Werke 3 : Rezensionen – Briefe 3530656534

Übersetzt von Richard Kruse, Friedrich Polakovics, Arno Schmidt, Ursula Wernicke und Hans Wollschläger. Diese vierbänd

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German Pages [893] Year 1973

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Werke 3 : Rezensionen – Briefe
 3530656534

Table of contents :
Umschlag
Titel
Impressum
Inhaltsübersicht
VORWORT
REZENSIONEN
BRIEFE
ANMERKUNGEN
INHALTSVERZEICHNIS

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POE WERKE III

REZENSIONEN BRIEFE WALTER

EDGAR ALLAN POE

WERKE HERAUSGEGEBEN VON KUNO SCHUHMANN

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EDGAR ALLAN POE WERKE III REZENSIONEN

BRIEFE DEUTSCH VON RICHARD KRUSE, FRIEDRICH POLAKOVICS,

ARNO SCHMIDT, URSULA WERNICKE UND HANS WOLLSCHLÄGER

WALTER-VERLAG

OLTEN UND FREIBURG IM BREISGAU

MCMLXXII1

ALLE RECHTE AN DIESER AUSGABE VORBEHALTEN

© WALTER-VERLAG AG OLTEN, I973 SATZ: ELGRA AG, BERN/ZÜRICH

DRUCK UND EINBAND; WERKSTÄTTEN DES WALTER-VERLAGS

PRINTED IN SWITZERLAND ISBN 3-53O-65655-4

INHALT DES BANDES

VORWORT

REZENSIONEN BRIEFE ANMERKUNGEN

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

Unvorhersehbare Ereignisse zwangen dazu, das seit langem angekündigte Erscheinen dieses Bandes mehr­ fach zu verschieben. Hans Dieter Müller, Mitheraus­ geber der beiden ersten Bände, wandte sich anderen Aufgaben zu und schied schließlich ganz aus dem Unternehmen aus. Der verbleibende Herausgeber über­ nahm ebenfalls einen neuen Tätigkeitsbereich und konnte sich nicht mehr mit gleicher Intensität der be­ gonnenen Aufgabe widmen. Auch bei den Übersetzern ergaben sich einschneidende Veränderungen. Den größ­ ten Teil der Essays und Rezensionen hatte Rolf Dorn­ bacher übernommen; sein Tod riß eine schmerzliche Lücke, auch für dieses Projekt - sie konnte erst nach längerer Zeit geschlossen werden. Gedankt sei hier denen, die zur Mitarbeit an einem Unternehmen bereit waren, auf dessen Anlage sie keinen Einfluß mehr haben konnten. Herausgeber und Verlag hoffen, daß trotz dieser Veränderungen das Niveau, das die Kritiker den beiden ersten Bänden freundlicherweise bestätigten, beibehalten werden konnte. Eintgegen den ursprünglichen Intentionen umfaßt der jetzt vorgelegte dritte Band nicht die Gedichte und Essays; diese werden in einem vierten und letzten Bande vorgelegt. Der Verlag entschloß sich zu dieser Umdisposition, um ohne weitere Verzögerungen ein vom Herausgeber als wünschenswert betrachtetes Re­ gister zu ermöglichen, das die Gesamtausgabe erschlie­ ßen soll. In der Virginia Edition, die auch für diesen Teil unserer Ausgabe als Vorlage diente, nehmen die kritischen Schriften neun Bände ein. Die'seitdem mit einiger 7

Sicherheit identifizierten Texte würden weitere Bände füllen. Die umfassende, kritisch abgesicherte und in jedem Detail zuverlässig kommentierte Poe-Ausgabe bleibt weiterhin ein Desideratum. Eine Ausgabe von Übersetzungen jedoch wird sich sinnvoller Weise mit einer Auswahl zufriedengeben müssen. Problematisch sind dabei natürlich die Kriterien. Nach Ansicht aller Beteiligten (der Herausgeber und der Übersetzer der beiden ersten Bände), kam nicht eine Auslese der besten Arbeiten in Frage, sondern eine für das Ganze repräsentative Auswahl. Wir versuchten das Ziel dadurch zu erreichen, daß jeder der Beteiligten aus seiner Kenntnis heraus einige Vorschläge machte. Grundsätzlich aufgenommen wurden dann die Texte, die von der Mehrheit vorgeschlagen worden waren, darüber hinaus andere, wenn sie das so entstehende Bild abrundeten oder wichtige Aspekte stärker hervor­ hoben. Die letzte Entscheidung (und also auch die Verantwortung) lag beim Herausgeber dieses Bandes. Bei den im vierten Bande vorzulegenden Essays konn­ ten wir aufgrund der geringeren Quantitäten groß­ zügiger verfahren und sogar einige Texte aufnehmen, die bisher in keiner Ausgabe zu finden sind. Vielleicht kann auch dieses Ergebnis unserer Bemühun­ gen helfen, das einseitige Bild, das man sich gemeinhin von Poe macht, zu korrigieren. Es zeigt den Journa­ listen, der nicht nur Buchrezensent sondern Kritiker in einem anspruchsvolleren Sinn sein wollte. Als Redak­ teur wichtiger Zeitschriften hatte er engen Kontakt zur laufenden literarischen Produktion. Vieles von dem, was in seine Hände’ gelangte, war notwendig Tages­ ware, die dann aus unterschiedlichen Gründen doch besprochen werden mußte. 8

Sei es, daß eine Zeitschrift wie The Southern Literary Messenger sich programmatisch um die Förderung der Literatur einer bestimmten Region bemühte; sei es die Rücksicht auf den Geschmack jenes Publikums, das durch Abonnements die Zeitschriften trug, oder schließ­ lich die Rücksicht auf unbedeutende, aber gefeierte Autoren, die der Redakteur zur Mitarbeit an seiner Zeitschrift zu gewinnen hoffte oder von denen er sich Förderung seiner eigenen literarischen Arbeiten ver­ sprach. Poe hat alle diese Zugeständnisse gemacht. Sein Erfolg als Redakteur beruht auch auf solcher Taktik und organisatorischem Geschick. Aber unberührt davon profilierte er sich schon in seinen Anfängen als Kritiker, der ästhetische Urteile fällte und im Zweifelsfall alle Taktik beiseiteließ (durchaus zum eigenen Nachteil). Die Intensität, mit der er Machwerke vorstellte und verriß, erklärt sich auch aus der Kritiklosigkeit der Durchschnittsleser. Indem er aus der Spreu des Zeit­ genössischen die wenigen Körner heraussiebte, ver­ suchte er ein Bewußtsein dafür zu wecken, daß Literatur ihrer Eigenart nach nicht der Unterhaltung, der bloßen Abbildung oder der Stärkung von Gruppen- und Natio­ nalinteressen verpflichtet ist sondern dir Kunst. Die historische Notwendigkeit dieses oft hoffnungslos er­ scheinenden Unterfangens bestätigte James Russell Lowell 1845 in seiner Kurzbiographie Poes: «Um eine amerikanische Literatur bekommen zu können, brau­ chen wir zunächst eine amerikanische Kritik.» Die rigorose Befragung der sprachlichen und ästhetischen Qualitäten eines Textes rückt Poe in die Nähe der Literaturkritik des 20. Jahrhunderts. Die Auswahl konnte deshalb nicht auf solche Autoren und Werke beschränkt bleiben, die die Zeiten über9

dauert haben. Die Begegnung mit dem bereits Verges­ senen vermittelt, so ist zu hoffen, auch eine Vorstellung jenes literarhistorischen Kontextes, in dem Poes eigenes Werk entstand. Das und die Auseinandersetzung mit Poes kritischen Methoden dürften ertragreicher sein als die Nachprüfung, ob sein Urteil in jedem Einzelfalle richtig ist. Repräsentativ möchte die Auswahl auch darin sein, daß sie Überschneidungen und Wiederholungen nicht re­ tuschiert. Poe hat sich oft wiederholt. Der Zeitzwang journalistischen Schaffens ließ es nicht zu, bei jeder Besprechung einen originellen. Ansatz zu finden; die mindere Qualität vieler Werke hätte solchen Aufwand auch nicht gerechtfertigt. Und andererseits nutzte Poe jede Gelegenheit, die dubiose Praxis seiner Zeitgenos­ sen durch Berufung auf die immer gleichen zuverläs­ sigen Kriterien und Kategorien stets neu zu enthüllen und ihre Aussagen zu widerlegen. Die Auswahl aus den Briefen soll diesen Teil seines Werkes ergänzen, indem sie die enge Verflechtung von literarischer Produktion, ökonomischen Zwängen und persönlichen Qualen herausstellt und damit genauer aufweist, was im Biogramm des ersten Bandes nur knapp umrissen werden konnte. K.S.

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EURIPIDES

Diese drei Bände, die den ganzen Euripides enthalten, gehören zu einer Reihe, in der zuvor bereits Äschylus und Sophokles erschienen sind. Ein flüchtiger Blick auf das Werk wird uns zwar nicht instandsetzen, ein Urteil über den Wert dieser Übersetzungen abzugeben. Aber der Name Potter steht in hohem Ansehen, und wir haben keinen Grund zu der Annahme, er könne seine Aufgabe weniger gut ausgeführt haben als sonst einer unter den Lebenden. Daß freilich diese oder irgendeine poetische Fassung dem Durchschnittsleser auch nur die entfern­ teste Vorstellung vom Stil, vom Geist oder von der Bedeutung der griechischen Dramatiker vermitteln könnte, will Mr. Potter uns nicht glauben machen, und selbst wenn er es wollte, würden wir es ihm nicht abnehmen. Auf jeden Fall ist es zu begrüßen, daß gegenwärtig jeder Liebhaber der Klassiker für wenig mehr als drei Dollars sich die vollständigen Über­ setzungen der drei größten antiken griechischen Tragö­ diendichter zulegen kann. Obschon wir selbst glühende Bewunderer der helle­ nischen Literatur sind, begeistert uns Euripides doch nicht. Verglichen mit manchen Modernen ist er wahrlich groß; hinter seinen unmittelbaren Vorgängern aber steht er entschieden zurück. «Er ist vortrefflich», sagt ein deutscher Kritiker, «wo der Gegenstand hauptsäch­ lich auf Rührung führt und keine höheren Anforde­ rungen macht; noch mehr, wo das Pathos selbst sittliche Schönheit verlangt. Wenige seiner Stücke sind ohne hinreißend schöne einzelne Stellen, Überhaupt ist die Meinung keineswegs, ihm --däs erstaunliche Talent 3

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abzusprechen; nur wird behauptet, es sei nicht mit einem die Strenge sittlicher Grundsätze und die Heiligkeit religiöser Gefühle über alles ehrenden Gemüte gepaart gewesen.» Leben, Wesen und charakteristische Eigenschaften des antiken griechischen Dramas zeigen sich in drei Faktoren. Erstens in der beherrschenden Idee vom Schicksal oder Fatum. Zweitens im Chor. Drittens in der Idealität. Doch bei Euripides bemerken wir nur den Niedergang und Verfall dieses Dramas, und die drei erwähnten beherrschenden Züge sind bei ihm kaum noch wahrnehmbar oder nur in ihrer Perversion. Was zum Beispiel bei Sophokles und noch ausgeprägter bei Äschylus als dunkler und furchterregender Geist der Notwendigkeit und gegen die Katastrophe ihrer Dra­ men hin bisweilen in herabgemilderter Form als unsicht­ bare, doch nicht unspürbare Hand einer gütigen Vorsehung oder eines übermächtigen Gottes am Werke ist, wird in der Handhabung des Euripides zum blinden Zufall oder zum launischen Geschick. Damit vergibt er unzählige jener Gelegenheiten, die seine großen Rivalen so wirkungsvoll zu nutzen wußten, seine Helden in einen fortwährenden Kampf gegen die Willkür und die Schrecken des Schicksals zu stellen und sie auf über­ natürliche und idealische Weise zu sittlicher Größe zu erheben. Weiter: der Chor, den die Modernen anscheinend nie recht verstanden haben - der Chor des Euripides ist leider nicht der Chor seiner Vorgänger. Eine Zeitlang hat man völlig grundlos gemeint, dieser singuläre oder zumindest scheinbar singuläre Zug des griechischen Dramas habe einzig verhindern sollen, daß die Bühne

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zu irgendeinem Augenblick völlig leer war. Nun war aber der Chor nie auf der Bühne. Gewöhnlich hielt er sich in der Orchestra auf, wo er auch die feierlichen Tänze aufführte und während der Chorgesänge auf und ab schritt. Und wenn er nicht sang, war sein Platz auf der Thymele, einer altarähnlichen Erhöhung mit Stufen, vor der Orchestra, ebenso hoch wie die Bühne und der Szene gegenüber, eben im Zentrum des ganzen Baues und also der Punkt, aus dem der Halbkreis des Amphitheaters beschrieben war. Die meisten Kritiker jedoch haben sich über den Chor einfach lustig gemacht. Sie tadelten ihn als eine überflüssige und lästige Begleitung, stießen sich an die vermeinte Unschicklich­ keit, daß so manches Geheime in Gegenwart einer so großen Menschenmasse verhandelt wird; endlich glaub­ ten sie, der Chor sei in den Ursprüngen der Kunst entstanden und einfach aus Laune oder Zufall bei­ behalten worden. Sophokles jedoch hat eine Abhand­ lung über den Chor geschrieben und dargelegt, warum er ihn beibehielt. Aristoteles sagt wenig über den Chor, und dies wenige bietet keinen Hinweis auf seine tatsäch­ liche Bedeutung oder seinen Zweck. Horaz hält ihn für «eine allgemeine Stimme sittlicher Teilnahme, Beleh­ rung und Warnung», und diese Ansicht, die offenbar richtig ist, hat Schlegel übernommen und in einiger Ausführlichkeit kommentiert. Öffentlichkeit galt den Griechen, ihrer republikanischen Lebens- und Denkart zufolge, als absolutes Erfordernis jeder ernsten und gewichtigen Handlung. Ihre dramatische Dichtung machte sich dieses Empfinden zu eigen und wurde damit zum Darstellungsmittel eines Geistes bewußter Unab­ hängigkeit. Der Chor verlieh der dramatischen Hand­ lung Wahrscheinlichkeit und war mit einem Wort der 15

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idealische Stellvertreter der Zuschauer. Er stand für den Geist der Nation, und er verkörperte die allgemeine Anteilnahme des Menschengeschlechts an dem auf der Bühne vor sich gehenden Geschehen. Das war seine weitestgespannte und eigentliche Aufgabe, doch hatte er auch andere Funktionen, weniger erhaben und eher in Übereinstimmung mit dem Geist unseres eigenen Melodramas. Der Chor des Euripides aber war nicht der echte und unverfälschte Chor der reinen griechischen Tragödie. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Euripides seine ganze Pracht und Macht nie recht erkannt oder auch nur je ernsthaft über ihn nachgedacht hat. Er hat keine Skrupel, die Parabase in seine Tragödie aufzu­ nehmen1 - eine Freiheit, die zwar dem Geist der Komödie angemessen, im ernsten Drama aber völlig fehl am Platze war und ausgesprochen albern gewirkt haben muß. An einigen Stellen, so in den Danaiden, ließ er einen aus Frauen bestehenden Chor grammatische For­ men gebrauchen, welche allein dem männlichen Ge­ schlecht zustehen.

Zur Idealität des griechischen Dramas genügen einige wenige Worte. Zu unterscheiden ist zwischen der Ideali­ tät der Auffassung und der Idealität der Darstellung. Charakter und Verhalten waren niemals der Charakter und das Verhalten des täglichen Lebens, sondern deut­ lich darüber erhoben. Würde und Größe umgaben jede Person auf der Bühne - eine Würde freilich, die mit der besonderen Stellung der Person übereinstimmte, und eine Größe, die niemals über die der Person zugewiesene 1 Die Parabase war das dem Chor zugestandene Vorrecht, in eigenem Namen die Zuschauer anzusprechen.

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Rolle hinausging. Das war die Idealität der Auffassung. Der Kothurn, die Maske, die üppigen Gewänder, alles so verfertigt und arrangiert, daß die Körper größer erschienen; die szenische Illusion einer Natur, anders und umfassender als die unsere, insofern tatsächliche Geschehnisse zur Unterstützung der Kunst heran­ gezogen wurden - das alles bildete andererseits die Idea­ lität der Darstellung. Doch obwohl bei Sophokles und mehr noch bei Äschylus Charakter und Ausdruck diesem Ideal und der edlen Erhabenheit dienstbar gemacht und untergeordnet wurden - bei Euripides ist stets das Gegenteil der Fall. Seine Helden werden den Zuschauern als ihresgleichen vorgestellt, und weit entfernt davon, seine Menschen zur Erhabenheit von Gottheiten empor­ zuheben, erniedrigt er seine Gottheiten meist zu überaus würdelosen und abstoßenden Kreaturen von irdischem Zuschnitt. Doch weit besser als mit weiteren eigenen Bemerkungen können wir unsere Ansicht über Euripides mit den Worten August Wilhelm Schlegels zusammen­ fassen : «So hat dieser Dichter zugleich das innere Wesen der Tragödie aufgehoben und in ihrem äußeren Bau das schöne Ebenmaß verletzt. Er opfert meistens das Ganze den Teilen auf, und in diesen sucht er wiederum mehr fremde Reize als echte poetische Schönheit.»

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THEODORE SEDGWICK FAY: NORMAN LESLIE

Fürwahr! - da haben wir es! Es ist das Buch - das Buch par excellence - belobigt, bepriesen und \se-Mirror-t; das Buch, «zugeschrieben» Mr. Blank und «dem Vernehmen nach aus der Feder» von Mr.***; das «im Erscheinen begriffen» - «im Druck» - «in der Entwicklung» - «in Vorbereitung» - und «am Herauskommen» war: das Buch, voll «Anschaulichkeit» von vornherein, - «talen­ tiert» apriori - und Gott weiß was in prospectu. Um alles Preisens, Preisenden und Preisens werten willen - werfen wir doch einen Blick auf seinen Inhalt! Norman Leslie, geneigter Leser, eine Erzählung aus unseren Tagen, ist, letzten Endes, von niemand anderem auf Erden verfaßt worden als von Theodore S. Fay, und Theodore S. Fay ist niemand anders als «einer der Redak­ teure des New York Mirror». Das Buch beginnt mit einer Widmung an Colonel Herman Thorn, worin jener ehrenwerte Mensch, wer immer er sein mag, in einem runden Dutzend Zeilen der Bewunderung des Publi­ kums als «gastfrei», «generös», «aufmerksam», «wohl­ wollend», «gutherzig», «liberal», «hochgeschätzt», und überdies als «Förderer der Künste» empfohlen wird. Doch je weniger hiervon, desto besser. Im Vorwort unterrichtet uns Mr. Fay, daß sich die be­ deutendsten Züge dieser Erzählung auf Tatsächliches gründen - daß er sich gewisser poetischer Freiheiten bedient - daß er Charaktere verändert habe, und ins­ besondere den Charakter einer jungen Dame (o pfui, Mr. Fay - o, Mr. Fay, pfui!) - daß er gewisse Eigenheiten mit boshafter Hand gezeichnet - und daß die Kunst des Romanschreibens so würdig sei wie die Kunst eines 18

FAY: NORMAN LESLIE

Canova, Mozart oder Raffael - was uns den Schluß nahe­ legt, Mr. Fay selbst sei so würdig wie Raffael, Mozart und Canova zusammen. Hat er uns so von der Haupt­ sache überzeugt, fährt er fort und spricht von einem demütigen Schüler, der mit unsicherer Hand Komposi­ tionen auf eine Leinwand wirft und dabei hinter einem Vorhang steht. Und dann, nach all diesen Impertinenzen, hält er es für richtig, «freiweg die Nachsicht der ernsten und weisen Kritiker zu erbitten». Beim Bacchus! wir jedenfalls sind weder ernst noch weise und fühlen uns daher ganz und gar nicht veranlaßt, ihm auch nur den Schatten von Gnade zu erweisen. Doch kann uns jemand sagen, was Vorworte im allgemeinen, und damit Mr. Fays Vorwort, eigentlich sollen? Soweit wir die Handlung von Norman Leslie begreifen, geht es um dies: Eine gewisse Familie residiert in Italien - «unabhängig», «vorurteilsfrei», «liebenswert», «glücklich» - wie das so ist. Ihre Villa steht selbstredend an der Küste, und das ganze Ambiente ist, wie uns versichert wird, eine «himmlische Szenerie», usw. Mr. Fay sagt, er wolle gar nicht erst versuchen, sie zu be­ schreiben- warum dann wir ? Eine Tochter dieser Familie ist neunzehn, als sie ein junger Neapolitaner umwirbt, Rinaldo, von «geringer Herkunft, aber von großer Schönheit und Begabung». Der Liebhaber wird, als Mensch verdächtigen Charakters, von den Eltern ab­ gewiesen, und eine heimliche Heirat ist die Folge. Der Bruder der Dame stellt dem Bräutigam nach - sie fech­ ten - und ersterer wird getötet. Vater und Mutter sterben (es ist unersichtlich, wozu sie jemals lebten), und Rinaldo flieht nach Venedig. In dieser Stadt mit ihrem Gatten wieder vereinigt, entdeckt die Dame (denn Mr. Fay hat sie einer genaueren Benennung'nicht gewürdigt) erst-

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mals den Schurken in ihm. Eines schönen Tages gibt er seine Absicht kund, Frau und Sohn auf unbestimmte Zeit zu verlassen. Die Dame fleht erst, dann droht sie. «Dies war», so sagt sie in einem Brief zum denouement der Erzählung, «die erste Entfaltung jenes Charakterzugs, der, wie weder er noch ich wußten, in meinem Wesen lag. Da regte sich zum ersten Male der Basilisk in mir. (Guter Gott, eine Schlange im Bauch einer Dame!) Er blickte mich ungläubig an und lächelte kalt. Sie kennen jenes Lächeln - die Sinne schwanden mir!!!» Ach! Mr. Davy Crockett - Mr. Davy Crockett, ach! - Ihr seid restlos geschlagen, seid hin und erledigt. Ihr konntet zwar ein Eichhörnchen vom Baum heruntergrinsen, aber es überstiege selbst Eure außerordentlichen Fähigkeiten, eine Dame in Ohnmacht zu lächeln! «Als mein Bewußtsein wiederkehrte» - fährt die Dame fort - «war er hinweg. Erst nach zwei Jahren konnte ich ihn aufspüren. Und dann entdeckte ich, er hatte sich nach Amerika davongemacht. Im tiefen Winter folgte ich ihm - ich und mein Kind. Ich kannte den Namen nicht, den er angenommen hatte, aber ich war sprachlos vor Staunen, als ich in Ihrer prächtigen Stadt, umgeben von netten Damen, die Gestalt meines Gatten erblickte, noch immer schön und noch immer anbetenswert. Das Ende kennen Sie.» Da jedoch unsere Leser nicht so wohl unterrichtet sein dürften wie der Briefpartner der ver­ lassenen Schönen, wollen wir sie durch einige weitere Einzelheiten aufklären. Rinaldo hatte sich, nach dem Verlassen seiner cara sposa, nach New York eingeschifft, wo er, unter dem Namen des «Grafen Clairmo'nt aus der französischen Armee» Furore machen konnte oder, zutreffender gesagt, unter den beaux und beiles der Stadt Gotham eine Sensation 20

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hervorrief. Eine schöne Dame und reiche Erbin, Miss Flora Temple, beehrt er besonders mit seinen Aufmerk­ samkeiten, und die Mutter der Dame, Mrs. T., von dem Gedanken befeuert, ihre Tochter als echte Gräfin zu sehen, fördert skrupellos seine Avancen. So stehen die Dinge, als die Gattin des Abenteurers in New York eintrifft und recht bestürzt ist, eines verschneiten Tages ihren geliebten Rinaldo die Straßen New Yorks auf und ab schlittenfahren zu sehen. Ihrer Sinne kaum mächtig, läuft sie eben Gefahr, von einigen Pferden überrannt zu werden, als ihr eine gewisse Persönlichkeit namens Nor­ man Leslie - die jedoch mit gleichem Recht auch Sir Charles Grandison heißen könnte - zu Hilfe eilt, im Nu sie samt Kind zurückreißt und sie damit, wie Mr. Fay es sieht, «aus den Klauen des Todes rettet» - worunter wir die Hufe der Pferde verstehen müssen. Der Dame schwinden selbstverständlich die Sinne - sie wacht wie­ der auf - und ist dann äußerst dankbar. Ihre Dankbarkeit, die im Augenblick zu nichts nütze ist, wird allerdings für spätere Verwendung auf Flaschen gezogen und dürfte, nach bewährtem Brauch in solchen Fällen, zwei­ fellos gegen Ende des zweiten Bandes ins Spiel kommen. Doch wir werden sehen. Nachdem sie die Adresse Rinaldos, alias Graf Clairmont, ermittelt hat, gelingt es der Dame am nächsten Morgen, eine Unterredung herbeizuführen. Dann folgt eine wei­ tere Auflage von Bitten und Drohungen, doch zum Glück für Mrs. Rinaldos Nerven ist der Graf bei dieser Gelegenheit so zurückhaltend, nicht in ein Lächeln zu verfallen. Sie bezichtigt ihn der Absicht, Miss Temple zu ehelichen, und er unterrichtet sie, das gehe sie nichts an: sie sei nicht seine Gattin und ihre Trauung nur vorgespiegelt gewesen. «Sie hätte ihn am liebsten in der 21

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ganzen Stadt als Schurken verschrien» (wie verstaubt! sie hätte es annoncieren sollen), doch er schwört, wenn sie das tue, werde er nicht ruhen, bis er die Dame samt ihrem Kind umgebracht habe; welche Versicherung die Debatte beendet. «Dann gesteht er,» - so Mrs. Rinaldo in dem zuvor zitierten Brief- «seine Leidenschaft für Miss Temple sei nur eine Maske - er liebe sie nicht. Alich, sagte er, liebe er. Er habe die Absicht zu fliehen, wenn er eine bedeutende Summe Geldes beschaffen könne, und ich, so erklärte er, solle seine Gefährtin sein.» Seine Pläne mit Miss Temple schlagen freilich fehl - die Dame gibt dem Schurken sehr zurecht den Laufpaß. Durch dieses Mißgeschick alles andere als entmutigt, setzt unser Graf dazu an, eine gewisse Rosalie Romain zu umbalzen, und zwar mit etwas besserem Erfolg. Er bewegt sie zur Flucht und dazu, eine Anzahl von Diamanten mitzu­ nehmen, die, wie ihr Liebhaber hofft, seinen Bedürf­ nissen genügen. Auch bringt er es fertig, Mrs. Rinaldo (mangels eines besseren Namens müssen wir sie so nen­ nen), in seine Anschläge zu verstricken. Nun hat es sich begeben, daß seit einiger Zeit vor diesen Ereignissen Clairmont und Norman Leslie, der Held des Romans, geschworene Feinde sind. An dem für das Entschwinden Miss Romains vorgesehenen Tag veran­ laßt jene junge Dame Mr. Leslie, sie in einem leichten Wagen ein Stück vor die Stadt zu fahren. Dort treffen sie keine Geringere als Mrs. Rinaldo persönlich, die in einem anderen Wagen (o du Schmach!) sola durch die Wälder fährt. Da verläßt Miss Rosalie Romain höchst entschlos­ sen, und zweifelsohne zum großen Erstaunen Mr. Les­ lies, den Wagen des Herrn und steigt in den Mrs. Rinal­ dos. So ist der Knoten geschürzt! wie Vapid in dem Stück sagt. Unser Freund Norman wendet sich in der 22

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Überzeugung, damit das bestmögliche zu tun, wieder gen New York, wo er ohne weiteres Zwischenspiel und Abenteuer eintrifft. Spät am selben Abend schickt Clairmont die Damen an Bord eines Schiffes, das am nächsten Morgen nach Neapel auslaufen soll - und kehrt seiner­ seits zunächst in sein Hotel am Broadway zurück. Doch hier zieht ihm Mr. Leslie mit der Reitpeitsche eines über - als Quittung für gewisse verunglimpfende An­ deutungen bezüglich seines Charakters. Das aber paßt Herrn C: ganz und gar nicht, er sinnt auf Rache, und dafür bietet sich ihm nichts Besseres an, als den Verdacht der Öffentlichkeit auf Mr. Leslie als den Mörder Miss Romains zu lenken - deren Verschwinden bereits erheb­ liche Aufregung verursacht hat. Er schickt Mrs. Rinaldo eine Nachricht, das Schiff müsse ohne ihn abgehen, er werde ein französisches Fahrzeug benützen und sie bei ihrer Landung in Neapel treffen. Dann wirft er einen befiederten Hut Miss Romains in einen Bach und «ver­ liert» ihr Taschentuch im Wald - wonach er noch einige Zeit in Amerika bleibt, um den Verdacht von sich abzu­ lenken. Leslie wird als mutmaßlicher Mörder verhaftet, und die Tatsachen sprechen verdammend gegen ihn. Zum größten Mißfallen der Bevölkerung wird er jedoch freigesprochen, denn Miss Temple erscheint und be­ zeugt, Miss Romain nach deren Ausflug mit Mr. Leslie tatsächlich noch gesehen zu haben. Man hält unseren Helden allerdings trotz seines Freispruchs allgemein für schuldig und überhäuft ihn dank der schändlichen Machenschaften Clairmonts mit Schmähungen jeder Art. Miss Temple, die ganz offensichtlich in ihn verliebt ist, wird krank vor Kummer: wird aber, nachdem alle anderen Mittel versagt habent durch einen Brief ihres Geliebten geheilt, worin er seinerseits seine Leidenschaft *3

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kundgibt - hatte ihn die junge Dame doch bislang als unempfänglich für ihre Reize angesehen. Bei diesem heiklen Stand der Dinge freilich läßt sich Leslie einfallen, zu verreisen; er hat sein Bündel geschnürt und vergißt sich tatsächlich so weit, durch fremde Länder zu Willisieren. Doch haben wir keinen Grund zu der Annahme, der junge Herr könne in seiner Unerfahrenheit dumm genug sein, Ausländskorrespondent einer Wochen­ zeitung zu werden. In Rom widerfährt ihm, der jetzt das Pseudonym Montfort führt, eine Fülle interessanter Abenteuer. Sämtliche Damen schmachten ihn an, und zumal eine, Miss Antonia Torcini, einziges Kind eines Herzogs mit mehreren Millionen Piastern und einem Palast, den Mr. Fay sich etwa wie die City Hall von New York vorstellt, wirft sich ihm sans ceremonie buchstäblich in die Arme, und begegnet - hält man’s für möglich? schnöder und entschiedener Ablehnung. Unter den anderen Personen, mit denen Leslie zusam­ menkommt, sind ein Mönch Ambrosius, ein Maler Angelo, der weitere Maler Ducci, ein Marquis Alezzi und eine Gräfin D., welche er, wie er überzeugt ist, schon zu einem früheren Zeitpunkt seines Lebens gesehen haben muß. Ein paar Seiten lang ergötzt uns der Plan einer Verschwörung, und wir hegen große Hoffnung, die Hauptgestalten des Anschlags könnten sich uns zu Gefallen gegenseitig die Kehlen durchschneiden: doch (ach, die menschlichen Erwartungen!) nachdem Mr. Fay einmal in die Hände geklatscht und «Presto! - hinweg!» gerufen hat, löst sich die ganze Angelegenheit in Rauch auf oder «hüllt sich», wie unser Autor es so schön aus­ drückt, «in ein undurchdringliches Geheimnis». Mr. Leslie stattet nun dem Maler Ducci einen Besuch ab und erblickt dort zu seinem Erstaunen das Portrait eben 24

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des Knaben, dessen Leben er zusammen mit dem seiner Mutter vor den New Yorker Pferden gerettet hat. Daraufhin kommt es zu einer Reihe faszinierender Stoß­ seufzer; wir können uns lediglich erinnern an: «Schreck­ licher Verdacht!», «Wundersame Entwicklung!», «Ach und Weh!» - und noch an ein paar weitere. Mr. Leslie ist jedenfalls davon überzeugt, daß das Portrait des Knaben, wie Mr. F. so anmutig sagt, «unerklärlich mit seinem eigenen geheimnisvollen Geschick ver­ bunden» sei. Er sucht die Gräfin D. auf und will von ihr wissen, ob sie jemals die Bekanntschaft eines Herrn namens Clairmont gemacht habe. Sehr entschieden bestreitet die Dame, diese Person auch nur zu kennen; und Mr. Leslies «geheimnisvolles Geschick» befindet sich in der gleichen üblen Lage wie zuvor. Allerdings ist er fest davon überzeugt, daß Clairmont der Urheber allen Übels sei - womit wir nicht sagen wollen, daß er buchstäblich der Teufel sei - doch zumindest der Urheber von Mr. Leslies ganzem Übel. So begibt er sich denn auf einen Maskenball, und prompt findet sich auch Mr. Clairmont (von dem man sieben oder acht Jahre lang nichts gehört hat), findet sich also Mr. Clairmont (ver­ mutlich dank Mr. L.’s «geheimnisvollem Geschick») zu­ fällig zur genau gleichen Zeit auf genau demselben Maskenball ein. Die brillante Erfindungskraft Mr. Fays kennt ja keine Grenzen. Natürlich hält sich auch Miss Temple zufällig am selben Ort auf, und Mr. Leslie ist eben im Begriff, sie schon wieder zu lieben, als ihm die «unerklärliche» Gräfin D. einige doppeldeutige Sätze ins Ohr flüstert, des Inhalts, er solle sich vor den Harlekinen im Saal hüten, deren einer Clairmont sei. Als er den Maskenball verläßt, überreicht ihm jemand ein Billet mit der Aufforderung, derfunbekannten Verfasser 25

REZENSIONEN

in St. Peter zu treffen. Noch mit der Lektüre des Zettels beschäftigt, wird er auf unfeine Weise von Clairmont unterbrochen, der ihn zu ermorden versucht, schließlich aber in die Flucht geschlagen wird. Dann eilt L. zum Rendevous nach St. Peter, wo ihm der «Unbekannte» aber mitteilt, St. Peter sei gerade nicht zu sprechen, und er müsse weiter zum Colosseum. Er geht - warum sollte er nicht? - um dort nicht nur die Gräfin D. zu finden, die sich als Mrs. Rinaldo erweist und jetzt die Flasche ihrer Dankbarkeit entkorkt, sondern auch noch Flora Temple, Flora Temples Vater, Clairmont, Kreutzner, einen deutschen Freund aus New York, und nicht zuletzt Rosalie Romain persönlich; die sich alle, ohne Zweifel beeinflußt vom «höchst unerklärlichen und geheimnis­ vollen Geschick» jenes faszinierenden jungen Herrn Norman Leslie, um drei Uhr morgens dorthin begeben haben. Jetzt spitzen sich die Dinge zu. Die Unschuld des Helden erweist sich, und folglich sinkt ihm Miss Temple in die Arme. Clairmont jedoch meint nichts besseres tun zu können, als Mr. Leslie zu erschießen, und setzt eben dazu an, als ihn ebenso gerecht wie geschickt Mr. Kreutzner auf den Kopf schlägt. So endet die «Erzählung aus unseren Tagen», und so endet auch das unerquick­ lichste Stück Gewäsch, mit dem man jemals den gesunden Menschenverstand aller guten Amerikaner so unverblümt wie schamlos beleidigt hat. Damit soll nicht gesagt sein, es fände sich eindeutig nichts Lobenswertes in Mr. Fays Roman - aber es ist sehr wenig. Ein Ereignis ist erträglich behandelt, wenn näm­ lich beim Brand von Mr. Temples Haus Clairmont bei der Rettung Floras Leslie zuvorkommt. Auch eine Cotillon-Szene, in der Morton, ein einfacher Geck, ständig bei seinen Versuchen unterbrochen wird, Miss 26

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Temple Liebeserklärungen zu machen, und zwar durch den Zwang, stets zwei Dinge zugleich zu tun, d. h. dabei zu sachetieren (wie Mr. Fay es nennen zu müssen meint), ist keineswegs übel, wenngleich sie zu sehr nach Farce schmeckt. Eine Duell-Schilderung Kreutzners ist aus­ gesprochen gut, unglücklicherweise aber nicht originell, denn unter den Erzählungen aus dem Tagebuch eines Arztes gibt es eine, der offensichtlich sowohl Gegen­ stand wie Darstellung entliehen sind. Und hier müssen wir bereits aufhören; denn uns fällt einfach nichts mehr ein, das auch nur ein bedingtes Lob wert wäre. Die Handlung ist, wie der aufgezeichnete flüchtige Abriß erkennen läßt, ein monströses Gebilde aus Absurdität und Mißstimmigkeit. Die Charaktere haben keinen Charakter-, und sind, mit Ausnahme von Morton, der (vielleicht) amüsant ist, einer wie der andere die Fadheit in Person. Kein Versuch einer Individualisierung scheint gemacht zu sein. Sämtliche guten Damen und Herren sind Halbgötter und Halbgöttinnen und sämtliche bösen schlechtweg - T... .1. Der Held, Norman Leslie, «jener junge und gebildete Mann mit einer Anlage zur Poesie», ist ein großer Laffe und ein großer Narr. Denn was sollen wir sonst von einem bel-esprit halten, dem beim Aufheben einer Rose, die soeben seiner holden Dame aus den Locken gefallen ist, kein passenderer Satz einfällt als: «Miss Temple, Sie haben Ihre Rose fallen lassen gestatten Sie!» - der seiner Geliebten so den Hof macht: «Liebe, liebe Flora, wie ich Sie liebe!» - der ein buffet ein bufet, einen improvisatore einen improvisiere nennt der, ehe er eine Wohltat erweist, stets mit der schein­ heiligen Frage aufwartet, ob es die Sache auch wert sei der unaufhörlich von seinem Feind redet, welcher «im selben blutigen Grab ruht. wie er selbst», als hätten es 27

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sich die amerikanischen Totengräber zur Gewohnheit gemacht, zwei Leute gemeinsam zu bestatten - und der auf Seite 86 nicht einen Pfennig in der Tasche hat, auf Seite 87 aber eine ganze Handvoll herausholt, obwohl er keine Gelegenheit hatte, sich in der Zwischenzeit auch nur einen Nickel zu verschaffen. Was den Stil Mr. Fays anlangt, so ist er eines Schul­ jungen unwürdig. Der «Redakteur des New York Mirror» hat entweder nie ein Exemplar der Murrayschen Grammatik gesehen, oder er ist so lange in der Welt herum-IFV/Z/r-iert, bis er seine Muttersprache vergessen hat. Sehen wir nur ein paar beliebige Sätze an. Band 1, Seite 28: «Er war verdammt, einsam und gebrandmarkt durch die entferntesten Himmelsstriche zu wandern.» Warum nicht gleich durch die »«'ter/entferntesten? Band 1, Seite 150: «Jener flammende Himmelskörper sollte sie sein; und jener schwache Funke an seiner Seite sollte ihr sagen, wie unscheinbar und zugleich nahe meine Seele der ihren war.» Was soll das alles bedeuten? Ist die Seele Mr. Leslies für die ihre so unscheinbar wie ihr nahe? denn eben das besagt dieser Satz. Ginge es nicht so: «sollte ihr sagen, wie unscheinbar meine Seele war, und doch wie nahe der ihren»? Band 1, Seite 101: «Sie haben Recht und zugleich Unrecht: Sie, Miss Romain, so hart über alle Menschen zu urteilen, die nicht in der leichten Eleganz des Salons bewandert sind, und Ihr Vater mit zu großer Nachsicht gegenüber Männern von Geist, etc.» Das ist in der Tat etwas Neues, doch, wie wir leider sagen müssen, etwas Unverständliches. Vielleicht über­ setzen wir es: «Sie haben Recht und zugleich Unrecht: Sie, Miss Romain haben Recht und zugleich Unrecht, so hart über alle zu urteilen, die nicht in der leichten Eleganz des Salons bewandert sind, etc.; und Ihr Vater hat Recht und 28

FAY: NORMAN LESLIE

zugleich Unrecht mit seiner allzu großen Nachsicht gegen­ über Männern von Geist.» - Mr. Fay, waren Sie in Ihren Wanderjahren eigentlich mal in Irland? Das Buch ist bis zum Rand voll von solchen Absurditäten, und es hat keinen Sinn, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Im Norman Leslie gibt es nicht eine einzige Seite, auf der nicht selbst ein Schuljunge wenigstens ein oder zwei grobe Verstöße gegen die Grammatik zu entdecken vermöchte, und dazu noch zwei oder drei Kapitalsünden wider die Vernunft. Wir wollen den «Redakteur des Mirror» mit einigen Fragen entlassen. Wann, Mr. Fay, sahen sie je einen Staatsanwalt sich so täppisch benehmen wie Ihr Staats­ anwalt in dem Roman Norman Leslie? Wann hörten Sie je, ein amerikanischer Gerichtshof habe die Aussage eines Zeugen mit der Begründung abgelehnt, dieser habe ein Interesse an der verhandelten Sache gehabt? Was meinen Sie damit, wenn Sie uns auf S. 84 im Band 1 darüber unterrichten, daß Sie «bei weitem schneller denken als schreiben»? Was verstehen Sie unter einem «Wind, der in der Luft heultet (s. Band 1, Seite 26). Was ist für Sie ein «unbeschattetes italienisches Mädchen»? (s. Band 2, Seite 67). Warum sprechen Sie ständig von «Füßestampfen», «Flammen und Blitzen der Augen», «Ausfall und Parade», «Hieb und Stich», «Durchdringen des Körpers», «klaffender Wange», «gespaltenen Schä­ deln», «abgehauenen Händen», von strömendem und schäumendem Blut und weiß Gott welchen Dingen noch - reizende Ausdrücke, die sich sämtlich auf Seite 88 im Band 1 finden? Welch geheimnisvolles und unerklär­ liches Geschick zwingt Sie zu so häufigem Gebrauch jenes wohlklingenden Zweisilblers Blase in all seinen Abwandlungen? Wir werden-4hnen einige Stellen ins 29

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Gedächtnis rufen, wo Sie ihn verwendet haben. Band i, Seite 185: «Doch ein Ankömmling aus der Stadt brachte die schreckliche Nachricht in all ihren blasigen und nackten Einzelheiten.» Band 1, Seite 193 : «Was anderes als die offenkundige und blasige Wahrheit der Anklage würde ihn isolieren, etc.» Band 2, Seite 39: «Wohin immer der Wind des Himmels die englische Sprache wehte, mußte die blasige Geschichte widerhallen.» Band 2, Seite 150: «Fast sieben Jahre waren vergangen, und wie zu Beginn fand er sich noch immer von dem blasigen und verzehrenden Brand gezeichnet.» Wir haben hier eine blasige Einzelheit, eine blasige Wahrheit, eine blasige Geschichte und einen blasigen Brand, abgesehen von unzähligen anderen Blasen, die sich über das ganze Buch ausbreiten. Doch mit Norman Leslie sind wir fertig: wenn wir je etwas Alberneres sahen, wollen wir - Blasen bekommen.

