis etiam de affectu odii, qui uidetur huic caritatis affectui contrarius, inseramus; quia etiam Dominus dicit: „Inimicus ero inimicis tuis et aduersabor aduersariis tuis“ h et iterum: „Si peccatori tu adsistis et ei, quem odit Dominus, amicus es.“ i Quae utique hanc habent absolutionem, quam et illud, quod dictum est: „Honora patrem tuum et matrem“, j et iterum: „Qui non odit patrem et matrem“ k et reliqua, a f

Hld. 2,4 2 Kor. 4,9

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Weish. 11,24 2 Kor. 11,28

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c h

d Weish. 11,26; 12,1 Weish. 11,20 i j Ex. 23,22 2 Chr. 19,2 Ex. 20,12

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1 Kor. 15,9 k Lk. 14,26

377 Baehrens, GCS Orig. 8, 189.20, tilgt das zweite homines des Satzes, dem in Text und Übersetzung Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 558f., folgen (ebenso Simonetti, CTePa 1, 206), während Lawson, ACW 26, 192, das Wort mitübersetzt. 378 Origenes fasst die Aussage in Weish. 11,20 in dem ethischen Sinn auf, in dem sie gemeint ist, nämlich als maßvolle Ausgewogenheit von Gottes Güte und Gottes Gerechtigkeit: princ. II 9,1 (GCS Orig. 5, 165); IV 4,8 (5, 359); in Num. hom. 15,3 (GCS Orig. 7, 136); in Ps. 38 hom. 1,9 (SC 411, 362); in Matth. comm. ser. 74 (GCS Orig. 11, 174); in Rom. comm. II 3,2 (SC 532, 288). Vgl. Peri, Omnia

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mit sie die Maße der Liebe für jeden Ort und jeden Rang einhalten kann, sagt sie zu den Freunden des Bräutigams, also zu denen, die dem Wort Gottes dienen: „Ordnet in mir die Liebe“,a das heißt: Lehrt mich und überliefert mir, wie ich in jedem Einzelfall die Ordnung der Liebe beachten muss! 22. Alle Menschen nämlich müssen, wie wir schon gesagt haben, aufgrund dessen, dass sie uns [als Menschen]377 ähnlich sind, in gleichem Maße geliebt werden. Ja, jede vernunftbegabte Natur muss von uns, da wir ja vernunftbegabt sind, auf gleiche Weise geliebt werden. In der Liebe muss man jedoch darüber hinaus, dass er ein Mensch ist, und darüber hinaus, dass er vernunftbegabt ist, für jeden Einzelnen etwas hinzufügen. Wenn zum Beispiel jemand in den Sitten oder im Tun oder in der Zielsetzung oder in der Erkenntnis oder in den Studien die übrigen übertrifft, muss man aufgrund dieser einzelnen Vorzüge entsprechend dem je eigenen Verdienst zur allgemeinen Liebe auch noch einen besonderen Anteil an Liebe hinzufügen. 23. Um dafür aber eine größere Autorität anführen zu können, wollen wir ein Beispiel von Gott selbst aufgreifen. Auch er selbst nämlich liebt alles, was existiert, auf gleiche Weise und hasst nichts von dem, was er geschaffen hat, denn er schuf auch nichts, was er hassen könnte.b 24. Dennoch liebte er deswegen die Hebräer und die Ägypter nicht in gleichem Maße und den Pharao nicht wie Mose und Aaron. Andererseits liebte er auch die übrigen Kinder Israels nicht in gleichem Maße wie Mose und Aaron und Miriam, und desgleichen liebte er Aaron und Miriam nicht in gleichem Maße wie Mose. Doch auch wenn wahr ist, wie zu ihm gesagt wird: „Du schonst aber alles, weil alles dein ist, Herr, du Liebhaber der Seelen, denn der Geist der Unvergänglichkeit ist in allem“,c richtet doch der, der alles nach Maß und Zahl und Gewicht geordnet hat,d auch die Waage seiner Liebe ohne Zweifel nach dem Maß der Verdienste eines jeden Einzelnen aus.378 25. Wir werden doch nicht etwa meinen, dass Paulus damals, als er die Kirche Gottes verfolgte,e von ihm in gleichem Maße geliebt worden ist, wie er geliebt wurde, als er selbst für sie Verfolgungen und Martern ertrugf und als er sagte, ihm obliege die Sorge für alle Gemeinden?g 26. Es wäre jetzt zu viel, unter diese Ordnungen der Liebe auch das Gefühl des Hasses, das diesem Gefühl der Liebe offenbar entgegengesetzt ist, einzureihen, da ja auch der Herr sagt: „Ich werde ein Feind deiner Feinde sein und ein Widersacher deiner Gegner“h und desgleichen: „Wenn du einem Sünder beistehst und dem, den der Herr hasst, ein Freund bist.“i Diese Aussagen sind gewiss auf dieselbe Weise zu erklären wie auch jene, in der es heißt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“j und desgleichen: „Wer nicht Vater und Mutter hasst“k und so mensura 4f.; Fürst, Weisheit 297f. Die späteren altkirchlichen Exegeten haben sie meist metaphysisch-ästhetisch auf die Strukturierung des Kosmos nach mathematischen Gesetzen bezogen. Siehe dazu Peri, Omnia mensura (bes. zu Augustinus).

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Hoheliedkommentar

in quo profecto nimietas caritatis in Deum his, qui aduersantur, contrarium generare uidetur affectum, dum nulla potest esse consonantia luci et tenebris et Christo cum Belial nec eadem portio esse fideli cum infideli. a 27. His igitur, ut potuimus, de caritatis ordinibus expositis patet ad intelligendum, quid est, quod poscat sponsa, id est ecclesia uel anima tendens ad perfectionem, praestari sibi ab amicis sponsi; quoniamquidem introduci se poposcerat in domum uini, b ubi sine dubio intellexerat in omnibus his, quae uiderat, eminere et praecellere gratiam caritatis et ipsam didicerat maiorem omnium solamque esse caritatem, quae numquam cadit, c ideo deposcit, ut ordinem eius discat, ne forte aliquid inordinatum faciens uulnus ab ea aliquod accipiat, sicut in posterioribus dicit: „Vulnerata caritatis ego sum.“ d 28. Haec autem siue ad angelos dici accipiamus, a quibus se instrui postulat et muniri, nihil absurdum uidebitur secundum hoc, quod de populo Dei dicitur: „Laetamini, gentes, cum populo eius, et confortent eos omnes angeli Dei“ e et ut in aliis item dicitur: „Circumdat angelus Domini in circuitu timentium eum et eripiet eos“ f et item alibi: „Nolite contemnere unum ex minimis istis“, qui in ecclesia sunt, „quia angeli eorum semper uident faciem Patris mei, qui in caelis est.“ g Sed et in Apocalypsi Iohannis angelo Thyatirensi testimonium dat Filius Dei pro caritate, quam ordinauit angelus ipse in ecclesia sibi commissa; sic enim scriptum est: „Scio opera tua et caritatem tuam et fidem et ministerium et patientiam, et opera tua nouissima maiora quam priora.“ h 29. Sed et si ad prophetas haec referamus, qui ministrauerunt Verbum Dei ante aduentum sponsi, ut per ipsorum doctrinam uideatur ecclesia uelle ordinem discere caritatis, id est propheticis instrui uoluminibus, non uidetur absurdum. 30. Sed et omnes sancti, qui de hac uita discesserunt, habentes adhuc caritatem erga eos, qui in hoc mundo sunt, si dicantur curam gerere salutis eorum et iuuare eos precibus atque interuentu suo apud Deum, non erit inconueniens. Scriptum namque est in Machabaeorum libris ita: a f

2 Kor. 6,14f. Ps. 33(34),8

g

b Hld. 2,4 Mt. 18,10

h

c 1 Kor. 13,8 Offb. 2,19

d

Hld. 2,5

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Dtn. 32,43

379 Siehe dazu in Cant. comm. prol. 2,45. 380 In orat. 11,5 (GCS Orig. 2, 324) deutet Origenes Mt. 18,10 dahingehend, dass diese

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Buch III 7,26–30

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weiter. Darin scheint jedenfalls das Übermaß der Liebe zu Gott gegenüber denen, die sich dem widersetzen, ein entgegengesetztes Gefühl zu erzeugen, da es keine Übereinstimmung von Licht und Finsternis und von Christus mit Belial geben und der Gläubige mit dem Ungläubigen nichts gemeinsam haben kann.a 27. Nachdem wir also dies, soweit wir es vermochten, über die Ordnungen der Liebe dargelegt haben, ist leicht zu verstehen, was die Braut, das heißt die Kirche oder die Seele, die nach Vollkommenheit strebt, von den Freunden des Bräutigams zu erhalten wünscht. Da sie nämlich verlangt hatte, in das Haus des Weines hineingeführt zu werden,b wo sie zweifellos verstanden hatte, dass unter allem, was sie gesehen hatte, die Gabe der Liebe alles andere überragt und übertrifft, und gelernt hatte, dass eben die Liebe größer als alles andere und allein diejenige ist, die niemals fällt,c 379 deshalb verlangt sie, ihre Ordnung kennenzulernen, damit sie nicht etwa, wenn sie etwas Unordentliches tut, von ihr irgendeine Wunde davonträgt, wie sie im Folgenden sagt: „Wund vor Liebe bin ich.“d 28. Wenn wir dies aber als zu den Engeln gesagt verstehen, von denen sie unterwiesen und gestärkt werden will, wird das nicht absurd erscheinen, wenn man bedenkt, was über das Volk Gottes gesagt wird: „Freut euch, ihr Völker, zusammen mit seinem Volk, und alle Engel Gottes sollen sie stärken“,e und wie es ebenso an anderen Stellen heißt: „Der Engel des Herrn lagert sich rings um die, die ihn fürchten, und wird sie erretten“;f und ebenso andernorts: „Verachtet nicht einen von diesen Geringsten“, die in der Kirche sind, „denn ihre Engel schauen ständig das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist.“g 380 Doch auch in der Apokalypse des Johannes legt der Sohn Gottes Zeugnis ab für den Engel von Thyatira wegen der Liebe, die der Engel selbst in der ihm anvertrauten Kirche geordnet hat. So steht nämlich geschrieben: „Ich kenne deine Taten und deine Liebe und den Glauben und den Dienst und die Geduld, und deine jüngsten Taten sind größer als die früheren.“h 29. Doch auch wenn wir dies auf die Propheten beziehen, die dem Wort Gottes vor der Ankunft des Bräutigams gedient haben, so dass durch ihre Lehre die Kirche offenbar die Ordnung der Liebe lernen, das heißt durch die prophetischen Bücher unterrichtet werden will, scheint das nicht absurd zu sein. 30. Doch auch wenn es von allen Heiligen, die aus diesem Leben geschieden sind und noch immer Liebe gegenüber denen empfinden, die in dieser Welt weilen, heißt, dass sie Sorge für deren Heil tragen und ihnen durch Gebete und ihre Vermittlung bei Gott helfen, wird das nicht unangemessen sein. Denn in den Büchern der Makkabäer steht wie folgt ge-

Engel zusammen mit ihrem Schutzbefohlenen beten und seine Bitten bei Gott unterstützen. Vgl. auch Cels. VIII 64 (GCS Orig. 2, 280).

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Hoheliedkommentar

„Hic est Hieremias propheta Dei, qui semper orat pro populo.“ a 31. Sed et ad apostolos haec dici, ut supra iam diximus, non uidebitur alienum; per hos enim omnis ecclesia Dei uel anima quaerens Deum introducitur in domum uini, ut supra diximus, et aromatibus atque odoribus repletur et componitur in melis, b sicut in posterioribus legimus, et edocetur omnem ordinem rationemque caritatis.

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Hld. 2,5: „Stärkt mich mit Salbölen, nährt mich mit Äpfeln, denn wund vor Liebe bin ich.“

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8,1. „Confirmate me in unguentis, stipate me in malis, quia uulnerata caritatis ego sum.“ c In Graeco quidem habet: „Confirmate me in amoyris“ amoyrum genus quoddam arboris nominans, quod Latini putantes myrrha dictum unguenta interpretati sunt. 2. Igitur ordo sermonis huiusmodi est: Posteaquam sponsa et uerba ex ore ipsius sponsi audiuit et cubiculum regis d ingressa est et domum uini e locumque conuiuii ac sapientiae 〈et〉 in eo uictimas et craterem mixtum f sacramentis eius adspexit, quasi in horum omnium admiratione stupens et saucia postulat ab ipsis nihilominus amicis et sodalibus sponsi, ut confirmetur et quasi deficiens sustentetur incumbens paululum super arborem amoyren uel melin. Amoris etenim uulnere percussa arborum solacia siluarumque sectatur. Haec secundum litteram. 3. Sed ex his ut exsequi possimus intelligentiam spiritalem, indigemus illa gratia, quam consequi a Deo meruit ipse Solomon, scire omnium, quae a

2 Makk. 15,14

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Hld. 2,4f.

c

Hld. 2,5

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Hld. 1,4

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Hld. 2,4

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Spr. 9,1f.

8 Cf. frg. 25 (Prokop 97; Barba`ra 21)

381 Dass die verstorbenen Heiligen für die noch auf Erden lebende Kirche Fürbitte leisten, sagt Origenes auch in Ioh. comm. XIII 58,403 (GCS Orig. 4, 289) und orat. 11,1 (GCS Orig. 2, 322) mit Berufung auf 2 Makk. 15,14. In orat. 11,2 (2, 322) liefert er folgende Begründung dafür aus dem Liebesbegriff: Weil „die eine entscheidende Tugend nach dem göttlichen Wort die Nächstenliebe ist“, treten die verstorbenen Heiligen deshalb für die Beter vor Gott ein, weil diese Liebe ihnen „viel mehr zueigen ist als denen, die noch im Leben kämpfen und sich dabei im Zustand menschlicher Schwachheit befinden und außerdem an der Seite der noch Schwächeren kämpfen müssen“. Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 139–141. Vgl. ferner exhort. mart. 38 (GCS Orig. 1, 35f.); in Num. hom. 24,1 (GCS Orig. 7, 225); 26,6 (7, 253); in Ios. hom. 16,5 (GCS Orig. 7, 399). 382 Siehe in Cant. comm. III 7,1.

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Buch III 7,30–8,3

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schrieben: „Dies ist Jeremia, der Prophet Gottes, der immer für das Volk betet.“a 381 31. Doch auch, dass dies zu den Aposteln gesagt wird, wie wir oben schon gesagt haben,382 wird nicht abwegig erscheinen. Durch diese nämlich wird die gesamte Kirche Gottes beziehungsweise die Gott suchende Seele in das Haus des Weines hineingeführt, wie oben gesagt, und von Düften und Wohlgerüchen erfüllt und auf Äpfeln gebettet,b wie wir in späteren Passagen lesen, und ihr werden die ganze Ordnung und der Sinn der Liebe beigebracht. 8. Die Stärkung der Kirche durch gute Werke als Früchte des Glaubens in Zuversicht und Freiheit und die geistige Wunde der Liebe

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8,1. „Stärkt mich mit Salbölen, nährt mich mit Äpfeln, denn wund vor Liebe bin ich.“c Auf Griechisch lautet der Text: „Stärkt mich mit Amoyra“, wobei Amoyrum eine bestimmte Baumart bezeichnet, was die Lateiner in der Annahme, es sei von Myrrhe die Rede, mit ,Salböle‘ übersetzt haben.383 2. Die Anordnung des Textes ist also von folgender Art: Nachdem die Braut die Worte aus dem Mund des Bräutigams selbst gehört und das Gemach des Königsd und das Haus des Weinese und den Ort des Gastmahls und der Weisheit betreten 〈und〉384 darin die Opfertiere und den Mischkrugf mit seinen Mysterien erblickt hat, fordert sie, obwohl sie von Bewunderung für alle diese Dinge überwältigt und verwundet ist, gleichwohl von eben den Freunden und Gefährten des Bräutigams, dass sie gestärkt und wie eine, die erlahmt, gestützt wird, indem sie sich ein wenig auf einen Baum namens Amoyris beziehungsweise auf einen Apfelbaum stützt. Denn von der Wunde der Liebe durchbohrt, sucht sie Trost bei den Bäumen und in den Wäldern. Dies zum Wortlaut. 3. Doch damit wir von da aus zum geistigen Verständnis gelangen können, benötigen wir jene Gnade, die von Gott zu erlangen Salomo seinerseits 383 Während in den Septuagintahandschriften in Hld. 2,5 sthriÂsate me eÆn myÂroiw – „Stärkt mich mit Salbölen“ überliefert ist, in der Ausgabe von Rahlfs (II p. 262) jedoch mit einer Konjektur, die dem hebräischen Text entspricht, zu sthriÂsate me eÆn aÆmoÂraiw – „Stärkt mich mit Honigkuchen“ korrigiert ist, verweist Origenes in dem bei Prokop erhaltenen Fragment darauf, dass einige Handschriften sthriÂsate me eÆn aÆmyÂroiw – „Stärkt mich mit Ungesalbtem“ aufweisen (vgl. frg. 25). Baehrens, GCS Orig. 8, 191 app. crit., vermutet, dass hinter dem sonst unbelegten Wort amoyrum eine Verschreibung von amyris steckt, was einen Balsambaum (Amyris balsamifera) meinen dürfte. In diesem Sinne erklärt Rufinus seinen lateinischen Lesern den seltsamen Text. 384 Dieses et beruht auf einer Konjektur von Delarue, die Baehrens, GCS Orig. 8, 192.4, und von diesem wiederum Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 568, übernommen haben.

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Hoheliedkommentar

sunt, radicumque et arborum et uirgultorum naturas, a ut sciamus et nos, quae uis et quae natura sit arboris amoyrae, quo competenter ex hac spiritalis aptari possit expositio. 4. Hoc est tamen solum, quod peruenire ad nos de huius arboris notitia potuit, quia odorem solum habeat suauem, nullum tamen afferat fructum. Meli uero arbor notum cunctis est, quod non solum ferat fructum, sed et dulcissimum ac suauissimum ferat. 5. Omnes ergo homines arbores dicuntur siue bonae siue malae et fructuosae aut infructuosae, sicut et Dominus in euangelio dicit: „Aut facite arborem bonam et fructum eius bonum, aut facite arborem malam et fructum eius malum“ b et: „Omnis arbor, quae non affert fructum bonum, excidetur et in ignem mittetur.“ c 6. Tres ergo differentiae in hominibus uidentur esse: quidam, qui omnino nullum afferant fructum, et esse alii, qui afferant; sed in his, qui afferunt, aut mali sunt fructus aut boni. 7. Hic ergo sponsa, id est ecclesia Christi, confirmari se postulat et reclinari super unam quidem arborem melin afferentem fructus bonos, et recte ac competenter. Super his enim confirmatur et stipatur ecclesia, qui in bonis operibus fructificant et crescunt. 8. Quid autem est, quod in amoyris, infructuosis scilicet arboribus, confirmari uult odore solo gaudentibus? Ego puto, quod istos, qui solo odore gaudent et necdum fructus fidei afferunt, illos dicat, quos Paulus ad Corinthios scribens dicit: „qui inuocant nomen Domini nostri Iesu Christi in omni loco ipsorum et nostrum“. d Pro eo ergo, quod inuocant nomen Domini nostri Iesu Christi, habent in semet ipsis odoris quandam ex ipsa inuocatione nominis suauitatem; pro eo uero, quod non cum omni fiducia et libertate accedunt ad fidem, nullos fidei afferunt fructus. 9. In quo loco possumus nos catechumenos ecclesiae intelligere, super quos ex parte aliqua confirmatur ecclesia. Habet enim et in ipsis non parum fiduciae et spei plurimum, quod et ipsi fiant aliquando arbores fruca

Weish. 7,20

b

Mt. 12,33

c

Mt. 3,10

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1 Kor. 1,2

385 Während Origenes im folgenden Paragraphen (in Cant. comm. III 8,9) diesen Unterschied zwischen denen, die den Namen des Herrn anrufen, und denen, die voller Zuversicht und Freiheit zum Glauben kommen, auf noch nicht getaufte Katechumenen und getaufte Gläubige bezieht, deutet er in seiner Auslegung von 1 Kor. 1,2 „die Kirche Gottes in Korinth“ auf die nur einmal verheirateten Christen, die nach dem Tod des Ehepartners also nicht noch einmal geheiratet haben, und die, „die den Namen Gottes anrufen“, auf einen Gläubigen, der sich wieder verehelicht hat, da er dadurch nicht der Kirche „ohne Runzel und Flecken“ (Eph. 5,27) angehört, „sondern einer zweiten Stufe“ von Christen, „die zwar im Namen Jesu Christi gerettet, jedoch nicht von ihm bekränzt werden“: in Luc. hom. 17,11 (GCS Orig. 92, 110). Übersetzung: Sieben, FC 4, 207. Vgl. ferner in I Cor. frg. 1 (p. 232 Jenkins); in Ioh. comm. VI 59,302 (GCS Orig. 4, 167f.), sowie zur Kritik des Origenes an einer

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Buch III 8,3–9

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verdient hat, nämlich von allem, was existiert, und von den Wurzeln und Bäumen und Büschen die natürliche Beschaffenheit zu kennen,a damit auch wir erkennen, was die Kraft und was die natürliche Beschaffenheit des Baumes Amoyris ist, um dadurch auf angemessene Weise eine geistige Auslegung daraus gewinnen zu können. 4. Das einzige jedoch, was uns über diesen Baum zur Kenntnis zu gelangen vermochte, ist dies, dass er nur einen süßen Geruch haben, jedoch keine Frucht bringen soll. Vom Apfelbaum hingegen ist allen bekannt, dass er nicht einfach nur Frucht bringt, sondern auch eine überaus liebliche und süße. 5. Alle Menschen werden also als Bäume bezeichnet, als gute oder als schlechte, als fruchtbare oder als unfruchtbare, wie auch der Herr im Evangelium sagt: „Nehmt an, ein Baum ist gut, so ist auch seine Frucht gut, oder nehmt an, ein Baum ist schlecht, so ist auch seine Frucht schlecht“;b und: „Jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen werden.“c 6. Es scheint also drei verschiedene Arten von Menschen zu geben: diejenigen, die überhaupt keine Frucht bringen, und andere, die welche bringen; doch bei denen, die eine bringen, sind die Früchte entweder schlecht oder gut. 7. Hier also fordert die Braut, das heißt die Kirche Christi, gestärkt und von einem Apfelbaum gestützt zu werden, der gute Früchte bringt, und dies tut sie auf rechte und angemessene Weise. Denn die Kirche wird von denen gestärkt und genährt, die in guten Werken Frucht bringen und wachsen. 8. Was aber bedeutet es, dass sie durch Amoyris, das heißt durch unfruchtbare Bäume, die allein durch ihren Geruch erfreuen, gestärkt werden will? Ich glaube, dass sie die, die allein durch ihren Geruch erfreuen und noch keine Früchte des Glaubens hervorbringen, mit denen gleichsetzt, von denen Paulus im Schreiben an die Korinther sagt: „Sie rufen den Namen unseres Herrn Jesus Christus an jedem Ort bei ihnen und bei uns an.“d Dafür also, dass sie den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, haben sie in sich selbst eben aufgrund der Anrufung des Namens einen gewissen Wohlgeruch. Deshalb aber, weil sie nicht mit aller Zuversicht und Freiheit zum Glauben kommen, bringen sie keine Früchte des Glaubens hervor.385 9. In diesem Passus können wir die Katechumenen der Kirche erkennen, von denen die Kirche zu einem gewissen Teil gestärkt wird. Sie setzt nämlich auch in diese ein nicht geringes Vertrauen und sehr viel Hoffnung darauf, dass auch sie einmal fruchtbringende Bäume werden,386 so dass sie vom

zweiten Ehe in Hier. hom. 20,4 (GCS Orig. 32, 182f.); in Matth. comm. XIV 22 (GCS Orig. 10, 336–339). Zur Kontroverse darüber siehe Vogt, Kirchenverständnis 102. 222f. 386 In Lev. hom. 16,4 (GCS Orig. 6, 497–499) erklärt Origenes diese Bäume bzw. ihre Früchte als Tugenden.

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tiferae, ut plantentur in paradiso Dei ab ipso agricola Patre. a Ipse enim est, qui plantat huiusmodi arbores in ecclesia Christi, quae est paradisus deliciarum, b sicut et Dominus dicit: „Omnis plantatio, quam non plantauit Pater meus caelestis, eradicabitur.“ c 10. Stipatur ergo ecclesia et in melis et super ipsa requiescit. Quae mela illae animae putandae sunt, quae cotidie innouantur ad imaginem eius, qui creauit eas. d Quia enim per innouationem sui imaginem in se reparant filii Dei, merito et ipsae arbores meli appellantur, quia et ipse sponsus earum in superioribus dictus est sicut arbor meli esse in lignis siluae. e 11. Et ne mireris, si idem ipse et arbor meli et arbor uitae f et diuersa alia dicatur, cum idem et panis uerus g et uitis uera h et agnus Dei i et multa alia nominetur. Omnia namque haec Verbum Dei unicuique efficitur, prout mensura uel desiderium participantis exposcit; secundum quod et manna, j qui cum unus esset cibus, unicuique tamen desiderii sui reddebat saporem. k 12. Praebet ergo semet ipsum non solum esurientibus panem et sitientibus uinum, sed et deliciari uolentibus semet ipsum fraglantia exhibet poma. Propterea ergo et sponsa uelut refecta iam et bene pasta fulciri se poscit in melis sciens in Verbo esse sibi non solum omnem cibum, sed et omnes delicias; et per haec maxime discurrit, cum se uulneratam sentit esse iaculis caritatis. l 13. Si quis usquam est, qui fideli hoc amore Verbi Dei arsit aliquando, si quis est, ut propheta dicit, qui electi iaculi m eius dulce uulnus accepit, si quis est, qui scientiae eius amabili confixus est telo, ita ut diurnis eum desideriis Joh. 15,1 Joh. 6,32 m Jes. 49,2 a

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Gen. 2,8 Joh. 15,1

Mt. 15,13 Joh. 1,29

c i

j

d Kol. 3,10 Ex. 16,31

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e Hld. 2,3 Weish. 16,20

f

Offb. 2,7 l Hld. 2,5

387 Zu Gott als dem „großen Landmann der gesamten Natur“, so princ. III 1,14 (GCS Orig. 5, 219), oder als „guten Landwirt des Wortes Gottes“, so Cels. V 62 (GCS Orig. 2, 65), vgl. in Regn. hom. lat. 1 (GCS Orig. 8, 1f.) und graec. 9 (GCS Orig. 92, 294), wo Gott, angeregt von der Metaphorik in Gen. 2,8, als „Gärtner“ im Paradies bezeichnet wird; vgl. ferner in Lev. hom. 16,4 (GCS Orig. 6, 498). Zu Gott speziell als Winzer siehe in Cant. comm. III 6,4 und III 15(IV 1),11. 388 Zu den Epinoiai Christi siehe oben S. 78 Anm. 43. Die Stelle beschreibt bildlich präzise das Verhältnis von Einheit und Vielheit in Christus, das Origenes mit diesem Konzept zum Ausdruck bringt. Vgl. Cels. II 64 (GCS Orig. 1, 185): „Jesus war einer, je nach Aspekt aber vieles“; in Hier. hom. 8,2 (GCS Orig. 32, 57): Christi „Substanz ist eine, die Aspekte aber haben viele Bezeichnungen für verschiedene Sachverhalte“, mit einer Formulierung aus Philon, rer. div. her. 23 (III p. 7 Cohn/Wendland); in Ioh. comm. VI 19,107 (GCS Orig. 4, 128); X 5,21 (4, 175); XXXII 31,387 (4, 478); in Hier. hom. lat. 1(3),4 (GCS Orig. 8, 313); in Rom. comm. V 6,6 (SC 539, 450). 389 Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 574 Anm. 1, verweisen auf Apuleius, met. IV 31,1: per tuae sagittae dulcia uulnera, und zwar von Eros bzw. Amor. Origenes meint

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Bauern selbst, dem Vater,a in das Paradies Gottes eingepflanzt werden.387 Er selbst nämlich ist es, der derartige Bäume in der Kirche Christi pflanzt, die das Paradies der Freudenb ist, wie auch der Herr sagt: „Jede Pflanzung, die nicht mein himmlischer Vater gepflanzt hat, wird ausgerissen werden.“c 10. Die Kirche wird also genährt mit Äpfeln und ruht zugleich auf ihnen. Unter diesen Äpfeln sind jene Seelen zu verstehen, die täglich erneuert werden nach dem Bild dessen, der sie geschaffen hat.d Weil sie nämlich durch ihre Erneuerung das Bild des Sohnes Gottes in sich wiederherstellen, werden sie zu Recht auch selbst Apfelbäume genannt, weil auch von ihrem Bräutigam selbst weiter oben gesagt wurde, er sei wie ein Apfelbaum unter Waldhölzern.e 11. Und wundere dich nicht, wenn ein und derselbe sowohl als Apfelbaum als auch als Baum des Lebensf und als verschiedene andere Dinge bezeichnet wird, wo doch derselbe auch wahres Brotg und wahrer Weinstockh und Lamm Gottesi und vieles andere genannt wird. Alles dies nämlich wird das Wort Gottes für einen jeden, je nachdem, wie es das Fassungsvermögen und das Verlangen dessen, der an ihm Anteil hat, erfordert. Dem entsprechend bot auch das Manna,j obwohl es eine einzige Speise war, dennoch einem jeden den Geschmack nach seinem Verlangen dar.k 388 12. Es bietet also sich selbst nicht nur den Hungernden als Brot und den Dürstenden als Wein dar, sondern auch denen, die auf Genüsse aus sind, bietet es sich selbst als wohlriechende Äpfel dar. Deshalb also fordert auch die Braut wie eine, die schon gesättigt und gut geweidet ist, mit Äpfeln genährt zu werden, da sie weiß, dass im Wort für sie nicht nur jede Speise, sondern auch alle Genüsse enthalten sind. Und diese erlebt sie am meisten, wenn sie wahrnimmt, dass sie von den Pfeilen der Liebe verwundet ist.l 13. Wenn es irgendwo jemanden gibt, der irgendwann einmal in dieser treuen Liebe zum Wort Gottes entbrannt ist, wenn es jemanden gibt, wie der Prophet sagt, der von seinem auserwählten Pfeilm eine süße Wunde389 empfangen hat, wenn es jemanden gibt, der vom liebenswerten Speer seiner freilich mit Bezug auf Jes. 49,2 die Christus-Bezeichnung „auserwählter Pfeil, der im Köcher des Vaters verborgen ist“ und den er mit Hld. 2,5 kombiniert: in Ioh. comm. I 32,228 (GCS Orig. 4, 40); in Ps. 36 hom. 3,3 (griech. GCS Orig. 13, 142; lat. SC 411, 134); sel. in Ps. 119(120),4 (PG 12, 1629). In Lam. frg. 104 (GCS Orig. 32, 272) wird diese Liebeswunde in Hld. 2,5 auf das Schwert bzw. den Dolch zurückgeführt, der das Wort Gottes ist. Siehe dazu die Hinweise bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 375, 33f. und SC 376, 778–780, ferner oben S. 71 Anm. 32 zu in Cant. comm. prol. 2,17. Die ganze Vorstellung ist Teil seiner Theorie der geistigen Sinnlichkeit (dazu oben S. 68 Anm. 26), die in der geistigen Liebeswunde besonders plastisch greifbar wird: Crouzel, Le trait et la blessure d’amour 313f. Vgl. auch Dölger, Amor und Christus 229f.: Arnobius iun., comm. in Ps. 44,6 (PL 53, 388), assoziiert zu den scharfen Pfeilen in Ps. 44(45),6 den Liebesgott Cupido und parallelisiert mit diesem Christus als „unseren“, d.h. christlichen Amor.

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Hoheliedkommentar

nocturnisque suspiret, aliud quid loqui non possit, audire aliud nolit, cogitare aliud nesciat, desiderare praeter ipsum aut cupere aliud uel sperare non libeat, ista anima merito dicit: „Vulnerata caritatis ego sum“ a et ab illo uulnus accepit, de quo dicit Isaias: „Et posuit me sicut iaculum electum, et in pharetra sua abscondit me.“ b 14. Tali uulnere decet Deum percutere animas, talibus telis iaculisque configere ac salutaribus eas uulneribus sauciare, ut, quia Deus caritas est, c dicant et ipsae: „Quia uulnerata caritatis ego sum.“ d 15. Et quidem in hoc quasi amatorio dramate sponsa caritatis se dicit uulnera suscepisse. Potest autem similiter feruens anima erga sapientiam Dei dicere, quia uulnerata sapientiae ego sum, illa scilicet, quae sapientiae eius pulchritudinem potuit intueri. Potest et alia anima uirtutis eius magnificentiam contuens et admirata potentiam Verbi Dei dicere, quia uulnerata uirtutis ego sum, talis, credo, aliqua, sicut erat illa, quae dicebat: „Dominus illuminatio mea et saluator meus, quem timebo? Dominus protector uitae meae, a quo trepidabo?“ e Sed et alia anima erga amorem iustitiae eius feruens et dispensationum ac prouidentiae eius iustitiam contuens dicit sine dubio: Vulnerata iustitiae ego sum. Et alia bonitatis eius ac pietatis immensitatem perspiciens similia loquitur. Sed et horum omnium generale est istud caritatis uulnus, quo se uulneratam praedicat sponsa. 16. Sciendum tamen est, quod, sicut sunt ista Dei iacula, quae animae habenti desiderium bonorum salutis uulnus infligunt, ita sunt et iacula maligni ignita, f quibus anima, quae non est scuto fidei protecta, uulneratur in mortem. De ipsis dicit propheta: „Ecce, peccatores tetenderunt arcum, parauerunt sagittas suas in pharetra, ut sagittent in obscuro rectos corde.“ g 17. Hic peccatores de occulto sagittantes daemones inuisibiles dicit et ipsi sunt habentes quaedam iacula fornicationis, alia cupiditatis et auaritiae, quibus quamplurimi uulnerantur. Habent etiam spicula iactantiae et uanae gloriae. Sed ista ualde subtilia sunt, ita ut confixam se anima ab iis sauciatamque uix sentiat, nisi si induta est armis Dei h et stat uigilans et immobilis aduersus a g

Hld. 2,5 Ps. 10(11),2

b

c Jes. 49,2 1 Joh. 4,8 h Eph. 6,11

d

Hld. 2,5

e

Ps. 26(27),1

f

Eph. 6,16

390 Für eine analoge Aufzählung von Wunden bzw. von Pfeilen „der Gerechtigkeit, der Tapferkeit, der Besonnenheit und der übrigen Tugenden“ ausgehend von Hld. 2,5 vgl. Origenes, sel. in Ps. 119(120),4 (XIII p. 108 Lommatzsch). 391 Analog zur Zuordnung der Gattung der Liebeswunde zu ihren Unterarten, den Wunden der einzelnen Tugenden, bestimmt Origenes, princ. II 5,4 (GCS Orig. 5, 137f.), das Verhältnis des Guten als Gattung oder Oberbegriff zu den einzelnen Tugenden als Unterbegriffen oder Unterarten, was insofern koinzidiert, als die Liebe und das Gute im vollkommenen Sinne, also in Gott, zusammenfallen: Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 577 Anm. 2. Gregor Thaumaturgos, pan. Orig. 149 (SC 148, 148), ordnet in ähnlicher Manier die Frömmigkeit allen anderen Tugenden über, womit er eine Tradition aufgreift, die auf Platon, epinom. 989b, zurückgeht und sich bei Cicero,

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Erkenntnis durchbohrt worden ist, so dass er sich Tag für Tag und Nacht für Nacht in Sehnsucht nach ihm verzehrt, nichts anderes reden kann, nichts anderes hören will, nichts anderes zu denken weiß, nichts anderes als ihn begehren oder ersehnen oder erhoffen mag, diese Seele sagt mit Recht: „Wund vor Liebe bin ich.“a Und sie hat die Wunde von dem empfangen, über den Jesaja sagt: „Und er machte mich zu einem auserwählten Pfeil, und in seinem Köcher verbarg er mich.“b 14. Es geziemt Gott, die Seelen mit einer solchen Wunde zu erschüttern, mit solchen Speeren und Pfeilen zu durchbohren und sie mit heilsamen Wunden zu verletzen, so dass sie, weil Gott die Liebe ist,c auch selbst sagen: „Denn wund vor Liebe bin ich.“d 15. Und in diesem Sinne, wie in einem Liebesdrama, sagt die Braut, dass sie die Wunden der Liebe empfangen hat. Es kann aber auf ähnliche Weise eine Seele, die in Leidenschaft für die Weisheit Gottes erglüht, sagen: Verwundet von der Weisheit bin ich, jene nämlich, die die Schönheit seiner Weisheit zu schauen vermochte. Es kann auch eine andere Seele, wenn sie die Erhabenheit seiner Kraft betrachtet und die Macht des Wortes Gottes bewundert hat, sagen: Verwundet von der Kraft bin ich. Eine solche war, glaube ich, jene, die sagte: „Der Herr ist meine Erleuchtung und mein Erlöser, wen sollte ich fürchten? Der Herr ist der Beschützer meines Lebens, vor wem sollte ich verzagen?“e Doch wenn wieder eine andere Seele in Leidenschaft für die Liebe zu seiner Gerechtigkeit erglüht und die Gerechtigkeit seiner Anordnungen und seiner Vorsehung betrachtet, sagt sie ohne Zweifel: Verwundet von der Gerechtigkeit bin ich. Und wenn eine andere die Unermesslichkeit seiner Güte und Barmherzigkeit erkennt, redet sie ähnlich.390 Doch die alle diese Wunden umfassende Wunde ist diese Wunde der Liebe,391 von der verwundet zu sein die Braut verkündet. 16. Man muss jedoch wissen, dass es so, wie es diese Pfeile Gottes gibt, die der Seele, die eine Sehnsucht nach dem Guten besitzt, eine Wunde des Heils zufügen, auch die feurigen Pfeile des Bösenf gibt, durch welche die Seele, die nicht durch den Schild des Glaubens geschützt ist, zu Tode verwundet wird. Über diese sagt der Prophet: „Siehe, die Sünder haben den Bogen gespannt, sie haben ihre Pfeile im Köcher vorbereitet, damit sie im Dunkeln die niederschießen, die rechten Herzens sind.“g 17. Hier nennt er die unsichtbaren Dämonen Sünder, die aus der Dunkelheit schießen, und die haben einerseits Pfeile der Unzucht, andererseits der Begierde und der Habsucht, von denen überaus viele verwundet werden. Sie haben auch Lanzen der Prahlerei und der eitlen Ruhmsucht. Doch die sind sehr dünn, so dass die Seele kaum merklich von ihnen gestochen und verletzt wird, wenn sie nicht mit der Waffenrüstung Gottes angetan isth und wachsam und unerschütterlich den Anschlägen des Teufels widersteht, indem sie sich selbst nat. deor. II 153: pietas, cui coniuncta iustitia est reliquaeque uirtutes, und Philon von Alexandria, decal. 52 (IV p. 280 Cohn/Wendland), greifen lässt.

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Hoheliedkommentar

astutias diaboli scuto semet ipsam fidei a per omnia contegens et nullam prorsus corporis partem fide nudam relinquens. 18. Quantacumque autem daemones fecerint tela, si inueniant mentem hominis fide munitam, etiamsi ignita sint, etiamsi cupiditatum flammis et incendiis ardeant uitiorum, fides plena cuncta restinguit.

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Hld. 2,6: „Seine Linke ist unter meinem Haupt, und seine Rechte wird mich umarmen.“

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9,1. „Laeua eius sub capite meo, et dextera eius complectetur me.“ b Descriptio est quidem amatorii dramatis sponsae festinantis ad conubium sponsi – uerbis tamen paulo apertioribus currit. Sed conuerte te uelocius ad spiritum uiuificantem c et refugiens appellationes corporeas intuere perspicaciter, quae sit Verbi Dei laeua, quae sit dextera, quod etiam caput sponsae eius, animae scilicet perfectae uel ecclesiae, et non te rapiat carnalis et passibilis sensus. 2. Ipsa est enim hic sponsi dextera et laeua, quae in Prouerbiis de sapientia dicitur, ubi ait: „Longitudo enim uitae in dextera eius, in sinistra uero eius diuitiae et gloria.“ d Et sicut hic sapientiam non ideo aliquam feminam dici putabis, quia femineo nomine appellari uidetur, ita ne in hoc quidem, quoniam masculino genere sponsus Verbum Dei dicitur, corporaliter intelligere debes laeuam eius aut dexteram uel amplexus sponsae pro feminini generis declinatione percipere. 3. Sed Verbum Dei quamuis apud Graecos masculino, apud nos neutro genere proferatur, super masculinum tamen et neutrum ac femininum genus et super omne omnino, quod ad haec respicit, esse cogitanda sunt ista, de quibus sermo est, et non solum Verbum Dei, sed et ecclesia eius atque anima perfecta, quae et sponsa nominatur. 4. Sic enim et apostolus dicit: „In Christo enim neque masculus neque femina, sed omnes in ipso unum sumus.“ e Haec autem propter homines, qui aliter audire non possunt, nisi his uerbis, quae in usu habentur, a a

Eph. 6,16

b

Hld. 2,6

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1 Kor. 15,45

d

Spr. 3,16

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Gal. 3,28

392 Das in etlichen Handschriften überlieferte Kolon uerbis tamen paulo apertioribus currit wird von Baehrens, GCS Orig. 8, 195.23, getilgt (ebenso Lawson, ACW 26, 200), während Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 582, es in den Text aufnehmen (ebenso Simonetti, CTePa 1, 214). Inhaltlich spricht nichts gegen Letzteres, da das Eilen der Braut als Folge ihres geistigen Fortschritts verstanden werden kann, der sich nach Origenes im Verlauf des Hohelieds vollzieht. 393 Davor warnte Origenes schon zu Beginn seines Kommentars: in Cant. comm. prol. 1,4–7. 394 Vgl. Cels. V 39 (GCS Orig. 2, 43): „Denn man darf nicht meinen, dass die Weisheit

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überall mit dem Schild des Glaubensa bedeckt und überhaupt keinen Teil des Körpers vom Glauben entblößt lässt. 18. Wie viele Geschosse die Dämonen aber auch gemacht haben mögen: Wenn sie auf einen im Glauben gefestigten Geist eines Menschen treffen, löscht der volle Glaube sie alle aus, auch wenn sie feurig sind, auch wenn sie in den Flammen der Begierden und in den Feuern der Laster glühen. 9. Die Heilstaten des Wortes Gottes vor und bei der Menschwerdung als Reichtum und Herrlichkeit der Kirche

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9,1. „Seine Linke ist unter meinem Haupt, und seine Rechte wird mich umarmen.“b Das ist gewiss die Beschreibung eines Liebesdramas, wie die Braut zur Vermählung mit dem Bräutigam eilt – etwas klarer ausgedrückt heißt das: sie läuft.392 Doch wende dich möglichst schnell dem lebendig machenden Geistc zu und betrachte, indem du die körperlichen Vokabeln ignorierst, aufmerksam, was die Linke des Wortes Gottes ist, was die Rechte, was ferner das Haupt seiner Braut ist, nämlich der vollkommenen Seele beziehungsweise der Kirche, und der fleischliche und leidenschaftliche Sinn soll dich nicht mitreißen.393 2. Die Rechte und die Linke des Bräutigams sind hier nämlich dasselbe, was in den Sprichwörtern über die Weisheit gesagt wird, wo es heißt: „Denn die Länge des Lebens ist in ihrer Rechten, in ihrer Linken hingegen sind Reichtum und Herrlichkeit.“d Und wie du nicht meinen wirst, dass die Weisheit hier deshalb eine Frau genannt wird, weil sie offenbar mit einem Femininum bezeichnet wird, so darfst du auch nicht deshalb, weil das Wort Gottes mit einem Maskulinum als Bräutigam bezeichnet wird, seine Linke oder Rechte körperlich verstehen oder die Umarmungen der Braut wegen der Deklination des Femininums so auffassen.394 3. Doch auch wenn das Wort Gottes bei den Griechen im Maskulinum, bei uns im Neutrum gebraucht wird,395 muss man doch bedenken, dass diese Dinge, von denen jetzt die Rede ist, über das männliche und sächliche und weibliche Geschlecht und überhaupt über alles, was sich darauf bezieht, erhaben sind, und zwar nicht nur das Wort Gottes, sondern auch seine Kirche und die vollkommene Seele, die auch Braut genannt wird. 4. So sagt nämlich auch der Apostel: „In Christus ist nämlich weder Mann noch Frau, sondern alle sind wir eins in ihm.“e Diese Dinge aber werden von der göttlichen Schrift wegen der Menund die Gerechtigkeit entsprechend dem weiblichen Geschlecht der Wörter auch ihrem Wesen nach weiblich sind.“ Übersetzung: Barthold, FC 50, 951. 395 Rufinus muss seinen lateinischen Lesern den Text erläutern, weil das Wort uerbum im Lateinischen Neutrum ist (wie das Wort „Wort“ im Deutschen). Origenes hat sicherlich nur davon gesprochen, dass der Logos (loÂgow) im Griechischen Maskulinum ist.

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Hoheliedkommentar

scriptura diuina humani more referuntur eloquii, ut uerbis quidem notis ea et solitis audiamus, sensu tamen illo, quo dignum est, de diuinis rebus et incorporeis sentiamus. 5. Nam sicut is, qui amatorem se dicit esse pulchritudinis sapientiae, hoc ostendit, quod naturalem, qui in se est, caritatis affectum ad studia transtulerit sapientiae, ita et hic sponsa deposcit ecclesia, ut sponsus suus, qui est Verbum Dei, laeua quidem sua caput eius sustentet, dextera uero omne eius reliquum complectatur et constringat corpus. 6. Est autem laeua, in qua sapientia diuitias continere et gloriam a dicitur. Quas autem habet diuitias ecclesia et quam gloriam nisi illas, quas accepit ab eo, qui, cum diues esset, pauper factus est, ut illius paupertate ecclesia fieret diues? b Quae autem est gloria? Illa sine dubio, de qua dicit: „Pater, clarifica Filium tuum“, c passionis sine dubio gloriam designans. Fides ergo passionis Christi gloria et diuitiae sunt ecclesiae, quae in laeua eius continentur. 7. Laeuam autem puto Verbi Dei hoc modo debere intelligi, quoniamquidem sunt in eo quaedam dispensationes ante incarnationem gestae, sunt uero aliquae et per incarnationem. Illa pars Verbi Dei, quae ante assumptionem carnis in dispensationibus peracta est, dextera potest uideri, haec uero, quae per incarnationem, sinistra appellari. 8. Vnde et in sinistra diuitias et gloriam habere dicitur; per incarnationem namque diuitias et gloriam quaesiuit, omnium scilicet gentium salutem. In dextera autem longitudo uitae d esse dicitur, per quod sine dubio illa eius, qua in principio apud Deum Deus erat Verbum, e sempiternitas indicatur. 9. Hanc ergo laeuam ecclesia, cuius Christus est caput, f optat habere sub capite suo et fide incarnationis eius caput suum muniri, dextera uero eius amplecti, id est illa agnoscere et de illis instrui, quae ante huius quoque per carnem gestae dispensationis tempus in arcanis habentur et reconditis. 10. Dextera namque ibi putanda sunt esse omnia, ubi nihil de peccatorum miseriis, nihil de fragilitatis lapsu continetur, sinistra uero, ubi uulnera nostra curauit et peccata nostra portauit g factus etiam ipse pro nobis peccatum et maledictum. h Quae omnia quamuis caput et fidem sustentent ecclesiae, merito tamen sinistra Verbi Dei appellabuntur. In quibus aliqua etiam praeter illam naturam, quae tota dextera est et tota lux i ac splendor et gloria, j pertulisse memoratur. a g

Spr. 3,16 1 Petr. 2,24

b

2 Kor. 8,9 h Gal. 3,13

c

Joh. 17,1 i Joh. 12,46

d

Spr. 3,16 j Hebr. 1,3

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Joh. 1,1

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Eph. 5,23

396 Zum Begriff der oiÆkonomiÂa, lat. dispensatio, bei Origenes siehe Benjamins, Eingeordnete Freiheit 182–211. 397 Die Vorstellung, dass Christus einige seiner Leiden ganz ohne Beteiligung seiner göttlichen Natur ertragen hat, könnte sich eventuell auf Tod und Hadesfahrt Jesu beziehen, wo er ja als reine Seele, ohne alle göttliche Kraft gewesen sein muss. So kann Origenes den Tod und den Abstieg der Seele in den Hades denn auch als Situation der völligen Gottverlassenheit beschreiben: in Ioh. comm. XXXII 3,35 (GCS Orig. 4, 430); in Matth. comm. ser. 135 (GCS Orig. 11, 278–281). Vgl. Strutwolf, Gnosis als System 287.

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schen, die nicht auf andere Weise zu hören vermögen als in den Worten, die in Gebrauch sind, nach Art der menschlichen Redeweise ausgedrückt, damit wir sie zwar in bekannten und gebräuchlichen Worten hören, sie aber in dem Sinn auffassen, der den göttlichen und unkörperlichen Dingen würdig ist. 5. Denn wie der, der sich selbst als Liebhaber der Schönheit der Weisheit bezeichnet, damit zeigt, dass er das natürliche Gefühl der Liebe, das er in sich hat, auf das Streben nach Weisheit übertragen hat, so verlangt auch hier die Braut, die Kirche, dass ihr Bräutigam, der das Wort Gottes ist, mit seiner Linken ihr Haupt stützt, mit der Rechten hingegen ihren ganzen übrigen Leib umarmt und festhält. 6. Es ist aber die Linke, in der, wie es heißt, die Weisheit Reichtum und Herrlichkeit hält.a Welchen Reichtum aber hat die Kirche und welche Herrlichkeit, wenn nicht jenen, den sie von dem erhalten hat, der, obwohl er reich war, arm geworden ist, damit durch seine Armut die Kirche reich wird?b Was aber ist ihre Herrlichkeit? Ohne Zweifel jene, über die er sagt: „Vater, verherrliche deinen Sohn“,c womit er zweifellos die Herrlichkeit der Passion bezeichnet. Der Glaube an die Passion Christi ist also die Herrlichkeit und der Reichtum der Kirche, die in seiner Linken enthalten sind. 7. Die Linke des Wortes Gottes aber glaube ich auf die Weise verstehen zu müssen, da ja manche Heilstaten396 in ihm vor der Inkarnation vollbracht worden sind, einige hingegen auch durch die Inkarnation. Jener Teil des Wortes Gottes, der vor der Annahme des Fleisches in den Heilstaten verwirklicht worden ist, kann als rechte Hand angesehen werden, der jedoch, der durch die Inkarnation verwirklicht worden ist, kann linke Hand genannt werden. 8. Daher heißt es auch, in der Linken habe er Reichtum und Herrlichkeit, denn durch die Inkarnation erwarb er Reichtum und Herrlichkeit, nämlich das Heil aller Völker. In der Rechten aber, heißt es, sei die Länge des Lebens,d wodurch ohne Zweifel seine Ewigkeit angezeigt wird, durch die im Anfang bei Gott das Wort Gott war.e 9. Diese Linke wünscht also die Kirche, deren Haupt Christus ist,f unter ihrem Haupt zu haben, und durch den Glauben an seine Inkarnation wünscht sie ihr Haupt geschützt, von seiner Rechten hingegen umarmt zu werden, das heißt, das zu erkennen und darüber unterrichtet zu werden, was sich vor der Zeit dieser auch durch das Fleisch bewirkten Heilstat im Geheimen und im Verborgenen befindet. 10. Von der Rechten muss man nämlich annehmen, dass dort alle die Dinge sind, wo nichts von den Leiden der Sünden, nichts vom Mangel der Schwachheit zu finden ist. Die Linke hingegen ist dort, wo er unsere Wunden geheilt und unsere Sünden getragen hat,g indem er sogar selbst für uns zur Sünde und zum Fluch geworden ist.h Auch wenn alle diese Dinge das Haupt und den Glauben der Kirche stützen, werden sie dennoch zu Recht die linke Hand des Wortes Gottes genannt werden. Von einigen dieser Dinge heißt es, dass er sie auch außerhalb jener Natur, die ganz die Rechte ist und ganz Lichti und Glanz und Herrlichkeit,j ertragen hat.397

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Hoheliedkommentar

Hld. 2,7: „Ich beschwor euch, Töchter Jerusalems, bei den Mächten und bei den Kräften des Feldes, ob ihr die Liebe aufgerichtet und aufgeweckt habt, wie er es will.“

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10,1. „Adiuraui uos, filiae Hierusalem, in uirtutibus et in uiribus agri, si leuaueritis et suscitaueritis caritatem quoadusque uelit.“ a Sponsa adhuc ad adulescentulas loquitur prouocans eas et cohortans, immo et adiurans per ea, quae iis cara esse nouit et amabilia, ut, si forte eleuare coeperint caritatem, iacentem quippe in iis, et excitare eam, utpote adhuc dormientem apud eas, in tantum eleuent eam et in tantum suscitent, in quantum uoluerit sponsus, nec minus aliquid in ea agant, quam uoluntas ipsius patitur. 2. Haec est enim amantis sponsae perfectio, ut a nullo uelit contra animos et uoluntatem fieri eius, quem diligit. Et ut hoc non negligenter aut segniter agant, per uirtutes agri, id est per plantaria et uirgulta, quae in agro sunt, et per uires eius, sine dubio per ea, quae in eo sata sunt, adiurantur. 3. Tali ordine talique uerborum compositione textus nobis historici dramatis dirigatur. Nunc iam quid arcani intrinsecus contegat, requiramus. 4. Omnis anima, praecipue quae filia est Hierusalem, habet aliquem agrum proprium, qui ei sacrata quadam per Iesum meritorum sorte delatus est. Sicut fuit et ille ager Iacob, cuius suauitate permotus Isaac patriarcha mysticis aiebat eloquiis: „Ecce, odor filii mei sicut odor agri pleni, quem benedixit Dominus.“ b 5. Habet ergo unaquaeque anima, ut diximus, agrum suum; uita namque et conuersatio eius ager eius est. In hoc agro anima, quae diligens et studiosa est, satis agit et studet plantare omnes bonos sensus et omnes excolere uirtutes animi, non solum autem uirtutes animi, sed et uires operum, quibus uidelicet impleri possunt ministeria mandatorum. 6. Est ergo, ut diximus, unicuique animae suus ager, quem colit et plantat ac seminat secundum haec, quae diximus. Est autem et omnium simul filiarum Hierusalem unus quidam et communis ager, de quo Paulus dicit: „Dei agricultura estis.“ c Quem agrum commune exercitium ecclesiasticae fidei et conuersationis accipiamus, in quo certum est uirtutes inesse caelestes et uires spiritalium gratiarum. d Vnaquaeque anima, quae nunc filia Hierusalem e apa

Hld. 2,7

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Gen. 27,27

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1 Kor. 3,9

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Röm. 1,11

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Hld. 2,7

1 Cf. frg. 26 (Prokop 103; Barba`ra 22)

398 Vgl. in Num. hom. 11,3 (GCS Orig. 7, 81): „Acker kann auch diese Welt genannt werden, aber der Acker ist nicht der Boden der Erde, sondern darunter müssen die menschlichen Herzen verstanden werden, da die Engel Gottes die Pflege dieses Ackers übernehmen.“

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10. Die Arbeit der Seele an sich selbst, um die in ihr liegende Liebe vollkommen zu entfalten

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10,1. „Ich beschwor euch, Töchter Jerusalems, bei den Mächten und bei den Kräften des Feldes, ob ihr die Liebe aufgerichtet und aufgeweckt habt, wie er es will.“a Die Braut spricht noch immer zu den Mädchen und fordert sie auf und ermahnt, ja beschwört sie durch das, was ihnen, wie sie weiß, teuer und lieb ist, dass sie, wenn sie etwa begonnen haben sollten, die Liebe aufzurichten, die ja in ihnen liegt, und sie aufzuwecken, da sie ja noch bei ihnen schläft, sie so weit aufrichten und so weit aufwecken, wie der Bräutigam es will, und in ihr nicht weniger tun, als es sein Wille erlaubt. 2. Darin besteht nämlich die Vollkommenheit einer liebenden Braut, zu wollen, dass von niemandem gegen die Wünsche und den Willen dessen, den sie liebt, gehandelt wird. Und damit sie dies nachlässig oder träge nicht doch tun, werden sie durch die Mächte des Feldes, das heißt durch die Pflanzen und Büsche, die auf dem Feld sind, und durch seine Kräfte, zweifellos durch das, was auf ihm ausgesät ist, beschworen. 3. In solcher Ordnung und in solcher Anordnung der Worte wollen wir den Text des erzählten Dramas auffassen. Nun also wollen wir untersuchen, was er an verborgenem Sinn in sich birgt. 4. Jede Seele, besonders die, die eine Tochter Jerusalems ist, hat einen eigenen Acker, der ihr durch Jesus als gleichsam geheiligter Anteil an seinen Verdiensten übergeben worden ist. So war auch jener Acker Jakobs, von dessen Wohlgeruch der Patriarch Isaak bewegt in mystischen Worten sprach: „Siehe, der Geruch meines Sohnes ist wie der Geruch eines vollen Ackers, den der Herr gesegnet hat.“b 5. Es hat also eine jede Seele, wie gesagt, ihren Acker. Ihr Leben und ihr Lebenswandel sind nämlich ihr Acker.398 Auf diesem Acker ist die Seele, die aufmerksam und interessiert ist, eifrig tätig und bemüht, alle guten Gedanken zu pflanzen und alle Kräfte des Geistes zu kultivieren, doch nicht nur die Kräfte des Geistes, sondern auch die Kräfte der Taten, durch die offenbar die Dienste an den Geboten erfüllt werden können.399 6. Es besitzt also, wie gesagt, eine jede Seele ihren Acker, den sie bebaut und bepflanzt und besät entsprechend dem, was wir gesagt haben. Es gibt aber auch einen einzigen und gemeinsamen Acker für alle Töchter Jerusalems zugleich, über den Paulus sagt: „Ihr seid Gottes Ackerbau.“c Diesen Acker wollen wir als das gemeinsame Übungsfeld des kirchlichen Glaubens und Lebens verstehen, in dem die himmlischen Mächte und die Kräfte der geistigen Gnadengabend ganz gewiss enthalten sind. Eine jede Seele, die jetzt eine Tochter Jerusalemse genannt wird, weil sie weiß, dass sie das 399 Vgl. dazu in Num. hom. 23,8 (GCS Orig. 7, 219f.).

