Werke mit deutscher Übersetzung: Band 10 Die Homilien zum Buch Jesaja 9783110215090, 9783110204360

In this work Origen's homilies on Isaiah are translated into German for the first time. These homilies, which have

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Werke mit deutscher Übersetzung: Band 10 Die Homilien zum Buch Jesaja
 9783110215090, 9783110204360

Table of contents :
Einleitung
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
1. Der Jesajakommentar
2. Die Jesajahomilien
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
1. Die Gaben des Geistes in Jes. 11,1–3
2. Der Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f.
3. Die Vision Jesajas in Jes. 6,1–7
III. Die Theologie der Jesajahomilien
1. Theologie des christlichen Lebens – Die Jesajadeutung des Origenes
2. Nachfolge und Teilhabe: Jesaja als Vorbild christlicher Vollkommenheit
3. Gott und Geschichte: Jesajas Vision des trinitarischen Gottes
4. Christus alles in allem und das certamen Dei – Der theologische Ertrag der Jesajahomilien
IV. Die Jesajahomilien im ersten Origenismusstreit
1. Altkirchliche Jesajakommentare
2. Die Vision Jesajas in den trinitätstheologischen Debatten des 4. Jahrhunderts
3. Die Übersetzung der Jesajahomilien des Origenes durch Hieronymus
3. Der Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas
V. Überlieferung, Ausgaben und Übersetzungen
Die Homilien des Origenes zum Buch Jesaja in der Übersetzung des Hieronymus
Homilie 1
Homilie 2
Homilie 3
Homilie 4
Homilie 5
Homilie 6
Homilie 7
Homilie 8
Homilie 9
Anhang
Fragmente und Zeugnisse des Jesajakommentars
Fragmente
Zeugnisse
Hieronymus, Brief 18 B
Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas
Bibliographie
Quellen
Literatur
Register
1. Bibelstellen
2. Origenesstellen
3. Namen und Sachen

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Orígenes W e r k e mit deutscher Ubersetzung

10

HERDER

ZTl F R E I B U R G · BASEL

WIEN

Orígenes Werke mit deutscher Übersetzung Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Forschungsstelle Orígenes der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster herausgegeben von Alfons Fürst und Christoph Markschies

Band 10

Walter de Gruyter · Berlin · New York Herder Freiburg · Basel · W i e n

Orígenes Die Homilien zum Buch Jesaja Im Anhang:

Fragmente und Zeugnisse des Jesajakommentars und:

Theophilus von Alexandria Traktat gegen Orígenes über die Vision Jesajas

Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Christian Hengstermann

Walter de Gruyter · Berlin · N e w Y o r k Herder

Freiburg · Basel · W i e n

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN WdG: 978-3-11-Ü20436-0 ISBN Herder: 978-3-451-32915-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Copyright 20Ü9 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen

Inhalt Einleitung I. Die Jesajaauslegung des Orígenes 1 . Der Jesajakommentar a) Nachrichten über den Jesajakommentar b) Fragmente c) Testimonien 2. Die Jesajahomilien a) Datierung b) Die Echtheit der neunten Homilie c) Kommentierte Jesajaverse und die Sequenz der Homilien . . d) Die lateinischen Jesajahomilien als Auswahlübersetzung . . . .

3 4 4 6 15 20 20 23 27 31

II. Die Jesajaexegese des Orígenes in den Homilien 1 . D i e Gaben des Geistes in Jes. 11,1—3 a) Exegetische Kombinatorik: Jes. 4,1 und 1 1 , 2 f. b) Die sieben Gaben des Geistes in der altkirchlichen Theologie 2. Der Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. a) Der Verstockungsauftrag im Kontext des Buches Jesaja . . . . b) Der Verstockungsauftrag in jüdischen Traditionen und Ubersetzungen c) Das Motiv der Verstockung Israels im urchristlichen Schrifttum d) Das Verstockungsmotiv in der altkirchlichen Theologie . . . . e) Prädestination und Freiheit: Das Verstockungsmotiv bei Augustinus und Orígenes 3. Die Vision Jesajas in Jes. 6,1—7 a) Die Vision Jesajas als Symbol für die Trinität b) Engelchristologie? c) Traditionsgeschichtliche Hintergründe der origeneischen Deutung

35 36 37 40 45 46 50 53 62 65 74 75 77 83

VI

Inhalt

III. Die Theologie der Jesajahomilien 1. Theologie des christlichen Lebens — Die Jesajadeutung des Orígenes 2. Nachfolge und Teilhabe: Jesaja als Vorbild christlicher Vollkommenheit a) Piatonismus im Christentum: Die Gottesschau und die Immanenz des Logos im Gläubigen b) Stufen der Vollkommenheit: Die Entfaltung der Logosimmanenz im christlichen Leben Die Uberwindung des „inneren Usija" und die imitatio Iesu Die geistige Erkenntnis von Schrift und Wirklichkeit Gotteserfahrung und geistige Sinnlichkeit c) Der einzelne Christ und die Kirche 3. Gott und Geschichte: Jesajas Vision des trinitarischen Gottes . . a) Gott — Anfang, Mitte und Ende: Christliche Weltdeutung zwischen Jes. 6 und Nom. 4 b) Gottes Anfang und Ende: Der trinitarische Gott in sich . . . . c) Gottes Mitte: Der trinitarische Gott in Welt und Geschichte Gottes Wort: Urbild und Seele der Welt Die ,,Fülle der Herrlichkeit Gottes" und die paideia Christi . Der Geist und seine Gaben 4. Christus alles in allem und das certamen Dei - Der theologische Ertrag der Jesajahomilien

98 98 103 103 113 113 124 126 129 132 132 140 144 144 147 155 159

IV. Die Jesajahomilien im ersten Origenismusstreit 1. Altkirchliche Jesajakommentare 2. Die Vision Jesajas in den trinitätstheologischen Debatten des 4. Jahrhunderts 3. Die Ubersetzung der Jesajahomilien des Orígenes durch Hieronymus a) Interpolationen und Eingriffe des Hieronymus in den Text . b) Das Schweigen des Hieronymus über die Jesajahomilien . . . 3. Der Traktat gegen Orígenes über die Vision Jesajas a) Entdeckung und Autorschaft: Theophilus von Alexandria . . b) Die Kritik des Theophilus an der Jesajadeutung des Orígenes

162 162

170 171 176 180 180 181

V. Uberlieferung, Ausgaben und Ubersetzungen

188

165

Die Homilien des Orígenes zum Buch Jesaja in der Ubersetzung des Hieronymus Homilie 1 Homilie 2

194 208

Inhalt

Homilie Homilie Homilie Homilie Homilie Homilie Homilie

3 4 5 6 7 8 9

VII 218 228 242 254 280 294 300

Anhang Fragmente und Zeugnisse des Jesajakommentars Fragmente Zeugnisse Hieronymus, Brief 1 8 Β

308 314 322

Theophilus von Alexandria Traktat gegen Orígenes über die Vision Jesajas

330

Bibliographie Quellen Literatur

367 368

Register 1. Bibelstellen 2. Origenesstellen 3. Namen und Sachen

381 390 393

Einleitung

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes* Das Buch Jesaja spielte in der antiken christlichen Literatur eine herausragende Rolle. Jesaja wurde von den ersten Christen und insbesondere von den Verfassern der neutestamentlichen Schriften als der messianische Prophet par excellence angesehen; entsprechend oft wurde auf das unter seinem Namen überlieferte Buch zurückgegriffen. Im Neuen Testament ist das Buch Jesaja neben dem Psalter die am häufigsten verwendete Schrift des Alten Testaments: Zu ungefähr fünfzig expliziten Zitaten aus etwa vierzig Stellen der Jesajasammlung kommt, vor allem in der Offenbarung des J o hannes, eine noch größere Zahl von mannigfaltigen Verweisen, Anspielungen und Reminiszenzen. 1 Auch in den folgenden christlichen Generationen behauptete das Jesajabuch diese Stellung; in den theologischen Schriften wurde es ausgiebig benutzt und kommentiert, auch wenn wohl wegen seines großen Umfangs nur wenige vollständige Kommentare geschrieben wurden und noch weniger erhalten sind.2 Letzteres gilt gleich für den Kommentar des ersten christlichen Theologen, der sich intensiv mit dem Buch Jesaja beschäftigt hat. Orígenes hat es Hieronymus zufolge in allen drei exegetischen Gattungen ausgelegt, die in der späteren Antike gängig waren und derer er sich in seiner exegetischen Arbeit auch sonst bediente: in einem wissenschaftlichen Kommentar, in Predigten (Homilien) und in Form von Notizen zu einzelnen Versen oder Perikopen (Scholien). 3 Von dieser umfangreichen Jesajaauslegung ist jedoch nur wenig erhalten.4 Die Jesajahomilien gehören nicht zu den zentralen Werken des Orígenes und spielen in der Origenesforschung keine große Rolle. U m diese Lücke zu füllen, werden sie in der folgenden Einleitung eingehend analysiert. *

1 2

3

4

Die Kapitel I, II, IV und V der Einleitung stammen von Alfons Fürst, Kapitel III von Christian Hengstermann. Für die gemeinsame Erarbeitung der übrigen Teile des Buches siehe unten S. 190 f. Siehe JAY, Art. Jesaja 787-792. JAY, ebd. 7 9 5 - 8 1 1 . Z u Jesajazitaten in der altchristlichen Literatur: ZII.GI.I'.R, Isaías 1 7 - 2 1 . Siehe die Ubersicht über die altkirchlichen Jesajakommentare unten S. 162-165 . Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 137F.). Z u diesen exegetischen Gattungen siehe die grundsätzliche Bemerkung des Hieronymus im Vorwort zu seiner Ubersetzung der Ezechielhomilien des Orígenes, in Hiez. hom. praeF. (GCS Orig. 8, 318), und dazu KLOSTEEMANN, Formen; JUNOD, Homilien; ders., Scholies. Für das Folgende siehe GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 1 2 - 3 3 ; FÜRST, Hieronymus gegen Orígenes 1 9 9 F

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Einleitung

1. D e r Jesajakommentar a) Nachrichten über den Jesajakommentar A u f seinen Jesajakommentar hat Orígenes einmal selbst hingewiesen. Die „Auslegungen des Jesaja", die er in der 248/49 geschriebenen Apologie gegen Kelsos neben denen des Ezechiel und einiger der zwölf kleinen Propheten erwähnte, dürften sich auf den Kommentar beziehen; im Kontext geht es nämlich darum, inkohärente und ganz unklare Stellen Wort für Wort zu erklären 5 — was das für einen antiken exegetischen Kommentar typische Verfahren war. Was wir über diese Information des Orígenes zur bloßen Existenz eines Jesajakommentars hinaus wissen, beruht auf Angaben des Pamphilus, des Eusebius und des Hieronymus. Eusebius von Caesarea berichtet in seiner Kirchengeschichte zur R e g i e rungszeit des römischen Kaisers Gordian III. (Januar/Februar 238 - Anfang 244), 6 Orígenes habe um diese Zeit seine Erklärungen zu Jesaja (ferner zu Ezechiel und zum Hohenlied) verfasst. Genauere Angaben zur Datierung scheinen schon Eusebius nicht mehr vorgelegen zu haben, und wenn man seine Angaben sehr kritisch beurteilt, sieht es so aus, als habe er diese zeitliche Einordnung nur dazu vorgenommen, um diese Kommentare des Orígenes irgendwo in dessen Biographie unterzubringen. 7 Einigermaßen sicher wird man sagen können, dass der Jesajakommentar nicht zu den großen Werken gehört, die Orígenes schon in Alexandria begonnen hat (wie der Genesis- und der Johanneskommentar), sondern dass er zur Gänze in Caesarea in Palästina entstanden ist. Eusebius lagen davon 30 Bücher vor, „die bis zum dritten Teil des Buches Jesaja, bis zur Vision der Vierfüßigen in der Wüste", reichten, 8 näherhin bis Jes. 30,5. Diese Vision selbst in Jes. 30,6f. hat Orígenes (zumindest in diesem Buch) nicht mehr kommentiert, denn in seinem eigenen Jesajakommentar hat Eusebius unmittelbar vor der Auslegung dieser Verse ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass das dreißigste Buch des Kommentars des Orígenes zu dem Propheten bis hierher (nämlich Jes. 30,5) reichte". 9

5

6 7 8 9

Orígenes, Cels. VII 11 (GCS Orig. 2, 162); Text und Übersetzung unten S. 3 i 4 f . BORRET, SC 150, 39, übersetzt daher die Wendung ευ τοις πραγματευθεΤσιν ήμΐυ εις τον Ήσαΐαυ zu Recht mit „dans mes Commentaires d'Isaïe". Das Datum nach KII;NAST, Kaisertabelle 195. So NAUTIN, Origène 87-89. Vgl. ebd. 247f. Eusebius, hist. eccl. VI 32,1 (GCS Eus. 2, 586), zitiert in der Suda, Ω 182 (III p. 619 A D L E R ) ; Text und Ubersetzung unten S. 3i4f. In Is. 98 (GCS Eus. 9, 195). Vgl. GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 15. Siehe unten S. 3 1 6 f .

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

5

O b es j e mehr B ü c h e r gegeben hat, ist angesichts weiterer, aber w i d e r sprüchlicher Angaben in den Quellen nicht sicher auszumachen. Einerseits bestätigte Hieronymus im Prolog zu seinem Jesajakommentar die Angaben des Eusebius und ergänzte diese u m einige Informationen. Orígenes hat demnach iuxta editiones quattuor, d.h. auf der textlichen Basis der vier Versionen des griechischen Alten Testaments (nämlich des Aquila, des S y m machus, der Septuaginta und des Theodotion), die Orígenes in der Hexapla synoptisch in den letzten vier Spalten hatte nebeneinander schreiben lassen, einen dreißigbändigen Jesajakommentar geschrieben, der „bis zur Vision der Vierfüßigen in der W ü s t e " reichte. Das 26. B u c h lag Hieronymus allerdings nicht mehr vor. Ferner kannte Hieronymus zwei andere B ü c h e r über die Vision in Jes. 30,6f., die einer ansonsten unbekannten Frau namens Grata gewidmet waren und schon zu seiner Zeit, wie er erwähnte, als pseudepigraphisch galten. 111 Andererseits vermerkte Hieronymus in seinem Verzeichnis der Schriften des Orígenes 36 Bücher des Jesajakommentars. 1 1 Könnte diese Zahl vielleicht so zu erklären sein, dass die beiden Bücher ad Gratam doch authentisch waren und sich vier weitere Bücher (bis Jes. 35 oder 39) anschlossen? 12 Angesichts des ausdrücklichen Hinweises des Hieronymus auf die Einschätzung der beiden Bücher an Grata als pseudepigraphisch darf das j e d o c h bezweifelt werden. 1 3 D a Hieronymus im Brief an Paula die Zahl der Werke des Orígenes, nicht ohne Protzerei, möglichst groß aussehen lassen wollte, scheint mehr f ü r die Angabe v o n 30 Büchern zu sprechen. A u c h die wenigen Spuren, die der Jesajakommentar in der handschriftlichen Uberlieferung (speziell der Septuaginta) hinterlassen hat (s.u.), führen nicht über diese Zahl hinaus. Sicher scheint jedenfalls zu sein, dass Orígenes nicht das ganze Jesajabuch kommentiert hat. Nebenbei sei bemerkt, dass ein derartiges Problem im Œ u v r e des O r í genes nicht singulär ist. A u c h im Falle des Johanneskommentars ist schwer zu sagen, ob er j e mehr als die 32 B ü c h e r umfasst hat, v o n denen H i e r o nymus berichtet, 14 und v o n dem das 32. B u c h auch erhalten ist. Dessen

10 11 12

13 14

Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, i37f.); Text und Übersetzung unten S. 3i8f. Epist. 33,4 (CSEL 54, 255). So Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 13-15, die diese hypothetische Überlegung damit kombinieren, dass laut Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138), der Jesajakommentar Didymus' des Blinden bei Jes. 40 einsetzte - gleichsam in Fortsetzung des origeneischen Kommentars? Mit Jay, Art Jesaja 805. Hieronymus, epist. 33,4 (CSEL 54, 256); in Luc. hom. praef. (GCS Orig. y3, 1); vgl. Rufmus, apol. c. Hieron. II 26 (CChr.SL 20, 102). Die Zahl 22 bei Eusebius, hist, eccl. VI 24,1 (GCS Eus. 2, 570), ist möglicherweise mit Huet als Verschreibung der griechischen Zahl λβ' (32) in κβ1 (22) zu erklären: E. Klos'it.rmann in seiner Rezension der Edition des Johanneskommentars durch Ervvin Preuschen in den GCS, in: G G A 1 6 6 (1904) 2 6 5 - 2 8 2 , hier: 265.

6

Einleitung

Schluss, in dem Orígenes nicht, wie sonst üblich, auf die beabsichtigte Fortsetzung hinwies, 13 könnte ein Indiz dafür sein, dass er die Auslegung damit abgebrochen hat. 16 Es gibt aber einige, wenn auch schwache Hinweise darauf, dass die Auslegung über den zuletzt kommentierten Vers Joh. 13,33 hinausreichte. So bezog sich Orígenes im Matthäuskommentar auf seine Ausführungen über Joh. 19, 1 7 und in den Fragmenten aus den Katenen begegnen immerhin drei Bruchstücke aus späteren Stellen des Johannesevangeliums, nämlich zu Joh. 14,3, 1 7 , 1 1 und 20,25 1 8 — falls denn diese Stücke zu R e c h t Orígenes zugewiesen werden 1 9 und falls sie aus dem J o hanneskommentar und nicht aus anderen Werken des Orígenes stammen. 20 Die Frage ist so schwer lösbar wie beim Jesajakommentar, doch deuten die meisten Indizien darauf hin, dass der Johanneskommentar nie mehr als 3 2 und der Jesajakommentar nie mehr als 30 Bücher umfasste. Das würde bedeuten, dass Orígenes seine ambitionierte und umfängliche Erklärung dieser zentralen biblischen Bücher zwar jeweils in Angriff genommen, aber nicht zu Ende geführt hat. Nicht einmal ein so unermüdlicher Arbeiter wie Orígenes — der Adamantins, der „Mann aus Stahl" 21 — vermochte ein so aufwändiges Unterfangen wie eine ebenso extensive wie intensive K o m m e n tierung des umfangreichen Buches Jesaja durchzuhalten.

b) Fragmente Der Jesajakommentar ist bis auf drei Fragmente in der Apologie des Pamphilus untergegangen. Ihr Text ist, versehen mit einer deutschen Ubersetzung, unten im Anhang abgedruckt. Da es sich um die wenigen Reste des Jesajakommentars des Orígenes handelt, dürfte es angezeigt sein, ihnen an dieser Stelle einige erläuternde Bemerkungen zu widmen. Das erste Fragment stammt aus dem ersten Buch des Kommentars und erläutert wohl Jes. 1,2, w o „der Herr" (κύριος) erklärt, er habe „Söhne

15 16

17 18 19

Orígenes, in loh. c o m m . X X X I I 401 ( G C S Orig. 4, 480). So I' ii ι M in G C S Orig. 4, L X X X I . KI.OSTERMANN, R e z . G C S Orig. 4, 265 F., meint statt dessen eher auf „die resignierte S t i m m u n g " zu B e g i n n des 32. Buches verweisen zu müssen. Orígenes, in Matth, c o m m . ser. 1 3 3 ( G C S Orig. 1 1 , 270). Frg. 1 0 5 , 1 4 0 und 106 in den 1 4 1 Fragmenten bei PREUSCHEN, G C S Orig. 4, 481-574. PREUSCHEN, ebd. L X X I I , hält sie f ü r verdächtig, weil sie eben jenseits v o n J o h . 1 3,33 liegen.

20

Vgl. PREUSCHEN, ebd.

21

Als Adamantins und Chalcentems, „der bei der anstrengenden K o m m e n t i e r u n g der heiligen Schriften so viel Schweiß vergossen hat, dass er zu R e c h t den Beinamen ,der Stählerne' erhielt", bezeichnete ihn Hieronymus, epist. 33,4 ( C S E L 54, 255).

LXXXI.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

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hervorgebracht" (uîoùs εγέννησα). Orígenes sagte dazu: „Von einem Gesalbten (Christus) stammen viele Gesalbte (Christen) ab." 2 2 Diesen Gedanken hat Orígenes auch in anderen, früheren wie späteren Werken präsentiert. 23 Im sechsten B u c h des Johanneskommentars, das er zu Beginn seiner Tätigkeit in Caesarea verfasste, erklärte er die Aussage des Paulus in 2 Kor. 13,3: „Sucht ihr einen Beweis dafür, dass Christus in mir redet?" hypothetisch so: „In jedem Heiligen wird Christus gefunden, und durch den einen Gesalbten entstehen viele Gesalbte, die seine Nachahmer und nach dem gestaltet sind, der das Bild Gottes ist; daher sagt Gott durch den Propheten: ,Rührt meine Gesalbten nicht an!' (Ps. I04[i05],i5)." 2 4 In der gegen Ende seiner Tätigkeit in Caesarea geschriebenen Apologie gegen Kelsos argumentierte Orígenes ebenfalls mit „vielen Gesalbten (Christen)", die durch den einen „Gesalbten (Christus)" entstanden seien, ging dabei aber auch auf den Unterschied dieser Salbungen ein. Ebenfalls nach Zitierung von Ps. 104(105),15 schrieb er: „Denn wie wir gehört haben, dass ein Antichrist kommt, und trotzdem wissen, dass es viele Antichristen in der Welt gibt (1 Joh. 2,1 8), so wissen wir auch, dass der Gesalbte (Christus) gekommen ist, und sehen zugleich, dass durch ihn viele Gesalbte (Christen) in der Welt entstanden sind, welche gleich wie er Gerechtigkeit liebten und Ungerechtigkeit hassten und deshalb von Gott, dem Gott des Gesalbten, ebenfalls mit Freudenöl gesalbt worden sind (Ps. 44[45],8; Hebr. 1,9)." Dabei ist aber ein wichtiger Unterschied zu beachten: „Aber jener hat nun, da er mehr als die, die an ihm Anteil haben, Gerechtigkeit liebte und Ungesetzlichkeit hasste, die Erstlingsgabe des Salböls und, wenn ich so sagen soll, die ganze Salbung mit dem Freudenöl empfangen, während jeder von denen, die an ihm Anteil haben, nur soviel von seiner Salbung erhielt, wie er zu empfangen fähig war." 2 5 Die „vielen Gesalbten" sind solche also durch Teilhabe an dem einen, einzigen Gesalbten (Christus), der im vollen und eigentlichen Sinn „Gesalbter" ist.26 In der frühen Grundlagenschrift aus der alexandrinischen Zeit, Περί άρχων, hat er diesen Unterschied mit dem Bild vom Gefäß des Salböls und dessen D u f t erläutert: „Wenn es ferner heißt: ,Gesalbt hat dich Gott, dein Gott, mit Freudenöl mehr als die, die an dir Anteil haben' (Ps. 44^5],8), so zeigt das,

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25 26

Orígenes, in Is. frg. 1 bei Pamphilus, apol. Orig. 1 1 6 (SC 464, 192 bzw. F C 80, 336); Text und Ubersetzung unten S. 308f. Siehe die Hinweise bei AMACKER/JUNOD, S C 464, 193 Anm. 2. Orígenes, in loh. comm. VI 42 (GCS Orig. 4, 1 1 5 ) . Siehe dazu die Hinweise von BI.ANC, S C 157, i6of. Anm. 2 und 3. - Anlässlich der Gestalt Johannes' des Täufers, der für Christus gehalten werden konnte, kam Orígenes konkret auf diese Gestaltung nach dem Bild Gottes zu sprechen: ebd. VI 252 (4, 1 57f.). Cels. VI 79 (GCS Orig. 2, 1 jof.); Ubersetzung nach KoinsCHAu, B K V 2 I 53, 204f. Zur philosophischen und theologischen Reichweite dieses Gedankens siehe unten S. 1 0 3 - 1 1 2 .

Einleitung

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dass diese Seele (sc. die Seele Christi) in anderer Weise mit Freudenöl, das heißt mit dem Wort und der Weisheit Gottes, gesalbt wird als die, die an ihr Anteil haben, das heißt die heiligen Propheten und Apostel. Von j e n e n heißt es, sie seien im D u f t seiner Salben gelaufen (Hld. 1,4), diese Seele aber war ein Gefäß des Salböls selbst, an dessen D u f t die Würdigen Anteil erhielten und so Propheten und Apostel w u r d e n . " U n d zur Verdeutlichung erklärte Orígenes: „ W i e man also den D u f t des Salböls v o n seiner Substanz unterscheiden muss, so auch Christus v o n denen, die an ihm Anteil haben. U n d w i e das Gefäß, das die Substanz des Salböls enthält, auf keinen Fall einen schlechten Geruch annehmen kann, während die, die an seinem Geruch teilhaben, w e n n sie sich v o n seinem D u f t entfernen, einen üblen Geruch v o n außen annehmen können, ebenso konnte Christus, w i e das Gefäß, das die Substanz des Salböls enthält, unmöglich den entgegengesetzten Geruch in sich aufnehmen, während bei denen, die an ihm teilhaben, die Teilhabe und Aufnahmefähigkeit sich nach ihrer N ä h e zu dem G e f ä ß bemisst." 2 7 Diese Texte zeigen, dass Fragment 1 des Jesajakommentars sich nahtlos in das D e n k e n des Orígenes einfügt. Es handelt sich u m einen der f ü r ihn typischen kühnen Gedankengänge, die anstößig wirken konnten, weil er, griechisch ausgedrückt, v o n vielen ,,Christoi" sprach, w o doch „Christos" nur einer ist, in denen er aber mit Hilfe des platonischen Teilhabegedankens zugleich die enge Verbindung zwischen den „Christen" und „Christus" zum Ausdruck bringen konnte wie den Unterschied zwischen ihnen: D i e Christen sind Gesalbte nur insofern, als sie Anteil an der Salbung Christi haben. Das zweite und das dritte Fragment stammen aus dem 28. B u c h des Jesajakommentars, w o sie in kurzem Abstand aufeinander folgen. 2 8 Sie erörtern das T h e m a der Auferstehung anhand v o n Jes. 26,19: „ D i e Toten werden auferweckt werden, und auferstehen werden, die in den Gräbern sind." 2 9 M i t der Auferstehung hat Orígenes sich in Auseinandersetzung sow o h l mit heidnisch-philosophischer Kritik an dieser f ü r den christlichen Glauben grundlegenden Uberzeugung als auch mit christlich-gnostischen Erklärungsmodellen und gängigen kirchlichen Ansichten intensiv beschäftigt und ausgesprochen differenzierte Überlegungen entwickelt. 3 0 In den beiden Fragmenten zu diesem T h e m a aus dem Jesajakommentar geht es allerdings nicht u m die komplexen Gedankengänge des Orígenes zur Identität des

27 28 29

Princ. II 6,6 (GCS Orig. 5, 145 f.); Übersetzung nach p. 369-371 G ö r g e manns/KARI>I>. Das geht aus Pamphilus, apol. Orig. 136. 138 (SC 464, 218-220. 224 bzw. FC 80, 354. 358), hervor. Orígenes, in Is. frg. 2 bei Pamphilus, apol. Orig. 137 (SC 464, 220—224 bzw. FC 80, 356—358); frg. 3 ebd. 139 (464, 224 bzw. 80, 358); Text und Übersetzung unten S. 3 0 8 - 3 1 1 .

30

Eine präzise Zusammenfassung gibt Prinzivai.i.i, Art. Resurrezione.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

9

irdischen Leibes mit dem Auferstehungsleib, die ihm später den V o r w u r f eingebracht haben, er leugne die Auferstehung. 3 1 Z u der hierfür zentralen Stelle ι K o r . 15,42—44, die in Fragment 2 zitiert ist, stellt Orígenes in Fragment 3 lediglich klar, dass diese Aussagen des Paulus nur auf den Leib, nicht aber auf die Seele zu beziehen seien. D i e eigentlich brisante Frage nach dem Verhältnis zwischen (paulinisch ausgedrückt) irdischem und geistlichem Leib hat er im Jesajakommentar an diesen Stellen entweder nicht erörtert, oder Pamphilus hat entsprechende Ausführungen nicht mitzitiert. Etwas ergiebiger sind die Ausführungen in Fragment 2. In der Frage, ob alle oder nur einige Menschen auferstehen, entscheidet sich Orígenes f ü r die Auferstehung aller. Diese Option hängt mit seiner H o f f n u n g auf Erlösung aller Menschen zusammen, der Apokatastasis. 32 In der Auferstehung aller unterscheidet er j e d o c h das Schicksal der ,,Gottlosen" oder ,,Sünder" v o n dem der ,,Gerechten" und spricht in Anlehnung an O f f b . 20,6 v o n einer ,,ersten" und einer ,,zweiten" Auferstehung. Das hat er in ähnlicher Weise auch andernorts getan, dabei v o n einer „ z w e i t e n " Auferstehung allerdings in zeitlichem Sinn gesprochen, so im K o m m e n t a r zum R ö m e r b r i e f — einem Spätwerk, geschrieben v o r dem Matthäuskommentar und der Apologie gegen Kelsos —, v o n dem ein griechisch erhaltenes Fragment zu R o m . 6,5 lautet: „Wie kann er hier sagen: ,Wir werden mit ihm auch in seiner A u f erstehung vereinigt sein'? Dazu ist zu sagen, dass der Apostel v o n einer zweifachen Auferstehung spricht: einer, die schon geschehen ist, der gemäß der Heilige mit Christus auferstanden und mit ihm auferweckt w o r d e n ist (Eph. 2,6) und sucht, was droben ist (Kol. 3,1); die andere Auferstehung geschieht dann, ,wenn das Vollendete k o m m t ' (1 K o r . 1 3 , 1 0 ) . Von dieser Auferstehung spricht Daniel in prophetischer Weise: ,Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele auferstehen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu e w i g e m Abscheu' (Dan. 12,2). Von der einen Auferstehung können die Heiligen sagen, dass sie an ihnen schon vollzogen ist, v o n der anderen, dass sie noch k o m m t . " 3 3 In der lateinischen Ubersetzung des R u f i n u s k o m m t die zeitliche Folge dieser beiden A u f e r stehungen noch deutlicher zum Vorschein; aus denselben Bibelstellen Eph. 2,6 und R o m . 6,5 folgerte Orígenes: „ D a h e r ist eine zweifache Auferstehung zu erkennen: eine, durch die man in Geist, Verlangen und Glauben mit Christus v o m Irdischen aufersteht, u m das Himmlische im Sinn zu haben und das Z u k ü n f t i g e zu suchen, und eine andere, nämlich die allgemeine Auferstehung aller im Fleische. D i e Auferstehung dem Geiste nach,

31

Siehe dazu Röwi'.kami», F C 80, 1 6 1 - 1 7 4 .

32 33

Siehe dazu unten S. 226 Anni. 57. Orígenes, in Rom. frg. 29 Ramsbotham (FC 2/6, 172); Übersetzung: Heither, FC 2/6, 173.

io

Einleitung

die aus dem Glauben kommt, ist offenbar schon in denen erfüllt, die ihren Sinn auf das richten, ,was im H i m m e l ist, w o Christus zur R e c h t e n Gottes sitzt' (Kol. 3,1). D i e allgemeine Auferstehung des Fleisches aber, die sich auf alle erstreckt, ist noch zukünftig; denn die eine wird bei der ersten, die andere bei der zweiten A n k u n f t des Herrn verwirklicht werden." 3 4 Diese Ausführungen im R ö m e r b r i e f k o m m e n t a r k o m m e n mit dem zweiten Fragment aus dem Jesajakommentar darin überein, dass Auferstehung jeweils ethisch als B e f r e i u n g v o n Sünde gefasst wird; die ethische K o m p o n e n t e wird im Fragment sogar stark betont. Anders als im R ö m e r briefkommentar — und auch anders als in der späteren kirchlichen Eschatologie — versteht Orígenes im Jesajakommentar die erste und zweite A u f erstehung j e d o c h nicht in zeitlichem Sinn, sondern deutet sie auf zwei verschiedene Arten v o n Auferstehung, und zwar eine f ü r ,,Gerechte", eine f ü r „Sünder". 3 ·'' Insofern diese Einteilung v o n der moralischen Qualität der L e bensführung abhängt, enthält sie dasselbe ethische M o m e n t w i e im R ö merbriefkommentar, verteilt diese beiden Arten aber nicht zeitlich auf aufeinander folgende Etappen v o n Auferstehung. In diesem Sinne hat Orígenes sich auch in einem Text aus dem zweiten B u c h seiner verlorenen Frühschrift über die Auferstehung geäußert, den Pamphilus unmittelbar vor den Zitaten aus dem Jesajakommentar anführt: „ S o w i e j e m a n d sich in diesem Leben vorbereitet hat, so wird auch seine Auferstehung sein: Wer hier seliger (beatius) gelebt hat, dessen Leib wird auch bei der Auferstehung in göttlicherem Glanz erstrahlen und dem wird eine angemessene W o h n u n g an einem seligen Ort zuteil werden, w e r aber die Zeit, die ihm f ü r das gegenwärtige Leben gewährt worden ist, in Schlechtigkeiten verschwendet, dem wird ein Leib gegeben, der nur in Strafen existieren und fortbestehen kann." 3 6 Unter Hinweis auf seine diesbezüglichen längeren Ausführungen in den Büchern über die Auferstehung betont Orígenes in einem in der lateinischen Ubersetzung des R u f i n u s erhaltenen Abschnitt in Περί ά ρ χ ω ν gegen häretische Ansichten grundsätzlich die ethisch konstituierten U n t e r schiede zwischen den Auferstandenen. 3 7 Im Hintergrund des zweiten Teils v o n Fragment 2 steht ein alter, recht kruder E i n w a n d gegen den christlichen Glauben an eine Auferstehung des Leibes bzw. Fleisches, der sehr ausführlich in der unter dem N a m e n des Athenagoras überlieferten Schrift über die Auferstehung — deren A u t o r schaft umstritten ist — vorgeführt wird, nämlich der Fall aufeinander f o l g e n -

34 35 36 37

In Rom. comm. V 9 (p. 441 H A M M O N D B A M M I Í I . ) ; Übersetzung: Hi,ΙΓΗΙ,R, FC 2/3, 167. ( i¡' ι. /ι . Résurrection 7 f., geht auf diese spezielle Distinktion nicht weiter ein. Orígenes, res. II frg. bei Pamphilus, apol. Orig. 134 (SC 464, 216 bzw. FC 80, 354); Übersetzung nach R Ö W E K A M P , F C 80, 3 5 5 . Orígenes, princ. II 10,2 (GCS Orig. 5, 174f.).

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

der Verspeisungen des Fleisches eines ums Leben gekommenen, aber nicht begrabenen Menschen: Wenn ein Teil eines solchen Menschen von einem wilden Tier gefressen wird (und dieses womöglich wiederum von einem anderen und so fort) und wenn ein solches Tier bei der Jagd erlegt und von einem Menschen verzehrt wird, w e m wird dieser Teil des umgekommen Menschen, den ein anderer Mensch sich (unwissentlich) einverleibt hat, bei der Auferstehung gehören? Wie steht es in diesem Fall mit der Vollständigkeit des Auferstehungsleibes? 38 Diesen Einwand haben Gegner der Christen gegen die Auferstehung erhoben, 39 beispielsweise Porphyrius. 411 Die verbreitete christliche Antwort verwies auf die Allmacht Gottes, der alles möglich sei, so etwa Justin generell für den Glauben an die Auferstehung 41 oder Tatian im Blick auf das genannte Spezialproblem: „ O b ich in Strömen oder in Meeren zugrundegehe oder von wilden Tieren zerfleischt werde, in der Schatzkammer eines reichen Herrn werde ich geborgen"; 4 2 ähnlich Tertullian: „Wo immer du auch zerfallen magst, welches Element dich auch zerstören, verschlingen, vertilgen, ins Nichts verwandeln mag, dies wird dich wieder herausgeben. D e m gehört auch das Nichts, dem das All gehört." 43 N o c h Augustinus wusste sich angesichts dieser Schwierigkeit nur mit dem Hinweis auf den allmächtigen Gott zu helfen. 44 Orígenes hat darauf hingewiesen, dass einfache, ungebildete Christen angesichts dieser Schwierigkeit zur Allmacht Gottes ihre Zuflucht nähmen. 43 Er selbst jedoch begnügte sich nicht mit dieser im Grunde hilflosen fldeistischen Behauptung, weil er das Verhältnis zwischen irdischem Leib und Auferstehungsleib nicht durch materielle Kontinuität bestimmt sah, und lehnte die Rechtfertigung des Glaubens an die Auferstehung des Leibes bzw. Fleisches mit dem Argument der Allmacht Gottes gegen die diesbezügliche Kritik des Kelsos (und damit in der Sache mit ihm übereinstimmend) sogar ab.46 In Fragment 2 aus dem Jesajakommentar geht Orígenes auf diese Zusammenhänge indes mit keinem Wort ein, sondern verweist ohne weitere Erläuterung — jedenfalls hat Pamphilus keine mitzitiert — dar-

38 39 40 41

(Pseudo-?)Athenagoras, res. 3,3-4,4 (p. 94-99 SCHOEDEL). Worauf Tertullian, res. mort. 4,3 (CChr.SL 2, 925), explizit hinweist. Porphyrius, adv. Christ, frg. 94 HARNACK aus Makarios Magnes, apocrit. IV 24 ( T U 37/4, 92). Justin, I apol. 1 8 , 6 - 1 9 , 7 (SC 507, 1 8 0 - 1 8 4 ) .

42

Tatian, orat. 6,4 ( P T S 43, 16); Übersetzung: KUKULA, B K V 2 I 1 2 , 203.

43

Tertullian, apol. 48,9 (CChr.SL 1, 167); Übersetzung: p. 2 1 5 BECKI.R. Vgl. res. mort. 1 1 , 5 - 1 0 (CChr.SL 2, 934).

44

A u g u s t i n u s , civ. dei X X I I 2 0 (II p . 6 o o f . DOMBART/KALB).

45

Orígenes, in Ps. 1 frg. bei Methodius, res. I 21,1 (GCS 27, 243). Ganz ähnlich hatte sich Kelsos nach Orígenes, Cels. V 14 (GCS Orig. 2, 15), in seiner Kritik am christlichen Auferstehungsglauben ausgedrückt. Cels. V 23 (GCS Orig. 2, 24). Näheres dazu bei CHADWICK, Resurrection 8 3 - 9 1 .

46

Einleitung

auf, dass die Aussage in Jes. 26,19 über die Auferstehung derer, „die in den Gräbern sind", auch für Fälle wie die genannten Geltung habe. Im oben schon herangezogenen Fragment aus dem zweiten Buch der Schrift über die Auferstehung sagte er das ähnlich, auch da ohne nähere Erläuterung: „Dass er (sc. der menschliche Leib) aber überall, das heißt gleichgültig, w o er sich befunden hat, wiederhergestellt wird, sagt Johannes in seiner Offenbarung so: ,Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren, und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren' (Offb. 20,13)." 4 7 Diese kurzen, inhaltlich nicht sehr ergiebigen Texte sind alles, was v o m vielbändigen Jesajakommentar des Orígenes iibriggeblieben ist. Dazu kommt nur noch ein Testimonium, nämlich die Notiz des Hieronymus, Orígenes habe am Ende des 30. Buches seines Kommentars bei der Auslegung von Jes. 29,1 : „Weh dir, Stadt Ariel, die David erstürmt hat!" die Deutung des jüdischen Patriarchen „Hiullus", eines Zeitgenossen, aufgegriffen und seine frühere Meinung über diese Stelle entsprechend geändert.48 Leider teilte Hieronymus weder die frühere Ansicht des Orígenes noch diejenige des „Hiullus" mit. Uber die Person dieses „Hiullus" gibt es allerdings eine Vermutung: Es dürfte derselbe sein, den Orígenes in einem griechisch erhaltenen Fragment aus seiner Psalmenauslegung „Julios" (Ίούλλος) nennt und gleichfalls als Patriarchen bezeichnet. 49 Unter den vielen Bezugnahmen des Orígenes auf einen „Hebräer" ist das der einzige Fall, in dem ein solcher mit Namen genannt wird. 30 Julios dürfte die griechische Transkription des hebräischen Namens Hillel sein (Hiullus die lateinische Fassung bei Hieronymus). Da es in den beiden Jahrzehnten, in denen Orígenes in Caesarea in Palästina wohnte, also etwa zwischen 232 und 2 5 1 , jedoch keinen jüdischen Patriarchen dieses Namens gab, könnte Orígenes (und ihm folgend Hieronymus) eine Verwechslung oder dem Schreiber der Handschrift ein Lapsus unterlaufen sein, nämlich dergestalt, dass es sich um Hillel, den Sohn des Patriarchen Gamaliel III. und den Bruder des nachmaligen Patriarchen Juda II., handelt, der selbst aber, vielleicht weil er wohl recht jung verstarb, nicht Patriarch wurde, sondern ein jüdischer Gelehrter war. 31 Dass Orígenes in Palästina mit einem jüdischen Gelehrten namens

47

Orígenes, res. II frg. bei Pamphilus, apol. Orig. 134 (SC 464, 216 bzw. F C 80, 352); U b e r s e t z u n g : RÖWI;KAMI>, F C 80, 3 5 3 .

48 49 50 51

Hieronymus, apol. c. R u f i n . I 13 (CChr.SL 79, 1 2 f.); Text und Ubersetzung unten S. 320f. Orígenes, in Ps. prol. frg. 3,1 (p. 13 Rι ι/ . KRAUSS, Jews 140. i5fif.; BARDY, Les traditions Juives 223 f. So GRAI'.T/, Hillel, von der Forschung vielfach akzeptiert, beispielsweise von Bii;TENHARD, Caesarea 1 9 . 20, und Y . HOROWITZ, Art. Hillel, in: E J 2 9 (2007) 1 1 0 . E s

könnte sein, dass es im Psalmenfragment statt Ίούλλω τω πατριάρχη korrekt του πατριάρχου (uicö) geheißen haben könnte: GRAI'.T/., ebd. 434f.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

13

Hillel, dem Sohn des Patriarchen, Gespräche über exegetische Fragen geführt hat, kann man sich gut vorstellen. Gleichwohl bleibt diese Identifizierung eine Hypothese, die man nicht überzeugend finden muss. 52 Bei einem weiteren Hinweis des Hieronymus auf die Auslegung von Jes. 2,22 durch Orígenes sagte er nicht dazu, welchem Werk er sie entnommen hat, so dass nicht sicher ist, ob sie aus dem Kommentar stammt. 53 Z w e i kleine griechische Fragmente aus der Jesajakatene (im Anhang unten gezählt als Nr. 4 und 5) dürften ebenfalls nicht dem Kommentar entstammen, sondern entweder den Scholien, von denen Hieronymus berichtet, 34 oder einem anderen Werk des Orígenes, denn die Katenenschreiber schöpften nicht nur aus exegetischen, sondern auch aus anderweitigen Schriften der altkirchlichen Theologen. 5 3 Die beiden sehr kurzen Stücke, die Jean-Baptiste Pitra 1883 publiziert hat, behandeln Jes. 39,7 und 66,1 und werfen mehr Fragen auf, als sie Informationen liefern. 56 Jes. 39,7 gehört zur Prophezeiung Jesajas an Hiskija (am Schluss des heute so genannten Protojesaja), in der Hiskija die Verbannung nach Babylon angekündigt wird (Jes. 39,5—7). Die Identifizierung der hier gemeinten Söhne Hiskijas mit den drei jungen Männern und Daniel ist jüdischen Ursprungs. Im Matthäuskommentar und in einer der in der lateinischen Ubersetzung des Hieronymus erhaltenen Ezechielhomilien referierte Orígenes jeweils eine j ü dische Exegese, die er von einem ,,Hebräer" gehörte hatte und in der Daniel ausdrücklich mit Jes. 39,7 in Verbindung gebracht wird. 57 Bei Hieronymus findet sich dieselbe Tradition, 58 und abhängig von Orígenes und Hieronymus berichten viele Kirchenväter von ihr; auch in der jüdischen Literatur ist sie weit verbreitet. 39 Eine andere, nicht historisierende, sondern moralisierende Erklärung gab Orígenes zu einer ähnlichen Aussage in Ez. 1 7 , 1 3 : „ E r wird aus der Nachkommenschaft des Königtums nehmen" in einer anderen

52

53 54 55 56

57 58

Siehe die Skepsis von DE LANCE, Origen and the Jews 23 f., und SGHERRI, Patriarca Iullo, dessen Hypothese, unter dem Julios des Psalmenprologs sei der jüdische „Patriarch" von Alexandria zu verstehen (ein solcher Litel ist nicht bezeugt), allerdings auf einer Kette von unsicheren Annahmen und Schlussfolgerungen beruht. Hieronymus, in Es. I 66 (VL.AGLB 23, 216); Lext und Ubersetzung unten S. 31 S f. Ebd. I 1 (23, 138); epist. 33,4 (CSEL 54, 255). Siehe GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 33. PITRA, Analecta sacra III, 538; Text und Ubersetzung unten S. 3 1 2 L Das erste Fragment hatte schon A. MAI, Nova Patrum Bibliotheca, Bd. VI/2, R o m 1853, 239, ediert: FAUI.HAIÌER, Propheten-Catenen 5y (vgl. ebd. 49. 51. 55f.). Orígenes, in Matth, comm. X V 5 (GCS Orig. 10, 360); in Hiez. hoin. 4,5.8 (GCS Orig. 8, 366. 369f.). Hieronymus, adv. Iovin. I 25 (PL 23, 244); in Dan. I 1,3—43 (CChr.SL 75A, 779): KRAUSS, J e w s 1 5 5 f.

59

Siehe die Belege bei KRAUSS, ebd. 156; BIETENHARD, Caesarea 29 mit Anni. 100 (ebd. 37).

H

Einleitung

Ezechielhomilie: „Wir alle, die w i r das Wort Gottes aufgenommen haben, sind königliche Nachkommenschaft"; 6 " in einem griechisch erhaltenen Fragment zu dieser Stelle wird diese Erklärung erneut mit Daniel und den drei j u n g e n Männern kombiniert: „Nachkommenschaft des Königtums sind diejenigen, die das Wort Gottes aufgenommen haben, w i e zum Beispiel Daniel und die drei jungen Männer." 6 1 Sehr viel rätselhafter wirkt Fragment 5. In den Handschriften, in denen Pitra das Stück entdeckte (Codex Ottobonianus 452, fol. 203 saec. X ; C o dex Vaticanus 1 1 5 3 , fol. 261 saec. XI), ist es zu Ez. 1 4 , 1 7 vermerkt, hat aber w e d e r mit dieser Bibelstelle noch mit deren Auslegung durch Orígenes (soweit diese bekannt ist) etwas zu tun; in der vierten der lateinisch erhaltenen Ezechielhomilien, in der er sich mit der zugehörigen Perikope (Ez. 1 4 , 1 2 - 2 3 ) beschäftigte, 62 findet sich nichts dergleichen. Dass Orígenes die metaphorische Aussage in Jes. 66,1 nicht wörtlich topographisch verstand, sondern auf die Beziehung zwischen geistigen Wesen bezog, lässt sich aus der präzisierenden Bemerkung, „nicht die Orte, sondern die (geistigen) Wesen an den O r t e n " seien gemeint, noch ersehen. Was j e d o c h unter der „ungeheuren B e w e g u n g " und dem „langen W e g " zu verstehen ist und w e l ches gedankliche Subjekt zu diesen beiden N o m i n a gehört, bleibt im Text des Fragments unklar. Kombiniert man die Aussage j e d o c h mit der Spekulation des Orígenes über die „Mitte Gottes" in den Jesajahomilien, die im Gegensatz zu seinem „ A n f a n g " und seinem „ E n d e " erkennbar sei und die er sowohl mit der Menschwerdung des Gottessohnes als auch mit der Heilsgeschichte verknüpft, lässt sich immerhin eine Vermutung wagen: D i e „ u n geheure B e w e g u n g " und der „lange W e g " meinen möglicherweise die D y namik der Heilsgeschichte in ihrer zeitlichen Erstreckung. D i e „ E r d e " in diesem Sinn ist der „ S c h e m e l " f ü r die „ F ü ß e Gottes", d.h. in der Inkarnation begibt Gott selbst sich in R a u m und Zeit als den „ O r t " seiner soteriologischen Interaktion mit den Vernunftwesen. 6 3 Freilich besteht bei einer solchen Überlegung die Gefahr, ein so kleines Fragment mit so großer Theologie zu überfrachten. M i t so jämmerlichen Bruchstücken lässt sich letztlich nicht viel anfangen.

60 61

Orígenes, in Hiez. hom. 12,3 (GCS Orig. 8, 435). In Hiez. frg. (PG 13, 754 Anni. 30), abgedruckt bei BAEHRENS, G C S Orig. 8, 435 ad

loc. 62

In Hiez. h o m . 4 (GCS Orig. 8, 358-370).

63

Näheres siehe unten S. l^of. Vgl. insbesondere in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 245 f.); 4,1 (8, 257f·)·

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

15

c) Testimonien Weitere Informationen über den Jesajakommentar des Orígenes sind dem Jesajakommentar des Eusebius von Caesarea zu entnehmen. 64 Da Eusebius aus dem Kommentar des Orígenes geschöpft hat, ist davon auszugehen, dass in seiner Auslegung von Jes. 1,1—30,5, bis wohin der Kommentar des Orígenes vermutlich reichte, Gedanken und Wendungen aus diesem stecken und Eusebius einzelne Ausführungen des Orígenes in veränderter Form übernommen hat. Genauere textliche Rekonstruktionen sind auf dieser B a sis zwar nicht möglich, doch hat Eusebius gelegentlich notiert, bis zu welchem Jesajavers der betreffende Band des Orígenes reichte. Daraus lassen sich einige Informationen über die Bucheinteilung des Origeneskommentars gewinnen. Der Schreiber des Florentiner Codex aus dem 1 1 . Jahrhundert (Laurentianus X I 4) hat die entsprechende formelhafte Notiz, die Eusebius sicherlich überall in seinem Kommentar vermerkt hatte, leider nicht immer abgeschrieben. A n ein paar Stellen hat er sie aber notiert, und daraus ergibt sich Folgendes: Der 1 1 . Band reichte bis zur Erklärung von Jes. 1 0 , 1 1 , der 12. Band bis Jes. 10,23, der 15. Band bis Jes. 1 3 , 1 6 und der 30. Band bis Jes. 30,5, übrigens ohne einen Hinweis darauf, dass dies der letzte Band des Kommentars des Orígenes sei (s.o.).65 Vermutlich an der falschen Stelle stehen die Hinweise zu drei weiteren Bänden: Der Hinweis auf das Ende des 16. Bandes steht mitten in der Erklärung von Jes. 14,5 und gehört wahrscheinlich ein paar Zeilen höher hinter die Erklärung von Jes. 14,2 f., weil mit Jes. 14,4 eine neue Perikope beginnt; desgleichen würde man im selben Kapitel die Notiz über das Ende des 17. Bandes, die mitten in der Erklärung von Jes. 1 4 , 1 9 steht, eher hinter Jes. 1 4 , 2 1 erwarten, w o das Spottlied über den König von Babel endet; und schließlich würde der Hinweis auf das Ende des 19. Bandes unmittelbar hinter dem Zitat von Jes. 16,8a besser an den Schluss der Erklärung des 16. Jesajakapitels passen.66' Weiteren Aufschluss über die Bucheinteilung geben Scholien am R a n d von Septuagintahandschriften. Ein Palimpsest in Grottaferrata (Codex olim C . 4, nunc A . g. X V = E. b. VII; Sigei bei Rahlfs: 393) enthält im ursprünglichen, im 8. Jahrhundert geschriebenen Text zahlreiche Fragmente der sechzehn alttestamentlichen Prophetenbücher; nur zu Jesaja stehen am R a n d Scholien, sechzehn an der Zahl, das erste zu Jes. 6,2, das letzte zu Jes. 8,6, die eindeutig dem Kommentar des Eusebius entstammen. 67 Uber die aus dem 64

65 66 67

D a s F o l g e n d e n a c h ZIIÍGLIÍU, G C S EUS. 9, X X X I - X X X I V , u n d GRYSON/S/MATUI,A,

Les commentaires patristiques 1 5 - 1 7 . Eusebius, in Is. 58 (GCS Eus. 9, 73); 60 (y, 77); 66 (9, 99); 98 (y, 195). Ebd. 68 (9, 101); 68 (9, 103); 71 (9, 1 1 1 ) ; Text und Ubersetzung aller dieser Stellen unten S. 3 1 4 - 3 1 7 . Näheres dazu bei ZII;GI.I;U, G C S Eus. 9, X X V I I - X X X . Siehe unten S. 31 8f.

Einleitung Jesajakommentar des Eusebius bekannten Daten hinaus erfährt man hieraus, dass der 7. B a n d des Jesajakommentars des Orígenes mit Jes. 6,5 endete und der 8. B a n d mit Jes. 7,9. Diese Einteilung wird v o n Hieronymus bestätigt, der in seinem Jesajakommentar zu Jes. 6,9 f. den 8. B a n d des Orígenes erwähnt. 68 N o c h mehr Angaben enthalten der C o d e x Marchalianus aus dem 6. Jahrhundert (Codex Vaticanus graec. 2 1 2 5 ; Sigel bei Rahlfs: Q) und die syrohexaplarische JesajaÜbersetzung (Sigel: Syh). D e r Jesajatext in Q stammt aus der Hexapla, und zum Vergleich wurde auch der Jesajakommentar des Orígenes herangezogen, v o n dem der Schreiber der Marginalien allerdings nur die ersten 25 Bände (bis Jes. 23) zur Verfügung hatte. 69 A m R a n d dieser Handschriften stehen Varianten des Bibeltextes und Scholien aus den K o m mentaren des Orígenes und des Eusebius. D i e Zählung der Origenesbände ist zu den Büchern 6—8, 1 0 - 1 6 und 21—30 notiert, und zwar in Q vollständiger als in Syh (in dem die Notierungen zum 6., 8., 1 2 . , 1 3 . und 29. Band fehlen). D i e Angaben stimmen mit zwei Ausnahmen überein: Q lässt den 22. B a n d mit Jes. 1 9 , 1 8 beginnen, Syh mit Jes. 2 1 , 1 , und der 23. Band beginnt in Q mit Jes. 2 1 , 1 , in Syh mit Jes. 2 1 , 1 3 . 7 1 1 Kombiniert man diese Informationen aus dem Jesajakommentar des E u sebius und den Scholien zu den genannten Septuagintahandschriften, ergibt sich folgende Ubersicht über die Einteilung des origeneischen Jesajakommentars (notiert ist jeweils der Jesajavers, mit dem die Auslegung in dem betreffenden B u c h einsetzt) und über die zu einzelnen Büchern erhaltenen Fragmente und Zeugnisse (Hinweise aus diesen Randnotizen zum Bibeltext des Orígenes sind in den Fußnoten notiert): 71 Buch

I II-V

Jes.1,1

Fragment 1 zu Jes. 1,2 Q m g zu J e s . 3 , 2 4 7 2

?

Hieronymus, in Es. I 66 zu VI VII VIII

4,1 5,20 6,6

Qmg Qmg Qmg

Jes. 2,22?

Syhmg 393

Hieronymus, in Es. III 9 zu Jes. 6,9f.; epist. 1 8B (s.u.)?

68 69

Hieronymus, in Es. III 9 (VL.AGLB 23, 325). Siehe ZIECLER, GCS EUS. 9, X X X ; GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 16 f.

70

ZIECLER, ebd. X X X I I I s q .

71

Siehe auch die Übersichten bei ZII;GI,I;R, ebd. XXXIII; ders., Isaías 46-49; GRYSON/SZMATUI.A, Les commentaires patristiques 18f. — Das hochgestellte Kürzel mg bedeutet „in margine", „am Rand" der Handschrift. Zu einer Hinzufügung zu Jes. 3,24 aus der lukianischen Rezension des Alten Testaments merkte der Schreiber an, dass sie in der Hexapla fehle und dass Orígenes in seinem Kommentar dazu nichts sage: GRYSON/SZMATULA, ebd. 16. Siehe unten S. 31 8 f.

72

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes Buch

IX Jes. 7 , 1 0 X 8,1 XI 9,8 XII 10,12 XIII 1 0,24 XIV 11,10 XV 13,1 XVI 13,17 XVII 14,4? 14,6? XVIII 14,20? 14,22? > XIX XX 16,8b? 1 7 , 1 ? XXI 1 9,1 XXII 19,18 XXIII 21,1 22,1 XXIV XXV 23,1 XXVI 24,1 XXVII 26,1 XXVIII 26,16 XXIX XXX

73

27,1 i b 29,1

-1?

Q" Q" Q" 1 -? Q" Q" 1 -? Q" Q"

•Ψ

Q" Q" lg Q" •Ψ Q" lg Q" Q" Q" lg Q" lg Q" lg Q"

Syh mg Syh m s

17

393

Eusebius, in Is. 58 Eusebius, in Is. 60 Syh m s Syh mg Syh mg

Eusebius, in Is. 66 Eusebius, in Is. 68 73 Eusebius, in Is. 68

Eusebius, in Is. 71 Syh mg Syh 1 " 8 : 2 1 , 1 Syh m8 : 2 1 , 1 3 7 4 Syhmg75 Syh m8 Syh mg Syhmg77

Q m g zu Jes. 23,13 7 6

Syh 1 " 8

Fragmente 2 und 3 zu Jes. 26,1 y 78

Syh 1 " 8

Hieronymus, apol. c. R u f i n . I

In Jes. 14,6 las Orígenes ετταταξεν statt πατάξας (II p. 584 RAHI.HS; p. 1 7 4 ZII;GLI;R), zu Jes. 1 4 , 1 1 wird am R a n d des C o d e x Marchalianus eigens daraufhingewiesen, dass Orígenes σου hat, obwohl alle Handschriften diese Lesart bieten (II p. 584 RAHI>S; p. 1 7 5

ZIEGLER).

74

Z u Jes. 21,8 wird (wie zu 26,8) das Tetragramm mit griechischen Buchstaben ΠΙΠΙ anstelle von κυρίου (II p. 592. 598 RAHI>S; p. 194. 2 1 0 ZIEGLER) dem Orígenes zugeschrieben. Statt Δεδαν (so p. 195 ZIEGEER) hatte Orígenes in Jes. 2 1 , 1 3 niit Δαιδαν (so II p. 592 RAHI.ES) dieselbe Lesart wie Theodotion und die Hauptzeugen des Septuagintatextes. In Jes. 2 1 , 1 5 bezeugte Orígenes statt φευγόντων (II p. 593 RAHLES; p. 196 ZIEGLER) mit πεφονευμενων eine hexaplarische Lesart der Septuaginta.

75 76

In Jes. 22,23 las Orígenes στηλοο statt σ τ ή σ ω (II p. 594 RAHLES; p. 200 ZIEGLER). A m R a n d von Q ist eine Notiz darüber überliefert, dass Orígenes die asterisierte Lesart in Jes. 23,1 3, die von Theodotion stammt und aus dessen Ubersetzung in den Septuagintatext eingedrungen ist, im 25. B u c h seines Jesajakommentars behandelt hat: ZIEGLER, G C S

EUS. 9, X X X I V ;

GRYSON/SZMALUEA, Les commentaires

patris-

tiques 16. Siehe unten S. 31 8 f. 77 78

79

Z u Jes. 26,8 siehe oben Anm. 74. Z u Jes. 26,18 und 26,21 ist in der syrohexaplarischen Ubersetzung vermerkt, dass sich die dazu am R a n d notierten Lesarten nicht bei Orígenes finden. A u f welche Wörter sich diese Glosse bezieht, ist nicht mehr sicher eruierbar: ZIEGLER, Isaias 4 7 f . A m R a n d des C o d e x Marchalianus ist vermerkt, Orígenes habe statt εν ευφροσύνη in Jes. 29,19 (II p. 603 RAHLES; p. 225 ZIEGEER) die asterisierte Junktur και ισραηλ gelesen. Nach ZIEGLER, Isaias 48, ist diese Notiz unverständlich und eher εν ayico ισραηλ zu erwarten, weshalb wahrscheinlich ein Uberlieferungsfehler vorliegt.

Einleitung Schluss

30,5?

XXXVI? 39,7; 66,1

Eusebius, hist. eccl. VI 32,1; in Is. 98; Hieronymus, in Es. I 1 Hieronymus, epist. 33,4 Fragmente 4 und 5

Ein weiteres Testimonium aus dem Jesajakommentar des Orígenes ist möglicherweise in dem lateinischen Text zu sehen, der in modernen Ausgaben der Briefe des Hieronymus als Epistula 1 8 B gezählt wird. 8 " Diese N u m m e rierung ergab sich daraus, dass Domenico Vallarsi, der im 18. Jahrhundert eine einflussreiche Hieronymusausgabe besorgte, den Text aufgrund der gemeinsamen Thematik — es geht um die Auslegung der Vision Jesajas in Jes. 6 — mit dem Traktat, der heute als Epistula 1 8 A gezählt wird, zu einem Brief zusammengefügt hatte.81 Erst Isidor Hilberg, der moderne Editor der Hieronymusbriefe, trennte sie wieder aufgrund der ältesten handschriftlichen Uberlieferung, in der die beiden Texte im Briefcorpus des Hieronymus nicht einmal nebeneinander stehen, 82 und versah sie dabei mit der genannten Zählung. Diese Epistula 1 8 B ist ein seltsames Stück. Es fehlt jegliches Merkmal, das bei einem Brief zu erwarten wäre, desgleichen fehlen eine Einleitung und ein Schluss; der Text beginnt so abrupt, wie er endet. Inhaltlich bietet er exegetische, näherhin philologische Erörterungen zu Jes. 6,6—8 in der Form, dass die Varianten der vier griechischen Ubersetzungen des Alten Testaments, der Septuaginta, des Aquila, des Theodotion und des Symmachus, miteinander verglichen und ihre jeweiligen Bedeutungen erläutert werden. Dieses methodische Vorgehen entspricht nun gerade der Arbeitsweise des Orígenes, der laut Hieronymus seinen Kommentar zum Propheten Jesaja iuxta editiones quattuor, „auf der Basis der vier Ausgaben", geschrieben hat (s.o.).83 Dazu kommt die Beobachtung, dass die Ausführungen über Jes. 6,6 in Epistula 1 8 B die Deutung der beiden Seraphim in Jes. 6,2 f. als Sohn Gottes und Heiliger Geist voraussetzen. In der Septuaginta stand nämlich in Jes. 6,6, einer der Seraphim sei zu Jesaja „gesandt" worden (missum est), während die anderen drei Ubersetzer davon sprachen, er sei „geflogen" (volavit); außerdem behandelten die Septuaginta, Aquila und Theodotion die Seraphim grammatikalisch als Neutrum (unum de seraphim), Symmachus sie

80

Hieronymus, epist. 18B (CSEL 54, 9 7 - 1 0 3 ) ; Text und Übersetzung unten S. 322-329. Siehe zum Folgenden NAUTIN, De seraphim 2 8 1 - 2 8 4 ; GRYSON/SZMATULA, e b d . 1 0 . 1 9 - 2 4 .

81 82

83

Opera Hieronymi I, ed. D. VALLARSI, Verona 1734, 44-62. In den ältesten Handschriften stehen zwischen den Stücken 1 8 A und 1 8 B die N u m mern 19, 20, 1 5 und 16, auf 1 8B folgt 21 ; erst in späteren Handschriften wurden die Texte 1 8 A und 1 8 B nebeneinander gestellt: GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 1 0 Anni. 35. Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 137).

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

19

hingegen als Maskulinum (unus de seraphim). Das Verbum volavit. wird v o m Ausleger auf die „rasche A n k u n f t des göttlichen Wortes" gedeutet — was impliziert, dass einer der Seraphim das Wort Gottes, also Christus, ist; das unterschiedliche Genus wird mit dem Hinweis darauf erläutert, dass der Heilige Geist im Hebräischen Femininum (mach), im Griechischen N e u t r u m (το πνεύμα) und im Lateinischen Maskulinum (spiritus) ist — was impliziert, dass einer der Seraphim als Heiliger Geist gedeutet wird. 8 4 D i e Seraphim in der Vision Jesajas als Sohn Gottes und Heiligen Geist aufzufassen ist aber gerade die später höchst umstrittene Auslegung des Orígenes, v o n der Hieronymus sich in Epistula 1 8 A und andernorts ausdrücklich distanzierte (s.u.), in Epistula 1 8 B aber auffälligerweise nicht. Diese beiden Beobachtungen zum methodischen Vorgehen und zu einem charakteristischen Inhalt der in Epistula 1 8 B anzutreffenden Exegese legen die V e r m u tung nahe, dass dieser Text zumindest im Wesentlichen v o n Orígenes stammen könnte. W o r u m könnte es sich handeln? Gut vorstellbar wäre folgendes Szenario: 85 Als Hieronymus in Konstantinopel bei Gregor v o n Nazianz im Jahre 380 Orígenes entdeckte, könnte er sich mit dessen Jesajakommentar beschäftigt - er übersetzte zu dieser Zeit die Jesajahomilien (s.u.) — und als exegetische Ü b u n g dessen Auslegung der Vision v o n Jes. 6 im Kommentar zusammengefasst und u m eigene B e m e r kungen, insbesondere zum lateinischen Bibeltext und zum lateinischen Sprachgebrauch, ergänzt haben. Diese Notizen waren vielleicht nur f ü r seinen privaten Gebrauch gedacht, etwa als Vorarbeit f ü r seinen in diesem Jahr geschriebenen Traktat De seraphim (= Epistula 1 8 A ; s.u.), und wurden zu seinen Lebzeiten nicht publiziert. N a c h seinem Tod fanden sich die Blätter w o m ö g l i c h in seinem Nachlass und wurden in die Sammlung seiner B r i e f e aufgenommen, die ja auch sonst Texte enthält, die eher Traktate sind, weil beide Gattungen in der Spätantike nicht streng unterschieden wurden. A u c h w e n n kein B e w e i s im strengen Sinn geführt werden kann, ist dies doch eine plausible Hypothese zur Erklärung dieses merkwürdigen Textes im Briefcorpus des Hieronymus. Da Hieronymus — sollte es sich so verhalten — den Text des Orígenes exzerpiert, zusammengefasst und u m eigene Angaben (und vielleicht auch solche aus anderen Exegeten) ergänzt hat, könnte es sich bestenfalls u m ein Zeugnis f ü r die Auslegung v o n Jes. 6,6—8 im Jesajakommentar des Orígenes handeln. Als solches aber würde es einen gewissen, freilich durch die Brille des Hieronymus gebrochenen Eindruck v o n der Arbeitsweise des Orígenes in diesem K o m m e n t a r vermitteln. D e r exegetische Duktus der Ausführungen atmet so sehr den Geist des Orígenes, dass die Art der Auslegung und die einzelnen Gedanken meines Erachtens

84 85

Epist. i 8 B , i ( C S E L 54, 97f.). M i t GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 1 9 f.

20

Einleitung

ohne Zweifel von Orígenes stammen. Aus diesem Grund und wegen der Nähe zu den entsprechenden Ausführungen in den Jesajahomilien wird dieser „ B r i e f des Hieronymus im Anhang dieser Ausgabe abgedruckt und erstmals in das Deutsche übersetzt.

2. D i e Jesajahomilien Aufgrund dieser minimalen Überbleibsel des Jesajakommentars sind der einzige nennenswerte Rest der umfangreichen und vielfaltigen Jesajaauslegung des Orígenes die Homilien, die in der lateinischen Ubersetzung des Hieronymus vorliegen. Wie viele es ursprünglich auf Griechisch waren, ist genauso unklärbar wie die Zahl der Bücher des Jesajakommentars. Griechische Fragmente der Jesajahomilien, aus denen möglicherweise Rückschlüsse gezogen werden könnten, sind bis jetzt nicht bekannt geworden. Hieronymus gab im Vorwort zu seinem Kommentar die Zahl 25 an, im Verzeichnis der Werke des Orígenes führte er 32 Homilien auf.86 Möglicherweise war im Katalog der Bibliothek in Caesarea, auf dem das Verzeichnis des Hieronymus im Brief an Paula beruht, eine größere Zahl von Homilien notiert, als Hieronymus tatsächlich noch bekannt waren.87

a) Datierung Für eine Datierung der von Orígenes über das Buch Jesaja gehaltenen Homilien gibt es kaum auswertbare Hinweise. Die Hypothese von Pierre Nautin, alle Homilien, die Orígenes je gehalten hat, seien in einen fortlaufenden dreijährigen Zyklus von gottesdienstlichen Lesungen mit zugehöriger Predigt in den Jahren zwischen 238 und 241 oder eher 239 bis 242 zu datieren,88 beruht auf vielen arbiträren Argumenten. Aus den Jesajahomilien, die Nautin bei seiner Argumentation nicht berücksichtigt hat, ergeben sich zwei grundsätzliche Einwände dagegen. Erstens: Nach Nautin gab es zur Zeit des Orígenes wochentags täglich eine Versammlung der christlichen Gemeinde am Morgen, in der die Schrif-

86

87 88

Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138); epist. 33,4 (CSEL 54, 257). In zwei sekundären Zweigen der handschriftlichen Uberlieferung des hieronymianischen Jesajakommentars ist von 20 bzw. 26 Homilien die Rede; die Zahl 25 ist demgegenüber besser bezeugt: GRYSON/SZMATULA, ebd. 24 Anni. 1 0 1 . So erklären GUYSON/SZMATULA, ebd. 24, die inkonsistenten Angaben des Hieronymus. NAUTIN, Origène 389-409, weitgehend destruiert von GRAPPONE, Cronologia, und dems., Contesto liturgico.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

21

ten des Alten Testaments fortlaufend gelesen und erklärt wurden; dieser nicht-eucharistische Gottesdienst habe etwa eine Stunde gedauert, woraus sich die Länge sowohl der gelesenen biblischen Perikopen als auch vieler der alttestamentlichen Predigten des Orígenes erkläre. Angesichts von Hinweisen des Orígenes in seinen Homilien auf tägliche Gemeindeversammlungen ist diese Annahme plausibel, auch wenn manche Aussagen vielleicht nur metaphorisch gemeint sind. 89 Lesungen aus dem Evangelium und Predigten darüber habe es nur an Sonntagen gegeben, und zwar in den eucharistischen Gottesdiensten am Abend, desgleichen an Mittwochen und Freitagen. Von nicht-eucharistischen Zusammenkünften mit Schriftlesung und Predigt am Mittwoch und am Freitag berichtet der Kirchenhistoriker Sokrates für Alexandria im ersten Drittel des 3. Jahrhunderts; 9 " Eucharistiefeiern nicht am Mittwoch, aber am Freitag bezeugt Orígenes für Caesarea, und zwar neben einer Bemerkung in der Apologie gegen Kelsos in der fünften Jesajahomilie. 91 Aus dieser Stelle geht klar hervor, dass Orígenes hier am Freitag in einem eucharistischen Gottesdienst über Jesaja, also über eine Schrift des Alten Testaments gepredigt hat: „Da das Volk jetzt zahlreich ist anlässlich des Rüsttags (parasceue), besonders aber an dem Tag des Herrn, der an Christi Passion erinnert — denn die Auferstehung des Herrn wird nicht nur einmal im Jahr oder immer nur nach acht Tagen gefeiert —, bittet Gott, den Allmächtigen, dass sein Wort zu uns kommen möge." 9 2 Dieser Text widerspricht der Annahme von Nautin, dass es in den eucharistischen Gottesdiensten am M i t t w o c h - und am Freitagabend wohl keine Lesungen aus dem Alten Testament gegeben habe, weil dieses an diesen Tagen schon in der Versammlung am Morgen gelesen und erklärt worden sei. 93 A u f dieser A n nahme baut aber der von ihm postulierte Lesezyklus zu einem guten Teil auf. Nau tin, ebd. 391 f. (vgl. ders., SC 232, 100-105), führt folgende Stellen an: in Gen. hom. 10,3 (GCS Orig. 6, 96. 97) mit den Stichworten cotidie, „täglich", und omni die, „jeden Tag" (vielleicht nur metaphorisch zu verstehen); in Num. hom. 13,1 (GCS Orig. 7, 107): hestemo die dixeramus, „gestern hatten wir gesagt" (der deutlichste Beleg); in los. hom. 4,1 (GCS Orig. 7, 309): cotidie, „täglich". Dazu kann man die Behauptung des Pamphilus, apol. Orig. 9 (SC 464, 44), nehmen, Orígenes habe paene cotidie gepredigt. Graitoni,, Contesto liturgico 333-340, will diese Angaben so lesen, dass es zwar sehr häufig, aber doch nicht täglich nicht-eucharistische Gottesdienste gegeben habe (ebd. 339f.), spricht ebd. 362 aber doch von täglichen Versammlungen. 90 Sokrates, hist. eccl. V 22,45 (GCS N.F. 1, 301). 91 Orígenes, Cels. VIII 22 (GCS Orig. 2, 239); in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 265). Grai>i>oni':, Contesto liturgico 354-357, schließt aus diesen Stellen, dass es in Caesarea nur am Freitag und am Sonntag einen eucharistischen Gottesdienst gegeben habe, während sich ein solcher für Mittwoch aus den Schriften des Orígenes nicht belegen lasse. 92 Siehe die Ubersetzung unten S. 247 und dazu die Anm. 89-91. 93 Nautin, Origène 398, und dagegen Grai>i>oni:, Contesto liturgico 359. 89

22

Einleitung

Zweitens: Orígenes sei mit dem Predigen zu einem Zeitpunkt betraut worden, da der Lesezyklus bereits bis zu den Psalmen vorangeschritten sei. Nautin konstruiert folgende Abfolge der alttestamentlichen Lesungen mit Homilien des Orígenes: Psalmen, Ijob, Sprichwörter, Kohelet, Hoheslied — Jesaja, Jeremía, Ezechiel — Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, ι Samuel. N u n gibt es unter den Rekursen des Orígenes auf eigene, früher gehaltene Predigten natürlich solche, die zu dieser R e i h u n g passen.94 Die Jesajahomilien enthalten allerdings Bemerkungen, die ihr zuwiderlaufen. So wies Orígenes in der ersten Homilie auf die Lesung des Buches Levitikus voraus — was nicht so richtig zu Nautins R e i hung passt, denn Orígenes sprach davon, dass das Buch Levitikus „in der (oder: einer) nächsten Zusammenkunft" (in collecta, quae sequitur) gelesen wird; 95 einen größeren zeitlichen Abstand, wie ihn Nautins Leseordnung erfordert, wird man da nicht annehmen wollen, wie aus einem analogen Fall in den Jeremiahomilien hervorgeht, w o Orígenes mit der expliziten Zeitangabe ,,bald" (ού μακράν) auf die „Lesungen aus dem Buch N u m e r i " vorauswies. 96 Dieselbe Homilie enthält ein möglicherweise gegenläufiges Beispiel, wenn sich nämlich die Bemerkung: „wie wir neulich dargelegt haben" (ut nuper diximusf" auf die Genesishomilien bezieht, in denen es eine Parallele zur fraglichen Deutung gibt.98 Einen Beweis dafür, dass eine Lesung aus dem Buch Genesis der Lesung aus dem Buch Jesaja vorausging, liefert schließlich das Zitat von Gen. 6,3 in der dritten Jesajahomilie, das Orígenes mit dem Hinweis einleitete: „Vor kurzem hieß es in der Lesung" (ante paululum ledum est).99 Die Jesajahomilien passen nicht in den von Nautin postulierten dreijährigen Lesungs- und Predigtzyklus und widerlegen ihn damit.

94

95 96 97 98 99

NAU TIN, ebd. 395. 403, stützt sich auf folgende Stellen: In Hier. hom. 8,3 (GCS Orig. 3 2 , 58) und 1 8 , 1 0 (3 s , 164) verwies Orígenes auf seine Auslegung von Psalm 1 34(1 35) bzw. 140(141), in Hiez. hom. 6,4 (GCS Orig. 8, 382) auf seine Hiobauslegung, in Lev. hom. 13,2 (GCS Orig. 6, 469) auf die Auslegung von Psalm 1 1 8 ( 1 1 9 ) , i n I° s - hom. 15,6 (GCS Orig. 7, 391) auf die von Psalm 100(101) und in Hiez. hom. 1 1 , 5 (GCS Orig. 8, 431) wie in los. hom. 13,3 (GCS Orig. 7, 373) auf die Jeremiaauslegung. In Hier. hom. 12,3 (GCS Orig. 3 2 , 89) wies Orígenes auf die Lesung des Buches Numeri voraus. Der Verweis in Regn. hom. graec. 6 (GCS Orig. 3 3 , 289) auf die Auslegung von Psalm 21 (22) könnte sich auch auf den frühen, in Alexandria geschriebenen Kommentar zu Ps 1 - 2 5 beziehen. In Is. hom. 1 , 1 (GCS Orig. 8, 244). Siehe die Ubersetzung unten S. 199 mit Anm. 9 und 1 o. In Hier. hom. 12,3 (GCS Orig. 3 2 , 89). Vgl. dazu GRAPPONE, Cronologia 49. In Is. hom. 1,4 (GCS Orig. 8, 246). In Gen. hom. 3,5 (GCS Orig. 6, 46). Siehe unten S. 205 mit Anm. 24. In Is. hom. 3,2 (GCS Orig. 8, 255). GRAPPONE, Contesto liturgico 348f. Anni. 102, hält es für nicht entscheidbar, ob die hier gemeinte Lesung aus dem Buch Genesis in einem der vorausgehenden Gottesdienste oder im selben vorgetragen wurde. Wäre letzteres der Fall, würde man freilich einen deutlicheren Hinweis des Orígenes darauf erwarten.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

23

Für die Datierung der Jesajahomilien des Orígenes ergibt sich daraus nur der schwache Hinweis auf eine mögliche relative Chronologie, nämlich deren Einordnung nach den Genesis- und v o r den Levitikushomilien. Für ein D a t u m bleibt nur die oft bezweifelte Nachricht des Eusebius, Orígenes habe erst unter Kaiser Philippus Arabs (Anfang 244 — September/Oktober 249) 1 υ υ im Alter v o n über sechzig Jahren erlaubt, seine Predigten mitzuschreiben.'" 1 D a Orígenes um 185 geboren ist,'" 2 führt diese Notiz in seine letzten Lebensjahre nach 244/45. Damit gelangt die Frage nach der Datierung der Jesajahomilien zu der Antwort, die schon A d o l f v o n Harnack, der die Genesis- und die Levitikushomilien nach 244 datierte, gegeben hatte: „ Z e i t unbestimmt, w o h l auch nach 244". 1 0 3 Das würde bedeuten, dass die Homilien nach dem K o m m e n t a r entstanden sind, doch Sicherheit ist in diesen letztlich v o n Eusebius abhängigen Daten nicht zu erreichen.

b) D i e Echtheit der neunten Homilie Von diesen 25 oder 32 griechischen Jesajahomilien des Orígenes hat Hieronymus im Jahre 3 80 in Konstantinopel die neun Predigten in das Lateinische übersetzt, die noch heute erhalten sind (dazu unten in Kapitel IV). Lange Zeit umstritten war die Echtheit der letzten Homilie, die sich in der handschriftlichen Uberlieferung nur darin, dass sie ein Fragment ist, v o n den anderen abhebt. N a c h d e m sie in der neuzeitlichen Origenesforschung seit den Herausgebern der Humanistenzeit und seit Pierre-Daniel Huet problemlos akzeptiert worden war, 1 0 4 hat der Herausgeber der modernen kritischen Edition der lateinisch erhaltenen Predigten des Orígenes in den „Griechischen Christlichen Schriftstellern", Wilhelm A d o l f Baehrens, sie f ü r eine Fälschung gehalten, 105 worin ihm einige Rezensenten gefolgt sind. 1 " 6 Seine Einwände stützen sich auf zwei Stellen in der neunten H o milie, v o n denen die eine gegen Orígenes als Verfasser, die andere gegen Hieronymus als Ubersetzer spreche. Beide Argumente lassen sich indes entkräften.

100 KIENAST, Kaisertabelle 198.

101 Eusebius, hist. eccl. VI 36,1 (GCS Eus. 2, 590). 102 Alle für die Berechnung dieses Datums relevanten Stellen bei FÜRST, IntellektuellenReligion 51 f. 103 HARNACK, Geschichte II/2, 43. 1 0 4 HUET, Origeniana III 2,3 Nr. 8 (abgedruckt in PG 1 7 , MANN, Ü b e r l i e f e r u n g 7 6 - 8 1 ; HARNACK, E r t r a g II, 1 8 .

1219f.).

Ferner KLOSTER-

105 BAEHRENS, Fälschung; ders., GCS Orig. 8, XLI sq. 1 0 6 N a m e n t l i c h P . KOETSCHAU, in: T h L Z 5 1 (1926) 1 3 0 - 1 3 4 , hier: 1 3 3 , u n d F. DIEKAMP,

in: T h R v 25 (1926) 367f., hier: 368.

Einleitung

24

In der n e u n t e n H o m i l i e w i r d w i e in der sechsten das Verhalten Jesajas bei seiner B e r u f u n g z u m P r o p h e t e n mit d e m Verhalten M o s e s v o r d e m D o r n b u s c h v e r g l i c h e n . W ä h r e n d O r í g e n e s in der sechsten H o m i l i e seine Ü b e r l e g u n g e n mit der B e o b a c h t u n g einleitet, „dass M o s e sich anders v e r halten hat als J e s a j a " , 1 0 7 w i r d in der n e u n t e n H o m i l i e die S a c h e so dargestellt, dass M o s e „ d i e s e l b e n W o r t e gebraucht h a t " w i e Jesaja, 1 0 8 beide also auf die B e r u f u n g durch G o t t gleich reagiert hätten. Letzteres sieht nicht n u r w i e ein W i d e r s p r u c h zu den A u s s a g e n des O r í g e n e s in der sechsten H o m i l i e aus, sondern steht auch in eklatantem G e g e n s a t z zur biblischen E r z ä h l u n g , in der M o s e sich anders als Jesaja der B e r u f u n g entziehen w i l l . V i t t o r i o Peri, der sich ausführlich mit d e m P r o b l e m der E c h t h e i t der n e u n t e n H o m i l i e befasst hat, w o l l t e dieses P r o b l e m mittels einer K o n j e k t u r lösen. S e i n Vorschlag f ü r die f r a g l i c h e Stelle lautet: Sed ut paratior esset ad hoc, meminerat vocis Non autem (statt nam et) Ule eadem utens voce: mitte me, princeps populi factus et famulus

Moysi. iudexque

dei nuncupatus est.1"9 M i t dieser Ä n d e r u n g w i r d in den T e x t

die V e r n e i n u n g eingetragen, die m a n vermisst, u n d seine A u s s a g e an den B i b e l t e x t angepasst. Paläographisch lässt sich die V e r s c h r e i b u n g v o n non autem in nam et d u r c h falsche A b k ü r z u n g e n b z w . A u f l ö s u n g e n f ü r diese W ö r ter plausibel m a c h e n , d o c h o b der T e x t d u r c h diese K o n j e k t u r e i n e n S i n n ergibt, scheint z w e i f e l h a f t : Ist es logisch zu sagen, Jesaja habe sich b e i seiner spontanen A n n a h m e der B e r u f u n g z u m P r o p h e t e n der W o r t e des M o s e in derselben Situation erinnert, — der aber nicht dasselbe gesagt habe w i e Jesaja? R o g e r G r y s o n u n d D o m i n i q u e Szmatula m ö c h t e n den Satz daher lieber als Glosse streichen, w a s auch P e r i schon e r w o g e n , aber v e r w o r f e n hatte. 1 1 0 S o recht b e f r i e d i g e n w o l l e n derartige E i n g r i f f e in den T e x t freilich nicht, w e i l das P r o b l e m damit e i n f a c h dadurch b e h o b e n w i r d , dass eine lectio dijßcilis in eine lectio facilis u m g e s c h r i e b e n w i r d , der lectio difficilior aber t e x t kritisch der V o r z u g zu g e b e n ist, auch w e n n diese s c h w e r o d e r k a u m v e r ständlich ist — o d e r dies zu sein scheint. Letzteres gilt i m v o r l i e g e n d e n Fall. D i e Ü b e r s e t z e r i n der italienischen A u s g a b e in den „ C o l l a n a di Testi Patrist i c i " , M a r i a Ignazia D a n i e l i , hat n ä m l i c h darauf h i n g e w i e s e n , dass der h e bräische T e x t v o n E x . 4 , 1 3 : „ S c h i c k d o c h , d u r c h w e n du s c h i c k e n m a g s t ! " die in der n e u n t e n H o m i l i e v o r g e n o m m e n e D e u t u n g durchaus zulässt. 1 1 1 R e k u r r i e r t ein A u s l e g e r auf den b l o ß e n Wortlaut u n d zitiert er n u r selektiv ein

oder zwei Wörter

aus d e m

zugrundeliegenden

Bibeltext,

nämlich

„ s c h i c k ( d o c h ) " , dann lässt sich auf dieser Basis durchaus b e h a u p t e n , hier würden

107 108 109 110 111

„dieselben W o r t e

gebraucht"

wie

in J e s .

6,8, n ä m l i c h

Orígenes, in Is. hom. 6,1 (GCS Orig. 8, 268). Ebd. 9 (8, 288). V. Peri, Tradizione manoscritta 220-229. G r y s o n / S z m a t u l a , Les commentaires patristiques 28; V. Peri, ebd. 22of. D a n i ] , l i , CTePa 132, 169.