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DANIEL DEFOE: ROBINSON CRUSOE

Das ist eine Veröffentlichung, würdig des Verlags HARPER; ja, die dem ganzen Land Ehre macht - nicht minder in dem erlesenen Geschmack wie er sich in der Ausstattung ausspricht, sondern auch weil sich dadurch die richtige Würdigung eines unschätzbaren Buches bekundet. Wie liebevoll versetzen wir uns nicht in Gedanken in jene zaubrischen Tage unsrer Knabenzeit zurück, da wir zuerst lernten, überm Robinson Crusoe ernsthafte Augen zu machen - da wir zuerst spürten, wie der wilde Abenteuergeist in uns Feuer fing; da wir, beim unsichren Flammenschein, Zeile für Zeile, die wunder­ same Bedeutung jener Seiten mühsam herausbuch­ stabierten ; und, atemlos und zitternd vor Eifer darüberhin gebückt, so gänzlich in Anspruch genommen waren. Achjal, die Tage der einsamen Inseln sind nicht mehr!'«In dieser Branche», wie Vapid sagt, «kann nichts mehr unternommen werden». Wehe dem DEFOE, der uns inskünftige noch von vorschwatzen wollte - gibt es doch buchstäb­ lich keinen Quadratzoll jungfräulichen Bodens mehr, für keinen Selkirk der Zukunft. Weder im Indischen und Pazifischen Ozean, noch im Atlantischen, hat er auch nur den Schatten einer Aussicht. Das Südliche Polarmeer ist rücksichtslos durchstöbert; und im Norden - sind Scoresby, Franklin, Parry, Ross & Co. auch nicht viel -besser gewesen, als ebensoviele Salzwasser Paul Pry’s. Während DEFOE, auch wenn er niemals den Robinson Crusoe geschrieben hätte, durchaus berechtigten An­ spruch auf Unsterblichkeit machen dürfte, sind doch all seine andern, zum Teil ganz ausgezeichneten Schriften, in unserm Bewußtsein nahezu verblichen, vor dem über3

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wältigenden Glanze der Aventüren des Seefahrers aus York. Welche noch denkbare höhere Art von Ansehen hätte der Autor sich für sein Buch schließlich auch wünschen können, als die, welche es nun schon so lange genossen hat? Ist es doch zum Hausgerät geworden, bei nahezu jeglicher Familie in der ganzen Christenheit. Und dennoch: nie ist Bewunderung eines Werkes - globale Bewunderung - mit mehr Mangel an Unterscheidungs­ kraft, oder auch unpassender vergeben worden. Nicht i unter Zehnen - was sag’ ich: nicht i von 500! - hat während des Durchlesens von Robinson Crusoe den entferntesten Begriff davon, daß irgendein Spürchen von Genie, ja auch nur von gewöhnlichem Talent an seiner Hervorbringung beteiligt gewesen sein könnte! Man betrachtet es einfach nicht unter dem Gesichtspunkt eines literarischen Erzeugnisses -: an DEFOE denkt Keiner dabei; an Robins on J eder. Die Kräfte, welche das Wunder bewirkt haben, sind - eben durch die Erstaun­ lichkeit des von ihnen bewirkten Wunders! - in Obscuritäten gedrängt worden. Wir lesen; ?;: und wer­ den uns total selbstsentfremdet, infolge der Hoch­ gespanntheit unsres Int’resses - wir klappen es zu, das Buch; und sind uns ziemlich gewiß darüber, daß wir selbst uns ebensogut zum Schreiben hingesetzt haben könnten. Und alhdies ward bewirkt, durch den zwingen­ den Zauber der Wahrscheinlichkeit. In der Tat; der Abfasser des Crusoe muß, (jed’and’re Fähigkeit weit überwiegend), das besessen haben, was man die Fähig­ keit der Identifizierung> benamst hat - jenes Dominions große Bereich, wo bewußtersWille der bloßenslmagination obsiegt; und den Gemütgeist befähigt, seinsselbst verloren zu gehen, hinein in eine, fiktive, anders s Individualität. Worunter, und zwar in erheblichem 32

DEFOE: ROBINSON’CRUSOE

Grade, die Kraft zur Abstraktion miteinbegriffen wäre; dh der Schlüssel, vermittelst dessen wir, und sei’s nur zum Teil, das Geheimnis der Verhexung ersdietrichen könnten, die den uns vorliegenden Band solange abgeschirmt ^at' Aber eine umfassende Analysis unsres

Int’resses daran, kann so nicht geleistet werden. Defoe verdankt Beträchtlichstes seinem Thema. Das Ge­ dankenspiel vom Menschen im Zustande vollkommener Isolation, war, ungeachtet häufiger Beschäftigung mit ihm doch noch nie zuvor derart umfassend ausgeführt worden. Gerade diese Häufigkeit, mit der es sich in der Fantasie der Menschheit einstellt, ließ unfehlbare Rück­ schlüsse auf den Umfang seiner Beliebtheit zu; während andrerseits der Umstand, daß noch kein Versuch unter­ nommen worden war, dieser Vorstellung Form und Körper zu geben, die Schwierigkeit des Unterfangens hinreichend dartat. Aber der Erlebnisbericht Selkirk’s im Jahre 1711, zusammengehalten mit dem gewaltigen Eindruck, den er damals auf die Fantasie des Publikums machte, reichte hin, Defoe sowohl den erforderlichen Mut für seine Arbeit, als auch das felsenfeste Vertrauen auf ihren Erfolg einzuflößen. Wie wundersam ist das Ergebnis geraten 1 Außer dem hat Defoe nicht weniger als 208 Werke geschrieben; von denen die hauptsäch­ lichsten sind: der , (=’Spiegel der Geistlichkeit; in Erwiderung gegen Roger L’Estrange), dessen Hauptcharacteristicum in unmäßigem Schimpfen besteht. / Ein , worin große Ingenuosität sich ausspricht; und den zB unser Franklin mit Ausdrücken höchster Billigung bedacht hat./; eine Satire, gegen die Extravaganzen der oberen Klassen der britischen Gesellschaft gerichtet. / Den «Echten Gebore­ nen Engländer); verfaßt mit der Absicht, den König gegen häufige Anwürfe zu verteidigen, worin er als «Ausländer) beschimpft wurde./Die «Kürzeste Art mit den Dissentern fertig zu werden); ein Werk, das stärkste Erregung hervorrief, und wofür der Verfasser am Pran­ ger stehen mußte./Die «Reformation der Sitten); ein satirisches Gedicht, das Stellen von ungewöhnlicher Kraft enthält, (will sagen «ungewöhnlich für Defoe>, der kein Dichter war)./«Weitere Reformvorschläge); eine Fortsetzung der Vorigen./«Almosensgeben keine Mildthätigkeit>; eine excellente Abhandlung. /Ein «Vor­ wort zur Übersetzung von Drelincourt’s Über Den Tod>, worin sich der berühmte «Wahrhafte Bericht) über die Erscheinung der Frau Veal findet./Die «Geschichte der Union>; eine zu Lebzeiten ihres Verfassers überaus berühmte Publikation, von der man heute noch, und gerechtermaßen, urteilt, daß sie ihm einen Platz unter den «verständigsten Geschichtsschreibern seiner Zeit» sichere./«Der Hauslehrer), «eines der wertvollsten Sy­ steme praktischer Moral in unsrer Sprache»./Die «Ge­ schichte der Moll Flanders >; die einige frappante, aber gröblich hingesudelte, Gemälde der niedrigsten Lebens­ sphäre vorführt. / Das «Leben des Colonel Jack); wo eine Schilderung von dem längeren Aufenthalt des Helden in Virginia gegeben wird./Die «Memoiren eines Cava34

DEFOE: ROBINSON CRUSOE

liers>; ein Buch, das mit größerer Berechtigung der eigentlichen Geschichte zuzurechnen wäre, als den fingierten Biographien; und das auch mehrfach irrtüm­ licherweise für einen echten Bericht aus den Bürger­ kriegen in England und Deutschland gehalten worden ist./; von dem Dr. Mead urteilte, es müsse sich um ein authentisches Aktenstück handeln. / Und endlich ?! reiß ihm ein Netz entzwei; er spinnt sein Fädlein selbstgefällig neu 1 47

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Stell seine Finten bloß; enthüll sein Treiben: umsonst; die Creatur bleibt doch beim Schreiben! stolz auf ein Krüppelheer schwächlicher Zeilen.»

Als nächstes regaliert uns Mr. Ulric mit einer weiteren Liebesaffäre, die die folgende Introduction hat: «Oh Du wunderliche und unbegreifliche Leidenschaft! mit was soll ich dich vergleichen? Zu Zeiten säuselst Du sanft wie der Zephyr; dann wieder trittst Du machtvoll ein­ her gleich dem Sturm. Du vermagst den pochenden Busen zu schwichtigen; kannst ihn aber auch mit wilderer Erschütterung füllen, i-einz’ges Lächeln Deines holden Angesichts bringt neu’ Entzücken dem geängste­ ten Herzen, und zerstreut jeden Zweifel, jegliche Furcht, jedwede peinliche Verworrenheit. Aber genug hiervon.» Sehr richtig. Eine junge Dame fällt in einen Fluß oder Graben, (unser Autor sagt, sie habe nach einer Wasserlilje geangelt), und Mr. Ulric macht sich die Mühe und zieht sie heraus. «Welch bezaubernder Vorfall 1», ruft Mr. Mattson. Ihr Name ist Violet, und unser empfänglicher Jüngling verliebt sich prompt in sie. «Werde, kann ich jemals», spricht Paul, «die Empfindungen dieses Augenblicks vergessen? —: nie!!». Neben verschiednen anderen Methoden, seine Leidenschaft an den Tag zu legen, verfaßt er auch eine Anzahl Verse - und das dritte aus Brown’s (Vortrag über das Perpetuum Mobile>. Das anschließende Kapitel selbst, würde nicht ganz eine halbe Spalte von denen ausmachen, für die wir hier schreiben; und es informiert uns darüber, daß Bünting, der das Perpetuum Mobile entdeckt hat, sich zu einer Tournee durch Europa entschließt. Da der Herausgeber solchergestalt beseitigt worden ist, kann Mr. Mattson sich nunmehr ernstlich dem Thema seines Romans widmen; und wir bitten ab jetzt, wo wir ein Gewebe von solcher Absurdität entwirren, um die besondere Aufmerksamkeit unserer Leser, da wir es nicht für möglich gehalten hätten, daß ein angesehener Verleger heutzutage noch dergleichen veröffentlichen, beziehungsweise das grünste der Grünherrlein so etwas zu Papier bringen mag. Vergessen wir nie, daß es, für alle jetzt folgenden Ereignisse, heißt: ORT, Philadelphia & Umgebung: ZEIT, die Gegenwart! - An einem schönen Maimorgen sehen wir Mr. Ulric, die Flinte auf dem Rücken, spazieren schlendern. «Die Natur schien der Ruhe hingegeben» etc. - «das Gezwitscher der Vöglein» etc. - «hüpfend im Gezweig der Bäume» etc. - alles wunderschön etc. «Während mein Blick»', sagt Paul, «noch auf diesen Gegenständen verweilte», 49

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(dh also auf dem Gezwitscher der Vogelern), «wurde ich eines jungen & schönen Frauenzimmers gewahr, das leicht über den Rasen dahin trippelte, und schließlich unter einer Weide, die inmitten eines Parkes stand, sich niederließ.» Worauf unser Abenteurer sich sogleich in Positour wirft, und wie folgt zu monologisieren anhebt: «Scheint es nicht wie wenn ein unbeschreibbares Etwas in den Zügen so mancher Frau liege - ein Blick, ein Lächeln, ein flücht’ger Augenglanz - das sogleich das Blut zu Herzen steigen macht, und unwillkürlich die Flamme der Liebe auf ihrem Altar entzündet? Kein Wunder, daß selbst Weise und Philosophen mit derart toller Hingabe am Schrein der Schönheit niederknieten & anbeteten! Kein Wunder, daß der gewalt’ge Perikies seiner geliebten Aspasia zu Füßen lag. Kein Wunder, daß der einst so mächtige Antonius sein Reich den verhäng­ nisvollen Umarmungen der behexenden Kleopatra zum Opfer brachte! Kein Wunder, daß der Durst nach Ruhm im Herzen des philosophischen Abälard erkaltete, da er Heloisens erlesne Schönheit gewahrte! Und kein Wun­ der, traun, daß er den dürren Maximen Aristoteles’ abtrünnig ward, um die weit angenehmeren Vorschriften Ovid’s zu praktizieren! Aber das ist Rhapsodie & Über­ schwang!». So ist es. Das Fräulein ist ganz in Weiß gekleidet (Batist=Musselin vermutlich), und Mr. Mattson versichert uns, daß er ihre Gesichtszüge nicht zu beschreiben versuchen werde. Immerhin geht er soweit, uns mitzuteilen, daß ihre «Augen nußbraun, aber überaus dunkel» waren; «ihr Teint rein wie Alabaster»; ihre Lippen gleich den Lip­ pen von Canova’s Venus; und ihre Stirn wie - auch irgendwas, das gut & teuer ist. Mr. Ulric versucht, die 50

MATTSON: PAUL ULRIC

Sprache zu finden; aber seine Verwirrung hindert ihn daran. Die junge Dame «wendet sich zum Gehen»; und auch unser Abenteurer geht heim, wie er gekommen ist. Das nächste Kapitel setzt ein mit: «Welch Mysterium ist doch das menschliche Dasein!» - was, richtig über­ setzt, besagen soll: «Wie originell ist doch Mr. Mattson!». Der betreffende einleitende Absatz endet sich mit der feierlichen Versicherung, daß wir sämtlich vergäng­ liche Geschöpfe seien, und es überaus wahrscheinlich wäre, daß wir Einer wie der Andre sterben müßten jeglicher Mutter Sohn. Aber, wie Mr. M. sagt - «zurück zu unsrer Geschichte.» Paul hat indes die Villa der jungen Dame ausfindig gemacht - kann aber die junge Dame selbst nicht mehr zu Gesicht bekommen. Weshalb er Schildwacht vor der Hausthür bezieht, mit der Absicht «die ein so’r andre Beobachtung zu machen». Während er noch dergestalt beschäftigt ist, wird er gewahr, wie ein langer Kerl «mit buschigem schwarzem Backenbart, und überhaupt von höchst widerwärtigem Äußeren», das Haus auf familiäre Weise betritt. Unsern Helden befällt, wie billig, Verzweiflung. Kann doch der lange Herr nichts anderes sein, als der Liebhaber wenn nicht gar der Verlobte der jungen Dame. Nachdem er zu dieser Schlußfolgerung gelangt ist, erspäht Paul plötz­ lich, daß eine Rauchsäule aus einem fernen Waldstück aufsteigt; und kann, nach einiger Beschwerden, auch 'feststellen, daß sie «von einem Blockhaus herrührte, welches mit seinem bemoosten Dach, mutterseelen­ allein, inmitten von Schweigen & Einsamkeit der Natur dasstand.» Dann bellt ein Hund; und ein altes Weib tritt auf. 5"

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Diese alte Dame stellt sich als ein überaus ominöses Wesen heraus. Immerhin laboriert sie auch an einer milderen Form von Alkoholismus, und offeriert unserm Helden erstmal einen Schluck: von welchem Mr. Matt­ son uns jedoch feierlich versichert, daß der Herr ihn nicht annahm. «Können Sie mir’etwa sagen», beginnt Paul, «Wer in dem Steinhause wohnt?» «Ihr meint die Villa Florence?», fragte sie. «Wahrscheinlich ja - Wer ist denn der Besitzer?» «Ein Mann der ebenso heißt - Richard Florence.» «Und wer ist Richard Florence?» «Ein Engländer; erst vor i, z Jahren ins Land ge­ kommen.» «Hat er eine Frau?» «Nicht daß ich wüßte.» «Kinder?» «Eine einzige Tochter.» «Wie ist ihr Name?» «Emily.» «Emily! - Ist sie hübsch?» «Sehr schön!» «Und liebenswürdig?» «Ihresgleichen wird nicht mehr gefunden.» «Was,» (ruft unser Held daraufhin, indem er vermutlich effektvoll hinter sich tritt & mit den Fingern sein Haar durchwühlt) - «was sind all die flücht’gen & unbestän­ digen Vergnügungen der Welt!, was die prunkvollen Schlösser der Könige, mit ihren majestätischen Banket­ ten & pomphaften Aufzügen!, was, wahrlich, all die Schätze der Erde oder der See, im Vergleich zu dem reinen, dem lichten, dem lieblichen Gegenstand uns’rer jungen, unschuldigen Neigungen! 11» 5*

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Der Name der alten Hexe ist übrigens Meg Lawler, und sie beehrt Mr. Ulric mit der Geschichte ihres Privat­ lebens. Die Moralität ihrer Eröffnungen ist einiger­ maßen fragwürdig - aber «Moral wird heutzutage», wie Mr. Mattson entscheidet, «in schöngeistigen Werken selten gesucht, und vielleicht noch weniger selten gefun­ den.» Der Herr meint . Aber gehen wir weiter. Meg Lawler also regaliert ihn mit einer Verführungs­ geschichte; und sie endet in der nun schon bewährten Form: «Ich wußte» spricht sie, «daß der Tag der Sorge & des Bangens dicht bevorstand; aber, ach & weh, keine rettende Macht griff ein.» Worauf wieder jene Doppelreihe von Asterisken erscheint - ******** _ nach welcher es im Text weiter geht wie folgt: «Dame Lawler machte eine Pause; richtete dann ihre trübglühenden, blutunterlaufenen Augen auf mich, und rief «Meint Ihr, daß auf die im Fleische begangenen Bösen Taten dereinst die Strafe folgen werde?» «So jedenfalls,» erwiderte ich, «haben die Geistlichen aller Zeiten uns gelehrt.» «Dann krümmt sich mein Verderber in den Qualen der Hölle! !» Mr. Ulric ist begreiflicherweise wie elektrisiert, und das Kapitel schließt sich. Einige Zeit hierauf, gelingt es unserm Helden die Bekanntschaft von Fräulein Emily Florence zu machen. Die Szene solcher Erstunterredung ist die Hütte Meg Lawlers. Mr. U. proponiert einen Spaziergang - die Dame zögert zunächst; willigt am Ende aber doch ein. «Zwei Wege gab es hier,» sagt -unser Held, «unter denen beiden uns die Wahl theoretisch frei stand: der 53

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eine führte tiefer in den Forst; der andere zurück zu ihres Vaters Haus. Ich schlug den letzteren ein - sie jedoch hielt unvermittelt inne.» «Wollen Wir unsern Spaziergang nicht fortsetzen?», fragte ich, da ich wahrnahm, wie sie immer noch zögerte. «Doch,» antwortete sie endlich, «aber ich würde eigent­ lich den andern Pfad vorziehen» - was also besagt den Pfad durch den Wald, tzspfui Fräulein Emily Florence! Während dieses Spaziergangs nun gelangt unser Held zu dem Schluß, daß es sich bei seiner Geliebten irgendwie um «eine unglückliche Gefangene» handeln müsse, «für die es - infolge etwelcher Befürchtungen, oder sonst eines Gefühls der Abhängigkeit - eine Unklugheit bedeuten würde, sich in der Gesellschaft eines Fremden sehen zu lassen. Zu alle dem kommt noch hinzu, daß Dame Lawler Mr. U. anvertraut hat, «wie sie nie & nimmer glaube, daß Emily die Tochter von Herrn Florence sei» - und damit den int’ressanten Jüngling zum Spielball sinistrer Vermutungen macht, von denen Mr. Mattson uns versichert, daß sie ihm «Stoff zu den allerpeinlichsten Betrachtungen wurden.» Auf ihrem Heimweg dann, stößt unsern Liebenden ein Abenteuer auf: Mr. Ulric erspäht zufällig - einen Mannl Ein folgenschweres Ereignis, das Miss Emily Florence also erklärt: «Wir haben hier eine Räuberbande, deren Zufluchtsort ganz in der Nähe, im Hügelland liegen muß - und das da ist zweifellos Einer von ihnen gewesen. Ihr Anführer soll ein rücksichtsloser aber tapferer Kerl namens Elmo sein - (Hauptmann Elmo> nennen sie ihn, glaub' ich. Die sind schon seit langem der Schrecken der Einwohner hier. Mein Vater ist vor einiger Zeit einmal mit einer bewaffneten Truppe z« ihrer Verfolgung ausgerückt; hat aber ihr Versteck 54

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nicht ausfindig machen können. Ich hab’ erzählen hören, daß sie wohlhabenden Eltern die Kinder wegstehlen, damit sie dann ein Lösegeld erpressen können.» Und einmal mehr bitten wir unsern Leser sich zu erinnern, daß es sich bei Mr. Mattson’s Roman um eine Erzählung aus der Gegenwart handelt, und bei der Localität um die nähere Umgebung der Stadt der Brüderlichen Liebe! Nachdem sie ihren Verehrer überzeugt hat, daß der so ominös sichtbar gewordene Mann, schwerlich jemand anders auf der Welt sein kann, als jener «rücksichtslose aber tapfere Kerl» Hauptmann Elmo, fahrt Miss Florence damit fort, Mr. U. zu versichern, daß sie (Miss Florence) sich vor Niemandem fürchte, ob Mensch ob Teufel - und fuchtelt auch ohne Verzug dem Abenteurer mit einem Dolch mit Elfenbeingriff vor den Augen ’rum, (oder ist’s ein Vorschneidmesser; jedenfalls irgendeine mörde­ rische Angelegenheit). «Kaum wissend was ich tat», sagt unser braver galanter Freund, «drückte ich einen Kuss (den ersten - brennend, passioniert, voll Entzücken) auf ihre unschuldigen Lippen; und - stürmte davon in den Wald! 1!». Es war unmöglich, dem Vorschneidmesser standzuhalten. Mr. U. ist noch auf seinem Heimweg von diesem denk­ würdigen Abenteuer begriffen, als ihm auch schon von einem alten Weibe aufgelauert wird, das sich als ein verkleideter Räuber entpuppt. In der anschließenden Balgerei, schlägt unser Held seinen Widersacher zu Boden - was anders könnte solch ein Heros auch tun? Anstatt jedoch dessen Räuberschaft sofort ein Ende zu bereiten, bleibt unser Freund lediglich über ihm stehen, und heischt, daß Jener ihm seine Abenteuer hersagen solle. Dies tut das alte Weib denn. Ihr Name ist was wie Dingee O’Dougherty, öder auch Dingy O’Dirty 55

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(»Schmier O’Schmutzig) - und es stellt sich heraus, daß sie ein» & dieselbe Person mit dem kleinen Mann in Grau ist, der Mr. U. seinerzeit die falsche Uhr angedreht hat, von der zu Anfang der Geschichte die Rede war. Im Laufe der Katechisation taucht jedoch ein zweiter Räuber auf, und das Zahlenverhältnis wird ungünstig für unsern Helden. Aber infolge der liebevollen Schonung, die er Schmier O’Schmutzig hat angedeihen lassen, erfolgt keine Belästigung weiter; vielmehr trennen sich die Drei in freundschaftlichem Einverständnis. Mr. Ulric erkrankt nunmehr am Fieber - und während er so darniederliegt, läßt sich ein Diener von Mr. Florence bei Se. Herosschaft melden, der seinem Herrn aufgesagt hat, und nun gekommen ist, ihm ein erstaun­ liches Stück Nachricht zu bringen: Miss Florence ist, wie daraus erhellt, seit ein paar Tagen verschwunden; und ihr Vater hat (angeblich vom Hauptmann der Banditen), einen Brief erhalten, in dem mit dürren Worten steht, man habe sie entführt und werde sie nur gegen ein nam­ haftes Lösegeld wieder retournieren. Auch sei Ort & Stunde angegeben, wo Florence sich mit ihnen treffen und dann von ihnen die näheren Bedingungen erfahren könne. Nachdem er dieses außerordentliche Neueste vernommen hat, springt unser Abenteurer mit i Satz aus dem Bett; wirft sich in Attitüde Nr. 2, und schwört rund heraus, daß ersselber Miss Emily befreien wolle! Und also endet der erste Band. Band ii. beginnt sogleich mit Verve & Feurigkeit. Mr, U. heuert «3 furchtlose Männer, rüstig von Leib, die ihn begleiten, und im Falle der Gefahr Beistand leisten konnten. Jeglicher von ihnen erhielt einen Gurt, in dem ein Paar Pistolen & ein langes spanisches Messer steck­ ten.» Mit so furchtbaren Desperados, trifft unser Freund 56

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an der von den Banditen bestimmten Stelle ein. Läßt seine Gefährten, dicht bei der Hand, zurück; er selbst rückt weiter vor, und erkennt den gefürchteten Haupt­ mann Elmo, der, als Lösegeld für Miss Emily Florence, ein Tausend Pfund fordert. Das erscheint unserm Helden zu hoch; und der Hauptmann geht denn auch auf fünf­ hundert herunter. Aber selbst das weigert sich Mr. U. zu geben; unternimmt vielmehr, mitsamt seinen 3 Freun­ den, einen Angriff auf den Banditen. Da jedoch eine Schar von Räubern ihrem Anführer unverzüglich zu Hilfe kommt, ist unser Held drauf & dran, seinen Lohn zu empfangen, als kein Geringerer ihm zur Rettung naht, als unser alter Bekannter, Meister Schmier O’Schmutzig, der sich als einer der Banditen entpuppt. Auf die Für­ sprache dieses Freundes hin, erhalten Mr. U & sein Trio die Erlaubnis, sich unverletzt wieder nachhause zu ver­ fügen - unser Held jedoch, vermag in einer privaten Unterhaltung mit SchmutzsDingy, diesen Herrn zu bewegen, ihm seine Unterstützung bei der Befreiung von Miss Emily zuzusagen; und ein Komplott kommt zwischen den beiden Ehrenmännern zustande, dessen wichtigster Artikel darin besteht, daß Mr. U sich dazu verstehen muß, einer der Räubers Gilde zu werden. Demzufolge erblicken wir, nach Verlauf einer Woche, Herrn Paul Ulric Wohlgeboren, inmitten einer Höhle voller Banditen, irgendwo in der näheren Umgebung von Philadelphia!! Und sein Tun & Treiben in dieser - Höhle, so wie Mr. Mattson es schildert, muß man uns schon erlauben als das lachhafteste Stücklein Plagiat zu betrachten von dem die Welt Kunde hat - vielleicht mit Ausnahme von etwas anderm in eben demselben Buch, von dem wir nachher gleich noch reden werden. Unser Autor hat, wie es scheint, , und < Anne 57

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von Geierstein> gelesen; und dann aus den einschlägigen Stellen dieser drei, für seinen eignen Hausgebrauch & für die Leserschaft von , eine Banditenscene zusammengebraut. Die (wir wollen ganz höflich sein!) Imitationen aus sind nicht ganz so handgreif­ lich, wie die aus den beiden andern Romanen. Man wird sich erinnern, daß Bulwer’s Held sich Zutritt in ein Nest von Londoner Gaunern verschafft, mit dem Ziel, die Unschuld seines Freundes an einem Mord zu beweisen. Paukhier schließt sich einer Räuberbande bei Philadelphia an, mit dem Zweck, eine Geliebte zu befreien - die Hauptähnlichkeit wird man einmal in den Neben­ umständen ä la AugensVerbinden bei seiner Einführung dort finden; vor allem aber in dem Gebrauch des Slang, der Gaunersprache, bei beiden Verfassern. Das Rot­ welsch in ist schon fad genug - aber immerhin, im Munde von Kehlabschneidern aus Cockney-Land, noch recht natürlich. Mr. Mattson allerdings hat für angemessen erachtet, es auf Biegen oder Brechen nach unserm Pennsylvanien zu verpflanzen; was denn zur Folge hat, daß die Taschendiebe aus Yankeeland, auf die gelehrteste Weise über nicht mehr & nicht minder dis­ kutieren müssen, als über (Bauernfang) Lutscher / die Pinke sichern / Penunse rausrücken)’n franko’sehen Spitzen fischen / Klüsen offen halten) Weißmetall)geölter Blit^jund 'n Tan% mit des Seilers Tochters. Nachdem er also seinen Glücksritter ä la Pelham ein­ geführt hat, beschäftigt Mr. Mattson ihn ä la Gil Blas. Der Held von Santillana empfindet seine Höhle als recht amönen Aufenthalt; und das tut auch der Held uns’res Romanes. Hauptmann Rolando ist ein feiner Kerl; und das ist auch Hauptmann Elmo. Im Gil Blas amüsieren sich die Räuber damit, daß sie einander ihre Fata & J»

MATTSON: PAUL ULRIC

Werke vorerzählen - in , erkundigte sie sich. < Excellent! Excellent! >, erwiderte ich; < vor allem IZzWiJ» Grey: nehmen Sie, zum Beispiel, die Scene in der langen Galerie, zwischen Vivian & Mrs. Lorraine.) «Bewundernswert!) - versetzte die junge Dame, «aber, nebenbei,: wie gefällt Ihnen Bulwer?) «Ganz ordentlich), antwortete ich. «Ach bitte, Mr. Ulric: wieviel Schriftstellerinnen von Rang haben Sie eigentlich in Amerika? Der brave alte Blackwood will nur von 2 oder 3 wissen.) -«Und Wer sollten Die sein?) «Miss Gould, Miss Sedgewick, und Mrs. Sigourney.) «Er hätte noch eine weitere hinzusetzen sollen Miss Leslie.)» Wir meinen, es werde schon lange her sein, daß man Miss Leslie, Miss Gould, -Miss Sedgewick, Mrs. 65

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Sigourney, Lytton Bulwer und Ben D’Israeli derart wohlwollend auf die Schulter geklopft hat. Mr. Mattson’s Stil anlangend, so ist es, je weniger man davon redet, umso besser; das heißt, für Mr. Mattson’s Stoff ist er schon gut genug. Überdem haben ja alle guten Schriftsteller ihre Lieblingsworte & ^Wendungen. Mr. Fay hat sein (verfluchte Blase!> — Mr. Simms hat seine in der Nachbarschaft blühen - so benannt nach dem Umstand, daß die Erschlagenen nach der Niederlage Baron Dies­ kaus durch Sir William Johnson in diesen Teich gewor­ fen wurden. Die Alten hätten aus diesem Vorfall eine schöne Legende gemacht und die blutige Blume geheiligt.»

In Kapitel X heiratet Mr. Wheelwright eine Erbin eine reiche Witwe im Werte von dreißigtausend erwarte­ ten Pfund Sterling - in Kapitel XI gründet er ein Philomatisches Institut, dessen Ankündigung das gesamte Kapital einnimmt - in Kapitel XII beleidigt seine Gattin die Scholaren, «indem sie bei allen Mächten schwört, sie würde sie auf der Stelle hinausschmeißen, die eitlen Gecken! - ja, das würde sie!» Die Schule löst sich . daraufhin auf, und Mrs. Wheelwright erweist sich als nichts anderes denn «eine der unverheirateten Gattinnen des verblichenen Captain Scarlett»; der Rechtsvertreter ist im sicheren Besitz der erwarteten dreißigtausend Pfund Sterling. 141

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In Kapitel XIII befindet sich Mr. Wheelwright wieder einmal in Not und wendet sich natürlich an den ja so menschlichen Verfasser von «.Ups and Downs», der ihm, wie uns versichert wird, «einen Überrock und ein Körb­ chen mit Vorräten» gibt. In Kapitel XIV setzt der Autor seine Wohltätigkeit fort - kräht noch einmal (Kikeriki!) und schließt mit den Worten: «Es gibt doch keine mild­ tätigeren Leute als die aus New York!» - was, richtig gelesen, bedeutet: «Es gab nie einen mildtätigeren Menschen als den klugen und gebildeten Autor von < Ups and Downs't.'o Kapitel XV ist von etwas besserer Machart, und enthält einige erträgliche Vorfälle in Zusammenhang mit den Pfandleihgeschäften New Yorks. Wir geben einen Aus­ schnitt wieder - in der Meinung, er sei eine der besten Passagen in dem Buch. «Für jemanden, der die menschliche Natur studieren möchte, und zumal in ihren dunkleren Zügen, gibt es kein besseres Beobachtungsfeld als in diesen Pfand­ leihen. In einem gut gehenden Unternehmen blättert jeder Tag einen reichhaltigen Katalog von Kummer, Elend und Schuld auf, die sich in fast unzähligen Formen und Verbindungen entwickelt haben; und kennte man die Geschichte jedes Kunden, wäre das Ergebnis ein solcher Katalog, daß er kaum zu überbieten wäre, nicht einmal durch die Berichte einer Polizeidienststelle oder eines Gefängnisses. Selbst mein kurzer Aufenthalt, während dessen ich mich urp die Auslösung von Dr. Wheelwrights Habseligkeiten kümmerte, lieferte mir, wie im letzten Kapitel angedeutet, Material für langes und schmerzliches Nachdenken. 142

STONE: AUF UND AB

Ich hatte kaum im ersten Unternehmen , in das man mich geschickt hatte, meine Absicht kund­ getan, als ein Mann mittleren Alters mit einem Bündel eintrat, für das er einen kleinen Vorschuß erbat, und das, als es geöffnet wurde, einen Schal und ein paar andere Stücke der weiblichen Garderobe enthielt. Der Mann war kräftig und untersetzt und, wie ich seinem Aus­ sehen entnahm, ein Handwerker; doch auf seinem auf­ geschwemmten Gesicht und in seinen schwerfälligen, dummen Augen stand das Mal der Zerstörung. Trunk­ sucht hatte ihn so gezeichnet. Der Pfandleiher prüfte noch das angebotene Pfand, als eine Frau, deren blasses Gesicht und deren abgezehrte Gestalt von langer und enger Bekanntschaft mit der Sorge sprachen, in den Laden stürzte - und mit dem einzigen Ausruf: schoß sie eher, als daß sie lief, auf den Teil des Ladentisches zu, wo der Mann stand. Zur Erklärung ihrer Geschichte bedurfte es keiner Worte. Ihr elender Mann hatte sich, nicht zufrieden damit, seinen eigenen Verdienst zu verschwenden und seine Kinder hungern zu lassen, so weit erniedrigt, auch noch ihre dürftige Garderobe zu plündern, und das Trinkgeld, um dessentwillen dieser Raub stattgefunden hatte, war dazu bestimmt, in der Kneipe ausgegeben zu werden. Sogar auf seinem entstellten Gesicht erschien ein Anhauch von Schamröte, aber er schwand rasch wieder; die brutale Begierde behielt die Oberhand, und das bessere Gefühl, das sich offenbar einen Augenblick lang in ihm geregt hatte, wich bald dem krankhaften uhd unbefriedigten Verlangen. , lautete sein grober und wüten­ der Ausruf; , sagte er und schob es mit einem Blick gänzlicher Gleichgültigkeit dem Trunkenbold wieder zu. 57

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geteilt unter seine Familie, jeden auch nur mit einem Bissen Brot versorgte, so lange werden die Schnapsläden an Zahl und Pracht zunehmen. Falls Enthaltsamkeits­ vereine ein Mittel gegen Hunger und Elend anbieten oder Ausgabestellen für die kostenlose Verteilung von Flaschen mit Lethe-Wasser einrichten könnten, ließen sich die Schnapspaläste unter die gewesenen Dinge zäh­ len. Bis dahin kann man an ihrem Rückgang verzweifeln.»