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Hoheliedkommentar

pellatur sciens, quod matrem habeat HierusaIem caelestem, a conferat aliquid necesse est ad agrum hunc excolendum et caelesti eum possessione dignum cupiat effici. 7. In istius ergo agri uirtutibus uiribusque eleuari caritatem Christi et excitari ab adulescentulis et initia fidei habentibus protestatur ecclesia et dicit ad eas: „Si leuaueritis et excitaueritis caritatem, quoad usque uelit“, b hoc est, si iam in hoc ueneritis, ut incipiatis non agi spiritu timoris, sed spiritu adoptionis, c et in hoc profeceritis, ut perfecta in uobis dilectio foras mittat timorem d et ut eleuetis atque exaltetis in uobis caritatem et excitetis eam, tamdiu eleuate eam et tamdiu extollite, quamdiu ipse uelit filius caritatis, e immo ipse, qui ex Deo est caritas, f ne forte putantes sufficere humanae caritatis mensuras in caritate Dei minus aliquid, quam Deo dignum est, agatis. 8. Mensura enim Dei caritatis haec sola est, ut tantum, quantum ipse uult, diligatur; uoluntas autem Dei eadem semper est nec umquam mutatur. Numquam ergo immutatio aliqua aut finis ullus in Dei caritate recipitur. 9. Notandum sane est, quod non dixit: si acceperitis caritatem, sed: „si leuaueritis“, quasi quae est quidem in uobis, sed iacet et nondum erecta est. Et rursum non dixit: si inueneritis, sed: „si excitaueritis caritatem“, quasi quae sit intrinsecus quidem, sed iaceat et dormiat in iis, donec inueniat suscitantem. Ipsam credo et Paulus suscitabat tunc adhuc in discipulis dormientem, cum dicebat: „Exsurge, qui dormis, et continges Christum.“ g

Hld. 2,8: „Die Stimme meines Geliebten!“ 11,1. „Vox fraterni mei.“ h Frequenter nos admonere conuenit, quod libellus hic in modum dramatis texitur. Praesens enim uersiculus, quem proposuimus, tale aliquid indicat quod, cum sponsae sermo esset ad adulesa g

Gal. 4,26 Eph. 5,14

b

Hld. 2,7 h Hld. 2,8

c

Röm. 8,15

d

1 Joh. 4,18

22 Cf. frg. 27 (Prokop 108 und 109; Barba`ra 23)

400 Siehe dazu in Cant. comm. II 3,5. 401 Siehe in Cant. comm. III 7,4.

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Kol. 1,13

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himmlische Jerusalem400 zur Mutter hat,a muss etwas zur Pflege dieses Ackers beitragen und danach trachten, dass er würdig wird, ein himmlischer Besitz zu sein. 7. Bei den Mächten und Kräften dieses Ackers also, verkündet die Kirche, wird die Liebe zu Christus von den Mädchen und von denen, die über die Anfänge im Glauben verfügen, aufgerichtet und aufgeweckt, und sie sagt zu ihnen, „ob ihr die Liebe aufgerichtet und aufgeweckt habt, wie er es will“,b das heißt: Wenn ihr schon dahin gelangt seid, dass ihr anfangt, euch nicht vom Geist der Furcht, sondern vom Geist der Kindschaftc leiten zu lassen, und bis dahin vorangeschritten seid, dass die vollkommene Liebe in euch die Furcht austreibtd und dass ihr die Liebe in euch aufrichtet und erhöht und sie aufweckt, dann richtet sie solange auf und hebt sie solange empor, wie der Sohn der Liebee selbst es will, oder vielmehr eben der, der die Liebe aus Gott ist,f damit ihr nicht etwa in der Annahme, die Maße der menschlichen Liebe genügten, in der Liebe zu Gott weniger tut, als es Gottes würdig ist. 8. Denn das Maß der Liebe zu Gott ist einzig dies, dass er so stark geliebt wird, wie er selbst es will. Der Wille Gottes aber ist immer derselbe und ändert sich niemals. Niemals wird daher irgendeine Veränderung oder irgendein Ende in der Liebe zu Gott Platz haben.401 9. Man muss freilich beachten, dass er nicht gesagt hat: ob ihr die Liebe empfangen habt, sondern: „ob ihr sie aufgerichtet habt“, als ob sie zwar in euch ist, aber darniederliegt und noch nicht aufgerichtet ist. Und desgleichen hat er nicht gesagt: ob ihr sie gefunden habt, sondern: „ob ihr die Liebe aufgeweckt habt“, so als ob sie sich gewissermaßen schon im Innern befindet, aber darniederliegt und in ihnen schläft, bis sie jemanden findet, der sie aufweckt.402 Eben diese hat, glaube ich, auch Paulus damals aufgeweckt, als sie noch in den Jüngern schlief, als er sagte: „Steh auf, der du schläfst, und du wirst Christus berühren.“g 11. Gegenwart und Abwesenheit des in der Bibel erklingenden Wortes Gottes in der Kirche und in der Seele

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11,1. „Die Stimme meines Geliebten!“h 403 Es obliegt uns, häufig daran zu erinnern, dass dieses kleine Buch nach Art eines Dramas aufgebaut ist. Der vorliegende kurze Vers nämlich, den wir zitiert haben, weist etwa auf Folgendes hin: Während die Braut ihre Rede an die Mädchen, die Töchter 402 In Cant. hom. 2,9 (GCS Orig. 8, 55) erklärt Origenes das so: „Ich beschwöre euch also, Töchter Jerusalems: Weckt, und nicht nur weckt, sondern richtet die Liebe auch auf, die in euch ist! Als der Schöpfer des Alls euch schuf, säte er Samen der Liebe in eure Herzen.“ 403 Zur Semantik von fraternus, das wörtlich „Neffe“ heißt, als „Geliebter“ siehe oben S. 285 Anm. 331 zu in Cant. comm. II 10,1.

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centulas filias Hierusalem, subito quasi eminus senserit uocem sponsi cum aliquibus loquentis, interrupto sermone, quem faciebat ad adulescentulas, sponsa aurem conuerterit ad auditum, qui ad eam peruenerat, et dixerit: „Vox fraterni mei.“ a 2. Sponsum uero intellige primo quidem, antequam appareret oculis sponsae, uoce ei sola agnitum, post haec uero etiam conspectibus eius apparuisse super montes quosdam uicinos illi loco, in quo sponsa morabatur, salientem et magnis quibusdam non tam passibus quam saltibus colles montesque b in modum cerui uel capreae c transcendentem et ita ad sponsam suam omni cum properatione uenientem. 3. Vbi uero ad domum, intra quam sponsa commorabatur, aduenit, stetisse eum paululum intellige post domum, d ita ut sentiretur quidem adesse, nondum tamen domum palam uellet et euidenter intrare, sed prius quasi sub amatoris specie per fenestras e adspicere uelle sponsam. 4. Intellige autem retia quaedam prope domum sponsae et laqueos esse positos, ut, si forte ipsa uel aliqua sodalium eius ex filiabus Hierusalem exisset aliquando, caperetur. Ad ista retia uenisse sponsum, certum quia capi ab iis non posset, sed fortior eorum effectus diruperit ipsa retia, diruptisque iis super ipsa incedens etiam per ipsa prospexerit. f 5. Et postquam hoc opus fecerit, dicat ad sponsam: „Exsurge, ueni proxima mea, sponsa mea, columba mea“, g hoc autem dicat, ut ipso opere ostendat ei, quomodo cum fiducia debeat contemnere iam retia, quae ei tetenderat inimicus, nec timeat laqueos, quos ab se iam uideat esse diruptos; et adhuc ut amplius ad se sponsam prouocet festinare, dicat ei, quia onme iam tempus, quod uidebatur graue, transiuit et hiems, quae ei causa exorta uidebatur, abscessit pluuiaeque inutiles abierunt et tempus iam floridum uenit, h nihil moreris iter aggredi ueniendi ad me. 6. Ecce enim et agricolae, quia ueris iam tempus arrisit, uineas colunt; uox enim cum et aliarum auium tum etiam sonora et grata turturis uernantis auditur. i Sed et ficus de ueris certa temperie germen suum secura producit, uites uero in tantum de temporis tranquillitate non dubitant, ut flores iam suos audeant odoresque proferre. j 7. Haec quidem de tranquillitate temporis indicat sponsae, ut maiore cum fiducia arripere iter audeat pergendi ad sponsum. 8. Sed et locum ei describit, in quo uult eam secum requiescere, et dicit uelamento cuiusdam saxi, quod muro ipsi uel loco promurali contiguum sit, opacissimum quendam effici locum; ad quem uenire eam uult et ablato uelamine ibi eius reuelatam fab Hld. 2,8 Hld. 2,8 h 2,10 Hld. 2,11f.

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Jerusalems, richtete, nahm sie plötzlich gleichsam aus der Ferne die Stimme des Bräutigams wahr, der mit irgendwelchen Leuten sprach, unterbrach die Rede, die sie an die Mädchen richtete, wandte ihr Ohr dem Ton zu, der zu ihr gedrungen war, und sagte: „Die Stimme meines Geliebten!“a 2. Stell dir aber vor, wie der Bräutigam zuerst, bevor er vor den Augen der Braut erschien, einzig an der Stimme von ihr erkannt wurde, danach aber auch ihren Blicken sichtbar wurde, wie er über die Berge, die jenem Ort, an dem die Braut weilte, benachbart waren, dahinsprang und nicht so sehr mit großen Schritten als vielmehr mit großen Sprüngen Hügel und Bergeb wie ein Hirsch oder eine Gazellec überwand und so in aller Eile zu seiner Braut kam. 3. Sowie er aber zu dem Haus gelangte, in dem die Braut weilte, stell dir vor, wie er ein wenig hinter dem Haus stehen blieb,d so dass seine Gegenwart zwar bemerkt wurde, er jedoch das Haus noch nicht offen und sichtbar betreten wollte, sondern zuvor gleichsam wie ein Liebhaber die Braut durch die Fenstere betrachten wollte. 4. Stell dir weiter vor, dass nahe beim Haus der Braut Netze und Stricke angebracht waren, so dass sie selbst oder eine von ihren Gefährtinnen aus den Töchtern Jerusalems, wenn sie denn einmal hinausging, gefangen würde. Zu diesen Netzen kam der Bräutigam in der Gewissheit, dass er von ihnen nicht gefangen werden konnte, sondern weil er stärker als sie war, zerriss er diese Netze, und nachdem sie zerrissen waren, stieg er über sie hinweg und schaute auch durch sie hindurch.f 5. Und nachdem er diese Tat vollbracht hat, sagt er zur Braut: „Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Braut, meine Taube!“g Dies sagt er aber, um ihr durch die Tat selbst zu zeigen, mit welcher Zuversicht sie schon die Netze verachten soll, die ihr der Feind gespannt hat, und dass sie die Stricke nicht fürchtet, die sie schon von ihm zerrissen sieht. Und damit er die Braut noch mehr dazu anstachelt, zu ihm zu eilen, sagt er ihr: Die ganze hart erscheinende Zeit ist schon vergangen, und der Winter, der ihr anscheinend als Ausrede diente, hat sich zurückgezogen, die verderblichen Regenfälle haben aufgehört und die Zeit der Blumen ist schon gekommen.h Zögere nicht, dich auf den Weg zu machen, um zu mir zu kommen! 6. Denn sieh, auch die Bauern bebauen die Weinberge, da die Zeit des Frühlings sie schon angelacht hat. Denn wie die Stimmen der anderen Vögel lässt sich besonders auch die klangvolle und anmutige Stimme der Frühlingstaube hören.i Doch auch der Feigenbaum bringt im Vertrauen auf die milde Wärme des Frühlings getrost seinen Keim hervor, die Weinstöcke aber zweifeln so wenig am ruhigen Wetter der Jahreszeit, dass sie ihre Blüten und Düfte bereits hervorzubringen wagen.j 7. Darauf weist er die Braut bezüglich des ruhigen Wetters der Jahreszeit hin, damit sie mit größerer Zuversicht wagt, sich auf den Weg zum Bräutigam zu machen. 8. Doch auch den Ort beschreibt er ihr, an dem sie mit ihm ruhen soll, und sagt, im Schutz eines bestimmten Felsens, der der Mauer selbst oder einem Ort vor der Mauer nahe ist, sei ein sehr schattiges Plätzchen hergerichtet. Dorthin soll sie kom-

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ciem contueri, ut facie ad faciem innotescat sponso suo et non solum faciem eius reuelatam uideat sponsus et liberam, sed et uocem eius ibi audiat certus iam, quod et facies eius pulchra sit et uox eius suauis ac delectabilis. a 9. Haec autem praeuenientes coniunximus, ne ordinem dramatis et historiae textum uideremur irrumpere. Sed praeuenientes paululum usque ad eum locum fabulae ordinem prosecuti sumus, ubi ait: „Quoniam uox tua suauis, facies tua speciosa.“ b Nunc ergo repetentes uideamus primo, quid est, quod ait: „Vox fraterni mei.“ c 10. Ex uoce sola ab ecclesia sua primo Christus agnoscitur. Primo enim uocem suam praemisit per prophetas et, cum non uideretur, audiebatur tamen. Audiebatur autem per ea, quae annuntiabantur de eo; et tamdiu sponsa, id est ecclesia, quae ab initio saeculi congregabatur, solam uocem eius audiuit, usque quo oculis suis eum uideret et diceret: „Ecce, hic uenit saliens super montes, transiliens super colles.“ d 11. Saliebat enim super propheticos montes et sanctos colles, illos scilicet, qui in hoc mundo imaginem eius formamque gesserunt. 12. Sed et si in apostolis eum ponas quasi in montibus salientem et eminentem cunctis et in collibus nihilominus, his dumtaxat, qui secundo loco electi ab eo et missi sunt, non erit inconueniens. In his enim similis efficitur capreae et hinnulo ceruorum. e Capreae, quod omnem uisum uisus eius praecellit, et ceruo, quod ad interitum serpentis aduenit. 13. Sed et unaquaeque anima – si qua tamen est, quae Verbi Dei amore constringitur –, si quando in disputatione sermonis est posita – ut nouit omnis, qui expertus est, quomodo cum in arctum uenitur et angustiis propositionum quaestionumque concluditur –, si quando eam legis aut prophetarum uel aenigmata uel obscura quaeque dicta concludunt, si forte ada

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14 Cf. frg. 28 (Prokop 112; Barba`ra 24)

404 Die Auslegung der Perikope Hld. 2,8–14, deren Aufbau Origenes vorweg erläutert, erfolgt in den folgenden Kapiteln bis in Cant. comm. III 16(IV 2). 405 Siehe in Cant. comm. II 8,4. 406 Wie die Engel, Mose und die Propheten werden auch die Apostel unter den Bergen bzw. Hügeln verstanden. Vgl. in Hier. hom. 12,12 (GCS Orig. 32, 98): „Leuchtende Berge sind die heiligen Engel Gottes, die Propheten, der Knecht Mose, die Apostel Jesu Christi.“ Siehe auch in Cant. comm. III 12,6. 407 Aus dieser Etymologie erklärt sich die Übersetzung von caprea in Hld. 2,9 mit „Gazelle“: siehe unten S. 376 Anm. 455 zu in Cant. comm. III 13,44. 408 Vgl. Aelian, nat. anim. II 9 (p. 32 Garci´a Valde´s/Llera Fueyo/Rodri´guez-Noriega Guille´n); Plinius, hist. nat. VIII 115, und dazu Origenes, in Cant. hom. 2,11 (GCS Orig. 8, 56f.), wo er den scharfen Blick der Gazelle und die Vorgehensweise des

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men und dort, nachdem er seine Verhüllung abgelegt hat, sein enthülltes Angesicht schauen, damit sie von Angesicht zu Angesicht ihren Bräutigam kennenlernt und der Bräutigam nicht nur ihr Angesicht unverhüllt und frei erblickt, sondern dort auch ihre Stimme hört, wobei er schon sicher ist, dass sowohl ihr Angesicht schön als auch ihre Stimme süß und entzückend ist.a 9. Dies haben wir aber im Vorgriff angefügt, damit wir nicht die Ordnung des Dramas und den Aufbau der Geschichte gewaltsam zu unterbrechen scheinen. Doch ein wenig vorgreifend haben wir die Ordnung der Erzählung bis zu der Stelle verfolgt, wo es heißt: „Denn deine Stimme ist süß, dein Angesicht schön.“b 404 Jetzt also wollen wir zurückgehen und zuerst sehen, was die Aussage bedeutet: „Die Stimme meines Geliebten!“c 10. Einzig an der Stimme wird Christus von seiner Kirche zuerst erkannt. Zuerst nämlich hat er seine Stimme durch die Propheten vorausgeschickt, und obwohl er nicht gesehen wurde, wurde er dennoch gehört. Gehört wurde er aber durch das, was über ihn angekündigt wurde. Und die Braut, das heißt die Kirche, die vom Anfang der Weltzeit an versammelt wurde,405 hörte solange einzig seine Stimme, bis sie ihn mit ihren eigenen Augen sah und sagte: „Siehe, er kommt springend über die Berge, hüpfend über die Hügel.“d 11. Er hüpfte nämlich über die prophetischen Berge und die heiligen Hügel, das heißt über die Propheten und Heiligen, die in dieser Welt sein Bild und seine Gestalt trugen. 12. Doch auch wenn man auf die Apostel bezieht, dass er sozusagen auf den Bergen springt und alle überragt und desgleichen auf den Hügeln, also auf denen, die an zweiter Stelle von ihm erwählt und ausgesandt worden sind, wird das nicht unpassend sein.406 Bei diesen nämlich wird er wie eine Gazelle und wie ein junger Hirsche – wie eine Gazelle, weil sein scharfer Blick jeden Blick übertrifft,407 und wie ein Hirsch, weil er zum Verderben der Schlange auftritt.408 13. Doch auch wenn eine einzelne Seele – wenn es denn eine ist, die von der Liebe zum Wort Gottes gefesselt ist – einmal mit der Untersuchung eines Textes beschäftigt ist – wie jeder weiß, der erlebt hat, wie es ist, wenn man in die Enge gerät und in den Aporien von Behauptungen und Fragen stecken bleibt –, wenn sie einmal die Rätsel oder manche dunkle Aussprüche des Gesetzes oder der Propheten in die Enge treiben, wenn die

Hirsches beim Töten von Schlangen genauer erklärt: „Der Hirsch aber ist der Feind der Schlangen und bekämpft sie so, dass er sie mit dem Atem seiner Nüstern aus den Höhlen herauszieht, ihr verderbliches Gift unschädlich macht und sie mit Vergnügen auffrisst.“ Vgl. zu dieser in der Antike verbreiteten Legende physiol. 30 (p. 260 Lauchert), dazu Lauchert, Physiologus 27. 71, und bei Origenes zudem in Hier. hom. 18,9 (GCS Orig. 32, 163); in Matth. comm. XI 18 (GCS Orig. 10, 66). Viele weitere Belege aus paganer, jüdischer und christlicher Literatur und Kunst bei Domagalski, Hirsch 151–160.

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esse eum sentiat anima et eminus sonitum uocis eius accipiat, subleuatur statim. 14. Et ubi magis ac magis propiare sensibus eius coeperit et illuminare, quae obscura sunt, tunc eum uidet salientem supra montes et colles, altae scilicet et excelsae sensus sibi intelligentiae suggerentem, ita ut merito dicat haec anima: „Ecce, hic uenit saliens super montes, transiliens super colles.“ a 15. Haec autem dicimus non immemores, quod iam et in superioribus coram positus praesenti collocutus sit sponsae; sed quoniam, ut saepe diximus, dramatis speciem libellus hic continet, nunc in praesenti dicuntur aliqua, nunc etiam in absenti; et sic agitur immutatio personarum, ut uterque ordo competenter dirigi uideatur. 16. Quamuis enim promittat sponsus et dicat ad sponsam suam, qui sunt electi discipuli eius, quia: „Ecce, ego uobiscum sum omnibus diebus usque ad consummationem saeculi“, b tamen iterum per parabolas dicit, quia paterfamilias uocauit seruos suos et unicuique distribuit pecuniam negotiandi gratia et profectus est, c et iterum dicit, quia abiit petere sibi regnum, d et iterum quasi de absente sponso dicitur, quia media nocte clamor factus est dicentium, quia uenit sponsus. e 17. Sic ergo nunc praesens est sponsus et docet, nunc absens dicitur et desideratur; et utrumque uel ecclesiae uel animae studiosae conueniet. Cum enim pati persecutiones et tribulationes permittit ecclesiam, absens ei uidetur; et rursum cum in pace proficit et in fide ac bonis operibus floret, praesens ei esse intelligitur. 18. Sic et animae, cum quaerit aliquem sensum et agnoscere obscura quaeque et arcana desiderat, donec inuenire non potest, absens ei sine dubio est Verbum Dei. Vbi uero occurrerit et apparuerit, quod requiritur, quis dubitat adessse Verbum Dei et illuminare mentem ac scientiae ei lumen praebere? 19. Et iterum subduci nobis eum atque iterum adesse sentimus per singula, quae aut aperiuntur aut clauduntur in sensibus nostris. Et a

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Mt. 28,20

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Mt. 25,14f.

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Lk. 19,12

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Mt. 25,6

409 Origenes bespricht schon hier den Teil von Hld. 2,8, den er eigentlich erst im folgenden Kapitel (in Cant. comm. III 12) auslegt, weshalb diese beiden Kapitel (III 11 und 12) enger zusammengehören. Baehrens, GCS Orig. 8, 204.6, hat diese beiden Kapitel daher nicht durch einen Absatz getrennt. 410 Zum „Licht der Erkenntnis“ siehe in Cant. comm. II 5,19 und dazu oben S. 238 Anm. 259. 411 Im parallelen Passus hierzu in Cant. hom. 1,7 (GCS Orig. 8, 39) bekennt Origenes, dass er eben dies oft erlebt hat: „Oft, Gott ist mein Zeuge, sah ich den Bräutigam sich mir nahen und ganz nahe bei mir sein. Aber da er sich plötzlich zurückzog, vermochte ich nicht zu finden, was ich suchte. Erneut also sehne ich seine Ankunft herbei, und manchmal kommt er wieder. Und wenn er erscheint und von meinen Händen ergriffen wird, entgleitet er wieder, und wenn er entglitten ist, wird er von

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Seele dann vielleicht merkt, dass er da ist, und von fern den Klang seiner Stimme vernimmt, wird sie sogleich aufgerichtet. 14. Und sobald er anfängt, sich ihren Sinnen mehr und mehr zu nähern und zu erleuchten, was dunkel ist, dann sieht sie ihn über die Berge und die Hügel springen, das heißt ihr die Gedanken eines hohen und erhabenen Verstehens eingeben, so dass diese Seele zu Recht sagt: „Siehe, er kommt springend über die Berge, hüpfend über die Hügel.“a 409 15. Dies aber sagen wir, ohne zu vergessen, dass er auch schon in den vorausgehenden Passagen persönlich anwesend mit der Braut in ihrer Gegenwart gesprochen hat. Aber da, wie wir oft gesagt haben, dieses kleine Buch die Form eines Dramas aufweist, werden manche Dinge das eine Mal in der Gegenwart einer Person, das andere Mal auch in ihrer Abwesenheit gesagt. Und der Wechsel der Personen läuft so ab, dass beide Arrangements offenbar angemessen durchgeführt werden. 16. Auch wenn nämlich der Bräutigam seiner Braut verspricht – die Braut steht für die auserwählten Jünger – und zu ihr sagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt“,b sagt er doch andererseits mit Hilfe von Gleichnissen, dass der Hausvater seine Diener rief und einem jeden Geld gab, um Handel zu treiben, und dann abreiste;c und desgleichen sagt er, dass er fortging, um sich ein Königreich zu erwerben,d und noch einmal wird wie über den abwesenden Bräutigam gesagt, dass mitten in der Nacht ein Lärm entstand, weil es hieß, der Bräutigam komme.e 17. So ist also der Bräutigam das eine Mal anwesend und lehrt, das andere Mal wird er als abwesend bezeichnet und sehnsüchtig erwartet. Und beides passt entweder auf die Kirche oder auf die lernbegierige Seele. Wenn er nämlich zulässt, dass die Kirche Verfolgungen und Bedrängnisse erleidet, scheint er abwesend zu sein. Und wenn sie andererseits im Frieden voranschreitet und im Glauben und in guten Werken blüht, merkt man seine Anwesenheit. 18. So ergeht es auch der Seele: Wenn sie einen Sinn sucht und etwas Verborgenes und Geheimes zu erkennen begehrt, ist ihr, solange sie es nicht finden kann, das Wort Gottes zweifellos abwesend. Sobald das Gesuchte aber auftaucht und aufscheint, wer zweifelt dann, dass das Wort Gottes anwesend ist und den Verstand erleuchtet und ihm das Licht der Erkenntnis410 gewährt? 19. Und wie er sich uns wiederum entzieht und dann wieder da ist, erleben wir in den einzelnen Dingen, die unseren Sinnen entweder eröffnet oder verschlossen werden.411 Und dies

mir erneut gesucht, und dies tut er häufig, bis ich ihn wirklich festhalte und hinaufsteige, gestützt auf meinen Geliebten.“ Origenes spricht hier nicht von einer mystischen, sondern (wie auch in Cant. comm. III 14,10) von einer exegetischen Erfahrung. Die erotische Ausstrahlung von Sprache („pleasure of the text“) und speziell des hoch erotischen Hoheliedtextes („text of pleasure“) in der Hoheliedauslegung des Origenes beschreibt äußerst erhellend Cox Miller, Eros and Language.

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hoc eo usque patimur, donec tales efficiamur, ut non solum frequenter reuisere nos, sed et manere dignetur apud nos, secundum quod interrogatus a quodam discipulo dicente: „Domine, quid est factum, quod incipis nobis manifestare temet ipsum et non huic mundo?“ a respondit Saluator: „Si quis diligit me, uerbum meum custodit, et Pater meus diligit eum, et ad ipsum ueniemus et mansionem apud eum faciemus.“ b 20. Si ergo et nos uolumus uidere Verbum Dei atque animae sponsum salientem supra montes et exsultantem super colles, c primo audiamus uocem eius et, cum audierimus eum in omnibus, tunc etiam eum uidere poterimus secundum ea, quae in praesenti loco uidisse describitur sponsa. Nam et ipsa quamuis et prius eum uiderit, non eum tamen ita uidit ut nunc salientem super montes et exsultantem super colles neque per fenestras suas procumbentem neque per retia prospicientem, d sed magis uidetur, quod prius hiemis tempore eum uiderit. 21. Nunc enim primum dicit ei: „Quia hiems transiit.“ e Igitur, ut res indicat, etiam per hiemem sponsae suae apparet, id est tribulationum et tentationum tempore. Sed alia est illa uisitatio, in qua uisitatur paululum et iterum deseritur, ut probetur, ac rursus requiritur, ut caput eius sustentetur et ut tota complectatur, f ne forte aut in fide titubet aut corpus eius tentationum pondere praegrauetur. Et ideo uidetur mihi hiems fuisse illud tempus, cum caput suum, fidei scilicet summitatem, laeua sponsi contineri poscebat et dextera eius omne corpus amplecti. 22. Nunc autem ista uisio, quae de montibus apparet et collibus, gratiarum puto spiritalium altitudines potentiasque designet. Sed et per fenestras quod prospicere dicitur, sensibus mihi animae uidetur lumen praebere. Et retia, quae dirumpit et conterit, laqueos indicari diabolicos puto, utpote tentationum tempore tamquam hieme iam peracto. 23. Ostenduntur etiam signa ueris et aestatis, sicut in Psalmis dictum est: „Aestatem et uer, tu fecisti ea.“ g Inde denique et flores profectuum protulit ecclesia tentationibus superatis et putationis dispensatione transacta, sicut suis in locis, cum ad haec disserenda uentum fuerit, ostendetur. a g

Joh. 14,22 Ps. 73(74),17

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erleiden wir solange, bis wir so geworden sind, dass er uns würdigt, uns nicht nur oft zu besuchen, sondern auch bei uns zu bleiben, so wie der Erlöser auf die Frage eines Jüngers: „Herr, wie kommt es, dass du anfängst, dich selbst zwar uns zu offenbaren, aber nicht dieser Welt?“,a antwortete: „Wenn jemand mich liebt, hält er mein Wort, und mein Vater liebt ihn, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“b 20. Wenn also auch wir das Wort Gottes und den Bräutigam der Seele über die Berge springen und über die Hügel hüpfenc sehen wollen, wollen wir zuerst seine Stimme hören, und wenn wir ihn in allem gehört haben, dann werden wir ihn auch so sehen können, wie an der vorliegenden Stelle beschrieben wird, dass die Braut ihn gesehen hat. Denn auch wenn sie ihn schon vorher gesehen hat, sah sie ihn doch nicht so wie jetzt über die Berge springen und über die Hügel hüpfen und auch nicht sich durch ihre Fenster beugen noch durch Netze schauen,d sondern es scheint vielmehr, dass sie ihn vorher zur Zeit des Winters gesehen hat. 21. Jetzt nämlich sagt er zum ersten Mal zu ihr: „Denn der Winter ist vorüber.“e Folglich – darauf verweist dieser Sachverhalt – erscheint er seiner Braut auch während des Winters, das heißt in der Zeit der Bedrängnisse und Versuchungen. Anders verhält es sich aber mit jenem Besuch, bei dem sie nur kurz besucht und dann wieder verlassen wird, um sie zu prüfen, und erneut aufgesucht wird, um ihr Haupt zu stützen und sie ganz zu umarmen,f damit sie nicht etwa im Glauben wankt oder ihr Leib von der Last der Versuchungen erdrückt wird. Und daher scheint mir der Winter jene Zeit gewesen zu sein, in der sie forderte, dass ihr Haupt, also der Gipfel des Glaubens, von der Linken des Bräutigams gehalten wird und seine Rechte ihren ganzen Leib umarmt. 22. Diese Vision jetzt aber von den Bergen und Hügeln bezeichnet, meine ich, die Höhen und die Kräfte der geistigen Gaben. Doch auch die Aussage, dass er durch die Fenster schaut, scheint mir zu bedeuten, dass den Sinnen der Seele Licht geboten wird. Und die Netze, die er zerreißt und zertritt, stehen, meine ich, für die teuflischen Stricke, da ja die Zeit der Versuchungen wie der Winter schon vorbei ist. 23. Auch die Zeichen des Frühlings und des Sommers werden dargestellt, wie in den Psalmen gesagt ist: „Sommer und Frühling, du hast sie gemacht.“g Von da an hat die Kirche schließlich auch Blumen der Fortschritte hervorgebracht, da die Versuchungen überwunden sind und die Arbeit des Beschneidens vorbei ist, wie an Ort und Stelle gezeigt werden wird, wenn wir zu diesen Erörterungen kommen.412

412 Siehe in Cant. comm. III 15(IV 1),6f.

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Hld. 2.8: „Siehe, er kommt springend über die Berge, hüpfend über die Hügel.“ 12,1. „Ecce hic uenit saliens super montes, transiliens super colles.“ a Historicum ordinem iam superius exsecuti sumus. Nunc autem, quomodo Christus ad ecclesiam ueniens saliat super montes et exiliat super colles, uidendum est (exiliens enim magis quam transiliens propositi sermonis proprietas habet). 2. Isaac enim ambulans et progrediens maior fiebat, usque quo fı`eret magnus ualde. b Paulus autem non iam ambulando profecit, sed currendo, cum dicit: „Cursum consummaui.“ c Saluator autem noster et ecclesiae sponsus neque ambulare neque currere, sed super haec salire dicitur et exilire. 3. Si enim consideres, quomodo parui temporis spatio occupatum falsis superstitionibus mundum sermo Dei percucurrit et ad agnitionem uerae fidei reuocauit, intelliges, quomodo saliat super montes – magna quaeque uidelicet regna saltibus suis superans et ad recipiendam cognitionem diuinae religionis inclinans – et exiliat super colles, cum etiam minora regna uelociter subiugat atque ad pietatem ueri cultus adducit, et sic de loco ad locum, de regno ad regnum, de prouinciis ad prouincias praedicationis illustratione transiliens per eum, qui dicebat quia: „Ab Hierusalem in circuitu usque ad Illyricum repleuerit euangelium Dei“, d intelliges, quomodo super montes saliens ueniat et exiliens super colles. 4. Sed et alio modo potest intelligi, sicut supra iam diximus, quoniamquidem Moyses de ipso scripsit e et prophetae nihilominus de ipso adnuntiauerunt. Sed et haec adnuntiatio in lectione ueteris testamenti uelamen habet superpositum; ubi uero sponsae, ecclesiae scilicet ad Deum conuersae, ablatum est uelamem, f subito uidet eum in istis montibus, legis dumtaxat Hld. 2,8 3,14.16

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Gen. 26,13

c

2 Tim. 4,7

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Röm. 15,19

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Joh. 5,46

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2 Kor.

413 In Cant. comm. III 11,1–8 hat Origenes die dramatische Erzählfolge von Hld. 2,8–14 insgesamt erklärt. 414 Rufinus bietet verschiedene Übersetzungen für das dialloÂmenow („hüpfen“) der Septuaginta in Hld. 2,8: in der Wiedergabe des Verses meist, wie in der Vulgata, transiliens (in Cant. comm. III 11,10.14; III 12,1), als Variante einmal exsultans (ebd. III 11,20), während er hier exiliens (III 12,1–3) bevorzugt. In der Sache ergeben alle diese Übersetzungen nicht wirklich einen Unterschied: „hinüberspringen“ (transiliens), „hinwegspringen“, „herausspringen“ (exiliens; exsultans). Allenfalls könnte man vielleicht sagen, „hinwegspringen“ sei angemessener als „hüpfen“, weil es weniger despektierlich klingt. 415 Origenes interpretiert das Springen und Hüpfen des Bräutigams als Weissagung über die rasante Ausbreitung des Christentums, die es bis zu seiner Zeit erreicht hatte. Sein enormes Wachstum, das er u.a. auch in princ. II 7,2 (GCS Orig. 5, 149) voraussetzt: nunc autem innumerae sunt multitudines credentium – „jetzt aber gibt es eine

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12. Die rasche Ausbreitung des Wortes Gottes in der Welt und seine Offenbarung in der Bibel und in der Seele

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12,1. „Siehe, er kommt springend über die Berge, hüpfend über die Hügel.“a Die Erzählfolge haben wir schon weiter oben dargelegt.413 Jetzt aber müssen wir uns anschauen, wie Christus, wenn er zur Kirche kommt, über die Berge springt und über die Hügel hinwegspringt (,hinwegspringend‘ ist nämlich ein geeigneterer Ausdruck für das vorliegende Wort als ,hüpfend‘414). 2. Isaak wurde nämlich im Gehen und Voranschreiten größer, bis er sehr groß wurde.b Paulus aber schritt nicht mehr voran, indem er ging, sondern indem er lief, wenn er sagt: „Ich habe meinen Lauf vollendet.“c Von unserem Erlöser aber und dem Bräutigam der Kirche heißt es weder, dass er geht, noch, dass er läuft, sondern dass er über diese Berge springt und hinwegspringt. 3. Wenn du nämlich bedenkst, in was für einem kleinen Zeitraum das Wort Gottes die von falschen Glaubensvorstellungen besessene Welt durcheilt und zur Erkenntnis des wahren Glaubens zurückgerufen hat, wirst du verstehen, wie es über die Berge springt – indem es nämlich alle großen Reiche mit seinen Sprüngen überwindet und dazu bringt, die Erkenntnis der göttlichen Religion anzunehmen – und wie es über die Hügel hinwegspringt, indem es auch die kleineren Reiche schnell unterwirft und zur Frömmigkeit der wahren Gottesverehrung führt. Und indem es so von Ort zu Ort, von Reich zu Reich, von Provinzen zu Provinzen hüpft und sie durch die Verkündigung erleuchtet, wirst du durch den, der sagte: „Von Jerusalem aus erfüllte er alles ringsum bis nach Illyrien mit dem Evangelium Gottes“,d verstehen, wie er kommt, indem er über die Berge springt und über die Hügel hinwegspringt.415 4. Doch dies kann noch auf eine andere Weise verstanden werden, wie wir oben schon gesagt haben,416 da ja Mose über ihn geschrieben hate und die Propheten ihn ebenso angekündigt haben. Doch auch diese Ankündigung hat bei der Lesung des Alten Testaments eine Hülle auf sich liegen. Sowie jedoch der Braut, nämlich der Kirche, die sich Gott zugewandt hat, die Hülle abgenommen ist,f sieht sie ihn plötzlich auf diesen Bergen, das

unzählbare Menge von Gläubigen“, gilt ihm als Beweis für den göttlichen Ursprung der christlichen Botschaft: Cels. VIII 43 (GCS Orig. 2, 257); vgl. ferner ebd. VII 26 (2, 177) sowie in Cant. comm. II 1,55. Mit diesen Aussagen fügt sich Origenes in die altkirchliche Vorstellung von der weltweiten Ausbreitung des Christentums binnen kürzester Zeit ein – vgl. noch princ. IV 1,1–5 (GCS Orig. 5, 292–301); in Num. hom. 12,2 (GCS Orig. 7, 100); Cels. II 30 (GCS Orig. 1, 158) –, lässt andernorts aber auch die realistischere Perspektive erkennen, dass noch nicht die ganze Welt missioniert ist: in Matth. comm. ser. 39 (GCS Orig. 11, 76). Siehe dazu Fürst, Bis ans Ende der Erde, bes. 268f. 277f. 285. 416 Siehe z.B. in Cant. comm. I 2,22 oder auch ebd. III 11,13.

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uoluminibus, salientem et in collibus scripturae propheticae pro aperta et euidenti manifestatione non tam apparentem quam exilientem, uerbi gratia, quasi si reuoluens singulas propheticae lectionis paginas inueniat de ipsis exilientem Christum et per loca singula lectionum ablato nunc demum, quo prius tegebatur, uelamine ebullire eum cernat et emergere atque euidenti iam manifestatione prorumpere. 5. Ob hoc credo et ipse Iesus, cum ad transformandum uenit, non in aliqua planitie aut in conualle fuit, sed montem adscendit et ibi transformatus est, a ut scias eum semper in montibus aut in collibus apparere, ut et te doceat, ne usquam eum nisi in legis et prophetarum montibus quaeras. 6. Quod autem sancti quique montes appellantur, multis scripturae locis inuenies indicari, sicut ait in Psalmis: „Fundamenta eius in montibus sanctis“ b et iterum: „Leuaui oculos meos in montes, unde ueniet auxilium mihi.“ c Auxilium namque in tribulationibus ex scripturarum diuinarum sensibus capimus. 7. Possumus adhuc et montes, in quibus salire Verbum Dei dicitur et quasi liberius efferri, nouum accipere testamentum, colles uero, de quibus quasi diu compressus et occultatus exiliit, ueteris testamenti sentire uolumina. 8. Sed et apud Hieremiam uenatores et piscatores, qui mittuntur capere homines ad salutem, in montibus et collibus eos capere dicuntur; sic enim ait: „Ecce, mitto multos piscatores et multos uenatores, et capient eos super omnem montem et super omnem collem.“ d Quod ego magis ad futurum tempus in consummatione saeculi implendum puto, ut, cum missi fuerint angeli secundum euangelicam parabolam messis tempore, ut separent frumenta a zizaniis, e qui excelsioris uitae et eminentioris fuerit conuersationis, iste in montibus inueniatur aut in collibus, non inueniatur in humilibus et deiectis locis nec ibi, ubi mixtus uideatur esse zizaniis, sed in excelsioribus sensibus et in eminentia fidei positus, salienti in montibus Verbo Dei et exilienti in collibus semper adhaerens. 9. Quod per aliam nihilominus parabolam, sub eodem tamen intellectu dicitur in euangelio: „Si quis in tecto est, non descendat tollere aliquid de domo.“ f a f

Mt. 17,1f. Mt. 24,17

b

Ps. 86(87),1

c

Ps. 120(121),1

d

Jer. 16,16

e

Mt. 13,24–30

417 Auch bei der Auslegung der Verklärungsperikope in Matth. comm. XII 38 (GCS Orig. 10, 154f.) stellt Origenes einen Bezug zum Bibeltext her, und zwar sowohl zum Wortlaut der Evangelien als auch zum Gesetz und zu den Propheten. 418 Dieser Psalm ist zum selben Thema auch herangezogen in Num. hom. 15,1 (GCS Orig. 7, 130) und in Hier. hom. 12,12 (GCS Orig. 32, 98), zitiert oben S. 348 Anm. 406 zu in Cant. comm. III 11,12. 419 Zur soteriologischen Geographie von ,oben‘ und ,unten‘, von ,Berg‘ und ,Tal‘, siehe die Bemerkungen bei Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 616 Anm. 1, und Fürst, OWD 7, 130 Anm. 23, sowie etwa folgende Origenesstellen: in Gen. hom. 8,7 (GCS Orig. 6, 82); in Num. hom. 12,2 (GCS Orig. 7, 98); in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 243); in Regn. hom. lat. 5 (GCS Orig. 8, 7): „Also kommt der Gerechte

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heißt in den Bänden des Gesetzes, springen und auf den Hügeln der prophetischen Schrift wegen der offenen und einleuchtenden Offenbarung nicht so sehr erscheinen als vielmehr herausspringen. So findet sie zum Beispiel, wenn sie die einzelnen Seiten der prophetischen Lesung durchblättert, wie Christus aus ihnen gleichsam herausspringt. Nachdem nun endlich die Hülle, die ihn vorher bedeckte, weggenommen ist, sieht sie ihn an den einzelnen Stellen der Lesungstexte hervorsprudeln und auftauchen und in einer nunmehr einleuchtenden Offenbarung hervorbrechen. 5. Deshalb, glaube ich, war auch Jesus selbst, als er zur Verklärung kam, nicht in irgendeiner Ebene noch in einem Tal, sondern stieg auf einen Berg und wurde dort verklärt,a damit du erkennst, dass er immer auf Bergen oder auf Hügeln erscheint, damit er auch dich lehrt, ihn nirgendwo anders zu suchen als in den Bergen des Gesetzes und der Propheten.417 6. Einen Hinweis darauf aber, dass alle Berge heilig genannt werden, wirst du an vielen Stellen der Schrift finden, wie es zum Beispiel in den Psalmen heißt: „Seine Fundamente sind auf den heiligen Bergen“b 418 und erneut: „Ich erhob meine Augen zu den Bergen, woher mir Hilfe kommen wird.“c In Anfechtungen nämlich erhalten wir Hilfe von den Inhalten der göttlichen Schriften. 7. Wir können außerdem die Berge, auf denen, wie es heißt, das Wort Gottes springt und gleichsam freier herauskommt, auch als das Neue Testament auffassen, die Hügel hingegen, aus denen es, nachdem es gleichsam lange verschlossen und verborgen war, hervorspringt, als die Bände des Alten Testaments begreifen. 8. Doch auch bei Jeremia wird von den Jägern und Fischern, die ausgeschickt werden, um die Menschen zum Heil zu fangen, gesagt, dass sie sie auf Bergen und Hügeln fangen. So nämlich heißt es: „Siehe, ich schicke viele Fischer und viele Jäger, und sie werden sie auf jedem Berg und auf jedem Hügel fangen.“d Dies, glaube ich, wird sich eher in der Zukunft bei der Vollendung der Welt erfüllen. Wenn nach dem Gleichnis im Evangelium zur Zeit der Ernte die Engel geschickt werden, um das Getreide von der Spreu zu trennen,e wird derjenige, der ein erhabeneres Leben und eine hervorragendere Lebensweise vorzuweisen hat, auf den Bergen beziehungsweise auf den Hügeln angetroffen. Er wird nicht an niederen und tief liegenden Orten angetroffen noch dort, wo er mit Spreu vermischt zu sein scheint, sondern wenn er sich in erhabeneren Gedanken und in der Erhabenheit des Glaubens befindet und beständig dem auf den Bergen springenden und auf den Hügeln hervorspringenden Wort Gottes anhängt.419 9. Dies wird gleichermaßen durch ein anderes Gleichnis, doch im selben Sinne im Evangelium gesagt: „Wenn einer auf dem Dach ist, soll er nicht herabsteigen, um etwas aus dem Haus zu holen.“f 420 nicht aus den Tälern, nicht aus den Ebenen, nicht aus irgendwelchen niedriger gelegenen Orten, ja noch nicht einmal aus den Hügeln. Er kommt ,vom Gebirge‘ (1 Sam. 1,1).“ Übersetzung: Fürst, OWD 7, 131.

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10. Potest adhuc et alium nobis sensum praediues iste praesentis uersiculi sermo suggerere. Possibile namque est omnem, qui plena fide credit in Deum, uel montem uel collem appellari, pro qualitate scilicet uitae et magnitudine intelligentiae; etiamsi fuit aliquando uallis, proficiente in eo Iesu aetate et sapientia et gratia a omnis uallis replebitur b (superbi autem quique et elati ut montes et colles humiliabuntur, quoniam „qui se exaltat, humiliabitur, et qui se humiliat, exaltabitur“ c). De ipsis enim dicitur: „Qui confidunt in Domino sicut mons Sion“ d et de Hierusalem dicitur: „Montes in circuitu eius.“ e 11. Vnde puto, quod merito etiam Saluator noster, quoniam et ipse dicitur lapis de monte excisus sine manibus et factus esse mons magnus, f sicut rex regum g et pontificum pontifex, h potest etiam mons montium appellari. 12. Verum ut etiam tertia expositio habeat locum, ad unamquamque animam sermo reuocetur. Si qui sunt capaciores Verbi Dei, qui ab Iesu aquam sibi datam biberunt, et haec facta est in iis fons aquae uiuae salientis in uitam aeternam, in his scilicet, in quibus Verbum Dei crebris sensibus et copiosis uelut perennibus ebullit fluentis, in his uitae ac scientiae et doctrinae merito montibus et collibus effectis dignissime salire Verbum Dei dicitur et exilire factus in iis per affluentiam doctrinae fons aquae uiuae salientis in uitam aeternam. i a f

Lk. 2,52 Dan. 2,34f.

b

c Lk. 3,5 Lk. 18,14 h 1 Tim. 6,15 Hebr. 4,14

g

d

Ps. 124(125),1 i Joh. 4,14

e

Ps. 124(125),2

420 Ebenso erklärt Origenes diesen Bibelvers in Num. hom. 17,5 (GCS Orig. 7, 164): „Und deshalb, glaube ich, sagte auch der Erlöser selbst: ,Wer auf dem Dach ist, soll nicht herabsteigen, um etwas aus dem Haus zu holen‘ (Mt. 24,17), womit er dazu ermahnt, dass die, die eine herausragende Vollkommenheit erlangt haben, nicht erneut zu den niedrigen und verworfenen Dingen dieser Welt, die jetzt als Haus bezeichnet wird, herabsteigen.“ 421 Über die Geburt und das Wachstum Christi in jedem Gläubigen, die Origenes hier nur kurz andeutet, siehe explizit in Cant. hom. 2,6 (GCS Orig. 8, 51). 422 Da die Argumentationskette durch den Inhalt der Klammer unterbrochen wird (de

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10. Diese überaus reichhaltige Aussage des vorliegenden Verses kann uns auch noch einen anderen Sinn vermitteln. Man kann nämlich jeden, der mit vollem Vertrauen an Gott glaubt, Berg oder Hügel nennen, und zwar wegen der Beschaffenheit seines Lebens und der Größe seiner Einsicht. Auch wenn er einmal ein Tal gewesen ist – sobald Jesus in ihm421 an Alter und Weisheit und Gnade zunimmt,a wird jedes Tal aufgefüllt werdenb (alle Hochmütigen und Stolzen aber werden wie Berge und Hügel erniedrigt werden, denn „wer sich erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden“c).422 Über diese heißt es nämlich: „Die auf Gott vertrauen, sind wie der Berg Zion“,d und über Jerusalem heißt es: „Von Bergen ist es umgeben.“e 423 11. Deshalb glaube ich, dass zutreffend auch unser Erlöser, da ja auch über ihn gesagt wird, er sei ein Fels, der ohne Zutun von Händen aus einem Berg herausgebrochen wurde und zu einem großen Berg geworden ist,f so wie König der Königeg und Priester der Priesterh auch Berg der Berge genannt werden kann.424 12. Doch damit die Stelle noch eine dritte Auslegung erfährt, wollen wir die Aussage auf jede Seele beziehen. Wenn einige, die das ihnen von Jesus gereichte Wasser getrunken haben, für das Wort Gottes aufnahmefähiger sind und dieses Wasser in ihnen zu einer Quelle des lebendigen Wassers geworden ist, das zum ewigen Leben sprudelt – in denen nämlich, in denen das Wort Gottes in zahlreichen und reichhaltigen und gleichsam unablässig fließenden Gedanken hervorsprudelt425 –, so heißt es von diesen, da sie für ihr Leben und ihre Erkenntnis und ihre Lehre zu Bergen und Hügeln geworden sind, in höchst angemessener Weise, dass in ihnen das Wort Gottes sprudelt und entspringt, da es in ihnen durch die Reichhaltigkeit der Lehre zu einer Quelle lebendigen Wassers geworden ist, das zum ewigen Leben sprudelt.i

ipsis im nächsten Satz bezieht sich auf die vor der Klammer angesprochene Personengruppe), halten Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 618 Anm. 3, dies für einen Nachtrag des Rufinus oder eines späteren Kopisten. 423 Zu Ps. 124(125),2 neben Ps. 121(122),3 vgl. in Num. hom. 15,1 (GCS Orig. 7, 130f.). 424 Siehe zu dieser Form der Bildung des Superlativs in Cant. comm. prol. 4,1f. 425 Man ist versucht zu verstehen: so wie in Origenes, und das dürfte nicht abwegig sein.

