Weltinnenrecht: Liber amicorum Jost Delbrück [1 ed.] 9783428514977, 9783428114979

Die hier anzuzeigende Festschrift der Freunde, Wegbegleiter und Kollegen Jost Delbrücks zu seinem 70. Geburtstag steht u

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Weltinnenrecht: Liber amicorum Jost Delbrück [1 ed.]
 9783428514977, 9783428114979

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K. Dicke/St. H o b e / K . - U . M e y n / A . Peters/ E. Riedel/H.-J. Schütz/Ch. Tietje

Weltinnenrecht Liber amicorum Jost Delbrück

Veröffentlichungen des Walther-Schiicking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von Jost D e l b r ü c k , und A n d r e a s

Rainer

Hofmann

Zimmermann

Walther-Schiicking-Institut für Internationales Recht

155

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Rudolf Bernhardt Heidelberg

Eibe H . Riedel Universität Mannheim

Christine Chinkin London School of Economics

Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg

James Crawford University of Cambridge Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Bruno Simma International Court of Justice, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Weltinnenrecht Liber amicorum Jost Delbrück

Herausgegeben von

Klaus Dicke, Stephan Hobe, Karl-Ulrich Meyn, Anne Peters, Eibe Riedel, Hans-Joachim Schütz und Christian Tietje

Duncker & Humblot • Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorf! GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 3-428-11497-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de

Geleitwort der Herausgeber Jost Delbrück zum 3. November 2005

Den meist weit in den „hohen Norden" angereisten Teilnehmern der Kieler Völkerrechtssymposien hat Jost Delbrück gern mit einer sehr eigenen, verblüffenden Deutung von Zentrum und Peripherie das geographische Koordinatennetz verschoben. Kiel, so erklärte er, liege im Zentrum Europas, unbestreitbar auf halber Strecke zwischen Neapel und Spitzbergen. Diese Anekdote ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich für Jost Delbrücks akademischen Habitus und für sein wissenschaftliches Werk. So haben die Symposien in aller Regel den heimkehrenden Teilnehmern die Einsicht mit auf den Weg gegeben, dass jenseits der kultivierten Fläche der so genannten herrschenden Meinung noch weite Gebiete darauf harren, in rechtswissenschaftliches Kulturland verwandelt zu werden. Jost Delbrück war und ist bis heute der Erste, wenn es darum ging und geht, den Pflug ein Stück weiter zu ziehen, und so hat er in der Tat in der akademischen Lehre, in den intensiven Gesprächen mit seinen Schülern und in so manchem Aufsatz Koordinatennetze verschoben und damit Perspektiven auf kaum bekanntes, aber reiches Neuland eröffnet. Am trefflichsten passt die Anekdote zu der Tatsache, dass er nach erfolgreichem Rektorat in die Wissenschaft zurückkehrte und nun - das persönliche geographische Koordinatennetz war zwischen Kiel und Bloomington neu justiert - ein weiteres Thema fand und zu bearbeiten begann, für dessen Erschließung er der Zunft Kompass und Landkarten liefert: Globalisierung und Weltinnenrecht. Die Bausteine dieser Leistung können hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden; die öffentlich Sichtbaren sind in der Bibliographie verzeichnet. Doch das Fundament bedarf kurzer Erwähnung: Jost Delbrück hat sich Tradition und Geist des Kieler Walther-Schücking-Instituts zu Eigen gemacht, er lebt und lehrt sie. Die Beharrlichkeit und Energie, mit der Schücking im Staatsrecht nur die halbe Strecke zurückgelegt sah und sich dem Bau des Völkerrechts als notwendiger Ergänzung und Vollendung des Rechts widmete; die nüchterne Präzision, mit der Eberhard Menzel 1969 in einem langen Aufsatz zeigte, dass und wie sich die Grenzen zwischen nationaler und internationaler Verwaltung verschoben haben; die Weite des historischen Blicks, die Gründlichkeit in der Bearbeitung und das Zusammenschweißen akademischer Teams, welche die „Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten" haben entstehen lassen; nicht zu vergessen „der Dahm", und schließlich die Qualifikationsschriften, die „am Institut" entstanden sind - jede von Delbrücks Schriften lässt erkennen, dass all dies mitschreibt. Die hier vorgelegte Festschrift der Freunde, Wegbegleiter und Kollegen Jost Delbrücks steht aus zwei Gründen unter dem Titel „Weltinnenrecht": Erstens soll

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Geleitwort der Herausgeber

mit diesem Begriff, für den Jost Delbrück nicht nur die Urheberschaft, sondern auch seine Etablierung als Kategorie beanspruchen kann, das Bemühen des Jubilars gewürdigt werden, die Konstitutionalisierung des Völkerrechts in zahlreichen Aspekten der Internationalisierung und der Globalisierung geistig durchdrungen und auf den Begriff gebracht zu haben. Zweitens möchten Herausgeber und Autoren mit diesem Titel zum Ausdruck bringen, dass sie Jost Delbrück das Aufzeigen neuer Perspektiven verdanken und in diesem Sinne in ihrem Beitrag ein Stück weit gemeinsam den Weg über Kiel hinaus mit ihm gehen. Jost Delbrück wurde am 3. November 1935 in Pyritz/Pommern geboren. Den größten Teil seiner Schulzeit verbrachte er in Kiel, wo er 1955 auf der Kieler Gelehrtenschule das Abitur ablegte. Das anschließende Studium der Rechtswissenschaften und der politischen Wissenschaft absolvierte er in Kiel (1955), Marburg (1955/56) und Tübingen (1956/1957), bevor er dann im Sommersemester 1957 wieder nach Kiel zurückkehrte. Dort legte er am 22. Dezember 1958 das Referendarexamen vor dem Justizprüfungsamt des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts ab. Den anschließenden Juristischen Vorbereitungsdienst trat Jost Delbrück am 2. Februar 1959 an. Schon nach einem halben Jahr unterbrach er das Referendariat jedoch, um von August 1959 bis Juli 1960 als Stipendiat der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel an der Indiana University, Bloomington/ Indiana an der dortigen School of Law und dem Department of Government zu studieren. Das Studium an der Indiana University, aus dem eine bis heute reichende enge Verbundenheit erwachsen sollte, schloss er mit dem Grad eines Master of Laws (LL.M.) ab. Nach der Ablegung der Großen Juristischen Staatsprüfung vor dem Gemeinsamen Justizprüfungsamt der Länder Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg am 16. August 1963 zog es Jost Delbrück dann wieder an die Indiana University. Als Research Fellow verbrachte er dort das akademische Jahr 1963/64. Der wissenschaftliche Werdegang von Jost Delbrück in Kiel ist zunächst von seiner Dissertation „Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen", die von Georg Dahm betreut und mit der Promotion am 29. Juni 1963 erfolgreich abgeschlossen wurde, gekennzeichnet. Schon während seiner Zeit als Doktorand hat Jost Delbrück im Jahre 1962 als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel gearbeitet. Es war daher nur konsequent, dass er dort unter der Betreuung von Eberhard Menzel von 1964 bis 1971 auch als wissenschaftlicher Assistent tätig war. Mit der Schrift „Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen" habilitierte er sich am 9. Januar 1971 in Kiel. Nach Lehrstuhl Vertretungen in Hamburg erfolgte dann zum Sommersemester 1972 die Berufung auf den Lehrstuhl für Politische Wissenschaften und Allgemeine Staatslehre an der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität in Göttingen. Am 24. Oktober 1972 wurde Jost Delbrück dort zum ordentlichen Professor ernannt und zum Direktor des Instituts für Politische Wissenschaften und Allgemeine Staatslehre bestellt. Die Zeit in Göttingen sollte jedoch kurz bleiben. Schon zum 1. Oktober 1976 erfolgte die Berufung auf den Lehrstuhl für Staats-

Geleitwort der Herausgeber

recht, Völkerrecht und Allgemeine Staatslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und die Ernennung zum Direktor des dortigen Instituts für Internationales Recht. Der Christian-Albrechts-Universität und dem heutigen WaltherSchücking-Institut für Internationales Recht blieb Jost Delbrück bis zu seiner Emeritierung im Wintersemester 2000/2001 und darüber hinaus bis heute treu. Nur im akademischen Jahr 1981/1982 erfolgte eine Unterbrechung der Kieler Zeit als Visiting Professor an der Harvard Law School. Jost Delbrück hat zahlreiche Ämter in der akademischen Selbstverwaltung sowie in wissenschaftlichen, juristischen und gesellschaftlichen Institutionen bekleidet. Er war von 1973 bis 1981 (ab 1975 als Vorsitzender) Mitglied der Förderkommission der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, von 1976 bis 1991 Mitglied des deutsch-polnischen Juristenkolloquiums, 1977 bis 1985 Mitglied der Kommission für Grundsatz- und Hochschulgesetzfragen der CAU, 1978 bis 1980 Ausbilder für Attachés des Auswärtigen Dienstes, 1978 bis 1982 Mitglied der Human Rights Advisory Group des World Council of Churches, 1978 bis 1990 neben seinem Amt als Hochschullehrer Richter am OVG Lüneburg, 1979 bis 1981 Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der CAU, 1980 bis 1984 Vorsitzender der deutschen Arbeitsgruppe der Commission of Churches for International Affairs, 1983 bis 1985 Mitglied des Zentralen Haushalts- und Planungsausschusses der CAU, 1984 Delegierter des Bundesrepublik Deutschland im UNESCO-Menschenrechtsausschuss, 1984 bis 1988 Mitglied der Senatskommission der DFG für Friedens- und Konfliktforschung, 1985 bis 1989 Mitglied der Versammlung der Landesrundfunkanstalt Schleswig-Holstein als Vertreter der Hochschulen des Landes, 1985 bis 1989 ex officio Mitglied und Vorsitzender des Kulturausschusses der Landeshauptstadt Kiel, 1992 bis 1996 Mitglied des Senates der CAU und 1992 bis 1997 Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche Deutschlands. Von besonderer Bedeutung sind die Ämter als Mitglied des Internationalen Schiedshofes in Den Haag, welche Jost Delbrück seit 1985 wahrnimmt, das des Präsidenten (ab 1. Mai 1987 Rektor) der Christian-Albrechts-Universität von 1985 bis 1989 sowie als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht von Juni 1997 bis März 2001. Jost Delbrück hat für sein umfangreiches wissenschaftliches und akademisches Wirken mehrfach Ehrungen erfahren. Am 26. Januar 1998 wurde er zum Ehrensenator der Christian-Albrechts-Universität ernannt, am 4. Mai 2002 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Indiana University (LL.D. h. c.) und am 27. November 2002 die Ehrendoktorwürde (Dr. rer. pol. h. c.) der Fakultät für Geistes-, Sozialund Erziehungswissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg verliehen. Die Herausgeber sind allen Autorinnen und Autoren sehr dankbar für ihre Bereitschaft, als Ausdruck akademischer Wegbegleitung an dieser Festschrift mitzuwirken. Für vielfältige technische Dienste sind sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Lehrstühlen in Basel, Halle, Jena und Köln zu großem Dank verpflichtet. Rotraut Wolf hat in ihrer über Jahrzehnte bewährten Manier die Her-

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Geleitwort der Herausgeber

Stellung der Druckvorlage übernommen; Dr. Ursula Heinz hat den Festakt zur Übergabe dieser Festschrift am 5. November 2005 in Kiel umsichtig und effektiv wie je koordiniert. Den Herausgebern wurden so die Kieler Wurzeln nachhaltig in Erinnerung gebracht. Dafür ebenso unseren ganz herzlichen Dank wie für die Gewährung eines Zuschusses zur Drucklegung dieser Festschrift durch die Gesellschaft zur Förderung der Forschung und Lehre am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel e. V. Ein besonderer Dank gilt schließlich dem Verlag Duncker & Humblot und namentlich Herrn Simon, dem es eine Selbstverständlichkeit war, die verlegerische Betreuung der Festschrift für Jost Delbrück zu übernehmen. B asel/Halle/Jena/Köln/Mannheim/ Rostock am 3. November 2005

Die

Herausgeber

Inhaltsverzeichnis Alfred C. Aman, Jr. Globalization as Denationalization: Pluralism, Democracy Deficits in the U. S. and the Need to Extend the Province of Administrative Law

13

Wolfgang Benedek Der Beitrag des Konzeptes der menschlichen Sicherheit zur Friedenssicherung.

25

Rudolf Bernhardt Der völkerrechtliche Schutz der Menschenrechte: Texte, Institutionen, Realitäten Ulrich Bey erlin Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und Menschenrechtsschutz

37 47

Michael Bothe Töten und getötet werden - Kombattanten, Kämpfer und Zivilisten im bewaffneten Konflikt

67

Thomas Bruha and Christian J. Tams Self-Defence Against Terrorist Attacks. Considerations in the Light of the I d ' s "Israeli Wall" Opinion

85

Lucius Caflisch Neues zur Formulierung und Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

101

Axel Frhr. von Campenhausen Zur Änderung von Werken der Baukunst und der bildenden Künste zum gottesdienstlichen Gebrauch

113

Kenneth G. Dau-Schmidt and Carmen L. Brun Lost in Translation: The Economic Analysis of Law in the United States and Europe

131

Klaus Dicke Die Ideengeschichte des Friedens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts .... Karl Doehring Rassendiskriminierung und Einbürgerung

147 159

Roger B. Dworkin Anything New Under the Sun? Trying to Design a New Legal Institution to Deal with Biomedical Advance

165

Tono Eitel Beutekunst - Die letzten deutschen Kriegsgefangenen

191

Inhaltsverzeichnis

10 Wilfried

Fiedler

Das „Potsdamer Abkommen" und die Reform der Völkerrechtsordnung. Die Erklärungen der Westmächte vom 14. und 16. Februar 1996

215

Erhard Forndran Terrorismus und Friedenssicherung: Einige Anmerkungen zu den Handlungsoptionen der Akteure

235

Thomas M. Franck The International Judge and the Principled Imperative

267

Jochen Ahr. Frowein Die traurigen Missverständnisse. Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

279

Volkmar Götz Ratsbeschlüsse mit qualifizierter Mehrheit zwischen 1995 und 2009

289

Eugen D. Graue Machiavelli - Vor 500 Jahren entstand „ I I Principe"

301

Gerhard Hafner The Rule of Law and International Organizations

307

Kay Hailbronner Arbeitsmarktzugang und Anspruch auf soziale Leistungen im europäischen Ausländerrecht

315

Stephan Hobe Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?

329

Rainer Hofmann Protecting Minority Rights in Kosovo: The Agreement of 23 August 2004 between the Council of Europe and U N M I K on Technical Arrangements Related to the Framework Convention for the Protection of National Minorities

347

Knut Ipsen Legitime Gewaltanwendung neben dem Völkerrecht?

371

Eckart Klein Wesensgehalt von Menschenrechten - Eine Studie zur Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

385

Doris König Die Durchsetzung internationaler Menschenrechte. Neuere Entwicklungen am Beispiel des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Siegfried

401

Magiera

Der Rechtsstatus der Unionsbürger

429

Franz Matscher Über die Grenzen des Rechts - Bemerkungen zu aktuellen Anlässen

453

Fred L. Morrison No Left Turn: Two Approaches to International Law

461

Inhaltsverzeichnis Hanspeter Neuhold Terminological Ambiguity in the Field of International Security: Legal and Political Aspects

473

Georg Noite Practice of the U N Security Council with Respect to Humanitarian Law

487

Karin Oellers-Frahm The International Court of Justice and Article 51 of the U N Charter

503

Thomas Oppermann Valéry Giscard d'Estaing - Vater der Europäischen Verfassung

519

Anne Peters Global Constitutionalism in a Nutshell

535

Dietrich Rauschning Umfang und Grenzen des Menschenrechtsschutzes durch die Human Rights Chamber für Bosnien-Herzegowina

551

Trutz Rendtorff Religionsfreiheit als Ursprung der Menschenrechte. Beobachtungen zum „religiösen" Status der Universal Human Rights

571

Eibe Riedel The Human Right to Water

585

Walter Rudolf Großer Lauschangriff zur Abwehr drohender Gefahren

607

Edzard Schmidt-Jortzig Zur Europatauglichkeit des Grundgesetzes zwölf Jahre nach Maastricht. Bewährung oder Reformbedürftigkeit der Europavorschriften in der deutschen Verfassung

621

Christoph Schreuer und Christina Binder Das Verhältnis von Generalversammlung und Sicherheitsrat in Friedenssicherungsangelegenheiten

639

Dieter Senghaas Über die Kultur des Friedens

665

Eva Senghaas-Knobloch Weltweit menschenwürdige Arbeit als Voraussetzung für dauerhaften Weltfrieden. Der weltpolitische Auftrag der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) unter Bedingungen der Globalisierung

677

Kurt Siehr Kulturgüter in Friedens- und Freundschaftsverträgen

695

Christian Starch Allgemeine Staatslehre in Zeiten der Europäischen Union

711

Torsten Stein Proportionality Revisited - Überlegungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im internationalen Recht

727

12

Inhaltsverzeichnis

Peter-Tobias Stoll Der Zugang zu Medizin - soziale Menschenrechte und Welthandelsordnung . .

739

Daniel Thürer and Malcolm MacLaren "Ius Post Bellum" in Iraq: A Challenge to the Applicability and Relevance of International Humanitarian Law?

753

Christian Tietje Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung als Elemente einer konstitutionalisierten globalen Friedensordnung

783

Christian Tomuschat An Optional Protocol for the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights?

815

Detlev F. Vagts American International Law: A Sonderweg? Wolfgang

835

Graf Vitzthum

Die herausgeforderte Einheit der Völkerrechtsordnung

849

Rüdiger Wolfrum Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen: Eine neue Rolle für den Sicherheitsrat

865

Gerda Zellentin Zivile Konfliktbearbeitung - ein Novum deutscher Außen- und Sicherheitspolitik Karl Zemanek Für mehr Offenheit und Realismus in der Völkerrechtslehre

877 895

Andreas Zimmermann Uniting-for-Peace und Gutachtenanfragen der Generalversammlung - Anmerkungen aus Anlaß des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes zur Zulässigkeit des Sicherheitszaunes zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten . . . .

909

Verzeichnis der Veröffentlichungen von Jost Delbrück

927

Autorenverzeichnis

942

Globalization as Denationalization: Pluralism, Democracy Deficits in the U. S. and the Need to Extend the Province of Administrative Law By Alfred C. Aman, Jr.

I. Introduction Jost Delbrück's contributions to the burgeoning literatures dealing with globalization have been profound, extensive and enormously helpful to scholars. 1 His analytical approach to globalization has helped to open up new perspectives for international law and domestic law scholars, as well as for social scientists engaged with law. The scale of his impact is due in part to the range of reference that informs his own understanding of the complex character of globalization as a process of denationalization. As Professor Delbrück has argued: "Globalization may be defined as the process of denationalization of markets, laws, and politics in the sense of interlacing peoples and individuals for the sake of the common good." 2 Indeed, his focus on globalization as denationalization has helped shift our scholarly focus away from traditional state centric analyses of globalization to the policy and legal implications of the horizontal relationships that have and are developing between states and non-state actors. But there is, in his work, another level of analysis, one that is deeply inspiring as well as analytically helpful. It is his belief in the capacity of law to make this a better world. Globalization, he argues, is also "a normative concept since it is related to a value judgment, i.e., that the common good is to be served by measures that are to be subsumed under the notion of globalization."3 Globalization is about more than markets and states 1

In the Indiana Journal of Global Legal Studies alone, see, Globalization of Law, Politics and Markets - Implications for Domestic Law: A European Perspective, Ind. J. Global Legal Stud. 1 (1993), 9 ff.; Delbrück, Global Migration-Immigration-Multiethnicity: Challenges to the Concept of the Nation-State, Ind. J. Global Legal Stud. 2 (1994), 45 ff.; Delbrück, The Role of the United Nations in Dealing With Global Problems, Ind. J. Global Legal Stud. 4 (1997), 277 ff.; Delbrück, Prospects for a "World (Internal) Law?": Legal Developments in a Changing International System, Ind. J. Global Legal Stud. 9 (2001), 401 ff.; Delbrück, Exercising Public Authority Beyond the State: Transnational Democracy and/or Alternative Legitimation Strategies?, Ind. J. Global Legal Stud. 10 (2003), 29 ff.; Delbrück, Transnational Federalism: Problems and Prospects of Allocating Public Authority Beyond the State, Ind. J. Global Legal Stud. 11 (2004), 31 ff.. 2 Delbrück, Globalization of Law, Politics and Markets - Implications for Domestic Law: A European Perspective (note 1), 9. 3 Delbrück (note 2), 10-11.

14

Alfred C. Aman, Jr.

and its understanding requires more than the traditional state centric approaches to international and domestic law. Fundamentally, it is about the adaptation of the rule of law to a new world for the purpose of preserving the fundamentally human values that the law protects. These include not only fundamental human rights but also a democratic approach to the resolution of complex political, social and economic problems. Indeed, Professor Delbrück's approach and scholarship challenge us to put a human face on globalization and its processes by taking into account the impact that globalization can have on our most cherished values. The paper that follows takes up this challenge in the context of Administrative Law and our need to preserve a democratically vibrant political life in our societies. Administrative Law has an important role to play when it comes to providing democratic forums for deliberation and decision making on a wide range of issues. In this paper, I will argue that domestic administrative law potentially offers means for addressing the "democracy deficit" associated with globalization. The prominent law making role of international organizations such as the WTO, regional organizations such as the EU, privatization and the increasing use of markets and market actors to carry out public functions at all levels of government, requires that we broaden considerably the province of Administrative Law, so as to include various public/private partnerships as well as international /regional contexts. Administrative law in the U.S. has been conceptualized in essentially a state centric fashion - as a bridge between the market and the state. These two realms - markets and states - have traditionally stood for very different worlds, signaling binary approaches to obligations and constraints. 4 Markets are said to stand for private ordering as opposed to state regulation; free markets as opposed to government bureaucracies. 5 An important constitutionally based version of the public/ private distinction derives from these differences. The state action doctrine is based on the explicit text of the U.S. Constitution imposing various restrictions on the exercise of state power: "Congress shall make no law .. ."; 6 nor shall "any state ... deprive any person of life, liberty, or property without due process." 7 American administrative law has followed these broad constitutional outlines. It was created primarily for public bodies.8 Private actors and federal corporations have always played an important role in the regulatory process, but the resort to the market in terms of regulatory approaches and structures, has become increasingly common and is now very much a part of the regulatory landscape. Privatization and various forms of private ordering, in general, have become more and more common as reforms, as we move from a focus on government to a 4 5 6 7 8

Sassen, The Mobility of Labor and Capital, 1988. Friedman, Capitalism and Freedom, 1962. U.S. Const. 1st Amend. U.S. Const. 14th Amend. See notes 6 and 7 supra.

Globalization as Denationalization

15

study o f new conceptualizations o f the processes o f governance. 9 Privatization i n the United States usually takes the form o f giving over to the market the provision o f services once provided by government. 1 0 For example, prisons, welfare, mental health facilities and social services for the poor i n general have all been subjected to the reform o f privatization. 1 1 The political decision to move a service or governmental responsibility from the public side o f the ledger to the private side is consequential. I t is, i n effect, a decision to delegate governmental responsibilities to the market 1 2 - or, in some instances, a claim that the regulatory activities involved were not appropriate for governmental action i n the first instance. 13 Privatization subjects the activity in question to the forces o f the market while freeing it from the various forms o f regulation - both substantive and procedural - that apply to public bodies. This does not mean that no law applies; the common law and certain statutory laws may apply. 1 4 Nevertheless, privatization o f an industry or a social service usually means the Administrative Procedures A c t ( A P A ) 1 5 does not apply, nor the Freedom o f Information A c t ( F O I A ) . 1 6 M o r e important, market incentives and the profit motive may too easily be substituted for the public interest as well as for primary markers o f programmatic success. 17 There may be a partial convergence o f market and public interest goals, as private actors strive to 9

See, Salomon (ed.), The Tools of Governance, 2002. Freeman, The Private Role in Public Governance, NYUL. Rev. 75 (2000), 543 ff.. For a discussion of some of the differences between privatization in Europe and the U.S., see Majone, Paradoxes of Privatization and Deregulation, Journal of European Public Policy 4 (1994), 53 ff. 10

11

Wald, Looking Forward to the New Millenium: Social Previews To Legal Change, Temple L. Rev. 70 (1997), 1085 ff. 12 See Developments in the Law: The Law of Prisons III. A Tale of Two Systems: Cost, Quality and Accountability in Private Prisons, 115 Harv. L. Rev. 1868 (2002). 13 See, e.g., Ericson et al, The Political Economy of Crude Oil Price Controls, Nat. Resources J. 18 (1978); 787 ff.; Pierce, Reconsidering the Roles of Regulation and Competition in the Natural Gas Industry, Harv. L. Rev. 97 (1983), 345 ff. 14

See, e.g., McKnight v. Richardson, 117 S. Ct. 2100 (1997). The APA is a generic procedural statute passed in 1946 and intended to apply to many i f not most the federal agencies at that time. It set forth the basics as far as administrative procedure is concerned. It is premised on the idea that there are fundamental qualities that comprise what administrative adjudication or rulemaking should look like, no matter what the substantive issue may be or what agency may be involved. The Act has been supplanted by a variety of new substantive statutes in various specific areas, such as the environment, but I am using it primarily as a short hand way of referencing the fundamental values of administrative law - transparency, public participation, notice, a right to be heard, etc. Many of its procedural approaches remain highly relevant today, but many were also devised with essentially a New Deal conception of regulation involved. I do not argue that all of the Act's details remain relevant today, but rather that its core values and goals do and should persist. 16 Like the APA, FOIA applies only to "state agencies". 17 For a discussion of some of the conflict of interest concerns a merger of profit oriented approaches with public interest goals, see infra at notes 65-68; see also Aman, Fordham Urban Law Journal 28, All (481^482) (discussing legitimate and illegitimate forms of global currency). 15

Alfred C. Aman, Jr.

16

carry out their responsibilities in cost effective and competitive ways.18 Without a ready flow of information about the substantive success of the regulatory missions involved, the bottom line takes on more and more significance as a measure of success. Global competition and the drive for lower taxes and lower regulatory costs that it encourages accounts, in part, for the growth of what we might call a non-state public sector , one that evades the administrative law protections normally applied to a state entity, while bringing to bear the efficiencies of the market to the task at hand.19 Such approaches implicitly assume a zero sum public/private game - that is, as some matters are moved from the public to the private sphere, nothing fundamental changes in what we think of as public or as private. Markets are markets and the government is the government. If anything, government can only be improved by the demands of the market, but the two spheres remain relatively autonomous. Changes in technology or regulatory technique may favor one mode of regulation over another. Such change may be innovative, but it need not be seen as transformative in nature if all that changes is the relative degree of how much we now choose to make public and how much we now leave to the private sphere. But this is not the case. It is not just the recourse to the market that makes such change significant, but the change itself, located in the underlying relationship of states to markets. It is the fundamental realignment in the way states and markets interrelate and at times, even merge, blurring and erasing the boundary between the two, that requires us to examine these delegations to the market at the domestic level as part of a larger picture. Several other forms of delegation of state power are involved, including (1) various defacto delegations to the market that result from inadequate funding of the regulatory regime in place; 20 (2) delegations to private transnational entities,21 whose regulation would most likely require a multilateral approach, as well as (3) delegations to the international branch of government such as delegations to international organizations such as the WTO; 2 2 and (4) the devolution of federal responsibilities to states or, in effect, delegations to 18

Vice President A l Gore: Gore , From Red Tape to Results: Creating a Government That Works Better and Costs Less, Rep. Of the Nat'l Performance Review, 1993. 19 See Greene et al., Privatization of Correctional Services: Evaluating the Role of Private Prison Management in Minnesota, 1999. 20 Some agency budgets have declined or have not kept pace with increased demands. See, e.g., Oppel, Official Says SEC Strained, With duties Exceeding Budget, New York Times, March 6, 2002. (GAO warned that the SEC does not have financing to manage its growing work load.) Enforcement activities in most agencies suffer from an inadequate staff. This puts additional pressure on and creates incentives for administrators to promulgate rules that set goals and standards whose enforcement is less labor intensive than command-control rules. 21 As Gunther Teubner argues, global law is made outside the political structures by private transnational actors. See Teubner, Global Law Without a State, 1997. 22

1 ff.

See Thomas , Constitutional Change and International Government, Hastings L. J. 52,

Globalization as Denationalization

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sub-national or regional entities.23 The cumulative effect of all of these various delegations, especially privatization, amounts to a new situation that requires that we see administrative law in a new light. The newly enlarging private sphere is not the result of simply a shift of preference for the private over the public, or the international over the national, but a new way of organizing public responsibilities and politics. Indeed, the cumulative impact of these delegations (including the privatization of social services, the deregulation of various industries as well as the increased reliance on such public policy tools as school vouchers, tax credits, and faith based initiatives), in effect, privatize the public square, disaggregating the public and fusing concepts of citizenship with consumerism. 24 Such changes do not argue for a return to the past. Rather, they constitute new regulatory and procedural questions that require new solutions. Some of the new questions are: how best can non-state actors be involved in decision making processes,25 how can we maximize the flow of information involving the decisions of non-state actors doing the public business,26 and how can we mitigate conflict of interest concerns that arise from the fusion of public and private that typify many markets and market approaches to policy issues - issues ranging from private prisons to welfare eligibility. 27 Fundamental issues of democracy are now at stake.28 My argument is in three parts. In Part II, I discuss the democracy deficit. In Part III, I discuss two approaches to globalization - state centric and denationalized, or pluralistic. As I have indicated earlier, 29 various delegations of state power are important to the context I want to consider. In Part IV of this paper, however, I will consider only one of these: intrastate delegations from the public sector to the private sector (for example, delegation to the market in the form of privatized prisons or privatized social services for the poor). These delegations also represent different aspects of globalization. How we understand globalization will greatly affect our sense of the law reforms that may be in order. Global processes intersect with state power in a variety of ways that can be arrayed along a continuum from state-centric to what I call denationalization. 30 These different dimensions of globalization involve different sorts of de23 See recent federalism cases discussed from a global perspective in Aman, The Globalizing State, Vanderbilt Journal of Transnational Law 31 (1998), 769 ff. (848-865). 24

See Crenson/Ginsberg, Downsizing Democracy, 2002. In the context of the WTO, for example, see Esty , The World Trade Organization's legitimacy crisis, World Trade Review 1 (2002), 7 ff. 25

26

Esty (note 25). Regarding welfare, see Diller, The Revolution in Welfare Administration, N Y U 75 (2000), 1121 ff.; on prisons see, note 12, supra. 28 For a discussion of the democracy issues involved in various global contexts, see Symposium, Globalization and Governance: Prospects For Democracy, Indiana Journal of Global Legal Studies 10 (forthcoming). 27

29 30

Text at notes 22-25, supra. See Delbrück (note 2), 9 ff.

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mocracy deficits, and the potential role for U.S. administrative law is somewhat different, as well. Finally, citizen participation in decision-making in the newly denationalized private sector is crucial to the development of a transnational public. The fourth part of the paper thus focuses on the procedural law reforms necessary to ensure that this occurs.

I I . The Democracy Problem The democracy problem in globalization arises from the disjunction between global economic processes (on the one hand) and local processes of democratic participation (on the other). By disjunction I refer to the exclusion of key stakeholders (or stakeholder communities) from the institutional processes whose outcomes affect them directly. When the resolution of such disjunctures is left to domestic or transnational markets or international organizations that privilege market outcomes, such privatizations or market oriented international regimes only intensify the democracy problem. 31 By approaching these processes as if they were only unidimensional and subject either to the rules of the market or the more traditional and hierarchical approaches of public law, we simply reify the separate worlds of markets and states, without taking into account the ways globalization is changing these worlds and their relationship to each other, and without providing room for a debate and discourse to develop that includes a meaningful politics involving non-economic values. When regulation is given over to the market, or international decision makers, the public is no longer involved directly in decision making, nor is information usually available in a form that would make public participation meaningful. 32 This is because globalization dramatically changes the way states and markets interact, often fusing the public and private sectors in ways that can evoke a form of neo-corporatism when it comes to the ways states carry out their publicly mandated goals.33 The democracy problem generated by globalization in this broad sense is increasingly a feature of modern life in the U. S. A multi-dimensional, domestic administrative law offers an alternative approach to the democracy problem in at least some sectors of globalization. Commentators often refer to globalization as if it were a new supranational order, somehow "beyond" or "over" the sovereignty of individual states.341 use the word global to refer to a transnational public and its interests and stakes in globalization and not to make a claim to some universal interests. I see globalization as an open-ended set of dynamic and pluralistic pro31

The state centric nature of U.S. public law makes this so. For example, WTO decision-making processes are not transparent and participation beyond the parties to the case is limited. See Esty (note 25). 32

33 See generally, Cawson, Corporatism and Political Theory, 1986, 22-46; Perrucci, Japanese Auto Transplants In The Heartland, 1994. 34 See, e.g., Hardt/Negri, Empire, 2000; Rabkin, Why Sovereignty Matters, 1998.

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cesses that combine public and private lawmaking in novel hybrid forms. My focus is on globalization at the domestic level - the domestic "face" of globalization, if you will - particularly where it involves the effects of delegations of state power to private domestic and transnational entities and public international organizations that often privilege the market or fail to take into account the domestic issues involved in any realistic way.

I I I . State Centric and Denationalized Aspects of Globalization Globalization thus yields intended and unintended effects on democratic participation. The prevailing analysis of globalization is state centric in nature. State centric approaches emphasize national perspectives. A state centric approach to globalization also usually means bright line distinctions between the public and the private sectors, and even more so, between domestic and international law. In so doing, however, state centric approaches often fail to distinguish between globalization and internationalization. They meet democracy concerns through the mechanism of state representation in international or multinational affairs. From a state centric perspective, multinational organizations (such as the WTO) are viewed as extensions of the state, as if they were macro-federal structures. But, another more useful analysis of globalization is denationalization, a concept developed by Jost Delbrück long before most analysts even approached globalization in this way. 35 This term refers to processes that are essentially deterritorialized and potentially independent of states. The denationalized aspects of globalization are highly dynamic processes that are not determined by fixed jurisdictions or boundaries between countries. Conflating the "global" and the "international" neglects important differences between them and important resources for simultaneously strengthening the effectiveness of international organizations and the relevance of democracy among their member states. States thus remain highly relevant to our analysis; however, the essence of globalization as denationalization is the recognition that along with states, non-state actors as well as international and supranational bodies are all significant players. These networks (which involve state and non-state actors) amount to governance more than government. 36 A denationalized perspective on globalization highlights the need to emphasize networks and multiple decision sites and, if you will, a kind of global legal pluralism. Pluralism does not mean relativism in this context, but rather a decentralized system of deliberative decision making that is interconnected by at least some common values and practices of legitimation. As a pluralist system, globalization is theoretically open to state and non-state actors and not bounded by territory. 35 36

See Delbrück (note 2). Held et al, Global Transformations, 1999, 50.

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Problems of pollution, for example, are not bounded by territory and even economic opportunities such as free trade involve a conception of markets that is not, in theory at least, limited by state jurisdictional lines. The denationalized aspects of globalization are easily mistaken for state-centered processes and thereby easily neglected as a domain for domestic law making and law reform. Because it is states doing the reacting to global issues or drawing our fire for failing to react, it is easy to miss the fact that most global processes are not at all state centered. The tendency to think in state centric terms - to say something is either private or public, domestic or international - cannot capture the complexity of global processes, the diversity of the global networks and players involved, and the decentered nature of the state when it does react. There is in effect a gray zone that at present cannot be captured fully either by states or (by default) by markets. This gray zone is of interest to me, since it is in the areas where a more pluralistic denationalized approach can be instituted that administrative law comes into play (since state centric approaches to globalization take the issue at hand outside the domestic arena, or leave merely a rubber stamp). In short, while most observers see globalization as essentially an international field comprised of states acting alone or together, I believe that viewing globalization instead as intersecting fields of transnational actors both inside and outside the state sphere yields both a richer understanding of the processes involved, and a fuller account of democratic possibilities. This is the perspective I take on privatization.

IV. Delegations to the Market 1. Privatization Privatization should be understood as a principle dynamic (i.e., both cause and effect) of globalization. It is not merely one means among others for making government more efficient or for expanding the private sector. Nor is it just a reflection of current political trends and a swing of the regulatory pendulum from liberal to conservative. Rather, the increasing reliance on "the new governance" is indicative of a changing relationship between the market and the state. It is characterized by a fusion of public and private values, rhetoric and approaches, a fusion that is itself integral to the fusion of global and local economies. Privatization is the result of these fusions. 2. New Issues Privatization has been one of the primary forms of marketization in the U.S. Some might say that there is not a great tradeoff for democracy if snow removal shifts from a city garage to a private contractor or even if a publicly operated prison is now managed by a for-profit private corporation. But the fact that such

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trends in management are driven by global processes assures us that a larger transformation is underway. The connection between the relatively minor example of snow removal and the more significant change in approach to prisons or welfare is in their common connection to globalization and the structural aspects of their insulation from the public. Democracy involves and requires more than just market forces and outcomes. It involves and requires more than representation and a chance to hold public officials accountable through the ballot box. 37 Legitimacy comes in many forms and through many forums. Administrative law can facilitate the creation of multiple forums for policy discussions to occur and, if necessary, a politics to develop if contractual obligations are not met or need to be revised. Focusing on the democracy deficit brought about by globalization does not mean that only traditional legitimacy arguments, so common in administrative law, are relevant. 38 In fact, there is a major difference between legitimacy concerns expressed in traditional public law terms and today's concerns. We have moved from questions concerning the proper role of judges as opposed to legislators, when it comes to policy making, to issues concerning whether there will be any public input at all. It is not just a connection with an elected official that matters. What matters more are opportunities for interested individuals to have input in policy making processes, as well as the specific cases that may affect them. Beyond traditional notions of electoral accountability, democracy requires the means by which issues can be drawn, information shared and a meaningful politics created. This involves multiple forums for values and views to be expressed publicly, issues beyond those likely to be relevant to just an economic conception of the problems at hand. Legitimacy requires more than a process simply to check up on those in positions of responsibility, to see if they are doing their job. It also involves creating the kind of information necessary to understand the issues involved for a real debate to ensue and for new ideas to be suggested. Administrative Law can and should play an important role in making forums available to consider and assess new approaches to issues not only considered by public agencies, but by public/private hybrids as well. The public/private distinction should not unduly shield decision-making processes from opportunities for participation and the articulation of values and points of view that enrich our politics and, indeed, make meaningful political discussion possible. Closely related to these democracy concerns are questions of citizenship. Quite apart from the decision makers involved, how do we conceptualize those affected by these decisions? In addition to being citizens, individuals are increasingly treated as consumers, customers and clients as well. Each of these labels - citizen, 37

See Rubin, Getting Past Democracy, U. Pa. L. Rev. 149 (2001), 711 ff. Aman, Proposals for Reforming the Administrative Procedure Act: Globalization, Democracy and the Furtherance of a Global Public Interest, Ind. J. Global Legal Stud. 6 (1999), 397 ff. 38

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customer/consumer and client - carry different expectations with regard to individual and collective responsibility for the provision of services. At what point does the convergence of market-processes, private decision-makers and individuals as consumers, customers or clients actually undercut our ability as citizens to engage in the broader kinds of participation necessary for a vibrant political process?39 It is important that the legal discourses triggered by the public/private distinction do not undercut or mask the role that citizens need to play. A third related set of issues for the new administrative law involves conflict of interest concerns. The state-centric aspects of traditional administrative law have focused primarily only on public administrators and when it comes to conflict questions the law asks such questions as whether there was a personal economic interest tied to the decision involved, 40 whether there were inappropriate ex parte 41 contacts or whether there was undue bias on the part of the decision-maker involved. 42 Economic gain is a particularly relevant criterion when applied to some forms of privatization, where the decision makers involved are chosen in part because of the incentives provided by their duty to try to make a profit. Clearly, to obviate this problem, the parameters of the delegated task must be set forth with clarity. Delegation-like doctrine requirements can and should surface in this context, since it can only be assumed that a private prison provider will want to carry out its duties in as profitable a manner as possible. To assure that this does not include riding roughshod over prisoners' rights, legislative and contractual detail is necessary. Such an approach can thus eliminate a financial conflict by making clear the challenges the contractor must meet before any profit is possible. In contexts covered by the APA, conflict questions turn largely on the nature of the proceedings involved. Are they adjudicatory or legislative? Such a discourse normally would not apply in privatized settings. Private providers are implementing public policies but, of course, new policies and approaches inevitably emerge in the dynamic contexts in which they operate. Moreover, there are some new, deregulated markets in which private bodies and private actors now make decisions with significant public implications. This clearly is one of the lessons of the

39

See Louer Schacter, Reinventing Government or Reinventing Ourselves?, 1997, 7-9.