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ROBERT SOUTHEY: DER DOKTOR

Der Doktor hat in Amerika wie auch in England große Aufmerksamkeit erregt und war Anlaß zu einer bunten Fülle von Vermutungen und Ansichten, nicht nur im Hinblick auf die Person des Autors, sondern auch in Bezug auf die Bedeutung, die Absicht, das Wesen des Buches selber. Einmal hieß es, es sei das Werk eines Autors - dann das von zwei, drei, vier, fünf - ja selbst von neun oder zehn Verfassern. Zuweilen nahm man an, diese Verfasser hätten den Doktor gemeinsam abgefaßt dann wieder, jeder habe einen Teil geschrieben. Diese einzelnen Teile wurden sogar mit äußerstem Scharfsinn identifiziert und ihren einzelnen Vätern zugesprochen. Angebliche Diskrepanzen in Geschmack und Stil, dazu der verschwenderische Verbrauch von Zitaten und anderen Wissensfetzen (die offenbar über den Belesen­ heitshorizont eines einzelnen hinausgehen) haben diese Vorstellung von einer Vielfalt an Autoren entstehen lassen - unter denen reihum die geistreichen, über­ spanntesten und vor allem die gebildetsten aus ganz Großbritannien genannt werden. Doch zurück zum Charakter des Buches selbst. Man nannte es eine Imitation Sternes - die erhabene und höchst tiefsinnige Darstellung eines universalgültigen moralischen Ge­ setzes unter dem Deckmantel der Verschrobenheit - eine wahre, als Erfindung verkleidete Biographie - ein .bloßesjeuesprit- das tolle Gebräu eines Irrenhäuslers­ und gab ihm eine Fülle anderer hübscher und unver­ blümter Bezeichnungen. Zweifellos ist es die beste Methode, über ein Werk dieser Art zu einem Urteil zu kommen, es aufmerksam durchzulesen und dann zu sehen, was sich damit anfangerrläßt. Das taten wir, und ’59

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wir können nichts damit anfangen und sind daher der eindeutigen Ansicht, daß der Doktor, genau genommennichts ist, Womit wir sagen wollen, daß er nicht mehr ist als ein Schwindel. Daß eine ernste Wahrheit durch ein Geflecht aus bizar­ rem und unzusammenhängenden Wortschwall einge­ schärft werden sollte, dessen allgemeine Bedeutung nie­ mand ermessen kann, ist ein völlig unhaltbarer Gedanke, es sei denn, wir halten den Autor für verrückt. Doch es finden sich keine der typischen Anzeichen von Verrückt­ heit in dem Buch-hingegen unzählige Beispiele schieren Spotts. Mindestens die Hälfte der gesamten Veröffent­ lichungen beanspruchen veritable Frotzeleien, Zirkel­ schlüsse, Sentenzen nach Art der Nonsensverse von Du Bartas, die offensichtlich geschaffen sind, um gar nichts zu bedeuten, während sie die Aura des Tiefsinns tragen, und groteske Spekulationen über die Aufregung, die das Buch voraussichtlich auslösen würde. Dieses scheint in der einzigen Absicht (oder fast in der einzigen Absicht) verfaßt zu sein, Untersuchungen und Kommentare hervorzurufen. Daß dieses Ziel voll erreicht werden dürfte, kann nicht sehr verwundern, wenn wir den ungemeinen Aufwand berücksichtigen, den ein lebendiger und kräftiger Verstand in dieser Absicht trieb. Daß der Doktor das Erzeugnis eines sol­ chen Intellekts ist, beweisen hinreichend viele Passagen des Buches, wo der Verfasser von seinem Hauptplan abgelenkt zu sein scheint. Daß es von mehr als einem Autor stammt, sollte man weder aus der offensichtlichen Überfülle seiner Gelehrsamkeit noch aus stilistischen Widersprüchlichkeiten schließen. Man ist ein hoffnungs­ loser Manierist, wenn man seinen Stil nicht ad infinitum variieren kann; und wenngleich das Buch von einer 160

SOUTHEY: DER DOKTOR

Anzahl gelehrter Bibliophagen geschrieben sein könnte, so findet sich doch, wie wir glauben, darin nichts, was unvereinbar mit der Möglichkeit wäre, es sei von einem einzigen Menschen mit lediglich mittelmäßiger Belesen­ heit verfaßt worden. Bildung ist mit Sicherheit nur an ihren Gkww/ergebnissen zu erkennen. Das bloße Zusam­ menstellen von Zitaten aus einer Unzahl seltenster Werke oder selbst das scheinbar natürliche Verweben von Gedanken und Stilmerkmalen dieser Werke zu einer Komposition sind Leistungen, die jeder gut informierte, intelligente und fleißige Mensch mit Zugang zu den großen Londoner Bibliotheken erzielen kann. Doch während ein einzelnes Individuum, im Besitz dieses Materials und dieser Gelegenheiten, aus dem fanatischen Bedürfnis, eine Sensation hervort^urufen, mit einiger An­ strengung den Doktor geschrieben haben könnte, fällt die Vorstellung keineswegs leicht, eine Mehrzahl ver­ nünftiger Menschen könne willens sein, sich aus einem solchen oder überhaupt einem denkbaren Beweggrund auf eine derartige Absurdität einzulassen.

Die vorliegende Ausgabe von Harpers besteht aus zwei Bänden in einem. Band i beginnt mit einem Vorspiel in Zitaten, das zwei Seiten einnimmt. Es folgt ein Post­ skriptum - dann über achtzehn Seiten hinweg ein Inhalts­ verzeichnis des ersten Bandes. Band 2 enthält ein ähnliches Vorspiel in Zitaten samt Inhaltsverzeichnis. Das Ganze ist unterteilt in Ante-Initial-, Initial- und Post-Initial-Kapitel mit Inter-Kapiteln. Die Seiten enthalten hier und da eine typographische Kuriosität - ein Monogramm, einen Fetzen grotesker Musik, Altenglisch, usw. Einige Buch­ staben des letzteren sind in der mit großer Sorgfalt hergestellten britischen Ausgabe fa'rbig gedruckt. All diese 161

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Ausgefallenheiten sind in der Manier Sternes und manche davon ausgesprochen gut ersonnen. Das Werk gibt vor, die Lebensbeschreibung eines Doktors Daniel Dove und seines Pferdes Nobs zu sein - doch man sollte dieser Biographie keinen allzu großen Glauben schenken. Auf dem Buchrücken findet sich ein Monogramm - das auch ein paarmal im Text erscheint und dessen Auflösung für alle Leser eine ergiebige Quelle der Verwirrung ist. Dieses Monogramm stellt eine dreiseitige Pyramide dar; und da sich in der Geometrie der Rauminhalt jedes polyedrischen Körpers durch seine Unterteilung in Pyramiden errechnen läßt, gilt die Pyramide somit als Grundlage oder Quintessenz jedes Polyeders. Der Autor will also vielleicht auf seine Weise andeuten, das Buch sei die Grundlage jeglichen Inhalts oder jeder Weisheitoder vielleicht auch, daß der Doktor, da der Polyeder nicht nur ein fester Körper, sondern auch ein durch glatte Flächen begrenzter fester Körper ist, die eigentliche Quintessenz all jener Pseudoweisheiten sei, die auf über­ haupt nichts hinauslaufen - nämlich auf einen Schwin­ del - und damit auf eine Menge leerer Gesichter. Witz und Humor des Doktor haben kaum ihresgleichen. Wir können uns nicht vorstellen, daß Southey ihn schrieb, wüßten aber auch nicht, wer sonst.

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BERICHT DES AUSSCHUSSES FÜR SEEFAHRTSANGELEGENHEITEN

Daß eine genauere, fester umrissene und brauchbarere Kenntnis als unsere gegenwärtige über die Gewässer, Inseln und Kontinentalküsten des Pazifik und der Südsee seit langem wünschenswert ist, wird wohl kaum ein unvoreingenommener Kenner des Gegenstandes leug­ nen. Eine Anzahl von Leuten, die unvergleichliche Aktivität, Unternehmungslust und Beharrlichkeit und überragende Bedeutung sowohl in politischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht besitzen, bringt seit langem in diesen weiten Regionen eine erkleckliche Ernte persön­ lichen Reichtums und nationaler Ehre ein. Der Pazifik kann als das Übungsfeld, als Schule unserer nationalen Seefahrt bezeichnet werden. Die Unerschrockenheit und der Wagemut bei dem Teil unserer Handelsmarine, der im Güterverkehr und der Fischerei tätig ist, sind schon fast sprichwörtlich geworden. In diesem Stand begegnen wir dem höchsten Maß jener kühlen Selbstbeherrschung, Courage und ausdauernder Standfestigkeit, die uns unsere beneidenswerte Stellung unter den großen See­ mächten errungen haben; und aus diesen Menschen können wir auch einen beträchtlichen Anteil jener physischen Stärke und jener moralischen Kraft zu rekrutieren hoffen, die vonnöten sind, diese Position zu halten und zu stärken. Der vor uns liegende Bericht bringt im Anhang ein hochinteressantes dokumenta­ risches Beweismaterial, auf das er sich stützt. Diese Dokumente erwecken in uns Bewunderung für die Energie und den Eifer, die eine Schar wagemutiger Män­ ner inmitten der Fährnisse und Zufälligkeiten schwieri­ gen Navigierens in wenig bekannten Gewässern bei der 163

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Verfolgung ihrer gefahrvollen und mühseligen Auf­ gabe eingesetzt haben. Es gewinnt unsere Anteilnahme an den Gefahren und Schwierigkeiten, gegen die sie gekämpft haben, es macht die Billigkeit ihrer Ansprüche an die Nation auf Hilfe und Schutz nachdrücklich offenkundig und zeigt die Zweckmäßigkeit der Maßnahme, die nun endlich auf ihre Vorstellungen hin getroffen wurde. Der Bericht selbst ist klar, aufrecht, entschieden - in der energischen Sprache von Männern, die, nach der Untersuchung der ihnen vorgelegten Fakten unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen, darauf bedacht sind, ihre Gedan­ ken mit einem Nachdruck und einem Ernst vorzu­ bringen, die ihren Ansichten über die Dringlichkeit und das von ihnen empfohlene Verfahren gemäß sind. Es ist eine erhebende Sache, den schrittweisen Fort­ schritt zu betrachten, den menschlicher Fleiß erzielt, wenn er sich der Verfolgung eines löblichen Zieles verschreibt. Vor wenig mehr als einem Jahrhundert führten nur die Besatzungen armseliger offener Boote, die zu gebrechlich waren, um sich weit vom Land weg­ zuwagen, einen ungewissen Kampf mit den großen Leviathanen der Tiefe entlang den Küsten von Cape Cod und Nantucket - an denen damals in weiten Abständen wenige unbedeutende Fischereistationen lagen. Schon diese ersten Bemühungen waren einträglich, und man rüstete für diese Aufgaben besser geeignete Schiffe aus. Sie dehnten ihre Fahrten aus, nordwärts bis Labrador und südwärts bis nach Westindien. Schließlich über­ querten die Abenteurer in Schiffen von noch größerer Stärke, Leistungs- und Widerstandsfähigkeit den Äqua­ tor und vollführten ihren beschwerlichen Auftrag an der Ostküste der südlichen Halbinsel und den West- und 164

SEEFAHRTSANGELEGENHEITEN

Nordwestgestaden Afrikas. Die Revolution wirkte sich natürlich als eine zeitweilige Unterbrechung ihres Auf­ schwungs aus, aber kurz danach umsegelten diese unerschrockenen Seefahrer Kap Horn und lenkten die Kiele kühn in die fast gänzlich unbekannten Weiten dahinter, auf der Jagd nach ihrer gigantischen Beute. Seit jener glücklichen Ankunft hat die Fischerei in der Größe ihrer Flotte, deren Reichweite und ihren Gewin­ nen unvergleichlich zugenommen, und neue Quellen des Reichtums, deren Bedeutung im Augenblick unmöglich abzuschätzen ist, haben sich uns in eben dieser Gegend erschlossen. Umfang und Ertrag des Handels mit Otterund Seehundfellen, mit den Pelzen der Landtiere an der Westküste etc., sind umfangreich gewesen. Das Walroß liefert neben seinem wertvollen Elfenbein ein rohes Öl, das sich, sollte der Wal durch die unaufhörlichen Raub­ züge des Menschen aussterben, als wertvoller Gebrauchs­ artikel erweisen könnte. Eine Vorstellung von der Größe der am Pazifikhandel beteiligten verschiedenartigen wirt­ schaftlichen Interessen läßt sich aus dem folgenden Aus­ zug aus dem Hauptgegenstand unserer Besprechung gewinnen. Dabei sollte man im Gedächtnis behalten, daß viele Zweige dieses Handels noch in den Kinderschuhen stecken, daß die natürlichen Schätze, auf die sie sich stützen, offenbar so gut wie unerschöpflich sind; dann werden wir gewahr; daß alles, was jetzt geschieht, nur einen schwachen Abglanz der überwältigenden Ergeb­ nisse bietet, die man erwarten kann, wenn dieses weite Gebiet für nationale Unternehmungen besser bekannt und gewürdigt ist. «Kein Teil des Handels in diesem Land ist wichtiger als der im Pazifischen Ozean betriebene. Er ist von großem Umfang. Nicht weniger als 12060000 Dollar hat allein 165

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ein Zweig der Walfängerei investiert und aktiviert; im ganzen dortigen Handel stecken nicht weniger als fünfzig bis siebzig Millionen des Volksvermögens. Gleicher­ weise sind 170 bis 200000 Tonnen unserer Flotte und neun- bis zwölftausend unserer Seeleute beteiligt, die bis zu neun Zehntel der ganzen Seefahrt der Union aus­ machen. Die Ergebnisse sind einträglich. Es handelt sich weitgehend nicht um einen bloßen Warenaustausch, sondern um die erarbeitete Schaffung von Wohlstand aus dem Meer. Allein die Fischereien erzielen zur Zeit ein jährliches Einkommen von fünf bis sechs Millionen Dollar; und man kann Nantucket, New Bedford, New London, Sag Harbour und eine große Zahl anderer Distrikte an unseren Nordküsten nicht ohne die tiefe Überzeugung betrachten, daß es sich um ein für die geistigen, politischen und wirtschaftlichen Interessen unserer Mitbürger gleich wohltätiges Unternehmen handelt.» In einem Brief des Commodore Downes an den Ehren­ werten John Reed - er bildet einen Teil des Anhangs zu dem Bericht - stellt jener erfahrene Offizier fest: «Während meiner Erdumsegelung, bei der ich den Äquator sechsmal überquerte und mich zwischen 40 Grad nördlicher und 5 7 Grad südlicher Breite bewegte, befand ich mich niemals außerhalb der Reichweite unserer Handelsflotte. Die berichteten Gefahren und Verluste, denen unsere Schiffe durch die Ausweitung unseres Handels in nur wenig bekannte Gewässer aus­ gesetzt sind - sie sind meiner Meinung nach alles andere als übertrieben -, verlangen nach entschiedener Erleich­ terung und einem “nachdrücklicher durchgeführten Schutz der Regierung. Ich spreche aus praktischer Erfahrung, da ich selber die Gefahren erlebt und 166

SEEFAHRTSANGELEGENHEITEN

schmerzlich den Mangel an Informationen jeglicher Art verspürt habe, deren unsere Handelsinteressen so sehr bedürfen und die, wie ich annehme, Gegenstand einer solchen Expedition sein werden, wie sie nun dem Bewilligungsausschuß des Kongresses zur Beratung vorliegt. Der Handel unseres Landes hat sich auf entfernte Teile der Welt ausgedehnt, spielt sich um Inseln und Felsen­ riffe ab, die nicht in den Seekarten verzeichnet sind, darunter sogar Gruppen von zehn bis sechzig Inseln, die von wertvollen Handelsgütern überfließen, von denen man aber nichts Genaues weiß; nicht einmal die Skizze eines Hafens wurde angefertigt, während unsere Kenntnisse über die unbewohnten Inseln noch unvoll­ ständiger sind.» Bei der Lektüre dieses Zeugnisses (entstanden aus der persönlichen Erfahrung eines nüchternen und erfahre­ nen Kommandanten) über die ungeheure Ausdehnung unseres Handels in den erwähnten Gebieten und über die drohenden Risiken und Gefahren, denen die dabei Beteiligten ausgesetzt sind, kann nur das Gefühl der Verwunderung entstehen, daß eine Angelegenheit von derart lebenswichtiger Bedeutung, nämlich das Er­ greifen von Maßnahmen zur Abhilfe, so lange in der Schwebe bleiben konnte. Eine tabellarische Übersicht über die Entdeckungen unserer Walfangkapitäne im Pazifik und der Südsee, der Teil eines anderen Doku­ ments, scheint noch stärker auf die Ungenauigkeit und fast völlige Wertlosigkeit der jetzt verwendeten Karten von diesen Gewässern hinzuweisen. Aufgeklärte Freigebigkeit ist die beste Ökonomie. Es wäre nicht schwierig zu zeigen, daß selbst in finanz­ politischer Hinsicht die nun, iir Angriff genommenen 167

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langfristigen Maßnahmen zur Behebung der von diesem Teil unserer Handelsmarine aufgezeigten Übelstände klug und nützlich sind. Aber begeben wir uns auf eine höhere Warte. Die Maßnahmen wurden erforderlich. Erstens: aus Gründen der öffentlichen Gerechtigkeit. In seinem umfassenden und vortrefflichen Brief an den Vorsitzenden des Ausschusses für Seefahrtsangelegen­ heiten aus dem Jahre 1828, der zusammen mit vielen anderen überzeugenden Argumenten und von diesem Herrn beigebrachten Tatsachen, die Hauptunterlage für den Bericht jenes Ausschusses bildet, schreibt Mr. Reynolds im Hinblick auf den Pazifik: «Sich um unseren Handel dort zu kümmern - ihm jede mögliche Erleich­ terung zu verschaffen, neue Kanäle für seine Unter­ nehmungen zu eröffnen und eine ansehnliche Seestreit­ macht zu seinem Schutz zu unterhalten - bedeutet nur die Einlösung einer Schuld, die wir gegenüber der Wirtschaft des Landes haben: denn Millionen flössen aus dieser Quelle in die Schatzkammern, ehe auch nur ein Cent für ihren Schutz ausgegeben wurde.» Bis jetzt haben wir als Nation also wenig getan, um die Tätig­ keit unseres Handels in dem angegebenen Gebiet zu erleichtern oder zu steigern; wir ließen den unter­ nehmenden Kaufmann und den kühnen Fischer allein in ihrem Kampfe mit gefährlichen Felsenriffen und Pas­ sagen durch unerforschte Archipele, wobei sie wenig mehr Hilfe hatten als ihren eigenen Weitblick und Scharfsinn; aber wir haben nicht gezögert, uns an den Früchten ihrer einsamen Mühen zu beteiligen, das Ansehen, die Ehrfurcht und die Achtung, die ihr Unternehmergeist abnötigen, für uns in Anspruch zu nehmen, und ihren Stand als die stärkste Stütze an jenem Hauptpfeiler unserer nationalen Macht zu betrach168

SEEFAHRTSANGELEGENHEITEN

ten - einer tapferen, leistungsfähigen und gut geschulten nationalen Flotte. Zweitens: Unser Stolz als starke Handelsmacht sollte uns anspornen, selbst Pioniere in den Weiten dieses insel­ übersäten Ozeans zu werden, der möglicherweise dazu bestimmt ist, nicht nur die Hauptbühne unseres Verkehrs zu werden, sondern auch die Arena unserer zukünftigen Seekonflikte. Wer vermag bei dem gegenwärtigen rapiden Wachstum unserer Bevölkerung zu behaupten, daß die Rocky Mountains auf ewig die westliche Grenze unserer Republik bilden werden, oder daß sie nicht ihre Herrschaft von Meer zu Meer ausdehnen wird? Dieses mag nicht wünschenswert sein, aber die Zeichen der Zeit lassen ein solches Ereignis keineswegs aus dem Bereich des Möglichen ausgeschlossen erscheinen. Der Verkehr zwischen den pazifischen Inseln und der Küste Chinas ist höchst einträglich, die immensen Profite des Walfangs in dem Ozean, der diese Inseln umspült, und entlang den Kontinentalküsten sind schon genannt worden. Unsere Walfänger haben den weiten Raum zwischen Peru und Chile im Westen und den Inseln Japans im Osten durchquert und dabei die Achtung der Nation wie auch persönlichen Gewinn errungen; und doch hat der Kongreß, bis auf die letzte Zuwendung, ihnen niemals eine finanzielle Unterstützung gewährt und ihre Sicherheit den wissenschaftlichen Bemühungen anderer, weit entfernterer Länder überlassen, die viel weniger daran interessiert sind als unser eigenes. Drittens: Es ist unsere Pflicht in Anbetracht unseres hohen Ranges auf der Stufenleiter der Nationen, einen großen Beitrag zu jener Anhäufung nützlichen Wissens zu leisten, das Gemeinbesitz aller ist. Wir haben Astronomen, Mathematiker, Geologen, Botaniker, her169

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vorragende Gelehrte in jedem Zweig der Naturwissen­ schaft - wir sind unbelastet vom Druck nationaler Schulden und frei von vielen anderen Beeinträch­ tigungen, welche die Maßnahmen der transatlantischen Regierungen hemmen und bestimmen. Als Volk besitzen wir die geistige Elastizität, die durch liberale Verhält­ nisse angeregt wird, und eine Staatskasse, die es sich leisten kann, wissenschaftliche Forschung zu finanzieren. Sollten wir da nicht an vorderster Stelle im Wettlauf der philantropischen Entdeckungen liegen, und zwar auf jedem Gebiet, das unter diesen umfassenden Begriff fällt ? Ehre und Ruhm unserer Nation, die, wie erinnerlich, «weitergegeben und genossen» werden sollen, stehen auf dem Spiel. Wir wollen doch nicht das Gebäude wirt­ schaftlichen Gedeihens errichten und den Eckstein dazu stehlen. Lassen wir uns nicht von künftigen Zeiten nachsagen, wir hätten unrühmlich einen Schatz wissen­ schaftlicher Kenntnisse ausgeschlachtet, zu dessen Zu­ standekommen wir nicht unseren Beitrag geleistet hätten - wir hätten uns als Volk davor gedrückt, unsere Schulter gegen den Wagen zu stemmen - wir hätten dort geerntet, wo wir niemals gesät hätten. Es ist nicht zu bestreiten, daß dies bislang der Fall war. Wir sind dem Entdeckertum in der Nachhut gefolgt, wo uns ein Gespür für moralische und politische Verantwortlich­ keit in seine Vorhut hätte drängen sollen. Diese knech­ tische Abhängigkeit von ausländischer Forschung miß­ billigt Mr. Reynolds mit erregt-emphatischen Worten in einem Brief, auf den wir schon hingewiesen haben. «Die Handelsnatioqen der Erde haben viel getan, und viel bleibt noch auszuführen. Wir bilden ein einzigartiges Beispiel unter jenen, die insofern als Händler gelten, als sie nie ein Quentchen Kraft eingesetzt oder einen Dollar 170

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ihres Geldes ausgegeben haben, um den gehäuften Vor­ rat wirtschaftlichen und geographischen Wissens zu vermehren, es sei denn bei der eigennützigen Erschlie­ ßung unseres eigenen Territoriums. Wenn unsere Marinekommandanten und zähen Matro­ sen einen Sieg über die Tiefe errungen haben, müssen sie nach unseren Häfen suchen und ihre Erwerbungen nach Tabellen und Seekarten nach Hause bringen, die vielleicht von eben den Menschen angefertigt wurden, die man besiegt hat. Es gilt in den Vereinigten Staaten schon immer als ehrenhaft, das von anderen erworbene Wissen auszu­ nützen, wie man einem Felsen ausweicht, eine Untiefe umschifft oder einen Hafen findet; und um nichts die große Menge an Kenntnissen zu vermehren, die frühere Zeiten und andere Nationen für uns verfügbar gemacht haben. Die Exporte und, noch ausdrücklicher, die Importe der Vereinigten Staaten, ihre Einnahmen und Ausgaben sind auf jedem Pfeiler eingegraben, den der Handel in jedem Ozean und unter jedem Himmelsstrich errichtet hat; doch der Betrag ihrer Investitionen zur Errichtung dieser Pfeiler und zur Beförderung des Wissens ist nirgendwo zu finden. Haben wir denn nicht einen Grad geistiger Stärke erreicht, der uns gestattet, unseren Weg um den Globus ohne Führungsseile zu finden ? Müssen wir für alle Zeiten die Straßen benutzen, die andere für uns angelegt und mit Meilensteinen und Wegweisern festgesetzt haben? Nein: eine Zeit des Unternehmungsgeistes und des Abenteuers muß kommen, ist schon da; und ihr Gang ist so nach vorwärts gerichtet, wie ein Stern seinem Zenit zustrebt.» 171

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Es ist erfreulich festzustellen, daß der Kongreß derart unabhängige Aussagen und Meinungen wie diese anerkannte und nach ihnen handelte und daß unser Präsident mit einer Klugheit und Schnelligkeit, die ihn ehren, die Ausführung der legislativen Absicht über­ wacht und erleichtert. Wir entnehmen die folgende Bekanntmachung dem Washington Globe: « Vermessung!- und Entdeckungsexpedition in den Pazifischen Ozean und die Südsee. - Wie wir erfahren, hat der Präsident Anweisung erteilt, die Expeditionsfahrzeuge unter geringstmöglicher Verzögerung auszurüsten. Die Zu­ wendung durch den Kongreß war reichlich genug, um sämtliche von der Expedition ins Auge gefaßten großen Projekte zu sichern, und die Exekutive ist entschlossen, es an nichts fehlen zu lassen und die Expedition in jeder Hinsicht so durchzuführen, daß sie des Charakters und der großen wirtschaftlichen Mittel dieses Landes würdig ist. Die Fregatte Macedonian, die jetzt in Norfolk gründlich überholt wird, zwei Briggs von je zweihundert Tonnen, ein oder mehrere Leichter und ein Vorratsschiff von entsprechendem Ausmaß sind unseres Wissens die ver­ einbarte- Flotte und sollen sofort in den Zustand der Einsatzbereitschaft gebracht werden. Kapitän Thomas A. C. Jones, ein Offizier mit zahlreichen hohen Fähigkeiten für eine solche Aufgabe, wurde zum Kommandanten ernannt; und die Offiziere für die übrigen Fahrzeuge werden augenblicklich ausgewählt. Die Macedonian wurde anstelle einer Kriegsschaluppe wegen der höheren Bequemlichkeit ausgewählt, die sie dem wissenschaftlichen Korps bietet - eine Abteilung, die nach der Entscheidung des Präsidenten in ihrer Organisation perfekt sein und die fähigsten Männer

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umfassen soll, die man sich verschaffen kann, so daß keines aus dem ganzen Umkreis sämtlicher natur­ geschichtlichen und philosophischen Fächer übergangen wird. Nicht nur aus diesem Grunde wählte man die Fregatte, sondern auch im Hinblick auf einen erweiterten Schutz für unsere Walfänger und Handelsschiffe; und um den Eingeborenen zutreffende Vorstellung von unserem Charakter, unserer Macht und unserer Politik einzuprägen. Die häufigen Unruhen und Massaker an unseren Seeleuten durch die eingeborenen Inselbewoh­ ner in jenen entlegenen Meeren machen diese Maßnahme zum Diktat der Menschlichkeit. Wir vernehmen auch, daß der Präsident den Ehren­ werten J.S. Reynolds zum Vortragenden Sekretär der Expedition ernannt hat. Zwischen diesem Herrn und Kapitän Jones bestehen freundschaftliche Beziehungen und bestes Einvernehmen im Vorgehen. Die Herzlich­ keit, die sie füreinander aufbringen, werden, wie wir ver­ trauen, alle spüren, Zivilisten wie Offiziere, die das Glück haben werden, zu der Expedition zu gehören.» So zeigt sich, daß Schritte unternommen werden, unser Land von dem Vorwurf zu befreien, auf den Mr. Reynolds angespielt hat, und daß man diesem Herrn den höchsten zivilen Posten bei dem Unternehmen über­ tragen hat; eine Stellung, die auszufüllen er unserer Ansicht nach außerordentlich gut geeignet ist. Die Groß­ zügigkeit bei der Geldbewilligung für das Unternehmen, der starke Anteil, den unser energischer oberster Beamter an seiner Organisation nimmt, und die Erfahrung und Intelligenz eines ausgezeichneten Leiters an der Spitze: all das verspricht einen erfolgreichen Abschluß. Unsere herzlichsten guten Wünsche werden das Unternehmen begleiten, und wir vertrauen darauf, daß es sich als ’73

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geistiger Keim eines wissenschaftlichen Ehrgeizes er­ weisen wird, der uns, gefördert durch legislativen Schutz und Schirm, auf dem Gebiet nautischer Entdekkungen einen Namen machen sollte, wie er unserer geistigen, politischen und wirtschaftlichen Position unter den Völkern der Erde entspricht.

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JAMES STRANGE FRENCH: ELKSWATAWA

Dieser Roman hat Mr. James S.French, aus Jerusalem (Virginia), zum Verfasser - wie wir glauben, auch Autor des , in der wäsche­ tintigen Handschrift uns’res Helden - sogleich erinnert er sich, am Tage seines Abschieds von Petersburg, mit Miss F. Taschentücher gewechselt zu haben l; worauf sich nun auch etwaige letzte seiner Zweifel in Gewiß­ heit verkehren. Dieser Vorfall bestimmt Rolfe, nun doch sogleich Wabash;aufwärts vorzudringen - aber auch hier kann er das Ziel seiner Recherchen nicht erreichen; und die Jäger machen sich schließlich doch wieder auf den Rückweg. Unterwegs entdeckt man eine indianische Frau, die eine Fackel trägt, und nach ihrem Sohn sucht, von dem sie vermutet, daß er von den Weißen ermordet worden sei. Von Mitgefühl ergriffen, helfen unsre Freunde ihr beim Suchen; und der Sohn wird auch, schwer aber nicht tödlich verwundet, aufgefunden. Während ihrer Klagen entfallen der Mutter zufällig ein paar Worte über ein weißes Mädchen, das Schutz in ihrem Wigwam gesucht hat, und Rolfe’s Hoffnungen beleben sich wieder neu. Man trägt den wunden Mann nach der Hütte; und das weiße Mädchen, das man übrigens tot findet, stellt sich als nicht Gay Foreman heraus. Aber die Freundlichkeit Rolfe’s und seines Gefährten, haben in der Brust der indianischen Mutter, sowie ihres Sohnes - der Letztere nennt sich Oloompa tiefe Dankbarkeit hervorgerufen. Sie geloben ihre Hülfe zur Befreiung der jungen Dame; und die Jäger - nach­ dem Rolfe jenem Oloompa noch einen Brief für seine Geliebte anvertraut hat - nehmen ihre Reise wieder auf. In Indiana angekommen, müssen sie erkennen, daß, infolge der unruhigen indianischen Zustände, ihnen, was die Befreiung Miss Foreman’s anbelangt, zur Zeit keine Unterstützung gewährt werden kann. Sie verfügen sich weiter nach Kentucky. Earthquake wird zum Sheriff 180

FRENCH: ELKSWATAWA

ernannt. Rolfe liegt seiner Anwaltstätigkeit ob; und erhält aus Petersburg, wohin er bezüglich Miss F.’s geschrieben hat, eine Antwort, die ihn doch wieder dahin bringt, sich hinsichtlich der Identität jener Gefangenen im Irrtum zu glauben. - In der Zwischen­ zeit hausen Netnokwa, Mis^kwaibunioikwa und Miss Foreman an den Ufern des Red River. Das Fräulein ist, in gewissem Grade, mit ihrem Schicksal ausgesöhnt, infolge des Wohlwollens und der Gefälligkeit ihrer indianischen Freunde, die lediglich Furcht vor dem Groll des Propheten davon abhält, sie wieder in die weißen Niederlassungen zurückzuschicken. Elkswatawa und Tecumseh sind indes rastlos beschäftigt, die indiani­ schen Stämme zu einigen, mit der Absicht eines General­ angriffs auf die Weißen. In diesem Sinne wird ein Send­ ling auch in den Wigwam Netnokwa’s geschickt; die Prinzessinnen jedoch, beeinflußt von Miss Foreman, behandeln den Boten mit Verachtung, und lachen nur über die Anmaßungen des Propheten. Er kehrt heim, Rache schwörend; und Elkswatawa sieht sich bewogen, einen Trupp von 6 Kriegern mit dem Auftrag auszu­ senden: sämtliche Insassen von Netnokwa’s Hütte zu ihm ins Lager zu bringen. Indessen hat der freundliche Indianer Oloompa beschlos­ sen, sein den beiden Jägern gegebnes Versprechen ein­ zulösen; er findet den Wigwam Netnokwa’s auf; gibt dort Rolfe’s Brief ab, und empfängt dagegen eine Antwort von Miss Foreman; macht sich damit auf nach Kentucky; sucht und findet unsern Helden; und kehrt mit ihm zurück, wobei er ihm als Führer zur Behausung der indianischen Prinzessin dient. Earth begleitet sie. Die Hütte wird gefunden - verödet, verlassen: ihre Bewohner sind, tags zuvor,-in Richtung nach dem Lager 8

REZENSIONEN

des Propheten verschleppt worden. Aber der Scharfsinn Misskwadsunsoskwa’s hat es zu veranstalten gewußt, auf dem Wandbrett der Hütte einen Brief zur Information Oloompa’s - dessen Wiederkehr selbstredend erwartet werden konnte - zu deponieren; einen Brief, der aus einer Anzahl kleiner Lehmfigürchen besteht, die Netnokwa darstellen, Mis^kwasbunsorkwa und Miss Foreman, wie sie von 6 Indianern in Richtung zum Lager des Propheten getrieben werden. Auf diesen Fingerzeig hin, begibt unser Held, mit seinen beiden Gefährten, sich sogleich auf die Verfolgung. Dennoch gelingt es ihnen nicht, die Indianer rechtzeitig genug einzuholen, um eine Befreiung bewerkstelligen zu können. Die Gefangene ist, mitsamt ihren Freundinnen, nach Tippe­ canoe gebracht worden, allwo der Prophet - (Tecumseh selbst hat sich nach dem Süden begeben) - sich auf einen Angriff der amerikanischen Armee, unter General Harrison, gefaßt hält. Oloompa kann das Lager betreten, sich unter die Indianer mischen; und schließlich das Zelt ausfindig machen, das die Prinzessinnen und Miss Foreman beherbergt. Als er erfährt, daß der Prophet Misrkwa:bun;o= kwa das Vorrecht zugestanden habe, in ihrem Zelt nach Belieben frei ein und aus zu gehen, unter der einen Bedingung das Lager nicht zu verlassen, vermag er auch zu einer Unterredung mit ihr zu gelangen, und sie dazu zu bewegen, Miss Foreman als siesselbst (dh als Indianerprinzessin) zu verkleiden, und solchergestalt der Gefangenen das Hinauskommen zu ermöglichen. Der Anschlag wird von Erfolg gekrönt, und unsre Heldin den Armen von Mr. Rolfe wieder­ gegeben, der ihrer 'schon außerhalb der feindlichen Linien harrt. Inzwischen haben die ungeduldigen India­ ner den Propheten zu einer nächtlichen Attacke auf 18z

FRENCH: ELKSWATAWA

General Harrison genötigt. Sie werden zurückgeschla­ gen; und, gegen Ende der Schlacht, sehen wir unsre Freunde auf ihrem Weg ins amerikanische Lager. Alle Schwierigkeiten sind nun verschwunden. Die Liebenden werden getraut; und die Erzählung hat ihr Ende gefun­ den. Der hier von uns gegebene trockene Auszug kann natürlich nicht mehr leisten, als eine ungefähre Idee von der Fabel des Romans zu vermitteln. Sein Hauptinteresse beruht jedoch auf Materien, die zu berühren wir bewußt vermieden haben; da sie gänzlich unabhängig von besagter Fabel sind, vielmehr einen Teil unsrer indiani­ schen Geschichte und Volkskunde bilden: und hier ist Mr. French überaus erfolgreich gewesen. Die Charaktere von Tecumseh und Elkswatawa scheinen uns gut gezeichnet; und die Machinationen, vermittelst welcher der Prophet eine derartige Machtstellung erlangen konnte, sind im einzelnen geschickt beschrieben. Trotz­ dem wär’ es denkbar, daß die Bären*, Jaguars, Indianers und SchlangensGeschichten von Freund Earthquake, mit denen die Bände reichlich gespickt sind, noch einmal als der bessere Teil von Elkswatawa betrachtet würden. Denn was den Gang der Haupthandlung anbelangt, haben wir ja bereits auf die plumpe Unwahrscheinlich­ keit hingewiesen, die als Achse der Geschichte dienen muß. In der ganzen Konstruktion seiner Erzählung ist Mr. French, unseres Erachtens, etwas zu handgreiflich in gewisse Maniriertheiten Sir Walter Scott’s ver­ fallen. Bei ihm (Sir Walter) waren besagte Maniriertheiten, (bis die allzugroße Häufigkeit ihrer Wiederholung ihnen diese Bezeichnung mit Recht eintrug), zunächst lobens­ wert, da meist geschickt gehandhabt und nicht aufdringi»3

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lieh übertrieben. Sie gaben der Entwicklung seiner Geschichten zusätzlich große Kraft und Präzision. Heut­ zutage sollte man sie vermeiden - als ein klein bißchen zu viel des Guten. Einem Mann von Genie ist die Welt erfinderischen Fabulierens ja nie verschlossen. Es gibt immer etwas Neues unter der Sonne - ein Satz, des schlüssigsten Beweises fähig, 1000 dogmatischen Ver­ sicherungen des Gegenteils zum Trotz. Die spezielle Maniriertheit, die wir bei Mr. French hier beanstanden, besteht in dem, was er selbst so häufig als das Solchergestalt müßte sich, seiner Ansicht nach, in den Besitz des gesamten Nordameri­ kanischen Pelzhandels gelangen lassen, von 48° Breite an, bis hinauf zum Nordpol - mit Ausnahme des bereits von den Russen besetzten Teils. Was die herabsah, der den größeren Teil seiner Gesellschaft ausmachte, ist wahrlich mit dem leicht» aber geistreichen Stift eines Künstlers porträtiert; während M’DOUGAL, der geriebene schot­ tische Teilhaber, ebenso geschäftig wie pompös, der an den erhabensten Vorstellungen von seiner eignen Wich­ tigkeit als Stellvertreter Mr.ASTOR’s laborierte, so unsagbar lächerlich wie nur möglich abgeschildert 222

IRVING: ASTORIA wird, - anscheinend mit so wenig Mühe & Sorgfalt allerdings, als man sich nur immer vorstellen kann. Immerhin tragen die Porträts den Anschein der Glaub­ würdigkeit im Gesicht. Jedenfalls war die ganze Reise von einer endlosen Serie kleinlicher Stänkereien und Mißverständnisse zwischen Capitän und Mannschaft accompagnirt; und gelegentlich auch zwischen Mr. M’KAY und Mr. M’DOUGAL. Die Auseinandersetzun­ gen zwischen den beiden Letztgenannten waren, scheint’s, immer kurz, aber stürmisch - Am Weihnachtstage umschiffte die Tonquin das Kap Horn; traf am 11. Februar vor Hawaii ein, wo man frische Lebensmittel an Bord nahm; am 28. segelte man, mit 12 Sandwich Insulanern an Bord, wieder ab; und traf am 22. März 1811 endlich vor der Mündung des Columbia ein. Bei der Suche nach einer Einfahrt durch die vorgelagerte Barre, ging ein Boot mit 9 Mann in der Brandung verloren. (Auch war auf der Überfahrt von Hawaii her, ein heftiger Sturm zu über­ stehen gewesen; und die Scharmützel zwischen Capitän und Passagieren waren munter fürder gegangen - sodaß der Erstere tatsächlich einmal die Letzteren ernstlich im Verdacht eines Komplotts hatte, mit dem Ziel, ihn ab­ setzen zu wollen. Der Columbia River ist, die ersten rund 65 km von seiner Mündung her, korrekt ausgedrückt eigentlich ein 'Meeresarm, dessen Breite zwischen 5 und 11 km schwankt, und in dessen Ufer tiefe Buchten einschneiden. Untiefen und andere Hindernisse machen die Navigation recht gefahrvoll. (Nachdem man diesen breiten Mün­ dungstrichter hinter sich gelassen-hat, trifft man, weiter