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Hoheliedkommentar

Hld. 2,9: „Mein Geliebter gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch auf den Bergen von Bethel.“

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13,1. „Similis est fraternus meus capreae uel hinnulo ceruorum in montibus Bethel.“ a Caprea uel ceruus quod inter munda habeantur animalia, manifeste ex his, quae in Deuteronomio scripta sunt, indicatur; est enim hoc modo scriptum: „Haec autem sunt animalia, quae manducabitis: uitulum et agnum ex pecoribus et hircum ex capris, ceruum et capream et bubalum et tragelaphum et ibicem et camelopardalum.“ b 2. Sed et quod sanctus ceruo comparetur, in multis scripturae diuinae locis refertur, ut in psalmo, ubi dicit: „Sicut ceruus desiderat ad fontes aquarum, ita desiderat anima mea ad te, Deus.“ c 3. Verumtamen in sermonibus, quos ex Deuteronomio assumpsimus, etiam hoc non negligenter considerandum uidetur, quam dignum in animalibus mundis enumerandis ordinem tenuit, ut primo uitulum, secundo agnum, tertio hircum scriberet. In his uero, quae secundum eundem Moysen non offeruntur ad altare, primo ceruum, secundo capream ponit, et ita post haec reliqua per ordinem scribit animantia. Quorum ratio his, quibus abundantior gratia spiritalis d in dono scientiae concessa est per Spiritum Sanctum, manifesta et euidens fiet. 4. Nobis interim, quoniam de ceruo et caprea dicere nunc in expositione praesentis uersiculi incumbit, conueniens uidetur ex scripturis diuinis congregare pro uiribus, quae de his animalibus referuntur, de quibus idem Moyses, cum de carnibus loqueretur, quae in omni desiderio animae comederentur non oblatae ad altare, sicut caprea, inquit, et ceruus. e 5. Egregium uero quid duodetricesimus psalmus, ubi de uirtutibus et efficacia uocis Dei per ordinem scribit, de ceruo hoc modo dicit: „Vox Domini perficientis a

Hld. 2,9

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Dtn. 14,4f.

c

Ps. 41(42),2

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Röm. 1,11

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Dtn. 12,20–22

426 Zu dieser Bedeutung von fraternus siehe oben S. 285 Anm. 331 zu in Cant. comm. II 10,2f. 427 Zur Übersetzung von caprea mit „Gazelle“ siehe unten S. 376 Anm. 455 zu in Cant. comm. III 13,44. 428 Bubalus ist nach Plinius, hist. nat. VIII 38, entweder die (afrikanische) Gazelle oder der Büffel. 429 Der tragelaphus ist laut Plinius, hist. nat. VIII 120, eine Hirschart mit dem Bart eines Ziegenbocks. Während es sich vermutlich um den Steinbock handelt, behandelt Origenes, princ. IV 3,2 (GCS Orig. 5, 325f.), den tragelaphus als nicht existierendes Fabeltier. Siehe dazu die Erläuterungen von Crouzel/Simonetti, SC 269, 196f. Anm. 10. 430 Zur Beschreibung dieses Tieres und zur Ableitung seines Namens siehe Plinius, hist. nat. VIII 69. 431 Origenes möchte auch hinter der Reihenfolge der genannten Tiere einen höheren Sinn erkennen, will oder kann diesen aber im Augenblick nicht enthüllen. Ent-

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13. Die symbolische Sinnstruktur des Seins und die rationale Erkenntnis des Geistigen aus dem Sichtbaren in den Dingen der Welt und im Text der Bibel

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13,1. „Mein Geliebter426 gleicht einer Gazelle427 oder einem jungen Hirsch auf den Bergen von Bethel.“a Dass die Gazelle beziehungsweise der Hirsch zu den reinen Tieren gezählt werden, ergibt sich deutlich aus dem, was im Deuteronomium geschrieben steht. Dort steht nämlich Folgendes: „Dies aber sind die Tiere, die ihr essen werdet: das Kalb und das Lamm vom Weidevieh und den Bock von den Ziegen, den Hirsch und das Reh und die Gazelle428 und den Bockhirsch429 und den Steinbock und die Giraffe430.“b 2. Doch auch, dass der Heilige mit dem Hirsch verglichen wird, wird an vielen Stellen der göttlichen Schrift berichtet, etwa in dem Psalm, wo es heißt: „Wie ein Hirsch sich nach Wasserquellen sehnt, so sehnt sich meine Seele nach dir, Gott.“c 3. Gleichwohl scheint man bei den Worten, die wir aus dem Deuteronomium angeführt haben, auch nicht vernachlässigen zu dürfen, was für eine angemessene Ordnung es bei der Aufzählung der reinen Tiere eingehalten hat, dass es zuerst das Kalb, zweitens das Lamm, drittens den Ziegenbock hinschrieb. Bei denen hingegen, die laut demselben Mose nicht auf dem Altar geopfert werden, notiert er erstens den Hirsch, zweitens das Reh, und nach diesen schreibt er die übrigen Tiere der Reihe nach hin. Der Grund dafür wird denen, denen durch den Heiligen Geist die geistige Gnaded in der Gabe der Erkenntnis in reichlicherem Maße gegeben worden ist, offenbar und deutlich werden.431 4. Für uns jedoch scheint es einstweilen angemessen zu sein, dass wir, da uns jetzt bei der Auslegung des vorliegenden Verses über den Hirsch und die Gazelle zu sprechen obliegt, aus den göttlichen Schriften nach Kräften die Stellen heraussuchen, die sich auf diese Tiere beziehen,432 über die derselbe Mose, als er über die Fleischsorten sprach, die mit aller Begierde der Seele gegessen werden, ohne auf dem Altar geopfert worden zu sein, sagte: wie die Gazelle und der Hirsch.e 5. Bemerkenswert hingegen ist, was der 28. Psalm, wo er der Reihe nach über die Kräfte und die Wirksamkeit der Stimme Gottes schreibt, über den Hirsch auf folgende Weise sagt: „Die sprechend seiner Auffassung, dass die Betrachtung der Schrift und das Enthüllen der darin verborgenen Geheimnisse ein wesentlicher Bestandteil des geistigen Lebens ist, nennt er hier nur die Fragestellung im Vorübergehen, um sich sogleich dem eigentlichen Thema seiner Auslegung zuzuwenden. Es ist typisch für den Problemdenker Origenes, dass er Fragen benennt, die er seinen Lesern – zumindest denen, die dazu über eine reichere Begabung verfügen, wie er schon in Cant. comm. III 12,12 gesagt hat – zur weiteren Bearbeitung anheimstellt. 432 In Cant. hom. 2,11 (GCS Orig. 8, 56) weist Origenes explizit darauf hin, dass „diese beiden Tiere in den Schriften häufiger genannt werden und … des öfteren nebeneinander stehen“.

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ceruos“ – id est perfectos facientis ceruos – „et reuelabit condensa.“ a Sicut enim uox Domini intercidere dicitur flammam ignis et concutere desertum, b ita et perficere ceruos ac reuelare condensa memoratur. 6. Sed et in Iob de ceruo ita inuenimus referri, ubi Dominus ad Iob per turbinem loquitur et nubem; c ait ergo: „Aut obseruasti partus ceruorum aut numerasti menses eorum plenos ad partum, dolores autem eorum soluisti, aut nutristi eorum natos aut sine doloribus partus eorum emittes? Abrumpent filii eorum, et multiplicabuntur in natiuitate; exibunt, et non reuertentur.“ d 7. His adiungenda sunt etiam illa, quae in Prouerbiis legimus hoc modo: „Ceruus amicitiarum et pullus gratiarum loquatur tibi.“ e Haec interim ad praesens de ceruo nobis scripta occurrere potuerunt. 8. Quae ob hoc assumpsimus, ut loquamur non in doctrina humanae sapientiae, sed in doctrina spiritus, spiritalibus spiritalia comparantes. f Et ideo inuocemus Deum Patrem Verbi, quo nobis Verbi sui manifestet arcana sensumque nostrum remoueat a doctrina humanae sapientiae et exaltet atque eleuet ad doctrinam spiritus, ut non ea, quae sentit carnalis auditus, sed ea, quae continet uoluntas Sancti Spiritus, proloquamur. 9. Paulus nos apostolus docet, quod inuisibilia Dei ex uisibilibus intelligantur et ea, quae non uidentur, ex eorum, quae uidentur, g ratione et similitudine contemplentur, ostendens per haec, quod uisibilis hic mundus de inuisibili doceat et exb Ps. 28(29),9 Ps. 28(29),7f. g 2,13 Röm. 1,20

a

c

Ijob 38,1

d

Ijob 39,1–4

e

Spr. 5,19

f

1 Kor.

433 Eine weitere Stelle, Ps. 103(104),18, führt Origenes unten in Cant. comm. III 13,42 an. 434 Zum Gegensatz zwischen der Weisheit der Welt und der Weisheit Gottes siehe oben S. 228 Anm. 243 zu in Cant. comm. II 4,35. 435 Auf 1 Kor. 2,13 als methodische Anweisung für die Auslegung der Bibel beruft sich Origenes programmatisch auch in philoc. 2,3 (SC 302, 244); Cels. IV 71 (GCS Orig. 1, 341); in Matth. comm. X 15 (GCS Orig. 10, 19); vgl. auch in Ios. hom. 15,3 (GCS Orig. 7, 383); in Ioh. comm. II 22,142 (GCS Orig. 4, 78): „Man muss aus den inspirierten Worten Ähnliches miteinander vergleichen.“ Siehe dazu de Lubac, Geist aus der Geschichte 362–369; Neuschäfer, Origenes als Philologe 280–285; Fürst, Bibel und Kosmos 133. 436 Im Folgenden denkt Origenes über die epistemologische und ontologische Bedeutung des ersten Wortes in Hld. 2,9 nach: similis, „gleich“ bzw. „ähnlich“. 437 Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 628 Anm. 2 und 630 Anm. 1, sehen hier eine Kombination aus stoischem und platonischem Weltbild. Dazu kommen sie aber nur, indem sie in der ratio, von der Origenes redet, die rationes seminales der stoischen Physik erblicken, die als Keimzellen zur differenzierten Vielfalt der Welt führen (vgl. dazu auch ebd. 780–782, wo auf dieser falschen Grundlage eine Fehlinterpretation der origeneischen Metaphysik vorgelegt wird). Von rationes seminales ist aber im Text nicht die Rede, und es passt auch nicht zu dem, was Origenes hier erklärt, weil es sich in der stoischen Physik um ein materialistisches und immanentes

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Stimme des Herrn, der die Hirsche vollenden“ – das heißt, der die Hirsche vollkommen machen – „und der die Dickichte enthüllen wird.“a Wie es nämlich von der Stimme des Herrn heißt, dass sie die Feuerflamme durchschneidet und die Wüste erschüttert,b so wird auch erwähnt, dass sie die Hirsche vollenden und die Dickichte enthüllen wird. 6. Doch auch im Buch Hiob finden wir einen Hinweis auf den Hirsch, wo der Herr durch den Wirbelsturm und die Wolke zu Hiob spricht.c Er sagt also: „Hast du die Geburten der Hirsche beobachtet, oder hast du ihre vollen Monate zum Gebären gezählt, hast du aber auch ihre Schmerzen gelindert, oder hast du ihre Jungen genährt, oder wirst du ihre Geburten ohne Schmerzen verlaufen lassen? Ihre Kinder werden sich losreißen, und durch Geburt werden sie sich vermehren. Sie werden hinausgehen, und sie werden nicht zurückkehren.“d 7. Dem ist auch das hinzuzufügen, was wir in den Sprichwörtern folgendermaßen lesen: „Der Hirsch der Freundschaften und das Jungtier der Gnaden soll mit dir reden.“e Diese Schriftstellen über den Hirsch vermochten uns momentan einstweilen in den Sinn zu kommen.433 8. Wir haben sie deshalb herangezogen, um nicht nach der Lehre der menschlichen Weisheit, sondern nach der Lehre des Geistes zu reden,434 indem wir Geistiges mit Geistigem vergleichen.f 435 Und daher wollen wir Gott, den Vater des Wortes, anrufen, damit er uns die Geheimnisse seines Wortes offenbart und unseren Sinn von der Lehre der menschlichen Weisheit abzieht und zur Lehre des Geistes erhebt und erhöht, damit wir uns nicht über das, was der leibliche Gehörsinn wahrnimmt, sondern über das, was die Intention des Heiligen Geistes enthält, äußern.436 9. Der Apostel Paulus lehrt uns, dass das Unsichtbare Gottes aus dem Sichtbareng verstanden wird und die nicht sichtbaren Dinge aus der Rationalität und Abbildhaftigkeit437 der sichtbaren Dinge geschaut werden. Dadurch zeigt er, dass diese sichtbare Welt über die unsichtbare belehrt und dieser irdische Zustand so Prinzip der Weltentstehung handelt. Origenes redet vielmehr von der ratio, vom loÂgow, von der „Rationalität“ als Prinzip, nach dem die Wirklichkeit geformt ist und wodurch sie, als ihrerseits vernünftig, erkennbar, also rational zugänglich ist (siehe dazu auch Fürst, Bibel und Kosmos 135–144). Der in diesem Absatz verwendete Begriff similitudo changiert in seiner Bedeutung zwischen Bild und Ähnlichkeit (wie Origenes das im Folgenden bei der Erklärung von Gen. 1,26 auch gleich erläutern wird): Die Ähnlichkeit zwischen sichtbaren irdischen und unsichtbaren himmlischen Dingen liegt darin, dass erstere Abbild der letzteren sind, als Bilder also eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen – weshalb beide Begriffe im strengen Sinn konvergieren und Origenes für beide Aspekte similitudo sagen kann, denn von einem Bild kann man nur sprechen, wenn eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Urbild gegeben ist; insofern enthält das Bild wirklich das Urbild in sich, weist also Ähnlichkeit mit ihm auf. Diese „Abbildhaftigkeit“ bzw. „Ähnlichkeit“ ist die Bedingung der Möglichkeit für Erkenntnis, und zwar in beide Richtungen: Einerseits kann dadurch von den sichtbaren, materiellen Dingen auf die unsichtbaren, geistigen geschlossen werden, andererseits ist durch den Bezug der sichtbaren Dinge auf

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emplaria quaedam caelestium a contineat positio ista terrena, ut ab his, quae deorsum sunt, ad ea, quae sursum sunt, possimus adscendere atque ex his, quae uidemus in terris, sentire et intelligere ea, quae habentur in caelis. Ad quorum similitudinem quandam, quo facilius colligi per haec ac sentiri possent diuersitates creaturarum, quae in terris sunt, similitudinem conditor dedit. 10. Et fortassis, sicut hominem Deus ad imaginem et similitudinem suam fecit, b ita etiam ceteras creaturas ad alias quasdam caelestes imagines per similitudinem condidit; et fortasse in tantum singula quaeque, quae in terris sunt, habent aliquid imaginis et similitudinis in caelestibus, ut etiam granum sinapis, quod minimum est in omnibus seminibus, c habeat aliquid imaginis et similitudinis in caelis. 11. Et hoc, quod talis ei quaedam composita est ratio naturae, ut, cum minimum sit omnium seminum, maius fiat omnibus oleribus, ita ut possint uenire aues caeli et habitare in ramis eius, d similitudinem ferat non solum alicuius caelestis imaginis, sed ipsius regni caelorum. 12. Sic ergo possibile est etiam cetera semina, quae sunt in terris, ut habeant aliquid in caelestibus similitudinis ac rationis. Quod si semina, sine dubio et uirgulta; et si uirgulta, sine dubio et animantia uel alitum uel repentium et quadrupedum. 13. Sed et illud adhuc potest intelligi quod, sicut granum sinapis non unam similitudinem tenet regni caelorum ex habitatione auium in ramis suis, sed habet et aliam imaginem, perfectionis scilicet fidei, ita ut, si quis habeat fidem sicut granum sinapis, dicat monti transferre se, et transferet, e ita possibile est, ut etiam cetera non in uno aliquo, sed in pluribus speciem et imaginem caelestium ferant. 14. Et cum plures sint, uerbi gratia, in grano sinapis uirtutes, quae rerum caelestium imagines teneant, ultimus et extremus eius usus est iste, qui habetur apud homines in ministerio corporali. Ita etiam in reliquis uel seminibus uel uira

Hebr. 9,23

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Gen. 1,26

c

Mt. 13,31f.

d

Mt. 13,31f.

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ihre unsichtbaren Vorbilder die Erkenntnis der Schöpfung in ihrer Differenziertheit, also in von der Vernunft erfassbarer Anordnung, überhaupt erst möglich (dies formuliert der letzte Satz dieses Absatzes). Origenes präsentiert nicht eine Mischung aus stoischer und platonischer Physik, sondern strikt die platonische Epistemologie: Weil die materielle Welt Abbild der Ideenwelt ist, können von jener auf diese Rückschlüsse gezogen werden und bedingt diese die Erkennbarkeit der irdischen Dinge, die durch den Bezug auf die geistigen Prinzipien der Wirklichkeit in ihrer Unterschiedenheit erst fassbar werden. 438 Zur origeneischen Deutung der Erschaffung des Menschen laut Gen. 1,26f. hinsichtlich der beiden Aspekte „Bild“ und „Ähnlichkeit“ siehe oben S. 178 Anm. 191 zu in Cant. comm. II 1,4. 439 Ebenso erklärt Origenes, philoc. 2,4 (SC 302, 246), dass „Spuren der Weisheit“ Gottes in die gesamte Schöpfung „hineingesät“ sind, weil „sich nämlich bei der Schöpfung der Welt die göttliche Kunstfertigkeit nicht nur am Himmel, an der

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etwas wie Abbilder der himmlischen Dingea enthält, so dass wir von denen, die unten sind, zu denen, die oben sind, hinaufsteigen und aus den Dingen, die wir auf Erden sehen, die wahrnehmen und verstehen können, die sich im Himmel befinden. Nach deren Bild gab der Schöpfer den Geschöpfen auf Erden eine gewisse Ähnlichkeit, damit sie dadurch in ihrer Unterschiedlichkeit leichter erschlossen und wahrgenommen werden können. 10. Und vielleicht schuf Gott so, wie er den Menschen nach seinem Bild und seiner Ähnlichkeit schuf,b 438 auch die übrigen Geschöpfe nach der Ähnlichkeit mit bestimmten anderen himmlischen Urbildern. Und vielleicht haben alle einzelnen Dinge auf Erden ein ihnen ähnliches Urbild im Himmel, bis dahin, dass sogar das Senfkorn, das das kleinste unter allen Samen ist,c ein ihm ähnliches Urbild im Himmel hat. 11. Und insofern die Sinnstruktur seiner Natur auf solche Weise zusammengesetzt ist, dass es, obwohl es das kleinste von allen Samen ist, größer wird als alle Pflanzen, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen wohnen können,d weist es eine Ähnlichkeit nicht nur mit irgendeinem himmlischen Urbild, sondern mit dem Himmelreich selbst auf. 12. So ist es also möglich, dass auch den übrigen Samen, die es auf der Erde gibt, eine ähnliche Sinnstruktur in den himmlischen Dingen entspricht. Wenn das aber für die Samen gilt, dann ohne Zweifel auch für die Pflanzen; und wenn für die Pflanzen, dann ohne Zweifel auch für die Tiere, sowohl die Vögel als auch die Kriechtiere und die Vierfüßler.439 13. Doch man kann es auch noch so verstehen: Wie das Senfkorn nicht nur eine Ähnlichkeit mit dem Himmelreich aufweist, weil die Vögel in seinen Zweigen wohnen, sondern noch ein anderes Bild in sich hat, nämlich das der Vollkommenheit des Glaubens, so dass einer, wenn er Glauben hat wie ein Senfkorn, einem Berg befiehlt, sich zu versetzen, und der sich versetzen wird,e so ist es möglich, dass auch die übrigen Dinge nicht nur in einer einzigen, sondern in vielerlei Hinsicht die Gestalt und das Bild himmlischer Dinge an sich tragen. 14. Auch wenn es zum Beispiel in einem Senfkorn mehrere Eigenschaften gibt, die Bilder von himmlischen Dingen aufweisen, so ist sein letztendlicher Nutzen doch der, der bei Menschen zu einem körperlichen Dienst gebraucht wird. So kann man auch in Bezug auf die übrigen Samen oder Pflanzen oder Wurzeln von Kräutern oder auch in

Sonne, am Mond und an den Sternen zeigt – sie durchdringt alle jene Körper –, sondern auch auf der Erde im geringsten materiellen Gegenstand in derselben Weise am Werk ist, denn der Künstler missachtet weder die Körper der kleinsten Lebewesen, noch viel weniger aber die in ihnen enthaltenen Seelen, von denen jede eine individuelle Eigenart empfängt, gleichsam ein erlösendes Prinzip in einem vernunftlosen Wesen, noch missachtet er die Pflanzen der Erde, denn in jeder einzelnen ist die Kunst des Schöpfers zugegen bis hin zu den Wurzeln, den Blättern, den möglichen Früchten und den verschiedenen Eigenschaften.“

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gultis uel herbarum radicibus uel etiam in animantibus intelligi potest, ut usum quidem et ministerium hominibus praebeant corporale, habeant autem incorporalium rerum formas et imagines, quibus doceri anima possit et instrui ad contemplanda etiam ea, quae sunt inuisibilia et caelestia. 15. Et hoc fortassis est, quod ille scriptor diuinae sapientiae dicit: „Ipse enim mihi dedit eorum, quae sunt, scientiam ueram, ut sciam substantiam mundi et uirtutes elementorum, initium et fı`nem et medietatem temporum, uicissitudinum permutationes et conuersiones temporum, anni circulos et stellarum positiones, naturas animalium et iras bestiarum, spirituum uiolentias et cogitationes hominum, differentias uirgultorum et uirtutes radicum; sed et quaecumque sunt occulta et manifesta, cognoui“. a 16. Vide ergo, si possumus ex his scripturae sermonibus ea, quae discutere proposuimus, lucidius euidentiusque colligere. Etenim scriptor iste sapientiae diuinae, cum singula quaeque enumerasset, ad ultimum dicit, quia occultorum et manifestorum acceperit scientiam, ostendens sine dubio, quod unumquodque eorum, quae in manifesto sunt, referatur ad aliquid eorum, quae in occulto sunt, id est singula quaeque uisibilia habere aliquid similitudinis et rationis ad inuisibilia. 17. Quia ergo impossibile est homini in carne uiuenti agnoscere aliquid de occultis et inuisibilibus, nisi imaginem aliquam et similitudinem conceperit de uisibilibus, ob hoc arbitror, quod ille, qui omnia in sapientia fecit, b ita creauerit unamquamque uisibilium speciem in terris, ut in his doctrinam quandam et agnitionem rerum inuisibilium et caelestium poneret, quo per haec adscenderet mens humana ad spiritalem intelligentiam et rerum causas in caelestibus quaereret, ut posset edocta per sapientiam Dei etiam ipsa dicere: „Quae in occulto sunt et quae in manifesto, cognoui.“ c 18. Secundum haec quoque agnoscit et substantiam mundi, d non solum hanc uisibilem corporeamque, quae palam est, sed et illam incorpoream inuisibilemque, quae in occulto est. Agnoscit etiam elementa mundi e non solum uisibilia, sed et inuisibilia et utrorumque uirtutes. 19. Sed et initium quod ait et finem ac medietatem temporum, f initium ait uisibilis quidem mundi, quod ante sex milia non integros annos initium designat Moyses, a f

Weish. 7,17–21 Weish. 7,18

b

Ps. 103(104),24

c

Weish. 7,21

d

Weish. 7,17

e

Weish. 7,17

440 Origenes hat – wie die meisten altkirchlichen Autoren – das Buch der Weisheit Salomo zugeschrieben, wobei er manchmal Vorbehalte dagegen erkennen lässt, manchmal nicht; für jenes vgl. außer der vorliegenden Stelle princ. I 2,5 (GCS Orig. 5, 33); IV 4,6 (5, 357); in Ioh. comm. XX 4,26 (GCS Orig. 4, 331); Cels. V 29 (GCS Orig. 2, 30f.); für dieses: princ. II 3,6 (GCS Orig. 5, 121); orat. 31,1 (GCS Orig. 2, 395); in Matth. comm. ser. 69 (GCS Orig. 11, 162); in Rom. comm. VII 2,7 (SC 543, 266). Vgl. Fürst, Weisheit 294. 441 Die Anzahl der Jahre war für die frühen Christen Ausdruck der Erwartung der Wiederkunft Christi. Wenn Gott die Welt in sechs Tagen erschafft, am siebten aber

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Bezug auf Tiere begreifen, dass sie zwar den Menschen Nutzen bringen und einen körperlichen Dienst leisten, aber dennoch die Formen und Bilder der unkörperlichen Dinge an sich haben, durch die die Seele belehrt und angewiesen werden kann, auch die Dinge zu betrachten, die unsichtbar und himmlisch sind. 15. Und das ist es vielleicht, was jener Autor der göttlichen Weisheit440 sagt: „Er gab mir nämlich die wahre Erkenntnis der seienden Dinge, damit ich die Substanz der Welt und die Kräfte der Elemente erkenne, den Anfang und das Ende und die Mitte der Zeiten, den Ablauf der Sonnenwenden und den Wechsel der Jahreszeiten, die Kreisläufe des Jahres und die Konstellationen der Gestirne, die Naturen der Lebewesen und die Zornausbrüche der wilden Tiere, die Gewalten der Winde und die Gedanken der Menschen, die Unterschiede der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln; doch auch alles, was verborgen und was offenbar ist, habe ich erkannt.“a 16. Sieh also, ob wir aus diesen Worten der Schrift das, was wir uns zu untersuchen vorgenommen haben, klarer und einleuchtender erschließen können. Denn nachdem dieser Autor der göttlichen Weisheit die einzelnen Dinge aufgezählt hat, sagt er zuletzt, dass er die Erkenntnis des Verborgenen und des Offenbaren erhalten hat, womit er zweifellos darauf hinweist, dass sich alles, was offenbar ist, auf etwas von dem bezieht, was verborgen ist, das heißt, dass alles Sichtbare eine dem Unsichtbaren ähnliche Sinnstruktur aufweist. 17. Weil es also für den im Fleisch lebenden Menschen unmöglich ist, irgendetwas vom Verborgenen und Unsichtbaren zu erkennen, wenn er nicht dem Sichtbaren irgendein ähnliches Abbild entnommen hat, deshalb denke ich, dass jener, der alles in Weisheit gemacht hat,b jegliche Art der sichtbaren Dinge auf Erden so geschaffen hat, dass er in sie eine gewisse Lehre und Erkenntnis über die unsichtbaren und himmlischen Dinge hineingelegt hat, damit durch diese der menschliche Geist zur geistigen Erkenntnis hinaufsteigt und die Ursachen der Dinge in den himmlischen Dingen sucht, so dass er durch die Weisheit Gottes belehrt auch selbst sagen kann: „Was im Verborgenen und was im Offenbaren ist, habe ich erkannt.“c 18. Dem entsprechend erkennt er auch die Substanz der Welt,d nicht nur diese sichtbare und körperliche, die offen zutage liegt, sondern auch jene unkörperliche und unsichtbare, die im Verborgenen liegt. Er erkennt auch die Elemente der Welt,e nicht nur die sichtbaren, sondern auch die unsichtbaren, und die Kräfte von beiden. 19. Und auch das, was er den Anfang und das Ende und die Mitte der Zeitenf nennt, bezeichnet er als den Anfang der sichtbaren Welt, einen Anfang, den Mose vor nicht ganz sechstausend Jahren ansetzt,441

ruht (Gen. 1,31–2,2), und wenn bei ihm „tausend Jahre wie ein Tag“ sind (Ps. 90[91],4), ergeben sich daraus sechstausend Jahre. Der Sabbat aber gilt den Christen bereits als anbrechende Ewigkeit, so dass die sechstausend Jahre noch nicht ganz

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medietatem quoque secundum temporum rationem finemque illum, qui speratur, cum caelum et terra transibit. a 20. Secundum occultorum uero scientiam initium illud, quod intelligit is, quem sapientia Dei docuerit, quod nulla possunt tempora, nulla saecula comprehendere, medietatem uero haec, quae nunc sunt, finem uero ea, quae futura sunt, id est perfectionem consummationemque uniuersitatis, quae tamen ex his uisibilibus intellegi possunt et conici. 21. Sed et uicissitudinum permutationes et temporum conuersiones et anni circulos b ex his, quae uidentur, c refert ad inuisibiles rerum incorporalium permutationes ac uicissitudines. Circulos quoque annorum temporalium et praesentium refert ad antiquiores aliquos ac sempiternos annos secundum eum, qui dicebat: „Et annos aeternos in mente habui.“ d 22. Sed et stellarum positiones e non dubitabit ab his, quae palam uidentur, referre ad illa, quae in occultis sunt, qui occultorum manifestorumque scientiam meruit, et dicet esse aliquod sanctorum genus, quod de Abraham praecipue stirpe descendit, sicut stellas caeli. f Sed et resurrectionis futurae gloriam stellas esse secundum occultorum scientiam pronuntiabit sequens eum, qui dixit: „Alia gloria solis, alia gloria lunae et alia gloria stellarum; stella enim a stella differt in gloria. Ita et resurrectio mortuorum.“ g 23. Secundum haec intellige mihi etiam illud, quod ait: „naturas animalium irasque bestiarum“; h nisi enim bene scisset naturas animalium, numquam dixisset in euangeliis Saluator: „Dicite uulpi huic“ i neque Iohannes de quibusdam dixisset: „serpentes generatio uiperarum“, j sed neque propheta diceret de nonnullis quod: „Equi admissarii facti sunt“ k et item alius: „Homo cum in honore esset, non intellexit; comparatus est iumentis insipientibus et similis a f

Mt. 24,35 Gen. 22,17

Weish. 7,18f. 1 Kor. 15,41f.

b g

h

c 2 Kor. 4,18 Weish. 7,20

i

d e Ps. 76(77),6 Weish. 7,19 j k Lk. 13,32 Mt. 3,7 Jer. 5,8

vorbei sein können. Vgl. Lawson, ACW 26, 351f. Anm. 158. Danie´lou, Typologie mille´nariste, hat die Hintergründe dieser Geschichtsdeutung im persischen, babylonischen und jüdischen Denken dargestellt (ebd. 1–5). Von dort aus gelangten sie in das frühe Christentum (ebd. 5–11), erstmals greifbar im Barnabasbrief (Barn. 15,3–8) und paradigmatisch konzipiert von Irenäus, adv. haer. V 23,2 (SC 153, 290–294); V 28,3 (153, 358); V 33,1–35,2 (153, 404–452). Origenes hat diesen Chiliasmus (Millenarismus) abgelehnt (vgl. ebd. 12), doch ist er sowohl in der griechischen und syrischen als auch in der lateinischen Theologie der Antike weithin vertreten worden (ebd. 11–16). 442 Zur kosmologischen und geschichtstheologischen Bedeutung von Anfang, Mitte und Ende von Zeit und Welt, wie Origenes sie anhand der trinitarisch gedeuteten Vision Jesajas in den Jesajahomilien entfaltet, siehe die Ausführungen von Ch. Hengstermann in Fürst/Hengstermann, OWD 10, 132–158. 443 Wie hier Ps. 76(77),6, so wertet Origenes andernorts Koh. 1,9f. auf die Existenz mehrerer Welten bzw. Weltzeiten aus: princ. III 5,3 (GCS Orig. 5, 273); Cels. IV 12 (GCS Orig. 1, 282).

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und als die Mitte im Sinne der Berechnung der Zeiten und als Ende dasjenige, das erhofft wird, wenn Himmel und Erde vergehen werden.a 20. Im Sinne der Erkenntnis des Verborgenen hingegen ist der Anfang das, was derjenige versteht, den die Weisheit Gottes belehrt hat, was keine Zeiten und keine Weltalter erfassen können, die Mitte hingegen das, was jetzt ist, das Ende hingegen das, was künftig sein wird, das heißt die Vollkommenheit und die Vollendung des Alls, was jedoch aus diesen sichtbaren Dingen verstanden und vermutet werden kann.442 21. Doch auch den Ablauf der Sonnenwenden und den Wechsel der Jahreszeiten und die Jahreskreiseb überträgt er von den sichtbaren Sachverhaltenc auf die unsichtbaren Abläufe und Veränderungen der unkörperlichen Dinge. Auch die Kreise der zeitlichen und gegenwärtigen Jahre bezieht er auf gewisse ältere und ewige Jahre, so wie der, der sagte: „Und ewige Jahre hatte ich im Geist.“d 443 22. Doch wer der Erkenntnis des Verborgenen und des Offenbaren gewürdigt worden ist, wird nicht zögern, auch die Konstellationen der Gestirnee von dem, was offen sichtbar ist, auf das zu beziehen, was im Verborgenen ist, und er wird sagen, dass es ein bestimmtes Geschlecht von Heiligen gibt, das besonders von der Wurzel Abrahams abstammt, wie die Sterne des Himmels.f Doch er wird auch verkünden, dass die Herrlichkeit der künftigen Auferstehung gemäß der Erkenntnis des Verborgenen die Sterne sind, wobei er dem folgt, der gesagt hat: „Eine andere ist die Herrlichkeit der Sonne, eine andere die Herrlichkeit des Mondes und eine andere die Herrlichkeit der Sterne. Ein Stern unterscheidet sich nämlich von einem anderen Stern in der Herrlichkeit. So auch die Auferstehung der Toten.“g 23. Dem entsprechend verstehe mir auch, wenn von „den Naturen der Lebewesen und den Zornausbrüchen der wilden Tiere“ die Rede ist.h 444 Wenn er nämlich die Naturen der Tiere nicht gut gekannt hätte, hätte der Erlöser in den Evangelien niemals gesagt: „Sagt diesem Fuchs“,i und auch Johannes hätte nicht über bestimmte Leute gesagt: „Schlangen, Gezücht der Vipern“,j doch auch der Prophet würde nicht über einige Leute sagen: „Geile Hengste sind sie geworden“k 445 und desgleichen ein anderer: „Als der Mensch in Ehre stand, verstand er nicht. Er wurde mit dem unvernünftigen Vieh verglichen und ist ihm ähnlich

444 In Lev. hom. 16,6 (GCS Orig. 6, 502f.) bezieht Origenes die „bösen wilden Tiere“, von denen in Lev. 26,6 die Rede ist, auf den Teufel und die feindlichen Mächte, die den Menschen zur Sünde verführen. 445 Im selben Sinn deutet Origenes die Pferde (und Streitwagen) als dem menschlichen Heil feindliche Mächte in Ios. hom. 15,3 (GCS Orig. 7, 383–385), und zwar im Vergleich mit Eseln: Während die Esel für die Heiden stehen, die zum Glauben an Christus kommen, versteht er die Pferde und Streitwagen als Bild für die himmlischen Geister, die aus Nachlässigkeit und Hochmut zu Fall gekommen sind und nun den Menschen nachstellen. Vgl. auch in Ex. hom. 6,2 (GCS Orig. 6, 193).

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factus est illis.“ a 24. Sed et ille diligenter agnouerat iras bestiarum, b qui dicebat: „Furor illis secundum similitudinem serpentis, sicut aspidis surdae et obturantis aures suas.“ c Haec erit ratio etiam de eo, quod ait: „spirituum uiolentias“, d uisibiliter quidem de uentis et flatibus aeris, inuisibiliter uero de uiolentiis immundorum spirituum loquens, quos et Paulus uentos doctrinae e nominauit. 25. Post haec iam sequitur, ut et cogitationes hominum f sciat corporaliter quidem, quae de humano corde procedunt, g inuisibiliter autem intelligat eos, qui iniciunt hominibus malas et pessimas cogitationes, sicut in euangelio scriptum est: „Cum diabolus misisset in cor Iudae Scariotis, ut traderet“ Dominum, h et ut in Prouerbiis dicitur: „Si spiritus potestatem habentis adscenderit super te, locum tuum non derelinquas, quia sanitas compescit peccata magna.“ i 26. Sed et bonarum cogitationum est aliquis auctor; propter quod et in Psalmis puto scriptum: „Beatus homo, cuius est auxilium abs te, Domine; ascensus in corde eius disposuit“ j et iterum: „Cogitatio hominis confitebitur tibi, et reliquiae cogitationum diem festum agent tibi.“ k 27. Ita igitur cuncta secundum ea, quae praefati sumus, ex uisibilibus referri possunt ad inuisibilia et a corporalibus ad incorporea et a manifestis ad occulta, ut ipsa creatura mundi tali quadam dispensatione condita intelligatur per diuinam sapientiam, quae rebus ipsis et exemplis inuisibilia nos de uisibilibus doceat et a terrenis nos transferat ad caelestia. 28. Haec autem rationes non solum in creaturis omnibus habentur, sed et ipsa scriptura diuina tali quadam sapientiae arte conscripta est. Propter quaedam namque occulta et mystica uisibiliter populus educitur de Aegypto l ista terrena et iter agit per desertum, ubi serpens mordens et scorpius et sitis, ubi non erat aqua, et cetera, quae in his gesta referuntur. m Quae omnia, ut diximus, occultorum quorundam formas et imagines tenent. 29. Et hoc non in scripturis tantum ueterum, sed et in gestis Domini et Saluatoris nostri, quae in euangeliis referuntur, inuenies. Ps. 48(49),13 Weish. 7,20 k Ps. 75(76),11 a f

c Weish. 7,20 Ps. 57(58),5 h Mk. 7,21 Joh. 13,2 l m Ex. 3,10 Dtn. 8,15 b

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d Weish. 7,20 Koh. 10,4

j

e Eph. 4,14 Ps. 83(84),6

446 Spiritus bezeichnet wie das griechische pneyÄma den Hauch und den Wind, aber auch den Geist. Diese Doppeldeutigkeit ermöglicht es vielen Kirchenschriftstellern, Bibelverse, die sich auf den Wind als eine Naturgewalt beziehen, auf den Geist bzw. auf Geister zu beziehen. 447 In princ. III 2f. (GCS Orig. 5, 244–263) erörtert Origenes ausführlich die Versuchung des Menschen durch den Teufel und die feindlichen Mächte (die Dämonen). Zur Namensform „Judas Schariot“ siehe unten S. 416 Anm. 510. 448 Zum Prinzip der Rationalität (ratio), das sowohl in der Schöpfung als auch in der Bibel enthalten ist und die Verstehbarkeit beider sowohl in sich als auch in ihrem gegenseitigen Bezug ermöglicht, siehe die hermeneutische Grundsatzreflexion zu seiner Bibelphilosophie in philoc. 2,4f. (SC 302, 244–248) und dazu Fürst, Bibel und Kosmos.

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geworden.“a 24. Doch auch jener hatte die Zornausbrüche der wilden Tiereb genau verstanden, der sagte: „Sie haben Wut ähnlich der der Schlange, wie die der tauben Natter, die ihre Ohren verstopft.“c Dies wird auch der Sinn der Aussage von den „Gewalten der Winde“ sein.d Auf der sichtbaren Ebene spricht er von den Winden und den Brisen der Luft, auf der unsichtbaren hingegen von den Gewalttaten der unreinen Geister, die auch Paulus als Winde der Lehree bezeichnet hat.446 25. Darauf folgt dann, dass er auch die Gedanken der Menschenf erkennt, und zwar auf körperlicher Ebene das, was aus dem menschlichen Herz hervorgeht.g Auf unsichtbarer Ebene versteht er darunter aber die Wesen, die den Menschen böse und schlechteste Gedanken eingeben, wie im Evangelium geschrieben steht: „Als der Teufel dem Judas Schariot ins Herz gegeben hatte“, den Herrn „zu verraten“,h und wie es in den Sprichwörtern heißt: „Wenn der Geist dessen, der Macht hat, aufsteigt über dir, sollst du deinen Ort nicht verlassen, denn Besonnenheit hält große Sünden im Zaum.“i 447 26. Doch auch die guten Gedanken haben einen Urheber. Deshalb steht auch in den Psalmen, glaube ich, geschrieben: „Selig der Mann, dessen Hilfe von dir stammt, Herr! Aufstiege hat er in seinem Herzen eingerichtet“,j und desgleichen: „Das Denken der Menschen wird dich preisen, und die Reste der Gedanken werden dir einen Festtag feiern.“k 27. So können also alle Dinge entsprechend dem, was wir vorweg gesagt haben, vom Sichtbaren auf das Unsichtbare und vom Körperlichen auf das Unkörperliche und vom Offenbaren auf das Verborgene bezogen werden, so dass die Schöpfung der Welt selbst so verstanden werden kann, dass sie nach einer solchen Ordnung durch die göttliche Weisheit angelegt worden ist, die uns mittels der einzelnen Dinge und Beispiele das Unsichtbare aus dem Sichtbaren lehrt und uns vom Irdischen zum Himmlischen führt. 28. Diese Sinnstrukturen sind aber nicht nur in allen Geschöpfen enthalten, sondern auch die göttliche Schrift selbst ist mit einer derart kunstfertigen Weisheit verfasst worden.448 Denn wegen mancher verborgener und mystischer Lehren wird das Volk sichtbar aus jenem irdischen Ägypten herausgeführtl und führt sein Weg durch die Wüste, wo es die beißende Schlange und den Skorpion und die Dürre, in der es kein Wasser gab, und die übrigen Dinge gibt, die in dieser Geschichte erzählt werden.m Alle diese Dinge tragen, wie gesagt, die Formen und Bilder bestimmter verborgener Dinge in sich.449 29. Und dies wirst du nicht nur in den Schriften der Alten, sondern auch in den Taten unseres Herrn und Erlösers, die in den Evangelien berichtet werden, finden. 449 Beispiele, wie diese biblischen Geschichten geistig zu verstehen sind, gibt Origenes in Num. hom. 26,4 (GCS Orig. 7, 249), wo der Auszug aus Ägypten den Auszug der Seele aus der Finsternis dieser Welt und die Reise in eine andere, geistige Wirklichkeit bedeutet. Nach princ. IV 3,13 (GCS Orig. 5, 341) steht Ägypten für diese Welt.

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30. Igitur si omnia, quae in manifesto sunt, secundum ea, quae superius approbauimus, ad aliqua referuntur, quae in occulto sunt, consequens sine dubio est, ut ceruus iste uisibilis uel caprea, quae in Cantico Canticorum scribitur, a secundum rationem naturae suae, quam corporaliter gerunt, referantur ad aliquas rerum incorporalium causas, ut illis occultis et inuisibilibus ceruis uideatur posse conuenire, quod dictum est: „uox Domini perficientis ceruos“. b 31. Quae enim perfectio ex uoce Domini fiat istis uisibilibus ceruis? Aut quae ad eos doctrina umquam ex Domini uoce descendit? Si uero spiritales ceruos quaeramus, quorum formam et imaginem tenet istud animal corporale, illos inuenias ad summam perfectionis ex uoce Domini posse perduci. 32. Sed et quorum ceruorum Dominum seruare decuerit partus c et uelut medendi officia praebentem parturientibus adstare conuenerit, donec parerent filios tales, qui aduersarentur et persequerentur serpentium genus, ut dignum est diuina maiestate, debemus aduertere; qualium ceruorum Deum decet seruare partus, ne in aborsum scilicet decidant, sed et menses eorum numerare plenos ad partum d eorumque labores et dolores custodire, ut generationes eorum non cadant in uanum, sed ut perfecta sit eorum natiuitas et tamdiu parturiant, donec formetur Christus in iis. e 33. Huiusmodi igitur ceruorum pullos ipse Dominus nutrit, eorum dumtaxat, qui iactant in Domino cogitationem suam, ut ipse eos nutriat et ipse seruet dolores partus eorum, cum ex timore Dei in uentre conceperint et parturierint et spiritum salutis pepererint. f Huiusmodi partus dolores ipse Dominus seruat et curat. 34. Sed et emittit dolores eorum, ut euntes eant et fleant portantes semina sua g et sint in doloribus hominum ac flagellentur cum hominibus, ne forte teneat eos superbia. h 35. Isti quoque ipsi cerui abrumpunt, ut ait, natos suos. i Quos enim genuerint per euangelium, j abrumpunt eos a uinculis peccatorum et a laqueis diaboli, k ne ultra uoluntati eius teneantur obstricti. 36. Isti etiam multiplicabuntur et, ut ait, non reuertentur. l Non enim imitabuntur uxorem Lot, m non redibunt retrorsum; sciunt enim quia, qui mittit manum suam in aratrum, si retro respexerit, b c d e Hld. 2,9 Ps. 28(29),9 Ijob 39,1 Ijob 39,2 Gal. 4,19 h i j Ps. 125(126),6 Ps. 72(73),5f. Ijob 39,4 1 Kor. 4,15 l m Ijob 39,4 Gen. 19,26 a

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f Jes. 26,18 1 Tim. 3,7

450 Zu diesem Thema siehe in Cant. comm. prol. 2,46 und dazu oben S. 88 Anm. 57, ferner expliziter als hier in Cant. hom. 2,6 (GCS Orig. 8, 51). 451 In der Auslegung dieser Stelle in den Genesishomilien führt Origenes, in Gen. hom. 5,2 (GCS Orig. 6, 60), aus, dass Lot „den vernünftigen Sinn und männlichen Geist verkörpert, die Frau aber hier als Bild für das Fleisch steht. Denn es ist das Fleisch, das stets zu den Lastern zurückblickt, das – während der Geist zum Heil strebt – auf die Dinge hinter sich zurückblickt und nach den Lüsten verlangt. … Dass sie aber

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30. Wenn daher alles, was offenbar ist, sich gemäß dem, was wir oben nachgewiesen haben, auf etwas bezieht, was verborgen ist, folgt daraus ohne Zweifel, dass sich der sichtbare Hirsch beziehungsweise die Gazelle, von denen im Lied der Lieder die Rede ist,a entsprechend der Sinnstruktur ihrer Natur, die sie körperlich an sich tragen, auf bestimmte Prinzipien der unkörperlichen Dinge beziehen, so dass es anscheinend auf jene verborgenen und unsichtbaren Hirsche passen kann, wenn von „der Stimme des Herrn, der die Hirsche vervollkommnet“,b die Rede ist. 31. Denn was für eine Vollkommenheit soll von der Stimme des Herrn diesen sichtbaren Hirschen zuteil werden? Oder welche Lehre steigt jemals von der Stimme des Herrn auf sie herab? Wenn wir jedoch nach geistigen Hirschen fragen, deren Form und Bild dieses körperliche Lebewesen an sich trägt, wirst du wohl finden, dass jene von der Stimme des Herrn zur höchsten Vollkommenheit geführt werden können. 32. Doch wir müssen auch beachten, was für Hirsche es waren, deren Geburt zu überwachen dem Herrn geziemtec und dabei in angemessener Weise den Gebärenden beistand, indem er ihnen gleichsam ärztliche Dienste leistete, bis sie solche Söhne gebaren, die sich dem Geschlecht der Schlangen widersetzten und es verfolgten, wie es der göttlichen Majestät würdig ist. Und wir müssen beachten, was für Hirsche es waren, deren Geburt zu überwachen Gott geziemt, damit sie nämlich keine Frühgeburt erleiden, sondern ihre Monate bis zur Geburt voll zu zählend und ihre Mühen und Schmerzen zu überwachen, damit ihre Geburten nicht ins Nichts fallen, sondern damit ihre Geburt vollkommen ist und sie solange gebären, bis Christus in ihnen450 geformt wird.e 33. Derartige junge Hirsche also ernährt der Herr selbst, und zwar bei denen, die ihr Denken auf den Herrn werfen, auf dass er selbst sie nährt und er selbst die Schmerzen ihrer Geburt überwacht, wenn sie von der Furcht Gottes im Mutterleib empfangen und geboren und den Geist des Heils hervorgebracht haben.f Derartige Geburtsschmerzen überwacht und pflegt der Herr selbst. 34. Aber er schickt auch ihre Schmerzen, damit sie, wenn sie gehen, gehen und weinen, indem sie ihre Samen tragen,g und an den Schmerzen der Menschen teilhaben und mit den Menschen geschlagen werden, damit sie nicht etwa Hochmut ergreift.h 35. Eben diese Hirsche reißen auch, wie es heißt, ihre Jungen weg.i Diejenigen nämlich, die sie durch das Evangelium gezeugt haben,j entreißen sie den Fesseln der Sünden und den Stricken des Teufels,k damit sie nicht mehr an seinen Willen gefesselt gehalten werden. 36. Diese werden auch vermehrt werden und, wie es heißt, nicht wieder zurückkehren.l Sie werden nämlich nicht die Frau Lots nachahmen,m 451 sie werden nicht wieder zurückgehen. Denn sie wissen, dass jemand, der seine Hand an den Pflug

zur Salzstatuette wird, scheint als Hinweis auf ihre Torheit gedacht. Das Salz steht für die Vernunft, die ihr abging.“ Übersetzung: Habermehl, OWD 1/2, 129–131.

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Hoheliedkommentar

aptus non erit regno caelorum, a sed semper, quae retro sunt, obliuiscuntur, et in ea, quae ante sunt, se extendunt. b Tales ergo ceruos uox Domini facit perfectos. c 37. Quae uox Domini, nisi illa, quae in lege et prophetis habetur et peruenit usque ad Iohannem, qui erat uox clamantis in deserto? d Et ipsa enim uox Iohannis, qui dicebat: „Parate uias Domini, rectas facite semitas Dei nostri“, e perfectos faciebat ceruos, ut essent perfecti in eodem sensu et in eadem scientia. f Qui enim talis est, merito dicit: „Sicut ceruus desiderat ad fontes aquarum, ita desiderat anima mea ad te, Deus.“ g 38. Ceruus quoque amicitiarum h quis alius uidebitur nisi ille, qui perimit serpentem illum, qui seduxerat Euam i et alloquii sui flatibus peccati in eam uenena diffundens omnem posteritatis eius subolem contagio praeuaricationis infecerat, et uenit soluere inimicitias in carne sua, j quas inter Deum et hominem noxius mediator effecerat? 39. Pullus uero gratiarum k potest accipi Spiritus Sanctus, a quo sitientes et desiderantes Deum spiritales gratias l et dona caelestia consequuntur. 40. Haec autem omnia a nobis dicta sunt, ut manifestior fieret causa, qua sponsa comparare uidetur fraternum suum hinnulo ceruorum. m Quod si etiam hoc requirendum est, cur non ceruo, ut in aliis, sed hinnulo ceruorum comparatur, illud aduerte, quod, cum in forma Dei esset, n filius datus est nobis et puer natus est nobis, cuius potestas super humerum eius. o Ideo ergo hinnulus ceruorum est, quia paruulus puer natus est. 41. Et forte possunt cerui accipi sancti quique, ut Abraham et Isaac et Iacob et Dauid et Solomon et omnes, ex quorum semine Christus secundum carnem p descendit. Quos ceruos uox Domini perfectos fecit q et ipsorum est hinnulus iste, qui ex ipsis secundum carnem natus est puer. 42. Mouet me etiam illud, quod in centesimo tertio psalmo scriptum est, ubi ait: „montes excelsi ceruis“. r Et quidem de ceruis iam superius diximus, quod sancti quique accipiantur, qui ob hoc in hunc mundum uenerint, ut serpentis uenena perimerent. Qui autem b Lk. 9,62 Phil. 3,13 h Ps. 41(42),2 Spr. 5,19 m n Hld. 2,9 Phil. 2,6 r Ps. 103(104),18 a

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i

d e Ps. 28(29),9 Mt. 3,3 Mt. 3,3 j k 2 Kor. 11,3 Eph. 2,14f. Spr. 5,19 o p Jes. 9,6(5) Röm. 9,5

1 Kor. 1,10 Röm. 1,11 q Ps. 28(29),9 f

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452 Dass Origenes hier von einem noxius mediator spricht und dies offensichtlich auf den Teufel – die Schlange als Symbol des diabolus – bezieht, ist bemerkenswert. Üblicherweise gilt ihm nach 1 Tim. 2,5 Christus als Mittler zwischen Gott und Mensch, oder er betrachtet Engel als Vermittler des Gesetzes (Hebr. 2,2), aber immer wird etwas Gutes, Heilsames vermittelt. Die Formulierung scheint in sich schon ein Widerspruch zu sein, da der Teufel nicht an der Vermittlung zwischen Gott und den Menschen interessiert ist, sondern die Beziehung zwischen beiden zu stören ver-

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legt, wenn er zurückblickt, nicht geeignet sein wird für das Himmelreich,a sondern sie vergessen ständig, was hinter ihnen liegt, und strecken sich nach dem aus, was vor ihnen liegt.b Solche Hirsche also macht die Stimme des Herrn vollkommen.c 37. Was ist die Stimme des Herrn, wenn nicht die, die im Gesetz und in den Propheten enthalten ist und bis zu Johannes reicht, der die Stimme eines Rufenden in der Wüste war?d Denn gerade auch die Stimme des Johannes, der sagte: „Bereitet die Wege des Herrn, macht die Pfade unseres Gottes gerade“,e machte die Hirsche vollkommen, damit sie vollkommen waren in demselben Sinn und in derselben Erkenntnis.f Wer nämlich so ist, sagt zu Recht: „Wie der Hirsch sich nach Wasserquellen sehnt, so sehnt sich meine Seele nach dir, Gott.“g 38. Und wer sonst wird als der Hirsch der Freundschaftenh angesehen werden, wenn nicht der, der jene Schlange vernichtet hat, die Eva verführti und durch die Einhauchungen ihrer Anrede die Gifte der Sünde in ihr ausgebreitet und damit ihre ganze zukünftige Nachkommenschaft mit der Seuche der Pflichtverletzung infiziert hatte, und der gekommen ist, die Feindschaften in seinem Fleisch aufzulösen,j die der verderbliche Mittler452 zwischen Gott und dem Menschen bewirkt hatte? 39. Das Jungtier der Gnadenk hingegen kann als der Heilige Geist aufgefasst werden, von dem diejenigen, die nach Gott dürsten und verlangen, geistige Gnadenl und himmlische Gaben erhalten. 40. Dies alles aber haben wir gesagt, damit der Grund deutlicher wird, aus dem die Braut ihren Geliebten mit einem jungen Hirsch zu vergleichen scheint.m Wenn aber auch die Frage untersucht werden muss, warum er nicht, wie an anderen Stellen, mit einem Hirsch, sondern mit einem jungen Hirsch verglichen wird, dann bedenke dies: Obwohl er in der Gestalt Gottes war,n wurde uns ein Sohn gegeben und wurde uns ein Knabe geboren, dessen Macht auf seinen Schultern lag.o Deshalb also ist er ein junger Hirsch, weil er als kleiner Knabe geboren wurde. 41. Und vielleicht können die Hirsche als die einzelnen Heiligen aufgefasst werden, wie Abraham und Isaak und Jakob und David und Salomo und alle, aus deren Samen Christus dem Fleische nachp stammt. Diese Hirsche machte die Stimme des Herrn vollkommen,q und deren Junges ist derjenige, der aus ihnen dem Fleische nach als Knabe geboren wurde. 42. Es bewegt mich auch, was im 103. Psalm geschrieben steht, wo es heißt: „Die hohen Berge sind für die Hirsche.“r Und über die Hirsche haben wir ja oben schon gesagt, dass sie als die einzelnen Heiligen aufgefasst werden, die deshalb in diese Welt gekommen sind, um die Gifte der Schlange zu zerstören. Wir wollen aber sehen, was

sucht. Das hier verwendete Bild kann nur als krasser Gegensatz zu dem Mittler (der Freundschaft) Jesus verstanden werden, der die Feindschaft, die der Teufel vermittelte, durch sein Opfer am Kreuz überwunden hat.