40

See, e.g., Tummey v. Ohio, 273 U.S. 510 (1927) ("... the requirement of due process of law in judicial procedure is not satisfied by the argument that men of the highest honor and the greatest self sacrifice could carry it out without danger of injustice. Every procedure which would offer a possible temptation to the average man as a judge to forget the burden of proof required to convict the defendant, or which might lead him not to hold the balance nice, clear and true between the state and the accused, denies the latter due process of law.") 41

5 USCS sec. 557 (d) (1) (B) ("no member of the body comprising the agency, administrative law judge, or other employee who is or may reasonably be expected to be involved in the decisional process of the proceeding , shall make or knowingly cause to be made to any interested person outside the agency an ex parte communication relevant to the merits of the proceeding.") 42

See, e.g., United States Steel Workers of America v. Marshall, 647 F.2d 1189 (1980).

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Enron debacle.43 More specifically, private providers of public services clearly have the profit motive in mind - that is their obligations to their shareholders. Yet, public policy concerns may require approaches, actions, or the sharing of information in a timely fashion that might further some public goals, but increase private costs. What are the conflicts of interest requirements of such participants in these contexts? The very nature of public and private enterprises differ. The profitmotive can be a good incentive, but, in public settings, it is not the sole goal, and it can conflict with other values. Indeed, what happens when market-oriented, bottom-line considerations drive decisions that adversely affect human rights? A private prison provider may have more incentives to construe as narrowly as possible the due process or eighth amendment requirements of the constitution even assuming they apply fully in a private setting.44 Such matter should be dealt with specifically before they arise, by statute, without unnecessarily burdening public/private decision-making processes.

V. Conclusions Globalization is a form of denationalization, but it is also a form of legal pluralism involving a wide range of delegations and combinations of state and non state actors. Considering the implications of this formulation can help us understand a number of things: -

why legitimacy requires broader decision making processes at the international level so as to include a wide range of non-state actors; - why it is necessary to rely on our own domestic lawmaking processes as the best way of ensuring a public voice and a flourishing political arena for contesting international rulings that should not be rubber stamped; - why (and where) there is untapped space in the emerging global legal order and more room for dissonance than state-centric concepts of globalization might seem to allow; and finally, - why even purely local decisions to privatize services are best understood against a global backdrop. Administrative law has much to add to these situations. The province of administrative law needs to expand to include private actors carrying out public responsibilities, as well as creating forums to consider, in a timely fashion, the harmonization of rules and standards that will govern globally, but only after sufficient input at the domestic level. At a minimum, the contract provisions of the APA need to be expanded to cover private actors and APA rulemaking needs to apply fully to harmonization processes. 43 See, e.g., Oppel, U.S. Regulators Are Requiring Full Details of Energy Sales, N Y Times, May 15, 2002, C I . 44 See Field , Making Prisons Private: An Improper Delegation of a Governmental Power, HofstraL. Rev. 15, 649 ff.

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Governance involves the resolution of problems such as these as well as implementation of the policies necessary to carry out the agreed upon solutions. Indeed, the inclusion of affected actors with a stake in the outcome is integral to the legitimacy of the process, since an important aspect of legitimacy is the fact that agreed upon solutions are implemented. Non-state actors play an important role in this process. But to make the legitimation that flows from such a process work at the international stage, it also needs to be a part of the domestic process as well. The two systems are not separate. Legitimacy in either arena depends on how decisions are made in both arenas. Appreciating the extent to which globalization involves important elements of denationalization informs a shift of emphasis from a federalist analogy (with its limitations) to more pragmatic, pluralist, and flexible arrangements by which national and international legitimacy and democracy might be strengthened simultaneously. Indeed, advocates of the federalist analogy restrict their attention to applications and compliance, subsuming issues of democratic participation within the constraints of sovereignty - as representation by states. The more pluralist approach would posit international agencies (such as the WTO or the EU) not as supra-federal structures but agencies among states. In so doing, the question of a single or unified "world demos" - sometimes held up as an obstacle to this very sort of effort - becomes moot, since there would be a plural demos for which democracy is not just a structural question (of state representation) but also a basis for inclusion in substantive and procedural terms. Global legal pluralism involves decisions and decision-makers at multiple sites - public and private, domestic and international. Among the key sites are domestic points of intersection, whether they are technically public or private, international or domestic, should not hinder the ability of administrative law to provide the procedural space for democracy to flourish. This is one of the foremost challenges of public law for the years ahead. Jost Delbrück's scholarship makes it possible for us to understand these challenges in a new light and to respond to them in an effective and humane manner.

Der Beitrag des Konzeptes der menschlichen Sicherheit zur Friedenssicherung Von Wolf gang Benedek

Einleitung Seit etwa 10 Jahren bezeichnet das Konzept der menschlichen Sicherheit einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der die menschliche Person in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Ausgelöst durch den Erfolg der Antipersonenminenkonvention von 1997, die gegen den Widerstand der USA und anderer Großmächte durchgesetzt wurde, hat der Ansatz der menschlichen Sicherheit verstärkte Aufmerksamkeit gefunden, ist jedoch auch auf Widerstand, vor allem von die staatliche Souveränität betonenden Ländern gestoßen. Jost Delbrück hat in seinen Schriften immer wieder die Grenzen des Völkerrechts als Disziplin überschritten und sich mit Fragen des Strukturwandels im internationalen System auch von der Seite der internationalen Beziehungen befasst. 1 In diesem Sinne soll auch dieser Beitrag wichtige Veränderungen im Bereich der Friedenssicherung, sowie sich daraus ergebende Chancen für einen verstärkten Schutz der Würde der menschlichen Person und ihrer Sicherheit im Rahmen des Völkerrechts aufzeigen. 2

I. Veränderungen der internationalen Bedrohungslage von Frieden und Sicherheit Während, wie der jüngst erschienene Human Security Report 3 zeigt, die Bedrohungen des Menschen durch internationale kriegerische Konflikte seit Beginn der 90er Jahre zurückgegangen sind, sind andere Bedrohungen, die durch militärische Mittel nur sehr begrenzt bekämpft werden können im Steigen begriffen bzw. unverändert geblieben. Dazu gehören Bedrohungen der persönlichen Sicherheit, 1 Siehe z. B. Delbrück, Structural Changes in the International System and its Legal Order: International Law in the Era of Globalization, Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht 11 (2001), 1 ff.; ders., „Prospects for a World (Internal) Law"?: Legal Developments in a Changing International System, Indiana Journal of Global Legal Studies 9 (2002), 40Iff. 2 Siehe auch Oberleitner, Human Security - a Challenge to International Law, Global Governance 11 (2005), im Druck. 3 Siehe The Human Security Report, Human Security Centre (Hrsg.), 2005.

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wie der Terrorismus oder die organisierte Kriminalität, der Drogen- und Menschenhandel, aber auch Bedrohungen der sozialen Sicherheit, etwa durch epidemische Krankheiten, wie insbesondere HIV/AIDS, durch Malaria und andere „vergessene" Krankheiten des Südens, die den Norden wenig betreffen. Die Probleme mangelnder menschengerechter Entwicklung konstatiert etwa der Millenniumsbericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, auf dessen Grundlage sich die OVN mit den acht Zielen der Millenniumsdeklaration wichtige Prioritäten bis zum Jahr 2015 setzten.4 Lassen sich diese Ziele nicht verwirklichen, werden sich noch mehr Menschen Richtung Norden in Bewegung setzen, als dies bisher schon der Fall ist und durch ihre Migration neue Probleme der Sicherheit aufwerfen. Der Millenniumsbericht ist in Anlehnung an die weitsichtige Kongressbotschaft Präsident Roosevelts im Jahr 1941 über die vier Freiheiten in zwei Hauptbereiche gegliedert, nämlich „freedom from fear" und „freedom from want", also Freiheit von Furcht und Freiheit von Not, worin eine Entsprechung zu den bürgerlich-politischen und den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten gesehen werden kann.5 Die Dichotomie des Ansatzes der menschlichen Sicherheit ist für diesen Ansatz charakteristisch. Sie entspricht den beiden Hauptpfeilern des heutigen Konzeptes der menschlichen Sicherheit, nämlich der menschlichen Sicherheit im Hinblick auf Konflikte und im Hinblick auf die menschliche Entwicklung. Letztere ist seit 1990 Gegenstand des jährlichen Berichts des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) über die menschliche Entwicklung. 6 Tatsächlich war es der UNDP-Bericht des Jahres 1994, der das Konzept der menschlichen Sicherheit in die internationale Diskussion einbrachte. Er unterschied dabei sieben Kategorien von Bedrohungen der menschlichen Sicherheit, und zwar in den Bereichen der Umwelt, der Wirtschaft, der Ernährung, der Gesundheit, der Person, der Politik und der Gemeinschaft, soweit diese chronischer Natur sind oder einen Zusammenbruch bzw. eine Zerrüttung des täglichen Lebens zur Folge haben.7 Im Jahr 1999 formierte sich das „Netzwerk für menschliche Sicherheit", eine lose Konsultationsgruppe von gleich gesinnten Staaten, die seither mit Hilfe dieses Konzeptes im Rahmen der Vereinten Nationen Probleme der menschlichen Sicherheit stärker thematisieren wollen. Ihm gehören zwölf Staaten, sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer an, wozu noch Südafrika als Beobachter kommt.8 Die 4

Siehe United Nations Millennium Declaration of 18 September, 2000, UNGA-Res. 55/2. 5 Siehe Report of the Secretary General, We the Peoples: the Role of the United Nations in the Twenty-first century, UNGA-Doc. A/54/2000 of 27 March 2000. 6 Siehe z. B. United Nations Development Programme (UNDP), Bericht über die menschliche Entwicklung, 2004. 7 UNDP, Human Development Report: Annual Report 1994, 1994, 3 ff. (23). 8

Siehe Human Security Network, members-e.php>.

Members,

. 7

Generalversammlung und Sicherheitsrat in Friedenssicherungsangelegenheiten

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Die besondere Aktualität der Fragestellung des Verhältnisses von GV und SR in Friedenssicherungsangelegenheiten lässt sich im Übrigen an den Ausführungen des IGH im schon erwähnten Gutachten zum Mauerbau erkennen. Eines der Vorbringen Israels war gewesen, dass die GV mit dem Ersuchen um ein Gutachten ultra vires gehandelt hätte, da der SR aktiv mit der Situation im Nahen Osten einschließlich der palästinensischen Frage befasst war. 8 Genau diese Problemstellung steht im Zentrum der Diskussion um die Zulässigkeit der unter Berufung auf die Uniting for Peace Resolution getroffenen Arrangements: nämlich ab wann die GV befugt ist, tätig zu werden, da der SR seine Aufgaben nicht wahrnimmt.

II. Kompetenzabgrenzung Die grundsätzliche Kompetenzabgrenzung zwischen den beiden Organen ergibt sich zunächst aus den konkreten/praktischen Umständen ihrer Zusammensetzung und Beschlussfassung. So wäre die GV, die alle Mitglieder der Vereinten Nationen (VN) umfasst und einen entsprechend hohen Legitimationsgrad genießt, das primär adäquate Forum, politische Zielsetzungen und programmatische Leitlinien zu diskutieren und zu beschließen.9 Für konkrete Maßnahmen, die rasch und effizient zu beschließen sind, ist aber der SR geeigneter. 10 Dies nicht nur wegen seiner Kompetenz, bindende Beschlüsse gemäß Art. 25 UN-Charta 11 zu fassen, sondern auch aus realpolitischer Perspektive: so stehen durch das Abstimmungsverfahren im SR (die Vetomöglichkeit der ständigen Mitglieder), im Fall positiver Beschlussfassung, Staaten hinter den Resolutionen des SR, die über genügend finan-

8

IGH, Construction of a Wall (Fn. 7), Rn. 24. Vgl. etwa Krasno: „The General Assembly, comprising all the Member States (51 in 1945, 191 in 2003), fulfils the function of a central forum for global dialogue wherein pressing issues of concern ... can be discussed." (Krasno, The U N Landscape: An Overview, in: ders. (Hrsg.), The United Nations: Confronting the Challenges of a Global Society, 2004, 3 (5)). 9

10

Vgl. diesbezüglich das von Koskenniemi aufgeworfene Spannungsverhältnis zwischen einem als „Polizei" fungierenden SR, der dazu geschaffen ist, die Ordnung mittels Machtausübung aufrechtzuerhalten und der GV als „Tempel der Gerechtigkeit", die sich Autorität und Legitimität dank ihrer Zusammensetzung und der Verfahren ihrer Entscheidungsfindung verschafft. „The competence, composition and procedures of each organ is justifiable only as a separation of powers arrangement which seeks to provide optimal efficiency in policing the world as well as a forum for seeking agreement on various economic, social and humanitarian policies, while trying to keep both in check so as to avoid the dangers inherent in establishing a full precedence of one over the other." ( Koskenniemi , The Police in the Temple: Order, Justice and the UN: A Dialectical View, European Journal of International Law 6 (1995), 325 (337 f.)). 11 Art. 25 UN-Charta: „The Members of the United Nations agree to accept and carry out the decisions of the Security Council in accordance with the present Charter." Eingehend hierzu insbesondere Delbrück, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Vol. I, 2. Aufl., 2002, Art. 25, Rn. 1 ff.

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Christoph Schreuer und Christina Binder

zielle, politische und militärische Kapazitäten verfügen, 1 2 um diese auch durchzusetzen. Diese Kompetenzabgrenzung zwischen den beiden Organen ist auch in der U N Charta, insbesondere den Artikeln 10-12 und 14 sowie 24, niedergelegt. Art. 10 1 3 sieht hierbei - vorbehaltlich Art. 12 - eine generell formulierte „Allzuständigk e i t " 1 4 der G V vor, Art. 14 normiert die Kompetenz der G V , Empfehlungen zur friedlichen Regelung von Streitigkeiten abzugeben. Beschränkt w i r d die Rolle der G V in Friedenssicherungsangelegenheiten allerdings durch die dem SR eingeräumten Kompetenzen. Art. 24 normiert die Hauptverantwortung des SR „für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit". Diese vorrangige Verantwortung ist aber nicht ausschließlich. 15 D i e Hauptbeschränkung der G V , in Friedenssicherungsangelegenheiten aktiv zu werden, ergibt sich aus Art. 12 U N Charta, der einen Vorrang für das Tätigwerden des SR vorsieht. 1 6 Den Generalsekretär der V N trifft i n diesem Zusammenhang eine Informationspflicht gegenüber der G V bezüglich aller Angelegenheiten, die der SR behandelt. 1 7 12 In letzter Zeit häufen sich allerdings die Diskussionen, ob die Zusammensetzung des SR noch den realen weltpolitischen Machtverhältnissen entspreche. Die im September 2004 vorgebrachte Bewerbung Deutschlands, Japans, Brasiliens und Indiens um einen ständigen Sitz im SR gibt davon beredetes Zeugnis. (Zur SR Reform, siehe beispielsweise Fassbender , Pressure for Security Council Reform, in: Malone (Hrsg.), The U N Security Council: From the Cold War to the 21st Century, 2004, 341 ff.; Proidl, The Reform of the Security Council, in: Cede/Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), The United Nations: Law and Practice, 2001, 303 ff.). 13

Art. 10 UN-Charta: „The General Assembly may discuss any questions or any matters within the scope of the present Charter ... and, except as provided in Article 12, may make recommendations to the Members of the United Nations or to the Security Council or to both on any such questions or matters." 14

Epping, Internationale Organisationen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, 444 (480). 15 Vgl. das Gutachten zum Mauerbau, in dem der IGH unter Bezugnahme auf sein Certow-Expettsej-Gutachten, feststellt: ,,[T]he Court would emphasize that Article 24 refers to a primary, but not necessarily exclusive, competence." (IGH, Construction of a Wall (Fn. 7), Rn. 26); eingehender zur Interpretation dieser Formulierung Delbrück, in: Simma (Fn. 11), Art. 24, Rn. 3 ff. 16 Art. 12 Abs. 1 UN-Charta: „While the Security Council is exercising in respect of any dispute or situation the functions assigned to it in the present Charter, the General Assembly shall not make any recommendation with regard to that dispute or situation unless the Security Council so requests." Vgl. in diesem Zusammenhang das Certain-ExpensesGutachten: ,,[T]he only limitation which Article 14 imposes on the General Assembly is the restriction found in Article 12, namely, that the Assembly should not recommend measures while the Security Council is dealing with the same matter unless the Council requests it to do so." (IGH, Certain Expenses of the United Nations, ICJ Reports 1962, 163). 17 Art. 12 Abs. 2 UN-Charta: „The Secretary-General, with the consent of the Security Council, shall notify the General Assembly at each session of any matters relative to the maintenance of international peace and security which are being dealt with by the Security Council and shall similarly notify the General Assembly, or the Members of the United Nations if the General Assembly is not in session, immediately the Security Council ceases to deal with such matters."

Generalversammlung und Sicherheitsrat in Friedenssicherungsangelegenheiten

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Dieser Pflicht kommt er alljährlich in Form einer formellen Notifikation an die GV nach.18 Diese Notifikation ist ein detailliertes Dokument (in der 58. Session waren es elf Seiten)19, in welchem angeführt wird, welche Angelegenheiten der SR seit der letzten derartigen Notifikation diskutiert hat, welche noch formell auf der Tagesordnung des SR stehen und welche dieser Angelegenheiten der SR während des letzten Jahres sowie der letzten fünf Jahre nicht diskutiert hat. Eine praktische Auswirkung scheint diese Notifikation aber kaum zu haben. Ein Blick auf die Resolutionen der GV zeigt immer wieder auch eine detaillierte Befassung mit Krisenherden, in denen der SR tätig ist. Beispiele sind etwa Resolutionen der GV zum Nahen Osten, zum Irak/Kuwait-Konflikt, zu Haiti und zu Somalia, um nur einige Beispiele zu nennen. Festzuhalten bleibt dementsprechend die sukzessive Beschränkung der Reichweite des Art. 12 Abs. 1 UN-Charta in der Praxis der Organe: nunmehr scheint Art. 12 der GV lediglich zu verbieten, Resolutionen anzunehmen, die jenen des SR formell und direkt widersprechen. 20 Der Art. 11 Abs. 2 UN-Charta 21 legt die Annahme nahe, dass es die Aufgabe der GV ist, Fragen des Weltfriedens und der Sicherheit programmatisch zu diskutieren, während der SR konkrete Maßnahmen in bestimmten Situationen zu ergreifen hat. Grundsätzlich entspricht die Praxis auch dieser Vorstellung. So hat die GV etwa 1970 eine Deklaration über die Stärkung der Internationalen Sicherheit verabschiedet,22 zu welcher sie alljährliche Bekräftigungen und Ergänzungen erläßt. 23 Hierher gehören auch die zahlreichen Resolutionen der GV zu den Themen Abrüstung 24 oder Konflikt Verhütung 25, aber auch Teil I I „Peace, Security and Disarmement" der Milleniums-Deklaration 26 . Zudem werden einzelne Aspekte von 18

GV Beschlüsse 31/401, 32/401, 33/404, 34/406, 35/414, 36/436, 37/410, 38/404, 39/405,40/416, 41/409, 42/411,43/415,44/409,45/411,46/408,47/404,48/409, 49/443, 50/458, 51/416, 52/404, 53/407, 54/410, 55/405, 56/405, 57/505. 19

A/54/398, A/55/366, A/56/366, A/57/392, A/58/354. Vgl. diesbezüglich Hailbronner/Klein: ,,[T]he narrow construction of the elements and the legal consequence of Art. 12 (1) as used in practice have given the GA more freedom of action and have confined the scope of the provision to avoiding recommendations that directly and formally conflict with each other. Even though Art. 12 has not become a complete dead letter, its scope has been considerably reduced." (Hailbronner/Klein, in: Simma (Fn. 11), Art. 12, Rn. 31); siehe weiters die Ausführungen des IGH im Gutachten zum Mauerbau: IGH, Construction of a Wall (Fn. 7), Rn. 27). 21 Vgl. Art. 11 Abs. 2 UN-Charta: „The General Assembly may discuss any questions relating to the maintenance of international peace and security brought before it ... and, except as provided in Article 12, may make recommendations with regard to any such questions ... Any such question on which action is necessary shall be referred to the Security Council by the General Assembly either before or after discussion." 22 GV Res. 2734 (XXV). 23 Z. B. GV Res. 45/80, 46/414, 47/60, 48/83. 24 Z. B. GV Res. 46/36, 47/52, 48/61, 48/75, 49/75, 50/70, 51/45, 52/38, 54/54, 56/24, 57/79, 58/38. 20

25 26

Z. B. GV Res. 55/281, 56/512, 57/337. GV Res. 55/2.

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Konflikten von der GV diskutiert: z. B. die Rolle von Diamanten27 in ihnen. Dazu kommen Themen wie der Schutz und die Sicherheit kleiner Staaten28 oder Resolutionen der GV, welche sich auf Friede und Sicherheit in bestimmten Regionen beziehen. So gibt es etwa eine Serie von Resolutionen über Friede und Sicherheit in Zentralamerika, 29 über Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum 30 oder im Südatlantik31 oder über die Konflikte und die Förderung eines dauerhaften Friedens und anhaltende Entwicklung in Afrika 32 ; ebenso wie eine Resolution über Sicherheit, Frieden und Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel 33 . Andererseits scheut sich die GV aber auch nicht, Resolutionen über Friede und Sicherheit in einzelnen Staaten anzunehmen.34 Das Gegenstück dazu ist die Praxis des SR. Er beschäftigt sich ganz überwiegend mit konkreten Situationen und den allenfalls zu setzenden Maßnahmen. Es gibt aber auch durchaus Beispiele dafür, dass sich der SR mit allgemeineren programmatischen Fragen befasst. So gibt es eine Res. 984 aus 1995, in welcher der SR den nichtnuklearen Staaten im Hinblick auf den Nichtweiterverbreitungsvertrag Zusicherungen macht. Diese Resolution entbehrt übrigens nicht einer gewissen makaberen Komik: So wird festgestellt, dass eine Aggression mit dem Einsatz von Atomwaffen eine Gefährdung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellen würde, und dass eine derartige Aggression vor den SR gebracht werden könne. Im Übrigen gibt es Resolutionen der GV zu demselben Thema.35 Andere SR-Resolutionen generellen Charakters betreffen die Rolle von Kindern 36 und den Schutz von Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten 37 , Frauen im Hinblick auf Frieden und Sicherheit 38 ebenso wie die Rolle des Sicherheitsrates bei der Kon27 Vgl. GV Res. 55/56, 56/263, 57/302, 58/290. Der genaue Titel der Resolutionen lautet: „The role of diamonds in fuelling conflict: breaking the link between the illicit transaction of rough diamonds and armed conflict as a contribution to prevention and settlement of conflicts". Die GV bezieht sich in diesen Resolutionen unter anderem auf länderbezogene Maßnahmen des SR (etwa SR Res. 1173 (1998), 1304, 1306 (2000) zu Angola, Demokratische Republik Kongo und Sierra Leone) und schlägt beispielsweise ein Herkunftszertifikatssystem für Rohdiamanten vor, mit dem Ziel, dem unerlaubten Handel mit diesen Einhalt zu gebieten. 28

GV Res. 44/51, 46/43, 49/31. GV Res. 45/15, 46/109, 47/118, 48/161, 50/132, 54/118, 55/178, 56/224, 57/160, 58/239. 30 GV Res. 46/42, 52/43, 53/82, 56/29, 57/99, 58/70. 29

31

GV Res. 41/11, 45/36, 48/23, 53/34, 55/49, 58/10. GV Res. 53/92, 54/234, 55/217, 56/37, 57/296. 33 GV Res. 55/11. 34 Z. B. Afghanistan: GV Res. 46/23. 35 Z. B. GV Res. 46/32, 47/50, 48/73, 49/73, 50/68, 51/43, 52/36, 53/75, 54/52, 55/31, 56/22, 57/56, 58/35. 32

36 37 38

SR Res. 1261 (1999), 1314 (2000), 1379 (2001), 1460 (2003), 1539 (2004). Z. B. SR Res. 1265 (1999), 1296 (2000). SR Res. 1325 (2000).

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fliktverhütung 39. Weiters finden sich einige SR-Resolutionen genereller Art zum internationalen Terrorismus. 40 Das extremste Beispiel für eine programmatische Resolution des SR ist die im September 2000 angenommene Deklaration über eine effektive Rolle für den SR bei der Bewahrung von Friede und Sicherheit, besonders in Afrika. 41 In ihr tätigt der SR eine breit angelegte Analyse des internationalen Friedens und der Sicherheit und behandelt etwa auch die Wurzeln von Konflikten einschließlich ihrer wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen.42 Nicht nur bezeichnet sich diese SR Resolution als Deklaration. Sie unterscheidet sich in Stil und Aufmachung in nichts von Erklärungen der GV. Dieses Bild von der Arbeitsteilung zwischen GV und SR wiederholt sich, wenn man die verschiedenen Resolutionen zu friedenserhaltenden Operationen betrachtet. Die konkreten Operationen werden in aller Regel vom SR beschlossen. Die GV dagegen beschließt alljährlich eine programmatische Resolution über eine umfassende Überprüfung der gesamten Frage friedenserhaltender Operationen in allen ihren Aspekten.43 Auch hier gibt es aber Beispiele für SR Resolutionen allgemeinerer Art, etwa über die Sicherheit und den Schutz von UN Einheiten 44 , über die Stärkung der Zusammenarbeit mit Ländern, die Truppen zur Verfügung stellen 45 oder über die Auswirkungen von AIDS auf das Personal von U N Einsätzen46. Die umfassendste diesbezügliche Resolution ist wohl SR Res. 1327 (2000) über die Umsetzung des Berichts des Ausschusses zu UN-friedenserhaltenden Operatio39

SR Res. 1366 (2001). Z. B. SR Res. 1269 (1999), in der internationaler Terrorismus als Friedensbedrohung qualifiziert wird, oder SR Res. 1456 (2003), in der eine Erklärung zum Thema des Kampfes gegen Terrorismus angenommen wird. Die meisten Resolutionen des SR zum Terrorismus sind allerdings Antworten auf terroristische Anschläge und/ oder initiieren konkrete Maßnahmen gegen den Terrorismus: so erfolgte SR Res. 1189 (1998) nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Ostafrika; SR Res. 1368, 1373 (2001) nach dem Angriff auf das World Trade Center; SR Res. 1438 (2002) nach den Bombenanschlägen in Bali; SR Res. 1440 (2002) nach der Geiselnahme in Moskau; SR Res. 1465, 1516 (2003) und 1530 (2004) verurteilten die Bombenanschläge in Bogota, Istanbul und Madrid; SR Res. 1535 (2004) stärkte das Antiterrorismus-Komitee. 40

41

SR Res. 1318(2000). Für Wallensteen und Johansson ist diese Ausweitung der Agenda des SR das Resultat einer veränderten Sicht des Begriffs „Sicherheit" nach dem Kalten Krieg: „The security agenda after the Cold War clearly has enlarged. That can be seen in the proliferation of new concepts of security: environmental security, human security and democratic security. ... At the same time there has been a move to see security in a broader perspective, prompting the Council to adopt resolutions on thematic issues rather than specific conflicts." (Wallensteen/Johansson (Fn. 1), 28 f.). 42

43

GV Res. 45/75, 46/48, 47/71, 48/42, 50/30, 51/136, 52/69, 53/58, 54/81, 55/135, 56/225, 57/336,58/315. 44

SR Res. 868 (1993). SR Res. 1353 (2001): in ihr nimmt der SR detaillierte Beschlüsse und Empfehlungen, die eine bessere Zusammenarbeit mit den Truppen zur Verfügung stellenden Ländern gewährleisten sollen und in einem Annex zur eigentlichen Resolution festgehalten sind, an. 45

46

SR Res. 1308 (2000).

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nen, die bestrebt ist, einen generellen Referenzrahmen für erfolgreiche friedenserhaltende Operationen zu etablieren. Ein besonders interessantes Kapitel bei der Kompetenzabgrenzung zwischen SR und GV ist die Schaffung internationaler Strafgerichtshöfe. Bekanntlich wurden die beiden Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien sowie für Ruanda mittels Resolutionen des SR geschaffen. 47 Die GV hat diese Maßnahme durchaus begrüßt, 48 gleichzeitig aber sehr nachdrücklich darauf bestanden, dass die Budgethoheit auch für dieses Organ ausschließlich bei ihr liegt. 49 In diesem Zusammenhang rügt die GV sogar Vorschläge des Sekretariats, welche nach ihrer Meinung in ihre Budgethoheit nach Art. 17 UN-Charta eingegriffen hätten.50 Möglicherweise als Reaktion auf diese Situation war die anfängliche Finanzierung durch die GV auch etwas zögerlich. Überdies behielt die GV sich ausdrücklich vor, über administrative Angelegenheiten des Jugoslawien-Tribunals, einschließlich detaillierter Personalfragen, zu entscheiden.51 Wir finden hier also fast eine Umkehrung der normalen Kompetenzverteilung: Der grundsätzliche Beschluss über die Errichtung dieser Strafgerichtshöfe wurde vom SR gefasst, der dementsprechend auch Novellierungen der Statute beschließt52 und den Zeitrahmen für ihre Tätigkeit bestimmt.53 Die GV kümmert sich - mit Ausnahmen - 5 4 um die administrativen Details. Demgegenüber waren die Vorbereitungsarbeiten für den schließlich 1998 geschaffenen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) stets in der Hand der GV und nicht des SR. Ab dem Jahre 1992 wurde dieses Projekt von der GV in jährlichen Resolutionen vorangetrieben. 55 Seit der Annahme des Statuts von Rom am 47 Das Jugoslawien-Tribunal (ICTY) wurde mit SR Res. 827 (1993), das Ruanda-Tribunal (ICTR) mit SR Res. 955 (1994) etabliert. 48 Vgl. z. B. GV Res. 48/88, para. 24; GV Res. 49/196, para. 8. 49 Vgl. z. B. GV Res. 48/251: in ihr fordert die GV etwa einen detaillierten Budgetplan für das Jugoslawien-Tribunal vom Generalsekretär, samt Begründung für notwendige Personalkosten. 50

Insbes. GV Res. 47/235, paras. 2 und 3; GV Res. 49/242 B paras. 17 und 18. Z. B. GV Res. 48/461, 49/242, 51/214, 53/212, 55/249, 56/247, 57/288, 58/255. 52 SR Res. 1165 und 1166 (1998) schaffen zusätzliche Verfahrenskammern. Weiters befasst sich der SR mit der Zusammensetzung der Kammern, mit der Zahl und dem Status der Richter der Tribunale ebenso wie mit der Position des Anklägers: z. B. in SR Res. 1329 (2000), 1411, 1431 (2002), 1481, 1503, 1512 (2003). 53 SR Res. 1503 (2003), 1534 (2004). 54 So nimmt etwa der SR in Res. 1482 (2003) die Fallzuteilung für einige Richter des ICTR vor. 51

55 GV Res. 47/33, 48/31, 49/53, 50/46, 51/207, 52/160. Die GV begleitet in diesen Resolutionen die verschiedenen Stadien der Erarbeitung des ICC-Statuts. Z. B. wurde die ILC aufgefordert, den Entwurf des Statuts voranzutreiben, Staaten angehalten, schriftliche Stellungnahmen abzugeben, verschiedene Ausschüsse eingesetzt, um die wichtigsten Fragen das Statut betreffend zu bearbeiten, und schließlich 1998 eine diplomatische Konferenz anberaumt, um das ICC-Statut zu finalisieren und anzunehmen.

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17.7.1998 urgiert die GV periodisch seine Unterzeichnung und Ratifikation. 56 Der SR scheint dagegen - unter dem Druck der USA - eher in die gegenteilige Richtung zu gehen und zu versuchen, in die ungestörte Arbeit des ICC einzugreifen. 57 Die Schaffung des Sondergerichtshofes für Sierra Leone wurde wiederum vom SR betrieben. Zwar wurde der Sondergerichtshof nicht wie die beiden Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda direkt durch Resolution des SR geschaffen, sondern kam durch einen Vertrag zwischen den V N und der Regierung von Sierra Leone zustande. Der SR machte allerdings in der Res. 1315 (2000), in der er den Generalsekretär aufforderte, mit der Regierung von Sierra Leone eine Vereinbarung über die Schaffung des Sondergerichtshofes auszuhandeln, einigermaßen präzise Vorgaben über die sachliche und personelle Reichweite der Rechtsprechung desselben. In weiteren Resolutionen betrieb der SR die Schaffung des Sondergerichtshofes, 58 begrüßte dessen Etablierung 59 und drückte seine Unterstützung für ihn aus.60 Die GV übernahm als außergewöhnliche Maßnahme einen Teil der Finanzierung des Sondergerichtshofes für das Jahr 2004, 61 nachdem der SR seine Besorgnis über die prekäre finanzielle Situation desselben geäußert hatte;62 nicht ohne daraufhinzuweisen, dass der Sondergerichtshof seine Arbeit bis Ende 2005 erledigt haben sollte. 63

56

GV Res. 53/105, 54/105, 55/155, 56/85, 57/23, 58/79. Vgl. z. B. SR Res. 1422 (2002) und 1487 (2003), in denen der SR U N Personal, welches an friedenserhaltenden Operationen teilnimmt, eine 12-monatige Verfolgungsfrei heit vor dem ICC gewährt. Im Jahr 2004 wurde allerdings keine solche SR Resolution mehr verabschiedet. Zur Kritik an den Resolutionen vgl. u. a. Schabas: „Resolution 1422 was an abuse of the powers of the Security Council" und „Resolution 1422 is an ugly example of bullying by the United States, and a considerable stain on the credibility of the Security Council." (Schabas, An Introduction to the International Criminal Court, 2. Aufl., 2004, 84 und 85.). Vgl. weiters Kirsch/Holmes/Johnson, die bezüglich Res. 1422 feststellen: ,,[T]he resolution ... represents one of the most chilling decisions by a U N organ with respect to international justice. The adoption of the resolution ... was clearly a case of realpolitik trumping the principles of justice and the fight against impunity." (Kirsch/Holmes/ Johnson, International Tribunals and Courts, in: Malone (Hrsg.), Tlie U N Security Council: From the Cold War to the 21st Century, 2004, 281 (282)); oder Rawski/Miller: „The Security Council's continued acquiescence to U.S. preferences for regional, ad hoc criminal justice risks setting up an opposition between an ad hoc, Council-controlled model [ICTY, ICTR] and a permanent model [ICC] ...". {Rawski/Miller, The United States in the Security Council: A Faustian Bargain?, in: Malone (Hrsg.), The U N Security Council: From the Cold War to the 21st Century, 2004, 357 (363 f.)). 58 SR Res. 1370 (2001), para. 17. 59 SR Res. 1400 (2002), para. 9. 60 SR Res. 1436 (2002), para. 10; SR Res. 1470 (2003), para. 11. 61 GV Res. 58/284. Im Fall genügend freiwilliger Beiträge ist - so die GV - der entsprechende Betrag den V N zurückzuerstatten. 62 SR Res. 1508 (2003), para. 6. 63 GV Res. 58/284, para. 5. 57

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I I I . Kooperation Die wohl wichtigste Rolle der GV bei der Kooperation mit dem SR besteht in der schon angesprochenen Beschlussfassung über die Finanzierung der vom SR beschlossenen Maßnahmen. Dies bedeutet, dass alle Maßnahmen des SR, welche finanzielle Mittel erfordern, insbesondere friedenserhaltende Operationen, auch der Billigung der GV bedürfen. Die GV verabschiedet diese Beschlüsse meist für jeweils sechs Monate, manchmal aber auch für einen kürzeren Zeitraum. Der SR kann in diesem Bereich also keineswegs völlig selbständig agieren, sondern ist von der Zustimmung der GV abhängig. Eine Verweigerung der Finanzierung durch die GV würde die entsprechenden Maßnahmen unmöglich machen. Es ist eine interessante theoretische Frage, ob der SR, im Falle einer Verweigerung der Finanzierung durch die GV, kraft seiner Befugnisse unter Kapitel V I I UN-Charta, alle oder einige Mitglieder zur Erbringung auch finanzieller Leistungen verbindlich auffordern könnte. 64 Die Reaktion der GV im Zusammenhang mit der Finanzierung des Jugoslawien-Tribunals deutet daraufhin, dass sie eine ausschließliche Budgetkompetenz auch für Aktionen des SR nach Kapitel V I I beansprucht. Eine besondere Form der Zusammenarbeit zwischen GV und SR zeigt sich im Zusammenhang mit dem Problem des Terrorismus und der vermehrten Aktivität des SR in diesem Bereich. Der SR verhilft hier einigen von der GV verabschiedeten Abkommen zur innerstaatlichen Implementierung. 65 So verpflichtete der SR nach den Angriffen vom 11.9.2001 die Staaten, eine Reihe von Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen. 66 Viele dieser Maßnahmen, die zumeist auch eine entsprechende Anpassung der nationalen Gesetzgebung erforderten, waren schon in früheren von der GV angenommenen Abkommen enthalten (vor allem in der 1999 Internationalen Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus 67 und der 1997 Internationalen Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge68), die allerdings nur unzureichend ratifiziert bzw. noch gar nicht in Kraft getreten waren (wie die 1999 Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus). Der SR machte insofern von seinen besonderen Kompetenzen im Rahmen des Kapitels V I I Gebrauch und er-

64

Vgl diesbezüglich Szasz, Centralized and Decentralized Law Enforcement: The Security Council and the General Assembly Acting under Chapters V I I and VHI, in: Delbrück (Hrsg.), Allocation of Law Enforcement Authority in the International System, 1995, 19 (35 ff.). 65

Vgl. De Jonge Oudraat, The Role of the Security Council, in: Boulden/Weiss (Hrsg.), Terrorism and the UN: Before and after September 11, 2003, 151 (161). 66 Vgl. insbes. SR Res. 1373 (2001). Für eine detaillierte Liste der vom SR initiierten Maßnahmen siehe Wüstenhagen, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus - Versuch einer Chronologie, in: von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO: Die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, 2003, 101 (135 f.). 67 68

Angenommen durch GV Res. 54/109. Die Konvention trat am 10.4.2002 in Kraft. Angenommen durch GV Res. 52/164. Die Konvention trat am 23.5.2001 in Kraft.