„sende

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

25

(mich)". Auch der Gegensatz dieser Aussage in der neunten Homilie zu den Ausführungen des Orígenes in der sechsten Homilie ist nicht so scharf, wie es zunächst scheinen könnte. Letztere zielen nämlich darauf, den Gegensatz zwischen den Verhaltensweisen des Mose und des Jesaja als situationsbedingt zu erklären. Jesaja habe, so Orígenes, seine Berufung deshalb bereitwillig angenommen, weil ihm zuvor seine Sünden erlassen worden waren (Jes. 6,7); weil das bei Mose nicht der Fall gewesen sei — dieser habe vielmehr einen erschlagenen Ägypter auf dem Gewissen gehabt (Ex. 2,12) —, habe dieser seine Berufung nicht so direkt annehmen können. 1 1 2 Ihre unterschiedlichen Reaktionen seien also in einer unterschiedlichen Situation begründet. Insofern sich aber jeder in der Situation des anderen wie der jeweils andere verhalten hätte, sei ihre Haltung letztlich identisch: „Wenn auch Mose eine entsprechende Gnade empfangen und vernommen hätte: ,Siehe, ich habe deine Verfehlungen von dir genommen' und: ,Ich habe dich von deinen Sünden gereinigt' (Jes. 6,7), hätte er vermutlich niemals gesagt: ,Bestimme und sende einen anderen!' (Ex. 4 , 1 3 ) . " 1 B Dieser exegetische Gedankengang des Orígenes folgt dem altkirchlichen A x i o m der Widerspruchsfreiheit der Bibel. E r zeigt, dass die Aussagen in der sechsten und in der neunten Homilie nicht einfach widersprüchlich sind, auch wenn in letzterer abgekürzt so geredet wird, dass ein offenkundiger Widerspruch dazustehen scheint. Zuzugeben ist, dass beide Texte in ihrem Wortlaut in einer gewissen Spannung zueinander stehen, doch reicht diese angesichts der komplexeren Überlegungen des Orígenes zu diesem Thema nicht aus, ihm die neunte Homilie abzusprechen. Außerdem teilt sie mit seinen anderen Homilien, nicht nur denen zum Buch Jesaja, so viele Charakteristika, 114 dass es sich um einen durch und durch origeneischen Text handelt. Bestätigt wird diese Einschätzung durch den in ihr folgenden Rekurs auf die Auslegung eines „Hebräers", in der Jes. 6,8 von Jes. 40,6 her erklärt und das Verhalten Jesajas mit dem Verhalten des Mose auf diese Weise ebenfalls parallelisiert wird: Jesaja habe die Berufung deshalb bereitwillig angenommen, weil er den traurigen Inhalt der Prophezeiung (Jes. 6,9 f.) noch nicht gekannt habe; daraufhin sei er jedoch „weniger folgsam gewesen": Bei einem erneuten Verkündigungsauftrag habe er sich erst nach dem Inhalt der Verkündigung erkundigt: „Was werde ich laut rufen?" (Jes. 40,6). 113 Exakt dieselbe Deutung mit demselben Rekurs auf einen „Hebräer" präsentierte Orígenes in der letzten der griechisch erhaltenen Jeremiahomilien, um die Berufung Jesaj as zu erklären. 116 Der Hinweis von Baehrens, dass diese E x 112 113 114 115

Orígenes, in Is. hom. 6,1.2 (GCS Orig. 8, 268f. 27of.). Ebd. 6,2 (8, 271). Zusammengestellt von V . P E R I , Tradizione manoscritta 214—216. Orígenes, in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 288). Siehe dazu auch BIETENHARD, Caesarea

' 27 f.

1 1 6 In Hier. hom. 20,2 (GCS Orig. 3 a , 179).

26

Einleitung

e g e s e a u c h i n d e n S c h r i f t e n des H i e r o n y m u s z u f i n d e n sei 1 1 7 — d e r sie m i t S i c h e r h e i t seinerseits v o n O r í g e n e s k a n n t e — u n d e i n F ä l s c h e r sie daraus l e i c h t h a b e e n t n e h m e n k ö n n e n , ist z w a r an sich r i c h t i g , a b e r k e i n A r g u m e n t g e g e n d i e A u t o r s c h a f t des O r í g e n e s . A l s B e w e i s f ü r die A n n a h m e ,

dass H i e r o n y m u s n i c h t d e r U b e r s e t z e r

dieser P r e d i g t sei, v e r w i e s B a e h r e n s a u f d e n Satz: Propter hoc sermo subtilis

erat (ut in Exodo

scriptum est de eo), quod ait: quicumque fuerint

tenuitatem eiusmodi mundo corde, isti Deum

videbunt.llli

Moysi propter

W e i l quod ait. n o r m a l e r -

w e i s e e i n Z i t a t e i n l e i t e t , h i e r also n a c h e i n e m e x p l i z i t e n H i n w e i s a u f das B u c h E x o d u s e i n e Stelle aus d e r B e r g p r e d i g t zitiert w i r d , sei d i e

Zusam-

m e n s t e l l u n g v o n E x . 4 , 1 0 u n d M t . 5,8 d u r c h quod ait „ e i n e ä u ß e r s t u n g l ü c k l i c h e " ; w o r i n sich d i e d a m i t d o k u m e n t i e r t e „ U n f ä h i g k e i t " des U b e r s e t z e r s sonst n o c h m a n i f e s t i e r e , hat B a e h r e n s n i c h t e r l ä u t e r t . 1 1 9 V i t t o r i o P e r i v e r s u c h t d e n E i n w a n d e r n e u t mittels e i n e r K o n j e k t u r z u e n t k r ä f t e n , i n d e m er n a c h quod ait e i n w ö r t l i c h e s Z i t a t v o n E x . 4 , 1 0 einsetzt: subtilis vocis sum et tardilinguis.12"

G r y s o n u n d S z m a t u l a h a l t e n diese E i n f ü g u n g f ü r p l a u s i b e l ,

w o l l e n a b e r l i e b e r , a n a l o g z u i h r e m V e r f a h r e n an d e r ersten p r o b l e m a t i s c h e n Stelle, quod ait s t r e i c h e n . 1 2 1 W i e a u c h i m m e r diese s p r a c h l i c h g e w i s s u n e b e n e Stelle p h i l o l o g i s c h z u e r k l ä r e n sein m a g : Israel P e r i hat a n h a n d des S p r a c h g e b r a u c h s i n d e r n e u n t e n J e s a j a h o m i l i e d e n N a c h w e i s g e f ü h r t , dass i h r l a t e i n i s c h e r T e x t v o n H i e r o n y m u s s t a m m t . 1 2 2 S o w u r d e das A d j e k t i v ΐ σ χ ν ό φ ω υ ο ς i n E x . 4 , 1 0 i n d e n a l t l a t e i n i s c h e n B i b e l ü b e r s e t z u n g e n m e i s t m i t gracilis w i e d e r g e g e b e n W o r t g e b r a u c h t e K u f ì n u s i n seiner W i e d e r g a b e

dieses

dieser B i b e l s t e l l e i n

den

Genesis- u n d E x o d u s h o m i l i e n ( w o b e i er in einer G e n e s i s h o m i l i e ausdrückl i c h aus d e n codices ecclesiae zitierte) 1 2 3 —, d a n e b e n m i t tenuis u n d exilis;

letz-

teres v e r w e n d e t e H i e r o n y m u s z u m B e i s p i e l an e i n e r Stelle i n d e r s e c h s t e n J e s a j a h o m i l i e . 1 2 4 W e n i g e Z e i l e n w e i t e r g e b r a u c h t e er d a f ü r j e d o c h

subtilisU5

— w i e i n d e r n e u n t e n H o m i l i e an d e r o b e n z i t i e r t e n Stelle. D a r a u s ist z u

117 Hieronymus, epist. i8A,i j (CSEL 54, 93-96); in Es. III 8 (VL.AGLB 23, 322). KLOSTEEMANN, Uberlieferung 76-83, nahm an, dass Hieronymus an diesen Stellen zu gleichen Teilen von den Jesaja- und von den Jeremiahomilien abhängig zu sein scheint, falls nicht - was ebenfalls möglich ist - im verlorenen Jesajakommentar des Orígenes eine entsprechende Passage stand und Hieronymus auf diese zurückgriff. 118 Orígenes, in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289). 119 BAEHRENS, G C S Orig. 8, XLII. 120 V. PERI, Tradizione manoscritta 217—220. 121 GRYSON/S/.MArui.A, Les commentaires patristiques 2η{. 122

I. PERI, E c h t h e i t 9F.

123 Orígenes, in Gen. hom. 3,5 (GCS Orig. 6, 45); in Ex. hom. 3,1 (GCS Orig. 6, 161. 162). 124 In Is. hom. 6,1 (GCS Orig. 8, 270 Zeile 11). 125 Ebd. 270 Zeile 14.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

27

schließen, dass die Bemerkung zu Ex. 4,10 in der neunten Jesajahomilie nicht mit Blick auf einen lateinischen Bibeltext, in dem gracilis gestanden hätte, geschrieben worden ist, wie das für einen Fälscher anzunehmen wäre, sondern der Wortlaut wie in der sechsten Homilie dadurch zustande kam, dass aus dem Griechischen übersetzt wurde. Ferner gebrauchte Hieronymus in seinen Ubersetzungen der Jeremía-, Ezechiel- und Jesajahomilien die Wörter propheta und prophet.es ohne Unterschied — ebenso in der neunten Jesajahomilie. 126 Außerdem wird der „Hebräer" in dieser Homilie mit ganz ähnlichen Worten eingeführt wie der „Hebräer" in einer Ezechielhomilie: audivi autem ego quendam Hebraeum exponentem hunc locum atque dicentem — audivi quondam a quodam Hebraeo hunc locum exponente atque dicente.121 U n d schließlich begegnet in der neunten Jesajahomilie zweimal eine Ubersetzung von Jes. 6,9: cementes adspicietis,128 die sowohl von der üblichen altlateinischen Fassung (videntes videbitis) als auch von den Ubersetzungen dieses Verses in der sechsten Jesajahomilie (videntes cernetis; videntes videbitis)129 abweicht, aber mehrfach im Traktat des Hieronymus über die Seraphim (Brief 18A) auftaucht. 1311 Da diese spezielle Wendung in Jes. 6,9 nur in diesen beiden Texten zu finden ist und sonst nirgends, ist das allein ein Beweis dafür, dass der lateinische Text der neunten Jesajahomilie von Hieronymus stammt. Die neunte Jesajahomilie bzw. das wenige, was von ihr noch übrig ist, ist gewiss kein besonders gelungener Text. Auch ist nicht auszuschließen, dass der Text an den beiden besprochenen Stellen verderbt ist. Gleichwohl gibt es keine ausreichenden Argumente dagegen, dass sie wie die anderen Jesajahomilien von Orígenes stammt und von Hieronymus in das Lateinische übersetzt worden ist.

c) Kommentierte Jesajaverse und die Sequenz der Homilien Welche Perikopen bzw. Verse in den 25 oder 32 griechischen Homilien erörtert wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. In den lateinischen H o milien werden folgende Verse kommentiert: 131

1 2 6 Ebd. 288 Zeile 1 5 und 20: prophètes; 289 Zeile 27: propheta. 1 2 7 Ebd. 288 Zeile i 8 f . bzw. ebd. 369 Zeile 2 i f . (in Hiez. hom. 4,8). A u f diese Parallele hat schon V . PIIITI, Tradizione manoscritta 2 1 5 Anni. 6, aufmerksam gemacht. 128 Ebd. 288 Zeile 2 6 f . ; 289 Zeile 6 f . 1 2 9 Ebd. 269 Zeile 1 (in Is. hom. 6,1); 272 Zeile 2 (in Is. hom. 6,3). 1 3 0 Hieronymus, epist. 1 8A praef. ( C S E L 54, 74 Zeile 18). 4 (78 Zeile 14). 1 5 (93 Zeile 4 und 23). 1 6 (96 Zeile 4f.). 1 3 1 D i e Ubersicht bei GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 25, beansprucht zwar, präziser zu sein als üblich, beachtet aber nicht immer, welche Verse in

28

Einleitung Homilie

I II III IV V VI VII VIII IX

Jes.

6,1-7 7,11-1 5 4,i 6,2-7 41,2; 6,1.5-6 6,8-10 8,18-20 10,10-1 3 6,8-10

Während die vierzehn Homilien zum B u c h Ezechiel, die Hieronymus in das Lateinische übersetzt hat, der Sequenz des Bibeltextes folgen, hat er vierzehn Jeremiahomilien, wie er selbst sagte, confuso ordine, „ohne mich an ihre Reihenfolge zu halten", übertragen. 132 Für die Jesajahomilien gilt das o f f e n sichtlich ebenfalls. Allein fünf Homilien (I, IV, V, VI und IX) sind den Versen Jes. 6 , 1 - 1 0 gewidmet und beinhalten zahlreiche Doppelungen. Insbesondere in den Homilien I und IV und in den Homilien VI und I X werden dieselben Verse erörtert, wobei die Ausführungen sich teils decken, teils unterschiedlich nuanciert sind. 133 Die übrigen vier Homilien befassen sich mit einzelnen Versen aus dem (nach heutiger Einteilung) ersten Teil des Jesajabuches (Jes. 1—12), deren Auswahl eher zufällig anmutet (zu Jes. 4 1 , 2 in der fünften Homilie s.u.). Eine Aufstellung nach Jesajaversen sieht daher so aus: Jes.

4,1 6,1-7 6,8-10 7,11-15 8,18-20 10,10-13 41,2

Homilie(n)

III I - IV - V VI - IX II VII VIII V

Eine Erklärung für die ungeordnete Sequenz der Homilien ergibt sich möglicherweise aus der unterschiedlichen Form der Titel, die diese Homilien in den Handschriften tragen: I

Visio prima. ,,Et factum est in anno, quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum sedentem super solium excelsum" (Jes. 6,1 ).

den Homilien tatsächlich ausgelegt werden. Dasselbe gilt für DANIII.i, CTePa 132, 1 1 , u n d HOLLERICH, E u s e b i u s 50.

1 3 2 Hieronymus, in Hiez. horn. prol. (GCS Orig. 8, 318). 133 Eine Aufstellung für die Homilien I und IV sieht näherhin so aus: in Is. hom. 1,1 entspricht 4,3 (dazu 5,3); 1,2 - 4,1; 1,3 - 4,2; 1,4 - 4,3 (dazu 5,2); 1,5 - 4,4f. (dazu 6,2).

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

II III IV

V VI

VII Vili

IX

29

„Ecce, virgo in utero accipiet" 0es. 7,14). D e Septem mulieribus 0es. 4,1). Rursum in visione aliter. Visio de duobus Séraphin aliter. D e visione Dei et (de) Seraphin (et cetera). D e eo, quod scriptum est: „Quis elevavit ab oriente iustitiam?" 0es. 4 1 , 2 ) et de visione iterum aliter. D e eo, quod scriptum est: „ Q u e m mitto, et quis vadit?" (Jes. 6,8) usque ad eum locum, in quo ait: „Et convertantur, et sanabo eos" (Jes. 6,10). D e eo, quod scriptum est: „Ecce, ego et pueri mei, quos mihi dedit Deus" (Jes. 8,18) et cetera. D e eo, quod scriptum est: „Ululate sculptilia in Hierusalem et in Samaria" (Jes. 10,10) usque ad eum locum, in quo ait: „Et commovebo civitates, quae inhabitantur" (Jes. 10,13). D e eo, quod scriptum est: „Et audivi vocem Domini dicentis: Q u e m mittam, et quis ibit ad populum istum?" (Jes. 6,8). Et transgrediens modica pervenit usque ad locum, in quo scriptum est: „Pete tibi signum a D o m i n o D e o tuo in profundum aut in excelsum" (Jes. 7,11).

Die Homilien I—IV tragen verschiedene Formen von Titeln: In der Ü b e r schrift zur ersten Homilie wird der erste Vers aus der Vision des Propheten Jesaja zitiert (Jes. 6,1), 1 3 4 zur zweiten Homilie der kirchen- und theologiegeschichtlich zentrale Vers der besprochenen Perikope (Jes. 7,14), über der dritten Homilie steht eine Inhaltsangabe des besprochenen Verses 0es. 4,1) in Form einer antiken Uberschrift, und zur vierten Homilie finden sich in den Handschriften abweichende Angaben, 1 3 5 die darin übereinkommen, dass sie den Inhalt der besprochenen Perikope (erneut die Vision Jesajas) benennen; der ursprüngliche Titel ist wohl verlorengegangen. Die Homilien V—IX weisen demgegenüber dieselbe Titelform auf: Identisch eingeleitet mit der Formel de eo, quod scriptum est, werden jeweils die ersten W ö r t e r der ausgelegten Stelle zitiert, sodann die Wörter, bis zu denen die Auslegung reicht, was einmal abgekürzt ist zu et cetera, „usw." (Homilie VII), einmal zu einer Inhaltsangabe zusammengefasst wird (Homilie V : erneut die Vision Jesajas). Diese Titelform begegnet auch in den griechisch erhaltenen J e r e miahomilien (ebenso in den in das Lateinische übersetzten Jeremiahomilien) sowie in den lateinisch in der Ubersetzung des Hieronymus überlieferten Lukashomilien. Sie geht vielleicht auf die Stenographen zurück, die die

1 3 4 Z u r Zählung dieser Vision als visio prima siehe unten S. 1 9 4 Anni. 2. 1 3 5 Siehe dazu unten S. 228 A n m . 60.

30

Einleitung

Predigten des Orígenes mitgeschrieben haben, und ist in den aus den Mitschriften angefertigten bzw. später davon abgeschriebenen Handschriften erhalten geblieben.' 36 B e i m Ubersetzen der Homilien V—IX stand Hieronymus möglicherweise eine solche griechische Quelle zur Verfügung, während er für die Homilien I—IV auf andere Vorlagen zurückgegriffen haben könnte. 137 Da Hieronymus die Jesajahomilien des Orígenes in Konstantinopel übersetzt hat, ist es durchaus möglich, dass ihm diese dort in M a n u skripten unterschiedlicher Art zur Hand waren. Die unterschiedlichen T i telformen und die ungeordnete R e i h u n g der Homilien in den Handschriften lassen sich auf diese Weise einigermaßen verständlich machen. Uber diese Überlegungen hinausgehend, könnte die Auswahl der kommentierten Jesaj averse mit ihrer auffälligen Konzentration auf die Vision Jesajas (Jes. 6,1—10) vielleicht so zu erklären sein: Die Ubersetzung der J e sajahomilien war ein Erstlingswerk des Hieronymus, das er im Jahre 380 in Konstantinopel anfertigte. Wir wissen nicht, wieviele Homilien ihm dort auf Griechisch insgesamt vorlagen — die Zahlen 32 bzw. 25 nannte er erst in Werken, die er nach seinem Aufenthalt in Konstantinopel andernorts schrieb, nämlich in einem Brief an Paula, verfasst in R o m im Jahre 384, und im Vorwort zum Jesajakommentar, geschrieben in Betlehem im Jahre 408 138 —, doch waren es wohl mehr als die von ihm übersetzten neun Stück. Dies angenommen, erwecken die vorliegenden lateinischen Texte den Eindruck, dass Hieronymus diejenigen Homilien - oder Passagen daraus (s.u.) — übersetzt hat, in denen Jesaj averse erklärt wurden, die ihn, aus welchen Gründen auch immer, besonders interessierten. Für die Homilien über die Vision Jesajas liegt ein solches Interesse insofern auf der Hand, als deren Deutung durch Orígenes in den trinitätstheologischen Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts und in deren Gefolge im Streit über die Rechtgläubigkeit des Orígenes eine zentrale R o l l e spielte. So wird möglicherweise verständlich, weshalb es in den lateinischen Jesajahomilien zum weitaus größten Teil um die Vision Jesajas geht und dazu sogar Dubletten vorliegen, während ansonsten nur noch eher sporadisch einzelne Verse behandelt werden. Mögliche weitere Gründe für die vorliegende Gestalt der Jesajahomilien hängen mit noch anderen, biographischen Hintergründen dieser Ubersetzung des Hieronymus zusammen (Näheres dazu unten in Kapitel IV).

136 Plausible Argumente für diese Annahme liefert NAUTIN, S C 232, 49—53. 1 3 7 So die Überlegung von GRYSON/SZMATULA, Les commentaires patristiques 2 5 - 2 7 . 138 Siehe oben S. 20 Anni. 86.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

31

d) Die lateinischen Jesajahomilien als Auswahlübersetzung W i e auch immer Auswahl u n d Abfolge der n e u n lateinischen Jesajahomilien zustandegekommen sein mögen: Gegen die ursprünglich 32 oder 25 griechischen Homilien des Orígenes gehalten, liegt mit der Ubersetzung des Hieronymus nur n o c h eine Auswahl daraus vor, die in ihrem U m f a n g zusätzlich dadurch begrenzt wird, dass f ü n f Homilien, die zusammen m e h r als die Hälfte des Gesamttextes ausmachen (28 von 48 GCS-Seiten), sich mit derselben Perikope beschäftigen 0es. 6,1—10). Damit geben diese Homilien nur einen sehr begrenzten Einblick in die Jesajaauslegung des Orígenes. Dazu k o m m t , dass manche dieser Homilien den Eindruck erwecken, nicht komplett zu sein. Lediglich die Homilien I, VI, VII und VIII sehen wie vollständige Predigten aus, und nur die Homilien V—VIII scheinen aus einer fortlaufenden Erörterung des Bibeltextes zu stammen. In den übrigen h i n gegen gibt es jeweils verschieden gelagerte Indizien dafür, dass es sich bei ihnen u m Auszüge aus Predigten oder gar u m fragmentarische Stücke h a n delt. So wirkt der Beginn von Homilie II, als w ü r d e der Text mitten im Gedankengang einsetzen. Z u d e m wird der in der Uberschrift angegebene Versteil in der Predigt zwar n o c h dreimal im Kontext des ganzen Verses (Jes. 7,14) zitiert, aber nirgends besprochen, u n d das, o b w o h l es in der Sache u m ein f ü r die altkirchliche Theologie zentrales T h e m a geht: die Geburt Jesu aus einer Jungfrau. Statt dessen liest man ausführliche R e f l e x i o n e n über den Butter u n d den H o n i g in Jes. 7,1 5. In Homilie III wird, auch ausweislich des Titels, n u r ein Vers erörtert (Jes. 4,1). A u c h w e n n die Ausführungen durch eine Auslegung von Jes. 11,1—3 (die Gaben des Geistes) angereichert sind, könnte man sich doch gut vorstellen, dass in der griechischen Predigt n o c h m e h r Verse besprochen w u r d e n , zumal die Lesung sicher umfangreicher war. Allerdings ist in diesem Fall zu konzedieren, dass auch eine Predigt in der vorliegenden F o r m vorstellbar ist, da Orígenes sich in seiner Exegese nicht selten auf einen einzigen Vers, ja auf ein einziges Wort des biblischen Textes konzentrierte und, von diesem ausgehend, weitreichende theologische Überlegungen anstellte. Bei Homilie IV gibt es deutliche Indizien dafür, dass der Anfang fehlt, doch nicht, weil Hieronymus ihn nicht übersetzt hätte, sondern weil er w o h l im Laufe der handschriftlichen Uberlieferung verlorengegangen ist. Darauf deutet der fehlende Titel, der in den v o r h a n denen Handschriften unterschiedlich ergänzt ist (s.o.), 139 u n d darauf deutet, dass die Auslegung der Vision Jesajas mit Jes. 6,2 einsetzt, die zu Jes. 6,1 — ein Vers, zu d e m Orígenes Tiefgründiges zu sagen wusste1411 - aber fehlt, bei

1 39 Siehe unten S. 228 Anm. 60. 140 Orígenes, in Is. hom. 1 , 1 (GCS Orig. 8, 242f.); vgl. 5,3 (8, 265-267). Siehe dazu unten S. 113—123.

32

Einleitung

der Auslegung v o n Jes. 6,5 j e d o c h eingespielt wird, als wäre sie bekannt. 1 4 1 D i e vierte Homilie ist w o h l ein Fragment, dessen A n f a n g fehlt, weil vielleicht schon im vorkarolingischen Archetyp (über diesen unten in Kapitel V) eines oder mehrere Blätter verlorengegangen sind. 142 Eindeutig ein Fragment ist Homilie I X , die nach wenigen Sätzen mitten im Gedankengang bei der Erörterung v o n Jes. 6 , 1 0 abbricht, also weit v o r dem in der Uberschrift genannten Vers Jes. 7 , 1 1 . In einer Handschrift ist noch ein weiterer Satz überliefert, in den meisten ist die fehlende Fortsetzung auf unsinnige Weise so hergestellt, dass der gesamte Schlussteil — ein längeres Stück Text — der neunten griechischen Jeremiahomilie in der Ubersetzung des Hieronymus (darin als sechste Homilie gezählt) angehängt ist. 143 Besonders unvollkommen wirkt Homilie V . Dieser Eindruck entsteht schon daraus, dass sie mit der Auslegung eines Verses einsetzt (Jes. 4 1 , 2 ) , der weit ab v o m eigentlichen T h e m a der Predigt liegt (erneut die Vision Jesajas) und auch weit ab v o n den in den Homilien ansonsten besprochenen Perikopen. Es entspricht zwar durchaus den Gepflogenheiten des Homileten Orígenes, die Predigt mit einer Art Prolog, zumeist mit Auslegungen v o n Bibelstellen, die nicht Gegenstand der vorhergehenden Lesung waren, aber thematische Parallelen bieten, oder mit verwandten T h e m e n beginnen zu lassen. 144 Jes. 4 1 , 2 hat j e d o c h mit den im Folgenden ausgelegten Versen Jes. 6,1 und 6,5 f. sachlich nichts zu tun. Eine weitere Schwierigkeit dieses P r o logs liegt darin, dass Orígenes Jes. 6,1 als Beginn und Jes. 4 1 , 2 als Ende des Lesungstextes bezeichnete, den er auslegte. Weil eine derart lange Lesung undenkbar ist, könnte man einen nicht fortlaufenden Lesungstext v e r m u ten.' 4 3 D a dies j e d o c h nicht der altkirchlichen Praxis entspricht, könnte diese Schwierigkeit vielleicht ein Indiz dafür sein, dass der Text, der als Homilie V fungiert, aus Exzerpten aus zwei verschiedenen Predigten besteht. Im Fortgang der Predigt fragt man sich sodann, worüber Orígenes denn nun eigentlich reden wollte. Hauptsächlich geht es um Jes. 6 , 1 , doch ganz anders als in Homilie IV, in der er bei der Auslegung der Vision Jesajas etliche neue Aspekte gegenüber den Ausführungen in Homilie I bringt, sagt er in H o milie V nichts über das hinaus, was auch schon in den Homilien I und IV zu lesen ist. Vollends unbefriedigend ist der Schluss: Unvermittelt kommt O r í genes auf Bibelstellen zu sprechen (Mt. 25,27; Lk. 19,20.23), deren Z u s a m menhang mit der Vision Jesajas genauso w e n i g klar wird w i e der seiner kurzen und kryptischen Ausführungen darüber mit dem vorausgehenden Teil der Predigt, und auffälligerweise fehlt auch noch die in den Predigten

141 142 143 144 145

Ebd. 4,3 (8, 260). So Gryson/S/.matui.a, Les commentaires patristiques 26. Genauere Angaben unten S. 305 Anm. 179. Beispiele dazu aus den Jeremiahomilien bei N a u t i n , SC 232, 1 2 3 - 1 2 5 . Vgl. dazu die Problemanzeige bei Graimoni;, Contesto liturgico 348f. Anm. 102.

I. Die Jesajaauslegung des Orígenes

33

des Orígenes übliche, in allen anderen Jesajahomilien — außer der neunten, deren Schluss fehlt — anzutreffende Schlussdoxologie aus ι Petr. 4,11. 1 4 6 Dieser B e f u n d kann verschieden erklärt werden. Z u banal dürfte w o h l das B o n m o t sein, auch ein Orígenes habe nicht immer einen guten Tag gehabt. Schon erhellender könnte eine Bemerkung des Orígenes sein, die auf Unruhe in der gottesdienstlichen Versammlung schließen lässt: „Wenn ihr zumindest jetzt hören wollt, lasst uns gemeinsam den Herrn bitten, dass wir wenigstens jetzt, beim K o m m e n des Wortes, dem, was der Prophet sagt, Aufmerksamkeit zu schenken vermögen." 1 4 7 Fühlte Orígenes sich zu sehr gestört, als dass er in der Lage gewesen wäre, eine ordentliche Predigt zu halten, und hat er die Predigt möglicherweise deshalb abgebrochen, ohne sie richtig zu Ende zu bringen? Aber warum hat Hieronymus dann ausgerechnet eine solche Predigt für seine Ubersetzung ausgewählt? Oder war es so, dass Hieronymus nur Auszüge aus der Predigt übersetzte, die ihn inhaltlich interessierten, und zwar vermutlich deshalb, weil es wiederum u m die V i sion ging, die sein Augenmerk generell am meisten auf sich zog? Diese Fragen werden sich kaum sicher beantworten lassen. Zusammen mit den Beobachtungen zu den Homilien II—IV und IX liefern sie aber in der Summe deutliche Indizien dafür, dass wir mit den v o n Hieronymus übersetzten Homilien nur zum Teil vollständige Predigten vorliegen haben, zum Teil hingegen Stücke, die eher als Teile von Predigten oder Auszüge daraus anzusprechen sind. Die Jesajahomilien des Orígenes liegen uns nur noch in den unterschiedlich umfangreichen, mehr oder weniger vollständigen Exzerpten vor, die Hieronymus für seine lateinische Ubersetzung ausgewählt hat. Mit der Charakterisierung der neun lateinischen Jesajahomilien als „ A u s wahl" stehen diese Homilien im erhaltenen Predigtwerk des Orígenes keineswegs isoliert da. Bekanntlich hat Orígenes viel mehr Predigten gehalten, als heute noch vorhanden sind. Im griechischen Original sind nur 21 H o milien überliefert: die berühmte Predigt über die Wahrsagerin (die „ H e x e " ) v o n Endor (1 Sam. 28) und zwanzig Jeremiahomilien. 148 In beiden Fällen beruht die Erhaltung auf einer einzigen Handschrift. 149 Es waren also die Fährnisse der handschriftlichen Uberlieferung, die diese im Grunde zufällige Auswahl aus den griechischen Homilien des Orígenes getroffen haben, die wir heute noch lesen können. A b e r auch mit den etwa zweihundert H o -

146 Siehe dazu auch unten S. 250 Anm. 98 und S. 252 Anni. 100. 147 Orígenes, in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 265). Siehe unten S. 246 Anni. 89 und S. 248 Anni. 92. 148 Ediert von K i . o s t ü r m a n n / N a u tin, GCS Orig. 3a, 283-294 bzw. 1-194. 149 Die Samuelhomilie steht im Codex Monacensis graec. 331 saec. X, die Jeremiahomilien im Codex Scorialensis Ω III 19 saec. XI/XII; eine Abschrift davon ist Codex Vaticanus graec. 623 saec. XVI.

Einleitung

34

milien, die in den lateinischen Übersetzungen des R u f m u s und Hieronymus erhalten sind, wird uns eine Auswahl aus dem homiletischen Œ u v r e des Alexandriners präsentiert, und zwar nicht nur im Blick auf die ursprünglich noch viel zahlreicheren Homilien im griechischen Original, sondern auch im Blick auf die zu einzelnen biblischen Schriften lateinisch erhaltenen Predigten. Das gilt, w i e Manlio Simonetti überzeugend gezeigt hat, auch f ü r eine Sammlung, die so vollständig aussieht w i e die 16 Genesishomilien, die in R u f i n s lateinischer Ubersetzung vorliegen. 1 5 1 1 Es lässt sich nämlich eine R e i h e v o n überzeugenden Indizien dafür beibringen, dass R u f i n s lateinische Homilien eine Auswahl aus den Genesishomilien des Orígenes darstellen: D i e Homilien III—XIV (zu Gen. 17—26) bilden eine Einheit, die als geschlossener Zyklus aufgefasst werden kann, die ersten (über Gen. 1 und 6,13—16) und die letzten (über Gen. 45,25-46,4 und 47,21—27) beiden P r e digten heben sich deutlich davon ab, ohne dass sicher gesagt werden kann, ob sie aus zwei anderen Predigtzyklen stammen; die heutige Anordnung der Homilien geht auf die handschriftliche Uberlieferung zurück. 1 5 1 Daraus sow i e aus den hier gemachten Beobachtungen zu den Jesajahomilien geht hervor, dass die homiletische Hinterlassenschaft des Orígenes insgesamt als (gewiss umfangreiche) Anthologie aus seinem Predigtwerk aufzufassen ist. Von den griechischen Jesajahomilien des Orígenes liegt also nur noch eine lateinische Auswahlübersetzung aus dem Jahre 3 80 vor, deren spezifische Zusammensetzung mit der auffälligen Konzentration auf die Vision Jesajas (Jes. 6) sich der theologiegeschichtlichen Entwicklung des 4. Jahrhunderts und dem inhaltlichen Interesse des Ubersetzers Hieronymus verdankt. Damit gehören diese Homilien gewiss nicht zu den Spitzentexten des Orígenes, und so erklärt sich ihr Schattendasein in der Origenesforschung. Gleichwohl bieten sie einige nicht uninteressante exegetisch-theologische Gedanken, auf die im Folgenden einzugehen ist.

150 Die Zahl 17 im Katalog des Hieronymus, epist. 33,4 (CSEL 54, 257), erklärt sich nach BAI:HR],NS, GCS Orig. 6, X X V I I I - X X X , daraus, dass dieses Verzeichnis nur in Handschriften erhalten ist, die ihrerseits von einer Handschriftengruppe abhängen, in denen eine 17. Genesishomilie enthalten ist, die aber nachweislich eine Fälschung ist. 151

N ä h e r e s b e i SIMONETTI, L e Omelie sulla Genesi, bes. 2 6 5 . 2 7 0 , dazu die H i n w e i s e v o n M . I. DANIELI i m z u g e h ö r i g e n „ i n t e r v e n t o " , ebd. 2 7 5 - 2 7 8 . S i e h e a u c h SIMONETTI,

Opere di Origene 1, 8—11.

35

II. Die Jesajaexegese des Orígenes in den Homilien In diesem K a p i t e l sollen nicht die e x e g e t i s c h e n u n d t h e o l o g i s c h e n A u s f ü h r u n g e n des O r í g e n e s zu j e d e m einzelnen der in den H o m i l i e n b e h a n d e l t e n Verse aus d e m J e s a j a b u c h erörtert w e r d e n . D i e A n m e r k u n g e n zur U b e r s e t z u n g bieten zahlreiche H i n w e i s e zur E i n o r d n u n g der j e w e i l i g e n E x e g e s e in die T h e o l o g i e des O r í g e n e s . Das gilt insbesondere f ü r f o l g e n d e P r e d i g t e n bzw. Perikopen:152 H o m i l i e II enthält z w a r mit der I m m a n u e l - W e i s s a g u n g in J e s . 7 , 1 4 einen Satz, der in der altkirchlichen E x e g e s e auf die G e b u r t J e s u aus einer J u n g f r a u hin gedeutet w u r d e u n d in dieser D e u t u n g eine e n o r m e B e d e u t u n g f ü r die K i r c h e n - u n d T h e o l o g i e g e s c h i c h t e erhalten hat. 1 5 3 In den A u s f ü h r u n g e n des O r í g e n e s j e d o c h spielen w e d e r dieser Satz n o c h die z u g e h ö r i g e christliche A u s l e g u n g eine R o l l e . 1 5 4 V i e l m e h r dachte er ü b e r eine p h i l o l o g i s c h e S p e zialfrage nach — w ä h r e n d das letzte V e r b u m in J e s . 7 , 1 4 in der lateinischen U b e r s e t z u n g vocabis lautet, w i r d der Satz in M t . 1 , 2 3 mit vocabunt zitiert 1 3 5 — u n d legte ausgiebig die B e g r i f f e , , B u t t e r " u n d , , H o n i g " in J e s . 7 , 1 5 aus.' 3 6 Sie sind bis heute ausgesprochen interpretationsbedürftig - die M e i n u n g e n ü b e r ihren S i n n g e h e n stark auseinander - , b e w e g e n sich aber anders als in der allegorischen A u s l e g u n g des O r í g e n e s , in der sie positiv als S y m b o l f ü r Fülle u n d W o h l s t a n d k o n n o t i e r t sind, auf der historischen E b e n e des Textes, dessen

Kernbestand

in

die

Zeit

des

syrisch-ephraimitischen

Krieges

(734—732 v . C h r . ) gehört, u n d illustrieren darin w o h l ein n o t d ü r f t i g e s L e b e n (vgl. J e s . 7 , 2 2 ) . 1 5 7

1 52 Zum speziellen Fall von Jes. 41,2 in hom. 5,1 (GCS Orig. 8, 263) siehe oben S. 32f. Die christliche Exegese bezog die Aussage über die Gerechtigkeit in Jes. 41,2 im Gefolge des Orígenes auf Christus (siehe unten S. 99. 1 5o f.), die jüdische Auslegung im Targum hingegen auf Abraham; in der gegenwärtigen historisch-kritischen Forschung wird der Text auf den Perserkönig Kyros und seinen Siegeszug von Osten nach Westen bezogen: B I ; R G I ; S , Jesaja 40-48, 1 7 9 f . 153 Ein zusammenfassender Uberblick dazu bei JAY, Art. Jesaja 8i4f. Für eine moderne Auslegung von Jes. 7,14 im alttestamentlichen Kontext siehe B I Í U K I Í N , Jesaja 1—12, 201 -205. 21 o f. 154 Eine Überlegung dazu, was Orígenes im Jesajakommentar über Jes. 7,14 geschrieben haben könnte, bei K A M I ' . S A R , Virgin 58—62, bes. 61. 155 Orígenes, in Is. hom. 2,1 (GCS Orig. 8, 250). 156 Ebd. 2,2 (8, 251 f.). 157 Näheres bei B I ; U K I ; N , Jesaja 1 - 1 2 , 206f. 208f.

36

Einleitung

Die Homilien VII und VIII behandeln keine speziellen Themen, sondern mit Jes. 8,18—20 und 10,10—13 Verse, die sprachlich im Hebräischen wie im Griechischen sehr schwierig sind. Im Falle von Jes. 8,18—20 hat Orígenes seine Zuhörer ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht und zu Aufmerksamkeit aufgefordert: „Passt auf, denn das ist ja dunkel ausgedrückt ,.."' 5 8 In den fraglichen Versen geht es um Wahrsagerei und Totenbefragung.' 39 Thema der Verse Jes. 10,10—13 sind der Selbstruhm des Königs von Assur und seine maßlosen Ambitionen. 1611 Hier weicht die griechische Ubersetzung der Septuaginta, die Orígenes auslegte, teilweise sehr stark v o m masoretischen Text des Hebräischen ab. 161 Die Ausführungen des Orígenes zu den anderen in den Homilien k o m mentierten Versen, insbesondere zur Vision in Jes. 6, sind einerseits im K o n text der frühchristlichen Theologie so interessant und haben andererseits in der Entwicklung der altkirchlichen Theologie in der Spätantike eine so große und teils so kontroverse Wirkung entfaltet, dass auf sie ausführlicher eingegangen werden soll. Da sich die Jesajahomilien in der vorliegenden Gestalt nicht an die Sequenz des kommentierten Bibeltextes halten, macht das die folgende Besprechung der origeneischen Auslegung von Jes. 11,1—3 (mit 4,1), Jes. 6 , ( j f . und Jes. 6 , 1 - 7 auch nicht, sondern bildet eine inhaltliche Klimax. In diesem Kapitel II liegt der Akzent stärker auf der exegetischen Seite der Jesajaauslegung des Orígenes. Die theologischen Aspekte in ihrer Verknüpfung mit philosophischen Hintergründen und Kontexten werden im folgenden Kapitel III dargestellt.

1. Die Gaben des Geistes in Jes. 11,1—3 Die R e d e von den „(sieben) Gaben des (Heiligen) Geistes" ist ein im Alten Testament gründendes und in der Alten Kirche ausgestaltetes Theologumenon, das seither in der christlichen Tradition verbreitet ist. Ausgehend von Gregor dem Großen, der mit Hilfe der siebenfachen Gabe des Heiligen Geistes eine geistliche Lehre v o m Aufstieg über sieben Stufen zur Pforte des ewigen Lebens entwickelt hatte, 162 entstanden im westkirchlichen lateinischen Mittelalter ganze theologische Abhandlungen und mystische Traktate über die sieben Geistesgaben. 163 Der biblische Anknüpfungspunkt für dieses

158 Orígenes, in Is. hom. 7,2 (GCS Orig. 8, 281). 1 59 Zu den philologischen Schwierigkeiten siehe unten S. 290—292 Anni. 1 53, 1 54 und 156; zur Erklärung in der heutigen Exegese BEUREN, Jesaja 1 - 1 2 , 241 f. Eine Paraphrase des Inhalts der siebten Honiilie gibt FÉDOU, Réception 49f. 160 Für die moderne Exegese siehe die Auslegung bei BEUREN, ebd. 282-286. 1 6 1 Näheres siehe unten S. 294 Anni. 158. 162 Gregor der Große, in Hiez. II hom. 7,7f. (CChr.SL 142, 320-322).

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

37

Motiv ist Jes. 1 1 , 2 f. Von Origenes ist zwar keine eigene Homilie über diese Stelle bekannt, doch in der dritten Jesajahomilie, die den Titel „Die sieben Frauen" trägt, kam er im Zuge der Auslegung von Jes. 4,1 auf sie zu sprechen.

a) Exegetische Kombinatorik: Jes. 4,1 und 1 1 , 2 f. In Jes. 4,1 geht es eigentlich um ein anderes Thema: Der Vers bringt die äußerste Vereinsamung der hochmütigen Frauen der Oberschicht Jerusalems in einer Nachkriegszeit zum Ausdruck — ihre „Schmach" bzw. „Schande" ist es, ohne Mann dazustehen —, weshalb sich mehrere Frauen unter den „ N a m e n " , d.h. unter die Verantwortung und den Schutz eines einzigen Mannes begeben und dabei auf Unterhalt durch diesen verzichten. Origenes hat diesen Mann auf Jesus gedeutet, „der dem Fleische nach aus der Wurzel Jesse (Isais, des Vaters Davids) hervorging". 1 6 4 Methodologisch gesehen geht das nicht völlig am Bibeltext vorbei, denn schon im Jesajabuch erscheinen die sieben Frauen, die einen Mann suchen, als Personifikation Zions, die ihren Mann sucht, nämlich Gott; in Jes. 6 2 , 1 - 5 wird Gott als Bräutigam Zions beschrieben. 165 Origenes hat den Text nicht als Produkt eines Jahrhunderte währenden Bearbeitungsprozesses angesehen, sondern streng synchron als einen überlieferten Text. A u f dieser Ebene, nach heutigen literaturwissenschaftlichen Maßstäben ausgedrückt: auf der Ebene der Endredaktion des Jesajabuches ist die theologisch-spirituelle Dimension, in der Origenes den Text deutete, in ihm durchaus vorhanden. Spezifisch christlich ist natürlich die von einem veränderten historischen und hermeneutischen Horizont bestimmte inhaltliche Füllung dieses Deutungsmusters durch Origenes nicht mit Gott (und Zion), sondern mit Christus (und den Christen bzw. der Kirche). Auch eine zweite Kombination des Origenes entspricht der sprachlichen und literarischen Gestalt des Textes. Origenes zog zur Erklärung der sieben Frauen in Jes. 4 , 1 , die zu einem einzigen Mann, das heißt: zu Gott gehören, die Aussagen über die sieben Gaben des Geistes in Jes. 11,1—3 heran (die Zahl Sieben ist dabei ein spezielles philologisches Problem — dazu gleich). In der vorkonstantinischen christlichen Literatur begegnet diese Kombination nur noch bei Victorinus von Pettau, der dabei wohl von Origenes abhängig ist. 166 Die Verknüpfung dieser beiden Jesajastellen ist durchaus textgemäß. In 163 Darüber orientiert knapp B . J . HILBERATH, Art. Gaben des Heiligen Geistes, in: LThK' 4 (1995) 253 f. 164 Origenes, in Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 253F.). 1 6 5 BEUREN, Jesaja 1 - 1 2 ,

121F.

166 Victorinus von Pettau, Fabr. mund. 8 (CSEL 49, 7); vgl. in Apoc. I 7 (CSEL 49, 28. 30): I Ii m ι ί ι ··. Eusebius 54 Anni. 155.

38

Einleitung

der an Jes. 4,1 a n s c h l i e ß e n d e n P e r i k o p e , in der es u m die „ R e i n i g u n g " Z i o n s v o n moralisch v e r k o m m e n e n A m t s t r ä g e r n (kritisiert in Jes. 3,1—15) u n d F r a u e n (kritisiert in Jes. 3,16—4,1) geht 0es. 4,2—6), ist n ä m l i c h v o n G a b e n des Geistes die R e d e , d e m „Geist des R e c h t s " u n d d e m „Geist der S ä u b e r u n g " 0es. 4,4). H e u t i g e Exegese sieht i m R a h m e n der E i n h e i t Jes. 1—12 eine redaktionelle V e r b i n d u n g z w i s c h e n Jes. 4,2—4 u n d 11,2 f.; in b e i d e n P e r i k o p e n spielen G o t t e s Geist (hebräisch mach) b z w . G a b e n des Geistes eine zentrale Rolle. 1 6 7 A u f d e r s y n c h r o n e n E b e n e des E n d t e x t e s , auf der sich O r í g e n e s bei seiner B i b e l a u s l e g u n g ausschließlich b e w e g t e , k o m m e n der f r ü h c h r i s t l i c h e T h e o l o g e u n d m o d e r n e E x e g e t e n also in erstaunlicher Weise darin ü b e r e i n , diese Stellen b e i der E r k l ä r u n g des Textes mittels der Stichw ö r t e r „ G e i s t " b z w . „ G a b e n des Geistes" z u s a m m e n z u n e h m e n . E i n e K o m b i n a t i o n v o n Jes. 4,1 u n d 11,2 f. ü b e r die Z a h l Sieben — hier die sieben F r a u e n , d o r t die sieben G a b e n des Geistes - f u n k t i o n i e r t allerdings n u r auf der Basis des griechischen Textes der Septuaginta. I m h e b r ä ischen Text v o n Jes. 11,2 f. n a c h d e m W o r t l a u t der masoretischen Fassung w i r d der zentrale B e g r i f f „Geist G o t t e s " in 11,2 d u r c h drei W o r t p a a r e e n t faltet; der letzte Begriff, „ F u r c h t G o t t e s " , w i r d in 11,3 n o c h m a l s a u f g e g r i f f e n . I m H e b r ä i s c h e n ist also n u r v o n sechs A s p e k t e n des Geistes G o t t e s die R e d e : der Geist der Weisheit u n d der Einsicht, der Geist der P l a n u n g u n d der Stärke, der Geist der E r k e n n t n i s u n d der F u r c h t Gottes. Daraus d ü r f t e sich erklären, dass in der späteren r a b b i n i s c h e n Literatur nirgends die T h e o rie v o n e i n e m siebenfach w i r k e n d e n Geist G o t t e s n a c h w e i s b a r ist. Es gibt z w a r eine j ü d i s c h e Tradition, g e m ä ß der der Geist G o t t e s in s i e b e n f a c h e r Weise w i r k t . So h e i ß t es i m H e n o c h b u c h , die E n g e l „ w e r d e n ,an j e n e m Tage' m i t einer S t i m m e a n h e b e n , preisen, r ü h m e n , l o b e n u n d e r h e b e n i m Geiste des Glaubens, der Weisheit, der G e d u l d , der B a r m h e r z i g k e i t , des R e c h t s , des Friedens u n d der G ü t e " . ' 6 8 Diese S i e b e n e r r e i h e hat aber, w i e die v e r w e n d e t e n A t t r i b u t e zeigen, m i t Jes. 11,2 f. nichts zu t u n . D i e j ü d i s c h e Tradition, soweit sie auf d e m h e b r ä i s c h e n Bibeltext b e r u h t , k e n n t G a b e n o d e r besser: A s p e k t e u n d W i r k u n g e n des Geistes Gottes, v e r b i n d e t diese aber n i c h t m i t e i n e r Siebenzahl in Jes. 11,1—3. M a n k ö n n t e diese Verse allerdings a u c h so lesen, dass d u r c h die E n t f a l t u n g des B e g r i f f e s „Geist G o t t e s " in drei W o r t p a a r e a u c h i m h e b r ä i s c h e n T e x t „eine A r t S i e b e n e r - R e i h e " entsteht. 1 6 9 Das ist z w a r n i c h t die S i e b e n e r reihe, auf der das spätere christliche T h e o l o g u m e n o n b e r u h t (s.u.). Es gibt aber e i n e n T r a d i t i o n s s t r o m i m C h r i s t e n t u m , d e m einerseits eine d e m h e bräischen Text e n t s p r e c h e n d e Fassung des Bibeltextes z u g r u n d e l i e g t , der

167 Bi;uki;n, Jesaja 1 - 1 2 , 118. 127. 309f. 168 Hen. 61,11 (GCS 78 f.), zitiert aus Schlütz, Isaias 11,2, 8 Anm. 51. 169 So Bi;uki;n, Jesaja 1 - 1 2 , 308F.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

39

andererseits j e d o c h v o n sieben Gaben des Geistes redet. In der syrischen Ubersetzung nach der Peschitta ist der Geist Gottes wie im Hebräischen entfaltet zum Geist der Weisheit und des Verstandes, Geist des Rates und der Stärke, Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn, also in sechs Aspekte. 170 D e r syrische T h e o l o g e Aphrahat, der „persische Weise", hatte einen solchen Bibeltext vorliegen, sprach aber doch v o n sieben Gaben des Geistes, weil er den Geist Gottes offenbar als eigene Geistesgabe zu den sechs A s pekten hinzuzählte; so gab er zu Sach. 3,9: „ A u f diesem Stein ö f f n e ich sieben A u g e n " folgende Erläuterung: „Was sind denn die sieben A u g e n , die auf diesem Stein geöffnet sind? D o c h nur der Geist Gottes, der auf Christus sich niedergelassen hat in sieben Wirkweisen, w i e der Prophet Jesaj a gesagt hat: ,Es wird zur R u h e k o m m e n und sich niederlassen auf ihm der Geist Gottes, der Weisheit und des Verstandes, der Einsicht und der Stärke, der Erkenntnis und der Furcht vor dem Herrn' (Jes. 1 1 , 2 ) . Das sind die sieben Augen, die geöffnet sind auf dem Stein; ,das sind die sieben A u g e n des Herrn, die umherblicken auf der ganzen Erde' (Sach. 4 , 1 o ) . " 1 7 1 Diese D e u tung v o n Sach. 3,9 und 4 , 1 0 in Kombination mit Jes. 1 1 , 2 war in der griechischen w i e lateinischen altkirchlichen Theologie weit verbreitet. 1 7 2 Trotz seines dem hebräischen Wortlaut entsprechenden Bibeltextes folgte Aphrahats Verwendung v o n Jes. 1 1 , 2 der gängigen altkirchlichen A u f f a s sung. Sollte der Nachricht des Hieronymus, er habe diese Auslegung v o n Sach. 3,9 und 4 , 1 0 bei „ H e b r ä e r n " , d.h. bei Judenchristen, gefunden,' 7 3 historischer Wert zukommen, könnte der Schluss gezogen werden, dass Aphrahat - und nach ihm desgleichen Ephräm der Syrer — auf altes U b e r lieferungsgut der syrischen Tradition rekurrierte, das möglicherweise aus judenchristlichen Kreisen stammte.' 74 D i e christliche Lesart v o n Jes. 1 1 , 2 f. mit sieben Gaben des Geistes entstammt einem anderen religiösen Milieu, und zwar dem hellenistischen J u dentum. In der griechischen Ubersetzung des Buches Jesaja, die in der Mitte des 2. Jahrhunderts v . C h r . in Alexandria im Kontext des dortigen griechischsprachigen Judentums entstand, wurde Jes. 1 1 , 2 f. so übersetzt, dass der

170 Syrischer Text mit Übersetzung bei Schi.ütz, Isaías 11,2, y. 171 Aphrahat, dem. 1,9; Ubersetzung: Bruns, FC 5/1, 87. 172 Siehe die bei Schlütz, Isaias 11,2, 34Γ 109f. i i 2 f . 1 1 8 f . 125f., besprochenen Stellen. 173 Hieronymus, in Zach. I 4,2-7 (CChr.SL 76A, 778f.). 174 Ausführlich dazu Schi.ütz, Isaias 11,2, 33-38, der den Hinweis des Hieronymus auf „Hebräer" allerdings auf „Juden in Palästina" bezog (ebd. 35; vgl. i37f.). Da in der jüdischen Tradition eine siebenfache Gabe des Geistes aber nicht nachweisbar ist (s.o.) und die „Hebräer" eine christologische Deutung vorlegten, ist das Wort „Hebräer" im Text des Hieronymus auf Judenchristen zu beziehen. Das entspricht dem Sprachgebrauch des Origenes, von dem (oder von Eusebius) Hieronymus bei solchen Bemerkungen in der Regel abhängig war.

40

Einleitung

B e g r i f f „ F u r c h t G o t t e s " , der s o w o h l in 1 1 , 2 a m E n d e als auch in 1 1 , 3

im

ersten K o l o n steht, w o h l aus G r ü n d e n der sprachlichen Variation mit z w e i v e r s c h i e d e n e n W ö r t e r n w i e d e r g e g e b e n w u r d e : ευσέβεια, „ F r ö m m i g k e i t " in 1 1 , 2 , φόβος θεου, „ G o t t e s f u r c h t " in 1 1 , 3 . D i e s e U b e r s e t z u n g e n sind d u r c h aus sachgemäß, denn b e i d e B e g r i f f e b e z e i c h n e n die H a l t u n g

gegenüber

G o t t , die d e m M e n s c h e n geziemt, einmal griechisch ausgedrückt: ευσέβεια (lateinisch pietas), e i n m a l hebräisch: „ G o t t e s f u r c h t " . 1 7 3 D e r erste Satz in J e s . 1 1 , 3 erhielt dadurch einen n e u e n Sinn: E r w i e d e r h o l t e nicht die letzte G e i s tesgabe aus J e s . 1 1 , 2 , sondern sprach v o n der V e r l e i h u n g einer w e i t e r e n G a b e des Geistes: Και ά ν α τ τ α ύ σ ε τ α ι έ π ' α υ τ ό ν ιτνεϋμα τ ο υ θεου, ττνευμα σοφίας και συνέσεως, ττνευμα βουλής και ι σ χ ύ ο ς , ττνευμα γ ν ώ σ ε ω ς και εΰσεβείας· έμττλήσει α υ τ ό ν π ν ε ύ μ α φ ό β ο υ Θεου. 1 7 6 In der E x p l i k a t i o n

des

„ G e i s t e s G o t t e s " standen damit sieben v e r s c h i e d e n e B e g r i f f e .

b) D i e sieben G a b e n des Geistes in der altkirchlichen T h e o l o g i e D i e s e Interpretation v o n J e s . 1 1 , 2 f. d u r c h U b e r s e t z u n g setzte eine w e i t r e i c h e n d e W i r k u n g s g e s c h i c h t e in G a n g . In allen H a n d s c h r i f t e n der Septuaginta u n d bei allen griechischen u n d lateinischen K i r c h e n v ä t e r n der ersten J a h r h u n d e r t e findet sich diese T e x t f a s s u n g v o n J e s . 1 1 , 2 f. mit sieben A s p e k t e n oder Gaben

des H e i l i g e n

Geistes,' 7 7 mit A u s n a h m e w e n i g e r Stellen

S c h r i f t e n des H i e r o n y m u s u n d auch dort n u r in w e n i g e n

in

Manuskripten

b e z e u g t . 1 7 8 O r í g e n e s k a m in der christlichen V e r w e n d u n g v o n J e s . 1 1 , 2 f.

175 GRYSON, Les six dons du Saint-Esprit 395. 1 7 6 Jes. 11,2ΐ. L X X

(II p . 5 8 1 R A H L E S ; p . 1 6 5

ZIEGLER).

177 Aus der umfassenden Darstellung von Scm.ürz, Isaias 11,2, 1 0 - 1 6 . 39-77. 1 0 6 - 1 4 7 , seien exemplarisch folgende Stellen notiert: Justin, dial. 87,2 (PTS 47, 221); Irenaus, epid. 9 (FC 8/1, 38 f.), wo im Zitat von Jes. 1 1 , 2 f . der Geist der Erkenntnis wohl aufgrund eines Schreibfehlers fehlt, in der Erklärung dazu aber mitgezählt wird; ebd. 59 (8/1, 74); haer. III 9,3 (FC 8/3, 78); 17,3 (8/3, 214); Tertullian, adv. Marc. III 17,3 (CChr.SL 1, 530); V 8,4 (1, 686); adv. lud. 9,26 (CChr.SL 2, 1373); Cyprian, test. II 11 (CSEL 3/1, 76); Novatian, trin. 168 (p. 186 WEYER); Victorinus von Pettau, fabr. mund. 7 (CSEL 49, 6f.); in Apoc. 1 , 1 (CSEL 49, 1 6 - 1 8 bzw. 1 7 - 1 9 in der Rezension des Hieronymus); Laktanz, inst. IV 13 (p. 357F HECK/WLOSOK); Gregor von Nazianz, orat. 31,29 (FC 22, 328); Ambrosius, expos. Ps. 1 1 8 5,39 (CSEL 622, 104); spir. I 159 (CSEL 79, 82); sacr. 3,8 (FC 3, 124); myst. 42 (FC 3, 236); Johannes Chrysostomus, c. lud. et gent. 2 (PG 48, 81 5); expos, in Ps. 44,2 (PG 55,186).

178 In epist. 1 2 1 , 2 (CSEL 56, 10), wo es Hieronymus auf den Wortlaut des hebräischen Textes ankam, zitierte er nach der ältesten Handschrift aus Bobbio (gegen 600) sechs Gaben des Geistes und gab die letzte als spiritus timoris dei an, wohingegen die späteren Handschriften das traditionelle spiritus pietatis einsetzten. Dies und Weiteres dazu bei GRYSON, Les six dons du Saint-Esprit 397-400, der m.E. jedoch nur für

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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eine Schlüsselrolle zu. Seine Ä u ß e r u n g e n ü b e r diese Stelle stehen i m K o n text p h i l o s o p h i s c h - m y s t i s c h e r S p e k u l a t i o n e n ü b e r die Z a h l S i e b e n als S y m b o l der v o l l k o m m e n e n Fülle u n d E i n h e i t in der alexandrinischen Traditio n . ' 7 9 D i e W u r z e l n der m i t der S i e b e n v e r b u n d e n e n Z a h l e n s y m b o l i k reic h e n z u r ü c k bis in die griechische V o r s o k r a t i k u n d erreichten in hellenistischer Z e i t m i t d e n p y t h a g o r e i s c h e n Z a h l e n t h e o r i e n u n d der K o m m e n t i e r u n g v o n Piatons Timaios d u r c h d e n S t o i k e r P o s e i d o n i o s e i n e n H ö h e p u n k t . In A l e x a n d r i a steht d a f ü r der hellenistische J u d e P h i l o n , in dessen S c h r i f t e n die gesamte, a u f M a t h e m a t i k f u ß e n d e S p e k u l a t i o n seiner Z e i t ü b e r die S i e b e n g r e i f b a r ist. 180 D i e Septuagintaversion v o n Jes. 1 1 , 2 Í . m i t der Z a h l v o n sieben Geistesgaben ist m ö g l i c h e r w e i s e als f r ü h e S p u r eines e n t s p r e c h e n d e n Einflusses aus d e m g r i e c h i s c h e n D e n k e n a u f das hellenistische J u d e n t u m z u interpretieren. 1 8 1 U b e r die v o n P h i l o n a b h ä n g i g e n christlichen T h e o l o g e n C l e m e n s u n d O r i g e n e s gelangte diese Z a h l e n s y m b o l i k in das C h r i s t e n t u m . 1 8 2 O r i g e n e s hat sie freilich n u r äußerst v e r h a l t e n eingesetzt, e t w a w e n n er die S i e b e n als Z a h l des Sabbats u n d damit als Z e i c h e n f ü r das A u s r u h e n b e z e i c h nete 1 8 3 u n d sie v o r allem als S y m b o l der g e g e n w ä r t i g e n W e l t betrachtete. 1 8 4 A u c h in der dritten Jesajahomilie, in der alle G e d a n k e n des O r i g e n e s ü b e r Jes. 1 1 , 1 - 3 z u s a m m e n l a u f e n , w i r d die Z a h l S i e b e n nicht eigens e r ö r tert, sondern als selbstverständlich g e g e b e n v e r w e n d e t . Seine Ü b e r l e g u n g e n kreisen dort u m z w e i A s p e k t e . Z u m e i n e n w e r d e n die sieben G e i s t e s g a b e n m i t sieben Lastern b z w . k o r r e s p o n d i e r e n d e n F e h l h a l t u n g e n kontrastiert, die n u r d e n S c h e i n v o n T u g e n d an sich tragen u n d a u f diese W e i s e die w a h r e n T u g e n d e n s c h m ä h e n : ,,Diese W e i s h e i t ist es, die eine S c h m a c h erleidet v o n Seiten der v i e l e n W e i s h e i t e n , die sich g e g e n sie e r h e b e n ; diese w a h r e E i n sicht erträgt eine S c h m a c h v o n Seiten der falschen Einsichten; dieser g r o ß e R a t w i r d v o n v i e l e n s c h l e c h t e n R a t s c h l ä g e n g e s c h m ä h t , diese K r a f t v o n

den Jesajakommentar nachweist, dass Hieronymus darin von sechs Gaben des Geistes sprach, nicht für die Vulgata. 1 7 9 Das Wichtigste dazu bei S c h i . ü t / , Isaías 1 1 , 2 , 7 7 - 8 1 in der langen Anm. 1 3, der die verstreuten Bemerkungen des Origenes allerdings überzogen ausdeutet; eine Sammlung von Belegen eher allgemeinen Charakters bei H a r n a c k , Ertrag I, 52—55; II, 110-113. 180 Insbesondere Philon, opif. mund. 8 9 - 1 2 8 (I p. 3 1 - 4 4 C o h n / W e n d l a n d ) , in einem langen Exkurs zur Aussage in Gen. 2,3, dass Gott den siebten Tag „segnete und heiligte". 181 So S c h i . ü t / · , Isaias 1 1 , 2 , 12. 1 82 Für Clemens siehe etwa ström. V 3 4 , 8 - 3 5 , 2 (GCS Clem. 2, 349); VI 1 3 7 , 4 - 1 4 5 , 7 (2, 501-506). 183 Origenes, in Hier. frg. 62 (GCS Orig. 33, 228); in loh. comm. XIII 408 (GCS Orig. 4, 290); 433 (4, 294). 184 In Lev. hom. 8,4 (GCS Orig. 6, 399); in Num. hom. 6,4 (GCS Orig. 7, 36); 7,1 (7, 38).

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derjenigen verhöhnt, die, obwohl sie keine Kraft ist, verspricht, eine Kraft zu sein; diese Erkenntnis erleidet eine Schmach von Seiten einer fälschlich so genannten Erkenntnis, die sich ihren Namen anmaßt; diese Frömmigkeit wird von derjenigen getadelt, die, obwohl sie behauptet, Frömmigkeit zu sein, Gottlosigkeit ist und Menschen zur Gottlosigkeit anstiftet; diese Furcht erleidet eine Schmach durch diejenige, die für Furcht gehalten wird; denn viele versprechen Gottesfurcht, doch ist ihre Furcht ohne Erkenntnis." 1 8 5 In einer Homilie zum Buch Levitikus hat Orígenes den Kontrast zwischen sieben bösen und sieben guten Geistern näher erläutert. E r deutet darin den siebenmaligen Besprengungsgestus mit Ol in Lev. 1 4 , 1 6 als Symbol für die siebenfache Kraft des Heiligen Geistes und fügt eine ethischspirituelle Erklärung an: „ D a die Herzen der Sünder, wie der Herr im Evangelium bezeugt, von sieben Dämonen umlagert werden (Lk. 11,26), führt der Priester bei der Reinigung die Besprengung vor dem Herrn passenderweise siebenmal aus (Lev. 14,16), so dass die Vertreibung der sieben bösen Geister aus dem Herzen des Gereinigten dadurch angezeigt wird, dass mit dem Finger siebenmal Ol verspritzt wird. A u f diese Weise wird also denen, die sich von der Sünde abgekehrt haben, die Reinigung durch alle jene Handlungen zuteil, die wir weiter oben (in der Homilie) besprochen haben, die Gabe der Gnade des Geistes aber wird durch das Symbol des Öls bezeichnet, so dass jemand, der sich von der Sünde abkehrt, nicht nur gereinigt, sondern auch mit Heiligem Geist erfüllt werden kann, wodurch er sein früheres Kleid und den R i n g zurückerhalten (Lk. 15,22) und, in allem mit dem Vater versöhnt, erneut die Stelle des Sohnes einnehmen kann."' 8 6 Hinter diesem doppelten Vorgang von „ R e i n i g u n g " als Abkehr von Sünde und „Erfüllung" mit Heiligem Geist steht wohl ein realer Vollzug im Leben der frühchristlichen Gemeinden, nämlich die Taufe, die mit einer räumlichen Metaphorik als Vertreibung der bösen Geister aus dem Menschen und Einzug des guten Geistes Gottes, des Heiligen Geistes, gedeutet wurde, konkret zelebriert im Ritus der Waschung im Taufbad (als Sündenvergebung) und der anschließenden Salbung der Stirn mit Ol (als Geistmitteilung). A n Stelle der sieben Dämonen (aus Lk. 11,26) ziehen die sieben Kräfte des Heiligen Geistes (aus Jes. 1 1 , 2 f.) ein. 187 Der Sinn dieses Rituals bestand in einer Verpflichtung des Getauften auf einen sittlichen Lebensstil nach christlichen Maßstäben, worauf Orígenes oft hingewiesen hat. 188 In der dritten Jesaja-

185 In Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 253). 186 In Lev. hom. 8,11 (GCS Orig. 6, 417). 187 Ebenso in Regn. hom. lat. 18 (GCS Orig. 8, 25). Bei Justin, dial. 39,2 (PTS 47, i34f.), werden die durch die Taufe verliehenen sieben Gaben durch eine Kombination von Jes. 1 1 , 2 f . und 1 Kor. 1 2 , p f . exemplifiziert. Vgl. später Methodius, symp. III 8,72f. (GCS 27, 36); Ambrosius, myst. 42 (FC 3, 236); dazu SCHLÜTZ, Isaias 1 1 , 2 , 82-86. 1 3 3 .

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homilie ging er auf die Taufe nicht ein, doch deutete er die „ R u t e " und die „Blüte" in Jes. 1 1 , 1 streng im ethischen Sinn: „Es ging also für den eine R u t e aus der Wurzel Jesse hervor, an dem Strafe und Züchtigung vollzogen werden, eine R u t e für den, der der Schelte bedarf, eine R u t e für den, der sie zu seiner Bloßstellung nötig hat; die Blüte dagegen für den, der schon erzogen ist und keiner strengen Zurechtweisung oder zumindest keiner Strafen mehr bedarf, sondern bereits imstande ist, erste Blüten zu treiben auf dem Weg zur vollkommenen Frucht." 1 8 9 Z u m anderen betonte Origenes in der dritten Jesajahomilie das R u h e n des Geistes, von dem in Jes. 1 1 , 2 in der hebräischen wie in der griechischen Version die R e d e ist. In der Vorstellungswelt des Frühjudentums, in dem (etwa in den Schriften von Qumran) Jes. 1 1 , 1 messianisch interpretiert wurde,1911 gehörte der Geist Gottes zur Ausstattung des Messias, noch mehr: Der Messias galt als die letzte und vollkommenste Ruhestation für den Geist Gottes. 191 Im Johannesevangelium wurde diese Vorstellung explizit auf Jesus bezogen und damit aus Jes. 1 1 , 2 ein Schriftbeweis für die Messianität Jesu gewonnen; Johannes der Täufer sagt darin: „Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, in Wasser zu taufen, hat mir gesagt: A u f wen du den Geist herabkommen siehst und auf w e m er bleibt, der ist es, der in heiligem Geist tauft. U n d das habe ich gesehen und ich bezeuge, dass dieser der Sohn Gottes ist" (Joh. 1 , 3 3 f . ) . Frühchristliche Theologen zogen Jes. 11,1—3 (neben Jes. 42,1 und 6 1 , 1 ) als biblische Beweise für die Ausstattung Jesu Christi mit dem Geist Gottes heran. 192 In patristischer Zeit wurde Jes. 1 1 , 2 in diesem Sinne häufig mit Joh. 1,33 f. verbunden. 193 Eben dies tat auch Origenes in der dritten Jesajahomilie, in der er Jes. 1 1 , 2 mit J o h . 1,33 f. auf Jesus bezog und damit argumentierte, dass sich in der Bibel niemand anderes finde, von dem gesagt werde, der Geist Gottes habe auf ihm geruht; im Unterschied zu allen anderen Propheten, auf die der Geist Gottes zwar gekommen, auf denen er aber nicht geblieben sei, weil sie als Menschen nicht frei von Sünde waren, seien die sieben Geistesgaben — im Sinne der

188 Etwa Origenes, in los. hom. 4,2 ( G C S Orig. 7, 310); in Hiez. hom. 6,5 (GCS Orig. 8, 383). 189 In Is. hom. 3,1 ( G C S Orig. 8, 254). 190 BEUREN, Jesaja 1 - 1 2 , 125 mit Belegen in Anni. 45. 191 Ps. Sal. i 7 , 3 7 f . (II p. 488 RAHI.HS); 1 8 , 6 - 9 (P· 489); Hen. 49,3 ( G C S 5, 71); 62,2 (5, 81); test. X I I patr. Levi 18 ( J S H R Z I I I / 1 , 6of.). Siehe SCHLÜTZ, Isaias 1 1 , 2 , 2 0 - 2 4 . 138. 192 Irenaus, epid. 9 (FC 8/1, 38); haer. III 9,3 (FC 8/3, 78-80); 1 7 , 1 . 3 (8/3, 210. 214); Tertullian, adv. Marc. III 17,3 (CChr.SL 1 , 530); V 8,4 (1, 686). Siehe dazu DÜNZE, Pneuma 87-90. 193 SCHLÜTZ, Isaias 1 1 , 2 , 20. 1 0 6 - 1 0 8 . Vgl. etwa Hieronymus, in Es. IV 13 ( V L . A G L B 23, 437f.), und die beiden oben S. 40 Anni. 1 7 7 notierten Stellen aus Johannes Chrysostomus.

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Zahlenmystik ein Symbol f ü r die vollkommene Fülle und Einheit des Geistes — dauerhaft auf Jesus, dem einzigen sündenlosen Menschen, geblieben. 194 Ein ausführliches Pendant zu dieser Exegese findet sich in einer Homilie zum B u c h Numeri. Ausgehend von N u m . 1 1 , 2 5 : „Es ruhte auf ihnen (den siebzig Altesten des Volkes Israel) der Geist, und sie prophezeiten", erläuterte Orígenes unter anderem: „ A u f allen also, die prophezeiten, ruhte der Heilige Geist, und doch ruhte er auf keinem v o n ihnen so wie auf dem Erlöser. Deshalb steht auch über ihn geschrieben: ,Es wird eine R u t e aus der Wurzel Jesse hervorgehen und eine Blüte aus seiner Wurzel emporsteigen. U n d es wird auf ihm der Geist Gottes ruhen, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit; und erfüllen wird ihn der Geist der Gottesfurcht' (Jes. 11,1—3). Aber vielleicht wendet jemand ein: N a c h deiner Darlegung ist über Christus nicht mehr geschrieben als über die anderen Menschen; denn wie von den übrigen gesagt ist, dass der Geist auf ihnen ruhte, so wird auch v o m Erlöser gesagt: ,Es wird auf ihm der Geist Gottes ruhen.' A b e r sieh doch! B e i keinem anderen wird ausgeführt, dass der Geist Gottes mit siebenfacher Kraft auf ihm geruht habe, womit zweifellos prophezeit wird, dass jene Substanz des göttlichen Geistes selbst, die, weil das mit einer einzigen B e zeichnung nicht möglich ist, mit verschiedenen B e g r i f f e n erklärt wird, auf der R u t e ruht, die aus der Wurzel Jesse hervorgeht. 1 9 5 Ich habe auch noch einen anderen Beweis, mit dem ich zeigen kann, dass in meinem Herrn und Erlöser der Heilige Geist in einer ganz hervorragenden Weise und ganz anders geruht hat, als das bei den anderen berichtet wird. Johannes der

194 Orígenes, in Is. hom. 3,2 (GCS Orig. 8, 255); ebenso in loh. comm. II 84f. (GCS Orig. 4, 67). Justin, dial. 87,3.5 (PTS 47, 221. 222); 88,1 (47, 222), ist darin - pace. Schi.ütz, ebd. 44 - nur bedingt ein Vorläufer des Orígenes, weil er das Ruhen des Geistes auf Jesus vor allem als „zur Ruhe kommen" im Sinne von „Aufhören", nämlich als Ende der Prophetie, deutete; ebenso: Tertullian, adv. Marc. V 8,4 (CChr.SL 1, 686). Siehe auch Dün/i., Pneuma 92-94. 195 In Lev. hom. 3,5 (GCS Orig. 6, 309) sprach Orígenes wohl in diesem Sinne von der „Kraft des Heiligen Geistes im Geheimnis der siebenfachen Gnade", was sich auf Jes. 1 1 , 2 f . bezieht, nicht auf Offb. 1,4, wie Bai.hri'.ns, G C S Orig. 6, 309 ad loc., und Borret, SC 286, 144 ad loc., angeben. Allerdings begegnet in der frühchristlichen Literatur seit Clemens von Alexandria, ström. V 35,2 (GCS Clem. 2, 349), der Sprachgebrauch von (sieben) πνεύματα im Plural gelegentlich in Kombination mit Jes. 1 1 , 2 f., was wohl von Offb. 1,4; 3,1; 4,5 und vor allem 5,6 (hier von Sach. 4,10 aus) angeregt wurde; siehe die Belege aus früher Zeit bei Dün/i,, ebd. 44-46, und spätere bei Schi.ütz, ebd. 1 1 5 f . 118. n y f . (mit Problematisierung dieses Sprachgebrauchs durch Evagrius Ponticus). i 5 7 f . 1 6 3 f . 165. Die sieben Geister in Offb. 1,4 sind allerdings nicht die sieben Gaben des einen Geistes Gottes, sondern die sieben Thronengel Gottes als seine ausführenden Organe (vgl. dazu etwa Tob. 12,15); i n Offb. 3,1; 4,5 und 5,6 sind Geister und Engel austauschbar: Schlütz, ebd. 2 4 - 3 1 (vgl. ebd. 81 f.); Auni;, W B C 52, 3 3 - 3 5 ; Withiíuington III, Revelation 75.

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Täufer sagt nämlich von ihm: ,Der mich gesandt hat, in Wasser zu taufen, der hat mir gesagt: A u f wen du den Geist herabsteigen siehst und auf w e m er bleibt, der ist es' (Joh. 1,33). Hätte er gesagt: ,den Geist herabsteigen', und nicht hinzugefügt: ,und auf ihm bleiben', dann würde er sich offenbar durch nichts vor den anderen Menschen auszeichnen. N u n aber fügte er hinzu: ,und auf ihm bleiben', damit dies als das Zeichen am Erlöser wäre, das man an niemandem sonst zeigen konnte; von niemandem sonst steht nämlich geschrieben, dass der Heilige Geist auf ihm blieb." 1 9 6 Mit dieser Exegese hat Origenes ein doppeltes geleistet: Einerseits hat er den schon vor ihm geführten Schriftbeweis für die Messianität Jesu von Jes. 1 1 , 2 f. aus argumentativ untermauert. Andererseits — und das ist der wichtigere Aspekt — hat er mit der ethischen Dimensionierung seiner Auslegung den sieben Gaben des Heiligen Geistes einen wichtigen Platz in der christlichen asketisch-mystischen Spiritualität zugewiesen und damit der späteren theologischen und mystischen R e f l e x i o n darüber den Weg gewiesen.

2. Der Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. Jes. 6,9

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Er sprach: „Geh, sprich zu diesem Volke: ,Höret nur, höret, aber kommt nicht zu Einsicht! Sehet nur, sehet, aber erkennt es nicht!' Verfette das Herz dieses Volkes, mache seine Ohren schwer und verklebe seine Augen, damit es nicht sehe mit seinen Augen, mit seinen Ohren nicht höre und sein Herz nicht zu Einsicht komme und Heilung finde für sich." Ich sprach: „Bis wann, o Herr?" Er sprach: „Bis die Städte verwüstet sind - ohne Einwohner, die Häuser — ohne Menschen, und das Ackerland verwüstet ist - eine Einöde. Denn J H W H wird die Menschen entfernen und groß wird sein die Verlassenheit inmitten des Landes. Gibt es darin noch ein Zehntel, so wird (das Land) erneut der Abweide anheimfallen,

196 In Num. hom. 6,3 (GCS Orig. 7, 33 f.), noch ausführlicher zitiert bei SCHLÜTZ, ebd. 86-88.

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gleich einer Terebinthe und einer Eiche, von denen beim Fällen ein Wurzelstock bleibt. Heiliger Same ist sein Wurzelstock."197 Dieser Dialog zwischen Gott und dem Propheten Jesaj a ist einer der schwierigsten Texte der Bibel. Es ist hier nicht der Ort, die gesamte exegetische Fachdiskussion darüber aufzurollen. Ich begnüge mich daher mit einigen aus dem neuesten K o m m e n t a r v o n W i l l e m B e u k e n gewonnenen Hinweisen 1 9 8 und zeichne dann die Rezeptionsgeschichte dieser Verse bis an das Ende der Antike nach. 1 9 9 Weil dieser Text in seiner christlichen antijüdischen Verw e n d u n g eine zum Teil katastrophale W i r k u n g entfaltet hat, lohnt es sich, darauf etwas näher einzugehen und insbesondere seine innerbiblische G e schichte im Alten w i e im N e u e n Testament genauer nachzuzeichnen. Erst auf dieser Basis gewinnt nämlich seine Verwendung bei den Kirchenvätern und speziell bei Orígenes ihr Profil.

a) D e r Verstockungsauftrag im Kontext des Buches Jesaja D i e regelrecht schockierende Anstößigkeit dieser Passage besteht darin, dass dem Gott Israels hier etwas zugeschrieben wird, das in krassem Gegensatz zu allem steht, was im Alten Testament sonst v o n ihm gesagt wird. D e m Volk Israel wird nicht nur die Vernichtung angedroht, sondern darüber hinaus j e d e Chance genommen, ihr durch Einsicht und Besserung zu entgehen (Jes. 6,9f.). D i e Frage Jesajas auf diesen „schockierenden Auftrag" 2 0 0 hin: „Bis wann, o Herr?" ( 6 , 1 1 ) gehört zur in den altisraelitischen Schriften verbreiteten Bitte um Beendigung der Bedrückung und B e w a h r u n g der Existenz Israels. 2 " 1 Gerade diese Wende, mit der Jesaja (auf der literarischen Ebene des Textes) offenbar rechnet, wird in der Antwort Gottes verwehrt: Das Ende ist die totale Vernichtung (6,11—13, ohne den letzten Satz: s.u.). 2 " 2 In der Darstellung dieser Passage sieht also Gott nicht nur vorher, dass die B o t schaft des v o n ihm beauftragten Propheten auf Ablehnung stoßen wird. 2 " 3

197 Übersetzung: BEUREN, Jesaja 1 - 1 2 , i6of. 198 Siehe v.a. den Exkurs darüber bei BEUKEN, ebd. 164-167, der angesichts der unübersehbaren Literatur seinerseits darauf verzichtet, einzelne Titel zu nennen und zu diskutieren. Vgl. ferner EVANS, TO see and not perceive 17—52. 199 Siehe dafür EVANS, ebd. 53-166 (mit ebd. 188-225); Kurzfassung: ders., Isaiah 6 : 9 - 1 o. 200 So BEUREN, Jesaja 1—12, 166 gleich zweimal. 201 BEUKEN, ebd. 1 7 7 mit Belegen.

202 Die Totalität der Verwüstung kommt im verwendeten Vokabular zum Ausdruck: BEUKEN, ebd. 178 mit den Belegen.

203 So BEUREN, ebd. 163, doch stellt eine solche Auffassung bereits eine Abschwächung des Textes dar.

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Es ist auch nicht so wie bei der Berufung Ezechiels, der schon bei seiner Beauftragung von Gott selbst über die Ablehnung seiner Botschaft informiert wird: „Aber das Haus Israel wird sich weigern, auf dich zu hören, weil sie sich weigern, auf mich zu hören; denn das ganze Haus Israel hat eine starke Stirn und ein hartes Herz" (Ez. 3,7; vgl. 12,2: „Mensch, du lebst inmitten des widerspenstigen Hauses, die Augen haben zu sehen, aber nicht sehen, Ohren zu hören, aber nicht hören; denn sie sind ein widerspenstiges Haus"). 2114 Z w a r wird man wohl sagen können, dass im historischen Hintergrund der literarischen Gestaltung von Jes. 6,9—13 das Misslingen von Jesajas Wirken im syrisch-ephraimitischen Krieg (734—732 v.Chr.) steht, also Jesaja selbst — wenn zumindest der Kern des Textes auf ihn zurückgehen sollte — oder seine Schüler sein Scheitern im Nachhinein damit erklärt haben, dass seine Sendung von Anfang an zur Erfolglosigkeit verurteilt gewesen sei. Als Paradox der prophetischen Sendung und als Problem des prophetischen Amtes an sich lässt sich das nachvollziehen. 21,5 Was dadurch allerdings nicht erklärt wird, ist die spezifische Denkfìgur dieses Textes: Gott sieht nicht bloß die Verstocktheit vorher und klärt seinen Propheten darüber auf, sondern ordnet (im R a h m e n einer Gerichtsoffenbarung) die Verstockung des Volkes direkt an, und zwar unbegrenzt bis zur endgültigen Vernichtung. 206 Dieser Gedanke - die Verstockung Israels nicht als vorhergesehenes, sondern als von Gott intendiertes und initiiertes, definitives G e schehen — macht den Text so anstößig. E r enthält die fragwürdige „Idee von einer göttlichen Vorherbestimmung zum Bösen", 2 0 7 und das ohne jede Chance für die Betroffenen, dieser Prädestination zu entgehen. Vor allen Versuchen einer Erklärung gilt es, diese Aussage des Textes in ihrer ganzen Schärfe wahrzunehmen. Erst von daher wird nämlich seine weitere Geschichte verständlich. Diese stellt sich als eine Geschichte der Rationalisierung des Unverständlichen durch Ergänzung oder Abschwächung dar.2"8 Die erstere Strategie beginnt schon im Text selbst, wie er in seiner Endgestalt vorliegt. Während umstritten ist, ob Jes. 6,12 f. ursprünglich zum Text gehörte — was aber nicht so entscheidend ist, weil sich der Grundtenor der Aussage von 6 , 1 1 , der völlige Untergang des Volkes, darin

204 Ü b e r s e t z u n g :

GREENBERC, E z e c h i e l 1 - 2 0 ,

7 7 . 2 4 0 . Vgl. EVANS, TO see and not

perceive 1 9. 21 f. 205 In diesem Sinne BEUREN, Jesaja 1 - 1 2 , 175. 177. Insofern behält die sog. Riickprojizierungsthese ihre Berechtigung, abzüglich ihrer psychologisierenden Momente (ebd. 166), die bei HESSE, Verstockungsproblem, sowohl die Deutung des Verstockungsauftrags an Jesaja (ebd. 60. 83-86) als auch seine grundlegende Erörterung des Verstockungsproblems im Alten Testament (ebd. 40—44) dominieren. 206 So auch HESSE, ebd. 69. 83. 86; ferner EVANS, To see and not perceive 20. 2 2 - 2 4 . 2 0 7 S o BEUREN, Jesaja 1 - 1 2 ,

165.

208 Das hat schon HESSE, Verstockungsproblem 59f., gesehen.

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fortsetzt —, ist es exegetischer Konsens, dass der letzte Satz eine spätere Hinzufügung aus nachexilischer Zeit darstellt: „Heiliger Same ist sein W u r zelstock" (Jes. 6,13). Hinter dieser Aussage steht die ihrerseits bereits theologisch gedeutete Erfahrung, dass sich aus dem „ R e s t " , der vom Volk Israel iibriggeblieben war, nach der R ü c k k e h r aus dem babylonischen Exil (587/86—538 v.Chr.) ein neues Volk konstituiert hatte. 209 Wenn diese D e u tung und die damit verbundene redaktionskritische Beurteilung der E n t stehung dieses Textes richtig sind, ergibt sich das Phänomen einer bereits innerbiblischen Ergänzung der anstößigen Verstockungspassage, die eine veritable Korrektur ihrer zweiten Aussage darstellt. Aus einer neuen geschichtlichen Erfahrung und damit aus einer historisch veränderten hermeneutischen Perspektive heraus haben die Redaktoren den Text einer relecture unterzogen und dabei das, was sich offenbar nicht bewahrheitet hatte, nämlich den völligen Untergang des Volkes, zwar interessanterweise nicht getilgt, aber doch so ergänzt, dass genau die Wende eintritt, auf die Jesajas Frage: „Bis wann, o Herr?" zielt. Das Strafgericht Gottes hat doch ein Ende gefunden, der „Wurzelstock" wurde zum „Samen" für einen Neuanfang, was als Zeichen der totalen Vernichtung galt, wurde zur Quelle neuen Lebens. 2111 Damit wurde der Text in die alttestamentlich übliche Dialektik von Unheil als Mittel und Heil als Z w e c k eingeordnet. In ähnlicher Weise und mit ähnlichem Ergebnis verfahren moderne exegetische Erklärungen, wenn sie (zu R e c h t ) darauf hinweisen, dass der Verstockungsauftrag nicht das prophetische Auftreten Jesajas als Ganzes kennzeichne und im Gesamt des B u ches Jesaja (sowohl von Jes. 1 - 3 9 als auch von Jes. 1—66) nicht das Gericht als bewusst angezieltes Ende der M ü h e n Gottes mit seinem Volk verkündet werde. 211 Mit dieser Strategie interpretierenden Ergänzens ist die Ausweglosigkeit der Gerichtsandrohung beseitigt. Nach wie vor anstößig bleibt die Anordnung der Verstockung des Volkes durch Gott selbst. Von der berühmten Verstockung Pharaos (Ex. 4 , 2 1 ; 7,3; 9 , 1 2 ; 10,20.27; 1 1 , 1 0 ) unterscheidet sich diese insofern, als j e n e die Verstockung eines Feindes ist und als strategisches Mittel zur R e t t u n g des Volkes Israel gerechtfertigt werden könnte. Im J e sajatext hingegen führt Gott sein Volk — „dieses Volk", wie es distanziert heißt 0es. 6,9) — in die Verstockung, und das nicht als Mittel zum Heil, denn das Volk soll gerade nicht zur Einsicht kommen und nicht Heilung finden

209 BEUREN, Jesaja 1 - 1 2 , 164. Vgl. EVANS, TO see and not perceive 20 f. 210 BEUREN, ebd. 1 81. Etwas zu harmonisierend ist seine Deutung von Jes. 6,1 3 ausgefallen (ebd. i79f.); der Nachtrag steht doch stark kontrastiv zum älteren Textmaterial. 211 BEUREN, ebd. 163. 165. Auf dieser Linie versteht EVANS, To see and not perceive 36-40 bzw. 40-46, den Text, und zwar mit der bestreitbaren Prämisse, der Schlusssatz von Jes. 6,13 gehe auf Jesaja selbst zurück.