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Hoheliedkommentar

sunt montes excelsi uideamus, qui quasi solis ceruis sequestrati uidentur et ad quos, nisi ceruus sit aliquis, non possit adscendere. Ego puto, quod scientiam Trinitatis montes excelsos appellauerit, ad cuius capacitatem nullus, nisi ceruus efficiatur, adscendit. 43. Sed idem ipsi, qui hic montes excelsi pluraliter appellantur, in aliis mons excelsus singulariter dicitur, sicut Esaias ait: „In montem excelsum ascende, qui euangelizas Syon; exalta in fortitudine uocem tuam, qui euangelizas Hierusalem.“ a Idem namque ipse, qui ibi Trinitas propter distinctionem personarum, hic unus Deus intelligitur pro unitate substantiae. Satis sint ista de hinnulo ceruorum. 44. Nunc uideamus, quomodo etiam capreae uel damulae comparetur fraternus. b Hoc animal, quantum ad Graeca uocabula, nomen a uidendo atque acrius prospiciendo sortitum est. Et quis est, qui ita uideat, ut uidet Christus? Solus namque est, qui uidet uel agnoscit Patrem. c 45. Nam et si dicantur hi, qui mundi sunt corde, Deum uisuri, d uidebunt ipso sine dubio reuelante, quia et caprea habet in natura sua, ut non solum ipsa uideat et perspiciat acerrime, sed et aliis uisum praebeat. Asserunt namque hi, quibus medicinae peritia est, inesse huic animali intra uiscera humorem quendam, qui caliginem depellat oculorum et obtunsiores quosque uisus exacuat. Merito igitur capreae uel damulae Christus comparatur, quia non solum ipse uidet Patrem, sed et uideri ab his facit, quorum uisus ipse curauerit. 46. Obserua autem, ne audiens Patrem uideri corporeum aliquid sentias et Deum uisibilem putes. Visus, quo Deus uidetur, non est corporis, sed mentis et spiritus. Quod et ipse Saluator in euangelio uocabulo proprio distinguens non dixit: Nemo uidit Patrem nisi Filius, sed: „Nemo nouit Patrem nisi a

Jes. 40,9

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Hld. 2,9

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Joh. 6,46

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453 Zum hier verwendeten Begriff trinitas, der von Rufinus stammt, siehe oben S. 81 Anm. 48. 454 In dieser Formulierung setzt der Passus die nizänisch-konstantinopolitanische Trinitätslehre voraus, weshalb er mit dieser Begrifflichkeit (trinitas; distinctio personarum; unitas substantiae) von Rufinus stammt. Origenes hat sich zwar nicht dieser Begrifflichkeit bedient, unter anderem weil er oyÆsiÂa in der Bedeutung von Wesen einer distinkten Entität verwendet hat und den Begriff daher parallel zu yëpoÂstasiw gebrauchen konnte, so in orat. 15,1 (GCS Orig. 2, 334), wo er mit Bezug auf in Ioh. comm. X 37,246f. (GCS Orig. 4, 212) sagt, dass „der Sohn in seinem Wesen (katÆ oyÆsiÂan) und in seiner Eigenart (yëpokeiÂmenon) vom Vater verschieden ist“. Doch in der Sache entsprach das trinitarische Konzept des Origenes der späteren dogmatischen Formulierung (und hat diese grundgelegt und vorbereitet), denn er unterschied drei Hypostasen (Personen) in Gott, etwa in princ. I 2,2 (GCS Orig. 5, 28f.), und konzipierte deren Einheit im Wesen, auch wenn er dafür nicht den späteren Begriff oyÆsiÂa verwendete. Siehe dazu Bruns, Trinität und Kosmos 101–111, und Weiteres oben S. 76 Anm. 42. 455 Das griechische Wort für Gazelle, dorkaÂw, bringt Origenes mit deÂrkomai in Verbin-

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die hohen Berge sind, die gleichsam allein für die Hirsche abgesondert zu sein scheinen und auf die niemand, wenn er nicht ein Hirsch ist, hinaufsteigen kann. Ich glaube, dass er die Erkenntnis der Trinität453 als hohe Berge bezeichnet hat, zu deren Verständnis keiner hinaufsteigen kann, wenn er nicht ein Hirsch wird. 43. Doch eben dieselben, die hier im Plural als hohe Berge bezeichnet werden, werden an anderen Stellen im Singular ein hoher Berg genannt, wie Jesaja sagt: „Steige auf einen hohen Berg hinauf, der du Zion die frohe Botschaft verkündest! Erhebe deine Stimme mit Kraft, der du Jerusalem die frohe Botschaft verkündest!“a Denn eben derselbe, der dort wegen der Unterscheidung der Personen als Trinität verstanden wird, wird hier aufgrund der Einheit des Wesens als ein einziger Gott aufgefasst.454 Damit genug über den jungen Hirsch. 44. Jetzt wollen wir sehen, auf welche Weise der Geliebte auch mit der Gazelle beziehungsweise ihrem Kitz verglichen wird.b Was die griechischen Begriffe angeht, hat dieses Tier seinen Namen vom Sehen und scharf in die Ferne Schauen erhalten.455 Und wer ist es, der so sieht, wie Christus sieht? Er allein nämlich ist es, der den Vater sieht beziehungsweise erkennt.c 45. Denn auch wenn gesagt wird, dass die, die reinen Herzens sind, Gott sehen werden,d werden sie sehen, weil er selbst es zweifellos offenbart, da es auch in der Natur der Gazelle liegt, dass sie nicht nur selbst äußerst scharf sieht und in die Ferne schaut, sondern auch anderen das Sehen gewährt. Denn die Fachleute in der Medizin behaupten, dass dieses Tier eine bestimmte Flüssigkeit in den Eingeweiden hat, die das Dunkel der Augen vertreibt und abgestumpfte Sehsinne schärft. Zu Recht also wird Christus mit der Gazelle beziehungsweise ihrem Kitz verglichen, weil er nicht nur selbst den Vater sieht, sondern auch dafür sorgt, dass er von denen gesehen wird, deren Sehsinn er selbst geheilt hat. 46. Beachte aber, dass du nicht, wenn du hörst, dass der Vater gesehen wird, an etwas Körperliches denkst und Gott für sichtbar hältst. Der Sehsinn, mit dem Gott gesehen wird, ist nicht der des Körpers, sondern der des Verstandes und des Geistes.456 Auch der Erlöser selbst hat im Evangelium mit einem speziellen Begriff diesen Unterschied gemacht, indem er nicht sagte: Niemand hat den Vater gesehen außer dung (Perfekt deÂdorka), „scharf sehen, einen scharfen Blick haben“; so auch in Cant. hom. 2,11 (GCS Orig. 8, 56). Aus diesem Grund ist das lateinische caprea in Hld. 2,9, das eigentlich „Ziege“ heißt, mit „Gazelle“ zu übersetzen. 456 Zum Folgenden siehe die grundsätzlichen, gegen anthropomorphe Vorstellungen gerichteten Überlegungen zur Unkörperlichkeit, Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit bzw. Erkennbarkeit Gottes und zur Unterscheidung von körperlichem Sehen und geistigem Sehen, d.h. Erkennen, in princ. I 1,8f. (GCS Orig. 5, 24–27); II 4,3 (5, 131). Zum von Origenes nicht gelösten Problem der Erkennbarkeit des Vaters durch den Sohn siehe die grundlegenden Erörterungen von Williams, Son’s knowledge, ferner Hengstermann, Neoplatonism of Origen 78f. 83f., und Fürst, Weisheit 304f. 313f.

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Hoheliedkommentar

Filius.“ a Denique et his, quos facit Deum uidere, dat spiritum scientiae et spiritum sapientiae, b ut per ipsum spiritum uideant Deum. Et ideo dicebat ad discipulos quia: „Qui me uidit, uidit et Patrem.“ c 47. Et utique non ita inepti erimus, ut putemus, quod, qui secundum corpus Iesum uidit, uiderit etiam Patrem; alioquin inueniuntur et scribae et Pharisaei, hypocritae d et Pilatus, qui eum flagellis cecidit, e et omnis ille populus, qui clamabat: „Crucifige, crucifige eum“, f uidentes Iesum secundum carnem g etiam Deum Patrem uidisse. Quod utique non solum absurdum uidetur esse, sed et impium. 48. Sicut enim, cum turbae eum comprimerent euntem cum discipulis, nullus eorum, qui premebant et coarctabant eum, tetigisse eum dicitur, nisi illa sola, quae profluuium sanguinis passa uenit et tetigit fimbriam uestimenti eius, h et ipsi soli testimonium perhibet dicens quia: „Tetigit me aliquis; ego enim sensi uirtutem de me exisse“, i ita et cum plures essent, qui eum uidebant, nullus uidisse eum dicitur, nisi qui agnouit, quod Verbum Dei j et Filius Dei k est; in quo simul utique agnosci et uideri dicitur Pater. 49. Sed et hoc nos non praetereat, quod prius capreae et sic hinnulo ceruorum comparatur, l cum utique maius animal ceruus quam caprea uideatur. 50. Sed animaduerte, ne illa potius in his habenda sit ratio, quia, cum dupliciter constet salus credentium, per agnitionem fidei et operum perfectionem, ratio fidei, quae pro intuitu et inspectione contemplationis capreae, ut diximus, comparatur, primus habeatur salutis gradus, secundo uero in loco operum perfectio, quae cerui formam tenet uincentis et perimentis uenena serpentium artesque diabolicas, memoretur. 51. Sic ergo sponsa similem dicit esse fraternum suum capreae uel hinnulo ceruorum in montibus Bethel. m Bethel domus Dei interpretatur. Montes ergo, qui in domo Dei sunt, possunt legis et prophetarum, sed et euangelica atque apostolica accipi uolumina, ex quibus et fides Dei perspicitur et contemplatur et operum perfectio discitur et adimpletur. Mt. 11,27 2 Kor. 5,16 m Hld. 2,9 a

g

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c Jes. 11,2 Joh. 14,9 i Lk. 8,43–45 Lk. 8,46

h

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Mt. 23,13 j Offb. 19,13

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Joh. 19,1 k Joh. 1,34

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Lk. 23,21 l Hld. 2,9

457 Zur Erklärung dieser körperlichen Berührung, die im Kern eine geistige ist, siehe ausführlich in Lev. hom. 3,3 (GCS Orig. 6, 303f.). 458 Im Verhältnis zwischen dem Glauben und der Schau, der Gazelle, und den Werken, dem Hirsch, als zweiter und höherer (!) Stufe des Heils kommt die Verschränkung von Theorie und Praxis in der ethischen Metaphysik des Origenes zum Ausdruck, in der es „weder die Praxis noch die Theorie ohne das jeweils andere gibt“, wie er in Luc. frg. 171 (GCS Orig. 92, 298) sagt. Siehe dazu Völker, Vollkommenheitsideal 76–196; Schockenhoff, Zum Fest der Freiheit 269–297; Hengstermann, Leben des Einen 447–451; Fürst, OWD 7, 32–36. Auch Gnade und Bekehrung bzw. Werke der Bekehrung und Werke der Gnade werden von Origenes in einem kom-

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dem Sohn, sondern: „Niemand hat den Vater erkannt außer dem Sohn.“a Schließlich gibt er auch denen, die er Gott sehen lässt, den Geist der Erkenntnis und den Geist der Weisheit,b damit sie eben durch den Geist Gott sehen. Und deshalb sagte er zu den Jüngern: „Wer mich gesehen hat, hat auch den Vater gesehen.“c 47. Und wir werden gewiss nicht so töricht sein zu glauben, dass der, der Jesus dem Leibe nach gesehen hat, auch den Vater gesehen hat. Andernfalls wird man dazu kommen, dass auch die Schriftgelehrten und die Pharisäer, die Heuchlerd und Pilatus, der ihn mit Geißeln schlagen ließ,e und jenes ganze Volk, das schrie: „Kreuzige, kreuzige ihn!“,f als sie Jesus dem Fleische nachg sahen, auch Gott den Vater gesehen haben. Was gewiss nicht nur widersinnig zu sein scheint, sondern auch gottlos. 48. So nämlich wie damals, als die Massen ihn bedrängten, während er mit den Jüngern unterwegs war, von keinem von denen, die ihn drängten und beengten, gesagt wird, dass er ihn berührt hat, außer von der einen allein, die an Blutfluss leidend kam und den Saum seines Gewandes berührteh und von der allein er bezeugt, dass „jemand mich berührt hat; ich spürte nämlich, dass eine Kraft von mir ausging“,i 457 so wird auch, obwohl es viele gab, die ihn sahen, von keinem gesagt, er habe ihn gesehen, außer von dem, der erkannt hat, dass er das Wort Gottesj und der Sohn Gottesk ist, in dem, wie es heißt, der Vater gewiss zugleich erkannt und gesehen wird. 49. Doch auch dies soll uns nicht entgehen, dass er erst mit der Gazelle und dann mit dem jungen Hirsch verglichen wird,l obwohl der Hirsch doch gewiss ein größeres Tier als die Gazelle zu sein scheint. 50. Doch bedenke, ob nicht vielmehr dieser Sinn darin liegt: Da das Heil der Gläubigen in zweifacher Hinsicht auf der Erkenntnis des Glaubens und auf der Verrichtung von Werken beruht, nimmt die vernünftige Einsicht in den Glauben, die wegen des Sehens und der Schau der Betrachtung, wie gesagt, mit der Gazelle verglichen wird, die erste Stufe des Heils ein, an zweiter Stelle aber wird die Verrichtung von Werken erwähnt, für die als Symbol der Hirsch steht, der die Gifte der Schlangen und die diabolischen Künste besiegt und zunichte macht.458 51. In diesem Sinne also sagt die Braut, dass ihr Geliebter der Gazelle oder dem jungen Hirsch auf den Bergen von Bethel gleicht.m Bethel bedeutet übersetzt Haus Gottes.459 Die Berge, die im Hause Gottes sind, können also als die Bücher des Gesetzes und der Propheten, aber auch als die evangelischen und apostolischen Bücher aufgefasst werden, aus denen sowohl der Glaube an Gott erschaut und betrachtet als auch die Verrichtung von Werken gelernt und erfüllt wird. plexen reziproken Verhältnis aufeinander bezogen: in Regn. hom. lat. 5 (GCS Orig. 8, 8f.), dazu Schockenhoff, ebd. 44–47; Fürst, ebd. 53f. 459 Vgl. Origenes, in Iud. hom. 5,3 (GCS Orig. 7, 493); epist. Greg. 3 (SC 148, 192); Hieronymus, int. hebr. nom. p. 3 Lagarde (CChr.SL 72, 62); Wutz, Onomastica sacra 1061. 1067.

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Hoheliedkommentar

Hld. 2,9f.: „Siehe, er steht hinter unserer Mauer, beugt sich über die Fenster, schaut durch die Netze. Mein Geliebter antwortet und spricht zu mir.“

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14,1. „Ecce, hic stetit post parietem nostrum, incumbens super fenestras, prospiciens per retia. Respondit fraternus meus et dicit mihi.“ a Cum considero difficultates inuestigandi sensus in his, qui propositi sunt, scripturae sermonibus, simile mihi aliquid pati uideor huic, qui ad inuestigandam uenationem odoratibus sagacis canis procedit; ubi interdum moris est, ut, cum uestigiis intentus proximum se uenator latentibus effectum putauerit esse cubilibus, subito uestigiorum deseratur indiciis et rursum fixius impressis odoratibus easdem, quas explicuerat, retrorsum redeat uias, donec inueniat locum, in quo se altius excutiens uenatio latenter ad aliam transtulit uiam, quam cum uenator inuenerit, alacrior exsequitur spe praedae certior et uestigii firmitate securior. 2. Ita ergo et nos, ubi se propositae explanationis quodam modo substraxere uestigia, paululum repetentes et planiorem, quam dudum uidebatur, expositionis ordinem persequentes speramus, quod Dominus Deus noster tradat in manus nostras uenationem, quam praeparantes et secundum scientiam matris Rachel b rationabilis uerbi salibus c condientes benedictiones mereamur consequi a spiritali patre Iacob. d 3. Propter quod necessarium uidetur, ut diximus, breuiter repetentes explanationem priorem retexere, ut, qui sit lucidior sensus, aperiatur. 4. Intelligi igitur mihi uidetur ex initio propositi dramatis sponsam foris stare in biuio et ob amorem sponsi hinc atque inde prospicere, si forte ueniat, si forte appareat, nec uelle uiam ingredi aliquam, dum ignorat, unde magis ueniat, nec domi, sed foris stare et desiderio eius agitatam dicere: „Osculetur me ab osculis oris sui.“ e Vbi autem uenit sponsus, dicat: „Bona sunt ubera tua super uinum“ et reliqua usque ad eum locum, ubi ait: „Post te curremus.“ f 5. Post haec dilecta iam et uicem caritatis ab sponso recipiens a

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Gen. 27,14

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Hld. 1,2

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460 Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Clemens von Alexandria, strom. I 21,1 (GCS Clem. Al. 24, 14): „Wie also der Jagdliebhaber das Wild sucht, erspäht, aufspürt, mit Hunden jagt und erlegt, so zeigt sich auch das Wahre nur, wenn es mit Hilfe seiner Süßigkeit aufgespürt und mit Anstrengung ausfindig gemacht wird.“ 461 Der Weg zur Erkenntnis des geistigen Vaters Gott (Jakob) führt über die Mutter Kirche (Rahel), und zwar methodisch so, dass zur Erklärung der Bibel das ,Salz des Logos‘, die Vernunft, herangezogen wird. In diesem metaphernreichen Satz bringt Origenes exakt das Konzept von theologischer Forschung zum Ausdruck, das er im Vorwort zu De principiis grundgelegt hat; princ. I praef. 1–3 und 10 (GCS Orig. 5, 7–9 und 16): Auf der Basis der Bibel (und zwar der ganzen Bibel aus Altem und Neuem Testament) und im Gefolge der kirchlichen Tradition der apostolischen

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14. Der vernünftige und symbolische Weg zur Erkenntnis durch die körperlichen Sinne in der Dialektik von Verborgenheit im Buchstaben und Offenbarung im Geist und die Erlösung von der Sünde durch die Freiheit des sündenlosen Herrn

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14,1. „Siehe, er steht hinter unserer Mauer, beugt sich über die Fenster, schaut durch die Netze. Mein Geliebter antwortet und spricht zu mir.“a Wenn ich die Schwierigkeiten bedenke, die es macht, den Sinn in den vorliegenden Worten der Schrift aufzuspüren, scheint es mir ähnlich zu gehen wie dem, der beim Aufspüren des Jagdwilds mit Hilfe des scharfen Spürsinns eines Hundes vorgeht. Da ist es zuweilen üblich, dass der Jäger, obwohl er, aufmerksam auf die Spuren achtend, glaubt, den verborgenen Lagern ganz nahe gekommen zu sein, plötzlich von den Hinweisen der Spuren im Stich gelassen wird und nach intensiverer Aufnahme der Witterung noch einmal dieselben Wege, die er zurückgelegt hatte, zurückverfolgt, bis er den Ort findet, an dem das Jagdwild mit einem hohen Sprung heimlich einen anderen Weg eingeschlagen hat. Wenn der Jäger diesen Weg gefunden hat, folgt er ihm energischer, weil er mit größerer Sicherheit auf Beute hofft und die kräftige Spur ihn zuversichtlicher stimmt. 2. So hoffen also auch wir, dass dort, wo sich die Spuren der vorgelegten Auslegung in gewisser Weise verlieren, der Herr, unser Gott, wenn wir ein wenig wiederholen und die Ordnung der Auslegung klarer, als es bisher möglich schien, durchgehen, das Jagdwild in unsere Hände gibt.460 Wenn wir es zubereiten und es entsprechend der Kochkunst der Mutter Rahelb mit den Salzen des vernünftigen Wortes würzen,c werden wir verdientermaßen die Segnungen vom geistigen Vater Jakob erhalten.d 461 3. Deshalb scheint es notwendig zu sein, wie gesagt, in einer kurzen Wiederholung die vorige Auslegung darzulegen, damit deutlich wird, was der klarere Sinn ist. 4. Man wird es sich also, meine ich, so vorstellen, dass die Braut zu Beginn des vorliegenden Dramas draußen an einer Kreuzung steht und aus Liebe zum Bräutigam hierhin und dorthin schaut, ob er vielleicht kommt, ob er vielleicht erscheint, und sich weder auf einen der Wege machen will, solange sie nicht weiß, woher er am ehesten kommt, noch im Haus, sondern draußen steht und von Sehnsucht nach ihm aufgewühlt sagt: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“e Sobald aber der Bräutigam kommt, soll sie sagen: „Deine Brüste sind besser als Wein“ und das übrige bis zu der Stelle, wo sie sagt: „Wir werden hinter dir herlaufen.“f 5. Danach soll sie, da sie nunmehr schon geliebt wird und die Gegenliebe vom Bräutigam empVerkündigung untersuchen die „Liebhaber der Weisheit“, also die Philosophen, als welche Origenes die Theologen beschreibt, die offenen Fragen und Probleme, auf die sie mit Hilfe der biblischen Aussagen und logischer (vernünftiger) Schlussfolgerungen eine konsistente Antwort zu geben versuchen.

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introducatur in cubiculum eius et dicat: „Introduxit me rex in cubiculum suum.“ a Sed et cetera, quae post haec scripta sunt, intus posita loquatur ad sponsum praesentibus et assistentibus sponsae quidem adulescentulis, sponso uero sodalibus. 6. Verumtamen intelligatur sponsus utpote uir non semper esse in domo neque semper assidere sponsae intra domum positae, sed exeat frequenter et illa eum quasi amore eius sollicita requirat absentem; sed et ipse interdum redeat ad eam. Propter quod et uidetur per totum libellum aliquando quidem uelut absens requiri sponsus, aliquando uero uelut praesens colloqui cum sponsa. 7. Ipsa autem sponsa cum multa et magnifica in sponsi cubiculo peruidisset, petit se etiam in domum uini introduci. b Quam cum ingressa perspexisset, sponsus utpote uir non resederit in domo, ipsa uero rursus amore eius exagitata exierit foras et circumiens peragret circa domum ingrediens atque egrediens et omni ex parte prospiciat, quando ad eam redeat sponsus; et ecce, subito uideat eum uicinorum montium iuga immensis saltibus superantem descendere ad domum, in qua amore eius sollicita aestuat sponsa. 8. Perueniens uero sponsus ad parietem domus stet paululum post ipsum considerans, ut fieri solet, aliquid et animo retractans; iam uero etiam ipse sentiens aliquid amoris erga sponsam, usus altitudine sua, quae attingit usque ad fenestras domus, quae fenestrae habeant partem aliquam operis, ut aiunt, reticulati, et, cum incumbat quidem per fenestras, eminentior autem sit etiam fenestris et attingat usque ad superiora earum, quae reticulato, ut diximus, opere distinctae sunt, inde prospiciens alloquatur sponsam et dicat ei: „Exsurge, ueni proxima mea, formosa mea, columba mea“ c et reliqua. 9. Haec sunt, quae, ut superius designauimus, difficultatem plurimam dirigendi ordinis et aperiendae intelligentiae habere nobis uisa sunt. Quae, ut puto, euidentiora fecerit repetita haec nunc indago sermonum. 10. Spiritalis autem in his expositio non ita laboriosa ac difficilis habetur. Sponsa enim Verbi anima, quae in domo eius regali, hoc est in ecclesia, consistit, docetur a Verbo Dei, qui est sponsus suus, quaecumque sunt reposita et recondita intra aulam regiam et cubiculum regis; d discit in hac domo, quae est ecclesia Dei uiui, e etiam uini illius, quod de sanctis torcularibus congregatum est, cellam, uini non solum noui, sed et ueteris ac a

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fängt, in sein Gemach geführt werden und sagen: „Der König hat mich in sein Gemach geführt.“a Doch auch das Weitere, das danach geschrieben steht, soll sie drinnen zum Bräutigam sprechen, und zwar in Gegenwart von Mädchen, die die Braut, von Gefährten hingegen, die den Bräutigam begleiten. 6. Man wird es sich allerdings wohl so vorstellen, dass der Bräutigam als Mann, der er ist, nicht ständig im Haus weilt und nicht ständig bei der Braut im Inneren des Hauses hockt, sondern oft hinausgeht und sie sich, wie von Liebe zu ihm erregt, nach ihm sehnt, wenn er nicht da ist. Doch ab und an kehrt er auch zu ihr zurück. Deswegen scheint der Bräutigam auch durch das ganze Buch hindurch manchmal wie ein Abwesender gesucht zu werden, sich manchmal hingegen wie ein Anwesender mit der Braut zu unterhalten. 7. Nachdem aber die Braut im Gemach des Bräutigams viele und großartige Dinge gesehen hat, bittet sie darum, selbst auch in das Haus des Weines hineingeführt zu werden.b Nachdem sie dieses betreten und es genau betrachtet hat, soll der Bräutigam als Mann, der er ist, nicht im Haus sitzen bleiben, sie selbst hingegen wiederum von Liebe zu ihm aufgewühlt nach draußen gehen und hierin und dorthin um das Haus herumstreifen, hineingehen, hinausgehen und in alle Richtungen Ausschau halten, wann der Bräutigam zu ihr zurückkehrt. Und siehe, plötzlich soll sie ihn erblicken, wie er die Rücken der benachbarten Berge mit riesigen Sprüngen überwindet und zum Haus herabsteigt, in dem die Braut vor heftiger Liebe zu ihm brennt. 8. Als der Bräutigam aber die Mauer des Hauses erreicht, soll er ein Weilchen hinter ihr stehen und, wie es oft geschieht, über etwas nachdenken und es im Geiste noch einmal durchgehen. Wenn dann jedoch auch er etwas Liebe zur Braut verspürt, soll er seine Größe nutzen, die bis zu den Fenstern des Hauses reicht – diese Fenster haben, sagt man, in einem Teil ein Netzwerk –, und wenn er sich über die Fenster beugt, aber sogar die Fenster überragt und bis zu ihren höchsten Teilen reicht, die, wie gesagt, wie ein Netzwerk durchbrochen sind, soll er, wenn er durch dieses hindurchschaut, die Braut ansprechen und zu ihr sagen: „Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube“c und so weiter. 9. Das sind die Sachverhalte, die uns – worauf wir weiter oben hingewiesen haben – eine sehr große Schwierigkeit zu bieten schienen, wenn man ihren Ablauf bestimmen und ihr Verständnis erschließen will. Durch diese hiermit wiederholte Untersuchung der Worte dürften sie, wie ich meine, deutlicher geworden sein. 10. Die geistige Auslegung dieser Aussagen aber ist nicht so anstrengend und schwierig. Denn die Braut des Wortes, die Seele, die in seinem königlichen Haus, das heißt in der Kirche, weilt, wird vom Wort Gottes, das ihr Bräutigam ist, über alles unterrichtet, was in der Königshalle und im Gemach des Königsd aufbewahrt und verborgen ist. Sie lernt in diesem Haus, das die Kirche des lebendigen Gottes ist,e auch den Keller jenes Weines kennen, der aus den heiligen Keltern abgefüllt worden ist, nicht nur des neuen, sondern auch des alten und süßen Weines, der die Lehre des Gesetzes

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suauis, quae est doctrina legis et prophetarum; in quibus sufficienter exercitata recipiat in se ipsum, qui erat in principio apud Deum Deus Verbum, a sed non semper secum permanentem b – non enim possibile est hoc humanae naturae –, sed interdum quidem uisitetur ab eo, interdum uero relinquatur, ut amplius desideret eum. 11. Cum uero uisitatur a Verbo Dei secundum propositi uersiculi sensum, per montes saliens c uenire dicitur ad eam, excelsos scilicet et eleuatos reuelans ei caelestis scientiae sensus, ita ut perueniat usque ad aedificationem ecclesiae, quae est domus Dei uiui, columna et firmamentum ueritatis, d et stet iuxta parietem uel post parietem, e ut neque penitus abscondatur neque omnimodis in promptu sit. 12. Verbum enim Dei et sermo scientiae f non in publico et palam positus neque conculcandus pedibus g apparet, sed, cum quaesitus fuerit, inuenitur et inuenitur non, ut diximus, in propatulo positus, sed obtectus et quasi post parietem latens. 13. Anima autem, quae in ecclesia esse dicitur, non intra aedificia parietum collocata intelligitur, sed intra munimenta fidei et aedificia sapientiae posita celsisque fastigiis caritatis obtecta. Propositum ergo bonum et fides rectorum dogmatum esse animam in domo ecclesiae facit; cuius domus membra quaedam sunt, quae uel cubiculum h uel domus uini i uel alia huiusmodi pro gratiarum scilicet gradibus et donorum spiritalium diuersitatibus appellantur. 14. Sic ergo et paries nunc pars quaedam domus huius est, quae potest indicare dogmatum firmitatem, sub qua stare dicitur sponsus et in quibus tam magnus et excelsus est, ut emineat omne aedificium et prospiciat sponsam, id est animam; et nondum quidem apertum se ei totumque manifestet, sed quasi per retia prospiciens j hortetur eam et prouocet non sedere intrinsecus segnem, sed exire ad se foras et conari, ut non iam per fenestras et retia neque per speculum in aenigmate, sed procedens foras facie ad faciem k uideat eum. Nunc enim, quia nondum potest ita eum intueri, propterea non in ante, sed retro ei et post parietem stat. 15. Incumbit autem et per fenestras, quae sine dubio patebant ad recipiendum lumen et illuminandam domum. Per has ergo sermo Dei incumbens et prospiciens prouocat exsurgere et ad se uenire l animam. a g

Joh. 1,1 Mt. 7,6

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Mt. 26,11 Hld. 1,4

Hld. 2,8 Hld. 2,4

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1 Kor. 12,8 l Hld. 2,10

462 Bereits in Cant. comm. III 11,18f. thematisierte Origenes das Dasein und das Verborgensein Christi. Aus in Cant. hom. 1,7 (GCS Orig. 8, 39), zitiert oben S. 350 Anm. 411, geht hervor, dass es sich hierbei um eine Erfahrung handelt, die Origenes als Exeget auch persönlich ständig gemacht hat. 463 Zu dieser bei Origenes häufigen Anspielung auf Mt. 7,7 par. Lk. 11,9, direkt zitiert in Cant. hom. 1,8 (GCS Orig, 8, 40) siehe Brox, Suchen und Finden. Aus diesem Zusammenhang von Suchen und Finden geht hervor, dass es Origenes nicht um esoterische Geheimhaltung geht, sondern um einen Aufruf zum Fragen und For-

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und der Propheten ist. Wenn sie darin hinreichend geübt ist, empfängt sie in sich das Wort selbst, das im Anfang Gott bei Gott war,a doch es bleibt nicht immer bei ihrb – dies ist nämlich für die menschliche Natur unmöglich –, sondern sie wird zeitweilig von ihm besucht, zeitweilig hingegen verlassen, damit sie sich umso mehr nach ihm sehnt.462 11. Wenn sie aber vom Wort Gottes im Sinne des vorliegenden Verses besucht wird, heißt es, dass er über die Berge springendc zu ihr kommt, indem er ihr also herausragende und erhabene Gedanken der himmlischen Erkenntnis offenbart, so dass er das Ziel, den Aufbau der Kirche, erreicht, die das Haus des lebendigen Gottes ist, die Säule und die Grundfeste der Wahrheit,d und neben der Mauer beziehungsweise hinter der Mauer steht,e so dass er weder ganz verborgen noch ganz offen sichtbar ist. 12. Denn das Wort Gottes und das Wort der Erkenntnisf ist nicht in der Öffentlichkeit vor aller Welt exponiert und zeigt sich nicht, um von den Füßen zertreten zu werden,g sondern es wird gefunden, wenn es gesucht worden ist,463 und es wird, wie gesagt, nicht öffentlich exponiert gefunden, sondern bedeckt und gleichsam hinter einer Mauer versteckt. 13. Die Seele aber, von der man sagt, sie sei in der Kirche, wird nicht als eine verstanden, die innerhalb von Gebäuden aus Mauern untergebracht ist, sondern sich in den Bollwerken des Glaubens und den Gebäuden der Weisheit befindet und von den hohen Zinnen der Liebe bedeckt ist. Der gute Vorsatz also und der Glaube an die rechten Lehren lassen die Seele im Haus der Kirche sein. Dieses Haus hat gewisse Zimmer, die Gemachh oder Haus des Weinesi heißen oder je nach den Stufen der Gnaden und der Verschiedenheit der geistigen Gaben andere Namen dieser Art tragen. 14. So ist also auch die Mauer jetzt ein bestimmter Teil dieses Hauses, der auf die Festigkeit der Lehren hinweisen kann und unter dem, wie es heißt, der Bräutigam steht. Und in diesen Lehren ist er so groß und hoch erhaben, dass er jedes Gebäude überragt und auf die Braut blickt, das heißt auf die Seele. Allerdings zeigt er sich ihr noch nicht offen und ganz, sondern indem er wie durch Netze schaut,j ermahnt er sie und fordert sie auf, nicht untätig drinnen zu sitzen, sondern zu ihm nach draußen zu gehen und zu versuchen, ihn nicht mehr durch die Fenster und Netze und nicht mehr durch einen Spiegel im Rätsel, sondern nach draußen gehend von Angesicht zu Angesichtk zu sehen. Denn da sie jetzt noch nicht in der Lage ist, ihn so anzuschauen, deshalb steht er nicht vor, sondern hinter ihr und hinter der Mauer. 15. Er beugt sich aber auch durch die Fenster, die zweifellos offen standen, um Licht hereinzulassen und das Haus zu erleuchten. Indem sich also das Wort Gottes durch diese beugt und schaut, fordert es die Seele auf, aufzustehen und zu ihm zu kommen.l

schen nach der Gotteserkenntnis, die nicht einfach offen zugänglich ist, und um das Vertrauen darauf, dass Gott dieser Suche das Finden nicht versagen wird.

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16. Possumus autem sensus corporeos fenestras intelligere, per quos aut uita aut mors intrat ad animam; sic enim designat Hieremias propheta, cum de peccatoribus loquitur, dicens: „Adscendit mors per fenestras uestras.“ a Quomodo mors adscendit per fenestras? Si oculi peccatoris uideant mulierem ad concupiscendum; et quoniam, qui ita uiderit mulierem, moechatus est eam in corde suo, b sic mors ingressa est ad animam per fenestras oculorum. Sed et cum recipit quis auditum uanum et praecipue falsae scientiae dogmatum peruersorum, tunc mors per aurium fenestras intrat ad animam. 17. Si uero anima intuens ornamentum mundi et ex pulchritudine creaturarum conditorem omnium intelligat Deum et opera eius miretur laudetque operum creatorem, ad hanc animam uita per fenestras ingreditur oculorum. Sed et cum auditum inclinat ad Verbum Dei et rationibus sapientiae eius ac scientiae delectatur, huic per aurium fenestras ad animam sapientiae lumen ingreditur. 18. Per has ergo fenestras prospiciens Verbum Dei et prospectum suum ad sponsam animam dirigens assurgere eam hortatur et uenire ad se, id est relinquere corporea et uisibilia et ad incorporea ac spiritalia properare, quoniam „quae uidentur, temporalia sunt, quae autem non uidentur, aeterna sunt“. c Sic et spiritus Dei circuire dicitur et quaerere dignas animas, quae aptae fieri possint ad habitaculum sapientiae. d 19. Quod autem per retia prospicere dicitur fenestrarum, illud sine dubio indicat, quod, donec in domo huius corporis posita est anima, non potest nudam et apertam capere Dei sapientiam, sed per exempla quaedam et indicia atque imagines rerum uisibilium illa, quae sunt inuisibilia et incorporea, contemplatur; et hoc est prospicere ad eam sponsum per retia fenestrarum. 20. Si uero de Christo haec et ecclesia exponamus, domus, in qua habitabat ecclesia, scripturae sunt legis et prophetarum; ibi enim et cubiculum regis e est omnibus diuitiis sapientiae ac scientiae f repletum; ibi et domus uini, g doctrina scilicet uel mystica uel moralis, quae laetificat cor hominum. h 21. Adueniens ergo Christus stetit paululum post parietem domus ueteris testamenti. Stabat enim post parietem, cum nondum manifestaretur a g

Jer. 9,21(20) Hld. 2,4

h

b c Mt. 5,28 2 Kor. 4,18 Ps. 103(104),15

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Weish. 6,16

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Hld. 1,4

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Kol. 2,3

1 Cf. frg. 29 (Prokop 116; Barba`ra 25)

464 Wie mit den falsae scientiae dogmata perniciosa in Cant. comm. III 6,7 kritisiert Origenes damit gnostische Lehrmeinungen. Siehe dazu oben S. 317 Anm. 365. 465 Siehe dazu in Cant. comm. prol. 2,17 und dazu oben S. 71 Anm. 32. 466 Origenes unterscheidet neben dem wörtlichen Sinn zwei übertragene Sinne der Heiligen Schrift, den mystischen, den er auch den geistigen Sinn nennt und der in

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16. Wir können jedoch unter den Fenstern die körperlichen Sinne verstehen, durch die entweder das Leben oder der Tod in die Seele eintritt. So nämlich deutet es der Prophet Jeremia an, wenn er über die Sünder sagt: „Der Tod stieg durch eure Fenster herauf.“a Wie steigt der Tod durch die Fenster herauf? Wenn die Augen eines Sünders eine Frau begehrlich anschauen! Und da derjenige, der eine Frau so angeschaut hat, in seinem Herzen mit ihr die Ehe gebrochen hat,b ist so der Tod durch die Fenster der Augen in die Seele eingedrungen. Doch auch, wenn jemand einen nichtigen und besonders einen von den verkehrten Lehrsätzen der falschen Erkenntnis464 bestimmten Vortrag vernimmt, dann tritt der Tod durch die Fenster der Ohren in die Seele ein. 17. Wenn eine Seele hingegen die prachtvolle Ausstattung der Welt betrachtet und aus der Schönheit der Geschöpfe den Schöpfer von allem, Gott, erkennt,465 seine Werke bewundert und den Schöpfer der Werke lobt, tritt in diese Seele das Leben durch die Fenster der Augen ein. Doch auch wenn sie das Gehör dem Wort Gottes zuwendet und sich an den sinnvollen Darlegungen seiner Weisheit und Erkenntnis erfreut, tritt ihr durch die Fenster der Ohren das Licht der Weisheit in die Seele ein. 18. Indem also das Wort Gottes durch diese Fenster schaut und seinen Blick auf die Braut, die Seele, richtet, ermahnt es sie, aufzustehen und zu ihm zu kommen, das heißt, die körperlichen und sichtbaren Dinge zu verlassen und zu den unkörperlichen und geistigen zu eilen, da ja, „was gesehen wird, zeitlich ist, was aber nicht gesehen wird, ewig ist“.c So geht auch, sagt man, der Geist Gottes herum und sucht würdige Seelen, die fähig werden können, Wohnplatz der Weisheit zu sein.d 19. Wenn es aber heißt, er schaue durch die Netze der Fenster, weist das zweifellos darauf hin, dass die Seele, solange sie sich im Haus dieses Körpers befindet, die Weisheit Gottes nicht nackt und offen erfassen kann, sondern durch gewisse Hinweise und Zeichen und Bilder der sichtbaren Dinge das Unsichtbare und Unkörperliche betrachtet. Und das bedeutet es, dass der Bräutigam sie durch die Netze der Fenster anschaut. 20. Wenn wir aber diese Passagen in Bezug auf Christus und die Kirche auslegen sollen, sind das Haus, in dem die Kirche wohnte, die Schriften des Gesetzes und der Propheten. Dort nämlich ist auch das Gemach des Königs,e das mit allen Reichtümern der Weisheit und der Erkenntnisf angefüllt ist. Dort ist auch das Haus des Weines,g nämlich die mystische ebenso wie die moralische Lehre, die das Herz der Menschen erfreut.h 466 21. Als Christus also ankam, stand er eine Weile hinter der Mauer des Hauses des Alten Testaments. Er stand nämlich hinter der Mauer, als er sich noch nicht dem den Geheimnissen der geistigen Wirklichkeit besteht, und den moralischen Sinn, der Anweisungen zu einem Gott gefälligen Leben gibt: princ. IV 2,4 (GCS Orig. 5, 312–314); IV 2,6 (5, 315–318). In seiner exegetischen Praxis sind die intellektuelle und die ethische Dimension der Auslegung freilich eng miteinander verschränkt.

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ad populum; ubi uero affuit tempus et coepit per fenestras legis ac prophetarum, per ea scilicet, quae de eo praedicata fuerant, apparere et ostendere se ecclesiae intra domum, hoc est intra litteram legis, sedenti, prouocat eam inde exire et uenire foras ad se. a 22. Nisi enim exeat, nisi procedat et progrediatur a littera ad spiritum, non potest sponso coniungi neque Christo sociari. Vocat ergo eam et inuitat a carnalibus ad spiritalia, a uisibilibus ad inuisibilia, a lege uenire ad euangelium. Et ideo dicit ei: „Surge, ueni, proxima mea, formosa mea, columba mea.“ b 23. Et, ut aliqua etiam de his, quae postmodum dicenda sunt, praeueniamus nolentes sensum perdere, qui occurrit in loco, propterea fortassis et illud dicit ad eam quia: „Ecce hiems transiit, pluuia abiit“, c simul et tempus paschae indicans, quod transacta hieme et digestis imbribus passus est, simul et illud per spiritalem designans intelligentiam, quod usque ad illud tempus, quo Dominus passus est, imbres fuerunt super terram. 24. Mandabat enim adhuc Dominus imbribus, prophetis, ut pluerent Verbi pluuiam super terram. d Sed quia usque ad Iohannem e baptistam prophetica finiuntur officia, merito imbres abisse et discessisse dicuntur. 25. Cessarunt autem prophetici imbres non ad damnum credentium, sed ad maiora ecclesiae lucra. Quid enim imbribus opus est, ubi flumen Dei laetificat ciuitatem, f ubi in corde uniuscuiusque credentium fons aquae uiuae fit salientis in uitam aeternam? g Quid opus est imbribus, ubi iam flores apparuerunt in terra h nostra et ex aduentu Domini iam non exciditur ficulnea, quae prius non attulerat fructum? i Nunc enim iam produxit grossos suos. Sed et uineae dederunt odorem suum. j Vnde et unus quidam ex ista uinea dicebat: „Quia Christi bonus odor sumus Deo in omni loco in his, qui salui fiunt, et in his, qui pereunt.“ k 26. Sed haec, sicut supra designauimus, antequam ad ipsa scripturae loca ueniremus, praesumpsimus, ne forte fugeret nos sensus, qui occurrisse uidebatur in tempore. Nunc ergo repetamus, quomodo per retia prospicere l dicatur. 27. Scriptum est: „Non enim inique tenduntur retia auibus“; m et iterum iustus, si incurrerit in peccatum, effugere iubetur, sicut damula ex laqueis et Hld. 2,9 Lk. 16,16 k 2 Kor. 2,15 a

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Hld. 2,10 Ps. 45(46),5 l Hld. 2,9

b f

Hld. 2,11 Joh. 4,14 m Spr. 1,17 c

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d Jes. 5,6; 45,8; Ez. 34,26; Sach. 10,1 i j Hld. 2,12 Mt. 21,19 Hld. 2,13

6 Cf. frg. 30 (Prokop 120.1–11; Barba`ra 26)

467 Für Origenes steht die Wolke für jeden Heiligen. Den Propheten als Wolke wird befohlen, Regen zu spenden oder zurückzuhalten: in Hier. hom. 8,3–5 (GCS Orig.

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Volk offenbarte. Als jedoch die Zeit gekommen war und er anfing, durch die Fenster des Gesetzes und der Propheten, also durch die Dinge, die über ihn vorhergesagt worden waren, zu erscheinen und sich der innerhalb des Hauses, das heißt innerhalb des Buchstabens des Gesetzes sitzenden Kirche zu zeigen, ruft er sie auf, von dort herauszugehen und zu ihm nach draußen zu kommen.a 22. Denn wenn sie nicht herausgeht, wenn sie nicht hervorkommt und vom Buchstaben zum Geist voranschreitet, kann sie nicht mit dem Bräutigam verbunden noch mit Christus vereint werden. Er ruft sie also und lädt sie ein, vom Fleischlichen zum Geistigen, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, vom Gesetz zum Evangelium zu kommen. Und deshalb sagt er ihr: „Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube!“b 23. Und um auch etwas von dem vorwegzunehmen, was erst später zu besprechen ist, weil wir nicht wollen, dass ein Sinn verloren geht, der sich an der Stelle einstellt, sagt er deshalb vielleicht auch Folgendes zu ihr: „Siehe, der Winter ist vorüber, der Regen ist vorbei“,c womit er zugleich auf die Zeit des Pascha hinweist, weil er gelitten hat, als der Winter vorbei und die Regenfälle zu Ende waren, und zugleich auch durch das geistige Verständnis darauf verweist, dass es bis zu der Zeit, da der Herr gelitten hat, Regenfälle auf der Erde gab. 24. Bis dahin nämlich pflegte der Herr den Regenfällen, den Propheten, zu befehlen, den Regen des Wortes auf die Erde fallen zu lassen.d 467 Doch weil die prophetischen Dienste bis zu Johannese dem Täufer begrenzt sind, heißt es zu Recht, dass die Regenfälle vorbei sind und aufgehört haben. 25. Aber die prophetischen Regenfälle haben nicht zum Schaden der Gläubigen aufgehört, sondern zum größeren Nutzen der Kirche. Was braucht es denn noch Regenfälle, wo der Fluss Gottes die Stadt erfreut,f wo im Herzen eines jeden Gläubigen eine Quelle lebendigen Wassers entspringt, das ins ewige Leben sprudelt?g Was braucht es Regenfälle, wo sich schon Blumen zeigten auf unserer Erdeh und seit der Ankunft des Herrn der Feigenbaum nicht mehr umgehauen wird, der vorher keine Frucht getragen hatte?i Jetzt nämlich hat er seine Knospen schon hervorgebracht. Doch auch die Weinstöcke verströmten ihren Duft.j Daher sagte auch einer aus diesem Weinstock: „Ja, wir sind Christi Wohlgeruch für Gott an jedem Ort für die, die gerettet werden, und für die, die verloren gehen.“k 26. Doch dies haben wir, worauf wir oben hingewiesen haben, vorweggenommen, bevor wir zu den entsprechenden Stellen der Schrift gekommen sind, damit uns nicht etwa ein Sinn entgeht, der sich gerade einzustellen schien. Jetzt also wollen wir wieder aufnehmen, in welchem Sinne es heißt, er schaue durch die Netze.l 27. Es steht geschrieben: „Denn nicht zu Unrecht werden den Vögeln Netze gespannt“,m und desgleichen wird befohlen, dass der Gerechte, sollte 32, 58–60); in Lev. hom. 16,2 (GCS Orig. 6, 495); in Ps. 36 hom. 3,10 (griech.: GCS Orig. 13, 151; lat.: SC 411, 160–162). Siehe auch in Cant. comm. III 15(IV 1),16.

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Hoheliedkommentar

auis ex retibus. a Plena est ergo uita mortalium laqueis offensionum, plena retibus deceptionum, quas tendit aduersum humanum genus ille, qui contra Dominum gigas uenator Nembroth b appellatur. 28. Verus etenim gigas quis alius est nisi diabolus, qui etiam aduersum Deum rebellat? Laquei ergo tentationum et decipulae insidiarum diaboli retia appellantur. Et quoniam haec retia ubique tetenderat inimicus atque in ipsis paene omnes inuoluerat, necessarium fuit adesse aliquem, qui fortior et eminentior his fieret et contereret ea, ut sequentibus se uiam posset aperire. 29. Idcirco ergo et Saluator, priusquam in coniugium et in societatem ueniret ecclesiae, tentatur a diabolo, c ut uincens retia tentationum per ipsa prospiceret et per ipsa uocaret eam ad se docens sine dubio et ostendens ei, quod non per otium et delicias, sed per multas tribulationes et tentationes ueniendum sibi esset ad Christum. 30. Nullus ergo alius fuit, qui retia ista superare potuerit. „Omnes enim“, sicut scriptum est, „peccauerunt“; d et rursus, sicut scriptura dicit: „Non est iustus super terram, qui fecerit bonum et non peccauerit“; e et iterum: „Nemo mundus a sorde, nec si unius diei fuerit uita eius.“ f Solus ergo est Dominus et Saluator noster Iesus, qui peccatum non fecit, g sed peccatum eum Pater fecit pro nobis, h ut in similitudine carnis peccati de peccato damnaret peccatum. i 31. Venit ergo ad ista retia, sed inuolui in iis solus ipse non potuit; quin immo diruptis iis et contritis dat ecclesiae suae fiduciam, ut audeat iam calcare laqueos et transire per retia et cum omni alacritate dicere: „Anima nostra sicut passer erepta est de laqueo uenantium; laqueus contritus est, et nos liberati sumus.“ j 32. Quis autem contriuit laqueum nisi ille, qui solus in eo teneri non potuit? Quamuis enim et in morte fuerit, sed uoluntarie et non, ut nos, necessitate peccati. Solus enim est, qui fuit inter mortuos liber. k Et quia liber inter mortuos fuit, idcirco deuicto eo, qui habebat mortis imperium, l abstraxit captiuitatem, m quae tenebatur in morte. 33. Et non solum semet ipsum suscitauit a mortuis, sed et eos, qui tenebantur in b c d e Spr. 6,5 Gen. 10,9 Mt. 4,1–11 Röm. 3,23 Koh. 7,20 h i j 1 Petr. 2,22 2 Kor. 5,21 Röm. 8,3 Ps. 123(124),7 l m Hebr. 2,14 Eph. 4,8 a

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f Ijob 14,4f. Ps. 87(88),5

468 Nach in Num. hom. 7,5.6 (GCS Orig. 7, 46. 48) stehen die Giganten, „die Legionen der Dämonen“, für „alle, die sich Gott widersetzen“. 469 Dieser „Schmutz“ der Sünde ergibt sich für Origenes aus dem Kontakt der Seele mit dem Körper bzw. dem Fleisch, wodurch – außer für die Seele Christi – die Situation der Sündhaftigkeit unvermeidbar wird; vgl. in Lev. hom. 8,3 (GCS Orig. 6, 398); in Luc. hom. 14,5 (GCS Orig. 92, 87f.); in Rom. comm. V 9,12 (SC 539, 496–498). 470 Zu dieser Deutung der Hadesfahrt Christi vgl. in Gen. hom. 15,5 (GCS Orig. 6, 134); in Regn. hom. graec. 6 (GCS Orig. 32, 289); in Matth. comm. XII 43 (GCS Orig. 10, 168f.); in Matth. comm. ser. 132 (GCS Orig. 11, 269); Cels. II 43 (GCS Orig. 1, 166). Für Origenes ist daran die Freiheit Christi wichtig, die er im vorlie-

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er in Sünde geraten sein, entfliehen soll wie ein Kitz aus den Schlingen und ein Vogel aus den Netzen.a Das Leben der Sterblichen ist also voll von Schlingen der Versuchungen, voll von Netzen der Täuschungen, die jener gegen das Menschengeschlecht ausspannt, der ein Gigant vor dem Herrn, der Jäger Nimrod,b genannt wird. 28. Denn wer anders ist der wahre Gigant, wenn nicht der Teufel, der sogar gegen Gott rebelliert?468 Die Schlingen der Versuchungen und die Fallen der Hinterlist des Teufels werden also Netze genannt. Und da der Feind diese Netze überall ausgespannt hatte und sich fast alle darin verwickelt hatten, war es notwendig, dass einer kam, der stärker und mächtiger als diese war und sie zerriss, damit er denen, die ihm folgten, einen Weg eröffnen konnte. 29. Deshalb wird also auch der Erlöser vom Teufel versucht,c bevor er in die Verbindung und in die Gemeinschaft mit der Kirche eintrat, um nach Überwindung der Netze der Versuchungen durch diese hindurchzuschauen und sie durch sie hindurch zu sich zu rufen, womit er ohne Zweifel lehrte und ihr zeigte, dass sie nicht durch Muße und Vergnügungen, sondern durch viele Bedrängnisse und Versuchungen zu Christus kommen muss. 30. Es gab also keinen anderen, der diese Netze hätte überwinden können. „Denn alle“, so steht geschrieben, „haben gesündigt“;d und desgleichen, wie die Schrift sagt: „Es gibt keinen Gerechten auf Erden, der das Gute getan und nicht gesündigt hat“;e und ebenso: „Keiner ist rein von Schmutz, auch nicht, wenn sein Leben nur einen Tag dauerte.“f 469 Es ist also allein unser Herr und Erlöser Jesus, der keine Sünde begangen hat.g Vielmehr hat der Vater ihn für uns zur Sünde gemacht,h damit er in der Ähnlichkeit mit dem Fleisch der Sünde durch die Sünde die Sünde verdammte.i 31. Er kam also zu diesen Netzen, doch einzig er konnte nicht in sie verwickelt werden. Vielmehr gibt er seiner Kirche, da er sie zerrissen und zerstört hat, die Zuversicht, es nunmehr zu wagen, die Schlingen zu zertreten und über die Netze hinwegzuschreiten und mit aller Heiterkeit zu sagen: „Unsere Seele wurde wie ein Sperling der Schlinge der Jäger entrissen. Die Schlinge wurde zerrissen, und wir wurden befreit.“j 32. Wer aber hat die Schlinge zerstört, wenn nicht jener, der als einziger nicht darin festgehalten werden konnte? Freilich, ja, auch er war im Tode, doch freiwillig und nicht wie wir gezwungen von der Sünde. Er ist nämlich der einzige, der unter den Toten frei war.k Und weil er unter den Toten frei war, deshalb führte er, nachdem er den besiegt hatte, der die Herrschaft über den Tod innehatte,l die Gefangenen heraus,m die im Tode festgehalten wurden.470 33. Und er erweckte nicht nur sich selbst von den Toten auf, sondern er erweckte zugleich auch die auf, die im Tode festgehalten wurgenden Passus dreimal betont (uoluntarie, zweimal liber). Auch in Regn. hom. graec. 8 (GCS Orig. 32, 292) hebt er das Willentliche dieser Tat Christi hervor, der in der Unterwelt zwar „im räumlichen Sinn unten war, der Intention nach aber oben“. Näheres dazu bei Kobusch, Bedeutung 97f., und Fürst, OWD 7, 97–99.