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griff Maßnahmen, zu denen die GV institutionell nicht in der Lage wäre. 69 Das schon zuvor bei der Kompetenzabgrenzung gezeichnete Bild der Aufgaben Verteilung wiederholt sich dementsprechend im gezielten Zusammenwirken der beiden Organe: der SR ergreift die konkrete Aktion; die GV wirkt legitimierend als kollektives Forum 70 und bereitet - durch die legislative Arbeit ihrer Ausschüsse, aber auch indem sie etwa Institutionen fördert, die Staaten bei der Umsetzung der Antiterrorkonventionen technisch unterstützen - 7 1 gleichsam den Boden für die Maßnahmen des SR. 72

IV. Ersatzvornahmen Die vor dem Hintergrund der Uniting for Peace Resolution wohl interessanteste Frage besteht darin, ob die GV allfällige Lücken, die sich in der Tätigkeit des SR auftun, schließen kann. Dabei muss man selbstverständlich davon ausgehen, dass die GV nicht dieselben juristischen Möglichkeiten hat und, anders als der SR, keine verbindlichen Beschlüsse nach Art. 25 UN-Charta fassen kann. Eine derartige Situation wäre vor allem dort zu erwarten, wo unmittelbare Interessen von ständigen Mitgliedern des SR betroffen sind, ein wirksames Einschreiten des SR also unmöglich ist. Ein Beispiel für eine derartige Konstellation ist eine Serie von GV Beschlüssen über militärische Aktivitäten von Kolonialmächten in Territorien unter ihrer Verwaltung. Diese Beschlüsse missbilligen derartige Aktivitäten. Sie wurden gegen die Stimmen von vier ständigen Mitgliedern des SR (Frankreich, Russland, UK, USA) von der GV angenommen.73 Möglicherweise gehören auch zwei Resolutionen der GV aus den Jahren 1992 und 1993 über den vollständigen Abzug ausländischer militärischer Einheiten aus den Baltischen Staaten in diese Kategorie. 74 In anderen Fällen hat sich die GV als weniger mutig erwiesen. Sie vertagt alljährlich einen Tagesordnungspunkt betreffend den Luft- und Seeangriff der USA 69

Vgl. Peterson , Using the General Assembly, in: Boulden/Weiss (Hrsg.), Terrorism and the UN. Before and after September 11, 2003, 173 (173 f.). 70 Vgl. etwa GV Res. 54/110, 55/158, 56/88, 57/27, 58/81 mit dem Titel „Measures to eliminate international terrorism", die dieselbe Stoßrichtung wie die Resolutionen des SR nehmen. 71 Z. B. GV Res. 58/136 „Strengthening international cooperation and technical assistance in promoting the implementation of the universal conventions and protocols related to terrorism within the framework of the activities of the Centre for International Crime Prevention". 72

Vgl. in diesem Zusammenhang Peterson, der die begrenzten Aktionsmöglichkeiten der GV als rein zwischenstaatliches Forum beschreibt, in dem jedoch alle Staaten der Welt vertreten seien, was ihr beträchtliche Legitimität verleihe, und zu dem Schluss kommt: „It [the General Assembly] is able to serve as a developer of normative discourse and an encourager of cooperative action." (Peterson (Fn. 69), 173). 73 GV Beschlüsse 48/421, 49/417, 51/427. 74 GV Res. 47/21,48/18.

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gegen Libyen aus dem Jahre 1986 ohne meritorische Beschlussfassung. 75 Ähnlich ergeht es einem Tagesordnungspunkt über die Zerstörung des irakischen Kernreaktors durch Israel im Jahre 1981. Er wird ebenfalls alljährlich vertagt. 76 In bestimmten Bereichen lässt sich aber durchaus ein konkretes Vorgehen der GV beobachten, wo der SR nicht die gewünschten Aktivitäten gesetzt hat. Bekanntlich hat sich der SR im Falle Südafrikas seinerzeit lediglich zu einem Waffenembargo durchringen können.77 Die GV hat den Umstand, dass gewisse westliche ständige Mitglieder des SR umfassendere Sanktionen verhindert haben, ausdrücklich kritisiert. Darüber hinaus hat sie alle Mitglieder aufgefordert, die erforderlichen Maßnahmen zur völligen Isolierung Südafrikas, einschließlich eines Erdölembargos, zu treffen. Diese Aufforderung galt bis zur Ergreifung entsprechender Maßnahmen durch den SR. 78 Anlässlich des Übergangs zu demokratischen Machtverhältnissen in Südafrika im Jahre 1993 wurden diese Sanktionen von der GV ausdrücklich zu einem bestimmten Stichtag aufgehoben. 79 Das Beispiel zeigt, dass die GV manchmal die Befugnis beansprucht, Zwangsmaßnahmen in Analogie zum Art. 41 UN-Charta zu verhängen. Gelegentlich geht die GV sogar so weit festzustellen, dass eine bestimmte Situation eine Friedensbedrohung oder eine Angriffshandlung darstelle. Derartige Feststellungen wurden etwa in Zusammenhang mit Südafrikas Apartheidpolitik und seiner Besetzung Namibias 80 , bezüglich Israels Besetzung der Golan Höhen 81 und der israelischen Aktivitäten auf besetztem palästinensischem Gebiet 82 , aber auch bezüglich der Situation in Bosnien und Herzegowina 83 getroffen. Hier geht die GV also ganz offenbar in Analogie zum Art. 39 der Satzung vor. Der Art. 39 UN-Charta gilt aber natürlich nur für den SR. Die juristische Bedeutung einer derartigen Feststellung durch die GV bleibt also unklar. Es gibt keinen Hinweis dafür, dass die GV meint, sie könne Zwangsmassnahmen erst nach einer derartigen Feststellung empfehlen. Ersatzvornahmen der GV bei Untätigkeit des SR sind natürlich nur möglich, wenn sich dafür die nach Art. 18 Abs. 2 UN-Charta erforderliche Zweidrittelmehrheit findet. Die Vorgänge um den Kosovo im Jahre 1999 veranschaulichen 75 GV Beschlüsse 42/457, 43/417, 44/417, 45/429, 46/436, 47/463, 48/435, 49/444, 50/422, 51/432, 52/430, 53/425, 54/424, 55/430, 56/449. 76 GV Beschlüsse 45/430, 46/442, 47/464, 48/436, 49/474, 50/444, 51/433, 52/431, 53/426, 54/425, 55/431, 56/450, 57/519. 77

SR Res. 418 (1977). GV Res. ES-8/2,36/121 B, 36/172,37/69,37/233,38/39,39/72,40/64,41/35,41/39, 42/23, 43/50, 44/27, 45/176, 46/79, 47/116. 79 GV Res. 48/1. 78

80 81 82 83

GV GV GV GV

Res. 41/39 A, paras. 7 und 17. Res. 47/63 A, para. 7. Res. ES-10/2, Präambel. Res. 49/10, Präambel.

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dieses Problem. Die GV hatte sich schon seit dem Jahre 1994 regelmäßig mit der Kosovofrage befasst. 84 In diesen Resolutionen hatte sie sich stets sehr besorgt über die Menschenrechtslage in dieser Provinz gezeigt. Alle diese Resolutionen wurden mit großer Mehrheit aber gegen die Stimme Russlands angenommen. 1998 wurde der SR tätig. Angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen stellte er gemäß Art. 39 UN-Charta fest, dass die Situation eine Friedensbedrohung darstelle. 85 Er berief sich auf Kapitel V I I der Satzung und verhängte ein Waffenembargo gegen Jugoslawien.86 Überdies drohte der SR weitere Maßnahmen an, falls seine Forderungen nicht erfüllt werden sollten.87 Gleichzeitig pochte er auf seine primäre Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Friede und Sicherheit. 88 Eine Ermächtigung zum militärischen Einschreiten, wie er dies 1990 gegen den Irak und später auch in Somalia, Ruanda, Bosnien und Herzegowina, Haiti und Osttimor getan hatte, gab der SR aber nicht. Eine derartige Ermächtigungsresolution des SR war im Falle Kosovo wegen der Haltung Russlands nicht möglich. Angesichts des dringenden Handlungsbedarfs wäre ein Tätigwerden der GV in dieser Situation nahe liegend gewesen und hätte wohl dem Geiste der Uniting for Peace Resolution entsprochen. Allerdings war klar, dass sich in der GV keine Mehrheit für eine Ermächtigung der NATO zu Angriffen auf Jugoslawien finden würde. Die Entwicklungsländer betrachten Aktionen des westlichen Militärbündnisses eher mit Skepsis und Besorgnis. Weniger als einen Monat vor dem Beginn der NATO Angriffe verabschiedete die GV noch eine detaillierte Resolution zum Thema Kosovo. 89 Diese Resolution enthält hoffnungsvolle Aufforderungen an die Jugoslawische Regierung 90 aber keinerlei Hinweise auf die Billigung eines militärischen Einschreitens. Die NATO Luftangriffe erfolgten dann ohne Ermächtigung durch den SR oder Billigung durch die GV. Diese Luftangriffe wurden in nachfolgenden Resolutionen des SR und der GV weder begrüßt noch verurteilt. Allerdings bejahten beide Organe die daraus resultierenden politischen Arrangements.91 Mit dem von der GV beim IGH angeforderten Gutachten zum Mauerbau scheint sich die GV nunmehr einen neuen Bereich in der Kategorie der Ersatz vornahmen zu erschließen. Vor dem Hintergrund der von Israel teilweise auf palästinensischem Gebiet errichteten Trennmauer ersuchte am 8.12.2003, im Rahmen der

84 85 86 87 88 89

GV Res. 47/147, 49/196, 49/204, 50/190, 50/193, 51/111, 52/139. SR Res. 1199 (1998), Präambel; SR Res. 1203 (1998), Präambel. SR Res. 1160(1998), para. 8. SR Res. 1199 (1998), para. 16. SR Res. 1203 (1998), Präambel. GV Res. 53/164.

90

Vgl. etwa GV Res. 53/164 paras. 5, 6 und 7, in denen die GV die jugoslawische Regierung auffordert, die Menschenrechte zu achten, terroristische Akte zu verurteilen und sofort in sinnvolle Gespräche einzutreten. 91

SR Res. 1239, 1244 (1999); GV Res. 54/183.

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zehnten Emergency Special Session, 92 eine sehr geteilte G V 9 3 den I G H , die Rechtmäßigkeit des israelischen Mauerbaus auf besetztem palästinensischen Gebiet zu beurteilen. 9 4 Der SR hatte am 14.10.2003 einen entsprechenden Resolutionsentwurf, 9 5 der den Mauerbau verurteilt hätte, nicht angenommen, da die U S A ihr Veto eingelegt hatten. 9 6 Die Kernaussagen 97 des Rechtsgutachtens v o m 9.7.2004, i n dem der I G H unter anderem feststellt, dass der Mauerbau Völkerrecht verletze, wurden dann von der G V in der Präambel der Res. ES-10/15 zitiert. Weiters fordert die G V Israel, ebenso wie alle Mitgliedstaaten der V N auf, ihre Verpflichtungen, wie sie i m Gutachten festgehalten werden, zu erfüllen und beschließt, die Umsetzung der Resolution weiter zu verfolgen. 9 8 Durch diese Vorgangsweise verleiht die G V ihrer Stellungnahme zum Mauerbau (den die G V schon i n einer i m Oktober 2003 angenommenen Resolution verurteilt hatte) 9 9 mehr Gewicht. Stützt sie sich doch nunmehr, in Res. ES-10/15, auf das Gutachten des I G H . D i e G V stärkt so - unter Berufung auf die Autorität des I G H - ihre Stellung gegenüber SR und Staatengemeinschaft. 100 Festzuhalten bleibt i n diesem Zusammenhang allerdings, dass diese A r t der Ersatzvornahme durch Zuziehung des I G H nur bei

92 Die zehnte Emergency Special Session zur Palästinafrage war, wie ebenfalls einleitend ausgeführt, erstmals im April 1997 zusammengerufen worden, nachdem zwei Resolutionsentwürfe bezüglich israelischer Siedlungen im besetzten palästinensischen Gebiet (S/1997/199) und (S/1997/241) durch das Veto der USA abgeschmettert worden waren. 93 GV Res. ES-10/14. Bei einem Abstimmungsverhalten von 90 : 8 : 74 lehnten etwa die USA und Israel, aber auch Australien und Äthiopien ab, den IGH um ein Rechtsgutachten zu ersuchen. 94

Vgl. GV Res. ES-10/14, in der die GV dem IGH folgende Frage vorlegte: „What are the legal consequences arising from the construction of the wall being built by Israel, the occupying Power, in the Occupied Palestinian territory, including in and around East Jerusalem, as described in the report of the Secretary-General, considering the rules and principles of international law, including the Fourth Geneva Convention of 1949, and relevant Security Council and General Assembly Resolutions?" 95

Res. Entwurf S/2003/980. Meeting Record, S/PV. 4842. Auf Basis dieser Befassung des SR mit dem Mauerbau bejahte der IGH ausdrücklich die Kompetenz der GV, das Ansuchen um ein Rechtsgutachten zu stellen. (IGH, Construction of a Wall (Fn. 7), Rn. 28). Dem israelischen Vorbringen, dass die GV ultra vires gehandelt habe, folgte der IGH nicht. 96

97 Im Gutachten zum Mauerbau stellte der IGH beispielsweise fest, dass der Mauerbau eine Völkerrechtsverletzung darstelle; dass Israel verpflichtet sei, den Mauerbau einzustellen; dass alle Staaten verpflichtet wären, die rechtswidrige Situation, die durch den Mauerbau geschaffen werde, nicht anzuerkennen; und dass es Aufgabe der V N (insbes. der GV und des SR) wäre, weitere Maßnahmen zu überlegen. (Vgl. IGH, Construction of a Wall (Fn. 7), Rn. 163 A, B, D, E). 98

Res. ES-10/15, paras. 2, 3 und 5. Die GV hatte Israel am 21.10.2003 aufgefordert, den Mauerbau einzustellen, der eine Völkerrechtsverletzung darstelle. (Vgl. GV Res. ES-10/13, para. 1). 100 Für eine Stärkung der Rolle der GV in Friedenssicherungsangelegenheiten allgemein argumentiert beispielsweise Österdahl, The Continued Relevance of Collective Security under the UN: The Security Council, Regional Organizations and the General Assembly, Finnish Yearbook of International Law 10 (1999), 103 (132 ff.). 99

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rechtlich einigermaßen eindeutigen Fragestellungen, bei denen die Auffassungen der GV genügend Grundlage im Völkerrecht haben, möglich ist.

V. Aufforderungen Eine etwas schwächere Form des Eingreifens der GV besteht darin, den SR aufzufordern, seine Aufgaben zu erfüllen. Dies hat die GV auch wiederholt getan. Beispiele dafür finden sich in Resolutionen zu Südafrika, zu Bosnien und Herzegowina und zu Palästina. Im Falle Südafrika etwa hat die GV den SR wiederholt dringend aufgefordert, umfassende Maßnahmen nach Kapitel V I I der Satzung zu ergreifen, insbesondere das Waffenembargo zu verstärken und effektiver zu gestalten und ein Erdölembargo zu verhängen. 101 Die Staaten, welche im SR gegen derartige Maßnahmen gestimmt hatten, wurden beim Namen genannt und nachdrücklich aufgefordert, ihre Haltung zu ändern. 102 Die Nichterfüllung der Aufgaben des SR zur Erhaltung von Friede und Sicherheit in diesem Zusammenhang wurde von der GV mit Bestürzung quittiert („Expresses its dismay at the failure ... of the Security Council to discharge effectively its responsibilities") 103 . Ein ähnliches Bild bietet sich in mehreren Resolutionen der GV zu Bosnien und Herzegowina. Der SR wurde dringend aufgefordert, angemessene Maßnahmen nach Kapitel V I I der Satzung zu ergreifen. 104 Insbesondere wurde der SR aufgefordert, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen, alle erforderlichen Mittel zu ergreifen, um die Souveränität, politische Unabhängigkeit und territoriale Integrität von Bosnien und Herzegowina zu bewahren. 105 Der SR wurde also von der GV gedrängt, eine Ermächtigung zum militärischen Einschreiten durch die Mitglieder auszusprechen. Überdies wurde der SR von der GV in diesen Resolutionen aufgefordert, Bosnien und Herzegowina vom Waffenembargo gegen das gesamte ExJugoslawien auszunehmen.106 Auch die Errichtung des Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien durch den SR wurde zunächst von der GV urgiert. 107 Wie erinnerlich hat der SR einem Teil dieser Aufforderungen entsprochen, einem anderen Teil aber nicht. Im Falle Palästinas hat die GV den SR mehrfach aufgefordert, sich mit der Situation in den von Israel besetzten Gebieten zu beschäftigen. 108 101

GV Res. 41/35, 41/39, 45/176, 46/79. GV Res. 41/35 B, para. 5. 103 GV Res. 41/39 A, para.15 104 Z. B. GV Res. 46/242, para. 5; GV Res. 48/88, paras. 5, 15 und 17; GV Res. 49/10, paras. 21,22 und 24. 102

105

Z. B. GV Res. 47/121, para. 7 lit. a.

106

GV Res. 47/121, para. 7 lit. b; GV Res. 48/88, para. 17; GV Res. 49/10, para. 22. GV Res. 47/121, para. 10. GV Res. 45/69, para. 6; GV Res. 46/76, para. 7; 47/64 E, para. 6.

107 108

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Eine andere Art der - wenn auch sehr mittelbaren Aufforderung - war im Zusammenhang mit den vom SR verhängten Sanktionen gegen den Irak 1 0 9 zu beobachten. Hier verwies die GV den SR mehrmals auf die nachteiligen Folgen der Sanktionen für die Zivilbevölkerung, indem sie die abschließenden Bemerkungen der in der Frage kompetenten Menschenrechtsschutzorgane (Menschenrechtsausschuss, Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Kinderrechtsausschuss u. a.) zitierte, die auf die nachteiligen Auswirkungen der Sanktionen auf die irakische Bevölkerung hingewiesen hatten. 110 Die GV „erinnert" den SR gleichsam an Menschenrechtsaspekte, die bei Sanktionen im Rahmen der Friedenssicherung zu beachten sind. Sie fungiert quasi als moralische Instanz in Sachen Menschenrechte 111 und fordert den SR implizit auf, diese in seine Sanktionspolitik miteinzubeziehen. Die weitgehende Lockerung der Sanktionen durch SR Res. 1409 (2002) wurde dann von der GV auch ausdrücklich begrüßt. 112

V I . Parallelaktionen Bei einem Teil der Tätigkeit der GV zu Fragen von Frieden und Sicherheit handelt es sich eher um eine Verdoppelung der Bemühungen des SR. Dieses parallele Tätigwerden kann natürlich auch als eine Unterstützung oder Verstärkung der Beschlüsse des SR nach der Devise „doppelt hält besser" gesehen werden. 113 So gibt es unzählige Resolutionen, in welchen sich die GV auf Resolutionen des SR beruft oder diese unterstützt. Gelegentlich setzt die GV, auch wenn sie dem SR nicht widerspricht, gewisse andere Akzente. Dies lässt sich etwa bei der Lektüre der zahlreichen Resolutionen zum Nahen Osten beobachten. Die Resolutionen beschäftigen sich oft mit denselben Themen. Die Resolutionen des SR sind aber meist viel kürzer und in ihrer Kritik an Israel weniger prononciert. 114 Man spürt die schützende Hand des ständigen Mitglieds Vereinigte Staaten. Die Resolutionen der 109

Relevant sind hier insbes.: SR Res. 661, 665 (1990), 678, 687 (1991).

110

Vgl. GV Res. 54/178, 55/115, 56/174 zur Menschenrechtslage im Irak, Präambel. Dies erscheint insbes. im Fall des Irak wichtig, wo das vom SR eingesetzte Sanktionskomitee aufgrund seines Mangels an Transparenz und seiner Weigerung, das Oil-for/ooJ-Programm auszudehnen, scharf kritisiert wurde. Vgl. in diesem Sinn De Wet: „In the light of the severe consequences that this has had for the right to life and the right to health within Iraq, the lack of transparency has ultimately contributed to a monitoring mechanism which could not protect core human rights and was therefore in bad faith." (De Wet, The Chapter V I I Powers of the United Nations Security Council, 2004, 235). Zur Kritik an den vom SR eingesetzten Sanktionskomitees vgl. auch Koskenniemi (Fn. 4), 462. 112 GV Res. 57/232. 113 Vgl. den IGH: ,,[T]here has been an increasing tendency over time for the General Assembly and the Security Council to deal in parallel with the same matter concerning the maintenance of international peace and security ..." (IGH, Construction of a Wall (Fn. 7), Rn. 27). 111

114

Z. B. SR Res. 672, 681 (1990), 694 (1991), 726, 799 (1992), 904 (1994), 1073 (1996), 1322 (2000), 1397 1402, 1403, 1405 (2002), 1515 (2003), 1544 (2004).

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GV zum Nahen Osten sind häufiger, länger und viel schärfer in ihrem Ton. 115 Sie sind offenbar auch ein Ventil für die Frustration der Mehrheit über die Unerreichbarkeit gewisser Ziele im SR. Auch konzentriert sich die G V auf eine Verurteilung der israelischen Handlungen,116 während der SR seine Kritik an israelischen Aktivitäten zumeist mit einer Verurteilung terroristischer Akte und entsprechenden Forderungen an die palästinensischen Autoritäten verbindet. 117 Die Vereinigten Staaten stimmen in der GV meist gegen diese Resolutionen, gelegentlich enthalten sie sich auch der Stimme. Derartige Stimmenthaltungen in der GV sind aber natürlich noch kein Hinweis darauf, dass die USA kein Veto gegen eine Resolution von ähnlicher Schärfe im SR einlegen würde. Auch der israelische Angriff auf den UNIFIL-Stützpunkt im Libanon im Jahr 1996 wurde von der GV weitaus schärfer verurteilt als vom SR. 118 So entsprach die von der GV verabschiedete Resolution einem Entwurf, der zuvor im SR abgelehnt worden war. 119 Der SR hatte sich in der Folge für eine abgeschwächte Resolution entschieden, in der Israel nicht direkt verurteilt wurde. 120 Ein weiteres Spezifikum vieler GV Resolutionen, in Fällen, in denen die GV neben dem SR in Friedenssicherungsangelegenheiten tätig wird, ist eine gewisse Schwerpunktsetzung auf dem Gebiet der Menschenrechte, der humanitären Hilfe und dem Recht auf Selbstbestimmung.121 Dementsprechend behandelt die GV in wiederholten Resolutionen die Menschenrechtssituation in Palästina ausführlicher und detaillierter als der SR; sie verabschiedete z. B. eine eigene Resolution über die Situation und Unterstützung von palästinensischen Kindern 122 und alljährliche Resolutionen zur Anwendbarkeit des Genfer Abkommens zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten im besetzten palästinensischen Gebiet einschließlich 115

Z. B. GV Res. 45/69,46/76,47/63 A, 48/59 B, 50/22 C, 52/67, 53/53,54/79, 55/133, 56/63, 57/127, 58/98. 116 Vgl. z. B. GV Res. 55/132,56/61,57/126,58/98: „Israeli settlements in the Occupied Palestinian Territory ..."; GV Res. 55/133, 56/62, 58/99: „Israeli practices affecting the human rights of the Palestinian people ..."; GV Res. 55/130, 56/59, 57/124: „Work of the Special Committee to Investigate Israeli Practices Affecting the Human Rights of the Palestinian People and Other Arabs of the Occupied Territories". 117

Vgl. z. B. SR Res. 1397, 1435 (2002). Vgl. GV Res. 50/22 C. Die GV Resolution wurde allerdings mit nur 64 Pro-Stimmen (bei 2 Gegenstimmen und 65 Enthaltungen) angenommen. 119 Der erste Resolutionsentwurf (S/1996/292), der von 19 arabischen Staaten eingebracht worden war, wurde mit nur 4 Pro-Stimmen bei 11 Enthaltungen abgelehnt. (Press Release SC/6208 vom 18.4.1996). 118

120

SR Res. 1052(1996). In diesem Sinn White, Keeping the peace: The United Nations and the maintenance of international peace and security, 2. Aufl., 1997,169. Vgl. weiters den IGH im Gutachten zum Mauerbau: „ I t is often the case that, while the Security Council has tended to focus on the aspects of such matters related to international peace and security, the General Assembly has taken a broader view, considering also their humanitarian, social and economic aspects." (IGH, Construction of a Wall (Fn. 7), Rn. 27). 121

122

GV Res. 57/188, 58/155.

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Jerusalems und der anderen besetzten arabischen Gebiete 123 ; andere Resolutionen behandeln die Beeinträchtigung der Menschenrechte des palästinensischen Volkes durch israelische Maßnahmen124. Auch die Frage humanitärer Hilfe wird von der GV ausführlich thematisiert. 125 Zu guter Letzt bekräftigt die GV das Recht auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes 126 ebenso wie seine permanente Souveränität über natürliche Ressourcen 127. Diese Aspekte fehlen in den SR Resolutionen zur Palästina-Frage. Die Situation in Afghanistan führte ab Mitte der 90er Jahre ebenfalls zu einem gewissermaßen parallelen Tätigwerden von GV und SR, wobei sich die Resolutionen der GV insbesondere zwischen Ende 1998 und 2001 von jenen des SR unterschieden. Schon seit Beginn der 90er Jahre - also vor jedem diesbezüglichen Tätigwerden des SR - hatte die GV kontinuierlich ein Schwergewicht auf die nationale politische Versöhnung, Stabilität und den Wiederaufbau Afghanistans gelegt und Staaten zur Unterstützung derselben aufgefordert; ein Engagement, das sie bis dato beibehalten hat. 128 Gleichzeitig betonte die GV konstant die problematische Sicherheitslage bzw. die fragile Situation in Afghanistan, die als Risiko für den regionalen Frieden und die Stabilität der Region betrachtet wurden. 129 Die Resolutionen des SR zu Afghanistan 130 hatten zunächst eine ähnliche Stoßrichtung wie jene der GV. Gegen Ende der 90er Jahre trat jedoch das Phänomen des internationalen Terrorismus, der als Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit wahrgenommen wurde, in den Vordergrund. 131 Nach der 123 124 125 126 127

Z. B. GV Res. 55/131, 56/60, 58/97. Z. B. GV Res. 55/133, 56/62, 58/99. Z. B. GV Res. 55/173, 56/111, 58/113: „Assistance to the Palestinian People". Vgl. GV Res. 58/163 GV Res. 56/204, 58/229.

128

Vgl. GV Res. 47/119, 48/208, 49/140, 50/88, 51/195, 52/211, 53/203, 54/189, 55/174, 56/220, 57/113, 58/27. Die Resolutionen der GV unterteilen sich seit GV Res. 50/88 vom 19.12.1995 in zwei Teile A und B: in „Emergency international assistance for peace, normalcy and reconstruction of war-stricken Afghanistan" und in „The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security". 129 Vgl. z. B. GV Res 50/88 B, Präambel; GV Res. 52/211 B, Präambel; GV Res. 56/220 A, para. 2; GV Res. 57/113 A, para. 2; GV Res 58/27 A, para. 3. 130 Z. B. SR Res. 1076 (1996), 1193 (1998). 131 In Res. 1214 (1998) sah der SR die Unterdrückung des Terrorismus als essentiell für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit. In Res. 1267 (1999) erließ der SR Sanktionen (Landeverbot für talibanische Maschinen, Sperrung talibanischer Gelder) im Rahmen des Kapitels VII, um die Taliban zur Auslieferung Osama Bin Ladens zu veranlassen. In SR Res. 1333 (2000) wurde ein Waffenembargo verhängt und den Taliban Beschränkungen des diplomatischen Verkehrs auferlegt; die Taliban wurden weiters (zum wiederholten Mal) aufgefordert, gegen Terroristen auf ihrem Gebiet vorzugehen und Trainingslager für Terroristen zu schließen. SR Res. 1363 (2001) war bestrebt, durch Initiierung eines Monitoring Mechanism die effektive Implementierung der Sanktionen sicherzustellen.

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Vertreibung der Taliban, im November 2001, änderte sich der Tenor der SR-Resolutionen abermals. Nunmehr traf der SR umfassende Regelungen für den Wiederaufbau Afghanistans: er warb um internationale Hilfe und Unterstützung; 132 installierte die International Security Assistance Force (ISAF) 133 und die United Nations Assistance Mission (UNAMA) 1 3 4 und unterstützte schließlich die Abhaltung der 2004 geplanten Wahlen. 135 Setzt man die Resolutionen des SR in globaleren Zusammenhang, fällt die USEinflussnahme auf die SR Agenda auf. 136 So entspricht das verstärkte Vorgehen des SR gegen Terrorismus der harten Linie der Vereinigten Staaten, die nach der Bombardierung ihrer Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998 propagiert wurde. 137 Die umfassenden Wiederaufbauarrangements des SR erfolgen nach der Beendigung der von den USA geführten Militärintervention und ergänzen diese. 138 Die SR Resolutionen reflektieren gewissermaßen die Interessen der Vereinigten Staaten, während die GV durchgehend die anstehenden Probleme Afghanistans ins Zentrum ihrer Resolutionen stellt. Parallel bis komplementär agierten GV und SR in Somalia in den frühen neunziger Jahren (1992-95). Sowohl der SR 139 als auch die G V 1 4 0 befassten sich mit der dramatischen humanitären Situation dieses Landes. Allerdings setzte der SR einen eher sicherheitspolitisch ausgerichteten Schwerpunkt: er klassifizierte die Situation in Somalia als Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit 141 und verhängte ein Waffenembargo. 142 Die vom SR autorisierten Operationen bzw. friedenserhaltenden Truppen (UNOSOM 1 4 3 , UNITAF 1 4 4 , seit 132

Vgl. SR Res. 1378, 1383, 1386 (2001). SR Res. 1386 (2001), 1413, 1444 (2002). 134 SR Res. 1401 (2002); vgl. auch den Bericht (S/2002/278) des Generalsekretärs an den SR und SR Res. 1419 (2002). Das primäre Mandat der U N A M A ist, Menschenrechte, Geschlechterausgleich, Rechtsstaatlichkeit, nationale Versöhnung, Wiederaufbau und humanitäre Unterstützung voranzutreiben und zu fördern. 135 SR Res. 1536 (2004). 133

136 Vgl. Luck, Tackling Terrorism, in: Malone (Hrsg.), The U N Security Council: From the Cold War to the 21st Century, 2004, 85 (94). 137 Vgl. De Jonge Oudraat (Fn. 65), 151. 138 Vgl. in diesem Sinn Luck: ,,[T]he Council's silence on the U.S. military intervention in Afghanistan, while elaborating the humanitarian, administrative, political, human rights and security arrangements that should complement it, echoed the tacit division of labour developed ..." (Luck (Fn. 136), 95 f.). 139 Z. B. SR Res. 733 (1992), para. 2; SR Res. 746, 751, 767, 775, 794 (1992), 814 (1993), 897 (1994). 140 Vgl. GV Res. 47/160, 48/201, 49/21 L, 50/58 G. 141

Z. B. SR Res. 733, 751, 767, 775, 794 (1992). SR Res. 733 (1992), para. 5. Vgl. weiters SR Res. 751 (1992), para. 11; SR Res. 794 (1992), para. 16; SR Res. 954 (1994), 1407 (2002). 143 SR Res. 751 (1992). 144 SR Res. 794(1992). 142

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1993 UNOSOM I I 1 4 5 ) sollten insbesondere auch ein sicheres Umfeld für die Auslieferung humanitärer Hilfsgüter schaffen. Unter dem Eindruck von Angriffen auf U N Personal 146 zog der SR allerdings mit Ende März 1995 das gesamte UNOSOM I I Kontingent aus Somalia ab. 147 (Das Waffenembargo blieb aufrecht.) Erst 2001 befasste sich der SR wieder mit Somalia, konzentrierte sich nunmehr jedoch ganz auf die (Nicht-)Einhaltung des in SR Res. 733 (1992) verhängten Waffenembargos. 148 Die GV dagegen legte ein besonderes Augenmerk auf die problematische humanitäre Lage und rief zu entsprechenden Hilfsleistungen und Unterstützung auf. 149 Gleichzeitig setzte sie eigene Initiativen, thematisierte etwa die Auswirkungen des Konflikts auf das Bildungssystem und rief ein Stipendiensystem für Universitätsstudenten ins Leben. 150 Die GV forderte auch, nach Maßgabe der Sicherheitslage, die Entsendung von Menschenrechtsbeobachtern. 151 In Somalia beobachten wir somit insbesondere zwischen 1992 und 1995 ein sich ergänzendes Vorgehen von einem auch um humanitäre Anliegen bemühten SR und der GV. Insgesamt befasst sich allerdings die GV weitaus kontinuierlicher - seit 1988 in alljährlichen Resolutionen - mit der dramatischen humanitären Lage in Somalia, während sich der SR erst seit 2001 wieder Somalia widmet und dies de facto 152 auf Sicherheitsagenden beschränkt. Zwei weitere Beispiele sollen Parallelaktionen von SR und GV belegen. Das erste betrifft die Staaten, welche als Folge von Zwangsmaßnahmen des SR vor besondere wirtschaftliche Probleme gestellt sind. Bekanntlich können diese Staaten gemäß Art. 50 der Satzung den SR zwecks Lösung dieser Probleme konsultieren. Dies ist auch wiederholt geschehen. Die Reaktion des SR war nicht besonders wirksam. Sie bestand im Wesentlichen darin, diese Staaten an die entsprechenden Sanktionskomi tees zu verweisen und Empfehlungen an andere Staaten und Internationale Organisationen auszusprechen,153 die wirtschaftliche Situation 145

SR Res. 814 (1993); SR Res. 897 (1994), para. 2 lit. b und c. Insbes. die im Oktober 1993 in Mogadischu getöteten US-Soldaten gaben hier den Ausschlag, da Präsident Clinton im Folgenden den kompletten Rückzug der US-Truppen beorderte. Vgl. diesbezüglich Rawski/Miller (Fn. 57), 362. 146

147 148

SR Res. 954(1994). Vgl. SR Res. 1356 (2001), 1407, 1425 (2002), 1474, 1519 (2003), 1558 (2004).

149

Vgl. GV Res. 47/160, 48/201,49/21 L, 50/58 G, 51/30 G, 52/169 L, 53/1 M, 54/96 D, 55/168, 56/106, 57/154, 58/115. 150

GV Res. 47/160. GV Res. 48/146. 152 Einige Erklärungen des Präsidenten des SR geben der Situation in Somalia allerdings einen weiteren - nicht nur sicherheitsbezogenen - Kontext. (Siehe z. B. S/PRST/2002/8; S/PRST/2002/35; S/PRST/ 2003/2; S/PRST/2003/19; S/PRST/2004/3; S/PRST/2004/24). Auch in SR Res. 1425 (2002), para. 14 werden friedensbildende Maßnahmen thematisiert. 151

153

SR Res. 329 (1973), paras. 3 und 4.

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der betroffenen Staaten zu berücksichtigen. 154 Dies hat die GV bewogen, die Initiative zu ergreifen. In einer Serie von Resolutionen beschäftigt sich die GV mit dem Problem und fordert die Staaten sowie die entsprechenden Internationalen Organisationen ihrerseits auf, die Lage der betroffenen Staaten zu berücksichtigen. Überdies wird der SR aufgefordert, weitere Mechanismen zur Lösung dieses Problems zu schaffen. Diese Resolutionen beziehen sich sowohl auf das allgemeine Problem des Art. 50 der Satzung in abstracto, 155 als auch auf besondere Probleme wie sie etwa für die Donaustaaten und sonstigen Nachbarstaaten aus den Sanktionen gegen Jugoslawien entstanden.156 Solche Resolutionen der GV verfolgen zwar einen lobenswerten Zweck, es ist aber nicht erkennbar, inwieweit sie den unzureichenden Bemühungen des SR etwas Nützliches hinzufügen. Überdies sieht die Satzung eine eindeutige Zuständigkeit des SR in dieser Frage vor, welche dieser, wenn auch nicht ganz zufriedenstellend, ausübt. Das zweite Beispiel für Parallelaktionen betrifft die Aktionen der beiden Organe in Sachen Haiti. Sowohl der SR als auch die GV haben sich in den 90er Jahren in zahlreichen Resolutionen mit Haiti befasst. Schon vor dem Militärputsch hatte die GV Hilfsprogramme, einschließlich einer Gruppe von Militärbeobachtern, beschlossen.157 Der Militärputsch vom September 1991 wurde von der GV prompt verurteilt. 158 Die GV übernahm außerdem ein von der OAS ausgesprochenes Waffen- und allgemeines Handelsembargo und forderte die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nachdrücklich auf, dieses Embargo zu befolgen. 159 Überdies schuf die GV gemeinsam mit der Organization of American States (OAS) eine „International Civilian Mission to Haiti" mit dem primären Mandat der Überwachung der Einhaltung der menschenrechtlichen Verpflichtungen durch die haitianische Regierung. 160 Erst über ein halbes Jahr später griff der SR ein, erklärte die Situation in Haiti in Hinblick auf die „einzigartigen und außergewöhnlichen Umstände" zu einer Friedensbedrohung und verhängte seinerseits ein Waffen- und Handelsembargo. 161 Das Embargo des SR wurde nach einer Einigung mit den Militärmachthabern in 154

SR Res. 253 (1968), 277 (1970), 327, 329 (1973) behandeln die wirtschaftlich schwierige Situation Sambias aufgrund der Sanktionen gegen das Apartheidregime in Südrhodesien; SR Res. 669 (1990) befasst sich mit den diesbezüglichen Anfragen (vor allem Jordaniens) im Zug der Sanktionen gegen den Irak; SR Res. 843 (1993) fordert das Sanktionskomitee für Jugoslawien auf, Anfragen gem. Art. 50 UN-Charta zu untersuchen. 155 156 157 158 159 160 161

GV Res. 50/51, 51/208, 52/162, 53/107, 54/107. GV Res. 48/210, 50/58 E, 52/169. GV Res. 45/2, 45/257. GV Res. 46/7, paras. 1 und 2. GV Res. 46/7, para. 4; 47/20 A, paras. 6 und 8. GV Res. 47/20 B, 48/27 B. SR Res. 841 (1993).

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Haiti zunächst ausgesetzt,162 aber, nachdem sich diese nicht an die Einigung gehalten hatten, neu verhängt. 163 Überdies sprach der SR eine Ermächtigung an die Mitglieder aus, das Embargo, falls nötig, mit Waffengewalt durchzusetzen. 164 Der SR richtete auch eine United Nations Mission in Haiti (UNMIH) ein, diese allerdings mit einem eher auf Stärkung der allgemeinen Sicherheit und Stabilität abzielenden Mandat. 165 Die GV beklagte die Zustände in Haiti insbesondere im Bereich der Menschenrechte in mehreren Resolutionen.166 Schließlich sprach der SR im Juli 1994 eine Ermächtigung zum Gebrauch von Waffengewalt zur Vertreibung der Militärmachthaber und zur Wiedereinsetzung des demokratisch gewählten Präsidenten aus. 167 Im September 1994 landete eine multinationale Einheit erfolgreich in Haiti, die Militärmachthaber zogen sich zurück und Präsident Aristide konnte wieder sein Amt ausüben. Daraufhin hob der SR seine Sanktionen auf. 168 Eine gesonderte förmliche Beendigung der seinerzeit von der GV urgierten Sanktionen ist nicht ersichtlich. Allerdings begrüßte die GV die Rückkehr des Präsidenten und forderte die Staaten auf, mit Haiti zusammenzuarbeiten. 169 Die vom SR geschaffene United Nations Mission in Haiti konnte ihre Arbeit wieder aufnehmen. 170 Gleichzeitig übte aber auch die von der GV gemeinsam mit der OAS geschaffene International Civilian Mission to Haiti ihre Funktion weiter aus; wiederum mit dem Fokus auf Menschenrechten. 171 Nach Auslaufen des Mandats der United Nations Mission in Haiti ersetzte der SR diese durch die United Nations Support Mission in Haiti (UNSMIH). Ihre Aufgabe war die Ausbildung einer professionellen nationalen Polizei. 172 Die GV verlängerte ihrerseits die von ihr gemeinsam mit der OAS eingesetzte International Civilian Mission to Haiti. 173 Nach Auslaufen der UNSMIH ersetzte der SR diese wiederum durch die United Nations Transition Mission in Haiti (UNTMIH). 1 7 4 Nachdem deren Mandat abgelaufen war, wurde sie vom SR durch die United Nations Civilian Police Mission in Haiti (MIPONUH) ersetzt. 175 Auch ihre Aufgabe war die Ausbildung der örtlichen Polizei. 176 Erstaun162

SR Res. 861 (1993), para. 1. SR Res. 873 (1993), para. 1. 164 SR Res. 875 (1993); SR Res. 917 (1994). 165 SR Res. 867 (1993), 905, 933 (1994). 166 GV Res. 48/27 A, insbes. Präambel und para. 1. Eine sehr detaillierte Beschreibung der Menschenrechtsverletzungen findet sich in GV Res. 48/151, paras. 2, 4 und 5. 163

167 168 169 170 171 172 173 174 175 176

SR Res. 940 (1994), para. 4. SR Res. 944 (1994), para. 4; SR Res. 948 (1994), para. 10. GV Res. 49/27, para. 2. SR Res. 964 (1994), 975, 1007 (1995). GV Res. 50/86, 50/196. SR Res. 1063, 1085, 1086 (1996). GV Res. 51/196, 51/196 B. SR Res. 1123 (1997). SR Res. 1141 (1997). SR Res. 1141 (1997), para. 2.