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0es. 6,10 am Ende). 212 Die Vorstellung eines Gottes, der sein eigenes Volk ins Verderben führt, spottet jeglichen rationalen Erklärungsversuchen u n d ist schlechterdings unnachvollziehbar. Indes: Weil sich die Bibelausleger einerseits mit einem derartigen sacrificium inteüectus nicht begnügen wollten, andererseits aber die Annahme, dieser Text präsentiere möglicherweise eine verfehlte oder irrige Vorstellung, innerhalb der hermeneutischen Vorgabe einer affirmativen Bezugnahme auf ihn nicht erschwinglich war, w u r d e n zu allen Zeiten Erklärungen f ü r das Unerklärliche gesucht. In der R e g e l laufen diese darauf hinaus, beim Volk Israel, meist unter Verweis auf das „Volk unreiner Lippen", von dem in Jes. 6,5 die R e d e ist, eine „Schuld" oder „Sünde" zu finden, die das Handeln Gottes als „Strafe" begründet und rational erklärbar erscheinen lässt.213 A u c h in einem m o d e r n e n K o m m e n t a r wie dem von Beuken, der das Schockierende und Befremdliche dieses Textes nachdrücklich hervorhebt, findet sich teils explizit, teils implizit dieses Erklärungsmuster. 2 1 4 M a g diese D e u t u n g im größeren Kontext des Jesajabuches auch richtig sein: Das in Jes. 6,9—13 beschriebene Handeln Gottes entzieht sich in seiner schroffen Unbedingtheit dem Versuch, es in D e n k muster einzuordnen, die den Maßstäben menschlicher Rationalität Genüge tun. Gerade an der Unerklärbarkeit und Unnachvollziehbarkeit der hier präsentierten Denkfigur hat die R e z e p t i o n angesetzt, deren Wege sich erst erschließen, w e n n man die ungeheuere Provokation wahrnimmt, die von diesem Text ausgeht.

2 1 2 Die Rückführung der auf Untergang angelegten Verstockung auf göttliche Initiative unterscheidet diesen Text von allen mehr oder weniger parallelen Verstockungstexten im Alten Testament (v.a. Jes. 43,8; 44,18; 63,17; Jer. 5 , 2 1 - 2 3 ; Ez. i2,2f.; Sach. 7,11 f.; Dtn. 29,1-3): Evans, ebd. 47-52. 213 Die engste sachliche Analogie dazu ist, neben dem „Geist der Betäubung" in Jes. 29,9 f., wo jedoch in 29,13 F. die Schuld des Volkes explizit als Ursache für das „seltsame" Handeln Gottes benannt wird (vgl. Evans, ebd. 43), wohl die Rede von einem „bösen Geist", der von Gott stammt und unter dem König Saul zu leiden hat (1 Sani. 1 6 , 1 4 - 2 3 ; 18,10; 19,9): Evans, ebd. 23. Diese Vorstellung löst wie der Verstockungsauftrag bis heute Unruhe unter den Gelehrten aus und ist auch in der frühchristlichen Literatur, die diesen Lext freilich kaum beachtet hat, sogleich korrigierend interpretiert worden; Lertullian, fug. 2,7 (CChr.SL 2, 1138), etwa hat ihn dahingehend umgedeutet, dass der von Gott verworfene Sünder dem Teufel übergeben wird: Dün/i,, Pneuma 51 f. Wie im Falle von Jes. 6,9f. unterstellt die Auslegung eine Schuld des betroffenen Menschen, um das an sich verwerfliche Tun Gottes zu rechtfertigen. 214 Bi,uki:N, Jesaja 1 - 1 2 , 165. 179. 1 8 1 . - Auch die Überlegungen von Hiissi;, Verstockungsproblem 66f., sind von diesem Denkmuster eingefärbt (vgl. generell ebd. 55 Anni. 2). Röhser, Prädestination und Verstockung 55-62, legt dieses Konzept seinen Ausführungen zugrunde, als wäre es selbstverständlich.

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Einleitung

b) Der Verstockungsauftrag in jüdischen Traditionen und Übersetzungen Das Unbehagen, das der Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. mit seiner speziellen Konturierung auslöst, haben schon die alten Abschreiber und Ubersetzer des Textes offenbar so stark empfunden, dass sie den Text in verschiedenen Weisen veränderten, 213 und zwar schon innerhalb der jüdischen Tradition. So ist in der in den Höhlen von Qumran gefundenen vollständigen Jesajarolle, die um 140 v.Chr. entstanden ist und einen noch unpunktierten hebräischen Text enthält, der Schluss der beiden Verse mit Hilfe geringfügiger Veränderungen im Konsonantenbestand so umformuliert, dass die Absicht des Verstockungsauftrags doch die Bekehrung des Volkes ist: ,,Hört nur, weil ihr verstehen könnt, seht nur, weil ihr erkennen könnt! Verstöre das Herz dieses Volkes, verstopfe seine Ohren und seine Augen wende ab - damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört. Mit seinem Herzen verstehe es und bekehre sich und werde geheilt." 216 Damit wird die Passage in das dialektische Schema von Verderben und Retten eingeordnet und erscheint der Auftrag des Propheten nicht als von vorneherein aussichtslos. Die jüdische Sekte in Qumran bezog die Prophetentexte auf sich selbst als ,,erwählten", ,,heiligen R e s t " , während sie den großen Teil des Volkes Israel als von Gott abgefallen und in Unglauben und Untreue verhärtet ansah. Für prophetische Selbstkritik war da kein R a u m , und so wurde die Botschaft der Verdammung in Jes. 6,9 f. in eine Mahnung zur Bekehrung transformiert. 217 Im Targum Jonathan, der ursprünglich mündlichen Wiedergabe der Prophetenbücher auf Aramäisch, die nach der Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. in einem jahrhundertelangen Prozess in Palästina verschriftlicht und im 4-/5. Jahrhundert n.Chr. in Babylon einheitlich redigiert wurde, erscheint der Verstockungsauftrag in Jes. 6,10 als Strafe für den sündigen Teil des Volkes, indem die Imperative in 6,9 als Indikative in einem Relativsatz konstruiert werden: „Sprich zu diesem Volke, das hört, aber nicht zu Einsicht kommt" etc. 218 A u f dieselbe Weise wurden auch andere Verstockungsstellen im Buch Jesaja entschärft (Jes. 29,9f.; 42,18—20; 43,8; 63,17), indem entweder die Verwerfung Israels auf die Verwerfung der Feinde übertragen oder individuell zwischen Gläubigen und Sündern unterschieden wurde. 2 1 9 21 5 Siehe dazu E V A N S , Text. 216 lQJes" V I 2 — 5 ; Ubersetzung: B E U R E N , Jesaja 1 - 1 2 , 165. Die englische Ubersetzung (mit philologischen Erläuterungen) bei E V A N S , T O see and not perceive 55f., deckt sich damit (kritische Hinweise dazu jedoch bei K A R R E R , Verstockungsmotiv 264 Anni. 46). 2 1 7 Näheres dazu bei G N I I . K A , Verstockung 1 5 5 - 1 8 5 , und E V A N S , ebd. 53-60. 218 Ubersetzung: B E U R E N , Jesaja 1 - 1 2 , 165; englische Ubersetzung mit Erläuterungen bei E V A N S , ebd. 6 9 - 7 1 . Vgl. auch O B E R M A N N , Erfüllung der Schrift 240 f. 219 E V A N S , ebd. 7 3 - 7 5 .

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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A u f dieser Linie der Abmilderung der Härte dieses Textes liegen auch die sehr wenigen Verwendungen von Jes. 6,9 f. in der rabbinischen Literatur, in der die Anordnung definitiver Verstockung in die Verheißung von Vergebung umgedeutet wurde. Philologisch verfuhr man dabei so, dass man die Konjunktion peen in 6,10, „damit nicht", im Sinne von „wenn nicht" bzw. „bis" verstand und damit die Vermeidung der Verwerfung durch R e u e in den Text hineinlas, die von diesem gerade ausgeschlossen wurde. 220 In der rabbinischen Tradition hat dieser Text seinen originalen Sinn — der freilich, gleichfalls in der jüdischen Tradition, in der masoretischen Textfassung bewahrt blieb — vollständig verloren. Nach demselben Erklärungsmuster war der Text bereits Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. in Alexandria in das Griechische übersetzt worden. In der Septuaginta sind die Imperative in Jes. 6,10 in den Indikativ Aorist gesetzt (das erste Verbum zudem in das Passiv) und kausal an 6,9 angeschlossen, w o die in das Futur gesetzten Verben (an Stelle der Imperative) die Folgen einer bereits vorhandenen Verstocktheit vor Augen führen: Και ειττεν' Πορεύθητι και ειττον τ ω λαώ τούτω' 'Ακοή ακούσετε και ού μή συνητε και βλεττοντες βλεψετε και où μή ϊδητε' έτταχύνθη γ α ρ ή καρδία του λαου τούτου, και τοΤς ώσιν αυτών βαρέως ήκουσαν και τους οφθαλμούς αυτών έκάμμυσαν, μήττοτε ϊδωσιν τοις όφθαλμοΤς και τοις ώσιν άκούσωσιν και τη καρδία συνώσιν και έττιστρέψωσιν και ίάσομαι αυτούς. 22 ' Aus dem Auftrag zur Verstockung wird hier eine Anklage des verstockten Volkes; die fehlende Einsicht erscheint als vorhergesagte Folge der nicht von Gott angeordneten, sondern schon vorhandenen Verstocktheit. Ein kniffliges Detailproblem dieser Fassung ist der Wechsel von Subjekt, Tempus und Modus in den letzten beiden Verben. In der handschriftlichen Uberlieferung begegnet bei beiden sowohl Konjunktiv Aorist (ετπστρέψωσιν, ίάσωμαι) als auch Indikativ Futur (έτπστρέψουσιν, ίάσομαι), 222 was nach μήττοτε beides stehen kann. 223 Auch wenn beide Verben oder das letzte im Indikativ Futur stehen, wirkt die Verneinung μήττοτε doch in ihnen bzw. in ihm weiter; ein solches, mit einem konsekutiven καί angeschlossenes

220 Siehe die Texte mit Erläuterungen bei E V A N S , ebd. 1 3 7 - 1 4 5 . 221 Jes. 6,gì. L X X (II p. 573f. R A H L F S ; p. 1 4 3 f . Z I E C L E R ) . Zur Philologie der Septuagintafassung siehe E V A N S , ebd. 6 1 - 6 4 , U N D unten S. 254 Anni. 1 0 1 und S. 256 Anni. 106. Während Aquila und Theodotion denselben Wortlaut haben, bietet Symniachus in Jes. 6,10 einen eigenen Text, der aber denselben Sinn hat wie die Septuagintafassung: E V A N S , ebd. 64f. (siehe unten S. 52 Anm. 225). Die um 300 in der syrischen Kirche entstandene syrische Ubersetzung der Peschitta entspricht textlich teils der aramäischen, teils der griechischen Version, im Sinn jedoch der Septuaginta: EVANS, ebd.

77f.

222 Siehe II p. 574 R A H I F S app. crit.; p. 144 Z I F G I , ] ; R app. crit. 223 B A U E R , Wörterbuch 1027 s.v.; Beispiele: Mk. 14,2; Mt. 7,6 (mit ebenfalls schwankender Lesart).

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Einleitung

Futur nach einem Konjunktiv bezeichnet ein weiteres Ergebnis der voraufgehenden Handlungen, in einem verneinten Satz eines, das vermieden w e r den soll.224 Der verneinte Finalsatz in Jes. 6,10 ist also (verkürzt) zu übersetzen: „... damit sie nicht sehen und (nicht) hören und (nicht) verstehen und sich (nicht) bekehren und ich sie (nicht) heilen werde." 2 2 3 Das Heil ist als reale Folge gedacht, die ausgeschlossen wird, weil die Voraussetzungen dafür auf Seiten der Menschen nicht gegeben sind. Eine enge sprachliche Parallele bietet Lk. 12,58, ebenfalls mit Subjektwechsel: μήττοτε κατασύρτ] ... και ... παραδώσει — Jesus mahnt, sich mit einem Gegner außergerichtlich zu einigen, „damit er dich nicht vor den Richter schleppt und der Richter dich dem Gerichtsdiener übergeben wird". Die Septuagintafassung des Schlusses von Jes. 6,10 ist also nicht dahingehend zu verstehen, dass Gott seinem verstockten Volk Heil zusagt.226 Der griechische Text kommt mit dem hebräischen in der radikalen Konsequenz überein, nicht auf Heil, sondern auf Unheil hinauszulaufen, schiebt Ursache und Schuld dafür aber dem Volk zu. 227 Da andere Verstockungsstellen in den Prophetenbüchern, die schon im Hebräischen dieser Logik folgen, in der Septuaginta recht wörtlich übersetzt sind und nur die Parallele in Jes. 29,9 f. im selben Sinn wie Jes. 6,9 f. signifikant abgewandelt ist, ist zu schließen, dass der Ubersetzer den Text nicht missverstanden, sondern bewusst verändert hat, um das durch ihn aufgeworfene theologische Problem zu beseitigen. 228 Die Verantwortung für das Verderben wird von Gott (und seinem Propheten) auf das Volk übertragen. In dieser Umdeutung, in der mit Modifikationen im Detail alle Uberset-

224 BEASS/DEIÌRUNNER/REHKOI>I-, Grammatik 367 (§ 442, 2d) mit Beispielen ebd. 370 Anni. 8, darunter die Zitate von Jes. 6,9f. im Neuen Testament. 225 So hat schon der antike Ubersetzer Symmachus den Text aufgefasst, der im letzten Verbum einen durch μήττοοξ verneinten Konjunktiv (im Passiv, daher ohne Subjektwechsel) bietet: και îa0fj. Ein positives inhaltliches Pendant zu Jes. 6,9f. steht übrigens in Jes. 19,22: „Und J H W H wird die Ägypter schlagen, schlagen und heilen. Und sie werden sich zu J H W H wenden, und er wird sich von ihnen erbitten lassen und sie heilen"; Ubersetzung: BEUREN, Jesaja 1 3 - 2 7 , 175. 2 2 6 A n d e r s OBERMANN, E r f ü l l u n g der S c h r i f t 239F., u n d KARRER, V e r s t o c k u n g s m o t i v

257-259, dessen philologische Entscheidungen von theologischen Prämissen präjudiziert sind, die darauf hinauslaufen, die Anstößigkeit der Aussage in Jes. 6,9f. zu beseitigen. 227 KARRER, ebd. 261, spricht von einer „Schuldfeststellung" auf Seiten des Volkes im hebräischen wie im griechischen Text. In diesem Punkt liegt aber gerade der entscheidende Unterschied zwischen beiden Versionen. 228 EVANS, To see and not perceive 66. 68. Siehe oben S. 49 Anm. 2 1 2 und 2 1 3 . In der Septuaginta fehlt übrigens der letzte Satz von Jes. 6,13, der erst in der Hexapla, w o er mit einem Asteriskos markiert ist, und in späteren Rezensionen ergänzt ist: σπέρμα άγιου τό στήλωμα aïrrrjs; vgl. II p. 574 RAHLES mit app. crit.; p. 144 ZIEGEER mit app. crit. und schon Hieronymus, in Es. III 10 (VL.AGLB 23, 33of.).

II. D i e Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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Zungen übereinkommen, war d e m Text die Spitze g e n o m m e n und war er leichter zu verstehen und zu verwenden. Er formulierte einen klaren Schuld-Strafe-Zusammenhang, der sich mühelos ethisch und erkenntnistheoretisch auswerten ließ.

c) Das M o t i v der Verstockung Israels im urchristlichen Schrifttum U n g l e i c h stärker als im antiken Judentum wurde Jes. 6,9 f. im antiken Christentum aufgegriffen und historisch-theologisch ausgewertet. D e n K o n t e x t für die V e r w e n d u n g dieser Aussage in den ältesten christlichen Schriften bildet die traumatische Erfahrung der ersten Christen, dass die Verkündig u n g j e s u v o n den meisten Juden abgelehnt wurde. U m die D e u t u n g dieser Erfahrung mit Hilfe des jesajanischen Verstockungsauftrags historisch angemessen einordnen zu können, ist zu bedenken, dass das Christentum im Judentum entstand, als messianische B e w e g u n g in Palästina, und dass die ersten Anhänger Jesu w i e Jesus selbst Juden waren. Als solche versuchten sie das Auftreten Jesu w i e dessen längerfristigen A u s w i r k u n g e n mit Hilfe v o n Vorstellungen und Denkmustern zu erklären, die den Traditionen des j ü dischen Volkes entstammten. Das gilt auch für die historische Tatsache, dass Jesu an das jüdische Volk gerichtete Botschaft bei einigen Juden auf A n k l a n g stieß, v o n den meisten aber abgelehnt wurde, desgleichen die Verkündigung seiner Auferstehung durch seine Anhänger. D i e weitgehende A b l e h n u n g der Verkündigung Jesu und seiner ersten Anhänger durch das Judentum, die sich im Laufe des 1. Jahrhunderts verfestigte, stellte für die jiidisch-christliche D e u t u n g des Lebens und Sterbens des Juden Jesus, der sich als Gesandter Gottes zu seinem Volk verstand b z w . als solcher verstanden wurde, eine enorme Herausforderung dar und bildete eine der Hauptschwierigkeiten für die entstehende christliche T h e o l o g i e . In diesem anfangs innerjüdischen Diskurs über Person und Sendung des Juden Jesus aus Nazaret griffen die ersten christlichen T h e o l o g e n auf die prophetischen Traditionen des Judentums zurück. In diesen fand sich verschiedentlich die A b l e h n u n g prophetischer Verkündigung durch „das V o l k " , nicht zuletzt im B u c h Jesaja, das am häufigsten zur D e u t u n g v o n Gestalt und Geschick Jesu herangezogen wurde und neben den Psalmen zu dem biblischen B u c h avancierte, das in den urchristlichen Schriften am meisten zitiert wurde. D i e A b l e h n u n g der Botschaft Jesu konnte analog zur Erfolglosigkeit der Verkündigung Jesaj as aufgefasst und mit Hilfe der Verstockungstheorie erklärt werden. A u f dieser Linie dachte als erster Paulus, 229 der dafür allerdings nicht Jes. 6,9 f. heranzog, sondern die theologisch weniger proble-

229 N ä h e r e s dazu bei EVANS, ebd. 81 - 8 9 .

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matischen Aussagen zur Verstockung des jüdischen Volkes in Dtn. 29,3 und Jes. 2 9 , 1 0 ( R o m . 1 1 , 7 f . ; vgl. 2 Kor. 3,14). Dezidiert mit Jes. 6 , 9 f . argumentierten allerdings die Verfasser der Evangelien und der Apostelgeschichte. A m deutlichsten wird diese historische Perspektive und ihre theologische Deutung am Schluss der Apostelgeschichte, der zugleich den programmatischen Schlusspunkt unter das lukanische Doppelwerk setzt. 23 " Nach dieser Darstellung lassen sich in einer Diskussion mit führenden Leuten der jüdischen Gemeinde in R o m (Apg. 28,17—28) einige Juden von Paulus überzeugen — was wohl im Sinne einer Bekehrung zu verstehen ist231 —, andere nicht (28,24); ihre Uneinigkeit kommentiert Paulus mit einem wörtlichen und vollständigen Zitat von Jes. 6,9 f. in der Fassung der Septuaginta (28,25-27). 2 3 2 Der Unglaube einiger Juden wird durch dieses Arrangement generalisiert zum Unglauben „der" Juden, redet der Jesajatext in der Septuagintaversion doch allgemein von „diesem Volk", das nicht „hört" etc. und sich nicht bekehrt, und im anschließenden Satz wird daraus der generalisierende Schluss gezogen, dass das „Heil Gottes" zu den nicht-jüdischen „Völkern" „gesandt" wird und diese „hören" werden (28,28, wobei ignoriert wird, dass diese das weder alle noch geschlossen tun). In diesem Text steckt die Erfahrung der ersten Christen, dass die christliche Verkündigung von den meisten Juden abgelehnt wurde, gleichzeitig j e d o c h unter N i c h t Juden zunehmend erfolgreich war. Eine Erklärung für diesen schwer verständlichen Sachverhalt lieferte das biblische Motiv der Verstocktheit laut Jes. 6,9 f. L X X : Das Verhalten des Volkes Israel gegenüber der christlichen Verkündigung entspreche seinem Verhalten gegenüber der prophetischen Verkündigung; Israel erweise sich der Botschaft Jesu gegenüber als genauso „verstockt" wie gegenüber der Botschaft Jesajas. 233 Dieselbe Funktion hat dieser Jesajatext im Johannesevangelium 0 o h . 12,37—43). Auch in diesem geht es im Abschluss der ersten Teils des Evan230 Siehe Gnilka, Verstockung 130-154; Evans, ebd. 120-123; ferner Pesch, EKK V / 2 , 309 f. 231 Die Gründe dafür bei Sii.i.ner, Heil Gottes 372 Anm. 46. 232 Die einzigen minimalen und sachlich unerheblichen Abweichungen vom Septuagintatext bestehen darin, dass der Anfang leicht umformuliert ist: „Geh zu diesem Volk und sage" etc. und dass αϋτώυ hinter dem ersten και τοϊξ ώσίυ in Jes. 6,10 fehlt (p. 408 Nestle/Aland 37 ). 233 Si m s li. Heil Gottes 373-375. Dieses Verhalten „der" Juden wird damit nicht als heilsgeschichtliche Fügung erklärt: pace Evans, To see and not perceive 127, und Lux, EKK I/2, 314, für das Matthäusevangelium. Kaiìriiì, Verstockungsmotiv 267—271 (übernommen von Sri.i,ner, ebd. 376—378), trägt seine falsche Annahme, Jes. 6,gÎ. münde in eine Heilszusage (siehe oben S. 52 Anni. 226), in den Text von Apg. 28,25-27 ein. Sein abschließendes Statement gegen einen damit begründeten Antijudaismus des lukanischen Doppelwerks - der aus dieser Stelle nicht folgt, auch wenn man Jes. 6,9 f. in eine Unheilsaussage münden sieht - ist gewiss richtig, doch leidet seine Argumentation daran, dass er auf eine historische Einbettung verzichtet.

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geliums bzw. der öffentlichen Wirksamkeit Jesu in einer R e f l e x i o n des Verfassers um den „Unglauben" „der" Juden zur Zeit Jesu und in seiner Gegenwart (12,37), v o n denen freilich einige der führenden Leute doch zum Glauben an Jesus kamen, ohne diesen aber aus Angst, aus der Synagogengemeinde ausgeschlossen zu werden, offen zu bekennen (i2,42f.). Der „Unglaube" wird so erklärt, dass er in Jes. 53,1 (zitiert in der Septuagintafassung) vorhergesagt sei und Gott diese Vorhersage verwirklicht habe, wie aus Jes. 6,10 hervorgehe (12,38—40). Das Johannesevangelium bietet dabei eine eigenständige, freie Formulierung dieses Verses, die darauf hinausläuft, dass Gott die Verblendung und Verstockung mit dem Ziel des Nicht-Sehens etc. herbeiführte: Τετύφλωκεν αυτών T O Ù Ç οφθαλμούς και έπώρωσεν αυτών την καρδίαν, ϊνα μή ΐδωσιν τοΤς όφβαλμοΤς και νοήσωσιν -rrj καρδία και στραφώσιν και ΐάσομαι αυτούς. 234 Mit dem Akzent darauf, dass Gott die Verstockung verursacht, steht diese Wiedergabe zwar nicht sprachlich - da erinnert manches an die Septuagintaversion - , aber inhaltlich näher an der hebräisch-masoretischen Fassung als an der griechischen in der Septuaginta und der aramäischen im Targum. Sie stellt damit die Ablehnung der Botschaft Jesu durch „die" Juden (die i n j o h . 12,42 f. freilich relativiert wird) als von Gott produzierten Unglauben dar. 235 In den synoptischen Evangelien ist Jes. 6,9 f. im selben Sinn benutzt, allerdings mit einer bestimmten Parabeltheorie verknüpft: Z w e c k des R e dens Jesu in Gleichnissen, apokalyptisch verstanden als „Rätselrede", sei die

234 Joh. 12,40 (p. 293 NESTLE/AL AND27). Der finale 'ίνα μή-Satz und damit die Verneinung reichen bis αυτούς; so richtig SCHNACKENBURC, Schriftauslegung 174 (bzw. 150); ders., H T h K IV/2, 519, und MENKEN, Schriftgebrauch 208, der, ebd. 206f. (mit anderen Auslegern, etwa SCHNACKENBURC, Schriftauslegung 1 5 0 - 1 5 2 ) , in Jesus das Subjekt von ΐάσομαι sieht (das ergibt sich aus der Form des Zitats, in dem das Subjekt der Verben von der 3. Person in die 1. Person wechselt, im Duktus des Johannestextes), dessen Handeln (hier: nicht heilen) dem Handeln Gottes (hier: verstocken) konform gehen muss; ebenso KÜHSCHEI.M, Verstockung 30. 193, der, ebd. 194f., im Finalsatz einen ironischen Tonfall meint wahrnehmen zu können, der dem Ernst der Thematik freilich nicht angemessen ist. Anders etwa WENCSE, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 4/2, 75 f., und OHERMANN, Erfüllung der Schrift 2 3 5 - 2 5 5 , der Jesus als Subjekt einer im Futur ΐάσομαι zum Ausdruck kommenden eschatologischen Wende sieht (ebd. 249 f.) und einen „heilenden Jesus" einem „verstockenden Gott" gegenüberstellt (ebd. 245), ohne die markionitische Färbung eines solchen Gedankens, der dem Vater-Sohn-Verhältnis im Johannesevangelium gänzlich zuwiderläuft, wahrzunehmen; die von ihm diskutierten logischen Probleme (ebd. 242—246) sind eine Folge dieser Fehlinterpretation. 235 Siehe dazu EVANS, Function 1 3 3 - 1 3 7 ; ders., To see and not perceive 1 2 9 - 1 3 5 . Eine Anspielung auf Jes. 6,9 steckt möglicherweise i n j o h . 9,39, doch steht dahinter wohl eher Jes. 29,10. RÖHSER, Prädestination und Verstockung 238-243, verkehrt mit einer widersprüchlichen Auslegung (bes. ebd. 238) die Logik des Zitats von Jes. 6,10 im Johannesevangelium in ihr Gegenteil.

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Verstockung des Volkes. Dieser auf den ersten Blick merkwürdig anmutende Gedanke lässt sich vielleicht in folgender Weise verständlich machen. 236 Jesus stieß mit seinem Tun und R e d e n auf Akzeptanz und Ablehnung oder im Blick auf die in R e d e stehende Gleichnistheorie formuliert: auf Verständnis und Unverständnis. Manche Leute verstanden seine Gleichnisse, manche nicht. Mittels einer in der jüdischen Tradition gängigen Denkfigur ließ sich diese Tatsache so auffassen, dass beides von Gott gegeben werde: das Verstehen wie das Nicht-Verstehen. 237 Eine solche Vorstellung scheint im frühesten Christentum vorhanden gewesen zu sein, wie aus der Logienquelle Q hervorgeht, 238 und konnte erklären helfen, weshalb manche Leute die Gleichnisse Jesu nicht verstanden: Gott ist es, der das Verstehen schenkt — und er ist auch die Ursache für das Nicht-Verstehen. Gleichsam als Schriftbeweis dafür konnte die Verstockungstheorie der jüdischen heiligen Schriften aufgegriffen und auf das R e d e n Jesu in Gleichnissen angewendet w e r den, was klar im Matthäusevangelium zum Ausdruck gebracht ist: A u f die Frage der Jünger, weshalb Jesus zu der Menschenmenge in Gleichnissen rede, antwortete er: „Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des H i m melreichs zu erkennen; jenen aber ist es nicht gegeben" (Mt. 1 3 , 1 1 ) , 2 3 9 und im Sinne eines Erfüllungszitates wird dazu vollständig (ohne die R e d e e i n leitung) und korrekt die Septuagintafassung von Jes. 6,9 f. zitiert (1 3 , 1 4 f.). 240 Weil hier gesagt wird, dass es um Erkenntnis geht ( 1 3 , 1 1 : γνώναι), und weil ausdrücklich der Gegensatz zwischen denen, denen das Verstehen geschenkt wird, und denen, denen es nicht geschenkt wird, hervorgehoben wird, ist diese Fassung verständlicher als die zugrundeliegende, grundsätzlich aber wohl ebenso gemeinte Perikope im Markusevangelium, in der Jesus, gefragt nach den Gleichnissen, sagt: „Euch ist das Geheimnis der Gottesherrschaft gegeben. Jenen aber, die draußen sind, geschieht alles in Rätseln, damit (Iva) sie zwar sehend sehen und doch nicht sehen und hörend hören und doch nicht verstehen, damit (μήττοτε) sie nicht umkehren und ihnen vergeben werde" (Mk. 4 , 1 1 f.). 241

236 Siehe die Ausführungen zum Markus- und zum Matthäusevangelium bei GNILKA, V e r s t o c k u n g 2 3 — 1 1 5 ; EVANS, ebd. 9 1 - 1 1 3 .

237 Vgl. beispielsweise Ex. 4 , 1 1 : „Wer hat dem Menschen den Mund gegeben, und wer macht taub oder stumm, sehend oder blind? Doch wohl ich, der Herr!" 238 Q 10,21 und 10,22 (aus Lk. 10,21 f. par. Mt. 11,25—27); Text mit Ubersetzung bei ΗΟΓΓΜΑΝΝ/HEIL, S p r u c h q u e l l e 5 8 f .

239 Ubersetzung: Lux, E K K I/2, 299. 240 Wie in Apg. 28,27 fehlt lediglich αυτών hinter dem ersten και τοϊξ ώσίν in Jes. 6,1 o. Weil ein Zitat nach der Septuaginta im Matthäusevangelium ungewöhnlich ist, hält GNII.KA, Verstockung I04F.; ders., Verstockungsproblem 1 1 9 . 127, das Zitat vonjes. 6,9f. in Mt. i o , i 4 f . für interpoliert. Die Gründe dafür, dass es doch echt ist, bei Luz, ebd. 301 f. 241 Ubersetzung: GNII.KA, E K K II/1, 162. Die Wendung: „geschieht alles in Rätseln" ist

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D e r Z w e c k der „ R ä t s e l " ( π α ρ α β ο λ α ί ) ist n a c h d i e s e m T e x t das V e r h i n dern v o n Verständnis, U m k e h r u n d V e r g e b u n g . A u c h w e n n die sprachliche Fassung dieser v e r k ü r z t e n W i e d e r g a b e v o n J e s . 6,9 f. Ä h n l i c h k e i t e n mit der aramäischen Version i m T a r g u m aufweist, 2 4 2 steht sie insgesamt d o c h d e m hebräischen T e x t nahe, i n s o f e r n die K o n j u n k t i o n e n ίνα u n d μήττοτε in

fi-

n a l e m Sinn aufzufassen sind. S i n n der Gleichnisse J e s u , die f ü r „ d i e d r a u ß e n " „ R ä t s e l r e d e n " sind, ist d e m n a c h die V e r h ü l l u n g der W a h r h e i t , ist das V e r h i n d e r n v o n B e k e h r u n g u n d V e r g e b u n g . A l l e anderen Verständnisweisen dieser K o n j u n k t i o n e n 2 4 3 sind nichts anderes als Versuche, d e m a u f g r u n d d i e ser Z u s p i t z u n g anstößigen T e x t einen akzeptableren S i n n a b z u g e w i n n e n . 2 4 4 E r muss aber nicht d u r c h a b s c h w ä c h e n d e Interpretation seiner V o k a b e l n entschärft w e r d e n , sondern f i n d e t e i n e n plausiblen Sinn i m K o n t e x t des gesamten M a r k u s e v a n g e l i u n i s . D e s s e n Parabeltheorie steht n ä m l i c h i m Z u s a m m e n h a n g mit d e m „ M e s s i a s g e h e i m n i s " . 2 4 5 G e m ä ß dieser G r o ß t h e o r i e des M a r k u s e v a n g e l i u n i s w i r d , stark verkürzt gesagt, die B e d e u t u n g J e s u v o r seiner A u f e r s t e h u n g nicht verstanden, auch v o n den J ü n g e r n nicht (s.u.); dieses U n v e r s t ä n d n i s f ü h r t z u m T o d J e s u u n d ist nötig, u m d u r c h die A u f erstehung, u n d z w a r erst d u r c h diese, Verstehen zu e r m ö g l i c h e n . Erst i m W i s s e n u m die w a h r e B e d e u t u n g J e s u erschließt sich der S i n n der G l e i c h nisse v o n der Gottesherrschaft. Das N i c h t - V e r s t e h e n musste also gleichsam sein. In den B a h n e n alttestamentlicher Traditionen w i r d dieses N i c h t - V e r stehen i m M a r k u s e v a n g e l i u n i ö f t e r als „Verstocktheit" erklärt ( M k . 6,51 f.;

242

243

244

245

im Sinne von: „wird alles zu Rätseln" als Eintreten eines Zustands zu verstehen: ebd. 163. Wie im Targum stehen die Verben in Mk. 4,12 in der dritten Person (nicht in der zweiten wie in der Septuaginta) und im Indikativ (nicht im Imperativ wie im Hebräischen) und ist im Schlusskolon ein Verb gewählt („vergeben" statt „heilen"), das der aramäischen Wiedergabe entspricht: και αφέθη αύτοΤξ (p. 99 Nr:STI.]',/Ai.AND3'); letzteres erinnert formal an die griechische Version von Jes. 6,10 bei Symmachus (siehe oben S. 52 Anni. 225). Ein Unterschied zum hebräischen und griechischen Text besteht ferner darin, dass das Sehen vor das Hören gestellt ist: G N I I . K A , Verstockung 16; E V A N S , Function 126f.; ders., To see and not perceive 91 f. Diskutiert bei G N I I . K A , ebd. 45-50; E V A N S , Function 1 2 7 - 1 3 3 ; ders., To see and not perceive 92-99: 'ίνα im Sinne von ϊνα ττληρωθή als nicht zum Zitat gehörende Einleitung eines Erfüllungszitates (womit sich freilich, worauf E V A N S , ebd. 94, zu Recht hinweist, kein sachlicher Unterschied zu einem finalen ϊνα ergibt) und μήττοτε wie bei den Rabbinen in der Bedeutung „wenn nicht" oder „bis", also mit der abschließenden Verheißung von Vergebung bei Reue; ϊνα kausal und μήττοτε wie im Targum im Sinne von „vielleicht", „es sei denn, dass"; ϊνα konsekutiv; ϊνα explikativ (vgl. G N I L K A , E K K 11/1, 166 Anm. 23 und 24). So richtig E V A N S , ebd. 95f. Die Ausführungen von G N I I . K A , Verstockung 80—83, sind nicht konsistent, sondern schwanken implizit zwischen einem kausalen und einem finalen Verständnis. Näheres dazu in den Exkursen bei G N I I . K A , E K K I I / 1 , 1 6 7 - 1 7 2 .

$8

Einleitung

8 , i 7 f . , hier mit Jer. 5,21), und an der oben zitierten Stelle wird der Sinn der Gleichnisreden Jesu eben dahingehend erläutert, dass solches Nicht-Verstehen mit diesen „Rätselreden" absichtlich herbeigeführt werden soll. Sollte das Logion in M k . 4 , 1 1 f., w o f ü r einiges spricht, auf Jesus selbst zurückgehen, 246 dann könnte man es möglicherweise dahingehend deuten, dass sich schon Jesus selbst das Unverständnis, das seine Botschaft bei vielen Leuten hervorrief, wie Jesaja die Ablehnung seiner Verkündigung mit der Verstocktheit des Volkes erklärte und diese, weil er die Geschichte und darin sein eigenes Erleben im Sinne jüdischer Geschichtsdeutung als v o m göttlichen Willen gelenkt interpretierte, als von Gott absichtlich herbeigeführt auffasste. So schwer verständlich diese Passage im Markusevangelium, an der zum ersten Mal in einem christlichen Text auf den Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. zurückgegriffen wird, auch bleibt — weshalb sie zu den meist diskutierten Texten in den synoptischen Evangelien gehört - , lassen sich aus ihr und aus ihrer weiteren urchristlichen Verwendung doch einige aufschlussreiche Erkenntnisse gewinnen. So ergibt sich, dass im Markusevangeliuni die Problematik, in deren R a h m e n das Verstockungsmotiv im frühesten Christentum herangezogen wurde, nämlich die Ablehnung Jesu durch den Großteil des Judentums, als bis in den ältesten Jüngerkreis zurückreichendes Problem dargestellt wird. Sollte das Logion in M k . 4 , 1 1 f. auf Jesus zurückgehen, hätte sogar Jesus selbst dieses Problem bereits thematisiert. In der Darstellung des ältesten Evangeliums jedenfalls stößt Jesus immer wieder auf das Unverständnis auch der Jünger (vgl. M k . 4,13; 6,52; 8 , 1 4 - 2 1 ; 9,32), das sich erst nach der Auferstehung in Verständnis wandelt (Mk. 15,39, hn Präteritum: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn"). Die beiden vom Markusevangeliuni abhängigen Synoptiker haben dieses Unverständnis der Jünger ganz oder doch weitestgehend getilgt. Auch das Matthäusevangelium erklärt das Nicht-Verstehen mit dem Verstockungsmotiv, doch ist es peinlich darauf bedacht, solches Nicht-Verstehen von den Jüngern fernzuhalten — sie sind darin nie unverständig (vgl. etwa Mt. 1 3 , 5 1 ; 1 6 , 1 2 ; 1 7 , 1 3 ) und dürfen schon in Mt. 14,33 sagen: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn"; auch kennt es nicht mehr die Vorstellung einer Verstockung durch Gott oder durch die Gleichnisse Jesu, sondern ist — ganz im Sinne der Septuagintafassung von Jes. 6,9 f. — die schon vorhandene Verstocktheit die Ursache für das Nicht-Verstehen; in der Paraphrase von M k . 4 , 1 2 in Mt. 1 3 , 1 3 ist der Text charakteristischerweise so umgestaltet, dass das finale Iva durch ein kausales ότι ersetzt und der Text von Jes. 6,9 f. dahingehend verändert ist, dass er inhaltlich den theologisch unproblematischeren

246 GNILKA, VerStockung 198-205 (anders: ders., E K K II/1, 167); EVANS, TO see and not perceive 1 0 3 - 1 0 6 .

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

59

Verstockungsaussagen in Jer. 5,21 und Ez. 1 2 , 2 entspricht. 247 In der sehr knappen Paraphrase v o n Jes. 6,9 f. auf der Basis v o n M k . 4 , 1 2 im Lukasevangelium ist zwar die schwer verständliche Gegenüberstellung v o n „ G e heimnissen des Gottesreiches" und „Gleichnissen" sowie die finale Verk n ü p f u n g zwischen Gleichnisreden und Verstockung aus dem Markusevangelium gewahrt: „ E u c h ist es gegeben, die Geheimnisse des Gottesreiches zu erkennen, den übrigen aber in Gleichnissen, damit (ίνα) sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen" (Lk. 8,10). 248 W i e im Matthäusevangelium ist hingegen explizit v o n „ E r k e n n e n " die R e d e und gibt es kein N i c h t Verstehen der Jünger. 2 4 9 Weil das Lukasevangelium keine Theorie v o n Gleichnissen als Mittel der Verhüllung kennt, erscheint dieser Vers als Traditionsgut, das im Gleichniskapitel nur ganz kurz abgehandelt wird, weil der Verfasser Jes. 6,9 f. anders verwendet und deshalb erst am Schluss der A p o s telgeschichte ausführlich darauf rekurriert (s.o.). 23 " Im Matthäus- wie im Lukasevangelium ist damit das Faktum des Unverständnisses gegenüber der Botschaft Jesu nicht mehr als Problem auch unter seinen Gefolgsleuten präsent, sondern - vorgeprägt im Markusevangelium in der starken U n t e r scheidung zwischen „ e u c h " , den Anhängern, und denen, „die draußen sind" (Mk. 4 , 1 1 ) — nur noch als Verstehen bei den einen, in der ingroup, und Nicht-Verstehen bei anderen, in der outgroup; f ü r das gesamte Matthäusevangeliuni ist „der Gegensatz v o n verstehenden Jüngern und verstocktem Volk v o n außerordentlicher B e d e u t u n g " (stark betont etwa in M t . i3,iöf.).25' In der Apostelgeschichte und im Johannesevangelium ist diese Konstellation noch deutlicher in R i c h t u n g einer Dichotomie zwischen J u d e n als Gegnern und Nicht-Juden („Heiden") als Anhängern Jesu verschoben, w o bei freilich beiden Schriften noch völlig bewusst ist, dass es anfangs auch und gerade unter J u d e n nicht wenige Anhänger Jesu gab. Gleichwohl zeichnet sich in ihnen die Opposition zwischen (nicht-jüdischen) Christen und

247

GNII.KA, V e r s t o c k u n g 93; ders., V e r s t o c k u n g s p r o b l e m 1 2 0 ; E V A N S , ebd. 1 1 0 . Z u J e r .

5,21 und Ez. 12,2 siehe oben S. 49 Anm. 212. Wie Luz, E K K I/2, 299 mit Anm. 3 (vgl. ebd. 314), και im letzten Kolon von Jes. 6,10 bzw. Mt. 1 3 , 1 5 als Einleitung zu einem selbstständigen Satz aufzufassen - „und ich werde sie heilen" - , überzeugt deshalb nicht, weil das nicht zum scharfen Kontrast (so Luz, ebd. 314) in den folgenden Sätzen Mt. 1 3,16 f. passt und der Jesajatext damit in Richtung auf eine schließlich doch erfolgende Rettung abgeschwächt wird, die der ursprüngliche Text, wie oben gezeigt, auch in der Septuagintafassung nicht beinhaltet. 248 Die Wiedergabe von 'ΊΝΑ mit „denn sie sollen" bei B O V O N , E K K III/1, 403, trifft zwar den Sinn, könnte aber prägnanter sein. 249 E V A N S , T O see and not perceive 115-120. 250

GNILKA, Verstockung 1 1 9 - 1 2 9 .

Siehe auch BOVON, E K K

I I I / I , 406. 4 1 3 f.

251 GNIIKA, ebd. 89; vgl. ebd. 94-102; ders., Verstockungsproblem 1 2 2 - 1 2 7 . Ebenso: Lux, E K K I/2, 300f. 311 f. 31 5.

6o

Einleitung

Juden ab. Was ursprünglich Unglaube „ v o n " Juden war, wurde zunehmend als Unglaube „der" Juden aufgefasst. 252 Das Motiv der Verstockung bzw. der Verstocktheit als biblische Erklärung für Unverständnis und Ablehnung wandert in diesen Verschiebungen der Konstellation gleichsam mit und entwickelt sich dabei allmählich zum generalisierenden, antijüdischen Motiv von der Verstocktheit „des" jüdischen Volkes, mit dem in einem von theologischen Prämissen strukturierten Geschichtsbild dessen „Unglaube" (aus christlicher Sicht) verständlich gemacht werden soll. Der Wortlaut der in den ersten christlichen Texten jeweils zitierten Fassungen von Jes. 6,9 f. ist für diese Geschichte von untergeordneter Bedeutung. Wenn sich das Johannesevangelium enger an den Sinn des hebräischen Textes hält, wenn das Markusevangelium gemeinsame Züge mit dem Targum aufweist und wenn im Matthäusevangelium und in der Apostelgeschichte die Septuaginta zitiert wird, dann zeigt das nur an, dass das Christentum zu Beginn ein Teil des aramäisch und/oder griechisch sprechenden Judentums war und sich auf die heiligen Texte Israels in hebräischer oder aramäischer Sprache, meist aber in der griechischen Ubersetzung der Septuaginta bezog. Diese verschiedenen Textgrundlagen bedingten zwar U n terschiede in der Färbung des Verstockungsmotivs: Im Markus- und im Johannesevangeliuni, ebenso im von Markus abhängigen Lukasevangeliuni, ist es Gott, der absichtsvoll verstockt, und ist die Verstockung Z w e c k des göttlichen Handelns bzw. der Gleichnisreden Jesu. Im Matthäusevangeliuni hingegen und in der Apostelgeschichte ist das Volk bereits verstockt und ist diese Verstocktheit Ursache für das Nicht-Verstehen der Gleichnisreden Jesu bzw. für die Ablehnung seiner Botschaft. Trotz dieser Unterschiede in der spezifischen Denkfigur der Aussage von Jes. 6,9 f., die als solche theologisch von erheblicher Relevanz ist, bewegt sich die Verwendung dieser Verse im allgemeineren Kontext dieser urchristlichen Schriften inhaltlich insgesamt doch auf der Linie eines theologisch entschärften Jesajatextes. In allen christlichen Verwendungen von Jes. 6,9 f. geht es nie darum, dass Gott sein ganzes Volk, also alle, an die er sich wendet, ohne Ausnahme ins Nicht-Verstehen und ins Verderben führt. Der weitere R a h m e n ist vielmehr immer der, dass ein Teil des Volkes versteht, umkehrt und glaubt und ein Teil des Volkes nicht. 233 Die konkrete Identifizierung beider Teile verschiebt sich, wie gezeigt, in der Darstellung der Texte mit der darin jeweils reflektierten his-

252 Der Satz: „... jene, die zur Zeit Jesu die Annahme der Botschaft verweigerten, die Juden" bei G N I I . K A , E K K I I / 1 , 165, ist daher sehr unsauber und historisch falsch. Auch von einer pauschalen „Erfolglosigkeit des Wirkens Jesu in Israel" (so ebd. 166) kann historisch keine Rede sein. K Ü H S C H Ü I . M , Verstockung 1 9 5 F . , interpretiert Joh. 1 2 , 3 7 - 4 3 zu Recht als Ausdruck gegenwärtiger Erfahrungen der johanneischen Gemeinde. 253 E V A N S , T O see and not perceive ioof.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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torischen Situation, an keinem Punkt der geschichtlichen Entwicklung aber geht es um eine totale Verwerfung, sondern gibt es immer einen „ R e s t " , der versteht, sich bekehrt und glaubt. In den urchristlichen Schriften treffen wir damit in diesem Zusammenhang auf eine Anwendung bzw. Fortschreibung der nachexilischen jüdischen Theologie v o m „ R e s t " , der gerettet wird. 254 Das entspricht der Interpretation von Jes. 6,9 f. im Targum, dem die Fassung in M k . 4,12 sprachlich nahesteht (und die wohl auf den aramäisch sprechenden Jesus selbst zurückgeht, der also möglicherweise seinerseits in solchen Bahnen dachte), und das entspricht zum Beispiel der Auffassung von Jes. 6,9 f. in Qumran (s.o.). Als im Z u g e der fortschreitenden Trennung der Christen von den Juden das Verstockungsmotiv tendenziell auf das Volk Israel als ganzes angewandt zu werden begann, lebte diese theologische Tradition in der nunmehr neu akzentuierten Form weiter, dass Gott sein Volk nicht völlig vernichtete - womit er nach antiker Auffassung ein Gott ohne Volk geworden wäre, was ein unsinniger Gedanke ist —, sondern sich, ausgehend von dem „ R e s t " der Juden, der aus christlicher Sicht Gott treu blieb, ein „neues Volk" schuf, ein „neues Israel" aus „Juden und Heiden" (sehr schnell allerdings nur noch aus „Heiden"), als das sich die christliche Kirche dann zu verstehen begann. In dieser Konstellation galten die Gegner des Gottesvolkes als verstockt, aus christlicher Sicht vor allem die Juden. Das ist prinzipiell keine andere Konstellation und Exegese als die im Targum, in dem Jes. 6,9 f. unter anderem so aufgefasst wurde, dass man die Feinde Israels für verstockt hielt (s.o.). Derartige Oppositionen sind prinzipiell offen für verschiedene Konkretionen. Das eigentliche theologische Problem der spezifischen Denkfigur von Jes. 6,9 f. war in allen diesen Adaptionen nicht virulent, sondern wurde dadurch umgangen, dass man die Verse auf der Ebene des Endtextes des Jesajabuches las und, in welcher sprachlichen Fassung auch immer, im Sinne der übrigen, theologisch weniger anstößigen Verstockungsaussagen in dieser und in anderen Schriften des Alten Testaments verstand, und zwar in dem Sinn, dass es immer einen j e verschieden identifizierten Teil des Gottesvolkes gab, der von Unverständnis und Versto-

254 Die Verwendung von Jes. 6,9 f. in den ersten christlichen Schriften von der nachexilischen Theologie des „Restes" her zu verstehen entspricht sowohl den Texten als auch der komplexen historischen Entwicklung besser als die mittlerweile überholte Substitutionstheorie, mit der noch G N I I . K A , E K K II/1, 166, operierte, wenn er das Zitat von Jes. 6,9f. in Mk. 4,11 f. so erklärte: „Im Markus-Kontext jedoch wird unter Israels Geschichte ein Schlussstrich gezogen. Die Vergebung ist verwirkt. An Israels Stelle ist die Gemeinde Jesu getreten, deren Kern die Zwölf sind." Eine solche Darstellung verkennt, dass „die Gemeinde Jesu" zur Zeit Jesu ebenso wie „die Z w ö l f aus Juden bestand. Dem Verfasser des Markusevangeliums war das noch bewusst.

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Einleitung

ckung, in welchem Kausalzusammenhang auch immer diese gedacht wurde, nicht betroffen war. D i e urchristliche R e z e p t i o n des Verstockungsauftrags in Jes. 6,9 f. bietet damit ein kleines, aber aussagekräftiges Beispiel dafür, in welch k o m p l e x e m Prozess sich die Verkündigung Jesu und der ersten Christen zunächst innerhalb des Judentums, dann zunehmend aus diesem heraus entwickelte und wie stark dieser Trennungsprozess v o n den ersten Christen theologisch unter R ü c k g r i f f auf die jüdische Bibel reflektiert wurde.

d) Das Verstockungsmotiv in der altkirchlichen Theologie D i e antiken christlichen, griechisch- w i e lateinischsprachigen T h e o l o g e n schrieben die in diesen biblischen Texten vorgezeichneten Interpretationen fort. Das gilt zum einen f ü r den Text v o n Jes. 6,9 f., der zwar mit Varianten im Vokabular, doch immer mit den Verbformen und im Sinn der Septuaginta zitiert wurde; Jes. 6 , 1 0 wurde durch γ ά ρ bzw. enim als Begründung an 6,9 angeschlossen, die Verstocktheit also als schon vorhanden verstanden. 233 A u c h Orígenes griff die Verse mehrmals wörtlich in dieser F o r m auf und gab sie so wieder, dass er Jes. 6,9 ganz oder fast ganz, 6 , 1 0 hingegen abgekürzt zitierte: 'Ακοή άκούσετε και où μή συνήτε, και βλέποντες βλεψετε και où μή ί'δητε. Έτταχύνθη γ α ρ ή καρδία τ ο υ λαου τούτου. 2 5 6 D i e vollständige lateinische Version v o n Jes. 6,9 f. in der sechsten Jesajahomilie entspricht exakt diesem griechischen Septuagintatext: Vade, et die populo: Aure audietis et non intelligetis, et videntes cernetis et non vídebitís. Incrassatum est enim cor populí huius, et auribus graviter audierunt et. oculos clauserunt, ne quando videant oculis et auribus audiant et. corde intelligant et convertantur et sanem eos.257 Hieronymus hat demnach die v o n Orígenes verwendete und kommentierte Fassung getreu wiedergegeben. Das ist insofern nicht ganz trivial, als sich Hieronymus Jahre später, als er (wohl u m 391) das B u c h Jesaja in das Lateinische übersetzte, an der hebräischen Textfassung orientierte: Et dixit: Vade, et dices populo huic: Audite audient.es et. nolite intellegere, et videte visionem et. nolite cognoscere! Excaeca cor populi huius et ames eius adgrava et oculos eius claude, ne forte videat oculis suis et auribus suis audiat. et corde suo intellegat et convert.at.ur et sanem eum!25ii D i e Vulgata bietet 255 Textbeispiele bei EVANS, To see and not perceive 1 4 7 - 1 5 3 ; Zitate aus der Vetus

Latina ebd. 219 Anm. 13. 256 So jeweils bei Orígenes, Cels. II 8 (GCS Orig. 1, 134); in Hier. hom. 14,12 (GCS Orig. 33, 117); 20,2 (3A, 179), an letzteren beiden Stellen zusätzlich eingeleitet mit: (πορεύθητι και) εΤττον τω λαω τούτω bzw. έκείνω. Ein Kurzzitat bzw. summary bietet er in loh. comm. II 178 (GCS Orig. 4, 86); in Matth, comm. XVI 9 (GCS Orig. 10, 502); in Ex. hom. 7,5 (GCS Orig. 6, 211). 257 In Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 271). 258 Jes. 6,9£. Vulg. (p. 1103 WIÍHIÍU/GRYSON) mit hinzugefügten Satzzeichen.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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damit das einzige Beispiel im altkirchlichen Schrifttum, in dem Jes. 6,9 f. nicht nach der Septuaginta, sondern nach dem Hebräischen wiedergegeben ist.239 Diese gleichsam härtere Version des Verstockungsauftrags war für die christliche Theologie allerdings nicht so problematisch, weil er meist antijüdisch gelesen wurde. Möglicherweise wählte Hieronymus diese Ubersetzung daher nicht nur aus philologischen Gründen, sondern bereitete sie ihm auch theologisch keine Probleme. 26 " In dem knapp zwei Jahrzehnte nach der Ubersetzung des Jesajabuches verfassten Kommentar hat Hieronymus die hebräische und die griechische Version (jeweils in lateinischer Ubersetzung) miteinander verglichen und dabei die Septuagintafassung als leicht (secundum LXXfacilis interpretado est), die hebräische hingegen als schwer verständlich (in Hebraico difficultas est) eingestuft; als Erklärung vermochte er jedoch nicht mehr beizubringen als Zitate aus K ö m . 1 1 , die er ohne weitere Erläuterung ausschrieb. 261 Das war das für ihn typische Vorgehen: Hieronymus versuchte theologischen Problemen nicht — wie etwa ein Origenes oder ein Augustinus (s.u.) — mit systematischer R e f l e x i o n beizukommen, sondern mit B i belzitaten. Die theologische Schwierigkeit des Textes an sich war den christlichen Theologen meist nicht bewusst, weil diese in der Septuagintafassung schon beseitigt war. Vielmehr wurde er in der R e g e l als Erklärung dafür herangezogen, weshalb „die" Juden Jesus abgelehnt hatten und das Christentum weiterhin ablehnten. Umgekehrt galt die jüdische Ablehnung Jesu den altkirchlichen Theologen als Beweis für die Erfüllung der Schriften, hier der Ankündigung der Uneinsichtigkeit des Volkes Israel durch den Propheten Jesaja (durch die futurischen Verbformen in der Septuagintafassung von Jes. 6,9), die von dessen Verstocktheit schuldhaft verursacht sei (durch den kausalen Anschluss von Jes. 6,10 an 6,9). Dabei wurde pauschal antijüdisch v o m „Unglauben" „der" Juden geredet, nicht mehr wie in den urchristlichen Schriften differenziert. 262 Die seit dem 2. Jahrhundert weitgehend vollzogene Trennung der Christen, die sich nunmehr nahezu ausschließlich aus Nicht-Juden rekrutierten, von den Juden führte zu einer zunehmenden Konfrontation zwi-

259 Allerdings mit Auffälligkeiten im Vokabular (visio und cxcaecarc); zu deren Erklärung siehe E V A N S , Text 4 1 7 f.; ders., Jerome's translation; ders., To see and not perceive 150-152. 260 E V A N S , ebd. ι$2ΐ. 2Ó1 Hieronymus, in Es. III y (VL.AGLB 23, 3 2 2 - 3 2 7 , die zitierten Sätze ebd. 324). 262 E V A N S , To see and not perceive 1 5 9 f . Auch Johannes Chrysostomus, in Act. hom. 55,2 (PG 60, 382), bildet — pace E V A N S , ebd. — keine Ausnahme, weil seine Bemerkung, Jes. 6,9 f. bzw. Apg. 28,26f. sei zu „jenen Ungläubigen" gesprochen, sich nicht nur auf die „Ungläubigen" unter den Juden bezieht, sondern auf alle Juden als „Ungläubige".

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Einleitung

sehen Judentum und Christentum. Der vielleicht älteste Text, in dem neben weiteren Verstockungstexten (Dtn. 28,28; Jes. 29,9 f.) wohl auch Jes. 6,9 f. — vermittelt durch neutestamentliche Zitate (v.a. Mt. 1 3 , 1 2 ) — zu überaus scharfer antijüdischer Polemik herangezogen wurde, ist ein christlicher Passus in den Sibyllinischen Weissagungen, der — die Datierung ist außerordentlich schwierig — in das 2-/3. Jahrhundert gehören dürfte: „ U n d einem Trunkenen gleich kommt Israel nicht zur Besinnung, hört nicht die warnende Stimme, die Ohren durch Taubheit verschlossen; wenn aber einmal der Zorn des höchsten Gottes hereinbricht rasend auf die Hebräer und ihnen den Glauben hinwegnimmt, weil das Kind des himmlischen Herrn sie haben misshandelt, dann werden Backenstreiche und giftigen Speichel die Juden ruchlos entgegen ihm schleudern auf seine gedunsenen Lippen. Bittere Galle zur Speise und brennenden Essig zum Tranke flößen ihm ein die Unholde vom bösen Stachel getrieben, Herz und Gefühl verhärtet, von Wahne die Augen geblendet; gleich einem Maulwurfe blind, abscheulicher sind sie als Schlangen, scheußlich wie Natterngezücht: Tiefschlaf hält sie umfangen." 2 6 3 Wenn auch nicht immer so scharf und bösartig, war das doch der Tenor der christlichen Verwendungen dieser Jesajastelle: Jes. 6,9f., oft zitiert im R a h men der neutestamentlichen Interpretationen oder in Kombination mit ihnen, diente polemisch zur Erklärung des „Unglaubens" „der" Juden, der im Sinne der Septuagintaversion auf deren schuldhafte Verstocktheit zurückgeführt wurde. 264 N u r gelegentlich wurde diese dem Willen Gottes zuge-

263 Orac. Sibyll. I 360-371 (p. 40 G A U G E R ) im Kontext der christlichen Einfügung ebd. I 324-386 (p. 38-42); Ubersetzung: p. 41 G A U C E R . Z u r christlichen Herkunft dieser Einfügung und zu deren Datierung siehe ebd. 43 8 f. 264 Aus den Stellen bei E V A N S , T O see and not perceive 1 5 3 - 1 6 0 , seien beispielhaft genannt die Anspielungen bei Justin, dial. 12,2 (PTS 47, 89); 33,1 (47, 124); evtl. 69,4 (47, 190); ferner Tertullian, adv. Marc. III 6 , 5 - 7 (CChr.SL 1 , 514f.); V 1 1 , 9 (1, 697f.); Cyprian, test. I 3 (CSEL 3 / 1 , 41); syr. Didask. 26 ( T U 25/2, 1 3 1 ) mit Mt. I 3 , i 5 f . - vgl. ebd. 21 (25/2, 109), dort jedoch ohne Jes. 6,9f. - , aufgegriffen in const, apost. V 1 6 , 1 - 5 (SC 329, 262-264), w o wegen des Zitats von Jes. 53,1 weniger Apg. 28,26f. (so der Verweis von M E T Z C E R , S C 329, 265 app. test.) im Hintergrund steht, auch wenn diese Stelle inhaltlich hierher gehört, als vielmehr Joh. 1 2 , 3 8 - 4 0 (so E V A N S , ebd. 221 Anm. 51); Eusebius, in Is. 42 (GCS Eus. 9, 42); Johannes Chrysostomus, in Is. VI 5 f. (SC 304, 280-282); Ambrosius, fid. II 1 5 , 1 3 0 (CSEL 78, 102) nach Mt. 1 3 , 1 5 ; Hieronymus, in Es. III 9 (VL.AGLB 23, 327f.); III 1 0 (23, 329); in Hiez. III 12,1 f. (CChr.SL 75, 126f.); Theodoret von Cyrus, in Is. I 3 zu Jes. 6,9f. (SC 276, 268-270). - Möglicherweise (so E V A N S , ebd. 223 Anm. 73) stehen Jes. 6,9 f. und vergleichbare Verstockungstexte auch hinter einer Bemerkung

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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schrieben und als Teil ihrer Bestrafung angesehen, so in einer Passage bei Irenaus, der Jes. 6,9 f. im R a h m e n eines abgekürzten Zitats von Mt. 13,10—16 wiedergab — Irenaus zitierte frei Mt. 13,10—11.13—14a.I5a.i6 ~~ > doch abweichend von der Textgestalt im Matthäusevangelium, in dem wörtlich die Septuaginta zitiert ist, durch die Imperative der Verben in Jes. 6,10 und durch die Einführung von Jes. 6,9 mit finalem ut (wie in M k . 4 , 1 2 statt mit δτι wie in Mt. 1 3 , 1 3 ) die Logik der hebräischen Fassung präsentierte. 265 Auch bei solcher Verwendung des Verstockungsauftrags galt die Verstockung aber als verdiente Strafe, wurde also den Juden eine Schuld unterstellt, etwa von Tertullian: Dass die Juden in Jesus nicht den Messias (Christus) erkannten, „war die Schuld ihrer Sünden. Sie selbst lesen, wie geschrieben steht, zur Strafe seien sie der Weisheit, des Erkennens, des Dienstes der Augen und Ohren verlustig gegangen". 266

e) Prädestination und Freiheit: Das Verstockungsmotiv bei Augustinus und Origenes Ungleich elaborierter als diese Topoi waren Überlegungen zu Jes. 6,9 f., in denen die darin zum Ausdruck gebrachte Idee der Prädestination thematisiert wurde. Das tat insbesondere Augustinus im R a h m e n seiner Prädestinationslehre. Nach seinem soteriologischen Konzept - dessen Beurteilung hier nicht zur Debatte steht - bilden alle Menschen eine massa perditionís, einen „Klumpen des Verderbens", denn aufgrund der „in A d a m " von jedem einzelnen Menschen verantwortlich und schuldhaft begangenen „Ursünde" (peccatum originale) sei die ganze Menschheit dem Untergang verfallen. Gott habe indes einige Menschen dazu vorherbestimmt, aus dem „Klumpen des Verderbens" gerettet zu werden. 267 Augustinus redete also nicht von einer Vorherbestimmung zum Bösen — das Verderben ziehe der Mensch sich durch sein Versagen selber zu —, sondern nur von einer zum Guten. Im R a h m e n dieser Theorie deutete er Jes. 6,9 f. nicht so, dass die Juden dazu vorherbestimmt seien, Jesus zu verwerfen — das wisse Gott lediglich voraus,

im Koran, Sure 5,71: „ U n d sie (sc. die Juden) meinten, es käme keine Versuchung. Sie waren blind und taub. Hieraufwandte sich Gott ihnen gnädig zu. Dann wurden sie (wieder) blind und taub, und zwar viele von ihnen. U n d Gott sieht wohl, was sie tun"; Ubersetzung: A. TH. KHOURY, Der Koran, Gütersloh 2004, 198. 265 Irenäus, haer. IV 29,1 (FC 8/4, 232). Anders als BROX, F C 8/4, 233 Anni. 142, weisen ROUSSEAU U.A., S C 100, 265, zu R e c h t auf die hebräische Färbung dieses „Zitats" hin. 266 Tertullian, apol. 2 1 , 1 6 (CChr.SL 1 , 125); Übersetzung: p. 1 3 3 BECKER. 267 Erstmals äußerte sich Augustinus so in div. quaest. ad Simpl. I 2 , 1 6 (CChr.SL 44, 42) von 396/97.

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Einleitung

u n d die Propheten sagten es voraus —, sondern so, dass sie nicht dazu v o r herbestimmt seien, ihn anzunehmen; aus Texten wie Jes. 6,9 f. gehe hervor, dass die J u d e n nicht dazu bestimmt seien, die Wahrheit Jesu zu erfassen: „Die Vorherbestimmung der Heiligen ist dies und nichts anderes: das Vorherwissen nämlich u n d die Vorbereitung von Wohltaten Gottes, durch die diejenigen, die gerettet werden, mit absoluter Sicherheit gerettet werden. W o aber verbleiben die übrigen, w e n n nicht nach d e m gerechten Urteil Gottes im K l u m p e n des Verderbens?" Dies geschehe dann, „ w e n n sie nach einem höheren Urteil Gottes nicht durch gnadenhafte Vorherbestimmung aus d e m K l u m p e n des Verderbens herausgenommen w e r d e n " . „In eben diesem K l u m p e n des Verderbens verblieben auch die Juden, die nicht z u m Glauben an die so großen und herrlichen Machttaten vor ihren A u g e n zu gelangen vermochten"; als Ursache f ü r den „ U n g l a u b e n " der J u d e n zitierte Augustinus dazu Joh. 12,37—40.268 Gott mache blind und verstockt, indem er im Stich lasse u n d nicht helfe; dieses N i c h t - H e l f e n sei nicht willkürlich oder ungerecht, sondern gründe in der Gerechtigkeit Gottes, die — wie Augustinus mit d e m in diesem Z u s a m m e n h a n g v o n i h m ständig zitierten Ausruf des Paulus über die Unbegreifbarkeit der göttlichen Entscheidungen ( K ö m . 11,33) einschärfte — d e m Menschen verborgen bleibe, sein Helfen indes in seiner Barmherzigkeit. 2 6 9 O b w o h l Augustinus Jes. 6,9 f. dezidiert f ü r seine Prädestinationslehre auswertete, spielte das eigentliche theologische Problem dieser Verse bei i h m doch keine Rolle. D e n darin formulierten Gedanken einer von Gott ausgehenden Bestimmung des Menschen zum Verderben hat Augustinus in sein e m Konzept von Prädestination gerade vermieden, weil er nicht zur Vorstellung eines gerechten und guten Gottes passt. Immerhin scheint er die Problematik dieser Stelle u n d vergleichbarer Aussagen gesehen zu haben. Die Prophezeiungen des Unglaubens im Jesajabuch, die diesbezügliche Blindheit des Volkes Israel 0es. 1,3; 6,10; 29,10; 65,2), seien die gerechte Strafe f ü r geheime Sünden, die Gott freilich kenne. 2 7 0 In der Predigt über Joh. 12,37—43 s a h Augustinus die Ursache f ü r das U n v e r m ö g e n der J u d e n z u m Glauben paulinisch (vgl. R o m . 10,3) im Stolz auf die eigenen Leistungen, der ihnen als Schuld anzurechnen sei.271 In einer solchen Exegese steckt w o h l die Einsicht, dass in Jes. 6,9 f. von Sünde und Schuld explizit nichts steht, doch ist Augustinus gezwungen, eine Schuld der Menschen zu postulieren, u m das Handeln Gottes als gerechte Strafe und somit als rational nachvollziehbar darstellen zu k ö n n e n . 268 Don. persev. 35 (PL 45, 1014). Weiter unten an dieser Stelle zitierte er zudem Mt. 13,11. 269 In loh. ev. tract. 53,6 (CChr.SL 36, 454L) in einer Predigt über Joh. 1 2 , 3 7 - 4 3 (paraphrasiert bei KÜHSCHELM, VerStockung 179). 270 Faust. XIII 1 1 (CSEL 2 5 / 1 , 390f.). 271 In loh. ev. tract. 53,9 (CChr.SL 36, 456).

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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Wie Augustinus erörterte Origenes Jes. 6,9 f. unter anderem im Blick auf das Problem göttlicher Prädestination. Bei ihm stand die Diskussion allerdings im Kontext der Frage nach der Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen. 272 Im großen Kapitel über die Willensfreiheit in seiner systematischen Grundlagenschrift Περί άρχων, das in der Philokalie auf Griechisch überliefert ist,273 diskutierte Origenes Bibelstellen, die, speziell von Gnostikern, gegen die Willensfreiheit angeführt wurden. Neben der Verstockung des Pharao (Ex. 4,21 etc.) und Stellen wie Ez. 1 1 , 1 9 f. und R o m . 9,16; 9,18—21; Phil. 2 , 1 3 , die auch in Augustins Gnadenlehre eine zentrale Rolle spielten, kam er auf Jes. 6,9 f. zu sprechen, und zwar in der Verwendung dieser Stelle in M k . 4 , 1 1 f. (par. Mt. 1 3 , 1 3 - 1 5 ; Lk. 8,10). 274 Wie nahezu alle altkirchlichen Theologen las Origenes die Jesajastelle also durch die Brille ihrer Interpretation in den synoptischen Evangelien und in der Textfassung der Septuaginta, in der sie hinsichtlich ihrer internen Logik den anderen Verstockungstexten des Alten Testaments entspricht, weshalb Origenes sie in eine R e i h e mit diesen stellen konnte. Gleichwohl hat er — wenn ich recht sehe, als einziger Kirchenvater — die spezielle Schwierigkeit der Aussage in Jes. 6,9 f. erkannt und über die Stelle daher eigens nachgedacht. Origenes zitierte Jes. 6,9 f. an der hier zur Debatte stehenden Stelle nach der Version dieser Verse im Markusevangeliuni, in der durch die finale K o n struktion mit Hilfe der Konjunktionen ίνα und μήττοτε die Sinnspitze des hebräischen Textes zum Ausdruck kommt: Sinn und Z w e c k des Redens

272 Das ist auch der Aufhänger für ein schwieriges Fragment zu Joh. i2,39f.: Origenes, in loh. frg. 92 (GCS Orig. 4, 554-556): Subjekt der Verstockungsaussage in Joh. 12,40 sei „der Böse" (ò πονηρός), also der „Teufel", Subjekt der Aussage über Heilung und Bekehrung (die Origenes als vom verneinten Finalsatz abhängig auffasste; siehe auch unten S. 68 Anni. 276) müsse jedoch ein anderer sein, nämlich Jesus, wie aus den weiteren Bemerkungen hervorgeht. Manche Exegeten der Alten Kirche haben die Schwierigkeit einer Verstockung durch Gott an dieser Stelle ebenfalls damit beseitigt, dass sie im „Teufel" das Subjekt der Verstockungsaussagen sahen: Apolinaris von Laodicea, in loh. frg. 87 ( T U 89, 35); Cyrill von Alexandria, in loh. VII-VIII frg. zu Joh. 12,40 (PG 74, 96f.); Ammonius von Alexandria, in loh. frg. 429. 432 ( T U 89, 304). Augustinus, in loh. ev. tract. 53,5 (CChr.SL 36, 454), hat diese Auffassung verworfen, weil damit der Mensch seiner Verantwortung enthoben werde (siehe die Paraphrasen dieser Texte bei K Ü H S C H I . I . M , Verstockung 1 7 8 - 1 8 0 ) . Auch einige moderne Exegeten machen den „Teufel" zum ersten Subjekt in Joh. 12,40 (Hinweise bei KÜHSCHH.M, ebd. i88f.), allerdings von der falschen Vorraussetzung aus, dass die Aussage über Heilung (mit Subjektwechsel) nicht mehr vom verneinten Finalsatz abhänge, sondern einen positiven Neueinsatz markiere (siehe dazu oben S. 55 Anni. 234). 273 Philoc. 21 (p. 1 5 2 - 1 7 7 ROBINSON). 274 Origenes, princ. III 1,7 (GCS Orig. 5, 204-206). Die Paraphrase dieses Kapitels bei C A I . O N N I ; , Le libre arbitre 250—257, bleibt ganz oberflächlich.

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Einleitung

J e s u in Gleichnissen sei es, Einsicht, Verständnis, B e k e h r u n g u n d V e r g e b u n g zu v e r h i n d e r n . 2 7 5 G e g e n m ö g l i c h e E i n w ä n d e g e g e n die W i l l e n s f r e i h e i t , die sich daraus g e w i n n e n ließen, „ g ä b e e s " , m e i n t e O r í g e n e s , „ e i n e ü b e r z e u g e n d e V e r t e i d i g u n g , w e n n nicht dabeistünde: ,damit sie sich nicht b e k e h r e n u n d i h n e n v e r g e b e n w e r d e ' , n ä m l i c h die, dass der E r l ö s e r nicht w o l l t e , dass die, die nicht v o l l k o m m e n sein w ü r d e n , die t i e f e r e n G e h e i m n i s s e v e r s t ü n den, u n d dass er deshalb in Gleichnissen zu i h n e n sprach". 2 7 6 O b w o h l O r í genes hier J e s . 6,9 f. in der neutestamentlichen Interpretation des M a r k u s e v a n g e l i u m s a u f g r i f f , hat er w a h r g e n o m m e n , dass das H a u p t p r o b l e m dieser alttestamentlichen Aussage ihr Schlusskolon ist: die explizite V e r h i n d e r u n g v o n B e k e h r u n g u n d V e r g e b u n g . O h n e diese Z u s p i t z u n g w ü r d e

Orígenes

den neutestamentlichen T e x t relativ e i n f a c h mit H i l f e einer Gleichnistheorie erklären, die sich v o n der Parabeltheorie des M a r k u s e v a n g e l i u n i s i n s o f e r n unterscheidet, als sie mit der U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n e i n f a c h e n u n d v o l l k o m m e n e n C h r i s t e n operiert: D i e „ t i e f e r e n G e h e i m n i s s e " seien n u r v o l l k o m m e n e n C h r i s t e n zugänglich; Gleichnisse seien „ V e r h ü l l u n g " dieser G e heimnisse f ü r e i n f a c h e C h r i s t e n , bis diese ihrerseits v o l l k o m m e n e C h r i s t e n w ü r d e n . S o hat O r í g e n e s , die in der G r u n d l a g e n s c h r i f t reflektierte Z u s p i t z u n g i g n o r i e r e n d , in der sechsten u n d n e u n t e n J e s a j a h o m i l i e J e s . 6,9 f. v o n M k . 4 , 1 1 f. u n d M t . 1 3 , 1 3 — 1 5 her erläutert u n d dabei b e t o n t , dass z u m rechten Verständnis ein Verstehen „ i n geistiger W e i s e " (iuxta notionem b z w . iuxta

intellectum)

e r f o r d e r l i c h sei; w e r n u r „ m i t d e m k ö r p e r l i c h e n

Sinn"

(iuxta corpus) w a h r n e h m e , sehe z w a r ein G e s c h e h e n v o r seinen A u g e n , v e r stehe aber dessen B e d e u t u n g nicht. 2 7 7 M i t dieser e p i s t e m o l o g i s c h e n D y n a m i k lässt sich die A n k ü n d i g u n g v o n Verstocktheit i m R a h m e n einer p ä d agogisch-didaktischen

G l e i c h n i s t h e o r i e verständlich m a c h e n . D u r c h

den

Ausschluss v o n B e k e h r u n g u n d V e r g e b u n g w i r d den Gleichnissen allerdings die propädeutische F u n k t i o n g e n o m m e n , die sie i m soteriologischen D e n k e n des O r í g e n e s haben; dadurch „ist die V e r t e i d i g u n g s c h w i e r i g e r " . 2 7 8

275 Ebd. 1 , 1 6 (5, 223). 276 Ebd. (5, 224); Ubersetzung nach p. 521 GÖRGEMANNS/KARPP. Im griechischen Text ist gegen die Edition von Koetschau (übernommen von Görgemanns/Karpp) in der Junktur aus Mk. 4,12: μήττοτε ετπστρέψωσι και άφεθη αύτοΐζ vor και kein Komma zu setzen, weil και hier nicht einen eigenständigen Satz einleitet, der dann positiven Sinn hätte, sondern weiter von μήττοτε abhängig ist (siehe auch oben S. 52 Anni. 225, S. 57 Anni. 242 und S. 59 Anni. 247). Für die deutsche Ubersetzung gilt das analog, in der die Wiedergabe von μήττοτε mit „damit nicht" die Logik prägnanter zum Ausdruck bringt als ein schwächeres „auf dass nicht". 277 In Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 271-274); 9 (8, 288f.). Siehe dazu unten S. 262 Anni. 1 1 4 , ferner S. 219 Anm. 45 zu ebd. 3,1 (8, 253). 278 Princ. III 1 , 1 6 (GCS Orig. 5, 224). Diese spezifische Zuspitzung des Problems kommt in den Ausführungen von MONACI CASTAGNO, L'interpretazione 86-91. 9 9 - 1 0 1 , nicht in den Blick.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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A u f der Suche nach einer Erklärung hierfür kritisierte Origenes zunächst die markionitische bzw. gnostische Argumentation, gemäß der an einer Stelle wie Jes. 6,9 f. „die Grausamkeit des Weltschöpfers sichtbar wird, sein Wille zur R a c h e und zur Vergeltung gegen die Schlechten, oder wie auch immer sie diese Eigenschaft nennen mögen". 2 7 9 Dass es Theologen gab, die Jes. 6,9 f. in diesem Sinne lasen, ist durch die Interpretation des Verstockungsauftrags in gnostischen Texten belegbar. In den koptischen Codices aus Nag Hammadi in Ägypten findet sich zweimal eine Wiedergabe von Jes. 6,10, im „Zeugnis der Wahrheit" und im „Apokryphon des Johannes". Beide Male wird der Vers als ein Text herangezogen, der das bösartige Wesen des alttestamentlichen Gottes zeigen soll, besonders im „Zeugnis der Wahrheit": „Was ist dieser (also) für ein Gott? ... U n d er sprach: Ich will ihre Herzen verhärten und ihren Verstand erblinden lassen, damit sie nicht verstehen noch begreifen, was gesagt wird. Aber (eben) das ist es, was er denen gesagt hat, die an ihn glauben [und] ihn verehren!" 280 Der Text soll die gnostische Kritik am Gott Israels als „missgünstigem N e i der" demonstrieren. 281 Setzt diese Interpretation ein Bewusstsein für die theologische Anstößigkeit des Textes voraus? Immerhin gibt die Formulierung die Logik der hebräischen Fassung wieder, und so könnte es sein, dass die anonymen Gnostiker, auf die diese beiden Traktate zurückgehen, einen Blick für die Problematik der Aussage in Jes. 6,9 f. hatten. Origenes lehnte eine solche Exegese allerdings ab, weil sie auf eine Abwertung des Alten Testaments zielte; es gebe nämlich auch im Neuen Testament vergleichbare Stellen - konkret die, an denen Jes. 6,9 f. aufgegriffen werde - , so dass exegetisch Altes und Neues Testament gleich zu behandeln seien. 282 Der eigene Erklärungsversuch des Origenes bewegt sich, kaum überraschend, in den Bahnen der in der Rezeptionsgeschichte von Jes. 6,9 f. üblichen Deutemuster. Origenes interpretierte den Text dahingehend, dass das darin zum Ausdruck kommende, auf den ersten Blick unverständliche Handeln Gottes letztlich doch auf Heil, nicht auf Unheil ziele, sowie dahingehend, dass dieses besondere Vorgehen Gottes Strafe für frühere Sünden sei. Wie Augustinus sprach Origenes von einem „ N i c h t - H e l f e n " Gottes, allerdings nicht im Sinne eines endgültigen „Nicht-Erlösens", sondern im Sinne eines pädagogischen bzw. therapeutischen Aufschiebens der Hilfe, weil eine rasche Hilfe die beabsichtigte Heilung aufgrund der bleibenden

Ebd.; Übersetzung: p. 5 2 1 G Ö R C E M A N N S / K A R P P . 280 N H C IX,3 test. ver. p. 48 (GCS N.F. 12, 707 in der Übersetzung von P I . I S C H ) , ohne Verweis auf Jes. 6,10. Vgl. N H C ΙΙ,ι (bzw. N H C IV,1; Kurzfassung: N H C ΙΙΙ,ι bzw. B G 2) apocr. loh. p. 22 (GCS N.F. 8, 136). Siehe dazu E V A N S , T O see and not perceive 160 f. 281 N H C IX,3 test. ver. p. 47 (GCS N.F. 12, 707). 282 Origenes, princ. III 1 , 1 6 (GCS Orig. 5, 224F.). 279

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Einleitung

Uneinsichtigkeit der Geheilten gerade nicht herbeiführen würde. Ausgehend von den theologischen Axiomen der Güte und Gerechtigkeit Gottes hatte Orígenes schon die Verstockung des Pharao dadurch erläutert, dass Gott damit nicht die Absicht gehabt habe zu verstocken, sondern eine gute Absicht verfolgt habe; 283 näherhin erklärte er die biblische R e d e von VerStockung am Beispiel des Pharao als abgekürzten Sprachgebrauch so, dass dieses Handeln Gottes eine schon vorhandene Verstocktheit zum Vorschein bringe. 284 Im Rekurs darauf erklärte er Jes. 6,9f. bzw. M k . 4 , 1 1 f.: „Wir sagten schon, als wir über den Pharao nachdachten, dass zuweilen eine allzu rasche Therapie nicht zum Besten der Behandelten ist, falls diese aus eigener Verantwortung in Schwierigkeiten geraten sind und dann ganz leicht von diesen Schwierigkeiten befreit würden; denn sie würden das Übel als ein leicht heilbares für gering achten, sich ein weiteres Mal nicht davor in Acht nehmen hineinzugeraten und erneut in dasselbe Übel verfallen. Gott, der Ewige, der das Verborgene kennt, der ,alles weiß, bevor es geschieht' (Dan. 13,42), verschiebt deshalb in seiner Güte bei solchen Menschen die raschere Hilfe für sie; man könnte sagen: Sein Helfen besteht im Nicht-Helfen, weil eben dies ihnen zuträglich ist." 283 Obwohl Orígenes das theologische Grundproblem der spezifischen Denkfigur des Verstockungsauftrags an J e saja gesehen hat, ordnete er mit dieser Überlegung den Text entgegen seinem Wortlaut doch in die gängige biblische Dialektik von Unheil und Heil ein. Beim Nachdenken darüber, weshalb manchen Menschen durch ein vorübergehendes Nicht-Helfen auf lange Sicht besser geholfen werde als durch ein allzu rasches Helfen, verfiel Orígenes sodann auf das zweite Erklärungsmuster für dieses Handeln Gottes: „Vielleicht ist es auch so: Sie büßten Strafen für frühere Sünden ab, die sie gegen die Tugend begangen hatten, indem sie sich von dieser entfernten, und hatten noch nicht die Zeit erfüllt, die dafür angemessen war, dass sie nach einer Zeit des Verlassenseins von der göttlichen Obsorge, in der sie sich immer mehr mit dem selbst gesäten Übel erfüllten, endlich zu einer beständigeren R e u e berufen wurden, ohne G e fahr zu laufen, bald wieder zurückzufallen in das, worin sie vorher schon verfallen waren: in Frevel gegen die Würde des Guten und in die Hingabe an das Schlechte." 286 In den folgenden Gedankengängen zur Erläuterung

283 E b d . 1 , 9 . 1 0 (5, 208. 209f.). 284 E b d . 1 , 8 - 1 4 (5. 2 0 6 - 2 2 1 ) . BOYD, Pharaoh's h a r d e n e d heart 4 3 6 - 4 3 9 , zeigte a n h a n d v o n w e i t e r e n w i c h t i g e n Stellen, etwa e i n e m F r a g m e n t der E x o d u s k o n i m e n t i e r u n g in Philoc. 27,1 f. (p. 242—245 ROBINSON), dass Orígenes die biblischen Texte zu diesem T h e m a (auch die paulinischen Aussagen in R o m . 9 - 1 1 ) mit den M a ß s t ä b e n hellenistischer Rationalität gelesen u n d gedeutet hat. 285 Princ. III 1 , 1 7 ( G C S O r i g . 5, 225f.); U b e r s e t z u n g nach p. 5 2 3 - 5 2 5 GÖUGI;MANNS/KAEPP. 286 E b d . (5, 226f.); Ü b e r s e t z u n g : ebd. p. 5 2 5 - 5 2 7 .