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Hoheliedkommentar

morte, simul excitauit simulque sedere fecit in caelestibus. a Adscendens enim in altum captiuam duxit captiuitatem, b non solum animas educens, sed et corpora eorum resuscitans, sicut testatur euangelium, quia multa corpora sanctorum resuscitata sunt et apparuerunt multis et introierunt in sanctam ciuitatem Dei uiuentis c Hierusalem. d 34. Haec nobis expositio de retibus secundo in loco assumpta est. Sit sane legentis iudicium, quae earum mysticis dignius aptari possit eloquiis.

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Hld. 2,10–13: „Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube, denn siehe, der Winter ist vorüber, der Regen ist vorbei und hat sich von selbst verzogen. Die Blumen erschienen auf der Erde, die Zeit des Beschneidens ist gekommen. Die Stimme der Turteltaube wurde gehört in unserem Land; der Feigenbaum brachte seine Knospen hervor, die blühenden Weinstöcke verströmten ihren Duft.“ 15 (IV 1),1. „Surge, ueni, proxima mea, speciosa mea, columba mea, quoniam ecce hiems transiit, pluuia abiit et discessit sibi; flores uisi sunt in terra, tempus putationis aduenit, uox turturis audita est in terra nostra; arbor fici produxit germina sua, uites florentes dederunt odorem.“ e Quid contineat ordo dramatis, iam supra descripsimus; nunc uero, quid uel sermo Dei ad animam se dignam sibique aptam uel quid Christus ad ecclesiam dicere intelligendus sit, aduertamus. 2. Sed interim primus sermo Dei loquatur ad hanc speciosam decentemque animam, cui per sensus corporeos, id est per intuitum lectionis et per auditum doctrinae, quasi per fenestras apparuit proceritatemque ei suae magnitudinis demonstrauit, ita ut in superioribus ei loqueretur incumbens atque inde euocans eam, ut procedat foras et extra sensus iam corporeos effecta a

Eph. 2,6

b

Eph. 4,8

c

Mt. 27,52f.

d

Hebr. 12,22

e

Hld. 2,10–13

471 Vgl. in Ex. hom. 6,6 (GCS Orig. 6, 197f.): „Ich glaube, dass auch uns alle die Erde einmal verschlungen hat und sie uns in den Kammern der Unterwelt festhielt. Und deswegen stieg unser Herr nicht nur bis zur Erde herab, sondern bis zum Inneren der Erde. Dort fand er uns, die wir verschlungen waren und im Schatten des Todes saßen, und er führt uns von dort nicht mehr zu einem Platz auf der Erde, damit wir nicht wieder verschlungen werden, sondern bereitet uns einen Platz im Reich des Himmels.“ Übersetzung: p. 119 Heither. 472 Diese für Origenes nicht untypische Aufforderung an den Leser zum Selber-Denken auch schon in Cant. comm. II 6,13. Siehe dazu oben S. 254 Anm. 285. 473 Die Einteilung in vier Bücher sieht Baehrens, GCS Orig. 8, xxvii, „durch die Überlieferung nicht bestätigt“ – sie findet sich nur in einzelnen Handschriften – und tilgt deshalb die Buchangabe. Seiner Auffassung nach läuft Buch III weiter bis zum Ende des auf uns gekommenen Textes. Außerdem widerspricht die Einteilung des erhaltenen Kommentartextes in vier Bücher der Aussage des Cassiodor, div. inst. I

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Buch III 14,33–15,2

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den, und ließ sie zugleich in den Himmeln sitzen.a 471 Denn während er in die Höhe aufstieg, führte er die Gefangenen mit sich,b wobei er nicht nur die Seelen herausführte, sondern auch ihre Leiber auferweckte, wie das Evangelium bezeugt, dass viele Leiber von Heiligen auferweckt worden sind und vielen erschienen und in die heilige Stadt des lebendigen Gottes,c Jerusalem,d hineingegangen sind. 34. Das ist die Auslegung zu den Netzen, die wir an zweiter Stelle aufgeführt haben. Es sei freilich dem Urteil des Lesers überlassen, welche von ihnen den mystischen Worten eher angemessen zu sein vermag.472

15. Die geistige Kommunikation zwischen der Weisheit Gottes und der tugendhaften Seele und der Weg der Kirche von der Sünde zum Glauben und zur Tugend kraft der Selbsttätigkeit der Seele 10

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15 (IV 1),1.473 „Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube, denn siehe, der Winter ist vorüber, der Regen ist vorbei und hat sich von selbst verzogen. Die Blumen erschienen auf der Erde, die Zeit des Beschneidens ist gekommen. Die Stimme der Turteltaube wurde gehört in unserem Land; der Feigenbaum brachte seine Knospen hervor, die blühenden Weinstöcke verströmten ihren Duft.“e Den Inhalt und die Handlungsfolge des Dramas haben wir oben schon dargestellt.474 Jetzt aber wollen wir betrachten, wie das zu verstehen ist, was das Wort Gottes zu einer Seele, die seiner würdig ist und zu ihm passt, beziehungsweise was Christus zur Kirche sagt. 2. Doch einstweilen soll das Wort Gottes zunächst zu dieser schönen und anmutigen Seele sprechen, der es durch die körperlichen Sinne, das heißt durch das Schauen in den Text und durch das Hören der Lehre, wie durch Fenster erschienen ist und ihr den hohen Wuchs seiner Größe gezeigt hat, so dass es von höherer Warte aus zu ihr sprach, indem es sich zu ihr beugte und sie von dort herausrief, sie solle nach draußen gehen und, da sie 5,4 (p. 24 Mynors): „Des weiteren hat Rufinus, ein überaus beredsamer Exeget, das Werk recht ausführlich in drei Büchern erklärt und eine Reihe von Schriftstellen bis zu jener Aufforderung hinzugefügt, die da lautet: ,Fangt uns die jungen Füchse, die Verwüster des Weinbergs!‘ (Hld. 2,15).“ Übersetzung: Bürsgens, FC 39, 147. Vgl. auch Lawson, ACW 26, 310 Anm. 11. – Dagegen haben Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 676, die Einteilung in vier Bücher aus den alten Ausgaben übernommen, als ob sie ein gesichertes Faktum wäre, und die Kapitelzählung neu begonnen. Wir folgen ihnen darin ausdrücklich nicht, sondern führen wie auch schon Lawson, ACW 26, 239ff. (vgl. ebd. 4), die Kapitelzählung vom dritten Buch her weiter, notieren allerdings die SC-Kapitelzählung des angeblichen vierten Buches dazu (also: in Cant. comm. III 15 = IV 1; III 16 = IV 2; III 17 = IV 3). Siehe auch oben S. 5. 474 Siehe in Cant. comm. III 11,5–8.

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Hoheliedkommentar

desinat esse in carne, ut merito audiat: „Vos autem non estis in carne, sed in spiritu.“ a 3. Non enim aliter diceret eam Verbum Dei proximam sibi, nisi iungeret se ei et fieret cum ipso unus spiritus, b nec diceret eam speciosam, nisi uideret imaginem eius renouari de die in diem; c et nisi uideret eam capacem Spiritus Sancti, qui in specie columbae descendit in Iordane super Iesum, d non ei diceret: „columba mea“. e 4. Conceperat enim amorem Verbi Dei et cupiebat ad ipsum uolatu celeri peruenire dicens: „Quis dabit mihi pennas sicut columbae, et uolabo et requiescam?“ f Volabo sensibus, uolabo intellectibus spiritalibus et requiescam, cum comprehendero sapientiae et scientiae eius thesauros. g 5. Puto enim, quia, sicut hii, qui mortem Christi recipiunt et mortificant membra sua super terram, h consortes efficiuntur similitudinis mortis eius, i ita et hi, qui uirtutem Sancti Spiritus recipiunt et sanctificantur ex eo et donis eius replentur, quia ipse in specie columbae j apparuit, etiam ipsi columbae fiant, ut de terrenis et corporeis locis euolent ad caelestia pennis Sancti Spiritus subleuati. 6. Quod sit autem tempus opportunum, quo haec fieri possint, consequenter inseruit: „Quia ecce“, inquit, „hiems transiit, pluuia abiit.“ k Non enim ante anima Verbo Dei iungitur et sociatur, nisi omnis ex ea hiems perturbationum uitiorumque procella discesserit, ut ultra iam non fluctuet et circumferatur omni uento doctrinae. l 7. Vbi ergo ex anima haec cuncta discesserint desideriorumque ab ea tempestas effugerit, tunc incipiant in ea flores uernare uirtutum, tunc ei et tempus putationis adueniat et, si quid superfluum et minus utile fuerit in eius sensibus uel intellectibus, resecetur et ad gemmas spiritalis intelligentiae reuocetur. 8. Tunc etiam uocem turturis audiet, m illius sine dubio sapientiae, quam dispensator Verbi loquitur inter perfectos, sapientiae Dei altioris, quae abscondita est in mysterio; n hoc namque indicat appellatio turturis. Haec namque auis in secretioribus et remotis a multitudine locis uitam transigit aut deserta montium diligens aut secreta siluarum, procul semper a multitudine posita et a turbis aliena. 9. Quid autem est aliud, quod opportunitati temRöm. 8,9 Kol. 2,3 m Hld. 2,12 a

b

g

h

c Eph. 4,4 2 Kor. 4,16 i Kol. 3,5 Röm. 6,5 n 1 Kor. 2,6f.

d j

Lk. 3,22 Lk. 3,22

e

Hld. 2,10 Hld. 2,11

k

f

Ps. 54(55),7 l Eph. 4,14

22 Cf. frg. 31 (Prokop 120.12–22; Barba`ra 27)

475 Vgl. physiol. 28 (p. 258 Lauchert), dazu Lauchert, Physiologus 26. 71. Ebenso etwas ausführlicher in Cant. hom. 2,12 (GCS Orig. 8, 59): „Die Taube ist der Heilige Geist. Wenn aber der Heilige Geist von großen und verborgenen Geheimnissen spricht, die die Vielen nicht erfassen können, wird er mit dem Namen der Turteltaube bezeichnet, das heißt des Vogels, der sich ständig auf Gebirgskämmen oder in Baumwipfeln aufhält. In den Tälern aber und an den Orten, bis zu denen die Menschen gelangen, wird die Taube genommen. Weil der Erlöser es schließlich für würdig gehalten hat, die menschliche Natur anzunehmen, und zur Erde gekom-

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Buch III 15,2–9

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sich schon außerhalb der körperlichen Sinne befindet, aufhören, im Fleisch zu sein, damit sie zu Recht hört: „Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist.“a 3. Denn das Wort Gottes würde sie andernfalls nicht seine Gefährtin nennen, wenn sie sich nicht mit ihm verbinden und mit ihm ein Geistb werden würde, und es würde sie nicht schön nennen, wenn es nicht sähe, wie ihr Bild von Tag zu Tag erneuert wird.c Und wenn es nicht sähe, dass sie empfänglich ist für den Heiligen Geist, der in Gestalt einer Taube im Jordan auf Jesus herabkam,d würde es zu ihr nicht sagen: „meine Taube“.e 4. Sie war nämlich von Liebe zum Wort Gottes erfüllt und sehnte sich danach, in schnellem Fluge zu ihm zu gelangen, da sie sagt: „Wer wird mir Flügel geben wie die einer Taube, und ich werde fliegen und Ruhe finden?“f Ich werde fliegen mit den Sinnen, ich werde fliegen mit den geistigen Einsichten, und ich werde Ruhe finden, wenn ich die Schätze seiner Weisheit und Erkenntnisg erfasst habe. 5. Denn ich glaube, so wie die, die den Tod Christi empfangen und ihre Glieder auf der Erde abtöten,h in ähnlicher Weise an seinem Tod teilhaben,i so werden auch die, die die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und von ihm geheiligt und mit seinen Gaben erfüllt werden, auch selbst Tauben, weil er selbst in Gestalt einer Taubej erschienen ist, so dass sie, getragen von den Flügeln des Heiligen Geistes, von den irdischen und körperlichen Orten zu den himmlischen hinauffliegen. 6. Was aber die geeignete Zeit dafür ist, dass dies geschehen kann, ist folgerichtig eingefügt: „Denn siehe“, heißt es, „der Winter ist vorüber, der Regen ist vorbei.“k Denn die Seele vereint und verbindet sich nicht mit dem Wort Gottes, bevor sich nicht aller Winter der Verwirrungen und aller Sturm der Laster aus ihr verzogen hat, so dass sie nicht mehr länger hin und her schwankt und von jedem Wind der Lehrel umhergetrieben wird. 7. Sobald also alle diese Dinge aus der Seele verschwunden sind und der Sturm der Begierden aus ihr entwichen ist, dann sollen in ihr die Blumen der Tugenden aufzublühen beginnen, dann soll für sie auch die Zeit des Beschneidens kommen, und wenn es etwas Überflüssiges und weniger Nützliches in ihren Sinnen und Gedanken gibt, soll es zurückgeschnitten und auf die Knospen der geistigen Einsicht zurückgestutzt werden. 8. Dann wird sie auch die Stimme der Turteltaube hören,m ohne Zweifel die jener Weisheit, die der Verwalter des Wortes unter den Vollkommenen ausspricht, der höheren Weisheit Gottes, die im Mysterium verborgen ist.n Darauf weist nämlich die Bezeichnung ,Turteltaube‘ hin. Denn dieser Vogel verbringt sein Leben an verborgenen und von der Menge entfernten Orten, wobei er entweder Bergwüsten liebt oder die verborgenen Teile der Wälder und sich immer fern von der Menge aufhält, abgesondert von den Massen.475 9. Was jedoch entspricht noch den men ist und damals am Jordan viele Sünder standen, deshalb verwandelt sich der Heilige Geist nicht in eine Turteltaube, sondern wird eine Taube und bewegt sich unter uns wegen der Vielzahl der Menschen als umgänglicherer Vogel.“

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Hoheliedkommentar

poris huius amoenitatique conueniat? „Ficus“, inquit, „produxit germina sua.“ a Nondum quidem fructus ipsius spiritus, qui sunt caritas, gaudium, pax b et cetera, sed iam tamen germina horum proferre incipit spiritus hominis, qui in ipso est figuraliter ficulnea nominatus. 10. Sicut enim generaliter in ecclesia diuersae arbores singulae quaeque animae credentium intelliguntur, de quibus dicitur: „Omnis arbor, quam non plantauit Pater meus caelestis, eradicabitur“ c – et iterum Paulus, qui se dicit adiutorem Dei esse in agricultura Dei, d ait etiam ipse: „Ego plantaui, Apollo rigauit“, e sed et Dominus in euangeliis: „Aut facite arborem bonam et fructum eius bonum“ f –, sicut ergo generaliter in ecclesia singuli quique credentium diuersae arbores intelliguntur, ita et in unaquaque anima diuersae uirtutes et efficaciae eius diuersae arbores intelliguntur. 11. Est ergo et in anima ficus quaedam, quae producat germen suum, est et uitis, quae floreat et reddat odorem suum. g Cuius uitis palmites purgat Pater caelestis agricola, ut fructum plurimum afferant. h Sed haec uitis primo per odoris suauitatem, quae ex flore redditur, laetificat odoratum secundum eum, qui dicebat: „Quia Christi bonus odor sumus in omni loco.“ i 12. Haec ergo initia uirtutum uidens Sermo Dei in anima uocat eam ad semet ipsum, ut festinet et exeat et abiciens cuncta corporea ueniat ad eum et perfectionis eius particeps fiat. Idcirco igitur quasi adhuc iacenti et in rebus corporeis recubanti primo dicit: „exsurge“, et quasi quae statim oboedierit et obsecuta sit uocanti, collaudatur ab eo et audit: „proxima mea“ et „columba mea“. j 13. Et post haec, ne ad tentationum turbines trepidaret, adnuntiat ei, quod hiems discesserit et pluuia transierit et abierit sibi. k Bene autem uitiorum ac peccatorum naturam uno miro prolato sermone signauit, ut diceret huiusmodi hiemem ac pluuias, quae ex uitiorum delicto tempestateque descendunt, sibi abisse, indicans per hoc nullam esse substantiam peccatorum. Non enim decidentia de a g

Hld. 2,13 Hld. 2,13

b

Gal. 5,22 Joh. 15,1f.

h

c

d e f Mt. 15,13 1 Kor. 3,9 1 Kor. 3,6 Mt. 12,33 i j k 2 Kor. 2,15 Hld. 2,10 Hld. 2,11

476 Vgl. dazu in Regn. hom. lat. 1 (GCS Orig. 8, 1): „Gott also pflanzt, es gibt sozusagen eine für Gott typische Landwirtschaft, und notwendigerweise trägt der von Gott angelegte und bepflanzte Acker nicht nur eine Sorte von Bäumen, sondern ist wie das Land eines reichen und mächtigen Bauern mit Gewächsen jedweder Art bestückt.“ Übersetzung: Fürst, OWD 7, 119. Im Folgenden, ebd. 1f. (8, 1–3),

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Buch III 15,9–13

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günstigen Bedingungen und der Lieblichkeit dieser Zeit? „Der Feigenbaum“, heißt es, „brachte seine Knospen hervor.“a Der Geist des Menschen, der hier bildlich Feigenbaum genannt wird, fängt zwar noch nicht an, die Früchte des Geistes selbst, nämlich Liebe, Freude, Friedeb und so weiter, aber doch schon Knospen derselben hervorzubringen. 10. Wie nämlich in der Kirche allgemein die verschiedenen Bäume als die einzelnen Seelen der Gläubigen verstanden werden, von denen es heißt: „Jeder Baum, den nicht mein himmlischer Vater gepflanzt hat, wird ausgerissen werden“c 476 – und desgleichen sagt auch Paulus selbst, der von sich selbst sagt, er sei der Gehilfe Gottes in der Landwirtschaft Gottes:d „Ich habe gepflanzt, Apollo hat bewässert“,e doch auch der Herr in den Evangelien: „Oder nehmt an, ein Baum ist gut und seine Frucht ist gut“f –, wie also allgemein in der Kirche die einzelnen Gläubigen als verschiedene Bäume verstanden werden, so werden auch in jeder einzelnen Seele die verschiedenen Tugenden und ihre Wirkungen als verschiedene Bäume verstanden. 11. Es gibt also auch in der Seele so etwas wie einen Feigenbaum, der seine Knospe hervorbringt, und es gibt einen Weinstock, der blüht und seinen Duft verströmt.g Die Triebe dieses Weinstocks reinigt der himmlische Vater, der Winzer,477 damit sie reiche Frucht bringen.h Doch dieser Weinstock erfreut zuerst durch die Süße des Duftes, die aus der Blüte strömt, den Geruchssinn entsprechend der Aussage: „Ja, wir sind Christi Wohlgeruch an jedem Ort.“i 12. Wenn das Wort Gottes also diese Anfänge der Tugenden in der Seele erblickt, ruft es sie zu sich selbst, damit sie eilends hinausgeht und zu ihm kommt, indem sie alles Körperliche ablegt, und an seiner Vollkommenheit teil hat. Deshalb also sagt es wie zu einer, die noch liegt und es sich in den körperlichen Dingen bequem macht, zuerst: „steh auf“, und wie eine, die sofort gehorcht hat und dem Rufenden gefolgt ist, wird sie von ihm gelobt und hört: „meine Gefährtin“ und „meine Taube“.j 13. Und damit sie keine Angst vor den Wirbelstürmen der Versuchungen hat, verkündet er ihr gleich danach, dass der Winter vorbei und der Regen vorüber ist und sich von selbst verzogen hat.k Trefflich hat er die Natur der Laster und der Sünden durch die Verwendung eines einzigen wunderbaren Ausdrucks bezeichnet, so dass er sagte, dass sich der Winter und die Regenfälle dieser Art, die aufgrund des Fehltritts und des Andrangs der Laster niedergehen, von selbst verzogen haben, womit er darauf hinwies, dass die Sünden keine Substanz haben.

wendet Origenes das Bild auf sich selbst an: Er sei ein Baum nicht mit süßen, sondern mit bitteren Früchten, womit er die gestrengen Ermahnungen meint, die er in seinen Predigten an die Gemeindemitglieder zu richten pflegt. Siehe dazu Fürst, ebd. 13–30. 477 Siehe in Cant. comm. III 6,4 und dazu oben S. 316 Anm. 363.

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Hoheliedkommentar

homine uitia ad aliam aliquam substantiam congregantur, sed sibi abeunt et in semet ipsa resoluta euanescunt atque in nihilum rediguntur. Et ideo dixit: „quia abiit sibi.“ a 14. Fit ergo tranquillitas animae apparente ei Verbo Dei et cessante peccato; et ita demum florente uinea incipient uirtutes atque arbusta bonorum fructum germinare. 15. Sed nunc iterum Christus haec loquatur ad ecclesiam et in anni circulum omne praesentis saeculi spatium ponat. Et hiemem quidem illud indicet tempus, quo uel Aegyptios grando et turbines ac reliqua decem plagarum uerbera flagellabant b uel cum diuersa bella perferebat Istrahel uel etiam coram ipsi Saluatori restitit et incredulitatis turbine correptus naufragio fidei submersus est. 16. Vbi ergo illorum delicto salus gentibus facta est, c uocat nunc ad se ecclesiam gentium dicitque ei: Exsurge et ueni ad me, quia iam hiems, quae submersit incredulos et uos in ignorantia reprimebat, abscessit. d Sed et pluuia pertransiit, id est iam non mandabo nubibus, prophetis, ut pluant pluuiam Verbi super terras; e sed ipsa uox turturis, hoc est ipsa Dei sapientia, loquetur in terris et dicet: „Ipse, qui loquebar, adsum.“ f 17. Flores ergo credentium populorum et orientium ecclesiarum apparuerunt in terra. Sed et tempus putationis per fidem meae passionis et resurrectionis aduenit. Amputantur enim et exsecantur ab hominibus peccata, cum in baptismo donatur remissio peccatorum. Vox quidem turturis, ut diximus, iam non per diuersos prophetas, sed ipsius sapientiae Dei auditur in terris. 18. Et ficulnea germinat, g quae potest in fructibus Sancti Spiritus accipi, qui nunc primum aperiuntur et demonstrantur ecclesiae, uel etiam in legis littera, quae ante aduentum Christi clausa erat et constricta et ina g

Hld. 2,11 Hld. 2,13

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Ex. 7–12

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Röm. 11,11

d

Hld. 2,10f.

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Jes. 5,6

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Jes. 52,6

478 Wenn Origenes hier davon spricht, „dass die Sünden keine Substanz haben“, kann man sich mit Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 684 Anm. 1, an die Aussage in Ioh. comm. II 13,91–99 (GCS Orig. 4, 68–70) erinnert fühlen, wo er ausführt, dass das Böse keine eigene Subsistenz und Wirklichkeit hat, sondern nur Mangel an Gutem ist – eine durch und durch platonische Maxime; vgl. Plotin, enn. I 8,1,11–15. Spricht Origenes dort vom Teufel, dessen Existenz als Teufel nicht auf dessen Schöpfung durch Gott (also seine unverlierbare Substanz als Vernunftwesen), sondern nur auf sein Verhalten zurückgeführt werden kann, so wendet er hier den analogen Gedanken auf die Laster und Untugenden an. Gegen die Vorstellung einiger Gnostiker, nach denen das Böse wie auch die Laster tatsächlich quasi materielle Substanzen sind (vgl. Irenäus, adv. haer. I 4 [SC 264, 62–75]), betont Origenes damit, dass sie vielmehr auf den freien Willen der Geschöpfe zurückgehen und sich daher in Nichts auflösen, sobald der Mensch sich von diesen Verhaltensweisen und ihren Dispositionen befreit hat. 479 Origenes deutet das eine Jahr als den Zeitraum, der „dieses ganze gegenwärtige Weltalter hindurch“ währt: in Lev. hom. 9,2 (GCS Orig. 6, 419). 480 Siehe dazu in Cant. comm. III 14,24.

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Denn die Laster, die von einem Menschen abfallen, vereinigen sich nicht zu irgendeiner anderen Substanz, sondern verziehen sich, und in sich selbst aufgelöst verschwinden sie und zerfallen zu Nichts.478 Und deshalb sagte er: „denn er hat sich von selbst verzogen.“a 14. Der Seele wird also ruhige Heiterkeit zuteil, wenn ihr das Wort Gottes erscheint und die Sünde weicht. Und so, wenn der Weinstock blüht, werden endlich die Tugenden und die Weingärten anfangen, die Frucht guter Werke hervorzubringen. 15. Doch jetzt soll Christus dies desgleichen zur Kirche sagen, und der gesamte Zeitraum des gegenwärtigen Weltalters soll in einem Jahreskreis angesiedelt sein.479 Als Winter dürfte er dann jene Zeit bezeichnen, in der Hagel und Wirbelstürme und die übrigen Hiebe der zehn Plagen die Ägypter trafenb oder als Israel verschiedene Kriege führte oder auch als es vor dem Erlöser selbst Widerstand leistete und vom Wirbelsturm des Unglaubens ergriffen im Schiffbruch des Glaubens unterging. 16. Da also durch deren Verfehlung den Völkern das Heil zuteil geworden ist,c ruft er jetzt die Kirche der Völker zu sich und sagt ihr: Steh auf und komm zu mir, da der Winter, der die Ungläubigen versenkt und euch in Unwissenheit niedergehalten hat, bereits abgezogen ist.d Doch auch der Regen ist vorüber, das heißt: Ich werde den Wolken, den Propheten, nicht mehr befehlen, den Regen des Wortes auf die Erde regnen zu lassen,e 480 sondern die Stimme der Turteltaube selbst, das heißt die Weisheit Gottes selbst,481 wird auf Erden sprechen und sagen: „Ich selbst, die gesprochen hat, bin da.“f 17. Die Blumen der gläubig werdenden Völker und der entstehenden Gemeinden erschienen also auf der Erde. Doch auch die Zeit des Beschneidens ist durch den Glauben an mein Leiden und meine Auferstehung gekommen. Denn die Sünden werden von den Menschen abgeschnitten und abgetrennt, wenn in der Taufe die Vergebung der Sünden gewährt wird.482 Die Stimme der Turteltaube ist, wie gesagt,483 nicht mehr durch verschiedene Propheten, sondern als Stimme der Weisheit Gottes selbst auf Erden zu hören. 18. Und der Feigenbaum sprosst.g Dieser Vers kann auf die Früchte des Heiligen Geistes bezogen werden, die jetzt zum ersten Mal der Kirche eröffnet und gezeigt werden, oder auch auf den Buchstaben des Gesetzes, der vor der Ankunft Christi verschlossen und verschnürt und gleichsam von einem Ge481 Sapientia (Dei) ipsa, ayÆtosofiÂa, „die Weisheit in Person“, ist eine der zentralen Bezeichnungen des Origenes für Christus: Cels. III 41 (GCS Orig. 1, 237); V 39 (2, 44); VI 47 (2, 119); VI 63 (2, 133); VII 17 (2, 168); in Matth. comm. XIV 7 (GCS Orig. 10, 289); in Ioh. comm. XXXII 28,347 (GCS Orig. 4, 473); in Rom. comm. V frg. 3 (p. 146 Scherer). 482 Vgl. in Cant. hom. 2,12 (GCS Orig. 8, 58): „Das Schneiden ist die Vergebung der Sünden.“ Ebenso in frg. 31: „Die Zeit der Beschneidung“ (Hld. 2,12) ist „desgleichen auch die Zeit der Ausmerzung und der Vergebung der Sünden ,durch das Bad der Wiedergeburt‘ (Tit. 3,5).“ 483 Siehe in Cant. comm. III 15(IV 1),8.16.

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dumento quodam intelligentiae carnalis obtecta; ex praesentia uero eius et aduentu prolatum est ex ea germen spiritalis intelligentiae et sensus uiridis ac uitalis, qui in ea tegebatur, apparuit, ut ecclesia, quae tegebatur a Christo in ficulnea, id est in lege, non appareat arida a et occidentem litteram sequi, sed florentem ac uiuificantem spiritum. b 19. Sed et uites florere dicuntur et dedisse odorem suum. c Possunt quidem et diuersae ecclesiae, quae per orbem terrae habentur, uites dici florentes et uineae. „Vinea enim Domini Sabaoth domus Istrahel est, et homo Iuda nouella dilecta.“ d Istae ergo uineae, cum primo accedunt ad fidem, florere dicuntur; cum uero religiosorum operum suauitate adornantur, odorem suum dedisse dicuntur. 20. Et non sine causa puto, quod non dixerit: „odorem dederunt“, sed „odorem suum“, e ut ostenderet inesse unicuique animae uim possibilitatis et arbitrii libertatem, qua possit agere omne, quod bonum est. Sed quia hoc naturae bonum praeuaricationis occasione deceptum uel ad ignauiam uel ad nequitiam fuerat inflexum, ubi per gratiam reparatur et per doctrinam Verbi Dei restituitur, odorem reddit illum sine dubio, quem primitus conditor Deus inoleuerat, sed peccati culpa subtraxerat. 21. Possunt autem et uites uel uineae intelligi uirtutes caelestes et angelicae, quae hominibus largiuntur odorem suum, id est doctrinae et institutionis bonum, quo instruunt et imbuunt animas, donec ad perfectionem ueniant et incipiant capaces fieri Dei. Sicut et apostolus ad Hebraeos scribens dicit: „Nonne omnes sunt ministeriales spiritus ad ministerium missi propter eos, qui hereditatem capiunt salutis?“ f 22. Et ideo dicuntur ab ipsis quasi primum florem et odorem bonorum capere homines, ipsos uero fructus uitis ab eo sperare, qui dixit: „Non bibam de generatione uitis huius, donec bibam illud uobiscum nouum in regno Patris mei.“ g Illi ergo perfecti fructus ab ipso sperandi sunt, initia uero et, ut ita dicam, proficiendi suauitas potest a caelestibus uirtutibus ministrari uel certe per eos, qui dicebant, ut supra diximus: „Quoniam Christi bonus odor sumus in omni loco.“ h a g

Mt. 21,19 Mt. 26,29

b h

2 Kor. 3,6 2 Kor. 2,15

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Hld. 2,13

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Jes. 5,7

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Hld. 2,13

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Hebr. 1,14

484 Origenes betont oft, dass jede Seele die Fähigkeit hat, zwischen gut und böse zu unterscheiden und das Gute wählen und tun zu können, z.B. princ. III 1,20 (GCS Orig. 5, 235); in Rom. comm. VIII 10,3 (SC 543, 550–552); ferner unten in Cant. comm. III 15(IV 1),24: „Denn selbst hat jeder in diesem Leben alles getan, was er getan hat“ (dazu unten S. 402 Anm. 486). Die Seele muss das Gute selbst von sich aus tun, damit es wirklich ihr eigenes Gut ist, das ihr moralisch zugerechnet werden kann: princ. II 9,2 (GCS Orig. 5, 165); III 1,6 (5, 201); III 2,3 (5, 250). Aus diesem praktischen Vernunftgrund nimmt Origenes die Möglichkeit dieses Vermögens in jeder Seele an, die ihr, wie er hier sagt, „Gott der Schöpfer am Anfang eingepflanzt“ hat und die, wenn sie durch falschen Gebrauch „irregeleitet“ wurde, mit Hilfe der Gnade „wiederhergestellt“ wird. Zum Konzept von Gnade als Ermöglichung von

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Buch III 15,18–22

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wand des fleischlichen Verständnisses verhüllt war. Seit seiner Gegenwart und Ankunft hingegen brach aus ihm ein Spross der geistigen Einsicht hervor und zeigte sich ein frischer und lebenskräftiger Sinn, der in ihm verborgen war, so dass die Kirche, die von Christus im Feigenbaum, das heißt im Gesetz, verborgen wurde, nicht dürr aussiehta und nicht wie eine, die dem tödlichen Buchstaben folgt, sondern dem blühenden und lebendig machenden Geist.b 19. Doch es heißt auch, dass die Weinreben blühen und ihren Duft verströmten.c Es können auch die verschiedenen Gemeinden, die es über den Erdkreis verstreut gibt, blühende Weinreben und Weinberge genannt werden. „Denn der Weinberg des Herrn Zebaoth ist das Haus Israel, und der Mensch von Juda ist die geliebte Neupflanzung.“d Diese Weinberge also, heißt es, blühen, wenn sie zum ersten Mal zum Glauben kommen. Wenn sie sich jedoch mit der Süße der frommen Werke schmücken, sagt man, dass sie ihren Duft verströmten. 20. Und nicht ohne Grund, glaube ich, ist nicht gesagt: Sie verströmten Duft, sondern „ihren Duft“,e um zu zeigen, dass es in jeder Seele die Kraft des Könnens und die Freiheit der Entscheidung gibt, mit der sie alles tun kann, was gut ist. Doch da dieses von Natur Gute angelegentlich einer Verfehlung irregeleitet und zur Trägheit oder zur Schlechtigkeit verkehrt worden war, verströmt sie, wenn sie durch die Gnade erneuert und durch die Lehre des Wortes Gottes wiederhergestellt wird, zweifellos jenen Duft, den Gott der Schöpfer am Anfang eingepflanzt, doch die Schuld der Sünde entzogen hatte.484 21. Die Weinstöcke oder Weinberge können aber auch als himmlische und engelhafte Mächte verstanden werden, die den Menschen ihren Duft spenden, das heißt das Gut der Lehre und der Unterweisung, mit dem sie die Seelen unterweisen und durchtränken, bis sie zur Vollkommenheit gelangen und anfangen, aufnahmefähig für Gott zu werden. So sagt auch der Apostel im Schreiben an die Hebräer: „Sind das nicht alles dienstbare Geister, zum Dienst gesandt um derentwillen, die das Erbe des Heils erhalten?“f 22. Und deshalb heißt es, dass die Menschen von ihnen gleichsam die erste Blüte und den Duft der Güter empfangen, die Früchte des Weinstocks selbst jedoch von dem erhoffen, der gesagt hat: „Ich werde nicht mehr vom Produkt dieses Weinstocks trinken, bis ich es mit euch erneut im Reich meines Vaters trinken werde.“g Jene vollkommenen Früchte also sind von ihm selbst zu erhoffen, die Anfänge hingegen und, um es so auszudrücken, die Süße des Voranschreitens kann von den himmlischen Mächten dargereicht werden oder sicherlich durch die, die sagten, wie wir oben gesagt haben:485 „Ja, wir sind Christi Wohlgeruch an jedem Ort.“h

Freiheit bei Origenes siehe Schockenhoff, Zum Fest der Freiheit 116–123; Fürst, OWD 7, 50–59. 485 Siehe in Cant. comm. III 15(IV 1),11.

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23. Sed et alio modo possumus adhuc intelligere haec, quae habentur in manibus, ut dicamus uelut prophetiam quandam uideri ad ecclesiam factam, per quam uocetur ad repromissiones futuras et quasi post consummationem saeculi, cum tempus resurrectionis aduenerit, dicatur ei: „Exsurge.“ a 24. Et quia sermo hic statim opus resurrectionis adsignat, tamquam ex resurrectione clarior et splendidior effecta inuitatur ad regnum et dicitur ei: „Veni, proxima mea, speciosa mea, columba mea, quia hiems transiit“, b hiemem huius sine dubio praesentis uitae procellas et turbines nominans, quibus humana uita tentationum procellis agitatur. Transiit ergo hiems ista cum pluuiis suis et abiit sibi; sibi enim unusquisque egit in hac uita omne, quod egit. 25. Principium uero repromissionum futurarum flores intellegantur, qui apparuerunt in terra. c Securim quoque ad radicem arborum appositam in consummationem saeculi, ut excidat omnem arborem non facientem fructum bonum, d tempus putationis intellige. 26. Vocem uero turturis, quae in illa terra repromissionis auditur, e quam mansueti in haereditatem suscipient, f Christi personam facie ad faciem et non iam per speculum et in aenigmate g docentis aduerte. 27. Ficulnea uero, quae germen suum producit, h totius congregationis iustorum fructus habeatur. Sanctae uero illae et beatae angelicae uirtutes, quibus electi quique et beati ex resurrectione sociabuntur, qui erunt sicut angeli Dei, i ipsae sunt uites florentes et uineae, quae odorem suum unicuique animae et gratiam, quam a conditore prius suscepit et nunc iterum perditam reparauit, impertiunt et suauitate caelestis odoris faetorem tandem abiectae ab iis mortalitatis corruptionisque depellunt. a g

b c d Hld. 2,10 Hld. 2,10f. Hld. 2,12 Mt. 3,10 h i 1 Kor. 13,12 Hld. 2,13 Mt. 22,30

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Hld. 2,12

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Ps. 36(37),11

486 Dieses sibi in Hld. 2,11 ist im Hebräischen ein gängiger Dativus ethicus, im Lateinischen aber ebenso wie im Griechischen (eÆporeyÂuh eëaytv Äì , „er verzog sich von selbst“) ein Solözismus; vgl. Lawson, ACW 26, 355 Anm. 246. Origenes fasst es im Kontext seiner Freiheitslehre offenbar als Dativus auctoris auf, weshalb entsprechend übersetzt wird: „von sich aus“ im Sinne von „selbst“. Es handelt sich um dasselbe „selbst“ wie im sprachlogischen Argument in orat. 6,2 (GCS Orig. 2, 312), wo Origenes für die Selbstbestimmung von Vernunftwesen unter anderem damit ar-

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23. Doch wir können den Passus, den wir gerade in den Händen haben, auch noch auf eine andere Weise verstehen, so dass wir sagen, es scheine sich gewissermaßen um eine Art der Kirche gegebene Prophezeiung zu handeln, durch die sie zu den zukünftigen Verheißungen gerufen und gleichsam nach der Vollendung der Weltzeit, wenn die Zeit der Auferstehung gekommen ist, zu ihr gesagt wird: „Steh auf!“a 24. Und weil dieser Begriff unmittelbar die Tat der Auferstehung bezeichnet, wird sie, als wäre sie durch die Auferstehung klarer und leuchtender geworden, in das Reich eingeladen und wird ihr gesagt: „Komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube, denn der Winter ist vorüber!“b Als Winter werden zweifellos die Stürme und Wirbelstürme dieses gegenwärtigen Lebens bezeichnet, durch die das menschliche Leben in den Stürmen der Versuchungen hin und her getrieben wird. Dieser Winter mit seinen Regenfällen ist also vorüber und hat sich von selbst verzogen, denn selbst486 hat jeder in diesem Leben alles getan, was er getan hat. 25. Als Anfang der zukünftigen Verheißungen hingegen sollen die Blumen verstanden werden, die auf der Erde erschienen.c Und die Axt, die an die Wurzel der Bäume gelegt ist zur Vollendung der Weltzeit, um jeden Baum umzuhauen, der keine gute Frucht bringt,d verstehe als die Zeit des Beschneidens. 26. Die Stimme der Turteltaube hingegen, die in jenem Land der Verheißung zu hören ist,e das die Sanftmütigen zum Erbe empfangen werden,f verstehe als die Person Christi, der von Angesicht zu Angesicht und nicht mehr durch einen Spiegel und in einem Rätselg lehrt. 27. Den Feigenbaum hingegen, der seine Knospe hervorbringt,h soll man für die Frucht der gesamten Versammlung der Gerechten halten. Jene heiligen und seligen Engelmächte jedoch, denen sich alle Erwählten und Seligen, die wie die Engel Gottes sein werden,i nach der Auferstehung zugesellen werden, sind ihrerseits blühende Weinstöcke und Weinberge, die jeder Seele ihren Duft und die Gnade gewähren, die sie früher vom Schöpfer erhalten und die sie, nachdem sie verloren war, jetzt wiedererlangt hat,487 und die mit der Süße des himmlischen Duftes den Gestank der endlich von ihnen abgeworfenen Sterblichkeit und Vergänglichkeit vertreiben.

gumentiert, dass es unsinnig wäre, wenn jemand behaupten würde, „er wolle nicht selbst, er esse nicht selbst, er gehe nicht selbst spazieren“ usw. Allen Handlungen eines moralischen Subjekts liegt ein irreduzibles „Selbst“ zugrunde. In Ioh. comm. II 16,112 (GCS Orig. 4, 73) nennt er dies eÆjoysiÂa ayÆtopragiÂaw, „das Vermögen der Selbsttätigkeit“, „die Fähigkeit zur Selbstbestimmung“. 487 Siehe dazu in Cant. comm. III 15(IV 1),20.

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Hld. 2,13f.: „Steh auf und komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube! Im Schutz des Felsens bei der Vormauer zeige mir dein Angesicht und lass mich deine Stimme hören, denn deine Stimme ist süß und dein Angesicht schön.“

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16 (IV 2),1. „Surge et ueni, proxima mea, speciosa mea, columba mea; in uelamento petrae iuxta promurale ostende mihi faciem tuam et auditam mihi fac uocem tuam, quoniam uox tua suauis et facies tua speciosa.“ a Secundum propositi dramatis ordinem sponsus, qui saliens super montes et exsiliens super colles ad sponsam suam uenerat, prospiciens eam et intuens per fenestras, b secundo iam hoc dicit ad eam: „Surge, ueni, proxima mea, speciosa mea, columba mea.“ c Nunc uero addit etiam hoc, ut ostenderet ei locum, ad quem uenire debeat, qui locus sub uelamento et tegmine saxi sit positus. Sit autem idem locus non tam iuxta murum quam iuxta promurale quoddam. Promurale autem dicitur, cum extra muros, qui ambiunt ciuitatem, alius ducitur murus, et est murus ante murum. 2. Tum deinde, quasi si reuerentiae causa ipsa sponsa obtecta sit et uelata, petit ab ea sponsus, ut ueniens ad illum locum, quem supra ostendit, utpote secretiorem, ibi ei quasi reiecto uelamine ostendat faciem suam. Et quia pro multa reuerentia taceret sponsa, desiderat sponsus aliquando etiam uocem eius audire et delectari in uerbis eius et dicit, ut auditam sibi faciat uocem suam. Videtur tamen quod non ei penitus incognita sit facies eius neque uocis eius ignarus sit, sed quia intercesserit aliquid spatii, in quo nec faciem eius uiderit nec uocem eius audierit. 3. Iste sit propositi dramatis textus. Cui et hoc additur, quod ueris tempus agi uideatur, cum et flores apparuisse memorantur in terra et uox turturis personare et germen arbores produxisse. d Propter quod uelut opportuno tempore progredi prouocat sponsam, quae sine dubio per hiemem totam intra domus claustra resederit. 4. Sed haec nullam mihi uidentur, quantum ad historicam narrationem pertinet, utilitatem conferre legentibus aut aliquam saltem narrationis ipsius seruare consequentiam, sicut in ceteris scripturae historiis inuenimus. Vnde necesse est cuncta ad spiritalem transferre intelligentiam. a

Hld. 2,13f.

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Hld. 2,8f.

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Hld. 2,13

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Hld. 2,12f.

488 Zu biblischen Geschichten, die auf der Erzählebene dem Leser keinen Nutzen bringen oder jedenfalls dem Exegeten Origenes einen solchen nicht zu haben scheinen, gehören zum Beispiel auch die moralisch anstößigen Erzählungen von Lot und seinen Töchtern (Gen. 19,30–38) oder von Juda und Tamar (Gen. 38,1–30): princ. IV 2,2 (GCS Orig. 5, 309); in Regn. hom. graec. 2 (GCS Orig. 32, 283f.); zu Tamar siehe in Cant. comm. II 7,16 und dazu oben S. 258 Anm. 287. Siehe Fürst, OWD 7, 205 Anm. 6. 489 Nach den hermeneutisch-methodischen Anweisungen in princ. IV 2,5 (GCS Orig. 5, 314) gibt es Schriftstellen, die keinen vernünftig nachvollziehbaren wörtlichen

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16. Der Weg der Seele von den Lastern und von der Körperlichkeit zur Geistigkeit und zur Vollkommenheit der inneren Ruhe und der Schau der Herrlichkeit Gottes auf dem Fundament der Lehre Christi und die heilsgeschichtliche Entwicklung der Kirche im wahren Glauben

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16 (IV 2),1. „Steh auf und komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube! Im Schutz des Felsens bei der Vormauer zeige mir dein Angesicht und lass mich deine Stimme hören, denn deine Stimme ist süß und dein Angesicht schön.“a Entsprechend dem Ablauf des vorliegenden Dramas sagt der Bräutigam, der über die Berge springend und über die Hügel hüpfend zu seiner Braut gekommen war, sobald er sie erblickt und durch die Fenster anschaut,b schon zum zweiten Mal zu ihr: „Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Schöne, meine Taube!“c Jetzt jedoch fügt er noch dies hinzu, dass er ihr den Ort zeigt, an den sie kommen soll, ein Ort, der unter dem Schutz und der Bedeckung eines Felsens liegt. Dieser Ort aber soll nicht so sehr bei der Mauer sein als vielmehr bei einer Art Vormauer. Von einer Vormauer aber spricht man, wenn außerhalb der Mauern, die die Stadt umgeben, eine andere Mauer gezogen wird und eine Mauer vor der Mauer bildet. 2. Danach dann bittet der Bräutigam die Braut, so als ob sie aus Ehrfurcht bedeckt und verhüllt wäre, an jenen Ort zu kommen, den er ihr vorher gezeigt hat, und ihm dort, da der Ort ja geheimer ist, gleichsam nach Entfernung der Hülle ihr Angesicht zu zeigen. Und da die Braut vor lauter Ehrfurcht geschwiegen hat, verlangt der Bräutigam endlich einmal auch ihre Stimme zu hören und sich an ihren Worten zu erfreuen und fordert sie auf, ihn ihre Stimme hören zu lassen. Es scheint jedoch, dass ihm ihr Angesicht nicht vollkommen unbekannt noch ihre Stimme fremd ist, sondern dass ein gewisser Zeitraum dazwischen lag, in dem er weder ihr Gesicht gesehen noch ihre Stimme gehört hat. 3. Dies soll der Zusammenhang des vorliegenden Dramas sein. Dem wird noch hinzugefügt, dass offenbar Frühlingszeit ist, weil erwähnt wird, dass die Blumen auf der Erde erschienen sind und die Stimme der Turteltaube erklingt und die Bäume Knospen hervorgebracht haben.d Deswegen fordert er die Braut sozusagen zur rechten Zeit auf herauszukommen, da sie zweifellos den ganzen Winter über innerhalb des Hauses eingeschlossen verweilt hat. 4. Doch dies scheint mir, soweit es die erzählte Geschichte angeht, den Lesern keinen Nutzen zu bringen488 oder wenigstens innerhalb der Erzählung selbst irgendwie folgerichtig zu sein, wie wir es in anderen Geschichten der Schrift finden. Daher ist es notwendig, das Ganze in ein geistiges Verständnis zu übertragen.489 Sinn enthalten und daher von vornherein auf ihren geistigen Sinn zu befragen sind. Nach ebd. IV 2,9–3,5 (5, 321–331) sind an manchen Stellen sogar absichtlich im Wortsinn unmögliche Begriffe oder Aussagen in den Text eingefügt, um den aufmerksamen Exegeten auf den tieferen geistigen Sinn aufmerksam zu machen.

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5. Primo ergo intellige mihi animae hiemem, cum adhuc passionum fluctibus iactatur et uitiorum procellis ac duris malignorum spirituum flatibus uerberatur. In his positam non hortatur eam Sermo Dei foras exire, sed intra semet ipsam colligi et muniri undique ac contegi contra perniciosos malignorum spirituum flatus. 6. Nulli tunc in diuinis litteris studiorum flores apud eam nec profundioris sapientiae secreta et recondita mysteria quasi per uocem turturis resonant. Sed neque odoratus eius gratiae aliquid quasi ex uineae floribus recipit neque uisus eius tamquam in ficulneae germine delectatur, sed sufficit, ut in tempestatibus tentationum a lapsu peccati tuta ac munita permaneat. 7. Quod si obtinuerit, ut illaesa perduret, hiems ei transiit et uenit ei uer. Ver namque ei est, cum quies animo datur et tranquillitas menti. Tunc ad eam uenit Verbum Dei, tunc eam uocat ad se et hortatur, ut exeat non solum extra domum, sed extra ciuitatem, id est non solum extra carnis uitia efficiatur, sed etiam extra omne, quidquid corporeum et uisibile continetur in mundo. Mundum namque figuraliter intellegi ciuitatem iam in superioribus euidenter ostendimus. 8. Euocatur ergo anima extra murum et usque ad promurale perducitur, cum abiciens et relinquens ea, quae uidentur et temporalia sunt, contendit ad ea, quae non uidentur et aeterna sunt. a Ostenditur autem ei iter istud sub uelamento petrae agendum, non sub aere nudo; neque ut patiatur solis ardores, ne forte iterum fusca fiat et iterum dicat quia: „Despexit me sol“, b propterea sub uelamento petrae agit hoc iter. 9. Hoc ipsum autem uelamen non uult ex frondibus esse ei aut linteis aut pellibus, sed petram uult ei esse uelamen, id est firma et solida Christi dogmata. Ipsum namque esse petram Paulus pronuntiat dicens: „Petra autem erat Christus.“ c Christi ergo doctrina et fide si obtegatur anima et ueletur, tuto potest ad illud peruenire secretum, ubi reuelata facie gloriam Domini speculetur. d 10. Merito autem uelamen istud petrae tutum creditur, quia et Solomon de ea dicit in Prouerbiis, quod uestigia serpentis non possunt deprehendi super petram. Sic enim ait: „Tria sunt, quae impossibile est mihi a

2 Kor. 4,18

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Hld. 1,6

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1 Kor. 10,4

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2 Kor. 3,18

12 Cf. frg. 32 (Prokop 125; Barba`ra 28)

490 In superioribus verweist wohl auf frühere Schriften, da sich im Kommentar zum Hohelied keine derartige Deutung finden lässt. In den Homilien zum Buch Numeri findet sich dazu eine entsprechende Passage; vgl. in Num. hom. 18,4 (GCS Orig. 7, 175): „Die Stadt hier wollen wir als die Welt verstehen.“

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5. Zuerst also verstehe mir als Winter der Seele, wenn sie noch von den Wogen der Leidenschaften hin und hergeworfen und von den Wirbelstürmen der Laster und den rauen Böen der bösen Geister gepeitscht wird. Solange sie diesen ausgesetzt ist, fordert das Wort Gottes sie nicht auf nach draußen zu gehen, sondern sich in sich selbst zu sammeln und sich von allen Seiten zu schützen und sich gegen die verderblichen Böen der bösen Geister zu wappnen. 6. Zu diesem Zeitpunkt erblühen ihr aus den Studien in den göttlichen Texten keine Blumen noch erklingen die geheimen und verborgenen Mysterien der tieferen Weisheit wie durch die Stimme einer Turteltaube. Doch auch ihr Geruchssinn empfängt keinerlei Gunst wie von den Blüten des Weinstocks, und ihr Sehsinn wird nicht wie von Feigenknospen erfreut, sondern es genügt, dass sie in den Stürmen der Versuchungen vor dem Fall in die Sünde sicher und geschützt bleibt. 7. Wenn es ihr aber gelingt, unbeschädigt durchzuhalten, ist für sie der Winter vorbei und der Frühling gekommen. Denn Frühling ist für sie, wenn Ruhe in die Seele und Stille in den Geist einkehrt. Dann kommt das Wort Gottes zu ihr, dann ruft es sie zu sich und fordert sie auf, nicht nur aus dem Haus herauszugehen, sondern aus der Stadt, das heißt, sich nicht nur außerhalb der Laster des Fleisches zu begeben, sondern auch außerhalb von allem, was sich an Körperlichem und Sichtbarem in der Welt befindet. Dass nämlich die Welt bildlich als Stadt verstanden wird, haben wir schon in vorausgehenden Schriften490 deutlich gemacht. 8. Die Seele wird also vor die Mauer gerufen und bis zur Vormauer geleitet, wenn sie das, was gesehen wird und zeitlich ist, abwirft und hinter sich lässt und dem zustrebt, was nicht gesehen wird und ewig ist.a Es wird ihr aber gezeigt, dass dieser Weg unter dem Schutz eines Felsens zurückgelegt werden muss, nicht unter freiem Himmel. Und damit sie nicht unter den Gluten der Sonne leidet, auf dass sie nicht etwa erneut dunkel wird und erneut sagt: „Die Sonne hat auf mich herabgeschaut“,b 491 deswegen legt sie diesen Weg unter dem Schutz eines Felsens zurück. 9. Er will aber nicht, dass eben diese Hülle für sie aus Laubwerk oder Leinen oder Fellen besteht, sondern er will, dass für sie ein Fels die Hülle sei, das heißt die festen und soliden Lehrsätze Christi. Denn dass eben dieser der Fels ist, verkündet Paulus, wenn er sagt: „Der Fels aber war Christus.“c Wenn die Seele also von der Lehre Christi und vom Glauben an ihn bedeckt und umhüllt wird, kann sie sicher an jenen geheimen Ort gelangen, wo man mit entblößtem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn schaut.d 10. Mit Recht aber hält man diese Hülle des Felsens für sicher, da auch Salomo über ihn in den Sprichwörtern sagt, dass die Spuren der Schlange auf einem Felsen nicht entdeckt werden können. Er sagt nämlich so: „Drei Dinge sind es, die zu erkennen mir nicht möglich ist, und ein 491 Siehe dazu die Erläuterungen in Cant. comm. II 2,10.