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licherweise wurde aber auch die Aufgabe der von der GV gemeinsam mit der OAS betriebenen International Civilian Mission to Haiti - neben der Beobachtung der Menschenrechtssituation - als die Ausbildung der Polizei von Haiti umschrieben. 177 Die GV trägt diesem Umstand dadurch Rechnung, dass sie die Zusammenarbeit der beiden Missionen anregt. 178 Überdies waren noch das UNDP, eine United Nations Civilian Police, sowie diverse bilaterale Programme an der Polizeiausbildung beteiligt. 179 Erst nach dem endgültigen Auslaufen der Mission des SR konnte sich die GV schließlich im Dezember 1999 dazu entschließen, ihre gemeinsam mit der OAS betriebene International Civilian Mission sowie die U N Civilian Police Mission des SR zur International Civilian Support Mission in Haiti zusammenzulegen.180 Das Personal und die Ausrüstung beider Missionen wurden auf die neue Einrichtung übertragen. 181 Das Mandat der International Civilian Support Mission in Haiti endigte schließlich Ende März 2001. 182 Im Zuge der jüngsten Entwicklungen, im Jahr 2004, scheinen SR und GV wieder zur Arbeitsteilung zurückzukehren. So setzte (einzig) der SR nach der Vertreibung Aristides und der Installierung von Präsident Boniface Alexandre die Multinational Interim Force (MIF) ein, um Sicherheit und Frieden in Haiti wiederherzustellen183 Die MIF wurde dann in weiterer Folge von der United Nations Stabilization Mission in Haiti (MINUSTAH) abgelöst.184 Die GV befasst sich mit der Finanzierung der Operationen. 185

V I I . Schlussbemerkung Das Verhältnis von GV und SR in Friedenssicherungsangelegenheiten ist keineswegs einheitlich. Es lässt sich nicht in einer simplen Formel ausdrücken. Immerhin lassen sich aus dem vorliegenden Material einige Beobachtungen zusammenfassen. 1. Die Arbeitsteilung zwischen den beiden Organen ist nicht immer klar und hat sich durch die Praxis weiter verwischt. Zwar beschäftigt sich die GV eher mit allgemeinen Fragen und der SR mehr mit konkreten Situationen. Dies scheint auch 177 178

Vgl. etwa GV Res. 52/174, para. 1 lit. a. GV Res. 52/138, 52/174, 53/159, 53/95.

179

SR Res. 1212(1998). GV Res. 54/193, para. 2. 181 GV Res. 54/193, insbes. paras. 2 - 4. 182 Vgl. GV Res. 57/157, Präambel. 183 SR Res. 1529 (2004). 184 SR Res. 1542 (2004). Die MINUSTAH hat ein sehr umfassendes Mandat, das auch zivile Komponenten wie die Förderung des politischen Prozesses in Haiti und die Verbesserung der menschenrechtlichen Situation beinhaltet. 180

185

GV Res. 58/311.

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durch ihre Organstruktur vorgegeben: so ist die GV das breite Forum, in dem die Gesamtheit der Mitgliedstaaten der V N vertreten ist; der SR hingegen das kleinere und aufgrund seiner Entscheidungsstruktur schnellere und durchsetzungsfähigere Exekutivorgan. Es gibt aber durchaus auch Tendenzen, die diesem Prinzip zuwiderlaufen. 2. Maßnahmen des SR, welche budgetäre Auswirkungen haben, bedürfen der Zustimmung der GV. Dies verdeutlicht beispielsweise die Reaktion der GV im Zusammenhang mit der Finanzierung des Jugoslawien-Tribunals. Der SR ist also insofern in seiner Handlungsfähigkeit nach Kapitel V I I der UN-Charta eingeschränkt. 3. Gelegentlich empfiehlt die GV den Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen, wenn der SR es unterlässt, derartige Maßnahmen zu ergreifen. Man erinnere sich hier etwa an die von der GV empfohlene völlige Isolierung des Apartheidregimes in Südafrika, die auch ein Erdölembargo umfasste, als der SR sich lediglich zu einem Waffenembargo entschließen konnte. Das Erreichen der erforderlichen Mehrheit in der GV ist aber keineswegs immer gewährleistet, was z. B. im Falle Kosovos deutlich wurde. 4. Die GV hat den SR wiederholt nachdrücklich aufgefordert, seine Aufgaben in effektiverer Weise zu erfüllen. Dies geschah im Falle Südafrikas, Bosnien und Herzegowinas oder Palästinas. 5. Wiederholt wurde die GV in Situationen tätig, mit denen auch der SR befasst war, wobei sie dabei oft andere Akzente setzte: so in Resolutionen zum Nahen Osten, zu Afghanistan oder zu Somalia. 7. Die GV legt in vielen Fällen besonderes Augenmerk auf die Achtung der Menschenrechte: dies äußert sich in detaillierten diesbezüglichen Resolutionen (etwa zur Situation in Palästina) ebenso wie in der Entsendung eigener Menschenrechtsmissionen (Haiti). 8. In manchen Situationen arbeiten die beiden Organe nicht miteinander sondern eher nebeneinander. Ineffizienz ist die notwendige Folge mangelnder Koordination, wie dies vor allem im Fall der Entsendung der Parallelmissionen in Haiti offensichtlich wird. 9. Die GV scheint insbesondere in jüngster Zeit neue Wege zu suchen, ihre Stellung gegenüber dem SR in Friedenssicherungsangelegenheiten zu behaupten. Vor allem das von der GV gestellte Ansuchen an den IGH, ein Gutachten zum Mauerbau zu erstellen, deutet in diese Richtung. Dies könnte als Versuch der GV gelesen werden, sich dem gewachsenen Einfluss der USA auf den SR, der etwa in der schonenden Behandlung Israels, im Misstrauen gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof oder im Umgang des SR mit der Situation in Afghanistan spürbar wird, zu widersetzen. Diese Beobachtungen sind aber letztlich kaum erstaunlich. Im innerstaatlichen Bereich wird die Gewaltenteilung seit Jahrhunderten diskutiert, ohne dass eine

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abschließende allseits befriedigende Lösung gefunden worden ist. Deswegen darf es einen auch nicht wundern, wenn die Organbeziehung zwischen GV und SR nicht voll ausgereift ist. 186

186 Zur Gewaltenteilung in den V N siehe z. B. De Wet (Fn. 111), 109 ff.; siehe weiters Koskenniemi (Fn. 10), 325 ff.

Über die Kultur des Friedens Von Dieter Senghaas

I. Einleitung Gedanklich wird mit dem Begriff des Friedens vielerlei in Verbindung gebracht, und allermeist handelt es sich hierbei nur um „Schönes" und „Gutes": die „gute Ordnung" oder sogar das „gute Leben". Jedoch schon das mittelalterliche Verständnis differenzierte den Friedensbegriff in wenigstens vier Dimensionen aus: iustitia - securitas - tranquillitas - caritas. Das sollte heißen: Friede hat etwas zu tun mit einer Rechtsordnung, die, wenn gebrochen, wieder herzustellen ist; Friede ist zudem Ausdruck von Sicherheit, also schützender und abwehrender Kraft; weiterhin: ohne Waffenruhe, Gewaltlosigkeit oder gar Ausgeglichenheit ist Friede nicht zu denken; und schließlich sollte Friede auch als ein Zeichen der Zuneigung, des Wohlwollens, der Wohltätigkeit und der Liebe begriffen werden. So wenigstens die seinerzeitigen Vorstellungen. 1 Wenn man bei diesen Differenzierungen für einen Augenblick die für das mittelalterliche Denken typischen ordnungsphilosophischen Annahmen wegdenkt, so lassen sich diese Begriffe - sicherlich im Einzelfall nur unter inhaltlicher Dehnung oder Verengung - auch auf das vormittelalterliche und das nachmittelalterliche europäische Friedensverständnis projizieren, wenigstens insofern es um die mit dem Friedensbegriff gebräuchlicherweise einhergehenden pauschalen inhaltlichen Orientierungen geht. Auch heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts und mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte, ist ohne iustitia, securitas, tranquillitas und caritas Friede nicht zu denken, nur daß mit den Begriffen zum Teil anderes assoziiert wird, insbesondere mit dem Begriff der iustitia, der aus guten Gründen in einer modernen Gesellschaft auch einen Bedeutungsgehalt hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit impliziert. Zu den genannten überkommenen Bestimmungen ist sicher auch die „Kultur des Friedens" hinzuzufügen, gedacht als Bündel von Werteorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten, die dem Frieden vom Verstand und von den Gefühlen her Rückhalt geben, also in einer Friedensordnung wie geistiger bzw. emotionaler Kitt wirken und Frieden auf diese Weise absichern.

1 s. hierzu den umfassenden und erhellenden Beitrag von Janssen, Friede - Zur Geschichte einer Idee in Europa, in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken - Si vis pacem, para pacem, 1995, 227 ff.

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Dieter Senghaas

Derlei gängige Vorstellungen über Frieden und die Kultur des Friedens sind in der Regel nicht falsch, aber sie führen allermeist nicht weiter, weil sie zu etikettenhaft sind. In analytischer und in praktischer Hinsicht müssen sie, wie viele vergleichbare Assoziationen, häufig als grobe Vereinfachungen hochkomplexer Zusammenhänge gelten. Erforderlich sind heute konzeptuelle Differenzierungen, die die Anforderungen komplexer Wirklichkeit an ein tragfähiges Friedenskonzept leidlich widerspiegeln. In einem solchermaßen wirklichkeitsnahen, d. h. weltkundigen komplexen Konzept ist dann auch die „Kultur des Friedens" zu verorten.

II. „Kultur des Friedens" im Lichte des zivilisatorischen Hexagon An anderer Stelle wurde ein solches zeitgemäßes, differenziertes Friedenskonzept zu entfalten versucht. Es thematisiert Frieden in sechsfacher Hinsicht, wobei die sechs Dimensionen je nach konkreter Ausgangslage verstärkend, hemmend oder gefährdend aufeinander zurückwirken. Dieses konfigurativ zu denkende Gebilde wurde als „zivilisatorisches Hexagon" in die friedenstheoretische Debatte eingeführt. Es soll auch den nachfolgenden Überlegungen über die „Kultur des Friedens" zugrunde gelegt werden. 2 Im Lichte des zivilisatorischen Hexagon wird in sozial mobilen, politisierbaren und politisierten modernen Gesellschaften Frieden als eine breitenwirksame Problematik durch das Zusammenwirken folgender Faktoren bewirkt: durch das Gewaltmonopol (1) und die Kontrolle des Gewaltmonopols vermittels Rechtsstaatlichkeit (2); durch Affektkontrolle , die aus Interdependenzen resultiert (3); durch demokratische Partizipation (4) und Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und Fairneß (5), sowie durch eine aus diesen Bausteinen resultierende Kultur konstruktiver Konfliktbearbeitung (6). Die konzeptuelle Nähe bzw. Überlappung dieser letztgenannten Dimension mit der „Kultur des Friedens" ist offenkundig, weshalb die Frage naheliegend ist, ob die fünf zuvor genannten Dimensionen nicht nur konstitutiv für konstruktive Konfliktbearbeitung, sondern auch eine Voraussetzung für die „Kultur des Friedens" sind.

2

Senghaas, Zum irdischen Frieden, 2004.

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Über die Kultur des Friedens Gewaltmonopol Interdependenzen und Affektkontrolle

Rechtsstaatlichkeit

Soziale Gerechtigkeit

Demokratische Partizipation Konfliktkultur

Abbildung: Das zivilisatorische Hexagon

Betrachten wir diese Punkte, auch gleichzeitig das Schaubild erläuternd, der Reihe nach: 1. Gewaltmonopol: Das legitime Monopol staatlicher Gewalt ist für jede Friedensordnung von grundlegender Bedeutung, weil nur eine Entwaffnung der Bürger diese dazu nötigt, ihre Identitäts- und Interessenkonflikte mit Argumenten, also diskursiv, und nicht mit Gewalt auszutragen. Wenn Gewalt nicht mehr zum Handlungsrepertoire des Menschen gehört und der versuchte bzw. der tatsächliche Griff zur Gewalt negativ sanktioniert ist, wird nicht nur Frieden im Sinne der Abwesenheit von Gewalt begründet, vielmehr werden dann potentielle Konfliktparteien zur argumentativen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum gezwungen. Die Bedeutung des Sachverhaltes wird dort dramatisch erkennbar, wo das Gewaltmonopol zusammenbricht und es zu einer Wiederbewaffnung der Bürger kommt: Elementare Sicherheiten gehen darüber verloren; das Leben wird erneut voll des Schreckens: grausam und kurz, wie viele Bürgerkriege und bürgerkriegsähnliche militante Konflikte in der heutigen Welt dokumentieren. 3 Diskursive Konfliktbearbeitung im öffentlichen Raum hat also ein intaktes Gewaltmonopol zum Hintergrund. 2. Rechtsstaatlichkeit'. Das Gewaltmonopol bedarf, soll es nicht zu einer Willkürinstanz werden, der nachhaltigen rechtsstaatlichen Kontrolle. Diese wird durch eine Vielzahl von institutionellen Vorkehrungen abgesichert, beispielsweise durch Gewaltenteilung, das Prinzip der Öffentlichkeit usf.. Im Hinblick auf konstruktive Konfliktbearbeitung ist Rechtsstaatlichkeit auch deshalb von großer Bedeutung, weil sie eine positive Ausrichtung auf vereinbarte Prozeduren, also Spielregeln, begründet. Gerade weil in modernen Gesellschaften die substantiellen Differenzen hinsichtlich von Identitäten und Interessen die Regel 3

s. hierzu Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) (Hrsg.): Das Kriegsgeschehen (jährlich).

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und nicht die Ausnahme sind, haben vereinbarte und verinnerlichte prozedurale Modalitäten der Konfliktregelung eine so hohe Bedeutung. Denn werden die in der Verfassung niedergelegten Spielregeln mißachtet, droht nicht nur der Zusammenbruch rechtsstaatlicher Prinzipien, sondern auch eine Wiederbewaffnung der Bürger. Sachdifferenzen als den Kern und Spielregeln als etwas Oberflächliches zu betrachten, wäre eine Einschätzung, die die wirkliche Bedeutung von meist verfassungsmäßig festgelegten Übereinkommen über Prozeduren verkennt, vermittels derer unausweichliche sachliche Konflikte sich institutionell einhegen und abfedern lassen. Die Mißachtung von Spielregeln ist deshalb nicht bloß ein politisches Kavaliersdelikt. Andererseits müssen Spielregeln im Lichte neuer Problemlagen fortgeschrieben werden, weshalb Verfassungsstaaten, die um ihre Stabilität bemüht sind, selbstkritisch die Verfassungsdebatte zur ständigen Aufgabe machen sollten. 3. Interdependenzen und Affektkontrolle: Moderne, ausdifferenzierte Gesellschaften haben den Vorzug, daß Menschen in ihnen nicht lebenslang auf bestimmte Rollen festgelegt sind. In aller Regel haben die meisten Menschen keinerlei Alternative dazu, sich als vielfältige Rollenspieler zu betätigen. Die Anforderung einzelner Rollen in der Familie, im Arbeitsleben, in Verbänden, bei der Gestaltung von Freizeit und des politischen Gemeinwesens sind höchst unterschiedlicher Natur und führen dazu, daß sich Konfliktfronten in aller Regel nicht kumulieren; vielmehr kommt es zu einer Rollen- und damit auch zu einer Konfliktaufgliederung. Vielfältige Rollenanforderungen implizieren jedoch Affektkontrolle; Konfliktfraktionierung führt in aller Regel zu einer Dämpfung des Konfliktverhaltens. Beides hegt Konflikte ein: Mäßigung wird dabei zu einer wesentlichen Hintergrundbedingung für konstruktive Konfliktbearbeitung. Konfliktverschärfung ist für eine konstruktive Konfliktbearbeitung nur dann wahrscheinlich und im konkreten Fall ggf. unausweichlich, wenn unter anderen Bedingungen eine Konfliktartikulation nicht möglich wird. Dann haben der Ausbruch aus den Rollenzwängen und die Akzentuierung von Konfliktverhalten zeitweise einen funktionalen Stellenwert bei der Konfliktbewältigung. Eine solche Konstellation spiegelt meist einen machtlagenbedingten, objektiv vermeidbaren, aber in konkreter Lage nicht erfolgreich bearbeiteten Konfliktstau wider. 4. Demokratische Teilhabe: Da sich moderne und sich modernisierende Gesellschaften in einem ständigen Wandlungsprozeß befinden, sind einmal gefundene sachhaltige, ggf auch prozedurale Kompromisse immer nur Übereinkommen auf Zeit. Um den Aufbau eines potentiellen, politisch virulent werdenden Konfliktstaus zu vermeiden, sind deshalb nicht nur die Chance anhaltender demokratischer Teilhabe von schon organisierten Interessen wichtig, sondern

Über die Kultur des Friedens

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auch die Organisationsfähigkeit noch nicht repräsentierter, bis dato nur latenter Interessen. Wo latente Interessen nicht manifest werden können, besteht - zugespitzt formuliert - die Gefahr einer politischen Explosion. Man erinnere sich an das Wendejahr 1989/90 im östlichen Teil Europas und viele historische Beispiele davor und danach.4 Deshalb ist, sachlogisch gedacht, die Chance zu demokratischer Partizipation eine wesentliche Voraussetzung für anhaltende konstruktive Konfliktbearbeitung: Sozialer Wandel muß über demokratische Partizipation politisch aufgefangen werden. Wer sie einschränkt oder untergräbt, vermindert die Aussicht auf friedlichen Umgang mit unausweichlichen, aus sozialem Wandel erwachsenden Konflikten. Demokratische Teilhabe hingegen erlaubt es, eigene Belange und öffentlich relevante Notstände zur Sprache zu bringen. Exklusion fördert Konfliktstau; Inklusion hilft, ihn abzufedern. Solche Teilhabe erfordert aber auch, will sie positiv und also funktional sein, eine Bereitschaft zu politischem Kompromiß, insbesondere dazu, in modernen Gesellschaften Mehrheitspositionen nicht exzessiv und willkürlich auszuspielen und Minderheitenpositionen zu achten; sie verlangt ebenso einen Sinn dafür, daß aus Minderheitenpositionen Mehrheiten werden können und daß Minderheiten, die aus spezifischen Gründen niemals zu Mehrheiten werden können, des besonderen Schutzes bedürfen. 5 5. Soziale Gerechtigkeit: Moderne Gesellschaften sind, nicht anders als vormodern-traditionale, durch vielfältige Ungleichheiten gekennzeichnet. Aber im Unterschied zu den vormodernen Gesellschaften ermöglichen die modernen sowohl vertikale als auch horizontale Mobilität. Sicherlich sind die Menschen in ihnen nicht grenzenlos mobil geworden; aber sie haben doch eine meist durch Bildung erworbene Chance, ihre angestammten sozialen und geographischen Verortungen hinter sich zu lassen. Solche Mobilität ist eher die Regel als die Ausnahme, wenngleich eine in Krisenzeiten und in Krisenregionen drohende Abwärtsmobilität bzw. die Fixierung auf überkommene Positionen sowie die daraus resultierenden Abwehrhaltungen im Interesse der Besitzstandswahrung unübersehbar sind und zu einer Quelle sozialen Konflikts werden. Unter den Vorzeichen von Ungleichheit, der Chance zur Mobilität und der Gefahr von Abwärtsmobilität wird die aktive Orientierung an sozialer Gerechtigkeit und Fairneß zu einer Art von Bestandsgarantie für konstruktive Konfliktbearbeitung. Denn nichts ist für letztere gefährdender als der Eindruck und das individuelle bzw. kollektive Empfinden, die Gesellschaft würde systematisch die einen privilegieren und andere diskriminieren und deshalb seien Vertrauen und Hoffnung auf Fairneß illusionär. In solcher Erfahrung bzw. Erwartung liegt 4 Ein weithin verkannter locus classicus der Analyse einer solchen Konstellation ist immer noch (obgleich 1856 zuerst erschienen) de Tocqueville, L'ancien régime et la revolution, 1856. 5

s. hierzu Schneckener, Auswege aus dem Bürgerkrieg, 2002.

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eine enorme Sprengkraft, die sich gegen konstruktive Konfliktbearbeitung auswirkt: Aus ihr resultieren Mißtrauen und Hoffnungslosigkeit, die sich leicht in eine Mißachtung von Spielregeln übersetzen können; dann baut sich Gewaltbereitschaft auf. Demgegenüber führen ernsthafte Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und Fairneß einer konstruktiven Konfliktbearbeitung materielle Substanz zu. 6. Konstruktive Konfliktbearbeitung speist sich aus den vorgenannten Vorgaben und Impulsen. Der Zwang zur argumentativen Auseinandersetzung über Identitäts- und Interessenkonflikte, die unerläßliche Orientierung an Spielregeln während der Bearbeitung von solchen Konflikten, Mäßigung in der Folge von Affektkontrolle und Konfliktfraktionierung, die Chance zur Artikulation von eigenen Belangen und Beschwerden und schließlich die erfahrbaren Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und Fairneß: sie alle haben zwar nicht zwangsläufig konstruktive Konfliktbearbeitung zum Ergebnis, aber vor allem als Ergebnis eines aus ihrem Zusammenwirken entstehenden Gesamteffektes (Synergie) erhöhen sie doch deren Wahrscheinlichkeit. Gewissermaßen verdichten sich die genannten fünffachen Erfahrungen in einer politischen Erkenntnis und Verhaltensweise, denen zufolge die Pluralität von politisierten Identitäten und Interessen nicht nur als selbstverständlich und unentrinnbar unterstellt wird, sondern der konstruktive Umgang mit Konflikten als Ausdruck zivilisierten Verhaltens, ja als eine friedliche Koexistenz ermöglichende zivilisatorische Errungenschaft begriffen wird.

I I I . Konstruktive Konfliktbearbeitung und die Kultur des Friedens Konstruktive Konfliktbearbeitung, so wurde festgestellt, ist das Ergebnis von Vorgaben und Impulsen der aufgezeigten Art. Daneben vermag sie auch ein eigenes Gewicht zu gewinnen und vermittels von Rückkoppelungen stabilisierend und verstärkend auf die sie verursachenden Instanzen zurückzuwirken. Mit anderen Worten: Konstruktive Konfliktbearbeitung kann als Orientierung zu einem Eigenwert werden und damit auch eine Eigendynamik entwickeln. Sie hat dann Folgewirkungen weit über den öffentlich-politischen Raum hinaus und gewinnt damit eine allgemeine Ausstrahlungskraft. Konstruktive Konfliktbearbeitung und politische Kultur wären, so betrachtet, gewissermaßen ein und dasselbe, einsozialisiert und internalisiert als allgemeine Tugenden: als Toleranz und Kompromißbereitschaft, als Mäßigung und Konfliktfähigkeit, als Sensibilität für Spielregeln, als Vertrauensbereitschaft bei gebotenem nüchternen Mißtrauen, als Engagement bei kühlem Sinn für erforderliche Distanz, als Selbstbewußtsein bei gleichzeitiger Anerkennung des anderen, als Sinn für das wohlverstandene Interesse, in dem das eigene Interesse, aber auch dasjenige von anderen reflektiert wird. 6 6 s. hierzu ausführlich von Krockow , Die Tugenden der Friedensfähigkeit, in: Senghaas (Fn. 1), 419 ff..

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Begreift man Kultur als die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Bevölkerung, einschließlich der sie tragenden Geistesverfassungen und Werteinstellungen, dann ließe sich ohne weiteres als Kultur des Friedens die Bündelung jener Orientierungen bezeichnen, die hier unter dem Stichwort der konstruktiven Konfliktbearbeitung und entsprechender kongenialer allgemeiner Verhaltenstugenden erörtert wurden. „Kultur des Friedens" ist damit als Konzept inhaltlich klar umrissen. Gemeint ist mit ihr die Gesamtheit der Werteorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten, die im öffentlich-politischen Raum und über diesen hinaus dazu beitragen, daß Konflikte im erörterten Sinne verläßlich konstruktiv und also gewaltfrei bearbeitet werden. Das Konzept sollte also nicht auf einzelne Werteorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten reduziert werden, wie es geschieht, wenn beispielsweise achtenswerte Verhaltensorientierungen wie Friedfertigkeit oder Versöhnung per se als Inbegriff einer Kultur des Friedens bezeichnet werden. Vielmehr gewinnt das Konzept seine für die öffentliche Ordnung konstitutiven Konturen erst durch seine Verortung in jener übergeordneten Problemstellung moderner Gemeinwesen, die als zentrale Friedensaufgabe zu begreifen ist: Ermöglichung und Sicherung friedlicher Koexistenz in potentiell und tatsächlich identitäts- und interessenmäßig zerklüfteten, durchweg politisierten Gesellschaften. Das ist aber eine komplexe Aufgabe. Das heißt, das Konzept der „Kultur des Friedens" bedarf einer analytischen Rückbindung an praxisrelevante friedenstheoretische Überlegungen, die angesichts der genannten Problemlage die Konstitutionsbedingungen von Frieden zeitgemäß und differenziert zu bezeichnen vermögen. Das zivilisatorische Hexagon ist ein solches analytisches Angebot - mit konstruktiver Konfliktbearbeitung trotz Fundamentalpolitisierung als operativem Ziel. Das Konzept einer Kultur des Friedens - zumindest sein nicht hintergehbarer Kern - läßt sich nur auf solchem (oder ähnlich differenziertem) Wege begründen.7

IV. Immanente Gefährdungen und allgemeine Problemlagen Wie in früheren Darlegungen zum zivilisatorischen Hexagon explizit ausgeführt, so muß auch an dieser Stelle betont werden, daß es sich dabei nicht um ein ultrastabiles, d. h. um ein gegen beliebige Einwirkungen erschütterungsfestes Gebilde handelt, sondern um eine brüchige Architektur, die von jedem der sechs Punkte her potentiell einbruchsgefährdet ist. Ist ihr Aufbau eine, rückblickend betrachtet, realhistorische Kompositionsleistung, so ist ihr Zerfall als Ergebnis anhaltender immanenter Gefährdungen unschwer vorstellbar. Denn wird sozialer Wandel, der in modernen Gesellschaften unausweichlich ist, nicht frühzeitig und angemessen aufgefangen und verhält sich das Gebilde folglich im Hinblick auf 7 Andere Versuche, u. a. von Ernst-Otto Czempiel, Georg Picht und Johan Galtung finden sich in dem in Fn. 1 zitierten Band. Siehe weiterhin R. Meyers, Begriff und Probleme des Friedens, 1994.

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sozialen Wandel nicht anpassungsfähig und offen für Innovation, dann drohen angesichts solcher Defizite konstruktive Konfliktbearbeitung und die Kultur des Friedens in die Unkultur von Gewalt umzuschlagen. Das Zerfalls- oder Zusammenbruchsszenario sieht dann in etwa wie folgt aus: Die Chancen- und Verteilungsungerechtigkeit nehmen objektiv zu, und sie werden in wachsendem Maße von relevanten Segmenten der Gesellschaft als skandalös wahrgenommen und damit zum Politikum. Die verfassungsmäßig festgelegten Formen und Formeln der Koexistenz - die Spielregeln - verlieren darüber an Legitimität. Die Kultur konstruktiver Konfliktbearbeitung beginnt brüchig zu werden; sie verliert ihre affektive Tiefenwirkung und damit ihre Bindekraft. Punktuell, später auf breiterer Basis, kommt es zur Reprivatisierung von Gewalt, also zur Wiederbewaffnung der Bürger, folglich zu einer sich verallgemeinernden Mißachtung und zum Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit. Die Konfliktparteien beginnen damit, sich nicht nur insgeheim, sondern offen zu munitionieren. Überkommene interdependente Handlungsgeflechte zerfallen, einschließlich diejenigen der Ökonomie. Affekte werden freigesetzt. Der Bürgerkrieg bricht auf breiter Front aus; es kommt zu einer in ihrem Ausmaß nicht erwarteten Enthemmung der Affekte und zur Brutalisierung des Lebens: zu einer schließlich breitgefächerten zivilisatorischen Regression, bis letztendlich Sieg und Niederlage bzw. die Erschöpfung der Beteiligten dem Geschehen, einem meist lang andauernden endemischen Konflikt, ein Ende bereiten: Es gibt aber nicht nur immanente Gefährdungen, sondern auch allgemeine Problemlagen, die nicht ohne weiteres, nicht einmal bei größter Anstrengung, aus der Welt zu schaffen wären: Eine erste Problemlage wird durch den elementaren Sachverhalt beschrieben, daß auch geglückte zivilisatorische Hexagone immer auf Ein- und Ausgrenzungsprozessen aufbauen müssen: Sie kennzeichnen einen räumlich umgrenzten Innenraum, in dem es Verdichtungen in institutioneller, materieller und kommunikativer Hinsicht gibt, während die Beziehungen zu angrenzenden Räumen und zur weiteren Welt in der Regel noch nicht einer vergleichbaren Logik zivilisierter Konfliktbearbeitung unterliegen, sondern nichts weiter als Machtlagen widerspiegeln, die, wie die Erfahrung zeigt, zur Gewaltanwendung tendieren. Angesichts der unentrinnbaren Ingroup/outgroup-Btziehungen sind deshalb in Ergänzung zur geglückten Zivilisierung der Binnenräume von Gesellschaften entsprechende kongeniale Vorkehrungen hinsichtlich ihrer wechselseitigen Beziehungen im Außenraum dringend erforderlich. Die dabei wesentlichen Dimensionen für die Zivilisierung von Konfliktverhalten sind keine anderen als in den Innenräumen: Die aufgezeigten Dimensionen des zivilisatorischen Hexagon sind prinzipiell übertragbar auf zwischenstaatliche und zwischengesellschaftliche Beziehungen.8 Doch sind in diesen Beziehungsgefügen die Voraussetzungen für 8

s. hierzu Senghaas (Fn. 2), 52.

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eine Architektur in Analogie zum zivilisatorischen Hexagon nur in Ausnahmefällen schon umfassend gegeben. Zu diesen seltenen Ausnahmefällen gehört insbesondere der zwischenstaatliche und zwischengesellschaftliche Integrationsprozeß in der westlichen Hälfte Europas, der sich nunmehr anschickt, sich auf Gesamteuropa zu erweitern. Aber selbst wenn man diesen durchaus außergewöhnlichen Bereich mit den Kriterien des zivilisatorischen Hexagon durchleuchten wollte, so würde man selbst hier auf erhebliche Problemlagen stoßen: Konstruktive Konfliktbearbeitung erweist sich auf dieser höheren Ebene weit weniger institutionell, materiell, partizipatorisch und auch emotional abgesichert und absicherbar und damit weit rückfallgefährdeter als innerhalb jener Gesellschaften, auf die ein solches übergeordnetes Gebilde aufbaut. Zwar ist auf dieser höheren Ebene verläßliche konstruktive Konfliktbearbeitung nicht ohne Chancen,9 und eine Kultur des Friedens ist auch jenseits einzelner Staaten und Gesellschaften nicht ohne Aussicht auf Verwirklichung. Aber beide bedürfen ganz außerordentlicher Anstrengungen, um jene übergeordneten, enge Räume übergreifenden dauerhaften Werteorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten zu schaffen, die auch in Großräumen konstruktive Konfliktbearbeitung und damit friedliche Koexistenz im Sinne stabilen Friedens kognitiv und emotional absichern könnten.10 Es geht dabei darum, Ingroup/outgrow/?-Beziehungsmuster durchlässig zu machen und sie zu überwölben. Aber auch dann wären sie zunächst nur hinsichtlich ihrer potentiellen politischen Brisanz abgemildert, also noch nicht aus der Welt entfernt. 11 Überdies wird das letztgenannte Problem dadurch akzentuiert, daß in aller Regel die auf internationaler Ebene zu beobachtenden Beziehungen nicht von symmetrischen Ausgangslagen ausgehen, sondern von Zentrum-Peripherie-Gefällen geprägt werden. Diese Ausgangslage hat für konstruktive Konfliktbearbeitung und eine Kultur des Friedens erhebliche Folgen: Das Zentrum ist in aller Regel beherrschend und die Peripherie abhängig; oft konzentriert das Zentrum alle wesentlichen Ressourcen bei sich, während die Peripherie relativ marginalisiert ist. 9 Systematisch hierzu Czempiel, Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, 1986; Karl W. Deutsch, Frieden und die Problematik politischer Gemeinschaftsbildung auf internationaler Ebene, in: Senghaas (Fn. 1), 363 ff. S. auch Zielinski, Der Idealtypus einer Friedensgemeinschaft, Jahrbuch der Politik 4 (1994), 313 ff. (Teil I); 5 (1995), 117 ff. (Teil II) sowie die Problematik umfassend thematisierend Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997. Im Hinblick auf Gesamteuropa finden sich differenzierte friedenspolitische Vorschläge, ausgerichtet an den Dimensionen des zivilisatorischen Hexagon, in Senghaas, Friedensprojekt Europa, 1992 sowie ders. (Fn. 2), Kap. 6. 10

Innovativ in dieser Hinsicht argumentiert Boulding, Building a Global Civic Culture,

1988. 11 Otfried Höffe spricht deshalb in diesem Zusammenhang seit langem von der einzig realistischen Chance, nur einen „extrem minimalen Weltstaat" anzupeilen. S. u. a. seinen Beitrag: Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, in: Höffe (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, 1995, 245 ff. und umfassend argumentierend vom selben Autor: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2. erweiterte Auflage, 2002.

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Wenn überdies die Peripherie durch eine Kombination von chronischen Benachteiligungen gekennzeichnet wird, baut sich ein erhebliches Konfliktpotential auf. Seine politische Virulenz übersetzt sich oft in Chaotisierung, aber auch in Gewaltbereitschaft und während sich zuspitzender Krisenlagen unversehens in tatsächliche Gewaltanwendung. Konstruktive Konfliktbearbeitung bedarf in solchem Zusammenhang besonderer Fördermaßnahmen, die das Zentrum-Peripherie-Gefälle mildern können und gegebenenfalls abbauen helfen; sie erfordert auch besondere Vorkehrungen für Autonomie- und Minderheitenrechte. Nur dann werden die Kernelemente des zivilisatorischen Hexagon, insbesondere die Spielregeln des demokratischen Verfassungsstaates, als nicht diskriminierend empfunden, und nur dann gilt faire Teilhabe nicht von vornherein als illusionär. Tatkräftige Konfliktprophylaxe ist also angesagt. Die genannten Gefälle und Asymmetrien sind heute in vielen Zusammenhängen beobachtbare politische, gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Tatbestände - und dies oft in krasser Ausprägung innerhalb und zwischen Gesellschaften; vor allem sind sie die Produktionsstätte vieler Gewalteskalationen. Im Blick auf konstruktive Konfliktbearbeitung und eine Kultur des Friedens bedarf deshalb diese Problematik, insbesondere die Eskalation vielfältiger ethnopolitischer Konflikte, die allermeist eine solche Ausgangslage zum Hintergrund haben und leicht in eine Unkultur der Gewalt überschwappen, einer ganz besonderen Aufmerksamkeit. 12

V. Schlußbemerkung Das zivilisatorische Hexagon wurde hier als eine zivilisatorische Errungenschaft vorgestellt und konstruktive Konfliktbearbeitung darin als ein spätes Produkt kollektiven Lernens, als die Resultante der dargelegten Vorgaben und vorgängigen Impulse. Die Kultur des Friedens baut im Kern darauf auf und setzt auf kongeniale Verhaltensdispositionen mit entsprechender Ausstrahlungskraft. Die erwähnten Errungenschaften - insbesondere der Sinn für Toleranz im öffentlichen Raum, Inbegriff von friedlicher Koexistenz - ergaben sich nicht von selbst; sie sind nicht die Ausprägung von „Kulturgenen". Vielmehr sind sie, weltgeschichtlich betrachtet, das zufällige, konstellationsbedingte Resultat politischer Konfliktlagen.13 Was aus spezifischen Konflikten machtlagenbedingt geboren wurde eben zum Beispiel Toleranz angesichts der kräftemäßig nicht realisierbaren hegemonialen Durchsetzung einseitiger Positionen - kann auch über neue politische Konfliktlagen wieder zugrunde gehen. In diesem Sachverhalt liegt die Brüchigkeit zivilisatorischer Errungenschaften begründet, so auch die der institutionellen, 12

s. hierzu das in Fn. 5 zitierte wegweisende Buch von Schneckener. s. hierzu Senghaas, Zivilisierung widerWillen, 1998; ders. : The Clash within Civilizations, 2002. 13

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materiellen und mentalitätsmäßigen Orientierung an konstruktiver Konfliktbearbeitung - und damit auch die Brüchigkeit einer Kultur des Friedens. Wenngleich die Unkultur von Gewalt anhaltend enorme Aufmerksamkeit bindet, 14 gibt es in politisierten Gesellschaften keine Alternative zu friedlicher Koexistenz: Sie ist, bleibt und wird wahrscheinlich immer mehr die zentrale zivilisatorische Herausforderung, da der in der frühen Neuzeit im nordwestlichen Europa begonnene Prozeß der sozialen Mobilisierung heute in Abschichtungen weltweit wirksam und überdies - prognostizierbar - unumkehrbar ist.

14 Man bedenke in dieser Hinsicht die regelrechte Lust der Medien, ganz nach dem Motto „ i f it bleeds, it leads4' über Mord, Totschlag, Kriege und Katastrophen zu berichten, nicht aber über Fälle gelungener Koexistenz!