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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von R o m . 9,18—21 erklärte Origenes diesbezügliche Unterschiede zwischen den Menschen aus „älteren Ursachen" bzw. „aus Gründen, die vor diesem Leben liegen", 287 also mit Hilfe der von ihm angenommenen Präexistenz der Seelen. 288 Wie Augustinus suchte Origenes nach einer Schuld auf Seiten des Menschen, um das in Jes. 6,9 f. dargestellte Handeln Gottes rational nachvollziehbar zu machen. A n den Erörterungen des Origenes wie des Augustinus über die Vorstellung einer Verstockung des Menschen durch Gott im Zusammenhang mit den komplementären Fragen nach Willensfreiheit und Prädestination zeigt sich, von beiden weder gewollt noch überhaupt bedacht, die Unannehmbarkeit der Aussage in Jes. 6,9 f. Gerade wenn ein Ausleger das theologische Kernproblem des Verstockungsauftrags an Jesaja, die Idee einer Prädestination zum Unheil, erkennt, zwingt ihn die Irrationalität dieser speziellen Denkfigur zu einer v o m Text nicht mehr gedeckten Rationalisierungsstrategie. Bedenkt man die Entstehungsgeschichte dieses Passus als ganzen (Jes. 6,9—13), hat der Exeget - von der systematischen Konsistenz seines jeweiligen hermeneutischen und theologischen Konzepts einmal abgesehen — für dieses Verfahren den Bibeltext auf seiner Seite, denn dessen (End-) Gestalt beruht ihrerseits bereits auf derartigen Eingriffen und Ergänzungen (s.o.). Im Kontext der altkirchlichen Verwendung von Jes. 6,9 f. zeichnen sich diese Überlegungen des Origenes dadurch aus, dass sie nicht prinzipiell und schon gar nicht grob polemisch - das ist Origenes nie — antijüdisch konnotiert sind. In der sechsten Jesajahomilie übt er an nur einer Stelle pauschal, aber verhalten Kritik an „den" Juden: „Alle Juden, die damals ihn, den Erlöser, hörten, hörten schwer; deshalb kamen sie nicht zum Glauben." 289 Deutlich stärker antijüdisch äußerte er sich in der siebten Homilie zum (angeblichen) „Ubergang" des Heils von den Juden zu den Christen: „Glücklich war j a einst das Volk der Juden, doch verlor es sein Glück und wurde seines Ranges enthoben, weil es den, der gesandt wurde und Zeugnis ablegte vom Vater, und zwar nicht nur durch das Gesetz und die Propheten, sondern auch durch Zeichen und Wunder, auf hinterhältige Weise umgebracht hat. Das Glück ist also auf uns, die Jünger Jesu Christi, übergegangen, und unser Glaube an ihn ist ganz unerschütterlich, unser Leben so, wie er es

287 Ebd. 1 , 2 1 f. (5, 238f.) bzw. 1,23 (5, 241); Übersetzung: ebd. p. 555. 288 Vgl. dazu mit ähnlichen Überlegungen ebd. II 9,7 (5, 170f.). Zur Orientierung über dieses Thema bei Origenes siehe G. SI-AMI;NI GASI'ARUO, Art. Preesistenza, in: MONACI CASTAGNO, D i z i o n a r i o 3 5 9 - 3 6 3 ; L . PERRONE, A r t . L i b e r o arbitrio, in: ebd.

237—243, bes. 238f.; in dem kurzen Durchgang durch princ. III 1, ebd. 241 f., findet 1 , 1 6 f. mit den hier in Frage stehenden Bibelstellen keine Beachtung. Vgl. auch BOYD, Pharaoh's hardened heart 440; MONACI CASTAGNO, L'interpretazione 92-95. 289 In Is. hom. 6,6 (GCS Orig. 8, 277).

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Einleitung

uns gelehrt hat." 29 " Gelegentlich rekurrierte auch Orígenes in diesem konventionellen Sinn auf Jes. 6,9 f. Im indirekten Disput mit Juden — nämlich mit dem literarisch stilisierten Juden, den Kelsos in seiner antichristlichen Schrift gegen die Christen auftreten lässt291 — galt ihm der Text als prophetische Vorhersage bzw. als Schriftbeweis für den „Unglauben" „der" Juden. 2 9 2 Ebenfalls im Sinne der frühchristlichen antijüdischen Polemik nutzte Orígenes Jes. 6,9f. zur Erklärung von Jer. 1 5 , 1 3 : „ U n d deine Schätze werde ich zur Plünderung preisgeben, als Entgelt für alle deine Sünden"; mit dem K o m m e n Christi habe sich die Ankündigung im Buch Jesaja erfüllt. 293 Auch in der sechsten Jesajahomilie bezog er die Ankündigung von Jes. 6,9 f. auf die Ankunft Christi. 294 Wo Orígenes eingehender über die Bedeutung von Jes. 6,9 f. nachdachte, kam diese antijüdische Front zwar vor, stand aber nicht im Vordergrund. Gerade in der sechsten Jesajahomilie dominiert ein anderer Aspekt. „Verstockung" bzw. „Verstocktheit" wird darin nicht einfach polemisch „ d e n " Juden zugeschrieben, sondern als generelles Problem des Verstehens des Evangeliums, gerade auch unter Christen, reflektiert. Diesen Wechsel der Blickrichtung hat Orígenes seinen Zuhörern nachdrücklich eingeschärft: Was in Jes. 6,9 f. steht, werde nicht nur „über das Volk der Juden prophezeit", sondern „über uns alle, wenn wir sündigen". 295 Was Orígenes an diesem Jesajatext eigentlich interessierte, war die ethische Voraussetzung für Erkenntnis. 296 Diese Frage behandelte er als allgemeines Problem für prinzipiell jeden Menschen, unabhängig von seiner Gruppenzugehörigkeit: „Bis heute", sagte er im Anschluss an die oben zitierte kleine Polemik gegen den Unglauben „der" Juden, „hören all diejenigen schwer, die beim Hören der Schriften nicht das geistige Wort vernommen haben, das leicht ist, sondern den Buchstaben, der schwer ist und tötet (2 Kor. 3,6). U n d so wird die Schrift auf zweifache Weise vernommen: von dem, der das, was sie sagt, nicht geistig versteht, mit der Schwere des Hörens, von dem hingegen, der sie geistig versteht, nicht nur ohne Schwere des Hörens, sondern vielmehr mit feinem Gehör, was ihm, dem Hörer, Einsicht verschafft." 2 9 7 Orígenes hat Jes. 6,9 f. vor allem ethisch-erkenntnistheoretisch interpretiert und in der

290 291 292 293

294 295 296 297

Ebd. 7,2 (8, 282). Z u diesem: LONA, Die ,wahre Lehre' des Kelsos 1 7 2 - 1 7 7 . Cels. II 8 (GCS Ong. 1, 134). In Hier. hom. 1 4 , 1 2 (GCS Orig. 3 2 , i i 6 f . ) . Die Zitierung von Jes. 6,9f. in ebd. 20,2 (33. 179) steht im Zusammenhang mit der von Orígenes, in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 288), erörterten Auslegung von Jes. 6,8; siehe dazu oben S. 23—27 im Rahmen der Diskussion über die Echtheit der neunten Jesajahomilie. In Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 271). Ebd. 6,7 (8, 278). Für diesen Zusammenhang siehe unten S. 1 1 3 - 1 2 3 . In Is. hom. 6,6 (GCS Orig. 8, ιηηί.).

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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sechsten Jesajahomilie f ü r eine entsprechende moralische Paränese ausgewertet: Das „verfettete H e r z " als Sorge u m weltliche und körperliche B e lange, „Schwerhörigkeit" und „geschlossene A u g e n " als bildliche Ausdrücke f ü r moralisches Versagen — all das verhindere rechtes Verstehen, und all das war f ü r Origenes weniger ein Problem der J u d e n zur Zeit Jesu als vielmehr ein drängendes Problem in der Gegenwart seiner christlichen Gemeinde. 2 9 8 Origenes las Jes. 6,9 f. im Lichte der Verwendung dieser Verse im N e u e n Testament. Schon im Jesajatext und mehr noch in den Evangelien im K o n text der Gleichnisreden Jesu geht es um Bedingungen und Ursachen f ü r Verstehen und Nicht-Verstehen. E i n solcher Text musste den christlichen Gnostiker Origenes stark interessieren. Indem er ihn im großen R a h m e n v o n Erkenntnistheorie und Ethik, zwei im D e n k e n seiner Zeit eng verzahnter Bereiche, analysierte, rückte er seine antijüdische Verwendung an den R a n d und erfasste den sachlichen Kern dieser Tradition im Kontext innerchristlicher Problemlagen. Origenes war im antiken Christentum nicht der einzige, der Jes. 6,9 f. in diesem Sinn verwendete. N e b e n der Hauptfunktion dieser Verse als biblischer Basis f ü r christliche Polemik gegen jüdischen „ U n g l a u b e n " wurden sie im binnenchristlichen Kontext zuweilen in der moralischen Paränese eingesetzt. 299 Z w e i Beispiele aus der Zeit des Origenes mögen das illustrieren. 3011 W i e Origenes warnte Tertullian davor, dass Essen, Trinken und Luxus das „ H e r z verfetten", d.h. das geistige Leben ruinieren. 301 Insofern Tertullian dies freilich als Montanist polemisch gegen die katholischen Christen in Karthago sagte, die er „Psychiker", dem irdischen Leben Verfallene, nannte, verwendete er Jes. 6,9 f. zwar innerchristlich, darin aber verteilt auf sich befehdende Gruppen. N a c h demselben Muster hat später Ambrosius Jes. 6,9 f. auf die Arianer angewendet und diese dabei ausdrücklich mit „ d e n " J u d e n parallelisiert. 3 " 2 A u f rein innergemeindliche Probleme indes ist dieser Jesajatext in einem Zusammenhang, der stark an entsprechende Äußerungen des Origenes erinnert, 3 " 3 in der Syrischen Didaskalie bezogen. Deren Verfasser kritisiert Christen, „Frauen und M ä n n e r " , die während des Gottesdienstes schlafen, tuscheln oder sonstwie unaufmerksam sind und stören:

298 Ebd. 6,5-7 (8, 275-279). Ein weiterer Gedankengang dazu bricht, kaum begonnen, mit dem Ende der fragmentarischen neunten Homilie ab (GCS Orig. 8, 289). 299 Belege sind notiert bei Evans, To see and not perceive 223 Anni. 73, dem die Jesajahomilie des Origenes allerdings ebenso entgangen ist wie die besondere Profilierung der origeneischen Exegese von Jes. 6,9 f. 300 Aus späterer Zeit vgl. etwa Cyrill von Jerusalem, cat. 4,19 (I p. 110 R],ischi,/Rui>i>) mit M t . 1 3 , 1 5 .

301 Tertullian, ieiun. 6,4 (CChr.SL 2, 1262). 302 Ambrosius, fid. II 15,130 (CSEL 78, 102). 303 Origenes, in Ex. hom. 12,2 (GCS Orig. 6, 264); in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 265): siehe oben S. 33 und unten S. 246 Anm. 89 und S. 248 Anni. 92.

Einleitung

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„Dergleichen Leute betreten leer die Kirche, besonders aber gehen sie leer wieder hinaus, weil sie nicht hören, was gesagt oder vorgelesen wird, u m es aufzunehmen mit den Ohren ihrer Herzen. Es gleichen somit derartige Leute denen, über die Jesaja den Ausspruch getan hat: ,Ihr werdet w o h l hören, aber nicht verstehen; ihr werdet w o h l sehen, aber nicht erblicken. D e n n das Herz dieses Volkes ist verstockt, und sie hören schwer mit ihren Ohren und ihre A u g e n haben sie geschlossen, sodass sie niemals mit ihren A u g e n sehen und mit ihren Ohren hören.'" 3 1 1 4 Eine solche Applizierung der Verstocktheit „dieses Volkes" auf die christliche Gemeinde entspricht wie die Interpretation v o n Jes. 6,9 f. durch Orígenes der anfänglichen urchristlichen Konstellation, als es — w i e im M a r kusevangelium deutlich wird — u m das Verstehen oder Nicht-Verstehen Jesu unter seinen ersten Anhängern und unter seinen jüdischen Z e i t - und Glaubensgenossen ging. N e b e n der dominierenden antijüdischen Verwendung v o n Jes. 6,9 f. wurde der Text im antiken Christentum also zuweilen auch f ü r die innerchristliche Katechese genutzt. Vor allem v o n Orígenes wurde dabei sein sachlicher Gehalt, das Problem v o n Verstehen und N i c h t - V e r stehen innerhalb ein und derselben Gruppe, sei es im innerjüdischen, sei es im innerchristlichen Diskurs, bewahrt.

3. Die Vision Jesajas in Jes. 6 , 1 - 7 Es war ein bestimmtes Detail in der Jesajaexegese des Orígenes, das in der späteren Theologie der Alten Kirche, besonders in der Trinitätstheologie, f ü r zum Teil heftige A u f r e g u n g gesorgt hat: Orígenes interpretierte die S e raphim in der Vision Jesaj as (Jes. 6,1—7) a ls Sohn Gottes und Heiligen Geist. In den Jesaj ahomilien präsentierte er diese Auffassung in der ersten und vierten Predigt der lateinischen Auswahlübersetzung. 3 " 5 A u c h im Jesajakommentar dürfte er sie vorgeführt haben, doch gibt es dafür keine direkten Zeugnisse. O b Hieronymus sich bei seiner Kritik daran 306 auf die Homilien oder den K o m m e n t a r bezog, ist nicht erkennbar; allenfalls seiner Epistula 1 8 B ist, falls dieser „ B r i e f ein Testimonium f ü r den K o m m e n t a r ist, ein indirekter Hinweis darauf zu entnehmen, dass Orígenes diese Auslegung in ihm geboten hat. 3117

304 Syr. Didask. 15 (TU 25/2, 78 in der Übersetzung von Achelis/Flemminc), aufgegriffen und fortgeschrieben in const, apost. III 6,5 (SC 329, 134). 305 Orígenes, in Is. hom. 1,2-4 (GCS Orig. 8, 244-246); 4,1.4 (8, 258. 261 f.). Siehe dazu Fürst, Hieronymus gegen Orígenes 200—202. 306 Hieronymus, epist. i8A,4 (CSEL 54, 78f.); 61,2 (54, 577); 84,3 (55, 123f.); in Es. III 4 ( V L . A G L B 23, 314).

307 Epist. 18B,1 (CSEL 54, 97f.). Siehe dazu oben S. 18-20.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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a) Die Vision Jesajas als Symbol für die Trinität Origenes hat diese Deutung nicht erst in den in Caesarea entstandenen Arbeiten zum Buch Jesaja vertreten, sondern auch schon davor in seiner alexandrinischen Zeit. Bereits in seiner Frühschrift Περι άρχων kam er zweimal darauf zu sprechen, einmal in einem Stück im ersten Buch, das griechisch überliefert ist, weil Kaiser Justinian es im Jahre 543 in einem Brief an Menas, den Patriarchen von Konstantinopel, in dem er eine R e i h e von Ansichten des Origenes als häretisch kritisierte, zitierte, und einmal in einem in der lateinischen Ubersetzung des R u f m u s erhaltenen Passus gegen Schluss des vierten Buches. A n beiden Stellen nannte er einen „Hebräer" bzw. „hebräischen Lehrer" als Quelle für diese Deutung der Seraphim in Jes. 6,2f., die er seinerseits damit stützte, dass auch in der Septuagintafassung von Hab. 3,2 von Christus und dem Heiligen Geist die R e d e sei. Der griechische Text in Justinians Brief lautet: „ D e r Hebräer sagte, die zwei sechsflügeligen Seraphim bei Jesaja, die einander zurufen und sagen: ,Heilig, heilig, heilig, Herr Sabaoth' (Jes. 6,3), seien der einzige Sohn Gottes und der Heilige Geist. W i r aber meinen, dass auch im Lied des Habakuk der Satz: ,Inmitten zweier lebender Wesen wirst du erkannt werden' (Hab. 3,2 L X X ) von Christus und dem Heiligen Geist gesagt ist." 3118 U n d im vierten Buch sagte er anlässlich von grundsätzlichen Erwägungen über die Begrenztheit menschlicher Gotteserkenntnis: „Dazu teilte mein hebräischer Lehrer Folgendes mit: Weil einzig und allein der Herr Jesus Christus und der Heilige Geist Anfang und Ende aller Dinge begreifen könnten, habe Jesaja, sagte er, unter dem Bilde einer Vision gesagt, es seien bloß zwei Seraphim, die ,mit zwei Flügeln das Antlitz' Gottes ,bedecken, mit zweien seine Füße und mit zweien fliegen, wobei sie einander zurufen und sagen: Heilig, heilig, heilig, Herr Sabaoth! Die ganze Erde ist erfüllt von deiner Herrlichkeit' (Jes. 6,2f.)." 3 " 9 Die Beziehung der Seraphim in der Vision Jesajas auf den Sohn Gottes und den Heiligen Geist findet sich damit nicht nur gelegentlich und nicht nur an einer Stelle in den Schriften des Origenes, sondern mehrmals und erscheint damit auffällig betont. Die erste Frage, die an diese Ansicht zu stellen ist, betrifft ihren Sinn. Nach wie vor überzeugend ist die Antwort, die schon Huet gegeben hat: Diese Beziehung ist symbolisch zu verstehen. 3111 Das heißt: Origenes iden-

308 Justinian, epist. Men. ( A C O III 210) = Origenes, princ. I 3,4 (GCS Orig. 5, 52f.); Ubersetzung nach p. 165—167 GÖRGI:MANNS/KARI>I>. Antipater von Bostra bekämpfte im 5. Jahrhundert diese Ansicht in einer nur fragmentarisch erhaltenen polemischen Schrift gegen Origenes; vgl. das Fragment bei Johannes von Damaskus, par. R u p . 75 (PG 96, 505). 309 Origenes, princ. IV 3,14 ( G C S Orig. 346); Ubersetzung nach p. 7 7 7 - 7 7 9 GÖRG];MANNS/KARI>I>. Siehe dazu FÜRST, Hieronymus gegen Origenes 202—204.

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tifìzierte n i c h t d e n S o h n G o t t e s u n d d e n H e i l i g e n Geist m i t d e n S e r a p h i m , s o n d e r n las die Vision Jesajas als Bild f ü r die Trinität. 3 ' 1 Diese A u f f a s s u n g ist einerseits h e r m e n e u t i s c h plausibel: Jes. 6 b e r i c h t e t v o n einer T h e o p h a n i e , einer E r s c h e i n u n g b z w . Vision Gottes; f ü r O r í g e n e s k o n n t e das n u r der trinitarische G o t t sein. In e i n e r solchen H i n s i c h t gelesen, liefert der T e x t m i t der Konstellation seiner F i g u r e n A n h a l t s p u n k t e , i h n so zu v e r s t e h e n . A u s einer A n d e u t u n g in der A p o l o g i e g e g e n Kelsos, die er n i c h t w e i t e r a u s f ü h r te, geht h e r v o r , dass er n e b e n der Vision Jesajas a u c h die G o t t e s t h r o n - V i s i o n Ezechiels trinitarisch auffasste: „ I c h k ö n n t e a n f ü h r e n , w i e die v o n d e n H e b r ä e r n s o g e n a n n t e n S e r a p h i m i m B u c h Jesaja geschildert sind, die das A n gesicht u n d die F ü ß e G o t t e s v e r h ü l l e n 0es. 6,2), u n d was v o n d e n s o g e n a n n t e n C h e r u b i m , die E z e c h i e l b e s c h r i e b e n hat, u n d v o n i h r e n Gestalten zu sagen ist, u n d in w e l c h e r Weise G o t t d o r t v o n d e n C h e r u b i m getragen w i r d (Ez. 1,5—27; 10,1—21)." 3 1 2 Andererseits gibt es in d e n W e r k e n des O r í g e n e s eine A n z a h l ähnlicher P e r s o n i f i k a t i o n e n , in d e n e n r e c h t unterschiedliche A u s d r ü c k e auf d e n S o h n G o t t e s u n d d e n H e i l i g e n Geist b e z o g e n w e r d e n , so die z w e i l e b e n d e n W e s e n , v o n d e n e n in der Septuagintaversion des Liedes H a b a k u k s die R e d e ist ( H a b . 3,2) u n d auf die O r í g e n e s f ü r seine A u f f a s s u n g der S e r a p h i m b e i Jesaja explizit hinwies, 3 1 3 s o w i e die A u g e n der Braut, die i m H o h e n l i e d als T a u b e n b e z e i c h n e t w e r d e n (Hld. 1,15), u n d die b e i d e n Ö l b ä u m e , die i m B u c h des P r o p h e t e n Sacharja zur R e c h t e n u n d zur L i n k e n des s i e b e n a r m i g e n L e u c h t e r s stehen (Sach. 4,3). I m dritten B u c h des K o m m e n t a r s z u m H o h e n l i e d , das O r í g e n e s w o h l u m 240 in A t h e n verfasste, 3 1 4 schrieb er ( g e m ä ß der lateinischen Version R u f i n s ) : „ I n e i n e m vielleicht n o c h t i e f e r e n g e h e i m n i s v o l l e n Sinn k a n n der Satz: , W i e s c h ö n d u bist, m e i n e G e f ä h r t i n ' (Hld. 1,15) z u d e m auf die g e g e n w ä r t i g e W e l t b e z o g e n w e r d e n , d e n n gewiss ist a u c h hier die K i r c h e schön, w e n n sie die G e f ä h r t i n Christi ist u n d Christus n a c h a h m t . Dass er (sc. der B r ä u t i g a m ) aber w i e d e r holt gesagt hat: , W i e s c h ö n d u bist', das k a n n sich auf die k ü n f t i g e W e l t

310 H u m , Origeniana II 2,2 Nr. 26 (abgedruckt in PG 17, 785 F.), referiert von BarbiiI., Christos Angelos 271 f., der sich ebd. 277 allerdings etwas davon distanziert: Orígenes habe „seine so oft betonte Auffassung der Isaiasstelle doch viel realistischer verstanden". Das würde ich mit Saake, Tractatus 96 Anni. 5; 98 Anni. 3, das „wörtliche Missverständnis" der Gedanken des Orígenes nennen. Saake, ebd. 97-99, hat die symbolische bzw. typologische Auffassung dieser Exegese des Orígenes nachdrücklich und grundsätzlich begründet: Aus der typologischen Hermeneutik ist mitnichten eine Identifikation von Typos und Antitypos zu folgern (vgl. ebd. 98 Anni. 2). 3 1 1 Kretschmar, Trinitätstheologie 65. 67f.; Simonetti, N o t e sulla teologia trinitaria 294f.; Röwi'iKAmp, FC 80, 107. 312 Orígenes, Cels. VI 18 (GCS Orig. 2, 89). Siehe dazu Krihschmar, ebd. 66. 313 Siehe oben S. 75 Anni. 308. 314 Jedenfalls laut Eusebius, hist. eccl. VI 32,2 (GCS Eus. 2, 586).

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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beziehen, w o sie (sc. die Kirche) nicht m e h r n u r durch N a c h a h m u n g , sondern in Vollendung ihrer selbst wohlgestaltet u n d schön ist, u n d dort, m e i n t er w o h l , sind ihre A u g e n Tauben, damit m a n versteht, dass die beiden T a u ben, die ihre zwei A u g e n sind, der S o h n Gottes u n d der Heilige Geist sind. U n d w u n d e r e dich nicht, w e n n sie zugleich Tauben genannt w e r d e n , w o d o c h beide in gleicher Weise als Anwalt bezeichnet w e r d e n , wie der E v a n gelist J o h a n n e s erklärt, w e n n er den Heiligen Geist Paraklet n e n n t 0 o h . 14,16.26; 15,26; 16,7), das heißt Anwalt; u n d v o n Jesus Christus sagt er in seinem Brief gleichfalls, dass er höchst selbst der Anwalt b e i m Vater f ü r unsere S ü n d e n ist (1 J o h . 2,1). Ferner glaubt man, dass die b e i d e n O l b ä u m e zur R e c h t e n u n d zur Linken des Leuchters b e i m P r o p h e t e n Sacharja (Sach. 4,3) gleichfalls den einzigen S o h n u n d den Heiligen Geist bezeichnen." 3 1 3 N i e m a n d w ü r d e aus solchen Aussagen den Schluss ziehen, Christus u n d der Heilige Geist seien ihrer N a t u r nach A u g e n oder Tauben oder O l b ä u m e , u n d f ü r die B e z i e h u n g der Seraphim auf sie gilt das analog. Ferner wird der symbolische Sinn der D e u t u n g der Seraphim in Jes. 6,2 auf Christus u n d den Geist dadurch gestützt, dass der dominus Sabaoth i m f o l g e n d e n dreifachen , , H e i l i g " - R u f auf Christus b e z o g e n wird; die Seraphim sagen: ,,,Heilig, h e i lig, heilig ist der H e r r der H e e r e , erfüllt ist die ganze Erde v o n seiner Herrlichkeit' (Jes. 6,3). Meines H e r r n Jesu Christi A n k u n f t verkündigen sie. Jetzt also ist die ganze Erde erfüllt v o n seiner Herrlichkeit." 3 1 6 Origenes las den Text v o n Jes. 6,2 f. nicht so, dass er gleichsam feste V e r k n ü p f u n g e n zwischen den einzelnen Figuren der Vision u n d den Personen der Trinität herstellte, so dass sich daraus u m g e k e h r t auf deren N a t u r schließen ließe. E r las ihn vielmehr als symbolischen Text, als Bild, dessen Einzelzüge sich in m e h r f a c h e r Weise auf D a t e n der christlichen Heilsgeschichte, sei es die Trinität, sei es die M e n s c h w e r d u n g , beziehen lassen.

b) Engelchristologie? Diese Exegese des Origenes ist damit nicht i m Sinne einer „Engelchristologie" (oder „Engelpneumatologie") aufzufassen. Im strikten Sinn des W o r tes g e n o m m e n , m e i n t dieses K o n z e p t , Christus seiner N a t u r nach als „Engel" zu verstehen (unabhängig davon, w e l c h e Realität mit dieser Vokabel b e zeichnet sein soll). D i e Seraphim, m i t h i n „Engel", als Christus (und Heiligen Geist) zu deuten, k ö n n t e m a n so verstehen u n d hat m a n so verstanden; auf diesem Verständnis b e r u h t e die gesamte spätere Kritik an dieser Vor-

3 1 5 Orígenes, in Cant. comm. III ( G C S Orig. 8, 174) bzw. III 1 , 1 0 - 1 3 496-498). Siehe dazu auch KRETSCHMAR, Trinitätstheologie 69f. 3 1 6 In Is. hom. 1 , 2 ( G C S Orig. 8, 245).

(SC 376,

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Stellung des Orígenes. Dass das nicht die Intention des Alexandriners ist, sondern eines der zahllosen Missverständnisse, denen sein D e n k e n ausgesetzt war, ergibt sich aus d e m oben Gesagten. Z u d e m ist die R e d e v o n einer „Engelchristologie" aus verschiedenen G r ü n d e n reichlich problematisch. Sich Christus als „Engel" vorzustellen, scheint im Frühchristentum nicht unpopulär gewesen zu sein, speziell in stark von frühjüdischen Traditionen, in denen Engel als Mittlerwesen eine wichtige Rolle spielten, geprägten christlichen Gruppen. 3 1 7 Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die nicht n u r vereinzelten Kritiken von Theologen an einer solchen Vorstellung. 318 Insbesondere gnostischen T h e o l o g e n w u r d e von ihren kirchlichen Gegnern eine derartige Christologie zugeschrieben u n d diese meist (wohl zu Unrecht) auf Valentin zurückgeführt oder mit seiner Schule in Verbindung gebracht. 319 Später redeten Arianer von Christus als „Engel", weil sie damit die Verschiedenheit des Sohnes v o m Vater aussagen konnten. Vor allem antignostische T h e o l o g e n wie Irenaus und Tertullian, die den Logos nie „Engel" nannten, kritisierten eine solche Christologie: Christus sei nicht seiner N a t u r nach ein „Engel", sondern werde nur in seiner Funktion als „Bote" so bezeichnet; das Wort „Engel" sei nur im Sinne seiner eigentlichen Bedeutung auf Christus anzuwenden, insofern dieser der „Bote" Gottes f ü r die Menschen bzw. der „Mittler" zwischen Gott und Menschen sei.32" Kirchliche T h e o l o g e n wie beispielsweise Justin u n d Novatian, die die Bezeichnung „Engel" f ü r Christus v e r w e n d e ten, taten das in diesem Sinne. 321 In der R e g e l w u r d e n sie dazu v o m Sprachgebrauch der Bibel animiert. In den alttestamentlichen T h e o p h a n i e n ist oft

317 Ein deutlicher Beleg dafür ist die Bezeichnung einer männlichen und einer weiblichen Gestalt von überdimensionaler Größe, des Sohnes Gottes und des Heiligen Geistes (der im Hebräischen und Aramäischen Femininum ist), als Engel in dem Buch, das Elchasai zu Beginn des 2. Jahrhunderts wohl im Ostjordanland geschrieben hat: frg. 1 (NTApo II6, 621) aus Hippolyt, haer. IX 1 3 , 2 f . (PTS 25, 357f.). Weitere Belege dafür, sich den auferstandenen Christus als „Riesen" vorzustellen, bei Grii.i,mi:I1:R, Jesus der Christus 1, 153 f., zum Beispiel ev. Petr. 39f. (GCS N.F. 1 1 , 42). 318 So die Schlussfolgerung von Barhi;l, Christos Angelos 287. 309, gestützt vor allem auf Tertullian, earn. Christ. 14,1 (CChr.SL 2, 899). Siehe auch die Hinweise auf judenchristliche Traditionen bei C a r r e l l , Jesus and the angels 1 0 1 - 1 0 3 . 319 Döi.gür, Ι Χ Θ Υ Σ I, 273-297; Bariìi!., ebd. 204-206. 287f., gestützt auf Irenaus, haer. I 2,6 (FC 8/1, 140); 4,5 (8/1, 152-254), und Clemens von Alexandria, exc. Theod. 35,1 (GCS Clem. 3% 118); 43,2 (3% 120); 64 (y, 128). Belege aus späteren Autoren sind notiert bei Barbei., ebd. 205 Anni. 1 1 3 . 320 B a r b e l , ebd. 63-68. 70-79. Vgl. beispielsweise Tertullian, earn. Christ. 14,3 (CChr.SL 2, 899)· 321 D ö l c e r , Ι Χ Θ Υ Σ I, 29of.; Barbei., ebd. 50-63. 80-94; Crii.lmlier, Jesus der Christus 1, 1 5 0 - 1 5 6 . Zu nachnizänischen Theologen siehe B a r b e l , ebd. 1 0 8 - 1 8 0 , beispielsweise Hilarius, trin. IV 23. 42 (CChr.SL 62, 126. 148); V 11 (62, 161).

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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von einem „Boten Gottes" bzw. „Engel des Herrn" (mal'ak jhwh) die R e d e . Da diese Theologen in diesen Theophanien den Sohn Gottes, den Logos, erscheinen sahen, der in ihrem philosophischen Weltbild die Vermittlungsinstanz zwischen Gott und der Welt war, 322 nannten sie den Logos in dieser Funktion mit dem biblischen Sprachgebrauch „ B o t e " , wie man eigentlich genau sagen müsste, nicht „Engel", denn sie meinten damit keine Wesensbezeichnung, sondern eben eine Funktion. Ein Satz aus Justins Dialog mit dem Juden Tryphon mag für viele stehen: Der „andere Gott und Herr", der „unter dem Weltschöpfer" steht und von dessen Existenz Justin seinen Gesprächspartner überzeugen will, „wird Bote (Engel) genannt, weil er den Menschen verkündet, was der Weltschöpfer, über dem kein anderer Gott steht, denselben verkünden will". 3 2 3 Die Bezeichnung άγγελος, „Künder", leitet sich aus der Aufgabe des άγγελλειυ, des „Verkündens" ab. Auch wenn Christus enger mit Engelvorstellungen verknüpft wird, wie etwa von Clemens von Alexandria, ist der „ L o g o s " doch nur „Angelos", insofern er als „ B o t e " Gottes fungiert, 324 und den ihm unterstellten „Engeln" absolut überlegen. 325 Sogar in einem so volkstümlich geschriebenen Buch wie dem „Hirt" des Hermas, der einer „Engelchristologie" von allen frühchristlichen Autoren am nächsten kam, indem er den Sohn Gottes als „großen", „herrlichen", „erhabenen" und „heiligen" Mann oder Engel, einmal auch als „Engel des Herrn" bezeichnete und mit Michael, dem führenden Engel des jüdischen Volkes, identifizierte, 326 wurde Christus doch deutlich von den „Engeln" (auch von den sechs Hauptengeln) unterschieden. 327 Es scheint daher fraglich, ob es im antiken Christentum über volkstümliche Vorstellungen hinaus eine „Engelchristologie" im Sinne eines theologisch reflektierten Konzepts gegeben hat.

322 Siehe die Belege dazu unten S. 206 Anm. 28. 323 Justin, dial. 56,4 (PTS 47, 161). Vgl. zum Beispiel noch I apol. 63.4f.14 (SC 507, 294-296. 298). Auch die schwierige Stelle I apol. 6,2 (SC 507, 140-142), an der der Sohn Gottes in das „Heer der guten Engel" eingereiht wird, ist wohl von daher zu verstehen (DÖLCER, ΙΧΘΥΣ I, 288f., fasste sie als von Philon abhängig auf); siehe dazu auch CARRLI I,, Jesus and the angels 98-100. 324 BARBEL, Christos Angelos 9 5 - 9 7 , mit Verweis auf Clemens von Alexandria, paid. I 58,1 (GCS Clem. 1, 124); 59,1 (1, 124f.). 325 Strom. VII 5,6 (GCS Clem. 3% 6). 326 Wichtige Stellen sind Hermas, vis. V 2 ( S U C 3, 188); mand. V 1,7 (3, 204); sim. V 4,4 (3, 262); VII 1 - 3 . 5 (3, 2 76· 279); VIII 1,2.5 (3. 280); 2,1 (3, 282); IX 1,3 (3, 300); 7,1 (3, 312); 12,6—8 (3, 322—324); der „große und herrliche Engel" als Michael: sim. VIII 3,3 ( S U C 3, 284-286). Siehe dazu B A R B E L , Christos Angelos 196-198; CARRELL, Jesus and the angels 106-108; BROX, KAV 7, 4yof. 502f. 327 So das überzeugend an den Texten nachgewiesene Ergebnis von BROX, ebd. 505; ebenso: GRILLMEIER, Jesus der Christus 1, 152f. DANIÉLOU, Trinité et angelologie 7—14, nivelliert die Differenz.

8o

Einleitung

Bei Orígenes liegen die Dinge hinsichtlich dieses Themas allerdings etwas komplizierter. 328 Im R a h m e n seiner umfassenden kosmologischen Soteriologie reflektierte er neben der Menschwerdung Christi auch dessen Engelwerdung. W i e Christus „unter uns Menschen ,der Gestalt nach wie ein Mensch ausgesehen hat' (Phil. 2,7), so hat er auch unter den Engeln der Gestalt nach wie ein Engel ausgesehen". 329 Das hat Orígenes nicht doketisch gemeint. W i e Christus nicht nur scheinbar Mensch geworden ist, so ist er konsequenterweise nicht nur scheinbar Engel geworden. Dieser Gedanke entspricht der soteriologischen Pädagogik des Orígenes: Nicht nur den Menschen, sondern auch den anderen Vernunftwesen, die der Besserung, Heilung und Bekehrung bedurften, hat Christus die reine Lehre der G o t tesverehrung gebracht. 330 Der Logos wird j e d e m Vernunftwesen das, was dieses für seine Erlösung nötig hat, den Menschen also Mensch, den Engeln Engel: ,,Der Gott des Alls schuf zuerst eine erstrangige Art von Vernunftwesen, worunter ich die sogenannten Götter verstehe (vgl. etwa Ps. 49[50],i; 1 Kor. 8,5). Sodann schuf er die, die wir heute T h r o n e nennen, und drittens zweifellos die Herrschaften. So muss ein vernünftiges Wesen schließlich hinabsteigen auf ein an letzter Stelle stehendes Vernunftwesen, das vielleicht kein anderes war als der Mensch. Der Erlöser wurde n u n in viel göttlicherer Weise als Paulus allen alles, u m alle zu gewinnen (1 Kor. 9,22) und ihrem Ziele zuzuführen, und offenkundig wurde er f ü r die M e n schen Mensch und f ü r die Engel Engel. Keiner, der zum Glauben g e k o m men ist, zweifelt daran, dass er Mensch geworden ist. Davon, dass er auch Engel geworden ist, werden wir überzeugt, indem wir an den Erscheinungen und Worten der Engel festhalten, in denen er mit Engelmacht an einigen Stellen der Schrift erscheint, in denen die Engel sprechen, zum Beispiel: ,Es erschien der Engel des H e r r n im Feuer des brennenden D o r n buschs und sagte: Ich bin der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs' (Ex. 3,2.6). Aber auch Jesaja spricht: ,Sein N a m e wird genannt Engel des großen Rates' 0es. 9,6 LXX)." 331 Diesen Gestaltwandel des Logos hat Orígenes

328 Viele Stellen dazu aus griechisch und lateinisch überlieferten Werken bei BARBEL, Christos Angelos 1 0 1 — 1 0 3 . 288—292. Mögliche Parallelen zwischen diesbezüglichen origeneischen und buddhistischen Texten erörtert DE LUBAC, Textes 3 3 9 - 3 4 2 . Siehe a u c h GRILLMEIER, e b d . 1 5 5 f .

329 Orígenes, in Gen. hom. 8,8 ( G C S Orig. 6, 83). 330 Cels. VIII 59 ( G C S Orig. 2, 276). Vgl. in loh. c o m m . I 256 ( G C S Orig. 4, 45): Christus „starb nicht nur f ü r die Menschen, sondern auch f ü r die übrigen Vernunftw e s e n " ; in Matth, c o m m . X V 7 ( G C S Orig. 10, 366); in Luc. hom. 10,3 ( G C S 9 3 , 6of.); 23,7.9 (92. 1 4 5 f· 147); in Lev. hom. 2,3 ( G C S Orig. 6, 294). Z u ähnlichen Gedanken v o r Orígenes (besonders bei Melito v o n Sardes und im Physiologus) siehe BARBEL, Christos Angelos 293 f. 2 9 7 - 2 9 9 . 3 3 1 In loh. c o m m . I 2 1 6 - 2 1 8 (GCS Orig. 4, 38f.); Ubersetzung nach B A R B E L , ebd. 2 9 1 . Z u r Vorstellung der Heil vermittelnden Anpassung des Logos an die Fassungskraft

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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universal in dem Sinne gedacht, dass er „ f ü r das Heil aller alles geworden ist", w o b e i „alles" hier bedeutet, dass der Logos wirklich „alles" geworden ist: „ D e n n was wäre er f ü r unser Heil nicht geworden?" 3 3 2 D i e Stufen des Tempels in Jerusalem hat er im Johanneskommentar v o n daher so gedeutet: „Wie sich im Tempel Stufen befanden, durch die man in das Allerheiligste eintreten konnte, so ist der einzige Sohn Gottes alle unsere Stufen. U n d w i e er die erste Stufe nach unten ist (sc. die unterste Stufe), so ist er auch die Stufe oberhalb dieser, und so gelangt man bis zur höchsten Stufe, so dass alle Stufen der Erlöser sind. D i e erste Stufe nach unten ist seine Menschheit. Wenn w i r über sie hinaussteigen, durchschreiten w i r nacheinander den ganzen W e g der Stufen, der er ist, so dass w i r hinaufsteigen durch sein E n g e l sein und sein Die-übrigen-Kräfte-Sein." 3 3 3 Dieses Konzept der Menschwerdung und Engelwerdung des Erlösers gehört zu den vielen originellen und kühnen Ideen des Origenes und rückt ihn nahe an eine Engelchristologie heran, insbesondere w e n n er v o n Christus als „ E n g e l Gottes" spricht. A b e r gerade die entsprechende Stelle in der Apologie gegen Kelsos zeigt, dass auch Origenes keine Engelchristologie im eigentlichen Sinne konzipierte, denn Christus ist nicht seiner Natur nach ein Engel, sondern wird — hier k o m m t Origenes mit dem frühchristlichen D e n ken überein — in seiner Funktion als Erlöser so genannt: „ D e r Engel Gottes, der zur Erlösung der Menschen in die Welt g e k o m m e n und stärker war als seine Feinde, wälzte mit Hilfe des anderen Engels den schweren Stein hinw e g " ; diesen erlösenden „ E n g e l Gottes" unterschied Origenes dadurch deutlich v o n dem „anderen E n g e l " — der laut M t . 28,2 den Stein v o m Grabe wegwälzte —, dass letzterer als „der Geringere und D i e n e r " bezeichnet wird. 3 3 4 Außerdem gebrauchte Origenes die Bezeichnung Christi als Engel oft im Kontext symbolisch-allegorischer Schriftauslegung: „ D u r c h seine Substanz ist unser Herr Jesus Christus einer (unus) und nichts anderes als der Sohn Gottes, in den Bildern (figura) und Ausdrucksformen (forma) der Schriften aber erscheint er als veränderlich und vielfältig"; so seien in Gen. 22 Isaak, aber auch der W i d d e r ein Sinnbild (typus, forma) f ü r Christus — und

jedes einzelnen Vernunftwesens siehe in Matth, comm. X V 24 (GCS Orig. 1 o, 419f.); in Matth, comm. ser. 100 (GCS Orig. 1 1 , 218); Cels. IV 18 (GCS Orig. 1, 287); V 53 (2, 57); VI 77 (2, 146); in Ex. hom. 7,8 (GCS Orig. 6, 216); in R o m . comm. I 6(4) (P. 55 HAMMOND BAMMIÍI ). Siehe dazu auch DÖI GI.R, ΙΧΘΥΣ I, 294f.; CARREEL, Jesus and the angels íoof., und zum „Engel des großen Rates" unten S. 224 Anm. 54. 332 In Cant. hom. 2,3 (GCS Orig. 8, 45). 333 In loh. comm. X I X 38 (GCS Orig. 4, 305); Übersetzung nach BARBEL, Christos Angelos 291 f. 3 3 4 Cels. V 58 ( G C S O r i g . 2, 6 1 ) ; Übersetzung: KOETSCHAU, B K V 2 I 53, 83. In L u c .

hom. 3,3 (GCS Orig. g2, 20f.) wird der „Herr" und „Erlöser" deutlich von den „Engeln" unterschieden.

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Einleitung

ebenso sei unter dem Engel Christus zu verstehen. 333 Seiner Substanz nach ist Christus weder Isaak noch ein Widder noch ein Engel. Nach demselben Muster symbolischer Schriftauslegung ist Christus der Führer der Engelheere, derjosua erscheint (Jos. 5,13 f.). 336 Dieses exegetische Verfahren hat Orígenes von Philon gelernt, der im „Engel Gottes" eine Gestalt des Logos in der Funktion eines „ B o t e n " sah.337 Diese Redeweise hat Orígenes postum heftige Kritik eingetragen, die aber seine Gedanken vergröberte und missverstand, so wenn Theophilus von Alexandria polemisierte, Orígenes hätte eigentlich sagen müssen, Christus werde auch Dämon werden, um für die Dämonen zu leiden. 338 Auch seine Deutung der Seraphim als Sohn Gottes und Heiliger Geist geriet von daher in Misskredit, doch kehrte die spätere Kritik den Gedanken des Orígenes um: Während er die Seraphim im Bibeltext als Sinnbild für Christus und den Geist deutete, wurde ihm später umgekehrt die Identifizierung von Sohn und Geist mit den Seraphim und damit deren ontologische Einordnung als Engelwesen vorgeworfen - was Orígenes aber gar nicht gemeint hatte. Seine Exegese ist nicht so zu verstehen, dass er Christus (und den Geist) seiner Natur nach als „Engel" konzipiert hätte, sondern beruht vielmehr auf einem antignostischen soteriologisch-pädagogischem Konzept und liest die Bezeichnung „Engel" in der Bibel an den Stellen, an denen eine Theophanie geschildert wird, als Sinnbild für Christus. Auch von daher wird man Orígenes so verstehen müssen, dass er die Gottesthron-Vision des Propheten Jesaja als Symbol für die Trinität gelesen hat.

335 In Gen. hom. 1 4 , 1 ( G C S Orig. 6, 1 2 1 f.); vgl. ebd. 8,6.9 (6, 81. 84) bzw. 8,8 (6, 83): evidenter

hic angelus

Dominus

ostenditur.

336 In los. hom. 6,2 ( G C S Orig. 7, 324). 337 Philon, leg. all. III 1 7 7 (I p. 1 5 2 COHN/WENDLAND); conf. ling. 146 (II p. 257); migr. Abr. i 7 4 f . (II p. 302); somn. I 232. 2 3 8 f . (III p. 254. 255F.): BARHIÌI., Christos Angelos 1 9 - 2 6 .

293.

338 Theophilus bei Hieronymus, epist. 96,10 ( C S E L 55, 168). Ebenso später Hieronymus, epist. 1 2 4 , 1 2 ( C S E L 56, 1 1 4 f . ) , und noch einmal später der vierte und siebte Anathematismus in Justinians Brief an Menas ( A C O III 2 1 3 ) . Siehe dazu BARBEL, ebd. 296f., und schon die Verteidigung des Orígenes durch HUET, Origeniana II 2,3 Nr. 23 (abgedruckt in P G 1 7 , 826—829). — Hinter dieser Polemik gegen Orígenes steht ein durchaus ernster Zusammenhang, den Philon, gig. 6 (II p. 43 COHN/WENDI.AND), explizit benannt hat: D e n Mittlerwesen, die in der Bibel „ E n g e l " heißen, entsprechen im Piatonismus die „ D ä m o n e n " , die nach Piaton, symp. 202 d 1 3 - 203 a 6, zwischen Göttern und Menschen vermitteln. Siehe dazu DILLON, Dämonologie 134-137·

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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c) Traditionsgeschichtliche Hintergründe der origeneischen Deutung Die zweite Frage, die an diese Exegese zu stellen ist, nämlich die nach ihrer Herkunft, ergibt sich aus dem zweimaligen Hinweis des Origenes auf einen „Hebräer" bzw. „hebräischen Lehrer". Origenes hat diese Deutung demnach nicht selbst erfunden, sondern rezipiert und in seine eigenen Überlegungen eingebaut. Zumindest wurde er von einer traditionellen Ansicht zu seiner Auslegung inspiriert. Angesichts ihres christlichen Inhalts war dieser „Hebräer" sicher kein Jude 3 3 9 — es verdient Beachtung, dass die Vision in Jes. 6 in der rabbinischen Literatur nur ein geringes Echo gefunden hat3411 —, sondern ein Judenchrist. 341 Ist dem so, dann ist die trinitarische Deutung der Seraphim in Jes. 6,2 f. möglicherweise judenchristlichen Ursprungs. Lassen sich in der frühchristlichen Theologie davon Spuren finden? In der christlichen Literatur vor Origenes ist eine Deutung der Seraphim in der Vision Jesajas auf Christus und den Heiligen Geist nirgends zu finden. U m die Herkunft dieser Vorstellung zu erhellen, ging Georg Kretschmar daher auf die Suche nach Anschauungsformen, in denen das Verhältnis zwischen Vater, Sohn und Geist zueinander in der christlichen Gottesvorstellung in analoger Weise erfasst wurde, wie es in der trinitarischen Deutung der Seraphim bei Origenes zum Ausdruck kommt. 342 Das darin greifbare Konzept sieht nach Kretschmar so aus, dass Christus und Heiliger Geist nebeneinander unter Gott stehen und Gott loben (in der Vision Jesajas im dreifachen ,,Heilig"-Ruf). Also suchte Kretschmar nach Vorstellungen von einer „doppelten Spitze der kosmischen Hierarchie". 343 Dieses Konzept darf man zwar, was Origenes angeht, nicht verallgemeinern, denn zum Verhältnis zwischen Sohn und Geist gibt es in seinen Schriften sowohl gleichordnende als auch den Geist dem Sohn unterordnende Aussagen, 344 was Ori-

339 G e g e n BARBEL, ebd. 272 f.; BIETENHARD, Caesarea 27; DE LANCE, Origen and the J e w s 43. 1 3 2 . 340 JAY, Art. Jesaja 783. 341 BARDY, Les traditions Juives 2 2 1 f. 2 4 8 f . ; KRETSCHMAR, Trinitätstheologie 65; DANIÉLOU, Trinité et angélologie 2 6 - 2 8 (= ders., Théologie 185 f.); SAAKE, Tractatus 98. KRAUSS, J e w s 1 5 4 , vermochte diese Exegese in keiner jüdischen Quelle zu finden. In N u m . hom. 1 3 , 5 ( G C S Orig. 7, 1 1 4 ) hat Origenes explizit auf einen judenchristlichen Lehrer hingewiesen: a magistro quodam, qui ex Hebraeis aediderat; vgl. in Hier. hom. 20,2 ( G C S Orig. 3 2 , 178). 342 KRETSCHMAR, Trinitätstheologie 6 2 - 9 4 . Schon BARDEL, Christos Angelos 2 6 9 - 2 7 8 , hat die dafür in Frage kommenden Stellen (soweit sie zu seiner Z e i t bekannt waren) zusammengestellt. 343 KRETSCHMAR, ebd. 7 1 ; vgl. ebd. 78. Siehe auch SIMONETTI, N o t e sulla teologia trinitaria 2 9 2 - 2 9 4 . 344 ZIEBRITZKI, Heiliger Geist 2 4 4 - 2 4 8 . 265 f., übernommen von DÜNZL, Pneuma 3 7 1 Anni. 27.

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genes damit begründet hat, dass in der Bibel beides begegne. 343 Auch ist mehr als zweifelhaft, ob solche angelologischen Konzepte und Anschauungen einer einheitlichen Tradition namens „Judenchristentum" zuzuweisen und ob in ihnen die Wurzeln der christlichen Trinitätslehre zu sehen sind.346 Z u der Konstellation, die in der Deutung der Seraphim durch Orígenes greifbar wird, lassen sich allerdings durchaus einige Texte vergleichen. So findet sich in den Schriften des Clemens, des theologischen Vorgängers des Orígenes in Alexandria, zwar nichts zu den Seraphim oder zur Vision Jesaj as, wohl aber an einer Stelle der Kerngedanke von Kretschmars Konzept einer „doppelten Spitze der kosmischen Hierarchie", 347 und zwar in einer lateinisch erhaltenen Auslegung von ι J o h . 2,1: Die Bezeichnung Jesu Christi an dieser Stelle als „Tröster" (consolator, παράκλητος) kombinierte Clemens mit dem im Johannesevangelium verheißenen „Paraklet" (Joh. 14,16.26; 15,26; 16,7) und stellte beide „Tröster", Sohn und Geist, als „ursprüngliche und erstgeschaffene Kräfte, die in ewiger R u h e aus ihrem W e sen heraus existieren", hinsichtlich ihrer Funktionen gegenüber den M e n schen über die „untergeordneten Engel und Erzengel, mit denen zusammen sie äquivok (aequivoce) genannt werden". 3 4 8 Das dürfte wohl so zu verstehen sein, dass Sohn und Geist mit dem Sprachgebrauch der Bibel zwar „Engel" genannt werden, wegen ihrer substantiellen Unveränderlichkeit aber nicht selbst als „ B o t e n " fungieren (etwa gegenüber Mose, welches Beispiel Clemens in seiner Auslegung anführte), sondern durch untergeordnete Engel bzw. Boten mit den Menschen verkehren. 349 Sohn und Geist stehen damit 345 Siehe vor allem seine Überlegungen in loh. comm. II 7 3 - 7 8 . 8 6 ( G C S Orig. 4, 64f. 67). 346 So die berechtigte Kritik v o n BARBEE, Engel-Trinitätslehre, an den Thesen v o n Kretschmar und Daniélou. 347 KRI.TSCHMAR, Trinitätstheologie 6 8 - 7 1 . 348 Clemens, adumbr. in I loh. 2,1 ( G C S Clem. 3 a , 2 1 1 ) ; eine Ubersetzung des ganzen Passus bei BARBEL, Christos Angelos 201 f. OEYEN, Engelpneumatologie 1 1 7 f. 3 7 - 4 0 , versteht unter den virtutes, griechisch δυνάμεις, an dieser Stelle w e g e n ihrer Bezeichnung als primo creatae, griechisch ττρωτόκτιστοι, die sieben „Protoktisten", d.h. Engelwesen über den „untergeordneten Engeln und Erzengeln", von denen Clemens öfters redete, etwa exc. Theod. 1 0 ( G C S C l e m . 3 2 , 1 0 9 f . ) . Sein Argument, das Wort consolator habe hier eine unterschiedliche Bedeutung - in B e z u g auf den Sohn heiße es „ A n w a l t " , in B e z u g auf den Geist „Tröster" (ebd. 38) - , geht aus dem Text jedoch nicht hervor, und sein Vorschlag, die schwierige und singulare Stelle als Interpolation zu werten oder eine Lücke im Text anzunehmen, so dass die Junktur „erstgeschaffene K r ä f t e " sich nicht mehr auf Sohn und Geist bezieht (ebd. 39f.), ist eine Verlegenheitslösung. Die Interpretation Oeyens (mit Einschränkung übernommen von ZIEBRITZKI, Heiliger Geist 1 2 1 - 1 2 3 ) überzeugt auch deshalb nicht, weil der B e g r i f f aequivoce v o n ihm nicht erklärt und in seiner Deutung sinnlos wird und weil Clemens auch in exc. Theod. 20 (3 2 , 1 1 3 ) den Logos als π ρ ω τ ό κ τ ι σ τ ο ς bezeichnet. 349 So die Überlegungen v o n BARBEE, ebd. 2 0 2 f .

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an der Spitze der kosmischen Hierarchie (unter Gott) und teilen mit den anderen Hierarchen äquivok die Bezeichnung „Engel", sind von diesen aber wesensmäßig verschieden und ihnen übergeordnet. Unabhängig davon, wie Clemens sich diese in seinen Schriften singulare Konstellation näherhin vorstellte, lässt sich sagen, dass das Denkmodell, das in der trinitarischen Auslegung der Vision Jesaj as bei Origenes aufscheint, damit in Alexandria kurz vor der Zeit nachweisbar ist, in der Origenes dort seine Grundlagenschrift verfasste. Im oben zitierten Passus aus dem späteren Hoheliedkommentar hat er 1 Joh. 2,1 in trinitarischem Zusammenhang aufgegriffen. Eine noch deutlichere Spur für dieses Konzept begegnet in der „ H i m melfahrt Jesajas" (Ascensio Isaiae),3D{] einer ursprünglich wohl griechischen Schrift, die vollständig nur in einer äthiopischen Ubersetzung vorliegt (nur noch der Abschnitt asc. Is. 2,4—4,4 ist in einem Papyrusfragment aus dem 5. oder 6. Jahrhundert auf Griechisch erhalten; dazu kommen Stücke auf K o p tisch, Altslawisch und Latein). Der literarische Charakter und die Entstehungsgeschichte dieses Textes sind schwer zu beurteilen und entsprechend umstritten. Die Ansicht der älteren Forschung, es liege eine jüdische Schrift unter dem Titel „Martyrium Jesajas" zugrunde (Martyrium Isaiae, bestehend aus asc. Is. 1 , 1 - 3 , 1 2 und 5,2-14), die in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts christlich überarbeitet und ergänzt worden sei (um asc. Is. 3,13—5,1 und 5,1 5 - 1 1 , 4 3 ) , 3 5 1 gilt als überholt. Es gibt plausible Argumente für eine von vorneherein christliche Entstehung der in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts oder vielleicht sogar in das letzte Drittel des 1 . Jahrhunderts (etwa 70/80 n.Chr.) zu datierenden Schrift, 352 sei es, dass sie in zwei Redaktionsstufen entstand, sei es, dass sie von einem einzigen Autor stammt und aus zwei komplementären Teilen besteht, in die zwar viele jüdische Traditionen eingegangen sind, ohne dass jedoch redaktionskritisch eine jüdische Grundschrift isoliert werden könnte. 353 Der hier interessante Passus lautet folgendermaßen: Der in den höchsten, den siebten Himmel entrückte Jesaj a „sah einen dastehen, dessen Herrlichkeit alles überragte, und seine Herrlichkeit war groß und wunderbar. U n d nachdem ich ihn erblickt hatte, kamen alle Gerechten, die ich sah, und alle Engel, die ich sah, zu ihm, und Adam und Abel und Seth und alle Gerechten traten zunächst heran und beteten ihn an und priesen ihn alle mit einer Stimme, und auch ich lobsang mit ihnen und mein Lobgesang war wie der ihrige. U n d dann traten alle Engel heran und

3 5 0 BARBEL, ebd. 2 7 3 - 2 7 5 ; KRETSCHMAR, Trinitätstheologie 7 1 - 7 4 .

351 So noch HARNACK, Ertrag II, 50, ferner zum Beispiel E. HAMMLRSHAIMB, J S H R Z l l / i , Gütersloh 1973, 1 5 - 3 4 (bes. ebd. 1 7 - 1 9 ) ; C. D. G. MÜLLER, N T A p o II, Tübingen 6 1997, 547-562 (bes. ebd. 548f.); GARRII.i,, Jesus and the angels i 0 3 f . 352 BAUCKHAM, The Ascension of Isaiah 3 8 1 - 3 9 0 . 353 Siehe PESCE, Presupposti 2 2 - 2 8 . 35-40. 45-48; BAUCKHAM, ebd. 365-380; JAY, Art. Jesaja 776-778. 792-794.

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beteten und lobsangen. U n d ich wandelte mich (Àthiop.: ... er wandelte sich) [wiederum] und wurde wie ein Engel. U n d da sprach der Engel, der mich führte, zu mir: ,Den bete an!' U n d ich betete an und lobsang. U n d der Engel sprach zu mir: ,Es ist der Herr aller Herrlichkeit, den D u gesehen hast.' U n d während er [der Engel] noch redete, sah ich einen anderen Herrlichen, der ihm glich, und die Gerechten traten zu ihm heran und beteten an und lobsangen, und auch ich lobsang mit ihnen, aber meine Herrlichkeit wandelte sich nicht nach ihrem Aussehen. U n d danach traten die Engel heran und beteten an. U n d ich sah den Herrn und den zweiten Engel, und sie standen, der andere aber, den ich gesehen hatte, war zur Linken meines Herrn. U n d ich fragte: ,Wer ist dieser?' U n d er sprach zu mir: ,Bete ihn an, denn dieser ist der Engel des Heiligen Geistes, der durch dich und die anderen Gerechten redet (Äthiop.: geredet hat).' U n d ich schaute die große Herrlichkeit, indem die A u g e n meines Geistes geöffnet wurden, und ich vermochte danach nicht zu sehen, weder den Engel, der mit mir war, noch alle Engel, die ich meinen Herrn hatte anbeten sehen. Aber die Gerechten sah ich mit großer Kraft die Herrlichkeit jenes schauen. U n d mein Herr trat zu mir und der Engel des Geistes und sprach: ,Siehe, wie dir gegeben ist, Gott zu schauen, und u m deinetwillen ist dem Engel bei dir Macht gegeben worden.' U n d ich sah, wie mein Herr anbetete und der Engel des Heiligen Geistes und wie beide zusammen Gott priesen. U n d danach traten alle G e rechten heran und beteten an, und die Engel traten heran und beteten an, und alle Engel lobsangen." 334 Das christologische und das trinitarische Konzept dieses Textes erweisen sich als mehrschichtig. Während der Heilige Geist eindeutig und mehrmals als „Engel" apostrophiert wird, 333 wird in der äthiopischen Ubersetzung der Sohn nur an einer Stelle so qualifiziert und das auch nur mit einer gewissen Distanz: „Er wandelte sich und wurde wie ein Engel." 3 5 6 Im selben Sinn wird der Abstieg des Sohnes durch die Himmel zur Erde so beschrieben, dass er sich dabei vorübergehend in die Gestalt eines Engels verwandelte, so dass die Engel ihn nicht erkannten. 357 Eine Engelchristologie liegt damit nicht vor, zumal der Sohn im übrigen Text deutlich v o n den Engeln unterschieden wird und seine Verwandlung in einen Engel den funktionalen Z w e c k hat, die Eigenschaften eines Boten zu erhalten, u m seine Aufgabe erfüllen zu können. 358 W o h l aber könnte man von einer „Engelpneumato354 Asc. Is. 9,27-42 (CChr.SA 7, 104-109 äth. Text mit ital. Übersetzung); Übersetzung: Müi.i.er, NTApo II6, 558f. 355 DaniiUou, Trinité et angélologie 17—21 (= ders., Théologie 127—130), sah darin einen Konnex mit dem Engel Gabriel. 356 Asc. Is. 9,30 (CChr.SA 7, io6f.); Übersetzung: Müli.iíu, NTApo II6, 559. 357 Ebd. 10,7-31 (7, 110-117). 358 N o r e l l i im Kommentar in CChr.SA 8, 485. 487; C a r r e l l , Jesus and the angels 104-106.

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logie" sprechen. 359 Was die Zuordnung von Vater, Sohn und Geist angeht, liegt nicht einfach die Anschauungsform vor, dass Christus und der Heilige Geist nebeneinander stehen und an der Spitze der ganzen himmlischen E n gelschar Gott anbeten und preisen, auch wenn der Schluss der zitierten Passage das nahelegt. In der ganzen Schrift ist nämlich eine Tendenz zur Unterordnung des Geistes unter den Sohn nicht zu verkennen. 360 Auch wenn der Text nicht auf Jes. 6 rekurriert, erinnert er gerade mit diesen Oszillationen durchaus an die trinitarische Deutung der Seraphim durch Origenes, der Sohn und Geist bisweilen gleich-, bisweilen den Geist dem Sohn untergeordnet hat (s.o.). Dasselbe gilt für ein weiteres Detail dieses Textes: Anders als Christus und der Heilige Geist sieht Jesaja die Herrlichkeit Gottes nicht: „ U n d sie wurden alle (sc. die Stimmen und Lobgesänge aus den sechs anderen Himmeln) j e n e m Herrlichen geschickt, dessen Herrlichkeit ich nicht sehen konnte. U n d ich selbst hörte und sah den Lobgesang für ihn. U n d der Herr und der Engel des Geistes hörten alles und sahen alles."361 Gegen Schluss der Schrift wird das trinitarische Konzept dieser Vision noch deutlicher, wo Jesaja von dem nach seinem irdischen Dasein wieder durch alle Himmel hinaufsteigenden Christus sagt: „ U n d alsbald sah ich, wie er zur Rechten jener großen Herrlichkeit sich niedersetzte, deren Herrlichkeit ich, wie ich euch sagte, nicht zu schauen vermochte. U n d auch den Engel des Heiligen Geistes sah ich zur Linken sitzen."36'2 Man wird nicht fehlgehen, in solchen Vorstellungen eine der Wurzeln für die christliche Trinitätslehre zu erblicken. 363 Eine gnostische Analogie hierzu bietet ein titelloser Traktat eines unbekannten Verfassers in den Codices von Nag Hammadi ( N H C 11,5), der in der Forschung aufgrund seines hauptsächlichen Inhalts den Titel „Vom U r sprung der Welt" trägt. 364 In diesem wird im R a h m e n einer gnostischen Theogonie geschildert, wie „Sabaoth", „der Herr der Mächte", wie er in Anlehnung an die Bibel genannt wird, 363 sich nach der Erringung der Herrschaft über die sieben Himmel einen Wohnort mit Thron schafft und vor diesem eine riesige Schar von Engeln, die ihn verehren; rechts und links des Thrones sitzen Jesus Christus und „die Jungfrau des Heiligen Geistes" je auf

359 Hinweise dazu von N O R E E L I , ebd. 486. 360 Nachgewiesen von S I M O N E T T I , Note sulla cristologia 1 8 7 - 1 9 3 (vgl. ebd. 203), akzeptiert von N O R E I . I . I , Pneumatologia 260—266 (vgl. ebd. 272; ebenso im K o m m e n tar in C C h r . S A 8, 484), dessen Begriff „Syzygie" (ebd. 261 f.) für das Verhältnis zwischen Sohn und Geist in der „Himmelfahrt Jesajas" daher nicht passt. 361 Asc. Is. 1 0 , 2 - 4 (CChr.SA 7, 1 1 of.); Ubersetzung: M Ü I . I . E R , N T A p o II 6 , 559. 362 Ebd. N , 3 2 f . (7, 126f.); Übersetzung: MÜLEER, ebd. 561. 363 Νοίίΐ',ι,ι.ι, C C h r . S A 8, 585 f., zustimmend zum Interpretationsansatz von Kretschmar. 364 N O R E L E I , ebd. 586-589. 365 N H C 11,5 Ρ- 104,9f. (GCS N . F . 8, 246).

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einem Thron: „Weil er (sc. Sabaoth) (nun) aber Macht hatte, schuf er sich zuerst einen Wohnort. Es ist ein großer, der überaus herrlich ist, der siebenmal (so groß) ist wie alles, was sich [in den] sieben Himmeln befindet. Vor seinem Wohnort aber schuf er sich einen großen Thron, der sich auf einem viergesichtigen Wagen befindet, der ,Cherubin' genannt wird. Der Cherubin aber hat acht Gestalten an jeder der vier Ecken: Löwengestalten und Rindergestalten und Menschengestalten und Adlergestalten, so dass sich alle Gestalten auf 64 Gestalten belaufen, und sieben Erzengel stehen vor ihm. Er ist der achte und hat Macht. Alle Gestalten (zusammen) betragen 72. Von diesem Wagen empfingen nämlich die 72 Götter ihre Prägung, (und zwar) erhielten sie ihre Prägung, damit sie über die 72 Sprachen der Völker herrschen. Bei jenem Thron aber schuf er andere Engel von Drachengestalt, die ,Seraphin' genannt werden 366 und ihn allezeit preisen. Darauf schuf er eine Engelkirche 367 — unzählige Tausende und Zehntausende (gehören zu ihr) —, die der Kirche in der Achtheit gleicht, und (er schuf) einen Erstgeborenen, der ,Israel' heißt, das heißt: ,der Mensch, der Gott sieht',368 und (er schuf) einen anderen, namens Jesus Christus', der dem Soter (d.h. Erlöser; A.F.) gleicht, der sich oben in der Achtheit befindet. Er sitzt zu seiner Rechten auf einem herrlichen Thron. Z u seiner Linken aber sitzt die Jungfrau des Heiligen Geistes auf einem Thron und preist ihn. Und vor ihr stehen die (sieben) Jungfrauen, während 30 (andere Jungfrauen) ihm (mit) Zithern und Harfen [und] Trompeten in den Händen Lobpreis spenden. Und die ganzen Heere der Engel preisen und verehren ihn." 369 Es gibt zwar Unterschiede zwischen dieser Beschreibung und derjenigen in der „Himmelfahrt Jesajas"; so setzen sich Christus und der Geist in dieser erst zur Rechten und Linken auf den Thron, nachdem Christus seinen Erlösungsauftrag erfüllt hat, während sie im gnostischen Text von Anfang an dort sitzen. Im Blick auf das Bild an sich bleiben solche Divergenzen aller-

366 D i e Charakterisierung der Seraphim als „Engel v o n Drachengestalt" ist deshalb auffällig, weil das hebräische Wort hp in der Bibel „Schlange" heißt: B i ; u k i ; n , Jesaja 1 - 1 2 , 171. D i e Verwendung in der Vision Jesajas ist singular: N u r Jesaja sieht „ S e raphim" (vgl. K r i ' . t s c h m a r , Trinitätstheologie 67), die offenbar etwas anderes bezeichnen als normale „Schlangen". V o n daher verwundert es nicht, dass die Seraphim Jesajas in der Folgezeit (und so auch im vorliegenden Text) mit den Cherubim und anderen Engeln in Verbindung gebracht worden sind. 367 N a c h F a l l o n , Enthronement 106 Anni. 45, ist dieser Ausdruck in der biblischen und zwischentestamentlichen Literatur nicht nachweisbar. 368 Vgl. für diese Etymologie Philon, Abr. 57 (IV p. 14 C o h n / W l n d i . a n d ) ; leg. Gai. 4

(VI p. 156): F a l l o n , ebd. 106 mit Anm. 48. 369 N H C 11,5 P· 104,31-106,3; Übersetzung: Β nie . G C S N.F. 8, 247. R u n d e Klammern kennzeichnen erläuternde Zusätze in der Ubersetzung, eckige Klammern eine Textlücke im Originalmanuskript, spitze Klammern eine Konjektur oder einen vermuteten Textausfall (vgl. ebd. XIII).

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

89

dings marginal. Das in ihnen präsentierte trinitarische Konzept ist im Prinzip dasselbe: Christus und der Geist stehen an der Spitze der himmlischen Hierarchie und preisen Gott (der gnostisch freilich der minderwertige Demiurg ist, nicht die höchste Gottheit) — das ist die Anschauungsform, die auch der Deutung der Vision Jesajas durch Origenes zugrundeliegt; und Christus und der Geist sind von den Engeln unterschieden (in der gnostischen Schrift beide, in der „Himmelfahrt Jesajas" der Sohn, nicht jedoch der Geist) und stehen bzw. sitzen, zur Rechten und Linken Gottes, dem Engelheer gegenüber. Dass der Heilige Geist als „Jungfrau" charakterisiert wird, deutet auf jüdische Wurzeln dieses Konzepts, denn im Hebräischen ist der Geist weiblich. Wie die „Himmelfahrt Jesajas" führt auch der gnostische Text darauf, dass hinter dieser Vorstellung der himmlischen Liturgie mannigfaltiges frühjüdisches Traditionsgut steht,3711 das im frühchristlichen bzw. christlichgnostischen Kontext trinitarisch stilisiert wurde. Die „Himmelfahrt Jesajas" und der gnostische Traktat „Vom Ursprung der Welt" stehen wohl für die Tradition, in die Origenes mit seiner Deutung der Vision Jesajas konzeptionell gehört. Uber regionale Zusammenhänge oder literarische Abhängigkeiten können wir allerdings kaum Aussagen machen. Der gnostische Traktat liegt in einer koptischen Ubersetzung des ursprünglich griechischen Textes vor. Wegen der Nähe einiger Passagen zu manichäischem Gedankengut kann die griechische Fassung, auf der die koptische Ubersetzung beruht, frühestens im letzten Drittel des 3. Jahrhunderts entstanden sein (und die koptische wohl etwas später, Ende des 3. Jahrhunderts oder im 4. Jahrhundert). Falls der Traktat einen mehrstufigen Entstehungsprozess durchlaufen hat, könnten die ältesten Schichten aus dem späteren 2. Jahrhundert stammen, doch bleibt das eine bloße Hypothese. 371 Wann und wie auch immer der vorliegende Text entstanden sein mag: Hinter dem zitierten Passus steht in jedem Fall die jüdische Tradition, die in der „Himmelfahrt Jesajas" greifbar wird und in deren Umfeld die Deutung der Vision Jesajas durch Origenes gehört. Ebenfalls hypothetisch bleiben E r wägungen zum Abfassungsort des gnostischen Traktats. Gewiss weisen etliche Merkmale nach Alexandria. 372 Das Problem bei solchen Überlegungen, das für alle Texte von N a g Hammadi gilt, liegt dabei darin, dass in koptischen Ubersetzungen der Spätantike (meist des 4. Jahrhunderts) Aufschlüsse über erheblich frühere griechische Traditionen gesucht werden, die sich methodisch kontrolliert aus ihnen jedenfalls bislang nicht haben gewinnen lassen.373 Für die hier interessierende Passage aus dem Traktat „Vom U r -

370 Nachweise im Detail bei FALLON, Enthronement 1 0 1 - 1 1 0 . Vgl. BETHCE, ebd. 240. 371 Siehe dazu lì nie . ebd. 237 (vgl. ebd. 240). 372

BETHCE, ebd.

237.

373 Siehe FÜRST, Intellektuellen-Religion 94-96, mit den dort vermerkten Beispielen, darunter auch N H C 11,5 -

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Einleitung

sprung der Welt", in den sehr viele Überlieferungen unterschiedlicher P r o venienz eingeflossen sind, 374 ließe sich bestenfalls vermuten, dass die j ü d i schen u n d christlichen Traditionen, die darin greifbar werden, in Ägypten in U m l a u f waren. Diese Hypothese k ö n n t e gestärkt werden, w e n n die „ H i m melfahrt Jesajas" sich ebenfalls nach Ägypten lokalisieren ließe, doch stößt ein solches U n t e r f a n g e n auf ähnliche Probleme wie die Lokalisierung des gnostischen Traktats. Angesichts der koptischen u n d äthiopischen Uberlieferung ist denkbar, dass sie in Ägypten bzw. in Alexandria geschrieben w u r de, 375 doch muss man mit einer solchen Hypothese vorsichtig sein, weil wir über die Entstehungsorte u n d Verbreitungswege frühchristlicher Werke zu wenig wissen. 376 A u c h eine Lokalisierung nach Kleinasien aufgrund des j ü dischen Einflusses und der Bedeutung der Prophetie in den dortigen christlichen G e m e i n d e n hat gute G r ü n d e f ü r sich. 377 Strenggenommen wissen wir also nicht, w o diese Schrift entstanden ist, u n d f ü r den Traktat „Vom U r sprung der Welt" gilt dasselbe. Lediglich hypothetisch ließe sich eine ägyptische oder alexandrinische Tradition ansetzen, die dann von der „ H i m m e l fahrt Jesajas" über eine mögliche erste Schicht des Traktats „Vom Ursprung der Welt" u n d möglicherweise Clemens v o n Alexandria zu Orígenes liefe. Aber im Grunde bleiben solche auf regionale Zusammenhänge abzielenden Überlegungen Spekulation. Sicherer kann man sagen, dass hier gemeinsame Vorstellungen greifbar werden — w o h e r auch immer sie jeweils stammen u n d wie auch immer diese Schriften sich zueinander verhalten — und dass die trinitarische Auslegung der Vision Jesajas durch Orígenes in dieses U m feld gehört. Immerhin steht fest, dass Orígenes die „Himmelfahrt Jesajas" kannte, weil er sie im Matthäuskommentar explizit nannte 3 7 8 und öfter verwendete, so auch am Schluss der ersten Jesajahomilie, w o er auf die legendäre Todesart Jesajas zu sprechen kam — er sei mit einer Baumsäge zersägt w o r d e n — und eine Frage diskutierte, die in der „Himmelfahrt Jesajas" eine zentrale Rolle spielt, ob nämlich Jesaja im Unterschied zu Mose Gott gesehen habe. 379 Es könnte kein Zufall sein, dass Orígenes in derselben Predigt, in der er ausführlich seine trinitarische Auslegung der Seraphim in der Vision Jesajas darlegte, auf diese Schrift rekurrierte, auch w e n n dieser R e kurs einen anderen Aspekt der Vision betraf. Z u einer wirklichen Identifizierung des „Hebräers", auf den Orígenes sich dabei berief, verhelfen diese

374 Hinweise dazu bei Bethce, G C S N . F . 8, 2 3 p f . 375 So die Vermutung von Müli.iír, N T A p o II 6 , 548. 376 Siehe dazu meine kritischen Überlegungen in Fürst, Intellektuellen-Religion 7 6 - 8 0 . 8 9 - 1 0 2 , w o zu den dort diskutierten Schriften die Ascendo Isaiac hinzuzufügen ist. 377 SiMONETTi, Note sulla cristologia 204 f. 378 Orígenes, in Matth, comm. X 18 ( G C S Orig. 10, 24). 379 In Is. hom. 1,5 ( G C S Orig. 8, 247). Siehe dazu unten S. 204 Anni. 26.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

91

beiden Schriften damit zwar nicht. D o c h lässt sich v o n ihnen ausgehend doch plausibel machen, dass Origenes auf eine jüdische bzw. judenchristliche Tradition rekurrierte. O b diese zugleich als alexandrinisch qualifiziert werden kann, bleibt aufgrund der Unsicherheiten über den Entstehungsort dieser Texte und aufgrund fehlender Zeugnisse f ü r judenchristliche G e meinden in Alexandria und Ägypten im 2. Jahrhundert allerdings eher fraglich. In diesen Zusammenhang gehört auch eine Notiz in der nur in armenischer Ubersetzung erhaltenen „Darlegung der apostolischen Verkündig u n g " des Irenaus v o n L y o n , dass nämlich „ G o t t v o n seinem Wort verherrlicht wird, das sein ewiger Sohn ist, und v o n dem Heiligen Geist, der die Weisheit des Vaters v o n allem ist; und die Mächte dieser letzteren, des W o r tes und der Weisheit, welche C h e r u b i m und Seraphim heißen, verherrlichen mit immerwahrendem Lobgesang Gott; und alles, was immer es im H i m m e l f ü r Wesen gibt, bringt Ehre Gott, dem Vater v o n allem." 3 8 " So unklärbar w i e die möglichen Abhängigkeitsverhältnisse — Von Philon (s.u.)? 381 Oder v o n der „Himmelfahrt Jesajas"? 3 8 2 - , so unentscheidbar ist auch die Frage, ob Origenes auch v o n Irenäus zu seinen Überlegungen angeregt worden sein könnte. Angesichts der Knappheit der B e m e r k u n g des Irenäus wird man das f ü r eher w e n i g wahrscheinlich halten, so dass dieser Text f ü r diese R e c h e r che nichts erbringt. A u f der Suche nach möglichen Quellgebieten f ü r diese Exegese des Origenes k o m m t man noch weiter zurück, w e n n man in das alexandrinische J u d e n t u m blickt. D e r aufschlussreichste Text hierfür ist nämlich — bei der Frage nach Quellen des Origenes nicht überraschend — bei Philon v o n A l e xandria zu finden.383 In einem armenisch überlieferten Fragment eines verlorenen Traktats mit dem philologisch ungenauen Titel De deo — präzise geht es u m die Gottesbezeichnung „wohltätig verzehrendes F e u e r " —, in dem Philon Gen. 1 8 , 2 auslegte und der ursprünglich vermutlich Teil seines allegorischen Genesiskommentars war, 384 kam er auf die Seraphim in Jes. 6 in Verbindung mit den C h e r u b i m über der Bundeslade in E x . 25 zu sprechen und erläuterte dazu unter anderem Folgendes: „ D e r in der Mitte wird ,Seiender' genannt (Ex. 3 , 1 4 L X X ) ; doch ist dieses ,Seiender' nicht sein eigener und eigentlicher N a m e . D e n n er selbst ist unnennbar und unsagbar, w i e (er) auch unfasslich (ist). (Seinem Da-)Sein entsprechend wird er j e d o c h als ,der Seiende' benannt. Von den beiden Speerträgern aber zu (seinen)

380 Irenäus, epid. 10 (FC 8/1, 39). 381 So Lanne, Cherubim et Seraphim 529-533. 382 So Krütschmar, Trinitätstheologie 97; Daniîi.ou, Trinité et angélologie 3 1 - 3 3 (= ders., Théologie 189-191). 383 Kretschmar, ebd. 82-91. 384 Adi.ür, Fragment (kritisch dazu: Hari., Cosmologie 192); Sii;gi;rt, W U N T 46, 1. 6.

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Einleitung

beiden Seiten ist der eine ,Gott' und der andere ,Herr', dementsprechend dass der eine (Mann) f ü r die schöpferische, der andere f ü r die herrscherliche Fähigkeit Symbol ist. U b e r diese drei Männer (Gen. 18,2) scheint mir jenes Orakel Gottes (im) Gesetz gegeben zu sein: ,Ich will zu dir sprechen von oberhalb des Sühnedeckels, mitten zwischen den beiden Cherubim' (Ex. 25,22). Da nämlich die Kräfte geflügelt sind, thronen sie naturgemäß in einem geflügelten Wagen über der ganzen Welt. D e r Vater selbst aber hängt nicht oberhalb der Kräfte, sondern hat alles an sich hängen; denn Stütze des Bestehens und Säule des Alls ist er allein. Dass er aber ,νοη oberhalb' spricht, der (doch) in der Mitte ist, sagt (die Schrift) deshalb, weil der Seiende durchs Wort das Universum ausgestaltet hat und dieses (seinerseits) durch seine Vorsehung sprechend und vernünftig geworden ist. - In wessen Mitte er aber ist, hat (die Schrift) klargemacht, indem sie sie ,Cherubim' nennt: D a von ist der eine der schöpferischen Kraft geweiht und wird mit R e c h t ,Gott' genannt, während der andere der herrscherlichen und königlichen (Kraft zugehört und) ,Herr' (heißt). Diese Erscheinung erweckte auch den Propheten Jesaja und richtete ihn auf; er empfing nämlich einen Anteil an dem, was oberhalb des Alls das Pneuma der Gottheit ist. Von diesem ausgegossen, gerät der prophetische (Geist) in Verzückung und Taumel. E r spricht nämlich: ,Ich sah den Herrn auf einem hohen Thron sitzen; und das Haus war voll Herrlichkeit, und Seraphim standen rings u m ihn. Sechs Flügel hatte jeder einzelne: Mit zweien bedeckten sie das Angesicht, mit zweien bedeckten sie die Füße, und mit zweien flogen sie' (Jes. 6,1 f.)." 3 8 5 In diesem philosophisch und theologisch dichten Text bietet Philon eine hauptsächlich kosmologisch ausgerichtete Exegese von Jes. 6,1 f., die in seinen sonstigen Werken ohne Parallele ist.386 Die zwei Cherubim auf der Bundeslade in E x . 25 setzte er darin mit den zwei Seraphim in Jes. 6 und diese wiederum mit den zwei (obersten) Kräften Gottes, der schöpferischen und der königlichen bzw. herrscherlichen, gleich. Die R e d e von diesen zwei Kräften Gottes ist ein festes Theologumenon Philons, das in seinen Schriften häufig begegnet, etwa auch in der Auslegung von Gen. 18 im Traktat über Abraham: „Es ist aber — wie einer, der der Wahrheit sehr nahe kommt, sagen könnte — der Vater des Weltalls der mittlere, der in den heiligen Schriften mit seinem eigentlichen N a m e n ,der Seiende' genannt wird, auf beiden Seiten aber sind die höchsten und nächsten Kräfte des Seienden, die schöpferische und die regierende; die schöpferische heißt

385 Philon, De deo 4—6; Übersetzung: Sii;gi;io', ebd. 34f. (mit einem ausführlichen, vorwiegend philologischen Kommentar ebd. 66-95). Mit der an einer griechischen Rückübersetzung (ebd. 23-32) orientierten Wiedergabe (ebd. 33-37) des armenischen Textes (ebd. 1 3 - 2 2 ) ersetzte Siegert seine erste deutsche Ubersetzung und Beurteilung dieses Textstücks in W U N T 20, 84-93. 386 Hari., Cosmologie 1 9 4 - 1 9 7 (bes. ebd. 195 Anm. 1); Sii;gi;io', W U N T 46, 1. 39. 85.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

93

, G o t t ' , d e n n mit dieser hat er das A l l ins D a s e i n gesetzt u n d eingerichtet, die regierende , H e r r ' , denn es ist billig, dass der S c h ö p f e r ü b e r das G e s c h ö p f herrscht u n d regiert." 3 8 7 I m „ L e b e n des M o s e " setzte er die C h e r u b i m in E x . 2 5 w i e i m Traktat De deo mit den b e i d e n „ K r ä f t e n " G o t t e s gleich: „ I c h aber m ö c h t e m e i n e n , dass sinnbildlich die z w e i v o r n e h m s t e n u n d obersten K r ä f t e des S e i e n d e n , die schöpferische u n d die herrschende, dadurch (sc. d u r c h den N a m e n , C h e r u b i m ' ) b e z e i c h n e t w e r d e n . " 3 8 8 Angesichts der b e kannten A b h ä n g i g k e i t des O r i g e n e s v o n P h i l o n liegt die A n n a h m e nicht f e r n , dass er b e i seiner D e u t u n g der S e r a p h i m in J e s . 6,2 f. v o n solchen u n d ähnlichen T e x t e n Philons inspiriert w a r , freilich eher m e t h o d i s c h i m B l i c k auf die s y m b o l i s c h e H e r m e n e u t i k des B i b e l t e x t e s als inhaltlich, d e n n P h i l o n dachte nicht trinitarisch. D i e b e i d e n „ K r ä f t e " Gottes, „des S e i e n d e n " , ließen sich in e i n e m christlichen D e n k r a h m e n allerdings leicht trinitarisch in S o h n u n d H e i l i g e n Geist transponieren. 3 8 9 E i n Indiz d a f ü r k ö n n t e z u d e m sein, dass O r i g e n e s w i e P h i l o n selbstverständlich d a v o n ausging, dass es z w e i S e r a p h i m seien, o b w o h l deren Z a h l i m B i b e l t e x t nicht genannt ist. 3911 I m R e f e r a t der E r k l ä r u n g des „ H e b r ä e r s " i m v i e r t e n B u c h v o n Περι ά ρ χ ω ν ist diese Z a h l b e t o n t (s.o.), in der vierten J e s a j a h o m i l i e schloss O r i g e n e s aus der F o r m u l i e r u n g des Textes in J e s . 6,3: alter ad alterniti (in der lateinischen Fassung), dass „ n i c h t der eine m e h r e r e n , sondern der eine d e m a n d e r e n " zurufe, 3 9 1 o b g l e i c h diese F o r m u l i e r u n g auch innerhalb einer g r ö ß e r e n Schar m ö g l i c h w ä r e . A l l z u aussagekräftig ist diese B e o b a c h t u n g indes nicht, d e n n i m A l t e n O r i e n t w u r d e n diese F l ü g e l w e s e n , w i e nicht zuletzt aus j u d ä i s c h e n Stempelsiegeln h e r v o r g e h t , meistens paarw e i s e dargestellt. 3 9 2 D i e A n n a h m e , die S e r a p h i m in J e s . 6 seien z w e i , lag

387 Philon, Abr. 1 2 1 (IV p. 28 COHN/WENDLAND); Übersetzung: COHN, Philo, Werke I, 121 f. Vgl. ferner zum Beispiel sacr. 59. 60 (I p. 225 f.); quaest. in Gen. IV 2 (p. 270f. MARCUS in englischer Ubersetzung des armenischen Textes) und dazu LANNI;, Cherubim et Seraphim 528. 388 Vit. M o s . II 99 (III 8) (IV p. 2 2 3 f . COHN/WT.NDI.AND); Übersetzung: BAUT, Philo,

Werke I, 320. Vgl. ferner Cherub. 27f. (I p. 176f.); her. 166 (III p. 38); quaest. in Gen. I 57 (p. 35 MARCUS); quaest. in Ex. II 62-68 (p. 1 0 8 - 1 1 8 MARCUS in englischer Übersetzung des armenischen Textes; ebd. 253—256 das griechische Fragment dazu) und dazu die weiteren Hinweise bei HARL, Cosmologie 192 f. 200f.; Siegert, W U N T

46,

73.