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intelligere, et quartum, quod non agnosco: uestigia aquilae uolantis et uias serpentis super petram et semitas nauis in pelago et uias uiri in iuuentute.“ a Serpentis ergo diaboli uestigia, id est signa aliqua peccati, in hac petra, quae Christus est, b inueniri non possunt, quia solus est, qui peccatum non fecit. c Huius igitur petrae usa uelamine anima tuto peruenit ad promuralem locum, id est ad contemplanda incorporalia et aeterna. 11. De hac eadem petra alia uerbi specie Dauid in septimo decimo psalmo dicit: „Et statuit supra petram pedes meos et direxit semitas meas.“ d Nec mireris, si apud Dauid petra haec quasi fundamentum et crepido quaedam est animae, per quam pergit ad Deum, et apud Solomonem uelamen est animae ad mystica sapientiae secreta tendentis, cum et ipse Christus nunc uia e dicatur, per quam credentes incedunt, nunc etiam praecursor, sicut ait Paulus: „In quod praecursor pro nobis intrauit Iesus.“ f 12. Simile est et illud, quod ad Moysen dicitur a Deo: „Ecce, posui te in foramine petrae, et uidebis posteriora mea.“ g Igitur petra ista, quae Christus est, h non est ex omni parte clausa, sed habet foramina. Foramen uero est petrae, qui reuelat et innotescere facit hominibus Deum; nemo enim cognoscit Patrem nisi Filius. i Nemo ergo uidet postrema Dei, id est quae in postremis temporibus fiunt, nisi positus in foramine petrae, scilicet cum ea Christo reuelante didicerit. 13. Et hic ergo sub uelamine petrae animam proximam sibi effectam inuitat Sermo Dei ad promuralem locum, sicut supra iam diximus, ad contemplanda ea, quae non uidentur et aeterna sunt, j et ibi dicit ad eam: „Ostende mihi faciem tuam“, k profecto, ut uideat, si nihil in uultu eius ueteris adhuc uelaminis habetur, sed potest intrepidis obtutibus gloriam Domini speculari, ut et ipsa dicat: „Et a f

Spr. 30,18f. Hebr. 6,20

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b c d 1 Kor. 10,4 1 Petr. 2,22 Ps. 39(40),3 Ex. 33,22f. h 1 Kor. 10,4 i Mt. 11,27 j 2 Kor. 4,18

e k

Joh. 14,6 Hld. 2,14

492 Baehrens, GCS Orig. 8, 230.23, streicht diaboli als Glosse (so auch Lawson, ACW 26, 249), da er das folgende id est ... peccati als Definition zu uestigia serpentis liest (vgl. ebd. app. crit.). Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 704, dagegen belassen (wie auch Simonetti, CTePa 1, 261) diaboli im Text und begründen dies damit, dass die signa peccati durchaus auch die uestigia diaboli sein können. 493 Die Verwechslung von Ps. 39(40) mit Ps. 17(18) erklärt sich nach Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 704 Anm. 2, wohl daraus, dass in Ps. 17(18),3.32.47 von Gott als Felsem die Rede ist sowie ebd. 17(18),20.33.34.37 von Gott, der die Gläubigen stärkt. Vermutlich hat Origenes deshalb diesen Vers aus Ps. 39(40),3 irrtümlich Ps. 17(18) zugeordnet. 494 Vgl. in Ex. hom. 12,3 (GCS Orig. 6, 165): „Er sah also seinen Rücken. Er sah nämlich, was in späteren und in den letzten Tagen geschehen ist, und freute sich.“ In der lat. Übersetzung von in Ps. 36 hom. 4,1 (SC 411, 184–186) wird diese Erkenntnis auf „die letzten Zeiten“ nach der Inkarnation bezogen, während im nunmehr vorliegenden griech. Original (GCS Orig. 13, 159) die durch den Spalt gewonnene Erkenntnis lediglich allgemein als Vorübung für noch viel mehr Er-

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viertes, das ich nicht weiß: die Spuren eines fliegenden Adlers und die Wege einer Schlange auf einem Felsen und die Bahnen eines Schiffes auf dem Meer und die Wege eines Mannes in der Jugend.“a Die Spuren also der Schlange, des Teufels,492 das heißt irgendwelche Anzeichen der Sünde, kann man auf diesem Felsen, der Christus ist,b nicht finden, da er der einzige ist, der keine Sünde begangen hat.c Wenn die Seele daher diesen Felsen als Hülle nutzt, gelangt sie sicher zum Ort an der Vormauer, das heißt zur Schau der unkörperlichen und ewigen Dinge. 11. Über eben denselben Felsen sagt David mit einer anderen Ausdrucksweise im 17. Psalm: „Und er stellte meine Füße auf einen Felsen und lenkte meine Pfade.“d 493 Und wundere dich nicht, wenn bei David dieser Fels gleichsam das Fundament und eine Art Sockel für die Seele darstellt, auf dem sie zu Gott gelangt, und bei Salomo die Hülle für die Seele, die den mystischen Geheimnissen der Weisheit zustrebt, da auch Christus selbst bald als Wege bezeichnet wird, auf dem die Glaubenden einherschreiten, bald auch als Vorläufer, wie Paulus sagt: „Wo hinein der Vorläufer für uns eingetreten ist: Jesus.“f 12. Dem entspricht auch das, was von Gott zu Mose gesagt wird: „Siehe, ich habe dich in eine Felsspalte gestellt, und du wirst meinen Rücken sehen.“g Also ist dieser Fels, der Christus ist,h nicht vollkommen geschlossen, sondern hat Öffnungen. Eine Öffnung des Felsens jedoch ist der, der Gott offenbart und den Menschen bekannt macht. Denn niemand erkennt den Vater außer dem Sohn.i Niemand also sieht den Rücken Gottes, das heißt, was am Ende der Zeiten geschehen wird,494 wenn er nicht in der Spalte des Felsens steht, das heißt, wenn er es durch die Offenbarung Christi gelernt hat.495 13. Und hier also unter der Hülle des Felsens lädt das Wort Gottes die Seele, die ihm zur Gefährtin geworden ist, zum Ort an der Vormauer ein, wie wir oben schon gesagt haben,496 zur Schau der Dinge, die nicht gesehen werden und ewig sind,j und dort sagt es zu ihr: „Zeige mir dein Angesicht“,k sicherlich deshalb, damit es sieht, ob nichts mehr von der alten Hülle auf ihrem Gesicht liegt, sondern sie in der Lage ist, mit unerschrockenem Blick die Herrlichkeit des Herrn zu schauen, so dass auch sie sagt: „Und wir haben seine kenntnisse gedeutet wird. In princ. II 4,3 (GCS Orig. 5, 131) weist Origenes darauf hin, dass der „Rücken“ Gottes, von dem in Ex. 33,23 die Rede ist, in mystischem, nicht in wörtlich-körperlichem Sinne zu verstehen ist. 495 Für diese Deutung von Ex. 33,22f. vgl. in Hier. hom. 16,2 (GCS Orig. 32, 134): „Wer ist nun jener eine Fels? ,Der Fels aber war Christus‘, ,denn sie tranken aus einem geistigen Felsen, der ihnen folgte‘ (1 Kor. 10,4), und ,er hat meine Füße auf einen Felsen gestellt‘ (Ps. 39[40],3), heißt es im 39. Psalm. Wer ist die Kluft im Felsen? Wenn du die Ankunft Jesu siehst und ihn dabei ganz als Felsen verstehst, wirst du die Kluft im Hinblick auf seine Ankunft sehen. Durch diese Kluft wird man das sehen, was hinter Gott liegt. Denn so versteht man das Wort: ,Du wirst mich von hinten sehen‘ (Ex. 33,22).“ 496 Siehe in Cant. comm. III 16(IV 2),8.10.

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uidimus gloriam eius, gloriam tamquam unigeniti a Patre, plenum gratiae et ueritatis.“ a 14. Sed et cum digna fuerit, ut de ipsa dicatur, sicut et de Moyse dictum est, quia Moyses loquebatur et Deus respondebat ei, b tunc completur in ea, quod ait: „Auditam mihi fac uocem tuam.“ c Ingens uero laus eius ostenditur in eo, quod dicitur: „Vox tua suauis.“ d Sic enim et sapientissimus propheta Dauid dicebat: „Suauis sit ei disputatio mea.“ e 15. Suauis autem est uox animae, cum uerbum Dei loquitur, cum de fide et dogmatibus ueritatis exponit, cum dispensationes Dei et iudicia eius explanat. Si uero aut stultiloquium aut scurrilitas aut uanitates de ore eius procedunt aut uerbum otiosum, de quo reddenda sit ratio in die iudicii, f insuauis et iniucunda uox ista est. Ab hac uoce Christus auertit auditum suum. 16. Et ideo perfecta quaeque anima ponit ori suo custodiam et ostium circumstantiae labiis suis, g ut talem semper sermonem proferat, qui sale conditus h det gratiam audientibus, et dicat de ea Verbum Dei: „Quia uox tua suauis.“ i 17. Sed „et facies tua“, inquit, „speciosa“. j Si intelligas illam faciem, de qua Paulus dicit: „nos autem omnes reuelata facie“, k et item, cum dicit: „tunc autem facie ad faciem“, l tunc uidebis, quae sit animae facies, quae laudatur a Verbo Dei et speciosa esse dicitur. Illa sine dubio, quae cotidie renouatur ad imaginem eius, qui creauit eam, m quae non habet in se maculam aut rugam aut aliquid huiusmodi, sed est sancta et immaculata, qualem et ipse sibi exhibuit Christus ecclesiam, n animas scilicet, quae ad perfectionem uenerunt, quae omnes simul efficiunt corpus ecclesiae. 18. Quod corpus utique pulchrum uidebitur et decorum, si animae, ex quibus corpus istud efficitur, in omni perfectionis decore permanserint. Sicut enim, cum anima in iracundia est, turbatum et ferum reddit corporis uultum, cum uero in mansuetudine et tranquillitate persistit, placidum mitemque reddit adspectum, ita et ecclesiae facies pro uirtutibus et motibus credentium aut decora pronuntiatur aut turpis, secundum quod scriptum legimus: „Vestigium cordis in bonis uultus hilaris“ o et item alibi: „Cordis laeti facies florida, in tristitiis autem positi maestus est b c d e f Joh. 1,14 Ex. 19,19 Hld. 2,14 Hld. 2,14 Ps. 103(104),34 Mt. 12,36 h i j k Ps. 140(141),3 Kol. 4,6 Hld. 2,14 Hld. 2,14 2 Kor. 3,18 l m n o 1 Kor. 13,12 2 Kor. 4,16; Kol. 3,10 Eph. 5,27 Sir. 13,26(32) a

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497 Im Deutschen kann aufgrund des unterschiedlichen Geschlechts von „Angesicht“ und „Seele“ nicht nachgeahmt werden, was im Lateinischen funktioniert, wo facies und anima beide Femininum sind, nämlich der durch die identische Grammatik ermöglichte sinngemäße Übergang des Bezugswortes von facies (worauf sich der vorausgehende quae-Satz noch eindeutig bezieht, denn es ist die facies, die speciosa genannt wird) auf anima: Eigentlich ist in der Logik des Textes vom Angesicht der Seele die Rede, das täglich erneuert wird usw., doch wird zunehmend klar, dass eher die Seele gemeint ist, so dass am Ende des Satzes dann explizit von Seelen die Rede ist. Man kann sich die Koinzidenz von facies animae und anima mit Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 708 Anm. 1, auch so erklären, dass mit dem Ant-

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Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit, die der einzige Sohn vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit.“a 14. Wenn sie aber auch würdig geworden ist, dass über sie gesagt wird, wie auch über Mose gesagt worden ist, dass Mose redete und Gott ihm antwortete,b dann erfüllt sich an ihr die Aussage: „Lass mich deine Stimme hören!“c Ein außerordentliches Lob für sie wird jedoch darin ersichtlich, dass gesagt wird: „Deine Stimme ist süß.“d So nämlich sprach auch der weiseste Prophet David: „Süß soll für ihn meine Unterredung sein.“e 15. Süß aber ist die Stimme der Seele, wenn sie das Wort Gottes spricht, wenn sie den Glauben und die Lehrsätze der Wahrheit darlegt, wenn sie Gottes Anordnungen und seine Entscheidungen erläutert. Wenn hingegen albernes Gerede oder Possenreißerei oder Nichtigkeiten ihrem Mund entströmen oder ein nutzloses Wort, für das man am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen muss,f ist das eine nicht süße und unangenehme Stimme. Von einer solchen Stimme wendet Christus sein Ohr ab. 16. Und deshalb setzt jede vollkommene Seele eine Wache vor ihren Mund und eine Tür der Umsichtigkeit vor ihre Lippen,g damit sie immer ein solches Wort hervorbringt, das mit Salz gewürzth den Hörenden angenehm ist, und das Wort Gottes über sie sagt: „Ja, deine Stimme ist süß.“i 17. Doch „auch dein Angesicht“, heißt es, „ist schön“.j Wenn du darunter jenes Gesicht verstehst, über das Paulus sagt: „wir aber alle mit unverhülltem Gesicht“,k und desgleichen, wenn er sagt: „dann aber von Angesicht zu Angesicht“,l dann wirst du sehen, was das Angesicht der Seele ist, das vom Wort Gottes gelobt und schön genannt wird: ohne Zweifel jenes, das497 täglich erneuert wird nach dem Bild dessen, der es geschaffen hat,m das keinen Fleck oder keine Runzel oder etwas von dieser Art an sich hat, sondern heilig und unbefleckt ist, wie auch Christus selbst sich die Kirche bereitet hat,n die Seelen nämlich, die zur Vollkommenheit gelangt sind, die alle zusammen den Leib der Kirche bilden.498 18. Dieser Leib wird gewiss als schön und edel erscheinen, wenn die Seelen, aus denen dieser Leib gebildet wird, allen Adel der Vollkommenheit gewahrt haben. Wie nämlich eine Seele im Zorn den Gesichtsausdruck des Körpers wirr und wild, wenn sie hingegen in Sanftmut und heiterer Ruhe verharrt, ihr Aussehen freundlich und sanft macht, so erweist sich auch das Angesicht der Kirche je nach Tugenden und Regungen der Gläubigen entweder als edel oder als schändlich entsprechend dem, was wir in der Schrift lesen: „Die Spur eines Herzens im Guten ist ein heiteres Antlitz“,o und ebenso anderswo: „Das Antlitz eines fröhlichen Herzens ist blühend, aber die Miene eines in Traurigkeit

litz der Seele der oberste Seelenteil gemeint ist, das hëgemonikoÂn, das Origenes ansonsten meist principale cordis nennt, so etwa in Cant. comm. I 2,3 (siehe dazu oben S. 134 Anm. 139). Explizit nimmt Origenes diese Gleichsetzung allerdings nicht vor. 498 Zu diesem Kirchenbegriff siehe in Cant. comm. I 1,5.

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uultus.“ a Cor ergo laetum est, cum habet in se spiritum Dei, cuius primus fructus caritas, secundus gaudium est. b Ex his puto quosdam sapientes saeculi assumpsisse illam sententiam, quae dicit, quia solus sapiens speciosus est, omnis autem nequam turpis est. 19. Superest nobis, ut aliquid apertius etiam de nomine promuralis dicamus. Quod, sicut supra diximus, indicat murum esse ante murum, quod etiam in Esaia hoc modo dicitur: „Ponet murum et circa murum.“ c Murus munimentum ciuitatis est, alius uero murus ante murum uel circa murum maiora et ualidiora munimenta designat. 20. Per quod ostenditur, quia euocans Sermo Dei animam et educens eam a corporalibus negotiis et corporeis sensibus docere eam de futuri saeculi mysteriis cupit et inde ei munimenta conquirere, ut spe futurorum munita et circumdata in nullo possit uel illecebris uinci uel tribulationibus fatigari. 21. Nunc etiam uideamus, quomodo haec a Christo ad ecclesiam dicantur, quae est proxima ei et speciosa, speciosa autem nulli alii nisi ipsi soli; hoc enim significat, cum dicit: „speciosa mea“. d 22. Hanc ergo exsuscitat Christus et ipsi euangelium resurrectionis adnuntiat et ideo dicit: „Exsurge, ueni, proxima mea, speciosa mea.“ e Quia autem dedit ei et pennas columbae, f posteaquam dormiuit in medio sortium; g media enim inter duas uocationes Istrahelis ecclesia uocata est, quia primo Istrahel uocatus est, post haec, ubi ille offendit et cecidit, uocata est ecclesia gentium, cum autem plenitudo gentium introierit, tunc iterum omnis Istrahel uocatus saluabitur; h in medio ergo harum duarum sortium dormit ecclesia; et propter hoc dedit ei pennas columbae deargentatas, i quod significat rationabiles pennas in Sancti Spiritus donis. 23. „Et posteriora dorsi eius“ uel „in uiriditate auri“, ut quidam legunt, uel, ut alii scriptum habent, „in pallore auri“. j Quod ostendere potest, quia posterior illa uocatio, quam ex Istrahel futuram dicit apostolus, non erit in obseruantia legis, sed in pretiositate fidei. Auri namque uiriditatis a g

Spr. 15,13 Ps. 67(68),14

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c d Gal. 5,22 Jes. 26,1 Hld. 2,13 h i Röm. 11,25f. Ps. 67(68),14

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e Hld. 2,13 Ps. 67(68),14

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499 Für dieses stoische Paradox siehe den pseudo-acronischen Kommentar zu Horaz, serm. I 3,124 (SVF III 597): „Die Stoiker behaupten, ein Weiser … sei auch dann am schönsten, wenn er am dreckigsten ist.“ Vgl. Cicero, fin. III 75 (SVF III 591); Acad. prior. II 136 (SVF III 599); Alexander von Aphrodisias, comm. in Aristot. Topica II p. 72 (SVF III 594); Sextus Empiricus, adv. math. XI 170 (SVF III 598). Über diese stoischen Paradoxa äußert sich Origenes grundsätzlich in Ioh. comm. II 16,112 (GCS Orig. 4, 72f.). Siehe dazu Somos, Logic and Argumentation 129–131. 500 Siehe in Cant. comm. III 16(IV 2),1. 501 Zu dieser Deutung von Ps. 67(68),14 siehe in Cant. comm. II 8,14 und III 1,6. 502 In der Vulgata steht in pallore auri, „in der Blässe des Goldes“, die Septuaginta

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befangenen Herzens ist schwermütig.“a Ein Herz ist also fröhlich, wenn es den Geist Gottes in sich hat, dessen erste Frucht die Liebe, dessen zweite die Freude ist.b Daraus haben, glaube ich, einige Weisen der Welt jenen Grundsatz entnommen, der besagt, dass allein der Weise schön ist, jeder Schuft aber hässlich ist.499 19. Bleibt uns noch, auch über die Bezeichnung ,Vormauer‘ etwas Deutlicheres zu sagen. Dieses Wort weist, wie oben gesagt,500 darauf hin, dass es eine Mauer vor der Mauer gibt, was auch bei Jesaja folgendermaßen ausgedrückt wird: „Er soll eine Mauer auch um die Mauer herum bauen.“c Eine Mauer ist ein Schutzwerk für die Stadt, eine weitere Mauer jedoch vor der Mauer oder um die Mauer herum bezeichnet größere und kräftigere Schutzwerke. 20. Dies macht deutlich, dass das Wort Gottes die Seele dadurch, dass es sie herausruft und von den körperlichen Beschäftigungen und körperlichen Sinnen wegführt, über die Mysterien der zukünftigen Weltzeit belehren und ihr somit Schutzwerke verschaffen will, damit sie, von der Hoffnung auf die zukünftigen Dinge geschützt und umgeben, in nichts von Verlockungen überwunden oder von Anfechtungen zermürbt werden kann. 21. Jetzt wollen wir noch sehen, in welchem Sinne diese Worte von Christus zur Kirche gesprochen werden, die seine Gefährtin und die schön ist, schön aber für niemand anderen als nur für ihn allein. Dies nämlich deutet er an, wenn er sagt: „meine Schöne“.d 22. Diese also erweckt Christus auf und verkündigt ihr das Evangelium von der Auferstehung und sagt daher: „Steh auf, komm, meine Gefährtin, meine Schöne!“e Deshalb aber gab er ihr auch die Flügel einer Taube,f nachdem sie inmitten der Lose geschlafen hat.g Denn mitten zwischen zwei Berufungen Israels wurde die Kirche berufen, da zuerst Israel berufen wurde. Danach, als es Anstoß nahm und fiel, wurde die Kirche der Völker berufen, wenn aber die Fülle der Völker eingetreten ist, dann wird erneut ganz Israel berufen und gerettet werden.h Inmitten dieser beiden Lose also schläft die Kirche, und deswegen gab er ihr die versilberten Flügel einer Taube,i was die vernünftigen Flügel unter den Gaben des Heiligen Geistes bezeichnet.501 23. „Und die Kehrseite seines Rückens“ ist entweder „im grünlichen Glanz des Goldes“, wie einige lesen, oder, wie es bei anderen geschrieben steht, „in der Blässe des Goldes“.j 502 Dies kann zeigen, dass jene spätere Berufung, die nach den Worten des Apostels aus Israel künftig erfolgen wird, nicht in der Befolgung des Gesetzes, sondern in der Kostbarkeit des Glaubens bestehen wird. Denn ein Glaube, der in Tugenden erblüht, trägt die Zierde des Glanzes von Gold an

dagegen bietet eÆn xlvroÂthti xrysiÂoy, „in der grünlichen Farbe von Gold“. Rufinus nimmt die Vulgata-Lesart des Psalmverses zwar auf, Origenes bezieht sich in seiner Auslegung aber allein auf die Septuaginta-Lesart, wie die weitere Argumentation zeigt.

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speciem gerit fides uirtutibus florens. 24. Potest autem dici in medio sortium dormire – uel quiescere – ecclesia, in medio duorum testamentorum, et pennae eius deargentatae ex sensibus legis, aurum uero in posterioribus dorsi eius intelligi euangelici muneris donum. 25. Ad hanc ergo ecclesiam dicit Christus: Veni, tu columba mea, et ueni in operimento petrae, a docens eam, ut operta ueniat, ne quid patiatur ab incursantibus eam tentationibus, sed sub umbra petrae incedat obtecta dicens: „Spiritus uultus nostri Christus Dominus, cui diximus: In umbra eius uiuemus in gentibus.“ b Obtecta autem incedit et adoperta, quia debet potestatem habere super caput propter angelos. c 26. Cum autem peruenerit ad promuralem locum, id est ad futuri saeculi statum, ibi ad eam dicit: „Ostende mihi faciem tuam, et auditam mihi fac uocem tuam, quia uox tua suauis est.“ d Auditam uult fieri uocem ecclesiae suae, quia, qui eum confessus fuerit coram hominibus, et ipse confitebitur eum coram Patre suo, qui in caelis est. e 27. „Quia uox tua suauis est.“ f Et quis non fateatur suauem uocem esse ecclesiae catholicae fidem ueram confitentis, insuauem uero et iniucundam esse haereticorum uocem, qui non dogmata ueritatis, sed blasphemias in Deum et iniquitatem in excelsum loquuntur? g 28. Sic et facies ecclesiae speciosa est, haereticorum uero turpis et foeda, si quis tamen est, qui bene nouerit pulchritudinem uultus probare, id est, si quis spiritalis est, qui scit examinare omnia. h Nam apud imperitos et animales homines i pulchriora uidentur mendacii sophismata quam dogmata ueritatis. 29. Possumus autem adhuc de loco promurali etiam hoc addere, quod promurale sinus sit Patris, in quo positus unigenitus Filius enarrat omnia et adnuntiat ecclesiae suae, quaecumque in secretis et absconditis Patris sinibus continentur. Vnde et quidam ab eo edoctus dicebat: „Deum nemo uidit umquam; unigenitus Filius, qui est in sinu Patris, ipse enarrauit.“ j 30. Illuc ergo euocat sponsam suam Christus, ut et de omnibus eam, quae apud a g

Hld. 2,13f. Ps. 72(73),8

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c d e Klgl. 4,20 1 Kor. 11,10 Hld. 2,14 Mt. 10,32 h i j 1 Kor. 2,15 1 Kor. 2,14 Joh. 1,18

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Hld. 2,14

503 In Ex. hom. 13,2 (GCS Orig. 6, 271) schreibt Origenes zu Röm. 10,8f.: „Wenn du also im Herzen glaubst, ist dein Herz und dein Denken Gold, du hast also als Gold für das Zelt den Glauben deines Herzens dargebracht; wenn du das aber auch im Wort bekannt hast, hast du das Wort des Bekenntnisses als Silber dargebracht.“ Übersetzung: p. 251 Heither. In Num. hom. 9,1 (GCS Orig. 7, 54): „Wo nämlich der wahre Glaube ist und die unversehrte Verkündigung des Wortes Gottes, ist entweder von Silber oder von Gold die Rede, so dass der Glanz des Goldes die Reinheit des Glaubens verkündet und das im Feuer geläuterte Silber die bewährten Reden bezeichnet.“ Siehe auch oben S. 264 Anm. 296 zu in Cant. comm. II 8,14. 504 In Cant. comm. III 5,10–12 erklärte Origenes diesen Schatten aus Klgl. 4,20 in Verbindung mit dem Schatten aus Hld. 2,3 als die menschliche Seele Christi, in deren Schatten die Menschen auf Erden leben.

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sich.503 24. Man kann aber sagen, dass die Kirche inmitten der Lose schläft – oder ruht –, inmitten der beiden Testamente nämlich, und dass ihre Flügel von den Gedanken des Gesetzes versilbert sind, das Gold auf der Kehrseite ihres Rückens hingegen kann man als die Beauftragung mit der Verkündigung des Evangeliums verstehen. 25. Zu dieser Kirche also sagt Christus: Komm, du meine Taube, und komm unter der Decke des Felsens,a womit er sie lehrt, bedeckt zu kommen, damit ihr die auf sie einstürmenden Versuchungen nichts antun, sondern sie im Schatten des Felsens bedeckt dahinschreitet und sagt: „Der Hauch unseres Angesichts ist Christus, der Herr, zu dem wir gesagt haben: In seinem Schatten werden wir unter den Völkern leben.“b 504 Bedeckt und verhüllt aber schreitet sie dahin, weil sie wegen der Engel eine Macht auf dem Haupt haben muss.c 505 26. Sobald sie aber zum Ort der Vormauer gelangt, das heißt in das Stadium der künftigen Weltzeit, sagt er dort zu ihr: „Zeige mir dein Angesicht und lass mich deine Stimme hören, denn deine Stimme ist süß.“d Er will, dass die Stimme seiner Kirche gehört wird, weil er den, der ihn vor den Menschen bekennt, auch seinerseits vor seinem Vater im Himmel bekennen wird.e 27. „Denn deine Stimme ist süß.“f Und wer sollte nicht bekennen, dass die Stimme der katholischen506 Kirche süß ist, da sie den wahren Glauben bekennt, unerfreulich und unangenehm hingegen die Stimme der Häretiker, die nicht von den Lehrsätzen der Wahrheit, sondern Lästerungen wider Gott und Unrecht wider den Höchsten reden?g 28. So ist auch das Angesicht der Kirche schön, das der Häretiker hingegen hässlich und abscheulich – freilich nur für jemanden, der sich gut darauf versteht, die Schönheit eines Antlitzes zu beurteilen, das heißt, wenn jemand ein vom Geist erfüllter Mensch ist, der alles zu prüfen vermag.h Denn bei den unkundigen und ihrer triebhaften Seele zugewandten Menscheni erscheinen die Trugschlüsse der Lüge schöner als die Lehrsätze der Wahrheit. 29. Wir können aber in Bezug auf den Ort der Vormauer zudem auch noch anfügen, dass die Vormauer die Brust des Vaters ist, in der sein einziger Sohn ruht und seiner Kirche alles erzählt und kundtut, was im geheimen und verborgenen Busen des Vaters enthalten ist. Deshalb sagte auch einer, der von ihm belehrt worden war: „Niemand hat Gott je gesehen. Sein einziger Sohn, der in der Brust des Vaters ist, der hat es erzählt.“j 30. Dorthin also ruft Christus seine Braut, damit er sie über alles belehrt, was es beim 505 Origenes erklärt nicht weiter, in welchem Sinne er 1 Kor. 11,10 hier heranzieht. Oder hat Rufinus die Erklärung beim Übersetzen weggelassen? 506 „Katholisch“ meint in diesem Kontext, wie allgemein in der antiken christlichen Literatur, die Universalität der „überall verbreiteten“ Kirche, die alle rechtgläubigen Christen einschließt. Die Häretiker stellen sich durch ihre theologischen Positionen außerhalb dieser Gemeinschaft. Siehe auch unten S. 420 Anm. 515 zu in Cant. comm. III 17(IV 3),9.

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Patrem habentur, edoceat et dicat: „Quia omnia uobis nota feci, quae audiui a Patre meo“, a et ut iterum dicat: „Pater, uolo, ut, ubi ego sum, et isti sint mecum.“ b

Hld. 2,15: „Fangt uns die kleinen Füchse, die die Weinberge verwüsten, und unsere Weinberge werden blühen.“

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17 (IV 3),1. „Capite nobis uulpes pusillas exterminantes uineas, et uineae nostrae florebunt.“ c Secundum dramatis ordinem mutata persona est; non enim iam ad sponsam, sed ad sodales loquitur sponsus et ipsis dicit, ut capiant uulpes pusillas, quae insidiantur uineis, ubi primum germen ostenderint, nec sinunt eas peruenire ad florem. Capi ergo eas praecipit, saluti et utilitati consulens uinearum. Sed haec, ut coepimus, spiritali expositione discutienda sunt. 2. Et puto, quod, si de anima haec, quae se Verbo Dei coniungit, aduertas, uulpes contrariae potestates et nequitiae daemonum intelligi debeant per cogitationes prauas et peruersam intelligentiam exterminantes in anima uirtutum florem et fructum fı`dei perimentes. 3. Promissione igitur Verbi Dei, qui est Dominus uirtutum, d mandatur angelis sanctis, qui ad ministerium missi sunt propter eos, qui hereditatem capiunt salutis, e ut capiant ex unaquaque anima huiusmodi cogitationes a daemonibus immissas, ut abiectis iis possint florem uirtutis afferre. Capiunt autem cogitationes malas in eo, cum suggerunt menti non esse eas a Deo, sed esse a maligno, et dant animae discretionem spirituum, f ut intelligat, quae sit cogitatio secundum Deum et quae sit ex diabolo. 4. Vt autem scias esse cogitationes, quas immittit diabolus in cor hominum, uide in euangelio, quod scriptum est: „Cum autem immisisset“, inquit, „diabolus in cor Iudae Scariotis, ut traderet eum.“ g Sunt ergo huiusmodi cogitationes, quae a daemonibus iniciuntur cordibus hoa f

Joh. 15,15 1 Kor. 12,10

b g

Joh. 17,24 Joh. 13,2

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Hld. 2,15

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1 Kön. 18,15

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Hebr. 1,14

5 Cf. frg. 33 (Prokop 128; Barba`ra 29)

507 Baehrens, GCS Orig. 8, 235 ad loc., und Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 722 Anm. 3, überlegen, ob Origenes sich für die folgende Auslegung vielleicht von Hippolyt, in Cant. 2,15 frg. 14 (GCS Hippolyt. 1, 349f.), hat inspirieren lassen. 508 Dass nämlich laut Hld. 2,15 „unsere Weinberge blühen werden“. 509 Die Lehre von der Unterscheidung der Geister entwickelt Origenes ausführlich in princ. III 2,4 (GCS Orig. 5, 250f.) und III 3,4–6 (5, 260–263). 510 Origenes nennt Judas im Johanneskommentar sonst immer nur ÆIoyÂdaw ÆIskarivÂthw (Judas Ischariot). Die Namensform SkarivÂthw, die im lat. Text des Rufinus voraus-

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Vater gibt, und sagt: „Denn ich mache euch alles bekannt, was ich von meinem Vater gehört habe“,a und erneut sagt: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch diese mit mir sind.“b 17. Die Entscheidungsfreiheit der Seele im Kampf zwischen guten und bösen inneren Regungen und äußeren Verführungen und die Kirche zwischen häretischen Lehren und dem rechten Glauben

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17 (IV 3),1. „Fangt uns die kleinen Füchse, die die Weinberge verwüsten, und unsere Weinberge werden blühen.“c In der Handlungsfolge des Dramas hat sich ein Personenwechsel vollzogen, denn der Bräutigam spricht nicht mehr zur Braut, sondern zu den Gefährten und sagt ihnen, sie sollen die kleinen Füchse fangen, die den Weinbergen auflauern, sobald sich die erste Knospe zeigt, und diese nicht zur Blüte kommen lassen. Er ordnet also an, diese zu fangen, weil er auf den guten Zustand und den Profit der Weinberge bedacht ist. Doch dies muss, wie wir es begonnen haben, mit einer geistigen Auslegung erläutert werden. 2. Und ich meine,507 wenn du dies auf die Seele, die sich mit dem Wort Gottes verbindet, beziehst, dass die Füchse als die feindlichen Mächte und die Schlechtigkeiten der Dämonen verstanden werden müssen, die durch verkehrte Gedanken und ein verdrehtes Verstehen die Blüte der Tugenden in der Seele austilgen und die Frucht des Glaubens zerstören. 3. Durch die Verheißung508 des Wortes Gottes, das der Herr der Mächted ist, wird also den heiligen Engeln, die zum Dienst ausgesandt sind um derentwillen, die das Erbe des Heils erhalten,e befohlen, aus jeder Seele solche von den Dämonen eingegebene Gedanken herauszufangen, damit sie, wenn diese beseitigt sind, die Blüte der Tugend hervorbringen können. Sie fangen aber die bösen Gedanken dadurch, dass sie dem Verstand eingeben, dass diese Gedanken nicht von Gott, sondern vom Bösen stammen, und der Seele die Gabe der Unterscheidung der Geister gewähren,f damit sie versteht, welches Denken Gott entspricht und welches vom Teufel stammt.509 4. Damit du aber erkennst, dass es Gedanken gibt, die der Teufel dem Herzen der Menschen eingibt, schau auf das, was im Evangelium geschrieben steht: „Als aber“, heißt es, „der Teufel dem Herzen des Judas Schariot510 eingegeben hatte, ihn zu verraten.“g Es gibt also solche Gedanken, die von den Dämonen den

gesetzt ist (ebenso in Cant. comm. III 13,25), findet sich in Mt. 10,4 im griech. Codex Bezae Cantabrigiensis und in einem Teil der lat. Überlieferung. Es dürfte sich also um eine Form handeln, die Rufinus in den Text eingebracht hat und die Origenes nicht kannte. Rufinus bietet nämlich auch in seiner Übersetzung von princ. III 3,4 (GCS Orig. 5, 260) den Namen Iudas Scariotes.

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minum. 5. Sed quia non deest diuina prouidentia, ne forte per huiusmodi importunitatem turbaretur libertas arbitrii et non esset iusta causa iudicii, idcirco benignis angelis et amicis potestatibus hominum cura mandatur, ut, cum deceptores quasi uulpes incursare coeperint animam, dextris auxiliis subleuent. Et ideo dicitur: „Capite nobis uulpes pusillas.“ a 6. Competenter sane, cum adhuc pusillae sunt, capi eas mandat et comprehendi. Dum enim cogitatio mala in initiis est, facile potest abici a corde. Nam si frequenter iteretur et diu permaneat, adducit animam sine dubio ad consensum; et post consensum intra cor suum confirmatum certum est, quia ad peccati tendat effectum. Dum ergo in initiis est et pusilla est, capi debet et abici, ne, si adulta fuerit et inueterata, iam non possit expelli. 7. Denique et Iudas initium mali habuit in amore pecuniae et haec fuit illi uulpes pusilla. Sed ab hac cum uideret Dominus animam Iudae quasi florentem uineam laedi, capere eam uolens et abicere ex eo commisit ei pecuniae loculos, b ut possidens, quod amabat, a cupiditate cessaret. Sed ille, utpote habens sui arbitrii libertatem, non est amplexus medici sapientiam, sed indulsit semet ipsum illi magis consilio, quo exterminabatur anima sua, quam quo sanabatur. 8. Si uero haec de Christo et ecclesia intelligamus, uidebitur sermo ad doctores ecclesiae dirigi et mandari iis de captione uulpium exterminantium uineas. Vulpes autem peruersos doctores haereticorum dogmatum possumus a

Hld. 2,15

b

Joh. 12,6; 13,29

511 In princ. III 2 (GCS Orig. 5, 244–256) stellt Origenes ausführlich dar, „wie die feindlichen Mächte und der Teufel selbst gegen das Menschengeschlecht streiten, indem sie es zur Sünde locken und anreizen“: ebd. III 2,1 (5, 244). Übersetzung: p. 561 Görgemanns/Karpp. 512 Damit formuliert Origenes die kirchliche Lehre, aus der er die Entscheidungsfreiheit des Menschen ableitet: Aus der „Lehre vom gerechten Gericht Gottes“ ergibt sich zwingend die Voraussetzung, „dass man dem Satz zustimmt, dass es in unserer Macht liegt, ob wir Lobens- oder Tadelnswertes tun“: princ. III 1,1 (GCS Orig. 5, 195); Übersetzung: p. 463 Görgemanns/Karpp. Aus diesem Grund ist die Welt vom Schöpfer so eingerichtet, dass der Mensch nicht hilflos teuflischen Mächten ausgesetzt ist und damit, weil fremdbestimmt, seine Entscheidungsfreiheit zerstört wird, sondern ihm auch Gegenmittel zur Verfügung stehen, wodurch es wiederum in seiner Entscheidung liegt, welchen Mächten er Einfluss auf sich gewährt; ebd. III 2,4 (5, 251): „Es ist uns aber möglich, wenn die böse Macht uns zum Schlechten zu reizen beginnt, die bösen Einflüsterungen von uns zu weisen, den verwerflichen Einflüssen zu widerstehen und nichts Schuldhaftes zu tun. Und umgekehrt ist es möglich, dass wir, wenn die göttliche Macht uns den Anstoß zum Besseren gibt, keine Folge leisten. Denn die Fähigkeit zur freien Entscheidung bleibt uns in beiden Fällen gewahrt.“ Übersetzung: p. 577 Görgemanns/Karpp. Siehe auch unten in Cant. comm. III 17(IV 3),21: Durch die Freiheit der Entscheidung ist es möglich,

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Herzen der Menschen eingegeben werden.511 5. Doch weil es die göttliche Vorsehung nicht daran fehlen lässt, dass nicht etwa durch eine derart ungünstige Situation die Freiheit der Entscheidung ausgehebelt würde und kein gerechter Grund für das Gericht mehr bestünde,512 wird deshalb den wohlwollenden Engeln und den freundlich gesonnenen Mächten die Sorge für die Menschen übertragen, damit sie, wenn die Verführer wie Füchse in die Seele einzufallen beginnen, sie mit den rechten Hilfsmitteln unterstützen. Und daher heißt es: „Fangt uns die kleinen Füchse!“a 6. Vollkommen angemessen befiehlt er, sie zu fangen und zu ergreifen, wenn sie noch klein sind. Solange nämlich ein schlechter Gedanke in den Anfängen steckt, kann er leicht aus dem Herzen entfernt werden. Denn wenn er oft wiederholt wird und lange dableibt, verführt er die Seele zweifellos zur Zustimmung. Und wenn die Zustimmung in ihrem Herzen an Festigkeit gewonnen hat, tendiert sie ganz sicher dazu, die Sünde in die Tat umzusetzen. Solange er also in den Anfängen steckt und klein ist, muss er gefangen und ausgetrieben werden, damit es nicht dazu kommt, dass er, wenn er herangewachsen ist und sich eingenistet hat, nicht mehr ausgetrieben werden kann.513 7. Schließlich nahm auch bei Judas das Übel seinen Anfang in der Liebe zum Geld, und das war sein kleiner Fuchs. Doch als der Herr sah, dass die Seele des Judas wie ein blühender Weinberg von ihr geschädigt wurde, wollte er sie fangen und aus ihm entfernen und übertrug ihm deshalb die Geldbeutel,b damit er, da er nun besaß, was er liebte, von seiner Begehrlichkeit abließ. Doch jener, da er ja die Freiheit seiner eigenen Entscheidung besaß, nahm nicht die Weisheit des Arztes an, sondern gab sich selbst mehr jenem Rat hin, durch den seine Seele verwüstet wurde, als dem, durch den sie geheilt wurde.514 8. Wenn wir dies aber von Christus und der Kirche verstehen, wird das Wort offenbar an die Lehrer der Kirche gerichtet und ihnen der Fang der die Weinberge verwüstenden Füchse aufgetragen. Unter den Füchsen aber können wir die verkehrten Lehrer häretischer Lehrsätze verstehen, die durch dass jeder einzelne Mensch sich, wenn er das Bessere wählt, Gott anschließt, wenn jedoch das Schlechtere, zu den Dämonen übergeht. 513 In seinen psychologisch tiefschürfenden Überlegungen über den Menschen im Kampf zwischen guten und bösen inneren Regungen und äußeren Verführungen schärft Origenes, princ. III 2,2 (GCS Orig. 5, 247f.), unter anderem ein, „wenn wir … nicht gegen die ersten Regungen der Zuchtlosigkeit Widerstand leisten, so ergreift die feindliche Macht die Gelegenheit dieser ersten Verfehlung (sc. diesen Widerstand nicht geleistet zu haben), stachelt an und drängt weiter und sucht auf jede Weise die Sünden immer mehr auszuweiten“. Übersetzung: p. 569 Görgemanns/Karpp. 514 Zur Reflexion des Origenes über den Verrat des Judas siehe princ. III 2,1 (GCS Orig. 5, 246); III 2,4 (5, 251f.); III 3,4 (5, 260): Der Gedanke an den Verrat Jesu wurde Judas vom Teufel eingegeben, doch gab Judas diesem Gedanken, als er aufkam, in sich Raum und war somit mit dafür verantwortlich.

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intelligere, qui per argumentorum calliditatem seducunt corda innocentium et uineam Domini exterminant, ne floreat in fide recta. 9. Datur ergo praeceptum doctoribus catholicis, ut, dum adhuc pusillae sunt istae uulpes et nondum plures animas deceperunt, sed initium habet praua doctrina, arguere hos et refrenare festinent et uerbo ueritatis contradicentes reuincere et capere eos assertionibus ueris. Si enim permiserint in principiis et indulserint, sermo eorum sicut cancer serpit a et fiet insanabilis, ut multi inueniantur, qui decepti ab iis pugnare iam pro ipsis incipiant et defendere suscepti erroris auctores. 10. Sic ergo pusillas dignum est uulpes capere et dolosa haereticorum sophismata in ipsis statim initiis ueris assertionibus confutare. 11. Vt autem utriusque expositionis nostrae euidentior clarescat assertio, congregemus ex diuinis uoluminibus, sicubi animalis huius mentio facta est. 12. Inuenimus ergo in sexagesimo secundo psalmo de impiis ita dici: „Ipsi uero in uanum quaesierunt animam meam, introibunt in inferiora terrae, tradentur in manus gladii, partes uulpium erunt.“ b 13. Sed et in euangelio secundum Matthaeum Saluator ad scribam, qui dixerat ei: „Magister, sequar te, quocumque ieris“, c respondit: „Vulpes foueas habent et uolucres caeli nidos, ubi requiescant, filius autem hominis non habet, ubi caput suum reclinet.“ d Similiter autem et in euangelio secundum Lucam ad eos, qui dixerunt Domino: „Exi et uade hinc, quia Herodes uult te occidere“, e respondit Iesus: „Euntes“, inquit, „dicite uulpi huic: Ecce ego eicio daemonia et sanitates perficio hodie et crastina, et in die tertia consummabor.“ f 14. In libro quoque Iudicum Samson, cum ei uxor, quae erat ex genere Philistinorum, fuisset ablata, ait ad patrem eius: „Innocens sum ego hac uice ab Allophylis, quia faciam ego uobiscum mala. Et abiit Samson et accepit trea

2 Tim. 2,17

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Ps. 62(63),10f.

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Mt. 8,19

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Lk. 13,31

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515 Zur Bedeutung von „katholisch“ siehe oben S. 415 Anm. 506 zu in Cant. comm. III 16(IV 2),27. Origenes gebrauchte, um den Gegensatz des rechtgläubigen Lehrers zur Häresie zu kennzeichnen, üblicherweise das Adjektiv „kirchlich“, eÆkklhsiastikoÂw bzw. ecclesiasticus: in Hier. hom. 9,1 (GCS Orig. 32, 64); in Lev. hom. 1,1 (GCS Orig. 6, 281); in Luc. hom. 2,2 (GCS Orig. 92, 13); 16,6 (92, 97f.); in Tit. frg. 2 (Opere di Origene 14/4, 394). Da die Formel „wir von der Kirche“, auf Griechisch überliefert in Ioh. comm. II 13,96 (GCS Orig. 4, 69); Cels. II 6 (GCS Orig. 1, 132): hëmeiÄw oië aÆpoÁ th Ä w eÆkklhsiÂaw, auf Lateinisch in Ios. hom. 9,8 (GCS Orig. 7, 353) so begegnet: nos, qui de ecclesia catholica sumus, könnte es sein, dass der Begriff „katholisch“ als der zu seiner Zeit in diesem Kontext übliche von Rufinus eingetragen worden ist. 516 Fast alle im Folgenden aufgeführten Bibelstellen werden auch im Kapitel des Physiologus über den Fuchs zitiert: physiol. 15 (p. 247f. Lauchert). Origenes gibt allerdings nicht die List wider, mit welcher der Fuchs demnach Vögel fängt – er stellt sich tot, so dass diese sich auf ihn setzen –, wohl aber die Deutung des Fuchses auf

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die Verschlagenheit ihrer Argumente die Herzen der Unschuldigen verführen und den Weinberg des Herrn verwüsten, damit er nicht im rechten Glauben blüht. 9. Es wird also den katholischen515 Lehrern die Anweisung gegeben, solange diese Füchse noch klein sind und noch nicht mehr Seelen irregeleitet haben, sondern die verkehrte Lehre noch am Anfang steht, diese schleunigst anzugreifen und einzudämmen und diejenigen, die dem Wort der Wahrheit widersprechen, zu widerlegen und sie mit wahren Behauptungen zu fangen. Denn wenn sie sie anfangs gewähren lassen und ihnen nachgeben, breitet sich ihr Wort wie ein Krebsgeschwür ausa und wird unheilbar werden, so dass sich viele finden, die, von ihnen getäuscht, nunmehr für sie zu kämpfen und die Urheber des angenommenen Irrtums zu verteidigen anfangen. 10. So ist es also angemessen, die kleinen Füchse zu fangen und die trügerischen Fehlschlüsse der Häretiker sogleich in ihren Anfängen mit wahren Behauptungen zu widerlegen. 11. Damit aber deutlicher klar wird, was wir in unseren beiden Auslegungen behaupten, wollen wir aus den göttlichen Büchern die Stellen sammeln, wo dieses Tier erwähnt wird.516 12. Wir finden also im 62. Psalm über die Gottlosen Folgendes gesagt: „Sie aber suchten vergeblich meine Seele, sie werden in die Tiefen der Erde eindringen, sie werden in die Hände des Schwertes übergeben werden, sie werden Anteile der Füchse sein.“b 13. Doch auch im Evangelium nach Matthäus antwortet der Erlöser dem Schriftgelehrten, der zu ihm gesagt hatte: „Meister, ich werde dir folgen, wohin immer du gehen wirst“,c folgendermaßen: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, wo sie ruhen können, der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt niederlegen kann.“d Ähnlich aber antwortet Jesus auch im Evangelium nach Lukas denen, die zum Herrn gesagt haben: „Geh fort und flieh von hier, denn Herodes will dich töten.“e „Geht“, sagt er, „und sagt diesem Fuchs: Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und morgen, und am dritten Tag werde ich vollendet werden.“f 517 14. Auch im Buch der Richter sagt Samson, nachdem ihm seine Frau, die aus dem Geschlecht der Philister stammte, genommen worden war, zu ihrem Vater: „Ich bin dieses Mal unschuldig gegenüber den Fremdstämmigen, da ich euch Schlimmes antun werde. Und Samson

den Teufel, der die ergreift und verschlingt, die von seinem Fleisch essen, also sündigen: Lauchert, Physiologus 18. 71. 517 Vgl. Origenes, in Num. hom. 11,5 (GCS Orig. 7, 87): „Du siehst also, dass es zur Zeit der Auferstehung, wenn der Höchste beginnt, die Völker aufzuteilen und die Söhne Adams je nach Verdiensten zu zerstreuen (Dtn. 32,8), welche geben wird, die in die Tiefen der Erde hinabfahren und Beute der Füchse, das heißt Beute der Dämonen, werden (Ps. 62[63],10). Diese sind nämlich ,die Füchse, die die Weinberge verwüsten‘ (Hld. 2,15), zu denen auch Herodes gehörte, von dem es heißt: ,Geht, sagt diesem Fuchs‘ (Lk. 13,32).“

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centas uulpes et accepit lampadas et ligauit caudam ad caudam et posuit lampadam unam inter duas caudas uulpium. Et accendit ignem in lampadibus et emisit eas per messes Allophylorum; et incendit omnes messes eorum et stipulas eorum et uineas et oliueta eorum.“ a 15. Adhuc etiam in secundo libro Esdrae, ubi Tobias Ammonites impedit aedificationem eorum, qui de captiuitate redierant, ne aedificarent templum et murum, ait ad Allophylos: „Numquid isti sacrificabunt aut comedent immolata in loco hoc? Nonne adscendent uulpes et destruent murum ipsorum, quem ex lapidibus aedificant?“ b 16. Haec sunt interim, quae ad praesens nobis ex scripturis diuinis occurrere potuerunt, in quibus animalis huius facta est memoria, ut ex his sapiens quisque lector prudenter possit conicere, si apta usi sumus expositione in his, quae proposita sunt nobis, ad explanandum id, quod ait: „Capite nobis uulpes pusillas.“ c 17. Et quamuis operosum sit singula, quae exempli causa assumpsimus, explanare, tamen, quae poterimus, breuiter contingemus. 18. Et primo de sexagesimo secundo psalmo uideamus, ubi, cum iusti animam persequerentur impii, ille psallebat dicens: „Ipsi autem in uanum quaesierunt animam meam, introibunt in inferiora terrae, tradentur in manus gladii, partes uulpium erunt“. d In quo utique ostenditur, quod uanis et inanibus uerbis praui doctores decipere uolentes animam iusti introire dicuntur in inferiora terrae, terram utpote sapientes et de terra loquentes e atque in inferiora eius, id est in profundum stultitiae, descendentes. 19. Puto enim, quod hi, qui carnaliter uiuunt, quia sibi ipsis tantummodo nocent, terra esse et in terra habitare f dicuntur. Hi uero, qui terrenis et carnalibus sensibus scripturas intelligunt et alios ita docendo decipiunt, pro eo ipso, quod argutias quasdam et argumenta carnalis et terrenae sapientiae concinnant, in inferiora terrae dicuntur ingredi uel certe, quia grauius delinquunt, qui terrena docent, quam qui ita a f

Ri. 15,3–5 Offb. 8,13

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Neh. 3,34f.

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Ps. 62(63),10f.

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518 Siehe für solche Aufforderungen an den Leser zum Selberdenken in Cant. comm. II 6,13 und III 14,34 und dazu oben S. 254 Anm. 285. 519 Ähnlich formuliert Origenes, in Num. hom. 11,5 (GCS Orig. 7, 87), im Anschluss an den in der vorvorigen Anmerkung zitierten Text: „Fliehen wir also das irdische Treiben und das irdische Verständnis, damit wir nicht, niedergebeugt von irdischen Sinnen, solche genannt werden, die in das Innere der Erde eindringen und Anteil der Füchse werden. Denn auch jene dringen in das Innere der Erde ein, die das Gesetz Gottes und die Güter der Verheißungen im Verständnis irdischen Denkens auffassen und die Seelen der Zuhörer nicht zur Erwartung der himmlischen und zur Betrachtung der höheren Dinge bewegen.“ Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 730 Anm. 1, weisen darauf hin, dass unter den solchermaßen Kritisierten nicht nur Häretiker zu verstehen sind, sondern auch verbreitete Strömungen in der recht-

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ging fort und fing dreihundert Füchse und nahm Fackeln und band Schwanz an Schwanz und steckte jeweils eine Fackel zwischen zwei Fuchsschwänze. Und er entzündete Feuer an den Fackeln und jagte sie durch die Kornfelder der Fremdstämmigen. Und er äscherte alle ihre Kornfelder ein, dazu ihre Stoppeln und Weinberge und ihre Olivenhaine.“a 15. Und auch im zweiten Buch Esra, wo Tobias der Ammoniter den Bau derer, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren, behindert, damit sie keinen Tempel und keine Mauer errichten, sagt er zu den Fremdstämmigen: „Werden diese etwa Opfer darbringen und das Geopferte an diesem Ort essen? Werden nicht die Füchse hinaufsteigen und ihre Mauer zerstören, die sie aus Steinen erbauen?“b 16. Dies sind einstweilen die Stellen, die uns momentan aus den göttlichen Schriften einzufallen vermochten, an denen dieses Tier Erwähnung findet. Aus ihnen kann jeder verständige Leser auf kluge Weise erschließen,518 ob wir in dem, was wir vorgelegt haben, eine passende Auslegung angewendet haben, um die Aussage zu erklären: „Fangt uns die kleinen Füchse!“c 17. Und auch wenn es mühsam sein mag, die einzelnen Stellen, die wir als Beispiel herangezogen haben, zu erklären, wollen wir dennoch, soweit wir können, kurz auf sie eingehen. 18. Und zuerst wollen wir aus dem 62. Psalm die Stelle betrachten, wo, als die Gottlosen die Seele des Gerechten verfolgten, jener sang und sprach: „Sie aber suchten vergeblich meine Seele, sie werden in die Tiefen der Erde eindringen, sie werden in die Hände des Schwertes übergeben werden, sie werden Anteile der Füchse sein.“d Darin zeigt sich gewiss, dass die verkehrten Lehrer, die mit eitlen und leeren Worten die Seele des Gerechten täuschen wollen, als solche bezeichnet werden, die in die Tiefen der Erde eindringen, da sie nach Erde schmecken und von der Erde redene und in ihre Tiefen, das heißt in die Tiefe der Dummheit, hinabsteigen. 19. Ich glaube nämlich, dass über die, die fleischlich leben, da sie sich nur selbst schaden, gesagt wird, dass sie Erde sind und auf der Erde wohnen.f Von denen aber, die die Schriften im irdischen und fleischlichen Sinne verstehen und, indem sie so lehren, andere täuschen,519 heißt es eben deshalb, weil sie Spitzfindigkeiten und Argumente einer fleischlichen und irdischen Weisheit fabrizieren, dass sie in die Tiefen der Erde eindringen. Und weil die, die Irdisches lehren, schwerer sündigen als die, die so leben,

gläubigen Kirche, die ein wörtliches und anthropomorphes Verständnis der biblischen Bildreden propagieren, wie auch aus in Cant. comm. prol. 2,14 hervorgeht (dazu oben S. 70 Anm. 28). Im bibelhermeneutisches Traktat in princ. IV 2,1f. (GCS Orig. 5, 305–308) kritisiert Origenes ausdrücklich Juden, Häretiker und die „Einfältigeren“ unter den Gläubigen dafür, „dass sie die Schrift nicht geistlich verstehen, sondern nach dem bloßen Buchstaben auffassen“: ebd. IV 2,2 (5, 308). Übersetzung nach p. 701 Görgemanns/Karpp.