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stromaufwärts vordringend, auf die eigentliche Mün­ dung des großen Flusses, deren Breite rund 800 m be­ trägt.) Die Einfahrt in den Meeresarm, von See her, ist auf der Südseite von einem langen, niedrigen, sich weit in den Ozean erstreckenden Sandstrand gesäumt, dessen Spitze Point Adams heißt. Am Nordrand der Meeresenge ragt Kap Disappointment, ein steiles Vorgebirge. Unmittelbar östlich dahinter, liegt nach innen zu Baker’s Bay; und hier war es, wo die Tonquin vor Anker gingWas weiter lief waren die Eifersüchteleien zwischen dem Capitän und dem wackren M’DOUGAL, die zu keiner Verständigung hinsichtlich der günstigsten Stelle für die beabsichtigte Niederlassung gelangen konnten. Am 5. April schließlich landete Mr. THORN, ohne sich weiter groß um die Meinungen seiner Amtsbrüder zu scheeren in Baker’s Bay, und begann mit den Vorbereitungen. Bei solch summarischem Vorgehen schlug der Zorn der Partner selbstredend hohe Wogen, und ein offener Streit schien, sehr zum ernstlichen Schaden der Gesamtunter­ nehmung, bevorzustehen. Am Ende ließen sich diese Differenzen jedoch schlichten; und am 12. April wurde die Ansiedlung endgültig in Angriff genommen, und zwar auf einer, Point George genannten, Landspitze, am Südufer der Förde. Hier war ein guter Hafen, wo Fahr­ zeuge von 200 Tonnen in nur 50 Metern Abstand vom Ufer vor Anker gehen konnten. Zu Ehren des Chefs Partners erhielt der neue Außenposten den Namen ASTORIA. Nach vielem Verzögern wurde der für die Niederlassung bestimmte Teil der Ladung an Land gebracht; und die Tonquin konnte wieder daran denken, ihre Reise fortzusetzen. Man sollte Küstenfahrt betrei­ ben, nach Norden hinauf; an den verschiednen Lande224

IRVING: A$TORIA platzen Pelze aufkaufen; und auf der Rückreise, im Herbst, noch einmal in Astoria vorsprechen. M’KAY ging mit als Supercargo, und ein Mr. LEWIS als Schiffs5 Buchs & Rechnungsführer. Am Morgen des 5. Juni stach man in See; die Gesamtzahl der Personen an Bord betrug 23. In einer der Außenbuchten gelang es Capitän THORN, einen Indianer namens LAMAZEE in Dienst zu nehmen, der bereits 2 ähnliche Fahrten entlängst der Küste mitgemacht hatte, und sich dazu verstand, als Dolmetscher mitzukommen. Nach wenigen Tagen hatte das Schiff Vancouver’s Island erreicht, wo man im Hafen von Neweetee vor Anker ging - sehr gegen den Rat des Indianers, der Capitän THORN vor dem hinterhältigen Charakter der dortigen Eingeborenen warnte. Das Ergebnis war die gnadenlose Niedermetzelung der gesamten Besatzung, mit der einzigen Ausnahme des Dolmetschers, und Mr. LEWIS’, des Rechnungsführers. Der Letztere, als er sich auf den Tod verwundet und gänzlich ohne Gefährten sah, sprengte sich mit dem Schiff in die Luft, und starb zusammen mit mehr als Hundert Feinden. LAMAZEE konnte sich unter die Indianer mischen; entkam; und wurde so zum Werk­ zeug, die Nachricht von der Katastrophe nach Astoria zu tragen. Indem er ausführlich über die schauderhaften Einzelheiten dieser Katastrophe referiert, ergreift Mr. IRVING auch die Gelegenheit, sich über den Starrsinn des, ansonsten durchaus tapferen und streng ehrenhaften Charakter, Leutnant THORN’s zü verbreiten; gleich­ zeitig wird — völlig gerechterweise & aufs eindrucks­ vollste - die gefährliche Torheit mancher Agenten auf­ gezeigt, sobald sie die wohldurchdachten Instruktionen Derjenigen, die, wie Mr. ASTOR, gewohnt sind, um­ fassende Unternehmungen sorgfältig vorzuplanen, von 22J

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sich aus mißachten. Der hier in Rede stehende Unglücks­ fall entstand einzig & allein infolge der Nichtbeachtung von Mr. A’s immer wiederholtem Rat: nur ganz wenige Indianer auf einmal an Bord der Tonquin zuzulassen! Ihr Verlust war für die knospende Ansiedlung Astoria ein sehr ernster Schlag. Zu diesem Außenposten wollen wir nunmehr zurückkehren. Die um den großen Mündungstrichter herumwohnen­ den Eingeborenen gehörten 4 Stämmen an, von denen die Chinooks der bedeutendste waren; ein einäugiger Indianer, Comcomly, war ihr Häuptling. Die Stämme ähnelten sich übrigens in nahezu jeglicher Hinsicht, und waren ohne Zweifel gemeinsamen Ursprungs. Sie lebten hauptsächlich vom Fischfang - der Columbia und seine Zuflüße haben Überfluß an feinstem Lachs, sowie einer Vielzahl anderer Arten von Speisefischen. Der Handel um Pelze wurde, obschon in geringem Umfange, unver­ züglich begonnen, und fortgeführt. Beträchtliche Un­ ruhe entstand in der Faktorei, auf ein unter den Indianern kursierendes Gerücht hin: daß 30 weiße Män­ ner an den Ufern des Columbia erschienen, und mit dem Bau von Blockhäusern an den Zweiten Stromschnellen beschäftigt wären. Es mußte befürchtet werden, daß es sich dabei um eine Vorausabteilung der NordsWests Compagnie handeln möchte, die den Versuch unter­ nähme, sich des Oberlaufs des Stromes zu bemächtigen, um dergestalt Mr. ASTOR beim Handel in diesen Gebieten zuvorzukommen - eine Möglichkeit, bei der blutige Fehden, wie sie zwischen rivalisierenden Gesell­ schaften früherer Zeiten durchaus im Schwange gingen, unschwer vorauszusehen waren. Das indianische Ge­ rücht erwies sich als nur zu wahr -: die hatte ein Handelshaus am Spokan River errichtet, der 226

IRVING: ASTORIA sich in den nördlichen Arm des Columbia ergießt. In ihrem gegenwärtigen, zahlenmäßig reduzierten Zu­ stande, konnten die Astorianer wenig tun, Jenen Wider­ parte zu geben. Immerhin beschloß man, diesem Posten am Spokan aktiv entgegenzurücken; und Mr. DAVID STUART traf Anstalten zu diesem Behuf, gefolgt von 8 Mann, und mit einem kleinen Sortiment von Tausch­ waren. Am 15. Juli, just als die genannte Expedition sich in Marsch setzen wollte, lief ein Kanu, bemannt mit 9 Weißen, die britische Flagge am Bug, in den Hafen ein es stellte sich heraus, daß es sich um die Reste jener, von der rivalisierenden Compagnie ausgeschickten Expedition handele, die Mr. ASTOR bei seiner Nieder­ lassung an der Flußmündung hatte zuvorkommen sollen. Ihr Anführer, Mr. DAVID THOMPSON, stellte sich von selber als (Partner der NordsWest> vor - in jeglicher anderen Beziehung allerdings bekam man das friedlichste Bild von ihm. Immerhin gewinnt man den Eindruck, (gemäß späterhin eingelauFnen Informationen aus anderweitigen Quellen), daß er, in einem desperaten Tempo, das Bergland durchquert; in allen Indianerdör­ fern entlängst seiner Route vorgesprochen & männiglich britische Flaggen verehrt, auch (feierlich proclamirt habe, wie er, für die Nord=West=Company und im Namen des Königs von Großbritannien, hiermit von dem Lande Besitz ergreife>. Seine Absichten wurden, scheints, dadurch vereitelt, daß der größere Teil seiner Mannen desertierte; und man nahm als das Wahrscheinlichste an, daß er jetzt nur noch deshalb flußabwärts käme, um zu recognosciren. M’DOUGAL behandelte sie Alle mit aus­ gesprochener Güte; ja, versah sie mit Waren & Vor­ räten für ihren Treck heimwärts, durch die Bergwild­ nisse - dies letztere übrigens ausgesprochen gegen die 2Z7

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Intentionen von Mr. DAVID STUART, «welcher der Meinung beharrte, daß die Absicht einer solchen Visite, den Besucher mit nichten besonders unterstützungs­ würdig mache>. (Man vertraute THOMPSON sogar einen Brief für Mr. ASTOR an.) Am 25. Juli brach dann der Recognoscirungstrupp nach den Gebieten am Spokan auf; und es gelang ihm, nach einer überaus interessanten Reise, den ersten binnen­ ländischen Handelsposten der Compagnie einzurichten. Er war auf einer, etwa 5 km langen und 3 km breiten Landspitze gelegen, die der Zusammenfluß des Oakinagan mit dem Columbia bildet. In der Zwischenzeit begannen die Indianer in der Umgebung von Astoria, Zeichen feindlicher Gesinnung an den Tag zu legen; und als Grund für solch verändertes Verhalten, erkannte man sehr bald die Nachricht vom Verlust der Tonquin, deren Schicksal den Ansiedlern Anfang August zur Kenntnis gekommen war. Sie sahen sich nunmehr in gefährlicher Situation: eine bloße Handvoll Leute; auf einer wilden Küste; umwohnt von barbarischen Fein­ den. Aus diesem Dilemma rettete sie für den Augenblick die Findigkeit M’DOUGAL’s. Die Eingebor’nen hatten eine heilige Angst vor den Pocken, die ein paar Jahre zuvor bei ihnen aufgetreten waren, und ganze Stämme dahingerafft hatten. Sie hielten es für eine Seuche, die entweder der Große Geist über sie verhängt, oder aber der Weiße Mann unter sie gebracht habe. Diesen letzteren Aberglauben benützte M’DOUGAL, um mehrere der Häuptlinge, die er für feindlich hielt, zu sich einzuladen; er informierte sie erst, daß er von der Verräterei ihrer nördlichen Stammesbrüder bezüglich der Tonquin ver­ nommen habe, und zog dann ein Fläschchen aus seiner Tasche: «Die Weißen Männer bei Euch», verkündete er, 228

IRVING: ASTORIA «sind gering an Zahl, es ist wahr; aber mächtig in < Medizin) schaut her! In dieser Flasche bewahre ich DIE POCKEN, sicher verkorkt; ich brauche nur den Pfropfen zu ziehen & die Pestilenz loszulassen, um Mann und Weib und Kind vom Angesicht der Erde zu vertilgen!». Die Häuptlinge waren bestürzt. Sie ver­ sicherten dem eindringlich, wie sie ja die verläßlichsten Freunde des Weißen Man­ nes wären; daß sie nichts mit den Schurken gemein hätten, die die Besatzung der Tonquin gemeuchtelt; und wie ungerecht es ausfiele, wenn er die Flasche entstöpseln, und den Gerechten mit dem Schuldigen vertilgen würde. M’DOUGAL ließ sich überzeugen. Er versprach ihnen, den Korken nicht zu ziehen; es sei denn, irgendein unverhohlener Akt nötige ihn dazu. Auf solche Weise zog wieder Ruhe & Frieden in die Ansied­ lung ein. Ein geräumiges Haus ward nunmehr errichtet; und die Spanten eines Skunners zusammengesetzt. Er wurde getauft; und war das erste Amerikani­ sche Schiff, das an jenen Küsten vom Stapel lief. Aber unser begrenzter Raum gestattet uns nicht, sämtliche Details des Unternehmens bis ins Allerkleinste zu verfolgen. Die Abenteurer blieben jedenfalls guten Muts; schickten dann & wann die Dolly auf Fouragierfahrt aus; und sahen im Übrigen der Ankunft von Mr. HUNT entgegen. So ging, in dem kleinen Vorposten Astoria, allmählich das Jahr 11 dahin. - Wir kommen nunmehr auf die Überlandexpedition zu sprechen. Für diese war, wie man sich erinnern wird, Mr. WILSON PRICE HUNT, ein geborner New Jersey; Mann, als Führer vorgesehen. Er wird geschildert als der gewissenhafteste Ehrenmann, von umgänglicher Ge­ mütsart und angenehmen Umgangsformen. Zwar war 229

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er nie bisher im eigentlichen Herzen der Wildnis gewesen; da er jedoch längere Zeit in St. Louis der Kaufmannschaft obgelegen, und speziell Ausrüstungen & Waren für den indianischen Handel geliefert hatte, besaß er eine ungemeine Kenntnis des Geschäftszweiges aus zweiter Hand; (Mr. DONALD M’KENZIE, einer der anderen Partner, war sein Associe gewesen). Jedenfalls hatte er io Jahre im Dienst der Nord=West=Compagnie im Landesinnern verbracht, und sich in allem was indianische Angelegenheiten betrifft, große praktische Erfahrung erworben. Im Juli 1810 begaben sich die bei­ den eben Genannten nach Montreal, wo sich alles für eine Expedition Erforderliche beschaffen ließ. Hier stießen sie auf zahlreiche Schwierigkeiten, deren einige ihnen unverkennbar von der Concurrenz in den Weg gelegt wurden. Nachdem es ihnen dennoch gelungen war, einen Vorrat von Munition, Lebensmitteln und Indianertauschwaren anzuschaffen, schiffte man sich an Bord eines großen Bootes ein, dessen Mannschaft zwar die bestesverfügbare, aber trotzdem äußerst unfähig war; die Abreise erfolgte von St. Ann aus, das am äußersten Ende der Insel von Montreal liegt. Ihre Route verlief den Ottawa aufwärts, und weiter durch eine Kette kleinerer Seen und Flüsse. Am 2z. Juli trafen sie in Mackinaw ein, auf der gleichnamigen Insel gelegen, am Zusammenfluß von Lake Huron und Lake Michigan. Hier wurde es erforderlich sich einige Zeit aufzuhalten, um das Sortiment an indianischen Waren zu complettieren, und mehr Voyageurs anzuwerben. Während der, zum Erreichen dieser Ziele erforderlichen Zeit, traf bei Mr. HUNT ein weiterer Expeditionsteilnehmer ein, Mr. RAMSAY CROOKS, der brieflich von ihm eingeladen worden war, sich zu beteiligen. Er war geborener

IRVING: ASTORIA Schotte; hatte bei der Nord;West;Compagnie gedient, und auch diverse private Handelsabenteuer unter den verschiednen Stämmen um den Missouri hinter sich. Dieser Mr. CROOKS nun, stellte ihnen in stärksten Aus­ drücken die von den Indianern - speziell den Schwarz­ füßen und den Sioux zu gewärtigenden Gefahren vor; und man kam überein, nach der Ankunft in St. Louis die Truppe doch auf 60 Mann zu verstärken; (bei der Abfahrt von Mackinaw betrug die Anzahl 30). Am 12. August brach man auf; und die Expedition folgte der üblichen Route der Pelzhändler - dh via Green Bay, Fox; und Wisconsin River, zur Prairie du Chien, und von dort weiter, Mississippi;abwärts nach St. Louis, wo man am 5. September anlandete. Hier stieß Mr. HUNT auf eine gewisse Opposition seitens einer Gesellschaft, die «Missouri Pelz;Compagnie> genannt; wobei sich deren Hauptteilhaber, ein Mr. MANUEL LISA besonders auszeichnete. Besagte Compagnie verfügte über ein Stammkapital von rund 40.000 Dollar, und beschäftigte an die 250 Leute. Ihr Ziel war, den gesamten Oberlauf des Stromes entlang, Faktoreien anzulegen, und den Handel des Gebietes zu monopolisieren. Mr. H. ging daran, sich weiter gegen Wettbewerb zu stärken. Er sicherte für Mr. ASTOR die Dienste von Mr. JOSEPH MILLER, ehemals Offizier in der Armee der Vereinigten Staaten, der jedoch, da man ihm den nachgesuchten Urlaub vorenthielt, seinen Abschied genommen, und sich auf den Handel mit den Indianern gelegt hatte. Er trat als Teilhaber in die Gesellschaft ein; und aufgrund seiner Erfahrenheit und allgemeinen Fähigkeiten, be­ trachtete Mr. HUNT ihn als schätzbaren Gehülfen. Einige Bootsleute und Jäger konnten nunmehr ebenfalls angeworben werden; aber erst nach einer Verzögerung

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von mehreren Wochen. Diese neuerliche Verzögerung, zusammen mit den bereits vorangegangenen Schwierig­ keiten in Montreal und Mackinaw, hatten Mr. HUNT beträchtlich hinter seinen ursprünglichen Zeitplan zurückgeworfen; so daß er die Unmöglichkeit erkennen mußte, seine Fahrt Missourisaufwärts noch während der laufenden Sommersaison bewerkstelligen zu können. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde der Fluß eis­ blockiert sein, bevor der Trupp imstande wäre, den Oberlauf zu erreichen. Andrerseits wäre es kostspielig gewesen, in St. Louis zu überwintern; weshalb Mr. HUNT sich schließlich doch dafür entschied, soweit nur möglich auf dem geplanten Wege vorzustoßen; bis zu einem geeigneten Punkt, wo sich Wild im Überfluß fände, und man, bis zum Frühjahr, Winterquartier beziehen könnte. Am 21. Oktober geschah der Auf­ bruch. Die ganze Mannschaft war in 3 Boote verteilt 2 große Schenectady Barken; und 1 Kielboot. Bis zum 16. November hatte man sich an die Mündung des Nodowa durchgearbeitet, also über eine Strecke von 720 km; wo man nunmehr endgültig in Winterquartier ging. Hier stieß, ebenfalls einer Einladung von Mr. HUNT folgend, ROBERT M’LELLAN als weiterer Gesellschaftspartner zu ihnen: ein Mann von mächtiger Gestalt, und rastlosen & anmaßenden Temperamentes, der mit Auszeichnung als Freischärler unter General WAYNE gedient hatte. Gleichermaßen trat, am selben Ort, JOHN DAY der Gesellschaft bei - ein Jäger aus den Hinterwäldern von Virginia, groß und athletisch. Indern er solchermaßen sein Hauptcontingent am Nodowa beließ, kehrte Mr. HUNT seinerseits, um neue Verstär­ kungen bemüht, nach St. Louis zurück. Wied’rum fand er sich behindert durch die Machinationen der ; hatte aber letzten Endes doch insofern Erfolg, als er i Jäger, mehrere Voyageurs, und i Dol­ metscher für Sioux, PIERRE DORION, an sich ziehen konnte. Zusammen mit diesen Genannten, kehrte er, nach Überwindung erheblicher Schwierigkeiten, am 17. April 1811 ins Winterlager zurück. Bald nach diesem Zwischenspiel ward die Fahrt stromaufwärts wieder in Angriff genommen. Der Trupp bestand nunmehr aus nahezu 60 Personen - 5 Teilhabern, H.UNT/CROOKS/ M’KENZIE/MILLER/ und M’LELLAN; 1 Buchhalter, JOHN REED; 40 Canadischen voyageurs; und einigen Jägern. Man schiffte sich ein auf 4 Booten; deren eines, von beträchtlichen Dimensionen, über eine Drehbasse und 2 Haubitzen gebot. Wir haben hier selbstredend nicht vor, unsre Reisenden auf der ganzen langen Reihe von Abenteuern zu begleiten, die ihnen während ihrer Durchquerung der Wildnis aufstießen. Dem Liebhaber speziell solcher Details, empfehlen wir das Werk selbst: unserer Kennt­ nis nach, wird man in keinem Reisebuch mehr echt spannende Einzelheiten antreffen. Zu Zeiten munter & lebenslustig, im Genuß des ganzen Luxus der dem Jäger in seinem Beruf zuteil werden kann - dann wiederum bis zum Exceß Leiden aller Arten ausgesetzt: Ermüdung, Hunger, Durst, Angst und Schrecken und Verzweif­ lung - Mr. HUNT beharrte zähe auf seiner Reise, und brachte sie endlich zum erfolgreichen Abschluß. Den zurückgelegten Weg in gröbsten Umrissen nachzuzeich­ nen, ist alles, was wir versuchen können. Bei seinem Vorstoß flußaufwärts, erreichte unser Trupp am 28. April die Mündung des Nebraska, oder Platte River, den größten Nebenfluß des Missouri, etwa 9 5 o km oberhalb von dessen Zusammenfluß mit dem Mississippi. 233

REZENSIONEN Hier ward ein Aufenthalt von z Tagen eingelegt, um sich mit Rudern und Staken aus dem zähen Holz der Esche einzudecken, die man weiter flußaufwärts nicht mehr antrifft. Am z. Mai bestanden z der Jäger darauf, die Expedition zu verlassen, und nach St. Louis zurückzu­ kehren. Am io. erreichte der Trupp das Dorf der Omahas, in dessen Nachbarschaft man ein Lager auf­ schlug. Dies Dorf ist gute 1.300 km oberhalb von St. Louis, auf dem Westufer des Stromes gelegen. 3 Mann desertierten hier; aber glücklicherweise wurde ihr Platz gleich wieder durch 3 Andere ausgefüllt, die man durch großzügige Versprechungen zum Beitritt bewegen konnte. Am 15. verließ Mr. HUNT Omaha wieder, und zog weiter. Nicht lang’ darauf gewahrte man ein Kanu, von z Weißen gesteuert, die sich als unternehmende Wagehälse herausstellten, und während der vorauf­ gegangenen Jahre im Gebiet um die MissourbQuellen als Jäger & Fallensteller tätig gewesen waren. Ihre Namen waren JONES und CARSON. Sie waren nunmehr auf dem Rückweg nach St. Louis; gaben jedoch bereit­ willig ihre Reisepläne auf, und wandten das Gesicht wieder den Rocky Mountains zu. Am Z3. erhielt Mr. HUNT, durch einen Sonderboten, ein Schreiben von Mr. MANUEL LISA, dem HauptsTeilhaber der : eben jenem Herrn, der ihm soviele schlechte Dienste in St. Louis geleistet hatte. Er war, nur 3 Wochen nach Mr. HUNT, mit einem zahl­ reichen Trupp von dort gleichfalls aufgebrochen; und machte nun - da er Gerüchte über feindliche Absichten seitens der Sioux, (eines besonders gefürchteten Indianer­ stammes) empfangen haben wollte - die größten An­ strengungen, ihn einzuholen; damit man den betreffen­ den gefährlichen Flußabschnitt gemeinsam passieren 134

IRVING: ASTORIA könnte. Mr. HUNT jedoch hatte seine gerechten Beden­ ken hinsichtlich dieses Spaniers, und zog lieber weiter; hielt sich auch beim Dorfe der Poncas, rund 5 km süd­ lich des Quicourt River, nur gerade so lange auf, um sich eine größere Quantität gedörrten Büffelfleisches zu verschaffen. In der Frühe des 25. mußte man die Ent­ deckung machen, daß JONES und CARSON desertiert waren - man verfolgte sie; jedoch vergebens. Am nächsten Tage wurde man dreier weißer Männer gewahr, die in 2 Kanus den Fluß hinabfuhren; es stellte sich heraus, daß es sich um 3 Kentucky Jäger handelte: EDWARD ROBINSON, JOHN HOBACK, und JACOB RIZNER. Auch sie hatten mehrere Jahre in der Wildnis^ oben hinter sich, und waren nun auf dem Heimweg begriffen; kehrten jedoch willig mit der Expedition wieder um. Gewisse Informationen dieser Neuangewor­ benen, bewogen Mr. HUNT sogar, seine Marschroute zu ändern. Bisher war .vorgesehen gewesen, den von LEWIS & CLARKE eingeschlagenen Weg zu verfolgen dh den Missouri hinauf bis zur Great Fork; und von dort, auf dem Landwege, quer durch die Bergketten. Nunmehr erfuhr er jedoch, daß er bei diesem Verfahren das Gebiet der Schwarzfüße zu passieren haben würde, eines wilden Indianerstammes, und notorisch auf­ gebracht gegen die Weißen, da einer ihrer Krieger von Capitän LEWIS’ Hand den Tod gefunden hatte. ROBINSON befürwortete nun eine mehr südliche Route, die sie ungefähr dort wo die Quellwässer des Platte und des Yellowstone entspringen, durch das Bergland füh­ ren, und gleichzeitig einen weit bequemeren Übergang darbieten würde, als der von LEWIS und CLARKE. Diesem Rat stimmte Mr. HUNT zu; und beschloß, beim Dorf der Arickaras, wo maruitf ein paar Tagen ein-

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treffen würde, vom Missouri abzubiegen. Am i.Juni erreichte man die des Flusses; der hier, um eine kreisförmige Halbinsel herum, die nur durch einen 2 km schmalen Hals mit dem Land zusammen­ hängt, eine 50 km lange Riesenschleife beschreibt. Am Morgen des 3. Juni, wurde die Gesellschaft, zu ihrem äußersten Mißvergnügen, doch tatsächlich von LISA eingeholt. Die Begegnung war natürlich von < herzlich) weit entfernt; immerhin konnte ein äußerlicher Firnis von Höflichkeit 2 Tage hindurch festgehalten werden am dritten dann erfolgte ein Wortwechsel, bei dem es beinah’ zu ernsthaften Tätlichkeiten gekommen wäre. Man ließ sich jedoch zum Teil beschwichtigen; und die rivalisierenden Parteien fuhren an verschiedenen Ufern des Flusses, aber in Sichtweite voneinander, weiter da­ hin. Am 12. Juni erreichte man das Dorf der Arickaras, zwischen 46 und 47° nördl. Breite, rund 2.300 km ober­ halb der MissourisMündung. Schon um die Reise bis hierher zu vollenden, war Mr. HUNT nicht erspart geblieben, sich mit einem Heer von Schwierigkeiten herumzuschlagen, die wir hier nicht einmal andeutungs­ weise erwähnt haben. Oft fand man sich in äußerster Gefahr durch große Scharen von Sioux; und in 1 Falle war es lediglich einem zufälligen Umstande zu ver­ danken, daß der gesamte Trupp nicht massacrirt wurde. Hier beim ArickarasDorf war vorgesehen, die Boote zu verlassen, und weiter, in westlicher Richtung, in die Wildnis vorzustoßen. Hierzu mußten Pferde bei den Indianern erstanden werden, die sie jedoch nicht in hin­ reichender Zahl zu liefern vermochten. In diesem Dilemma machte LISA das Angebot: ihnen die Boote, die ihnen nicht länger von Nutzen waren, abzukaufen, 236

IRVING: ASTORIA und für sie in Pferden zu bezahlen, die man von einem, der Missouri Pelz=Compagnie gehörigen, 250 km weiter, bei den Mandaner Dörfern, oben am Flusse gelegenen Fort, bekommen könne. Der Handel ward geschlossen; und die Herren LISA und CROOKS brachen auf, die Pferde zu holen; mit denen sie auch binnen 14 Tagen zurück waren. Hier im Arickara Dorfe war es, wenn wir recht verstanden haben, daß Mr. HUNT einen gewissen EDWARD ROSE in seine Dienste nahm; und zwar ward er als künftiger Dolmetscher eingestellt, sobald die Expedition das Gebiet der Upsarokas oder Crow India­ ner, bei denen er sich früher aufgehalten hatte, erreicht haben würde. Am 18. Juli stand der Trupp zum Ab­ marsch bereit. Immer noch war man unzureichend mit Pferden ausgerüstet. Die ganze Cavalcade bestand aus 82, die meisten schwer beladen mit Indianerwaren, Biber­ fallen, Munition und Lebensmitteln. Jeglicher der Teil­ nehmer war beritten. Als man von Arickara aufbrach, sagten die erfahrenen Veteranen von LISA’s Trupp, und nicht minder LISA selbst, den totalen Ruin unsrer Abenteurer in den unzähligen Gefahren der Wildnis voraus 1 Um die Schwarzfußdndianer - einen unversöhnlichen grimmigen Stamm, von dem wir bereits gesprochen haben - zu vermeiden, behielt der Trupp zunächst süd­ westliche Richtung bei; eine Route, die sie über einige Nebenflüsse des Missouri weg, und dann durch unge­ heure Prärien führte, wo der Horizont die einz’ge Gren­ ze bildete. Zuerst kam man nur langsam voran; und da Mr. CROOKS auch noch erkrankte, wurde es notwen­ dig, zwischen 2 Pferden eine Tragbahre für ihn einzu­ richten. Am 23. des Monats lagerte man am Ufer eines kleinen Flüßchens, scherzhaft^Big River> getauft, wo 237

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man sich mehrere Tage aufhielt, während deren alle möglichen Arten von Abenteuern vorfielen. Unter ande­ rem sah man sich instand gesetzt, mit einem Trupp Cheyennedndianer zu handeln, und den Bestand an Pferden zu complettieren. Am 6. August wurde der Marsch wieder aufgenommen, und bald hatte man das feindliche Gebiet der Sioux hinter sich gelassen. Um diese Zeit geschah es auch, daß man einer Verschwö­ rung, seitens jenes Dolmetschers, EDWARD ROSE, auf die Spur kam: der Schurke hatte die Männer auf seine Seite zu ziehen gesucht, und ihnen vorgeschlagen, so­ bald man auf dem Gebiet seiner alten Bekannten, der Crows, angelangt wäre, mit soviel Beute wie man nur transportieren könne, zu den Wilden überzulaufen. Die Sache konnte jedoch bereinigt, und Meister ROSE durch diplomatische Geschicklichkeit seitens Mr. HUNT, un­ auffällig entlassen werden. Am 13. ließ Mr. H. die Rich­ tung ändern, auf genau West; eine Route die ihn bald zu einer Gabelung des Little Missouri brachte, und bis an die Ausläufer der Black Mountains. Das ist eine ausge­ dehnte Kette von Bergstöcken, rund 150 km östlich der Rocky Mountains, und erstreckt sich nordöstlich vom Südarm des Platte River bis hin zur Großen Nord Schlin­ ge des Missouri, dergestalt, daß sie die Wasser des Mis­ souri scheidet, von denen des Mississippi und Arkansas. Die Reisenden schätzten, daß sie sich nunmehr an die 400 km entfernt vom Dorfe der Arickaras befinden möchten. Ab nun begannen die eigentlichen ernsthafte­ ren Schwierigkeiten. Hunger & Durst, (mindere Calamitäten wie Grizzlybären ungerechnet), stießen ihnen an jeder Ecke auf, da sit versuchten, sich den Durchgang durch jene steinigten Barrieren auf ihrem Pfade zu bah­ nen. Am Ende kamen sie heraus, dort wo ein Strom des 238

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klarsten Wassers rann, (i der Verzweigungen des Powder River); und einmal mehr boten sich Wiesenweiten ihrem Blick, bevölkert von Büffelheerden. Man drang, entlängst dieses Gewässers, 30 km aufwärts; wobei sie als Zielpunkt eine auffällige Bergspitze wählten, die schon seit dem 17. in Sicht gewesen war; am 30. erreichte man den Fuß dieses Kegels, der sich als Ausläufer der Rocky Ketten erwies; nachdem man nunmehr rund 650 km seit dem Abmarsch von Arickara zurückgelegt hatte. Ein oder zwei Tage hindurch bemühte man sich vergeb­ lich, ein Defile in den Bergen ausfindig zu machen. Am 3. September unternahm man den Versuch, mit Gewalt nach Westen durchzustoßen; sah sich jedoch unlängst in einem Gewirr von Klippen und Schluchten verfangen, das allen Anstrengungen Hohn sprach. Auch befand man sich just auf dem Gebiet der schrecklichen Upsarokas, und stieß bei jedem Schritt auf welche. Aller­ dings traf man auch freundlich gesinnte Trupps von Shoshonen und Flatheads. Nach tausend Mühsalen gelang es, ein Stück Wegs vorzurücken. Am 9. erreichte man den Wind River, einen Fluß, der seinen Namen auch einem Gebirgszuge gegeben hat, der aus drei parallelen Ketten besteht, und etwa 150 km lang, sowie an die 40 breit ist. , sagt unser Autor, getauft. Die Reisenden verfolgten ihren Weg weiter, an die 65 km nach SW; und trafen endlich auf ein Wasser, das nach Westen floß, sich als ein Arm des Colorado herausstellte, und dessen Lauf man 25 km weit folgte. Am 18. verließ man diesen Hauptwasserlauf, und schlug eine nordwestliche Rich­ tung ein; wo man denn, nach 10 km, 1 seiner kleineren Zuflüsse erreichte, der aus dem Innern der Berggewinde kam, und durch grüne Wiesen dahinrann, auf denen es von Büffeln wimmelte. Hier campirte man für mehrere Tage; da Mann und Roß dringend einigen Ausruhens bedürftig waren. Am 25. wurde die Weiterreise ange­ treten. 25 km brachten sie zu einem Flüßchen von noch nicht 20 Metern Breite, in dem man einen der Quell­ flüsse des Columbia erkannte. Zwei Tage lang folgte man seinem Lauf, während welcher er stufenweise wuchs & schwoll, bis er endlich zu einem schon namhaften Fluß geworden war. Schließlich mündete dann noch ein Seitenwasser in ihn ein, worauf beide vereint als unauf­ haltsames Gewässer dahinschossen, das auch, ob seines Ungestüms & seiner Turbulenz, die Bezeichnung erhalten hatte. Diesen abwärts nun, versprach man sich eine ununterbrochene Fahrt in Kanus, bis hin zu ihrem allerletzten Bestimmungsort - Hoffnungen, die freilich von einer Verwirklichung noch weit entfernt sein sollten. 240

IRVING: ASTORIA Die Teilnehmer hielten eine Beratung ab. Die 3 Jäger, die bislang als Führer hatten dienen können, wußten von den Regionen westlich der Rocky Mountains nichts. Es erschien fragwürdig, ob Mad River wirklich schiff­ bar sei; und man konnte ja wohl kaum vorhaben, die Pferde, auf eine Ungewißheit hin, endgültig aufzugeben. Trotzalledem lautete das Abstimmungsergebnis auf < Einschiffung >; und man ging daran, die erforderlichen Fahrzeuge zu bauen. In der Zwischenzeit richtete Mr. HUNT — nunmehr, wo man am Oberlauf des Columbia, dem Ruf nach so reich an Bibern, eingetroffen war seine Gedanken auf das eigentliche letzte Ziel der Expedition: 4 ihrer Teilnehmer, ALEXANDER CAR­ SON; LOUIS ST. MICHEL, PIERRE DETAYE und PIERRE DELAUNAY, wurden als Sonderkommando dazu bestimmt, hier in der Wildnis zurückzubleiben & selbständig dem Biberfang obzuliegen. Sobald eine hin­ reichende Menge Felle beisammen wäre, sollte diese entweder beim Depot an der Mündung des Columbia, oder aber bei einem noch von der Gesellschaft zu errichtenden Zwischenposten abgeliefert werden. Diese Trapper waren gerade eben aufgebrochen, als 2 Snakes Indianer dem Lager einen Besuch abstatteten, und den Fluß als unmöglich schiffbar erklärten! Eine Behaup­ tung, die durch von Mr. HUNT ausgeschickte Späher letztlich nur bestätigt werden konnte. Deshalb wurde am 4. Oktober das Lager abgebrochen; und der ganze Trupp begab sich auf die Suche nach einer der Missouri PelzsCompagnie gehörenden Faktorei, von der es hieß, daß sie irgendwo hier in der Nähe, an den Ufern eines anderen Zuflusses des Columbia gelegen sei. Man fand besagten Außenposten ohne große Schwierigkeiten - er erwies sich als verlassen; und unsre Reisenden ergriffen 241

REZENSIONEN freudig Besitz von den rohen kunstlosen Gebäuden. Dieser obere Nebenfluß hier, war seine guten ioo Meter breit, und man ging mit größtmöglicher Beschleunigung an den Bau von Kanus. Während dieser Zeit ward ein weiteres Sonderkommando von Trappern in die Wildnis verabschiedet; es bestand aus ROBINSON, REZNER, HOBACK, CARR und Mr. JOSEPH MILLER. Dieser Letztere war, wie man sich entsinnen wird, i der eigentlichen Teilhaber - er gab jedoch seinen Part an dem Unternehmen auf, für ein Leben voll größerer Gefahren & Abenteuer. Am 18. des gleichen Monats (Oktober), da i $ Kanus fertig waren, gingen die Reisen­ den zu Schiff'; die Pferde ließ man unter der Obhut der beiden Snakeslndianer, die sich immer noch bei ihnen aufhielten. Im Laufe des Tages langte die Gesellschaft bei der Vereinigung des Stromes, auf dem sie dahinflossen, mit Mad River an - hier begann der Snake River, der Schauplatz von tausend Desastern. Häufig mußten die Boote um Hindernisse herumgetragen werden; und nachdem man so 650, mit unzählbaren Schwierigkeiten aller Art gespickte Kilometer vorangekommen war, wurden die Abenteurer durch eine ganze Kette furcht­ barster Cataracte zum Stehen gebracht, schäumend und tobend soweit das Auge reichte, zwischen erstaunlichen Wänden aus schwärzestem Gestein, die beiderseits mehr als 200 Fuß hoch aufragten. Man nannte den Ort , (). Hier ging, inmitten der Wasserwirbel ANTOINE CLAPPINE, 1 der Voyageurs zugrunde; 3 Kanus blieben zwischen Klippen stecken nicht mehr loszumachen; 1 weiteres ward, mit sämtlichen Waffen & Habseligkeiten von vier der Boots­ leute, wegjgeschwemmt. 242

IRVING: ASTORIA Die Lage des Trupps war nun wirklich beklagenswert im Herzen einer unbekannten Wildnis; in völliger Unklarheit über die einzuschlagende Route; unwissend hinsichtlich der Entfernung vom Ort ihrer Bestimmung; und nicht i menschliches Wesen in der Nähe, das man hätte zu Rate ziehen können. Auch waren die Lebens­ mittelvorräte bis auf die Rationen für $ Tage herunter, und HUNGER starrte ihnen ins Gesicht. Deshalb war es noch gefährlicher, beisammen zu bleiben, als sich zu trennen. Güter & Vorräte wurden - ausgenommen einen kleinen Bedarf pro Mann - in Caches (= gegrabene Erd­ löcher) verborgen; und die Gesellschaft teilte sich in mehrere kleine Trüppchen, die in verschiedene Rich­ tungen hin aufbrachen, wobei die Mündung des Colum­ bia als allgemeiner Zielort im Auge behalten wurde; ein Punkt von dem sie (obschon der Umstand ihnen damals unbekannt war), immer noch runde Fünfzehnhundert Kilometer trennten. Am zi. Januar, nach einer Serie schier unglaubhafter Abenteuer, stieß die Abteilung, welcher Mr. HUNT sich selbst zugeteilt hatte, wieder auf die Wasser des Columbia, und zwar ein Stück unterhalb der Vereinigung seiner zwei großen Arme, des LEWIS und des CLARKE River, unweit der Einmündung des WallahsWallah. Seit dem Aufbruch von «Caldron Linn> hatte man 580 müh­ seligste km, durch verschneite Wüstenei’n, über ab­ schüssige Berge zurückgelegt; und 6 volle Monate waren seit ihrem Abschied von dem Arickara Dörfchen am Missouri dahingegangen - eine Gesamtwegstrecke von diesem Punkt aus, die sich nach ihrer Rechnung auf 2.800 km belief. Nun erhielt man auch die ersten andeu­ tungsweisen Nachrichten bezüglich der anderen Abtei­ lungen der Gesellschaft; und-"nicht minder von den 243