Weltweit menschenwürdige Arbeit als Voraussetzung für dauerhaften Weltfrieden Der weltpolitische Auftrag der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) unter Bedingungen der Globalisierung Von Eva Senghaas-Knobloch

I. Einleitung Die aktuelle Globalisierungsdebatte verdeckt, dass die Bedeutung international gültiger Normen im Arbeits- und Sozialbereich für den internationalen Wirtschaftsaustausch zwischen Industrieländern schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts thematisiert wurde. Dabei handelte es sich zunächst um private Bemühungen. Anlässlich der Weltausstellung von 1900 in Brüssel gründete sich die private Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz, deren ausführendes Organ, das Internationale Arbeitsamt, in Basel angesiedelt wurde. Auf Einladung der Schweizer Regierung kam es durch Vermittlung dieses Amtes im Jahre 1906 in Bern zur Unterzeichnung von zwischenstaatlichen Abkommen über Produktionsbedingungen, die sich zuerst auf das Verbot von weißem Phosphor bei der Fertigung von Streichhölzern und auf das allgemeine Verbot der Nachtarbeit von Frauen bezogen. Bis in die Mitte des Ersten Weltkriegs hinein folgte darauf mehr als ein Dutzend sogenannter Gleichbehandlungsverträge auf dem Gebiet der Sozialversicherung, an denen sich das Deutsche Reich, Österreich, Großbritannien, Schweden und Ungarn beteiligten. In etwa die gleichen Länder ratifizierten auch die erwähnten Übereinkommen über das Verbot des weißen Phosphors und das Gebot der Nachtruhe für Frauen.1 Jeder dieser Fälle hatte zur Voraussetzung, dass sich Arbeitervereine, Kirchen, Hygieniker, einzelne Fabrikanten, Demografen, Angehörige der staatlichen Administration und sozialdemokratische Parteien auf Basis durchaus verschiedener Beweggründen für internationale Regelungen einsetzten. Auf diese Weise konnten Allianzen gebildet werden, in denen ökonomische Interessen an geregelten Rahmenbedingungen hinsichtlich internationaler Konkurrenz mit politischen Ansprüchen auf soziale Gerechtigkeit eine Verbindung eingingen. Angesichts der sich entwickelnden kapitalistischen Großindustrie und ihrer grenzüberschreitenden Handelsaktivitäten schien es folgerichtig, dass dem qualitativ neuen Grad an Weltmarktdichte mit internationalen Sozialregulierungen entsprochen wurde. 1 Siehe hierzu Manes, Sozialpolitik in den Friedensverträgen und im Völkerbund, 1918, 23 ff.

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Vor diesem Erfahrungshintergrund wurde nach dem Ersten Weltkrieg die Internationale Arbeitsorganisation (IAO, bekannter unter den englischen Initialen ILO) als Teil des Friedensvertrags von Versailles mit dem Auftrag gegründet, weltweit Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern und, wie in der Präambel zu ihrer Verfassung niedergelegt, durch soziale Gerechtigkeit den Weltfrieden zu fördern. Drei Motive wurden bei dieser Gründung, die durch eine Koalition sozialdemokratisch orientierter Gewerkschaften und der britischen Regierung gefördert wurde, deutlich: Streben nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit, das politische Ziel, Welteintracht und Weltfrieden durch soziale Gerechtigkeit aufzubauen und ökonomische Interessen an fairen internationalen Rahmenbedingungen, da - wie es in der Präambel heißt - die „Nichteinführung wirklich menschenwürdiger Arbeitsbedingungen durch eine Nation die Bemühungen anderer Nationen ... hemmen würde." 2 Diese Verbindung politischer Ziele und sozialer Werte mit der Idee internationale Regulierung angesichts einer interdependenten Welt ist bis heute für die Internationale Arbeitsorganisation politikleitend. Die Erfüllung ihres Mandats verfolgt die Organisation seit ihrem Bestehen in Gestalt von drei Haupttätigkeiten: Errichtung internationaler Arbeits- und Sozialnormen sowie Überwachung ihrer Umsetzung, technische Zusammenarbeit sowie Forschung und Aufklärung. Die IAO war seit ihrer Gründung mit weltökonomischen und weltpolitischen Herausforderungen konfrontiert. Allerdings haben sich die Weltverhältnisse zwischen Beginn und Ende des 20. Jahrhunderts verändert. Noch während des Zweiten Weltkrieges kam es bei der 26. Tagung der Allgemeinen Versammlung der IAO (Internationale Arbeitskonferenz) am 10. Mai 1944 in Philadelphia zu einer feierlichen Bestätigung ihres Mandats und ihrer Grundsätze, die als besondere Erklärung in eine Anlage zu ihrer Verfassung aufgenommen wurden. So heißt es im zweiten Abschnitt: „Die Konferenz ist davon überzeugt, daß die Erfahrung die Richtigkeit der in der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation enthaltenen Erklärung voll erwiesen hat, wonach der Friede auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden kann, und bestätigt folgendes: a) alle Menschen, ungeachtet ihrer Rasse, ihres Glaubens und ihres Geschlechts, haben das Recht, materiellen Wohlstand und geistige Entwicklung in Freiheit und Würde, in wirtschaftlicher Sicherheit und unter gleich günstigen Bedingungen zu erstreben." 3

Die Welt, auf die sich das Mandat der IAO heute bezieht, ist inklusiver, heterogener und zugleich auch interdependenter geworden. Mit der Dekolonisierung und der Einbeziehung nichtmetropolitaner Länder als selbständige Teilhaber am Weltmarkt kam es seit den 1960er Jahren zu einer Erweiterung der Mitgliedsstaaten der IAO und damit zu einer Ausweitung der als universell angestrebten Geltungsreichweite der Normen. Von 1919 bis 2004 hat sich die Zahl der Mitglieder von 45 auf 177 Staaten erhöht, die allerdings mit Blick auf Wirtschaftsmacht, Gesell2

Internationales Arbeitsamt, Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, 1997, 7.

3

Internationales Arbeitsamt (Fn. 2), 25.

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schaftsstrukturen, Produktionsweisen und Staatsformen viel größere Unterschiede aufweisen als die Gründungsmitglieder. Die wechselseitigen Abhängigkeiten sind stark gewachsen, sehr viel dichter, aber zugleich viel asymmetrischer geworden. Generell zeigt sich eine Vertiefung der weltweiten Ungleichheit sozialer Lagen. Während einige asiatische Länder, darunter China und Indien von den Strukturen ökonomischer Globalisierung im Durchschnitt profitieren, zeigt sich bei einer statistischen Grundgesamtheit von 94 Ländern, dass das durchschnittliche Pro-KopfEinkommen der 20 ärmsten Länder in den letzten 40 Jahren von US$ 12 auf 11.417 gestiegen ist, aber das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in den 20 reichsten Ländern von US$ 267 auf 32.339, der Unterschied ist also von 1 : 54 auf 1 : 1 2 1 angewachsen.4 Ich möchte im Folgenden die damit entstandenen Herausforderungen für die IAO und ihre strategischen Antworten skizzieren und mich dabei auf zwei Punkte konzentrieren: - das Problem universeller Geltungskraft der Normen und - das Problem der effektiven Normanwendung.

I I . Das Problem universeller Geltungskraft internationaler Arbeits- und Sozialnormen Seit ihrer Gründung müssen in der IAO - einzigartig in der Welt internationaler zwischenstaatlicher Organisationen - verfassungsgemäß alle Mitgliedsstaaten dreigliedrig repräsentiert sein: durch Regierungsvertreter, Gewerkschaftsvertreter und Arbeitgebervertreter. Alle drei Mitgliedsgruppen wirken direkt an der Errichtung von internationalen Arbeitsnormen in Gestalt von zwei Rechtsinstrumenten mit: Empfehlungen und ratifizierungsbedürftigen Übereinkommen. Im vorbereitenden Ausschuss sind die Mitgliedsgruppen auf Basis von Drittelparität vertreten. Empfehlungen und Übereinkommen bedürfen (nach einer langjährigen, stark durchstrukturierten Vorbereitung) einer Zustimmung in der jährlichen zusammenkommenden Allgemeinen Versammlung der IAO (Internationale Arbeitskonferenz, IAK) durch mindestens zwei Drittel der Delegiertenstimmen. Eine Mehrheit der Regierungsvertreter ist nicht notwendig, die Regierungsvertreter haben aber in diesem Gremium ein doppeltes Stimmengewicht. Alle Regierungsmitglieder sind verpflichtet, den Text der angenommenen Übereinkommen und Empfehlungen ihren zuständigen nationalen Gesetzgebungsgremien vorzulegen. Ratifizierungen sind nur ohne Vorbehalte möglich; die Normen/Übereinkommen enthalten jedoch gemäß Artikel 19 der Verfassung eng umschriebene Möglichkeiten flexibler Anpassung an nationale Gegebenheiten.

4 Siehe hierzu World Commission on the Social Dimension of Globalization, A fair globalization. Creating opportunities for all, 2004, 37.

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Auf diese Weise entstanden in nunmehr achteinhalb Jahrzehnten internationale Übereinkommen zu Arbeits- und Sozialnormen in einer Vielfalt von Sachgebieten: Sie betreffen grundlegende Menschenrechte, Beschäftigung, Arbeitsverwaltung, Arbeitsbeziehungen, Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit, Normen, die sich speziell mit der Beschäftigung von Frauen, von Kindern und Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern, Wanderarbeitnehmern und in Stämmen lebenden „Völkern" befassen, Normen für Arbeitnehmer in außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten und schließlich Normen, die sich auf besondere Beschäftigungsbereiche wie vor allem internationale Seeschifffahrt, aber auch Plantagenarbeit, Krankenpflege, Personal und Gaststätten beziehen. Die Aufzählung dieser Sachgebiete zeigt, dass die internationale Standardisierung von Arbeits- und Sozialgesetzen vor allem auf Basis der gesellschaftlichen Entwicklung in den europäischen und einigen weiteren Industrieländern aufgebaut wurde. 5 In diesen Ländern waren meistens Sozialund Arbeitsgesetze und das Koalitionsrecht, ebenso wie der kollektive Arbeitsvertrag, schon früher erstritten worden. Spätestens in den 1980er Jahren, vor allem nach dem Ende des epochalen OstWest-Konflikts und einem zunehmenden Interesse an Deregulierung, zeigte sich, dass offenbar die Vielfalt und Dichte internationaler Normen im Politikbereich Arbeit in Spannung zu ihrem Anspruch auf universelle Geltungskraft geraten waren. Die meisten neueren Übereinkommen, die in den zwei letzten Jahrzehnten angenommen wurden, wurden nur noch von einer kleinen Mitgliederzahl ratifiziert. 6 So stand im Jahre 1994, dem Jahr des 75-jährigen Bestehens der IAO, die Internationale Arbeitskonferenz im Zeichen eines wachsenden Krisenbewusstseins. Die Rolle aller drei Mitgliedsgruppen für die Aufgaben der Organisation schien gefährdet: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände verloren innerhalb vieler altindustrieller Länder an Mitgliedern und Einfluss; in Entwicklungsländern hatten sie nie richtig Fuß fassen können; neoliberale Politikstrategien hatten mit Deregulierungskonzepten besonders in angelsächsischen Ländern bis dahin geltende Auffassungen von politischen Steuerungsaufgaben des Staates abgelöst. Die verstärkten Unterschiede der Situationsanalysen und Bewertungen zwischen und innerhalb der drei Mitgliedsgruppen der IAO, Regierungen, Arbeitgebervertretungen und Arbeitnehmervertretungen waren unübersehbar. Die Konferenzdebatte war von Kontroversen geprägt, in denen die Befürworter von „Sozialklauseln", also einem sozial konditionierten Welthandel, insbesondere von den Regierungen 5 Zwar wurde gemäß Artikel 35 der Verfassung der IAO von allen Kolonialmächten verlangt, Übereinkommen und Empfehlungen auch auf ihre Anwendbarkeit in den zu ihrem Herrschaftsbereich gehörenden Territorien zu prüfen, doch kamen die entsprechenden innerorganisatorischen Beratungen über die konkrete Behandlung der Arbeitskräfte in den nichtmetropolitanen Gebieten nur schwerfällig voran. Die beschlossenen Normen der IAO zielten darauf ab, die Arbeitsbedingungen in den abhängigen Gebieten so zu verändern, dass die Arbeitenden schrittweise von außerökonomischen Zwangs Verhältnissen befreit wurden. 6 Potter, Renewing international labor standards for the 21st century, ZfA 2001, 210, zeigt, dass die in den 1980er und 1990er Jahren beschlossenen Übereinkommen nur von 10 % oder weniger der Mitgliedsländer ratifiziert wurden.

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einiger asiatischer Länder und Arbeitgebervereinigungen als verkappte Protektionisten kritisiert wurden; umgekehrt wurden diese Kritiker zumeist von westlichen Gewerkschaftsvertretern mit dem Vorwurf des Sozialdumping bedacht. Der damalige amerikanische Arbeitsminister Robert Reich argumentierte, dass einige Arbeitspraktiken die entsprechenden Länder einfach außerhalb der Gemeinschaft zivilisierter Nationen stellen würden. In dieser Situation festgefahrener wechselseitiger Beschuldigungen vor allem zwischen Industrie- und Entwicklungsländern traf der Verwaltungsrat der IAO als Exekutivorgan zwei strategische Entscheidungen: Zum einen richtete er eine dreigliedrige Arbeitsgruppe ein, die in der langen Geschichte der IAO zum wiederholten Male eine Revision des bestehenden Normenkanons vornehmen sollte. Als Resultat dieses Prozesses beschloss der Verwaltungsrat auf seiner Novembersitzung im Jahre 2002, dass nicht mehr von 184 Übereinkommen und etwa gleich vielen Empfehlungen auszugehen sei, sondern dass nunmehr 71 Übereinkommen und 73 Empfehlungen als aktuell anzusehen seien, deren Umsetzung von der IAO vorrangig zu betreiben sei.7 Des weiteren richtete der Verwaltungsrat eine dreigliedrig zusammengestellte Arbeitsgruppe über die sozialen Dimensionen der Liberalisierung des internationalen Handels ein, um die zur Diskussion stehenden Probleme genauer zu untersuchen, und ließ einen Fragebogen an die Mitglieder der IAO verschicken, in dem diese sich zum Einfluss von Globalisierung und Handelsliberalisierung auf die IAO-Zielsetzungen äußern sollten. Aus den Antworten auf diese Befragung leitete der Generaldirektor in seinem Bericht an die I A K 1997 die Aufgabe ab, dass sich die IAO um einen internationalen Konsens über grundlegende Arbeitsstandards oder Kernarbeitsnormen bemühen sollte. Damit machte sich die IAO die Vorgaben von zwei Weltkonferenzen, die Mitte der 1990er Jahre stattgefunden hatten, zu eigen: Denn sowohl der Weltsozialgipfel in Kopenhagen im Jahre 1995 als auch die Gründungsversammlung der Welthandelsorganisation (WTO) 1996 in Singapur hatten sich für die Beachtung sogenannter grundlegender internationaler Arbeitsnormen eingesetzt und die Kompetenz der IAO für diesen Politikbereich anerkannt. Vor diesem Hintergrund nahm die Internationale Arbeitskonferenz 1998 die Erklärung über Prinzipien und grundlegende Rechte bei der Arbeit (im Folgenden: ERKLÄRUNG) ohne Gegenstimmen, aber mit einigen Enthaltungen, an. Die IAO leitete damit einen Politikwechsel ein: Anstatt weiterhin die Gleichrangigkeit aller angenommenen Normen der IAO zu deklarieren, wird seitdem für einen hervorgehobenen kleinen Teil von Übereinkommen mit Menschenrechtscharakter unabhängig von ihrer Ratifizierung ein gewisses Maß an unmittelbarer universeller Geltungskraft eingefordert. Inhaltlich geht es bei diesen hervorgehobenen internationalen Arbeitsnormen um Normen, die gemäß dem Sprachgebrauch des damaligen Generaldirektors 7 Wisskirchen, Die normensetzende und normenüberwachsende Tätigkeit der IAO, ZfA 2003,702, weist daraufhin, dass die Prüfung allerdings nur die Übereinkommen und Empfehlungen bis zum Jahre 1985 betraf.

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Michel Hansenne als „Spielregeln" 8 für die Weltwirtschaft gekennzeichnet werden können. Zu ihrem Verpflichtungscharakter heißt es in Punkt 2 der ERKLÄRUNG, „dass alle Mitglieder, auch wenn sie die betreffenden Übereinkommen nicht ratifiziert haben, allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Organisation verpflichtet sind, die Grundsätze betreffend die grundlegenden Rechte, die Gegenstand dieser Übereinkommen sind, in gutem Glauben und gemäß der Verfassung einzuhalten, zu fördern und zu verwirklichen, nämlich: a) die Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen; b) die Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit; c) die effektive Abschaffung der Kinderarbeit; d) die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf." 9

Bei den „betreffenden" Übereinkommen, die in der ERKLÄRUNG selbst nicht benannt werden, handelt es sich um insgesamt acht internationale Arbeitsnormen: die Übereinkommen 29 und 105 im Politikfeld Abschaffung der Zwangsarbeit; um die Übereinkommen 87 und 98 zu Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen; um die Übereinkommen 100 und 111 zu Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung sowie um die Übereinkommen 138 und 182 zur effektiven Abschaffung von Kinderarbeit. Die so hervorgehobenen Rechte bei der Arbeit haben enge Bezüge zur Allgemeinen Menschenrechtserklärung und zu beiden Menschenrechtspakten, deren inhaltliche Regelungen sich teilweise bis in die Formulierungen hinein an die zuvor aufgestellten IAO-Übereinkommen anlehnen.10 Neu ist das Übereinkommen 182 über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, das im Jahre 1999 einstimmig angenommen wurde und sofort dem damals nur sieben Übereinkommen umfassenden Katalog der Grundrechte hinzugefügt wurde. Das Übereinkommen richtet sich gegen alle Formen von Kindersklaverei und Zwangsarbeit (nur in diesem Zusammenhang werden auch Kindersoldaten genannt), gegen Kinderprostitution, sowie gegen unerlaubte Tätigkeiten (wie Drogenhandel) und gefährliche Arbeit (z. B. im Bergbau); es liegt zwar damit in seinem Schutzniveau unter dem des Übereinkommens 138, dessen Regelungen sich an Altersgruppen orientiert. Das Übereinkommen 182 war aber - beispiellos in der Geschichte der IAO - im Jahre 2004 schon von 150 der 177 IAO-Mitglieder ratifiziert worden. Gemäß der ERKLÄRUNG sind unter Verweis auf Artikel 19 der IAO-Verfassung alle Mitglieder, die ein oder mehrere Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert haben, verpflichtet, nach einem festgelegten und immer weiter verbesserten Verfahren jährlich darüber Auskunft zu geben, wie die rechtliche und faktische Lage mit Blick auf die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit beschaffen ist und was gegebenenfalls die Ratifikation jener Übereinkommen verhindert. Die 8

Internationales Arbeitsamt, Die normensetzende Tätigkeit der IAO im Zeichen der Globalisierung, Bericht des Generaldirektors, Internationale Arbeitskonferenz, 85. Tagung, 1997, 15. 9 Internationales Arbeitsamt, Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen, 1998, 7. 10 Swepston, Human rights law and freedom of association, International Labour Review 1998, 171 ff.

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Berichte der Regierungen müssen wie auch bei der sonstigen Berichtspflicht ratifizierter Übereinkommen den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zur Kenntnis gebracht werden, so dass diese sich dazu äußern können. Die IAO verpflichtet sich ihrerseits gegenüber den Mitgliedern zu technischer Hilfe und anderen Formen der Unterstützung. 11 In den Jahren 2000 bis 2003 wurden im Rahmen einer ersten Berichtsrunde der Internationalen Arbeitskonferenz je abwechselnd Jahresberichte zu einem der vier grundlegenden Rechte vorgelegt. Mit der ERKLÄRUNG hat die IAO einen Mechanismus geschaffen, der es erlaubt, auch Länder mit sehr geringer Ratifikationsquote und damit sehr geringen Berichtspflichten zu periodischen Berichten zu verpflichten. So wurden beispielsweise auch aus den USA, die insgesamt nur 14 Übereinkommen ratifiziert hat (davon drei grundlegende) Fälle von gewerkschaftlicher Seite vorgebracht, die ansonsten nicht vor das internationale Gremium gebracht worden wären. Die allgemeine Anerkennung der universellen Geltung bestimmter grundlegender Rechte bei der Arbeit in Gestalt von acht IAO-Übereinkommen gewinnt seit 1998 an Boden. In einer OECD-Studie aus dem Jahre 2000 wurde die Beziehung zwischen dem ökonomischen Entwicklungsstand der Staaten und ihrem Ratiflkationsverhalten untersucht. Es zeigte sich, dass einige OECD-Staaten (wie z. B. Polen und Türkei) ein geringeres Pro-Kopf-Einkommen aufweisen als NichtOECD-Staaten, aber alle Kernarbeitsnormen ratifiziert haben, während NichtOECD-Länder mit einem höheren Pro-Kopf-Einkommen als der OECD-Durchschnitt weniger Ratifikationen aufweisen, so z. B. Singapur, das nur zwei Kernarbeitsnormen ratifiziert hat. 12 Viel spricht dafür, dass weniger der ökonomische Entwicklungsstand als vielmehr politische Strukturen maßgeblich das Ratifikationsverhalten von Staaten beeinflussen. Die Hervorhebung von acht Übereinkommen als sogenannte internationale Kernarbeitsnormen hat mit der Tradition der Gleichrangigkeit aller IAOÜbereinkommen gebrochen. Dieser Traditionsbruch (der keineswegs unumstritten ist) war die Antwort auf eine politische Situation, in der in Zeiten der Globalisierung ein Mangel an Ratifikationen und ein zunehmender Unwille der Staaten, neue Verpflichtungen einzugehen, der IAO ihre Gestaltungskraft - wenn nicht gar ihre Existenzberechtigung - zu nehmen schienen.

I I I . Das Problem der Normanwendung Der neue Ansatz, zumindest einer kleinen Anzahl von grundlegenden Spielregeln oder internationalen Arbeitsnormen mit Menschenrechtscharakter zu univer11

In diesem Zusammenhang ist innerhalb der IAO eine besondere Abteilung DECLARATION zur Umsetzung der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen gebildet worden, die dem Verwaltungsrat regelmäßig berichtet. 12

Siehe OECD, International trade and core labour standards, 2000, 23 ff.

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saler Anerkennung zu verhelfen, ist nicht ohne die Initiativen westlicher Gewerkschaften zu denken, die seit den 1980er Jahren in ihren eigenen Ländern durch Importe aus den neuen Industrieländern (NICS) den Druck der neuen globalen Wirtschaftstrends erfahren. Sie hatten insbesondere auch die Macht der global agierenden Konzerne vor Augen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, wie der an Normen orientierte Ansatz der IAO die weltweite Mehrheit der arbeitenden Menschen erreichen kann, denn diese befindet sich in einer immer noch wachsenden informellen Ökonomie. Schon vor der Finanzkrise in Asien im Jahre 2001 wurde die informelle Ökonomie (gemessen allein am Anteil nicht-landwirtschaftlicher Beschäftigung) nach offiziellen Statistiken in Lateinamerika und der Karibik auf 57 %, in Afrika auf 78 % und in Asien auf 45-85 % geschätzt. Wird die Landwirtschaft einbezogen, so kommt man im Fall Indiens sogar auf einen Anteil von etwa 90 % der gesamten Beschäftigung. 13 Diese Situation stellt die IAO mit ihrem Mandat, weltweit Frieden durch verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen zu befördern, vor große Herausforderungen. Der erste IAO-Generaldirektor aus der Dritten Welt, Juan Somavia, formulierte in seinem Bericht an die 87. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz bei seinem Amtsantritt im Jahre 1999 mit Blick auf diese Herausforderungen zwei Antworten: das Leitbild einer menschenwürdigen Arbeit weltweit sowie die Strategie des integrierten Ansatzes und äußerte sich dazu folgendermaßen: „Das vorrangige Ziel der IAO besteht heute darin, Möglichkeiten zu fördern, die Frauen und Männern eine menschenwürdige und produktive Arbeit in Freiheit, Sicherheit und Würde und unter gleichen Bedingungen bieten. Dies ist heute der Hauptzweck der Organisation. Menschenwürdige Arbeit steht im Brennpunkt ihrer vier strategischen Ziele: Förderung der Rechte bei der Arbeit, Beschäftigung, Sozialschutz und Sozialdialog." 14 Der IAO soll es nicht mehr nur um Arbeitnehmer, sondern um alle erwerbstätigen Menschen gehen, einschließlich der „Arbeitnehmer in ungeregelten Verhältnissen, der Selbständigen und der Heimarbeiter." 15 Und ein integrierter Politikansatz der IAO soll gewährleisten, dass technische Kooperation und Beförderung grundlegender Rechte bei der Arbeit konsistent aufeinander bezogen sind. Eine der besonderen Herausforderungen für die IAO aufgrund der Zerklüftung der fehlentwickelten Gesellschaftsstrukturen in vielen Ländern Lateinamerikas, Asiens und vor allem Afrikas besteht im Mangel der Repräsentation gesellschaftlicher Interessen, wie sie in der IAO seit ihrer Gründung weitsichtig vorgesehen ist. Vorhandene Arbeitgebervertretungen und Gewerkschaften sind meist nur auf die formale Ökonomie bezogen sind. Der „Biss" des elaborierten Überwachungssystems der IAO besteht aber gerade darin, dass die Regierungen verpflichtet sind, 13 Alter Chen/Jhabvalla/Lund, Supporting workers in the informal economy. A policy framework. ILO employment sector working paper, 2002, 4, mit Verweis auf Zahlen aus der Weltbank. 14

Internationales Arbeitsamt, Menschenwürdige Arbeit. Bericht des Generaldirektors, Internationale Arbeitskonferenz, 87. Tagung, 1999, 4. 15

Ibid.

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ihre Berichte an das Internationale Arbeitsamt auch jeweils den repräsentativsten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden in ihrem Land zuzusenden, damit diese ihre eigenen Kommentare dazu an das Internationale Arbeitsamt schicken können. Auch die Wirksamkeit von Verwaltungsdialogen, flankiert mit technischer Hilfeleistung, setzt voraus, dass es in den Staaten tatsächlich eine funktionierende innergesellschaftliche Interessenbildung und Interessenartikulation gibt, die sich kritisch auf die Regierungsposition beziehen kann. Die IAO hat sich angesichts dieser Problematik - besonders in ihren Feldaktivitäten vor Ort - der Anwaltschaft durch zivilgesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen geöffnet, welche nicht wie die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen eigene kollektive Interessen vertreten, sondern für das Gemeinwohl engagiert sind. Solche Öffnung ist offenbar in Wirtschaftsbereichen, die nicht zur formellen Ökonomie gehören, unverzichtbar. Sie wirft allerdings eigene Probleme der Legitimität, Rechenschaftspflichtigkeit und Zuverlässigkeit dieser anwaltlich tätigen Organisationen auf, 16 die insbesondere von internationaler Gewerkschaftsseite nicht ohne Erfolg immer wieder thematisiert werden. Seit Ende des letzten Jahrhunderts befasst sich die IAO, die schon in den 1970er Jahren den kritisch verstandenen Begriff des informellen Sektors gegenüber dem damals vorherrschenden Begriff einer dual strukturierten Ökonomie in den Entwicklungsländern geprägt hatte, wieder verstärkt mit den Arbeits- und Lebensbedingungen in der informellen Ökonomie. So bildete 2002 die informelle Ökonomie ein Thema auf der Agenda der Internationalen Arbeitskonferenz. 17 Es ging um die Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit, einerseits die informelle Ökonomie als Beschaffer von Beschäftigung und Einkommen anzuerkennen - und nicht einfach zu ignorieren - und andererseits eine Politik zu fördern, die auch hier soziale Grundrechte und Schutz zu gewährleisten verspricht. Generaldirektor und Stab der IAO plädierten dafür, die Prinzipien und Grundrechte der Arbeit auch in der informellen Ökonomie zur Anwendung zu bringen und die Überwachungsorgane der IAO damit zu befassen. 18 Das kann nicht anderes bedeuten als die Informalität oder die Nichtexistenz der Formalität zumindest teilweise zu überwinden. Dazu bedarf es allerdings einer besonderen Befähigungspolitik, eines gesellschaftlichen „capacity building". Von ganz besonderem Gewicht ist in diesem Zusammenhang die Bildung und Unterstützung von Vereinigungen, Gewerkschaften und Genossenschaften in der informellen Ökonomie, wie beispielsweise die schon 16

s. zu diesem Problemkreis Atack, Four criteria of development of NGO legitimacy, World Development, 1999, 855-864. 17 s. auch die Materialien von Alter Chen/Jhabvalla/Lund (Fn.12); und Schlyter, International labour standards and the informal sector. Developments and dilemmas, ILO employment sector working paper, 2002. 18 Der Sachverständigenausschuss für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen hat beispielsweise in einer Beobachtung zum Übereinkommen 87 gegenüber der Regierung von Venezuela hervorgehoben, dass es für self-employed worker unangemessen ist, als Voraussetzung dafür, eine Gewerkschaft zu bilden, auf einer Zahl von 100 Arbeitenden zu bestehen (s. dazu Schlyter (Fn. 15), 8).

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1972 gegründete Self-employed Women's Association (SEWA) Indiens. Die IAO fördert Zusammenschlüsse von Selbständigen ohne Angestellte und auch die Vereinigung von kleinen Unternehmen in Arbeitgeberverbänden, damit es zu gemeinsamer Interessendefinition und -artikulation, zu Transparenz über soziale Praktiken im Arbeitsbereich sowie zu gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen kommen kann. Insbesondere die Aufgaben im Rahmen des globalen Programms zur Abschaffung von Kinderarbeit (IPEC) 19 hat in der IAO einen allgemeinen organisatorischpolitischen Lernprozess darüber vorangebracht, auf welche Weise die IAO in Zeiten der Globalisierung auch in der informellen Ökonomie die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen aller Menschen wirksam erfüllen kann. Diese Erkenntnisse sind in die beschlossenen Folgemaßnahmen im Zusammenhang mit der Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit eingeflossen. Das hier vorgesehene Berichtssystem wird nicht dem regulären Berichts- und Überwachungssystem gleichgesetzt, sondern hat einen strikt fördernden Charakter. 20 Der damit verbundene Verwaltungsdialog 21 ist als „capacitybuilding" zu verstehen. Von besonderer Bedeutung sind die Bemühungen des Stabs, eine Wissensbasis aufzubauen, die geeignet ist, eine konsensfähige Grundlage zur Anerkennung und damit zur Thematisierung und Bearbeitung von Problemen zu schaffen. IPEC, dessen Grundstamm Anfang der 1990er Jahre mit Hilfe deutscher Mittel gelegt worden ist, zeigt, auf welche Weise die Leugnung oder kulturrelativistische Verharmlosung von Problemen überwunden werden kann. Es bedurfte der Möglichkeit, vor Ort Recherchen anzustellen, um eine unanfechtbare Wissensbasis zu schaffen und technische Hilfe in integrierte nationale Programme zu übersetzen, in denen sich Ziele nationaler Entwicklung, Armutsbekämpfung und Arbeitspolitik mit der Förderung grundlegender Prinzipien und Rechte bei der Arbeit verschränken. Unabhängig von der IAO haben sich vielfältige private Initiativen aus der Zivilgesellschaft herausgebildet, die sich in je spezifischer Weise um den Respekt für Arbeiterrechte weltweit bemühen. Solche Initiativen von Nichtregierungsorganisationen sind insbesondere hinsichtlich der Kinderarbeit in der Teppichherstellung bekannt geworden. Dazu gehören Gütesiegelinitiativen zur Unterstützung ausgewählter Arbeits- und Sozialstandards, die nach vier verschiedenen Ausprägungen unterschieden werden können: Es kann sich um die Benutzung von tatsächlichen Siegeln auf einem Produkt oder eine Handelseinrichtung handeln, um Aufklärungsarbeit bei den Konsumenten, um Aufsichtstätigkeit oder um die 19 Internationale Arbeitsregulierung in ZeiSiehe dazu Senghaas-Knobloch/Dirks/Liese, ten der Globalisierung. Politisch-organisatorisches Lernen in der Internationalen Arbeitsorganisation, 2003, 39 ff. 20

Potter (Fn. 6), 217, spricht von „political track". Zur rechtspolitischen Einordnung von Verwaltungsdialogen siehe Zangl, Bringing courts back in. Normdurchsetzung im GATT, in der WTO und der EG, Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2001, 49-80. 21

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Erhebung einer Gebühr auf ein Produkt, das von Händlern und/oder Importeuren bezahlt wird. Gütesiegelinitiativen stützen sich zur Durchsetzung der von ihnen avisierten Normen nicht auf staatliche hierarchische Macht, sondern auf Reputationsinteressen der Wirtschaftsakteure und Marktmacht der Kunden. Zu weiteren Privatinitiativen, die sich auf solche Marktmechanismen mit eigenen Mitteln stützen, gehört die Bewegung für sogenanntes ethisches Investieren. 22 Das starke Anwachsen multinational und transnational operierender Unternehmen stellt für die Anwendung von IAO-Übereinkommen eine besondere Herausforderung dar. Das reguläre Überwachungssystem ist darauf angewiesen, dass die Übereinkommen von den Mitgliedsstaaten der IAO ratifiziert werden, worüber diese rechenschaftspflichtig werden. 23 Im Rahmen von Strategien des „Global Sourcing" und von Unternehmensnetzwerken 24 kann jedoch durch weltweit operierende Unternehmen die Zuständigkeit für die Einhaltung arbeitsbezogener Übereinkommen von einem Staat mit hohen Standards und hoher Ratifikationsquote auf einen anderen Staat mit niedrigen Standards und geringer Ratifikationsquote verschoben werden. Das ist in verschiedensten Branchen - von der IT-Branche über die Textil- und Bekleidungsbranche bis zur internationalen Handelsschifffahrt - an der Tagesordnung. Im Falle der internationalen Handelsschifffahrt ist beispielsweise zu beobachten, dass in den letzten 30 Jahren die Zuständigkeit europäischer Regierungen durch das sogenannte Ausflaggen von Schiffen unterlaufen wird. 25 Die klassische Problematik internationaler Warenkonkurrenz übersetzt sich hier in eine Konkurrenz angebotener Arbeitskraft auf globalen Teilarbeitsmärkten. Angesichts dieser Problematik hatte der Verwaltungsrat der IAO schon auf seiner 204. Sitzung im November 1977 eine dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik verabschiedet, die in der 279. Sitzung im November 2000 abgeändert wurde. Die Abänderung aus dem Jahre 2000 bezieht sich auch auf die ausdrückliche Benennung der Kernarbeitsnormen. In 22

Siehe dazu Diller, A social conscience in the marketplace? Labour dimensions of codes of conduct, social labelling and investor initiatives, International Labour Review 1999, 99-129. 23 Von dieser Regel der Rechenschaftspflichtigkeit auf Grund von Ratifikation gibt es zum einen die Ausnahme im Bereich der Vereinigungsfreiheit. In einem Abkommen mit dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ist der IAO die Aufgabe übertragen worden, Rechte auf Vereinigungsfreiheit und kollektive Verhandlungen zu überwachen. In diesem Zusammenhang wurde ein besonderer Ausschuss zur Überprüfung von Beschwerden gegen Normverstöße in diesem Bereich gebildet. Die zweite Ausnahme von der Regel besteht in der in Artikel 19 der IAO-Verfassung vorgesehenen Möglichkeit, Regierungen um Auskunft zu bitten, welche Hindernisse sie gegen die Ratifikation von Übereinkommen vorbringen. Dieser Verfassungsartikel der IAO ist im Rahmen der 1998 angenommenen Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit für den zugleich damit verabschiedeten Folgemechanismus genutzt worden. 24 Siehe Fichter/Sydow, Using networks towards global labor standards?, Industrielle Beziehungen 2002, 357-380. 25 Siehe dazu Senghaas-Knobloch/Dirks/Liese (Fn. 18), 131 ff.; sowie Gerstenberger/ Welke (Hrsg.), Seefahrt im Zeichen der Globalisierung, 2002.

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dieser Erklärung werden Grundsätze auf den Gebieten Beschäftigung, Ausbildung, Arbeits- und Lebensbedingungen und Arbeitsbeziehungen formuliert, die von Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und multinationalen Unternehmen freiwillig beachtet werden sollen. 26 In der OECD wurden schon 1976 Leitsätze über Arbeitsstandards als Teil der OECD-Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen angenommen. Auch diese Leitsätze wurden im Juni 2000 überprüft und revidiert, insbesondere mit Empfehlungen ergänzt, die sich auf diejenigen Kernarbeitsnormen der IAO beziehen, die in dem früheren Text gefehlt haben, nämlich zur Abschaffung von Kinderarbeit und von Zwangsarbeit. 27 Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die Dreigliedrige Erklärung der IAO über Grundsätze multinationaler Unternehmen und Sozialpolitik bilden zwar Orientierungen für die Inhalte der Verhaltenskodices von multinationalen Konzernen, jedoch keine rechtlichen Verpflichtungen. Große politische Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen gegen Konzerne haben dazu beigetragen, dass sich viele multinational und transnational operierende Konzerne genötigt sehen, die Folgen ihres Handelns für die Lebensbedingungen betroffener Menschen mit ins Kalkül zu ziehen, zumindest um rufschädigenden Kampagnen zu entgehen. In den Vereinigten Staaten haben in der Tat die meisten der von der Zeitschrift Fortune hervorgehobenen 500 wichtigsten Unternehmen eigene Verhaltenskodizes, in England mehr als 60 % der 500 wichtigsten Unternehmen, so nach der Schätzung des Institute of Business Ethics. 28 Der Bezug dieser Selbstverpflichtungen der Unternehmen auf die Kernarbeitsnormen der IAO ist allerdings unterausgeprägt. Nach Untersuchungen des amerikanischen Rechtswissenschaftlers Gould IV nimmt nur eine sehr kleine Minderheit von 18 % der vorfindlichen Verhaltenskodices explizit auf IAO-Übereinkommen oder UNOErklärungen bzw. Konventionen Bezug. 29 Dieser Sachverhalt ist gerade auch mit Blick auf den von UNO-Generalsekretär Kofi Annan in Gang gesetzten und von der IAO geförderten Global Compact, als neue Kooperationsform zwischen Vereinten Nationen, Nichtregierungsorganisationen und transnationalen Wirtschaftsunternehmen, problematisch. Inwieweit die von multinationalen Unternehmen selbst aufgestellten Verhaltenskodizes faktisch umgesetzt werden, wurde zunächst wiederum von außen vor allem von Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen und Graswurzel26 Dabei werden in Fußnoten und Anhängen die Übereinkommen und Empfehlungen benannt, auf die sich die im Text der Erklärung niedergelegten Grundsätze beziehen. Im November 2001 legte das Internationale Arbeitsamt die Zusammenfassung der Antworten der 7. Umfrage unter den Mitgliedern über die Anwendung der Grundsatzerklärung vor. 27

2000. 28 29

Siehe OECD, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung Siehe OECD, International Trade and core labour standards, 2000, 73.

Gould IV, Labour law for a global economy. The uneasy case for international labor standards, 2002, 44.