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uiuunt, etiam futura iis poena grauior imminet; idemque ipsi in manus gladii tradendi prophetantur, illius fortasse flammei et uersatilis. a 20. Quomodo autem et partes fiunt uulpium, uideamus. Omnis anima aut pars est Dei aut pars est cuiuscumque, qui accepit potestatem super homines. Nam „cum diuideret altissimus gentes et dispergeret filios Adam, statuit fines gentium secundum numerum angelorum Dei; et facta est portio Domini Iacob.“ b 21. Cum ergo constet unamquamque animam aut in parte Dei aut in parte esse alterius cuiuslibet, quoniamquidem per arbitrii libertatem possibile est unumquemque ex parte alterius transire uel ad partem Dei, si melius, uel, si nequius, ad daemonum portionem, hi, quorum mentio habetur in psalmo, qui in uanum quaesierunt animam iusti, partes erunt uulpium, uelut si diceret: [et] pessimorum et nequissimorum daemonum partes erunt, ut unaquaeque maligna uirtus et dolosa, per quam deceptiones et fraudes falsae scientiae introductae sunt, figuraliter uulpes appellentur. 22. Et hi, qui in hunc errorem deducuntur et nolunt acquiescere sanis sermonibus Domini nostri Iesu Christi et doctrinae, quae secundum pietatem est, c sed decipi se patiuntur a talibus, isti partes talium uulpium fient et introibunt cum iis in inferiora terrae. 23. Ipsi sunt et illi, in quibus secundum euangelium uulpes istae, quas supra memorauimus, foueas habere dicuntur, in quibus filius hominis non habet, ubi caput suum reclinet. d Herodem quoque uulpem nominatum e pro fallaci calliditate credendum est. 24. Nam de Samson, qui trecentas uulpes cepisse et colligasse per caudas atque interiecisse lampadas ardentes in medio caudarum atque immisisse per messes Allophylorum et incendisse eas cum stipulis et oliuetis uineisque f memoratur, ualde mihi difficilis formae huius uel figurae uidetur explanatio. Temptemus tamen aliqua ex eis pulsare pro uiribus et ponamus, sicut expositio nostra in superioribus continet, uulpes esse fallaces peruersosque doctores. 25. Hos Samson, qui ueri et fidelis doctoris imaginem tenet, capiens uerbo ueritatis caudam ad caudam colliget, id est aduersantes sibi et diuersa a se inuicem a

Gen. 3,24

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1 Tim. 6,3

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Ri. 15,4f.

520 Zur soteriologischen Bedeutung des Flammenschwerts aus Gen. 3,24 vgl. in Regn. hom. graec. 9f. (GCS Orig. 32, 293f.); exhort. mart. 36 (GCS Orig. 1, 33f.); Cels. VI 49 (GCS Orig. 2, 121); in Lev. hom. 9,5 (GCS Orig. 6, 425); in Luc. hom. 24,2 (GCS Orig. 92, 148). Siehe dazu die Hinweise bei Fürst, OWD 7, 233f. Anm. 59 und 64. 521 Zur Deutung von Dtn. 32,8f. durch Origenes siehe in Cant. comm. II 4,13 und dazu oben S. 220 Anm. 237. 522 Dieses et wurde von Baehrens, GCS Orig. 8, 239.6, zu Recht getilgt, ebenso von Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 730.

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droht ihnen sicherlich auch eine schwerere künftige Strafe, und zwar wird ihnen vorhergesagt, dass sie in die Hände des Schwertes zu übergeben sind, womit wahrscheinlich jenes gezückte Flammenschwert gemeint ist.a 520 20. Wir wollen aber sehen, in welchem Sinne sie auch Anteile der Füchse werden. Jede Seele ist entweder Anteil Gottes oder Anteil von jemandem, der Macht über die Menschen erhalten hat. Denn „als der Höchste die Völker aufteilte und die Söhne Adams zerstreute, setzte er die Grenzen der Völker nach der Zahl der Engel Gottes fest; und der Anteil des Herrn wurde Jakob.“b 521 21. Wenn also feststeht, dass jede einzelne Seele entweder zum Anteil Gottes oder zum Anteil irgendeines anderen gehört, und da es durch die Freiheit der Entscheidung möglich ist, dass jeder einzelne vom Anteil eines anderen entweder besserenfalls zum Anteil Gottes oder schlechterenfalls zum Teil der Dämonen übergeht, werden die im Psalm Erwähnten, die vergeblich die Seele des Gerechten suchten, Anteile der Füchse sein, als würde man sagen: [und]522 sie werden Anteile der schlechtesten und nichtswürdigsten Dämonen sein, so dass alle böswilligen und trügerischen Mächte, durch die die Täuschungen und Irrtümer der falschen Erkenntnis523 aufgebracht worden sind, symbolisch Füchse genannt werden. 22. Und diejenigen, die zu diesem Irrtum verführt werden und nicht bereit sind, den heilsamen Worten unseres Herrn Jesus Christus Folge zu leisten sowie der Lehre, die der Frömmigkeit entspricht,c sondern sich von solchen Leuten täuschen lassen, die werden Anteile solcher Füchse werden und mit ihnen in die Tiefen der Erde eindringen. 23. Eben die sind auch jene, in denen, wie es im Evangelium heißt, die oben erwähnten524 Füchse ihre Höhlen haben, in denen der Menschensohn keinen Ort hat, wo er sein Haupt niederlegen kann.d Auch von Herodes muss man glauben, dass er wegen seiner betrügerischen Verschlagenheit als Fuchs bezeichnet worden ist.e 24. In Bezug auf Samson allerdings, von dem erzählt wird, er habe dreihundert Füchse gefangen und sie an den Schwänzen zusammengebunden und zwischen die Schwänze brennende Fackeln gesteckt und sie durch die Kornfelder der Fremdstämmigen gejagt und diese mitsamt den Stoppeln und den Olivenhainen und Weinbergen eingeäschert,f scheint mir die Erklärung dieses Bildes oder Symbols sehr schwierig zu sein. Wir wollen dennoch versuchen, nach Kräften etwas aus diesem Text herauszuklopfen, und wie in unserer obigen Auslegung525 voraussetzen, dass die Füchse betrügerische und verkehrte Lehrer sind. 25. Diese bindet Samson, der ein Bild für einen wahren und zuverlässigen Lehrer ist, indem er sie mit dem Wort der Wahrheit fängt, Schwanz an Schwanz aneinander, das heißt, er widerlegt die, die miteinan523 Zu dieser Anspielung auf die Gnosis siehe in Cant. comm. III 6,7 und III 14,16, dazu oben S. 317 Anm. 365. 524 Siehe in Cant. comm. III 17(IV 3),13. 525 Siehe in Cant. comm. III 17(IV 3),8.

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sentientes docentesque confutet atque ex ipsorum uerbis propositiones collectionesque accipiens in Allophylorum segetem ignem conclusionis emittat et ex propriis eorum argumentis omnes ipsorum fructus et uineas atque oliueta pessimae generationis incendat. 26. Sed et ipse numerus trecentarum uulpium, quae a semet ipsis diuersae et dissonantes sunt, triplicem formam indicant peccatorum. Omne enim peccatum aut in facto aut in uerbo aut in consensu mentis admittitur. 27. Verum ne illud quidem, quod in secundo libro Esdrae scriptum diximus, penitus omittendum est, ubi, cum aedificarentur sancta sanctorum, a id est cum fides Christi et sanctorum eius mysteria conderentur, inimici ueritatis fideique contrarii, qui sunt sapientes huius saeculi, b uidentes absque arte grammatica et peritia philosophica consurgere muros euangelii uelut cum irrisione quadam dicunt perfacile posse haec destrui calliditate sermonum per astutas fallacias et argumenta dialectica. 28. Haec interim, quantum breuitas pati potuit, de assumptis exemplis dicta sufficiant. Nunc iam ad propositum reuertamur. 29. Videtur ergo in Cantico Canticorum praeceptum dari ab sponso amicis sibi uirtutibus, ut capiant et arguant contrarias potestates, quae insidiantur animabus hominum, ne exterminent eorum initia fidei floremque uirtutum sub specie secretae alicuius et occultae scientiae, quae quasi uulpes in foueis c ita in his hominibus, qui semet ipsos ad haec sectanda praebuerint, delitescunt. 30. Et quo facilius confutari possint et argui, dum paruae sunt uulpes ipsae et initia habent pessimae persuasionis, capi iubentur. Nam fortasse, si creuerint et maiores fuerint uulpes effectae, iam non queunt ab amicis sponsi, sed ab ipso fortassis solo sponso poterunt capi. 31. Sed et sancti quique doctores et magistri ecclesiae, sicut acceperunt potestatem cala

Neh. 3,33–35

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1 Kor. 3,18

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Mt. 8,20

526 Der ausgehend vom Bibeltext bildreich gestaltete Passus enthält zwei typische Strategien der altkirchlichen Ketzerpolemik: Zum einen dienen die Widersprüche zwischen den verschiedenen häretischen Richtungen als Argumente für ihre Verkehrtheit, der die eine wahre Lehre gegenübergestellt wird; vgl. in Matth. comm. ser. 35 (GCS Orig. 11, 66); 38 (11, 72); 42 (11, 84); Harnack, Ertrag II, 61. Zum anderen werden die Häretiker als „Fremdstämmige“ qualifiziert, d.h. als Leute, die nur scheinbar Christen sind, tatsächlich aber (angeblich) nicht zu ihnen gehören, sondern anderer Herkunft sind. Zur dafür auch von Origenes herangezogenen Bibelstelle 1 Joh. 2,19 siehe in Cant. comm. III 4,6 und dazu oben S. 306 Anm. 351. 527 Derselbe Grundsatz in Ex. hom. 6,3 (GCS Orig. 6, 194): „Man sündigt nämlich entweder im Tun oder im Reden oder im Denken.“ Vgl. auch schon ebd. 3,3 (6, 166): Die drei Weisen, in denen Menschen sündigen, sind „Worte, Taten oder Gedanken“ (dicta, facta uel cogitata). Die Einteilung hat Origenes von Philon, mut. nom. 236 (III p. 197 Cohn/Wendland), übernommen, und sie findet sich öfter in seinen Schriften: in Lev. hom. 8,11 (GCS Orig. 6, 412f.); 10,2 (6, 444); 12,4 (6, 461); in Hiez. hom. 10,1 (GCS Orig. 8, 416). Vgl. Borret, SC 321, 100 Anm. 4.

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der streiten und untereinander verschiedene Dinge denken und lehren, und indem er aus ihren Worten Behauptungen und Schlüsse zieht, sendet er das Feuer seiner Schlussfolgerung in das Saatfeld der Fremdstämmigen und verbrennt mit ihren eigenen Argumenten alle ihre Früchte und Weinberge und Olivenhaine von schlechtester Sorte.526 26. Doch auch die Zahl der dreihundert Füchse selbst, die voneinander verschieden sind und nicht miteinander übereinstimmen, weist auf die dreifache Gestalt der Sünden hin. Jede Sünde wird nämlich entweder im Tun oder im Reden oder in gedanklicher Zustimmung begangen.527 27. Aber auch der Text, den wir aus dem zweiten Buch Esra zitiert haben, darf nicht völlig übergangen werden. Weil zu der Zeit, als das Allerheiligste erbaut,a das heißt, als der Glaube an Christus und die Mysterien seiner Heiligtümer begründet wurden, die Feinde der Wahrheit und die Gegner des Glaubens, die die Weisen dieser Welt sind,b sahen, dass sich die Mauern des Evangeliums ohne grammatische Kunst und ohne philosophische Kenntnis528 erhoben, behaupten sie gleichsam mit einem gewissen Spott, dass diese mit Redegewandtheit durch listige Tricks und dialektische Argumente sehr leicht zerstört werden können. 28. Dies mag einstweilen, soweit es in aller Kürze zulässig war, als Auslegung der herangezogenen Beispiele genügen. Jetzt wollen wir uns wieder dem vorliegenden Text zuwenden. 29. Im Lied der Lieder scheint also vom Bräutigam den mit ihm befreundeten Mächten die Anweisung gegeben zu werden, die feindlichen Mächte, die den Seelen der Menschen nachstellen, zu fangen und zu widerlegen, damit sie nicht die Anfänge ihres Glaubens und die Blüte ihrer Tugenden unter dem Vorwand irgendeiner geheimen und verborgenen Erkenntnis529 verwüsten, die sich so wie Füchse in Höhlenc in diesen Menschen, die sich selbst der Befolgung dieser Lehren hingegeben haben, verstecken. 30. Und damit sie umso leichter überführt und widerlegt werden können, wird angeordnet, die Füchse zu fangen, solange sie klein sind und im Anfangsstadium ihrer höchst schlechten Überzeugung stecken. Denn wenn sie herangewachsen und zu größeren Füchsen geworden sind, können sie vermutlich nicht mehr von den Freunden des Bräutigams, sondern wahrscheinlich nur noch vom Bräutigam selbst gefangen werden. 31. Doch auch alle heiligen Lehrer und Vorsteher der Kirche erhalten so, wie sie die Macht,

528 Zur Kritik des Origenes an der Redekunst siehe oben S. 210 Anm. 228. Auch gegen die Philosophie hat sich Origenes in programmatischen Aussagen sowohl allgemein als auch im Blick auf einzelne Schulen und Lehren meist sehr kritisch geäußert, beispielsweise in Lev. hom. 10,2 (GCS Orig. 6, 444): Von der „trügerischen Nahrung der Philosophie“ soll man sich fernhalten, da sie von der Wahrheit wegführt. Weiteres dazu oben S. 191 Anm. 208 zu in Cant. comm. II 1,34. 529 Das ist wie oben in Cant. comm. III 17(IV 3),21 ein Seitenhieb gegen die gnostischen Geheimlehren.

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Hoheliedkommentar

candi super serpentes et scorpiones, ita accipiunt potestatem etiam capiendi uulpes; sic enim data est iis potestas super omnem uirtutem inimici. a Vna sine dubio ex ceteris inimici uirtutibus est uulpes, quae exterminat uineas quaeque, cum adhuc parua est, capi iubetur, sicut et in centesimo trigesimo sexto psalmo beatus dicitur, qui tenet et allidit paruulos Babylonis ad petram b nec permittit Babylonium sensum crescere in semet ipso et augeri, sed, cum est in initiis, elidit eum et tenet ad petram; tunc enim facile perimitur. 32. Sic ergo ordo explanationis percurrat: „Capite nobis uulpes pusillas, quae uulpes exterminant uineas florentes.“ c Quod autem dixit: „nobis“, hoc est: mihi sponso et sponsae uel certe: mihi et uobis, qui estis sodales mei. 33. Potest autem et ita accipi: „Capite nobis uulpes“ et post distinctionem dici: „pusillas exterminantes uineas“, ut pusillas non tam ad uulpes quam ad uineas referamus, ut uideantur pusillae quidem uineae exterminari posse, maiores autem non posse, id est paruae quaeque animae et initia habentes, non firmae et robustae laedi posse a contrariis potestatibus; sicut in euangelio dicitur: „Si quis scandalizauerit unum de pusillis istis.“ d 34. In quo ostenditur, quia scandalizari non potest grandis et perfecta, sed pusilla et rudis anima, sicut in psalmo dicit: „Pax multa diligentibus nomen tuum, et non est illis scandalum.“ e Simili ergo exemplo potest uideri, quod pusilla quaeque uinea, incipiens uidelicet anima, possit a uulpibus, id est a malignis cogitationibus uel prauis doctoribus, laedi, perfecta uero et ualida non possit. Sed si capiantur a bonis doctoribus uulpes istae et abiciantur ex anima, tunc proficiet in uirtutibus et florebit in fide. Amen! a

Lk. 10,19

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Ps. 136(137),9

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Hld. 2,15

d

Mt. 18,6

e

Ps. 118(119),165

530 In Ps. 136(137) ist davon die Rede, dass die nach Babylon verschleppten Israeliten in ihrem Elend darauf hoffen, dass Gott sie rächen und „die Kinder Babylons packen und an den Felsen schmettern wird“. Origenes deutet den grausamen Text als geistlichen Kampf der Seele, die auf ihrem Weg zu Gott Fortschritte machen will; vgl. Cels. VII 22 (GCS Orig. 2, 174): „In diesem Sinn verstehen wir auch die Äußerung in Psalm 136, die so lautet: ,Tochter Babylons, Unglückliche! Selig, wer dir deine Taten vergelten wird, die du an uns verübt hast. Selig, wer deine Kinder packen und am Felsen zerschmettern wird‘ (Ps. 136[137],8f.). Denn ,die Kinder Babylons‘ – der Name bedeutet ,Verwirrung‘ – sind die verwirrten Gedanken der Bosheit, die in der Seele neu entstehen und emporwachsen. Wer sie bezwingt und ihre Häupter an der Festigkeit und Unerschütterlichkeit des Wortes zerbricht, ,zerschmettert‘ die ,Kin-

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auf Schlangen und Skorpione zu treten, erhalten haben, auch die Macht, Füchse zu fangen. Denn es ist ihnen die Macht über jede Gewalt des Feindes gegeben.a Eine von den übrigen Gewalten des Feindes ist zweifellos der Fuchs, der die Weinberge verwüstet und der zu fangen ist, wenn er noch klein ist, so wie auch im 136. Psalm derjenige selig genannt wird, der die kleinen Kinder Babylons packt und an den Felsen schmettertb und nicht zulässt, dass der babylonische Sinn in ihm selbst heranwächst und zunimmt, sondern ihn noch im Anfangsstadium hinauswirft und an den Felsen heftet. Dann nämlich wird er leicht zerstört.530 32. Auf diese Weise also orientiert sich die Auslegung an dieser Einteilung des Textes: „Fangt uns die kleinen Füchse – die Füchse, die die blühenden Weinberge verwüsten.“c Der Ausdruck „uns“ aber bedeutet: für mich, den Bräutigam, und die Braut, oder jedenfalls: für mich und euch, die ihr meine Gefährten seid. 33. Der Text kann aber auch so aufgefasst werden: „Fangt uns die Füchse“, und nach einem Komma wird gesagt: „die die kleinen Weinberge verwüsten“, so dass wir das Adjektiv „die kleinen“ nicht so sehr auf die Füchse als vielmehr auf die Weinberge beziehen,531 so dass anscheinend zwar die kleinen Weinberge verwüstet werden können, die größeren aber nicht, das heißt, dass gerade die kleinen Seelen, die noch am Anfang stehen und noch nicht fest und stark sind, von den feindlichen Mächten beschädigt werden können, wie es im Evangelium heißt: „Wenn jemand einem von diesen Kleinen Ärgernis bereitet.“d 34. Darin zeigt sich, dass einer großen und vollkommenen Seele kein Ärgernis bereitet werden kann, wohl aber einer kleinen und unerfahrenen, wie es im Psalm heißt: „Viel Frieden für die, die deinen Namen lieben, und für sie gibt es kein Ärgernis.“e 532 Durch ein ähnliches Beispiel kann man also sehen, dass gerade ein kleiner Weinberg, nämlich eine Seele, die am Anfang steht, von den Füchsen, das heißt von bösen Gedanken oder verkehrten Lehrern, beschädigt werden kann, eine vollkommene und kräftige hingegen nicht. Doch wenn diese Füchse von den guten Lehrern gefangen und aus der Seele ausgetrieben werden, dann wird sie in den Tugenden Fortschritte machen und im Glauben aufblühen. Amen!

der Babylons‘ ,am Felsen‘ und wird deswegen ,selig‘.“ Übersetzung: Barthold, FC 50, 1225 (leicht modifiziert). Bre´sard/Crouzel/Borret, SC 376, 736 Anm. 2, verweisen für diese Auslegung ferner auf in Num. hom. 20,2 (GCS Orig. 7, 190); in Ios. hom. 15,3 (GCS Orig. 7, 386f.); in Hier. frg. 26 (GCS Orig. 32, 211f.); sel. in Ps. 136,9 (PG 12, 1660). 531 Siehe dazu auch den Schluss von frg. 33, wo dieses Textverständnis aufgegriffen ist. 532 Auch in dem Fragment, das in der palästinischen Katene erhalten ist, versteht Origenes Ps. 118(119),165 ebenfalls mit Bezug auf Mt. 18 (hier Mt. 18,10) so, dass es die ,Kleinen‘ sind, denen Ärgernis bereitet werden kann, nicht die ,Großen‘: cat. Pal. in Ps. 118,165 (SC 189, 452).

Bibliographie Für Editionen und Übersetzungen der Werke des Origenes sowie weiterer wichtiger Quellen, auf die in diesem Band lediglich mit den Namen der Editoren und Editorinnen bzw. Übersetzer und Übersetzerinnen sowie den Siglen der jeweiligen Reihen hingewiesen wird, siehe das Verzeichnis in OWD 1/1, xvii–xxiv, zu den Abkürzungen ebd. xiv–xvi. Abkürzungen von Reihen, Zeitschriften und Lexika richten sich nach S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 21992. Was darin nicht enthalten ist, ist ausgeschrieben.

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Register Bibelstellen Die Anordnung der biblischen Bücher des Alten Testaments folgt der Reihenfolge in der Septuaginta, da Origenes nach dieser zitiert hat. Die Seitenangaben beziehen sich sowohl auf den Text als auch auf die Fußnoten. Genesis 1,1–2,4 1,24–31 1,26 1,26f. 1,27 1,27f. 1,31–2,2 2,7 2,8 2,8f. 2,24 3,24 6,3 6,14 9,20 9,21 10,9 12,1.7f. 16,11f. 18,1 18,1f. 18,1–3 19,26 22,2.9.12 22,17 24,67 25,13 25,22–26

60 228 16, 24, 364 57, 64f., 178f., 364 64, 178, 230, 236 24 366–368 16, 64 334 158 19, 260 424 192 302f. 138 316 390 100 178 226f. 226, 262 226 372 100 368 74, 75 178, 179 240f.

26,13 26,15ff. 26,25 27,14 27,27 27,27–29 28,12 28,17 29,17f. 29,18–20 32,2.28(29) 33,20 35,7 38,9f. 38,11–26 43,16.25 47,24 49,9

354 100 100 380 212, 342 380 100, 128 100 74, 75 86 100 100 100 246 258 226 147 270

Exodus 1,14 2,23 2,24 3,2 3,6 3,10 6,6 7–12 9,12

206 206, 207 206 262 100 370 106 398 206

444

Register

12,5–11 296 13,17f.21f. 156 14,9f. 248 14,27f. 248, 250 14,29.30.31 106 15,1 18, 106 15,4 250 15,11 82 16,1.14 156 16,31 334 19,19 410 20,12 326 23,22 326 23,26 70 25,4 178 25,9–16(10–17) 266 25,16–21(17–22) 266 25,25–29(23–30) 268 25,30(31) 266 26,7 198 26,7–13 196 26,31 268, 270 26,34 103 26,37 268 27,1–8 268 28,13 158 30,1–6 266 30,10 104 30,22–25 146 30,23f. 147 30,25 144 30,29 102 30,34f. 146 33,22f. 408f. Levitikus 2,9.12 5,2 10,14 12,8 16,31 19,18 20,10

186 286 136 296 103 82, 86 246

21,9 24,9 25,10 26,6 26,11f. 26,21.23f.40f.

246 104 148 369 276 204

Numeri 1,49 2,32f. 3,5f. 4,47 6,2–8 12,1 12,1f. 12,2.3 12,6–8 19,15 21,12 21,16f. 21,17f. 24,6 24,7f. 24,7–9.17

118 118 118 102 142 178 180 184 186 286 106 108 18, 108 299 273 272

Deuteronomium 4,24 208 106 4,34 5,15 106 6,5 78, 82, 84, 222, 320 8,15 370 12,20–22 360 14,4f. 360 31,19 108 32,1 108 32,1–3 18 32,2f. 108 32,8 220, 246, 421 32,8f. 220f., 424 32,9 220 32,32f. 140, 212, 318 32,43 328 34,7 192

445

Bibelstellen

Richter 5,1–3 5,1–12 5,12 15,3–5 15,4f.

108 18 110 422 424

Erstes Buch Samuel 1,1 356f. 1f. 111 2,5 70 28 111 Zweites Buch 13,1.2.14f. 13,1.15 22,1–3

Samuel 74 75 18, 110

Erstes Buch der Könige 4,29f. Vulg. 92, 98 4,29–32 Vulg. 122 5,9f. LXX 92, 98 122 5,9–12 LXX 6,2–38 268 10,1 138, 186 10,1–10 180 10,2 186, 188 10,3.4 188 10,4f. 140 10,5 188, 190 10,6f. 190 10,7 190, 192 10,8.9.10 192 18,15 416 Zweites Buch der Könige 6,14–17 250 Erstes Buch der Chronik 16,7–9 18, 106, 110 16,7–22 110 16,8–36 112 16,23–33 110

Zweites Buch der Chronik 19,2 326 Nehemia 3,33–35 3,34f.

426 422

Zweites Buch der Makkabäer 15,14 330 Psalmen 1,2 3,8 5,10 8,1 9,36(10,15) 10(11),2 11(12),7 17(18) 17(18),3 17(18),3.20.32. 33.34.37.47 18(19),9 22(23),1.2 22(23),3.4 22(23),5 22(23),5f. 26(27),1 26(27),4 28(29),7f. 28(29),9 33(34),8 33(34),9 36(37),4 36(37),11 36(37),30 39(40) 39(40),3 41(42),2 41(42),5 44(45),1 44(45),2 44(45),6

310 68 68, 314 316 68 336 264 111, 408f. 110 408 162 222f. 224 316 224 336 156 362 362, 372, 374 328 162 158 402 96 408 408, 409 360, 374 112 286 146 304f., 334f.

446 44(45),8 44(45),9 44(45),10 44(45),11 44(45),15f. 45(46),5 45(46),6 45(46),11 48(49),13 50(51),19 54(55),7 54(55),10 57(58),5 62(63),8 62(63),10 62(63),10f. 67(68),12 67(68),14 67(68),31–33 67(68),32 72(73),2 72(73),5f. 72(73),8 73(74),2 73(74),17 75(76),11 76(77),6 77(78),25 79(80),9.11 80(81),1 81(82),1 81(82),6 81(82),6f. 83(84),1 83(84),6 84(85),12 86(87),1 87(88),5 88(89),7 90(91),1 90(91),4 95(96),1–13 95(96),5

Register

148 39, 286 168, 216 176 168 388 224 238 370 194 296, 394, 412 68 370 314 421 420, 422 62 296, 412 182 192 68 372 414 19, 260 352 370 368 156 302 316 80, 82 82, 308 308f. 316 370 174 356 390 308 310 366–368 110 82

103(104),15

136, 190, 216, 290, 386 103(104),18 362, 374 103(104),24 366 103(104),34 410 104(105),1–15 110 104(105),33 140 104(105),15 282 105(106),47 212 118(119),103 314 118(119),131 132, 314 118(119),165 428, 429 119(120)–133(134) 112 120(121),1 356 120(121),6 208, 300 121(122),3 358f. 123(124),7 390 124(125),1.2 358f. 125(126),6 372 136(137),8f. 428f. 140(141),3 410 Sprichwörter 1,1 1,1–6 1,2f.4.5 1,6 1,17 1,24 2,5 3,16 3,23 4,6 4,8 4,17 4,26 4,27 5,19 6,5 9,1 9,1f. 9,1–6 9,2

112, 114 95 96 96, 130 388 98 158, 159 338, 340 68 74, 75 74 318 202 202, 320 362, 372 390 188 308, 330 316 308

Bibelstellen

9,5 10,20 15,13 17,2 22,28 30,18f.

316 264 412 196 122 408

Kohelet 1,1 1,2 1,9f. 2,1.4f.8 2,14 7,20 10,4

112f., 114 98 368 138 68 390 370

1,15–2,15 1,16 1,17 2,1f. 2,2 2,3

6, 47, 102–125, 268 47–51 232 10, 12, 20, 47, 94, 104, 105, 126–132, 134, 138, 140, 142, 150, 170f. 132–143, 216, 380 12, 47, 380 27, 36, 144–150, 152, 162, 164 27, 150–164 48, 158, 162, 164– 175, 330, 382, 384, 386 13, 21, 176–199, 200 47 13, 24, 200–216, 406 13, 216–229 230f. 13, 29, 31, 230–248, 252, 254, 294 13, 26, 248–254, 294 13, 254–259, 294 49, 266, 270, 274 13, 260–277

2,4f. 2,5 2,6 2,7 2,8 2,8f. 2,8–14 2,9

Hohelied 1,1 1,1–2,15 1,1–7 1,2

1,2f. 1,2–4 1,3 1,3f. 1,4 1,5 1,5–14 1,6 1,7 1,7f. 1,8 1,9 1,10 1,11 1,11f.

1,12 1,13 1,13f. 1,14 1,15

2,4

2,9f. 2,10 2,10f. 2,10–13 2,11 2,11f. 2,12 2,12f. 2,13 2,13f. 2,14 2,15

447 13, 35, 49, 112f., 270, 272, 274, 278– 283, 284, 288, 292 21, 37, 284–288, 292 13 21, 288–293 13, 22, 42, 294–297, 298 47 13, 21, 298–301 13, 302f. 14, 304–306 306 7, 14, 21, 306–314, 334, 414 14, 31, 314–330, 382, 384, 386 14, 330 71f., 328, 330–338 14, 38, 338–341, 352 14, 342–344 20, 50, 344–359, 384 10, 404 14, 348 21, 26, 346, 348, 352, 360–379, 384, 388 380, 380–392 21, 346, 382, 384, 388, 394, 396, 402 398, 402 50, 392–403 22, 352, 388, 394, 396, 398, 402f. 346 346, 388, 394, 399, 402 404 346, 388, 396, 398, 400, 402, 404, 412 404–415 348, 408, 410, 414 4, 14, 392f., 416–429

448 2,16f. 3,1.3 3,6 4,13f. 5,8 6,2 6,7f. 6,8

Register

6,8f. 6,9 8,5 8,6.10

314 10 9 280 75, 76 7 218 154, 168, 218, 246, 298 218 106, 118, 246 118, 198, 200 7

Ijob 2,10 7,1 8,9 14,4f. 38,1 39,1–4 39,2.4

292 292 312 390 362, 372 362 372

Weisheit 6,6 6,16 7,17 7,17f. 7,17–21 7,18f. 7,20 7,21 8,2 11,20 11,24.26 12,1 16,20

246 88, 386 366 238 366 368 332, 368, 370 366 74 32, 326f. 32, 326 32, 326 334

Jesus Sirach 1,26 8,5(6) 13,26(32)

98 178 410

Hosea 2,8(10) 10,12

264 238, 266, 286

Micha 2,12

286

Habakuk 3,2 LXX 3,8

298 250, 254

Zephanja 3,8–11 3,10.11

182 194

Sacharja 4,3 10,1

296, 298 388

Maleachi 4,2(3,20) Jesaja 5,1 5,1–7 5,6 5,7 6,6f. 9,6(5) 11,2 26,1 26,18 40,9 40,15 45,3 45,8 49,2 49,16 50,11 52,6 53,2f.

202, 204, 206, 224 138 110, 112 388, 398 270, 400 146 374 378 412 68, 372 376 286 166 388 17, 70, 334f., 336 7 146 398 298

Bibelstellen

61,10 63,9 66,2

174, 175 130 276

Jeremia 2,21 5,8 9,21(20) 16,16 27(50),1 30,23 LXX 42(35),5–10.14 45(38),6–10 45(38),7 46(39),15–18 46(39),16–18 51,13

212 368 386 356 68 179 140 182, 194 194 184 196 270

Klagelieder 4,20

310, 312, 414

Ezechiel 1 1,1 10 11,17 11,19 23,4 34,26 37,27 40,1–44,3

60 146 60 212 204 72, 270 388 276 60

Daniel 2,34 2,34f.

36 286, 358

Matthäus 1,1 3,3 3,7 3,10 3,16 4,1–11

114 374 368 310, 332, 402 294 260, 390

4,16 5,1 5,8 5,14 5,21f.27f. 5,28 5,44 6,1.4 6,6 6,28–30 6,29 7,6 7,7 7,12 8,11 8,19 8,20 9,15 9,36 10,4 10,22 10,24 10,32 11,15 11,19 11,27 11,29 11,29f. 12,33 12,36 12,42 13,6 13,17 13,22 13,24–30 13,31f. 13,43 13,44 13,45f. 15,13 17,1f.

449 310, 312 138 134, 136, 376 204 138 386 322 192 168f. 304 176, 196 384 384f. 104, 136, 140,142, 144, 172, 268 316 420 420, 424, 426 8, 144, 174 218 416f. 166 118 414 68, 162 138 88, 238, 378, 408 258 250, 258 332, 396 410 114, 140, 180, 186, 200 312 272 306 356 364 68 142 280 334, 396 356

450

Register

17,2 17,20 18,6 18,10 18,20 19,12 19,14 19,18 19,30 21,16 21,19 21,43 22,14 22,30 22,35f.37 22,39 22,40 23,13 23,37 24,17 24,35 25,1–13 25,6.14f. 25,18 25,21 25,29 25,33 26,11 26,29 27,45 27,51 27,52f. 28,19 28,20

271 364 428 214f., 274, 328f., 429 154 196 214f. 86 236 214 388, 400 184 146 402 84 32, 82, 86, 320 86 378 123 356, 358 368 8 350 246 156 168 230 384 318, 400 228 270 392 81 350

Markus 2,19 7,21 8,34 11,24 12,30 14,15.24 15,33

8 370 90f. 134 288 290 228

Lukas 1,6 1,15 1,35 1,41 2,46f. 2,52 3,5 3,8 3,22 5,34f. 6,40 8,43–45.46 9,62 10,18 10,19 10,22 10,27 10,30.37 10,39.42 11,9 12,48 13,31 13,32 14,6 14,26 15,3–7 16,16 17,21 18,14 19,12 22,12.20 23,21 23,44 24,1–11.22 24,32 Johannes 1,1 1,2 1,9

322 142 310 240f. 138 116, 172, 274, 358 358 198 394 8 118 378 374 314 428 238 32, 78, 82, 84, 222, 320 78 192 384f. 246 420 368, 420, 421, 424 280 326 218 388 104 358 350 290 378 228 10 290 78, 250, 282, 340, 384 116 200, 204, 282

451

Bibelstellen

1,14 1,16 1,18 1,29 1,34 2,1.10 3,16 3,20 3,26.29 3,31 4,10 4,14 4,34 5,46 6,31–35 6,32 6,33 6,35 6,37 6,46 6,51 7,38 8,39 8,56 10,9 10,11 10,15 10,18 10,26 10,27 10,30 10,34 10,35 11,18f. 12,3 12,6 12,46 13,2 13,23.25 13,24 13,29 13,31f.

152, 156, 178, 282, 410 164 414 270, 334 378 138 162 208 8 422 108 68, 282, 358, 388 188 354 270 334 68, 156 282, 308 194 376 68 282 226 272 224 224, 238 238 250 222 220 115 178 80 155 278 418 340 370, 416 134, 136 134 418 230

13,36 14,2 14,6 14,9 14,15 14,16f. 14,22 14,23 15,1 15,1f. 15,4 15,14f. 15,15 15,26 16,15 16,25 16,27.28 17,1 17,3 17,21 17,24 19,1

118 198 78, 174, 312, 408 378 172 296 352 78, 276, 352 70, 290, 316, 318, 334 396 316 120 188, 416 88 302 94 76 340 78 115, 154 416 378

Apostelgeschichte 10,38 144, 148 13,26 156 176, 178, 180, 184, 15,14 186, 188, 210, 284 Römerbrief 1,11 1,20 2,11 2,23 3,23 5,2 5,5 5,6.8 5,15 5,19 6,5 6,6

342, 360, 374 362 240f. 178 390 300 86 214 246 258 146, 394 65

452 6,15 7,8 7,14 7,14–25 7,15 7,22 8,3 8,9 8,14 8,14f. 8,15 8,35.39 9,5 9,14 10,8f. 10,10 11 11,11 11,17.24 11,25 11,25f. 11,26 11,28 11,30f. 11,36 13,9 13,12f. 14,2 15,19 16,16 16,27

Register

312 85 184, 186 235 234 64, 158, 160, 162, 296 304f., 390 394 250 246 214, 248, 344 78 21, 284, 374 240f. 414 134 202 194, 398 203 194, 202 412 21, 194 176 202 80 86 226 156 354 133 102

Erster Korintherbrief 1,2 332 1,10 374 1,24 78, 290 1,30 78, 114, 174 2,2 116 2,6 148, 246f., 310 2,6f. 394 2,6–8 228f. 2,9 166, 192

2,11 2,12 2,13 2,14 2,15 2,16 3,1 3,1f. 3,6 3,9 3,11–15 3,18 4,15 6,15 6,17 7,25 8,6 9,20f. 9,22 9,24 10,1f. 10,4 10,11 11,3 11,10 11,16 12,8 12,10 12,12 12,12–31 12,14–18 12,20f. 12,22f. 12,27 13,7f. 13,8 13,10 13,11 13,12 15,9 15,12 15,24

88 166, 228, 248 362 160, 414 296, 414 166 276 66 396 342, 396 208 426 324, 372 300 34, 154 60 80, 216 156 164 152, 164, 168 270 270, 406, 408, 409 268 296 220, 414, 415 302 96, 238, 244, 384 416 322 218 254 128 32, 320 218, 254 86 154, 328 188 66 188f., 192, 312, 314, 384, 402, 410 326 196 120

453

Bibelstellen

15,24–26 15,26 15,28 15,41f. 15,45 15,49 15,53 16,20

116 109 34, 116 368 338 70 242 133

Zweiter Korintherbrief 2,15 162, 280, 388, 396, 400 2,15f. 150, 160 3,6 60, 400 3,14 354 3,16 268, 354 3,18 228, 406, 410 4,7 166 4,8f. 86 4,9 326 4,16 64, 152, 158, 160, 162, 300, 394, 410 4,17 86 4,18 102, 162, 270, 368, 386, 406, 408 5,16 116, 270, 378 5,21 390 6,11 314 6,14f. 328 6,16 276 6,17 118 8,9 340 8,10 60 9,7 236 10,4f. 210 11,2 8 11,3 374 11,14 300 11,28 326 12,2–4 166 13,12 133

Galaterbrief 1,1 1,2 2,20 3,13 3,19 3,24.25 3,27 3,28 4,1f. 4,2 4,4 4,19 4,21–26 4,26 4,31–5,1 5,22 6,8 6,14 6,16

270 302 262 38, 340 104, 128, 144 190 338 144 214, 260, 144, 260 372 210 114, 216, 210 148, 396, 70 318 114

Epheserbrief 1,4f. 2,6 2,14 2,14f. 2,20 3,25 4,2 4,4 4,8 4,13 4,14 4,22.24 4,25 5,2 5,14 5,21–27 5,23 5,25f. 5,25.28 5,26 5,26f.

19, 260 392 174, 188, 192 374 262 172 172 172, 394 390, 392 66 236, 370, 394 65, 152 320 144 344 256 340 262 324 252, 256 146

260, 266

274

344 412

454 5,27 5,29f. 5,29–32 5,32 6,11 6,16

Register

21, 88, 144, 152, 252, 256, 332, 410 256 8 214, 262 214, 336 336, 338

Philipperbrief 1,23 156 2,6 286, 374 2,6f. 36, 114, 148, 151, 152, 164 2,7f. 164 2,8 152, 258 3,7.8f. 212 3,10 270 3,13 234, 374 Kolosserbrief 1,13 1,15 1,15f. 1,18 1,20 1,24 1,26 2,3 2,16f. 2,18 3,1.2 3,5 3,9 3,9f. 3,10 4,3 4,6

344 128, 70 146 116 250 148 136, 170, 312 268 270 394 216 65 334, 96 380,

178f., 250

5,22 5,26

Erster Timotheusbrief 1,15 252 2,5 38, 144, 148, 300, 374f. 2,8.9 128 2,14f. 214 2,15 88 2,20 25 3,7 372 3,15 302, 382, 384 5,17 322 6,3 424 6,15 103, 114, 358 6,16 78, 152 6,18f. 168f. Zweiter Timotheusbrief 2,17 420 4,7 354 Titusbrief 2,2 3,5

142, 166, 168f., 290, 386, 394

410 410

Erster Thessalonicherbrief 1,6f. 164 2,14f. 123 5,13 322f.

124 133

Hebräerbrief 1,1 1,3 1,14 2,2 2,14 2,17 4,14 5,12 5,13 5,14 6,5 6,20 7,19 8,2

322 399 256 178, 270, 340 316, 400, 416 374f. 262, 390 144 103, 118, 358 58, 274 58, 142 58, 156, 158, 160, 282 156 408 304 198

455

Bibelstellen

8,5 9,11 9,14 9,23 9,24 10,1 10,20 11,9 11,37f. 12,22 12,23

312 266 142 364 198, 266 266, 312 272 100 122f. 114, 118, 190, 210, 214, 392 114

Erster Petrusbrief 1,10–12 272 1,23 156 2,2 58, 156, 260 2,22 390, 408 2,24 38, 340 5,4 218 Erster Johannesbrief 1,1 34, 156, 162 1,5 208 2,1 296

2,2 2,12–14 2,19 4,7 4,7f. 4,8 4,9 4,12 4,18

144 66 306, 426 76, 82, 88, 222, 344 76 76, 78, 84, 88, 336 144 78 78, 344

Offenbarung 1,4 2,7 2,19 7,14 8,13 17,14 17,15 19,7 19,11–14 19,13 19,14 21,2.9 22,13 22,17

302 334 328 270 422 146 270 8 250 378 252 8 318 8

456

Register

Origenesstellen Das Register der Origenesstellen folgt dem Abkürzungsverzeichnis der Werke des Origenes in OWD 1/1. Genesiskommentierung frg. D 9 Metzler 95 frg. D 11 Metzler 23, 65 Genesishomilien 1,13 23, 64, 178 2,4 302 4,1.3 226 4,6 262 5,2 372 6,2f. 102 7,1 59, 66 7,5f. 101 8 100 8,7 356 8,10 281 9,3 220 10,2 72, 89, 210 10,3 89 10,5 101 11,2 94, 179 13,3f. 101 14,1 175 14,3 91, 103 14,4 276 15,3 101 15,5 390 15,6 268 16,2 220 16,6 147 Exodushomilien 3,3 103, 426 4,6 210 6,1 106, 107 6,2 248, 369 6,3 126 6,5 82

6,6 7,8 8,2 9,3 9,4 10,3 10,4 12,2 13,2 13,3 13,4

392 59, 156 82, 220 147, 264, 296 102, 104, 238 68, 89, 283 69 408 264, 414 89 206

Levitikushomilien 1,1 420 2,2 72, 238, 256f. 3,3 218, 287, 378 3,7 68 5,3 118 7,2 128 7,3 136 7,6 310 8,3 390 8,11 426 9,2 398 9,5 424 9,8 208 9,9 190 10,2 191, 426, 427 12,4 426 13,6 104 16,2 389 16,4 333, 334 16,6 368 Numerihomilien 1,1 107 5,2 104, 148 5,3 266

457

Origenesstellen

6,4 7,2 7,5.6 9,1 9,9 10,3 11,3 11,4 11,5 12,1f. 12,1–3 12,2 12,3 12,4 15,1 15,3 17,4 17,5 17,6 18,4 20,2 20,3 23,2 23,8 23,11 24,1 24,2 26,2 26,3 26,4 26,6 27 27,1 27,12

184, 199 186 390 264, 414 66 134 342 101 421, 422 108 100 101, 108, 355, 356 280 174 356, 359 326 102, 299 273, 358 189 406 89, 429 218, 283 281 343 102 330 281 72 112 371 330 100 59 108

Josuahomilien 4,3 6,4 7,6 9,8 11,5 15,3 16,5

206 80 128 420 114 248, 362, 369, 429 330

17,3 18,3 21,2

174 210 187

Richterhomilien 2,3 210 5,1–4 110 5,2 109 5,3 379 5,4 109 6 110 6,1 109 Samuelhomilien (graec.) 2 258, 318, 404 3 318 4 112 6 390 8 391 9 334 9f. 424 Samuelhomilien (lat.) 1 334, 396 1f. 396 4 128, 153 5 132, 318, 379 8 59 9 62 13 81 Samuel- und Königsbücherkommentierung frg. 15–22 111 Psalmenkommentierung 71(72),1 frg. 114 75(76),6 248 76(77),21 93 119(120),4 335, 336 136,9 429

458 Psalmenhomilien 36 hom. 3,3 335 36 hom. 3,10 389 36 hom. 4,1 408 38 hom. 1,9 326 73 hom. 1,1 203 73 hom. 2,2 203 77 hom. 2,4 322 Sprichwörterkommentierung 1,2 frg. 188 1,6 96 Hoheliedkommentar prol. 1,1 126f., 142 prol. 1,1–3 12, 151 prol. 1,3 3, 126, 260 prol. 1,4–7 61, 338 prol. 1,6 15 prol. 1,8 15, 120 prol. 2 61 prol. 2,4 28, 57 prol. 2,4f. 16 prol. 2,4–8 59 prol. 2,9 283 prol. 2,9–11 158 prol. 2,12f. 28 prol. 2,14 423 prol. 2,16 73 prol. 2,17 17, 103, 386 prol. 2,19 72 prol. 2,20 319 prol. 2,25 72 prol. 2,25f. 16 prol. 2,26 222 prol. 2,27 174 prol. 2,32 17 prol. 2,36 73 prol. 2,37 98 prol. 2,39 17, 319 prol. 2,45 328 prol. 2,46 372 prol. 3 61

Register

prol. 3,1 prol. 3,1–7 prol. 3,4 prol. 3,5–15 prol. 3,8–13 prol. 3,9–11 prol. 3,13 prol. 3,14 prol. 3,16 prol. 3,17 prol. 3,20 prol. 3,23 prol. 3,4.6 prol. 4 prol. 4,1f. prol. 4,2 prol. 4,3 prol. 4,5–14 prol. 4,7.9 prol. 4,17 prol. 4,29 I 1,1 I 1,3f. I 1,5 I I I I I I I I I I I I I I I I I I

1,9 2 2,3 2,3f. 2,5 2,7 2,22 3f. 3,3 3,3–7 3,12 3,14 4,3 4,4 4,5 4,6 4,9 4,10

100 154 231 149 94 95 276 94 17, 18, 149 94 94, 318 71 98 61 359 104, 108, 273 18 18 104 187, 197 184 58, 142, 260 105 19, 57, 181, 198, 232, 246, 253, 411 27, 266 47 23, 411 288 104 318 355 144 21 38 27 47 216 79 27 22 34, 159 22, 159, 165

Origenesstellen I 4,10–15 I 4,10–20 I 4,11f. I 4,13 I 4,13f. I 4,16–20 I 4,20 I 4,26f. I 4,27–29 I 4,27–30 I 4,28–30 I 5,1 I 5,1f. I 5,5 I 5,6 I 5,8 I 6,1f.3.6 I 6,11 I 6,13 I 6,13f. I 6,14 II 1,3 II 1,3–55 II 1,4 II 1,5 II 1,6 II 1,14 II 1,20 II 1,24 II 1,25 II 1,26–41 II 1,27 II 1,30 II 1,34 II 1,36 II 1,42–45 II 1,44 II 1,53 II 1,55 II 1,56 II 1,57 II 2,1–4 II 2,10

158 68, 162 34 152, 159 36 158 23, 64 68 36 151 22 48, 169 169 217 260 237 48 204 78, 83 316 234 210 198, 210 21, 24, 140, 364 111 24 128 120 189 104 114 197 22 244, 427 189 21 26 187 128, 355 26 201 24 407

II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II

2,11 2,13–19 2,16–19 3,5 3,6 3,12 3,16 3,16f. 4,1 4,13 4,35 5,2 5,3 5,6 5,7 5,8–15 5,12 5,14 5,15 5,16 5,17 5,18–20 5,19 5,20 5,21 5,21–25 5,26 5,28–40 5,31 5,38f. 6,7 6,8 6,9 6,11f. 6,13 7,16 8,2–9 8,3 8,4 8,4–7 8,6 8,8 8,8f.

459 172 315 135 344 236 318 274 28 232 229, 246, 260, 424 362 92 238, 244 128, 233 29, 233, 239 29 234 210 24, 233 168 27, 232, 244 30 266, 350 81 233 30 31 31 233 246 425 38 21 26 37, 392, 422 404 268 28 129, 348 19 19 81 214

460 II 8,14 II 8,15 II 8,20 II 8,23 II 8,31 II 8,33 II 8,34 II 8,38 II 8,40 II 9 II 9,5 II 9,10–14 II 9,12–14 II 10,1 II 10,2f. II 10,2–4 II 10,3 II 10,4 II 10,8f. II 10,8–10 II 10,10 II 10,14 II 11,5 II 11,11 II 12,22 III 1,6 III 1,10f. III 2,6 III 3,3 III 4,5f. III 4,6 III 5,6 III 5,7 III 5,10–12 III 5,11–19 III 6,4 III 6,7 III 7 III 7,1 III 7,2f. III 7,2–31 III 7,4 III 7,5.6–8.9f.

Register

269, 296, 412, 414 131, 238 316 265, 296 104, 275 20 214 98 152 49, 289 68, 252 36 68 345 76, 166, 360 285 21 36, 37 36 284 39 68 78, 79 68 68 265, 412 22 314 229 308 426 68 152, 156, 277 414 27 175, 334, 397 386 73 330 32, 85 31 32, 344 32

III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III

7,23f.24f. 7,31 8,9 8,11 8,12–15 8,13f. 9,7–10 9,9 10,1 10,7 10,8 11 11,1–8 11,5–8 11,10 11,12 11,13 11,14 11,17 11,18 11,18f. 11,21 12 12,1–3 12,3 12,6 12,11 12,12 13,8 13,10 13,15 13,25 13,42 13,43 13,44 14 14,10 14,14 14,16 14,16–18 14,19 14,22–26 14,24

33 319 316, 332 78, 79 71 72 38 20 4 222 321 50, 350 354 393 354 356 355 354 23 238 384 23 50, 350 354 198 348 103 361 229 98 75, 121 417 81, 362 81 348, 360 50 351 189 317, 425 28 29 50 398

461

Origenesstellen III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III

14,27–32 26 14,32 39 14,34 255, 422 15(IV 1) 47, 50, 393 15(IV 1),6f. 353 15(IV 1),8 399 15(IV 1),11 316, 334, 401 15(IV 1),16 389, 399 15(IV 1),16f. 22 15(IV 1),20 403 15(IV 1),22 28 15(IV 1),23–27 22 15(IV 1),24 400 16(IV 2) 47, 348, 393 16(IV 2),1 412 16(IV 2),4 258 16(IV 2),7 28 16(IV 2),8.10 409 16(IV 2),17 21, 129 16(IV 2),22 21 16(IV 2),23 265 16(IV 2),27 420 17(IV 3) 47, 393 17(IV 3),8 425 17(IV 3),9 415 17(IV 3),13 425 17(IV 3),16 255 17(IV 3),20 221 17(IV 3),21 317, 418, 427 17(IV 3),27 191, 210, 244

Hoheliedkommentarfragmente frg. 1 62, 72, 74 frg. 2 64 frg. 3 130 frg. 4 132 frg. 5 140, 144 frg. 6 150 frg. 7 166 frg. 8 170 frg. 9 176 frg. 10 194 frg. 11 202, 208

frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg. frg.