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Ansiedlern an der Mündung des Columbia. Am 31. erreichte Mr. HUNT die großen Fälle des Stromes, und man campierte bei dem Dorf WishsRam. Hier vernahm man das Gerücht von dem Massaker an Bord der Tonquin. Am 5.Februar, nachdem man sich unter erheblichen Schwierigkeiten wieder mit Kanus versehen hatte, brachen die Abenteurer von WishsRam auf; und kamen am 15., nachdem man einen dazwischengelagerten Landvorsprung umfahren hatte, plötzlich in Sicht des langersehnten ASTORIA. Unter den Ersten, die sie beim Anlanden begrüßten, waren einige der alten Kame­ raden, von denen man sich bei Caldron Linn getrennt, und die fast einen ganzen Monat eher die Niederlassung erreicht gehabt hatten. Mr. CROOKS und JOHN DAY, nicht imstande weiter mitzuhalten, waren bei einigen Indianern in der Wildnis zurückgelassen worden - auch sie trafen späterhin ein. Von CARRIERE, einem voyageur, den ebenfalls zurückzulassen die bitt’re Not­ wendigkeit erfordert hatte, vernahm man nie mehr etwas. JEAN BAPTISTE PREVOST, gleichfalls voyageur, hatte sich, rasend geworden vor Hunger, im Snake River ertränkt; wie denn sämtliche Trupps das Letzte an Ermattung, Entbehrung, Gefahr, erduldet hatten. Von St. Louis aus gerechnet, waren fünftausendsechshundert Kilometer von den Reisenden hinter sich gebracht wor­ den. - Kehren wir nunmehr zu Mr. ASTOR zurück. Bis dato hatte ihn keinerlei Nachricht vom Columbia her erreicht; und er mußte folglich von der Voraus­ setzung ausgehen, daß Alles wunschgemäß vonstatten gegangen wäre. Folglich rüstete er den < BIBER >, ein hübsches Schiff von 490 Tonnen, mit einer nach 3 Ge­ sichtspunkten assortierten Ladung aus: Vorräte für Astoria; Rücksicht auf den Kleinhandel entlängst der 244

IRVING: ASTORIA Küste; und endlich die Bedürfnisse der Russischen PelzsCompagnie. Auch schifften sich neue Leute für die Niederlassung auf ihm ein: i Teilhaber; 5 Buchhalter; 1$ amerikanische Arbeiter; und 6 canadische Voyageurs. Mr. JOHN CLARKE, der Teilhaber, war USA-Bürger, obschon er einen großen Teil seines Lebens im Nord­ westen verbracht hatte; und seit seinem 16. Lebensjahre im Pelzhandel tätig gewesen war. Bei den Buchhaltern handelte es sich hauptsächlich um junge amerikanische Leute, aus guter Familie; hatte Mr. ASTOR doch diese Verstärkung betont mit der Absicht ausgesucht, ein Überwiegen des ÜS^Elementes in Astoria zu sichern, und die ganze Handelsgenossenschaft ausgesprochen national aufzuziehen; was er, aufgrund der so besonders gelagerten Umstände des Falles, zu Beginn seines Unter­ nehmens schlechterdings nicht hatte durchführen kön­ nen. Capitän SOWLE, der Commandant des , hatte Anweisung, die Sandwich Inseln kurz anzulaufen; sich zu erkundigen, wie es mit der stehe; und, wenn möglich, mit Sicherheit in Erfahrung zu bringen, ob die Niederlassung in Astoria erfolgt sei. Falls , sollte er von den Eingeborenen so viele wie nur möglich anwerben, und die Fahrt fortsetzen. Der Mündung des Columbia sollte er sich nur mit überaus großer Vorsicht nähern; falls alles zufriedenstellend befunden würde, hatte er Auftrag, den für die Niederlassung bestimmten Teil seiner Ladung auszuschiffen; und dann, mit den Vorräten für die Russen, weiter, nach Neu Archangelsk zu segeln. Nach Empfang des Gegenwerts in Pelzen, hatte er Order, nach Astoria zurückzukehren; das hier gesammelte Rauchwerk an Bord zu nehmen, und sich damit auf dem schnellsten Wege nach Canton zu ver245

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fügen. So lautete der stricte Buchstabe seiner Instruc­ tionen - daß er einmal davon abwich, sollte künftighin die Ursache von viel Verworrenheit & beträchtlichem Verlust werden; ja, erheblich zum schließlichen Schei­ tern des ganzen Unternehmens beitragen. Der < Biber> verließ den Hafen am io. Oktober 1811; und traf- nach­ dem er auf den Sandwich Inseln 12 Eingebor’ne an Bord genommen hatte- am 9. Mai 1812 sicher an der Mündung des Columbia ein. Seine Ankunft gab der Niederlassung neues Leben & Energie; und stellte die Mittel bereit, die Unternehmungen der Compagnie auszudehnen, und eine Anzahl von Handelsfaktoreien im Binnenlande anzu­ legen. Es wurde nunmehr auch dringend, Überlandkuriere mit Berichten an Mr. ASTOR in New York abzufertigen; (ein Versuch hierzu war, einige Zeit vorher, durch die feindliche Haltung der Indianer von WishsRam vereitelt worden). Diesmal ward die Aufgabe Mr. ROBERT STUART anvertraut; der, obschon er noch nie die Rocky Mountains überquert, inzwischen hinreichende Beweise für seine Befähigung zu derartigen Unternehmungen abgelegt hatte. Seine Begleiter waren BEN. JONES und JOHN DAY, aus Kentucky; die Canadier ANDRI VALLAR und FRANCIS LE CLERC; und auch 2 der Teilhaber, die Herren M’LELLAN und CROOKS, die den Wunsch ausgedrückt hatten, in die Atlantikstaaten heim­ zukehren. Am 29. Juni brach dieser kleine Trupp auf; und Mr. IRVING begleitet die Männer ausführlich, auf ihrer ganzen langen & gefahrvollen Wanderung. Wie zu erwarten stand, hatten sie noch weit entsetzlicheren Mißgeschicken zu begegnen, als diejenigen die Mr. HUNT und seinen Begleitern zuvor widerfahren waren. Die Hauptereignisse der Reise waren: die Erkrankung 246

IRVING: ASTORIA von Mr. CROOK; und der Verlust sämtlicher Pferde des Trupps, infolge einer Schurkerei der Upsarokas. Dieser letztgenannte Umstand war die eigentliche Ursache all der unsäglichen Mühsal & endlosen Verzögerung. Am 30. April jedoch langte der Trupp, gesund & munter, in St. Louis an: io Monate waren erforderlich gewesen, das periculose Unternehmen zu bewerkstelligen. Die von Mr. STUART eingeschlagene Route war nahezu iden­ tisch mit der von Mr. HUNT, dh bis hin zu den Wind River Bergen; von dort an jedoch, hatte man sich etwas südöstlich gehalten, den Lauf des Nebraska entlang, bis zu dessen Vereinigung mit dem Missouri. Da in der Zwischenzeit der zu erwarten gewesene Krieg zwischen den USA und England ausgebrochen war, konnte Mr. ASTOR einigermaßen voraussehen, daß der Hafen von New York blockiert, und folglich die Abfahrt eines jährlichen NachschubsSchiffes, im Herbst, unter­ bunden werden würde. In dieser heiklen Situation schrieb er an Capitän SOWLE, den Commandanten des , wobei er seinen Brief nach Canton adressierte. Das Schreiben wies Jenen an, sich mit solchen Gegen­ ständen wie die Niederlassung deren bedürftig sein werde, wieder zur Mündung des Columbia zu verfügen, und alldort zunächst stationiert zu bleiben & sich den Anordnungen von Mr. HUNT gemäß zu verhalten. In­ zwischen hatte man aus Astoria immer noch nichts zu hören bekommen! Trotzdem, unentmutigt, entschloß sich Mr. ASTOR dazu, ein weiteres Schiff auszuschicken; obwohl das Verlustrisiko indes eine solche Höhe erreicht hatte, daß keine Versicherung mehr effektuiert werden konnte. Erkoren ward die ; renommiert als besonders schneller Segler. Am 6. März 1813 stach sie in See, unter dem Commando von Mr. NORTHROP, einem 247

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Subalternoffizier - der zuerst damit betraute Offizier, hatte dann doch Bedenken vor dem Unterfangen bekommen. Binnen 14 Tagen nach der Abfahrt, bekam Mr. ASTOR Benachrichtigung davon, daß die Nords West Compagnie der Regierung von Großbritannien ein Memoire überreicht habe, in welchem der großmaßstäb­ liche Umfang der von der Basis von Astoria aus beabsichtigten Operationen geschildert, sowie die Be­ fürchtung ausgedrückt wurde, wie ihr eigener Pelz­ handel zum Erliegen kommen werde; es sei denn, man entschlösse sich beizeiten dazu, reguläre Truppen gegen jene Kolonie einzusetzen, und das knospende Unter­ nehmen im Keime zu ersticken. Als Folge hiervon wurde die Fregatte beordert, das der Nord’ West Compagnie gehörende bewaffnete, sowie mit Per­ sonal & Zubehör zur Gründung einer neuenseigenen Niederlassung befrachtete, Handelsschiff, den < Isaac Todd>, offiziell dorthin zu geleitzugen. Die Anweisung lautete: (vereint zur Mündung des Columbia vorzu­ dringen; jedwedes dort anzutreffende Amerikanische Fort zu nehmen und zu schleifen; sowie auf dessen Trümmern die Britische Flagge zu hissen.> Woraufhin, nach Kenntnisnahme solchen Tatbestandes, wiederum unsre Regierung die Fregatte , (Capitän CRANE), zum Schutze von Astoria entsendete; und Mr. A., seinerseits, ging daran, das Schiff auszurüsten, damit es, mit zusätzlichem Nachschub versehen, im Geleit der Fregatte mitsegeln könne. Aus­ gerechnet den Moment aber, da beide Schiffe startbereit lagen, wurde ein starkes Detachement von Matrosen nach Lake Ontario benötigt; und die Mannschaft des begreiflicherweise für diesen Einsatzort ab­ gezweigt. Mr. A. war dennoch drauf & dran, sein Schiff 248

IRVING: ASTORIA

allein auf die Reise geh’n zu lassen; als ein Groß­ britannischer Flottenverband vor’m Hook erschien, und New York sich wirklich blockiert sah; weswegen die wieder ausgeladen und temporär abgetakelt wurde. — Kehren wir nun zum zurück. Dieses Fahrzeug hatte, wie vorgesehen, den für Astoria bestimmten Teil seiner Ladung dort gelöscht, und war danach, am 4. August 181z, nach Neu Archangelsk abgesegelt; wo man auch, ohne nennenswerte Zwischen­ fälle, am 19. eintraf. Nunmehr mußte lange Zeit auf die Unterhandlungen mit einem Grafen Baranoff - dem betrunkenem Gouverneur der russischen Pelzkolonie verwendet werden; und als sie endlich glücklich abgeschlossen werden konnten, war der Oktober ge­ kommen. Überdem war mit Mr. HUNT vereinbart wor­ den, die gelieferten Vorräte mit Seehundsfellen zu bezahlen, von denen sich am Ort aber keine befanden. Infolgedessen wurde es erforderlich, sich zu einer der Russischen Compagnie gehörenden Seehundsfangsta­ tion zu verfügen, und zwar nach der Insel Sankt Paul, im Meer von Kamtschatka. Er setzte Segel am 4. Oktober; nachdem man fünfundvierzig Tage zu Neu Archangelsk vergeudet hatte; und traf am 31. des Monats dort ein - einem Datum, an welchem er, seinem vorgeschriebnen Zeitplan gemäß, bereits wieder zurück & in Astoria hätte sein sollen. Nun erfolgte, da man die Pelze an Bord nahm, die nächste große Verzögerung; weil jeder einzelne Packen überprüft werden mußte, um 'Betrug zu verhindern. Um die Sache noch schlimmer zu machen, wurde der eines Nachts durch Böen­ stürme von der Reede abgetrieben; und konnte nicht eher als am 13.November wieder zurück gelangen. Nachdem dann endlich die Ladung übernommen, und 249

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man wieder auf See war, sah sich Mr. HUNT, was den einzuschlagenden Kurs anging, in einiger Verlegenheit. Das Schiff hatte in jenem letzten Sturm beträchtlich gelitten; und er hielt, in dieser stürmischsrauhen Zeit des Jahres, den Versuch die Mündung des Columbia mit Gewalt zu erreichen, für eventuell unklug. Überdem war die Saison schon erheblich vorgeschritten; sodaß, wenn man, wie ursprünglich vorgesehen, jetzt erst wieder noch Astoria anliefe, man leicht in Canton so verspätet eintreffen könnte, um einen schlechten Markt zu finden. Weshalb Mr. HUNT sich, unglücklicherweise, dafür ent­ schied, sich unverzüglich nach den Sandwich Inseln bringen zu lassen - (während der seine Fahrt nach China fortsetzte) - dort das Eintreffen des jährlichen Schiffes von New York zu erwarten, und sich von diesem dann wieder zu der Niederlassung mitnehmen zu lassen. Es ist nur ein Akt der Gerechtigkeit, ergänzend hinzu­ zufügen, daß, was ihn hauptsächlich bewog den geschil­ derten Kurs einzuschlagen, die zaghaften Argumenta­ tionen von Capitän SOWLE waren. Man erreichte jeden­ falls Oahu in Sicherheit; allwo die notwendigen Reparaturen am Schiff vorgenommen, und dann, am i. Januar 1813, wieder in See gegangen wurde; wobei also Mr. HUNT auf der Insel zurückblieb. In Canton nun, fand Capitän SOWLE jenen erwähnten Brief Mr. ASTOR’s vor, in welchem er vom Ausbruch des Krieges unterrichtet, und angewiesen wurde, die Benachrichtigung davon nach Astoria zu überbringen. In seiner Antwort schrieb der Capitän: er lehne es ab, dieser Order nachzukommen; gedenke vielmehr hier den Frieden abzuwarten, und dann heimzukehren. Inzwischen harrte Mr. HUNT, und immer vergebens, auf das jährliche Schiff. Endlich, um den 20. Juni herum,

IRVING: ASTORIA lief, von China kommend, die , (Capitän SMITH), die Sandwich Inseln an; und brachte die erste Nachricht von einem Kriege mit. Mr. H. heuerte, für 2000 Dollar, dies Schiff sogleich an; daß es ihn, zusammen mit einigen Nachschubgütern, nach Astoria befördere. Er erreichte die Niederlassung am 20. August; fand die Compagnie so ziemlich in den letzten Zügen liegend; und die Teilhaber praktisch entschlossen, das ganze Unternehmen aufzugeben - eine Entscheidung, der auch Mr. HUNT sich in letzter Instanz anzuschließen bewogen sah. Immerhin befand sich noch ein großer Vorrat von Pelzen & Fellen in den Lagern, die zu irgendeinem Markt zu befördern waren; ein Vorhaben, zu welchem wiederum ein Schiff benötigt wurde. Der hatte Order nach den Marquesas; und von dort zu den Sandwich Inseln; und es ward vereinbart, daß Mr. H. mit an Bord gehen, und sich um ein Fahrzeug bemühen solle; wobei als Datum seiner Wiederkehr, wenn irgend möglich, der 1. Januar angesetzt wurde; auch lag es ihm ob, einen Nachschub an Lebensmitteln mitzubringen. Er fuhr jedenfalls am 26. August ab, und erreichte die Marquesas ohne Zwischenfall. Bald darauf traf Commodore PORTER mit der Nachricht ein, daß die Britische Fregatte , zusammen mit den Kriegsschaluppen und , und noch einem, mit Belagerungsgeschützen versehenen Proviant­ schiff, am 6. Juli von Rio de Janeiro ausgesegelt sei: Ziel die Mündung des Columbia. Nachdem er vergebens "versucht hatte, Commodore PORTER ein Walfangschiff abzukaufen, brach Mr. H. am 25. November nach den Sandwich Inseln auf, wo er am 20. Dezember ankam. Hier traf er auf Capitän NORTHROP von der , welche Mitte März an dieser Küste Schiffbruch erlitten 251

REZENSIONEN

hatte. Man kaufte nunmehr die Brigg für 10.000 Dollar an; Capitän N. erhielt das Kommando über sie; und am 22. Januar 1814 segelte Mr. H. nach Astoria ab. Sein Ziel war, alle dort«befindlichen beweglichen Güter, so rasch wie nur möglich nach den Russischen Niederlassungen in der Nachbarschaft aus­ zulagern - so hatten Mr. ASTOR’s, der mit­ gegebenen Anordnungen gelautet. Am 28. Februar ankerte die Brigg in der Columbiamündung; wo man denn fand, daß die Engländer am 12. Dezember den Posten in Besitz genommen hatten. Gewisse Negotia­ tionen, unmittelbar vor der Übergabe, zwischen der Nord»West»Compagnie einer» & M’DOUGAL anderer­ seits, erbrachten den vollgültigen Beweis, daß Capitän THORNE sich seinerzeit nicht groß geirrt hatte, als er den Edlen beargwöhnte & nichts Gutes von ihm erwartete: Jener war schon seit längerer Zeit heimlich ein Partner der Concurrenzgesellschaft gewesen; und hatte, kurz vor Eintreffen der Briten, seine Stellung als Chef der Niederlassung bestens ausgenützt, indem er alles Eigentum der Kolonie für weniger als 1 Drittel seines Wertes verschacherte & veruntreute. Dergestalt schlug dieses große Project Mr. ASTOR’s fehl. Bei Friedensschluß, durch den Vertrag von Ghent, kehrte, aufgrund des Prinzips vom Status ante bellum, Astoria selbst samt den umliegenden Gebieten, in den Besitz der Vereinigten Staaten zurück. Im Winter 1815 verabschiedete der Congress ein Gesetz, in welchem alle Manipulationen britischer Händler auf unserm Territorium untersagt wurden; und Mr. A. ergriff diese Gelegenheit, sein Unternehmen zu erneuern, mit Leb­ haftigkeit. Aus guten Gründen freilich konnte er, ohne offizielle Protection durch die Regierung, nichts aus252

IRVING: ASTORIA richten. Diese aber legte wied’rum viel Gleichgiltigkeit & Trägheit an den Tag; der günstige Moment verstrich erneut ungenützt; und, dem Gesetz des Congresses zum Trotz, rissen die Engländer letzten Endes eben doch den so ertragreichen Pelzhandel im gesamten weiten Gebiet unserer NordwestsTerritorien völlig an sich. Eine ganz geringe Unterstützung nur durch die Stellen, von denen Mr. ASTOR ein natürliches Recht gehabt hätte, sie zu erwarten, würde ihn in den Stand gesetzt haben, diesen Geschäftszweig und den reichen Gewinn daraus, in nationale Kanäle zu leiten, und New York zu dem zu machen, was London nun schon so lange gewesen ist: das große Emporium des Pelzhandels. Die meisterliche Weise, in der Mr. IRVING sich seiner Aufgabe entledigt hat, ist von uns bereits gewürdigt worden; es kommt uns vor, daß wir lediglich i oder 2 kleine Unstimmigkeiten innerhalb des ganzen langen Berichts zu notieren hatten. / Einmal scheint eine gewisse Confusion zwischen den Namen M’LELLAN, M’LENNON und M’LENNAN zu bestehen - oder beziehen sich alle drei auf ein;&sdasselbe Individuum? / Bei seiner Reise Missourisaufwärts, trifft Mr. HUNT am 1. Juni bei der (Hesekiel 29,10) gekommen. Hinsichtlich Leichtigkeit, Komfort, und der kleineren Vergnügungen seiner Fahrt, redet er von ihnen auf so vorteilhafte Weise, daß mancher unsrer jungen Landsleute sich bewogen fühlen wird, seinem Beispiel zu folgen. Es handelt sich um ein Amüsement, sagt er, das nicht im geringsten Grade gefährlich, und dabei geradezu lach­ haft billig ist. Ein Boot mit 10 Mann ist für 30 oder 40 Dollar pro Monat beschafft; Geflügel kommt 3 Piaster das Paar; 1 Schaf ist für 'A oder % Dollar zu haben; und Eier gibt’s fast zu. Wir kommen nunmehr zu dem, was der, und zwar bei weitem interessanteste & bedeutsamste Abschnitt seiner Reise ist. Mr. Stephens hatte den Vorsatz, den Berg Sinai zu besuchen; und von dort dann weiter ins Heilige Land zu gehen. Wäre er nach Suez zurückgekehrt, um von dort die Wüste auf der küstennahen Route El Aridschs Ghaza zu durchqueren, hätte er sich, der in Ägypten grassierenden Pest halber einer i4tägigen Quarantäne unterwerfen müssen; eine Schwierigkeit, die sich ver­ meiden ließ, indem er durch die zentrale Wüstenregion vorstieß, die zwischen dem Berge Sinai und den Grenzen Palästinas liegt. Nun war diese Route gespickt mit Gefahren; aber, abgesehen von der Möglichkeit die Quarantäne zu umgehen, lockte sie auch Unterneh­ mungsgeist und Enthusiasmus des Reisenden mit den stärksten Versuchungen - Versuchungen, denen nicht zu widerstehen war. , schreibt Mr. Stephens, ; und überdem 264

STEPHENS: REISEN IN ÄGYPTEN

führte sie durch ein Gebiet, auf dem, verkündet durch die Stimmen der Profeten, seit langem ein überaus nach­ denklicher Fluch der Gottheit geruht hat, und immer noch ruht. Wir meinen hier das Land Idumea- das Edom der Schrift. Einige englische Freunde von Mr. Stephens, die zuerst diese Route in Anregung gebracht hatten, verwiesen ihn für Informationen darüber, auf Keith’ . Mr. Keith tritt, wie unsern Lesern bekannt sein wird, für die buchstäbliche Erfüllung alles Prophezeiten ein; und legt in der erwähnten Abhandlung eine solche Masse von Beweismaterialien samt einer solchen Argumentenfülle vor, daß zumindest wirsper­ sönlich uns genötigt sehen, sie, als Ganzes, für unwider­ leglich zu ästimieren. Auch wir betrachten die buchstäb­ liche Verstehbarkeit biblischer Voraussagungen, als ein wesentliches Charakteristikum aller Prophetik überhaupt indem wir Minutiosität des Details als beabsichtigten Teilzug in der vorhersehenden Planung der Gottheit betrachten, um dadurch auch in späteren Zeiten noch, die Beweise für die Erfüllung seines Wortes sichtbar ans Licht zu bringen. Keinerlei mit einer Voraussagung verknüpfbarer allgemeiner Sinn, keine pauschale Ver­ wirklichung solcher Voraussagung, wird für den menschlichen Verstand so unanzweifelbare Schlußfolge­ rungen mit sich führen, wie es eine ganz spezielle & bis in kleinste Minutien exacte Erfüllung leistet. Allgemeine Feststellungen sind - einzelne, ganz rare Fälle ausgenom­ men - unvermeidlich der Mißdeutung oder fälschlichen Nutzanwendung verdächtig: das Detail erlaubt nicht den Schatten einer Mehrdeutigkeit. Daß in so manchem frappanten Fall die Worte der Propheten bis ins kleinste eingetroffen sind, in ganzen Ketten von detailliertesten Mikroereignissen, von denen man, bis zum Eintreten der

REZENSIONEN

Erfüllung, die bloße Formulierung nicht begriffen hatte, ist ja wohl eine Wahrheit, die abzuleugnen nur Wenige noch störrisch & verhärtet genug sein werden. Womit wir sagen wollen, daß, in allen Fällen, die strictestsbuchstäbliche Interpretation am Platze sei. Zweifellos kann sich mancher Unglaube auf die Dunkelheit des propheti­ schen Ausdrucks berufen; und häufig hört man auch die Frage aufwerfen: Wozu solche Dunkelheit denn gut sei? - Warum die Prophezeiungen sich nicht deutlich ausdrückten? - Diese Worte, heißt es dann, sind unzu­ sammenhängend, unverständlich; und sollten deshalb als unwahr betrachtet werden. Daß so manche Prophe­ zeiung absolut unverständlich ist, soll gar nicht abge­ stritten werden - es gehört zu ihrem Sinn & Wesen, daß sie so ausfallen sollte. Diese Dunkelheit hat, ebenso wie das scheinbar belanglose Detail, ihren von GOtt vorge­ sehenen Zweck. Wären jene, Einsicht in zukünftige Er­ eignisse eröffnenden Worte der Inspiration jederzeit so eindeutig klar, (Habakuk 2,2), so würde das, selbst nach ihrer Er­ füllung, in vielen Fällen einen verstandesmäßigen Grund zum Unglauben an die Inspiration der Verfasser, und, consequent weitergedacht, an die Wahrheit der ganzen Offenbarung abgeben; denn es ließe sich dann vorbrin­ gen, wie eben diese deutlichen Worte unter den Christen zu vereinter nacheifernder Tätigkeit aufgerufen, und so im Sinne einer Anweisung gedient hätten, die Erfüllung einer Prophezeiung durch sich selbst zu bewirken. Aus diesem Grunde ist es, daß die Mehrzahl der Vorher­ sagungen erst dann verständlich werde, sobald man sie von dem angemessenen Standpunkt aus betrachte - das ist: der Zeit ihrer Erfüllung. Die in Anschlag gebracht, wird sowohl der filosofische Denker als auch der Christ, 266

STEPHENS: REISEN IN ÄGYPTEN die etwaige Dunkelheit einer Prophezeiung nicht mehr als Argument gegen ihre Zuverlässigkeit ins Feld führen. Wer auch nur i dieser vielen wundersamen Vorher­ sagungen, von deren Bedeutung er sich bis zum Tage ihres Eintretens keine Vorstellung machen konnte, handgreiflich;unwidersprechlich erfüllt gesehen; Wer sich i Mal restlos davon überzeugt hat, wie keine menschliche Vorauskalkulation auch nur annähernd einen ähnlichen Betrag von Vorherwissen zu liefern imstande sei - Der wird, in erwartungsvollem Zutrauen, jenes Augen­ blickes harren, und siehe er kommet gewißlich, wo auch von allen andern der schützend’dunkle Schleier gehoben werden wird!

1 Wir können nichts bessres tun, als hier die Worte eines Mit­ arbeiters der London Quarterly Review zu zitieren: Zahlreiche Prophezeiungen, man sollte das im Auge behalten, befinden sich im Zustande schrittweiser Erfüllung - der­ gestalt eingerichtet, daß sie sich wie eine Kette von Indizien durch eine ganze lange Reihe von Menschenaltern hindurch­ zieht, auf daß die Menschheit im Großen, und nicht, wie es bei einer schlagartig eintretendefi Erfüllung der Fall wäre, 267

REZENSIONEN nur i beschränkte Epoche oder Generation davon profitiere. So bezieht sich ein Teil der Prophezeiungen gegen Edom auf die Diskussion über den Zionismus, und dessen (Jahr der Wiederbringung). Ein Wort hier in Bezug auf das Buch von Keith. Seit Ab­ fassung dieses Artikels haben wir, bedauerlicherweise, in einer New Yorker Tageszeitung, gewisse kritische Bemerkungen über jene allgemeimbekannte Abhandlung erblicken müssen, die wir für unnötig, um nicht zu sagen absolut ungerecht, er­ achten; und die überdem im Grunde wenig mehr darstellen, als eine Wiederbelebung der alten Geschichte, welche die London Quarterly Review, aus ganz bestimmten persönlichen Absichten, und im Geiste bitterster Unfairness, seinerzeit sich aus den Fingern sog. Wir meinen hier speziell den Vorwurf des Pla­ giats aus Bischof Newton’s Werk. Es wäre genausoviel Ver­ stand darin, Dr. Webster zu beschuldigen, er habe sein Wörter­ buch von Dr. Johnson gestohlen; oder sonst einen Compilator anzuklagen, er habe irgendeinen andern geplündert. Aber Keith hat sein Buch, wie wir von ihm selbst erfahren, in Eile niedergeschrieben; auf das dringende Ansuchen & zum un­ verzüglichen Gebrauch eines Freundes, dessen Glaube an die (Bestätigung der Prophezeiungen) ins Wanken geraten war, und der sich mit der Bitte an den Verfasser gewandt hatte, seinen Unglauben mit einer kurzigefaßten Übersicht über 1 diese Bestätigungen zu Hilfe zu kommen. Im Vorwort zu dem , also - ohne Hinschielen auf etwelchen Verfasserruhm, viel- ! mehr mit keiner andern Absicht, als der, unmittelbarer ! Brauchbarkeit - zusammengetragenen Buche, findet sich das vollgültigste Entsagen hinsichtlich jeglichen Anspruches auf Originalität - und, wahrlich, Anlaß & Beweggrund solcher . Entstehung, sollten eigentlich hingereicht haben, Dr. Keith '• vor dem sinnlosen Vorwurf des Plagiats, mit dem man so hartnäckig bei der Hand gewesen ist, zu schützen. Wir geden- ? ken dabei gar nicht zu leugnen, daß er, in der Blindheit seines ’ Eifers, und Selbstbesessenheit von der generellen Richtigkeit i, seiner Postulate, nicht selten Mutmaßungen als Tatsachen be- j 268

STEPHENS: REISEN IN ÄGYPTEN handelt, und seiner Sache zumal dadurch ernstlichen Schaden zugefügt hat, daß er einige seiner Behauptungen unverantwortlich;weit über ihren eigentlichen Geltungsbereich hinaus ausdehnte. Dennoch, trotz aller Ungenauigkeiten, muß sein Werk als einer der bedeutsamsten Triumphe des Glaubens be­ trachtet werden; sowie, und das über jeden Zweifel hinaus, als eines der lucidesten & in sich consequentesten Argumenten­ gebäude.

Nachdem wir solchergestalt unsern Glauben an die buch­ stäbliche Erfüllung der Prophezeiungen in alk&itjedem Falle1 ausgedrückt; und als einen der Gründe für das nicht allgemein Anerkanntsein dieses Glaubens, auf die Unrichtigkeit des Standpunkts, von dem aus man sie zu betrachten sich gewöhnt hat, hingewiesen haben; bleibt zu untersuchen: wassspeziell der Extract der Voraus­ sagungen hinsichtlich Idumaeas gewesen ist. : ; Jesaias 34,10-17. : Und ich will den Berg Seir wüst und öde machen, daß Niemand darauf wandeln noch gehen sollb\ Hesekiel 55,7. Hinsichtlich der hier angeführten Stellen, die nicht kursiv gedruckt sind, muß es uns genügen, auf die schon erwähnte Keith’sche Abhandlung zu verweisen, wo die Bestätigungen für die Erfüllung der Voraussagungen, auch in ihrem minutiösesten Detail, sich übersichtlich zusammengefaßt finden. Dennoch möchten wir hier ganz kurz das Wesentliche seiner Bemerkungen hinsicht­ lich der Worte: bezieht sich auf Jemanden, der sich hin & her bewegt, und auf und ab geht; und ist genau der­ selbe Ausdruck, der Genesis 23si6 als Beiwort von Geld & Währung erscheint, wiedergegeben findet, lautet im Hebräischen ursprünglich so: 368

STEPHENS: REISEN IN ZENTRALAMERIKA

Lenetsach netsachim ein over bah. Buchstäblich: Lenetsach: für eine Ewigkeit netsachim: von Ewigkeiten ein: nicht over: sich umher bewegen hab: darin gleich: . Die buch­ stäbliche Bedeutung von (hab') ist ; und nicht . Das Partizip bezieht sich auf Einen, der sich hin & her bewegt, oder auf & ab (geht); und ist genau der gleiche Ausdruck, der Genesis 23^16 als Bei­ wort von Geld & Währung erscheint: . Der Prophet hat lediglich sagen wollen, daß keine Spuren von Leben mehr in dem Lande sein sollen, kein lebendes Wesen sich dort aufhalten, Niemand darin hin & wieder gehen solle. Eine ganz ähnliche Fehl­ übersetzung ist hinsichtlich der Prophezeiung Hesekiel 3 5? 7 in Umlauf; allwo (der gewöhnlichen Konstruktion nach) der Tod jeglichem Reisenden angedroht wird, der es durchquere. Dabei lauten die Worte:

Wenathati eth-har Seir leshimemiab ushemamab, wehickratti mimmennu over ivasabh. Wörtlich: verwendet. Zum Beispiel - «direkt ein­ getroffen, sagte Rudge....» etc.; (ein Schnitzer neben­ bei, dessen Bulwer sich, und zwar allerorten, ebenfalls schuldig macht). Es ist nachdenklich genug, daß ein so origineller Stilist wie unser Autor, gelegentlich in die gröbliche Nach­ ahmung von etwas verfallen sollte, was an sich selbst schon eine gröbliche Nachahmung ist - wir meinen die Lamb’sche Manier - eine Manier, die auf Satzkonstruk' tion im Lateinischen zurückgeht. Zum Beispiel:

«Zur Sommerszeit erinnern ihre Pumpen den durstigen Müßiggänger an Quellen, kühler, funkelnder, tiefer als andere Brünnlein; und wie sie , «wird sich niemals dazu verstehen, von Frauen übel zu reden.» Der Ton liege hier einmal auf dem «Mann». Wenn wir fürs erste gewisse Kommentatoren und Kompilatoren der Gattung, die zudem auch nur spärlich vor­ kommen, beiseite lassen - Erscheinungen, welche weder als Männer, noch als Frauen, noch als Mary Wollstone­ crafts einzuordnen sind - wenn wir sie, sag’ ich, als un­ klassifizierbar beiseite lassen, so dürfen wir vielleicht die Behauptung wagen, daß Kritiker grundsätzlich masku­ line Wesen sind - Männer. Mit der Ausnahme allenfalls von Mrs. Anne Royal wüßten wir kein Femininum zu nennen, das je auch nur zeitweilig den Thron des Zoilos innegehabt hätte. Und dieses Salische Gesetz ist denn doch so recht vom Übel. Denn die ihm von Natur eigene Ritterlichkeit läßt den kritikasternden Mann die Auf­ gabe, «übel zu reden von einer Frau» (und eine Frau und ihr Buch sind ja doch identisch), nicht nur höchst uner­ freulich finden, sie macht es ihm auch fast unmöglich, seinen Gegenstand nicht ad nauseam zu preisen. So ist’s im allgemeinen das Unglückslos der Autorin, immer wie­ der gezwungen zu sein, sich die schmählichste Markt­ schreierei gefallen zu lassen. Miss Barrett nun hat auf ihrer eigenen Seite des Atlantik zumindest in einem Falle der Plage dieser beklagenswerten Schmach und Schande ' entgehen können; doch wäre sie erpicht darauf gewesen, in Amerika nun recht darunter zu leiden, so hätte sie’s nicht wirksamer darauf anlegen können, als indem sie 563

REZENSIONEN

in einer amerikanischen Edition ihres Werkes und von einem amerikanischen Autor herausgegeben - ein paar Worte über «das große amerikanische Volk» von sich * gab. Von all den zahlreichen «einheimischen» Notizen zu ihrem «Drama der Vertreibung», die uns vor Augen gekommen sind, vermögen wir uns nicht einer zu entsinnen, in welcher sich irgend Bemerkenswerteres fände als des Kritikers hartnäckige Entschlossenheit, schlechthin nichts Mangelhaftes zu entdecken, von Beersheba bis Dan. Einer der Herren ist, im «Democratic Review», wahrhaftig so weit gegangen, eine sehr behut­ same Andeutung zu wagen - des Inhalts, die Dichterin lasse sich durch nichts «abhalten, ihr Herz auszuschüt­ ten, auch wenn sie dabei einen krummen Reim in Kauf nehmen muß»; doch darüber hinaus hat sich niemand verstiegen; und was die sehr eingehende Besprechung im neuen «Whig Monthly» betrifft, so ist alles, was man dazu sagen oder denken, und alles auch, was Miss Barrett davor empfinden kann, dies: es han­ delt sich um einen reinen Preisgesang, und er ist ebenso * Leider haben wir in der amerikanischen Ausgabe eine Fülle von Druckfehlern bemerken müssen, von denen viele den Sinn beeinträchtigen und daher verbessert werden sollten, wenn eine zweite Auflage fällig wird. Wieweit sie zu Lasten der Londoner Vorlage gehen, vermögen wir nicht zu sagen. «Froze» zum Beispiel erscheint als «fröre»; «foregone» ist durchweg «fotgone» gedruckt; «wordless» kommt als «worldless», «worldly» als «wordly», «spilt» als «split» etc. etc., während es von Vertauschungen, falschen Akzenten und Zeichensetzungsfehlern nur so wimmelt. Wir geben ein paar Seiten an, auf denen solche Nachlässigkeiten entdeckt werden können: Band I - 23, 26, 37, 45, 53, 56, 80, 166, 174, 180, 185, 251. Band II - 109, 114, 240, 247, 25 3, 272. 564

BARRETT: DRAMA

' gut geschrieben, wie er als Insulte wohlgeplant ist. Nun zweifeln wir, ob es unter den sämtlichen Freunden der schönen Autorin einen einzigen gibt, der tiefere, der enthusiastischere Verehrung für ihren Genius empfin­ det als der Schreiber dieser Zeilen. Und eben dies ist, vor allem andern, der Grund für seine Absicht, die Wahr­ heit über sie zu sagen. Dabei bedauern wir nur, daß die Grenzen des «Journal» die Möglichkeit ausschließen werden, diese Wahrheit so ausführlich und detailliert auszusprechen, wie wir es wünschen möchten. Die bei weitem wertvollste Kritik der nun vor uns hegenden Bände, die wir oder andere zu geben vermöchten, würde darin bestehen, drei Viertel ihres Inhalts zu zitieren. Doch wir haben den Vorteil, daß Miss Barretts Werk schon lange veröffentlicht ist und fast allerorten gelesen wurde, und so dürfen wir wohl in einigem Maß ge­ drängte Kürze walten lassen bei unserem Vorgehen und hierbei den Grundtext gleichsam als bekannt voraus­ setzen. In ihrer Vorrede zu diesem, nämlich der «amerikani­ schen Ausgabe» ihrer jüngsten Dichtungen, kommt Miss Barrett auf das Drama der Vertreibung zu sprechen und sagt: «Ich entschloß mich zu seiner Veröffentlichung erst nach erheblichem Zögern und Zweifeln. Sein Thema kam gleichsam eher über mich, denn daß ich’s mir selber gewählt hätte; und die Form, dem Muster der griechi­ schen Tragödie nahe, wuchs und gestaltete sich unter meiner Hand eher durch eigen-willige Kraft denn durch planende Absicht. Doch als der schöpferische Rausch sich gelegt hatte, befiel mich Bänglichkeit ob meiner ' Lage. Mein Gegenstand war das neue und sonderliche Experiment der gefallenen, aus dem Paradies in die Wild­ nis gezogenen Menschheit und im Besondern das 565

REZENSIONEN

schmerzensreiche Schicksal Evas, welches, in Ansicht daß Selbstaufopferung zu ihrer Weiblichkeit gehörte und das Bewußtsein, Werkzeug des Sündenfalls gewesen zu sein, zu eben ihrer Sünde selbst, mir bislang nur un­ vollkommen behandelt erschien und mich glauben ließ, es werde eine Frau ihm besser denn ein Mann Ausdruck geben können.» Liest man diese abstrakten Ausführun­ gen zum Thema, so fällt es schwer, den Grund für der Dichterin Zögern zu verstehen; denn das Thema an sich scheint doch für die Zwecke des Lesedramas wunderbar geeignet. Gleichwohl hat die Dichterin, und eben durch­ aus zu Recht, das Gefühl des Mißlingens - eines Miß­ lingens, welches nicht im allgemeinen Thema, sondern in der besondern Konzeption sichtbar wird und dem «Muster der griechischen Tragödien» zu Lasten gerech­ net werden muß. Die griechischen Tragödien hatten und haben selbst heute noch hohe Verdienste; doch wir tun weise daran, heute das äußerliche und starr vor­ gebildete Mit-Fühlen des antiken Chors durch ein un­ mittelbares, inneres, lebendiges und bewegendes Mit­ leiden zu ersetzen; und obschon Aischylos dem Euripi­ des oder Sophokles als «Muster» gedient haben mag, würden die beiden letzteren doch, lebten sie heute in London, vielleicht eine gewisse formlose und schatten­ hafte Großartigkeit gern anerkennen, sich im übrigen jedoch wohl ein Lächeln erlauben für die Seichtheit und Verschrobenheit jener Kunst, welche sie in den alten Amphitheatern zu Beifallsstürmen für den Oedipus auf Kolonos hingerissen hatte. Es wäre für Miss Barrett zweifellos besser gewesen, hätte sie einfach vergessen, daß jemals überhaupt Grie­ chen gelebt, hätte sie sich in aller Unabhängigkeit auf ihre eigenen, wahrhaft außerordentlichen Inspirations566

BARRETT: DRAMA quellen gestützt und ihre Eva in eine Reihe von bloß natürlichen Abenteuern verwickelt - beziehungsweise, wenn nicht dies, in Abenteuer, deren Übernatürlichkeit sich in den Grenzen einer wenigstens denkbaren Rela­ tion hielt - einer Relation von Materie zu Geist und Geist zu Materie, die Raum für so etwas wie gegenständ­ liche, greifbare Handlung und be-greifbare Emotion ge­ lassen hätte, die aber nicht jene weibliche Charakterent­ wicklung vereitelt hätte, welche uns als der Haupt­ gegenstand der Dichtung angegeben wird. Wie der Fall tatsächlich liegt, sind es lediglich ein paar wenige Brokken im verbalen Verkehr zwischen Adam und Luzifer, welche uns überhaupt wahrnehmen lassen, daß sie eine Frau ist. Im übrigen präsentiert sie sich uns als ein mysti­ sches Etwas oder Nichts, eingehüllt in einen Nebel von Rhapsodien über die Verklärung, den Samen, die der­ einst zu stechende Ferse und andere Erörterungsgegen­ stände ähnlicher Dignität, wie sie kein Mensch je in pla­ ner Prosa zu verstehen geheuchelt hat und die, nach dem «Muster des griechischen Dramas» in eine Dichtung hinein sozusagen solar-mikroskopiert, ungefähr gleich überzeugend sind wie die Ägyptischen Vorlesungen des Herrn Silk Buckingham - und so zweckvoll und sinn­ reich, wie sonst unter der Sonne nur noch die hi-presto !Beschwörungen des Signor Blitz. Was sollen wir denn zum Beispiel von einem dramatischen Gespräch wie dem folgenden halten? - die Worte entringen sich einem Chore Unsichtbarer Engel und sollen Adam gelten: Live, work on, O Earthy! By the Actual’s tension Speed the arrow worthy Of a pure ascension. 567

REZENSIONEN From the low earth round you Reach the heights above you; From the stripes that wound you Seek the loves that love you! God’s divinest burneth plain Through the crystal diaphane Of our loves that love you.