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bewegungen überprüft. Aufgrund der Kampagnentätigkeit dieser Initiativen entwickelten multinationale Unternehmen ihrerseits ausgefeiltere Methoden der Selbstbeobachtung ähnlich denen in der internationalen Seeschifffahrt, wo die rechtlich vorgeschriebenen Sicherheitsmanagementsysteme durch Akkreditierungsgesellschaften, also nichtstaatliche Akteure , zertifiziert werden. Es werden beispielsweise Auditoren eingesetzt, organisatorische Instanzen mit der Kompetenz ausgestattet, die Einhaltung der Selbstverpflichtung zu überprüfen oder Gesellschaften beauftragt, die Einhaltung bestimmter Standards zu zertifizieren. Es findet sich also eine Gemengelage aus Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung, in deren Zusammenhang sich neuerdings Partnerschaften bzw. Netzwerke zwischen Wirtschaftsakteuren, professionellen Zertifizierungseinrichtungen und NGOs ergeben. 30 In der letzten Generation solcher Entwicklungen, die beispielsweise durch Akteure wie Social Accountability International (früher Council on Economic Priorities Accreditation Agency) oder Fair Labour Association (beide in USA entstanden) charakterisiert ist, sind - zumindest in den Aufsichtsgremien dieser nicht-staatlichen Organisationen - auch wieder Gewerkschaften beteiligt, nachdem eine gewerkschaftsferne Überwachungstätigkeit scharf kritisiert worden war. In der Europäischen Union schließen die Sozialpartner sogar Rahmenvereinbarungen über Verhaltenskodices in bestimmten Branchen ab. Ein Beispiel ist der Verhaltenskodex, der im September 1997 von den Sozialpartnern der europäischen Textil- und Bekleidungsindustrie angenommen worden ist. 31 Der Verhaltenskodex schließt IAO Kernnormen - Abschaffung von Zwangsarbeit, Gewährleistung der Koalitionsfreiheit und der kollektiven Verhandlungen, Abschaffung von Kinderarbeit und die Verpflichtung zur Gleichbehandlung in der Beschäftigung - ein. Durch die Aufnahme dieser Vorgaben in nationale kollektive Vereinbarungen, also Tarifrecht, gewinnt der Inhalt des Kodex einen rechtlichen Status und bindende Kraft. Hier gibt es so wie bei den weltweit geltenden Abschlüssen von Rahmenübereinkommen zwischen Betriebsräten und dem Management von Weltkonzernen einen Mechanismus zur Verstärkung von IAO-Normen. In jüngster Zeit hat sich eine Reihe von Netzwerkinitiativen gebildet, in denen verschiedene Anspruchsgruppen (multistakeholder initiatives) zusammenarbeiten. Diese neuen Netzwerkinitiativen oder „runden Tische" 32 versuchen eine Antwort auf die wichtigsten Kritikpunkte zu finden, die von Wissenschaft und Betroffenen vor Ort aufgestellt worden sind: wilde Ausbreitung von Kodizes, schlechte Qualität von Arbeitsplatzaudits, begrenzte Kapazitäten von Nichtregierungsorganisatio30 Siehe dazu Nadvi/Wältring , Making sense of global standards, EMEF-Report 58,2002; sowie O'Rourke, Outsourcing regulation. Analyzing nongovernmental systems of labour standards and monitoring, The Policy Studies Journal 2003, 1-29. 31 Beteiligt waren Euratex auf der Seite der Arbeitgeber und ETUF/TCL auf der Seite der Gewerkschaften. 32 Siehe dazu beispielsweise den Runden Tisch Verhaltenskodizes des B M Z und den Arbeitskreis Menschenrechte und Wirtschaft im Auswärtigen Amt.

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nen in den südlichen Ländern, Mangel an Berichtstransparenz und unzureichende Beschwerdemechanismen.33 Zusammengenommen macht das Bild der Akteure und Initiativen im Bereich von internationalen Standards in der Arbeitswelt deutlich, dass sich in den letzten 20 bis 30 Jahren eine neue Landschaft ausgebildet hat. Sie wird dadurch charakterisiert, dass sich im Regelungsbereich des klassischen Völkerrechts eine eigentümliche Grauzone von mehr oder minder freiwilligen Verpflichtungen herausgebildet hat, Verpflichtungen, die von Akteuren eingegangen werden, die nach herkömmlichem Verständnis nicht Völkerrechtssubjekte sind; diese Verpflichtungen lehnen sich mehr oder minder an Normen des klassischen Völkerrechts (z. B. IAONormen) an, gehen aber mit neuen Aufsichtsformen einher. Die Frage, ob es gelingt, in dieser neuen Mischung die völkerrechtlichen Normen im Arbeits- und Sozialbereich zu stärken, ist offen. Es wird vermutlich umso weniger gelingen, je stärker nicht nur professionelle, sondern auch kommerzielle Formen und Akteure der Normaufsicht obsiegen.

IV. Fazit Die Gründung der UNO und ihrer Sonderorganisationen war noch von dem Gedanken getragen, dass dem internationalen und transnationalen Wirtschaftsaustausch Institutionen an die Seite zu stellen seien, vermittels derer die Solidarität mit den vom Austausch Benachteiligten gefördert werden sollte. Dies war auch die Geschäftsgrundlage für die IAO sowohl bei ihrer Gründung nach dem Ersten Weltkrieg als auch in der Zeit ihrer Neukonstitution am Ende des Zweiten Weltkriegs, als sie in der Erklärung von Philadelphia Grundprinzipien ihrer Gründungsverfassung bestätigte. Inmitten des seit den 1980er Jahren entfalteten ideologischen Streits über das richtige Verhältnis von Wirtschaftsentfaltung und Regeln für Wirtschaft und Arbeitsleben sah sich die IAO vor die Frage gestellt, wie sie gleichwohl die angestrebte universelle Geltungskraft ihrer internationalen Arbeitsnormen in einer Situation wachsender wirtschaftlicher Ungleichheit und heterogener Gesellschaftsstrukturen befördern könnte. Darüber ist ein komplexer Prozess politisch-organisatorischen Lernens 34 angestoßen worden, der sich bisher in drei Strategieveränderungen manifestiert. Die IAO hat erstens in ihrem Aktivitätsbereich „Normen" eine neue Strategie der Vorrangigkeit und Dringlichkeit gewählt. Sie hat dafür diejenigen grundlegenden Prinzipien und Rechte innerhalb des Kanons aller Übereinkommen identifiziert, gegen die kein Staat verstoßen darf, die also ein hohes Maß an Legitimität im Sinne von Anerkennung auf sich vereinen. Die Identifizierung dieser grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit wurde dadurch gestützt, dass es in 33

Siehe dazu vor allem Maquila Solidarity Network (MSN) Nr. 16, 2004, erhältlich im Internet: . 34

Siehe dazu Senghaas-Knobloch/Dirks/Liese

(Fn. 18).

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vier Bereichen (Vereinigungsrecht, Abschaffung von Zwangsarbeit, Recht auf Gleichbehandlung, Abschaffung von Kinderarbeit) nicht nur IAO-Normen, sondern auch UN-Pakte und UN-Konventionen gibt (so den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und die UN-Konvention über die Rechte des Kindes). Und sie hat im Jahr 1999 mit dem Übereinkommen 182 über die Abschaffung der schlimmsten Form der Kinderarbeit erstmals ein neues Übereinkommen (einstimmig) beschlossen, dessen gesamtes Schutzniveau unter dem schon vorhandener Instrumente lag. 35 Die IAO hat diesen Weg beschritten, weil sie - wie im Fall der Erklärung über Prinzipien und Grundrechte bei der Arbeit hier daraufbauen konnte, dass die in dem Übereinkommen 182 angegebenen sogenannten schlimmsten Formen der Kinderarbeit, Sklaverei, Zwangsrekrutierung, Prostitution usw. von keinem Mitgliedsstaat offen befürwortet würde, jedenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt der nachholenden Entwicklung oder gar natürlicher komparativer Kostenvorteile, die in der Handelsdebatte eine so prominente Rolle spielen. Übereinkommen 182 gehört so wie das 1973 beschlossene Übereinkommen 138 (Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung) zu den Kernarbeitsnormen. Der jetzt eingeschlagene Weg, internationalen Normen im Arbeitsleben universelle Geltungskraft zu verschaffen, zielt darauf ab, ein Fundament von unter allen Umständen und absolut geltenden Mindeststandards, die auf der Stigmatisierung des weltweit Nichttolerierbaren beruhen, zu errichten und zu festigen. Die zweite Strategieveränderung richtet sich auf neue Wege der Normdurchsetzung durch Befähigung (capacity-building), wobei Aktivitäten der IAO in den Bereichen Normen, Technische Hilfe und Forschung zusammengeführt werden. Die IAO lernte, dass beispielsweise internationaler Druck zur staatlichen oder marktgetriebenen Durchsetzung des Verbots von Kinderarbeit keineswegs immer dem Schutz der betroffenen Kinder dient. Dies ist nur in einer lokalen Umgebung der Fall, in der Eltern oder Gemeinschaften Wissen und Ressourcen zur Verfügung haben, um sie in die Bildung und den Unterhalt ihrer Kinder investieren zu können. Andernfalls müssen Kinder womöglich in noch schlimmeren Verhältnissen als den aufgedeckten ihren Unterhalt suchen. Die IAO erprobt zur Durchsetzung universaler Geltung von Normen im Arbeitsleben vielfältige Partnerschaften im Sinne des „capacity-building" neuen Typs. Sie versucht, die Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflichtigkeit von Regierungen dadurch zu stärken, dass vor Ort politische Bildungsprozesse („consciousness raising") zustande kommen, in deren Gefolge sich lokale Anspruchsgruppen („stakeholder") bilden können, die ihre eigene Besorgnis in Gemeinwohl bezogenes Handeln übersetzen. Die Zukunft der Kinder wird mit der Zukunft des Landes verbunden. Im Zusammenhang mit Kinderarbeit hat es die IAO beispielhaft verstanden, nationale und politisch lokale Willensbildungsprozesse durch das 35 Die IAO hebt hervor, dass Übereinkommen 182 nicht im Widerspruch zu Übereinkommen 138 steht, sondern Prioritäten setzt.

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Beschaffen von Informationen, Statistiken, grundlegendem Wissen sowie von materiellen Projektmitteln zu unterstützen. 36 Statt auf Sanktionen wird hier also erfolgreich auf Anreize gesetzt. Die angestoßenen Politikveränderungen der IAO bestärken die These, dass ein konditionierter Welthandel durch Sozialklauseln, wie von Gewerkschaften und manchen westlichen Regierungen gefordert und bilateral von den USA und der EU schon praktiziert, nur höchst begrenzt zu einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Entwicklungsländern beitragen kann. Denn von zentraler Bedeutung erweisen sich Spezifika beruflicher Aktivitäten, von Geschäftsfeldern und von Wirtschaftszweigen. Je stärker Funktionalitäts- und Reziprozitätsanforderungen im Rahmen globaler Geschäftstätigkeiten ausgeprägt sind, desto wahrscheinlicher können bestimmte Interessenüberlappungen der Sozialpartner für internationale Standards zum Tragen kommen, beispielsweise für Mindestqualifikationen und maximal erlaubte Belastungen der Beschäftigen. Die Seeschifffahrt ist hierfür ein Beispiel; in dieser Branche findet sich auch - für die IAO einzigartig - ein Erzwingungsmechanismus, indem neben der Kontrolle der Flaggenstaaten auch eine Hafenstaatskontrolle vorgesehen ist. Wie allerdings eine effektive Hafenstaatskontrolle im Bereich der Arbeitsstandards praktisch aussehen könnte, ist trotz jahrzehntelanger Rechtsgrundlage im maritimen Bereich noch keineswegs ausreichend geklärt. Wo sich die universale Geltung bestimmter Mindeststandards nicht auf branchentypische, technisch-funktionale Erfordernisse stützen kann, kommt es demgegenüber entscheidend auf eine zu bildende Öffentlichkeit über Rechte und soziale Werte an, sei sie Welt- oder lokale Öffentlichkeit. Sie muss zu einer Redefinition von ökonomischen Interessenlagen und von staatlicher Politik vor Ort beitragen. Die Regulierung von Arbeits- und Lebensbedingungen hat immer mit sozialen Praktiken zu tun, die ihrerseits in politische, ökonomische und kulturelle Zusammenhänge vor Ort eingebettet sind. Die weltweite Heterogenität in dieser Hinsicht ist heute offenkundiger als zur Zeit der Gründung der IAO. Wenn gleichwohl unter der Vision von menschenwürdiger Arbeit bestimmten Standards in der Wirtschaft und im Arbeitsleben weltweit Geltung verschafft werden soll, kommt es zum einen darauf an, eine gemeinsame Sicht für die dringlichsten Probleme und absolut gültigen Arbeitsnormen zu festigen; zum anderen ist es wichtig, Fähigkeiten und Akteure in den Ländern vor Ort zu stärken, vermittels derer die anerkannt dringlichsten Normen im Rahmen neuer Partnerschaften oder Netzwerke praktisch umgesetzt werden können. Dazu muss sich die IAO Partner suchen national und international, lokal und regional, unter sich neu bildenden Akteurs36 Der Erfolg des Programms zur Abschaffung von Kinderarbeit hat der IAO zugleich auch ihre eigenen Kapazitätsgrenzen vor Augen geführt und neue strategische Überlegungen zu der Frage in Gang gesetzt, welche Aufgaben von Seiten der I A O direkt übernommen und begleitet werden können und welche Aufgaben durch neue Partnerschaften in den Ländern und mit anderen internationalen Organisationen bearbeitet werden sollten.

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gruppen i n der Geschäftswelt und der Zivilgesellschaft, aber auch bei den Regierungen, die allein den politischen Rahmen für eine „faire Globalisierung" schaffen können, und bei anderen mächtigen internationalen Organisationen. 37

37 Zum Thema Kohärenz der Signale von internationalen Organisationen für die entwicklungspolitischen Ausrichtungen der Regierungen siehe Hagen, Policy Dialogue between the International Labour Organization and the International Financial Institutions. The Search for Convergence, Occasional Papers of the Friedrich-Ebert-Stiftung No. 9, 2003.

Kulturgüter in Friedens- und Freundschaftsverträgen Von Kurt Siehr

I. Problem Immer wieder stößt man auf Behauptungen, die Rückgabe der von Napoleon „geraubten" Kulturgüter sei in der Wiener Schlussakte vom 9.6.18151 oder im Zweiten Pariser Friedensvertrag vom 20.11.18152 angeordnet worden. 3 Das ist ein Irrtum. Wohl absichtlich ist die Rückgabe deshalb nicht staatsvertraglich festgelegt worden, um die restaurierte französische Monarchie nicht von Beginn an zu belasten. Auch eine Rolle gespielt haben dürfte die Tatsache, dass viele Kulturgüter als vertraglich vereinbarte Kontributionen an Frankreich geleistet wurden und sich deshalb scheinbar legal im Musée Napoléon befanden. Stendhal, ein glühender Verehrer Napoleons, schrieb noch 1831 über Raphaels „Krönung Mariae" aus dem Kloster Monte Luce in Perugia: „En 1797, le traité de Tolentino nous donna ce tableau, qui, en 1815, fut volé à Paris par les alliés et rapporté au Vatican, oü les Français pourront le reprendre avec toute justice, dès qu' ils se trouveront les plus forts à Rome". 4 Dieser „Raub" durch die Verbündeten wurde in den Jahren 1814/15 vielmehr auf Drängen der Alliierten, vor allem des Duke of Wellington 5 und von Lord Castlereagh6, unter Einsatz solcher Männer wie Antonio Canova7 Abgedruckt auch in: Israel (Hrsg.), Major Peace Treaties of Modern History 1648-1997, Bd. I, 1967, 519; 64 C.T.S. 443. 2 65 C.T.S. 251 und 301. In Art. X X X I des Ersten Pariser Friedensvertrags vom 30.5.1814 (63 C.T.S. 171) ist nur von der Rückgabe der Archive und Dokumente die Rede, die sich auf abgetretene Gebiete beziehen und während deren Besetzung fortgeschafft wurden. 3 Vgl. z. B. Hollander, The International Law of Art, 1959, 24, unter Berufung auf Nicolson, The Congress of Vienna. A Study in Allied Unity: 1812-1822, 1946, 240, wo allerdings nur generell über die Rückführung geraubter Kunstwerke berichtet wird. 4

Beyle-de Stendhal , Mélanges EU: Peinture, nouvelle éd. 1972, 360; ebenfalls in: ders., Geschichte der Malerei in Italien, ca. 1924, 425. 5 Vgl. die Pariser Depesche des Duke of Wellington an Viscount Castlereagh vom 23.9.1815 in: De Martens (Hrsg.), Nouveau Recueil de Traités, Bd. II, 1818, 642 ff.; ebenfalls in: Gurwood (Hrsg.) The Dispatches of the Field Marshal The Duke of Wellington, Bd. 12, 1838, 641 ff. und in: Gould, Trophy of Conquest, 1965, 131 ff. 6 Vgl. die Pariser Note von Viscount Castlereagh an die Minister der Alliierten vom 11.9.1815 in: De Martens (Fn. 5), 632 ff. 7 Vgl. Contarini, Canova a Parigi nel 1815, 1891, 11 ff., und Jayme, Antonio Canova und das nationale Kunstwerk, in: ders., Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht, 1999, 1 (10 ff.).

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ziemlich ungeordnet begangen.8 A l l diese Begebenheiten sind aber insofern für die hier angesprochene Problematik interessant, als der Friedensvertrag von Tolentino einer der ersten Friedensverträge ist, in dem sich Abmachungen über Kulturgüter befinden. Es ist also gerade erst 200 Jahre her, dass sich Friedensverträge mit Kulturgütern befassen. Diesen Friedensverträgen, nicht jedoch den SpezialVerträgen zum Schutz von Kulturgütern, ist hier näher nachzugehen. Denn es dürfte meinen Freund und Kollegen Jost Delbrück ebenfalls interessieren, wann und weshalb Kulturgüter in Friedens- und Freundschaftsverträge der neueren Völkerrechtsgeschichte Eingang gefunden haben.

I I . Verträge mit Abmachungen über Kulturgüter 7. Kulturgüter,

Archive und sonstiges Vermögen

Wenn im Folgenden von Kulturgütern die Rede ist, sind damit bewegliche Objekte der bildenden Kunst gemeint.

a) Archive Auf Archive will ich nur insofern eingehen, als gezeigt werden soll, dass diese Objekte schon viel früher deshalb Gegenstand völkerrechtlicher Abmachungen waren, weil sie Rechte der Vertragspartner dokumentierten und für den Nachweis dieser Rechte große Bedeutung hatten. Die Archive wurden deshalb nicht als Kulturgut geschützt und in Friedensverträge aufgenommen, sondern als Unterlagen von staatsrechtlicher und privatrechtlicher Relevanz. So ist es zu erklären, dass es bei den Vereinbarungen über solche Unterlagen nicht nur um die Rückgabe weggenommener Urkunden geht, sondern vor allem auch um die Herausgabe von Dokumenten über Gebiete und Besitzungen, die im Anschluss an Friedensverträge ihre Herrschaft wechselten.9 Als Beispiel für diese Sonderstellung von Archiven ist auf den Westfälischen Frieden hinzuweisen. Im Friedensvertrag von Münster zwischen Frankreich und dem Reich vom 24.10.1648 musste die französische Krone gewisse oberrheinische Ortschaften (z. B. Rheinfelden und Säckingen) dem Haus Österreich, insbesondere dem Erzherzog Ferdinand Karl, überlassen. 10 Deshalb wurde Frankreich auch verpflichtet, „omnia & singula Literaria Documenta, cujuscunque illa generis sint"

8 9

Vgl. Wescher, Kunstraub unter Napoleon. 1976, 131 ff.

Fitschen, Das rechtliche Schicksal von staatlichen Akten und Archiven bei einem Wechsel der Herrschaft über Staatsgebiet, 2004. 10 Art. L X X X V n des Vertrages, 1 C.T.S. 271, 298 (lateinischer Text im letzten Abs.), 344 (englische Übersetzung mit Artikelzählung).

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dem Erzherzog zu übergeben. 11 Das war nicht anders zweihundert Jahre später und im deutschen Norden, als im Wiener Friedens-Tractat zwischen Österreich, Preußen und Dänemark vom 30.10.1864 Dänemark verpflichtet wurde, alle Urkunden und Archive, welche sich auf die abgetretenen Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg beziehen und sich in Dänemark befanden, den zuständigen Stellen der neuen Regierung der Herzogtümer zu übergeben. 12 Auch hier ging es - wie auch zwei Jahre später im Wiener Friedensvertrag vom 3.10.1866 zwischen Österreich-Ungarn und Italien 13 - wieder primär um Unterlagen für eine ordentliche Staatsverwaltung und nicht um Kulturgüter, selbst wenn sich bei den Unterlagen wertvolle und museumsreife Dokumente befunden haben sollten. Ebenfalls nach Ende des Zweiten Weltkriegs enthielten solche Friedensverträge, die unter anderem auch Gebietsabtretungen vorsahen, spezielle Regelungen für die Archive und Dokumente, welche die jeweiligen Gebiete betrafen. So wurde z. B. im Pariser Friedensvertrag mit Italien vom 10.2.1947 auch die Herrschaft in der zwischen Italien und Jugoslawien umstrittenen Stadt Triest geregelt und angeordnet, dass Italien, Jugoslawien und der Freistaat Triest alle in ihrem Besitz befindlichen Archive und Dokumente mit gegenwärtiger oder historischer Bedeutung demjenigen Gebiet herauszugeben haben, auf das sich diese Unterlagen beziehen.14 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Friedensverträge den Verbleib von Archiven und Dokumenten primär nicht in den Abschnitten über Reparationen und Restitutionen regeln, sondern in Vorschriften über Herrschaftsgebiete und deren Verbriefung und Dokumentation in Archiven und Unterlagen, die sich aber im Besitz einer früheren Herrschaft befinden. In diesem Zusammenhang werden also Archive und Dokumente nur als Zubehör eines Herrschaftsgebiets behandelt. Das schließt nicht aus, dass Archive und Dokumente, die keinen solchen Charakter als Zubehör aufweisen, als Kulturgut geschützt werden und, falls vor oder während eines Krieges rechtswidrig verlagert, dem beraubten Staat zurückzugeben sind.15 Wichtig ist mir lediglich folgende Feststellung: Aus der Tatsache, dass der Besitz und der Wechsel von Besitz an Archiven und Dokumenten in Friedensverträgen schon früh geregelt wurde, darf nicht geschlossen werden, dass bereits zu dieser Zeit Kulturgüter völkerrechtliche Bedeutung als Patrimonium publicum erlangt hätten. Archive waren lange Zeit nur Beweisstücke und wurden erst in neuerer 11 Art. XCV des Vertrages, 1 C.T.S. 301 (lateinischer Text in Abs. 2), 346 (englische Übersetzung mit Artikelzählung). 12 Art. X X des Friedens-Tractates: Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich 1864, 278, 293. 13 14

Art. X V I I I des Vertrages, 133 C.T.S. 209, 215. Annex X Abs. 4 zum Pariser Friedensvertrag vom 10.2.1947, 49 U.N.T.S. 126, 226.

15 Art. 12 Abs. 1 des Pariser Friedensvertrags vom 10.2.1947 (Fn. 14) 134, bezüglich der Kulturgüter (einschließlich aller Urkunden, Manuskripte, Dokumente und bibliographischer Unterlagen), die Italien während der Besetzung jugoslawischer Territorien in den Jahren 1918-1924 verlagert hatte.

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Zeit, als ganz generell viele Kulturgüter völkerrechtlichen Schutz erhielten, auch als Teil dieser Kulturgüter geschützt. b) Sonstiges Vermögen Friedensverträge enthalten in ihren Vorschriften über die wirtschaftlichen Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen auch Regelungen darüber, wie ganz allgemein Vermögensverlagerungen und Vermögensverschiebungen während des Krieges zu behandeln sind. Sind solche Transaktionen rückgängig zu machen und die betreffenden Objekte zurückzugeben, bezieht sich das auf alle Sachen, also ebenfalls auf Kulturgüter. 16 Trotzdem geht es hier nicht um Kulturgüterschutz, sondern nur um vermögensrechtliche Interessen und die Wiederherstellung ehemaliger Besitzstände. c) Kulturgüter Speziell um Kulturgüter geht es in Friedensverträgen dann, wenn sie in Vorschriften über Reparationen, Restitutionen und Sezessionen besonders genannt werden. 2. Kulturgüter

als Kriegsentschädigung

a) Tribut in Form von Kulturgütern Eingangs wurde bereits erwähnt, dass Napoleon sich nicht mit seinen Requisitionen in Form von Kunstraub begnügte, sondern sich die requirierten Kunstwerke in denFriedensverträgen mit den italienischen Kriegsopfern als Tribut ausbedingen ließ. So verlangte er von Parma zwanzig Gemälde (darunter Werke von Cima da Conegliano), 17 ebensoviel von Modena (darunter Werke von Tizian und Reni) 18 und Venedig (darunter Veroneses „Hochzeit von Kana", die sich heute noch im Louvre befindet). 19 Am schwersten traf es jedoch das Patrimonium Petri. Der Waffenstillstandsvertrag von Bologna vom 23.6.1796 verpflichtete den Papst, einhundert Gemälde (darunter das eingangs erwähnte Gemälde „Krönung Mariae" von Raphael), Büsten (darunter ausdrücklich die beiden Bronze- und Marmor16 Vgl. z. B. die fünf Pari ser Friedensverträge vom 10.2.1947 mit Bulgarien (Art. 23: 41 U.N.T.S. 50, 67 ff.); Finnland (Art. 25: 48 U.N.T.S. 228, 242 ff.), Italien (Art. 78: 49 U.N.T.S. 126, 160 ff.), Rumänien (Art. 24: 42 U.N.T.S. 34,52 ff.) und Ungarn (Art. 26: 41 U.N.T.S. 168, 190 ff.). Allgemein hierzu Martin, Private Property, Rights, and Interests in the Paris Peace Treaties, British Yearbook of International Law 24 (1947), 273 (282 ff.). 17 Art. IV desWaffenstillstandsvertrags von Piacenza vom 8.5.1796,53 C.T.S. 91, offenbar rückgängig gemacht durch Art. V des Pariser Friedensvertrags vom 5.11.1796, 53 C.T.S. 331. 18 Art. i n (1) des Waffenstillstandsvertrags vom 12.5.1796, 53 C.T.S. 95. 19 Art. 5 des Mailänder Friedens- und Freundschaftsvertrages vom 16.5.1797,54 C.T.S. 77.

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büsten von Junius und Marcus Brutus), Vasen und Statuen (darunter der Apollo von Belvedere) sowie 500 Manuskripte der Republik Frankreich zu übergeben. 20 Dies wurde im Friedensvertrag von Tolentino am 19.2.1797 bestätigt.21 Welche Kulturgüter nach Paris abtransportiert wurden, oblag gewissen französischen „Kunstrauboffizieren" (darunter auch Dominique-Vivant Denon, der spätere Direktor des Musée Napoléon22), die es mit der stipulierten Anzahl der zu liefernden Kulturgüter allerdings nicht sehr genau nahmen.23 So war es für sie sehr misslich, dass neapolitanische Truppen in Rom Kunstschätze geplündert hatten, die sich die französischen „Kunstrauboffiziere" zum Transport nach Frankreich vorbehalten hatten.24 Deshalb verlangte Frankreich im Friedensvertrag mit dem Königreich Beider Sizilien vom 28.3.1801, dass die nach Neapel verbrachten Kunstwerke Roms den Franzosen „zurückerstattet" werden. 25 An diesen Ereignissen der napoleonischen Zeit ist viererlei interessant und wichtig: Offenbar glaubten Napoleon und Frankreich nicht mehr an ein ungeschriebenes Beuterecht des Siegers, obgleich damalige Gesetzbücher - anders als der Code civil von 1804 - es noch als geltendes Recht voraussetzten.26 Wohl auch deshalb vereinbarte man vertraglich Tributleistungen der Besiegten in Form von Kunstwerken. Um 1800 wurde Kunst zu einem Gegenstand staatlicher Politik. Das ist an und für sich kein schlechtes Zeichen für einen Staat. Dies wurde 150 Jahre später von einem Postkartenmaler und Massenmörder imitiert, was jedoch mit dem Kunstraub Napoleons nicht zu vergleichen ist; denn Hitler hatte nicht hehre Ideale wie zur Zeit der französischen Revolution, 27 sondern dumpfe Vorstellungen von einer überlegenen Menschenklasse, deren Leistungen er im geplanten Führer-Museum 20 53 C.T.S. 125. Steinmann, Raffael im Musée Napoléon, Monatshefte für Kunstwissenschaft 10(1917), 8-25. 21

Art. X m des Friedensvertrags. 53 C.T.S. 485. Boutry , Denon, Rome et la papauté, in: Les vies de Dominique-Vivant Denon. Bd. 1, 2001, 125-150. 22

23 Z. B. wurden auch die Pferde von San Marco in Venedig nach Paris transportiert. Vgl. hierzu Gould (Fn. 5), 47 und 90. 24 Vgl. hierzu Béguin, Tableaux provenant de Naples et de Rome en 1802 restés en France, Bulletin de la Société de l'histoire de 1'art français 1959, 177 f. 25 26 27

Art. 8 des Friedensvertrags von Florenz, 56 C.T.S. 51. Vgl. §§ 193-204 preußisches A L R I 5 von 1794; § 402 österr. ABGB von 1811.

Die Instruktion des Directoire vom 7.5.1796 (18 floréal an IV) an Napoleon lautete: „Le Directoire exécutif est persuadé, citoyen général, que vous regarderez la gloire des beaux-arts comme attachée à celle de l'armée que vous commandez. LTtalie leur doit en grande partie ses richesses et son illustration; mais le temps est arrivé oü leur règne doit passer en France pour affermir et embellir celui de la liberté. Le Musée national doit renfermer les monuments les plus célèbres de tous les arts, et vous ne négligerez pas de l'enrichir de ceux qu'il attend des conquêtes actuelles de l'armée d'Italie et de Celles qui lui sont encore réservées." Vgl. de Fournoux , Napoléon et Venise 1796-1814, 2002, 210.

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in Linz dokumentieren wollte. Außerdem verlangte er nicht Tribut von seinen militärischen Gegnern, sondern enteignete und erniedrigte die Angehörigen einer verachteten und verfolgten jüdischen Minderheit sowie der als minderwertig eingestuften osteuropäischen Kulturen. Die Reaktion auf Napoleons „Kunstraub" bewirkte, dass auch den Gegnern der französischen Revolution die nationale Bedeutung der bildenden Kunst bewusst wurde. Dieser Bedeutung hat Antoine C. Quatremère de Quincy am überzeugendsten Ausdruck verliehen. 28 So war es kein Wunder, dass bereits im Jahr 1814 die Alliierten in Paris begannen, ihre von Napoleon geraubten Kunstwerke abzutransportieren, 29 um sie zu Hause als nationale Kulturgüter der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Kunsthistorisch interessant ist, dass - von Ausnahmen abgesehen30 - offenbar nur in den Verträgen mit italienischen Gegnern Tribut in Form von Kunstwerken verlangt wurde. Um 1800 wurde mittelalterliche kirchliche Kunst verachtet und aus Kirchen und Klöstern entfernt, 31 Rembrandt wurde erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt, 32 und Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohring" wurde noch 1881 für 2,30 Gulden erworben. 33 Vielmehr war speziell die italienische Kunst als Inbegriff höchster Leistung anerkannt.

b) Tribut zur Wiederherstellung zerlegter Kunstwerke Die Kunstmuseen sind reich an Teilen ehemals mehrteiliger Gesamtkunstwerke, insbesondere mehrteiliger Altäre. 34 Vor allem diese Kunstwerke waren bei Neuausstattungen von Kirchen und Klöstern ausgesondert, zerlegt und in Teilen verkauft worden. Dieses Schicksal ereilte auch van Eycks Polyptychon „Anbetung 28 Quatremère de Quincy, Lettres à Miranda sur le Déplacement des Monuments de 1'Art de l'Italie, 1796; neue Ausgabe hrsg. 1989 von Pommier, 87 ff. Diesem Appell gegen eine Fortschaffung hatte sich 1796 Vivant Denon angeschlossen. Hierzu vgl. Musée du Louvre (Hrsg.), Dominique-Vivant Denon. L'oeil de Napoléon, 1999, 501. 29 Vgl. Engstier, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 91 ff.; Henry, Journal d'un voyage à Paris en 1814, 2001, 86 ff.; Wescher (Fn. 8), 131; Savoy, Patrimoine annexé. Les biens culturéis saisis par la France en Allemagne au tour 1800, Bd. I, 2003, 241 ff.; Turner, Die Zuordnung beweglicher Kulturgüter im Völkerrecht, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage. Völkerrechtliche Probleme der Auslagerung, Zerstreuung und Rückführung deutscher Kulturgüter nach dem Zweiten Weltkrieg, 1991, 48 ff. 30 In Art. X V des Waffenstillstandsvertrages von Pfaffenhofen vom 7.9.1796 mit Bayern wurden Frankreich zwanzig Gemälde aus den Galerien in München und Düsseldorf zugesichert: 53 C.T.S. 279. 31 Zum Vandalismus der Revolutions- und Säkularisationszeit vgl. Réau, Histoire du Vandalisms 1994, 233 ff.; Gamboni, The Destruction of Art, 1997, 31 ff. 32

Vgl. u. a. Bruin, De echte Rembrandt, 1995, 48 ff.

33

National Gallery of Art u. a. (Hrsg.), Johannes Vermeer, 1995, 166 ff. Vgl. Bodkin, Dismembered Masterpieces, 1945, 9 ff.

34

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des Lamms" aus St.Bavo in Gent und Dirk Bouts' Triptychon „Das Abendmahl" aus St. Peter in Löwen. Teile dieser Altäre waren im 19. Jahrhundert von belgischen Stellen in den internationalen Kunsthandel gegeben worden. Das Kaiser Friedrich Museum in Berlin erwarb für 400.000 französische Franken 12 Tafeln des Genter Altars 35 und für eine unbekannte Summe die Innenseiten der Flügel des Altars von Dirk Bouts, 36 und die Alte Pinakothek in München kaufte die Außenseiten dieser Flügel. 37 In Art. 247 Abs. 2 des Versailler Friedensvertrags vom 28.6.1919 wurde Deutschland verpflichtet, dem Königreich Belgien die genannten Teile der Genter und Löwener Altäre abzuliefern, um - wie es wörtlich im Vertragstext lautet - „die Wiederherstellung zweier großer Kunstwerke zu ermöglichen". 38 Heute kann man den Genter Altar, vollständig bis auf die im Jahr 1935 gestohlene Tafel „Die gerechten Richer", in St. Bavo bewundern und in Löwen das Meisterwerk von Dirk Bouts. Doch nicht nur die Wiederherstellung mehrteiliger Gesamtkunstwerke ist Gegenstand staatsvertraglicher Vereinbarungen in Friedensverträgen. Auch zusammengehörende Gegenstände einer Sammlung oder eines Ensemble (z. B. alle Teile eines Krönungsornates) sollten nicht auseinander gerissen und, falls geschehen, wieder zusammengeführt werden. Dieses Anliegen wurde zuerst im Wiener Frieden vertrag vom 3.10.1866 zwischen Österreich-Ungarn und Italien 39 verwirklicht. Nach Art. 7 der Konvention vom 14.7.1868 zur Ausführung von Art. 18 des Friedensvertrages sollte der Becher von Königin Theodolinde ( t 627/28) nach Monza zurückkehren, damit er im dortigen Dom wieder zusammen mit der Eisernen Krone, mit der die Könige von Italien gekrönt wurden, aufbewahrt werden kann. 40 Diese staatsvertraglich vereinbarte Wiederherstellung zerlegter Kunstwerke und zerstreuter Sammlungen ist einmalig geblieben. Das besagt nicht etwa, dass man sich heute nicht mehr um die Zusammenführung auseinander gerissener Kunstwerke bemüht. Das geht nämlich auch ohne Staats Verträge, z. B. durch Zurückhaltung bei Versteigerungen, wenn ein Bieter einen fehlenden Teil seines Werkes ersteigern und damit wiederherstellen möchte, oder durch Tausch zwischen Museen.

35 36

Bodkin (Fn. 34), 13 sowie Plate 1 und 2. Bodkin (Fn. 34), 15 und Plate 5; Smeyers, Dirk Bouts. Peintre du silence, 1998, 17.

37 38 39

Bodkin (Fn. 34), 15 und Plate 6. RGBl. 1919, 700, 1051; 225 C.T.S. 188, 304. Vgl. hierzu Engstier (Fn. 29), 123 ff.

s. oben Fn. 13. Convention du 14 juillet 1868 entre 1'Autriche et ITtalie, pour la restitution de certains documents et objets d'art, abgedruckt in: Fiedler (Fn. 29), 254 f. Hierzu vgl. Turner (Fn. 29), 88 f. Zu einem ähnlichen Fall hinsichtlich der Wiener Schatzkammer vgl unten bei Fn. 61. 40

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3. Kulturgüter

als Wiedergutmachung

a) Wiedergutmachung durch Rückgabe Kunstwerke sind als Einzelarbeiten unersetzlich, genießen als Sammlungsstücke allgemeine Anerkennung, häufig sogar Verehrung und haben wegen dieser Eigenschaften einen hohen Wert. Deshalb werden sie im Krieg geschützt, aber auch von den Feinden begehrt und an sich genommen, obwohl die Erbeutung von Kulturgütern und das Plündern jeglicher Gegenstände seit den Haager Konventionen von 1899 und 1907 ausdrücklich verboten sind. 41 Es ist deshalb selbstverständlich, dass in Friedensverträgen die Parteien verpflichtet werden, trotzdem begangenes Unrecht durch Rückgabe wiedergutzumachen. Doch bleibt es nicht nur bei der Restitution von Gegenständen, die während der kriegerischen Auseinandersetzung verbracht worden sind, sondern manchmal werden auch solche Unregelmäßigkeiten beseitigt, die sich vorher ereignet haben.

aa) Rückgabe kriegsbedingt verbrachter

Gegenstände

Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg finden sich in Friedensverträgen Vorschriften, dass die besiegte Partei diejenigen Trophäen, Archive, geschichtlichen Erinnerungen und Kunstwerke zurückzugeben hat, die sie während des gerade beendeten Krieges aus besetzten Territorien weggeführt hat. 42 Ebenfalls die Pariser Friedensverträge von 1947 mit Bulgarien, Finnland, Italien, Rumänien und Ungarn verpflichten die genannten Staaten (mit Ausnahme Finnlands), die Prinzipien der Londoner UN-Erklärung vom 5.1.194343 anzuerkennen und alle vom Territorium 41 Art. 56 und 46 der Haager Konvention vom 29.7.1899 über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (187 C.T.S. 429) und der Haager Konvention vom 18.10.1907 über Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (205 C.T.S. 277) über den Schutz von Kulturgütern nach den Regeln für Privateigentum, das zu achten ist und nicht konfisziert werden darf, und Art. 47 beider Konventionen, der uneingeschränkt feststellt: „Le pillage est formellement interdit." - Bereits in Art. IX des Friedensvertrags von Oliva vom 23.4./ 3.5.1660 verpflichtete sich Schweden, die königlich-polnische Bibliothek, die im Ersten Nordischen Krieg außer Landes gebracht worden war, an Polen zurückzugeben: 6 C.T.S. 9, 22 f. 42 Vgl. Art. 245 Versailler Friedensvertrag (Fn. 38); Art, 191, 184 des Friedensvertrags, geschlossen am 10.9.1919 in Saint-Germain-en-Laye mit Österreich, österr. StaatsGBl. 1920, 995, und 226 C.T.S. 8 sowie in: Israel (Fn. 1) m 1535. Eine ähnliche Vorschrift findet sich in Art. 422 des nie in Kraft getretenen Friedensvertrags mit der Türkei, abgeschlossen am 10.8.1920 in Sèvres, in: Israel (Fn.l), I I I 2055. 43 Inter-Allied Declaration of Januaiy 5,1943 Against Acts of Dispossession Committed in Territories Under Enemy Occupation or Control, mit amtl. Übersetzung in: v. Schmoller/ Maier/Tobler , Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, § 52, S. 5 f.; auch in: Fiedler, Die Alliierte (Londoner) Erklärung vom 5.1.1943: Inhalt, Auslegung und Rechtsnatur in der Diskussion der Nachkriegsjahre, in: Basedow/Meier/Schnyder u. a. (Hrsg.), Private Law in the International Arena, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000,197 f.; und in: Fiedler (Fn. 29), 282 (Anhang 14).