389 BARHIÌL, Christos Angelos 273 (siehe auch ders., Engel-Trinitätslehre 57); DANIÍI.OÜ, Trinité et angelologie 2 9 - 3 1 (= ders., Theologie i88f.). Zu den Differenzen zwischen Philon und der christlichen Theologie in diesem Punkt: Sic ι< 1. ebd. 62f.; ebd. 73-78 (auch: ebd. 94) werden die Unterschiede jedoch zu wenig beachtet. 390 Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244). 391 Ebd. 4,1 (8, 258). Die Vermutung von MICHL, Duo Seraphim 443, Origenes habe einen Bibeltext gelesen, in dem von zwei Seraphim die Rede war, wird durch diese Erklärung des Origenes gegenstandslos. 392 B I , U K I : N , Jesaja 1 - 1 2 , 1 6 9 - 1 7 1 mit Abbildungen.

Einleitung

94

daher wohl nahe, zumal wenn man die Seraphim mit den zwei Cherubim rechts und links neben der Bundeslade im salomonischen Tempel (Ex. 25; 1 Kön. 6) in Verbindung brachte. Schon Clemens von Alexandria vermischte die Seraphim dadurch mit den Cherubim, dass er jedem sechs Flügel zusprach — eine Ausstattung, die im Bibeltext nicht ihnen, sondern den Seraphim zukommt. 393 In der späteren christlichen Tradition begegnet diese Zahlenangabe noch vereinzelt, 394 doch überwog die insbesondere von E u sebius und, wohl von diesem abhängig, von Hieronymus kritisch gegen Orígenes vorgebrachte Annahme, da die Seraphim „rings u m " Gott „heru m " standen, könne es sich nicht nur um zwei gehandelt haben. 395 Möglicherweise kommt man traditionsgeschichtlich sogar noch ein Stück hinter Philon zurück. Eine analoge Vorstellung gab es vielleicht im palästinischen Frühjudentum, so dass Philon von daher beeinflusst sein könnte. Die Belegstellen hierfür sind allerdings nicht sonderlich beweiskräftig. 396 Aufschlussreicher ist demgegenüber der von Orígenes zitierte Septuagintatext von Hab. 3,2. 397 Der hebräische Satz hat einen zeitlichen Sinn: „In den nahenden Jahren", 3 9 8 das heißt „bald" solle die Offenbarung, die der Prophet Habakuk nach Hab. 2,2 f. erhalten hat, verwirklicht w e r den. 399 Durch verschiedene Punktion des Konsonantenbestandes von Hab. 3,2 kamen in der Septuaginta zwei verschiedene Ubersetzungen zustande, deren zweite gedoppelt wurde: zunächst eine örtliche Wiedergabe des A t tributivsatzes: „Inmitten zweier Lebewesen wirst D u erkannt werden" (áv μεσω δύο ζώων γνωσθήση), dann eine dem Hebräischen entsprechende zeitliche: „Wenn die Jahre nahen, wirst D u erkannt werden" (áv τ ω έγγίζειν τα ¡ τ η ετπγνωσθήστι), die gemäß dem Parallelismus im Hebräischen noch einmal übersetzt wird: „Wenn die Zeit da ist, wirst D u gezeigt werden" (εν τ ω τταρεϊναι τον καιρόν άναδειχθήστ]). 4 "" Die Quelle für den in der Septuaginta dadurch entstehenden Zusatz zum hebräischen Text in Hab. 3,2

393 Clemens von Alexandria, ström. V 35,6f. ( G C S Clem. 2, 350). Vgl. MICHI., DUO Seraphim 443 f. mit Belegen für die Konfusion von Cherubim und Seraphim in späteren Texten, ebd. Anni. 1 5 . 394 KRI.TSCHMAR, Trinitätstheologie 7 8 - 8 2 , der die Belege allerdings überbewertet. 395 MICHL, D u o Seraphim 444-446. Vgl. Eusebius, dem. ev. VII 1,9 ( G C S Eus. 6, 299); in Is. 41 (GCS Eus. 9, 38), und dazu HOLLERICH, Origen's Exegetical Heritage 544; ders., Eusebius 52; Hieronymus, in Es. III 7 ( V L . A G L B 23, 318). 396 KRETSCHMAR, Trinitätstheologie 9 4 - 1 2 1 , der selbst auf die mangelnde Deutlichkeit hinwies (ebd. 1 1 0 ) . 397

KRLTSCHMAR, ebd. 91 f.

398 So die Ü b e r s e t z u n g v o n BUBER/ROSENZWEIC (III p. 702).

399 Siehe DI.ISSI.LR, Z w ö l f Propheten II, 231 Anm. zu Hab. 3 , 1 - 1 9 ; SÜYHOI.D, Z B K . A T 24/2, 76. 400 Hab. 3,2 L X X (II p. 535 RAHLLS); Ubersetzung und philologische Erläuterungen: ZII'.GI.LR, Ochs und Esel 389 f.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

dürfte in Ex. 25,21 f. zu finden sein, w o es heißt, Deckplatte (ΐλαστήριον) oben auf der Bundeslade zu Septuaginta steht hier dasselbe Verbum wie in Hab. zwei Cherubim" reden werde. A n diese Stichwörter von Hab. 3,2 wohl an und gab den Text in den wieder, nach denen er vokalisiert werden kann.

95

dass Gott sich auf der erkennen geben (in der 3,2) und „inmitten der knüpfte der Ubersetzer beiden Möglichkeiten

Origenes hat diesen philologischen Zusammenhang richtig gesehen und bei der Auslegung des Begriffs ϊλαστήριον in R o m . 3,25 gemäß der lateinischen Version R u f i n s folgendermaßen dargelegt: Das ϊλαστήριον sei die Seele Jesu, in welcher Gottes Wort (sein einziger Sohn) und der Heilige Geist wohnen, was durch die zwei Cherubim in E x . 25,18 f. angezeigt w e r de; Ex. 25,21 f. erläuterte er sodann unter Hinweis auf Hab. 3,2 L X X , was bedeutet, dass er die „zwei Lebewesen", von denen da die R e d e ist, als Christus und Heiligen Geist auffasste. 401 Der griechische Text dieser Passage hat sich in dem Papyrus mit Origenestexten erhalten, der 1941 in Tura gefunden wurde: „Wer könnte die Lade unter der Sühneplatte und den Cherubim anderes sein als, wie ich meine, die heiligen und seligen Kräfte, die in der Lage sind, die Gottheit des einzigen Sohnes und des Heiligen Geistes zu tragen, die Körpern einwohnenden [...] und der Seele Jesu, die beide Cherubim trägt, weil sie die Sühneplatte ist und bildlich gesprochen oben auf der Lade ist? * * * U m zu bezeugen, dass das göttliche Wort inmitten der zwei Cherubim erkannt wird, kann man ein Wort aus Habakuk aufnehmen (es folgt ein Zitat von Hab. 3,2 LXX)." 4 " 2 Der Inhalt ist, bei Varianten in Details, die möglicherweise auf das Konto des R u f m u s gehen, prinzipiell identisch, doch hat der griechische Exzerptor den Text des Origenes gekürzt, so dass die lateinische Ubersetzung hier vollständiger ist.4"3 Von der Vision Jesajas und den Seraphim ist hier nicht die R e d e , wohl aber kombinierte Origenes Hab. 3,2 L X X damit im oben zitierten Text aus dem ersten B u c h von Περί άρχων, 4 " 4 und bei der Auslegung von Ps. 67(68),11 deutete er die „Lebewesen", die „in Dir wohnen", auf die Cherubim und Seraphim und berief sich dafür auf die Habakukstelle. 403 Die Kombination

401 Orígenes, in R o m . comm.

III

5(8)

(I

p. 240. 242

HAMMOND BAMMIÍI).

Siehe dazu

ZIEGLER, ebd. 396; LANNE, C h e r u b i m et S e r a p h i m 5 2 7 ; KRETSCHMAR,

Trinitäts-

theologie 84 f. 402 In R o m . comm. V frg. 5 zu R o m . 3,25F. (P. 158—160 SCHI'.RLR); Ubersetzung nach HEITHER, F C

2/6,

100.

403 SCHIIRHR, Commentaire 16. 96; DANILI.OU, Trinité et angélologie 28f. (= ders., Théologie 187 F.). 404 Siehe oben S. 75 Anni. 308. 405 Origenes, sei. in Ps. 67,11 (PG 12, 1508). Vgl. ZII.GI.LR, Ochs und Esel 396. Diese Stelle, femer Cels. VI 18 ( G C S Orig. 2, 89); in Luc. hom. 3,2 ( G C S Orig. ty, 20), widerlegt die Behauptung von LANNE, Cherubim et Seraphim 527f., Origenes habe Cherubim und Seraphim nie zusammen erwähnt.

96

Einleitung

der Cherubim in E x . 25,21 f. mit Hab. 3,2 L X X war also schon in der Septuaginta gegeben, die Verbindung zwischen den Cherubim und den Seraphim in Jes. 6 hat Philon hergestellt (s.o.). Bei seiner Auslegung der Vision in Jes. 6,1—7 rekurrierte Orígenes offensichtlich auf dieses Netz von biblischen Texten und ihrer Auslegung bei Philon und interpretierte sie trinitarisch. Als Ergebnis dieser Recherchen lässt sich festhalten: Jes. 6,1—7 schildert eine Theophanie. Für den christlichen Theologen Orígenes konnte der Gott, der da erscheint, nur der trinitarische Gott sein. Bei seiner trinitarischen Auslegung dieser Vision und speziell der Seraphim als Sohn und Geist war er, so der wahrscheinlichste Schluss aus den vorgeführten Quellen, nicht monokausal von einer bestimmten Quelle abhängig, sondern verknüpfte verschiedene Uberlieferungen zu einem eigenständigen Konglomerat. Anhaltspunkte für die Kombinierung einiger Bibelstellen, die er dabei vornahm, lieferte bereits der ihm vorliegende griechische Bibeltext. Weitere Kombinationen und inhaltliche Ideen entnahm er den Schriften Philons und möglicherweise auch der „Himmelfahrt Jesajas", in der Jesaja ebenfalls, und sogar sehr ausführlich, von einer Vision Gottes berichtet. Die exakte Herkunft der spezifischen Deutung der Seraphim in Jes. 6 auf den Sohn Gottes und den Heiligen Geist bleibt zwar im Dunkeln, weil sich der Hinweis des Orígenes auf den „Hebräer" nicht weiter aufhellen lässt als bis zu der Aussage, dass dahinter eine judenchristliche Tradition steht. Im Blick auf die Septuaginta, im Blick auf Philon, eventuell im Blick auf die „ H i m melfahrt Jesajas" und den gnostischen Traktat „Vom Ursprung der Welt" und sicher im Blick auf einige Bemerkungen bei Clemens von Alexandria lässt sich freilich sagen, dass die trinitarische Auslegung der Vision Jesajas durch Orígenes hinsichtlich der Elemente, aus denen sie geschmiedet ist, der alexandrinischen Tradition im weiteren Sinne entstammen dürfte. Im R a h m e n dieser Zusammenhänge spielt ein weiterer, bislang nicht beachteter Aspekt eine Rolle, der solche Exegesen stark geprägt hat: die antike Philosophie, 406 in diesem Fall vor allem der sog. Mittelplatonismus, der in Alexandria zur Zeit Philons entstand und die folgenden zwei bis drei Jahrhunderte der Philosophiegeschichte maßgeblich bestimmte. 407 Der K o n nex zwischen Philon und Orígenes, der in ihren Auslegungen der Vision Jesajas sichtbar wird, beruhte wesentlich darauf, dass beide einer gemeinsamen philosophischen Welt angehörten, die gerade in Alexandria tiefgehend und nachhaltig auf das religiöse Denken einwirkte (und umgekehrt: Die

406 KRI;TSCHMAR, Trinitätstheologie 71, erwähnte diese, ging aber nicht darauf ein. ZIEBRITZKI, Heiliger Geist 1 1 - 1 3 , monierte dies zu Recht als entscheidenden Mangel der Studie Kretschmars. 407 Siehe dazu DÖRRII,, Eudoros von Alexandreia; DII.I.ON, The Middle Platonists 1 I4F.

II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien

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Religionen beeinflussten das philosophische Denken). U m die Überlegungen, die Origenes zur Vision Jesajas anstellte, nicht nur hinsichtlich ihrer traditionsgeschichtlichen Herkunft und ihrer Verortung im Tableau frühchristlichen Gottesdenkens, sondern hinsichtlich ihres theologischen Gehalts zu verstehen, ist deren philosophisches Substrat zu beachten. Wie stark dieses in seinen Jesajahomilien zum Zuge kam, soll im folgenden Kapitel aufgezeigt werden.

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III. Die Theologie der Jesajahomilien ι . Theologie des christlichen Lebens - Die Jesajadeutung des Orígenes Die erhaltenen neun Jesaj apredigten des Orígenes erwecken im Ganzen zwar mehr den Eindruck einer lose zusammengestellten Auswahl, die in ihrer jetzigen Gestalt zudem nicht auf Orígenes selbst, sondern auf den Ubersetzer Hieronymus zurückgehen dürfte. Sie weisen gleichwohl eine R e i h e theologischer Grundgedanken auf, die der Sammlung eine einheitliche Form geben: Durchweg aus der Perspektive eines bewussten christlichen Lebens vorgetragen, entfalten die Homilien mit ihren gehaltvollen Ausführungen zur Gottesvision des Propheten, zu seinem vorbildlichen Leben und zu einzelnen Motiven seiner Scheit- und Drohpredigt im perspektivenreichen Umriss jene für Orígenes insgesamt charakteristische Lheologie des christlichen Lebens, „die dem einzelnen Christen wie der Kirche als Ganzer Orientierung über ihren ,Ort' in der Welt und Wegweisung für das Handeln gibt." 408 Entsprechend spannt sich der thematische Bogen des kurzen Homilienwerkes von der existentiellen Entscheidung des Einzelnen für oder gegen Christus und deren Grund im wachsenden Bewusstsein seiner Gegenwart in der Seele auf der einen bis zu einer von Gott und seiner Kirche mehr und mehr durchwalteten Gesamtwirklichkeit auf der anderen Seite; in einer kurz gefassten Metaphysik der Welt und ihrer Geschichte bildet diese den Hintergrund der v o m Hörer eingeforderten sittlichen A n strengung. Im Mittelpunkt der Sammlung steht die von Orígenes trinitätstheologisch ausgelegte Gottesschau Jesaj as (Jes. 6,1—7). Ihrer spekulativen Deutung sind mit den Stücken I, IV und V nicht weniger als drei der neun überlieferten Homilien gewidmet. Unter Hervorhebung des besonderen Ranges dieser Gottesvision — Jesaja sieht Gott in seinem himmlischen Lhronsaal, also in seiner Eigenschaft als Herrscher, nicht etwa als Richter — identifiziert

408 So die treffende Charakterisierung der gesamten Theologie des Orígenes bei SCHOCKIINHOI-F, Fest der Freiheit 17. Schockenhoffs Synthese von philosophisch-systematischer und geistig-spiritueller Deutung des Orígenes, wie sie in der zitierten Formulierung programmatisch zum Ausdruck kommt, ist auch für die folgende Interpretation der Jesajapredigten leitend. Ausgangs- und Zielpunkt der origeneischen Theologie sind demnach der Mensch und sein Leben. Vgl. zu der Inhaltsangabe der einzelnen Predigten auch die kurze Ubersicht bei GUINOT, L'héritage 379f.

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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Orígenes die beiden Seraphim zu seiner Rechten und Linken, die sein A n gesicht und seine Füße mit zweien ihrer Flügel verhüllen, mit dem Sohn und mit dem Heiligen Geist. Sie verbergen den Anfang und das Ende G o t tes, des Vaters, so dass lediglich seine Mitte Gegenstand einer möglichen Erkenntnis seitens des Menschen ist. Diese „Mitte Gottes" deutet Orígenes in den genannten Predigten einmal als Schöpfungswirklichkeit, von der sich auf Gott schließen lasse, dann, präzisierend, als Gottes Wirken, dessen U r sprung und Ende dem Menschen gleichermaßen verborgen blieben. Zusammen mit der biblischen Beschreibung des mit R a u c h erfüllten Tempels und im Rekurs auf die Vaterunserbitten um das K o m m e n des Reiches und die Erfüllung des göttlichen Willens erscheint das dreifache „Sanctus" der Seraphim und ihr Lobpreis der weltumspannenden Herrlichkeit Gottes sodann als prophetische Ankündigung der Ankunft Christi, mit der er sich die ganze Welt Untertan und zu einer Stätte der göttlichen Herrlichkeit mache. In einem erratisch anmutenden, aber thematisch verwandten Passus zu Beginn der fünften Homilie identifiziert Orígenes Christus zudem mit der in Jes. 41,2 genannten Gerechtigkeit, die zum Heil der Welt auf Gottes R u f hin Mensch werde. Den Schemel für Gottes Füße, von dem bei Jesaja und im Psalter die R e d e ist, deutet er darüber hinaus als den vergöttlichten Körper Jesu. Diese Ankunft und Menschwerdung Christi, so der damit verbundene Appell des Predigers, soll nun auch der Einzelne selbst in der eigenen Seele stattfinden lassen und so ebenfalls an der göttlichen Herrlichkeit teilhaben, wie sie in Gestalt der christlichen Kirchen überall auf Erden augenfällig zutage trete. Dazu sei es notwendig, das gesamte Leben an der Herrlichkeit Gottes auszurichten und diese in all seinen Vollzügen sichtbar werden zu lassen. Dementsprechend sind Ausführungen ethisch-paränetischen Inhalts nicht weniger ausführlich als die spekulativ-metaphysische Auslegung der Vision selbst. Sie nehmen ihren Ausgang bei der Person des Propheten Jesaja vor und nach der Schau: Der Tod Usijas, der v o m Hagiographen nicht ohne Grund angegebene Zeitpunkt der Gottesschau, stehe für die Uberwindung eines frevlerischen, gottfernen Lebens, wie es der israelitische König und der Pharao des Exodusbuches verkörperten. Zusammen mit der zeitgleichen Erhebung des Logos zum Prinzip des Lebens der Seele sei der Tod dieses inneren Widersachers damals wie heute unerlässliche Bedingung für die Gottesschau. Die Selbstanklage Jesajas, nachdem ihm der Christus-Seraph mit glühender Kohle die Lippen, sein Denken und Trachten, gereinigt und ihn von seinen Sünden befreit hat, deutet Orígenes als notwendige Z e r knirschung, die für die Befreiung von der Sünde essentiell sei. In der f ü n f ten Homilie parallelisiert er die Sündenreinigung durch die v o m Altar Gottes genommene Kohle außerdem mit jener durch die Fußwaschung beim letzten Abendmahl Jesu und seiner Jünger.

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Einleitung

Die zweite Homilie behandelt das von Orígenes mit Christus identifizierte Zeichen, das König Ahas, ein Sinnbild für Israel, entgegen der A u f forderung Gottes für sich zu erbitten ablehnt. Im Zuge einer doppelten christologischen Lesart der biblischen Vorlage ruft Orígenes den Hörer abermals dazu auf, dem Gotteswort, das Himmel und Erde erfülle, endlich auch Einlass in die eigene Seele zu gewähren. Unter Hinzuziehung einer Stelle aus den Sprichwörtern, die den Leser dazu ermuntert, süßen Honig zu essen, erläutert Orígenes die im Bibeltext genannte Nahrung des Christus, Butter und Honig, als Wort der Schrift, von dem sich die Seele entsprechend der Aufforderung des Heiligen Geistes ernähren solle. Prinzip der v o m Geist verfassten Schrift sei Christus selbst, die höchste der Honig spendenden Bienen. Die Predigt schließt mit dem von Orígenes breit entfalteten Bild einer im Innern der Seele stattfindenden Mahlgemeinschaft von Wort und Mensch, in der beide einander als Nahrung dienen: Der Logos speise die Seele mit sich und seinem göttlichen Wissen, die Seele ihn mit ihren guten Gedanken und Taten. Die dritte Homilie des Corpus stellt einen kurzen, von längeren christologischen Ausführungen unterbrochenen pneumatologischen Traktat dar. Die sieben Frauen, die sich nach Jes. 4,1 mit einem einzigen Mann verbinden wollen, identifiziert der Prediger mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes, der bei der Taufe auf Jesus herabsteige und dauerhaft auf ihm ruhe. Die siebenfältige geistige Wirklichkeit des Pneumas sieht er in einem kosmischen R i n g e n mit ihren weltlichen Pendants begriffen, die sich zu U n recht seine Namen angeeignet hätten und die die Menschen nun zu verführen suchten. Anhand dreier Christusbezeichnungen erläutert Orígenes in diesem Zusammenhang auch dessen Heilswirken: Aus der „Wurzel" der einen Natur entsprungen, erscheine Christus dem einen als strafende „ R u te", dem anderen, bereits weiter Fortgeschrittenen als anmutige „Blüte". Mit der Dauerhaftigkeit, die er durch den im Taufbericht verwendeten Begriff des Ruhens ausgedrückt findet, benennt Orígenes sodann das Spezifikum von Jesu Geistbesitz: Während seine Sündenlosigkeit den Geist beständig auf ihm ruhen lasse, verliere der niemals sündenfreie Mensch diesen wieder, wenn immer er ein Unrecht begehe. Die Homilie schließt mit einigen kürzeren Überlegungen zum Verhältnis des Geistes und des Sohnes zum Vater, der zugleich ihre Speise und die des ganzen Heilswerkes sei, sowie einem leidenschaftlichen Ausruf, in dem der Prediger die Einheit des Gläubigen mit Christus und die von ihm vermittelte Gemeinschaft mit dem Geist beschwört. Ein weiteres thematisches Ganzes bildet die Auslegung der in Jes. 6 , 8 - 1 0 dargestellten Sendung des Propheten, dem Gegenstand der umfangreichen sechsten und der nur fragmentarisch erhaltenen neunten Predigt. 409 409 Zur Diskussion über die Echtheit der neunten Homilie siehe oben S. 23—27.

III. D i e Theologie der Jesajahomilien

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In einem einleitenden Vergleich zu Anfang der sechsten Homilie gibt der Prediger der Reaktion des Mose, der dem Befehl Gottes im Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit zunächst nur mit Widerwillen gefolgt sei, den Vorzug vor dem Leichtsinn, mit dem sich Jesaja ohne Kenntnis dessen, was er auf göttliches Geheiß würde verkünden müssen, Gott zur Verfügung gestellt habe: Auch heute tue man gut daran, sich wie Jesus und seine Apostel in Demut zu üben und nicht in Verkennung der eigenen Fähigkeiten leitende kirchliche Positionen anzustreben. Mit einer Gegenüberstellung der Sündenvergebung, die Jesaja durch den Seraphen zuteil wird und die Orígenes als möglichen Grund für seinen Ubereifer anführt, und der Schuld des Mose am Tod eines Ägypters schließt Orígenes den Vergleich ab. Unter Beibringung reichen exegetischen Vergleichsmaterials erläutert er im Weiteren dann die Verstockung Israels, das zentrale Thema der prophetischen Predigt Jesajas: Auf der Grundlage einer Unterscheidung von sinnlichem und geistigem Hören und Sehen deutet er das „verfettete Herz" der Israeliten als Vereinnahmung ihrer Seele durch irdische Dinge, durch die diese zusehends schwerfällig und behäbig und damit für die geistige Wahrheit Christi und der Schrift unempfänglich geworden sei. In einem dem neutestamentlichen Bericht von der Fußwaschung der Jünger durch Jesus gewidmeten Exkurs erläutert Orígenes die Unterscheidung von körperlichem und intellektuellem Sinn weiter: O b w o h l das Geschehen für alle anwesenden Apostel im körperlichen Sinn sichtbar gewesen sei, sei dessen eigentliche, tiefere Bedeutung, nämlich die von Jesus vollzogene Reinigung der Seele v o m Staub dieser Welt und ihr Aufstieg zu ihm, dem geistigen Weg, nur von wenigen unter ihnen wirklich „gesehen", d.h. begriffen worden. Entsprechend seien es auch die Füße der Seele und nicht die des Körpers, die der Seelsorger heute in der Nachfolge Christi mit geistigem Wasser reinigen müsse. W i e die Schrift insgesamt seien die Taten Jesu allesamt Bilder und Gleichnisse, die uns, geistig verstanden, zur Kirche führen wollten. Mit den zahlreichen Konversionen von Heiden und Sündern vollbringe diese, so schließt Orígenes die umfangreiche exegetische Digression ab, Wunder, die Jesu Heilungen körperlicher Gebrechen sogar noch überträfen. Z u m eigentlichen Thema, der Verstockung Israels, zurückgekehrt, erklärt der Prediger die geistige Schwerfälligkeit der von Gott und seinem Propheten getadelten Israeliten weiter: Wie die Ägypter, die infolge ihrer schweren Sündenlast im Meer irdischer Verstrickung untergegangen seien, so habe auch Israel die Schwingen des Geistes verloren und aus freien Stücken einen Lebenswandel gewählt, der es Christus und die wahre Bedeutung der Schrift nicht habe hören und sehen lassen. Dieses Thema greift er in der neunten Homilie noch einmal auf und erweitert es zudem u m die infolge der Verstockung ebenfalls verschleierte Welterkenntnis: Der Kosmos werde zwar von allen Lebewesen, gleich ob Tier oder Mensch, wahrgenommen. Seine tieferen Gründe aber blieben einem „verfetteten Herzen"

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verborgen. Es sei daher unerlässlich, so die Zusammenfassung in Form eines Aufrufs an die Gemeinde, allen Ballast irdischer Sorge von sich abzuwerfen. Die Homilien VII und VIII greifen einzelne Motive der prophetischen Drohpredigt auf und transponieren sie in ethischer Deutung in die unmittelbare Gegenwart des einzelnen Gläubigen und der Kirche. In der ersten der genannten Predigten wendet Orígenes den Gedanken der Kindschaft, mit dem der Prophet sein Verhältnis zu seinen Anhängern beschreibt, ins Christologische. Unter Hinzuziehung einer ähnlich lautenden Stelle aus dem Hebräerbrief führt er seinen Hörern zunächst den Abstieg des Logos vor Augen, der für das Heil des Menschen eine ihm fremde körperliche Natur angenommen habe. Sein gesamtes Heilswerk versteht Orígenes dabei als pädagogische Bemühung um eine im Ganzen nur aus mehr oder weniger begabten Kindern bestehende Menschheit. Im Weiteren deutet er die Wunder und Zeichen, die Gott nach Jes. 8,19 v o m Zion aus wirkt, als den christlichen Dienst der von ihm berufenen Seelen. Die „Wahrsager", wörtlich: „Bauchredner" (ventriloqui) des darauf folgenden Verses, die aufzusuchen und zu befragen dem Volk strikt verboten wird, erscheinen als D ä monen, die Christus zu überwinden suche. Bei ihnen handelt es sich nach Orígenes um Menschen, denen ein voller Magen und die Befriedigung irdischer Bedürfnisse und Ambitionen alles gälten. Eine Unterscheidung von körperlichem und geistigem Magen, die den bald pejorativen, bald positiven Gebrauch des Wortes erklären soll, und die Verdammung der Wahrsager, die nicht an Christus, dem wahren Leben, teilhätten, schließt die ethische D ä monologie ab. Die Predigt selbst endet mit einem hymnischen Preis der Schrift, der sich nichts Vergleichbares an die Seite stellen lasse. Z u Beginn der achten Predigt deutet Orígenes die prophetische Idolatriekritik als Abfall von Gott in der mit dem Dienst an selbst verfertigten Götzen gleichgesetzten Sünde: Götzendienst geschehe im Innern der Seele, in dem der Mensch einem irdischen Gut wie einem Götzen die eigentlich allein Gott zustehende Ehre gebe. In einem zweiten Teil identifiziert Orígenes den hochmütigen Assyrerkönig mit dem Teufel, der auch jetzt der Kirche in Gestalt mannigfacher Versuchungen, falscher Lehren und inneren Zwistes zusetze. Die wenigen erhaltenen Fragmente des ursprünglich wohl 30 Bücher zählenden Jesajakommentars des Orígenes komplettieren teils das Bild, das die Homilien bieten, teils führen sie thematisch weit darüber hinaus. In einem wichtigen ersten Fragment verwendet Orígenes den Plural von „ G o t t " , „Geist" und „Christus", um das auch für die Theologie der H o milien zentrale Thema der Logosinwendigkeit terminologisch zu fassen: Die drei trinitarischen Personen teilten sich ihrem Geschöpf mit, das fortan selbst „ G o t t " , „Geist" oder „Christus" heißen dürfe. Orígenes entfaltet hier auf mehr theoretische Weise, was er in den letzten Sätzen der dritten Homilie in Form eines begeisterten Ausrufs zum Ausdruck bringt: die Einheit von Gott

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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und fortgeschrittener Seele. Das zweite und dritte Kommentarfragment sind der Frage der leiblichen Auferstehung gewidmet, die Orígenes als Angleichung des irdischen Leibes an den verklärten Leib Christi versteht. Dabei legt er großen Wert darauf, dass der menschliche Körper, nicht aber die Seele in „Verweslichkeit", wie es bei Paulus heißt, „gesät" worden sei. Z u dem unterscheidet Orígenes zweierlei Formen der Auferstehung, die des Gerechten und die des Frevlers. Kriterium für die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Gruppe ist die Teilhabe an dem auch in den H o milien in schillernden Farben ausgemalten R i n g e n zwischen Gott und Satan. Schließlich analysiert Orígenes den biblischen Gebrauch des Wortes „Grab", das allgemein für die letzte Ruhestätte eines Körpers stehe. Während das vierte Fragment den intendierten theologischen Gehalt nicht mehr erkennen lässt, ergänzt das fünfte die ebenfalls nur bruchstückhafte Auslegung des in Jes. 66,1 genannten „Schemels" für die „Füße Gottes". Demnach ist der Himmel Gottes Thron und die Welt als Gesamtheit der Vernunftwesen sein Schemel.

2. Nachfolge und Teilhabe: Jesaja als Vorbild christlicher Vollkommenheit a) Piatonismus im Christentum: Die Gottesschau und die Immanenz des Logos im Gläubigen „Ja, lasst uns, damit auch wir die Vision haben, die Jesaja hatte", so spornt der Prediger seine Gemeinde an, „Jesus anrufen, der denen, die nicht sahen, Augen gegeben hat." 410 Der eindringliche Appell fasst den Grundgedanken des in den Jesajahomilien skizzierten Ideals christlicher Vollkommenheit 411

410 Orígenes, in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 264). 411 Die folgenden Ausführungen lehnen sich nicht nur in der Terminologie an das wichtige Werk von VÖLKER, Vollkommenheitsideal, an, das man zu Recht als „Einschnitt in der Forschungsgeschichte" (so BI':RN];R, Orígenes 70) bezeichnet hat. In Völkers wegweisendem Werk wird Orígenes erstmalig weniger als philosophischer Systematiker und Wegbereiter des christlichen Dogmas denn als Meister christlichen Lebens gewürdigt (siehe auch das kurze Origenes-Kapitel bei VII.I.IÍU/RAHNIÍU, ASzese und Mystik 1 8 8 - 1 9 5 , das faktisch eine kurze, zustimmende Zusammenfassung von Völkers Studie darstellt). Nicht weniger bedeutsam als die noch immer grundlegenden und lesenswerten, wenn auch in vielerlei Hinsicht korrekturbedürftigen Ausführungen Völkers ist die Reaktion, die das Buch insbesondere von Seiten katholischer Patristiker und Theologen hervorgerufen hat. Die Kritik an der nur unzureichenden Berücksichtigung der ontologischen Dimension der origeneischen Ethik (siehe die Rezension von H. RAHNER, in: Z A M 7 (1932) 1 8 3 - 1 8 5 , und ders., Menschenbild, sowie insbesondere LIÜSKI;, Logosmystik, passim und bes. 8—1 3) hat

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prägnant zusammen: Ziel christlichen Lebens, zu dem die konsequent mystagogisch ausgerichteten Homilien Anleitung geben wollen, ist die Gottesschau, der Weg dorthin das Gotteswort, mit dessen erbetenem K o m m e n hier wie auch an anderer Stelle in den Predigten nicht dessen geschichtlich einmalige Gegenwart in Jesus von Nazaret, sondern seine geistige Ankunft im Innern der Seele gemeint ist. Durch Christi innere Gegenwart ihm gleich gestaltet und von ihrer (geistigen) Blindheit geheilt, schaut die Seele in ihm den trinitarischen Gott. 412 Keine bloß intellektuelle Kategorie, bezeichnet die Schau, 413 wie sie Jesaja zuteil wird, eine reale Vereinigung mit Gott, 414 in der dieser sich der Seele mitteilt und sie an seinem Wesen teilhaben lässt.413 Von der göttlichen Natur erfüllt und durchdrungen, wird der Mensch in der Schau selbst mehr und mehr vergöttlicht. 416 Da jedes Erkennen andererseits eine bereits bestehende Verwandtschaft zwischen Erkennendem und Erkanntem voraussetzt, muss der Vision ihrerseits eine Angleichung des Menschen an Gott vorausgehen, 417 die Orígenes in Übereinstimmung mit der platonischen Philosophie seiner Zeit als das „höchste Gut, zu dem die Vernunftnatur insgesamt strebt", 418 bezeichnet. 419 Diese „Angleichung an Gott" ist, wie der

zu weiteren inhaltlich ähnlichen Studien Anlass geben, die diesem Mangel abgeholfen haben. Die umfassendste Darstellung bietet noch immer das Werk v o n CROU/H,, Théologie de l'image, überblickartig zusammengefasst in ders., Origène 1 3 0 - 1 3 7 , und in seinen Aufsätzen zur Anthropologie und Spiritualität. 4 1 2 In loh. c o m m . II 57 ( G C S Orig. 4, 61) spricht Orígenes ausdrücklich v o n den „ A u g e n des Wortes, mit denen es selbst und jeder, der an ihm teilhat, sieht". 4 1 3 Eine alternative Bezeichnung, die den engen Zusammenhang mit dem antiken E u dämonismus und seiner Frage nach einem gelingenden Leben deutlich macht, ist die der Schau eines „heiligen und seligen Lebens"; princ. I 3,8 ( G C S Orig. 5, 62): „Wenn uns dann durch alle Stufen der Vervollkommnung hindurch das beständige W i r k e n des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes immer wieder zuteil gew o r d e n ist, können w i r endlich mit M ü h e - w e n n überhaupt j e - ein heiliges und seliges Leben erschauen"; Ubersetzung: p. 183 GÖRGÜMANNS/KARIM». 4 1 4 Vgl. CROUZEL, Origène 1 6 2 : „ L a connaissance mène à l'union et mieux, est l'union. E t par là la connaissance est l'amour." 4 1 5 Vgl. ders., Connaissance mystique 5 0 8 - 5 1 3 . 4 1 6 Vgl. VÖLKER, Vollkommenheitsideal 1 1 7 - 1 4 4 , bes. 1 2 1 - 1 3 2 . Z u r Widerlegung der These Völkers, es handle sich hierbei u m eine Vorwegnähme der visio béatifiai und eine Schau ohne Vermittlung des Logos, siehe unten S. 1 3 2 - 1 4 0 . 4 1 7 Vgl. princ. I 1 , 7 ( G C S Orig. 5, 24). 4 1 8 Ebd. III 6,1 (5, 280); Übersetzung nach p. 643 GÖRGEMANNS/KARPP. 4 1 9 In diesem Zusammenhang zitiert Orígenes auch die berühmte Stelle aus Piaton, Theait. 1 7 6 b i f . , die ihm allerdings, ein apologetischer Topos, als biblischen U r sprungs gilt. In Is. hom. y ( G C S Orig. 8, 289) benutzt Orígenes zudem das platonische M o t i v der „ F l u c h t " des Philosophen. D i e Formel selbst ist im ersten vorchristlichen Jahrhundert von Eudoros von Alexandria (vgl. frg. 25 MAZZARELLI), dem Begründer des mitderen Piatonismus, anstelle des stoischen secundum natumm

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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einleitend zitierte Jesusanruf deutlich macht, für Orígenes untrennbar mit der Person Jesu Christi verbunden. Seine Ankunft und Herrschaft im M e n schen, seine Immanenz in der Seele ist das Leitmotiv, mit dem Orígenes seinen Hörern immer wieder die Notwendigkeit einer inneren Verwandlung einschärft. Gegenüber diesem alles beherrschenden Grundthema seiner Vollkommenheitsdoktrin erscheint alles andere als sekundär oder als bloßer Hintergrund der individuellen sittlichen und geistigen Anstrengung. So gilt dem Prediger das Wissen darum, dass Christus die Wirklichkeit gleichermaßen „in der Tiefe und in der Höhe" erfüllt, 42 " als ganz und gar nutzlos, solange dieser Allgegenwart nicht auch eine Ankunft des Logos „in der Tiefe und in der Höhe" der eigenen Seele entspreche. Ebenso hätte Christi Menschwerdung, immerhin der von den beiden Seraphim angekündigte Höhepunkt der Heilsgeschichte, mit dem die Herrlichkeit Gottes auf Erden anbricht, ihren Zweck verfehlt, wenn sich der Einzelne Christus nun verschließe und nicht zulasse, dass er auch im Hier und Jetzt in ihm Mensch werde. 421 Dass es sich bei Christi Kommen, so zerstreut Orígenes etwaige Bedenken seiner Hörer hinsichtlich des von ihm propagierten Ideals, keineswegs um ein historisch einmaliges Ereignis handelt, zeige die Gegenwart des Logos sowohl in den Propheten, ohne die sie, wie er an anderer Stelle begründet, gar nicht von ihm hätten künden können, 422 wie auch in zahllosen anderen Gestalten des Alten Bundes, die für den Alexandriner ebenfalls bereits Zeugen der „Fülle" der Zeit werden durften. 423 Was aber nütze vivere zur Telosformel der platonischen Philosophie erhoben worden. Siehe dazu DILLON, Middle Platonists 1 2 2 - 1 2 6 , und die neuere, systematisch orientierte Darstellung der mittelplatonischen homoiosis-Létae bei A N N A S , Platonic Ethics 52—71. 420 In Is. hom. 2,1 (GCS Orig. 8, 248f.). 4 2 1 Vgl. GRUBER, Ζ Ω Η 2 0 0 f .

422 Vgl. princ. praef. 1 (GCS Orig. 5, 7): „Unter den Worten Christi verstehen wir aber nicht nur die, die er nach seiner Menschwerdung und Fleischesannahme gelehrt hat; denn schon vorher war Christus als Wort Gottes in Mose und in den Propheten. Denn wie hätten diese ohne das Wort Gottes von Christus prophezeien können?" Ubersetzung: p. 83 GÖRCEMANNS/KARPP. Im Hintergrund steht das im platonischen Menon (80 d 5 - 86 c 3) diskutierte Erkenntnisparadoxon, dass man nach etwas, von dem man keinerlei Kenntnis habe, nicht einmal frage könne, andererseits aber nach dem, was bereits bekannt sei, nicht zu fragen brauche. Die Lösung, die AnamnesisLehre mit ihrer Annahme eines vor der Geburt „erlangten" apriorischen Wissens, ist der origeneischen einer apriorischen Christusinwendigkeit im Propheten und im Menschen allgemein analog. 423 Vgl. in loh. comm. I 37 (GCS Orig. 4, 1 1 f.): „Außerdem darf nicht übersehen werden, dass Christus, noch ehe er in körperlicher Gestalt erschien, im Geistigen denjenigen bereits gegenwärtig gewesen ist, die dank ihrer größeren Vollkommenheit nicht mehr unmündige Kinder unter der Obhut von Schulmeistern' und .Vormündern' waren (Gal. 3,25; 4,2) und in denen die geistige Fülle der Zeit schon gegeben war: in den Patriarchen etwa, im Diener Mose oder in den Propheten, die Christi Herrlichkeit geschaut haben."

Einleitung

es ihm nun, so wendet er sich direkt an seinen Hörer und lenkt dessen Blick von der Heilsgeschichte zurück in die unmittelbare Gegenwart, wenn Gottes Herrlichkeit tatsächlich, wie von den beiden Engeln prophezeit, in den „Gemeinden der Seligen, die überall sind", 424 allenthalben und für jedermann sichtbar Gestalt annehme, er selbst aber daran auf keine Weise Anteil habe? Der weltweite Erfolg der christlichen Kirche dient Orígenes also lediglich als Folie, vor der er sein eigentliches homiletisches Anliegen, die Gegenwart des Logos im Einzelnen, umso wirkungsvoller artikulieren kann. Dazu gelte es, so der beherzte Appell an die Gläubigen, der die interpretierte Jesaj asteile mit dem Johannesprolog verbindet, die „Herrlichkeit Gottes" auch in sich „ w o h n e n " zu lassen und an der Engelprophezeiung sowie an Christi Fleisch und am Logos selbst teilzuhaben. 423 Die Immanenz des Logos in der Seele bzw. die in dem referierten Aufruf gleich dreimal genannte „Teilhabe" an ihm bzw. an der göttlichen Herrlichkeit 426 — „Immanenz" ist bei Orígenes allgemein „terminus technicus für die Teilhabe" 427 — ist nicht nur der Kern des origeneischen Vollkommenheitsideals. „Teilhabe" 428 ist darüber hinaus diejenige begriffliche Kategorie, die sein gesamtes Denkgebäude von der Ethik und Anthropologie über die Kosmologie bis hin zur Gotteslehre trägt.429 Entsprechend der platonischen Ideenlehre und Urbild-Abbild-Ontologie, 4311 der er entstammt,

424 425 426 427

In Is. hom. 4,2 ( G C S Orig. 8, 259). Ebd. (8, 259f.). Z u r Identität der plenitude gloríete Dei mit Christus siehe unten S. 1 4 7 - 1 5 5 . So GRUBER, Ζ Ω Η 207. Vgl. auch CROUZEL, Théologie de l'image 229. N e b e n die R e d e von der Immanenz und Teilhabe tritt als drittes Wortfeld das des UrbildAbbild-Verhältnisses. 428 Siehe dazu und zum Folgenden die Uberblicksdarstellung von BALAS, Idea of Participation. 429 Vgl. CADIOU, Jeunesse d'Origène 404: „ L e système d'Origène peut se ramener à une notion aussi ancienne que la philosophie grecque: il repose sur l'idée de participation." Cadiou betont zu R e c h t den auch f ü r die vorliegenden Homilien zentralen Zusammenhang von platonischem Bildgedanken und biblisch-christlichem Vollkommenheitsideal. Genauso urteilt VÖLKER, Vollkommenheitsideal 2 1 6 : A u f der Unterscheidung v o n Substanz und Akzidenz — einer aristotelischen Unterscheidung, mit der Orígenes ebenfalls den Unterschied zwischen Urbild und Abbild ausdrückt „beruht das ganze System unsers Alexandriners." Diese Einschätzung kann als opinio communis der Forschung gelten. Vgl. die Zusammenstellung entsprechender F o r schungsmeinungen bei GRUBER, Ζ Ω Η 2o8 A n m . 34. 430 Vgl. zum Folgenden auch V . R O T H / C . SCHÄFER, Art. Teilhabe/Partizipation (rnetoche, methexis), in: SCHÄFER, Platon-Lexikon 2 7 7 - 2 8 2 . Es ist im Übrigen bezeichnend f ü r die Nicht-Beachtung des Orígenes in der Philosophiegeschichtsschreibung, dass er als geistiger Urheber eines christlichen Piatonismus auf der intellektuellen H ö h e der Zeit, der gerade auf diesem B e g r i f f fußt, in dem Artikel keine E r w ä h n u n g findet, o b w o h l seine U m f o r m u n g der methexis-Vorstellung, wie auch in den Jesajahomilien deutlich wird, einen zugleich originellen und systema-

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erklärt der Teilhabebegriff das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz im Sinne einer Dialektik von fundamentaler Identität und bleibender D i f ferenz: 431 Einerseits strebt das empirische Abbild nach der in seinem transzendenten Urbild beschlossenen Fülle seiner eigenen Wirklichkeit, der es sich nur annähern, die es aber nie ganz erreichen kann. Andererseits ist das Partizipierte dem Partizipierenden als gestaltendes Prinzip seines Daseins nicht nur immer schon immanent, sondern sein wirkliches Wesen, das es im tätigen Erkenntnisaufstieg zu verwirklichen sucht. Dieser dynamische Z u sammenhang von — so die schulphilosophische Unterscheidung im Platonismus zur Zeit des Orígenes 432 — transzendenter „Idee" einerseits und immanenter „ F o r m " andererseits begründet eine differenzierte Identität, eine „Wesensverwandtschaft" 433 zwischen U r - und Abbild, die für die vor allem in der zweiten Jesajahomilie gegebene ontologische Entfaltung des Motivs einer inwendigen Ankunft Christi maßgeblich ist. Der exegetische Ausgangspunkt dort ist das in Jes. 7 , 1 1 genannte Z e i chen, das der Israelit Ahas entgegen dem Befehl Gottes „in der Tiefe oder in der H ö h e " für sich zu erbitten ablehnt. In einer doppelten christologischen Deutung identifiziert Orígenes das Zeichen mit Christus, der nicht nur, so die kosmologische Interpretation, die „Höhen und T i e f e n " der himmlischen und irdischen Wirklichkeit erfüllt, 434 sondern endlich auch — und auf diese existentielle Deutung legt Orígenes den Schwerpunkt — in die „Höhen und T i e f e n " der menschlichen Seele Einzug halten soll. In Wendungen, die das augustinische Erschaudern angesichts der unergründbaren Tiefen des menschlichen Selbst vorwegnehmen, erscheint die Seele auch sonst bei Orígenes als gewaltiger R a u m , den es der Länge und der Breite, der Höhe und der Tiefe nach mit den christlichen Tugenden und Glaubensinhalten oder, kurz, einer ganzen „Arche und Bibliothek des Heils" 435 zu füllen gelte. Ebenso stützt auch das hier als neutestamentlicher Beleg für den christologischen sensus moralis der Jesajastelle angeführte Pauluswort: „Ganz nahe ist dein Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen" ( R o m . 10,8) an zahlreichen anderen Stellen die Doktrin der Logosimmanenz. Allerdings fungiert es in anderen Schriften 436 als Beleg für eine mit der Partizipation des tisch höchst bedeutsamen Beitrag zur entsprechenden Diskussion im kaiserzeitlichen Platonismus darstellt. 431 Die differenzierte Einheit von Urbild und Abbild ist seit dem Parmenides Piatons ein, wenn nicht sogar das Grundthema platonischen Denkens überhaupt. Siehe dazu BEIERWALTES, Identität und Differenz, bes. 9 - 2 3 . 432 Vgl. Alkinoos, didask. 9,1 (p. 20 WHITTAKI':R/LOUIS) und Apuleius, Plat. 6 (p. 65 BI;AUJI;U). 433

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434 Siehe dazu ausführlich unten S. 1 4 4 - 1 4 7 . 435 Orígenes, in Gen. hom. 2,6 ( G C S Orig. 6, 37). 436 Vgl. etwa princ. I 3,6 ( G C S Orig. 5, 57f.) und insbesondere die ausführliche Diskussion in loh. comm. I 267—276 ( G C S Orig. 4, 47—49).

Einleitung

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Menschen am Logos bereits gegebene Gegenwart des Urbildes, des Logos, im Menschen, seinem Abbild, während es von Orígenes hier offenbar im Sinne einer noch ausstehenden Ankunft Christi gedeutet wird. Der Widerspruch ist indes ein nur scheinbarer. Die Metapher der Ankunft Christi meint nämlich kein Eintreten von außen, 437 sondern bezeichnet die Entfaltung seiner kraft der Teilhabe im Menschen keimhaft angelegten Gegenwart. Christus ist, wie Hans Urs von Balthasar den begrifflichen Gehalt des Bildes treffend zusammenfasst, „immer da, aber wie jemand, der nie aufhört anzukommen". 438 Das Paradoxon scheut Orígenes auch in seiner Auslegung von Jes. 7 , 1 5 nicht, die den Abschluss der zweiten Homilie bildet. Christi Ankunft versteht er dort nicht allein im Sinne einer Gegenwart des Logos in der Seele, sondern überdies als „wechselseitiges Insein", 439 nach dem auch die Seele dem Logos immanent ist. U m es auf eine des Heiligen Geistes würdige Weise auszulegen, erklärt Orígenes das prophetische Wort: „Butter und Honig wird er essen" im Sinne eines im Innern der Seele stattfindenden Mahls mit dem Logos, 440 das nicht nur die Intimität, sondern auch die R e ziprozität der Beziehung von Logos und Seele zum Ausdruck bringt: W i e die verzehrte Speise zum Teil des Körpers wird, so werden Geist und Wort in der von Orígenes beschriebenen Mahlgemeinschaft zum Teil des anderen. 441 In die Seele eingetreten, so erläutert der Prediger seinen Hörern die biblische Metapher, sitze Christus mit ihr zu Tisch und reiche ihr seine „besseren geistigen und göttlicheren Speisen", 442 sich selbst443 und seine göttliche Natur, mit der er die Seele sich selbst gleich gestaltet und vergöttlicht. Umgekehrt ist aber auch die Seele Speise des Logos: Ihr bester Teil, ihre „süßen Taten" sowie ihre „süßesten und nutzbringenden Worte", 444 bildet das Mahl, das sie ihm in ihrem Innern bereitet. Dadurch also, dass die

437 Vgl. in Gen. hom. 13,4 (GCS Orig. 6, 119): „In dir nämlich ist er und kommt nicht von außen, so wie auch das Reich Gottes in dir ist." 438 VON BALTHASAR, Mysterion 521: „II est toujours là, mais comme quelqu'un qui ne cesse d'arriver." 439

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440 Siehe zum Folgenden die umfangreichere Darstellung des Motivs geistiger Nahrung bei Orígenes von BLANC, Nourritures spirituelles. 441 Die Reziprozität der Beziehung, wie sie in der biblischen Mahlmetapher für Orígenes zum Ausdruck kommt, fasst CROUZEL, Origène 175, wie folgt zusammen: „ C o m m e les aliments deviennent notre substance, cette nourriture divine qui est la personne du Verbe se transforme en nous et nous transforme en elle." Z u m Gedanken der Wechselseitigkeit der Logosbeziehung siehe allgemein LIESKE, Logosmystik 67—71. 442 In Is. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 252). 443 Vgl. ebd.: „Es ist aber gewiss, dass auch wir mit ihm essen, wenn wir ihn essen." 444 Ebd.

III. D i e Theologie der Jesajahomilien

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Seele Christus Einlass in ihr Inneres gibt und ihn — ein Hinweis auf die Eucharistie — im gemeinsamen M a h l zu sich nimmt, wird sie ihrerseits v o n ihm verzehrt und zu einem Teil v o n ihm. Allerdings ist es, w i e Orígenes eigens in das Bildmotiv einträgt, nicht die ganze Seele, die Christus zu sich nimmt, n o c h tritt er einfach in die Seele als solche ein. So verweigert der Logos den Verzehr lasterhafter und v o n den A f f e k t e n beherrschter Gedanken, und der Ort, an dem die Mahlgemeinschaft stattfindet, ist nicht die gesamte Seele, sondern, w i e Orígenes präzisiert, lediglich ihr „ H e g e m o n i k o n " , der „herrschende Teil unseres Herzens": Dessen „ P f o r t e n " müsse der M e n s c h ö f f n e n und durch diese dem daran unentwegt klopfenden Logos Einlass gewähren. 4 4 5 V o n hierher erschließt sich der spekulative Sinn der ausführlich dargelegten biblischen Metapher: Zusammen mit d e m biblischen B e g r i f f des Herzens und seinem Inneren bezeichnet der ursprünglich stoische B e g r i f f „ H e g e m o n i k o n " b z w . das synonym gebrauchte platonische Pendant „innerer M e n s c h " (homo interior)44'1 die eigentliche Persönlichkeit des Menschen. Das H e g e m o n i k o n ist mit d e m präexistenten Geist identisch, der ursprünglich, d.h. vor d e m Abfall der Seele v o n Gott, ihr ganzes Wesen darstellt und als Träger der Gottebenbildlichkeit und Gottesverwandtschaft, seiner „ursprünglichen, höheren Substanz", 447 Stätte unmittelbarer und unverlierbarer Gottesgemeinschaft ist. So w i e die Seele als „Absturz v o n der Existenz des reinen Geistseins" 448 und damit als gestörte Gottesgemeinschaft bestimmt ist,449 so ist der Geist „seiner innersten Realität nach fortwährende Vereinigung mit Gott in Gottesschau und Gottesliebe", 4311 ohne die der Mensch, ethisch unzurechnungsfähig und zu jeder E n t w i c k l u n g im N e g a tiven w i e im Positiven außerstande, einem empfindungslosen Toten gliche. 451 Z w i s c h e n (gefallener) Seele und (ursprünglichem b z w . wiederherzustellendem) Geist vermittelt die im Partizipationsverhältnis z u m Ausdruck k o m m e n d e teleologische D y n a m i k , die den inhaltlichen K e r n der Speisemetapher darstellt: Nichts als unvollkommenes Bild (imago), ist der gefallene Geist, so die berühmte origeneische Auslegung v o n Gen. 1,26, dazu b e stimmt, in sich die v o l l k o m m e n e Ähnlichkeit (similitude) mit seinem Urbild,

445 Ebd. 446 Vgl. ebd. 6,5 (8, 275). Siehe dazu ausführlich KOBUSCH, Christliche Philosophie 6 4 - 7 1 , der die patristische R e z e p t i o n dieses platonischen K o n z e p t s i m Sinne seiner Grundthese einer i m Christentum vertieften „ E n t d e c k u n g der Subjektivität" nachzeichnet. 447 In l o h . c o m m . X X 182 ( G C S O r i g . 4, 355). Vgl. auch die kurze Interpretation des Textstücks, d e m die Formulierung entstammt, bei Cui H / . T h é o l o g i e de l'image 145. 448 Lii'.SK]',, Logosmystik 1 1 7 . 449 Vgl. dazu den ausführlichen Traktat De anima in princ. II 8 ( G C S O r i g . 5, 1 5 2 - 1 6 3 ) . 450 LIESKE, Logosmystik 1 1 7 . 451 Vgl. in Is. h o m . 4,3 ( G C S O r i g . 8, 260).

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dem Logos, (wiederherzustellen. 4 3 2 Hierzu muss sich der Mensch unter A u f g a b e der mit dem K ö r p e r verbundenen A f f e k t e , dem Resultat des v o r zeitlichen Falls und der Einkörperung, die ihn v o n Gott trennen, nur mehr allein v o m Logos und seiner ihn nach und nach transformierenden Betrachtung ernähren, d.h. die Teilhabe in der Kontemplation bis zur Einheit mit ihm vertiefen. W i e das T h e m a des Seelenfalls verdankt auch die Metapher der geistigen Speise dem platonischen Phaidros ebenso viel wie der Schriftstelle, die Orígenes auf ihrer Grundlage interpretiert: D i e Schau, erstmals in dem genannten Piatondialog als Nahrung der Seele bezeichnet, 453 ist v o r w i e nach dem Fall die Speise der Vernunftwesen, die sie nährt und erhält, und sie ist die Quelle, aus der schöpfend sie ihre ursprüngliche, göttliche Natur zurückgewinnen können. U n d vor w i e nach dem Fall ist ihre Partizipation am Sohn zugleich Teilhabe an seiner unaufhörlichen Schau des Vaters, die gleichermaßen sein und ihr (mit dem Sündenfall verstelltes, nicht aber verlorenes) eigentliches Wesen 434 und so Teilhabe am Vater selbst ist. Entsprechend schließt auch das Bild des Mahles mit der Bitte, der Logos m ö g e uns ,,zum großen M a h l des Vaters im Königreich der H i m m e l führen, das in Christus Jesus stattfindet". 453 D i e Mitteilung der göttlichen Natur oder Schau, w i e sie dem Propheten zuteil wird, geschieht demnach nirgends anders als im innersten Teil der Seele, dem Logos, ihrem Urbild und L e bensprinzip, das zugleich ihr ,,wahres Leben" 4 3 6 und das Gottesreich in P e r son ist. Zugleich ist diese ,,Angleichung" der Seele „an G o t t " wahres B e -

452 Siehe zu diesem Grundgedanken der „exstatischen" Anthropologie des Orígenes, die den Hintergrund der Bildmeditation bildet, die ausführliche Darstellung von H . RAHNER, Menschenbild 2 1 8 - 2 2 2 ; VON BALTHASAR, Mysterion 52of.; insbesondere CROUZEL, Théologie de l'image 2 1 7 - 2 4 5 . D i e G r u n d b e w e g u n g des origeneischen Menschenbildes entspricht in allen wesentlichen Aspekten der (neu)platonischen der „Realisierung des Bildes" (insbesondere im analogen Zusammenhang der W i e d e r herstellung der Seele zum und im Nus). Siehe dazu das entsprechend betitelte K a pitel bei BI'.IERWAI.TES, D e n k e n des Einen 7 3 - 1 1 3 . 453 Vgl. etwa Piaton, Phaidr. 248 b 5 - c 1 : „ D e r Grund aber des vielen Eifers i m Suchen nach dem Gefilde der Wahrheit ist, dass auf der Weide dort f ü r den besten Teil der Seele die angemessene N a h r u n g sprießt und der Wuchs der Schwingen, auf denen die Seele sich erhebt, dadurch befördert w i r d " ; Ubersetzung: II p. 61 APELT. Z u r Bedeutung des Seelenmythos des Phaidros bei Orígenes siehe VON STRITZKY, Phaidrosinterpretation. Es ist nach v o n Stritzky gerade der auch hier leitende G e danke einer R ü c k k e h r in der Wiedererinnerung an die eigentliche Heimat der Seele, ihr Urbild, den Orígenes diesem im kaiserzeitlichen Platonismus viel diskutierten Text entlehnt. 454 Vgl. LIESKE, Logosmystik 1 3 1 : „Weil eben der Logos seinem Wesen nach selbst Schau und Liebe des Vaters ist, so kann auch die wahre Wirklichkeit des Logosabbildes ebenfalls nur in der Gottesschau bestehen." 455 In Is. hom. 2,2 ( G C S Orig. 8, 252). 456 So die Grundthese v o n GRUW;R, Ζ Ω Η .

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Ziehungsgeschehen: Der Logos verbindet sich mit ihr in Liebe und wächst, von ihren guten Werken und Gedanken genährt, in ihr heran. Dabei ist diese Beziehung zur Seele auch für ihn kein verzichtbares, zufälliges Akzidenz, sondern, da die Mitteilung der Gottesgemeinschaft und Erfüllung des väterlichen Willens im Himmel wie auf Erden sein Lebensprinzip ist, innere Verwirklichung auch seines Wesens. 457 Die Erlösung der Seele in guten Werken und Gedanken ist die Nahrung, die auch ihn erhält. Die Interpretation der Teilhabe im Sinne einer reziproken Beziehung von Partizipiertem, dem Gotteswort, und Partizipierendem, dem Menschen, wie sie der tiefgründigen Auslegung des Mahlmotivs zugrunde liegt, stellt dabei das spezifisch N e u e des origeneischen Piatonismus dar.458 Der christliche Weg von der (ursprünglichen) imago zur (eschatologischen) similitude entspricht einer graduellen Aufhebung der Seele in das Leben des Logos und seine Gemeinschaft mit dem Vater: Vom Logos genährt, kehrt die Seele nach und nach in ihren ursprünglichen, höheren Zustand zurück und hört schließlich, ohne dass ihre personale Identität in der göttlichen Einheit verloren ginge, auf, Seele zu sein.459 Dieses höchste Ziel christlicher Existenz beschwört Orígenes an anderer Stelle mit großer Emphase, wenn er unter Zugrundelegung des christologisch gedeuteten Bibelverses: „Lass uns deinen Namen tragen" das Ideal einer Angleichung an Christus weiter entfaltet: „Ich selbst bin die Weisheit, ich selbst will mit deinem Namen angeredet werden, auf dass ich, die Weisheit, Jesus genannt werde, auf dass Einsicht, großer R a t , Kraft, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht den Name Jesu tragen, auf dass alles in allem (i Kor. 15,28) zu deinem Namen werde." 4 6 " Das kontemplative Moment der Mahlmetaphorik entfaltet Orígenes hier als Partizipation an der Weisheit, des Inbegriffs der intelligiblen Welt und der ursprünglichsten Existenzweise des Sohnes. Die paulinische Formel „alles in allem", von Orígenes sonst im Kontext der Apokatastasislehre gebraucht, drückt dabei die das Herz des Menschen in seinen „ H ö h e n und T i e f e n " erfüllende Gegenwart aus: Im Sinne eines „ H y lemorphismus der Seele" 46 ' soll der Logos zum Prinzip des Lebens der in-

457 Siehe dazu unten S. 1 4 7 - 1 5 5 . 458 Vgl. VON BALTHASAR, Mysterion 527, der in der Umdeutung des platonischen Ideenaufstiegs zu einer „zwischenmenschlichen Beziehung" das eigentümlich Origeneische und Christliche sieht. 459 Die hegelsche „Aufhebung" ist nach VON BALTHASAR, ebd. 62, ein zentraler Operator in der Theologie des Orígenes. Sie folgt aus der Logik der Teilhabe und erlaubt es ihm, die höchste Einheit der Seele mit Gott zu denken, ohne ihre Individualität der alles erfüllenden Gottheit preiszugeben. Letztere Auffassung, eine Auslöschung der individuellen Persönlichkeit in Gott, vertritt mit Einschränkung VÖI.KLR, Vollkommenheitsideal 1 2 8 - 1 3 0 . 460 In Is. hom. 3,3 (GCS Orig. 8, 257). 461

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dividuellen Seele, ihr „Form- und Bewegungsprinzip", 462 werden, das all ihr Trachten und Denken prägt und bestimmt, bis sie schließlich selbst den Namen „Weisheit" oder „Jesus" tragen und mit Paulus von sich sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir." 4 6 3 Es ist daher nur konsequent, dass es nicht nur einen, sondern, wie Orígenes in einem erhaltenen Fragment des Jesajakommentars schreibt, mehrere „Christoi" 464 gibt, Seelen also, die, in die ursprüngliche Einheit mit dem Logos zurückgekehrt, nicht mehr Seelen, sondern selbst „Logoi" sind. Neben dem kontemplativen Element umfasst das Motiv des „Christus alles in allem" auch einen nicht minder wichtigen praktischen Aspekt: Wie Christus nicht nur Weisheit und Erkenntnis, sondern auch Tugend und Gerechtigkeit ist, so ist auch das nach seinem Bild geschaffene Hegemonikon der Seele zugleich „Organ der Schau Gottes und Sitz der Tugend". 4 6 3 Und wie die Schau des Logos den gefallenen Geist restituiert, so ist auch das christusgemäße Leben Medium der Erlösung. Die beiden Modi der Wiederherstellung der Seele, die vita activa, d.h. die Uberwindung des Irdischen und der Sünde einerseits sowie die Teilhabe an Christus als Inbegriff des Guten andererseits, und die vita contemplativa, also die Teilhabe an ihm als Inbegriff des Wahren, sind für Orígenes untrennbar miteinander verbunden: So nährt sich der Logos, wie gesehen, gleichermaßen von guten Taten und guten Worten, und die Teilhabe an der plenitudo gloriae Dei, zu der Orígenes seine Hörer auffordert, geschieht ebenfalls zunächst als Teilnahme am Menschen Christus, in der Praxis, und dann am reinen Logos, in der Schau. Die Angleichung an Christus in Tat und Wort (und beider Verhältnis) ist zusammen mit der Theorie einer „geistigen Sinnlichkeit", mit der Orígenes das Einssein mit Christus sprachlich zum Ausdruck bringt, Gegenstand der in den vorliegenden Predigten gegebenen Anleitung zu einem bewussten christlichen Leben, in dem sich die skizzierte Verwandlung des Menschen bis hin zur Einheit mit Sohn und Vater vollzieht.

462 G r u b e r , ebd. 208. 463 Vgl. in Luc. hom. 22,3 ( G C S Orig. y 3 , 134): „Lasst uns darum beten, dass er täglich zu uns komme und dass wir sagen können: ,Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir' (Gal. 2,20). Wenn nämlich Christus nur in Paulus gelebt hat, aber nicht in mir, welchen Nutzen habe ich davon? Wenn Christus aber auch zu mir kommt und ich mich seiner erfreue, wie Paulus sich seiner erfreut hat, dann kann auch ich wie Paulus sagen: ,Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir'"; Ubersetzung: Sieben, F C 4/1, 243. 464 In Is. frg. 1: siehe den Text unten S. 308 f. und zur Erklärung auch oben S. 6 - 8 . 465 Crou/ei., Anthropologie 370.

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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b) Stufen der Vollkommenheit: Die Entfaltung der Logosimmanenz im christlichen Leben Die Überwindung des „inneren Usija" und die imit.at.io Iesu Die ethische Dimension des origeneischen Vollkommenheitsideals, eine alle Lebensbereiche prägende Christus-Nachahmung und Christus-Nachfolge, zeichnet sich durch einen negativen und einen positiven Aspekt aus.466 Im Negativen hat das Ethos die Funktion einer Reinigung von Affekt und Sünde, die Voraussetzung für die Schau der göttlichen Geheimnisse ist: Der Mensch muss es Jesaja gleichtun und radikal mit der Welt und mit der Sünde brechen, um den weltenthobenen, heiligen Gott schauen zu können. Im Positiven ist der praktische Vollzug der Tugend zugleich aber selbst bereits Medium der Kontemplation Gottes: Als Teilhabe an Christus, der Tugend in Person, ist das in allen Vollzügen an ihm Maß nehmende gute Leben selbst bereits Gemeinschaft mit ihm und dem Vater. Schließlich ist die christliche Praxis in Umkehrung des Schemas auch Konsequenz der Gottesschau: Im Angesicht der Vollkommenheit Gottes ist sich Jesaja, das Vorbild christlicher Vollkommenheit, nicht nur mehr denn j e der eigenen Niedrigkeit bewusst und zu R e u e und Umkehr bereit. Darüber hinaus steht seine Schau nicht etwa am Anfang eines zurückgezogenen Philosophenlebens, sondern einer heilbringenden Sendung, mit der er im Auftrag Gottes das abgefallene Volk zu ihm zurückführen soll. Die Seele ist für Orígenes ein bewegtes medium, ausgespannt zwischen dem Körper und der Welt auf der einen und dem Geist und dem Wort auf der anderen Seite. Hierin erschöpft sich ihr Wesen: 467 Mit all ihren natür-

466 Orígenes illustriert das ethische Schema eines Fortschritts von der Aktion zur Kontemplation gern an biblischen Bildern. So entspreche die Praxis dem täglichen Brot, die Theorie dagegen dem aus festlichem Anlass getrunkenen Wein; vgl. in loh. comm. I 208 (GCS Orig. 4, 37). Die klassische Formulierung des Problems geht auf Aristoteles (insbesondere eth. Nie. I und X) zurück, bei dem die Bestimmung des Verhältnisses von aktiver und beschaulicher Lebensform eine Frage von erheblicher systematischer Bedeutung ist. Seine Lösung ist allerdings infolge widersprüchlicher oder zumindest schwer vereinbarer Aussagen in ihrer Deutung noch immer umstritten. Vor diesem Hintergrund nimmt sich der genuin christliche Beitrag, den Orígenes zu dieser auch in der Kaiserzeit noch kontrovers diskutierten Frage leistet, als einer der systematisch ambitioniertesten und konsistentesten überhaupt aus. Siehe zum Folgenden die Darstellung von S C H O C K I : N H O I - H , Fest der Freiheit 283—294, der ich mich in Inhalt und Terminologie anschließe. 467 Vgl. in R o m . comm. I 7 ( P . 58 H A M M O N D B A M M E L ) : „Die Seele kann also weder zu dem gerechnet werden, was dem Fleisch nach ist, noch gehört sie zu dem Bereich, in dem er als Sohn Gottes in Kraft bestimmt wird dem Geist der Heiligung nach. ... Er (sc. Paulus) weiß, dass die Seele immer eine Mitte zwischen Geist und Fleisch ist, dass sie sich entweder mit dem Fleisch verbinden und mit dem Fleisch eins wird

Einleitung

lichen Eindrücken und Impulsen, die sie mit dem Tier teilt,468 ist sie — mit der bedeutsamen Ausnahme der in ihrer Gottebenbildlichkeit gründenden unverlierbaren Gottesgemeinschaft, die zugleich Bedingung für ihre sittliche Entwicklung ist und sie ihrem Wesen nach für die Aufnahme des Logos prädisponiert 469 — nichts anderes als die ungeformte Materie für das gestaltende Wirken Gottes und seines Wortes einerseits und jenes des Teufels und seiner Helfershelfer andererseits. U n d genau wie sich auf die Hyle als wirklichkeitskonstituierendes Quantitätsprinzip schließen lässt, ohne dass es sie in Wirklichkeit rein als solche, d.h. ohne eine sie formende Qualität gäbe, 470 so ist auch die Seele bloßes Substrat für Formen, die ihr das Wort bzw. Satan und seine Dämonen einzuprägen suchen, und existiert de facto niemals ohne eine solche Formgebung. Sobald der Mensch das entsprechende Alter erreicht hat und zu einer vernunftgeleiteten, selbstständigen Entscheidung in der Lage ist, muss er daher, so ein fundamentaler Gedanke der origeneischen Anthropologie, eine der beiden Lebensoptionen wählen bzw. hat er immer schon — bewusst oder unbewusst — eine solche Wahl getroffen. 4 7 1 Z u dieser Grundentscheidung fordert Orígenes seine Gemeinde auf, wenn er ein ver-

oder sich dem Geist anschließt und eins wird mit dem Geist"; Übersetzung, geringf ü g i g verändert, nach HEITHER, F C 2 / 1 , 99. Siehe dazu CROUZEL, Anthropologie, der in der hier angeführten Trichotomie der zwischen Sarx und Pneuma stehenden Psyche die eigentliche Ausdrucksfomi der origeneischen Anthropologie sieht, sowie die ausführliche Darstellung von THEILER, Seele als Mitte, der ausführlich den platonischen Hintergrund dieser Lehre darstellt. KOIÌUSCH, Initiator 42, findet in dieser ontologischen Unbestimmtheit der Seele die Freiheit als Realität sui generis zum Ausdruck gebracht (so auch ders., Kann Gott leiden? 330; Philosophische B e d e u tung 9 7 - 1 0 2 ) . D i e Gegenüberstellung zu der (vermeintlich) einem statischen Substanzdenken verhafteten paganen „Wesensphilosophie" ist allerdings allzu schematisch und lässt ihn analoge Überlegungen i m klassischen w i e insbesondere im neuplatonischen D e n k e n zur Z e i t des Orígenes übersehen. 468 Vgl. princ. II 8,1 ( G C S Orig. 5, 1 5 2 f . ) . 469 So spricht Plotin, dessen Psychologie in diesem Punkt exakt mit der des Orígenes übereinstimmt, v o n der Seele als einer voü ύλη (enn. V 1,3) und bringt damit ebenfalls beide Aspekte, die Seele als Potenz und die Seele in ihrer Hinordnung auf den Geist, zum Ausdruck. 470 Vgl. princ. II 1 , 4 ( G C S Orig. 5, 109). 471 Vgl. VON BALTHASAR, Mysterion 529. VÖLKER, Vollkommenheitsideal 43, moniert damit zu Unrecht das „Fehlen eines plötzlichen Bruches mit der S ü n d e " , eines paulinischen Grundgedankens, der bei Orígenes und in seiner D e u t u n g des christlichen Lebens, so Völker, zugunsten der Wegmetapher preisgegeben sei. D i e B e deutung, die Orígenes einer ersten solchen „ R e v o l u t i o n der Denkungsart" beimisst, ist indes gerade der philosophische Nachvollzug dieser paulinischen Einsicht. So wendet SCHOCKIÍNHOI-F, Fest der Freiheit 4 7 f . , mit R e c h t ein, dass Orígenes zwar tatsächlich den Fortschritt zur Vollkommenheit als mühseligen W e g schildere, dass damit aber nichts v o m „ G e w i c h t " genommen sei, „das auf dem ersten Schritt liegt"; vielmehr meine metanoia f ü r Orígenes gleichermaßen „Ereignis und Prozess".

III. Die Theologie der Jesajahomilien

mittelndes Drittes zwischen Gott und Satan apodiktisch ausschließt: „Jeder", so sein striktes ethisches tertium non datur, „steht unter der Herrschaft der Sünde oder der Gerechtigkeit", 472 und „jedes Wort, das man sagt, ist entweder leer oder voller Wahrheit." 4 7 3 Und eben diese Grundentscheidung ist auch der Kern seiner ethisch-existentiellen Lesart des Textes, die er im Rückgriff auf andere biblische Figuren und Erzählungen, allen voran die des Exodus, ergänzt: Der frevlerische König Usija bzw. das Prinzip 474 eines gottfernen Lebens, das er symbolisiert, musste erst sterben, ehe der Prophet unter der Herrschaft des inneren Christus Gott zu schauen vermochte. Entsprechendes gilt auch für das verstockte Volk Israel, das Gott durch den Mund des Propheten tadelt: Auch der von ihm repräsentierte Habitus muss in einer Grundentscheidung überwunden werden. Welche grundlegende Denkart verkörpern Israel und die genannten biblischen Figuren für Orígenes? Usijas Frevel malt Orígenes breit aus, wenn er im Rückgriff auf das zweite Chronikbuch schildert, wie der König sich, obwohl selbst kein Priester, priesterliche Kompetenzen angemaßt habe und dafür von Gott mit einem Ausschlag bestraft worden sei. Allerdings sei auch er nicht immer ein Frevler gewesen, sondern habe sich zu Lebzeiten des „verständigen Zacharias" auf vielfache Weise um den Kult verdient gemacht. 475 Mit dessen Tod allerdings wird Usija für Orígenes zum Sinnbild eines geistlosen, rein irdischen Lebens. Jetzt wie zur Zeit des Propheten Jesaja sei es deshalb unerlässlich, dass der Logos und nicht der Zorn in uns regiere. 476 „Zorn" (ira), hier stellvertretend für die Affekte insgesamt genannt, variiert Orígenes unmittelbar darauf mit dem Begriff der Sünde, die nach Paulus nicht über den Körper herrschen dürfe, und mit dem des Vergnügens (voluptas). Der von Sünde und Vergnügen beherrschte Mensch ist zugleich Feind des Himmelreiches, kann doch ein „Liebhaber des Vergnügens" (volupt.at.is amator), so eine weitere Variante des ethischen Kontradiktionsprinzips, niemals zugleich „Liebhaber Gottes" (amator Dei) sein. Auffallend ist die Leichtigkeit, mit der Orígenes dabei zwischen biblischer und philosophischer Kategorie wechseln kann, wenn er binnen weniger

472 In Is. hom. 5,3 ( G C S Orig. 8, 266). 473 Ebd. 7,2 (8, 282). Siehe dazu ScHOCKENHorr, Fest der Freiheit 2 3 9 - 2 4 1 . 474 Das lateinische principium nähert sich in der Bedeutung, die Orígenes ihm in seiner ethischen Interpretation gibt, tatsächlich dem deutschen Fremdwort an: Usija bzw. Pharao steht, wie die Metapher einer Herrschaft über die Seele deutlich macht, für eine Grundausrichtung des Lebens. 475 Vgl. in Is. hom. 5,3 ( G C S Orig. 8, 265f.). Die knappen Ausführungen zu Usija vor seinem Sakrileg sollen der Gemeinde vermutlich vor Augen führen, dass auch der ärgste Frevler aus eigener Entscheidung zu einem solchen geworden ist. Dieser Gedanke ist für die antignostische Freiheitsphilosophie des Alexandriners zentral, wird hier aber nicht weiter entfaltet. 476 Vgl. ebd. 1,1 (8, 242).

Einleitung

Sätze bald von „Zorn" und „Vergnügen", bald von „Sünde" spricht. Entsprechend erscheinen auch Usija und Pharao nicht mehr nur als Verkörperungen eines frevlerischen, gottvergessenen Lebens, sondern auch als Chiffren für einen rein diesseitsbezogenen Hedonismus, der mit einem Leben im Sinne des Gotteswortes unvereinbar ist. Beide schließlich, die biblische R e d e von der Sünde und die popularphilosophische Affektschelte, bringt Orígenes, wie es scheint, zur Deckung, wenn er seine Hörer, das Negativvorbild des verstockten Israels vor Augen, eindringlich vor der „Lasterhaftigkeit der Körpersubstanz" 477 warnt. Dass Orígenes dennoch nicht, wie die vorhergehende Interpretation der Usija- bzw. Pharao-Figur vermuten lassen könnte, Affekt und Sünde miteinander identifiziert und ebenso wenig einer allgemeinen Verdammung des Körpers das Wort reden will, zeigt seine ungleich komplexere exegetische Auseinandersetzung mit dem Israel des Jesajabuches, einer weiteren Personifikation eines gottfernen Lebensprinzips. Zunächst gilt seine die prophetische Schelte aktualisierende Kritik nicht einfach irgendwelchen Affekten, etwa dem anfangs genannten „Vergnügen" oder „Zorn", sondern einer bestimmten allgemeinen Haltung, die er in paulinischer Diktion als „Klugheit des Fleisches" 478 bezeichnet. Es ist also keineswegs der an sich indifferente Affekt, der Tadel verdient, noch meint diese fleischliche Klugheit, wie die weiteren Ausführungen zeigen, lediglich oder vorrangig ein Leben körperlicher Lustbefriedigung. Der Begriff steht vielmehr für ein Leben, das sich allgemein in irdischen Sorgen verliert und infolgedessen keinerlei Zugang zur eigentlichen, göttlichen Wirklichkeit mehr hat. Ein solches Leben nämlich habe das Herz der Israeliten, so deutet Orígenes die prophetische Scheltrede, „verfetten" — das in immer neuen Formulierungen und Begriffsverknüpfungen variierte Leitmotiv der sechsten Predigt — lassen: Wie die sündenbeschwerten Ägypter, so sei auch Israel, seiner Geistesfliigel beraubt und von Gott verstockt, 479 im Meer rein weltlicher Plagen untergegangen, wie Orígenes in Verknüpfung von platonischem Seelenmythos und biblischer Geschichte sagt. In einem ersten Reflexionsschritt erscheint das IsraelPrinzip damit als Ausdruck einer fatalen Nachlässigkeit, 48 " die den in die

477 Ebd. 6,5 (8, 276). 478 Ebd. 479 Nach der Deutung des Orígenes meint die biblische Rede vom „verstockten Herzen" Pharaos oder Israels nicht, dass Gott sie zu guten Gedanken und Taten unfähig gemacht hätte, eine Vorstellung, die mit seinem Gottesbild und Freiheitsdenken gleichermaßen unvereinbar wäre. Vielmehr legt Gottes Heilshandeln offen, welches Herz für ihn offen ist und welches sich - wie im Fall der Israeliten in christlicher Zeit - ihm verschlossen hat. Siehe dazu die ausführliche Darstellung oben S. 66-74. 480 Vgl. die Auslegung der israelitischen „Schwerhörigkeit" in Is. hom. 6,6 (GCS Orig. 8, 277), in der die Sünde nicht wie bei Usija und Pharao mit einem Affekt, sondern mit der Nachlässigkeit in Verbindung gebracht wird: „Wenn wir also Flügel erhalten,

III. Die Theologie der Jesajahomilien

Vielfalt konkreter weltlicher Aktivität verstrickten Menschen daran hindert, die Flügel seines Geistes auszubreiten, bis sein Herz schließlich gänzlich „verfettet" und zu jedem Aufstieg zum Geist außerstande ist. Das metaphysische Materialprinzip übersetzt Orígenes hier ins Ethische: Anstatt sich zu gestalten und zu bilden, verflüchtigt sich das Seelen-medium in die Vielheit der sie umgebenden Welt und ihrer Tätigkeiten, ein Gedanke, der auch in der Etymologie von „Pharao", „Zerstreuung", zum Ausdruck kommt. 481 Resultat ist nicht nur das mit dem „Zwang zum Tiefblicken" 4 8 2 verbundene Verstocktsein, eine geistige Blindheit und Schwerhörigkeit, die den M e n schen wie Israel einst am Verständnis der „behenden Leichtigkeit der Wahrheit" 4 8 3 hindert. Zugleich ist ein solcher Zustand tiefste Selbstentfremdung des nach Gottes Abbild geschaffenen Geistes und als solche, philosophisch ausgedrückt, das Verfehlen der Eudämonie als höchsten Lebensziels. Es ist vor allem die biblische Urchiffre der Unfreiheit, Ägypten, die bei Orígenes diesen traurigen Zustand der Seele symbolisiert. In psychologisch eindringlicher Form führt der Prediger seinen Hörern als Bild ihrer eigenen Misere ein gebeugtes Volk vor Augen, das ein trauriges Sklavendasein fristet und für Pharao niedere Arbeiten verrichten muss. In einem solchen Zustand, so beschreibt er das Elend der gefallenen Seele unter dem Pharao-Prinzip, „schlucken wir im Stillen die Tränen hinunter". 4 8 4 Ein Leben, wie es das Israel des Jesajabuches verkörpert, ist jedoch nicht nur Selbstentfremdung und Unglück, sondern zugleich, wie Orígenes in einem weiteren Reflexionsschritt ausführt, Schuld und Sünde. So betont er ausdrücklich, die Israeliten hätten ihre geistigen Augen „absichtlich" geschlossen. 485 Im Zuge seiner Auslegung der prophetischen Invektive wider die Dämonen, die Israel aufsuche, und die Idolatrie, die es betreibe, verschärft Orígenes seine Kritik des gottvergessenen, irdischen Lebenswandels: Wer entsprechend dem ethischen Kontradiktionsprinzip nicht unter der Herrschaft der Gerechtigkeit steht, steht unter der Despotie der Sünde, die Orígenes im Rekurs auf den biblischen Begriff ventriloqui, „Bauchredner", als „Bauchdienerei" bezeichnet. Die prudentia camis erscheint von dieser Warte aus als Grundmaxime derer, die „Diener ihres Bauches sind und für sein übermäßiges Wohlbefinden so ziemlich alles tun". 4 8 6 Dazu rechnet Ori-

481 482 483 484 485 486

wird uns das Hören leicht fallen; wenn wir jedoch sündigen, die Schwingen vernachlässigen und uns die Flügel abfallen, werden wir schwer werden und schwer hören." Siehe dazu unten S. 195 Anni. 5. So die schöne Formulierung von VÖLKER, Vollkommenheitsideal 33. In loh. comm. II 57 (GCS Orig. 4, 61 f.). In Is. hom. 5,3 (GCS Orig. 8, 267). Ebd. 6,7 (8, 279). Ebd. 7,3 (8, 283).

Einleitung

genes allerdings nicht nur Völlerei im eigentlichen Wortsinne, sondern alle, die allein irdische Ambitionen verfolgen, darunter nicht zuletzt auch allzu ehrgeizige Kleriker: Ihre ganz und gar irdische Bemühung um das Prestige eines kirchlichen Amtes ist für Orígenes nur eine weitere, nicht weniger ablehnenswerte Form, die das Streben nach einem „satten Magen" 487 als Grundimpetus eines gottfernen Lebens annehmen kann. Mit einer aktualisierenden ethischen Deutung der prophetischen Idolatriekritik spitzt Orígenes die Kritik des weltlichen Lebens noch weiter zu, wenn er das Wesen der Sünde als Götzendienst beschreibt: „Doch auch heute wird es einem, nach der großen Schar von Sündern insgesamt zu urteilen, nicht schwer fallen zu sagen, dass jeder einzelne, der sich das zu Gott macht, was er für ein Gut hält, und der Sünde dient, verflucht ist: Er stellt eine Schnitzerei her, gießt ein Werk von Künstlerhand und bringt es an einen verborgenen Ort; im Verborgenen unseres Herzens fertigen wir ja zahlreiche Götzenbilder an, wenn wir sündigen." 488 „Sünde" bedeutet für Orígenes demnach die Absolutsetzung eines innerweltlichen Gutes gleich welcher Art: Wo immer, so verbindet Orígenes biblischen Sündengedanken mit der platonischen Partizipationsontologie, 489 etwas Innerweltliches, sei es der Körper, sei es ein weltliches Ziel, in Verkennung seiner qua Abbild über sich hinaus- und auf Gott hinweisenden Natur zum höchsten Gut erhoben wird, betreibt der Mensch defacto Idolatrie. Ein rein irdisches Leben erscheint somit nicht nur als tiefes Unglück im philosophischen, sondern auch als Entfernung von Gott im biblischen Sinne. „Der Mensch", so die Quintessenz der ethischen Allegorisierung des Jesajatextes, „entscheidet sich entweder für einen Götzen oder für das wahre Ideal." 490 Einer unwürdigen Existenz, wie sie ein solches Lebensprinzip mit sich bringt, steht das prophetische Leben einer konsequenten Weltentsagung gegenüber, das den überweltlichen Logos Gottes zum Prinzip und die Gemeinschaft mit Gott zum Ziel hat. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es mit der äußeren Welt und mit dem eigenen Körper alles das überwindet, was die „verfettete" Seele vom überweltlichen, körperlosen Gott trennt. Der erste Imperativ eines christlichen Lebens ist für Orígenes deshalb ein kategorisches άφελε ττάντα, 49 ' ein radikaler Bruch mit der materiellen Welt außen wie innen, der das Herz wieder rein und so zur Gottesschau fähig sein lässt: „Fliehen wir also vor solchen Sorgen", so fordert Orígenes sich und seine Gemeinde auf, „auf dass unser Herz fein und Gott genehm werde! Fliehen wir vor weltlichen Beschäftigungen, sind sie es doch, durch die das Herz

487 488 489 490 491

Ebd. Ebd. 8,1 (8, 286). Vgl. C R O U Z E L , Origène 149. V O N B A L T H A S A R , Mysterion 530: „L'homme se choisit ou une idole ou la vrai ideal." So die grundlegende ethische Maxime Florins in enn. V 3,17.