Nun wollen wir gewißlich nicht behaupten, ein Leser, welcher den Jargon der Transzendentalisten gewohnt ist (bzw. den jener Herrschaften, welche eine adelnde Philo­ sophie dadurch herabsetzen, daß sie sich selber so titulie­ ren), könne nicht doch bei starker «tension» seines Ver­ standes in dem zitierten Abschnitt - und meinethalben in jedem beliebigen der tausend ähnlichen Abschnitte des Buches - irgendetwas aufspüren, was sich notfalls für so etwas wie eine absolute Idee ansehen ließe. Doch sagen wollen wir erstens allerdings, daß der dann ausgegrabene Gedanke sich in neun von zehn Fällen als viel zu arm­ selig erweisen würde, um für die Mühe des Grabens zu entschädigen; - denn wie bei manchen Erzen im beson­ deren ist es im allgemeinen beim Gedanken eine Natur­ gegebenheit, daß er am reichsten da ist, wo er an der Oberfläche zutage liegt. Und dazu wollen wir zweitens denn bemerken, daß in neunzehn von zwanzig Fällen der Leser auch das wertvollste Erz lieber bis in alle Ewigkeit ungefördert hegen läßt, ehe er sich der Mühe unterzieht, auch nur einen Zoll tief danach zu graben. Und schließlich wollen wir drittens behaupten, daß kein Leser dafür zu verdammen ist, wenn er sich nicht der Mühe unterzieht, den genannten Zoll tief zu graben; denn kein Schriftsteller hat das Recht, ihn zu dergleichen Plackerei zu nötigen. Nach-denkenswert ist nur das klar j68

BARRETT:DRAMA

Durchdachte; was aber klar durchdacht ist, das kann und soll auch klar ausgedrückt werden - oder es bleibe gleich ganz unausgedrückt. Gleichwohl gibt es keine passen­ dere Gelegenheit als die gegenwärtige, um zuzugeben und zu behaupten, was noch niemals zuvor behauptet oder zugegeben wurde, - daß es nämlich eine durchaus zu rechtfertigende Ausnahme für die Regel gibt, für die wir hier plädieren. Sie betrifft den Fall, wo die Absicht besteht, das Phantastische zu vermitteln - wohlgemerkt: das Phantastische, nicht etwa das Obskure. Um vom letzteren einen Begriff zu geben, bedürfen wir, ganz wie im allgemeinen, der präzisesten und entschiedensten Begriffe, und wer andere Begriffe verwendet, verwech­ selt lediglich das Obskure des Ausdrucks mit dem Aus­ druck des Obskuren. Das Phantastische jedoch - das eigentliche Phantasma - kann in seiner Entwicklung ganz wesentlich durch das wunderliche, seltsam ver­ schnörkelte Wort befördert werden: - eine Behauptung, deren Berechtigung ein jeder Moralist nach seiner Be­ quemlichkeit für sich selbst erproben mag. Das «Drama der Vertreibung» beginnt mit einer sehr greifbaren Ungereimtheit: - «Die Szene spielt vor dem Tor des Gartens Eden, welches von Wolken fest ver­ schlossen ist» (also wohl unsichtbar sein dürfte!); - «in ihrer Tiefe dreht sich, in Eigenbewegung, das Flammen­ schwert. Eine Wache von unzähligen Engeln umgibt es; ihre Reihen stufen sich hinauf bis zum Zenit, und die gleißende Helle, die von ihnen und dem Schwerte aus­ geht, reicht viele Meilen weit in die Wildnis hinein. In der Ferne, am Rand dieser gleißenden Helle, erblickt man Adam und Eva, fliehend. Neben dem Tor stehen Luzifer und der Engel Gabriel.» — Dies sind die «Bühnenanwei­ sungen», welche uns an der Schwelle des Buches be569

REZENSIONEN

grüßen. Was nun beanstanden wir? Erstens, die Unge­ reimtheit des Ganzen, zweitens, den melodramatischen Anblick des bengalisch beleuchteten, sich selbsttätig drehenden Schwertes; drittens, die doppelte Natur des Schwertes, welches, wenn aus Stahl und zu genügender Glut erhitzt, um als Flammenschwert Dienst zu tun, vielleicht nicht eben sehr schneidfahig gewesen sein dürfte - bzw. andererseits, wenn genügend kühl, um eine schneidende Schärfe zu haben, nicht eben sonderlich dazu angetan, gegebenen Falls eine Persönlichkeit zu versengen, die so wohlvertraut mit Feuer, Schwefel und dergleichen war, wie wir’s mit gutem Grunde wohl von Luzifer glauben möchten. Wir müssen uns leider auch gegen die «unzähligen Engel» wenden - eine Streit­ macht, die in keinerlei Verhältnis zu dem einen Feinde steht, den es draußen zu halten galt: - da hätte doch, meinen wir, entweder das sich selbsttätig drehende Schwert oder der Engel Gabriel allein oder ein Grüpp­ chen von fünf oder sechs der «unzähligen Engel» wohl ausreichen müssen, um den Teufel (oder handelt es sich um Adam?) vom Tore fern zu halten - einem Tore über­ dies, welches er schließlich auf Rechnung der Wolken noch nicht einmal zu entdecken imstande war. Nun sei es jedoch ferne von uns, respektlos bei Gegen­ ständen zu verweilen, welche dem Glauben oder der Phantasie von Miss Barrett heilig sind. Wir ließen uns auf diese - gleich im allerersten Abschnitt ihrer Dichtung gefundenen - niaiseries auch nur ein, um die ganze Fülle des Unvereinbaren und Antagonistischen, in welche ihr Sujet sie zwangsläufig geraten ließ, ans hellste Licht zu stellen. Sie selbst hat sich einmal auf Milton bezogen, und ohne Zweifel mußte der Gedanke an dessen «Ver­ lorenes Paradies» sie in ihrem Themenplan als solchem 570

BARRETT: DRAMA

bestärken. Doch selbst in Miltons eigenen Tagen, als die Menschen die Gewohnheit hatten, schlechthin alles zu glauben, je unsinniger desto lieber, und in blinder Er­ gebenheit auch die abgeschmackteste Unmöglichkeit zu verehren, - selbst damals war kein Mangel an Indivi­ duen, die das große Epos mit weit mehr Genuß gelesen hätten, wäre ihnen zufriedenstellend erklärt worden, wieso und woher es eigentlich kam, nicht nur daß eine Schlange geläufig Aristotelische Ethik dozierte und sich andererseits aber ziemlich nach eigenem Gusto benahm, sondern auch daß fortwährend blutige Schlachten zwi­ schen blutlosen «unzähligen Engeln» ausgefochten wur­ den, die es durchaus nicht unbedenklich fanden, in der einen Minute einen Flügel zu verlieren und in der näch­ sten einen Kopf, und die gleichwohl, wenn nur am spä­ ten Nachmittag recht schön in Blätterteig gepackt, am nächsten Morgen ganz so heil und «unzählig» beim Appell erschienen wie zuvor. Und nun gibt es erst recht wohl heute, in unserer Zeit, nur noch wenige Leute, welche nicht gelegentlich der Tätigkeit des Denkens nachgehen. Wir leben, mit einiger Emphase gesagt, im Zeitalter des Denkens; - ja, man darf recht eigentlich die Frage wagen, ob die Menschheit vergleichsweise über­ haupt je vorher nennenswert gedacht hat. Und da ist es denn eine schlichte Tatsache: Würde das «Verlorene Paradies» heutzutage geschrieben (angenommen dabei natürlich, daß es seinerzeit nicht geschrieben worden sei), so würden auch seine überragenden, obschon über­ schätzten Verdienste im Auge der Öffentlichkeit und in der Meinung eines jeden, zugleich intelligenten und ehrlichen Kritikers nicht die zahllosen Ungereimtheiten aufwiegen, die mit seinem Grundplan unlöslich verbun­ den sind. 57i

REZENSIONEN

Aber in Miss Barretts dramatischem Grundplan ist es gar etwas Ärgeres noch denn bloß Ungereimtheit, was verstimmt: - ein durchgehender mystischer Zug von schiefsitzender und übertriebener Allegorie - falls nicht Allegorie bereits ein viel zu vornehmer Ausdruck dafür ist. Da sollen wir zum Beispiel unsere Teilnahme dem grillenhaften Kummer zweier Geister zuwenden, welche dem Innern der Erde entsteigen und alsbald anheben, uns ihre Trübsal in folgenden Tönen vorzublasen: I am the spirit of the harmless earth; God spake me softly out among the Stars, As softly as a blessing of much worth And then his smile did follow unawares, That all things, fashioned, so, for use and duty, Might shine anointed with his chrism of beauty Yet I wail! I drave on with the worlds exultingly, Obliquely down the Godlight’s gradual fall — Indiviz/wal aspect and complexity Of gyratory orb and interval, Lost in the fluent motion of delight Towards the high ends of Being, beyond Sight Yet I wail!

Unzählige weitere Geister verbreiten sich sukzessive nach der nämlichen Fa^on, und ein jeder von ihnen be­ endet sein Klagelied mit «Yet I wail!» Als sie schließlich damit zu Rande gekommen sind, stößt Eva ihren Adam mit dem Ellbogen an und riskiert insgleichen die tief­ sinnige und pathetische Bemerkung - «Lo, Adam, they wail 1» - was ja wahrhaftig auch nichts als die reine Wahr­ heit ist - denn sie tun es ja wirklich — ach, möge der Himmel uns doch vor solchen Klagen bewahren!

BARRETT: DRAMA

Nun ist es freilich unsre Absicht nicht, hier lang und breit zu demonstrieren, was ohnehin einem jeden Leser der Bände von selbst ins Auge springt - nämlich die absolute Unhaltbarkeit dieses «Dramas der Vertrei­ bung», die sich erweist, sobald man es als reines Kunst­ werk betrachtet. Wir haben wohl niemanden unter uns, dem noch eigens gesagt werden müßte, daß ein Pot­ pourri aus metaphysischen Rezitativen, die durchweg aus unfaßbaren Abstraktionen bestehen und zudem so abstrakten Gestalten wie Adam und Eva in durchaus mißstimmiger Weise zugesungen werden, nicht eben den besten Stoff für eine Dichtung darstellt. Dabei mag es gleichwohl immer sein, daß mitten in diesem Stoff dann einzelne Stellen von überraschend großer Schön­ heit auftauchen. Wer diese Möglichkeit bezweifelt, lasse sich vom Beispiel dieses Auszugs zufriedenstellen: --------------------- On a mountain peak Half sheathed in primal woods and glittering In spasms of auful sunshine, at that hour A lion couched, - part raised upon his paws, With his calm massive face turnedfull on thine, And his mane listening. When the ended curse Left silence in the world, right suddenly He sprang up rampant, and stood Straight and stiff, As if the new reality of death Were dashed against his eyes, - and roared so fierce, (Such thick carnivorous passion in his thront Tearing a passage through the wrath andfear) And roared so wild, and smote from all the hills Such fast keen echoes crumhling down the vales To distant silence, - that the forest beasts, One after one, did mutter a reponse In savage and in sorrowful complaint Which trailed along the gorges.------

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REZENSIONEN

In diesen Versen lebt eine homerische Kraft - eine leben­ dige Bildlichkeit, die wohl jedermann würdigen und bewundern wird. Es ist jedoch die längste der zitierbaren Passagen in unserem Drama, die nicht von gewichtigen Mängeln entstellt ist; - darüberhinaus gibt es allerdings viele, sehr viele Stellen von noch weit höherer Vortreff­ lichkeit, doch sie sind eben leider zugleich von Mängeln durchsetzt und daher nicht geeignet, hier für unseren un­ mittelbaren Zweck im Auszuge wiedergegeben zu wer­ den. Die Wahrheit ist - und das mag an dieser Stelle ebenso wohl erwähnt sein wie an irgendeiner andern —, daß wir in Miss Barretts Werken nicht nach irgendwel­ chen Beispielen für das suchen dürfen, was bei Gelegen­ heit einmal «redliche Bemühtheit» genannt worden ist; denn es finden sich in ihren Dichtungen weder Ab­ schnitte, die über eine längere Strecke hin die konzen­ trierte Mühe der Gestaltung erkennen ließen und also uneingeschränkt zu rühmen wären, noch vertragen die in sich geschlossenen Einzelgedichte hinsichtlich der Beständigkeit ihrer künstlerischen Formung ein auch nur leichtes Examen. Ihr wildes und glanzvolles Genie scheint sich mit Pointen begnügt zu haben, mit Spitz­ lichtern - scheint sich erschöpft zu haben in einzelnen Blitzen; - doch es ist die verschwendrische Fülle - die beispiellose Zahl und Dichte dieser Spitzlichter und Blitze, die ihr Buch zu einer Flamme werden läßt und uns berechtigt, sie ohne alles Zögern die Größte, die Herrlichste ihres Geschlechtes zu nennen. Das «Drama der Vertreibung» bedarf kaum weiterer Kommentierung; was hier ganz allgemein gesagt wurde, genügt. Sein schönster Einzelzug ist, vielleicht, die Schilderung von Evas Entzücken - einem Entzücken, das durch tiefe Verzweiflung bricht - bei der Entdek574

BARRETT: DRAMA

kung, daß sie in der unwandelbaren Liebe Adams immer noch einen wertvollen Schatz besitzt, den sie nicht mehr zu erhoffen gewagt hatte. Die Dichtung endet, wie sie beginnt, mit einer handfesten Ungereimtheit. Der letzte Satz gibt uns zu verstehen, es gehe «ein Laut durch die Stille, als fielen die Tränen eines Engels.» Wie dieser «Laut» mit dieser «Stille» zu vereinbaren ist und wie die Zuhörerschaft anhand dieses Lautes Engelstränen von anderen Tränensorten unterscheiden kann, sollte viel­ leicht ebenfalls nicht allzu genau untersucht werden. Dem Drama als nächstes folgt, nach dem Umfang ge­ rechnet, das «Gesicht der Dichter». Hier richtet sich unser Einwand gegen den Didaktizismus des Sujets, über das sich die Dichterin folgendermaßen äußert: «Ich habe darin versucht, meiner Auffassung von der Mission des wahren Dichters Ausdruck zu geben - von der Selbstverleugnung, die sie mit sich bringt, von den Lei­ den, die sie auferlegt, von dem großen Werk, das die Leiden darin schaffen, und von der herrlichen Verpflich­ tung dessen, was Balzac so schön und wahr da patience angelique dugeniei genannt hat.» Diese «Auffassung» mag durchaus richtig sein; doch weder ihre Richtigkeit noch ihre Falschheit hat auch nur das mindeste mit einem Ge­ dicht zu tun. Wenn es eine These vorzutragen gilt, so bedürfen wir dafür der Prosa. In unserem Falle wird das Werk erst da zur Dichtung und als solche erst da beachtenswert oder seiner Verfasserin würdig, wo in seiner Oberschicht die allegorische Mitteilung und Ar­ gumentation zurücktritt und die bekundete Grundab­ sicht vergessen werden kann. Betrachtet man es einmal losgelöst von seinem poetischen Charakter, so dürfen wir ihm Gedankentiefe, Lebendigkeit, epigrammatische Prägnanz und eine Überfülle an trefflicher Beobachtung

REZENSIONEN

zuerkennen - auch wenn die kunstrichterlichen Ansich­ ten nicht immer die unseren sind. Ein Rezensent in «Blackwood’s Magazine», der viele dieser kritischen Modelle zitiert, nimmt Gelegenheit, in dem folgenden Tristichon einen Grammatikfehler zu finden: Here Aeschylus - the women swooned To see so awful when he frowned As the Gods did - he standeth crowned.

«Was in aller Welt», sagt der Kritiker, «sollen wir uns wohl unter den Worten vorstellen?... Die Syntax dieses Satzes wird künf­ tige Kommentatoren wohl ebenso peinigen wie des Aeschylus eigene fehlerhafte Chöre.» Im allgemeinen freuen wir uns, die Meinungen des Rezensenten zu teilen; seine Feststellungen zu dem Buche fallen im gan­ zen mit unserem eigenen Urteil so nahezu vollkommen zusammen, daß wir aus Furcht vor bloßer Wiederholung zögerten, überhaupt selber noch eine Besprechung vor­ zunehmen, bis wir in Betracht zogen, daß es uns möglich sein werde, doch noch mancherlei Ergänzendes zu sagen. Aber häufig irrt er auch aus bloßer Eilfertigkeit, und nirgends irrte er gravierender als in dem hier zur Rede stehenden Punkte. Er unterstellt offenbar, daß «awful» fälschlich als Adverb gebraucht worden sei und sich auf «women» beziehe. Dem ist aber durchaus nicht so; und wenn die Konstruktion der Passage auch unverantwort­ lich verwickelt ist, so ist ihre Grammatik doch korrekt. Wir machen dies sogleich evident, indem wir sie ein wenig entzerren; sie lautet dann: «Here Aeschylus (he) standeth crowned, (whom) the women swooned to see so awful, when he frowned as the Gods did.» Das «he» 5 76

BARRETT: DRAMA ist eine Wiederaufnahme des Subjekts, und das «whom» versteht sich von selbst. Hinsichtlich der Zeilen Euripides, with close and mild Scholastic lips, that could be wild, And laugh or sob out like a child Right in the classes----------

bemerkt der Kritiker: - «Das macht unser Verständnis vollkommen ratlos.» Nun, wenn dem so ist, so liegt’s vielleicht nur daran, daß des Kritikers Verständnis hier nicht ganz auf der Höhe war; denn die Worte besagen ganz einfach bloß, daß Euripides lachte oder weinte wie ein Schuljunge, wie ein Kind, das «right» (oder «just») «in his classes» ist - d. h. noch zur Schule geht. Der Ausdruck ist ein bißchen affektiert, das geben wir zu, aber im übrigen durchaus intelligibel. Einer noch auffälligeren Begriffsstutzigkeit begegnen wir im Zu­ sammenhang mit dem Dreizeiler: And Goethe - with that reaching eye His soul reached out from, far and high, And feil from inner entity.

Die Bemerkungen, die der Rezensent hierzu macht, sind so albern, daß man sie in voller Länge zitieren muß: - wir zweifeln, ob sich je ein Kritiker seines Ranges so heillos kompromittiert hat. «Goethe», sagt er, «ist ein vollkom­ menes Rätsel — was soll nur das Wort «feil> bedeuten? Setvoi;, nehmen wir an - also etwa . Aber es klingt denn doch reichlich sonderbar, obwohl es gern ja wahr sein mag, wenn wir vernehmen, daß seine herrühre. Doch viel577

REZENSIONEN

leicht wohnt dieser Zeile ja irgendein besonderer Tief­ sinn inne, den wir nur nicht auszuloten vermögen.» Ja, vielleicht: - und das ist nun die Literaturkritik - die bri­ tische Literaturkritik - die Blackwood-Literaturkritikvor der wir so lange blind Kotau gemacht haben! Wie oben schon sind Miss Barretts Verse auch hier unnötig verwickelt, aber ihre Bedeutung erfordert wahrhaftig keinen Oedipus. Ihre Konstruktion ist die folgende: - «And Goethe, with that reaching eye from which his soul reached out, far and high, and (in so reaching) feil from inner entity. »In simpler Prosa heißt das: - Goethe hat - nach Meinung der Dichterin - indem er sich zu weit und zu tief in äußere Spekulationen einließ - Speku­ lationen, welche die Außenwelt um ihn herum betrafen sein inneres Wesen oder Sein vernachlässigt oder falsch eingeschätzt - also die Welt seines Innern. Dieser Ge­ danke ist eingebettet in das Bild eines Menschen, der sich so weit aus dem Fenster lehnt, daß er schließlich hinaus­ fallt, - wobei der Mensch die Seele ist und das Fenster das Auge. Von den achtundzwanzig «Sonetten», welche dem «Drama der Vertreibung unmittelbar folgen und im Blackwood eine besondere Empfehlung erhalten, haben wir keine sehr begeisterte Meinung. Noch dem besten von ihnen ist seine extreme Künstlichkeit vorzuwerfen; wenn diese Form wirken soll, so bedarf sie minuziöser Kleinarbeit - eines gebändigten, wohlkontrollierten Fin­ gerspitzengefühls - und das ist leider mit Miss Barretts mangelhaftem Formensinn ebenso wenig zu vereinen wie mit der jähen, brausenden, wirbelnden Kraft ihres Genies. Von den Titeln, die wir hier angeben, gefällt uns am ehesten noch der «Prisoner», dessen Schluß sich durch besondere Schönheit auszeichnet. Im allgemeinen 57»

BARRETT: DRAMA

aber sind die Themen in aufdringlicher Weise meta­ physisch oder didaktisch. «The Romaunt of the Page», eine Nachahmung der alten englischen Ballade, zeigt weder thematische Originalität noch sonderliches Geschick in der Ausführung. Dies ist natürlich relativ gemeint: - nicht sonderlich gut - das heißt: nicht gut für Miss Barrett: — und was wir von diesem Gedicht sagten, gilt gleichermaßen für ein ganz ähnliches Erzeugnis, «The Rhyme of the Duchess May». Weitere Titel - «The Poet and the Bird» - «A Child Asleep» - «Crowned and Wedded» - «Crowned and Buried» - «To Flush my Dog» - «The Four-fold Aspect» - «A Flower in a Letter» - «A Lay of the Early Rose» - «That Day» - «L. E. L.’s Question» - «Catarina to Camoens» - «Wine of Cyprus» - «The Dead Pan» «Sleeping and Watching» - «A Portrait» - «The Mournful Mother» - und «A Valediction» - sie alle haben, ob­ schon in ihnen ein in Funken manifestiertes göttliches Feuer brennt, doch nichts wirklich Eigenartiges, Unver­ wechselbares an sich. Von wahrhaft berückender Lieb­ lichkeit aber sind «The House of Clouds» und «The Lost Bower»: hier gelangt die riesige Kraft der Dichterin zu voller Entfaltung und Gestaltung; - auch die Themen könnten hier gar nicht besser sein. Das erste der beiden Gedichte ist rein imaginativ; das zweite vermittelt eine Moral, jedoch in so unaufdringlicher Weise, daß nichts dagegen einzuwenden ist, - und dieses zweite ist viel­ leicht im ganzen das erstaunlichste Werk der beiden Bände - falls nicht, so ist es jedenfalls «The Lay of the Brown Rosarie». In diesem letzteren zeigt sich der 'Balladen-Charakter ins Ätherische überhöht - und da­ durch entsteht Raum für die Entfaltung einer Idealität, wie es sie so reich und kraftvoll zugleich nur ganz selten 5 79

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gibt auf der Welt. Auch hier sind die speziellen Schwä­ chen der Autorin wie ein Mantel, den man abwirft, ver­ schwunden in der tosenden Bewegung und Erregung des Erzählens.

ii.

Miss Barrett bedarf nur eines wirklichen persönli­ chen Interesses an ihren Themen, um ihnen und sich selbst gerecht zu werden. Andererseits ist ein Stück wie «A Rhapsody of Life’s Progress» trotz all seiner kalt funkelnden Pracht der am wenigsten verdienstliche, weil am meisten philosophische Erguß der ganzen Samm­ lung : - dies sagen wir im ausdrücklichen Gegensatz zum «spoudaiotaton kaiphilosophikotatongenos» des Aristoteles. «The Cry of the Human» ist einzigartig wirkungsvoll, jedoch weniger aufgrund der Kraft und grausigen Lei­ denschaft seines Gedankens als durch die hochartistische arabesquerie seiner rhythmischen Konzeption. «The Cry of the Children», dem letzten ähnlich, wenn auch in Ton und Handhabung überlegen, ist von einer unablässigen nervösen Energie erfüllt - von einer Schrecklichkeit, herrlich in ihrer Simplizität; - selbst ein weit Größerer als Dante hätte stolz darauf sein können. «Bertha in the Lane», eine reiche Ballade, die das «Democratic Review» aus seiner Bausch-und Bogen-Empfehlung höchst son­ derbarer Weise als «vielleicht nicht eben eines der besten Stücke» ausgenommen hat und die vom Blackwood ganz im Gegenteil als «entschieden das feinste Gedicht der Sammlung» bezeichnet wurde, ist nicht das aller­ beste, wie wir meinen, einfach weil bloßes Pathos, so exquisit es sich ausnehmen mag, noch lange kein ange580

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messenes Gewand ist für die höchsten Kundtuungen des Idealen. Zu «Lady Geraldine’s Courtship» bemerkt das letztgenannte Magazin, daß «in den leidenschaftlichen Abschnitten Mark in die Sache kommt». Wir wollen uns nicht damit aufhalten, die lichtvolle Delikatesse der Metapher vom «in die Sache kommenden Mark» näher zu untersuchen; doch wenn unter «Mark» hier nicht die äußerste nur vorstellbare Intensität und Kraft verstan­ den werden sollte, so spricht der Kritiker bloß mit schwachem Lob ein imgrunde verdammendes Urteil aus. Mit Ausnahme von Tennysons «Locksley Hall» haben wir niemals noch ein Gedicht gelesen, welches die wildeste Leidenschaft mit höchster ätherischer Phantasie in solchem Maße vereinte wie «Lady Geraldine’s Court­ ship» von Miss Barrett. Wir müssen jedoch zugeben, daß letztere Arbeit eine leider nur zu greifbare Nach­ ahmung der erstgenannten ist, über welche sie in Ansicht des Plans oder besser Themas ebenso weit hinausgelangt, wie sie in der artistischen Behandlung hinter ihr zurück­ bleibt und in jener gelassenen Kraft, leuchtend und un­ bezwinglich, die wir uns vielleicht vorzustellen ver­ mögen, wenn wir uns einen breit dahinfließenden Strom von geschmolzenem Golde denken. Eben diese «Lady Geraldine» ist es, welche dem Kritiker des Blackwood Gelegenheit gibt, abermals ein paar Stel­ len gründlich nicht zu verstehen. Er bekennt sich außerstande, «die Konstruktion der Worte herauszufinden». Es dürfte vergleichsweise wohl nur wenige amerikanische Schuljungen geben, die diesen Satz nicht gliedern könn­ ten. In Prosa würde die Konstruktion folgendermaßen aussehen: - «all that (wealth understood) because chanc581

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ing not to hold which, (or on account of not holding which) all pure and ardent spirits are cast out of love and reverence.» Das «which» ist im Relativ-Pronomen «that» mit enthalten - dem zweiten Wort des Satzes. «All that we know is, that Miss Barret is right»: - das wäre etwa eine parallele Konstruktion mit der Bedeutung - «all that (which) we know etc». Tatsache ist, daß der Vor­ wurf, Miss Barrett produziere Grammatikfehler, sich weit besser gemacht hätte, wäre er ein bißchen genereller erhoben worden: indem der Rezensent sich aber zu ein­ zelnen Ausstellungen herbeiließ, hat er sich nur auf der ganzen Linie blamiert. Die Grammatik links liegen lassend, erklärt er nun je­ doch auch noch sein Unvermögen, die Bedeutung des folgenden auszuloten: She has halls and she has castles, and the resonant steam-eagles Follow far on the directing of herfloating dove-like hand With a thunderous vapour trailing underneath the starry vigils, So to mark upon the blasted heaven the measure of her land.

Nun muß man bedenken, daß er seine Erklärung durch­ aus tiefernst meint - er versteht den zitierten Gedanken wirklich nicht - und gar noch ernster ist ihm zumute, wenn er sich einbildet, mit seinem eigenen Kommentar zu seinem eigenen Stumpfsinn überdies Witz zu bewei­ sen: - «Wir dachten immer», sagt er, «daß DampfKutschen generell nur der Hand des Heizers folgten, aber die ist ja nun gewißlich einem Raben gleicher (!) 5»a

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denn einer Taube.» Wer möchte wohl nach dieser Probe noch die Unfehlbarkeit des Herrn Christopher North in Frage stellen? Wir nehmen doch an, daß es unter unseren Lesern nur sehr wenige geben dürfte, die nicht mit Leichtigkeit imstande sind, die reiche und phantasievolle Konzeption der Dichterin zu würdigen: - Lady Geraldine steht unter ihrer Türe (und eindeutig nicht etwa oben auf einer Dampfmaschine), und von dort weist sie «with her floating dove-like hand» auf die Rauchfahnen, die von den «resonant steam-eagles» stammen und am «blasted heaven» die fernen Grenzen ihrer Besitzung abzeichnen. - Aber vielleicht machen wir uns selbst einer groben Albernheit schuldig, indem wir überhaupt auf die Flausen eines Rezensenten ein­ gehen, der es fertigbringt, sich zum Zweck einer speziel­ len Rüge ausgerechnet den zweiten der folgenden vier Verse herauszusuchen: Eyes, he said, now throbbing through me! are ye eyes that did undo me? Shining eyes like antiquejewels set in Parian statue-stone ! Underneath that calm white forehead are ye ever burning torrid O’er the desolate sand desert of my heart and life undone?

Der Geist des Großen Friedrich könnte hier vielleicht, in dem ihm eigentümlichen Latein, sein Lieblingssprich­ wort wider uns zitieren: «De gustibus non est disputanäus»-, - doch wenn wir die beabsichtigte Moral in Be­ tracht ziehen, das Unheimliche der intendierten Wirkung und die Bezüglichkeit der historischen Tatsache, auf die 583

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in der Kursiv-Zeile angespielt wird (einer Tatsache, bei der man durchaus damit rechnen muß, daß sie sich der Kenntnis des Kritikers entzieht), so müssen wir denn doch der Überzeugung Ausdruck geben - und wir sagen es hier der ganzen Horde der Ambrosianer mitten ins Gesicht -, daß in der gesamten poetischen Literatur des nächsten Jahrhunderts wohl kein so klangvoller und mächtiger Vers entstehen wird - kein so wahres, edles, ideales, herrliches Bild - wie dieser Vers mit diesem Bild, dem das bekannteste Magazin Europas so ziel­ sicher mit Verachtung begegnet. Die «Lady Geraldine» ist, meinen wir, das einzige Ge­ dicht der Autorin, welches, als künstlerisches Ganzes betrachtet, keine Mängel aufweist. Miss Barretts kon­ struktive Kraft ist, wie wir bereits angedeutet haben, entweder nicht sonderlich groß oder aber nirgends an­ gemessen zur Entfaltung gelangt: - in Wahrheit ist ihr Genie einfach zu stürmisch und drängend, als daß sich die minuziöse Mikro-Technik jener durchgestalteten Kunst daneben behaupten könnte, welche unabding­ bar ist, will man sich Pyramiden für die Unsterblichkeit errichten. Dieser Mangel - wenn es ein Mangel ist in dem Sinne, daß ihr Talent dieser Fähigkeit ermangelt bildet ihre Hauptschwäche. Ihre anderen Schwächen machen, obschon manche von ihnen recht grell in die Augen springen, gleichwohl doch keinen durchaus üblen Effekt. Es ist keine darunter, die sie in künftigen Werken nicht leicht wird ablegen können. Im Augen­ blick sind sie ihr vielleicht nur deswegen durchgegangen, weil sie ihrer gar nicht gewahr geworden ist. Geziertes und Affektiertes findet sich fraglos in großer Zahl, und es ist generell unentschuldbar. Einiges mögen wir vielleicht tolerieren - Worte etwa wie «ble», 584

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«chrysm», «nympholeptic», «oenomel» und «Chryso­ pras» - sie haben zumindest das Verdienst präziser Be­ deutung oder zierlichen und klingenden Ausdrucks; - doch was läßt sich wohl zur Verteidigung einer ganz unnötigen Manier vorbringen, die «’ware» für «aware» setzt - «’bide» für «abide» - «’gins» für «begins» - «Tas» für «alas» — «oftly», «öfter» und «oftest» für «often», «more often» und «most often» - und die «erelong» im Sinne von «long ago» gebraucht? Daß es sich dabei um in sich legitime Worte handelt, besagt gar nichts; die Menschen, die sie zu ihrer Zeit gebrauchten, würden sie heute, wenn sie schrieben, gewiß nicht mehr verwen­ den. Obschon wir auch zugestehen, daß die Dichterin bei ihren Composita nur der gewohnten homerischen Technik folgt, sind sie doch konstruktiv nicht zwingend gebunden, und so liegt in Worten wie «dew-pallid», «pale-passioned» und «silver-solemn» keine wirkliche Bedeutungskraft. Auch können wir uns durchaus nicht für «drave» oder «sapreme» oder «Lzment» erwärmen; und da wir gerade dabei sind, dürfen wir wohl auch gleich mit bemerken, daß es nur wenige Leser gibt, die nicht sehr verdutzt dreinblicken oder gar lachen müssen, wenn sie Wendungen erblicken wie «L. E. L.’s Last Question» - «The Cry of the Human»- «Leaning from my Human» - «Heaven assist the human» — «the full sense of your mortal» - «a grave for your divine» - «falling off from our created» - «he sends this gage for thy pity’s counting» - «they could not press their futures on the present of her courtesy» — oder «could another fairer lack to thee, lack to thee?» Zugleich gibt es wohl kaum jeman­ den, der nicht den Tränen nahe ist, wenn er Dinge liest wie «Hope withdrawing her peradventure» - «spirits dealing in pathos of antithesis» - «angels in antagonism 585

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to God and his reflex beatitudes» - «songs of glories ruffling down doorways» - «God’s possibles» — und «rules of Mandom». Wir haben bereits gesagt, daß bloße abseitige oder verschnörkelte Wendungen, wenn sie innerhalb ver­ nünftiger Grenzen bleiben, nicht nur durchaus nicht als affektiert angesehen werden müssen, sondern ihren legi­ timen Platz da haben, wo sie einen phantastischen Effekt unterstützen. Wir zitieren aus dem Gedicht «To my dog Flush» einen Abschnitt zum Beleg: Leap! thy broad tail waves a light! Leap! thy slender feet are bright, Canopied in fringes! Leap! those tasselled ears of thine Flicker strangely, fair and fine, Down theirgolden inchesX

Und weiter - aus dem Gesang eines Baum-Geistes im «Drama der Vertreibung»: The Divine impulsion cleaves In dim movements to the leaves Dropt and lifted, dropt and lifted, In the sun-light greenly sifted, In the sun-light and the moon-light Greenly sifted through the trees. Ever wave the Eden trees, In the sun-light and the noon-light, With a ruffling of green branches, Shaded off to resonances, Never stirred by rain or breeze.

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Die Gedanken des Abschnitts gehören zur höchsten Ebene der Poesie, doch zu wirksamem Ausdruck hätten sie ohne das Mittel jener Wiederholungen nicht gelangen können - jener doch sehr ungewöhnlichen Wendungen kurz, jener Verschnörkelung, die man allzu lange schon mit dem Schlagwort «affektiert» abzutun sich ge­ wöhnt hat. Kein echter Dichter wird sich beim Lesen der oben zitierten beiden Auszüge eines reinen Entzükkens erwehren können - doch wir glauben zugleich, daß nur ganz wenige keine Schwierigkeit darin haben wer­ den, in ihrem Innern die spontan aufgekommene Be­ wunderung mit der sogleich darauf gewonnenen kriti­ schen Überzeugung zu vereinen, daß es da imgrunde gar nicht zu bewundern gibt. Gelegentlich begegnen wir in Miss Barretts Gedichten einer gewissen weithergeholten Metaphorik, welche den äußersten Tadel verdient. Was sollen wir uns zum Beispiel bei dem folgenden Satze denken ?: Now he hears the angel voices Folding silence in the room? -

Das ist doch zweifellos erhabener Unsinn und nichts weiter. Oder das folgende: How the silence round you shivers While our voices through it go? -

Läßt sich etwas darin erblicken, was nicht bloß einfach dümmlich wäre? Manchmal werden wir durch verzwackte Paradoxa in Verwirrung gebracht; und es heißt nicht, daß wir ihre Urheberin von aller Schuld dieserhalb freisprechen, 5«7

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wenn wir zugeben, daß sie in einigen Fällen durchaus lösungsfähig sind. Doch in enigmatischen Sätzen wie That bright impassive, passive angel-hood -

oder The silence of my heart is full of sound -

irgendetwas zu finden, dem man zustimmen könnte, ist wirklich schwierig. In längeren Abständen bereiten uns Beispiele eines ab­ stoßenden Bilderschatzes Verdruß - so etwa an der Stelle, wo die Kinder weinen: ---------- How long, o cruel nation, Will you stand, to move the world, on a child's heart Stifte down with a mailed heel its palpitation? etc.