12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

4, 135, 206 208 230, 234, 416 156 268 278 4, 284 286 294 298 304 306, 310 314 330, 331 4, 342 344 348 386 388 394, 399 406 416, 429

Hoheliedhomilien 1,1 103, 1,4 151 1,5 171 1,6 114, 1,7 118, 1,8 222, 1,10 248, 2,2 278 287, 2,3 2,6 309, 2,7 315 2,8 319 2,9 345 2,11 348, 2,12 394,

112 134,176 350, 384 384 270 291 372

361,377 399

Jesajakommentierung frg. 1 282

462 Jesajahomilien 1,1 1,2–4 1,5 2,2 3 3,1 4,4–6 4,5f. 6,3 6,5 6,7 7,1 7,3

Register

207, 248, 356 298 123 134 229 317 146 208 283 81 283 59 283

Jeremiakommentierung frg. 26 429 Jeremiahomilien 1,10 65 4,5 202 5,15 259 8,2 188, 8,3–5 388 9,1 259, 9,2 187 9,4 259 10,8 202 11,6 199, 12,12 348, 12,13 202 15,6 308 16,2 409 16,10 259 18,4 101 18,9 349 19,8f. 208 20,4 333 lat. 1(3),4 334 Ezechielhomilien 1,3 208 1,4 146

334 420

202 356

6,4 7,10 8,3 10,1 13,1 14,2

137 59 72 426 220 276

Klageliederkommentierung 14 frg. 91, 95 104 335 Matthäuskommentar X 15 362 X 20 242 XI 3 148 XI 17 241 XI 18 349 XII 1 191 XII 14 175 XII 18 27 XII 38 356 XII 42 271 XII 43 390 XIII 1 242 XIII 26 28 XIV 7 175, 399 XIV 22 333 XV 1f. 196 XV 31 81 XVI 8 26 XVI 9 80 XVII 1 308 XVII 2 188 XVII 19 82, 308 XVII 32 308 XVII 35 70 Matthäuskommentarreihe 28 121, 124 33 175 35.38 426 39 355 42 426

Origenesstellen

64 63 69 74 132 135 138

151 174 75, 366 326 390 340 270

Lukashomilien 2,2 3,2 14,5 15,2 16,6 17,11 20,6.7 21,5f. 24,2 25 25,1–5.6 25,8 27,6 34 34,3

420 283 390 288 420 332 117 276 424 319 320 321 265 80 80

Lukaskommentarfragmente 171 378 218 90 Johanneskommentar 4,22 318 4,24 166 6,36 238 7,43 116 9,52–57 79 9,55 72, 73 15,89 64 19,111–115 267 19,112 78 19,116 318 20,121 148 20,124 26 21,125–23,150 79

I I I I I I I I I I I I I

318 I 22,132 I 25,158–36,265 79 I 32,228 335 I 32,228f. 72 II 13,91–99 398 II 13,96 420 II 16,112 403, 412 II 22,142 362 II 35,215 134 V 1 113 V 8 317 VI 2,10 64 VI 5,30 274 VI 6,42 282 VI 19,107 175, 334 VI 33,166 81 VI 57,292 316 VI 59,302 332 X 4,17 267 X 5,21 334 X 37,246 77 X 37,246f. 376 XIII 1,3f. 101 XIII 34,215–225 189 XIII 46,303 287 XIII 58,403 330 XIII 60,416 274 XIX 6,38f. 35 XX 1,1 64 XX 4,26 75, 366 XX 22,182 178 XX 22,182f. 24, 178 XX 27,242f. 308 XX 43,406 75 XXVIII 1,6 64 XXXII 1,2 64 XXXII 2,35 38 XXXII 3,35 340 XXXII 11,127 175 XXXII 18,233f. 308 XXXII 28,345f. 230 XXXII 28,347 399 XXXII 31,387 334

463

464 Johanneskommentarfragmente 18 134 20 81 36 81 80 155 Römerbriefkommentar I 22,9–11 65 II 3,2 326 II 6,2 131 III 3,4 130 III 5,6 39 V 1,28 131 V 6,6 334 V 9,12 390 V 10,11–15 154 V 10,15 34 VI 3,1 210 VI 9f. 235 VII 2,7 75, 366 VII 9,2 296 VII 17,8 79 VIII 10,3 400 IX 34 175 X 43,8 104 Römerbriefkommentarfragmente frg. zu Röm. 7,7 66 frg. 38 Ramsbotham 85 frg. 45 Ramsbotham 305 V frg. 3 Scherer 399 Korintherbriefkommentierung frg. 1 Jenkins 332 Über die Prinzipien praef. 1–3 380 praef. 3 76 praef. 4 36 praef. 5 233, 240 praef. 10 238, 286 1,1–4,2 238 1,7 239

I I I I I I I

Register I I

1,8f. 1,9

I 2,1 I 2,2 I 2,5 I 2,6 I 3,2 I 3,4 I 3,5 I 3,6 I 3,8 I 4,3 – II 3 I 5,5 I 6,1 I 6,2 I 7,4 I 8,1 I 8,2 II 3,4 II 3,6 II 3,7 II 4,1–5,2 II 4,1–7,4 II 4,3 II 5,4 II 6,2.3 II 6,5 II 6,7 II 7 – III 6 II 7,1 II 7,2 II 8,4.5 II 9,1 II 9,2 II 9,2f. II 9,4 II 9,5 II 9,6 II 10,4 II 10,5 II 11,2 II 11,6f.

377 135, 159, 162, 283 79 376 75, 366 65, 178 81 298 280 130, 262 277 238 301 268 242, 243 240 200 242 37 74, 366 242 264 238 377, 409 336 37 304 37, 255 238 239 354 255 326 243, 260, 400 157 64 33 25 146, 209 233 70 118

465

Origenesstellen III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III IV IV IV IV IV IV IV IV IV IV IV IV IV IV

1,1 1,3 1,6 1,8–11 1,10 1,11 1,13 1,14 1,19 1,20 1,24 2 2f. 2,1 2,2 2,3 2,4 3,1–3 3,2 3,4 3,4–6 4,1–4 5,3 5,4 5,7 6,1 6,3 6,4 6,6 1–3 1,1–5 1,1–3,13 2,1f. 2,2 2,4 2,5 2,6 2,9–3,5 3,2 3,5 3,13 3,14 3,15

418 96 252, 400 206 204, 206 204 29, 80 121, 204, 334 252 400 132 418 370 418, 419 419 400 416, 418, 419 228 228, 310 417, 419 416 240 368 241, 242 157 24, 65, 178 35, 154 66, 115 146, 168, 237 11 355 59 423 112, 404, 423 239f., 387 404 387 405 360 12 371 298 81

IV

4,6

IV IV IV

4,8 5,9 4,10

75, 121, 366 326 242 159

Apologie gegen Kelsos I 57 174 II 6 420 II 30 355 II 43 390 II 51 240 II 64 334 III 37 90 III 41 399 III 60 121 III 62 26 III 72 121, 188 III 75 242 III 81 174 IV 5 121 IV 12 368 IV 17 242 IV 18 152 IV 28 121 IV 29 82, 121 IV 30 24 IV 31 308 IV 39 62 IV 71 362 IV 83 242 V 14 70, 241 V 29 242 V 29–31 220 V 39 174, 338, 399 V 49 242 V 62 334 VI 18 298 VI 36 242 VI 47 399 VI 48 82, 128 VI 49 424 VI 63 82, 399

466 VI 71 VI 79 VII 10 VII 17 VII 22 VII 26 VII 32 VII 34 VII 66 VIII 17 VIII 30 VIII 36 VIII 43 VIII 49 VIII 64

Register

239 282 90 399 428 355 239, 242 159 82 174 242 215 355 70 329

Über das Gebet 1 120f. 2,6 64 6,2 402 6,3f. 132 9,1f. 128 9,2 283 11,1 330 11,1–5 214 11,3 238 11,5 215, 328 15,1 376 20,2 168 27,5 59 29,2 135

31,1 31,2

75, 128, 366 63

Aufforderung 35 36 38 47

zum Martyrium 121 424 330 243

Das Gespräch 7f. 11f. 15f.

mit Herakleides 38 65 23, 65

Über das Pascha 15f. 318 18 151 Brief an Gregor den Wundertäter 3 379 Philokalie 2,3 2,4 2,4f. 7,1 7,2 9,1 14,2 25,2 27,13

362 364 370 3, 58 112 66 95 82 4

Register

467

Namen und Sachen Folgende Begriffe sind nicht eigens erfasst, weil sie im Kommentar ständig vorkommen: Braut, Bräutigam, Christus, Kirche, Liebe, Seele, Wort Gottes (Logos). Die Begriffe aus der reichen Bildersprache des Hohelieds selbst wie des origeneischen Kommentars sind hingegen möglichst vollständig aufgenommen, um ein gezieltes Nachschlagen zu ermöglichen. Siehe dazu auch das überaus nützliche thematische Verzeichnis der Bilder im Hoheliedkommentar bei Rickenmann, Sehnsucht nach Gott 484–493. Aaron 145, 181, 185, 327 (Ab)Bild 8, 11, 15, 16, 17, 23f., 26, 29, 31, 34, 43, 57, 65, 71, 72, 73, 82, 93, 99, 115, 133, 143, 147, 151, 155, 178, 179, 186, 187, 189, 191, 199, 219, 237, 242, 259, 265, 266–269, 273, 275, 287, 296, 297, 335, 349, 362–371, 373, 375, 379, 387, 395, 397, 407, 411, 425 Abdimelech 183, 194–197 Abimelech 102f. Abraham 101, 102, 177, 179, 211, 226f., 229, 263, 273, 317, 369, 375 Absalom 75 Abstieg/Aufstieg 15, 17f., 23, 24f., 26–28, 31, 34, 35, 107, 119, 154, 157, 168, 199, 201, 241, 369, 393 Acker 143, 213, 343, 396 Adam 19, 215, 240, 259, 263 Adler 409 Ägypten 93, 122, 157, 183, 227, 249, 371 Ägypter 33, 107, 141, 147, 327, 399 Ähnlichkeit siehe Bild Aelian 160, 348 Äthiopien 181, 183, 192–195 Äthiopierin 179, 181, 184–187, 201 Affekt 24, 29, 37, 158, 232–235, 239, 407 Ahusat 103 Akiba 6f., 105 Aktium 4

Aktualismus 99 Akzidenz 243 Alexander von Aphrodisias 412 Alkuin 44 Allegorese 3, 6f. Allegorie 12, 211, 297 Altar 101 Alter 60, 61, 67, 85, 93, 105, 117, 153, 171, 173, 193, 275, 319, 359 Altersbeweis 92f. Ambrosius (Mäzen des Origenes) 290 Ambrosius von Mailand 41f., 43, 44 Amnon 75 Amt 189, 191 Analogie 16, 93 Anfang/Prinzip/Ursprung 16, 19, 20, 25, 28, 29, 34, 35, 36, 37, 67, 81, 82, 116, 163, 174f., 179, 183, 188, 231, 239, 242f., 251, 261, 263, 316, 317, 341, 355, 362–364, 365, 366–369, 370, 373, 385, 401, 403, 419, 421, 426–429 Angesicht 22, 186f., 189, 215, 229, 313, 315, 329, 349, 385, 403, 405, 407, 409, 411, 415 Angst 87, 225, 233, 235, 245, 249, 251, 345, 397 Ankunft siehe Inkarnation Anthropomorphismus 377, 423 Apfel(baum) 7, 78, 306–309, 311, 331, 333, 335

468

Register

Apokatastasis 34, 115, 116, 157, 242f., 335, 401 Apokryphen 122, 125 Apologetik 92, 93 Apostel 108, 123, 210–213, 261, 274, 306, 319, 331, 349, 379 Apponius 42, 43 Apuleius 334 Aquila 4 Aristoteles 58, 91, 147, 234, 256 Arm 7, 69, 107 Armut 341 Arnobius 335 Arzt 152, 373, 419 Asaph 111 Askese 191 Aspekt siehe Epinoia Astrologie 228 Athen 3 Auferstehung 10, 21, 22, 30, 38, 71, 194, 197, 241, 269, 270–273, 399, 403, 413, 421 Aufstieg siehe Abstieg/Aufstieg Auge 69, 157, 158–161, 163, 167, 193, 219, 251, 255, 257, 294–297, 299, 301, 387 – Auge der Seele 282f. Augustinus 84, 327 Autorität 163, 243, 327 Babylon 428f. Balsam 149 Barak 108–111 Barmherzigkeit 79, 103, 149, 193, 202, 225, 247, 337 Barnabasbrief 368 Basilius von Caesarea 3 Bauer 334f. Baum des Lebens 78 Beda Venerabilis 43, 44 Begierde 59–61, 63, 71, 73, 85, 227, 305, 337, 339, 395, 419 Bekehrung 21, 26, 132, 209, 215,

225, 269, 295, 378 Berengar von Poitiers 44 Berg 10, 36, 139, 287, 349, 351, 353, 354–359, 365, 377, 379, 383, 385, 405 Bernhard von Clairvaux 44f., 312 Berufung 21, 147, 202, 413 Besonnenheit 336, 371 Bewegung 9, 154f. Biene 109 Bienenstock 108 Bild siehe (Ab)Bild Bildung/Erziehung (paideı´a) 20, 22, 25, 27, 28, 31, 59, 61, 92, 94f., 97, 99, 149, 155, 173, 179, 189, 213, 227, 231, 235, 241, 261, 275, 281 Bileam 273 Bischof 190, 303, 325 Bitterkeit 141, 213, 291, 311, 319 Blindheit 203 Blitz 109 Blüte 147, 291, 397, 401, 407, 417, 427 Blume 305, 307, 353, 389, 395, 399, 403, 405, 407 Blut 117, 291 Bock 231, 233, 239, 245, 361 – Sündenbock 232 böse/das Böse 59, 69, 96, 133, 157, 159, 161, 183, 197, 200, 209, 225, 229, 233, 235, 253, 283, 304, 333, 337, 371, 398, 400f. , 407, 417, 418, 429 Brot 69, 78, 156, 157, 283, 309, 335 Brunnen 101, 106–109 Brust 132–135, 135, 137, 139, 140– 143, 151, 170–173, 285, 289, 381, 415 Buße 26, 179, 189, 195, 199 Bund 291 Caesarea (Palästina) 3 Cassiodor 3, 392

Namen und Sachen

Chettura 179 Chiliasmus 368 Chilon von Sparta 231 Christologie 35–39, 152, 283 Chronologie 104f., 186 Cicero 188, 336, 412 Clemens von Alexandria 59, 80, 88, 90, 92, 93, 94, 114, 148, 150, 158, 185, 256, 260f., 262, 266, 309, 317, 380 Cupido siehe Eros Dämon 16, 19, 25, 81, 213, 215, 242, 249, 265, 310, 337, 339, 370, 390, 417, 419, 421, 425 Dank 225, 252 David 111, 113, 115, 117, 119, 317, 375, 409, 411 Debora 108–111 Demut 277 Determinismus 24f., 31, 201 Diakon 190 Dialektik 21, 91, 102 Diaspora 213 Dienst 131, 191, 219, 225, 257, 261, 263, 269, 317, 325, 329, 343, 364– 367, 389, 401, 417 Diogenes Lae¨rtios 134, 231 Dioskorides 290 Dogmatik 18, 100f. Dorn 307, 309 Drama 11f., 15, 18, 56–61, 126–129, 132–135, 137, 151, 165, 177, 209, 217, 219, 221, 232f., 255, 261, 279, 289, 337, 339, 343, 345, 349, 351, 354, 381, 393, 405, 417 Duft 133, 135, 145, 147, 149, 151, 153, 155, 159, 161, 162–165, 167, 187, 193, 255, 278–283, 285, 289, 291, 293, 303, 333, 343, 389, 397, 401, 403 Dunkelheit 176–179, 201, 337

469

Edelstein 181, 189 Eden 158, 159 Ehe/Ehebruch 87, 139, 247, 332f., 337, 387 Ehrfurcht 405 einfache/vollkommene Christen 31, 63, 69, 70, 115 Eifer 153, 183, 201, 221, 235, 255 Einheit 35, 37, 76, 99, 115, 128, 149, 153, 155, 199, 266, 334, 377 Einhorn 272f. Ekklesiologie 128f., 180f., 219, 232, 246 Element 147 Elischa 251 Empfängnis 179, 311 Ende/Ziel/Letztes 239, 243, 269, 315, 351, 357, 366–369, 403, 409, 417 En-Gedi 289, 291 Engel 18, 19, 20, 22, 25, 28, 82, 101, 105, 129, 131, 157, 214f., 217, 221, 243, 248, 261, 263, 265, 267, 269, 271, 275, 309, 311, 317, 319, 329, 342, 343, 348, 357, 374, 401, 403, 415, 419 – Cherubim 61, 104, 265, 266, 267 – Seraphim 146, 298 – Völkerengel 220f., 228f., 246, 425 Enthaltsamkeit siehe Askese Epiktet 59 Epikur 62 Epinoia (epı´noia/adspectus) 35f., 72, 78f., 152, 156, 174f., 283, 290, 334 Epistemologie 364 Epoptik 90–93, 94, 101 Erfahrung 45, 145, 161, 171, 202, 223, 233, 275 Erfüllung 179, 195, 268, 274 Erkenntnis 17, 18, 27, 28, 32, 35 36, 42, 60, 78, 91, 97, 99, 101, 103, 111, 116, 118, 131, 137, 139, 143, 149, 152, 163, 167, 169, 171, 187,

470

Register

203, 211, 213, 224–227, 229, 231, 233, 235, 237, 239, 241, 245, 247, 257, 267, 275, 277, 291, 303, 310, 313, 316–319, 325, 327, 337, 341, 351, 355, 359, 361, 363–365, 367– 371, 375, 377, 379, 380, 385, 387, 395, 408 – Gotteserkenntnis 17, 18, 29, 30, 71, 130, 387 – Selbsterkenntnis 12, 17, 29–31, 40f., 168, 230f., 230–249, 257, 295 Erleuchtung 131, 133, 154, 179, 205, 207, 209, 229, 323, 337, 351 Erlösung 16, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 34, 35, 79, 115, 153, 157, 193, 195, 197, 202, 229, 233, 242, 251, 289, 317, 323, 329, 341, 357, 369, 373, 379, 399, 417 Ermahnung 397 Eros 11, 16f., 22, 27, 31, 39, 62, 70, 71, 72–77, 80–85, 83, 87, 89, 93, 99, 319, 334, 351 Erotik 15 Erwählung 33f., 177 Erzählung siehe Geschichte(Erzählung) Erzieher 145 Erziehung siehe Bildung Eschatologie 22, 67, 109, 115, 159 Ethik 17, 27, 43, 60, 90–93, 94, 95, 96, 99, 100, 101, 102f., 115, 149, 155, 189, 378, 387 Etymologie 101, 107, 109, 114, 158, 177, 187, 196, 226, 266, 291, 348 Eucharistie 133 Eunuch 183, 195–197 Eusebius von Caesarea 3, 9, 91, 104f., 121, 196, 290 Eva 215, 375 Evangelium 107, 114, 116, 117, 143, 173, 177, 181, 187, 213, 225, 229, 239, 305, 307, 311, 333, 357, 369, 371, 373, 377, 379, 389, 393, 413,

415, 417, 421, 425, 427, 429 Ewigkeit 19, 35, 105, 341, 359, 367, 397 Exkurs 160, 161, 269 Fall siehe Abstieg/Aufstieg Fegefeuer 209 Feigenbaum 397, 398–401, 403, 407 Feind 109, 111, 117 Feindesliebe siehe Liebe Feld 305, 307, 343 Fels 111, 271, 359, 406–409, 415 Feuer 71, 83, 147, 157, 183, 206, 208f., 251, 265, 311, 339, 363, 414, 427 Finsternis 205, 209, 329, 371 Flavius Josephus 92, 180–183, 192 Fleisch 59–61, 63, 67, 71, 117, 131, 153, 156, 157, 179, 211, 227, 257, 263, 273, 305, 309, 367, 372, 375, 379, 389, 390, 391, 395, 407, 423 Fluch 341 Flucht 205 Flügel 205, 297, 315, 395, 413, 415 Fluss 283 Fortschritt 17, 18, 22, 23, 24, 27, 28, 29, 34, 36, 59, 60, 66, 100, 113, 115, 117, 153, 155, 167, 171, 219, 225, 235, 245, 291, 293, 295, 299, 313, 319, 338, 345, 353, 401, 428, 429 Frau 257, 325, 339, 372, 387 Freiheit 25, 31, 33, 34, 39, 96, 99, 131, 132, 148, 197, 200f., 211, 242, 252f., 280f., 304, 333, 390f., 398, 400f., 402f., 418f., 425 Freude 139, 143, 149, 169, 171, 217, 277, 288, 315, 317, 335, 397, 413 Friede 78, 115, 117, 131, 175, 187, 189, 191, 193, 195, 197, 277, 317, 351, 397, 429 Freundschaft 120, 157, 189, 363, 375

Namen und Sachen

Frömmigkeit 83, 193, 277, 336, 355, 425 Frucht 7, 14, 28, 116, 149, 171, 185, 199, 281, 289, 291, 299, 305, 309, 311, 317, 333, 389, 397, 399, 401, 403, 413, 417, 427 Frühling 347, 353, 405, 407 Fuchs 42, 369, 416–429 Fülle 165, 171, 173, 195, 203, 229, 263, 267, 277, 323, 413 Fürbitte siehe Gebet Fuß 69, 203, 219, 255, 279 Gabe 85, 129, 131, 132, 161, 237, 239, 247, 280f., 301, 323, 329, 353, 361, 375, 379, 385, 395, 413, 417 Garten 7, 139 Gastfreundschaft 157 Gastmahl 63, 135, 137, 141, 229, 276, 277, 315, 317, 331 Gattung 11, 12, 15, 56–59, 127, 151, 217, 261, 345, 351 Gazelle 349, 361, 373, 376–379 Gebet 62f., 127, 129, 131, 133, 135, 168f., 191, 193, 214f., 329 – Fürbitte 330 Gebot 84–87, 99, 101, 103, 106, 141, 163, 173, 203, 253, 255, 281, 323, 325, 343 Gebrauch 84, 91, 98 Geburt 285, 358, 373 Geduld 277, 329 Geheimnis 28, 64, 100, 109, 131, 149, 150, 179, 185, 203, 215, 221, 225, 237, 265, 276, 285, 291, 319, 351, 361, 363, 387, 394, 409 Gehör/Gehörsinn siehe Sinneswahrnehmung Gehorsam 7, 101, 259 Geier 160 Geist (nouˆs/mens) 24, 34, 60, 71, 72, 77, 89, 91, 339, 343, 367, 377, 407

471

Geist (pneuˆma/spiritus) 9, 20, 22, 59, 73, 87, 89, 93, 97, 113, 116, 119, 123, 129, 133, 145, 147, 149, 151, 155, 161, 165, 207, 227, 229, 239, 241, 243, 245, 246–249, 251, 263, 271, 273, 277, 278–281, 295, 297, 298, 311, 315, 317, 327, 339, 345, 361, 363, 372, 373, 375, 377, 379, 387, 389, 394f., 395, 397, 399, 401, 413 – geistige Sinnlichkeit 16, 28, 34, 67–73, 150–165, 283, 309, 335, 353 Geld 419 Gemach 113, 164–169, 171 Gemeinschaft der Heiligen 19 Gemeinschaft mit Gott 93 Gemüse 156, 157 Genealogie 179 Genuss 159 Gerechtigkeit 24, 25, 28, 79, 83, 97, 115, 149, 175, 181, 193, 203, 205, 206f., 213, 225, 240, 251, 264, 304, 314, 315, 317, 326, 337, 339 Gericht 25, 99, 147, 163, 187, 231, 239, 311, 411, 418f., 425 Geruch siehe Duft Geruchssinn siehe Sinneswahrnehmung Geschichte (Erzählung) 59, 61, 99, 126f., 133, 135, 147, 165, 177, 181, 185, 207, 349, 371, 405 Geschichte (Historie) 368 Geschmack 163, 275 Geschmackssinn siehe Sinneswahrnehmung Gesetz (no´mos/lex) 7, 22, 27, 28, 84– 87, 97, 105, 107, 129, 131, 137, 141, 143, 145, 147, 154–157, 173, 179, 185, 187, 193, 211, 213, 245, 261, 263, 267, 269, 287, 295, 297, 305, 311, 313, 349, 357, 374, 375,

472

Register

379, 383, 386–389, 399, 413, 415, 422 Gewissen 146, 209, 320 – Gewissensprüfung 29 Gewohnheit 304 Gewürz 181, 187, 193 Glanz 179, 203, 205, 221, 222, 226, 307, 341 Glaube 20, 26f, 89, 115, 123, 131, 141, 153, 155, 163, 179, 189, 191, 195, 197, 202, 203, 209, 213, 215, 219, 225, 264, 272–275, 277, 280f., 287, 291, 295, 297, 299, 301, 307, 313, 315, 325, 329, 333, 337, 339, 341, 343, 345, 351, 353, 355, 357, 359, 365, 369, 378f. , 385, 399, 401, 407, 411, 413, 414, 415, 417, 421, 427, 429 Gleichheit 25, 31, 32, 235 Gleichnis 95, 97, 131, 143, 269, 275, 301, 351, 357 Glossa Ordinaria 44 Glück/Glückseligkeit 84, 159, 171, 193, 233 Gnade 34, 36, 82, 101, 132, 227, 243, 247, 251, 252, 273, 275, 281, 283, 293, 301, 313, 322, 331, 343, 359, 361, 363, 375, 378, 385, 400f., 403, 411 Gnosis 24, 31, 33f., 115, 200f., 242, 264, 274f., 317, 322f., 386, 398, 425, 427 Gold 181, 189, 193, 264–271, 273, 275, 296, 297, 412–415 Gomorra 141, 213 Gott siehe Trinität – Gottesdienst 190 – Gottesebenbildlichkeit 16, 21, 23f., 25, 29, 30, 57, 65, 72, 80, 134, 178f., 230f., 233, 237, 242, 365, 411 – Gotteserkenntnis siehe Erkenntnis – Gottesfurcht 373

– Gottesliebe siehe Liebe Grammatik 309 Gregor der Große 43, 44 Gregor Thaumaturgos 230, 336 Gregor von Elvira 41 Gregor von Nazianz 3, 60 Gregor von Nyssa 40f., 94, 160 gut/das Gute/Güte 25, 28, 59, 69, 73, 81, 83, 84, 85, 87, 96, 132, 137, 139, 141, 155, 157, 159, 161, 171, 181, 183, 197, 206, 231, 233, 235, 237, 239, 243, 247, 249, 253, 264, 280, 281, 283, 301, 304, 326, 333, 336, 337, 371, 374, 391, 397, 398, 400f., 411, 429 Haar 279 Habsucht 337 Hadesfahrt Christi 26, 38, 340, 390f. Häresie 42, 306f., 311, 322, 415, 418–421, 423, 426 Hässlichkeit 177, 299, 413, 415 Haimo von Auxerre 44 Hand 38, 63, 69, 107, 111, 129, 133, 157, 163, 195, 219, 255, 257, 261, 267, 283, 338–341 Hass 75, 149, 209, 235, 257, 320, 326–329, 413, 415 Haupt 69, 221, 225, 257, 279, 297, 338–341, 353, 415, 421, 425 Haus 113, 177, 181, 189, 191, 281, 303, 317, 329, 331, 358, 379, 383, 385, 386–389, 405, 407 Hebräisch 95, 98, 107, 109, 114, 136, 158, 179, 223, 226, 230, 266, 284, 331, 402 Hegemonikon 23, 72, 134–137, 289, 411 Heiden siehe Völker Heil siehe Erlösung Heilige 65, 77, 83, 87, 101, 124, 128f., 209, 249, 263, 317, 325,

Namen und Sachen

329, 330, 349, 361, 369, 375, 388, 393 Heiligkeit/Heiligung 89, 102–105, 175, 215, 263, 277, 325, 357 Heiliger Geist siehe Geist (pneuˆma/spiritus) Heilsgeschichte 7, 18, 19, 20, 23, 28, 35 Herakleon 274 Heraklit 241 Herde 219, 221, 231, 237, 239, 243–245 Hermas 260 Hermeneutik 11f., 59, 70, 93, 163, 166, 354–357, 362, 370, 404 Herodes 425 Herrlichkeit 34, 87, 157, 179, 187, 197, 199, 213, 222, 229, 259, 283, 301, 339, 341, 369, 407, 408–411 Herrschaft 117, 121 Herz 7, 23, 79, 83, 85, 87, 93, 99, 123, 130, 133, 134–137, 143, 167, 189, 193, 195, 204, 205, 207, 211, 213, 217, 223, 225, 227, 264, 277, 289, 291, 315, 321, 337, 342, 345, 371, 377, 387, 389, 410–413, 414, 416–419, 421 Hexapla 150, 176 Hieronymus 3, 4, 5, 41, 42, 43, 60, 94, 101, 107, 109, 113, 114, 136, 151, 158, 176, 177, 187, 196, 223, 227, 266, 273, 291, 379 Hiob 313 Hippolyt 8–10, 19, 42, 122, 230, 261, 264, 416 Hirsch 349, 360–363, 372–377, 379 Hirte 217, 219, 222–225, 233, 237, 239, 245, 247 Hitze 87, 147, 207 Hochmut 211, 322, 359, 369, 373 Hoffnung 148, 171, 225, 281, 301, 333, 413 Hohepriester 38, 119, 145, 147

473

Homonymie 65, 68–71 homou´sios 76 Hülle 218–221, 223, 229, 269, 313, 349, 354–357, 401, 405, 407, 409, 415 Hypostase 35, 77, 376 Identität 76, 131 Ignatius von Antiochia 83 Ildefons von Toledo 43 Individualität 23, 35 Initiation 90 Inkarnation 10, 19, 20f., 23, 26, 27, 28, 35, 36–38, 94, 116, 129, 130, 131, 137, 139, 145, 147, 148f., 151, 153, 179, 189, 253, 257, 261, 265, 267–275, 287, 305, 311, 313, 329, 341, 375, 389, 399, 401, 408, 409 Innerer Mensch siehe Mensch Inspiration 59, 150, 227, 311, 362 Irenäus von Lyon 150, 264, 308, 368, 398 Irrtum 31, 83, 215, 228f., 323, 421, 425 Isaak 75, 77, 101, 102, 177, 317, 343, 355, 375 Ismael 179 Israel 7, 11, 21, 23, 42, 101, 104, 105, 107, 109, 113, 115, 119, 129, 181, 183, 193, 195, 197, 203, 207, 221, 249, 271, 305, 327, 399, 413 Jäger 381 Jakob 75, 77, 87, 101, 102, 177, 221, 287, 317, 343, 375, 381 Jeremia 183, 195, 357 Jericho 79 Jerusalem 39, 73, 79, 113, 115, 117, 129, 177, 181, 187, 191, 211, 215, 217, 345, 359, 393 Jesaja 111, 112, 123, 131, 139, 146, 298, 337, 377, 413

474

Register

Jesus 8, 137, 202, 215, 281, 282, 288, 291, 306, 317, 319, 343, 357, 359, 375, 379, 391, 395, 409, 421 Johannes 66f., 135, 297, 303, 307, 329, 369 Johannes der Täufer 261, 320, 375, 389 Jonadab 141 Josef 139, 227, 229 Josephus siehe Flavius Josephus Juda 259, 404 Judas Ischariot 371, 416f., 419 Judentum 6f., 8, 9, 10, 21, 23, 42, 60f., 105, 106, 121, 123, 145, 202, 213, 214, 227, 269, 423 Justin 92, 94, 150, 308 Justinian 298 Käfer 160 Kälte 87 Kampf 209, 210–213, 215, 428 Kanon 6f., 42, 121, 123 Kassiazimt siehe Zimt Kastration 196f. Katachrese 80f. Katechumene 333 Katene 5 Kedar 179 Kehle 69, 309, 311, 315 Kelsos 70, 241 Kenosis 115, 149, 151, 153, 162– 165, 287, 289 Keuschheit 63, 87, 175, 233, 257, 295, 301, 307, 315, 325 Kind 15, 20, 59, 67, 71, 94, 97, 145, 152, 173, 211, 215, 249, 263, 275, 276, 428f. Kleidung 129, 169f., 181, 191, 287, 305 Klugheit 93, 97, 123, 181, 188f. König 109, 113, 115, 117, 119, 121, 164–169, 171, 181, 217, 231, 273, 274–277, 359, 383

Königin 169, 217, 218f., 247, 299 – des Südens/von Saba 115, 138– 141, 181, 186–193, 201 Körper siehe Leib Konkubine 218f., 247, 299 Kontemplation siehe Schau Kopf siehe Haupt Kosmos 17, 19, 24, 28, 30, 38, 39, 65, 71f., 145, 157, 237, 239, 243, 327, 364f., 371, 387 Kraft 63, 79, 83, 85, 87, 133, 152, 153, 154, 155, 157, 162, 167, 173, 206, 207, 209, 223, 265, 279, 285, 287, 291, 301, 321, 333, 337, 340, 379, 395, 401 Kreatianismus 30, 240 Kreuz 26f., 36, 148, 153, 190, 375 Kultur 92f., 212 Kunst 85, 97 Kuss 9, 20, 42, 94, 105, 126–133, 133, 135, 171, 237, 257, 261, 381 – heiliger Kuss 133 Laie 119 Lamm 79, 231, 271, 297, 335, 361 Laster 94, 163, 213, 245, 277, 339, 372, 395, 396–399, 407 Leben 60, 79, 85, 91, 97, 115, 151, 157, 161, 163, 178, 185, 228, 237, 253, 280, 283, 293, 309, 311, 313, 315, 321, 323, 335, 339, 341, 343, 357, 359, 361, 387, 389, 391, 403 Lehre 107, 118, 123, 125, 131, 133, 137, 139, 140–143, 147, 149, 163, 171, 173, 191, 213, 217, 218, 228, 235, 245, 247, 257, 259, 261, 275, 279, 281, 287, 297, 299, 303, 307, 311, 317, 329, 359, 363, 367, 371, 373, 383, 385, 393, 395, 401, 407, 418, 425 Lehrer 32, 61, 99, 118–121, 131, 133, 139, 191, 229, 239, 247, 275, 323, 418–421, 425, 427, 429

Namen und Sachen

Leib 65, 69, 128, 147, 159, 177, 201, 205, 227, 241, 251, 255, 257, 279, 285, 299, 301, 313, 353, 379, 390, 393, 411 – Leib Christi 219 – Leib (Glieder) 66–69 Leid 35, 36, 38 Leser 108, 113, 254, 255, 265, 361, 393, 404, 423 Lesung 121, 123 Levit 79, 104, 119 Licht 79, 153, 163, 201, 203, 205, 207, 209, 221, 222, 223, 225, 226, 227, 229, 239, 257, 267, 283, 301, 323, 329, 341, 351, 353, 385, 387 Liebe – Feindesliebe 33, 322–325 – Gottesliebe 281, 321, 327, 345 – Menschenliebe 148 – Nächstenliebe 16f., 32, 73, 78–81, 84–87, 320–323, 324–329, 330 – Ordnung der Liebe 17, 31–33, 34, 73, 318–331 – Selbstliebe 32, 73, 83 – Wunde der Liebe 71f., 77, 129, 329, 331, 334–337 Lied 104–113, 121–125 Lilie 147, 305, 307, 315 Linguistik 95 Lippe 293, 309, 411 Lob 111, 113 Löwe 271, 273 Logik 90f., 94–99, 103 Lot 226, 373, 404 Lüge 213, 237, 267, 291, 301, 415, 423, 425 Lust siehe Affekt Macht 81, 82, 117, 251, 271, 283, 337, 418, 425, 429 Märtyrer 290 Mamre 227, 263 Mangel 398

475

Mann 59, 67, 73, 94, 104–107, 124, 257, 305, 325, 339, 409 Manna 156, 271, 335, 383 Maria 139, 155, 193, 279, 311 Maria von Betanien 278–281 Mariologie 41 Markion 263 Martha 155, 193 Martyrium 183, 191 Maß 32f., 87, 173 Materie 83, 98f., 145, 157, 207, 267, 407 Medizin 377 Meer 271 Mensch – alter/neuer Mensch 153, 217 – innerer Mensch 16, 23, 59, 64–67, 69, 71, 73, 158–161, 163, 240, 297, 301 Messias 8 Metaphysik 91, 98, 266, 362, 378 Midrasch 60f., 106 Milch 59, 67, 152, 156, 157 Minucius Felix 231 Miriam 179, 181, 185, 327 Mischna 60, 105 Mission 354f. Mittag 221, 223, 224–229 Mitte 239, 366–369 Mittler 35, 38, 105, 129, 145, 149, 261, 267, 301, 374f. Modalismus 77 Mönchtum 44, 45 Mond 209, 369 Mose 92, 98, 104, 107, 129, 179, 181, 184–187, 193, 201, 207, 247, 274, 301, 327, 348, 355, 367, 409, 411 Mühe 207, 291, 305, 361, 373 Mund 97, 127, 131, 135, 156, 171, 185, 309, 315, 411 Muße 391 Mutter 115, 208–211, 214–217

476

Register

Myrrhe 37, 39, 145, 147, 284–289, 291, 293, 331 Mysterium (myste´rion/mysterium) 8, 90, 105, 147, 149, 151, 189, 191, 221, 223, 227, 229, 245, 259, 261, 263, 269, 274, 275, 295, 297, 317, 319, 331, 395, 407, 413, 427 Mystik 18, 23, 45f., 59, 60, 83, 91, 95, 100f., 137, 139, 149, 173, 219, 225, 249, 261, 275, 343, 351, 371, 387, 393, 409 – mystische Hochzeit 57, 89, 101 Nachahmung/Nachfolge 22, 37, 82, 171, 190, 297, 305 Nachlässigkeit 201, 213, 223, 244– 249, 343, 369, 401 Nächstenliebe siehe Liebe Nacht 227 Nacken 255, 259, 295 Name 111, 153, 155, 165, 167, 251, 333 Narde/Nardenöl 35, 279, 281, 283, 285, 291, 293 Nasiräer 143 Natur 17, 24, 28, 30f., 33f., 35, 36– 39, 61, 63, 69, 78–81, 81, 82, 85, 91, 99, 131, 152, 157, 200, 201, 203, 242, 243, 265, 304, 333, 341, 365, 369, 377, 385, 394, 397, 401 – Naturgesetz/Naturrecht 131, 266 – Naturphilosophie siehe Philosophie Netz 26f., 39 Nichts 398f. Nimrod 391 Noah 139, 193, 317 Nüchternheit 89, 315 Numenios 240 Nutzen 29, 45, 108, 109, 199, 258, 313, 365, 367, 383, 389, 404f.

Öl siehe Salböl Ölbaum 203 Offenbarung 17, 19, 27, 30, 36, 89, 119, 143, 149, 239, 264, 269, 270– 273, 274, 277, 319, 357, 363, 377, 389, 409 Oikonomia (oikonomı´a) siehe Vorsehung Ohr 59, 163, 167, 193, 255, 257, 283, 371, 387, 411 Opfer 145, 183, 191, 195, 229, 309, 361 Ordnung 71, 181, 191, 257, 371 Ovid 62 Parabel siehe Gleichnis Paradies 139, 158, 167, 335 Paränese 59 Paraklet 89, 297 Parusie 366 Pascha 229, 297, 389 Passion 189, 271, 313, 341, 389, 399 Patriarch 20, 43, 202, 261, 273, 274 Paulus 8, 21, 33, 59, 65, 67, 87, 103, 119, 155, 159, 167, 203, 211, 213, 215, 219, 229, 261, 267, 269, 283, 301, 303, 313, 320, 321, 323, 327, 333, 339, 343, 345, 355, 363, 397, 401, 407, 409, 411, 413 Perle 281 Person 59, 127, 129, 131, 149, 151, 177, 181, 198f., 319, 351, 377, 417 Petrus 119, 135 Pfeil 17, 71f., 77, 334–347 Pferd 38, 250–253, 295, 369 Pflanze 343, 365, 367 Pflicht 94 Pharao 147, 204, 206f., 248–251, 253, 255, 295, 327 Pharisäer 379 Philon von Alexandria 59, 65, 80, 88, 101, 114, 146, 147, 148, 150,

Namen und Sachen

158, 185, 187, 188, 192, 226, 266, 334, 337, 426 Philosophie 17, 84, 91, 93, 95, 99, 101, 102, 149, 187, 191, 212, 229, 232, 244f., 282, 427 – Naturphilosophie 17, 27, 43 Physik 90–93, 94, 95, 99, 100, 101, 149, 155, 362 Physiologus 349, 394, 420 Pilatus 379 Platon 46, 62, 64, 82, 84, 88, 90, 91, 113, 232, 240, 282, 336 Platonismus 16, 28, 36, 57, 91, 239, 240, 241, 242, 267, 362–367, 398 Plinius 146, 256, 272, 284, 288, 290, 348, 360 Plotin 398 Plutarch 90, 91, 231 Pneumatiker siehe einfache/vollkommene Christen Prädestination 33, 260–263 Präexistenz (der Seele/Vernunftwesen) 19, 25, 30, 35, 37, 129, 157, 240f. – der Kirche 19f., 349 Presbyter 80, 190, 303, 325 Priester 79, 119, 137, 147, 185, 187, 359 Prinzip siehe Anfang Prophetie/Propheten 18, 19, 20, 22, 27, 92, 97, 105, 108, 111, 123, 129, 131, 137, 141, 143, 149, 151, 167, 173, 213, 223, 225, 239, 257, 261, 262f., 263, 268–271, 273, 274, 287, 295, 299, 305, 311, 317, 329, 349, 354, 355, 357, 369, 375, 379, 385, 38 6–389, 399, 403 Protreptikos 290 Quelle 143, 171, 283, 389 Rahel 75, 77, 87, 381 Rätsel 95, 131, 186f., 189, 191, 313,

477

315, 349, 385 Rebekka 75, 77 Redlichkeit (aequitas) 172–175 Regel der Wahrheit (regula ueritatis) 218 Regen 109, 303, 389, 395, 397, 399 Reich Gottes 104f., 143, 249, 317, 319, 365, 392, 401, 403 Reichtum 339, 341 Reinheit 58, 59, 60, 72, 99, 104, 131, 133, 147, 208, 218f., 227, 253, 257, 277, 287, 293, 297, 305, 325, 361, 377, 414 Reticius von Autun 41, 44 Rettung siehe Erlösung Rhetorik 188, 209, 235, 427 Rom 4 Rose 7 Rücken 253, 297 Rufinus von Aquileja 3f., 5, 15, 42, 56, 59, 66, 72f., 81, 90, 95, 105, 109, 110, 120, 121, 122, 146, 151, 176, 179, 182, 186, 189, 200, 263, 265, 272, 282, 296, 308, 331, 339, 354, 359, 376, 393, 413, 415, 416f., 420 Ruhe 155, 221, 271, 273, 277, 297, 311, 395, 407, 411 Ruhm 235 – Ruhmsucht 29, 337 Sabbat 313, 367 Salböl 21, 27, 36, 133, 135, 144–149, 153, 161, 225, 279, 281, 283, 285, 331 Salbung 145, 149, 162–165, 225, 279, 283 Salomo 6f., 13, 17, 42, 57, 61, 89, 92f., 99, 103, 111, 112–125, 138– 141, 149, 159, 179, 180–183, 186– 193, 196–199, 201, 231, 305, 319, 331, 366, 375, 407, 409 Samariter 79, 80

478

Register

Samson 421, 425 Sanftmut 277 Saul 111 Schaf 217, 219, 220–225, 231, 239 Scham 221, 255 Schatten 179, 225, 229, 267, 268, 299, 301, 309, 310–315, 414f. Schatz 143, 167, 169 Schau (theorı´a/contemplatio) 16, 17, 22, 24, 27, 34, 43, 71, 90f., 100f., 103, 149, 155, 186, 187, 189, 190– 193, 226f., 229, 267, 275, 295, 299, 301, 315, 337, 349, 378f., 409, 422 Schild 337 Schilfrohr 147 Schlange 349, 369, 371, 373, 374, 375, 379, 406–409, 429 Schmuck 129, 137, 175, 189, 199, 255, 259, 295, 297 Schönheit 13, 21, 26, 60, 71f., 74, 75, 103, 129, 135, 137, 153, 177, 179, 195, 199, 209, 231, 233, 237, 239, 245, 247, 253, 255, 257, 259, 295, 297, 299, 301, 337, 341, 387, 393, 395, 411, 413, 415 Schöpfung siehe Kosmos Schuld 177, 239, 245, 401 Schule 149, 229, 245 Schüler 118–121 Schwachheit 29, 36, 38, 161, 209, 235, 252, 263, 330, 341 schwarz 21, 26, 161, 176–179, 185, 187, 191, 193, 195, 197, 199, 200– 209 Schwert 185, 335, 421, 423, 424f. Seele – Seele Jesu 36f. – Seelenleitung 232, 233 – Seelenteile 240 – Seelenwanderung 30, 242 – Seelsorge 232f. , 342–345 Segen 179

Sehnsucht 63, 87, 89, 93, 103, 126– 129, 131, 149, 171, 233, 269, 273, 275, 289, 313, 317, 335, 337, 351, 361, 375, 381, 383, 395 Sehsinn siehe Sinneswahrnehmung Selbstbestimmung 402f. Selbsterkenntis siehe Erkenntnis Semantik 95, 97 Seneca 91, 231 Senfkorn 365 Septuaginta 4, 74, 75, 95, 107, 112, 114, 120, 136, 150f., 176, 179, 182, 184, 194, 200, 222, 230, 263, 284, 285, 331, 354, 412 Sextus Empiricus 188, 412 Silber 264–271, 275, 296, 297, 412– 415 Sinn/Sinnesorgan 28, 36, 59, 146, 147, 154–163, 162, 166f., 211, 387, 392–395, 413 Sinneswahrnehmung 159, 169 – Gehörsinn 157, 159, 161, 163, 255, 363 – Geruchssinn 154–157, 159, 161, 283, 293, 309, 397, 407 – Geschmackssinn 157, 159, 161, 163, 283, 309 – Sehsinn 157, 159, 161, 163, 377, 407 – Tastsinn 157, 159, 161 Sizilien 4 Sklave 118–121 Sodom 141, 213 Sohn (Gottes) siehe Trinität Sommer 353 Sonne 24, 200–209, 225, 301, 303, 313, 314, 369, 407 Sophismus 95, 97 Sophist 210f. Soteriologie 132 Speise 59, 67, 69, 71, 141, 152, 156–159, 181, 189, 275, 277, 309, 319, 335

Namen und Sachen

Spiegel 189, 191 Spiritualität 83, 89 Stein 36, 287 Stern 369 Stimme 349, 360–363, 373, 375, 395, 399, 403, 405, 407, 411, 415 Stoa 91, 134, 188, 362, 412 Stolz siehe Hochmut Strafe siehe Gericht Sturm 363, 371, 395, 397, 399, 403 Substanz siehe Wesen Suchen und Finden 384f. Sünde 9, 21, 23, 24, 26, 32, 35, 38, 39, 107, 115, 141, 145, 149, 178, 179, 195, 197, 199, 202, 209, 215, 219, 233, 239, 245, 249, 251, 287, 297, 305, 323, 341, 369, 371, 373, 390f., 391, 396–399, 401, 407, 409, 418, 419, 427 – Sündenbock siehe Bock – Sündenvergebung 26 süß/Süße 153, 157, 275, 277, 279, 285, 289, 291, 309, 311, 317, 397, 401, 403, 411, 415 Symbol 7, 9, 14, 38, 39, 100f., 102, 108, 148, 155, 186, 187, 266, 267, 269, 287, 296, 297, 374, 379, 425 Symmachus 4 Synagoge 9, 10, 185, 187 Tag 223, 227 Tal 107, 305, 307, 357, 359, 394 Talmud 7 Tamar 75, 259, 404 Tapferkeit 336 Targum 6f., 105 Tastsinn siehe Sinneswahrnehmung Tatian 92 Taube 107, 161, 218f., 294–297, 299, 383, 389, 395, 397, 405, 413 – Turteltaube 255, 257, 295, 394f., 399, 403, 407 Taufe 21, 26, 39, 147, 253, 257, 261,

479

263, 271, 289, 399, 405 Täuschung siehe Lüge Teilhabe 22, 130, 263, 281, 291, 299, 301, 335, 395, 397 Tempel 139, 269, 271, 423, 427 Tertullian 92, 240, 262, 264 Teufel 26, 27, 28, 38, 39, 87, 215, 219f., 261, 301, 310, 314, 337, 369, 370, 371, 373, 374f., 379, 391, 398, 409, 417, 418, 419, 421 Thales von Milet 231 Theodor von Mopsuestia 42 Theodoret von Cyrrhus 42f. Theodotion 4 Theologie 91, 94, 95, 100 Theophilus von Antiochia 92, 262 Thomas Cisterciensis 45 Tier 364–367, 368–371 Tod 38, 39, 109, 117, 147, 151, 161, 163, 195, 225, 287, 311, 313, 315, 323, 337, 340, 387, 391, 392, 395 Tosefta 105 Tradition 80, 92f., 105, 106, 213, 214, 380 Traduzianismus 30, 240 Trank 69 Trägheit siehe Nachlässigkeit Traube 141, 288–293, 319 Traurigkeit 235, 237, 411 Trinität 30, 81, 239, 243, 263, 277, 298, 368, 376f. – Vater (Gott Vater) 77, 79, 89, 115, 117, 121, 127, 129, 135, 145, 155, 169, 193, 199, 215, 217, 222, 239, 249, 265, 271, 275, 277, 297, 303, 305, 321, 335, 341, 353, 363, 376, 376–379, 391, 397, 401, 409, 411, 414–417 – Sohn (Gott Sohn) 77, 79, 89, 115, 129, 145, 163, 169, 222, 223, 230, 239, 261, 277, 297, 303, 321, 329, 335, 341, 345, 376, 377, 379, 409, 411, 415

480

Register

– Geist (Gott Heiliger Geist) siehe Geist (pneuˆma/spiritus) Trost 225, 331 Trunkenheit 317, 319 Tür 169, 225 Tugend 32, 83, 85, 88, 91, 102, 130, 169, 174f., 182, 201, 205, 219, 225, 232–235, 243, 263, 268, 277, 291, 303, 316f, 330, 333, 336, 395, 397, 399, 411, 413, 417, 427, 429 Typologie 10, 80, 114, 139, 179, 183, 185 Übel siehe böse/das Böse Übersetzung 3f., 9, 15, 59, 121, 122, 150, 151, 223, 284, 354 Übung 159, 161, 171, 177, 247, 343 Umkehr 24, 26 Ungehorsam 203, 259 Ungerechtigkeit 213, 225 Unglaube 203, 211, 213, 215, 399 Unkörperlichkeit 239, 377 Unsterblichkeit 69, 79, 81, 187, 243, 327, 403 Unterscheidung 67, 157, 159, 161, 237, 242, 283, 325, 417 Unveränderlichkeit 35, 36f., 243, 304, 345 Unvergänglichkeit siehe Unsterblichkeit Vater (Gott Vater) siehe Trinität Verantwortung 25, 33, 96, 235 Verdienst 32f., 34, 132f., 201, 219, 241, 243, 321, 325, 327, 343 Verfolgung 22f., 87, 290, 327, 351 Vergebung 149, 247, 399 Verheißung 202, 211, 403, 417, 422 Verklärung 357 Verkündigung 355, 381, 414, 415 Verlangen siehe Sehnsucht Vernunft 31, 33, 59, 63, 71, 85, 96, 97, 115, 130f., 135, 157, 162, 189,

200, 219, 225, 227, 235, 242, 243, 265, 287, 297, 321, 327, 363f., 370, 373, 380f., 398, 400, 402, 413 Verschiedenheit 25, 33f., 115, 141 Versöhnung 38, 145 Verstockung 204, 206 Versuchung 22f., 26, 28, 34, 249, 261, 299, 301, 353, 370, 391, 397, 403, 407, 413, 415 Victorinus von Petau 41 Vielheit 35, 199, 266, 334 Völker (Heiden) 113, 177, 179, 181, 183, 185, 187, 189, 192–195, 199, 203, 211, 213, 221, 228, 271, 285, 287, 305, 307, 311, 313, 341, 369, 399, 413, 421, 425 vollkommene Christen siehe einfache/vollkommene Christen Vollkommenheit 3, 15, 20, 21f., 23, 24, 25, 26, 27, 31, 34, 36, 59, 61, 66f., 87, 99, 100, 104–107, 115, 119, 128f., 133, 143, 147, 149, 153, 154f., 159, 165, 169, 171, 173, 214, 219, 225, 226, 235, 245, 247, 255, 259, 263, 268, 272–275, 277, 291, 293, 297, 313, 317, 325, 329, 343, 358, 365, 369, 373, 375, 397, 401, 411, 429 Vorsehung 215, 337, 340f., 419 Vulgata 107, 136, 194, 223, 230, 263, 285, 354, 412 Wahrheit 63, 79, 83, 89, 98, 147, 163, 175, 179, 186, 187, 229, 237, 266–269, 303, 307, 309, 313, 315, 317, 320, 323, 385, 411, 415, 421, 425, 427 Wange 257, 295 Wasser 69, 107, 109, 223, 225, 271, 283, 359, 371, 389 Weg 23, 26, 102f., 153, 169, 203, 205, 221, 225, 235, 280, 299, 307,

Namen und Sachen

313, 321, 323, 345, 371, 391, 407, 409 Wein 133, 135, 136–143, 151, 170– 173, 191, 213, 217, 291, 309, 314– 319, 329, 331, 335, 381, 383, 385, 387 Weinberg/Weinstock 71, 139, 141, 209, 211, 212–215, 217, 271, 289, 291, 303, 317, 319, 335, 389, 397, 399, 401, 403, 407, 419, 421, 429 weiß 38, 161, 199, 201, 250–253 Weiser 13, 61, 73, 93, 97, 123, 131, 231, 246, 247, 413, 427 Weisheit (sophı´a/sapientia) 22, 27, 28, 39, 63, 72, 74–77, 79, 83, 92, 93, 97, 99, 103, 115, 116, 117, 123, 131, 137, 139, 141, 143, 149, 167, 169, 171, 173, 175, 181, 182, 187, 188f., 201, 228f., 231, 247, 249, 266f., 275, 287, 291, 297, 299, 305, 307, 309, 317, 319, 331, 337, 339, 341, 359, 363, 364, 367, 369, 371, 385, 387, 395, 399, 407, 409, 419, 423 – autosophı´a 399 Welt 151, 158f., 297, 315, 317, 342, 349, 353, 355, 358, 367, 371, 387, 399, 407, 418 Werke 88, 103, 137, 187, 193, 219, 227, 280, 281, 299, 301, 307, 333, 351, 378f., 399, 401 Wesen (ousı´a/substantia) 155, 175, 179, 233, 238–241, 243, 245, 275, 323, 367, 376f., 396–399 Whitehead, Alfred 46 Wilhelm von St. Thierry 41, 44f.

481

Wille 252f., 343, 345, 373 – Wille Gottes 111, 136, 189 – Willensfreiheit siehe Freiheit Winter 22, 353, 389, 395, 397, 399, 403, 405, 407 Winzer 316f., 334, 397 Wissenschaft 16, 17, 31, 43, 85, 90– 93, 99, 212 – Wissenschaftstheorie 93 Wolke 271, 363, 388, 399 Wunder 129 Würdigkeit 32, 33, 89, 133, 157, 171, 187, 255, 299, 345, 411 Wüste 9, 143, 157, 261, 363, 371, 375, 395 Xenokrates 90 Xenophon 62 Zahl 33, 106, 107, 111, 119, 146– 149, 155, 193, 199, 218–221, 229, 327, 425, 427 Zeder 303 Zeit 227, 369, 399 Zelt 101, 102, 113, 141, 179, 227, 233, 239, 245, 264, 267 Zenon 134 Ziel/Zweck siehe Ende Zimt 39, 147, 287, 289 Zorn 129, 183, 205, 235, 251, 411 Zunge 69, 147, 265 Zustimmung (synkata´thesis/consensio) 419, 427 Zuversicht 197, 215, 313, 333, 345, 391 Zypresse 303