III. Die Theologie der Jesajahomilien

verfettet!" 4 9 2 Es ist daher auch nicht von ungefähr, dass Orígenes, w e n n er in seiner großen R e p l i k auf die Christentumskritik des Platonikers Kelsos auf die alttestamentlichen Propheten zu sprechen k o m m t , insbesondere ihre Furchtlosigkeit angesichts eines blutigen Martyriums sowie ihr konsequent asketisches Leben hervorhebt: Gegenüber ihrem Zeugnis, das sie unter blutiger Verfolgung und größten persönlichen E n t b e h r u n g e n f ü r Gottes W a h r heit abgelegt hätten, verblasse selbst der Glanz der antiken Philosophenvorbilder. Aus der Prophetenschar hebt Orígenes Jesaja n o c h einmal besonders hervor. In ihm, „der", wie er voller B e w u n d e r u n g schreibt, „alle Abhärtung überbot, da er drei Jahre lang ,leicht bekleidet u n d b a r f u ß ' ging", 493 sieht er vor allem „den großen U b e r w i n d e r des Fleisches". 494 Die radikale Askese Jesajas ist praktischer Ausdruck der entschlossenen Verneinung des Materiellen und Nichtgöttlichen, wie sie in den vorliegenden Homilien vor allem im Bild des reinigenden Feuers Christi, des einen der beiden Seraphim, z u m Ausdruck k o m m t . Mit dem Martyrium, das weder Jesaja n o c h die übrigen Propheten gescheut hätten, eignet der asketischen Weltentsagung, als deren letzte Konsequenz es angesehen w e r d e n könnte, zudem die Dimension eines Sterbens in Christus: W i e Christus am Kreuz, so gibt auch der vollkomm e n e Christ, den Jesaja präfiguriert, sein körperliches Leben f ü r die geistige Wahrheit. 4 9 5 Die christliche Weltentsagung, v o n Orígenes an der zitierten Stelle aus Contra Celsum nicht nur selbst mit der paganen Philosophie in Verbindung gebracht, sondern regelrecht als deren Vollendung gepriesen, stellt dennoch keine bloße W i e d e r h o l u n g des stoischen Apathie-Ideals unter christologischen Vorzeichen dar. 496 W i e die allegorischen D e u t u n g e n der Antagonisten Jesajas zeigen, sind es entgegen mancher vereinfachenden Formulierungen des Predigers nicht etwa die Welt und der Körper per se, die es zu ü b e r w i n den gilt, sondern eine frei gewählte Haltung des Menschen beiden gegenüber. Entsprechend ist auch die v o m Christen geforderte Weltflucht und Weltentsagung durchaus eine qualifizierte: Jesaja bzw. der von i h m verkörperte Christ der origeneischen Vollkommenheitsdoktrin steht der Vielheit seiner körperlichen Vollzüge und der Welt frei u n d souverän gegenüber.

492 In Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289). 493 Cels. V I I 7 (GCS Orig. 2, 159); Übersetzung: 494 V Ö L K E R , Vollkommenheitsideal 49. 495

Vgl. VÖLKER, ebd.

KOE,TSCHAU, B K V

3

I

53, 2 1 5 .

218.

496 Es ist allerdings bezeichnend, dass mit Gregor dem Wundertäter bereits ein direkter Schüler des Orígenes ihn in diesem Sinne missverstanden hat; vgl. pan. Orig. 9 (FC 24, 170): „Er wollte uns sowohl frei von Leid als auch unempfindlich gegen alles Übel, innerlich ausgeglichen, gefestigt und wahrhaft gottähnlich und glücklich machen"; Übersetzung: G U Y O L / K L E I N , F C 24, 1 7 1 . Siehe dazu die kritische Auseinandersetzung mit Gregors Origenes-Deutung bei V Ö L K E R , ebd. 2 2 9 - 2 3 5 .

1 20

Einleitung

Anders als bei Menschen, die nach dem Usija- oder Israel-Prinzip als „Bauchdiener" faktisch Sklaven ihrer leiblichen Bedürfnisse und ihrer U m welt sind, sind es sein freier Entschluss für den Logos und sein eigentliches geistiges Selbst, die ihn leiten und an denen er sein Leben ausrichtet. Ihrem Ausgeliefertsein an die Vielheit der körperlichen Welt stellt Orígenes in den Jesajahomilien das Ideal eines Christen gegenüber, der sein Leben konsequent an dem einen Ideal der Nachfolge Christi ausrichtet. 497 In buchstäblich allen Lebensvollzügen soll der Christ Gottes Herrlichkeit transparent werden lassen: „Wie geschieht durch jeden einzelnen von uns die Fülle der Herrlichkeit Gottes?" So fragt Orígenes provokant und gibt selbst die Antwort: „Wenn das, was ich tue oder sage, zur Verherrlichung Gottes geschieht, wird mein R e d e n und Handeln erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Wenn mein K o m m e n und Gehen zur Verherrlichung Gottes geschieht, wenn meine Speise, mein Trank, wenn alles, was ich tue, zur Verherrlichung Gottes geschieht, habe auch ich teil an dem Wort: ,Erfüllt ist die Erde von seiner Herrlichkeit'." 498 Christliche Freiheit, zu der Orígenes seine Gemeinde anleiten will, vollzieht sich demnach keineswegs als Negation des Lebens, sondern, im Gegenteil, als Verklärung der gesamten Lebenswelt des Menschen im Lichte der in Christus offenbar gewordenen göttlichen „Herrlichkeit": Der Logos soll, so die ethische Anwendung des oben umrissenen psychologischen Hylemorphismus, zur Form des Lebens in all seinen Facetten werden. Bis hin zu elementaren Tätigkeiten wie Essen und Trinken 499 soll die disparate Vielheit des menschlichen Daseins, die „Materie" für

497 In Is. hom. 7,2 ( G C S Orig. 8, 282): „Das Glück ist also auf uns, die Jünger Jesu Christi, übergegangen, und unser Glaube an ihn ist ganz unerschütterlich, unser Leben so, wie er es uns gelehrt hat." Die Unerschütterlichkeit ist zusammen mit der Orientierung am einheitsstiftenden Christusideal ein zentrales Charakteristikum der origeneischen Ethik, das er hier nur andeutet, in anderen Predigten aber breit entfaltet. Vgl. insbesondere in Hiez. hom. 9,1 ( G C S Orig. 8, 406), w o Orígenes die metaphysische Unterscheidung von Form und Materie, Einheit und Vielheit ebenfalls ins Ethische wendet: „Wo Sünden sind, da ist Vielheit, da sind Spaltungen, Häresien, Streitigkeiten; w o aber Tugend ist, da ist Einheit (singularitas), da ist G e meinschaft (urlio), die das Herz und die Seele aller Gläubigen eins sein lässt. Und, um es präziser zu formulieren, das Prinzip aller Übel ist die Vielheit, das Prinzip aller guten Dinge die Vereinheitlichung und die R ü c k f ü h r u n g von Vielem auf Eines." D e n offenkundigsten Niederschlag findet die platonisch-spekulative Moralphilosophie des Orígenes in der Telosformel des vir unus, der sich selbst ganz treu und nicht länger Knecht der vielheitlichen Welt ist. Vgl. dazu in R e g n . hom. lat. 4 ( G C S Orig. 8, 5 - 7 ) · 498 In Is. hom. 4,2 ( G C S Orig. 8, 259). 499 Jede körperliche Leidenschaft, so der Hintergrund des zunächst bizarr anmutenden Motivs einer Nahrungsaufnahme nach Jesu Vorbild, tendiert, sich selbst überlassen, nach Orígenes dazu, maßlos und damit zur Besessenheit und gleichsam zu einem „Einfallstor" für die Arglist von Dämonen zu werden. D e n Zusammenhang von

III. Die Theologie der Jesajahomilien

121

Christi gestaltendes Wirken, den einen Logos, Christus, zur Anschauung bringen und ihn dadurch, so eine notwendige ontologische Konsequenz des Partizipationsgedankens, wirklich gegenwärtig machen. Christus ist nämlich nicht nur, wie Orígenes einem zu Beginn der fünften Predigt ausgelegten Prophetenwort entnimmt, „lebendige und für sich existierende Gerechtigkeit", 300 sondern insgesamt die „Tugend, die alle Tugenden in sich beschließt", 301 ein tugendhaftes Leben damit bereits reale Vereinigung mit dem Logos. Es stellt daher von der ersten Entscheidung gegen den inneren Usija und seinesgleichen an nicht weniger als ein Wunder dar, das sogar Jesu Krankenheilungen in den Schatten stellt,302 und eine wirkliche Theophanie. „Wenn er aber stirbt", so betont Orígenes die Gleichzeitigkeit von Weltüberwindung und Gottesschau, „dann sehen wir, sowie er stirbt, die Herrlichkeit Gottes." 303 Allerdings ist die in der Tugend vollzogene Verbindung mit dem Logos der Logik des Partizipationsgedankens entsprechend sowohl partiell als auch akzidentell. In der dritten Homilie zeigt Orígenes dies ausführlich an der Teilhabe am Geist, der Vollendung des guten Lebens in der Heiligkeit: Während der Geistbesitz Jesu, angezeigt durch das Verb „ruhen", ein substantieller und damit unverlierbarer ist, sündigt selbst der Heilige und verliert den Geist wieder: „Bedrängnis erleidet jeder Mensch, zu dem er gekommen ist. Denn jeder Mensch sündigt, ,gibt es doch keinen Gerechten auf Erden, der das Gute tut und nicht sündigt' (Koh. 7,2o)." 5 " 4 Die mit dem Tugendvollzug gegebene reale Vereinigung von Seele und Logos denkt Orígenes also unter Wahrung einer bleibenden, unüberwindlichen D i f f e renz. Mit der hier skizzierten substantiellen Heiligkeit des Menschen Jesus erhält auch das kategorische Gebot einer alle Lebensvollzüge prägenden imitatio Iesu ein ontologisches Fundament: Seine Seele ist, wie Orígenes im R ü c k g r i f f auf die Klagelieder sagt, gleichsam der „Schatten" des Logos, denn auch seinem Fleisch sei, so führt er in einem kurzen Exkurs zu Beginn der fünften Homilie aus, „die Würde der Göttlichkeit zuteil geworden". 5 0 3 körperlicher Natur und dämonischem W i r k e n bestimmt der Alexandriner dahingehend, dass „die Anfänge, gewissermaßen die Samen der Sünde von Dingen k o m men, die natürlich und alltäglich sind; w e n n w i r uns aber über G e b ü h r ihnen hingeben und nicht gegen die ersten R e g u n g e n der Zuchtlosigkeit Widerstand leisten, so ergreift die feindliche Macht die Gelegenheit dieser ersten Verfehlung, stachelt an und drängt weiter und sucht auf jede Weise die Sünden immer mehr auszuweiten": princ. III 2,2 ( G C S Orig. 247f.); Übersetzung: p. 569 GÖRCEMANNS/KARPP. Unmittelbar davor erwähnt Orígenes auch das Essen und Trinken. 500 501 502 503 504 505

In Is. hom. 5,1 ( G C S Orig. 8, 263). Cels. V 39 ( G C S Orig. 2, 43); Übersetzung: KOETSCHAU, B K V 2 I 53, 60. Vgl. in Is. hom. 6,4 ( G C S Orig. 8, 274F.). Siehe dazu ausführlich unten S. 1 2 9 - 1 3 1 . Ebd. 1 , 1 (8, 242f.) Ebd. 3,2 (8, 255). Ebd. 5 , 1 (8, 263).

1 22

Einleitung

Jesu Geschichte auf Erden ist daher in j e d e m Detail Spiegel des Logos, der mit der Entscheidung gegen die Welt und f ü r Gott im Einzelnen abermals einen Körper annimmt und Mensch wird. Diese ethische imit.at.io Iesu, in der sich ontologisch die Teilhabe verwirklicht, füllt Orígenes auch in den v o r liegenden Homilien mit Inhalt, w e n n er insbesondere Christi D e m u t , wie sie in der Fußwaschung u n d bereits in der Kenosis z u m Ausdruck k o m m t , herausstellt. Ihn, Jesus, der die Füße der Jünger v o m Schmutz dieser Welt reinigt und sie auf den W e g z u m Vater, der er selber ist, führt, sollten die Seelsorger sich z u m Vorbild n e h m e n , w e n n sie den einzelnen zu Christus leiteten. 506 Desgleichen sei auch das kirchliche A m t in der Nachfolge Christi ein Dienst und kein Mittel z u m Z w e c k eigener Ambition. 3 " 7 Vor allem aber tritt das Demutsmotiv als zentraler Aspekt des origeneischen Jesusbildes im Negativen, d.h. in der Kritik ihres Gegenteils, des Stolzes, hervor. Als j e n e Sünde, die Satan zum Abfall von Gott bewegt hat, ist sie f ü r Orígenes das ärgste U n h e i l überhaupt. 5 " 8 Dabei ist der Stolz nach seiner U b e r z e u g u n g deshalb so überaus gefährlich, weil er sich einstellt, w e n n der Mensch bereits weiter auf d e m christlichen W e g fortgeschritten ist. W e n n er sich dessen stolz und selbstzufrieden brüstet, so ist gerade dies Gelegenheit f ü r den Teufel, ihn abermals auf seine Seite zu ziehen. 5 " 9 Jesaja ist auch darin Vorbild, dass er, der immerhin einer Gottesvision gewürdigt wird, nicht überheblich wird, sondern im Gegenteil die menschliche Sündhaftigkeit als umso bedrückender empfindet. Ihm müsse man es gleichtun u n d nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder die eigene Niedrigkeit beklagen, 51 " damit man sich nicht in trügerischer Sicherheit wiegt u n d d e m R ä n kespiel des Teufels u n d seiner D ä m o n e n erneut auf den Leim geht. 511 W i e das Beispiel Jesajas zeigt, den Orígenes wiederholt als Vorbild christlicher Vollkommenheit preist, versteht Orígenes den Imperativ einer imitatio Iesu auch in einem weiteren Sinne. So kann er seine Gemeinde auffordern, nicht nur Christus selbst, sondern auch anderen biblischen Figuren nachzueifern. Abermals betont er dabei die jesuanische D e m u t , die er b e i m B ü ß e r Jesaja ebenso entdeckt wie bei Mose, der die B e r u f u n g durch Gott im Bewusstein eigener Unzulänglichkeit ablehnt: „Wir tun also gut daran, die demütigen Worte u n d Taten des H e r r n selbst u n d seiner Apostel nachzuahmen u n d zu tun, was Mose tat, so dass einer, auch w e n n er in eine leitende Stellung b e r u f e n wird, sagt: ,Bestimme u n d sende einen anderen!'" 5 1 2 Die Übertragung des imitatio-Motivs auf andere biblische Figuren 506 507 508 509 510 511 512

Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. 6 , 1

6,3 (8, 2 7 2 f . ) 6 , 1 (8, 269). 8,1 (8, 286). 8,2 (8, 287). 4,3 (8, 26of.) 8,2 (8, 287). (8, 270).

III. Die Theologie der Jesajahomilien

123

ist vor d e m Hintergrund der Ontologie, die es fundiert, der A n n a h m e einer realen Christusgegenwart in der Seele des Fortgeschrittenen, n u r konsequent. Schließlich steht es f ü r Orígenes außer Frage, dass Christus in den genannten biblischen Personen tatsächlich gegenwärtig gewesen ist. N e b e n den Aposteln, Mose u n d den Propheten, an denen sich die Gemeinde orientieren soll, kann er aus demselben G r u n d auch die Kirche als Vorbild empfehlen, 3 ' 3 ein Gedanke, der in der v o m Prediger herausgestellten Parallelität zwischen der geschichtlich-kirchlich bereits augenfälligen u n d der biographisch-existentiell n o c h zu verwirklichenden plenitudo gloriae Dei indirekt hervortritt. D a es sich bei der Vorbildfunktion der Kirche und der genannten Personen j e d o c h u m eine nur abgeleitete handelt und ihr Logosu n d Geistbesitz wie bei allen Geschöpfen zudem unvollkommener, akzidenteller N a t u r ist, scheut Orígenes vor kritischen Ä u ß e r u n g e n nicht zurück. So erscheint Jesaja beispielsweise in seinem Ubereifer f ü r die B e r u f u n g durch Gott im Vergleich mit den demutsvollen Bedenken des Mose geradezu als Negativvorbild. Desgleichen stellt Orígenes den, wie er schreibt, weltweiten Erfolg der Kirche, mit dem die plenitudo Dei allenthalben sichtbar zutagetrete, zwar eigens als Antrieb f ü r das sittliche Engagement des Einzelnen heraus. Dies hindert ihn aber, wie gesehen, keineswegs daran, Kritik an kirchlichen ,,Bauchdienern" zu üben, die sich allein v o n ihrem — klerikal verbrämten — Ehrgeiz leiten lassen. Bei aller detaillierten Entfaltung seines Vollkommenheitsideals verliert Orígenes niemals den Blick f ü r die B e d e u t u n g des ersten Schrittes, der U b e r w i n d u n g der Knechtschaft durch die Hingabe an Welt u n d Körper, von der der Beginn des Visionsberichts seiner Ansicht nach handelt. Die Entscheidung gegen Usija und Pharao und f ü r den Logos — beides ist nicht zu trennen — ist f ü r ihn innere Befreiung u n d W i e d e r h o l u n g des Exodusgeschehens: W i e die Israeliten bei Pharaos Tod atmet die Seele auf und schaut nicht länger gebeugt nach unten, sondern w e n d e t ihren Blick z u m Himmel. 3 ' 4 Ebenso erblickt Jesaja, gleich nachdem er den inneren Usija ü b e r w u n d e n hat, die Herrlichkeit Gottes. Die Vertiefung der Logosgemeinschaft in der Kontemplation seines Wesens, wie sie der Seele mit der A u f gabe der Welt und Christi A n k u n f t zuteil wird, ist der zweite Bereich des origeneischen Vollkommenheitsideals: Die Teilhabe an Jesus und der im Logos beschlossenen Tugenden in der vita activa ist zugleich der Beginn der Teilhabe am Logos, dem Prinzip v o n Schrift und Wirklichkeit, in der vita contemplativa.

513 Z u m Gedanken einer imitatio eccleüae vgl. CROUZEL, Imitation 35. 514 Vgl. in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 242) mit 5,3 (8, 267).

124

Einleitung Die geistige Erkenntnis von Schrift und Wirklichkeit

M i t seiner A n k u n f t im H e g e m o n i k o n der Seele gibt Christus der gefallenen Seele ihr (geistiges) Augenlicht zurück. In ihrem Innern hält sie mit ihm M a h l und verzehrt mit ihm zugleich die göttliche Natur, die sie in ihren ursprünglichen Zustand wiederherstellt. Z u s a m m e n mit der Erkenntnis des Logos in ihrem Innern erkennt die Seele aber auch die eigentliche, geistige Bedeutung der Heiligen Schrift und der gesamten Wirklichkeit u m sie herum, die sie, mit dem Logos vereint, mit seinen und damit mit den A u g e n ihres Urhebers und Schöpfers zu betrachten beginnt. W i e sie selbst nämlich, so haben auch die Schrift und die Welt in all ihrer Vielfalt den einen Logos als Prinzip. D i e Jesajahomilien sind reich an Äußerungen, die beredt Zeugnis f ü r die ausgeprägte Bibelspiritualität ihres Autors ablegen. Fast enthusiastisch gibt er ihrem Wort die Ehre, w e n n er sagt, „kein Wort in der Welt, ob bei den Griechen oder den Barbaren, sei w i e das Wort des Gesetzes; denn v o n j e d e m Wort und v o n aller Lehre, die Wahrheit verspricht, hebt das Gesetz sich ab, das uns v o n Gott gegeben worden ist". 5 1 3 U n d weit mehr noch als die J u d e n kann die Kirche stolz sagen: ,,Es gibt kein anderes Wort, das w i e dieses wäre, das Fleisch geworden ist, das unter uns gewohnt hat, dessen Herrlichkeit w i r gesehen haben, nicht w i e M o s e verdeckt durch eine Hülle (2 K o r . 3 , 1 3 ) , sondern die Herrlichkeit als des Einziggeborenen v o m Vater her, voller Gnade und Wahrheit (Joh. 1 , 1 4 ) . ' 0 1 6 D i e Schrift ist in ihrer Gesamtheit Christi Leib und Symbol. 3 1 7 Ihr rechtes Verständnis ist f ü r O r í genes daher zugleich Christusbeziehung und Schau der göttlichen Herrlichkeit. Nicht anders als die Schau der Herrlichkeit im „inneren M e n s c h e n " setzt auch die biblisch vermittelte Christuskontemplation die oben beschriebene innere U m k e h r voraus, mit der sich der hier genannte Schleier v o n den Buchstaben hebt. 5 1 8 U n d w i e die Absolutsetzung der irdischen W i r k lichkeit, sei es als Leben bloßer Lustbefriedigung, sei es als weltliche A m bition in und außerhalb der Kirche, überwunden werden muss, so ist auch eine Bibellektüre, die ihren Buchstaben absolut setzt und sich ihrem geistigen Sinn verschließt, Verfehlung ihres essentiellen Symbolismus, w e n n nicht Idolatrie. Als Symbol des Logos und als Symbole einer geistigen W i r k lichkeit weisen die geschichtlichen Ereignisse, 3 1 9 die sie erzählt, über sich

Ebd. 7 , 4 (8, 2 8 5 ) . 516 Ebd. 517 Hierzu noch immer grundlegend: GÖGLER, Theologie des biblischen Wortes, konzis zusammengefasst in ders., Inkarnationsglaube und Bibeltheologie. 518 Vgl. ScHOCKENHorr, Fest der Freiheit 41. 519 Mit Recht weist SCHOCKENHOEF, ebd. 4, darauf hin, dass die origeneische Schriftauslegung Deutung der Heilsgeschichte ist. 515

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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hinaus. Breit legt Orígenes seiner Gemeinde dies an d e m zentralen (irdischen) Symbol der (geistigen) Wirklichkeit der Schrift, an Jesus selbst, dar: So hätten zwar gewiss alle anwesenden Jünger gesehen, wie Jesus einem nach dem anderen die Füße gewaschen habe. Einsicht in das eigentliche Wesen seiner Symbolhandlung (similitude) aber, in ihr „Warum" (cur), n ä m lich die R e i n i g u n g ihrer Seele durch geistiges Wasser, hätten sie nicht erlangt. 320 D e n Grundsatz seiner Bibel- u n d Geschichtshermeneutik legt O r í genes offen, w e n n er ausdrücklich zwischen einem körperlichen u n d einem begrifflichen H ö r e n des Schriftwortes differenziert. 3 2 1 Z u d e m übersetzt er dies in Termini der Heilsgeschichte, w e n n er alles, was Jesus im Körper getan hat, als „Bild u n d Gleichnis des K ü n f t i g e n " bezeichnet: 3 2 2 Schrifthermeneutik ist zugleich H e r m e n e u t i k der Welt u n d ihrer Geschichte, die der Logos schafft und lenkt. 523 Mit der Abkehr von der Welt und der U m k e h r zu Gott beginnt die Seele zugleich die sie umgebende Welt mit den Augen des Gotteswortes — ihres Schöpfers, ihres Urbildes u n d ihrer Seele — zu sehen. A u c h der Kosmos ist sakramental verfasst, auch er ist Symbol des Logos, der auf seine geistige Wirklichkeit hin transzendiert w e r d e n will. 324 Orígenes bedient sich sogar desselben Vokabulars, w e n n er die Erkenntnis der rationalen Strukturprinzipien der Wirklichkeit, ihrer rationes, einer Minderheit vorbehält: W i e selbst von den Jüngern, w e n n überhaupt, nur einige wenige die rationes der Fußwaschung durch Jesus begriffen haben, so sehen auch die wenigsten die logoi der N a t u r u m sie herum. 3 2 5 Das Analogieverhältnis, in d e m die Vielfalt der empirischen P h ä n o m e n e zum einen Logos steht u n d das sie, w e n n nicht Wahrheit, so doch auch nicht Lüge sein lässt,526 ist ständiger Impetus, sie im Hinblick auf ihn zu transzendieren. Die Erkenntnis der Welt und ihrer heilsgeschichtlichen D y n a m i k ist deshalb, so der Kern der Kosmologie der Jesajahomilien, wie Orígenes sie im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Begriff eines medium Dei entfaltet, Schau Christi u n d der göttlichen Herrlichkeit in ihrer machtvoll anbrechenden Fülle. Genau wie eine letzte Erkenntnis der Schrift setzt f ü r ihn auch eine vollkommene Welterkenntnis, die zugleich Chris-

520 In Is. h o m . 6,3 (GCS Orig. 8, 272). 5 2 1 Vgl. ebd. (8, 2 7 1 ) . 5 2 2 Ebd. (8, 2 7 3 ) . 523 Vgl. SCHOCKI.ΝHOFH, Fest der Freiheit 24. 524 Siehe dazu ausführlich unten S. 1 4 4 - 1 4 7 . 525 In Is. h o m . 9 (GCS Orig. 8, 289). 526 Vgl. in loh. c o m m . I 167 (GCS Orig. 4, 31): „ N u n ist der Christus als Licht der Welt wahres Licht im Gegensatz zum sinnlich wahrnehmbaren, denn nichts, was sinnlich wahrnehmbar ist, ist wahr. D o c h folgt daraus, dass sinnlich Wahrnehmbares als solches nicht wahr ist, noch nicht, dass es falsch wäre. Schließlich kann das sinnlich Wahrnehmbare ja in Analogie zum Geistigen stehen; auf keinen Fall ließe sich vernünftigerweise alles, was nicht wahr ist, als falsch bezeichnen."

Einleitung

tuserkenntnis ist, auf Seiten des Betrachters nicht weniger als persönliche Heiligkeit voraus: N u r der Gerechte und Heilige, so sagt er seiner Gemeinde in der letzten Predigt ausdrücklich, vermag in den Dingen um sich, in ihrer Gestaltung und in ihrer Strukturiertheit, den Logos Gottes zu sehen. 327 D e m Allegorismus der Schrift entspricht also in streng analoger Weise ein Allegorismus der Welt, und beide sind in den Jesajahomilien vermittelte Begegnung mit Christus im Medium der Kontemplation. 328 Gotteserfahrung und geistige Sinnlichkeit Die Theorie einer geistigen Sinnlichkeit, 529 mit der die unkörperliche und mit ihm verwandte Seele Gott erkennen und auf vielfältige Weise erfahren kann, stellt gleichsam das biblische Vokabular für eine R e d e der Gotteserfahrung, die im Blick auf die Teilhabe an Gott in Denken und Handeln weithin den Regeln einer philosophischen Grammatik folgt. Angesichts der Zentralität des Themas eines Sehens bzw. Nicht-Sehens Gottes nimmt es nicht wunder, dass es in den Jesajahomilien eine bedeutende R o l l e spielt. Die Annahme einer der sinnlichen Wahrnehmung analogen theia aisthesis ist durchweg Hintergrund der Auslegung und überdies Gegenstand von eigens ihr gewidmeten Ausführungen, in denen Orígenes kurz ihr Wesen erläutert. Schließlich erweitert Orígenes seine Theorie in den Jesajahomilien um eine R e i h e weiterer geistiger Glieder und Körperteile. Die Theorie der geistigen Sinne macht Orígenes im R a h m e n seiner Deutung der in Jes. 8,19 genannten ventriloqui ausdrücklich zum Thema. Ausgangspunkt ist eine scheinbare Inkohärenz im biblischen Sprachgebrauch: Während das Wort „ M a g e n " in Verbindung mit einer Unterkategorie von Dämonen offenbar eine negative Bedeutung hat, eignet ihm im

527 Vgl. in Is. hom. 9 ( G C S Orig. 8, 289). 528 Vgl. BIGG, Christian Platonists 1 34: „To him Allegorism is only one manifestation of the sacramental mystery of Nature. There are two heavens, two earths - the visible is but a blurred copy of the invisible. T h e divine wisdom and goodness, which are the cause of both, are in this world of ours distorted by refraction arising f r o m the density of the medium." 529 Grundlegend ist noch immer der Aufsatz von K . RAHNER, Début, der eine hilfreiche Ubersicht über die relevanten Stellen enthält (ebd. 1 1 4 Anm. 5). M i t ihrer Diskussion der Gottesvision Jesajas und der VerStockung Israels sowie einem eigens der theia aisthesis gewidmeten kurzen Exkurs gehören die in der Forschung bislang vernachlässigten Jesajapredigten zu den für die Thematik ergiebigsten Texten des Orígenes. Rahners Liste ist ferner um den erst 1 9 4 1 entdeckten Dialog mit Herakleides zu erweitern, der zu einem Gutteil der Homonymie-Lehre gewidmet ist. Anders als Rahner, der einen rein biblischen Ursprung der Theorie annimmt, arbeitet die neuere Darstellung von DILLON, Aisthesis Noete, auch die Parallelen zur zeitgenössischen Philosophie heraus.

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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Neuen Testament vielfach ein unbestreitbar positiver Sinn — so etwa wenn von einer „Quelle von Wasser, sprudelnd zu ewigem Leben", 3 3 0 die im Magen oder Bauch des Gerechten entspringe, die Rede sei. Orígenes löst das exegetische Dilemma, indem er zur Diskussion stellt, „ob wir nicht vielleicht zwei Bäuche haben, der eine körperlich, der andere geistig, wie man bei den übrigen Körperteilen sieht, denen man einen Namen gibt, beispielsweise bei den Augen, die einerseits die Augen des Körpers, andererseits die der Seele meinen." 5 3 1 Es sind also nicht nur die fünf Sinne — Orígenes nennt hier stellvertretend die Augen, das Sehen —, sondern der gesamte Körper, der eine Entsprechung beim inneren geistigen Menschen hat. So lasse sich j e nach Bibelstelle jeder Körperteil, der in ethischem oder theologischem Zusammenhang unmöglich eine Referenz im sinnlich Wahrnehmbaren haben kann, als sein unsinnliches Analogon auffassen. Dementsprechend drehe sich im Leben der ventriloqui des Jesajabuches tatsächlich alles um einen vollen Magen und andere irdische Belange, 332 während die Quelle des neutestamentlichen Gerechten in seinem geistigen M a gen entspringe. Gemeint sei dort der, wie Orígenes sagt, „Bauch der Seele". 5 3 3 Ebenso sei es nicht der körperliche Fuß, der den Staub abschütteln und über Christus, den Weg, schreiten solle, sondern sein geistiges Pendant, von dem es auch an anderer Stelle in der Schrift heiße, dass er nirgendwo anstoßen solle. 534 Und soll das Vorbild des fußwaschenden Jesus nicht absurd sein und seine verpflichtende Kraft verlieren, dann sind es auch sie, die Füße der Seele, die der Seelsorger in der imitatio Christi mit geistigem Wasser waschen soll. 535 Aber auch jenseits einer expliziten Auseinandersetzung durchzieht das Prinzip der Analogie zwischen innerem und äußerem M e n schen als wichtiger hermeneutischer Grundsatz das gesamte Predigtcorpus und trägt praktisch jedes Ergebnis der allegorischen Auslegung. Von der etwas gezwungen anmutenden Metapher einer Geburt des Geistes im Bauch der gerechten Seele 536 abgesehen, handhabt der Prediger Orígenes die M e tapher des inneren Menschen und seiner Sinne und Leiden und Gebrechen im Allgemeinen mit großer Kunstfertigkeit: Es ist, wie gesehen, der innere Mensch, der Christus verzehrt, wie dieser umgekehrt von den guten Taten

530 J o h . 7,38; 4,14. 531 In Is. hom. 7,3 ( G C S Orig. 8, 283). 532 Indem Orígenes damit de facto auch den Magen der ventriloqui als Metapher interpretiert, droht die Trennlinie zwischen univok-körperlichem und analog-geistigem Sinn unscharf zu werden. Andererseits entspricht gerade dies der „Elastizität" metaphorischer Sprache. 533 In Is. hom. 7,3 ( G C S Orig. 8, 284). 534 Vgl. ebd. 6,3 (8, 273). 535 Vgl. ebd. (8, 272f.). 536 Vgl. ebd. 7,3 (8, 284).

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Einleitung

und G e d a n k e n der ihm anvertrauten Seele isst. Jesajas Lippen, die der C h r i s tus-Seraph mit K o h l e verbrennt, stehen f ü r sein D e n k e n und Sprechen. 3 3 7 U n d bei den Blinden, die dank der Kirche heute w i e d e r sehen, und den L a h m e n , die dank ihrer w i e d e r gehen können, handelt es sich nicht etwa u m körperlich, sondern u m geistig Versehrte M e n s c h e n , die zu Christus zurückgefunden haben. V o n großer B e d e u t u n g ist die geistige Sinnlichkeit i m K o n t e x t zweier zentraler T h e m e n der Sammlung, der Gottesvision Jesajas und der Verstockung Israels. Das „ S e h e n " Gottes, das Orígenes in i m m e r neuen A n l ä u f e n zu ergründen sucht, so zu verstehen, als habe Jesaja G o t t mit den körperlichen A u g e n w a h r g e n o m m e n , käme einem kruden Anthropomorphismus gleich, w i e ihn Kelsos d e m Christentum unter B e r u f u n g auf entsprechende Bibelstellen tatsächlich auch z u m V o r w u r f macht. 5 3 8 Orígenes lässt freilich keinen Z w e i f e l daran, dass in der behandelten Perikope ein geistiges Sehen, ein Verstehen Gottes in der Vermittlung durch S o h n und Geist, gemeint ist. So besteht, ohne dass er die an anderer Stelle ausführlich behandelte U n terscheidung v o n „ s e h e n " und „verstehen" n o c h einmal wiederholt, 5 3 9 das „ S e h e n " i m theologischen Z u s a m m e n h a n g in der Einsicht in die rationes der D i n g e , ihre tiefere B e d e u t u n g jenseits des bloßen Augenscheins. Beispiele hierfür sind so unterschiedliche T h e m e n w i e die i m E v a n g e l i u m berichtete Fußwaschung und die Welt in ihren Ordnungsstrukturen. E i n e explizite B e h a n d l u n g erfährt das geistige Sehen i m Z u s a m m e n h a n g der Verstockung Israels: „Was aber ist der G r u n d d a f ü r " , so die zentrale exegetische Frage, „dass der H ö r e n d e nicht versteht und der Sehende nicht sieht (Jes. 6,9)?" 5 4 υ Z u r B e a n t w o r t u n g dieser Frage unterscheidet der Alexandriner ausdrücklich zwischen einem geistigen Herzen und einem körperlichen, das „ v e r f e t t e n " kann, ehe er die geistige „Verfettung" Israels darstellt: Israel b z w . der M e n s c h , der das Prinzip Israel zur Lebensmaxime macht, hat, w i e dargelegt, das Gotteswort und die Schrift (körperlich) v o r A u g e n , ohne es doch (geistig) zu sehen. A n a l o g verhält es sich nach Orígenes mit d e m prophetischen V o r w u r f der Schwerhörigkeit, mit dem er nicht etwa ein physisches, sondern ein weit schwerer wiegendes psychisches Leiden anprangert. D i e T h e o r i e der geistigen Sinnlichkeit, eingeführt aus exegetischer (und apologetischer) N o t w e n d i g k e i t , komplettiert das Vollkommenheitsideal der

537 Diese D e u t u n g von „ L i p p e " ähnelt der von „ M a g e n " im Fall der ventriloqui: D e r metaphorische Gebrauch v o n „ L i p p e " ist der univoken Bedeutung weit näher als beispielsweise der über den Weg, Christus, gehende „ S e e l e n f u ß " dem körperlichen. 538 Vgl. Cels. V I I 33 f. ( G C S Orig. 2, 1 8 3 - 1 8 5 ) . K . RAHNER, Début i i 7 f . , sieht in der A b w e h r einer anthropomorphen Gottesrede ein zentrales M o t i v f ü r die E n t w i c k lung der Lehre von den geistigen Sinnen. 539 Vgl. princ. I 1,8 ( G C S Orig. 5, 26). 540 In Is. hom. 6,4 ( G C S Orig. 8, 275).

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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Jesajahomilien: Die Sünde, die den Menschen in Gestalt eines Usija oder Pharao an der R ü c k k e h r zu Gott hindert, erscheint als Krankheit eines Geistes, dessen mit Gott verwandte Sinne abgestumpft sind. Umgekehrt erschöpft sich die christliche Vollkommenheit, wie sie die Jesajahomilien schildern, nicht im rein Intellektuellen, sondern stellt sich als eine alle Sinne (und mehr) ansprechende Erfahrung dar, die der Prediger Orígenes unter Verwendung einer Fülle biblischer Bilder und Motive plastisch auszumalen weiß.

c) Der einzelne Christ und die Kirche Ein letzter wichtiger Aspekt des Vollkommenheitsideals, das Orígenes seiner Gemeinde vor Augen führt, ist sein kirchlicher Charakter. Die Äußerungen ausdrücklich ekklesiologischen Inhalts sind in den erhaltenen Jesaj apredigten zwar rar. Dennoch stellen sie eine wichtige Ergänzung zu dem darin propagierten Vollkommenheitsideal dar, das Orígenes nicht unabhängig von einer Einbindung in die Kirche, in ihr Leben und ihre Geschichte denkt. Der Repräsentant der Kirche ist für den vir ecclesiasticus, der Orígenes als Philosoph und Exeget sein will, vor allem Diener und Seelenführer. Seine aufrichtige Sorge um die ihm anvertraute Gemeinde stellt Orígenes nicht nur in der Vielzahl eindringlicher Appelle, die er an das einzelne Gemeindeglied richtet, eindrucksvoll unter Beweis. Das kirchliche Amt stellt er darüber hinaus auch ausdrücklich als soziale Dimension seines Ideals einer umfassenden imitatio Iesu dar. W i e Jesus bei der Fußwaschung sollen auch die Bischöfe und Presbyter niederknien und den ihnen anbefohlenen Seelen die geistigen Füße waschen. Jesaja ist auch hier Vorbild: Einer Schau Gottes gewürdigt, führt er nicht etwa ein zurückgezogenes, kontemplatives Leben, sondern legt sogar einen nicht ungefährlichen Eifer an den Tag, als Gott ihn zum Volk Israel sendet: „Lasst uns aber auch in bestimmter Hinsicht Partei für ihn ergreifen", leitet der Prediger von der Kritik des Propheten zu einem neuen, wichtigen Aspekt der imitatio prophetae über, den er wie folgt erläutert: „ S o wollte er die Gnade, nachdem er sie bereits von Gott empfangen hatte, nicht vergebens empfangen (2 Kor. 6,1), sondern für etwas Wichtiges verwenden." 5 4 1 Das soziale Engagement ist notwendige Konsequenz der empfangenen Gottesschau. Jesaja gleicht damit in gewisser Weise dem platonischen Philosophen, der nach der beglückenden Ideenschau unter Gefahr für das eigene Leben in die Höhle der irdischen Welt zurückkehrt und andere aus der Finsternis befreien will. 342 Direktes Vorbild ist aber auch

541 Ebd. 6,2 (8, 270). 542 SCHOCK 1 .N HOFF, Orígenes und Plotin, sieht darin mit einigem R e c h t den zentralen

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hier niemand anderer als Jesus selbst, der keine der gefallenen Seelen aufgibt und sie aus der selbstverschuldeten Dunkelheit befreien will, indem er sich selbst erniedrigt und aus freien Stücken zu ihnen herabsteigt. 543 U n d mit Christus kehrt auch der Pneumatiker, nachdem er sich in die Knechtschaft eines kirchlichen Amtes begeben hat, irgendwann zusammen mit den von ihm bekehrten Seelen wieder in den himmlischen Thronsaal zurück. 344 Dass es auch und vor allem dessen Wirken ist, das durch den einzelnen Pneumatiker geschieht, und dass Christus nicht zuletzt im Einzelnen „herumläuft" und „sich" die Welt nach und nach „unterwirft", 5 4 3 ist eine K o n sequenz der mit der Partizipation gegebenen differenzierten Einheit von Logos und fortgeschrittenem Christen: Die Logosmystik, wie sie in dem Ausruf: „Ich selbst bin die Weisheit" zum Ausdruck kommt, ist ebenso wenig rhetorisch-homiletische Ausschmückung wie die R e d e von mehreren „Christoi" im ersten Kommentarfragment, sondern, wie gesehen, logische Folge einer Ontologie der Christusgegenwart. In einer eigenen Theorie des Wunders wendet Orígenes dies in ausgesprochen kühn anmutenden Ausführungen auf das Wirken der Kirche im Ganzen an: Gott sei, wie er seiner Gemeinde klarmacht, auch heute nicht „müßig", 5 4 6 sondern wirke, w o immer er von „Zion", seinem hohen „Aussichtspunkt" aus eine „Seele" erspähe, „die geeignet ist", durch diese noch immer „Zeichen und W u n der". 547 Wie er damals durch Christus und die Apostel gewirkt habe, so bediene er sich nun ihrer Fähigkeiten und Talente, u m die gefallenen Seelen zu belehren und sie zu einem Gelingen ihrer Freiheit in Christus anzuleiten. Der Erfolg, den der Prediger der Kirche bei aller Kritik an einzelnen „Bauchdienern" in ihren R e i h e n attestiert, spreche für sich: Die Wunder und Zeichen, die von ihren Vertretern gewirkt werden, übertreffen sogar jene, die der Logos selbst in körperlicher Gestalt gewirkt hat: „Bis auf den heutigen Tag aber", so feiert Orígenes die zahllosen „Wunder und Zeichen" der Gegenwart, „sehe ich die Jünger Jesu dank ihres großen Glaubens Zeichen vollbringen, die größer sind als die körperlichen, die Jesus vollbrachte. Oder gibt es jetzt etwa keine Blinden, die sehen, Lahme, die gehen, und Aussätzige, die rein werden, u nd geschieht nicht auch das Übrige (Lk.

Unterschied zwischen dem Piatonismus des Orígenes und dem seines Zeitgenossen Plotin: Während bei diesem die Einbindung der theoria in das platonische Ethos der Polis und ihrer paideia faktisch aufgegeben sei, erweise die konstitutive kirchlichsoziale Dimension der Schau bei Orígenes diesen als den treueren der beiden spätantiken Platondiadochen. 543 544 545 546 547

Vgl. in Is. hom. 6,7 ( G C S Orig. 8, 278). Vgl. ebd. 6,1 (8, 269). Ebd. 1 , 1 (8, 243). Ebd. 7,2 (8, 2 8 1 ) . Ebd.

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III. Die Theologie der Jesajahomilien

7,22), wenn der, der gestern so geblendet war, an ein Götzenbild heranzutreten, als sei es Gott, heute den lebendigen Gott anruft und alles Frühere aufgibt? Oder wenn, der gestern lahm war infolge der Sünde, jetzt, durch die Lehre der Jünger über den wahren Weg belehrt, diesen festen Schrittes beschreitet?" 548 In der Auslegung der Sanctus-Doxologie lenkt Orígenes den Blick, wie gesehen, auf den weltweiten Erfolg des Evangeliums, wie er in den „ K i r chen der Seligen, die überall sind", 549 sichtbar werde. Der Erfolg der christlichen Gemeinden ist für Orígenes nicht weniger als die sinnfällige Erfüllung der Seraphim-Prophezeiung einer Himmel wie Erde erfüllenden göttlichen Herrlichkeit, die mit Christi Ankunft Wirklichkeit geworden ist: Als die im Logos verklärte Menschheit 530 weist die Kirche den Weg zum Ziel einer von Christus gänzlich unterworfenen Welt, in der Gott schließlich ,,alles in allem" ist. Ihr R i n g e n mit dem hochmütigen Assyrerkönig, dem Teufel, der sie durch äußere Verfolgung und inneren Zwist zu Fall bringen will, 551 steht also unter dem Vorzeichen der mit Jesus Christus bereits angebrochenen Fülle der göttlichen Herrlichkeit, seines unumkehrbaren Siegeszuges. Die Geschichte der Kirche bildet jedoch nicht nur den Hintergrund des geistigen Kampfes, den der Einzelne mit Satan und seinen Schergen auszutragen hat. In diesem Sinne hat der Hinweis auf die Kirche bei Orígenes protreptischen Charakter: Angesichts des globalen Erfolgs des Evangeliums müsse auch er, der einzelne, endlich selbst aktiv werden und an der erregenden Entwicklung seiner Zeit teilhaben. Dass christliche Erlösung auch und vor allem eine soziale und sogar universale Kategorie ist, deutet Orígenes selbst an, wenn er die siebte Homilie mit der Aussicht auf die Erlösung der gesamten Kirche schließt. Demnach ist Christus nicht nur der Logos, der die Seele des Einzelnen heilt und rettet, sondern zugleich, so die abschließende Doxologie der Homilie, das unvergleichliche Wort, „das die Kirche empfangen hat, an das sie glaubt, durch das sie auch gerettet werden wird". 5 5 2

548 Ebd. 6,4 (8, 274f.). 549 Ebd. 4,2 (8, 259). 550 Vgl. zu dieser spekulativen Grundbestimmung der Kirche bei Orígenes osmystik 1 1 2 . 551 Vgl. in Is. hom. 8,2 (GCS Orig. 8, 2 8 7 Q . 552 Ebd. 7,4 (8, 285).

LII;SKI;,

Log-

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3. Gott und Geschichte: Jesajas Vision des trinitarischen Gottes a) Gott — A n f a n g , Mitte und Ende: Christliche Weltdeutung zwischen Jes. 6 und N o m . 4 Trotz einer dezidiert existentiell-ethischen Ausrichtung belassen es die v o r liegenden Homilien nicht bei dem oben dargestellten Umriss einer christlichen Viatorik, die den Menschen zum göttlichen Wort und der in ihm vermittelten Gottesschau führen soll. D i e spekulativ-theologische Deutung der Vision selbst stimmt mit dem im Vorhergehenden dargestellten Vollkommenheitsideal darin überein, dass sie kunstvoll biblische Erzählung und platonische Philosophie zu einer Synthese v o n höchstem metaphysischem Anspruch verbindet. So ist es nicht v o n ungefähr, dass Orígenes die Jesajavision im literarischen Disput mit Kelsos 533 mit einem Schlüsseltext des Platonismus in Verbindung bringt, nämlich einem Passus aus dem zweiten Brief, 5 5 4 anhand dessen etwa Plotin seine Doktrin v o n den drei Hypostasen entfaltet. 335 Seine ausführliche Behandlung der Vision in den Predigten stellt j e n e Theologie dar, die Orígenes in der Apologie aufgrund ihrer Erhabenheit zu entfalten sich weigert. Als solche bietet sie einen Beitrag zu der Frage nach der Vermittlung v o n Transzendenz und Immanenz, v o n Einheit und Vielheit, die als Grundproblem der gesamten philosophiegeschichtlichen Epoche v o n Eudoros bis Proklos 5 3 6 zugleich das Grundproblem des gesamten spekulativen Denkens des Orígenes ist.3'57 Ergebnis dieser Anstrengung des Begriffs ist der E n t w u r f einer christlichen Weltdeutung, die Gott und

553 Vgl. Cels. VI 18f. (GCS Orig. 2, 88-90). 554 Piaton, epist. 2, 312 e 1 - 313 a 2: „Auf den königlichen Herrscher des Alls bezieht sich alles und jedes und er ist der Endzweck von allem sowie auch der Urheber von allem Schönen. Ein Zweites aber hat seine Beziehung auf das Zweite und ein Drittes auf das Dritte. Die menschliche Seele nun trägt Verlangen nach Erkenntnis der eigentlichen Beschaffenheit desselben, weil sie noch ganz befangen ist im Anschauen des ihr Verwandten, das dem Geiste doch in keinem Stück volle Befriedigung gewährt. Bei dem Allherrscher und dem, worauf meine Äußerungen (damals) gingen, findet sich von dergleichen Unvollkommenheit nichts"; Ubersetzung: VI p. 26 Apelt. 555 Vgl. Plotin, enn. V 1,8. Zur Bedeutung des zweiten Briefes siehe den wichtigen Aufsatz von Findi.ay, Three Hypostases, der nicht nur für die Echtheit des Briefes, sondern, wichtiger noch, auch für den Ursprung der Dreihypostasenlehre bei Piaton selbst eintritt. 556 Siehe Rι \ι 1. Schools of the Imperial Age 215—227. Die Zentralität der Fragestellung ergibt sich aus der Wiederentdeckung der „zweiten Seefahrt" Piatons um die Zeitenwende: Mit der Annahme einer eigenen geistigen Wirklichkeit verbindet sich, sei es in der Kosmologie, sei es in der Ethik, mit Notwendigkeit die Frage nach ihrem Verhältnis zur empirischen Welt. 557 Vgl. p. 20 Görgi'.manns/Kari'i».

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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Welt im Sinne einer dynamischen Kosmologie und heilstrinitarischen Geschichtsphilosophie in einer differenzierten Einheit zusammendenkt. Was also, so die Leitfrage der Homilien, hat Jesaja nach Orígenes genau gesehen, wenn es biblisch heißt, er habe den „Herrn auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen sehen"? 558 Die Frage scheint zunächst leicht und ohne weiteres beantwortbar. Bereits in der Prinzipienschrift 539 vertritt Orígenes unter Berufung auf einen nicht näher identifizierten „Hebräer", vermutlich einen Judenchristen, 560 die Deutung, die er in den vorliegenden Homilien ausführlich entfaltet: Jesaja sieht nicht zwei Seraphim, 361 sondern Logos und Pneuma, die Anfang und Ende des Vaters verhüllen. Unter Hinzuziehung eines ähnlich lautenden Habakukzitates nimmt Orígenes dort j e doch bereits eine wichtige Differenzierung vor: Jesaja sieht nicht einfach Vater, Sohn und Geist. Ihm wird vielmehr eine Erkenntnis oder Schau des Vaters zuteil, die der Sohn im Geist vermittle: „Denn jegliches Wissen über den Vater wird durch die Offenbarung des Sohnes im Heiligen Geist erlangt, so daß diese beiden, die nach dem Propheten ,lebende Wesen' heißen, den Grund des Wissens von Gott Vater bilden." 5 6 2 Der Gedanke einer „kosmischen Mittlerstellung des Sohnes und des Geistes", 363 wie er darin zum Ausdruck kommt, und seine spekulative Entfaltung als Wissens- und W e sensvermittlung in Welt und Geschichte ist der Kern der ungleich komplexeren Exegese der Vision in der vorliegenden Predigtsammlung, die von der ersten Zeile an das besondere Problembewusstsein ihres Autors dokumentiert. So arbeitet Orígenes zunächst zwar die besondere theologische Dignität von Jesajas Gottesschau heraus. Anders als Daniel oder Micha etwa, die Gott in seiner Eigenschaft als vom Himmel herabsteigenden Richter gesehen haben, sieht Jesaja Gott „auf einem erhabenen und hohen Thron", also in Ausübung einer mit der himmlischen Regentschaft weit erhabeneren Tätigkeit als der richterlichen. 564 Ebenso ist, wie gesehen, das in den Jesajapredigten skizzierte Ideal christlicher Vollkommenheit ganz auf das Ziel der Gottesschau, wie sie Jesaja als vorbildlichem Asketen und Büßer zuteil wird, ausgerichtet. Indes verrät bereits die Diktion der einleitenden ethischen Deutung die große Vorsicht des Auslegers. So sieht der Prophet nach der

558 559 560 561

In Is. hom. 1 , 1 (GCS Orig. 8, 243). Vgl. princ. I 3,4; IV 3,14 (GCS Orig. 5, 53. 34óf.). Siehe dazu oben S. 83. Dass Sohn und Geist nicht auch Engel sind, wird an der zweiten Behandlung in Περί άρχων deutlich, in deren Rahmen Orígenes die himmlische Engelhierarchie scharf von beiden absetzt. Vgl. dazu auch K R E T S C H M A R , Trinitätstheologie 66f.; S A A K E , Tractatus 98. 562 Princ. I 3,4 ( G C S Orig. 5, 53); Ubersetzung: p. 167 G Ö R G E M A N N S / K A R I T . 563 K R E T S C H M A R , Trinitätstheologie 68. 564 Vgl. in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 243).

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Einleitung

von Orígenes gegebenen Paraphrase nicht einfach Gott, sondern eine „Vision Gottes", und im Zusammenhang mit der hierfür erforderlichen Uberwindung des „inneren Usija" stellt der Prediger seinen Hörern als Lohn für ihre sittliche Bemühung nicht etwa eine Vision Gottes selbst, sondern eine solche der „Herrlichkeit Gottes" in Aussicht. 563 U n d wenn er wenig später doch von einem videre Deum spricht, so präzisiert er dies wiederholt im Sinne der v o m Propheten eigentlich geschauten Herrschertätigkeit Gottes im Wort. 566 Auch im Folgenden ist es weniger Gott selbst als seine von den Seraphim gepriesene Herrlichkeit, die nach Orígenes' Lesart eigentlicher Gegenstand der Schau zu sein scheint. 567 Dass es sich bei der Gottesvision Jesajas in der Tat keineswegs um eine innerweltliche Vorwegnahme der eschatologischen visio beatífica, einer umfassenden Gotteserkenntnis, handelt, hebt Orígenes schließlich ausdrücklich hervor. Eine apokryphe Uberlieferung der Juden aufgreifend, nach der Jesaja als Gesetzesübertreter von aufgebrachten Juden zersägt worden sein soll, argumentiert Orígenes, dass J e sajas Behauptung, Gott gesehen zu haben, keinesfalls, wie von den Juden in der Geschichte fälschlich angenommen, im Widerspruch zu dem Schriftwort stehe: „Niemand wird mein Angesicht sehen und am Leben bleiben" (Ex. 33,20). Ebenso wenig wie Mose, dem Gott lediglich seinen R ü c k e n gezeigt habe, habe Jesaja nämlich Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen. 568 Schließlich spricht Orígenes im Dialog mit Herakleides sogar unumwunden v o m „Schatten, ... wie ihn Jesaja hatte, ,als er den Herrn Zebaot auf einem hohen und erhabenen Thron sitzen sah'". 569 Der zentrale Begriff, mit dem Orígenes in den Jesajapredigten den irdischen und damit notwendig bild- und schattenhaften Charakter der Gottesschau des Propheten zum Ausdruck bringt und bei dem es sich darüber hinaus, wie im Folgenden zu zeigen ist, um einen Schlüsselbegriff der theologischen Kosmologie des Orígenes handelt, ist der der „Mitte Gottes" (medium und media oder medietas). Sie allein ist dem Menschen zugänglich, während Gottes „Antlitz" und „ F ü ß e " , sein „ A n f a n g " (exordium oder principium) und sein „ E n d e " (novissimum bzw. novissima) von den mit dem Logos bzw. dem Pneuma identifizierten Seraphim verborgen werden. Der philosophische Terminus „Mitte" wird von Orígenes allgemein in einer R e i h e von verschiedenen, aber doch von einer einzigen Grundbedeu-

565 Vgl. ebd. 566 Vgl. ebd. (8, 243 F.). 567 Vgl. etwa ebd. (8, 244): „Die Fülle der Herrlichkeit Gottes aber wirst du in der Gegenwart nicht finden; wenn jemand jedoch Gott einen Tempel erbaut, wird er die Herrlichkeit Gottes sehen, und wenn er befolgt, was gesagt worden ist, wird er das Haus von der Herrlichkeit Gottes erfüllt sehen." 568 Vgl. ebd. 1,5 (8, 247f.). 569 Dial. 27 ( S C 67 a , 108); Übersetzung: F R Ü C H T ^ , , B G r L 5, 44.

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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tung herleitbaren Bedeutungen verwendet, 5 7 " die allesamt f ü r sein Verständnis in den vorliegenden Predigten von B e d e u t u n g sind. W i e bei Piaton und im zeitgenössischen Piatonismus ist die Seele als Mitte u n d Mittlerin zwischen intelligibler und empirischer Welt, zwischen Geist u n d Leib, seine erste R e f e r e n z , v o n der her auch die übrigen Bedeutungen verständlich werden. 3 7 ' Synonym f ü r koinos bzw. communis gebraucht, bezeichnet der Begriff sodann das im Vergleich zum eigentlich bedeutsamen geistigen Leben u n d Sterben „banale" Leben und den „banalen" Tod, 572 d.h. die bloß physische Existenz u n d ihr Ende. D e r psychologische Z u s a m m e n h a n g dieser zweiten B e d e u t u n g tritt in der vierten Predigt der vorliegenden Sammlung hervor: Eine Seele, die, ihres inneren Logos beraubt, zu keinerlei sittlicher Entwicklung imstande ist, also weder zu einem göttlichen geistigen Leben auf- n o c h zu einem körperlich-tierischen absteigen kann, ist zu einem banalen Leben verurteilt u n d gleicht einem jeder Schmerzempfindung beraubten Toten. 5 7 3 Von daher erklärt sich auch die dritte Wortbedeutung, adiaphoron bzw. indifferens, denn die Seele als solche ist ihrem Wesen nach, wie gesehen, nur Potential u n d Materie f ü r das gestaltende W i r k e n des Logos oder, negativ, des Teufels. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass das von Orígenes formulierte ethische Kontradiktionsprinzip die tatsächliche Existenz eines Adiaphoron ebenso wenig zulässt wie eine allein im R a h m e n eines Gedankenexperiments abstrahierbare geistlose u n d zu jeder E n t w i c k lung unfähige Seele. Vielmehr verhält es sich so, „dass", wie Gruber schreibt, „das μέσου (wie auch der Terminus άδιάφορον) nicht adäquat geschieden zwischen den Extremen steht, sondern als ihr gemeinsames F u n dament (κοινόν) in u n d gleichsam unter ihnen". 5 7 4 In beiden Fällen handelt es sich also u m rein hypothetische Kategorien ohne Entsprechung in einer Schöpfungswirklichkeit, die, u m der Wiederherstellung der gefallenen Geister willen geschaffen, i m m e r schon teleologisch vordeterminierte Erlösungswirklichkeit ist: Als gefallener Geist bleibt die Seele wesenhaft Abbild des Logos u n d als solches stets auf ihre A u f h e b u n g im göttlichen Urbild h i n geordnet, ein Wesensmerkmal, das infolge eines sinnlich-irdisch orientierten Lebenswandels zwar verdeckt werden, niemals aber verloren gehen kann.

570 Vgl. zum Folgenden die kurzen Übersichten bei SCHERER, Entretien ì ó p f . Anni. 15, sowie die darauf aufbauende schematische Auflistung der verschiedenen B e d e u t u n gen bei GRUIÌER, ΖΩΗ 1 31 f. Aufgrund der fehlenden (Scherer) bzw. nur sehr knappen (Gruber) Berücksichtigung der vorliegenden Homilien k o m m e n in den genannten Ubersichten weder der theologisch-kosmologische Gehalt des Begriffs noch der innere Z u s a m m e n h a n g der verschiedenen Bedeutungen von medium zur Geltung. 571 Siehe dazu auch oben S. 11 3 - 1 1 5. 572 So der treffende Ubersetzungsvorschlag von SCHERER, Entretien 169. 573 Vgl. in Is. h o m . 4,3 (GCS Orig. 8, 260). 574 GRUIÌER, ΖΩΗ 133 (mit einem erhellenden Schaubild).

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Einleitung

Dieser teleologische Grundcharakter des Seelischen ist f ü r die vierte Wortbedeutung, medium als gegenwärtige Wirklichkeit und „Mittelbereich einer geschichtlichen Entwicklung", 3 7 5 v o n großem Belang. In Verbindung mit der Bestimmung Dei stellt medium in dieser letzten Bedeutung zudem einen f ü r sein Verständnis in den Jesajapredigten wichtigen intertextuellen B e z u g zu einer im Piatonismus zur Zeit des Orígenes viel diskutierten Passage aus Piatons „Gesetzen" her. Dort heißt es in der „ R e d e " des Atheners „an die Siedler": „Ihr Männer ..., der Gott (ò θεός), welcher, w i e auch der bekannte alte Spruch verkündet, A n f a n g , Ende und Mitte aller Dinge (άρχήν TE και τελευτήν και μέσα τ ω ν όντων άττάντων) in seiner Hand hat, wandelt ohne Fehl der Natur gemäß seine ewig gleiche Bahn; seine ständige Begleiterin aber ist die Gerechtigkeit (oder: Dike), die strenges Gericht hält über die, welche sich dem göttlichen Gesetze nicht fügen; ihr ergeben ist jeder, der glückselig werden will, und hält fest zu ihr in D e m u t und Bescheidenheit." 3 7 6 B e i „ d e m G o t t " , v o n dem der Athener spricht, handelt es sich u m die Weltseele. A n ihrer stets gleichen Bahn, w i e sie in der geordneten B e w e g u n g der Gestirne sichtbar wird, soll der Mensch, so Piatons Verknüpf u n g v o n Kosmologie und Ethik, M a ß nehmen und an ihr sein Leben ausrichten. N u r so werde seine Seele „gerecht", d.h. wohlgeordnet, und, das höchste Ziel aller antiken Ethik, „glücklich". 3 7 7 Heute weniger bekannt, hat der Text v o n der Alten Akademie bis in die Zeit des Orígenes eine reiche Wirkungsgeschichte entfaltet. Sein Leitbegriff, das μέσον „des Gottes", wird in der Folge zu einem Schlüsselterminus jeder philosophischen Gotteslehre in der Tradition der platonischen „zweiten Seefahrt". So bezeichnet μέσον beim Akademiker Aristoteles den Fixsternhimmel, der gleich der Weltseele Piatons zwischen unbewegtem B e w e g e r und bewegter Welt vermittelt. 378 D e r pseudo-aristotelische Traktat De mundo hat einen längeren orphischen Hymnus bewahrt, in dem Zeus als „ H a u p t " und „ M i t t e " und als „der Erde

575 Giíuiiiiií, ebd. 132 Anm. 2. Für diese vierte Bedeutung rekurriert Gruber auf die Jesajahomilien, ohne allerdings der mit dem Genitiv Dei ausdrücklich gemachten theologischen Dimension von medium Rechnung zu tragen. 576 Piaton, nom. IV 71 5 e 7 - 716 a 4; Ubersetzung: VII p. 131 f. ΑΙΊΊ.Τ. 577 Siehe die ausführliche Interpretation des Textes bei BORDT, Piatons Theologie 175-184. 578 Vgl. Aristoteles, Met. Λ 1072 a 5-20. Zu der in der Forschungsgeschichte häufig übersehenen Bedeutung des Fixsternhimmels als mittlerer Instanz siehe den diesbezüglich wegweisenden Aufsatz von OIIHIIR, Beweis. Zum Verhältnis des aristotelischen Gottes zur Weltseele Piatons vgl. Dinn., Aristoteles 81 : „Aristoteles beschreibt den selbstbewegten Kosmos als funktional und gut strukturiert, scheint ihm also eine funktionale Form im Ganzen zuzuschreiben. Es liegt nahe anzunehmen, dass die funktionale Form des Kosmos insgesamt notwendig oder essenziell mit dem unbewegten Beweger verbunden ist: der Aristotelische Gott ist die Seele des Kosmos im Ganzen."

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Grund und sternübersäten H i m m e l s " gepriesen wird. 3 7 9 Das Werk schließt mit dem als quasikanonische Bestätigung angeführten Piatontext selbst.380 Im kaiserzeitlichen Piatonismus gehört der Text zum Grundinventar der theologisch-kosmologischen Spekulation: Apuleius übersetzt den genannten Traktat frei ins Lateinische. 581 Im Zusammenhang mit der Telosformel der „Angleichung an G o t t " zitiert Alkinoos lediglich den A n f a n g des v o n ihm offenbar als bekannt vorausgesetzten Textes, 582 und N u m e n i o s verwendet den B e g r i f f des μέσον im Kontext seiner Seelenlehre. 583 W i e bei Piaton selbst ist die Weltseelenthematik bei den genannten Autoren untrennbar mit der Frage nach der menschlichen Geschichte und ihrer göttlichen Lenkung, der Vorsehung, verbunden: 3 8 4 D e r Seele der Welt entspricht eine gestufte göttliche Providenz, die beim ersten, transzendenten Gott ihren Ursprung nimmt und über die geordnete B e w e g u n g der Gestirne und die Einflusssphäre der ätherischen Geistwesen und D ä m o n e n bis in die Welt der verschiedenen Vernunftwesen hinabreicht. 583 Beide Bedeutungen des platonischen μέσου, die kosmologisch-psychologische w i e die geschichtsphilosophische, finden sich schließlich auch in der Auslegung der C h e r u b i m - und Seraphim-Vision, die der jüdische Platoniker Philon v o n Alexandrien in seinem großen allegorischen Kommentar und einer nur armenisch überlieferten Predigt gibt. Sie, die beiden höchsten Kräfte des einen Logos, sind nach Philon gemeint, w e n n es in E x . 25,22 heißt, Gott wolle sprechen „ v o n oberhalb des Sühnedeckels, mitten zwischen den beiden C h e r u b i m " : ,,Der Vater selbst aber hängt nicht oberhalb der Kräfte, sondern hat alles an sich hängen; denn Stütze des Bestehens und Säule des Alls ist er allein. Dass er aber v o n oberhalb spricht, der (doch) in der Mitte ist, sagt (die Schrift) deshalb, weil der Seiende durchs Wort das Universum ausgestaltet hat und dieses (seinerseits) durch seine Vorsehung sprechend und vernünftig g e w o r den ist." 586

579 Ps.-Aristoteles, mund. 401 a 29 - b 1 (p. 99F. LORIMER); Übersetzung: p. 27 SCHÖNBERGER. 580 Vgl. ebd. 401 b 2 4 - 2 9 (p. 1 0 1 - 1 0 3 ) .

581 Die freie, kommentierende Ubersetzung des Apuleius stellt bereits eine Erläuterung des Textes im Sinne des zuvor zitierten orphischen Gedichts dar: „deus nanique, sicut uetus", inquit, „contimi ratio, principia inlustrat" (P. 1 5 7 BEAUJEU).

et fines et media rerum omnium

penetrai

atque

582 Vgl. Alkinoos, didasc. 28,3 (P. 56F. WHITTAKER/LOUIS). 583 Vgl. etwa Numenios, frg. 24,61 DES PLACES und dazu allgemein den Index Verborum s.v. μέσος. 584 Vgl. insbesondere den Geschichtsmythos im Politikos (268 d 5 - 274 e 1). Zu dessen Interpretation im Sinne einer Geschichtsphilosophie siehe GAISER, Ungeschriebene Lehre 2 0 5 - 2 1 7 .

585 Es handelt sich hierbei um das mittelplatonische Theoriestück einer Providentia tripertita. Vgl. etwa Apuleius, Plat. I 12 (p. 89 f. BEAUJEAU) sowie den Uberblick bei Du.ION, Alcinous 1 6 0 - 1 6 4 .

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Einleitung

Beide B e d e u t u n g e n , die Weltseele in der D o p p e l f u n k t i o n eines schöpferischen u n d eines providentiellen Prinzips, m a c h t auch Orígenes f ü r seine Interpretation der „ M i t t e Gottes" fruchtbar. In einer ersten Auslegung akzentuiert Orígenes zunächst den kosmologischen Aspekt des als Interpretam e n t des Jesajatextes e i n g e f ü h r t e n Begriffs. 3 8 7 Das medium Dei erscheint hiernach allgemein als Gesamt der Wirklichkeit (das, „was ist" 388 ), als K o s mos, dessen w o h l g e f ü g t e , planmäßige Struktur, so ist w o h l zu ergänzen, d e m M e n s c h e n zumindest ein begrenztes Verständnis Gottes ermöglicht. A n späterer Stelle erweitert Orígenes den G e d a n k e n einer Gotteserkenntnis aus der geschaffenen Wirklichkeit u m den providentiell-geschichtsphilosophischen Aspekt, w e n n er nicht einfachhin v o n e i n e m „ U r s p r u n g Gottes", sondern v o n e i n e m „ U r s p r u n g der B e w e g u n g Gottes" 3 8 9 spricht, der der gesamten geschaffenen Wirklichkeit verborgen sei; „ n i e m a n d n o c h etwas v o n dem, was ist", 39 " so Orígenes bestimmt, v e r m ö g e diesen zu sehen. M i t d e m abstrakten Begriff eines motus Dei, der sich angesichts des aristotelischen G r u n d d o g m a s Gottes als „ u n b e w e g t e n Bewegers" überaus k ü h n a u s m m m t , sind, w i e die unmittelbar daran anschließenden A u s f ü h r u n g e n zeigen, sein „ W i r k e n " (negotia), sein Heilshandeln in der Welt gemeint. Ebenso identifiziert Orígenes w e n i g später das Antlitz Gottes nicht einfach mit seinem Anfang, sondern mit dem, „was den W e r k e n Gottes vorausliegt" (priora operum Dei).59i Eine Erkenntnis Gottes, die über die Welt in i h r e m geschichtlichen Lauf hinausgeht, schließt Orígenes dabei kategorisch aus: So sicher auch die Existenz einer Wirklichkeit vor der E r s c h a f f u n g der Welt u n d nach i h r e m U n t e r g a n g sei, so gewiss sei es auch, dass allein Gott selbst u m diese wissen könne. 5 9 2 Auffällig ist allerdings, dass Orígenes einerseits die Möglichkeit protologischen Wissens r u n d w e g bestreitet, andererseits aber i m Bereich der Eschatologie lediglich sicheres Wissen in A b r e d e stellt. 393 Andererseits bestätigt er w e n i g e Zeilen später die L e u g n u n g j e d e r über sein

586 Philon, D e deo 5; Übersetzung: SIIÎGIÎRT, W U N T 46, 34. Vgl. auch die Anspielung auf die zitierte Now/oi-Stelle und die Theologie der göttlichen Mitte im Traktat De Cherubim, Cher. 23 (III p. 1 7 7 f . COHN/WENDLAND): „Der eine der C h e r u b i m ist n u n die äußerste Sphäre, der äußerste Teil des ganzen Himmels, die R u n d u n g , in welcher die Fixsterne die sich immer gleich bleibende R e i g e n b e w e g u n g vollführen, ohne j e von der Stelle zu weichen, die ihr Schöpfer, der Allvater, ihnen in der Weltordnung angewiesen hat"; Ubersetzung: COHN, Philo, Werke III, 1 7 7 f . 587 Orígenes, in Is. h o m . 1,2 (GCS Orig. 8, 245). 5 8 8 Ebd. 5 8 9 Ebd. 4 , 1 (8, 2 5 7 ) . 5 9 0 Ebd. 5 9 1 Ebd. (8, 2 5 8 ) . 5 9 2 Vgl. ebd. 593 Vgl. ebd.: „Was nach der Welt k o m m e n wird, k ö n n e n wir nicht mit Gewissheit erfassen; doch wird es etwas anderes nach der Welt geben."

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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medium h i n a u s g e h e n d e n G o t t e s e r k e n n t n i s , w e n n er unmissverständlich sagt: „Sie b e d e c k t e n es aber n i c h t n u r , s o n d e r n v e r h ü l l t e n es sogar ganz, das h e i ß t sie b e d e c k t e n es so, dass m a n n i c h t einmal e i n e n w i n z i g e n Teil des F r ü h e ren, ich m e i n e des Angesichts, sehen, o d e r ein kleines Detail des Letzten, das h e i ß t seiner F ü ß e , e r k e n n e n k o n n t e . " 3 9 4 In alledem unterliegt es freilich, w i e bereits die Q u a l i f i k a t i o n der B e g r i f f e „ A n f a n g " u n d „ E n d e " als „ A n f a n g " b z w . „ E n d e Gottes" anzeigt, w e d e r hier n o c h d o r t e i n e m Z w e i f e l , dass es sich b e i der W i r k l i c h k e i t jenseits der zeitlichen W e l t u m die z e i t e n t h o b e n e W i r k l i c h k e i t G o t t e s handelt. Schließlich m ü s s e n die A u s f ü h r u n g e n z u m medium Dei als e i n z i g e m G e g e n s t a n d der G o t t e s e r k e n n t n i s m i t d e n ü b r i g e n A u s f ü h r u n g e n zur Vision Jesajas v e r k n ü p f t w e r d e n , die, o b e n teilweise bereits referiert, das o r i g e n e i sche Verständnis der R e i c h w e i t e irdischer G o t t e s e r k e n n t n i s k o m p l e t t i e r e n . In seiner k o m m e n t i e r e n d e n Paraphrase des Textes n e n n t O r í g e n e s n ä m l i c h m i n d e s t e n s z w e i w e i t e r e D i n g e , die der P r o p h e t in seiner Vision s e h e n k a n n : die H e r r l i c h k e i t G o t t e s u n d die b e i d e n m i t S o h n u n d Geist i d e n t i f i zierten S e r a p h i m , die Antlitz u n d F ü ß e G o t t e s v e r b e r g e n . Liegt damit ein W i d e r s p r u c h zu d e m e b e n skizzierten E r k e n n t n i s v o r b e h a l t vor? Angesichts der Sorgfalt, m i t der O r í g e n e s in d e n J e s a j a h o m i l i e n ein zentrales T h e m a w i e die M ö g l i c h k e i t m e n s c h l i c h e r G o t t e s e r k e n n t n i s b e h a n d e l t , erscheint dies a u s g e s p r o c h e n u n w a h r s c h e i n l i c h . V i e l m e h r ist die v o n O r í g e n e s damit implizit v o r g e n o m m e n e I d e n t i f i k a t i o n des medium Dei m i t der gloria Dei einerseits u n d m i t d e m Logos u n d d e m P n e u m a andererseits gerade der Schlüssel zu einer a n g e m e s s e n e n I n t e r p r e t a t i o n der H o m i l i e n : Es ist C h r i s tus, der S c h ö p f u n g s - u n d Heilsmittler, der d e n M e n s c h e n als H e r r l i c h k e i t G o t t e s in P e r s o n u n d i m Verein m i t der h e i l i g e n d e n K r a f t des Geistes G o t t , d e n Vater, in W e l t u n d G e s c h i c h t e e r f a h r e n u n d e r k e n n e n lässt. Christus ist, w i e O r í g e n e s an a n d e r e r Stelle ausdrücklich sagt, gerade die personale, k o s m i s c h - g e s c h i c h t l i c h e „ M i t t e , d.h. der M i t t l e r z w i s c h e n all diesen G e s c h ö p f e n u n d G o t t " (harum omnium aeaturarum et. Dei medium, id est ,mediatorem'), u n d in dieser E i g e n s c h a f t ist er auch, w i e es in der k ü r z e r e n Parallelausleg u n g in Περι ά ρ χ ω ν h e i ß t , z u s a m m e n m i t d e m Geist „ G r u n d des Wissens v o n G o t t Vater". 5 9 5 D e m e n t s p r e c h e n d sind die christologischen A u s f ü h r u n g e n in d e n Jesajap r e d i g t e n insgesamt v o n z w e i f a c h e r Art: Sie b e t r e f f e n z u m e i n e n Christus, i n s o f e r n er als Weisheit u n d Logos U r b i l d u n d Seele der W e l t ist, u n d z u m a n d e r e n Christus, d e n E r z i e h e r u n d geschichtlichen Heilsmittler. D e r Geist, dessen W i r k e n in d e n e r h a l t e n e n P r e d i g t e n w e n i g e r ausführlich dargestellt w i r d , tritt Christus dabei b e i der T a u f e i m J o r d a n h e l f e n d zur Seite. Das

594

Ebd.

595 Princ. II 6,1 (GCS Orig. 5, 139); Ubersetzung: p. 357 GÖRGÜMANNS/KARW.

140

Einleitung

Heilswerk, das in der Vermittlung der göttlichen Natur an die Schöpfung besteht, gründet dabei in einer strengen ontischen Kontinuität, die das medium Dei, den Sohn und den Geist, mit dem innergöttlichen Ursprung verbindet.

b) Gottes Anfang und Ende: Der trinitarische Gott in sich Trotz des massiven Vorbehalts gegenüber einer innerweltlichen Gotteserkenntnis enthalten die Jesajahomilien eine Reihe von kürzeren Ausführungen zum innergöttlichen Leben, wie sie sich an den beiden Komplementärbegriffen zum oben diskutierten medium Dei, dem ,,Anfang" und dem ,,Ende Gottes", entspinnen. Als heilsgeschichtliche Daten, die Orígenes im Leben der Trinität vorgebildet und begründet sieht, lassen sie sich indes allesamt auf die oben genannten Quellen der dem Menschen zugänglichen Gotteserkenntnis zurückführen. 596 Das außertrinitarische medium Dei ist — mit Aristoteles formuliert — das Erste „für uns", das den innertrinitarischen Anfang, das ,,der Natur nach" Erste, zum inneren Prinzip und Ziel hat: Gott ist als Anfang und Ursprung der Welt zugleich deren Ende und Ziel. 397 Diese strenge Entsprechung von (innertrinitarischem) Ursprung und (heilsgeschichtlichem) Ziel, von Orígenes an anderer Stelle zum axiomatischen Grundsatz erklärt, 398 ist für sämtliche Überlegungen des Orígenes zum inneren Leben Gottes maßgeblich. 599 Es ist zunächst der innertrinitarische Lobgesang der Seraphim, der Orígenes Anlass gibt, den Selbstvollzug Gottes in sich näher zu beleuchten. Entsprechend der Vollkommenheit der Dreizahl dreimal ausgesprochen, gilt ihm ihr „Sanctus" als uneigentliches Sprechen. Er greift damit ein Motiv

596 So Hoi.x, Begriff des Willens und der Freiheit 81 f.: „ M a n kann also zum Schluss sagen, dass bei Orígenes ein trinitarischer Ökonomismus am Ausgangspunkt der Ausgestaltung seines ,Systems' gestanden hat. Innertrinitarische Prozessualität und intramundane Geschichtlichkeit scheinen sich darin wechselseitig zu bedingen." 597 Das doppelte Verständnis Gottes als des Ursprungs und Ziels der gesamten Wirklichkeit teilt Orígenes mit Plotin, bei dem die erste Hypostase, das Eine, zugleich causa efficient, und causa finalis allen Seins vom Geist, seiner Fülle, bis zur Materie, seiner Negation, ist. Siehe dazu B U S S A N I C H , Metaphysics of the One 4 5 - 5 5 . 598 Vgl. princ. I 6,2 (GCS Orig. 5, 79f.): „ D e n n immer ist das Ende dem Anfang ähnlich; und daher muss, so wie das Ende von allem eines ist, so auch ein Anfang von allem angenommen werden; und so wie die vielen Dinge ein Ende haben, so entspringen die vielen Unterschiede und Abweichungen aus einem A n f a n g " ; Ubersetzung: p. 2 1 7 G Ö R G E M A N N S / K A R P P . 599 M A R C U S , Subordinatianismus 88, sieht darin gerade das Spezifikum aller voraugustinischen Trinitätstheologie: „ D i e innertrinitarische Relationswelt steht immer im Zusammenhang, als Ursprung und als Modellwelt, mit der universal-kosmischen Relationswelt."

III. Die Theologie der Jesajahomilien

141

auf, das auch in der Nusmetaphysik Plotins 60 " Chiffre für die zeitlose Selbstvermittlung des Seins im noetischen Denken ist. Demnach geschieht die Verherrlichung des Vaters durch Sohn und Geist nicht etwa als verbale Kommunikation, sondern, wie Orígenes in Abwehr einer möglichen anthropomorphen Lesart der Doxologie sagt, auf rein geistige Weise (sola cognitione).6υ1 Allerdings ist der eigentliche Gehalt der klassisch-metaphysisch gedachten noetischen Selbstvorstellung Gottes kein ontologischer, sondern ein biblisch-ethischer: Der Sohn und der Geist preisen Gott als den Heiligen. Der Vater erscheint also nicht nur und nicht primär in seiner „Seinsvollkommenheit und Erhabenheit", sondern mehr noch in seiner „absoluten ethischen Vollkommenheit". 6 0 2 Da er als solche Quelle aller Heiligung ist, ist die Doxologie für Orígenes zugleich ein „Bekenntnis, das allen zum Heil dient".6113 Der Lobpreis, mit dem der Sohn und der Geist Gottes Wesen zum Ausdruck bringen, ist nach Orígenes also nicht losgelöst von seinem heiligenden Wirken zu begreifen. Die exakte Korrespondenz von inner- und außertrinitarischem Leben gilt nicht nur für den Vater als Quelle aller Heiligkeit, sondern auch für den Logos und das Pneuma selbst: Auch heilsgeschichtlich zielt beider Wirken gerade dahin, den Heilswillen des Vaters zu erfüllen und die gefallenen Vernunftwesen zu seiner Verherrlichung zu ihm zurückzuführen.6114 Wenngleich beider innertrinitarisches negotium im Sanctus-Lobpreis des Vaters besteht, so bleibt nach Orígenes dennoch ihre Individualität gewahrt: Sie beide, so deutet Orígenes den Umstand, dass sie das „Sanctus" einander und nicht anderen zurufen, zeichnen sich dadurch aus, dass nur sie die Heiligkeitsbekundung des anderen auf angemessene Weise zu begreifen vermögen. So verfüge allein der Geist über die Gabe, den Lobpreis des Sohnes angemessen zu begreifen, so wie eine würdige Einsicht in die vom Geist angekündigte Inkarnation der göttlichen Heiligkeit Gottes andererseits Privileg des Sohnes ist. Zum einen wird damit die innere Gelichtetheit des trinitarischen Gottes, wie sie, philosophisch dicht formuliert, im sola cognitione dicere zum Ausdruck kommt, im Blick auf ein allen anderen Wesen verschlossenes Wissen um die Heilsgeschichte inhaltlich gefüllt. Mit der vom Heiligen Geist angekündigten Inkarnation Christi ist immerhin das

600 Vgl. die Metapher eines differenzlosen noëtischen Sprechens in enn. V 3,5: „ D i e Wahrheit nämlich darf nicht einem Verschiedenen angehören, sondern, was sie (aus)sagt, das muss sie auch selbst sein"; Ubersetzung: BMI.RWAI.N.s, Selbsterkenntnis 2 7 . Siehe auch die Interpretation dieser Selbstaussage des göttlichen Geistes v o n BEIERWALTES, ebd. 1 1 0 - 1 1 3 ; ders., Das wahre Selbst 3 6 f . 601

In Is. hom. 1 , 2 ( G C S Orig. 8, 244).

602

FAESSLER, H a g i o s b e g r i f f

32.

603 In Is. hom. 1 , 2 ( G C S Orig. 8, 244). 604 Vgl. in loh. c o m m . I 7 5 - 7 8 ( G C S Orig. 4, i 7 f . ) .

142

Einleitung

Schlüsselereignis der Heilsgeschichte Gegenstand der innertrinitarischen Sanctus-Doxologie. Z u m anderen gewinnt Orígenes mit den unvertretbar individuellen Erkenntnismodi der einzelnen göttlichen Personen aber auch ein innertrinitarisches Differenzkriterium: Als Sohn, der selbst Fleisch wird, verfügt die zweite Person über ein besonderes Wissen, das sie gleichermaßen v o m Vater und v o m Geist unterscheidet. Ebenso eignet dem Geist als vorrangiger Verkörperung der göttlichen Heiligkeit ein von dem der beiden anderen Personen unterschiedenes Wissen u m die Heiligkeit, die der Sohn ankündigt. 6 " 5 Während einerseits beide dadurch vom Vater unterschieden sind, dass sie Sprecher des Lobes und er sein Adressat ist, betont Orígenes andererseits ihre Einheit in der Heiligkeit des einen Gottes, die in nichts anderem bestehe als der ,,Gemeinschaft der dreimal wiederholten Heiligkeit". 6 " 6 Gottes Heiligkeit ist ihrem Wesen nach also gerade die vollkommene Vereinigung der je individuellen ,,Heiligkeiten" der einzelnen Personen der Gottheit: „Mit der Heiligkeit des Vaters verbindet sich die des Sohnes und des Heiligen Geistes." 6 " 7 O b w o h l vermutlich v o m Ubersetzer Hieronymus interpoliert, 608 macht der Satz: „Und glaube nicht, das Wesen der Trinität zerfalle, wenn man an den spezifischen Funktionen der Namen festhält" 6 " 9 damit lediglich das Grundprinzip der Trinitätstheologie des Orígenes explizit, wie sich hier und an einer Reihe von Parallelstellen zeigt. So ist die Heiligkeit für Orígenes trinitätstheologisch zugleich Differenz- und Identitätskriterium. Sie wird an der diskutierten Stelle von Orígenes, wie gesehen, ausdrücklich im Sinne einer intimen Gemeinschaft der drei Personen expliziert, in der die Einheit der Gottheit ebenso gewahrt bleibt wie die Individualität der drei Personen. Die Tatsache, dass es sich bei der Heiligkeit der drei Personen u m die eine substantielle Heiligkeit der göttlichen Natur handelt, ist auch für die Korrespondenz von trinitarischer Gemeinschaft und geschichtlicher Heiligung der Schöpfung von großer Bedeutung. Der überzeitliche Prozess, in dem sich die göttliche Dreiheit zur Einheit der göttlichen Natur vermittelt, ist zugleich nämlich das transzendente Vorbild für die weltimmanente Gottesgeschichte, in der sich der Logos mit Hilfe des

605 Dieser Interpretationsversuch der schwierigen, aber trinitätstheologisch wichtigen Stelle ist der von Fédou vorgeschlagenen Lösung der Frage einer von Orígenes zuweilen erwogenen besonderen Selbsterkenntnis des Vaters, die ihn v o m Sohn abhebe, analog. D i e Tatsache, dass der Vater sich, so argumentiert FI'.DOU, La Sagesse et le M o n d e 297, eben als Vater und nicht als Sohn vollständig begreife, unterscheide ihn v o m Sohn: „ O r i g è n e ne le précise pas dans nos textes, mais une seule réponse se présente à l'esprit: bien que le Père communique au Fils toute la vérité, il ne peut cependant lui communiquer la connaissance qu'il a en tant que Père." 606 607 608 609

In Is. hom. 4,1 ( G C S Orig. 8, 259). Ebd. Siehe darüber unten S. 1 7 1 . Ebd. 1 , 2 (8, 244f.).