Hin und wieder verstören uns auch reine Platituden etwa wenn Eva in die Worte ausbricht: ---------- Leave us not In agony beyond what we can bear, And in abasement below thunder-mark !

- oder wenn dem Erlöser in den Mund gelegt wird: ---------- So, at last, He shall look round on you with lids too Straight To hold the grateful tears.

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Mit «Straight» soll zweifellos «strait» gemeint sein, aber auch das hebt die Sache nicht wesentlich an, wenn es auch den Gedanken ein wenig durchsichtiger macht. Sehr bemerkenswert ist auch der Abschnitt, in dem Eva sich mit den Kinderstimmen befaßt: Hear the steep generations, how they fall Adown the visionary stairs of Time, Like supernatural thunders - far, yet near, Sowing their fiery echoes through the hills!

Selbst wenn wir gar nichts zu dem affektierten «adown» sagen - nichts zu dem unlöslichen Paradoxon des «far, yet near» - wenn wir die wacklige Metapher des «sowing offiery echoes» stillschweigend übergehen - die falsche Anwendung des «like» anstelle von «as» nur ganz kurz streifen - ebenso wie das schiefe Bild, daß alles hinab­ fallt wie Donner, von dem ja bislang nicht bekannt war, daß er überhaupt fallen könne - wenn wir nur nebenbei der falschen Zuordnung des «steep» Erwähnung tun, das natürlich zu «stairs» gehört und nicht zu «generations» (eine Verdrehung, die nicht im mindesten durch die Tat­ sache gerechtfertigt ist, daß es eine so abgeschmackte Figur wie die Synekdoche in den Schulbüchern gibt) selbst wenn wir all dies fürs erste noch durchgehen las­ sen, so fallt es uns doch immer noch schwer zu verstehen, was Miss Barrett wohl dazu bewogen hat, den Hauptge­ danken selbst - die abstrakte Idee - das Bild des «tumbling down stairs», in welcher Gestalt und unter welchen Umständen immer - für eine poetische oder aesthetisch prägnante Vorstellung zu halten. Und ausgerechnet die­ sen Abschnitt sahen wir als «herrlich und erhaben» zi­ tiert - von einem Kritiker, der es für ein ehernes Gesetz 589

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zu halten scheint, daß der Nat-Leeismus den höchsten Rang literarischen Verdienstes darstelle. Daß die Verse nicht allzu weit unterhalb des Herrlichen und Erhabe­ nen liegen, räumen wir gern ein; daß sie ihm auf einen kleinen Schritt nahe kamen, geben wir zu; - doch un­ glücklicherweise ist dies just eben jener Schritt, der seit undenklichen Zeiten das Erhabene vom Lächerli­ chen getrennt hat. Dies ist so einhellig wahr, daß sehr viele Leute - ja, daß sogar wir - durch eine nur leichte Veränderung der Metaphorik - eine Veränderung, die deren reich angelegten spirituellen Ton nicht einmal anzutasten nötig hat - imstande wären, dem zitierten Abschnitt zu untadeliger Vollendung zu verhelfen. Zum Beispiel - und wir versuchen uns daran mit allem Respekt Hear the far generations - how they crash, From crag to crag, down the precipitous Time, In multitudinous thunders that upstartle, Aghast, the echoes from their cavernous lairs In the visionary hills!

Wir zweifeln keinen Augenblick, daß auch unsere Fas­ sung ihre Fehler hat - doch sie zum mindesten das Ver­ dienst, in sich stimmig zu sein. Nicht nur ist ein Berg poetischer als eine Treppe, - auch Echos sind weit ange­ messener als wilde Tiere verbildlicht denn als Samen; und Echos und wilde Tiere vertragen sich besser mit einem Berg, als es Treppen mit dem Säen von Samen tun - selbst wenn man zugibt, daß es sich um FeuerSamen handelt und daß diese in breitem Schwung «über' die Hügel» ausgesät werden, und zwar von einer steilen Generation, die derweil damit beschäftigt ist, die Treppe 59°

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herunterzufallen - das heißt, die Treppe in zu großer Eile herunterzukommen, als daß sie, die steile Genera­ tion, noch imstande wäre, die Samen so akkurat auszu­ säen, wie Samen nun einmal gesät werden sollten. Und die Sache wird für Miss B rrett auch dann nicht viel bes­ ser, wenn wir die Konstruktion ihres Satzes dahinge­ hend verstehen, daß die feurigen Samen nicht unmittel­ bar von den steilen Generationen gesät werden, während diese die Treppe heruntergefallen kommen, sondern nur mittelbar durch Intervention des «übernatürlichen Don­ ners», welchen das die Treppe Herunterfallen der steilen Generationen verursacht. Nicht selten macht sich die Dichterin der Nachlässigkeit schuldig, sich selbst zu wiederholen. Die «thunder cloud veined by lightning» erscheint zum Beispiel auf Seite 34 des ersten und Seite 228 des zweiten Bandes. Der «silver clash of wings» ist auf Seite 5 5 des ersten und Seite 269 des zweiten Bandes zu vernehmen; und Engelstränen werden sowohl auf Seite 27 als auch am Schluß des «Dramas der Vertreibung» vergossen. Rauch nimmt auf Seite 244 des ersten Bandes ebenso die Gestalt des Wei­ ßen Pferds des Todes an, beim Niederkommen auf den Boden, wie auf Seite 179 des zweiten - und so gibt es noch zahllose weitere Wiederholungen, sowohl des Aus­ drucks als auch der Idee - aber es ist vor allem der über­ reichliche Anfall von gewissen Lieblingsworten, der unter den kleineren Verirrungen der Dichterin am viel­ leicht aufdringlichsten empfunden wird. «Chrystalline», «Apocalypse», «foregone», «evangel», «’ware» «trob», «level», «loss» und der musikalische Terminus «minor» fließen ihr unablässig von den Lippen. Favoriten sind jedoch mit Abstand die Worte «down» und «leaning», die nicht nur ad infinitum als Echo erschallen, sondern 59’

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auch noch in allen nur erdenklichen albernen Bedeu­ tungsvarianten. Da Miss Barrett mit Sicherheit keine Ahnung hat, wie weit dieser Manierismus geht, wollen wir es wagen, ihre Aufmerksamkeit auf ein paar wenige - auf relativ sehr wenige Beispiele zu lenken: Pealing down the depths of Godhead And smiling down the stars

Smiling down, as Venus down the waves

Smiling down the steep world very purely Down the purple of this chamber

Moving down the hidden depths of loving Cold the sun shines down the door Which brought angels down our talk

Let your souls behind you lean gently moved But angels leaning from the golden seats And melancholy leaning out of heaven

And I know the heavens are leaning down Then over the casement she leaneth

Forbear that dream, too near to heaven it leaned I would lean my spirit o’er you

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Thou, O sapient angel, leanest o’er Shapes of brightness overlean thee

They are leaning their young heads

Out of heaven shall o’er you lean While my Spirit leans and reaches Leaning from my human When it leans out on the air etc. etc. etc.

Was nun die Grammatik betrifft, auf welcher der Edin­ burgher Kritiker so hartnäckig herumreitet, so erscheint uns die Autorin des «Dramas der Vertreibung» eigent­ lich sogar besonders sicher und exakt. Die Art ihrer Studien hat ihr zweifellos einen sehr feinen Instinkt für konstruktive Akkuratesse eingebracht. Die gelegent­ liche Verwendung von so fragwürdigen Formen wie «from whence» und das Weithergeholte und Vertrackte, von dem wir schon gesprochen haben, sind die einzigen wahrnehmbaren Flecken auf ihrem sonst ausnehmend reinen, kraftvollen und bündig prägnanten Stil. In ihrer Achtlosigkeit gegenüber dem Rhythmischen macht sich Miss Barrett eines Fehlers schuldig, der ihrem Ruhm leicht hätte verderblich werden können und jedem anderen, nicht so fest wie der ihre begründe­ ten Ruf auch verderblich geworden wäre. Wir haben dabei gar nicht so sehr die Riesenfülle unzulässiger Reime im Auge. Natürlich möchten wir wünschen, sie hätte es sich versagt, «Eden» und «succeeding» zu kop593

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peln - «glories» und «floorwise» - «burning» und «morning» - «thither» und «aether» - «enclose me» und «across me» - «misdoers» und «flowers» - «centre» und «winter» - «guerdon» und «pardon» - «conquer» und «anchor» - «desert» und «unmeasured» - «atoms» und «fathoms» - «opal» und «people» - «glory» und «doorway» - «trumpet» und «accompted» - «taming» und «overcome him» - «coming» und «woman» - «is» und «trees» - «off» und «sunproof»- «eagles» und «vigils» «nature» und «satire» - «poems» und «interflowings» «certes» und «virtues» - «pardon» und «bürden» «thereat» und «great» — «children» und «bewildering» «mortal» und «turtle» - «moonshine» und «sunshine». Es wäre, meinen wir, besser gewesen, wenn sich solche Notbehelfs-Reime hätten vermeiden lassen. Doch viel ernster wird die Frage, wo es um Mängel des Rhyth­ mischen geht. In manchen Fällen ist es nahezu unmög­ lich, das beabsichtigte Metrum zu erkennen. «The Cry of the Children» läßt sich einfach nicht skandieren: niemals noch haben wir ein so armseliges Versgebilde erblickt. In Nachahmung des Rhythmus von «Locksley Hall» hat die Dichterin mit Sorgfalt (jedenfalls was die bloßen Silben betrifft) die bezwingend kraftvolle Verszeile von sieben Trochäen mit einer Final-Zäsur beibe­ halten. Die «Doppel-Reime» haben nur die Kraft einer einzelnen langen Silbe - einer Zäsur; doch die natürliche rhythmische Teilung am Ende des vierten Trochäus sollte niemals gewaltsam, wie Miss Barrett es fortwäh­ rend tut, in die Mitte eines Wortes oder einer unteilbaren Wendung gelegt werden. Wenn dies geschieht, müssen wir beim Lesen entweder den Sinn oder den Rhythmus opfern. Bedenkt sie dann auch noch, daß diese Verszeile aus sieben Trochäen, und einer Zäsur eigentlich nichts 594

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weiter ist als ein durchgehend geschriebener Doppelvers - bestehend aus einer Zeile zu vier Trochäen und einer zu dreien plus Zäsur - dann wird sie alsbald sehen, wie unweise sie handelte, als sie ihr Gedicht in Vierzeilern anlegte, und zwar Vierzeilern aus dem langen Doppel­ vers, und alternierend reimte statt unmittelbar wie im Fall von «Locksley Hall». Das Resultat ist, daß das Ohr die Reime erwartet, bevor sie kommen, und mit ihnen, wenn sie dann kommen, nicht zufrieden ist. All dies läßt sich jedoch am besten exemplifizieren, indem man einen der Vierzeiler in seine natürliche Anordnung um­ schreibt. Die in Wirklichkeit verwendete Form ist nur für das Auge bestimmt. Oh, she fluttered like a tame bird In among its forest-brothers Far too Strong for it, then, drooping, Bowed he face upon her hands And I spake out wildly, fiercely, Brutal truths of her and others! I, she planted in the desert, Swathed her ’wind-like, with my sands.

Jetzt fällt deutlich auf, wie wenige Reime imgrunde dar­ in enthalten sind — und daß man sie an Zeilenenden er­ wartet, wo sie ausbleiben. Und in der Tat - wenn wir uns die zitierten acht Zeilen als zwei getrennte Vierzeiler denken (was sie ja auch sind), so finden wir sie beide für sich vollkommen reimlos. Nun sind diese metrischen Defekte derart unglückselig - und wir messen ihnen auch derart viel Bedeutung bei, daß wir nicht zögern zu erklären, sie seien überhaupt dafür verantwortlich, daß dies Gedicht seinem Vorbilde gänzlich unterlegen blieb. Bei gleicher rhythmischer Struktur wäre die «Lady 595

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Geraldine» mit Abstand - mit großem Abstand die be­ deutendere Arbeit zu nennen. Schwäche im Rhythmi­ schen aber ist Schwäche des poetischen Ausdrucks; und der Ausdruck in der Poesie - was ist er ? - was ist er nicht ? Kein lebender Mensch kann diese Fragen besser beant­ worten als Miss Barrett. Wir beschließen unsere Anmerkungen zu ihrem Vers­ bau, indem wir (aus welchem ihrer Gedichte, sagen wir diesmal nicht) ein paar Verse in Prosa zitieren - also zwar ganz wörtlich, jedoch ohne die Zeilenverteilung, wie sie im Buche erscheint. Es dürfte zahlreiche Leser geben, die bei dieser Lektüre niemals auf den Verdacht kommen würden, es handle sich um metrisch gebundene Sätze: «Ay! - and sometimes, on the hillside, while we sat down on the gowans, with the forest green behind us, and its shadow cast before, and the river running under, and, across it from the rowens a partridge whirring near us till we feit the air it bore - there, obedient to her praying, did I read aloud the poems made by Tuscan flutes, or instruments more various of our own - read the pastoral parts of Spenser - or the subtle interflowings found in Petrarch’s sonnets; - here ’s the book! - the leaf is folded down!» Mit diesem Auszug wollen wir unser Fehler-Verzeichnis beenden. Nun aber wäre, und gleichermaßen im Detail, von den Schönheiten dieses Buches zu sprechen? Ach! hier empfinden wir nun doch die Ohnmacht der Feder. Wir haben bereits gesagt, daß die überragende Größe der Dichterin, deren Werke wir hier besprechen, in der Fülle besteht, zu welcher sich unzählige hohe Ver­ dienste bei ihr vereinen. Es ist diese Fülle, diese Kon­ zentration, welche unsere tiefste Begeisterung er­ weckt und unsern ernstesten Respekt erzwingt. Doch 596

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wie sollten wir wohl einen Begriff von dieser Fülle ge- ‘ ben, hätten wir nicht Raum, drei Viertel vom Inhalt der beiden Bände hier als Beispiel zu zitieren? Natürlich könnten wir ein Muster für Miss Barretts reiche psycho­ logische Einsicht in unsere psychische Natur bringen das folgende etwa: I feil flooded with a Dark, In the silence of a swoon When I rose, still cold and stark, There was night, -1 saw the moon: And the stars, each in its place, And the May-blooms on the grass, Seemed to wonder what it was. And I walked as if apart From myself when I could stand And I pitied my own heart, As if I held it in my hand Somewhat coldly, - with a sense Of fulfilled benevolence.

Oder wir könnten ein Beispiel der reinsten und strahlend­ sten Imagination vorführen - wie etwa das folgende: So, young master, I sat listening To my Fancy’s wildest Word On a sudden, through the glistening Leaves around, a little stirred, Came a sound, a sense of music, which was rather feit than heard. Softly, finely, it inwound me From the world I shut me in Like a fountain falling round me Which with silver waters thin, Holds a little marble Naiad sitting smilingly within. 597

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Oder wir könnten ein Muster wilder dantesker Kraft zeigen wie das folgende — im Verein mit einem niemals noch übertroffenen Pathos: Ay! be silent - let them hear each other breathing For a moment, mouth to mouth Let them touch each others’ hands in a fresh wreathing Of their tender human youth! Let them feel that this cold metallic motion Is not all the life God fashions or reveals Let them prove their inward souls against the notion That they live in you, or under you, O wheels!

Oder wir könnten eine Passage bringen, in welcher die höchste Empfindung einen vollkommen klaren und mu­ sikalischen Ausdruck findet: And since, Prince Albert, men have called thy spirit high and rare, And true to truth, and brave for thruth, as some at Augsburg were We Charge thee by thy lofty thoughts and by thy poet-mind, Which not by glory or degree takes measure of mankind, Esteem that wedded hand less dear for sceptre than for ring, And hold her uncrowned womanhood to be the royal thing!

Diese Abschnitte, sagten wir, und noch hundert ähn­ liche, denen stets besondere Vorzüge eigen sind, könn­ ten wir hier zitieren - und müßten zugleich doch, so jämmerlich wie der scholastikos mit seinem Ziegelstein, versagen bei dem Versuch, von dem riesenhaften Gan> zen einen Begriff zu geben. Der Glanz des Firmaments, welches das Buch darstellt, kann nicht durch Benennung 598

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einzelner Sterne vergegenwärtigt werden. Auf das" Buch denn dürfen wir uns in blindem Vertrauen be­ rufen. Daß Miss Barrett in der Poesie mehr geleistet hat als jede andere Frau, lebendig oder tot, wird kaum in Frage ge­ stellt werden: - daß sie all ihre dichtenden Zeitgenossen beiderlei Geschlechts (mit einer einzigen Ausnahme) hinter sich gelassen hat, ist unsere wohlbedachte Mei­ nung - und diese Meinung vertreten wir weder aus Müßigkeit, so glauben wir, noch auf dem Grunde irgend­ welcher phantastischen Vorstellungen. Es wäre mithin wohl nicht uninteressant, zum Schluß dieser Unter­ suchung ihrer Ansprüche noch zu bestimmen, welche poetischen Beziehungen die Dichterin mit ihren Zeitge­ nossen verbinden - bzw. mit ihren unmittelbaren Vor­ gängern - und in Sonderheit mit der einen großen Aus­ nahme, die ich erwähnte - wenn solche Beziehungen überhaupt bestehen. Wenn je ein Sterblicher «am Ausdruck Rache nahm für seine Gedanken», so war es Shelley. Wenn je ein Dichter sang, wie nur der Vogel singt - impulsiv - mit allem Ernst - vollkommen ungezwungen - für sich selbst allein - und um der bloßen Freude willen am eigenen Gesang so war dies der Autor des «Sensitive Plant». Was eigentliche «Kunst» betrifft - über das hinaus, was der unveräußerliche Instinkt des Genies ist - so besaß er entweder nicht allzu viel davon oder fand es alles ver­ ächtlich. Ja, er verachtete «die Regel» - als Emanation des «Gesetzes»; er verachtete sie, weil die eigene Seele ihm Gesetz in sich selbst war. Seine Rhapsodien sind nur die rohen Notizen - die stenographischen Memoranda von Gedichten - Memoranda, die er, weil sie seinem eigenen Geiste volles Genüge taten, nicht eigens noch 5 99

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mühsam für die Menschheit «in Langschrift» ausschrieb. Nie in seinem ganzen Leben hat er auch nur eine einzige Konzeption wirklich ausgearbeitet. Das ist der Grund dafür, daß er der schlechthin langweiligste Dichter ist. Doch das Ermüdende liegt in der Überkürze eher denn in der Überlänge; was bei ihm als Weitschweifigkeit eines Gedankens erscheint, ist in Wirklichkeit die zu­ sammengedrängte, die gedrungene Kurzschreibung vieler Gedanken; - und diese Kurzschrift ist es, die ihn dem Lesenden «dunkel» macht. Für einen Mann wie ihn war Nachempfinden oder Nachahmung eine reine Unmöglichkeit; dergleichen wäre ganz sinnlos gewesen - denn er sprach ja zu niemandem als seinem eigenen Geist allein, und dieser hätte keine fremde Sprache ver­ standen; - er war mithin im tiefsten Sinne original. Was bei ihm wunderlich wirkt, erstand aus dem intuitiven Begreifen jener Wahrheit, welcher allein Lord Verulam unmißverständlich Ausdruck gegeben hat: - «Es gibt nichts Schönes von Rang, das nicht irgendwo auch einen Anteil des Seltsamen und Fremdartigen in sich trüge.» Doch ob nun dunkel, original oder wunderlich, - er, Shelley, war zu aller Zeit er selbst. Nirgends finden wir bei ihm die Mache des Gezierten, Affektierten. Aus den Ruinen Shelleys wuchs, den Himmeln trotzend, eine schwankende und phantastische Pagode empor, deren vorspringende Winkel und Erker, besetzt mit irr rasselnden Schellen, die idiosynkratischen Fehler des großen Originals waren - Fehler, die man zwar nicht als solche bezeichnen kann, sobald man sich die Zwecke des Dichters vergegenwärtigt, die jedoch schlechthin mon­ strös sind, wenn wir seine Werke als Mitteilungen an die Menschheit betrachten. Eine «Schule» entstand - wenn denn dieser absurde Ausdruck immer noch dafür be600

BARRETT: DRAMA

nutzt werden muß - eine Schule - ein System von' Regeln - und das ausgerechnet auf der Basis jenes Shelley, der keinerlei Regeln hatte. Unzählige junge Männer, geblendet vom Glanz und verwirrt von der bi^arrerie des göttlichen Blitzes, der durch die Wolken des «Prometheus» herniederfuhr, hatten keinerlei Mühe, diese Wolken mit allerlei blauen Dünsten nachzuahmen, doch was den Blitz betraf, so begnügten sie sich notge­ drungenermaßen mit seinem Nachbild, in welchem die bi^arrerie zwar noch erschien, das Feuer aber nicht. Und auch große und reife Geister blieben nicht unbeein­ druckt von der Betrachtung eines großem und reiferen Geists; und so wurde in diese Schule der zum Prinzip erhobenen Gesetzlosigkeit - des Dunklen, Wunderli­ chen, Übertriebenen - im Lauf der Zeit auch der depla­ zierte Didaktizismus Wordsworths hineinverwoben und der gar noch abgeschmacktere und konfusere Metaphy­ siker-Stil von Coleridge. Die Sache kam nun immer rascher herunter, und mit Tennyson erreichte der poeti­ sche Aberwitz schließlich seinen Tiefstpunkt. Aber es war eben dieses Extrem (denn der größte Irrtum und die größte Wahrheit sind schwerlich zwei Punkte in einem Kreis) - es war dieses Extrem, welches, dem Gesetz aller Extreme folgend, in ihm, Tennyson, einen natürlichen und unvermeidlichen Umschwung herbeiführte und ihn dazu brachte, seine frühe Manier erstens zu verachten und zweitens einer genauen Prüfung zu unterziehen, um so schließlich aus ihren echten und großartigen Elemen­ ten den wahrsten und reinsten aller poetischen Stile her­ auszubilden. Doch dieser Prozeß ist selbst heute noch nicht wirklich abgeschlossen; und aus dieser Ursache zum Teil, hauptsächlich aber aufgrund der Tatsache, daß nur rein zufällig jene geistige und moralische Kom601

REZENSIONEN

bination eintreten wird, die (wenn sie überhaupt je ein­ tritt) in einer Person alles vereinigt: die Ungezwun­ genheit Shelleys, die poetische Sensitivität Tennysons, den tiefsten Instinkt für Kunst und den strengen Willen, alles entsprechend zu verschmelzen und kraftvoll zu be­ herrschen; - hauptsächlich, sagten wir, weil eine solche Kombination von Antagonismen rein zufällig nur zu­ stande kommen kann, hat die Welt noch jene edelste der Dichtungen nicht gesehen, von der es immerhin mög­ lich ist, daß sie ihr dereinst beschieden sein wird. Und doch hat Miss Barrett die Erfüllung dieser Bedin­ gungen nur um Haaresbreite verfehlt. Ihre dichterische Inspiration ist von höchstem Rang r wir können uns Erhabeneres nicht vorstellen. Ihr Kunstsinn ist an sich vollkommen rein, nur hat ihn das pedantische Studium falscher Vorbilder befleckt - ein Studium, welches sie darum so leicht auf Abwege führte, weil sie es als Selten­ heit - als ihrem Frauencharakter eigentlich fremd - so ungebührlich hoch bewertete. Der Umstand, daß eine schlechte Gesundheit sie lange Zeit von der Welt ab­ schloß, hat überdies in ihrem Charakterbild jenen Zug hervortreten lassen, der sich bei Shelley aus angeborener Unbekümmertheit entwickelte - hat ihr, wenn nicht ge­ nau jene Ungezwungenheit, von der ich sprach, so doch ein Etwas verliehen, das würdig an dessen Stelle steht eine relative Unabhängigkeit von Menschen und Mei­ nungen, mit denen sie persönlich nicht in Berührung kam - eine glückliche Kühnheit in Gedanke und Aus­ druck, wie wir sie noch bei keiner anderen Vertreterin ihres Geschlechtes je kennenlernten. Es ist jedoch viel­ leicht der nämliche Umstand schlechter Gesundheit; welcher ihren Willen zur Originalität geschwächt hat der sie abgelenkt hat von ihrem eigentlichen, ganz indi602

BARRETT:DRAMA

viduellen Ziel - und sie verführt hat zur Sünde der Nach­ ahmung. Was sie vielleicht hätte erreichen können, läßt sich mithin durchaus nicht absehen. Was sie tatsäch­ lich geschrieben hat, liegt vor uns. Tennysons Werke neben sich und brennende Verehrung für sie im Herzen - eine Verehrung, zu brennend, als daß sie noch kritisch hätte sein können - dazu mit einer Imagination gesegnet, gar kraftvoller noch als die seine, wenn auch nicht ganz von gleicher ätherischer Delikatesse - an Kunstsinn ärmer und schwächer an Willenskraft - hat sie Gedichte geschrieben, wie er sie nicht hat schreiben können, doch wie er sie unter ihren Bedingungen, bei schlech­ ter Gesundheit also und abgeschlossen von der Welt, während seiner Lehrzeit in jener Schule hätte schrei­ ben können, die einst aus Shelley entstand und von der, hinweg über den Ekel erregenden, von miasmati­ schen Blitzen nur erleuchteten Abgrund der Faselei und Absurdität, hinüber in die weiten offenen Gefilde der Natürlichen Kunst und des Göttlichen Genies er Tennyson - die Brücke zugleich ist und der Übergang.

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SOPHOKLES: ANTIGONE

Es ist unsrer Leserschaft nichts Neues, daß die «Anti­ gone» des Sophokles vor kurzem zu Berlin, zu Paris und zu London aufgeführt worden ist. Der Erfolg in den beiden erstgenannten Städten kann im Sinne der gelten­ den Theater-Begriffe als ein entschiedener bezeichnet werden: es hat jeden Abend ein leidlich volles Haus ge­ geben und auch genug solcher Abende, um das Unter­ nehmen rentabel zu machen. In London war die Be­ geisterung schon weniger groß (mag sie nun ächt oder unächt gewesen sein), und so müssen wir die Nachricht, das Trauerspiel sei dort «mit außergewöhnlichem Er­ folge aufgeführt» worden, wol cum grano salis schlucken: tatsächlich ist solche Phrase ja auch in Anbetracht des Berliner wie des Pariser Versuches bei weitem zu stark. Dergleichen Dinge bleiben stets auf den bloßen «.Ver­ such» beschränkt und müssen dies notgedrungen bleiben - schon zufolge ihrer Anomalie. So werden wir uns gar nicht erst auf eine Erörterung der Vorzüge jener «Antigone» einlassen, welche von Sophokles verfaßt und zu Athen aufgeführt worden ist - werden dies nicht tun aus dem einfachen Grunde, weil uns Menschen der Jetztzeitjene «Antigone» ein Ding ist, über das wir so gut wie Nichts wissen, welche Tatsache genugsam belegt ist durch den Umstand, daß es keine zwei Gelehrten giebt, die in irgend einem Punkte solchen Stückes zu überein­ stimmenden Urteilen gelangt wären. Über die «Anti­ gone» wie sie uns nun einmal vorliegt, giebt’s ja wahrhaftig recht wenig zu sagen, obschon die Deutschen - und unter ihnen ganz besonders August Wilhelm Schlegel es wie gewöhnlich fertiggebracht haben, diesem Weni­ gen die weitläufigste- Beredsamkeit zu widmen. 604

SOPHOKLES: ANTIGONE

Die Tragödie ist in all ihren Elementen (wie wir Heuti­ gen sie verstehen) jedwedem Drama des Aeschylus bei Weitem unterlegen, ja vielleicht wär’ sogar jedes belie­ bige Stück des Euripides für das Publicum unserer Tage leichter zu acceptiren gewesen. Doch abgesehen von Alledem, liegt über der «Antigone», ganz so wie auch über allen andren Schauspielen der Antike, eine uner­ trägliche Dürftigkeit oder Platitude als das unausweich­ liche Ergebniß mangelnder Erfahrung in den Künsten eine Dürftigkeit freilich, darin wir nach dem Willen aller Schulfuchserei das Resultat einer wohlerwognen und überaus kunstvollen Einfalt zu erblicken hätten. Nun ist ja edle Einfalt in der Tat ein recht erhabner und wir­ kungsvoller Bestandteil aller ächten Kunst, doch ist sie durchaus nicht Das, was wir am griechischen Drama ge­ wahren. Die griechische Bildhauer-Kunst giebt .uns freilich Alles, was wir nur wünschen mögen, weil ja hier Kunst und edle Einfalt schon Hand in Hand gehn von sich aus und auch in ihren Elementen. Der griechi­ sche Bildhauer meißelte seine Statuen nach dem Bilde, das ihm Tag für Tag vor Augen stand, und brachte es in seinem Werk zu einer Perfection, welche an Schönheit diejenige jedweden Kleomenes’ dieser Welt übertrifft. Auf dem Gebiete des Dramas jedoch hatte der schlicht und einfach auf sein Ziel zugehende, alles Andre denn ger­ manische Grieche keinerlei Natur-Bild vor Augen, dem er die eignen Conceptionen hätte nachbilden können. Er tat was er konnte - doch entbehrte solches Tun nahezu jedweden Wertes. Der tiefe Sinn einiger weniger tragischer oder vielmehr theatralischer Elemente (wie’s etwa die Idee eines unerbittlichen Schicksals ist) dieser Sinn, welcher ab und an aus der Düsterniß der an­ tiken Bühnen-Welt hervorleuchtet, trägt in der Unvoll605

REZENSIONEN

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kommenheit seiner Bewältigung recht eigentlich dazu bei, nicht so sehr die dramatischen Fähigkeiten als viel­ mehr das dramatische Unvermögen der Alten zu beweisen. Mit einem Wort, die einfachen, die uncomplicirten Künste gedeihen zur Vollkommenheit schon an ihrem Ursprung, alle complexe Kunst aber bedarf nicht minder unausweichlich der langsamen und mühevollen Erfah­ rung vieler Epochen. Kein Zweifel, den Griechen der Antike schien die Voll­ kommenheit außer Frage zu stehen, und dies Factum wird nun aufs Absurdeste geltend gemacht als ein Beweis für die Vollkommenheit des griechischen Dramas an sich. Dem braucht man freilich nur entgegenzuhalten, daß Kunst und Kunst-Sinn der Griechen notwendiger­ weise auf der nämlichen Stufe standen. Die Idee, ein altgriechisches Bühnenstück vor einem modernen Publicum zur Aufführung zu bringen, kann nur dem Hirn eines Schulfuchses entsprungen sein will sagen, falls der Theaterdirector überhaupt davon träumte, bei solchem Publicum ein achtes Interesse an dem Stück zu erwecken. Irgendwelche Neben-Interessen wird’s in bescheidenen Grenzen natürlich immer geben. Auch werden viele Leute begierig sein, etwas über die Art und Weise zu erfahren, in der die Griechen ihre Dramen geschrieben und aufgeführt haben. Doch Ach! - von ihnen sollte Keiner in Palmo’s Theater gehen! Andre mögen sich den Anschein gelehrten Geschmackes geben wollen - mögen so tun, als könnten sie bei passen­ der Gelegenheit die gescheidtesten Dinge zu classischen Themen von sich geben. Wiederum Andre haben ihre Freude an saftigen Späßen, und ihnen empfehlen wir die «Antigone» an Dinneford’s Theater, das, so glauben wir, einen Durchmesser von fünfzig bis sechzig Fuß hat, 606

SOPHOKLES: ANTIGONE

wogegen kein Theater der Griechen eine größere Aus­ dehnung aufzuweisen hatte denn sechs bis sieben Hundert Fuß. Wir haben Mr. Mitchell am Abend der Premiere schreck­ liche Pläne schmieden hören ganz in der Art einer Burlesque, möchten ihm aber zu bedenken geben, ob derlei Mühewaltung nicht gänzlich überflüssig ist. Und wir sagen hier in allem Ernste, daß er, hätt’ er ebenjene Anti­ gone, die in Palmo’s Theater aufgeführt wurde, zu London oder Berlin herausgebracht, und zwar noch vor deren Aufführung in Palmo’s Theater und mit der aus­ drücklichen Absicht, eine Burlesque draus zu machen daß er dann für solche Parodie (wie dies ja bei all seinen bedeutsameren Parodieen der Fall ist) mit LachStürmen belohnt worden wäre. Die einzig nötige Aenderung wär’ dann eine Umbesetzung gewesen: er hätte Vandenhoff durch Holland sowie Miss Clarendon durch die De Bar ersetzen müssen. Miss Clarendon, zusammen mit Mr. V. (dessen großartige Rhetorik außer Zweifel steht), tat freilich Alles, was für das Stück getan werden konnte - doch was hat man, im Namen des gesunden Menschenverstands, denn schon für solche Aufführung tun können ? Wir fühlen uns nachgerade schamrot werden ob des Umstands, mit der Commentirung solchen NarrenStreiches so viel Papier verschwendet zu haben. Hätt’ man die «Antigone» mit dem sämmtlichen classischen Bei-Werk auf die Bühne gestellt - sie wär’ noch immer eine monströse Narrheit geblieben. So aber hat’s unter den zahlreichen Schulbuben, welche bei der Erst-Aufführung zugegen gewesen, keinen Einzigen gegeben, welcher sein Gelächter ob solch kunterbunten Allerleis aus Anachronismen, Sprach-Verstößen, ja puren Albern607

REZENSIONEN

heiten, durch das aus der gesammten Affaire eine unge­ wollte Burlesque geworden, nicht im Aermel hätt’ er­ sticken müssen. Am Premieren-Abend gab’s ja recht beträchtliche Besucherzahlen, doch am darauffolgenden waren (wie denn auch nicht!) keine hundert zahlenden Zuschauer im Hause vorzufinden. Das Bemerkenswerteste an der gesammten Inscenirung ist ganz ohne Frage die Begleitmusik. Mendelssohn muß aufs Höchste inspirirt gewesen sein, als er den Plan zu ihr gefaßt, denn diese Musik war ein Flug von solcher Kühnheit und Höhe, wie dergleichen dem gewöhnli­ chen Geiste gar nicht erst ermöglicht ist. Dabei hatte der Compositeur mit vielen Schwierigkeiten zu ringen: er mußte ja dem ihm natürlichen Style vollkommen ent­ sagen zu Gunsten des krampfigen, unmelodischen Ductus der Einstimmigkeit griechischer Chöre. Solch spezifischen Character beizubehalten und die Musik dem Ohre des heutigen Hörers dennoch acceptabel zu machen - dies muß wol die höchste Ingenuität des Compositeurs erfordert haben. Dennoch - er hat das Wunder zustandegebracht: seine Musik ist griechisches Denken, transponirt ins Deutsche. Die Chöre werden blos von Männern gesungen und sind zum Gutteil einstimmig gehalten. Sobald’s jedoch zu Harmonieen kömmt, schei­ nen dieselben das natürliche, zwanglose Ergebniß menschlicher Stimm-Modulationen zu sein. Das GrundThema jedweden Chores ist einfach, entbehrt aller Schnörkel und besticht durch Majestät. Auch paßt die Melodieführung sich jeweils dem Wesen des Wortes an, ist ernst und nachdenklich, ist schwer und prophetisch, ist feurig und triumphal, ja vermischt ächte Frömmigkeit mit jener überwältigenden Furcht, wie sie allzeit ein­ herschreitet im Gefolge des finsteren Aberglaubens. 608

SOPHOKLES: ANTIGONE

Da wir die Absicht hegen, uns über diese Musik in einer' gesonderten Abhandlung mit größerer Ausführlichkeit zu verbreiten, wollen wir’s für diesmal bei etwelchen Bemerkungen über deren Wiedergabe bewenden lassen. Für die miserable Art und Weise, in der die Chöre zur Ausführung gelangen, kann man als Entschuldigung wol nur den Mangel an gehöriger Einstudirungs-Zeit vorbringen. Freilich, in den Augen des Publicums ist dies insgesammt keine Entschuldigung. Es hat den Director ja nicht gezwungen, die Tragödie in so unvoll­ kommenem Zustand auf die Bühne zu bringen, sondern hat, ganz im Gegenteil, eine Aufführung von solcher Perfection erwartet, wie die verwendeten Hülfs-Mittel es nur immer erlauben mochten. Statt dessen aber ist die Bühne bevölkert durch eine Unzahl Männer, von denen kaum der dritte Teil correct zu singen versteht, wogegen die restlichen zwei Drittel entweder den Mund überhaupt nicht auftun, oder aber Worte und Musik aus dem Steg­ reif intoniren. Der Halb-Chor Oh Eros!, eine der schönsten Compositionen des Trauerspiels, Wurde auf diese Weise zur Gänze verdorben durch die erbärmliche Art seiner Wiedergabe. In der Tat gereicht ja Mr. Loder’s gesammtes musicalisches Arrangement wol kaum seiner Reputation als derjenigen eines energischen und wohl­ erfahrnen Capellmeisters zur Ehre. Gewißlich hat unser Dirigent unter den obwaltenden Umständen das Menschenmögliche getan, doch hatten schon besagte Umstände keinerlei Daseinsberechtigung. Vielmehr hätt’ er die ausreichende Proben-Zeit fordern oder aber sich weigern sollen, mit seinem weitverbreiteten Ruhme den Erfolg einer Aufführung zu garantiren, welche von vornherein alle Erwartungen der Oeffentlichkeit ent­ täuschen gemußt. 609

JAMES RÜSSEL LOWELL: FABEL FÜR DIE KRITIKER

Was haben wir Amerikaner geleistet auf dem Gebiet der Satire? «The Vision of Rubeta» von Laughton Osborn ist vielleicht unser bestes Werk innerhalb dieser Sparte der Litteratur. Doch steht’s, indem wir Dies sagen, nicht in unsrer Absicht, ein sonderliches Lob auszusprechen. Trumbull’s plumpes und imitatorisches Werk ist kaum der Erwähnung wert - und dann wär’ da noch Halleck’s «Croakers», eine durchaus provincielle und kurzlebige Arbeit. Was aber giebt es darüber hinaus ? Park Benjamin hat eine recht geschickte Rede verfaßt unter dem Titel «Infatuation» («Verblendung»), und bei Holmes finden sich gelegentlich Stücke, die auf ihre Art ja recht gepfef­ fert sind - doch hat’s damit auch schon sein Bewenden, und wir wüßten Nichts mehr zu nennen, das die Bezeich­ nung «Satire» uneingeschränkt verdiente. Freilich haben wir noch Einiges hervorgebracht, das eine excellente Burlesque abgeben könnte (die Poeme von William Ellery Channing zum Beispiel), ohne daß es indeß eine einzige Sylbe enthielte, die nicht äußerst gewichtig und ernsthaft gemeint wäre. Oden, Balladen, lyrische Ge­ dichte, Episches wie Epigrammatisches-kurz, was immer die unwillentlichen Vorzüge des Burlesquen aufweist-, wir könnten es leichtlich im Dutzend hier namhaft machen. In Anbetracht der gezielten, auf den ersten Blick erkennbaren Satire hingegen können wir nicht in Abrede stellen, daß wir da auf unerklärliche Weise ins Hintertreffen geraten sind. Man hat nun geltend gemacht, daß solches Zurückblei­ ben im Satirischen sich aus dem Mangel an lohnenden Stoffen erkläre. In England, so heißt es, geb’ es Satiren 610