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eines UN-Mitgliedstaates (bei Finnland: vom Territorium der Sowjetunion) entfernten Gegenstände (also nicht nur Kunstwerke) zurückzugeben. 44 In den deutschsprachigen Ländern wurden ähnliche Ergebnisse erzielt, und zwar in Deutschland durch Besatzungsrecht45 und Bundesgesetze46, in Österreich auf Grund des Staatsvertrags von 195547 sowie nationaler Gesetze48, und in der Schweiz wurde die Raubgutkammer des Bundesgerichts gemäß spezieller Bundesratsbeschlüsse tätig, um die Ziele der Londoner Erklärung hinsichtlich des in die Schweiz gebrachten Raubguts befristet zu verwirklichen. 49 Inwieweit alle Vertragsparteien ihre nicht durch Verzicht der Gläubiger getilgten Restitutionspflichten erfüllt haben, weiß ich nicht und soll hier auch nicht erforscht werden. Man weiß jedoch, dass die Erfüllung von Rückgabepflichten gewisser osteuropäischer Staaten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auf sich warten lässt. Im Nachbarschaftsvertrag von 1990 hatte die Sowjetunion der Bundesrepublik zugesagt, „daß verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze, die sich auf ihrem Territorium befinden, an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben werden." 50 Nach Auflösung der Sowjetunion haben die meisten Nachfolgestaaten dieselbe Verpflichtung in ihren Kulturabkommen mit der Bundesrepublik übernommen. 51 Trotzdem weigert sich die Russi44

Vgl. die Verträge mit Bulgarien (Art. 22 I), Finnland (Art. 24), Italien (Art. 75 I), Rumänien (Art. 23 I) und Ungarn (Art. 24 I). Fundstellen s. oben Fn. 16. 45 Vor allem durch das Kontrollratgesetz Nr. 52 und zonale Rückerstattungsgesetze Vgl. hierzu Dölle/Zweigert, Gesetz Nr. 52,1947,185 ff. (über die Vermögenssperre hinsichtlich von Kulturgütern); Kubuschok/Weißstein, Rückerstattungsrecht der britischen und amerikanischen Zone, 1950; und Turner, Das internationale Kulturgüterrecht und die Zerstreuung des deutschen Kulturbesitzes nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Fiedler (Fn. 29), 109 ff. 46 Vgl. das Bundesrückerstattungsgesetz vom 19.7.1957, BGBl. 19571,734, und hierzu vgl. Biella/Buschbom u. a., Das Bundesrückerstattungsgesetz, 1981. 47 Art. 25 des Staatsvertrags vom 15.5.1955 betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, österr. BGBl. 1955,725, in: ZaöRV 16 (1955/56), 594 mit Vorbemerkung Seidl-Hohenveldern auf S. 590-594. 48 Vgl. zahlreiche Rückstellungsgesetze, beginnend mit dem Bundesgesetz vom 26.7.1946 über die Rückstellung entzogener Vermögen, die sich in Verwaltung des Bundes oder der Bundesländer befinden (Erstes Rückstellungsgesetz), österr. BGBl. 1946 Nr. 156, S, 311. Vgl. Brückler (Hrsg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute, 1999; Oberhammer/Reinisch, Restitution of Jewish Property in Austria, ZaöRV 60 (2000), 737-761. 49

Vgl. hierzu Siehr, Rechtsfragen zum Handel mit geraubten Kulturgütern in den Jahren 1933-1950, in: Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg (Hrsg.), Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht, Bd. II: Privatrecht, 2001, 125-203. 50 Art. 16 Abs. 2 des Vertrages vom 9.9.1990 über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, BGBl. 1991 II, 703, 708. 51 Kulturabkommen mit Armenien von 1995 (Art. 15: BGBl. 2000 II, 182), Aserbaidschan von 1995 (Alt. 15: BGBl. 2000 II, 187), Belarus von 1994 (Art. 16 S.l: BGBl. 2000 n , 195), Estland von 1993 (Art. 16: BGBl. 2000 II, 446), Georgien von 1993 (Art. 16: BGBl. 2000 II, 203), Kasachstan von 1994 (Art. 17: BGBl. 2000 II, 462), Kirgistan von

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sehe Föderation, die in Russland befindlichen deutschen Kulturgüter herauszugeben. Sie beklagt die deutsche Untaten während des Zweiten Weltkriegs, erhebt Ansprüche auf „kompensatorische Restitution" und realisiert dieses Recht dadurch, dass sie die aus Deutschland verbrachten Kulturgüter gesetzlich zum „Gemeingut der Russischen Föderation" und zu „föderalem Eigentum" erklärt hat. 52 Zwar haben die Bremer Kunsthalle und einige wenige andere deutsche Institutionen gewisse Kunstwerke von Russland zurückerhalten, 53 die großen Schätze privater und öffentlicher deutscher Sammlungen zieren jedoch noch immer russische Museen. Selbst die Rückgabe geplünderter oder privat gesicherter Kunstwerke wird verweigert, 54 so dass sie erst dann den rechtmäßigen Eigentümern übergeben werden können, wenn diese Kunstwerke aus Russland geschmuggelt und anschließend im Westen in langen und teuren Gerichtsverfahren herausgeklagt worden sind. 55 So bleibt auch hier manche vertragliche Verpflichtung vorerst toter Buchstabe. Interessant an der bisherigen Entwicklung ist zweierlei: Erst nach dem Zweiten Weltkrieg scheint es - wie die Abkommen mit der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten zeigen - möglich geworden zu sein, beide Seiten gleichermaßen zur Rückgabe zu verpflichten und nicht nur den Besiegten. Irritierend ist allerdings der Ausdruck „;unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze"; denn er setzt voraus, dass Kunstschätze auch rechtmäßig und endgültig ins Ausland verbracht werden dürfen. bb) Rückgabe von Kulturgütern

aus Vorkriegszeiten

Die Bewältigung der Vergangenheit scheint ein neues Problem zu sein. Übeltäter gehen in sich, und Opfer verlangen Wiedergutmachung, und zwar nicht etwa 1993 (Art. 16: BGBl. 2000 II, 1139), Lettland von 1993 (Art. 16: BGBl. 2000 II, 454),

Moldau von 1995 (Art. 16: BGBl. 2000 II, 209), Russland von 1992 (Art. 15: BGBl. 1993 n , 1256), Tadschikistan von 1999 (Art. 15: BGBl. 2000 II, 225), Turkmenistan von 1997 (Art. 15 : BGBl. 2000 II, 471), Ukraine von 1993 (Art. 16 S. 1: BGBl. 1993 II, 1736) und Usbekistan von 1993 (Art. 16: BGBl. 2000 II, 233).

52 § 6 Abs. 1 des Föderalen Gesetzes vom 15.4.1998 über die infolge des Zweiten Weltkriegs in die UdSSR verbrachten und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befindenden Kulturgüter i. d. F. des Gesetzes vom 25.5.2000, dt. Übersetzung in: Genieva/ Michaletz/Werner (Hrsg.), Gesten des guten Willens und Gesetzgebung, 2001, 393 (397). 53 Vgl. den Katalog „Bremen-Moskau-Bremen. 1943 ausgelagert - zurückgekehrt 2000", 2000, 1 ff. 54

Zur „Baldin-Sammlung" vgl. The Art Newspaper, Mai 2003, 9, und Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.3.2003,41. Vgl. auch Flescher, Missing Rubens „Lucrezia" turns up in Russia, IFAR Journal 6 (Nr. 3, 2003), 4 ff. 55 Vgl. den englischen Fall City of Gotha v. Sotheby's and Cobert Finance S.A., in: Carl/ Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 78 ff., und in: Palmer, Museums and the Holocaust, 2000, 222 ff.

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nur für selbst erlittenes Unrecht, sondern für Untaten gegenüber ihrer Gruppe, ihrer Rasse und ihrem Volk. Unrecht der Nazi-Zeit ruft nach Bewältigung, aber auch Vergehen der Kolonialzeit gegenüber Inuit, Indianern, Maori oder Hereros sowie Plünderungen von Altertümern durch leidenschaftliche Kunstsammler (Elgin-Marbles, Benin-Bronzen oder ägyptische Grabfunde). Doch schon vor unserer Zeit wurde früheres Unrecht nicht vergessen und ließ die Opfer auf Wiedergutmachung sinnen. Friedensverträge mit dem besiegten Übeltäter boten sich deshalb geradezu an, vergangenes Unrecht zu sühnen und Kunstschätze zurückzufordern, die in früheren Jahren unter zweifelhaften Umständen außer Landes verbracht worden waren. Drei Beispiele aus dem vorigen Jahrhundert mögen dies illustrieren.

(1) Friedensvertrag von St. Germain Am eindrücklichsten sind die Artikel 194 und 195 des Friedensvertrags von Saint Germain. 56 Nach Art. 194 bleiben die österreichischen Verpflichtungen gegenüber Italien zur Rückgabe von Urkunden und Gegenständen aus den Verträgen von Zürich (1859) 57 und Wien (1866) 58 bestehen, soweit sie noch nicht erfüllt worden sind und sich diese Objekte noch auf österreichischem Gebiet befinden. Man mahnte also noch nach 50 Jahren den säumigen Schuldner. Neue Rückgabeverpflichtungen ergeben sich aus Art. 195 des Vertrags von Saint-Germain. Nach Abs. 1 sollte ein Komitee von drei Juristen prüfen, unter welchen Umständen die im Anhang I aufgezählten Gegenstände oder Handschriften (Kronjuwelen aus der Toskana, Werke von Andrea del Sarto, Correggio, Salvatore Rosa und Dosso Dossi aus Modena, Gegenstände des Krönungsornats aus Palermo, Handschriften aus Neapel und Urkunden aus verschiedenen italienischen Städten) vom Haus Habsburg und von anderen Häusern, die in Italien geherrscht haben, weggebracht worden sind. Bereits ein halbes Jahr später schlossen Österreich und Italien das Sonderabkommen vom 4.5.1920 zur Bereinigung der Kontroversen hinsichtlich des historischen und künstlerischen Erbes der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie. 59 In diesem Abkommen wird Art. 194 Abs. 1 Vertrag von SaintGermain erfüllt und vor allem zweierlei für Österreich ausgehandelt. Die Büste Kaiser Franz I I von Österreich von Antonio Canova, die im Jahr 1805 aus der Markus-Bibliothek in Venedig nach Wien gebracht worden ist und heute im Kunsthistorischen Museum zu sehen ist, durfte ebenso in Wien bleiben 60 wie die 56

Vgl. Fn. 42. Art. X V des Friedensvertrags zwischen Österreich und Frankreich, geschlossen am 10.11.1859 in Zürich (betreffend lombardische Archive), 121 C.T.S. 145. 57

58 Art. X V I I I des Friedensvertrags zwischen Österreich-Ungarn und Italien, geschlossen am 3.10.1866 in Wien, betreffend vor allem venezianische Archive (Fn. 13). 59 Abgedruckt in: Fiedler (Fn. 29), 259. 60 Art. 3 Abs. 2 des Abkommens (Fn. 58), 261 f. (mit falscher Angabe „Franz I"); richtig in: Haupt , Das Kunsthistorische Museum. Die Geschichte des Hauses am Ring, 1991, 66,

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Gegenstände des Krönungsornates (Krönungsmantel, Alba, Schuhe, Strümpfe und Handschuhe aus dem 12./13. Jahrhundert) aus Palermo, die heute in der Weltlichen Schatzkammer zu Wien bewundert werden können.61 Verhindert wurde damit also ein Auseinanderreißen zusammen gehörender Gegenstände von künstlerischem und historischem Interesse. Doch nicht nur solche Sachprobleme wurden mit dem Abkommen vom 4.5.1920 gelöst. Bereinigt wurde auch ein Ereignis von Februar 1919, das in Wien für große Aufregung gesorgt hatte. Eine italienische Militärdelegation erschien im Kunsthistorischen Museum in Wien und entführte 66 Gemälde (darunter Werke von Tintoretto, Veronese, Giovanni Bellini und Bartolomeo Vivarini) sowie einige Skulpturen (darunter die oben genannte Büste Kaiser Franz I I von Canova) nach Italien. 62 Der Wiener Kunsthistoriker Max Dvorák beklagte sich darauf bitter bei seinen italienischen Kollegen über deren Mitwirken bei der Entführungsaktion. 63 Artikel 3 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens vom 4.5.1920 bereinigte schließlich diesen Vorfall mit den Worten: „Österreich ... erhebt mithin keinerlei weiteren Protest gegen die Enttragungen („enlèvements"), die seitens der italienischen Waffenstillstandskommission auf Grund der alten Friedensverträge bereits vollzogen worden sind," und rettete gerade noch die Kaiserbüste von Canova für Wien. 64 In Art. 195 Abs. 3 des Friedensvertrags von St. Germain meldeten Belgien, Polen und die Tschechoslowakei ebenfalls Rückstellungsansprüche an und unterwarfen sich der Entscheidung, die das Juristenkomitee des Wiedergutmachungsausschusses treffen würde. 65 Auf Grund einer solchen Entscheidung blieb der herausverlangte Ildefonso-Altar von Rubens im Kunsthistorischen Museum, weil Belgien nicht nachweisen konnte, dass der Altar unrechtmäßig die Abtei St. Jacques sur Coudenberg in Brüssel verlassen hatte.66

(2) Friedensvertrag von Versailles Ebenfalls im Versailler Friedensvertrag vom 28.6.1919 meldeten das Königreich Hedschas (Vorgängerstaat von Saudi Arabien), Großbritannien und Frankreich Rückgabeansprüche an. Nach Medina ging ein Originalkoran aus dem früheund in: Johns, Antonio Canova and the Politics of Patronage in Revolutionary and Napoleonic Europe, 1998, 136 ff. 61 Art. 4 des Abkommens (Fn. 59), 262 f. 62 Vgl. die Verlustliste in: Tietze, Die Entführung von Wiener Kunstwerken nach Italien, 1919, 45-47; vgl. auch Haupt (Fn. 60), 66. 63 Max Dvomk, Ein offener Brief an die italienischen Fachgenossen, in: Tietze (Fn. 62), 3-9; und in: Haupt (Fn. 60), 232 ff. 64 65 66

Fn.59,S. 261 f. Art. 195 Abs. 3 mit Anhängen I I - I V Vertrag von St. Germain (Fn. 42).

Nachweis in: United States Government (Hrsg.), The Treaty of Versailles and After. Annotations of the Text of the Treaty, 1947, 526 Abs. 2.

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ren Besitz des Kalifen Osman,67 und die Herausgabe des Schädels von Sultan Makaua aus Deutsch-Ostafrika an Großbritannien scheiterte daran, dass der Schädel gestohlen und wahrscheinlich von Angehörigen der Wahibis bestattet worden war. 68 Frankreich entsann sich der Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 und verlangte Rückgabe der Trophäen, Archive [einschließlich der Korrespondenz von „Vizekaiser" Eugène Rouher (1814-84)], geschichtlichen Erinnerungen und Kunstwerke, die damals aus Frankreich weggeführt worden sind. 6 9

(3) Pariser Friedensvertrag mit Italien von 1947 Der Pariser Friedensvertrag mit Italien vom 10.2.1947 zog auch einen Schlussstrich unter die Vorkriegsbeziehungen zwischen Italien und Jugoslawien. Danach waren alle Gegenstände künstlerischen, historischen, wissenschaftlichen, erzieherischen oder religiösen Charakters sowie Archive, die während der italienischen Besetzung jugoslawischer Gebiete in den Jahren 1918-1924 nach Italien gebracht worden waren, an Jugoslawien herauszugeben.70 Zusammenfassend lässt sich dreierlei festhalten: Friedensverträge boten sich an, auch für die Vorkriegs-Vergangenheit der Vertragspartner reinen Tisch zu machen und alte Verluste zurückzufordern. Ob diese Haltung dem Frieden zuträglich war, ist zweifelhaft. Immerhin versuchte man bereits nach dem Ersten Weltkrieg erfolgreich, Zweifelsfragen der Rückführung durch Sachverständige entscheiden zu lassen. Die Anmahnung in Friedensverträgen, alte Schulden zu erfüllen, zeigt, dass man bereits in der Vergangenheit nicht ungeduldig wurde, einen langen Atem hatte und sich hütete, rechtliche Ansprüche aufzugeben und zu vergessen.

b) Wiedergutmachung durch Ersatzlieferungen Wenn das Verbringen bestimmter Objekte nicht mehr durch Rückgabe wiedergutgemacht werden kann, weil die Objekte nicht mehr existieren oder nicht mehr in Staatsbesitz sind, ist der Gläubiger unter Umständen durch Geld zu entschädigen. Nach Beendigung eines Krieges kann dieser Entschädigungsbetrag Teil der Reparationszahlungen sein. Die Frage bleibt, ob es auch eine völkerrechtliche 67

Art. 246 Abs. 1 Versailler Vertrag (Fn. 38) und United States Government (Fn. 66),

523 f. 68 Art. 246 Abs. 2 Versailler Vertrag (Fn. 38) und die makabre Geschichte vom nicht mehr aufgefundenen Schädel des Sultans Makaua in: United States Government (Fn. 66), 524. 69 70

Art. 245 Versailler Vertrag (Fn. 38). Art. 12 Abs. 1 des Vertrages (Fn. 16).

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Pflicht gibt, durch Ersatzlieferungen, durch eine „restitution in kind" Unrecht zu tilgen. Wohl einen der ersten Fälle einer solchen Kompensation durch Ersatzlieferungen normiert Art. 247 des Versailler Friedensvertrags mit der Verpflichtung Deutschlands, „an die Hochschule in Löwen ... Handschriften, Wiegendrucke, gedruckte Bücher, Karten und Sammlungsgegenstände zu liefern, die der Zahl und dem Wert nach den Gegenständen entsprechen, die bei dem von Deutschland verursachten Brande der Bücherei von Löwen vernichtet worden sind." 71 Ebenfalls in den Pariser Verträgen von 1947 wurden Bulgarien, Italien und Ungarn verpflichtet, verbrachte, aber nicht mehr restituierbare Kulturgüter durch „objects of the same kind" zu ersetzen und solche zu liefern. 72 Inwieweit das überhaupt möglich war und ob Ersatzlieferungen tatsächlich erfolgten, kann hier nicht erörtert werden. Wichtig ist lediglich die Feststellung, dass eine Ersatzlieferung vertraglich vereinbart wurde, weil ohne eine solche Abmachung kein durchsetzbarer Anspruch aus Völkergewohnheitsrecht besteht,,restitution in kind" zu verlangen.

4. Kulturgüter

als Sezessionsgut

Ein besonderes Problem stellt sich bei einer Staatensezession. Wie haben Friedensverträge den definitiven Verbleib von Kulturgütern geregelt, die aus den verschiedenen Gebieten des Vorgängerstaates stammen und nun von den unabhängigen neuen Nachfolgestaaten in Anspruch genommen werden? Wie wird dabei vor allem die Zugehörigkeit von Kulturgütern zu den Nachfolgestaaten bestimmt? Im Friedensvertrag von St. Germain wurde Österreich verpflichtet, sich mit den Nachfolgestaaten Polen, Rumänien, Tschechoslowakei und Ungarn über die Kulturgüter dieser Staaten im Wiedergutmachungsausschuss zu einigen.73 Mit Polen und der Tschechoslowakei war man schnell einig. 74 Mit Ungarn kam erst 1932 eine Einigung zustande. Insgesamt 147 Musealgegenstände aus Wiener 71 Vgl. Fn. 38. Zu dem Brand am 26.8.1914 und zur Reparation vgl. Schivelbusch, Eine Ruine im Krieg der Geister. Die Bibliothek von Löwen August 1914 bis Mai 1940, 1993, 25 ff. und 53 ff. 72 Die bis auf den Adressaten übereinstimmenden Artikel der Verträge (Fn. 16) mit Bulgarien (Art. 22 Abs. 3), Italien (Art. 75 Abs. 9) und Ungarn (Art. 24 Abs. 3) lauten: „If, in particular cases, it is impossible for [Bugaria, Italy, Hungary] to make restitution of objects of artistic, historical] or archaeological value, belonging to the cultural heritage of the United Nation from whose territory such objects were removed by force or duress by [Bulgarian, Italian, Hungarian] forces, authorities or nationals, [Bulgaria, Italy, Hungary] shall transfer to the United nation concerned objects of the same kind as, and of approximately equivalent value to, the objects removed, in so far as such objects are obtainable in [Bulgaria, Italy, Hungary]." 73

Art, 195 Abs. 2, 196 Vertrag von St. Germain (Fn. 42). Vgl. das österreichisch-tschechoslowakische Übereinkommen vom 18.5.1920 in: Fiedler (Fn. 29), 266 ff. 74

Kulturgüter in Friedens- und Freundschaftserträgen

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Museen gingen nach Budapest, vor allem Gemälde ungarischer Künstler (z. B. Mihály Munkácsy) und Waffen aus der Wiener Waffensammlung. 75 Ein anderes Beispiel für die Aufteilung von Kulturgütern nach einem Gebietswechsel ist der Pariser Friedensvertrag mit Ungarn. Nach Art. 11 Abs. 1 dieses Vertrags von 1947 hatte Ungarn den Staaten Jugoslawien und Tschechoslowakei folgende Objekte herauszugeben, die darstellen „the cultural heritage of Yugoslavia and Czechoslovakia which originated in those territories and which, after 1848, came into the possession of the Hungarian State or of Hungarian public institutions as a consequence of Hungarian domination over those territories prior to 1919": Historische Archive jugoslawischer oder tschechoslowakischer Herkunft; Bibliotheken, historische Dokumente, Antiquitäten und andere Kulturgüter, die jugoslawischen oder tschechoslowakischen Institutionen in diesen Ländern oder historischen Persönlichkeiten dieser Völker gehörten; und schließlich „original artistic, literary and scientific objects which are the work of Yugoslav or Czechoslovak artists, writers and scientists."76 Nicht herausgegeben zu werden brauchten Objekte, die durch Kauf, Schenkung oder Vermächtnis erworben worden waren, und Original werke von ungarischen Personen (Art. 11 Abs. 2). Interessant an dieser Regelung ist, dass sie anders als sonst und auch anders als bei Art. 14 Abs. 2 lit. b des Wiener Übereinkommens vom 8.4.1983 über Staatensukzession in Hinblick auf Staatsvermögen, Archive und Schulden77 keine territoriale Beziehung zwischen dem Kulturgut und einem Staatsgebiet verlangt sondern ein personelles, durch Staatsangehörigkeit vermitteltes Band zwischen Künstlern sowie Wissenschaftlern und einem Staatsgebiet.

I I I . Zusammenfassung 1. Aus der Tatsache, dass schon sehr früh Archive in Friedensverträgen erwähnt wurden, darf nicht geschlossen werden, dass seit diesen Zeiten auch bereits Kulturgüter Gegenstand von Friedensverträgen waren. Denn die Archive wurden nicht als Kulturgüter geschützt, sondern waren als Unterlagen für staatliche und rechtliche Beziehungen von Bedeutung. 2. Wohl erst im 18. Jahrhundert wurden Kulturgüter in Friedensverträgen erwähnt. 3. Interessant ist, dass bei diesen frühen Friedensverträgen nicht die Rückgabe von Kulturgütern geregelt wird, sondern die Hingabe von Kulturgütern als Entschädigung und Tribut an den Sieger.

75 Zu dem österreichisch-ungarischen Übereinkommen vom 27.11.1932, abgeschlossen in Venedig, vgl. Treue, Kunstraub. Über das Schicksal von Kunstwerken in Krieg, Revolution und Frieden, 1957, 310 ff.; Haupt (Fn. 60), 70. 76 Art. 11 Abs. 1 des Friedensvertrags mit Ungarn (Fn. 16), 178. 77 I L M 22 (1983), 298 (306 ff.).

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4. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verstärkte sich die Auffassung vom Staat als Hüter des nationalen Kulturerbes. Auch die Behandlung von Kulturgütern im Krieg wurde in Haager Konventionen geregelt. Dies führte dazu, dass seitdem wohl in kaum einem Friedensvertrag Bestimmungen über Kulturgüter fehlen. 5. Kulturgüter werden in Friedensverträgen vor allem in dreierlei Hinsicht erwähnt, nämlich als Entschädigung (Reparation), Wiedergutmachung (Restitution) und als Sezessionsgut. 6. In neuerer Zeit finden sich kaum mehr Vorschriften über Reparation in Form von Lieferung bestimmter Kulturgüter. 7. Wo Kulturgüter als Wiedergutmachung zurückzugeben sind, aber nicht mehr zurückgegeben werden können, ist Wiedergutmachung in Geld zu leisten. Eine ,restitution in kind" müssen die Parteien vereinbaren; denn ein Völkergewohnheitsrecht zur Wiedergutmachung durch Lieferung gleichwertiger Kunstwerke lässt sich nicht nachweisen. 8. Beim Wechsel einer Gebietsherrschaft sind Kulturgüter, die mit dem Gebiet eng verbunden sind, der neuen Herrschaft herauszugeben.

Allgemeine Staatslehre in Zeiten der Europäischen Union Von Christian Starck

I. Einleitung* Die Allgemeine Staatslehre wird heute als wissenschaftliche Disziplin für tot erklärt, denn es gäbe keinen Staat mehr im Sinne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, als die Allgemeine Staatslehre in Deutschland etabliert worden sei.1 Daß die Epoche der Staatlichkeit zu Ende gehe, hat Carl Schmitt schon 1963 in der ihm eigenen Entschiedenheit prognostiziert. 2 Es lohne nicht, sich mit einem Auslaufmodell wissenschaftlich zu beschäftigen. Gegen die Allgemeine Staatslehre spreche ferner, daß sie keine einheitliche Methode habe. Juristische Staatslehre sei deshalb ein fragwürdiges Unternehmen. Denn es sei nicht klar, was Juristen zu einer nichtjuristischen Annäherung an den Staat beitragen sollten.3 Schließlich wird die Existenz der Europäischen Union geradezu als Beleg dafür herangezogen, daß es keine Allgemeine Staatslehre mehr geben könne. Und über die Europäische Integration hinaus nehme die Globalisierung der Wirtschaft und vieler Lebensverhältnisse sowie die den Privaten offenstehenden Exit-Optionen den Staaten immer mehr an Bedeutung. Es sei bereits ein Wettbewerb der Rechtsordnungen entstanden. Mein Thema „Allgemeine Staatslehre in Zeiten der Europäischen Union" steht quer zu diesen Beobachtungen. Ich werde so vorgehen, daß ich in einem I. Teil erkläre, was der Gegenstand der Allgemeinen Staatslehre ist (1), welche Methoden angewandt werden (2) und welchen Nutzen die Allgemeine Staatslehre heute noch bringt (3). In einem II. Teil meiner Überlegungen wende ich mich dann der Frage zu, welche Bedeutung die Allgemeine Staatslehre für das Verständnis der Europäischen Union hat, und zwar für deren Entstehung, Vertiefung und Erweiterung (1), "Meine Göttinger Abschiedsvorlesung, gehalten am 3. Februar 2005, widme ich Jost Delbrück zum 70. Geburtstag. Er hatte von 1972-1976 den Lehrstuhl für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaft in Göttingen inne. 1 Schönberger , Der „Staat" der Allgemeinen Staatslehre: Anmerkungen zu einer eigenwilligen deutschen Disziplin im Vergleich zu Frankreich, in: Beaud/Heyen (Hrsg.), Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft?, 1999, 111 ff.; weitere Angaben bei Voßkuhle, Die Renaissance der Allgemeinen Staatslehre im Zeitalter der Europäisierung und Internationalisierung, JuS 2004, 2. 2 Schmitt, Der Begriff des Politischen, Vorwort in der Ausgabe 1963, 10. Weitere Stimmen mit derselben Tendenz zitiert bei Schuppert, Staatswissenschaft, 2003, 170 ff. 3 Möllers, Staat als Argument, 2000, 419 f.; dagegen zu Recht Schuppert (Fn. 2), 24 ff.

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schließlich der Frage, ob und wie die Europäische Union mit den Begriffen der Allgemeinen Staatslehre erfaßt werden kann (2).

I I . Allgemeine Staatslehre 1. Gegenstand Lehre vom Staat ist nicht nur Staatsrechtslehre , sondern untersucht und betrachtet den Staat auch als empirisches Phänomen, wozu selbstverständlich die Rechtsordnung gehört, die aber von außen betrachtet wird. Staatslehre ist nicht nur räumlich allgemein, also auf die gegenwärtigen Staaten bezogen, die vergleichend betrachtet und nach Typen geordnet werden. Staatslehre ist auch zeitlich allgemein und schließt damit die Geschichte ein, zumindest seit der frühen Neuzeit. Damit wird freilich nicht ausgeschlossen, weiter in die Geschichte zurückzugehen und Epochen einzubeziehen, in denen Staat und Staatlichkeit im modernen Sinne noch nicht zu beobachten sind. Denn andere Formen politischer Herrschaft können Merkmale hervorgebracht haben, die auch dem Staat zugrunde liegen.4 Dies gilt vor allem für die vorneuzeitliche politische Philosophie, soweit sie sich mit Zweck und Grenzen der politischen Herrschaft beschäftigt hat. Dieser den Gegenstand Staat aus verschiedenen Blickwinkeln erfassenden Allgemeinen Staatslehre liegt ein Staatsbegriff zugrunde, der einerseits allgemein genug, andererseits substantiell genug sein muß, um die wesentlichen Strukturen dessen zu erfassen, was als Staat bezeichnet werden kann. Außerdem muß die Allgemeine Staatslehre Kategorien bereithalten, z. T. noch entwickeln, um „den Wandel von Staatlichkeit zu analysieren und zu erklären", was Gunnar Folke Schuppert als Aufgabe der „Neuen Staatswissenschaft" bezeichnet.5 Eine frühe, den Kern erfassende Definition verdanken wir Jean Bodin, der seine sechs Bücher über den Staat - erstmals 1583 in französischer Sprache erschienen - mit folgender Definition beginnt: 6 „République est un droit gouvernement de plusieurs mesnages et de ce qui leur est commun avec puissance souveraine." Also: Republik oder Staat ist eine am Recht orientierte, souveräne Regierungsgewalt über eine Vielzahl von Haushaltungen und das, was diesen gemeinsam ist. Die lateinische Fassung der Definition (1586) lautet: „res publica est legitima plurium familiarum et rerum inter se communium cum summa potestate gubernatio". 4 Vgl. dazu neuerdings mit reichen Nachweisungen Reinhard , Geschichte der Staatsgewalt, 2. Aufl., 2000, 31-124. 5 Schuppert (Fn. 2), 920; Voßkuhle , Der „Dienstleistungsstaat", Der Staat 40 (2001), 495 (502 ff.) m. w. N. 6

Die französische Ausgabe „Six livres de la république" stammt von 1583, die lateinische Ausgabe von 1586.

Allgemeine Staatslehre in Zeiten der Europäischen Union

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Der Begriff res publica hat eine dynamische Komponente in gubernatio im Sinne von Steuerung, der das Bild vom Staatsschiff zugrunde liegt oder zugrunde gelegt werden kann. Potestas als Herrschaftsmacht wird über mehrere Haushaltungen ausgeübt und zwar über das, was ihnen gemeinsam ist. Hierin liegt eine klare Beschränkung der Herrschaftsgewalt. 7 Deshalb bedeutet diese frühe Definition der Souveränität nicht Allmacht, sondern nur höchste Macht in den Dingen, die zum Aufgabenbereich der Republik gehören.8 Was die Steuerungsgewalt der Republik anbelangt, heißt es legitima, d. h. am Recht orientiert. Das hat später Christian Wolff 1766 dahin zum Ausdruck gebracht, daß er die Staatsgewalt als imperium limitatum bezeichnete.9 Auf der Grundlage dieser Bodinschen Definition möchte ich für den Begriff des Staates zunächst folgenden Vorschlag machen: Auf der Basis eines abgegrenzten Territoriums (1) wird über die Bewohner desselben (2) - gesteigert über die Staatsangehörigen - Staatsgewalt ausgeübt (3), zu deren Eigenschaft Souveränität (4) gehört. Die Staatsgewalt nimmt Gemeinschaftsaufgaben wahr (5) aufgrund einer Rechtsordnung (6), die prinzipiell akzeptierte Normen für das Verhalten der Bewohner (einschließlich Amtsträger) gibt (7). Auf der Basis dieses Staatsbegriffs beschäftigt sich die Allgemeine Staatslehre mit den Zwecken des Staates, welche sind: 10 Sicherung des Friedens durch staatliches Gewaltmonopol und Landesverteidigung. Dem Frieden als Staatszweck verdankt der Staat als Begriff und als tatsächliche Erscheinung gewissermaßen seine Entstehung am Ende der Religionskriege in der frühen Neuzeit. Der den Frieden effektiv sichernde Staat gebärdet sich als starker Staat, dem die Gewährleistung der Freiheit der Bürger abgerungen worden ist. Freiheit, wozu auch wirtschaftliche Freiheit gehört, erzeugt soziale Verwerfungen, die der Staat durch sozialen Ausgleich mildern muß. Diese drei wichtigsten Staatszwecke Friede, Freiheit und sozialer Ausgleich - stehen in einem Dreiecksverhältnis, das die Relation jedes einzelnen Staatszweckes zu den beiden anderen Staatszwecken im Sinne eines jeweils als angemessen empfundenen Ausgleichs verlangt. Andeutungsweise in Stichworten bedeutet das: - Freiheitsschranken um des Friedens willen, - aber auch Freiheit als Voraussetzung des Friedens; - sozialer Ausgleich zur Sicherung des Friedens, - aber Versuche, utopische Gerechtigkeitskonzepte zu verwirklichen, stören den Frieden; 7 Hinzu kommen weitere Schranken: Das Recht Gottes und der Natur sowie die leges fundamentales (z. B. Thronfolgerecht), dazu Reinhard (Fn. 4), 113. 8 So in Zusammenfassung der Entwicklung der Souveränitätslehre Hennis, Das Problem der Souveränität (1951), erschienen 2003, 72. 9 Wolff, Jus Naturae methodo scientifica pertractatum, 1766, pars V I I I cap. 1 § 73. 10 Dazu und zum folgenden Starck, Frieden als Staatsziel, in: FS für Carstens, 1984, 867 ff. = ders., Der demokratische Verfassungsstaat, 1995, 231 ff.

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sozialer Ausgleich beschneidet Freiheit und Eigentum, aber Freiheit begrenzt auch sozialen Ausgleich.

Mit den Staatszwecken innig verwoben ist der Menschenrechtsschutz durch staatlich verbürgte Grundrechte, die Freiheit gewährleisten; diese muß um des Gemeinwohls und der Rechte anderer willen beschränkt werden. Folge der Grundrechtsgewährleistungen ist es, daß der Staat nicht alle Lebensbereiche gestaltend beherrscht, sondern allenfalls Schranken setzen darf oder, wenn er sie ausgestaltet, Autonomieräume lassen muß. Es geht dabei vor allem um die folgenden Lebensbereiche und die jeweils dazu gehörenden Institutionen: -

Religion und Kirchen, Wirtschaft und Verbände, Information und Massenmedien, Wissenschaft und Hochschulen, Politik und Parteien.

Ein weiteres großes Kapitel der Allgemeinen Staatslehre sind Form, organisatorischer Aufbau und Mittel des Staates. In der Staatsform kommt die Legitimation der Herrschaft zum Ausdruck. Aus der Geschichte kennen wir vor allem die Monarchie und die Aristokratie in verschiedenen Ausprägungen. In der Gegenwart legitimieren sich die Staaten zumeist demokratisch, entweder real durch freie Wahlen oder nur behauptet. Solche Unterscheidungen lenken zum Thema „Staatsform und wirkliche Herrschaft". Diese Thematik läßt sich weiter aus der Organisation der Staatsgewalt, also den Formen der Gewaltenteilung und der Garantie der Menschenrechte erschließen. Bezieht man die vertikale Gewaltenteilung mit ein, läßt sich auch das Ausmaß der Dezentralisation bis hin zur Bundesstaatlichkeit erkennen. Organisation der Staatsgewalt und die Garantie der Menschenrechte sind der wesentliche Inhalt der Staatsverfassung, wie es so trefflich in Artikel 16 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 heißt: „Toute société, dans laquelle la garantie des droits n'est pas assurée, ni la séparation des pouvoirs déterminée, n'a point de constitution." Die Verfassung ist zumeist eine geschriebene, die ihre Leit- und Rahmenfunktion nur erfüllen kann, wenn ihr Vorrang zukommt, der effektiv auch dem normalen Parlamentsgesetz gegenüber gesichert werden muß. Was uns die Allgemeine Staatslehre schließlich noch zeigt, sind die Mittel der staatlichen Herrschaft: Personal einschließlich Bürgerpflichten, Sachen (Gebäude, Straßen, Brücken, Fahrzeuge), ferner Kommunikationsmittel zur Erlangung von Informationen und schließlich - besonders wichtig - Finanzen.

2. Methoden Diese knappe Skizze des Gegenstandes, die übersichtsartig den Inhalt meiner häufig gehaltenen Vorlesung „Allgemeine Staatslehre" wiedergibt - erstmalig im Sommersemester 1971, als ich in Göttingen anfing, also vor 34 Jahren, und letzt-

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malig im jetzt auslaufenden Wintersemester wirft die Frage nach den wissenschaftlichen Methoden auf, mittels derer man Aussagen zur Allgemeinen Staatslehre gewinnen kann. Da der Staat rechtlich geordnet ist, gehört die Beschäftigung mit dem Staat und seiner Verfassung auch in Gestalt der Allgemeinen Staatslehre auf jeden Fall zur Rechtswissenschaft, wenn auch nicht ausschließlich. Die Rechtswissenschaft ist entgegen Kelsen nicht bloße Normwissenschaft, was sich schon in dem wirklich klassischen Gebiet der Rechtswissenschaft, der Rechtsdogmatik, zeigt, die für Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung ohne Empirie nicht auskommt.11 Das gilt in noch stärkerem Maße für die Gesetzgebungslehre, die gegebene Gesetze würdigt und Vorschläge für gute Gesetzgebung macht, was die Kenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit voraussetzt. 12 Dabei geht es nicht um eine voraussetzungslose Tatsachenerforschung. Schon die empirische Sozialforschung braucht soziologische Kategorien und Fragestellungen, 13 mit deren Hilfe Daten und Erfahrungen gesammelt und geordnet werden können. Darüber hinausgehend bestehen in der Allgemeinen Staatslehre weitere, mit dem Staatsbegriff zusammenhängende leitende Gesichtspunkte, die die Erfassung der Wirklichkeit leiten. Dieses Vorgehen gilt auch, um zu erkennen, ob sich die Wirklichkeit nach den staatlich gesetzten Normen richtet oder nicht. Soweit es um die räumliche Allgemeinheit der Staatslehre geht, werden zusätzlich die Mittel der Rechtsvergleichung angewandt.14 Die konkrete Rechtsordnung ist immer sprachlich gefaßt, gleiche Ausdrücke in verschiedenen Rechtsordnungen bedeuten oft begrifflich nicht dasselbe. Deshalb muß das vergleichend untersuchte Problem von den Systembegriffen der eigenen Rechtsordnung gereinigt und in einer Sprache beschrieben werden, die in gemeinverständlichen Ausdrücken den als problematisch empfundenen Sachverhalt so kennzeichnet, daß die Interessenkollisionen, die Organisations- und Verfahrensprobleme einsichtig werden. Über solche für die Rechtsvergleichung notwendigen Metabegriffe verfügt die Allgemeine Staatslehre bereits - Gewaltenteilung, Rechtssetzung, Rechtsquellen, Menschenrechte, parlamentarisches Regierungssystem, Normenkontrolle usw. - und verständigt sich damit nicht nur europaweit, sondern auch weltweit. Die zeitliche Allgemeinheit der Staatslehre verlangt Verständnis für die Methoden der Geschichtsforschung. Auch insoweit kommt es auf Fragestellungen und 11 Dazu meine Göttinger Antrittsvorlesung Starck, Empirie in der Rechtsdogmatik, JZ 1972, 609 ff. = ders. (Fn. 10), 97 ff. 12 Starck , Überlegungen zur Gesetzgebungslehre, ZG 1988,1 (14 ff.); zu den Realien der Gesetzgebung Schneider , Gesetzgebung, 3. Aufl., 2002, Rn. 56; Müller, Elemente einer Rechtssetzungslehre, 1999, 34 f. m. w. N.; Diederichsen/Dreier (Hrsg.), Das mißglückte Gesetz, 1997, mit Beiträgen von Arzt, Franzki, Knütel, Klein, Kirchhof. 13 König, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 1, 3. Aufl., 1973, 1 ff.; über Wert und Fruchtbarkeit von Fragestellungen Heller, Staatslehre, 1934, zitiert nach 6. Aufl., 1983, 37 f. 14 Starck, Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, JZ 1997, 1021 (1026 ff.).