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Pneumas die Welt gleichsam einverleibt und sich zusammen mit ihr dem Vater, dem Ursprung und Ziel von innertrinitarischer Selbstvermittlung wie außertrinitarischer Geschichte, unterwirft. Den Zusammenhang von Trinität und Heilswerk unterstreicht Orígenes noch einmal, wenn er innerhalb der streng trinitätstheologischen Diskussion auf den mit Christi Seele verbundenen Logos zu sprechen kommt, der qua „Mensch ..., der von Gott, dem Vater, die Heiligkeit empfängt", 6 1 0 Erlöser sei. E r ist es auch, der, wie Orígenes in der weiteren Auslegung des Lobpreises erklärt, die in der G e meinschaft der dreifachen Heiligkeit zeitlos gegebene „Fülle der göttlichen Herrlichkeit" als ihr Mittler auch in der irdischen Geschichte verwirklicht. Wie die Formulierung „alle aus dem Einen" des Hebräerbriefes (2,11) andeutet, die Orígenes als Beleg für seine Trinitätsspekulation anführt, so verweist auch die oben referierte Bemerkung, der Sohn empfange seine Heiligkeit v o m Vater, auf die erste Person als Ursprung innerhalb der Trinität. Während der Vater als Adressat des Lobpreises vornehmlich als Zielund Endpunkt des innertrinitarischen Selbstvollzuges erscheint, dient Orígenes die Metapher der geistigen Speise als exegetischer Ausgangspunkt für eine Diskussion seiner Eigenschaft als innergöttlicher Ursprung. Bezeichnenderweise ist der größere Zusammenhang wieder der einer geschichtlichen Heilsvermittlung durch Sohn und Geist. Im Ausgang von der im B i beltext erwähnten eigenen Speise der mit dem Geist identifizierten sieben Frauen bezeichnet Orígenes den Vater als Nahrung des Heiligen Geistes und der Weisheit, d.h. der ursprünglichsten Daseinsweise des Sohnes. Die N a h rung ist beiden also gleichsam äußerlich, wie er kühn sagt: „Was ist das für eine Speise? Ich scheue mich nicht zu sagen: Die Speise ist ein anderer außerhalb von ihnen". 6 " Wie im Zusammenhang der Ethik bezeichnet das Motiv der geistigen Speisung — Orígenes stellt die Analogie zum Logos als Speise des Menschen eigens her — auch hier eine zwischen Sohn und Geist einerseits und dem Vater andererseits bestehende Partizipationsbeziehung: In der Kontemplation teilt der Vater dem Logos und, durch ihn vermittelt, dem Pneuma sein Wesen mit. E r ist ihnen so als innerstes Wesensprinzip immanent. Im Blick auf die zweite Person deutet Orígenes die innergöttliche Teilhaberelation zudem in ethischen Termini. Das Wesen des Sohnes bestehe darin, den Willen des Vaters zu vollbringen. 612 Ebenso ist aber auch die „Speise des gesamten Heilsplans eine einzige ...: das Wesen Gottes". 6 1 3 In Gestalt der göttlichen Mitte ist die Heilsökonomie, wie sie im Folgenden dargestellt wird, demnach wesentlich Mitteilung der einen göttlichen Natur,

610 611 612 613

Ebd. 4,1 (8, 259). Ebd. 3,3 (8, 256). Vgl. ebd. (8, 257). Ebd.

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Einleitung

jener Speise, an der Sohn und Geist die Schöpfung im geistigen Mahl teilhaben lassen.614

c) Gottes Mitte: Der trinitarische Gott in Welt und Geschichte Gottes Wort: Urbild und Seele der Welt Die Welt im Ganzen ist wie der Mensch nach dem Bilde des Logos geschaffen. Er ist als Weisheit, die seine ursprünglichste Bezeichnung ist, die „in sich strukturierte geistige Schau des Universums", 613 d.h. der personale Inbegriff der Ideen und das intelligible Vorbild der empirischen Wirklichkeit. 616 Christus ist der Welt jedoch nicht nur transzendent: In Gestalt der den Dingen selbst als gestaltende Prinzipien immanenten Logoi, die an ihm, dem einen Logos, teilhaben, ist er zugleich ihr innerstes Form- und Strukturprinzip, die Seele der Welt. Darin gründet das „sakramentale Geheimnis der Natur", 6 1 7 die in den Jesajahomilien als naturphilosophischer Aspekt des medium Dei ebenfalls als Medium des Gotteswissens und der Erlösung erscheint. Gott hat die Welt aus dem Nichts geschaffen. Selbst die mit der (platonisch-aristotelischen) Hyle in eins gesetzten Urwasser und die Finsternis, von der die Genesis spricht, sind als Teil der Welt, wie Orígenes sagt, Produkt seines demiurgischen Wirkens. 618 Die creatio ex nihilo ist hier wie auch sonst Ausdruck eines radikalen Monismus, wie ihn Orígenes in Abkehr von der mittelplatonischen Prinzipientrias und der Annahme einer ungeschaffenen Materie mit dem paganen Neuplatoniker Plotin teilt. 619 Damit ist die

614 Damit erweist sich Völkers Unterscheidung zwischen einer Mitteilung der göttlichen Natur als solcher und einer lediglich providentiellen Nähe Gottes zu seinem Geschöpf als Irrtum, mit dem auch der Z w e c k des Heilswerkes, die Angleichung der Schöpfung an Gott, unterminiert würde. Vgl. V ö l k e r , Vollkommenheitsideal 123: „Weiter führt schon das unus spiritus von I. Kor. 6,17, bezogen auf die Seele in ihrem Verhältnis zu Gott, und die bedeutsame Ausführung von Gen. Horn. 1 , 1 3 , 1 6 , 1 ff., wonach Gott nur in denen, deren Wandel bereits im Himmel ist, requiescit et residet, während zu den übrigen nur seine Vorsehung gelangt." 615 In loh. comm. I 1 1 1 (GCS Orig. 4, 23). 616 Z u Christus als Weisheit siehe die Darstellung von Fi'.dou, La Sagesse et le Monde 261-310. 617 Bigg, Christian Platonists 134. Eine Darstellung des damit verbundenen Gedankens einer kosmischen Christusgegenwart bietet Lyons, Cosmic Christ 130—145. 618 Vgl. in Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 258). Vgl. dazu ausführlicher den kosmologischen Lraktat princ. II 1 (GCS Orig. 5, 1 0 6 - 1 1 1 ) sowie die eingehende άρχή-Spekulation in loh. comm. I 9 0 - 1 2 4 (GCS Orig. 4, 20-25). 619 Es ist nicht nur die Schrift selbst, die Orígenes zur Annahme einer Schöpfung aus dem Nichts veranlasst. Auch Ammonios Sakkas, der philosophische Lehrer des Ori-

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Wirklichkeit insgesamt in den Dienst des Heilswerkes genommen, denn als Ganze ist sie durch den Logos geschaffen und von ihm durchwirkt. Christi gestaltende Allgegenwart im Kosmos, als die das medium Dei seiner ersten Bedeutung nach zu verstehen ist, tritt zunächst in der Auslegung des Ahaszeichens hervor. Die diffizile zweifache Ortsbestimmung „in der Tiefe oder in der H ö h e " deutet Orígenes unter Hinzuziehung zweier neutestamentlicher Parallelstellen, an denen sich ähnliche topographische Angaben mit einem Bezug auf Christus finden, als Logos, der ihm als gleichermaßen welttranszendent (in excelsum und super cáelos) und weltimmanent (in profundum), als allgegenwärtig gilt. „ E r selbst aber", so schreibt er an anderer Stelle ausdrücklich, „ist überall und durchdringt das ganze All." 6 2 0 Ebenso wenig nämlich wie die Bezeichnung Gottes als Anfang und Ende will die biblische R e d e von einem höchsten und einem tiefsten Punkt Christi Gegenwart auf diese beiden Punkte begrenzen. Vielmehr sollen die beiden Extrema gerade, wie Orígenes in Auslegung analoger Christus-Epitheta schreibt, seine alles also auch die Mitte zwischen Anfang und Ende erfüllende — Gegenwart zum Ausdruck bringen: „Erster also und Letzter ist der Erlöser, nicht weil er nicht auch das wäre, was dazwischen (τα μεταξύ) ist. Im Gegenteil, von den äußersten Punkten ist die R e d e , damit deutlich wird, dass er ,alles' geworden ist (Kol. 3 , 1 1 ) . " 6 2 1 Von Christus als ihrem kosmischen Gestaltungsprinzip durchwaltet, ist die Schöpfung insgesamt jenes über sich hinausweisende medium Dei. Es ist bedauerlich, dass der Passus, in dem Orígenes diesen Gedanken erläutert, nur sehr unvollständig erhalten ist. Gegen Ende der neunten und letzten Homilie zählt Orígenes noch einmal die drei v o m Propheten verwendeten Ausdrücke für das Motiv der Verstockung Israels auf, sein „verfettetes Herz", sein „schweres Hören" und seine „verschlossenen Augen", 6 2 2 ehe er mit der Erläuterung einer neuen, kosmologischen Lesart der M o t i v kette beginnt. 623 Demnach teilen viele Menschen beim Anblick der Schöpfung das Schicksal vernunftloser Tiere, wenn sie fälschlich annehmen, den bestirnten Himmel über ihnen tatsächlich zu „sehen". In Wirklichkeit nämlich bleibt ihnen nach Orígenes das Eigentliche, die rationes, verborgen. Die Verwendung gleich mehrerer verschiedener Ausdrücke der visuellen Wahrnehmung 624 verbindet die zusätzliche Auslegung unverkennbar mit dem

genes und Plotins, hat nach den Zeugnissen des Nemesius von Emesa und des Hierokles eine aeatio ex nihilo gelehrt. Siehe dazu die Darstellung v o n RI;AI,I;, Schools of the Imperial A g e 299—303, der die wichtigsten D o k u m e n t e zusammenstellt und diskutiert. Vgl. auch unten S. 230 Anni. 65. 620 621 622 623

Princ. II 1 1 , 6 ( G C S Orig. 5, 190); Ubersetzung: p. 455 GÖRGI'.MANNS/KARPI'. In loh. c o m m . I 2 1 9 ( G C S Orig. 4, 39). Vgl. in Is. hom. 9 ( G C S Orig. 8, 289). Vgl. ebd.

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G r u n d m o t i v der gesamten Sammlung, der Schau der Mitte Gottes, dessen erste Bedeutung, haec quae est, Orígenes hier im Sinne der rationes, der inneren Strukturprinzipien der empirischen Dinge, erläutert. D e r philosophische Sinn ist abermals der der platonischen Abbild- u n d Teilhabeontologie, nach der die eine ratio, Christus, in den hier genannten vielfaltigen rationes der empirischen Wirklichkeit real, w e n n auch auf niedere Weise gegenwärtig ist.623 Pate stehen hierbei die Doktrin der stoischen logoi spermatikoi, die, von ihrem materialistischen Gehalt bereinigt, integraler B e standteil der platonischen Philosophie zur Zeit des Orígenes ist, sowie die mittelplatonische Unterscheidung v o n transzendenter Idee u n d immanenter Form. Ihre Verbindung zum medium Dei, z u m kosmischen Logos, dessen mannigfaltige Konkretionen sie sind, stellt Orígenes mittels eines Psalmenzitates her, in d e m der H i m m e l samt M o n d u n d Sternen als „Finger Gottes" bezeichnet werden. Die genannten P h ä n o m e n e sind somit Teil des göttlichen Körpers, ein Anthropomorphismus, der sich gut in die vorherige R e d e v o m „Antlitz" u n d den „ F ü ß e n " Gottes fügt und der von Orígenes im nicht erhaltenen Teil der Homilie vermutlich ganz im Sinne der göttlichen Mitte erklärt w o r d e n ist. Insbesondere die v o m Psalmisten genannten Gestirne, die Orígenes mit Piaton als beseelte Wesen gelten und deren regelmäßige Bahn f ü r ihn höchster sinnlich wahrnehmbarer Ausdruck der göttlichen Vernunft ist, erscheinen bei ihm (ebenfalls wie bei Piaton) auch sonst als dienstbare Geister in Gottes soteriologischem Ringen. 6 2 6 Die Parallele zur Nomoi-Stelle, dem literarischen Prätext der medium Dei-Spekulation, und ihrem Ethos einer Orientierung am beseelten Kosmos, an dessen O r d n u n g der Mensch sich orientieren soll, ist freilich auch so offenkundig. D e n Bezug der so verstandenen kosmischen Mitte Gottes zu ihrem Anfang im Vater erklärt Orígenes an anderer Stelle als dem Verhältnis von (formender) Seele u n d (geformtem) Körper analog.6'27 Als Einheit und G e -

624 M i t den Verben contemplan und videre verwendet Orígenes an der referierten Stelle zwei der Schlüsseltermini der Jesajahomilien. Z u m Z w e c k e der stilistischen variatio tritt als drittes das Verb inspicere hinzu. 625 Aus diesem Grunde gibt es keine strikte Wesensgleichheit zwischen den vielen rationes und der einen ratio, Christus. 626 Vgl. princ. I 7,3 ( G C S Orig. 5, 89): „ D i e Sterne nun bewegen sich in solcher Ordnung und Regelmäßigkeit, dass ihr Lauf keinerlei erkennbarer Störung unterliegt. Ist es da nicht der G i p f e l der Torheit, zu meinen, dass solch eine Einhaltung v o n Z u c h t und Vernunftordnung v o n vernunftlosen Wesen verlangt und erfüllt werden könnte?" Ubersetzung: p. 239 GÖRGI'.MANNS/KARPI». Z u r Solar- und G e stirnstheologie des Orígenes siehe allgemein die Studie von SCOTT, Life of the Stars, bes. 1 1 3 - 1 4 9 . 627 Vgl. die wichtige Stelle princ. II 1 , 3 ( G C S Orig. 5, 108): „Wie unser Leib einer ist, aber aus vielen Gliedern zusammengefügt (vgl. 1 K o r . 1 2 , 1 2 ) , und von einer Seele zusammengehalten wird, so muss man, meine ich, auch das Weltganze gleichsam als

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staltungsprinzip der Schöpfung ist der demiurgische Logos gleichsam „die Seele Gottes" in der Welt. 628 W i e im Fall der anthropologischen Teilhabe ist die kosmische wesentlich dynamisch: Der Logos ist unentwegt bemüht, die Welt zur Einheit in sich und im Vater zu formen. 629 Z u ihrem eigenen Heil will er sich, wie im Vaterunser erbeten, die ganze Welt — terra meint, so Orígenes' Deutung des biblischen Sprachgebrauchs an anderer Stelle, nicht nur die Vernunftwesen und Menschen, sondern die gesamte Schöpfung 6 3 " — unterwerfen. Die Unterwerfung aller Dinge (omnia), der Welt, und ihre R ü c k f ü h r u n g zum Ursprung, wie sie der Logos in geduldigem Werben und mit Unterstützung des Pneuma herbeiführt, geschieht in der Heilsgeschichte Gottes mit dem Menschen, dem Hauptthema der Homilien. Die „Fülle der Herrlichkeit Gottes" und die paideia Christi Christus ist der Mittler von Gottes universalem Heilswillen. In ihm, der personalen Verkörperung seiner Vorsehung, kommt der Vater seiner Schöpfung nahe, wie diese umgekehrt, dem Sohn gleich geworden, zu seiner Ehre und Verherrlichung zu ihm zurückkehrt. Christi vielfältigem Wirken entspricht dabei eine ebensolche Vielfalt von Christus-εττίνοιαι, 631 die sich über das gesamte Homiliencorpus verstreut rinden. Als Schlüsselkategorie der Christologie des Orígenes bringen sie die mannigfaltigen Wirkweisen der einen heilbringenden Wirklichkeit Christi zum Ausdruck, dessen umfassendes Erziehungswerk sich immer wieder aufs Neue dem einzelnen und seinem individuellen geistigen Fortschritt anpasst: ,,Beide sind nämlich", so

ein ungeheuer großes L e b e w e s e n ansehen, das w i e v o n einer Seele v o n Gottes K r a f t und Planung beherrscht w i r d " ; Ubersetzung: p. 289 GÖRGEMANNS/KARPP. 628 Vgl. ebd. II 8,5 (5, 162). Das T h e m a einer „ S e e l e G o t t e s " ist mit d e m einer Weltseele, eines „kosmischen Christus", eng verbunden. D i e umstrittene Frage einer kosmischen Psyche bei Orígenes, ein T h e m e n k o m p l e x , zu d e m der B e g r i f f der göttlichen M i t t e seiner spekulativen Funktion und B e d e u t u n g nach innerlich g e hört, kann hier nicht ausführlicher diskutiert w e r d e n (siehe die kürzeren Darstellungen bei LIESKE, Logosmystik 1 1 2 - 1 1 4 ; DANIÉLOU, O r i g è n e 1 0 7 f . ) . Das U r t e i l Solmsens, bei Orígenes finde sich „die größte A n n ä h e r u n g an die platonische und neuplatonische Weltseele, die ein Christ sich erlauben k o n n t e " (Plato's T h e o l o g y 190), scheint mir berechtigt und zentral f ü r die D e u t u n g der platonischen K o s m o logie und christlichen Heilsmetaphysik des Alexandriners. 629 Vgl. ebd. II 1 , 2 (5, i 0 7 f . ) . 630 Vgl. in Hiez. h o m . 4 , 1 . 3 ( G C S Orig. 8, 359. 364). Aus der Schelte gegen das „ L a n d " (terra) schließt Orígenes dort ausdrücklich, „dass diese sichtbare Welt beseelt (quia animalis sit. terra ista, quam cernimus)" sein müsse (8, 359), da der V o r w u r f andernfalls sinnlos wäre. 6 3 1 Z u r ÉTTÍvoia-Lehre siehe die umfassende Darstellung v o n F m o u , La Sagesse et le M o n d e 2 3 3 - 2 6 9 , s o w i e KOBUSCH, Philosophische B e d e u t u n g 9 5 - 9 7 , u n d CROUZEL, C o n t e n u spirituel.

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fasst Orígenes das Grundprinzip seiner έπίνοια-Doktrin im Hinblick auf die Christusprädikate „Blüte" und „Wurzel" konzis zusammen, „eins in ihrer Substanz; der Unterschied liegt vielmehr in ihrem Wirken." 6 3 2 Christi paideia ist so im Großen wie im Kleinen das Instrument von Gottes Herrschaft und Heilsökonomie, mit der er jedes einzelne Vernunftwesen und schließlich die ganze Schöpfung nach und nach zu sich zurückführt. Christi Heilswerk im Großen ist in den vorliegenden Homilien mit zwei christologischen Titeln verbunden: einmal mit der im R a h m e n des Hauptteils des Corpus ausführlich diskutierten „Fülle der Herrlichkeit G o t tes", dann mit der lediglich in einer kurzen exegetischen Notiz behandelten „Gerechtigkeit". D i e plenitudo gloriae Dei stellt eine umfassende erste Christus-έττίνοια dar, die sein gesamtes soteriologisches Wirken zusammenfasst: Als 633 personifizierte Fülle der göttlichen Herrlichkeit ist Christus geradezu das innere Ziel und Formprinzip, die Entelechie, einer, wie gesehen, insgesamt als medium Dei verstandenen Welt. Exegetischer Ausgangspunkt ist wiederum der Lobpreis der Seraphim, dem er dieses erste Christus-Prädikat entlehnt: Zunächst veranlasst ihn der im Hinblick auf die irdische Welt offenbar kontrafaktische Charakter der Engeldoxologie — „Die Fülle der Herrlichkeit Gottes aber wirst du in der Gegenwart nicht finden",634 wie er nüchtern konstatiert — dazu, in den Worten der beiden Engel eine Prophezeiung zu sehen. Unter Hinzuziehung der beiden ersten Bitten des Vaterunsers bestimmt Orígenes deren Gegenstand sodann als „meines Herrn Jesu Christi Ankunft", 6 3 3 die er im Sinne des kommenden Gottesreiches und der Erfüllung des väterlichen Willens interpretiert. Christi Herrschaft, die mit seiner Ankunft anbricht, erscheint auch in der weiteren Auslegung als Beginn dieser universalen Durchsetzung des göttlichen Heilswillens und der göttlichen Herrlichkeit auf Erden. Christus ist es, der sich die gesamte W i r k lichkeit Untertan macht und durch den der Wille des Vaters auch auf Erden geschieht. Mensch geworden und mit göttlicher Vollmacht versehen, ist er in die Welt gekommen, „damit man auf der Erde so an Gott glaubte, wie man im Himmel an ihn glaubte", 636 und er wird, mag seine Herrschaft auch „in denen, die sündigen", 637 noch ausstehen, auch weiterhin „umhergehen"

632 In Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 254). 633 Die berühmte aristotelische Partikel ist Grundoperator der origeneischen έπίνοιαChristologie. Sie fungiert als Differenzierungsprinzip der einen Substanz Christi entsprechend der verschiedenen Daseins- und Wirkweisen, die ihm teils substantiell, teils im Rahmen der Heilsökonomie (und teils auch in beiderlei Hinsicht) zukommen. So ist Christus beispielsweise nur als Sophia, nicht einmal als Logos Anfang; vgl. in loh. comm. I 222 (GCS Orig. 4, 39). 634 In Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 244). 635 Ebd. 1,2 (8, 245). 636 Ebd. 637 Ebd.

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und „sich" schließlich „alles unterwerfen". 6 3 8 Die Seraphim-Doxologie gerät in der christologisch-prophetischen Deutung des Orígenes somit zum Lob einer Welt, die von Christus nach und nach zum Ort der göttlichen Herrlichkeit umgeformt wird. Allerdings ist Christus für Orígenes nicht nur das Instrument, mit dem Gott die gesamte Welt mit seiner Herrlichkeit erfüllt. Als substantielle Erfüllung des väterlichen Willens und als R e i c h Gottes in Person ist er zugleich die göttliche Herrlichkeit, die er auf Erden herbeiführt. Die Identifikation selbst nimmt Orígenes in den vorliegenden Homilien nur implizit vor. So verkünden, wie gesehen, die Seraphim, die Gott in seiner Herrlichkeit die Ehre geben, in Wahrheit Christus und sein Kommen, und die Teilhabe an der Fülle der göttlichen Herrlichkeit, zu der Orígenes seinen Hörer aufruft, geschieht dadurch, dass sie, eine Anspielung auf den Prolog des vierten Evangeliums, im Menschen „wohnt"; 6 3 9 bald danach erscheint die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes als gestufte Teilhabe an Jesus und am Logos. 640 In anderem Zusammenhang dagegen verwendet der Alexandriner die Begriffe „Fülle der Gottheit" und „Herrlichkeit" ausdrücklich als Christus-Epitheta. Christus ist demnach als Weisheit nicht nur der „Ausfluß dieser Herrlichkeit", 641 in dessen vielfältigen E r scheinungsformen „sich die Fülle der Gottheit findet",642 sondern auch, wie Orígenes im Zusammenhang mit der Gottesbezeichnung „Vater der Herrlichkeit" mittels eines Syllogismus beweist, die personifizierte gloria Deí(A3 selbst. Die mit dieser εττίνοια zum Ausdruck gebrachte Seinsweise des Sohnes, die Welt im geschichtlichen Prozess ihrer Erlösung, erklärt sich aus seinem Verhältnis zum Vater: W i e Orígenes in der dritten Homilie der vorliegenden Sammlung ausführt, ist es seine Nahrung, d.h. sein innerstes Lebens- und Wesensprinzip, Gottes Güte, deren vollkommenes Abbild er ist, allenthalben zu verwirklichen und Gottes Willen, den nur er restlos zu erfüllen vermag, auch auf Erden durchzusetzen. Das noch ausstehende ir-

638 Ebd. (8, 2 4 5 f . ) . 639 Ebd. 4,2 (8, 259). 640 Ebd. (8, 259f.). Hinzu k o m m t eine ambivalente Stelle, an der die Identifikation j e nach Interpunktion eventuell doch ausdrücklich gemacht wird. Das Wort „Christus" in der Junktur quia futurum sit, ut universum terrain gloria Dei (,) Christus (,) impleat ließe sich auch als Apposition zu gloria Dei auffassen. 641 Princ. I 2 , 1 0 ( G C S Orig. 5, 43); Ubersetzung: p. 1 4 9 GÖRGI:MANNS/KARI>I>. 642 Ebd. IV 4,1 (5, 350); Übersetzung nach p. 787. 643 Vgl. in E p h . frg. 9 (p. 398 GRI;GG): „Wenn der Vater Vater eines selbstständigen Wesens und einer Substanz ist und w e n n er als ,Vater der Herrlichkeit' bezeichnet wird, so ist die Herrlichkeit offenbar etwas, das selbstständig existiert und das eine eigene Substanz hat. U n d vermutlich ist unser Erlöser, so w i e er Wort, Weisheit, Wahrheit, Friede und Gerechtigkeit ist, auch Herrlichkeit; und w e n n es in der Schrift heißt, die Herrlichkeit Gottes sei erschienen, so ist dies nicht anders zu verstehen, als dass der Sohn Gottes erschienen ist."

Einleitung dische Gottesreich und die erst damit überall verwirklichte plenitudo Dei ist damit nicht weniger als die Erfüllung seines Wesens, seine Speise, die er nicht nur, w i e im Zusammenhang des Vollkommenheitsideals dargestellt, in einer, sondern in allen Seelen zu sich nehmen will: „ W i e der Sohn Gottes", so sagt er an anderer Stelle expressis verbis, „aufgrund seiner vielfältigen B e ziehung und Gemeinschaft mit den Vernunftwesen gleichsam die Fülle der Vernunftwesen ist, so nimmt er sozusagen eine Fülle in sich auf, w e n n er sich in j e d e m einzelnen Seligen voll und ganz erweist". 6 4 4 Im R a h m e n eines wahrscheinlich fragmentarischen und zudem nur sehr lose in den Gesamtduktus eingefügten Exkurses führt Orígenes zu B e g i n n der fünften Homilie mit der Gerechtigkeit ein weiteres Christus-Epitheton an, das seine Eigenschaft als Prinzip v o n Welt und Geschichte zum A u s druck bringt und dessen Diskussion vermutlich die Ausführungen zur plenitudo Dei komplettieren sollte. D i e in Jes. 4 1 , 2 genannte Gerechtigkeit, die Gott, w i e es im Bibeltext heißt, aus dem Osten herbeiruft und die ihm auf Schritt und Tritt folgt, versteht er als den Fleisch gewordenen Gottessohn, der aus dem „Osten des wahren Lichts", d.h. aus der intelligiblen Welt der Sophia, „ u m unseres Heiles willen" 6 4 3 zu uns herabgestiegen sei. B e i einer anschließenden kurzen Auslegung des genannten Verses legt Orígenes großen Wert auf die Individualität und Personalität der Gerechtigkeit, die sich auf Gottes R u f hin bewege und deshalb, so der platonisierende Schluss v o n der Selbstbewegung auf die Seele als deren Quelle, 646 ein lebendiges, beseeltes Wesen sein müsse. Qua Gerechtigkeit — ein Terminus, der auch im platonischen Subtext der gesamten medium Dei Spekulation, der Nomoi'-Stelle mit ihrer Verknüpfung v o n Kosmologie und Ethik, eine w i c h tige R o l l e spielt — ist Christus das schöpfungstheologische Prinzip, nach dem „alles so ist, w i e es die N o r m der Billigkeit und Gerechtigkeit fordert". 6 4 7 Als solches stellt die Gerechtigkeit geradezu die Voraussetzung dafür dar, dass die gefallene S c h ö p f u n g v o n Christus zur plenitudo Dei erlöst werden kann: Gott hat die Welt in Christus so eingerichtet, dass die Natur jedes

644 Ebd. (p. 402). Vgl. dazu abschließend auch die zusammenfassende Würdigung bei SCHOCK Ι .N HOFF, Fest der Freiheit 222: „Es ist die ,Speise' des Sohnes, den Willen des Vaters zu tun; erst indem er das Werk des Vaters vollendet und seinen Willen erfüllt, erst durch diese seine ,Speise' ist der Sohn, was er ist. Die Unvollkommenheit, die von den freien Vemunftwesen in Gottes vollkommene Welt hineingetragen wurde, als sie im Ungehorsam von ihm abfielen, berührt deshalb auch den Sohn, dessen innerer Seinsgrund es ist, das Werk des Vaters zu vollenden." 645 In Is. hom. 5,1 (GCS Orig. 8, 263). 646 Vgl. princ. I 7,3 (GCS Orig. 5, 88f.): „Dabei ist es nun klar erwiesen, dass keine Bewegung eines Körpers ohne Seele erfolgen kann und dass (andererseits) beseelte Wesen nicht ohne Bewegung sein können"; Ubersetzung: p. 239 GÖRGEMANNS/KAEPP.

647 Ebd. II y,4 (5, 167f.); Übersetzung: p. 409.

III. Die Theologie der Jesajahomilien

Vernunftwesens seinen Verdiensten entspricht und so auch jede Ungleichheit, die zu Zweifeln an Gottes Güte und mithin zum Ermatten des sittlichen Engagements Anlass geben könnte, ihren Grund nicht in der etwaigen Willkür des Schöpfers, sondern im Verhalten des Einzelnen selbst hat. Eine Auslegung der auch hier genannten „Füße Gottes" findet sich nicht. Allerdings bringt Orígenes sie im Rekurs auf ein Zitat aus den Psalmen mit Christi Körper in Verbindung, der als deren „Schemel" bezeichnet wird: Sogar im Fleisch des Gottessohnes ist Gott gegenwärtig. Dass sich auch diese Inkarnation für Orígenes im Menschen wiederholen kann und soll, geht auch aus einem Fragment des verlorenen Jesajakommentars hervor, in dem der Schemel zunächst mit der Erde, dann, präziser, mit den auf ihr lebenden Wesen identifiziert wird. 648 Wie die Herrlichkeit Gottes, so geschieht auch die Gerechtigkeit in der Vermittlung durch das an Christus teilhabende Vernunftwesen. Christi Unterwerfung der von Gott abgefallenen Vernunftwesen, mit der die Gerechtigkeit und Fülle der göttlichen Herrlichkeit offenbar wird, geschieht ,,im Wort" 649 und „nicht", wie es in einer ausführlicheren parallelen Auslegung in der Prinzipienschrift heißt, „durch Gewalt und Zwang": Gott regiert „nicht nur kraft seiner Herrschermacht, sondern auch kraft der freiwilligen Gefolgschaft der Untertanen". 650 Beide Momente der Erlösung sind auch in den vorliegenden Predigten eng miteinander verknüpft. Die Unterwerfung unter Gottes Allmacht tut der Seele keine Gewalt an, sondern geschieht gerade, wie Orígenes gleich zu Anfang hervorhebt, als deren Heil und Wiederherstellung. 651 Alles Wirken des Logos, angefangen bei der Erschaffung der empirischen Welt über die Menschwerdung bis hin zu seinem gegenwärtigen Werben, zielt auf die innere Transformation der individuellen Seele, ihre Reinigung von der sündigen, irdischen „Verfettung" und ihre Teilhabe am Gotteswort, wie sie im Leitmotiv einer Ankunft Christi im „reinen Herzen" des Gläubigen zum Ausdruck kommt. Heil ist für Orígenes somit im Wesentlichen gelingende Freiheit, mit der die Seele nach ihrem irdischen Exil endlich zum Sohn und zum Vater zurückfindet. Entsprechend dem soteriologischen Grundsatz, dass „durch jeden von uns die Fülle der Herrlichkeit" geschieht, 652 findet das oben skizzierte kosmische Heilsgeschehen im einzelnen Menschen selbst statt. Er ist in seiner unvertretbaren Individualität eigentlicher Adressat der Heilsökonomie. Anhand seiner Menschwerdung, des Höhepunktes der Geschichte von Gott und Mensch, legt Orígenes seiner Gemeinde die Grundprinzipien von Gottes providentiellem Wirken dar. 648 649 650 651 652

Vgl. in Is. frg. siehe den Text unten S. 3 1 2 Γ und dazu oben S. 14. In Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 243 f.) Princ. I 2,10 ( G C S Orig. 5, 44); Ubersetzung: p. 14Y G Ö R G I : M A N N S / K A R I > I > . Vgl. in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 246). Ebd. 4,2 (8, 259).

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Einleitung

Die Christologie der Jesajahomilien ist dabei insgesamt v o m Fleisch gewordenen Gotteswort her gedacht. Selbst dort, w o der Kontext keinen Z w e i f e l daran lässt, dass vom unkörperlichen Gotteswort die R e d e ist, scheut sich der Alexandriner nicht, in konsequenter Idiomenkommunikation von Jesus zu sprechen. So ist es beispielsweise nicht einfach Christus, der vor und nach der Zeit seiner irdischen Gegenwart „umhergeht" und „sich" die Welt zu Ehren des Vaters „unterwirft", sondern, wie Orígenes eigens betont, „Christus als Mensch". 6 5 3 Auch Jesaja, dem alttestamentlichen Propheten, begegnet in dem einen der beiden Seraphim niemand anderer als Jesus von Nazaret. 654 A n ihm, dem Mensch gewordenen Logos, illustriert Orígenes auch im R a h m e n einer ausführlicheren Meditation zu Jes. 8,18 („Siehe, ich und meine Kinder, die mir Gott gegeben hat") 653 das facettenreiche Heilshandeln Gottes. Wie schon in der Natur und in der Schrift wird der Logos, so der Kenosis-Gedanke, 636 den Orígenes breit entfaltet, „ u m unseres Heiles willen" 6 5 7 oder einfach „ f ü r uns" 639 oder „ f ü r mich" 6611 Knecht und nimmt die ihm fremde körperliche Natur an. Grund ist, wie der Prediger im Rekurs auf eine verwandte Stelle im Hebräerbrief ergänzt, der Fall und die anschließende Einkörperung der ursprünglich mit ihm vereinten Geistwesen. Infolge ihrer Teilhabe an Fleisch und Blut nämlich ist ihr Blick auf die göttlichen Geheimnisse, jene lebenswichtige Nahrung des Geistes vor wie nach dem Fall, getrübt. Aus freien Stücken teilt der Logos nun ihr Schicksal, „ u m uns", so das Ziel all seines Wirkens, „ihm gleich zu machen, nachdem wir uns durch die Sünde entfremdet hatten." 66 " Christi Heilswerk zielt (negativ) also auf die Uberwindung der Entfremdung durch die Sünde und (positiv) auf die Angleichung der gefallenen Seele an ihn. Beide Aspekte gehören, wie im Kontext des Vollkommenheitsideals dar-

653 Ebd. 1,2 (8, 245). 654 Uber die Berechtigung dieser Sprachregelung im Zusammenhang seiner Metaphysik äußert Orígenes sich in den vorliegenden Predigten nicht. Allerdings sind die drei trinitarischen Personen, wie gesehen, ganz im Blick auf die Entsprechung von Heilsökonomie und immanentem göttlichem Leben gedacht. Christi privilegiertes Wissen um die Ankündigung der Menschwerdung der Heiligkeit Gottes etwa gründet, wie gesehen, gerade darin, dass er und nicht der Vater oder Geist Mensch wird. Zudem verbietet allgemein der außerzeitliche Charakter des Zustands vor dem Fall die Annahme einer Phase, in welcher der Logos nicht mit der Seele Jesu vereint gewesen wäre. 655 Vgl. in Is. hom. 7,1 (GCS Orig. 8, 279f.). 656 Siehe dazu ausführlich F I ' . D O U , La Sagesse et le Monde 3 1 1 - 3 3 1 . 657 In Is. hom. 5,1 (GCS Orig. 8, 263). 658 Ebd. 7,1 (8, 279). 659 Ebd. 5,2 (8, 264). 660 Ebd. 7,1 (8, 279). Vgl. auch ebd. 7,2 (8, 282): „Doch unser Gott, der im Himmel und auf Erden tut, was er will, entreiße uns den Dämonen und mache uns durch unseren Erlöser Jesus Christus zu seinesgleichen!"

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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gestellt, innerlich zusammen. Entsprechend der biblischen Vorlage, in welcher der mit Christus identifizierte Seraph dem Propheten mit Kohle die Lippen reinigt, erfahrt gerade der negativ-kathartische Aspekt in den vorliegenden Predigten eine ausführliche Behandlung. So erscheint etwa die den Menschen reinigende Askese, ein zentraler Aspekt des in den Homilien propagierten christlichen Ethos, aus christologischer Perspektive weniger als Werk des Menschen denn als Heilstat des Logos. E r ist es, der, in die Seele des Einzelnen eingetreten, diese mitsamt ihren Sünden und Ungerechtigkeiten verbrennt. 661 U n d wie einst bei Jesaja, so brennt Christus auch nun alles, was im Menschen irdisch und sündhaft ist, fort, damit die Seele, w i e der zu reinem Geist geworden, Gott erneut schauen kann. Dazu solle Christus, so die Bitte des Predigers, nicht nur wie einst bei Jesaja seine Lippen, sondern seinen ganzen Körper mit heilendem Feuer reinigen. 662 In diesen Zusammenhang gehört auch Orígenes' Auslegung der Fußwaschung, die ebenfalls der Illustration seines kathartischen Wirkens dient: Mit geistigem Wasser reinigt Jesus den Jüngern die Füße, damit diese mit reinem Herzen zu ihm als dem geistigen Weg, der zum Vater führt, aufzusteigen vermögen. 663 Den positiven Aspekt einer von Christus herbeigeführten Wiederherstellung der Seele zum Gott schauenden Geist erläutert Orígenes im R a h m e n seiner Auslegung des Kindschaftsmotivs im Sinne einer behutsamen Erziehung eines fürsorglichen Vaters. Die Menschen erscheinen demnach allesamt als mehr oder weniger begabte Kleinkinder, deren Unwissen hinsichtlich der göttlichen Dinge ihr Wissen bei weitem überwiegt — eine Einschätzung, von der Orígenes nicht einmal die großen Gestalten des Alten und Neuen Testaments ausnehmen will. Auch sie gehören für ihn zu jenen, die — ein vom Alexandriner auch sonst sehr geschätztes paulinisches Bild — nur „ M i l c h " , nicht aber „feste Speise" zu sich nehmen können. Die Milch steht dabei für die v o m Logos vermittelte Erkenntnis, die im Hier und Jetzt nicht die „wahre Wirklichkeit", sondern lediglich die „Schatten der W i r k lichkeit", nicht das „Licht in Fülle", sondern bloß „ein dunkles B i l d " umfasst.664 Das zentrale Thema der Jesajahomilien, die Unmöglichkeit einer Gotteserkenntnis jenseits der historisch-irdischen Mitte Gottes, übersetzt Orígenes an dieser Stelle also in die Sprachwelt der göttlichen Vorsehung und Erziehung. Z u dieser gehören sachlich auch die beiden von Orígenes an anderer Stelle diskutierten Christus-εττίνοιαι „ R u t e " und „Blüte", wie er sie in Jes. 1 1 , 1 vorfindet: Beide gehen aus der einen „Wurzel", aus der einen Substanz

661 Vgl. ebd. 4,6 (8, 262): „Beißen soll uns das göttliche Wort, unsere Seele verbrennen." 662 Vgl. ebd. 5,2 (8, 264). 663 Vgl. ebd. 6,3 (8, 272). 664 Ebd. 7,1 (8, 280). Siehe dazu unten S. 282 Anni. 139.

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Christi, hervor, doch zeigt sich diese dem erziehungsbedürftigen Kind entsprechend seinem jeweiligen Fortschritt entweder als „ R u t e " oder als „Blüte": „Es ging also für den eine R u t e aus der Wurzel Jesse hervor, an dem Strafe und Züchtigung vollzogen werden, eine R u t e für den, der der Schelte bedarf, eine R u t e für den, der sie zu seiner Bloßstellung nötig hat; die Blüte dagegen für den, der schon erzogen ist und keiner strengen Zurechtweisung oder zumindest keiner Strafen mehr bedarf, sondern bereits imstande ist, erste Blüten auf dem Weg zur vollkommenen Frucht zu treiben." 6 6 3 Dabei besteht, wie der zitierte Passus deutlich macht, zwischen den Prügeln der „ R u t e " und der Belohnung durch die Schau der „Blüte" eine Kontinuität: Am Ende der strafenden Erziehung steht als Ziel die kontemplative Logosgemeinschaft des herangereiften Kindes, d.h. der von Christus mit Schlägen zur Räson gebrachten und mit reinigendem Feuer geläuterten Seele. Beides, Strafe wie Belohnung, ist zudem Begegnung mit der einen Wirklichkeit des Erziehers Christus. Zugleich führt die paideia Christi entsprechend seinem Wesen als Weg und Mittler zur Gemeinschaft mit Gott, dem Vater. Die Wurzel nämlich, aus der „ R u t e " und „Blüte" entspringen, ruht ihrerseits, so ließe sich das von Orígenes verwendete Bild in seinem Sinne fortschreiben, im Boden der einen göttlichen Natur. Diese ist es, die beide, sei es als Heiligkeit, sei es als Güte, nährt und erhält und die Christus bald in Gestalt einer züchtigenden „ R u t e " , bald in der einer anmutigen „Blüte" dem erlösungsbedürftigen Vernunftwesen mitteilt. Zum Abschluss seiner Auslegung des Kindschaftsmotivs, aus dem das einer stufenweise aufsteigenden Pädagogik organisch erwächst, stellt Orígenes schließlich ein allzu schematisches Nacheinander von Christus- und Gottesbeziehung, wie es biblische Metaphern wie die des Weges durchaus nahelegen, rundweg infrage. Der biblischen Vorlage folgend, nach der Christus die Kinder anbefohlen worden sind, hebt er zunächst hervor, dass es der Vater sei, der als Ursprung und Prinzip der Vorsehung den Menschen zum Sohn führe und ihn seiner Erziehung anvertraue. Sodann destruiert er unter Aufbrechung jedes Heilsschematismus die Logik des biblischen Bildes selbst, wenn er in pointierter, paradoxer Formulierung die wesenhafte Einheit von Sohnes- und Gottesgemeinschaft konstatiert: „Und man darf nicht meinen, dass der, der sie angenommen hat, sie vorher noch nicht gehabt hätte, wenn noch der sie habe, der sie gegeben hat." 666 Hiernach gibt es keinen Moment, da der Sohn nicht im Besitz der nach seinem Bild geschaffenen Vernunftwesen wäre, wie umgekehrt die unaufhebbare Gemeinschaft des Menschen mit dem Sohn nicht nur kein Widerspruch zu ihrer ebenfalls unlöslichen Bindung zum Vater, sondern, im Gegenteil, ihr M e dium ist. 665 Ebd. 3,1 (8, 254). 666 Ebd. 7,1 (8, 280).

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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Mit der Vielzahl derer, die Christus in der skizzierten Weise in sich gewähren lassen, lenkt Orígenes in den vorliegenden Homilien den Blick seiner Hörer kurz auf die Geschichte. Mit der Kirche, verstanden als die im Logos heimkehrende Menschheit, tritt Gottes Herrlichkeit überall augenfällig hervor. Anders nämlich als zur Zeit des Alten Bundes, in der das Bekenntnis zum wahren Gott auf lediglich „einen einzigen Winkel der Erde" 6 6 7 beschränkt gewesen sei, zeige sich die Herrlichkeit Gottes in den christlichen Kirchen erstmalig auf der ganzen Welt. 668 Z u d e m spielt Orígenes in diesem Zusammenhang abermals auf die strenge Korrespondenz von Anfang und Ende an, die seiner Geschichtsdeutung zugrundeliegt: Im R ü c k g r i f f auf die Leitbegriffe der biblischen Vorlage spricht er zunächst von einem vormals von göttlicher Herrlichkeit erfüllten Haus — der innertrinitarischen Gemeinschaft, an der die Vernunftwesen vor ihrem Fall teilhatten — und unmittelbar darauf von einer Zukunft, in der Christus „die gesamte Erde mit der Herrlichkeit Gottes erfüllt". 669 Hierauf nämlich ist für ihn die geschichtliche Welt, verstanden als medium Dei, entsprechend der Prophezeiung von Sohn und Geist selbst mit Gewissheit hingeordnet. Der Geist und seine Gaben Christi Wirken, mit dem er die Welt zur göttlichen Herrlichkeit erlöst, ist, wie gesehen, zugleich Handeln des Vaters, der dem Sohn seine „Kinder" anvertraut und sich ihnen in ihm mitteilt. Einige kürzere Bemerkungen und insbesondere die überwiegend dem Geist und seinem Verhältnis zum Sohn gewidmete dritte Homilie zeigen, dass Orígenes das Heilswerk in den H o milien ebenso wie in der kürzeren Interpretation der Jesajavision in Περί άρχων als gemeinsames Handeln der drei göttlichen Personen begreift. M a g zunächst auch ein Passus in der ersten Predigt, in dem die Wesenseinheit Gottes in den verschiedenen Wirkweisen eigens hervorgehoben wird, interpoliert sein,67" so bieten doch andere, zentrale Stellen Hinweise auf ein trinitarisches Verständnis der Heilsökonomie. So wird, wie gesehen, die Heiligkeit, deren Mitteilung im pneumatologischen Traktat der Prinzipienschrift als operatio specialis des Geistes erscheint, 67 ' in den vorliegenden

667 Ebd. 4,2 (8, 259). 668 Z u m globalen geographischen Horizont des antiken Christentums siehe FÜRST, Ende der Erde; zu Orígenes und seiner an sich realistischeren Perspektive: ebd. 277 f. 285. 669 In Is. hom. 4,2 (GCS Orig. 8, 259). 670 Siehe dazu unten S. 1 7 1 . 671 Vgl. princ. I 3 (GCS Orig. 5, 48—63). Die Heiligung durch den Geist erscheint in einer ersten, mehr schöpfungstheologischen Bewegung das Ziel der Schöpfung, die vom Vater ihr Sein und vom Logos ihre Vernunft und ihre sitdiche Zurechnungs-

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Predigten als Gemeinschaft der drei Personen charakterisiert. Bei der Heiligkeit, die der Sohn vom Vater empfängt, um sie der Schöpfung mitzuteilen, 672 handelt es sich also, ohne dass Orígenes dies eigens herausstellen müsste, auch um die Heiligkeit des Geistes. 673 Außerdem gilt auch bei der in den Homilien behandelten heilsökonomischen Mitteilung der Heiligkeit das von Orígenes andernorts formulierte trinitarische Grundschema sämtlicher Gnadenmitteilung, nach dem jedes Charisma v o m Vater her durch den Sohn im Geist kommuniziert wird. 674 Schließlich kommt hinzu, dass die innere Logik der mit der Begriffstrias von „ A n f a n g " , „Mitte" und „ E n d e " operierenden Auslegung der Gottesschau mit ihrem christologischen Schwerpunkt, wie er in der Deutung der Mitte als „Fülle der Herrlichkeit Gottes" zutage tritt, mutatis mutandis auch für den Geist und sein Wirken gilt: Jesaja sieht neben dem medium Dei auch den Geist, der zusammen mit dem Sohn Gottes „ A n f a n g " und „ E n d e " verhüllt, und auch er ist nach der Parallelauslegung der Prinzipienschrift „Grund des Wissens von Gott Vater". 673 Dessen Anteil am Heilsgeschehen stellt somit einen integralen Bestandteil der für den Menschen sichtbaren „Mitte" dar. Der Geist tritt Christus nach der Darstellung der Jesajapredigten vor allem als heilsgeschichtlicher Helfer zur Seite. So weist er dem Leser der Schrift als deren Urheber den Weg zum „Fürsten der Bienen", dem Logos qua Prinzip der Prophetie und des biblischen Schrifttums allgemein. 676 Seine fáhigkeit erhält. Nach einer zweiten, mehr heilsgeschichtlichen Bewegung ist die Heiligung durch den Geist der Ausgangspunkt einer tieferen Erkenntnis zunächst des Sohnes, dann des Vaters. Siehe dazu die umfassende Interpretation von SAAKI;, Tracta tus. 672 So charakterisiert Orígenes das Heilswerk des Sohnes wie folgt: „Der Erlöser ist es, der heiligt, insofern er ein Mensch ist, der von Gott, dem Vater, die Heiligkeit empfängt": in Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 259). 673 Angesichts der Bedeutung, die Orígenes dem Heiligkeitsmotiv in den vorliegenden Predigten beimisst, ist anzunehmen, dass er die Rolle des Geistes in einer oder mehreren nicht erhaltenen Predigten und insbesondere in dem gänzlich verlorenen Jesajakommentar weit ausführlicher behandelt hat. 674 Hiernach ist der Geist nicht nur Mittler der Heiligkeit, sondern (geistige) Hyle aller göttlichen Heilsgaben: „Überdies meine ich, dass der Heilige Geist denen, die durch ihn und die Teilhabe an ihm heilig heißen, sozusagen die Materie der von Gott stammenden Gnadengaben darbietet. Sie, die eben genannte Materie der Gnadengaben, ist von Gott gewirkt, sie wird von Christus vermittelt und sie hat Existenz im Heiligen Geist": in loh. comm. II 77 (GCS Orig. 4, 65). Fern von jedem „Binitarismus", der Orígenes zuweilen unterstellt wird, ist, wie MARKSCHIES, Geist 298, überzeugend darlegt, dieses Grundschema für Orígenes auch dort in Geltung, w o er — wie im Falle der Heiligung in den vorliegenden Homilien — lediglich die Mittlerschaft Christi ausdrücklich thematisiert: „ Z w a r ist häufig davon die Rede, dass Christus oder der Logos Charismen geben, aber ebenso häufig meines Erachtens mitgedacht, dass der Geist sie vermittelt." 675 Princ. I 3,4 (GCS Orig. 53); Übersetzung: p. 167 GÖRGEMANNS/KARPP. 676 Vgl. in Is. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 252).

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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helfende Rolle im Heilswerk legt Orígenes in den pneumatologischen Abschnitten der dritten Predigt ausführlicher dar, in der er die sieben Frauen aus Jes. 4,1 als Personifikation des Geistes und seiner sieben Gaben deutet: „Die sieben Frauen sind eine einzige; denn sie sind der Geist Gottes. Und bei dieser einen handelt es sich um sieben; denn der Geist Gottes ist ,der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit, der Geist der Furcht des Herrn' 0es. Ii,2f.)." 6 7 7 Die Ubereinstimmung der Prädikate mit den εττίνοιαι des Sohnes, allen voran mit dem der „Weisheit", die Orígenes wenig später auch als „Weisheit meines Christus" 678 bezeichnet, rührt daher, dass der Geist sein Dasein und sein Wesen der Teilhabe am Sohn und der Vielzahl seiner Attribute verdankt. 679 Zusammen mit entsprechenden Ausführungen im J o hanneskommentar bietet die dritte Jesaj apredigt mit ihrer Auflistung der verschiedenen Attribute so gleichsam die Umrisse einer έπίυοια-Pneumatologie, die Orígenes freilich weder hier noch an einer anderen Stelle des erhaltenen Werkes systematisch entfaltet hat.6811 Die verschiedenen Weisen der heilbringenden Wirklichkeit des Geistes sieht Orígenes in einem kosmischen Ringen mit ihren jeweiligen weltlichen Pendants begriffen, die ihn, sei es in Gestalt der zu Unrecht so genannten Gnosis, sei es als irdische Wissenschaft und Weisheit, auf vielfache Weise schmähen und bedrängen. Ohne dass Orígenes einen expliziten ekklesiologischen Bezug herstellt, erinnern die Ausführungen in Diktion und Inhalt an den Kampf der irdischen Kirche mit Satan und seinen Dämonen. Die Pneumatologie der Jesajahomilien ist so auch inhaltlich der als Ringen zwischen Gott und Teufel verstandenen Erlösungsgeschichte zugeordnet. Die Verbindung des Geistes mit einem einzigen Mann, von der die Schriftstelle spricht, stellt für Orígenes ein bestimmtes Ereignis dieser Geschichte dar: Der alttestamentliche Text handelt nach seiner Deutung von der Taufe Jesu, bei der sich der Geist auf diesen herab begebe. Die Demütigung der hoffärtigen Frauen, von der im Bibeltext die R e d e ist, nimmt die Verwerfung des Volkes Israel als Strafe für seine Ablehnung Christi vorweg. An anderer Stelle erzählt Orígenes zusätzlich die „Vorgeschichte" dieser Herabkunft des Geistes: Ursprünglich habe der Heilige Geist als Erlöser Mensch werden sollen. Allerdings habe dieser den Logos vorgeschoben

677 Ebd. 3,1 (8, 253). 678 Ebd. 679 Vgl. in loh. comm. II 76 (GCS Orig. 4, 65): „Ihn (sc. Christus), so scheint es, braucht er als Mittler seiner individuellen Existenz, und zwar nicht nur, um überhaupt zu existieren, sondern auch, um weise, vernünftig, gerecht und alles das zu sein, was er, wie man annehmen muss, entsprechend der Teilhabe an den oben von uns angeführten Aspekten Christi ist." 680 Vgl. M a r k s c h i i ' . s , Geist 288.

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und dabei zugleich versichert, ihm bei seinem Heilswerk beizustehen, 68 ' ein Versprechen, das er bei Jesu Taufe einlöst. Die substantielle Gegenwart des Geistes in Christus lässt den Mensch gewordenen Logos zum kraftvollen „Engel des großen Rates" werden, der, von den übrigen Engeln bewundert, zum Himmel emporsteigt. Der Geist erscheint so auch als Instrument der von Orígenes angenommenen „Engelwerdung", mit der er, allen alles werdend, auch die gefallenen Engel in ihren alten Stand wiederherstellt. 682 Der trinitarische Charakter des gesamten Heilswerkes findet am Ende der dritten Predigt weitere Bestätigung. Neben der engen Verbindung von Christus und Geist, wie sie im Begriff des „Ruhens" zum Ausdruck kommt, betont Orígenes dort noch einmal, dass der Vater Ursprung und Prinzip des von Logos und Pneuma vermittelten Heiles ist. So hebt er hervor, dass der Vater als der, der den Sohn in die Welt sendet, der (stets gegenwärtige) Ursprung des providentiellen Geschehens ist. Überdies vermittelt Christus nicht nur die väterliche Natur, seine Güte und Heiligkeit. Als der, auf dem der Geist Gottes dauerhaft ruht, ist Christus zudem Mittler einer Teilhabe am Pneuma und seinen Gaben: Mit der Weisheit, der Einsicht und den nicht näher spezifizierten „übrigen Tugenden" des Geistes, so kehrt der Prediger eine allzu schematische Einteilung des trinitarischen Heilswirkens abermals um, soll die Seele sich in Christus „schmücken". 683 Im Zusammenhang mit den pneumatologischen Ausführungen erweist sich der mit dem medium Dei verbundene Providenzgedanke damit als heilstrinitarische Geschichtssicht, 684 nach der die gefallene Welt v o m Vater im Sohn und durch den Geist zu ihrem Ursprung, der zugleich ihr Ziel ist, zurückgeführt wird.

681 Vgl. in loh. comm. II 83 (GCS Orig. 4, 66f.): „Vielleicht kann man aber auch sagen, die Schöpfung habe, um von der Sklaverei der Vergänglichkeit befreit zu werden, ebenso wie das Menschengeschlecht der Menschwerdung einer seligen und götdichen Macht bedurft, die auch in irdischen Dingen Ordnung stiften würde, und in gewisser Weise oblag es dem Heiligen Geist, dies zu tun. Allerdings schlägt er dafür, unfähig, dergleichen auf sich zu nehmen, den Erlöser vor, weil dieser als einziger dazu in der Lage wäre, einen so bedeutsamen Kampf durchzustehen. Und als nun der Vater den Sohn kraft seiner Autorität entsendet, da sendet ihn auch der Heilige Geist: Er schickt ihn mit voraus und verspricht, zur rechten Zeit zum Gottessohn hinabzusteigen und zusammen mit ihm auf das Heil der Menschen hinzuwirken." 682 Siehe dazu oben S. 77-82. 683 In Is. hom. 3,3 (GCS Orig. 8, 257). 684 Die Charakterisierung des origeneischen Denkens als „Heilstrinitarismus" geht auf Hans Urs von Balthasar zurück. „Was also", so sein Urteil über die Trinitätstheologie des Orígenes insgesamt, „an innertrinitarischer Theologie bei Orígenes noch fehlt, das ersetzt er durch seinen großartigen heilsgeschichtlichen Trinitarismus" (Geist und Feuer 26).

III. Die Theologie der Jesajahomilien

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4. Christus alles in allem und das certamen Dei — Der theologische Ertrag der Jesajahomilien In der Forschung bislang wenig beachtet, sind die Jesajahomilien in ihrer überlieferten Gestalt ein gehaltvolles Fragment, das auf schmalem K a u m die Grundgedanken der origeneischen Vollkommenheitslehre in einer umfassenden theologischen Kosmologie fundiert. Zugleich sind sie ein höchst charakteristisches Zeugnis der origeneischen „théologie en recherche", 6 8 3 die j e d e r den Flug des Geistes h e m m e n d e n Schematisierung abhold ist und gerade darin ihre große spekulative Konsistenz erweist. Das M o t i v des „Christus alles in allem" ist der Grundakkord der ethischen Paränese, die das Kernstück des Homilienwerkes bildet. Es gilt, alles, was den Menschen von Gott trennt, abzuschütteln u n d in die Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater, die Heimat der Seele, zurückzukehren. Diese G r u n d b e w e g u n g , die sittliche „ R ü c k w e n d u n g " (ετπστροφή) der gefallenen Geister zu ihrem Ursprung, trägt sämtliche Überlegungen der Jesajapredigten. In i m m e r n e u e n Bildmeditationen und philosophischen A r g u m e n t e n beleuchtet Orígenes diese B e w e g u n g des Geistes d u r c h w e g aus zwei Perspektiven: aus der Perspektive des Menschen, dem der Prediger Orígenes eine fundamentale Entscheidung f ü r den Logos und gegen die Welt im Inneren u n d Äußeren abverlangt, u n d aus der Gottes, in der die Welt- und Affektaskese des Einzelnen als kathartisches W i r k e n des Logos u n d die sittliche R e i f u n g der einstmals „verfetteten" Seele als von ihm herbeigeführte Verwandlung erscheint. Die durchgängige Doppelperspektive gründet in einer ursprünglichen ontologischen Einheit: D e r Logos ist nicht nur die reale Gegenwart Gottes in Welt u n d Mensch und Prinzip seines Wirkens, sondern auch das „wahre Leben" der fortgeschrittenen Seele, das sie, eigenständig und doch immer Teil v o n ihm, nach u n d nach zurückerlangt. 686 Mit dem zentralen Gedanken eines allein erkennbaren medium Dei w e n d e t O r í genes das Leitmotiv eines Iesus omnia in omnibus unter Beibehaltung der Doppelperspektive ins Kosmische und Weltgeschichtliche: D e r Kosmos, z u m Heil des gefallenen Geistes erschaffen, ist im G r o ß e n und Kleinen Symbol des Logos, u n d die Geschichte der Kirche u n d ihrer Menschen ist v o m göttlichen Standpunkt aus die unaufhaltsame Verwirklichung der von Logos u n d P n e u m a prophezeiten universalen plénitude gloriae Dei. Vom L o gos gelenkt u n d durchdrungen, ist die Wirklichkeit, in der sich die Seele bewähren soll, somit insgesamt O r t der Gottesgegenwart u n d -nähe, an der auch der Mensch, v o m Logos u m w o r b e n , teilhaben soll. Die paideia ist die

685 So die berühmte Charakterisierung des origeneischen Denkens bei CROU/.Ι',Ι,, Origène 2 1 6 - 2 2 3 . 686 Vgl. ders., Théologie de l'image 245.

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große origeneische Chiffre für Christi Heilshandeln, das den Menschen mittels der Erziehung zu Freiheit und Selbstverwirklichung zur Gemeinschaft mit dem Vater zurückführen will. Wie der Fortschritt des einzelnen, so ist auch die Wiederherstellung aller dem trinitarischen Gott als sein weltliches medium zutiefst innerlich. Die Welt und ihre Geschichte sind die Stätte seiner, wie Orígenes mal eher philosophisch, mal mehr biblisch sagt, „Bewegung" 6 8 7 und seiner „Mühe". 6 8 8 Dass irdische Gotteserkenntnis streng auf dieses medium beschränkt wird, steht dabei einem allgemeinen Missverständnis des Orígenes als weltenthobenen Metaphysikers geradezu diametral entgegen. Schließlich ist das vorliegende Werk auch als Zeugnis des eigentümlich origeneischen Denkstils von Belang: Ein Problem oder Thema immer neu aufgreifend und durchdenkend, gelangt Orígenes nicht nur an keiner Stelle zu einer Formel, mit der er seine Lösung abschließend zusammenfasste. Im Gegenteil bieten die Jesajapredigten trotz ihres geringen Umfangs eine Fülle von vermeintlich widersprüchlichen Aussagen. So ist im Bereich der Vollkommenheitsdoktrin das aktive Leben zugleich Voraussetzung, Konsequenz und Medium einer Schau, die andererseits aber als Teilhabe am Logos die sittliche Praxis überhaupt ermöglicht. Im Bereich der Theologie ist es bald der Geist, der den Menschen zum Sohn führt, und bald der Sohn, der die Teilhabe am Geist vermittelt. U n d wie der Logos den Menschen als Weg, der er ist, zum Vater führt, so ist es andererseits der Vater, der dem Logos seine Schützlinge anvertraut. Zugleich aber stehen diese niemals außerhalb der Gemeinschaft von Sohn oder Vater. Die Liste solcher „Widersprüche" ließe sich fast beliebig verlängern. Allerdings sind diese nicht Ausdruck einer fehlenden systematischen Kohärenz, sondern, im Gegenteil, Ausdruck höchster spekulativer Konsequenz. So könnte etwa der Geist ohne eine unverbrüchliche Gottesgemeinschaft in seinem Innern weder im Denken noch im Handeln zu ihm zurückfinden. U n d die scheinbare trinitätstheologische Verwirrung bringt gerade die fundamentale Uberzeugung der Jesajadeutung des Orígenes zum Ausdruck, dass es die eine heilige göttliche Natur ist, die, als Beziehung dreier individueller „Heiligkeiten" gedacht, dem Menschen in Welt und Geschichte von Sohn und Geist mitgeteilt wird. Erweist der Denkstil, die dynamisch-experimentelle „théologie en recherche", die fragmentarische Sammlung von Jesajahomilien als höchst charakteristische Schrift des Alexandriners, so beruht ihre inhaltliche Bedeutung innerhalb des Gesamtwerkes des Orígenes fraglos auf der tiefgründigen Exegese der Gottesvision des Propheten: Die Anstrengung des Begriffs einer kosmisch-geschichtlichen Gottesmitte, wie Orígenes sie auf der Grundlage

687 In Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 257). 688 Ebd. 2,1 (8, 248). Siehe dazu unten S. 2 1 0 Anni. 32.

III. D i e Theologie der Jesajahomilien

des biblischen Gottesbildes und in ständiger Auseinandersetzung mit der philosophischen Theologie Piatons und seiner spätantiken Interpreten u n ternimmt, verbindet Schöpfer und Geschöpf, ohne ihre bleibende Differenz zu verwischen, in einer unauflöslichen Einheit und Gemeinschaft, die dem menschlichen Handeln in der Welt seinen Sinn bewahrt.

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IV. Die Jesajahomilien im ersten Origenismusstreit ι . Altkirchliche Jesajakommentare Es ist h i e r n i c h t der O r t , Einfluss u n d Schicksal der Jesajaexegese des O r í genes in der späteren christlichen Tradition i m E i n z e l n e n zu u n t e r s u c h e n . Das w ä r e eine A u f g a b e f ü r eine M o n o g r a p h i e , die n o c h zu schreiben w ä r e . In d e r e n Z e n t r u m müssten, n e b e n der I n t e r p r e t a t i o n o d e r V e r w e n d u n g v o n e i n z e l n e n Versen i m u m f a n g r e i c h e n patristischen S c h r i f t t u m , die altkirchlic h e n K o m m e n t a r e u n d H o m i l i e n z u m B u c h Jesaja stehen. V o n diesen ist allerdings n u r n o c h ein Teil erhalten, w ä h r e n d das meiste, w i e die Jesajak o m m e n t i e r u n g des O r í g e n e s , ganz o d e r teilweise u n t e r g e g a n g e n ist. 689 So ist der erste J e s a j a k o m m e n t a r in lateinischer Sprache, d e n V i c t o r i n u s v o n P e t t a u in der z w e i t e n H ä l f t e des 3. J a h r h u n d e r t s g e s c h r i e b e n hat, 6 9 0 e b e n s o w e n i g überliefert w i e d e r j e n i g e des A m b r o s i u s , dessen Existenz a u f g r u n d eines H i n w e i s e s des A u t o r s selbst gesichert ist, 691 v o n d e m sich aber n u r w e n i g e F r a g m e n t e in d e n antipelagianischen S c h r i f t e n Augustins f i n den 6 9 2 u n d d e n s c h o n Cassiodor in der z w e i t e n H ä l f t e des 6. J a h r h u n d e r t s n i c h t m e h r ausfindig zu m a c h e n v e r m o c h t e . 6 9 3 N u r f ü n f k n a p p e F r a g m e n t e w e r d e n in d e n Sacra parallela des J o h a n n e s v o n D a m a s k u s aus d e m K o m m e n t a r des D i d y m u s v o n Alexandria mitgeteilt, 6 9 4 der laut H i e r o n y m u s a c h t z e h n B ü c h e r ü b e r die b e i d e n Teile des Jesajabuches umfasste, die h e u t e als D e u t e r o - u n d Tritojesaja b e z e i c h n e t w e r d e n 0es. 40—66);C9d m ö g l i c h e r weise schrieb D i d y m u s auch e i n e n K o m m e n t a r z u m Protojesaja, d e n n i m

689 Die folgenden Informationen nach Simonihti, Uno sguardo d'insieme, und Gryson/Szmatui.a, Les commentaires patristiques 4 - 1 2 . 33-40. 690 Hieronymus, epist. i8A,6 (CSEL 54, 82); vir. ill. 74,2 (p. 180 Ceresa-Gastaldo); in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 137). Vielleicht ist auch unter dem hyperbolischen Ausdruck quidam Latini in epist. i8A,4 (CSEL 54, 78) Victorinus gemeint: Nautin, De seraphim 270f. Der ebenso übertreibende Hinweis auf quidam Latinorum in Es. III 4 (VL.AGLB 23, 315) dürfte sich indes - pace Gryson/S/matui,a, ebd. 5 - nicht auf Victorinus, sondern auf Hieronymus selbst beziehen: Fürst, Hieronymus gegen Orígenes 211 Anni. 75. 691 Ambrosius, in Luc. expos. II 56 (CChr.SL 14, 54f.). 692 Zusammengestellt von P. A. Ballerini, CChr.SL 14, Tumhout 1957, 403-408. 693 Cassiodor, inst. I 3,6 (FC 39/1, 136). 694 Johannes von Damaskus, sacr. par. (PG 95, 1093. 1169); par. Rup. (PG 96, 525). 695 Hieronymus, vir. ill. 109,2 (p. 212 Ceresa-Gastaldo); in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138).

IV. Die Jesajahoniilien im ersten Origeiiismusstreit

163

1941 in Tura gefundenen Sacharjakommentar kommt Didymus mehrmals zu Versen aus diesem Teil des Jesajabuches auf einen Kommentar zu sprechen, den er zu schreiben gedenke. 696 M e h r Fragmente sind von zwei w e i teren Kommentaren in der Katene eines ansonsten unbekannten Johannes von Drungarien aus dem 7V8. Jahrhundert überliefert: 74 meist sehr kurze und nur zum Teil edierte Fragmente von Apolinaris von Laodizea6'97 und 253 sehr ungleichmäßig über den Jesajatext verteilte, mit unechten und zweifelhaften Stücken vermischte Fragmente von Theodor von Heraklea, dazu ein Fragment in einer anderen Katene. 698 Schließlich wurden in einer vatikanischen Handschrift des 1 1 . Jahrhunderts (Codex Vaticanus graec. 347, fol. Ó5V—143T) 2860 Glossen zu Jesaja, die Hesychius von Jerusalem zuzuschreiben sind, entdeckt und im Jahr 1900 publiziert. 699 Z w e i Kommentare blieben unvollendet und wurden zu Lebzeiten ihrer Autoren nicht publiziert, sind aber immerhin am Stück auf uns gekommen: Derjenige des Basilius von Caesarea umfasst Jes. 1—16 (mit Lücken), doch wird schon vom Katenenschreiber Johannes und später seit Erasmus und der Edition des Mauriners Julien Garnier von 1 7 2 1 700 immer wieder seine Echtheit in Z w e i f e l gezogen. Derjenige des Johannes Chrysostomus, der vor 386 entstanden ist, ist nur bis Jes. 8,10 ausgearbeitet,7111 doch reicht eine armenische Version des 5. Jahrhunderts, deren Herkunft von Chrysostomus freilich zweifelhaft ist, bis Jes. 64,10 (mit Lücken). 702 Aus einer Schlussnotiz in zwei Handschriften geht hervor, dass Chrysostomus über Jes. 8,10 hinaus diktiert hatte, doch lagen dem griechischen Kopisten dazu nur die stenographischen Aufzeichnungen vor, die er nicht zu entschlüsseln vermochte und daher nicht abschrieb. 7 " 3 Von Chrysostomus gibt es außerdem sechs Homilien über Jes. 6,1—6.7υ4 Vier von ihnen (die zweite und dritte, die fünfte und sechste) entstanden nach seiner Priesterweihe und damit zu B e -

696 Siehe die Stellen bei L. I )( u 1 6% Hieronymus, int. hebr. n o m . p . 5 LAGAUDI; ( C C h r . S L 72, 64): Debbora apis sive eloquentia; e b d . p . 32 (72, 99): Debbora apis vel loquax.

40

Im Hintergrund steht die Uberzeugung von der durchgängigen Verbalinspiration der Schrift, die den Exegeten Orígenes hinter jedem einzelnen Wort eine tiefere Bedeutung, ein Geheimnis annehmen lässt. Die exegetische Forderung eines „Gott angemessenen Sinnes" ist hiermit eng verknüpft; siehe dazu LIES, „Gottes würdige" Schriftauslegung.

Homilía II

ut comedam mei, bonum est enim, et favos eius, ut indulcentur fauces nieae. 3 Et forte subtiliores litterae favi erunt; mei vero est, qui in his est intellectus. Iste porro, qui est natus ex virgine Emmanuel, butyrum et mei manducat et quaerit ab unoquoque nostrum butyrum manducare. Q u o modo a singulis nostrum butyrum quaerit et mei, sermo docebit. Opera 5 nostra dulcía, sermones nostri suavissimi et utiles mella sunt, quae manducat Emmanuel, quae manducat iste, qui de virgine natus est. Si vero sermones nostri amaritudine pieni sunt, ira, animositate, maestitia, turpiloquio, vitiis, contentione, dedit in os meum fel et non comedit ab his sermonibus Salvator. Comedet autem Salvator de sermonibus, qui sunt apud homines, si 1« fuerint sermones eorum mei. Approbemus hoc de scripturis. „Ecce, steti ante ostium et pulso; si quis aperuerit mihi ostium, ingrediar ad eum et cenabo cum ilio, et ille mecum." 1 ' Igitur ipse pollicetur se ex nostris cenaturum esse nobiscum. Certuni est autem, quia et nos cum ilio cenamus, si cenemus illuni. Comedens quippe de nostris bonis sermonibus, operibus et 15 intellectu repascit nos suis escis spiritalibus et divinis et melioribus. Proptera quia beatum est suscipere Salvatorelli, apertis ostiis principalis cordis nostri praeparemus ei niella et omnem cenam eius, ut ipse nos ducat ad magnani cenam patris in regno caelorum, quae est in Christo Iesu, ,,cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. A m e n ! " 1 ' Spr. 24,13

b

O f f b . 3,20

C

1 Petr. 4,11

Honiilie 2,2 damit ich Honig esse, denn er ist gut, und seine Waben, damit mein Gaumen Süßes koste. 3 U n d vermutlich werden die Waben subtilere Stellen sein; der Honig dagegen ist der in ihnen enthaltene geistige Sinn. Der Emmanuel nun, der aus der Jungfrau geboren worden ist, isst Butter und Honig und verlangt von j e d e m von uns, Butter zu essen. In welchem Sinn er von jedem von uns Butter verlangt und Honig, das wird das Wort lehren. Unsere süßen Taten, unsere süßesten und nutzbringenden Worte sind der Honig, den der Emmanuel isst, den der isst, der aus der Jungfrau geboren worden ist. Sind aber unsere Worte voller Bitterkeit, Zorn, Feindseligkeit, Trauer, übler Nachrede, Lasterhaftigkeit und Streitsucht, so hat dies meinen M u n d mit Galle erfüllt, und der Erlöser isst nicht von diesen Worten. Der Erlöser wird aber von den Worten, die bei den Menschen ausgesprochen werden, essen, wenn ihre Worte Honig sind. Wir wollen dies aus den Schriften belegen. ,,Siehe, ich bin vor die Tür getreten und klopfe; wenn mir jemand die T ü r öffnet, werde ich bei ihm eintreten, und ich werde mit ihm speisen und er mit mir." 1 ' Also verspricht er selbst, er werde mit uns von dem, was wir haben, essen. Es ist aber gewiss, dass auch wir mit ihm essen, wenn wir ihn essen. Er isst ja von unseren guten Worten, Taten und unserer guten Einsicht und nährt uns dafür mit seiner geistigen und göttlichen, seiner besseren Speise. Deswegen, weil es selig macht, den Erlöser aufzunehmen, lasst uns die Tore des herrschenden Teils unseres Herzens auftun und ihm Honig und sein gesamtes Mahl bereiten, damit er selbst uns zum großen Mahl des Vaters im Königreich der Himmel führe, das in Christus Jesus stattfindet; ,,sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!" c

21 8

HOMILIA III. De Septem mulieribus. 1 1 . Septem mulleres patiuntur opprobrium et circumeunt quaerentes eum recipere, qui possit auferre opprobrium earum. Ipsae Septem mulleres repromittunt, ut suum panem manducent et vestimentis suis operiantur. 1 ' N o n necesse habent panem eius, qui opprobrium earum aufert, non indigent vestimentis hominis, quem adsumunt. Meliora habent vestimenta, quam potest iis h o m o praestare; lautiores habent cibos, quam conditio potest humana largiri. Cuius ergo sint Septem mulleres et quod opprobrium sit earum, dignum est considerare. Septem mulleres una sunt; spiritus enim D e i sunt. Et ista una Septem sunt; spiritus enim D e i est „spiritus sapientiae et intellectus, spiritus consilii et virtutis, spiritus scientiae et pietatis, spiritus timoris D o m i n i " . c Ista sapientia patitur opprobrium a multis sapientiis insurgentibus in se; iste verus intellectus sustinet opprobrium ab intellectibus falsis; istud magnum consilium opprobratur a multis consiliis non bonis, ista virtus maledicitur a quadam, quae, cum non sit virtus, repromittit se esse virtutem; ista scientia patitur opprobrium a quadam falsi nominis scientia nomen suum surripiente; ista pietas exprobratur ab ea, quae, cum se dicat esse pietatem, impietas est et impíos instruit; iste timor patitur opprobrium ab eo, qui putatur esse timor; multi enim pollicentur divinum metum, sed non cum scientia metuunt. d Q u o m o d o ergo istae septem patiuntur opprobrium, consideremus. Vide sapientiam saeculi huius, vide sapientiam "Jes. 4,1 41 42 43

44

b

Jes. 4,1

c

Jes. 11,2f.

1

Rom. 10,2

Eine Übersetzung dieser Homilie bietet Schi.ütz, Isaías 11,2, 90—94. Im hebräischen Text ist von lediglich sechs Attributen des Geistes die Rede. Hier wie etwa auch in Regn. hom. lat. 1 8 (GCS Orig. 8, 25) zitiert Orígenes den Text mit sieben Attributen. Siehe dazu oben S. 38-40. Die Gegenüberstellung von Einheit und Vielheit ist das Grundprinzip der platonisch imprägnierten Theologie des Orígenes. Es bestimmt die Stratifizierungen und Stufungen des gesamten kosmisch-heilsgeschichtlichen Geschehens vom Fall der präexistenten Seelen in die Vielheit des Materiellen bis hin zur eschatologischen Einheit aller in Gott; vgl. p. 19 Göugi;manns/Kari>i>. Mit dieser Formulierung (scientia - γυώσΐξ) meinte Orígenes wohl die Gnosis, die seit 1 Tim. 6,20 (Roi.off, EKK XV, 234: „Vertreter einer Frühform der christlichen Gnosis") von den kirchlichen Theologen als „fälschlich so genannte Erkenntnis" (ψευδώυυμοξ γυώσιζ) kritisiert wurde; vgl. Irenäus, haer. I 1 1 , 1 (FC 8/1, 208); I 23,4 (8/1, 294); II praef. 1 (8/2, 16); II 13,10 (8/2, 104); III 11,1 (8/3, 96); Clemens von

5

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15

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HOMILIE 341 Die sieben Frauen. 3 1. Sieben Frauen erleiden eine Schmach und gehen umher, weil sie den zum Mann nehmen wollen, der ihre Schmach von ihnen nehmen kann. Ihrerseits versprechen die sieben Frauen dafür, ihr eigenes Brot zu essen und ihre eigenen Kleider zu tragen.1' Das Brot dessen, der ihre Schmach von ihnen nimmt, haben sie nicht nötig, noch bedürfen sie der Kleider des Menschen, den sie zum Mann nehmen. Bessere Kleider haben sie, als ein Mensch ihnen geben, feinere Speisen, als die Menschenwelt bieten kann. U m wessen sieben Frauen es sich handelt und worin ihre Schmach besteht, lohnt also der Untersuchung. Die sieben Frauen sind eine einzige; denn sie sind der Geist Gottes. U n d bei dieser einen handelt es sich um sieben; denn der Geist Gottes ist ,,der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit, der Geist der Furcht des Herrn". c 4 2 Diese Weisheit ist es, die eine Schmach von Seiten der vielen Weisheiten erleidet, 43 die sich gegen sie erheben; diese wahre Einsicht erträgt eine Schmach von Seiten der falschen Einsichten; dieser große R a t wird von vielen schlechten Ratschlägen geschmäht, diese Kraft von derjenigen verhöhnt, die, obwohl sie keine Kraft ist, verspricht, eine Kraft zu sein; diese Erkenntnis erleidet eine Schmach von Seiten einer fälschlich so genannten Erkenntnis, 44 die sich ihren Namen anmaßt; diese Frömmigkeit wird von derjenigen getadelt, die, obwohl sie behauptet, Frömmigkeit zu sein, Gottlosigkeit ist und Menschen zur Gottlosigkeit anstiftet; diese Furcht erleidet eine Schmach durch diejenige, die für Furcht gehalten wird; denn viele versprechen Gottesfurcht, doch ist ihre Furcht ohne Erkenntnis. d W i r wollen also untersuchen, wie 43 diese sieben Frauen eine Schmach erleiden. Sieh dir die Weisheit dieser Welt und die Weisheit

45

Alexandria, ström. III 30,1 ( G C S C l e m . 2, 209); Orígenes, in loh. c o m m . V 8 ( G C S Orig. 4, 105); Eusebius, hist. eccl. I 1 ( G C S Eus. 2 / 1 , 6). In dieser Frage steckt ein Leitmotiv der Schrifthermeneutik des Orígenes, das er in Is. hom. 6,3 ( G C S Orig. 8, 272) explizit zum Ausdruck bringt: In der Bibel findet sich meist ausschließlich das „Dass" {quia/ότι), also eine bestimmte Tatsache der Heilsgeschichte, dokumentiert. Diese muss deshalb noch genauer hinsichtlich der exakten Bedeutung, seines „ W i e " (quomodo/irSbs), und der Gründe, seines „Warum" (unde/πόθεν), reflektiert werden. Diese Reflexionsleistung hätten die Apostel den theologisch versierteren Christen späterer Generationen, erklärt Orígenes, zum Z w e c k e der geistigen Ü b u n g überlassen: princ. praef. 3 ( G C S Orig. 5, 9).

220

Homilía III

principimi mundi istius,3 q u o m o d o exprobrant sapientiam Christi mei, quom o d o exprobrant sapientiam Iudaismi veri, iuxta quod nos circumcidimur spiritaliter, isti vero praeciduntur. Intellige itaque, q u o m o d o sapientia saeculi huius et principum mundi istius maledicunt sapientiae; ac per hoc quaeritur homo, qui cum istis septem spiritalibus mulieribus sit, ut auferat opprobrium earuni. 1 ' Proprie unus est h o m o , qui auferat opprobrium earum. Quis est iste 254 homo? I Iesus, qui exivit iuxta cameni de radice lesse, „factus ex semine David secundum cameni, praedestinatus filius Dei in virtute iuxta spiritum iustificationis". c „ E x i i t " quippe „virga de radice lesse." d Virga non est ,,primogenitus omnis creaturae", 0 virga non est, qui „in principio erat apud D e u m Deus v e r b u m " , ' sed virga de radice lesse, qui iuxta cameni natus est. ,,Exiit" ergo „virga de radice lesse, et flos de radice eius adscendit." 8 Quis est flos, et quae est radix? A m b o enim unum in ipso subiacenti; differentia autem est negotiorum. N a m si peccator es, non est tibi flos neque videbis florem, qui est ex radice lesse; veniet enim et ad te virga, q u o m o d o discipulus virgae et floris loquitur. D e virga quidem dicit: „ Q u i d vultis? In virga veniam ad vos?", de flore vero: ,,Αη in caritate D e i et spiritu mansuetudinis?" h Exiit ergo de radice lesse virga ei, qui suppliciis plectitur, virga ei, qui indiget increpatione, virga ei, qui necesse habet, ut arguatur, flos vero ei, qui iam eruditus est et non indiget dura correctione vel certe non indiget poenis, sed valenti iam florere incipere ad perfectum fructum. Primum enim flos ostenditur, deinde post florem virga fit ad fructum. ,,Exiit virga de radice lesse, et flos de radice eius adscendit." Et requiescent septem mulieres, ,,spi' 1 Kor. 2,6 Jes. 1 1 , 1

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47

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h Jes. 4,1 1 Kor. 4,21

c

Rom. i,3f.

d

Jes. 11,1

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Kol. 1,15

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15

20

'joh. 1,1

Entsprechend der offenbar intendierten Antithese zum geistigen Pendant, das die Christen mit ihrem sittlichen Leben praktizieren, muss praeciduntur, hier vermutlich um der variado willen als Synonym für das vorher gebrauchte circumcidimur verwendet, die körperliche Beschneidung der Juden bezeichnen. Vgl. dazu die dritte Predigt über die Genesis (GCS Orig. 6, 39-50), die insgesamt dieser für Orígenes wichtigen Unterscheidung gewidmet ist. Die Ubersetzung von iustifuatio richtet sich nach dem griechischen άγιωσύυη in Rom. 1,4. So zitiert Orígenes den Vers etwa auch in loh. comm. II 70 (GCS Orig. 4, 64)·

48

5

Das seltene hebräische Wort für „Reis" in Jes. 11,1 (htr) begegnet sonst nur noch in der Bedeutung „Rute": Spr. 1 4 , 3 ; Sir. 30,35; auch außerbiblisch: B i ; u k i ; n , Jesaja 1 - 1 2 , 307 f. Weil die folgenden Ausführungen des Orígenes nur auf der Basis dieser Semantik verständlich werden, übersetzen wir auch im Bibelzitat mit „Rute". Im Folgenden gibt Orígenes einen Abriss seiner Lehre von den christologischen έπίυοιαι, verbunden mit seinem Verständnis göttlicher Pädagogik und Überredungskunst. Demnach verweisen die zahlreichen biblischen Bezeichnungen für Jesus

Honiilie 3,1

221

der Fürsten dieser Welt an," wie sie die Weisheit meines Christus schmähen, wie sie die Weisheit des wahren Judentums schmähen, gemäß dem wir uns geistig beschneiden lassen, diese dagegen körperlich! 46 Begreife also, wie die Weisheit dieser Welt und der Fürsten dieser Welt die Weisheit verhöhnen; und deshalb wird ein Mann gesucht, der mit diesen sieben geistigen Frauen zusammen sein soll, um ihre Schmach von ihnen zu nehmen. 1 ' Eigentlich gibt es nur einen einzigen Menschen, der ihre Schmach von ihnen nehmen kann. Wer ist dieser Mensch? Jesus, der dem Fleische nach aus der Wurzel Jesse hervorging, „nach dem Fleisch geworden aus dem Samen Davids, bestimmt zum Sohn Gottes in der Kraft nach dem Geist der Heiligung". c 4 7 „Es ging" ja „eine Rute 4 8 aus der Wurzel Jesse hervor". d Die R u t e ist nicht der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung", 0 die R u t e ist nicht der, „der im Anfang bei Gott war, Gott, das Wort",' sondern die R u t e aus der Wurzel Jesse ist der, der dem Fleische nach geboren worden ist. „Es ging" also „eine R u t e aus der Wurzel Jesse hervor, und eine Blüte stieg aus seiner Wurzel empor." 8 Was ist die Blüte und was ist die Wurzel? Beide sind nämlich eins in ihrer Substanz; der Unterschied liegt vielmehr in ihrem Wirken. 4 9 Denn sofern du Sünder bist, hast du die Blüte nicht noch wirst du die Blüte sehen, die aus der Wurzel Jesse stammt; denn die R u t e wird auch zu dir kommen, wie es der Jünger von R u t e und Blüte sagt. Zunächst sagt er über die Rute: „Was wollt ihr? Soll ich mit der R u t e zu euch kommen?", dann über die Blüte: „Oder in der Liebe Gottes und im Geist der Sanftmut?" 1 ' Es ging also für den eine R u t e aus der Wurzel Jesse hervor, an dem Strafe und Züchtigung vollzogen werden, eine R u t e für den, der der Schelte bedarf, eine R u t e für den, der sie zu seiner Bloßstellung nötig hat, die Blüte dagegen für den, der schon erzogen ist und keiner strengen Zurechtweisung oder zumindest keiner Strafen mehr bedarf, sondern bereits imstande ist, erste Blüten auf dem Weg zur vollkommenen Frucht zu treiben. Zunächst wird nämlich die Blüte vor Augen gestellt, dann, nach der Blüte, wird die R u t e zur Frucht. 30 „Es ging eine R u t e aus der Wurzel Jesse hervor, und eine Blüte stieg aus seiner Wurzel empor." U n d ruhen werden die sieben Frauen, „der

Christus n i c h t auf eine tatsächliche U n t e r s c h e i d u n g innerhalb des g ö t t l i c h e n L o g o s selbst. V i e l m e h r sind sie A u s d r u c k seines W i r k e n s , das sich nach d e m

geistig-

moralischen Fortschritt j e d e s e i n z e l n e n M e n s c h e n richtet. So ist Christus d e m einen, der d e m W e r b e n des L o g o s u m sein H e i l beharrlich trotzt, strenger L e h r e r und Z u c h t m e i s t e r , d e m anderen dagegen, der i m G l a u b e n bereits fortgeschritten ist, milder W o h l t ä t e r und Freund. Vgl. in N u m . h o m . 9,9 ( G C S O r i g . 7, 67): „ D e n n ist Christus in sich a u c h substantiell eins, n i m m t er d o c h f ü r einzelne v e r s c h i e d e n e Gestalten an ... W e r der Schläge bedarf, zu d e m g e h t er aus als R u t e ; w e r aber zur G e r e c h t i g k e i t fortschreitet, f ü r d e n steigt er zur B l ü t e e m p o r . " Siehe dazu ausführlich o b e n S. 1 5 2 - 1 5 5 . 50

D e n U b e r g a n g v o n strenger Z u c h t zu Einsicht u n d B e s s e r u n g stellt O r í g e n e s , in l o h . c o m m . I 2Ó2Í. ( G C S O r i g . 4, 46), ausführlicher dar: „ S o w i r d er auch, w e n n

222

Homilía III

ritus Dei, spiritus sapientiae et intellectus requiescet super eum'V Spiritus enim sapientiae non requievit in Moyse, spiritus sapientiae non requievit in Iesu Nave, spiritus sapientiae non requievit in singulis prophetarum, in Isaia, in Hieremia. 255 2. Nec vero quasi blasphemantem me lapidetis, dum velini glorificare D o m i n u m nieum Iesum Christum, sed sustinentes considerate, quod dicitur, et videbitis, quia in nullo eorum requieverit spiritus, non quod ad nullum venerit, sed quod in nullo requiverit. Venit super Moysen, et non credit Moyses post spiritum sapientiae, qui venit ad eum. „Audite" enim ait „contumaces: Numquid ex petra ista educam vobis aquam?" b Venit super omnes iustos, venit et super Isaiam. Sed quid ait? „Immunda labia habens, et in medio populi immunda labia habentis ego habito." c Venit spiritus sapientiae post illam forfìcem et ignem, J venit ad immunda labia habentem, sed non requievit. Ministro quidem eo usus est, non autem requievit; tribulatur, ad quemcumque venerit hominum. Peccai enim omnis homo, „non est iustus super terram, qui faciat b o n u m et non peccet"; 0 „nemo mundus a sordibus, neque si una die sit vita eius, numerati autem menses eius." 1 Igitur super nullum requiescit. Possumus et de Evangelio probare, quia venit spiritus super multos et non mansit in iis. Ante paululum lectum est: „ N o n permanebit spiritus meus in hominibus istis in aeternum"; 8 non ait: N o n erit, sed: „ N o n permanebit." U n u m vidit Iohannes solum, in quo permansit, et signum hoc erat: „Super quem videris Spiritum descendentem et manentem in eo, iste est filius Dei." 1 ' Ministravit quidam verbo Dei spiritu descendente; post modicum peccai, post modicum otiosum verbum loquitur. 1 Nescio autem, an et sine peccato maneat; putasne, praesente spiritu peccare conceditur? Super nullum ergo requievit spiritus Dei, secundum quod scriptum est: „Exiit virga de radice lesse, et flos de radice eius adscendit, et requiescet super eum spiritus Dei, spiritus sapientiae, spiritus intellectus, spiritus consilii

5



15

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25

256 et I virtutis." j Propter hoc magni consilii est angelus, k propter hoc invaluit et invalescens adscendit, et mirantur eum virtutes adscendentem et dicunt de 3« b

" J e s . 1 1 , 1 f. g

G e n . 6,3

h

Num. 20,10

J o h . 1 , 3 3 f.

c

d

J e s . 6,5

' M t . 12,36

J

J e s . 6,6 f.