LOWELL: FABEL

in Hülle und Fülle, weil die Leute dortselbst in der Aristocratie eine geeignete Zielscheibe für ihren Spott vorfinden, und weil der gemeine Mann - also das Volk auf den Adel als auf eine andere Menschen-Rasse blickt, mit der ihn so gut wie Nichts verbindet. Derhalben, so heißt es, belustige man sich auch an den ärgsten Ent­ gleisungen und Uebergriffen der privilegirten Classen, denn solches Behagen sei ja nicht durch das Bewustsein getrübt, daß der Mann von der Straße - also das Volk irgend Etwas damit zu tun habe. In Rußland und Oester­ reich hinwiederum, so wird betont, sei die Satire so gut wie unbekannt, weil dortselbst jeder Angriff auf den Adel mit allerlei Gefahren verbunden sei, und weil an­ derseits der großen Mehrheit des Volkes die satirische Selbstschau ein Greuel wäre. Und in Amerika vollends, so wird behauptet, stellten die schreibenden Leute zugleich auch die Leserschaft, so daß wir mit der satirischen Betrachtung des Volkes recht eigentlich nur uns selber der Satire unterzögen und dergestalt nimmer­ mehr in die Lage kommen könnten, der Satire sonder­ lichen Geschmack abzugewinnen. Allein, dies Alles ist eher vjüaischeinlich denn wahr. Nämlich, man läßt dabei außer Acht, daß ja kein Indivi­ duum sich zur großen Menge der Kleinen zählt. Jedwe­ der Einzelne betrachtet sich selber als den Angel-Punkt, um den die restliche Welt sich zu drehen habe. Wir mögen das Volk, in seiner Gesammtheit schmähen und dennoch ein reines Gewissen haben in Ansehung sämmtlicher Scrupel ob des Umstands, irgend jemand Bestimmten innerhalb der Vielzahl Derer beleidigt zu haben, aus denen dies «Volk» sich zusammensetzt. Jedermann aus der Menge wird rufen «Encore! - Zieht nur her über die Halunken! Sie verdienen’s nicht anders!» Wie uns schei-

REZENSIONEN

nen will, haben wir in Amerika der Satire alle Ermuntrung nicht etwa verweigert, weil Das, was davon vor­ handen ist, uns allzusehr verletzte, sondern weil es allzu wenig pointirt ist, als daß es uns auch nur im Geringsten berühren könnte. Die Abgeschmacktheit unsrer satiri­ schen Versuche rührt zum einen Teil von der generellen Unfähigkeit unsrer Schriftsteller her, etwas glänzend und minutieus zu formuliren, welche Eigenschaft, sobald sie mit natürlichem Sarcasmus gepaart ist, von der Satire mehr als von allen anderen Litteratur-Formen gebiete­ risch verlangt wird. Zum andern Teil jedoch können wir unser Versagen der colonialen Sünde des Nachah­ mens zuschreiben. Wir geben uns zufrieden - in diesem Punkte nicht minder träge denn in allen übrigen -, Das zu tun, was nicht nur schon längst von Andern getan, sondern, wie gut immer gelungen, schon längst ad nauseam getan wurde. Die beständige Wiederholung auch des Allerbesten - wann wird sie uns endlich zum Halse heraushängen? Denn was ist «McFingal» denn Andres als ein schwächliches Echo von «Hudibras»? Und «The Vision of Rubeta», was ist sie schon mehr als ein ungeheurer, vergoldeter Schweine-Trog, der da überfließt von verwässerter Dunciade? Doch wenn wir allesammt schon keine Archilochusse sind - wenn wir schon keine Ansprüche haben auf T|xr|£VTe zu rezensieren,, fände meine Absicht jedoch durch einen Artikel voni jenem Esel O’Sullivan vorweggenommen und wüßte: ■ keine andere Stelle, wo sich ein Aufsatz darüber unter-bringen ließe. Darauf erwiderte Griswold - «Wenn Sie* die Absicht haben, darüber zu schreiben, so machen Sie sich wegen der Veröffentlichung der Rezension nur gan keine Gedanken; das werde ich schon alles in die HancE nehmen. Ich bringe die Sache irgendwo an renommier-* ter Stelle unter und sehe zu, daß das übliche Honorar) dabei herausspringt; bis dahin erhalten Sie erst einmall 670

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von mir, was Sie als Vergütung erwarten.» Dies war, wie Sie sehen, ein ingeniöser Versuch, mich zu bestechen, für sein Buch Reklame zu machen. Ich akzeptierte sein Angebot auf der Stelle, schrieb die Kritik, händigte sie ihm aus und erhielt von ihm die Vergütung: - er wagte in meiner Gegenwart nicht, einen Blick in das MS. zu tun, und nahm für völlig sicher, daß alles nach seinem Gusto wäre. Doch die Kritik ist bis heute nicht erschienen, und ich bin im Zweifel, ob sie jemals erscheinen wird. Ich schrieb sie akkurat so, wie ich sie unter gewöhnli­ chen Umständen geschrieben hätte; und seien Sie sicher, es war kein sonderlicher Lobgesang. Sollte ich zu Graham zurückgehen, so werde ich mich bemühen, in der allgemeinen Erscheinung des Magazins einige Verbesserungen anzubringen und vor allem den marktschreierischen Schwindel loszuwerden, der sich darin eingenistet hat. Wenn ich aber die Stellung nicht bekomme, so wäre ich nicht überrascht, wenn ich zu Foster nach New York ginge, um dort ein Magazin aufzubauen. Er hat mir ein diesbezügliches Angebot gemacht. Ich nehme an, Sie wissen, daß er zur Zeit die herausgibt. Jetzt noch zu Ihrem Gedicht. Sollten Sie es veröffent­ lichen, so bietet Boston die besten Möglichkeiten - doch habe ich das ziemlich sichere Gefühl, daß Sie keinen Verleger finden werden, der es druckt, es sei denn auf Ihre eigne Rechnung. Grund: die Copyright-Gesetze. Wenn ich jedoch an Ihrer Stelle wäre und könnte es nur irgendwie zu Wege bringen, so würde ich es auf meine eignen Kosten drucken - freilich ohne jeden Seitenblick auf Gewinn, auf den nicht zu hoffen ist. Es ergäbe nur ein dünnes Bändchen, und die Druckkosten könnten, selbst wenn man es in der Art von Hoffmans letzten 671

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Gedichten brächte, insgesamt nicht so sehr hoch sein. Es sollte gefällig gedruckt werden oder überhaupt nicht. Wann soll denn Rob. Tylers angekündigtes Gedicht er­ scheinen? Haben Sie gesehen, wie Benjamin & Tasistro sich in die Haare geraten sind? Ich habe Graham ja immer gesagt, daß Tasistro jedes nur irgendwie lesenswerte Bißchen, das er zum Kauf anbot, gestohlen hat. Was ist mit Ingraham los? Nach Meinung aller ehrlichen Menschen hat er sich mit seinen Schikanerien selber ruiniert. Ich bin glücklich, Ihnen mitteilen zu können, daß Virginias Gesundheit sich ein wenig gebessert hat. Entsprechend heiterer ist meine Stimmung geworden. Vielleicht geht ja alles noch gut. Schreiben Sie mir bald und glauben Sie an die stets wahre Freundschaft Ihres Edgar A. Poe

An Frederick W. Thomas

Philadelphia, 21. Sept. 1842 Mein lieber Thomäs, ich fürchte, Sie werden denken, daß ich meine Ver­ sprechungen nur sehr unterschiedlich einhalte, nachdem ich mich am Sonntag bei der Kongreßhalle nicht sehen ließ, und ich schreibe Ihnen jetzt, um mich dafür zu ent­ schuldigen. Am guten Willen, mich mit Ihnen zu treffen, fehlte es nicht - doch als ich am Samstag abend heim­ kam, befielen mich schwerer Schüttelfrost und Fieber und das letztere verließ mich auch den ganzen nächsten Tag nicht. Ich fühlte mich zu elend, um mich aus dem 672

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Hause zu wagen, hätte es gleichwohl dennoch getan, wäre es mir gelungen, die Einwilligung meiner Haus­ genossen zu erlangen. Nach Lage der Dinge befand ich mich in rechter Verlegenheit, denn wir haben keinen Dienstboten, und auch sonst ließ sich in der Nachbar­ schaft niemand auftreiben, den wir hätten schicken können. Ich beruhigte mich bei der Überlegung, daß Sie es nicht für notwendig halten würden, noch beson­ ders lange über 9 Uhr hinaus auf mich zu warten, und daß Sie nicht ganz so unversöhnlich in Ihrem Groll seien als ich selbst. Auch hoffte ich stark, Sie würden am Nachmittag zu uns hinausfinden. Virginia und Mrs. C. waren sehr bekümmert, daß sie Ihnen nun nicht Adieu sagen konnten. Du Solles Aufsatz entnehme ich, daß Sie ihn sahen. Er kündigte Ihre Anwesenheit in der Stadt am Sonntag an, und zwar in recht hübschen Ausdrücken. Ich bin im Begriffe, mich heute morgen auf eine Pilger­ reise zu begeben, um ein Exemplar des < Clinton Bradshaw> aufzutreiben, und werde es Ihnen senden, sobald ich’s beschafft. Entschuldigen Sie die Kürze dieses Briefes, denn ich bin immer noch sehr unwohl, und glauben Sie an die tiefe Dankbarkeit und aufrichtige Freundschaft Ihres

Edgar A. Poe

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An Dr. Thomas H. Chivers

Philadelphia, 27. Sept. 1842 Mein werter Herr, durch einen Zufall empfing ich erst heute morgen Ihren Brief vom ijten des Monats und beeile mich nun, ihn zu beantworten. Erlauben Sie mir vorab, Ihnen aufrichtig dafür zu dan­ ken, daß Sie mir so freundlich die Subskribenten für das besorgten. Die vier übersandten Namen werden mir in diesem frühen Stadium der Ver­ handlungen eine sehr wesentliche Hilfe sein. Bis jetzt habe ich noch keinen öffentlichen Schritt in der Sache unternommen, ja noch nicht einmal einen Prospekt gedruckt. Sobald ich dies tue, schicke ich Ihnen einige Exemplare. Ich wünsche meine endgültige Wiederaufnahme des ursprünglichen Planes nicht vor etwa Mitte Oktober anzukündigen. Bis dahin aber, so habe ich Grund zu glauben, werde ich eine Stelle auf dem Zollamte in Philadelphia bekommen haben, welche mir ein gutes Gehalt sichern und den größeren Teil meiner Zeit unbeschäftigt lassen wird. Habe ich diese Stellung als sichern Rückhalt im Hintergrund, so werde ich im Stande sein, das Magazin ohne Schwierigkeiten zu be­ ginnen, gesetzt, ich kann entweder mit einem erfahrenen Drucker, der eine kleine Offizin besitzt, ins Einverneh­ men kommen oder aber mit jemandem, der selber nicht Drucker ist, aber etwa $ 1.000 zu Gebote hat. Natürlich wäre es besser, was den dauernden Einfluß und Erfolg des Journals betrifft, wenn ich mich mit einem gebildeten und mir in Denk- und Empfindungs­ art ähnlichen Herrn zusammentäte. Dieses Bewußtsein war es auch, welches mich veranlaßte, Ihnen selber das 674

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Unternehmen anzutragen. Ich weiß niemanden, mit dem ich mich lieber verbinden würde als mit Ihnen. Wo Ihre politischen Ansichten liegen, übersehe ich nicht ganz. Meine eignen sind an keine der gegenwärti­ gen Parteien gebunden; doch hat man mir angedeutet, daß ich mit der wirksamsten Protektion von Seiten der Regierung rechnen dürfte - bei einem Journal, welches gelegentlich Artikel zur Unterstützung der Verwal­ tungsbehörden aufnehmen würde. Mr. Tyler steht bei mir sowohl persönlich wie auch als rechtschaffener Staatsmann in höchster Achtung. Der Förderung durch die Regierung bin ich, unter der eben erklärten Bedin­ gung, versichert worden, und dies allein schon wird das Magazin mehr als nur tragen. Die einzige wirkliche Schwierigkeit liegt im Beginn liegt darin, die pekuniären Mittel für die ersten zwei (oder drei) Nummern zu bekommen; danach ist alles gesichert, und ein großer Triumph dürfte sich, ja muß und wird sich einstellen. Wenn Sie etwa $ 1.000 zur Verfügung haben und sich an der Sache beteiligen wol­ len, so werde ich Ihnen ausführlich über die Details des Plans schreiben, oder wir können uns unmittelbar zu einem Gespräch zusammensetzen. Es wäre wohl angemessen, mit einer Ausgabe von 1.000 Exemplaren zu beginnen. Für diese Nummer würden die monatlichen Kosten inclusive Papier (der feinsten Qualität), Satz, Druckarbeit und Heftung bei etwa 5 180 liegen. Die Gesamtkosten veranschlage ich.auf etwa $ 250 - was $ 3.000 pro Jahr ergäbe - eine sehr großzügige Schätzung. 1.000 Exemplare zu Jj = $ 5.000 - bleibt ein Nettogewinn von $ 2.000, selbst wenn wir nur 1.000 Subskribenten ansetzen. Doch bin ich sicher, daß wir mit wenigstens 500 beginnen, und habe 675

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keinen Zweifel, daß wir noch vor Ablauf des 2ten Jahrs 5.000 haben werden. Ein Magazin, wie es mir vor­ schwebt, wird uns beiden bei 5.000 Subskribenten ein Einkommen von je 5 10.000 verschaffen; und das, so werden Sie zugeben, ist ein Spiel, welches wohl den Einsatz lohnt. Zugleich gibt es keinen plausiblen Grund, weshalb solch ein Magazin nicht am Ende gar eine Verbreitung finden sollte, so groß wie die des zur Zeit - nämlich 50.000. Ich wiederhole, es würde mir die aufrichtigste Freude bereiten, wollten Sie sich entschließen, mit mir zusam­ menzuarbeiten. Ich bin sicher, daß unsere Gedanken und Empfindungen harmonieren und daß wir viel erreichen werden. Bezüglich des Gedichts von Harrisons Tod bedaure ich sagen zu müssen, daß bei den Verlegern in Philadelphia nichts zu machen ist. Die Wahrheit sieht leider so aus, daß Poesie höhern Ranges in diesem Lande unverkäuf­ lich ist und immer sein wird; doch selbst wenn es anders wäre, würde der Stand der Copyright-Gesetze keinem Verleger den Erwerb eines amerikanischen Buchs er­ lauben. Die einzige Bedingung, fürchte ich, unter welcher das Gedicht gedruckt werden könnte, wäre, daß Sie es auf eigne Kosten drucken lassen. Griswold werde ich aufsuchen und mich bemühen, die kleineren Gedichte von ihm zu bekommen. Das ist ja wirklich eine Type, der Mann, unbezahlbar! Schreiben Sie mir, sobald Sie dies erhalten, und empfan­ gen Sie die Grüße Ihres getreulich ergebenen Edgar A. Poe

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An James R. Lowell

Philadelphia, 13. September 1843 Mein lieber Freund, seit ich Ihnen das letzte Mal schrieb, habe ich viel unter häuslichen und pekuniären Sorgen gelitten, ja zu einer Zeit wäre ich ihnen beinahe erlegen. Ich erwähne dies als eine Art Entschuldigung für die Bitte, welche ich an Sie zu richten gezwungen bin - die nämlich, daß Sie mir doch, wenn möglich, $ 10 schicken - was, glaube ich, die Summe ist, welche Sie mir für Beiträge schulden. Sie können sich nicht vorstellen, wie aufrichtig es mich bekümmert, daß die Notwendigkeit mich nötigt, dies von Ihnen zu erbitten - aber ich tue es in der Hoffnung, daß Sie jetzt in viel besserer Position sind als ich selbst und mir die Summe ohne Beschwer ablassen können. Ich hoffe, in nicht allzu ferner Zeit das Vergnügen zu haben, mich mit Ihnen persönlich auszutauschen. Es gibt keinen Menschen, mit dem bekannt zu werden ich so sehnlich wünsche. Getreulich Ihr Freund Edgar A. Poe

An James R. Lowell

Philadelphia, 30. März 1844 Mein lieber Freund, kürzlich hat Graham mit mir über Ihre Biographie ge­ sprochen, und ich bin begierig, sie sogleich zu schreiben - immer gesetzt, Sie haben keine Einwendung. Könnten Sie mir innerhalb eines oder zweier Tage die Unterlagen zustellen? Ich bin gerade jetzt ganz ohne Beschäftigung — ja ausgesprochen müßig. n

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Ich nehme an, Sie haben Willis’ Memoir in der April-Nr. des gelesen. Ein Mr. Landor hat es geschrieben doch ich denke, es steckt voller Übertreibung. Willis ist kein Genie — ein charmanter Possenreißer — nicht mehr. Ihm fehlt es an Kraft und Redlichkeit. Seine Sachen wir­ ken sehr häufig gesucht. In mir wenigstens weckt er nie­ mals eine Gemütsbewegung. Das beste Gedicht, das er geschrieben hat, ist vielleicht ein kleines Stück mit dem Titel , welches beginnt «The Shadow lay - Along Broadway.» Sie erkundigen sich nach meinem Porträt. Es ist schon vor einiger Zeit angefertigt worden - wirkt aber besser als Gravüre denn als Porträt. Ähnlichkeit mit mir ist kaum vorhanden. Wann es erscheinen wird, kann ich nicht sagen. Conrad & Mrs. Stephens werden gewiß vor mir kommen-vielleicht auch Gen. Morris. Mein ist noch nicht geschrieben, und ich bin in schauderhafter Verlegenheit hinsichtlich eines Biographen - denn Gra­ ham besteht darauf, die Sache mir selbst zu überlassen. Vom Erfolg Ihres Bandes habe ich mit aufrichtiger: Freude gehört. Elfhundert Exemplare von einem ge­ bundenen Buch amerikanischer Poesie zu verkaufen,, heißt geradezu Wunder tun. Ich setze alle Hoffnung auf! Ihre künftigen Bestrebungen. Haben Sie den «Orion»i gelesen? Haben Sie den Artikel über «Amerikanische Dichtung»im «London Foreign Quarterly» gesehen? Ea wurde bestritten, daß Dickens ihn geschrieben habe -» doch für mich bietet der Artikel so starke innere Beweisa seiner Hand, daß ich, wollte ich noch zweifeln, ebensd gleich an meinem Dasein zweifeln könnte. Er sagt viel Wahres - beweist freilich zugleich auch viel Unkenntnis und noch mehr Spleen. Unter anderem beschuldigt ei mich selber der «metrischen Imitation» Tennysons und 678

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zitiert als Beispiel Passagen aus Gedichten, welche von mir lange geschrieben und veröffentlicht wurden, bevor man von Tennyson überhaupt hörte: - doch ich habe zu keiner Zeit noch irgend dichterischen Anspruch erho­ ben. Großen Dank schulde ich Ihnen für die Mühe, die Sie sich wegen der Lesungen gemacht haben, und sehr gern werde ich in der nächsten Saison jeder Einladung vom «Boston Lyceum> Folge leisten. Dank Ihnen auch für den Hinweis hinsichtlich des : - ich Werde mir das überlegen. Mit gleicher Post schicke ich Ihnen ein «Dollar Newspaper>, das eine etwas extra­ vagante Geschichte von mir enthält. Ich fürchte, sie wird nur wenig naclj Ihrem Geschmack sein. Wie fürchterlich ist die gegenwärtige Lage unserer Lite­ ratur! Wohin soll das noch laufen? Wir brauchen mit Sicherheit zwei Dinge: - ein Internationales CopyrightGesetz und ein gut fundiertes Monats-Journal von hin­ reichendem Niveau, Umlauf und Charakter, um unserer Literatur ein bißchen auf die Finger zu sehen und zu­ gleich Profil zu geben. Es sollte äußerlich ein Muster hohen, doch nicht zu überfeinerten Geschmacks sein: - ich meine, es sollte auffallend gedruckt sein, auf her­ vorragendem Papier, in nur einer Kolumne und illu­ striert, nicht bloß verziert, mit geistvollen Holzschnitten im Stil von Grandville, Seine Hauptziele sollten sein: Unabhängigkeit, Wahrheit, Originalität. Es sollte einige 120 Ss. haben und für 5 5 abgegeben werden. Es sollte nichts zu tun haben mit Agenten oder Agenturen. Solch ein Magazin könnte dazu gebracht werden, einen gewal­ tigen Einfluß zu üben, und würde für seine Eigentümer eine Quelle ungeheuren Reichtums sein. Es kann keiner­ lei Grund geben, warum nicht in ein oder zwei Jahren ein Umlauf von 100.000 Exemplaren erreicht sein sollte: 679

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doch die Mittel und Wege, es in Umlauf zu bringen, soll­ ten sich radikal von den üblichen unterscheiden. Solch ein Journal könnte vielleicht von einer Vereini­ gung auf die Beine gestellt werden und wäre, wenn es einmal richtig , praktisch unwiderstehlich. Neh­ men wir zum Beispiel doch einmal an, daß die Elite unserer Literaten sich insgeheim zusammenschlösse. Viele von ihnen kontrollieren Zeitungen usw. Lassen Sie •jeden, sagen wir, $ 200 zeichnen, für den Beginn des Unternehmens; andere Mittel, wie sie von Zeit zu Zeit erforderlich sind, beschafft man, bis die Sache läuft. Die Artikel werden allein von den Mitgliedern geliefert, und zwar nach gemeinsam abgesprochener Planung. Ein nomineller Herausgeber wäre aus ihrer Schar zu wählen. Wie könnte solch ein Journal fehlschlagen? Ich würde sehr gern Ihre Meinung zu dieser Sache hören. Müßte das nicht sein? Wenn wir uns nicht mit solch einer Vereinigung zur Wehr setzen, dann fressen uns noch, und ohne Erbarmen, die Godeys, die Snowdens et hoc genus omne. Getreulichst Ihr Freund Edgar A. Poe

New York, Sonntag morgen 7. April 1844, gleich nach dem Frühstück r An Maria Clemm Meine liebe Muddy, just in diesem Augenblick sind wir mit dem Frühstück fertig, und so setze ich mich nun hin, Dir über alles zu 680

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berichten. Bezahlen kann ich den Brief aber nicht, weil das Postamt heute nicht offen hat. — Zuerst einmal: wir sind sicher am Walnut-Street-Pier angekommen. Der Fahrer wollte mir einen Dollar abknöpfen, aber es gelang ihm nicht. Dann mußte ich einem Jungen eine Gebühr bezahlen, daß er die Koffer im Gepäckwagen unter­ brachte. In der Zwischenzeit brachte ich Sis ins DepotHotel. Es war erst ein Viertel nach 6, und wir mußten bis 7 warten. Wir sahen uns und kurz an doch in beiden nichts - ein paar Worte ohne Bedeutung im . - Wir brachen in guter Laune auf, kamen aber doch erst kurz vor 5 Uhr an. Wir fuhren per Wagen nach Amboy, etwa 40 Meilen von N. York, und für den Rest der Reise nahmen wir dann den Dampfer. - Sissy hat überhaupt nicht gehustet. Als wir an den Pier kamen, regnete es schlimm. Ich ließ sie an Bord des Bootes, nachdem ich die Koffer in der Damenkabine unterge­ bracht, und entfernte mich dann, um einen Regenschirm zu kaufen und mich nach einem Gasthaus umzusehen. Ich traf auch einen Mann, der Regenschirme verkaufte, und erwarb einen für 62 Cents. Dann ging ich die Green­ wich St. hinauf und fand hier bald einen Gasthof. Er liegt auf der Westseite, kurz bevor man zur Cedar St. kommt - auf der linken Seite. Er hat braune Steinstufen und eine Vorhalle mit braunen Säulen. ist der Name an der Tür. Ich war in ein paar Minuten handelseinig, nahm mir sodann eine Droschke und fuhr zu Sis zurück. Das Ganze hatte nicht länger als !4 Stunde gedauert, und sie war ganz erstaunt, mich so bald schon zurückzusehen. Sie hatte mit mindestens einer Stunde gerechnet. An Bord warteten noch 2 andere Damen - so war sie sich nicht sehr einsam vorgekommen. - Als wir im Gasthof ankamen, mußten wir noch etwa % Stunde warten, bis 681

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das Zimmer fertig war. Das Haus ist alt und sieht ziem­ lich wurmstichig aus, aber dafür ist die Wirtin eine nette, geschwätzige alte Seele - sie gab uns das Hinter­ zimmer auf dem dritten Flur und berechnet uns für Nacht, Tag und Bedienung insgesamt nur 7 $ - die bil­ ligste Pension, die mir je vorgekommen, wenn man die zentrale Lage und die Lebenskosten in Betracht zieht. Ich wünschte, Kate könnte es sehen - sie würde in Ohn­ macht fallen. Gestern bekamen wir zum Abendbrot den schönsten Tee, den man sich nur denken kann, stark und heiß - dazu Weizen- und Roggenbrot - Käse - feines Teegebäck - eine große Platte (z Platten) feinen Schin­ ken und z mit kaltem Fleisch, ein Haufen wie ein Berg und große Scheiben - 5 Platten Gebäck, und alles im größten Überfluß. Den Hungertod brauchen wir hier nicht zu fürchten. Die Wirtin machte den Eindruck, als könnte sie uns gar nicht genug nötigen, und wir fühlten uns richtig zuhause. Ihr Mann lebt bei ihr - ein fetter, gutmütiger alter Kumpel. Sonst sind noch 8 oder 10 Pen­ sionäre da - davon z oder 3 Damen - z Dienstmädchen. - Zum Frühstück hatten wir herrlich duftenden Kaffee, heiß und stark - dazu Rahm, der allerdings ebenso wenig reichlich wie reinlich war - Kalbskoteletts, feinen Schin 1 ken, Eier und schönes Brot und Butter. Niemals nocH saß ich vor einem reichlichem oder bessern Frühstück) Ich wünschte, Du hättest die Eier sehen können - und die großen Fleischschüsseln. Ich aß das erste herzhaft: Frühstück, seit ich unser kleines Heim verließ. Sis ia entzückt, und wir sind beide exzellenter Laune. Sie ha kaum einmal gehustet und hatte auch keinen Nacht schweiß. Jetzt ist sie emsig daran, meine Hosen auszu bessern, die ich mir an einem Nagel aufgerissen hattet Gestern abend bin ich noch ausgegangen und habe eirt 68z

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Rolle Seide, eine Rolle Zwirn und 2 Knöpfe gekauft, dazu ein Paar Pantoffeln und einen Blechtiegel für den Ofen. Das Feuer blieb die ganze Nacht an. - Wir haben jetzt noch 4 und einen halben $ übrig. Morgen gehe ich los und versuche, 3 $ zu borgen - so daß die nächsten vierzehn Tage erst einmal gesichert wären. Mein Befin­ den ist ausgezeichnet, und ich habe noch keinen Tropfen getrunken - so daß ich hoffe, aus der Sache herauszu­ kommen. Sobald ich nur genug Geld zusammenkratzen kann, werde ich es schicken. Du kannst Dir nicht vor­ stellen, wie sehr wir beide Dich vermissen. Sissy hat bit­ terlich geweint letzte Nacht, weil Du und Catterina nicht da waren. Wir sind entschlossen, 2 Zimmer zu nehmen, sobald wir nur können. Bis dahin könnten wir es gar nicht bequemer oder heimeliger haben als jetzt. Es sieht ganz danach aus, als sollte es nun heller werden. - Vergiß nicht, aufs Postamt zu gehen und mir meine Briefe nach­ schicken zu lassen. Sobald ich den Lowell-Artikel ge­ schrieben habe, werde ich ihn Dir schicken, und Du kannst Dir das Geld von Graham geben lassen. Unsere schönsten Grüße an Catterina. Vergiß nicht, Hirst den wiederzubringen. Wir hoffen beide, daß wir Dich sehr bald nachkommen lassen können.

An James R. Lowell

New York, 2. Juli 1844 Mein lieber Mr. Lowell, ich kann Ihnen Ihre . Der , der den Mord beging (oder viel­ mehr an dem durch einen Abtreibungsversuch verur­ sachten Tode des Mädchens schuld ist), hat gestanden; und die ganze Sache ist jetzt sonnenklar - nur durfte ich mich, aus Rücksicht auf Verwandte, nicht näher über diesen Punkt auslassen. - 8. Der ging ur­ sprünglich an Graham, aber als der keinen Geschmack daran fand, vermochte ich ihn dahin, stattdessen ein paar kritische Aufsätze zu nehmen, und schickte die Arbeit an das , das $ 100 für die beste Story ausgeschrieben hatte. Die meine gewann den Preis und machte viel Furore. - 9. Die waren pekuniärer Natur. Der hatte sich einen hä7”

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mischen Seitenblick auf meine Armut geleistet, - darauf bezog ich mich. - io. Sie fragen - «Können Sie mir eine Andeutung geben, welch schreckliches Unheil denn nun eigentlich jenes anstößige Leben gezeitigt, über dem sich ein so profundes Lamento erhob?» Ja; ich kann Ihnen noch mehr als bloß eine Andeutung geben. Dies «Un­ heil» war das größte, das über einen Mann nur kommen kann. Vor sechs Jahren erlitt meine Frau, die ich liebte, wie kein Mann noch je geliebt, beim Singen einen Blut­ sturz. Man gab ihr Leben verloren. Ich nahm Abschied von ihr auf immer und litt alle Qualen ihres Todes­ kampfes mit. Dann erholte sie sich zum Teil wieder, und ich hoffte erneut. Doch nicht ein Jahr ganz ging darüber hin, da platzte das Blutgefäß abermals - ich machte ganz dieselbe Szene durch. Und abermals ein Jahr danach. Und wieder - wieder - wieder und noch einmal wieder, in wechselnden Abständen. Bei jedem Mal empfand ich alle Qualen ihres Sterbekampfs - und bei jedem Anfall ihres Leidens liebte ich sie inniger und klammerte mich verzweifelter an ihr Leben. Doch bin ich sehr empfind­ licher Konstitution - nervös in schon sehr ungewöhn­ lichem Grade. Ich verlor den Kopf - nicht ohne mich zwischendurch immer wieder auf lange Strecken hin bei schauerlicher Vernünftigkeit zu befinden. Während die­ ser Anfälle absoluten Unbewußt-Seins habe ich getrun­ ken - Gott allein weiß, wie oft beziehungsweise wie viel. Natürlich schrieben meine Feinde die geistige Zerrüttung dem Trinken zu - und nicht das Trinken meiner Zer­ rüttung. Tatsächlich hatte ich nahezu alle Hoffnung auf dauerndes Genesen aufgegeben, als ich’s doch fand im Tode meines Weibes. Den konnte ich ertragen und ertrag ich, wie’s einem Manne geziemt — es war die grauenvolle, nie enden-wollende Oszillation zwischen

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Hoffnung und Verzweiflung, die ich nicht länger hätte ertragen können, ohne vollends den Verstand zu ver­ lieren. Im Tode dessen, was mein Leben war, empfang ich denn ein neues, doch - o Gott! wie düsterschweres Dasein! Und nun, nachdem ich allen Ihren Erkundigungen Ant­ wort gestanden, lassen Sie mich noch auf den (Stylus) kommen. Ich bin entschlossen, die Sache in eigenen Ver­ lag zu nehmen. Kontrolle von oben wäre der Ruin. Mein Ehrgeiz ist beträchtlich. Habe ich Erfolg, so schaffe ich mir leicht wohl (innerhalb zweier Jahre) ein Vermögen und unendlich mehr. Mein Plan geht dahin, Süd und Westen zu bereisen und mich um das Interesse meiner Freunde zu bemühen, so daß ich vielleicht mit einer Liste von wenigstens joo Subskribenten beginnen kann. Mit dieser Liste nehme ich die Sache sofort in eigene Hände. Ein paar wenige von meinen Freunden setzen immerhin genügend Vertrauen in mich, die Subskrip­ tion im voraus zu erlegen - doch Erfolg haben werde ich, auf alle Fälle. Können Sie, wollen Sie mir helfen? Ich habe nicht mehr Platz, noch mehr zu sagen. Getreulich ganz der Ihre E. A.Poe

(Bitte legen Sie mir doch die Druckfahnen wieder bei, wenn Sie fertig sind damit. Haben Sie in der NovemberNummer des den Artikel über (Die ameri­ kanische Bibliothek) gesehen - und wenn ja, was meinen Sie dazu ? E. A. Poe).

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An Jane E. Locke

Fordham, 19. Mai 1848 Meine teure Freundin, mehrere Male seit dem Tage, an welchem Ihr letzter freundlicher und vornehmer Brief mich erreichte, habe ich im Begriff gestanden, darauf zu antworten - doch ebenso oft schrak ich davor zurück, und zwar aufgrund einer Überlegung, auf welche Sie niemals verfallen würden und die mich ganz gewißlich noch niemals zu irgend einer frühem Zeit meines Lebens auch nur im leichtesten Grade beeinflußt hat - zum mindesten nicht, seit ich in die kam: - es war ein­ fach dies: ich wußte nicht, was ich sagen sollte - ich fürchtete, Sie trotz Ihrer edelmütigen Versicherungen zu ver­ letzen oder Ihnen doch zum wenigsten Kummer zu be­ reiten, wenn ich zuviel sagte, während ich mich zugleich doch auch nicht dazu verstehen wollte, zu wenig zu sagen. Ich fühlte und fühle immer noch eine seltsame Verwir­ rung, wenn ich an Sie schreibe, eine Verwirrung, welche mich selber gar mehr noch überrascht, als sie Ihnen überraschend sein wird. Hätte ich nicht gerade jetzt Pflichten, die nicht vernachlässigt oder gar aufgescho­ ben werden dürfen-das Korrekturlesen eines Werkes von wissenschaftlichem Charakter, in welchem ein triviales Versehen mich in sehr ernste Verlegenheit versetzen würde - so wäre ich, zuvor noch, in Lowell gewesen um Ihre Hand zu ergreifen - und Ihnen persönlich für alles zu danken, was ich Ihnen schulde: - und oh, ich fühle, das ist sehr - sehr viel. Es sind in Ihrem Briefe einige Passagen, die mich mit einer Freude erfüllen, wie ich sie gar nicht ausdrücken kann - doch es gibt auch andere darin, die mein Herz zutiefst verwunden würden, könnte ich auch nur einen 7'4

BRIEFE einzigen Augenblick lang annehmen, sie seien von Ihnen ernst gemeint - «Sie fügen der kurzen Seite meiner eige­ nen Geschichte eine Bedeutung hinzu - ein , welches mich, während es überrascht, zugleich beküm­ mert». Und weiter - «Doch was kann es sein? frage ich mich wieder. Ist es Glyndons vom Februar 45 - ebenso einer im im vorigen Jahr: - einer desgleichen in der (Boston Notion> - wann genau, habe ich vergessen: - und dann noch einer in der letzten Januar-Nummer des (South. Litery. Messengen. Das einzige Porträt, glaube ich, stand im (Graham>. Ich habe kein Exemplar mehr und verschiedene vergebliche Ver­ suche unternommen, eines zu bekommen. Ich glaube aber auch nicht, daß ich auf dem Bild erkennbar wäre. Getreulich -gan^ getreulich immer der Ihrige. E.A.P. • 716

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An Sarah Anna Lewis

New York, 21. Juni 1848 Liebe Mrs. Lewis, ich habe mehrere Stunden höchst angenehm ver­ bracht ... Ihr lesend und wieder­ lesend. Wenn es im Druck erscheint - weniger verführe­ risch für das Auge vielleicht als in Ihrer eignen graziösen Handschrift — werde ich mich bemühen, ihm ausführlich kritische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; doch in­ zwischen lassen Sie mich nur kurz sagen, daß ich’s als Ganzes für ein artig geführtes Werk halte - überreich an erzählenden Passagen von ungewöhnlicher Kraft - doch in Sonderheit bemerkenswert ob der Kühnheit und poetischen Glut seiner empfindsamen Partien, die eine wahrhaft frappierende Originalität beweisen. Die Be­ schreibungen sind durchweg von erwärmender Ima­ gination. Der Versbau könnte kaum besser sein. Die Auf­ fassung von Zamen ist einzigartig - eine Schöpfung im besten poetischen Verständnisse des Wortes. Ich be­ glückwünsche Sie auf das herzlichste dazu, daß Sie hier ein Werk vollbracht haben, welches leben wird.

Ihr aufrichtig ergebener Edgar A. Poe.

An Marie Louise Shew

Fordham, Juni 1848 Kann es wahr sein, Louise, daß Sie den Gedanken ge­ faßt, Ihren unglücklichen, unseligen Freund und Patien­ ten zu verlassen? Sie haben das nicht gesagt, ich weiß, doch Monate lang schon habe ich gewußt, daß Sie sich 717

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von mir lösten, nicht willentlich, doch gleichwohl ge­ wiß - mein Schicksal Und das Unglück schreitet schnell . .. Ich habe das seit Monaten geahnt, sage ich - mein guter Geist, mein treues Herz! muß dies denn wirklich kom­ men nach all den Wohltaten und Segnungen, die Sie mir so freigiebig erwiesen? — sollen Sie denn wie alles, was ich liebe oder begehre, schwinden aus meiner verdunkel­ ten und «verlorenen Seele>? Ich habe Ihren Brief noch wieder und wieder überlesen und kann es mir nicht mit irgend nur einem Grade von Gewißheit vorstellen, daß Sie ihn bei rechten Sinnen geschrieben (ich weiß, Sie taten es nicht ohne Tränen des Schmerzes und Bedauerns) - sollte es möglich sein, daß Ihr Einfluß mir verloren ist? So zarte und echte Naturen sind stets treu bis zum Tode, doch Sie sind nicht tot, Sie sind voller Leben und Schönheit! Louise, Sie kamen mit dem Pfarrer herein, in Ihrer flie­ ßenden weißen Robe, - Sie sagten «Guten Morgen, Edgar» - es war ein Hauch konventioneller Kälte in Ihrer eiligen Art, und Ihre Haltung, da Sie die Küchen-; türe öffneten, um Muddy zu finden, ist meine letzte Er­ innerung an Sie. Es war Liebe, Hoffnung und Kummer in ' Ihrem Lächeln, statt Liebe, Hoffnung und Mut wie immer zuvor. Oh, Louise, wieviel Kummer liegt noch vor Ihnen, Ihre hochsinnige und mitfühlende Natur wird unablässig verwundet werden in Berührung mit : der hohlen, herzlosen Welt, und ich, ach! wenn mich; nicht eine wahre, zarte und reine Frauenliebe rettet, ich« werde kaum noch ein Jahr länger aushalten, allein! eint paar kurze Monate werden zeigen, wie weit meine Krafts (körperlich und seelisch) mich hier im Leben noch brin-* gen wird. Wie kann ich an die Vorsehung glauben, wenni Sie mit Kälte auf mich blicken! Waren nicht Sie es, diei 718

BRIEFE mir Hoffnung und Glauben an Gott erneuerten? und an die Menschheit? Louise, ich hörte Ihre Stimme, als Sie meinen Blicken entschwanden, mich mit dem Pfaffen verlassend,