J e s . 1 1 , 1 f.

" K o h . 7,20 k

f

Ijob 14,4f.

J e s . 9,6(5) L X X

er , R u t e ' genannt w i r d , , h e r v o r g e h e n ' (Jes. 1 1 , 1 ) , d e n n er verharrt nicht in sich selbst, sondern steht, w i e es scheint, außerhalb der f r ü h e r e n Würdestellung. D o c h einmal . h e r v o r g e g a n g e n ' u n d zur , R u t e ' g e w o r d e n , bleibt er nicht , R u t e ' , sondern w i r d nach der , R u t e ' zur ,Blüte', die e m p o r s t e i g t . "

Homilie 3,1—2

223

Geist Gottes, der Geist der Weisheit und der Einsicht wird auf ihm ruhen". 3 Der Geist der Weisheit hat nämlich nicht in Mose geruht, der Geist der Weisheit hat nicht in Josua, dem Sohn Nuns, geruht, der Geist der Weisheit hat nicht in einzelnen Propheten geruht, injesaja oder Jeremía. 31 2. Aber steinigt mich nicht, als wäre ich ein Gotteslästerer, wo ich doch meinen Herrn Jesus Christus verherrlichen will, sondern haltet an euch und bedenkt, was ich sage, und ihr werdet sehen, dass in keinem von ihnen der Geist geruht hat, nicht, dass er zu keinem gekommen wäre, sondern dass er in keinem geruht hat. Er kam über Mose, doch Mose glaubt nicht, nachdem der Geist der Weisheit zu ihm gekommen ist. „Hört, ihr Ungehorsamen", sagt er nämlich, „soll ich euch etwa aus diesem Stein Wasser fließen lassen?"1' Er kam über alle Gerechten, er kam auch über Jesaja. Doch was sagte der? „Ich habe unreine Lippen, und ich wohne inmitten eines Volkes mit u n reinen Lippen." c Der Geist der Weisheit kam nach jener Berührung mit der Zange und dem Feuer,1' er kam zu ihm, der unreine Lippen hatte, aber er ruhte nicht. Er benutzte ihn zwar als Diener, aber er ruhte nicht. Bedrängnis erleidet jeder Mensch, zu dem er gekommen ist. Denn jeder Mensch sündigt, „gibt es doch keinen Gerechten auf Erden, der das Gute tut und nicht sündigt". 0 „Niemand ist frei von Beschmutzung, nicht einmal wenn sein Leben erst einen einzigen Tag währt, seine Monate aber gezählt sind.'" Also ruht er auf niemandem. Wir können auch aus dem Evangelium Belege dafür anführen, dass der Geist über viele gekommen ist, ohne in ihnen zu bleiben. Vor kurzem hieß es in der Lesung: 52 „Mein Geist wird nicht für immer in diesen Menschen bleiben"; 8 es heißt nicht: Er wird nicht sein, sondern: „Er wird nicht bleiben." Einen einzigen sah Johannes, in dem er blieb, und das Zeichen dafür war folgendes: „Auf wen du den Geist herabsteigen siehst und auf w e m er bleibt, der ist der Sohn Gottes." h Jemand hat dem Wort Gottes gedient, als der Geist herabstieg; nach einer Weile sündigt er, nach einer Weile spricht er ein unnützes Wort.' Ich weiß aber nicht, ob er auch frei von Sünde bleibt; glaubst du, es ist möglich, in Gegenwart des Geistes zu sündigen? 33 Auf niemandem also ruhte der Geist Gottes so, wie geschrieben steht: „Es ging eine R u t e aus der Wurzel Jesse hervor, und eine Blüte stieg aus seiner Wurzel empor, und der Geist Gottes wird auf ihm ruhen, der Geist der Weisheit, der Geist der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft." J Deshalb ist er der Engel des großen Rates, k deshalb gewann er die Oberhand und stieg siegreich empor, und bei seinem Aufstieg bewundern ihn die Mächte und sagen über ihn: Dies ist „der Herr, tapfer

51 52 53

Zur Auszeichnung der Gegenwart des Geistes in Christus vor den Propheten vgl. in Num. hom. 6,3 (GCS Orig. 7, 33), zitiert oben S. 44. Siehe dazu oben S. 22. Vgl. dazu in Num. hom. 6,3 (GCS Orig. 7, 33 f.), zitiert oben S. 44f.

224

Homilía III

eo: Iste est „Dominus fortis et potens in proelio". 3 Ad hunc ergo dicam adscendentem in caelestia vel ad fortitudinem eius, quia: „Requievit super eum spiritus consilii et fortitudinis"; 1 ' „fortitudo mea et laus mea Dominus, et factus est mihi in salutem." c „Requievit" ergo „super eum spiritus Dei, spiritus sapientiae et intellectus, spiritus consilii et virtutis, spiritus scientiae et pietatis, et implevit eum spiritus timoris Dei." d 3. „Mulleres" igitur quaerentes, quem „adsumant, apprehendent Septem u n u m hominem". 0 Et hoc ex prioribus pendet et oportet primo cognoscere, quando recipiant Septem mulleres u n u m hominem. C u m fortes Hierusalem humiliati fuerint, cum luxerint thecae eorum ornamenti filiarum Sion, cum derelicta fuerit ilia sola, cum elisa fuerit ad terram, 1 tunc „apprehendent Septem mulleres u n u m hominem dicentes: Panem nostrum manducabimus et vestimentis nostris operiemur; verumtamen nomen t u u m invocetur super nos", 8 tunc apprehenderunt et vere tenuerunt Septem mulleres hominem u n u m Iesum Christum D o m i n u m nostrum, iuxta quod intelligitur homo, iuxta quod natus est, iuxta quod corpus adsumpsit. „Apprehendent Septem mulleres hominem u n u m dicentes: Panem nostrum manducabimus." 11 Multi ambulant homines et nullum apprehendunt mulleres, nullus iis placet homo; non enim propter inopiam hominum u n u m hominem apprehendunt, sed propter raritatem hominis, qualem voluerunt, qualem quaesierunt; u n u m solum reppererunt hominem, quem apprehenderunt, ut dicant ei: „Panem nostrum manducabimus et vestimentis nostris operiemur." 1 Est quidam cibus c ' Ps. 23(24),8 ''Jes. 1 1 , 2 Jes. 12,2 h J e s . 4,1 J e s . 4,1 'Jes. 4,1

d

Jes. 11, z f .

e

J e s . 4,1

f

J e s . 3,16.25F.

8

54

Ähnlich w i e die christologische D e u t u n g des einen der beiden Gott umgebenden Seraphim stellt auch die Bezeichnung „ E n g e l des großen R a t e s " (II p. 578 Rahi>s; p. 1 5 6 Ziecler: μεγάληξ βουλής ά γ γ ε λ ο ξ als Ubersetzung von pl' jw's, eigentlich: „wunderbarer R a t g e b e r " ) den Versuch dar, Wesen und W i r k e n Christi mit den Mitteln alttestamentlicher Engelvorstellungen zu erklären. In Absetzung von gnostisch-naturalistischen Auffassungen, in denen Christus als Oberhaupt einer E n g e l hierarchie konzipiert ist (vgl. Clemens v o n Alexandria, exc. T h e o d . 4 3 , 2 F [ C C S C l e m . 3 2 , 120]), ist das Engelsprädikat hier und an anderer Stelle als Funktionale und heilsgeschichtlich-ökonomische Christus-έπίυοια verwendet. Z u m einen verkündet der Logos als „ B o t e " Wissen um Gott und die Mittel des AuFstiegs zu ihm (in loh. c o m m . I 2 7 7 f . [ G C S Orig. 4, 49]; Cels. V 53 [ G C S Orig. 2, 57]); fortgeschrittenen Christen ist er nicht nur Ursprung ihres besonderen Wissens, sondern sogar persönlicher Schutzengel (in loh. c o m m . I 1 6 5 F [ G C S Orig. 4, 3 1 ] ; in Matth, c o m m . X I I I 26 [ G C S Orig. 10, 2 5 3 f . ] ; Cels. V I I I 27 [ G C S Orig. 2, 243]; vgl. G r e g o r T h a u maturgos, pan. Orig. 42 [ F C 24, 138], über den E n g e l Jakobs. Z u m anderen

Homilie 3,2—3

225

und mächtig in der Schlacht". 3 34 Von ihm, der zum Himmel emporsteigt, und von seiner Kraft will ich daher sagen, dass „der Geist des Rates und der Kraft auf ihm geruht hat";1' „meine Kraft und mein Loblied ist der Herr, und er ist mir zum Heil geworden." 0 „Geruht" also „hat der Geist Gottes auf ihm, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit, und es erfüllte ihn der Geist der Gottesfurcht." d 3. „Die Frauen" also, die suchen, wen sie „zum Mann nehmen können, werden sich zu siebt an einen einzigen Menschen klammern". 0 Auch dies hängt von den vorhergehenden Ereignissen ab, und als erstes muss man feststellen, zu welchem Zeitpunkt die sieben Frauen den einen Menschen zum Mann nehmen. Wenn die Helden Jerusalems niedergeworfen sind, ihre Kästchen mit dem Schmuck der Töchter Zions einen traurigen Anblick bieten, wenn es (sc. Jerusalem) allein und verlassen ist und geplündert am Boden sitzt,' dann „werden sich die sieben Frauen an einen einzigen M e n schen klammern und sagen: W i r werden unser eigenes Brot essen und unsere eigenen Kleider tragen; nur lass uns deinen Namen tragen", 8 dann haben sich die sieben Frauen an einen einzigen Menschen, Jesus Christus, unseren Herrn, geklammert und ihn wirklich festgehalten, insoweit er als Mensch verstanden wird, geboren worden ist und einen Körper angenommen hat. „Sieben Frauen werden sich an einen einzigen Menschen klammern und sagen: Unser eigenes Brot werden wir essen."h Viele Menschen sind unterwegs, und an keinen klammern sich die Frauen, kein Mensch gefällt ihnen; denn nicht wegen eines Mangels an Menschen klammern sie sich an einen einzigen Menschen, 33 sondern wegen der Seltenheit des M e n schen, den sie begehrten und suchten; nur einen einzigen Menschen fanden sie, an den sie sich klammerten, um ihm zu sagen: „Unser eigenes Brot werden wir essen und unsere eigenen Kleider tragen." 1 Es gibt so etwas wie

wird der Logos im Einklang mit dem Grundsatz göttlicher Pädagogik auch den Engeln u m ihres Heiles willen zu ihresgleichen (in loh. c o m m . I 2 1 7 f . [ G C S Orig. 4, 3S F.]; in Gen. hom. 8,8 [ G C S Orig. 6, 83]). D i e Vorstellung einer Auszeichnung des geistig Fortgeschrittenen durch die Gegenwart des Göttlichen teilt Orígenes mit seinem Zeitgenossen Plotin (vgl. enn. III 4,3.6), von dem sein Schüler Porphyrios berichtet, nicht ein niederer δαίμων, sondern ein Gott habe ihn als Schutzengel begleitet (vit. Plot. 56—59). A u f diesen wichtigen Aspekt im D e n k e n des Orígenes hat T r i g g , T h e Angel of Great Counsel, aufmerksam gemacht. — Denselben f u n k tionalen Sinn hat die Beziehung der Bezeichnung „ E n g e l des großen R a t e s " auf Christus schon bei Justin, dial. 76,3 (PTS 47, 201); 1 2 6 , 1 (47, 287); Tertullian, earn. C h r . 14,3 ( C C h r . S L 2, 899); Hippolyt, in Dan. II 32 ( G C S N . F . 7, 120); siehe dazu B ä r b e l , Christos Angelos i 8 f . 60 A n m . 68. 6 8 - 7 0 . 7 0 f . 55

Das ist freilich der historische Sinn des Textes, der einen Mangel an heiratsfähigen Männern in einer Nachkriegszeit voraussetzt: Biíukiín, Jesaja 1—12, 1 1 9 .

226

Homilía III

sapientiae, est quidam cibus similiter et intellectus et reliquorum spirituum. Quis est iste cibus? N o n timeo dicere: Cibus alius est extra istos; forte ut meus cibus est sermo Dei, qui ait: „ E g o sum panis vivens, qui de cáelo 257 descendi" 3 et „vitam do | mundo", 1 ' sic sapientiae cibus est ipse pater propter hoc: „Meus cibus est, ut faciam voluntatem eius, qui me misit, et consum- 5 mem opus eius." c N e c putandum est aliquid indigere sapientiam et intellectum ceterosque spiritus, quia alium cibum habeant, cum totius dispensationis unus sit cibus natura Dei. „Panelli nostrum manducabimus et vestimentis nostris operiemur." 1 ' Est quidam ornatus sapientiae, quo decoratur; ornata est sermone sapientia. Singulae harum mulierum habent ornamenta. „Verum- 1« tarnen nomen tuum invocetur super nos, aufer opprobrium nostrum." 0 Quod est nomen sapientiae? Iesus. Quid est: „Invocetur nomen tuum super nos"? E g o sum sapientia, volo nomine tuo vocari, ut ego sapientia dicar Iesus, ut intellectus et consilium magnum et fortitudo et scientia et pietas et timor Dei nominentur Iesus, ut omnia in omnibus 1 tuum nomen fìat. „ N o - 15 men tuum invocetur super nos, aufer opprobrium nostrum." 8 R e v e r a abstulit opprobrium Iesus. Idcirco surgentes oremus Deum, qui hunc misit hominem et septem mulierum spiritus in eo requievit, ut et nobis iste homo tribuat communionem harum mulierum et adsumentes eas fìamus sapientes et intelligentes in Deo ceteraeque virtutes exornent ammani nostrani in 20 Christo Iesu, „cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!" 1 ' ' J o h . 6,51; vgl. 6,33.35 g ' 1 Kor. 15,28 Jes. 4,1

56 57

h 11

J o h . 6,33 1 Petr. 4 , 1 1

c

J o h . 4,34

d

Jes. 4,1

e

Jes. 4,1

Diesen Satz hat wahrscheinlich Hieronymus eingefügt: siehe oben S. 171 f. Dieser Paulusvers wurde in der frühchristlichen Literatur nur von Irenaus, haer. V 36,2 (FC 8/5, 272), im eschatologischen Schlussteil dieses gesamten Werkes und von Tertullian, adv. Prax. 4,2 (FC 34, 114), im Kontext trinitätstheologischer Überlegungen, für die er aus der Stelle ein sprachlogisches Argument gewann, aufgegriffen. In der Eschatologie des Orígenes fungierte er als zentraler biblischer Beleg für die Apokatastasis; vgl. in loh. comm. I 234f. (GCS Orig. 4, 41 f.); princ. II 3,7 (GCS Orig. 5, 125); III 5,6f. (5, 277f.); in Lev. hom. 7,2 (GCS Orig. 6, 376f.). Zahlreiche weitere Stellen bei Si 1 \ n n . Herrschaft 8 0 - 1 1 0 .

Honiilie 3,3

227

eine Speise der Weisheit und gleichermaßen so etwas wie eine Speise der Einsicht und der übrigen Geistesgaben. Was ist das für eine Speise? Ich scheue mich nicht zu sagen: Die Speise ist ein anderer außerhalb von ihnen; wie meine Speise das Wort Gottes ist, das spricht: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist" 3 und „sein Leben gibt für die Welt",1' so ist die Speise der Weisheit (sc. Christi) der Vater selbst, heißt es doch: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden." c Aber man darf nicht annehmen, der Weisheit, der Einsicht oder den übrigen Geistesgaben fehle irgend etwas, weil sie einen anderen als Speise hätten, wo doch die Speise des gesamten Heilsplans eine einzige ist: das Wesen Gottes. 56 „Unser eigenes Brot werden wir essen und unsere eigenen Kleider tragen."1' Es gibt so etwas wie einen Schmuck der Weisheit, der sie ziert; geschmückt ist die Weisheit mit dem Wort. Jede einzelne dieser Frauen hat ihren Schmuck. „Nur deinen Namen lass uns tragen, nimm unsere Schmach von uns." 0 Was ist der Name der Weisheit? Jesus. Was bedeutet: „Lass uns deinen Namen tragen"? Ich selbst bin die Weisheit, ich selbst will mit deinem Namen angeredet werden, auf dass ich, die Weisheit, Jesus genannt werde, auf dass Einsicht, großer Rat, Kraft, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht den Namen Jesu tragen, auf dass alles in allem 157 zu deinem Namen werde. 58 „Deinen Namen lass uns tragen, nimm unsere Schmach von uns." g Tatsächlich, Jesus hat unsere Schmach von uns genommen. Erheben wir uns also und bitten wir Gott, 59 der diesen Menschen gesandt hat, auf dem der Geist der sieben Frauen ruhte, dass dieser Mensch auch uns Gemeinschaft mit diesen Frauen gebe und wir, indem wir diese zu uns nehmen, weise und verständig werden in Gott und dass die übrigen Tugenden unsere Seele schmücken in Christus Jesus; „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!"' 1

58

59

Dieser Satz erinnert entfernt an das berühmte Bekenntnis des Orígenes, in Luc. hom. 16,6 ( G C S Orig. cf, 98), er wolle nach Christi Namen genannt werden: „Ich möchte diesen Namen tragen; ja, ich will in Tat und Denken Christ sein und heißen"; Ubersetzung: SIEBEN, F C 4 / 1 , 1 9 1 . Die Aufforderung zu einem solchen Gebet nach der Homilie begegnet auch in N u m . hom. 20,5 ( G C S Orig. 7, 198); 22,4 (7, 210); in los. hom. 20,6 ( G C S Orig. 7, 427); in Cant. hom. 2,13 ( G C S Orig. 8, 60): GRAPPONE, Contesto liturgico 351 mit Anm. 114.

228

HOMILIA IV.

1 . Impossibile est invenire principium Dei. Principium motus Dei nusquam comprehendis, non dico tu, sed ñeque aliqui ñeque aliud quicquam eorum, quae subsistant. Solus Salvator et Spiritus sanctus, qui semper f u - 5 erunt cum Deo, vident faciem eius; forte et angeli, qui vident iugiter faciem patris, qui est in caelis,'1 vident et principia negotiorum. Sic autem et pedes 258 abscondunt ante homines Seraphim; 11 | novissima enim, ut sunt, non valent enarrari. ,,Quis adnuntiavit de novissimis?" c ait Scriptura. Quae videmus - ut tamen concedatur, quia aliquid videmus —, media sunt. Quae ante mundum 10 fuerint, ignoramus; fuerunt porro quaedam ante mundum. Quae post mundum secutura sint, ad certuni non apprehendimus; erunt autem alia post mundum. Ea igitur, quae scripta sunt: ,,Ιη principio fecit Deus caelum et terram. Terra autem erat invisibilis et incomposita, et tenebrae erant super ' M t . 18,10

''Jes. 6,2

c

Jes. 41,26

60

Für diese Homilie sind verschiedene Titel überliefert: B a e h r e n s , G C S Orig. 8, 257 app. crit. Die zwei ältesten Codices aus dem 1 1 . und 1 2 . Jahrhundert ( C o d e x Laudunensis 299 und C o d e x Vaticanus 2 1 2 ) bieten: Rursum in visione aliter; ähnlich der C o d e x Atrebatensis 303 ( 1 3 . Jahrhundert) und der Mischcodex Barberinus 587: Visio de duobus Seraphin aliter. Eine etwas längere Fassung begegnet in zwei Handschriften des 1 5. Jahrhunderts ( C o d e x Pragensis V Β 16 und C o d e x Vindobonensis 3925; die Ergänzungen in Klammern stehen i m Prager C o d e x ) : De visione Dei et (de) Seraphin (et cetera). Inhaltlich sind alle Uberschriften zutreffend, textkritisch ist nicht zu entscheiden, welche F o r m als erste in der handschriftlichen Uberlieferung aufgetaucht ist.

61

Z u r Unmöglichkeit, den A n f a n g bzw. Ursprung (exordium) und das E n d e (novissimum) Gottes zu sehen, siehe in Is. hom. 1 , 2 ( G C S Orig. 8, 245). D e r hier mit „ U r s p r u n g " wiedergegebene B e g r i f f αρχή (principium) ist doppeldeutig: E r bezeichnet sowohl einen (zeitlichen) A n f a n g als auch ein (logisches) Prinzip. Die ausführlichste Darstellung der zahlreichen Bedeutungen v o n άρχή findet sich in Orígenes' spekulativem Hauptwerk Περ'ι άρχων, das nach den Prinzipien von Kosmos und Sein eigens betitelt ist, sowie im ersten B u c h seines Kommentars zum Johannesevangeliuni: in loh. c o m m . I 90—124 ( G C S Orig. 4, 20—25).

62

Dieses eius fehlt in den Hauptzeugen der handschriftlichen Uberlieferung der Jesajahomilien, steht aber im C o d e x Abricatensis 52 und wurde v o n den beiden Delarue in den Text genommen: B a e h r e n s , G C S Orig. 8, 257 app. crit.

63

Hinter dieser B e g r i f f e n steht die Ubersetzung des hebräischen tohuwabohu, „Irrsal und Wirrsal" (I p. 9 B u h i ; r / R o s i ; n z w i ; i g ) , in G e n . 1 , 2 mit άόρατοξ και ά κ α τ α -

229

HOMILIE 4

1 . E s ist u n m ö g l i c h , d e n U r s p r u n g G o t t e s zu

finden.61

Den Ursprung

d e r B e w e g u n g G o t t e s b e k o m m t m a n n i r g e n d s zu fassen — i c h sage nicht: d u , 5 s o n d e r n ü b e r h a u p t n i e m a n d n o c h etwas v o n d e m , w a s ist. A l l e i n d e r E r l ö s e r u n d d e r H e i l i g e G e i s t , die s c h o n i m m e r b e i G o t t g e w e s e n sind, s e h e n sein 6 2 A n g e s i c h t ; u n d v i e l l e i c h t s e h e n die E n g e l , die b e s t ä n d i g das A n g e s i c h t des Vaters i n d e n H i m m e l n sehen,' 1 a u c h die U r s p r ü n g e seiner W e r k e . S o v e r b e r g e n die S e r a p h i m aber a u c h die F ü ß e b v o r d e n M e n s c h e n ; d e n n es ist io u n m ö g l i c h zu b e s c h r e i b e n , w i e die letzten D i n g e sind. „ W e r hat v o n d e n letzten D i n g e n g e k ü n d e t ? " , c sagt die S c h r i f t . Was w i r sehen - u m g l e i c h w o h l e i n z u r ä u m e n , dass w i r etwas s e h e n —, sind die m i t t l e r e n D i n g e . W a s v o r d e r W e l t g e w e s e n ist, w i s s e n w i r nicht; allerdings ist v o r der W e l t e t w a s g e w e s e n . W a s n a c h der W e l t k o m m e n w i r d , k ö n n e n w i r n i c h t m i t G e w i s s 15 heit erfassen; d o c h w i r d es etwas anderes n a c h d e r W e l t g e b e n . D a s also, w a s g e s c h r i e b e n steht: , , I m A n f a n g s c h u f G o t t H i m m e l u n d E r d e . D i e E r d e aber w a r u n s i c h t b a r u n d u n g e o r d n e t , 6 3 u n d Finsternis w a r ü b e r d e m A b g r u n d ;

σκεύαστοζ in der Septuaginta (I ρ. ι R a h l f s ) . Diese Adjektive konnten philosophisch, näherhin stoisch-platonisch, im Sinne präexistenter Materie verstanden werden - darauf verwies Clemens von Alexandria, ström. V 90,1 (GCS Clem. 2, 385) - , so wenn es in Weish. 1 1 , 1 7 heißt, Gott habe den Kosmos „aus ungestalteter Materie" erschaffen (II p. 361 R a h i f s : κτίσασα τον κόσμον εξ άμορφου ϋλης). Auch Philon, plant. 3 (H Ρ· 1 3 3 Cohn/Wi'.ndi.and), fasste die Weltschöpfung so auf, dass „der Weltbildner die an sich ungeordnete, wirre Masse von der Unordnung zur Ordnung, vom Wirrsal zur Klärung führte und sie zu gestalten begann"; Ubersetzung: Heinemann, Philo, Werke IV, 152; vgl. plant. 5 (II p. 134); opif. 8f. (I p. 2f.). Im selben Sinne lässt sich Piaton, Tim. 51 a 4 — b 2 deuten: Das, in dem alles Sichtbare und sinnlich Wahrnehmbare (όρατόν και αίσθητόν) geworden sei, könnte unsichtbares, gestaltloses, allaufnehmendes Gebilde (άνόρατον είδόξ τι και άμορφον, πανδεχήξ) genannt werden, das freilich nur äußerst schwierig zu erfassen sei. Die platonische Tradition kombinierte diese Stelle mit polit. V 477 a 1 - 4 , w o es heißt, dass das Nicht-Seiende (μή öv) nicht Gegenstand des Erkennens sein könne, und gelangte so zu der Aussage, laut Piaton sei das, in dem alles erschaffen sei, „nichtseiend". Bestärkung fand dieser Gedanke bei Aristoteles, phys. I 7, 191 a 8 - 1 2 ; I 9, 192 a 6, der „das Gestaltlose" (το άμορφου) im Blick auf die „Materie" in Gegensatz zum „Sein" gesetzt hatte. Auf dieser Linie behauptete Clemens von Alexandria, ström. V 89,6f. (GCS Clem. 2, 385), Piaton sei von nur einem Prinzip ausgegangen, ließ die Frage einer „Schöpfung aus dem Nichts" aber offen: ebd. II 74,1 (2, 152); siehe dazu die Erläuterungen von Li; Bouli.ui;c, S C 279, 293-295. In der früh-

230

Homilia IV

abyssum; et spiritus Dei ferebatur super aquas", 3 apprehenduntur; mundi erant istae aquae, in quibus incubabat spiritus Dei. Sed et tenebrae, quae super abyssum erant, non sunt ingenitae; utrumque enim ex nihilo creatum est. Audi in Isaia dicentem Deum: „ E g o Deus, qui construxi lucem et feci tenebras." 1 ' Audi sapientiam in Proverbiis praedicantem: „Ante omnes abys- 5 sos nata sum." c N o n erant ista ingenita, sed quando vel quomodo nata sint, nescio. Velantur enim a Seraphim priora operum Dei, id est facies Dei; similiter autem et pedes.1' Ea, quae post extremum saeculum in saecula saeculorum futura sunt, quis potest exponere? Garrulorum est hominum horum notitiam polliceri nescientium, quia homo ea tantum potest capere, 1« quae media sunt. Et ea, quae post mundum usque ad consummationem in iudicio sunt futura, de poenis, de retributione, et horum quoque multa absconsa sunt nobis. Ista propter hoc, quod scriptum est: „Duabus velabant faciem." 0 N o n solum autem velabant, sed et contegebant, id est velabant, ut nec 15 modicum videretur priorum, dico autem faciei, neque paululum quid agnos1

G e n . 1 , 1 f.

64

65

h

J e s . 45,7

c

Spr. 8,24

d

J e s . 6,2

e

J e s . 6,2

christlichen Tradition wurde „ S c h ö p f u n g " zunächst platonisierend als „Weltbildung" aus der ungewordenen und ungefonnten Materie verstanden, zum Beispiel v o n Justin, I apol. 1 0 , 2 (SC 507, 150); 5 9 , 1 - 5 (507, 2 8 2 - 2 8 4 ) ; siehe dazu M A Y , Schöpf u n g 1—39. 120—150. Weiteres unten A n m . 65. D i e Stelle ist textkritisch umstritten (BAEHRENS, G C S Orig. 8, 258 app. crit.): N a c h einer Lesart werden die Gewässer, über denen Gottes Geist schwebt, als „ r e i n " (mundae) charakterisiert. D i e hier als lectio diffuilior der Ubersetzung zugrundegelegte Lesart mundi lässt sich, als Genitiv aufgefasst, als dezidiertes Bekenntnis zur später explizit angeführten S c h ö p f u n g aus dem Nichts lesen. H i e r f ü r spricht auch das nachfolgende et, das die Bestimmungen mundi (aquae) und non ingenitae (tenebrae) parallelisiert. G e g e n die ontologische Einstufung der Materie als eigenständiger αρχή im Mittelplatonismus, etwa im Lehrbuch des Alkinoos, didask. 8 (p. 19 f. WHITTAKER/LOUIS), entwickelten frühchristliche Theologen, u m Gott als einzige αρχή denken zu k ö n nen, die Vorstellung einer S c h ö p f u n g der Welt nicht aus präexistenter Materie (dazu oben A n m . 63), sondern aus „ N i c h t s " (creatio ex nihilo), d.h. im zeitgenössischen Kontext, dass die Materie, aus der Gott die Welt gestaltete, ihrerseits von ihm geschaffen w o r d e n ist (zur aeatio ex nihilo bei A m m o n i o s Sakkas siehe oben S. 1 4 4 A n m . 619): Basilides laut Hippolyt, haer. V I I 2 0 , 2 - 4 ( P T S 25, 286f.); 2 2 , 2 f . (25, 289); Tatian, orat. 5,7 (PTS 43, 14); Theophilus, Autol. II 4 , 4 - 9 (PTS 44, 42) mit B e r u f u n g auf 2 M a k k . 7,28; Irenäus, haer. II 1 0 , 2 - 4 ( F C 8/2, 7 4 - 7 6 ) ; IV 20,1 (8/4, 154); später beispielsweise Gregor von Nazianz, orat. 29,9 (FC 22, 186). Orígenes, princ. praef. 4 ( G C S Orig. 5, 9); I 3,3 (5, 5of.); II 1 , 4 f . (5, H o f . ) ; in loh. c o m m . I 103 ( G C S Orig. 4, 22), griff die noch nicht in diesem Sinn gemeinten Formulierungen in 2 M a k k . 7,28 und bei Hermas, mand. 1 , 1 ( S U C 3, 190), auf und wandte sich explizit gegen die platonische Lehre v o n der E w i g k e i t der Materie, die er i m

Honiilie 4,1

231

und der Geist Gottes schwebte über den Wassern", 3 kann man verstehen; die Wasser, in denen der Geist Gottes schlief, gehörten zur Welt. 64 A b e r auch die Finsternis, die über dem Abgrund war, ist nicht ungeschaffen; denn beides ist aus dem Nichts geschaffen. 6 5 Höre, w i e Gott bei Jesaja sagt: „Ich, 5 Gott, bin es, der das Licht geformt und die Finsternis geschaffen hat." 1 ' Höre, wie die Weisheit im B u c h der Sprichwörter ausruft: „Vor allen A b griinden bin ich geboren." 0 Es war dies nicht ungeschaffen, doch wann oder w i e es entstanden ist, weiß ich nicht. 66 D e n n das, was den Werken Gottes vorausliegt, das heißt das Angesicht Gottes, wird v o n den Seraphim bedeckt; 10 ebenso aber auch die Fiiße. d Wer könnte darlegen, was nach der letzten Welt v o n Ewigkeit zu Ewigkeit geschehen wird? Schwätzer sind die Leute, die Kenntnis darüber versprechen, wissen sie doch nicht, dass der Mensch nur die mittleren Dinge erfassen kann. U n d das, was nach der Welt bis zur Vollendung im Gericht geschehen wird — die Strafen, die Belohnung 6 7 — 15 und viele andere dieser Dinge bleiben uns verborgen. Das zu der Stelle: „ M i t zweien bedeckten sie das Angesicht." 0 Sie bedeckten es aber nicht nur, sondern verhüllten es sogar ganz, das heißt sie bedeckten es so, dass man nicht einmal einen winzigen Teil des

Prolog zum verlorenen Genesiskommentar zu Gen. 1,2 ausgiebig diskutierte, wie aus dem Zitat bei Eusebius, praep. ev. VII ìgf. (GCS Eus. 8/1, 402Î.) = Orígenes, in Gen. frg. D 3 M i l / i¡. hervorgeht. Die von ihm an der vorliegenden Stelle dafür herangezogenen Bibelstellen Jes. 45,7 und Spr. 8,24 spielen bis heute eine zentrale Rolle in der Diskussion über eine biblische Grundlegung der Theorie einer Schöpfung aus dem Nichts, doch anders als von Orígenes werden sie in der modernen Exegese so aufgefasst, dass ihnen eine kosmologische Spekulation fern liege: M A Y , S c h ö p f u n g ( z u s a m m e n g e f a s s t v o n W . GROSS, in: R G G 4 2 [1999] 4 8 5 - 4 8 7 ) .

66

Zur Zeit des Orígenes wurden die Begriffe „geschaffen" bzw. „geworden" (γενητόξ) und „geboren" (γευυητόξ), von Hieronymus hier wiedergegeben mit non ingenitus (— genitus) und natus, terminologisch nicht scharf geschieden, wie dieser Satz unmittelbar zeigt (wobei im Griechischen die Schreiber der Handschriften das Ihre zur Konfusion beigetragen haben mögen); siehe dazu PRESTIGE, God 37-52. 67 Von der Strafe und von der Belohnung, die den Menschen in der kommenden Welt erwarten, sprach Orígenes oft, beispielsweise in Hier. hom. 19,15 (GCS Orig. 32, 175 f.): „Fürchte auch du, solange du noch Kind bist, die Drohungen, damit du nicht das, was über die Drohungen hinausgeht, erleiden musst: die ewigen Strafen (Mt. 25,46), das nie erlöschende Feuer (Mk. 9,43) oder vielleicht etwas Schlimmeres als dieses, - das, was denen, die größerenteils wider die rechte Vernunft gelebt haben, aufgespart ist. Die Erfahrung all dieser Dinge mag uns immerdar erspart bleiben. In Jesus Christus mögen wir vielmehr als Erwachsene die Berechtigung für die himmlischen Feste erlangen, für das Paschamahl, das während der Hinaufführung in Christus Jesus gefeiert wird"; Ubersetzung: SCHÄDEL, BGrL 10, 216. Vgl. princ. praef. 5 (GCS Orig. 5, 1 1 f.); I 6,1 (5, 79); in Rom. comm. IX 41 (p. 773f. HAMMOND ΒΑΜΜΓ,Ι.); C e l s . III 78 ( G C S O r i g . 1 , 269); V I 2 6 (2, 96).

232

Homilia IV

ceretur novissimorum, hoc est, pedum eius. „Et duabus volabant." 3 Aperta sunt media ad contemplandum. „Et clamabant alter ad alteram", b non alter ad plures, sed alter ad alterum. Audire enim sanctitudinem Dei, quae adnuntiatur a Salvatore, iuxta dignitatem rei nemo potest nisi Spiritus sanctus, quomodo rursum inhabitare sanctimoniam Dei, quae annuntiatur a Spiritu sancto, nemo potest nisi solus Salvator. O b id alter ad alterum clamabant et dicebant: „Sanctus, sanctus, sanctus!" 0 N o n iis sufficit semel clamare „sanc259 tus!" ñeque bis, | sed perfectum n u m e r u m trinitatis adsumunt, ut multitudinem sanctitatis manifestent Dei, quae est trinae sanctitatis repetita communitas; sanctitati patris sanctitas iungitur fìlli et Spiritus sancti. „Etenim sanctificans et sanctificati ex uno omnes." J Qui sanctificat, Salvator est iuxta hoc, quod h o m o est a D e o patre accipiens sanctitatem. Dicunt itaque: „Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Sabaoth!" 0 Interpretatur autem Sabaoth, ut Aquila tradidit, Dominus militiarum. 2. „Piena omnis terra gloria eius." 1 Olim domus piena erat gloria, 8 nunc vero his, qui super terram sunt, a Seraphim prophetatur, quia futurum sit, ut universam terram gloria Dei Christus impleat. In omnibus quippe, qui conversatione sua glorifìcant Deum, gloria eius est, atque ita universa terra piena est gloria Dei. Olim non omnis terra piena erat gloria Dei, sed unus angulus terrae, quando dicebatur: „Notus in Iudaea Deus, in Istrahel magnum n o men eius." h Gloria Deo, qui misit fìlium suum,' ut omnis terra piena fìeret gloria sua.j Sed quid tibi prodest, si terra plena sit propter ecclesias beatorum, h c d ''Jes. 6,3 J e s . 6,3 J e s . 6,3 Hebr. 2 , 1 1 Ps. 75(76),! ' R o m . 8,3 'Jes. 6,3

e

J e s . 6,3

' j e s . 6,3

g

J e s . 6,1

h

68

Inhabitare ist hier vermutlich als Anspielung auf J o h . 1 , 1 4 und die Inkarnation Christi, v o n der einige Zeilen weiter ausdrücklich die R e d e ist, verstanden und entsprechend übersetzt w o r d e n (zu inhabitare als theologischem temiinus technicus allgemein siehe T h L L 7 , 1 , 1 5 8 6 , 2 4 - 2 7 . 3 3 . 4 6 . 4 9 ) . D e m n a c h ist allein der Sohn in der Lage, die Menschwerdung vollständig zu begreifen (vor inhabitare ist audire aus dem vorhergehenden Satz zu ergänzen). Z u r schieren Unverständlichkeit dieses heilsgeschichtlichen Ereignisses vgl. darüber hinaus princ. II 6,2 ( G C S Orig. 148, 1 5 1 , 235, 248, 330, 332; 1,2: 14, 28, 77, 93, 138, 141, 142, I48f., 151, 152, 169, 1 7 1 , I 7 3 f . , 185, 199, 203, 228, 323, 337, 340, 349, 352, 358f.; 1 , 2 - 4 : 74; 1,3: 28, 235, 323; 1,4: 172, 199, 235, 323, 364; 1,5: 28, 90, 134, 199, 237

2. Origenesstellen

2 , 1 : 3 5 , 1 0 5 , 1 6 0 , 1 9 9 , 3 4 6 ; 2,2:35, io8f., 110, 156, 199, 300 3 , 1 : 3 7 , 4 1 f - , 4 3 , 6 8 , \\ηί.,

154,

157,

199, 2f>3, 302; 3,2: 22, 43f., 121, 199, 360; 3,3: 1 1 1 , 143, 158, 172 4,1: 14, 28, 74, 93, i38f., i42f., 144, 156, 160, 172, 201, 323; 4,2: 28, î o j f . , 120, 131, 149, 151, 155, 202; 4,3: 28, 3 i f . , 109, 122, 135, 196, 203, 244, 248; 4,4: 74, 199, 204, 260, 323; 4,4f.: 28, 244; 4,4-6: 254, 324; 4,5: 206; 4,6: 153 5,1: 35, 1 2 1 , 150, 1 5 2 ; 5,2: 21, 28, 33, 73, 103, 1 5 2 , 153, 236; 5,3: 28, 31, 115, 117, 123, 196 6,1: 24, 25, 26f., 1 2 2 , 130, 301 f.; 6,1 f.: 326; 6,2: 25, 28, 129, 328; 6,3: 2 7 , 62, 68, 7 2 , 1 2 2 , 125, 1 2 7 , 153, 199, 219, 267, 278, 290, 302; 6,4: 121, 1 2 8 , 131; 6,5: 109, 116, 303; 6,5—7: 72f.; 6,6: 71, 72, 116, 360; 6,7: 7 2 , 117, 130, 269 7 , 1 : 1 5 2 , 153, 154, 1 7 2 ; 7 , 2 : 36, 71 f., 115, 120, 130, 292; 7,3: i i 7 f . , 127, 266, 269, 302; 7,4: 124, 131 8,1: 118, 122; 8,2: 122, 131, 310 9: 23—27, 68, 72, 73, 104, i i 8 f . , 125, 126, 145f., 255, 263, 335

Jeremiakommentierung frg. 36: 245; 62: 41 Jeremiahomilien 5,16: 284; 5,i6f.: 299; 8,3: 22; 9: 305; 9,1: 172; 11,5: 22; 12,3: 22; 14,12: 62, 72; 16,5—7: 239; 18,1: 239; 18,5: 198; 18,10: 22; 19,15: 231, 283; 20,2: 25, 62, 72, 83, 301; 20,8f.: 238; 20,9: 204; lat. i(3),i: 254; lat. 2(2),1: 272 Ezechielkommentierung frg.: 14

391

Ezechielhomilien 1,11: 198; 1,13: 238; 4: 14; 4,1.3: 147; 4,5: 13; 4,6: 242f.; 4,8: 13, 27; 5,1: 238; 6,4: 22; 6,5: 43; 7,10: 283; 9,1: 120; 9,2: 245; 12,3: 14; 13,1: 298; 14,2: 201 Ij obkommentierung 41,19 frg.: 299 Matthäuskommentar X2: 299; X 1 8 : 90, 204; X115: 257; X 1 1 8 : 198; XIII26: 224; X V 3 :

195;

X V 5: 1 3 ; X V I 9 : 62; X V I 2 1 : 1 9 8 ; X V I 22: 198, 257; X V I 25: 257

Matthäuskommentarreihe 24: 257; 28: 204, 206; 133: 6 Matthäuskommentarfragmente frg. 431: 270 Lukashomilien 2,2: 288; 3,2: 95, 269; 7,7: 198; 12,1: 199; 14,2: 199; 16,6: 227, 288; 18,1: 199; 20,7: 283; 21,5: 208f.; 22,2: 297; 22,3: 112; 22,4: 199 Johanneskommentar 136: 2 i 2 f . ; 137: 105; 1 7 5 - 7 8 : 141; I90-124: 144, 228; 195f.: 214; I103: 230; I m : 144; 1146: 212; I i 6 5 f . : 224; 1167: 125, 348f.; 1 1 8 3 - 1 8 6 : 2Ó4f.; I200: 176, 200; 1208: 113; I217Í.: 225; I219: 145; I222: 148; I234Í.: 226; 1261: 212; 1262f.: 221 f.; 1267—276: 107; I277f.: 224 II 57: 104, 117; II 70: 220; II73—78: 83f.; II76: 157; II77: 156; II83: 158; Ii 84f.: 44; Ii 86: 83f.; 1196: 288; Π100-104: 338; Ii 178: 62 V8: 219; VI42: 7; VI252: 7; XIII81: 284; XIII372: 205; XIII408: 41;

392

Register

X I I I 4 3 3 : 4 1 ; X I X 1 2 7 . 1 3 0 : 284;

1 1 1 0 , 2 : 1 0 ; 1 1 1 0 , 4 : 238; 1 1 1 1 , 4 :

X X 1 8 2 : 1 0 9 ; X X X I I 1 3 1 : 267;

303-305; IUi,6: 145

XXXII401: 6

1 1 1 1 , 7 : 67; 1 1 1 1 , 8 - 1 4 : 6 9 f . ; I I U , i 6 : 6 7 - 6 9 , 7 1 ; 1 1 1 1 , 1 7 : 70, 7 1 , 262;

Johanneskommentarfragmente frg. 92: 67; 1 0 5 : 6; 1 0 6 : 6; 1 4 0 : 6

III 1 , 2 1 f . 2 3 : 7 0 f . ; I I l 2 f . : 297; I I I 2 , 1 :

Römerbriefkommentar

I V i , i : 293; IV2,6: 2 1 3 ; I V 3 , 5 : 2 1 2 ;

1 7 : 1 1 3 ; II 2: 2 5 7 ; III 5: 95; V 9 : 9 f . ;

I V 3 , i 4 : 75, 1 3 3 , 1 9 9 , 2 0 1 , 3 4 2 ;

VIII 5: 204; V I I I 1 1 : 2 3 9 , 262; I X 4 1 :

IV 4 , 1 : 1 4 9

297; 1 1 1 2 , 2 : 1 2 1 ; III 5 , 6 f . : 226; I I l 6 , i : 104

1 9 6 , 2 3 1 ; X 2 0 : 267

Apologie gegen Kelsos Römerbriefkommentarfragmente frg. 5 (zu comm. V): 95; 29: 9

1 1 : 298; 1 4 6 : 270; 116: 288; 118: 62, 72; in 78: 2 3 1 , 263; IV40: 276; V 1 4 : 1 1 ; V 1 5 : 238, 2ö2f.; V 2 3 : 1 1 ; V 3 9 :

Korintherbriefkommentierung f r g . 74: 2 6 6 f .

1 2 1 ; V 5 3 : 2 2 4 ; V I 1 8 : 76, 95; V 1 1 8 F . : 1 3 2 ; v i 26: 2 3 1 ; VI 43: 276; VI 79: 7; v u 5: 276; v u 7 : 1 1 9 ; v u 9 f . : 3 1 4 ;

Epheserbriefkommentierung frg. 9: 1 4 9 f.

v u 1 1 : 4, 3 η £ ; V I I 3 3 f : 1 2 8 ; v i n 2 2 : 2 1 , 247; Vili 27: 2 2 4 ; Vili 72: 293

Titusbriefkommentierung frg. 2: 288

Uber das Gebet 1 5 , 1 - 1 6 , 1 : 2 4 4 f . ; 2 9 , 1 5 : 239; 3 1 , 5 :

Uber die Prinzipien praef. 1: 105; praef. 3: 219; praef. 4: 230; praef. 5: 231; praef. 10: 2 1 2

198; 33,1.6: 244f.

Das Gespräch mit Herakleides 27: 134

1 1 , 2 : 239; 1 1 , 7 : 104; 1 1 , 8 : 128; 1 1 , 9 : 269, 2 8 8 f . ; 1 2 , 1 0 : 1 4 9 , 1 5 1 ; 1 3 : 1 5 5 ; 1 3 , 1 : 2 9 3 ; 1 3 , 3 : 230; 1 3 , 4 : 7 5 , 1 3 3 ,

Brief an Julius Africanus 1 3 : 204 f.

1 5 6 , 199; 13,6: 107; 13,8: 104; 1 6 , 1 : 2 3 1 ; 16,2: 140; 16,3: 239; 17,3: 146, 1 5 0 ; I 8,4: 2 7 5 f.

Uber die Auferstehung frg.: 1 8 3 ; II: 1 0 , 1 2

I i i : 144; 111,2: 147; 111,3: 146; 111,4: 1 1 4 ; I I i , 4 f . : 230; 1 1 3 , 7 : 226; 1 1 6 , 1 :

Philokalie

1 3 9 ; 116,2: 2 3 2 ; 1 1 6 , 3 : 2 3 2 f . ; 116,6:

1 : 2 9 3 ; 2,4: 2 1 4 ; 2 1 : 67; 2 7 , 1 f.: 70

7 f . ; 118: 1 0 9 ; 1 1 8 , 1 : 1 1 4 ; 118,5: 1 4 7 ; 119,4: 1 5 0 , 2 1 4 ; 1 1 9 , 7 : 7 1 ;

393

3- Namen und Sachen Abbild 7, 8, 8 1 , 1 0 6 — 1 1 2 , 1 1 4 , 1 1 7 , 1 1 8 , 125, 134, 135, 139, 142, 1 4 4 - 1 4 7 , 149, 1 5 3 , 1 5 4 , 232E, 267, 269, 283, 3 2 7 , 345, 348, 349, 360 A b r a h a m 35, 80, 92, 2 5 1 Abstieg/Aufstieg 36, 1 0 1 , 1 0 7 , I 0 9 f . , 1 1 1 , 1 1 7 , 1 1 8 , 124, 128, 130, 135, 1 5 2 , 1 5 3 , 1 5 8 , 1 5 9 , 1 8 2 , 207, 2 2 3 , 224, 2 5 3 , 268, 2 7 5 A d a m 65, 85, 333 Adiaphoron 1 3 5 Ähnlichkeit (homoiosis) 1 0 2 — 1 0 5 , 1 0 9 - 1 1 2 , 1 3 7 , 1 4 4 , 152Í"., 2 8 1 , 287 Affekt 109, 1 1 0 , 1 1 3 , u s i - , 124, 159, 195, 197 Ä g y p t e n 25, 52, 69, 90, 9 1 , 1 0 1 , 1 1 6 , 1 1 7 , 1 9 5 , 2 5 1 , 2 5 5 , 2 5 7 , 274, 2 7 5 , 3 3 1 , 335 Ahas 100, 1 0 7 , 1 4 5 , 1 9 4 , 209, 2 1 1 , 2 1 3 , 330 Akzidenz/akzidentell 106, 1 1 1 , 1 2 1 , 1 2 3 , 360, 363 Alexandria 4, 7, 1 3 , 2 1 , 22, 39, 4 1 , 5 1 , 75, 84, 85, 89, 90, 9 1 , 96, 247 Alkinoos 1 0 7 , 1 3 7 , 1 8 4 , 230 Allegorie 35, 77, 81 f., 9 1 , 93, 1 0 1 , 1 1 8 , 1 1 9 , 125, 126, 127, 1 3 7 , 166, 170, 182, 183, 3 3 1 , 332, 333, 335, 337 Allmacht 1 1 , 2 1 , 1 5 1 , 3 4 1 , 347 Ambrosius 40, 42, 64, 73, 1 6 2 A m m o n i o s Sakkas 1 4 4 , 2 3 0 A m m o n i u s v o n Alexandria 67 Amphilochius v o n I c o n i u m 168 Anagoge 183 Analogie (analogía) 1 2 5 , 1 2 6 , 1 2 7 , 1 2 8 , 1 4 3 , 1 4 6 , 200, 2 1 4 , 348, 360 A n f a n g 1 4 , 75, 99, 1 3 2 , 1 3 3 , 1 3 4 , 136, 138, 139, 1 4 0 - 1 4 4 , 145, 146,

147, 148, 154, 1 5 5 , 156, 158, 166, 169, 2 0 1 , 21 3 f., 2 2 1 , 224, 228, 229, 2 5 3 , 265, 268, 289, 293, 297, 359, 363 Antiochenische E x e g e s e 1 8 2 , 1 8 3 , 333 Antiochia 1 6 4 , 168, 1 7 0 Antipater v o n Bostra 75 Apathie 1 1 9 Aphrahat 39 Apokatastasis 9, 1 0 , 1 1 1 , 1 3 8 , 160, 226 Apolinaris v o n Laodicea 67, 1 6 3 , 168 Apostel 8, 1 0 1 , 1 2 2 , 1 2 3 , 1 2 5 , 1 3 0 , 204, 2 1 9 , 259, 269, 270, 2 7 1 , 2 8 1 , 283, 285, 293, 3 2 1 , 329, 3 3 5 , 349, 355 Apuleius 1 0 7 , 1 3 7 , 199, 269 Aquila 5, 1 8 , 5 1 , 203, 2 3 3 , 320, 3 2 3 , 3 2 5 , 3 2 7 , 329 Aristoteles 106, 1 1 3 , 1 3 6 , 1 3 8 , 1 4 0 , 1 4 4 , 1 4 8 , 229, 285 Arius/Arianismus 73, 78, 1 6 5 , 1 6 6 , 169, 1 7 4 , 1 87 Askese 45, 1 1 9 , 1 3 3 , 1 5 3 , 1 5 9 Athanasius 1 6 5 A t h e n 76, 31 5 Athenagoras 1 0 , 1 1 Auferstehung 8—12, 2 1 , 53, 57, 58, 1 0 3 , 1 7 9 , 1 8 3 , 247, 2 7 1 , 309, 3 1 1 Augustinus 1 1 , 63, 65—71, 1 0 7 , 1 4 0 , 1 6 2 , 1 8 4 , 1 8 5 , 1 9 0 , 2 4 5 f . , 342 B i l d siehe A b b i l d B i l d u n g (paideia) 68, 69, 80, 82, 1 0 2 , 1 3 9 , 1 4 7 — 1 5 5 , 1 5 9 , 160, 2 2 0 f . , 2 2 4 f . , 239, 2 6 2 f . , 2 8 2 f . B a b y l o n 1 3 , 48, 50, 3 1 3 Basilides 230 Basilius v o n Caesarea 1 6 3

394

Register

Bernhard von Clairvaux 190 Betlehem 30, 164, 168 Buße 70, 122, 133, 295 Caesarea 4, 7, 12, 20, 21, 75, 247 Cassiodor 162, 188 Clemens von Alexandria 41, 44, 78, 79, 84, 85, 90, 94, 96, 2 i 8 f . , 224, 229, 283, 3 2 1 Constitutiones apostolicae 64, 74

Cyprian 40, 64 Cyrill von Alexandria 67, 164 Cyrill von Jerusalem 73, 169 Dämon 42, 82, 102, 1 1 4 , 1 1 7 , 120, 1 2 1 , 1 2 2 , 1 2 6 , 1 3 7 , 1 5 2 , 1 5 7 , 285, 287, 2 9 1 , 297, 299

Daniel 9, 13, 14, 133, 197, 313, 3 3 4 f - 351 David 12, 37, 167, 197, 209, 210, 2 1 1 , 2 1 2 , 2 1 3 , 2 2 1 , 249, 303, 3 2 1 ,

341, 351, 355, 357, 359, 36$ Demiurg siehe Schöpfung Demokrit 343 Denken (dianoia, nóesís) siehe Geist (noûs)

Didymus von Alexandria 5, 162, 163, 167, 181

Diodor von Tarsus 182f., 353 Doketismus 80 Eine, der/das (heis, hen); der/das E i n f a c h e (haploûn, haploûs); E i -

nes/Vieles 41, 44, 107, 1 1 1 , 120, 1 3 2 , 1 3 3 , 1 4 2 , 1 4 6 f., 1 5 9 , 1 7 1 , 1 7 6 , 203, 2 1 8 , 328, 329

einfache/vollkommene Christen 11, 68, 2 0 6 f . , 2 2 0 f . , 2 2 4 f . , 262, 269, 2 8 2 f „ 357

Elchasai 78 Ende 14, 75, 99, 1 3 2 - 1 4 4 , 145, 154, 1 5 5 , 1 5 6 , 1 5 8 , 1 6 6 , 1 6 9 , 2 0 1 , 228, 229, 2 3 1 , 2 3 3 , 341

Engel 38, 44, 77-82, 84, 85, 86, 87, 88, 1 3 3 , 1 6 5 , 186, 2 2 4 f . , 229, 239,

293, 327, 351, 355, 363 — Cherubim 76, 88, 91-96, 137, 1 3 8 , 3 2 3 , 347, 3 5 5 , 3 5 7 , 359

— Engel des großen Rates 80, 81, 158, 223, 224f.

- Erzengel 84, 88, 186, 351, 353, 355 - Fürsten 185, 351, 353, 355 — Gewalten 197 — Herrschaften 80, 185, 197, 351, 355 - Kräfte 92, 185, 197, 351, 355 - Mächte 185, 197, 223, 305, 351, 355 — Seraphim 18, 19, 27, 29, 74, 75, 76, 77—97, 99, 128, 1 3 1 , 133, 148, 149, 152, 165—170, 1 7 1 , 180, 1 8 3 - 1 8 7 , 205, 207, 224, 2 3 7 , 239, 244,

101, 134, 153, 173, 198, 228, 245,

105, 137, 162, 174, 199, 229, 255,

106, 1 1 9 , 139, 140, 164, 176—179, 2 0 1 , 203, 231, 233, 261, 323,

325, 331, 335, 337, 338, 339, 340, 3 4 1 , 343, 345, 347, 349, 3 5 1 , 3 5 3 ,

355, 357, 359, 3^3, 365 - Throne 80, 185, 197, 349, 351, 355 Engelchristologie 77—82, 86, 165 Engelpneumatologie 77, 86f., 165 Entelechie 148 Enthaltsamkeit siehe Askese Ephram der Syrer 39 Epinoia (epinoia) 145, 147, 148, 149, 1 5 0 , 1 5 3 , 1 5 7 , 1 7 5 , 200, 2 2 0 f . , 224 f.

Erasmus von Rotterdam 163, 189 Erkenntnis (gnosis) siehe Gottesschau/Gotteserkenntnis Erlösung 9, 48, 52, 54, 68—71, 8 0 - 8 2 , 88, 99, 1 0 0 , 1 0 2 , 1 0 7 ,

m f . , 1 1 3 , 1 1 6 , 1 3 1 , 135, i39f-,

3. N a m e n und Sachen

1 4 1 , 143, 144, 1 4 5 , 146, 1 4 7 - 1 5 8 , 159, 160, 166, 172Í"., 196, 199, 201, 203, 210, 2 1 1 , 2 2 1 , 2 2 4 f . ,

395

2 7 1 , 273, 275, 2 7 7 , 279, 287, 288f., 291 G e r e c h t i g k e i t 7, 9, 10, 35, 66, 70,

227, 237, 239, 243, 264, 273, 290,

85, 86, 99, 103, 1 1 2 , 1 1 5 , 1 1 7 ,

291

1 2 1 , 126, 1 2 7 , 136, 148, 149,

E r z i e h u n g siehe B i l d u n g

i 5 o f . , 153, 1 5 7 , 2 2 1 , 223, 243,

Eucharistie 2 1 , 109, 247, 296

249, 2 5 1 , 2 6 1 , 273, 274, 2 7 5 , 279,

E u d o r o s v o n A l e x a n d r i a 96, 104, 132 E u n o m i u s v o n C y z i c u s 167, 174, 184, 187

G e s c h i c h t e 14, 58, 7 7 , 92, 98, 105, 1 1 6 , 122, 1 2 4 Í . , 129, 1 3 1 ,

Eusebius v o n Caesarea 4, 5, 1 5 , 16, 1 7 , 18, 23, 39, 64, 76, 94, 164, 165, 166, 169, 170, 1 7 4 , 2 1 1 , 2 1 9 , 2 3 1 , 3 1 5 , 321 Eusebius v o n C r e m o n a 1 7 5 Evagrius P o n t i c u s 44 E v a n g e l i u m 7 2 f . , 131 Evangelium

289, 2 9 1 , 297, 303, 309, 3 1 1 G e r i c h t siehe Strafe

Petri 78

E z e c h i e l 46, 76, 3 1 5 , 347, 355

1 3 2 — 1 6 1 , 164, 182, 210, 218, 2 1 9 , 2 2 4 f . , 232, 263, 302, 332, 333 G e s e t z (nomos) 7 1 , 124, 134, 1 9 5 , 205, 249, 287, 2 9 1 , 293 Gestirne 1 3 6 f . , H 5 f - , 303, 305, 3 1 1 , 355, 357 G l a u b e 9 f . , 38, 50, 54f., 60, 6 3 f . , 66, 69, 7 1 — 7 4 , 80, 107, 120, 130, 2 2 1 , 2Ó4f., 269, 2 7 1 , 2 7 7 , 285, 287, 288, 329, 343, 351

Fall siehe A b s t i e g / A u f s t i e g F e u e r 80, 9 1 , 1 1 9 , 1 5 3 f -, 203, 223, 2 3 1 , 2 3 8 f . , 255, 324, 325, 327, 361 Freiheit 6 5 - 7 4 , 1 1 4 , 1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 7 ,

G l ü c k / G l ü c k s e l i g k e i t 7 1 , 104, 1 1 7 — 1 1 9 , 120, 129, 136, 235, 237, 267, 287, 2 9 2 f . , 311 G n a d e 25, 42, 44, 64, 6 6 f . , 124, 129,

120, 130, 1 5 1 , 160, 203, 205, 223,

1 5 6 , 209, 2 1 3 , 237, 2 6 1 , 293, 301,

235, 2 7 5 f . , 281, 299, 323

325, 335, 337, 361

Friede 38, 149, 245, 265 F r ü h j u d e n t u m 43, 78, 89, 94 F u ß w a s c h u n g 99, 1 0 1 , 122, 125,

G n o s i s 8, 69, 73, 78, 82, 8 7 - 9 0 , 96, 1 1 5 , 1 5 7 , 2 l 8 f . , 224 — Vom Ursprung der Welt 87—90, 96

1 2 7 , 128, 129, 1 5 3 , 245, 247, 259,

G o r d i a n III. 4, 3 1 5

2 6 4 f . , 267

G o t t siehe Trinität b z w . Vater ( G o t t Vater)

G a b r i e l 86, 351 G a m a l i e l III. 1 2 G e b e t 104, 1 1 2 , 201, 205, 227, 235, 243, 2 4 4 f . , 323 Geist (nous) 9, 14, 1 0 1 , 109, 1 1 2 ,

Gottesdienst 20—22, 33, 73, 198, 246, 248, 286, 296 G o t t e s s c h a u / G o t t e s e r k e n n t n i s 18, 19, 2 8 - 3 4 , 36, 62, 63, 7 4 - 9 7 , 98f., 103—112, 113, 115, 118, 121,

1 1 3 , 1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 7 , 120, 1 2 7 , 129,

122, 123, 124—126, 128, 129, 130,

132, 135, 152, 153, 159, 160, 239,

132—158, 1Ö0, 1 6 5 — 1 7 6 , 1 7 9 — 1 8 7 ,

283, 287, 304f. geistige S i n n l i c h k e i t 1 0 1 , 1 1 2 , 1 2 6 - 1 2 9 , 287, 263, 265, 267, 269,

i 9 4 f . , 1 9 7 , 199, 201, 205, 207, 2 2 1 , 228, 229, 233, 235, 237, 245, 249, 2 5 1 , 2 6 1 , 273, 283, 285, 293,

Register

39ö

3 0 3 - 3 0 5 , 319, 325, 331, 337, 339, 341, 3 4 2 , 343, 345, 347, 349, 357

293, 309, 341, 345, 349, 357, 363 Hesychius v o n Jerusalem 163

G ö t z e / G ö t z e n d i e n s t siehe Idolatrie

Hexapla 5, 16, 17, 52, 233, 3 1 9

G r e g o r der G r o ß e 36, 230

H i e r o kies v o n A l e x a n d r i a 145

G r e g o r v o n N a z i a n z 19, 40, 166,

H i e r o n y m u s 3, 4, 5, 6, 12, 13, 16,

168, 184

I 7 f . , 1 8 - 2 0 , 23, 26, 2 7 - 3 4 , 39,

G r e g o r v o n Nyssa 167, 168, 276

40, 4 1 , 4 3 , 52, 62, 63, 64, 74, 75,

G r e g o r der Wundertäter 1 1 9

82, 94, 98, 142, 162, 163, 164,

g u t / G ü t e 38, 66, 69f., 100, 102, 104,

165, 167, 168, 169, 1 7 0 - 1 7 9 ,

1 1 1 , 1 1 2 , 118, i 2 o f . , I 2 7 f . , 149,

i 8 o f . , 185, 186, 187, 188, 189,

1 5 1 , 154, 158, 184, 2 1 5 , 2 1 7 , 223,

190, 199, 200, 202, 203, 205, 2 1 5 ,

235,

226, 231, 232, 233, 245, 249, 254,

237, 245, 263, 267, 268, 2 7 1 ,

285, 289, 295, 309, 3 1 1 , 343, 345

258, 284, 285, 290, 292, 293, 300, 301, 302, 303, 305, 3 1 8 - 3 2 9 , 332,

H a b a k u k 75 f., 94 Häresie 10, 75, 120, 174, 1 7 8 f . , 186, 204, 288, 289, 295, 299, 325, 332 Hebräer/hebräischer Lehrer 12, 13,

333, 334, 336, 338, 339, 340, 343, 349, 351, 354, 357, 358, 3Ö2 Hilarius v o n Poitiers 78, 169 Hillel 12 f.

2 5 , 2 7 , 39, 75, 83, 90, 93, 96, 1 3 3 ,

H i p p o l y t 78, 255, 230

254f., 300f., 321

Hiskija 13, 313, 331

H e i l siehe E r l ö s u n g h e i l i g / H e i l i g k e i t / H e i l i g u n g 7, 9, 4 1 ,

Hoffnung 9 homousios 165, 169, 173

46, 48, 50, 65, 75, 77, 79, 81, 83,

Hrabanus M a u r u s 189

95, 104, 1 1 3 , 1 2 1 , 126, 139,

Hypostasis (hypostasis) 132, 140

140—144, 152, 154, I 5 5 f . , 158, 160, 167, 168, 1 7 2 - 1 7 6 , 1 8 4 - 1 8 6 , 199, 201, 221, 233, 243, 245, 267, 269, 273, 275, 287, 291, 297, 303,

Idee (idèa, eidos, morphé, schèma, paràdeigma) i o 6 f . , 1 1 1 , 129, 144, 146, 268, 275

305, 309, 331, 347, 349, 351, 353,

I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n 152

355, 357, 359, 360, 361, 363

Idolatrie 102, i i 7 f . , 124, 1 3 1 , 186,

Heilige Schrift 25, 72, 1 0 0 - 1 0 2 , 123, 1 2 4 - 1 2 6 , 128, 152, 156, 183, 203, 205, 2 i 3 f . , 215, 219, 259, 261,

2 7 1 , 287, 294, 295, 358, 359 Inkarnation 14, 77, 8of., 99, 102, 103, 105, 120—122, 124, 1 4 1 , 142,

263, 265, 273, 275, 277, 279, 289,

148, 150, 1 5 1 , 152, 156, I 5 7 f . ,

293, 332, 333

201, 207, 221, 225, 232, 233, 235,

Heiliger Geist siehe P n e u m a

239, 243, 281, 293, 347, 349, 353

Heilstrinitarismus 133, 140—158

innerer M e n s c h 109, 124, 127, 237

Herinas 79, 230

Intellekt siehe Geist

Herrlichkeit 75, 77, 85F., 87, 88, 91,

Irenaus v o n L y o n 40, 43, 65, 78, 91

92, 99, 105, 10Ö, 1 1 2 , 120f., 123,

Isaak 80, 81, 82, 251

124, 125, 1 3 1 , 134, 139, 1 4 1 , 143,

Israel 44, 46, 47, 49, 50, 53, 54, 60,

147—155, 156, 159, 167, 169, 195,

61, 63, 66, 69, 88, 100, 1 1 5 , 1 1 7 ,

197, 199, 201, 203, 223, 233, 235,

120, 126, 128, 1 5 7 , 167, 2 1 1 , 233,

3. N a m e n und Sachen

247, 249, 251, 255, 257, 259, 263,

397

Kreuz 119

273, 275, 277, 285, 287, 291, 295,

301,

303,

353, 355, 357

Jakob 80, 207, 224, 251 Jeremía 167, 223, 325, 359 Jerusalem 29, 37, 50, 81, 204, 207, 210, 225, 294, 295, 297, 325, 331,

337, 351 Johannes der Täufer 7, 43, 44f., 359 Johannes Chrysostomus 40, 43, 63, 64, 163, 167, 168, 205, 232

Johannes v o n Damaskus 75, 162 Johannes v o n Drungarien 163 Josua 82, 223 Juda II. 12 Jungfrau 31, 35, 87, 88, 89, 209, 211, 213, 2 1 7

Laktanz 40 36, 42, 48, 70f., 73,

Leben

98—103, 104, 1 1 0 - 1 1 2 ,

113-131,

1 3 5 f . , i 4 o f . , 149, 152, I 5 9 f . , 220, 233, 243, 257, 264, 287, 289, 291,

297, 303, 311, 327 Leukipp 343 Leib 8—12, 72f., 103, 110, 113, 115, 1 1 6 - 1 2 1 , 123, 124, 135, 146, 150, 152, 153, 179, 195, 235, 237, 249, 251, 273, 304f., 343, 361 L i e b e (agápe/éros) 1 0 9 — 1 1 1 , 1 9 7 , 221, 233, 267, 347

Logienquelle 56 Logos 8, 14, 19, 21, 33, 72, 77-82, 91, 92, 95, 99, 100, 102, 103—129,

Justin 11, 40, 42, 44, 64, 78, 79, 205, 206, 225, 230, 328

Justinian I. 75, 82, 180

130, 1 3 1 , 132, 133, 134, 135, 137, 139, 1 4 1 , 142, 143, 1 4 4 - 1 5 5 , 156, 157,

15§,

159, 160, 166, 169, 195,

197, 204, 205, 209, 2 1 1 , 2 1 4 f . ,

Kanon siehe Heilige Schrift Kelsos 11, 72, 119, 128, 293, 314 Kenosis 86, 102, 122, 150, 152, 207, 227, 243, 267, 347

Kirche 37, 61, 76f., 88, 98, 99, 101, 102, 106, i i 7 f . , 122, 123, 124, 128, 1 2 9 - 1 3 1 , 155, 157, 159, 184, 197, 213, 233, 235, 245, 257, 259,

2 1 7 , 221, 223, 227, 235, 239, 247, 249, 259, 2 7 1 , 275, 279, 281, 295,

297, 323, 324f·, 327, 349, 365 — Engelwerdung 8o f., 158 - Mittler 78, 79, 133, 139, 143, 147, 154, 156, I 5 7 f . , 293

Lüge 125, 269, 333 Lust siehe Affekt

265, 267, 288, 289, 293, 295, 299,

333, 351, 353 Körper siehe Leib Konstantinopel 23, 30, 75, 164, 168, 170, 174, 176, 178, 184, 187, 322

Koran 64 Kosmos 101-103,

Manichäismus 89 Markion 55, 69, 197, 288 Martyrium 119 Materie 114, 117, i i 8 f . , 120, 140, 144, 156, 218, 229f., 23of., 345

10

7> I25f-,

132-140, 144-147, i5of., I59f., 21 3f., 228, 229, 231, 283, 303, 342f., 344, 345, 348£, 357 — creatio ex nihilo i 4 4 f . , 228—230 — W e l t s e e l e 125, 1 3 6 - 1 3 9 , 1 4 4 - 1 4 7

Melito v o n Sardes 80 Merlin, Jacques 189 Messias 3, 43, 45, 53, 57, 65 Metapher siehe Analogie Methodius 11, 42 Michael 79, 351

Register

39« M i t t e 14, 9 i f . , 99, 1 1 3 , 114-f.,

117,

1 3 2 - 1 4 0 , 143, 144—158, 160, 169, 201, 231, 233, 239, 341, 345

Peschitta 39, 51 Pharao 48, 67, 70, 99, 1 1 5 — 1 1 7 , 123, 129, 195, 2 5 1 , 331

M o n t a n i s m u s 73

Philippus Arabs 23

M o s e 24, 25, 84, 90, 93, 101, 105,

P h i l o n v o n Alexandria 4 1 , 79, 82,

122, 123, 124, 134, 167, 205, 207,

88, 91—94, 96, I 3 7 f . , 282

223, 255, 256, 257, 259, 281, 283,

Physiologus 80

293, 301, 3 0 3 , 327, 333, 335, 339,

Piaton 41, 82, I 0 4 f . , 107, 1 1 0 , 132,

341, 347 M y s t i k 44, 130, 2 1 7

135—137, 144, 146, 147, 150, 1 6 1 , 229, 268f., 275, 361 Piatonismus 82, 96, 1 0 3 - 1 1 2 , 1 1 4 ,

N a c h a h m u n g / N a c h f o l g e 101, 1 0 3 - 1 3 1 , 259, 265, 271

1 1 6 , 1 1 8 , 120, i 2 9 f . , 132, 13 5—1 3 7, 144, 146, 147, 150, 1 6 1 ,

N a t u r siehe K o s m o s

185, 218, 229f., 23of-, 275, 289,

N e g a t i v e T h e o l o g i e 184, 339, 342,

344, 361

343 N e m e s i u s v o n Emesa 145 Nestorianismus 164 N i z ä a (Konzil 325) 165, 166, 1 7 1 , 173 N o t w e n d i g k e i t siehe Freiheit

Plotin 1 1 4 , 1 1 8 , i 2 9 f . , 132, H o f . , i 4 4 f . , 225, 275 P n e u m a 18, 19, 31, 3 6 - 4 5 , 7 4 - 9 7 , 99, 100, 102, 104, 108, 1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 7 , 1 2 1 , 123, 128, 133, 134, 139, 1 4 0 - 1 4 4 , 147, 152, 1 5 5 - 1 5 8 , 159,

N o v a t i a n 40, 78

1Ö0, 165—179, 180, 184, 186, 199,

N u m e n i o s 137

203, 215, 218, 219, 221, 223, 225, 227, 229, 230, 231, 233, 249, 263,

O f f e n b a r u n g 47, 94, 120, 133, 1 5 1 , 233, 285, 337, 355, 357 O i k o n o m i a (oikonomia) siehe G e schichte O r d n u n g siehe K o s m o s Origenistische Streitigkeiten 162-187 Orphik I36f.

269, 270, 273, 275, 276, 289, 301, 309, 323, 327, 347, 349, 359, 360, 361, 363 P n e u m a t i k e r siehe e i n f a c h e / v o l l k o m m e n e Christen Porphyrius 1 1 Poseidonios 41 Prädestination 47, 65—74 Präexistenz 7 1 , 109, 218, 229, 230

Palästina 4, 12, 39, 50, 53, 94, 168, 170, 186 Pamphilus 4, 6, 7, 8, 9, 10, 1 1 , 12, 21, 174, 183, 288, 309, 3 1 1 Paulus 7, 9, 53, 54, 66, 80, 103, 107,

Prinzip siehe A n f a n g Proklos 132 P r o k o p v o n Gaza 164 P r o p h e t i e / P r o p h e t e n 8, 43, 44, 47, 7 1 , 90, 105, i i 8 f . , 123, 156, 207,

1 1 2 , 1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 5 , 11Ö, 153, 167,

215, 223, 243, 266, 281, 283, 287,

185, 195, 197, 2 1 1 , 235, 237, 243,

293, 301, 314, 325, 329, 331, 353,

259, 266, 267, 269, 281, 283, 305, 3 1 1 , 327, 329, 333, 335, 337, 339, 341, 343, 347, 351, 355, 359, 363

359 Pseudo-Aristoteles 136, 137

3. Namen und Sachen

Pseudo-Athanasius 166 Pseudo-Didymus 167 Pythagoreismus 41 Qumran 43, 50, 61 Rabbinische Literatur 38, 5 1 , 83 Reinigung 9, 25, 38, 42, 99, 1 0 1 , 1 1 3 , 1 1 9 , 122, 1 2 5 , 127, 1 5 1 , 1 5 3 f . , 159, 170, 203, 205, 238f., 245, 255, 2 6 1 , 264, 2 7 1 , 3 0 1 , 323, 324, 325, 327, 329, 335 R o m 30, 167, 168, 176, 188, 322 R u f m u s von Aquileja 5, 9, 10, 1 2 , 26, 34, 75, 76, 95, 1 7 1 , 172, 1 7 4 - 1 7 9 , 188, 189, 200, 321 Rupert von Deutz 190 Schau (theoria) siehe Gottesschau/ Gotteserkenntnis Schicksal siehe Freiheit Schöpfung siehe Kosmos Seele 7 - 9 , 9 8 - 1 3 1 , 1 3 2 , 1 3 4 - 1 3 7 , 1 4 7 - 1 5 5 , 158, 159, 179, 195, 203, 227, 239, 265, 267, 268f., 2 7 1 , 275, 277, 279, 282f., 285, 287, 289, 2 9 1 , 309, 3 1 1 , 325, 329, 3 3 1 , 335, 337, 345 — Fall iog(., 1 1 7 , 1 1 8 , 124, 128, 130, 1 3 5 , 152, 159, 253, 2 7 5 f . — Hegemonikon/Herz 109, 1 1 2 , 124, 208f., 2 1 7 , 245, 257, 263, 2 7 1 , 273, 275, 277, 289, 295, 303 — Seele Jesu 7 L , 95, 143, 1 5 2 , 353 Septuaguinta 5, 1 5 , 16, 1 7 , 18, 36, 38, 40, 4 1 , 5 1 , 52, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 67, 75, 76, 94, 95, 96 Sibyllinische Weissagungen 64 Sohn (Gottes) 14, 18, 19, 42, 43, 55, 58, 74, 7 5 - 9 7 , 99, 100, 104, 1 1 0 , 1 1 1 , 1 1 2 , 1 1 3 , 128, 132—144, 147—160, 165—179, 180, 184, 186,

399

203, 209, 2 1 1 , 2 1 3 , 2 2 1 , 223, 232, 233, 243, 264f., 309, 323, 327, 339, 349, 359, 361, 363, 3^5 Sokrates 2 1 , 247 Stoa 1 1 9 , 229 Strafe 10, 43, 48f., 50, 53, 65f., 69f., 100, 1 1 5 , 154, 1 5 7 , 2 2 1 , 2 3 1 , 238f., 257, 262f. Subordinatianismus 87, 187 Substanz/substantiell 8, 44, 81, 82, 84, 1 2 1 , 142, 148, 149, 1 5 3 , 158, 2 2 1 , 360 Sünde 9, 10, 25, 4 1 , 42, 44, 50, 65, 100, 1 0 1 , 109, 1 1 5 — 1 1 8 , 1 2 1 , 1 3 1 , 1 5 1 , 152, 1 5 3 , 195, 196, 197, 2 0 1 , 203, 207, 2 2 1 , 223, 235, 237, 238, 239, 245, 247, 249, 2 5 1 , 255, 2 6 1 , 262f., 2 7 1 , 273, 274, 275, 277, 281, 295, 297, 3 1 1 , 323, 325, 327, 329, 3 3 1 , 335, 337, 360, 365 Symbol 35, 4 1 - 4 4 , 75—77, 81 f., 92f., i o o £ , 1 1 5 , 1 1 7 , i 2 4 f . , 159, 195, 359 Symmachus 5, 18, 5 1 , 52, 323, 325, 327, 329 Syrische Didaskalie 64, 73, 74 Targum 50, 57, 61 Tatian 1 1 , 230 Taufe 43, 100, 157, 247, 286 Täuschung siehe Lüge Teilhabe 7, 8, 103—131, 143, 146, 147, 149, 1 5 1 , 156, 1 5 7 , 158, 159, 160, 1 7 3 , 174, 186, 2 3 2 f . , 235, 247, 265, 2 8 1 , 309, 3 1 1 , 347, 359, 360, 3 6 1 , 363 Tertullian 1 1 , 40, 43, 44, 49, 64, 65, 73, 78, 205, 207, 225, 226 Teufel 103, 1 1 5 , 122, 1 3 1 , 1 3 5 , 157, 1 7 9 > 239, 250, 2 5 1 , 2 8 1 , 295, 297, 298, 299 Theodor von Heraklea 163 Theodoret von Cyrus 64, 164, 232

400

Register

Theodotion 5, 17, 18, 51, 323, 325, 327, 329 Theophilus von Alexandria 82, 1 7 9 - 1 8 7 , 330-365

Tod 135, 195, 197, 235, 2 5 1 , 277, 281, 303, 309, 3 1 1 , 327, 331, 337

Transzendenz 107, 132, 144, 206, 349 Trinit'át 30, 74, 75, 76, 77, 79, 82, 83,

vollkommene Christen siehe einfache Christen Vollkommenheit 67f., 103—131, 132, 133, i 4 o f . , 150, 152, I 5 9 f . , 221, 233, 281, 343

Vorsehung siehe Geschichte Wahrheit 57, 65, 92, 115, 117, 101, 110, 1 1 9 , 124—126, 1 4 1 , 149, 183,

84, 85, 87, 89, 93, 102, 104,

219, 221, 243, 262f., 265, 2 7 1 ,

140—158, 160, 165—170, 1 7 1 , 197,

277, 279, 283, 285, 287, 291, 293,

199, 201, 203, 225, 226, 227, 229,

299, 304f., 309, 327, 333, 337,

231, 233, 327

Tugend 41, 70, 107, 112, 113, i2of., 123, 1 58, 227, 275, 282

Typos 76, 81 f., 93, 100, 267, 297

348 fWahrsagerei 35f., 102, 285, 28öf., 291, 293

Weg 81, 101, 104, 122, 127, 128, 130, 1 3 1 , 144, 153, 154, 160,

Ursprung siehe Anfang Usija 99, 113, 115, 116, 120, 121,

208 f., 2ö4f., 271, 279, 291 W e i s h e i t (sophia) 8, 38, 39, 41, 44,

123, 129, 134, 164, 182, 194, 195,

91, 1 1 1 , 1 1 2 , 139, 143, 148, 149,

197, 208, 235, 237, 245, 249, 2 5 1 ,

1 57> 1 $ 8 ,

330, 331, 333, 335, 337

227, 231, 243, 273, 281, 303, 343,

172, 219, 221, 223, 225,

345 Valentin 78 Vallarsi, Domenico 18, 177, 189 Vater (Gott Vater) 42, 55, 71, 77, 78, 83, 87, 9 i f . , 99, 100, 104, 1 1 0 - 1 1 2 , 1 1 3 , 122, 124, 1 3 2 - 1 6 1 , 1 6 5 - 1 7 0 , 1 7 1 f., 174, 201, 203, 207, 2 1 7 , 227, 229, 233, 243, 244f., 265, 283, 285, 287, 293,

W e l t s e e l e 125, 136—139, 144—147 W i e d e r e r i n n e r u n g (anámnesis) 105, 110

Willensfreiheit siehe Freiheit Wissen siehe Gottesschau/Gotteserkenntnis Wunder 71, 101, 102, 121, i3of., 269, 270, 2 7 1 , 285, 287

309, 327, 339, 349, 351

Vaterunser 99, 147, 148, 201 V e r s t o c k u n g 45—74, 101, 1 1 5 — 1 1 9 , 126, 128, 145, 1 5 1 , 159, 257, 263, 2 7 1 , 273, 275, 277, 279, 301, 303

Victorinus von Pettau 37, 40, 162

Z i e l / Z w e c k siehe Ende Zion 3 7f., 102, 130, 225, 284, 285, 294, 295, 297, 351