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auf Metabegriffe an, die unter Beachtung der jeweiligen historischen Besonderheiten und Entwicklungslinien gebildet werden müssen.15 Mit dem Methodenpluralismus wird kein unkritischer Methodensynkretismus beschrieben, vielmehr ist es der Gegenstand, der die Methode bestimmt. Der Staat als allgemeines Phänomen kann nicht mit einer einzigen Methode, insbesondere nicht allein mit der juristisch-dogmatischen Methode erfaßt werden. 16 Das kommt schon sehr deutlich zum Ausdruck in der Allgemeinen Staatslehre von Georg Jellinek , die im Jahre 1900 zum ersten Male und 1913 in der dritten Auflage erschienen ist. 17 Die Jahrhundertwende um 1900 war die große Zeit der Allgemeinen Staatslehre in Deutschland - sie gab gewissermaßen eine Antwort auf die rein juristische Betrachtung des Staatsrechts im Zeitalter des Positivismus.18 War in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch eine vernunftrechtliche Betrachtung des Staatsrechts herrschend, 19 so wurde in den 60er Jahren ein Methoden Wechsel eingeleitet, vor allem von Carl Friedrich von Gerber, 20 der sich mit 21 Jahren im Zivilrecht habilitiert hatte und schon mit 23 Jahren Inhaber einer Professur war. Der Methodenwechsel ist besonders deutlich von Paul Laband - ebenfalls vom Zivilrecht her kommend - zum Ausdruck gebracht worden: 21 Die wissenschaftliche Aufgabe der Dogmatik liege in der Konstruktion der Rechtsinstitute, in der Zurückführung der einzelnen Rechtssätze auf allgemeine Begriffe und andererseits in der Herleitung der aus diesen Begriffen sich ergebenden Folgerungen. Laband meinte:„Ich kann es nicht als richtig anerkennen, wenn jemand der Dogmatik andere Aufgaben stellt als die gewissenhafte und vollständige Feststellung des positiven Rechtsstoffes und die logische Beherrschung desselben durch Begriffe." Diese Konzentration der Staatsrechtswissenschaft auf das positive Recht verlangte geradezu nach der Disziplin der Allgemeinen Staatslehre. Und ebenso wie Ende des 19. Jahrhunderts der ins Staatsrecht eindringende Positivismus eine Allgemeine Staatslehre erforderlich gemacht hat, so ist sie heute unverzichtbar angesichts des vom Bundesverfassungsgericht und der Staatsrechtslehre geschaffenen detaillierten dogmatischen Gebäudes des deutschen Verfassungsrechts und angesichts der Notwendigkeit, die Prinzipien der Konstruktion der mit uns eng verbundenen europäischen Staaten wahrnehmen zu können. Damit sind wir beim dritten Punkt, nämlich dem heutigen Nutzen der Allgemeinen Staatslehre, angelangt. 15

Dazu nochmals Reinhard (Fn. 7), 15 ff. Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, 2. Aufl., 1998, X f., X I V f., 98 ff., 114 ff.; Voßkuhle (Fn. 1), 4. lt

17 18

Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Nachdruck 1960, 10 ff., 25 ff. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 1997, 282.

19 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 1992, 159 ff.; Friedrich (Fn. 18), 166 ff. 20

Gerber, Grundzüge des Deutschen Staatsrechts, 1865; zu Gerber siehe Stolleis (Fn. 19), 332 ff. 21

Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., 1911, Bd. I, IX, 178.

Allgemeine Staatslehre in Zeiten der Europäischen Union

3. Heutiger Nutzen Allgemeine Staatslehre ist zunächst Propädeutik für das öffentliche Recht. Insoweit ist sie im Studienplan etabliert als Grundlagenfach, in dem man alternativ zur Rechtsgeschichte einen sogenannten Grundlagenschein erwerben kann. Die Allgemeine Staatslehre ist aber auch - verbunden mit der Rechtstheorie - Wahlfach, sie geht insoweit über Propädeutik hinaus und wird auch in höheren Semestern, vor allem in Seminaren, gepflegt. In den Empfehlungen für Prüfungsinhalte bei der Ersten Juristischen Staatsprüfung in Niedersachsen (Oktober 2002) ist das Fach folgendermaßen beschrieben: Allgemeine Probleme des Staates, Grundelemente demokratischer Regierungssysteme und ihre ideengeschichtlichen Bezüge, staatliche Herrschaftsträger und gesellschaftliche Machtträger im politischen Prozeß, internationale Beziehungen und Staatenverbindungen. Die Allgemeine Staatslehre ist also Institutionenlehre, die das geltende öffentliche Recht übergreift. Nun wird immer wieder geltend gemacht, die Allgemeine Staatslehre sei eine deutsche Erfindung; auf sie könne schon deshalb verzichtet werden, weil es sie im Ausland nicht gäbe. Richtig ist wohl, daß es nur ausnahmsweise besondere Lehrbücher zur Allgemeinen Staatslehre gibt, z. B. in Italien und Spanien22. In beiden Ländern sind zudem deutsche Werke zur Allgemeinen Staatslehre übersetzt worden. Betrachtet man jedoch die ausländische Literatur nicht nach den Buchtiteln, sondern nach dem Inhalt der Bücher, so kann man z. B. für Frankreich feststellen, daß die klassischen Lehrbücher zum Verfassungsrecht den Titel tragen: „Institutions politiques et droit constitutionnel".23 Ich greife das berühmte Werk von Georges Burdeau heraus, das 2003 in 28. Auflage, bearbeitet von Francis Hamon und Michel Troper , erschienen ist. Das Buch umfaßt 760 Seiten, wovon die ersten 400 Seiten eine veritable Allgemeine Staatslehre darstellen: „Théorie générale de l'Etat" (180 S.), „les régimes politiques contemporains" (100 S.), „histoire constitutionnelle de la France (depuis la Révolution)" (120 S.). In Frankreich ist freilich neuerdings auch eine Entwicklung zu beobachten, die Lehrbücher des Verfassungsrechts gänzlich auf das geltende französische Verfassungsrecht zu konzentrieren. 24 Insoweit folgt man der deutschen Linie. Der britischen Tradition ent-

11 González Casanova, Teoria del estado y derecho constitucional, 3. Aufl., 1987, 564; Verdu, Manual de derecho politico, 1987; Sanchez, Teoria del estado y fuentes de la constitución: Introducción a la teoría de la constitución, 1989. Die meisten Lehrbücher des Verfassungsrechts enthalten einen allgemeinen Teil, der Grundfragen der Allgemeinen Staatslehre behandelt. Alle deutschen Standardwerke der Allgemeinen Staatslehre sind ins Spanische übersetzt worden. 23 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Beaud, La théorie générale de l'Etat (Allgemeine Staatslehre) en France, in: Beaud/Heyen (Fn. 1), 83 (94): L'oubli progressif de la théorie générale de l'Etat par la doctrine française, 107 f.: Einfügung der Allgemeinen Staatslehre in die Werke über Verfassungsrecht. Siehe den französischen Klassiker Carré de Malberg, Contribution à la théorie générale de l'Etat, 1922. 24 Führend Favoreu (coordonnateur), Droit constitutionnel, 1. Aufl., 1998,7. Aufl. 2004, 21: „Le droit constituionnel contemporain: une profonde et irreversible mutation."

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spricht es, das britische Verfassungsrecht und seine geschichtliche Entwicklung exklusiv zu betrachten. 25 In der Allgemeinen Staatslehre lernen wir, den eigenen Staat im Konzert der anderen gegenwärtigen Staaten zu betrachten, wir sehen das Allgemeine und die Eigenarten. Sowohl die allgemeinen Strukturen als auch die Eigenarten erhellen weiter aus der Rechtsgeschichte, die uns zeigt, daß die gegenwärtigen Strukturen nicht von uns und unseren unmittelbaren Vorgängern erfunden worden oder wie Manna vom Himmel gefallen sind, sondern daß es dazu der Anstrengung von Generationen bedurfte, die Überwindung von Abirrungen und Perversionen eingeschlossen, vor denen wir im übrigen auch in Zukunft nicht sicher sind. Zwischen dem Allgemeinen und den Eigenarten entdecken wir in der Allgemeinen Staatslehre einzelne Staatstypen, die jeweils gemeinsame Strukturen aufweisen, so wie wir in der Rechtsvergleichung von Rechtsfamilien sprechen, deren „verwandtschaftliche" Beziehungen darin bestehen, daß sie gemeinsame Gene, d. h. gemeinsame Wurzeln haben.26 Bei den Staatstypen geht es hier nicht um konstruierte Idealtypen, denen der eine oder andere Staat mehr oder weniger angenähert ist, sondern um empirische Typen,27 gebildet aus Merkmalen tatsächlicher Erscheinungsformen, die bestimmte Staaten gemeinsam haben, z. B. totalitäre Staaten, autoritäre Staaten oder liberale Staaten. Der Typus des liberalen Staates tritt heute in Erscheinung als demokratischer Verfassungsstaat, 28 der für unsere weiteren Überlegungen zur Europäischen Union von Bedeutung ist. Die gemeinsamen Merkmale des Staatstypus demokratischer Verfas sungsStaat sind: - eine Verfassung beruhend auf der verfassunggebenden Gewalt des Volkes, - Vorrang dieser Verfassung, auch vor den vom Parlament beschlossenen Gesetzen, zunehmend durch gerichtliche Kontrolle gesichert, - periodisch abgehaltene allgemeine, gleiche, geheime und freie Wahlen mindestens des Parlaments, - Gewaltenteilung durch verfassungsrechtliche Normierung der Kreation, der Aufgaben, Zuständigkeiten und Verfahren der obersten Staatsorgane, - Garantie der Grundrechte und gerichtlicher Schutz derselben.

25

Yardley, Introduction to British Constitutional Law, 6. Aufl., 1984; Marshall, Constitutional Theory, 1980. 26 Siehe dazu Starck, Das Christentum und die Kirchen in ihrer Bedeutung für die Identität der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 31 (1997), 5 ff . = ders., Freiheit und Institutionen, 2002, 29 ff. 21

Jellinek (Fn. 17), 36 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung und zur Struktur siehe Fenske , Der moderne Verfassungsstaat, 2001, passim. 28

Allgemeine Staatslehre in Zeiten der Europäischen Union

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I I I . Bedeutung der Allgemeinen Staatslehre für die Europäische Union 7. Entstehung , Verdichtung

und Erweiterung

der Europäischen Gemeinschaft

Die Europäische Gemeinschaft ist 1957 als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet worden, war aber von Anfang an auch Rechtsgemeinschaft. Sie konnte nur gegründet und ins Werk gesetzt werden, weil den Mitgliedstaaten Rechtsgrundsätze gemeinsam sind, auf deren Grundlage Gemeinschaftsrecht geschaffen wurde. Diese Rechtsgrundsätze beruhen vor allem auf dem römischen Recht,29 dem Christentum 30 und der Aufklärung. Die sechs Gründerstaaten - Deutschland, Frankreich, Italien und die drei Beneluxstaaten - gehören dieser Tradition an. Sie sind demokratische Verfassungsstaaten, die sich freilich in ihrer konkreten verfassungsrechtlichen und tatsächlichen Erscheinungsform voneinander unterscheiden. So sind die drei großen Gründerstaaten Republiken mit parlamentarischen Regierungen. In Frankreich wurde kurz nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein Semiparlamentarismus analog der Weimarer Verfassung eingeführt mit beherrschender Stellung des Präsidenten der Republik. Die kleinen Beneluxstaaten sind Monarchien, allerdings auch mit parlamentarischen Regierungen. Allgemein gilt, daß die Staatsorgane dieser Länder in verfassungsrechtlich geordneten Formen und Verfahren und gebunden an bestimmte inhaltliche Normen ihre Entscheidungen treffen. Die im Verfassungsrecht dieser Länder zum Ausdruck kommenden Grundsätze sind in den Mentalitäten der Bevölkerung dieser Länder verankert. Die Allgemeine Staatslehre ermöglicht es, hinter den verschiedenen Erscheinungsformen die gemeinsamen Grundsätze, also das Allgemeine, zu sehen und Auskunft darüber zu geben, welche Staaten einem Staatstypus angehören und sich unter den Gesichtspunkten ihres Verfassungsrechts, ihrer ökonomischen Verhältnisse und der Mentalitätsstrukturen ihrer Bevölkerung dazu eignen, einen engeren Bund miteinander zu schließen, dem von den Mitgliedstaaten Hoheitsrechte zur gemeinsamen Ausübung übertragen werden können. Von der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 bis zum heutigen Zustand der Integration hat eine bemerkenswerte Verdichtung des Gemeinschaftsrechts stattgefunden, das eine starke Vereinheitlichung des Rechts in den Mitgliedstaaten bewirkt hat. Es sind die unmittelbar wirkenden Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft und die Richtlinien, die die Mitgliedstaaten verpflichten, ihr Recht den Richtlinien anzupassen. Das Recht, das die Europäische Gemeinschaft im Rahmen der ihr übertragenen Hoheitsbefugnisse mit unmittelbarer oder mittelbarer Wirkung setzt, darf nicht im Widerspruch zu den 29 Koschaker, Europa und das römische Recht, 3. Aufl., 1958, passim; Wieacker , Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967, 26 f. 30 Berman, Recht und Revolution, 1991, 272 ff.; Starck (Fn. 26), 8-21 = 32-46; Guyon, Le legs du christianisme dans l'histoire du droit européen, in: d'Onorio (dir.), L'Héritage religieux du droit en Europe, 2004, 53 ff.

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Rechtsgrundsätzen stehen, die in den Mitgliedstaaten gelten. Das Gemeinschaftsrecht muß auf fruchtbaren Boden fallen, es muß von der großen Mehrheit der Bevölkerung angenommen werden. Der Prozeß einer starken Verdichtung des Gemeinschaftsrechts war begleitet durch ein Anwachsen der Zahl der Mitgliedstaaten. Jahrzehnt für Jahrzehnt wuchs die Europäische Gemeinschaft. 1973 traten Großbritannien, Irland und Dänemark bei, zwei Monarchien, eine Republik, die alle - ungeachtet britischer Besonderheiten - unter den Begriff des demokratischen Verfassungsstaates fallen. In den 80er Jahren wurden in zwei Etappen zunächst Griechenland (1981), sodann Portugal und Spanien (1986) Mitgliedstaaten. Die Länder dieser Südkette zeichneten sich dadurch aus, daß sie autoritäre Regime abschütteln konnten und sich in die Tradition der demokratischen Verfassungsstaaten eingliederten. Vorangegangen waren entsprechende Verfassungsgebungsprozesse, die stark am deutschen und italienischen Modell ausgerichtete Verfassungen hervorbrachten. Für Portugal und Spanien gilt insbesondere, daß in beiden Ländern Gelehrte im 16. Jahrhundert große aufklärerische Leistungen der Staatsphilosophie erbracht haben.31 Dieses „goldene Zeitalter der Rechts- und Staatsphilosophie"32 war im spanischen Schul- und Universitätsunterricht ständig wirksam, so daß in der Bevölkerung eine Mentalität fortwirken konnte, die den neuen Verfassungen innere Kraft und Festigkeit verleiht. 1995 sind nach dem Ende der Ost-West-Spaltung die früher neutralen Staaten Österreich, Finnland und Schweden der Europäischen Gemeinschaft beigetreten, die trotz Unterschieden im einzelnen sämtlich die Merkmale des demokratischen Verfassungsstaates erfüllen. Ein weiteres Jahrzehnt später sind 2004 die ehemals gezwungenermaßen dem kommunistischen Block angehörenden Staaten Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien und die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland beigetreten. Nach der Herauslösung aus dem Block der kommunistischen Staaten fanden dort eifrige Verfassungsgebungsprozesse statt, in denen die Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates verwirklicht worden sind, die in der Mentalität der Bevölkerung relativ leicht wieder verankert werden können, da es sich bei den Staaten ausschließlich um Staaten handelt, die historisch ebenso wie die westeuropäischen Staaten durch das römische Recht, das lateinische Christentum und die Aufklärung geprägt worden sind. Das erste Ergebnis zur Frage der Bedeutung der Allgemeinen Staatslehre für die Europäische Union besteht darin, daß die Allgemeine Staatslehre Kriterien für die mögliche Mitgliedschaft in supranationalen Gemeinschaften zur Verfügung stellt. 33 31 Truyol y Serra , Historia de la Filosofía del Derecho y del Estado, Bd. 2,4. Aufl., 1995, 78 ff.; Starck, Die philosophischen Grundlagen der Menschenrechte, in: FS für Peter Badura, 2004, 553 (560 ff.) m. w. N. 32 Galván, El tacitismo en las doctrinas políticas del Siglo de Oro Español, in: Anales de la Universidad de Murcia, vol. I V (1947-48), 895 ff. 33 Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam"; ähnlich Art. 9 Vertrag einer Verfassung für Europa.

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Außer der geographischen Zusammengehörigkeit muß es sich um institutionell und mentalitätsmäßig gefestigte demokratische Verfassungsstaaten handeln, die freiwillig und demokratisch legitimiert die supranationale Union gründen oder ihr beitreten und ihr Hoheitsrechte übertragen. Die supranationale Union ihrerseits muß ihre Aufgaben gemäß den Prinzipien des Verfassungsstaates erfüllen, d. h. gewaltenteilig arbeiten und die Rechte der Bürger der Mitgliedstaaten achten.

2. Die Europäische Union in den Kategorien der Allgemeinen Staatslehre Aus der Zahl der möglichen und historisch vorkommenden Staatenverbindungen 34 interessieren uns hier hauptsächlich der Bundesstaat und der Staatenbund. Beide Staaten Verbindungen sind stark völkerrechtlich geprägt, weil die Unterscheidung am Kriterium der Souveränität getroffen wird. Ein Staatenbund läßt die Souveränität seiner Mitglieder unangetastet. Schließen sich mehrere Staaten zu einem Bundesstaat zusammen - Beispiel Deutsches Reich 1871 und sein Vorgänger, der Norddeutsche Bund 1867 - , so geht ihre völkerrechtliche Souveränität zu Ende und insgesamt auf den Zentralstaat über; innerstaatlich werden die Hoheitsrechte, die nicht identisch mit der Souveränität sind, durch die Verfassung zwischen Bund und Ländern verteilt. Die Frage ist nun, wie die supranationale Union einzuordnen ist. Auf jeden Fall ist sie kein Bundesstaat und soll wenigstens nach dem Willen der meisten Mitgliedstaaten35 sowie der tonangebenden Parteien in Deutschland kein Bundesstaat werden. So heißt es in den zentralen Forderungen zum geplanten EU-Verfassungsvertrag in einem gemeinsamen Beschluß der Präsidien von CDU und CSU vom 4. Mai 2003: „Die Europäische Union ist kein eigenständiger Staat mit dem Recht autonomer Kompetenzbegründung. Ein Abweichen von diesem Grundsatz wäre der entscheidende Schritt in den Bundesstaat, den die Menschen nicht wollen."

Im Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen heißt es: „Wir setzen uns ... mit Nachdruck für den europäischen Verfassungsprozeß ein. Nicht die Verfassung eines europäischen Superstaates wollen wir voranbringen, sondern eine Verfassung, in der sich die Bürgerinnen und Bürger auf gemeinsame Institutionen, Verfahren und Rechte einigen und sich über das gemeinsame Band ihres Gemeinwesens verständigen."

Im Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Fassung vom 17. 4. 1998 heißt es: „Wir wollen die Europäische Gemeinschaft zu den Vereinigten Staaten von Europa weiterentwickeln." 34 Siehe die drei Aufzählungen bei Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 2004, Rn. 146. 35 Z. B. Lepoivre , Staatlichkeit und Souveränität in der Europäischen Union am Beispiel Frankreichs, 2003, 209 ff.

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Der Ausdruck „Vereinigte Staaten von Europa" stammt aus dem Heidelberger Programm der Sozialdemokraten von 1925 und wird deshalb hochgehalten, wobei nicht klar ist, ob es sich um einen Bundesstaat handeln soll. Einige Passagen im Grundsatzprogramm sprechen eher dagegen, insbesondere, wenn es heißt, daß die Souveränität aller Staaten in Europa unverletzlich sei. Es wird freilich auch gefordert, die Europäische Union in einen europäischen Bundesstaat umzugestalten. Solches hört man aus der Wirtschafts- und Finanzwelt. Außenpolitisch soll Europa als Staat eine Weltmacht werden wie die USA. Wer den Nationalstaat, allen voran den deutschen, für überholt hält, ist schnell dabei, einen Eurostaat zu fordern oder ihn mit der Europäischen Verfassung schon heraufziehen zu sehen, obgleich es sich bei der Verfassung um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, den die Mitgliedstaaten abschließen. - Verfolgen wir die Linie des europäischen Bundesstaates nicht weiter, zumal sie die Allgemeine Staatslehre nicht herausfordert, die die Bundesstaatlichkeit traditionell behandelt. Wenn die Europäische Union kein Bundesstaat ist oder werden soll, ist sie dann ein Staatenbund? Es kommt schon sprachlich zum Ausdruck, daß sie mehr ist. Das in dem Begriff „Supranationalität" steckende Wort „Nation" bezeichnet im Englischen auch Staat. In richtiger deutscher Übersetzung müßte man von „SupraStaatlichkeit" sprechen. So ist auch das Völkerrecht, d. h. das internationale öffentliche Recht, in genauer deutscher Übersetzung „Zwischenstaatenrecht". „Supra" bedeutet oben darauf oder oberhalb. Daraus wird deutlich, daß sich Supranationalität von Internationalität unterscheidet. Der Begriff faßt die Sache, um die es geht, deutlich. Über dem einzelnen Mitgliedstaat besteht eine Hoheitsgewalt, die die Mitgliedstaaten durch die Übertragung von Hoheitsrechten selbst eingerichtet haben. Soweit Hoheitsrechte übertragen worden sind, geht das supranationale Recht allem nationalen Recht vor. Insoweit hat der einzelne Mitgliedstaat - aus eigenem Willen - eine Staatenunion über sich, deren Rechtsakte nicht nur politische Signale sind, die er umsetzen muß, sondern die selbst unmittelbar verbindliches Recht für die Bürger in den Mitgliedstaaten setzen. Einige sehen in diesen Vorgängen eine Bestätigung dafür, daß der Begriff der nationalen Souveränität obsolet geworden ist. 36 Andere sprechen von föderativer Gemeinschaftssouveränität. 37 Nach diesen Vorstellungen hat die Souveränität, ver36 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 101; ders., Die Bundesrepublik Deutschland in den Europäischen Gemeinschaften, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V i l , 1992, § 181 Rn. 19; Denninger, Vom Ende nationalstaatlicher Souveränität in Europa, JZ 2000, 1121 (1125 f.); Kokott, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes, in: VVDStRL 63 (2004), 7 (21 ff.). 37 Z. B. Dreier, Art. Souveränität, in: Staatslexikon der Görresgesellschaft, Bd. IV, 1988, Sp. 1208; Everling, Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, DVB1. 1993,936 (942 f.); Doehring, Staat und Verfassung in einem zusammenwachsenden Europa, ZRP 1993,98 ff.; als gefährlich gekennzeichnet, ders. (Fn. 34), Rn. 274; wenn der EuGH von einer Einschränkung der Souveränitätsrechte spricht (Gutachten 1/91 v. 14.12.1991, Slg. 1991,1-6079 Rn. 21), so bedeutet das nicht Souveränitätsteilung, sondern ist ein anderer Ausdruck für Übertragung von Hoheitsrechten als Akt der Souveränität.

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standen als höchste Mächtigkeit, den Nationalstaat verlassen 38 und damit zugleich das Ende der Staaten im Sinne der Definition Bodins bewirkt. Es sieht eher so aus, daß in diesen Äußerungen der Begriff der Souveränität mit der Summe der Hoheitsrechte verwechselt wird. Man muß sich von der Vorstellung freimachen, daß die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine supranationale Union dem Staat, der die Übertragung durch völkerrechtlichen Vertrag selber vornimmt, die Souveränität entzieht, also der Staat, der Akteur ist, auf die Souveränität verzichtet. Der Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages, der den Staat rechtlich bindet, ist ein Akt der Souveränität. Dies ist vergleichbar mit einem privatrechtlichen Vertrag, den ich als Akt meiner Freiheit schließe. Ebensowenig wie ich auf meine Freiheit verzichte, wenn ich einem Verein beitrete oder in eine Handelsgesellschaft eintrete, verzichtet der Staat auf seine Souveränität, wenn er Hoheitsrechte, besser: Kompetenzen39 oder Befugnisse 40, an eine supranationale Union abtritt. Die Europäische Gemeinschaft beruht immer noch auf dem demokratisch legitimierten Willen der Mitgliedstaaten. Deren fortbestehende Souveränität 41 erweist sich auch in dem Recht, aus der Europäischen Gemeinschaft auszutreten, an das das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil erinnert hat 42 und das der Vertrag über eine Verfassung für Europa in Art. 60 ausdrücklich erwähnt. Udo Di Fabio hat das Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten und Union bildhaft so geschildert: 43 „Baumeister der neuen Architektur öffentlicher Gewalt bleiben die Mitgliedstaaten, sie tragen die Kompetenzverantwortung aus ihren bewährten gemeinsamen Verfassungstraditionen, ... Im Alltag dieses Hauses waltet der gemeinsame Interessenausgleich, das Ringen um eine wirtschaftliche und politi38 Delbrück , dem dieser Artikel gewidmet ist, hat sich in den 1970er Jahren mit dem Problem der Souveränität der Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaft beschäftigt und von einem Verlust an Souveränität als Folge einer effektiven, die Grenzen national staatlichen Handelns überschreitender Bewältigung der großen wirtschaftlichen, sozialen und technologischen Probleme unserer Zeit gesprochen. Vgl. ders., Souveränität und Nationalstaat im Wandel, in: Schwarz (Hrsg.), Hdb. der deutschen Außenpolitik, 1975, 669 (673); zurückhaltender noch ders., Regionale Zusammenschlüsse und ihre Auswirkungen auf die Souveränität der Staaten, in: Picht/Eisenbart (Hrsg.), Frieden und Völkerrecht, 1973, 457 (480-484). 39

So Art. 88 - 1 französ. Verfassung. Beschlußrechte, so Kap. X § 5 Schwed. Verfassung. 41 So die h. L. im Völkerrecht, siehe z. B. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, VVDStRL 50 (1991), 9 (17); Hillgruber, SouveränitätVerteidigung eines Rechtsbegriffs, JZ 2002, 1072 (1077 ff.); ders., in: Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 32 Rn. 61-74; Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. n , 3. Aufl., 2004, § 17 Rn. 33 f.; deutlich auch Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, 2001, 237 ff. 42 BVerfGE 89, 155 (190); vgl. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 221. 43 Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001,95 (die Hervorhebungen im Original). 40

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sehe Gemeinschaft. Die Union trägt die Kooperationsverantwortung für den Kontinent. Der alte Ehrgeiz der Völker Europas wird zivilisiert und in einen Wettbewerb der Staaten umgelenkt, wobei die Einhaltung der Wettbewerbsregeln das Alltagsgeschäft der Gemeinschaft ist, ...". Die Baumeistereigenschaft der Mitgliedstaaten verlangt allerdings, daß definierte Kompetenzen an die supranationale Union übertragen werden. 44 Die Kompetenz-Kompetenz, d. h., die Zuständigkeit über die Verteilung von Zuständigkeiten zu entscheiden, liegt bei den Mitgliedstaaten, worin ihre fortbestehende Souveränität zu sehen ist. Mit der Übertragung von Hoheitsrechten auf die supranationale Union müssen die Merkmale des Konstitutionalismus auf Unionsebene gesichert werden. 45 Das geschieht durch die inzwischen mehrfach geänderten Gründungsverträge, die die Organisation, die Kompetenzen, die Verfahren und die Handlungsformen der Europäischen Gemeinschaft in rechtstaatlicher Weise regeln, die Grundrechte sichern und eine zusätzliche demokratische Legitimation über die Direktwahl des Europäischen Parlaments etablieren. Die Verträge, die die Hoheitsrechte übertragen, stellen die Europäische Verfassung dar, die jetzt durch den inzwischen unterzeichneten Vertrag über eine Verfassung für Europa ausdrücklich so bezeichnet werden soll. 46 Ihre Ratifizierung in den Mitgliedstaaten bleibt allerdings noch abzuwarten. Damit haben wir es mit einem neuen Typus von Staatenverbindungen zu tun, der von der Allgemeinen Staatslehre aufgenommen und bearbeitet werden muß, was insbesondere in den großen Monographien von Stephan Hobe (1998) und von Thomas Schmitz (2001) schon in Angriff genommen worden ist. 47 Wir sehen also: Die Allgemeine Staatslehre liefert nicht nur die Kriterien für die Möglichkeit des Zusammenschlusses von Staaten zu einer supranationalen Union. Mit deren Gründung ist die Allgemeine Staatslehre herausgefordert, die supranationale Union als neue Form der Staatenverbindung wissenschaftlich zu bearbeiten, insbesondere die neue Erscheinungsform des Mehrebenenverfassungsrechts dogmatisch zu konstruieren 48 und die Anforderungen an die demokratische Legitimation von Gemeinschaftsrecht zu klären 49 . Aber damit ist es nicht genug. Die Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Europäische Union vermindert nicht nur die Aufgaben der Staaten, sondern stellt auch einen Einbruch in ihre verfassungsrechtliche Kompe44 Leonardy, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kompetenzabgrenzung als deutsches Verfassungspostulat, 2002, 23 ff. 45 Dazu Di Fabio (Fn. 43), 49. 46 Zum Verfassungsbegriff Starck, Der Vertrag über eine Verfassung für Europa, in: FS Götz, 2005. 47 Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998; Schmitz (Fn. 41). 48 Starck (Fn. 46), unter I. 49 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997.

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tenzordnung und Verfahrensordnung dar. Dazu zwei Beispiele: Was früher der Bundestag im Verfahren der Gesetzgebung zumeist auf Vorschlag der Regierung ohne weitere politische Vorgaben im Rahmen der Verfassung entscheiden konnte, wird jetzt, soweit die entsprechen Kompetenzen auf die Europäische Union übertragen worden sind, von der Europäischen Union entschieden unter Mitwirkung der deutschen Regierung. Soweit es sich um Richtlinien (in Zukunft Rahmengesetze) handelt, sind diese dann vom Bundestag nur noch umzusetzen. Soweit Gesetzgebungsmaterien, die den Ländern zustehen, auf die Europäische Union übertragen worden sind, ist es ebenfalls nur die deutsche Exekutive, die an der Entscheidung auf europäischer Ebene teilhat. Diese innerstaatliche Entparlamentarisierung und Entföderalisierung ist ebenfalls ein Thema für die Allgemeine Staatslehre, und zwar nicht nur als Bestandsaufnahme, sondern auch zum Nachdenken über Alternativen oder Kompensationen. Zum Schluß die Frage: Wird sich die Europäische Union als supranationale Union auf Dauer stabilisieren und als Beispiel für eine neuartige Staaten Verbindung dann auch in die Lehrbücher der Allgemeinen Staatslehre dauerhaft eingehen?50 Die Dynamik der Europäischen Union liegt einmal in der Verdichtung des europäisch gesetzten Rechts und zum anderen in der Erweiterung der Zahl der Mitgliedstaaten, die sich im Jahr 2004 von 15 auf 25 Mitgliedstaaten rasant gesteigert hat; und diese Dynamik ist weiter ungebrochen. Bulgarien und Rumänien, sogar die Türkei sind als neue Mitgliedstaaten ins Auge gefaßt. Zwischen beiden Dynamiken liegt eine enorme Spannung. Je dichter die Supranationalität werden soll, um so weniger verträgt sie geographische Erweiterungen. Nachdem die geographische Erweiterung weitgehend stattgefunden hat und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, sehe ich darin ein deutliches Zeichen dafür, daß sich die Europäische Union nicht zu einem Bundesstaat entwickeln, sondern eine supranationale Union bleiben und sich wohl auch in verschiedene Verdichtungskreise gliedern wird. Das ist heute beispielsweise schon währungsrechtlich deutlich in der Unterscheidung zwischen Euro-Staaten und Nicht-Euro-Staaten. Um die Erfassung solcher Vorgänge wird sich die Allgemeine Staatslehre bemühen müssen. Eine Lehre von der supranationalen Union muß nicht auf Europa beschränkt bleiben, es gibt auch andere Regionen in der Welt - südliches Afrika, Südamerika - , in denen Voraussetzungen für supranationale Unionen entstehen können.51 Denn die Verhältnisse in der Welt sind so, daß die einzelnen Staaten bei der Erledigung der ihnen zukommenden Aufgaben mehr und mehr überfordert sind und sich zur eigenen Stärkung in Staatenverbindungen zusammenschließen.

50 Immer noch ist die Europäische Gemeinschaft/Union in den neueren Auflagen der Lehrbücher zur Allgemeinen Staatslehre nur knapp behandelt, siehe Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 14. Aufl., 2003, 77 f., 421, 424-428; Doehring (Fn. 34), 116 f., 188-190; Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., 1996, 16, 38, 220, 312-316. 51 Ansätze gibt es im südlichen Afrika und neuerdings in Südamerika (Communidad Sudamericana de Naciones).

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IV. Zusammenfassung Die Begriffe der Allgemeinen Staatslehre sind geeignet, die Voraussetzungen von supranationalen Unionen zu erkennen, indem Typen von Staaten unter Einschluß ihrer ideellen und institutionellen Geschichte unterschieden werden. Anhand des Souveränitätsbegriffs können supranationale Unionen von Bundesstaaten unterschieden und ein eventueller Übergang von der supranationalen Union zum Bundesstaat genau festgestellt werden. Die Lehre von den Staaten Verbindungen ist im Hinblick auf supranationale Unionen zu erweitern und zu vertiefen.

Proportionality Revisited Überlegungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im internationalen Recht Von Torsten Stein

I. Einleitung Obwohl mittlerweile gut 20 Jahre zurückliegend, stammt eine der auch heute noch maßgeblichen Darstellungen der Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht aus der Feder von Jost Delbrück. 1 Sie schließt mit der Feststellung, bei diesem Grundsatz handele es sich nicht mehr (nur) um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz („general principle of law" im Sinne von Art. 38 (c) des IGH-Statuts), sondern um eine allgemeine Regel des Völkerrechts („general principle of international law"). Noch zehn Jahre später hat Rosalyn Higgins bezweifelt, ob das Prinzip überhaupt auch nur in die erstgenannte Kategorie falle, 2 und seinen (unbestrittenen) Platz nicht lediglich im kontinentaleuropäischen Verwaltungsrecht (und daraus abgeleitet in gewissem Umfang auch im Europäischen Gemeinschaftsrecht) habe. Man wird Delbrücks damaliger Feststellung, die in der Formulierung auch als de lege ferenda Argument verstanden werden konnte, heute - im Einklang zumindest mit dem deutschen völkerrechtlichen Schrifttum 3 - uneingeschränkt zustimmen können; zu oft haben „proportionality" oder verwandte Begriffe wie „reasonableness", „adequacy" oder „necessity" Eingang in völkerrechtliche Normen, Entwürfe und Gerichtsentscheidungen gefunden, um den völkerrechtlichen Charakter des damit umschriebenen Rechtsprinzips weiterhin zu bestreiten. Aber es bleibt die Frage, ob es eine wirklich „allgemeine" Regel der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht gibt, oder nicht vielmehr ganz unterschiedliche „Verhältnismäßigkeiten" je nach Anwendungsbereich. Fraglos ist die Feststellung der Verhältnismäßigkeit oder auch UnVerhältnismäßigkeit einer Maßnahme oder Handlung immer eine auf 1 Delbrück, Proportionality, in: Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. III, 1997, 1140 ff. 2 Higgins, Problems and Process, International Law and How We Use It, 1994, 218 ff. (236). 3 Bemerkenswert ist allerdings, daß kein Lehrbuch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip einen eigenen Abschnitt widmet, es taucht immer nur im Zusammenhang mit dem jeweiligen Sachbereich auf (vgl. nur Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl., 2004, Rn. 763, 772, 1033).

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den konkreten Einzelfall bezogene; das ist hier nicht gemeint. Gemeint ist vielmehr, ob es einheitliche und objektive Standards dafür gibt, wann etwas nach Völkerrecht verhältnismäßig ist oder nicht; in der Formulierung von Higgins „proportionate in respect of what"l A Oder ist Verhältnismäßigkeit ein eher subjektiv auszulegender und angewendeter Begriff, der es dem zur Entscheidung berufenen Gericht ermöglicht, eine in seinen Augen „gerechte" Entscheidung zu treffen? Delbrück sagt hier, „proportionality emanate[s] from the overriding principle of justice". 5 Ist Verhältnismäßigkeit („proportionality") damit nur ein enger Verwandter von „equity", wenn auch equity infra legem? 6 Entstanden ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (oder auch des „Übermaßverbotes") aus der Notwendigkeit, nach der Emanzipation des Einzelnen von der staatlichen oder auch kirchlichen Autorität individuelle Grund- und Menschenrechte abzuwägen gegen Allgemeininteressen, und um administrative Eingriffe in individuelle Rechte zu begrenzen.7 Im nationalen Recht - und insbesondere im deutschen, wie anschließend kurz in Erinnerung zu rufen ist - haben sich für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit detaillierte Regeln entwickelt. Gelten sie gleichermaßen auf der zwischenstaatlichen Ebene und gelten sie vor allem auch dann, wenn es nicht im Über- und Unterordnungsverhältnis um die Abwägung zwischen individuellen und Staatsinteressen, sondern um die Abwägung von Rechten und Interessen Gleicher, d. h. Staaten, geht? Können oder müssen die selben Prüfungsmaßstäbe Anwendung finden, wenn es einmal um den Schutz von Menschenrechten geht und ein anderes Mal um den Schutz staatlicher Souveränität und Territorialhoheit? Oder wenn beides involviert ist, wie beispielsweise im Kriegsrecht?

I I . Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht Nachdem Hartley in seinem Werk „The Foundations of European Community Law" 8 schreibt, „proportionality is a familiar provision of German constitutional law", mag es erlaubt sein, darin einen gewissen Vorbildcharakter nicht nur für das Europäische Gemeinschaftsrecht, sondern auch für das Völkerrecht zu sehen. Ausgehend von der polizeirechtlichen Vorschrift in § 10 II, 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts 9 erstreckte sich die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf das gesamte Recht der Eingriffsverwaltung und ist, obwohl in keiner deutschen Verfassung jemals ausdrücklich normiert, seit langem als ungeschriebe4

Higgins (Fn. 2), 231. Delbrück ( Fn. 1), 1141. 6 Higgins (Fn. 2), 219 f., die unterscheidet zwischen „equity infra legem", „equity praeter legem" und „equity contra legem". 7 Delbrück (Fn. 1), 1140. 5

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Hartley, The Foundations of European Community Law, 4. Aufl., 1998, 148. Vgl. dazu und zum Folgenden Sachs in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl., 2003, Art. 20 Rn. 145 ff. 9

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ner Verfassungsgrundsatz im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips („rule of law") anerkannt 10 und gilt für alle drei Staatsgewalten. Elemente der Verhältnismäßigkeit und damit zugleich Maßstab für die Prüfung ihrer Einhaltung sind Eignung, Erforderlichkeit und Proportionalität (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Eignung liegt vor, wenn aufgrund einer ex ante Beurteilung (Prognose) die Wahrscheinlichkeit oder auch nur realistische Möglichkeit gegeben ist, daß die Maßnahme den mit ihr verfolgten Zweck erreichen wird, zumindest teilweise. Eignung fehlt nur dann, wenn das Mittel evident ungeeignet bzw. die Prognose nicht ernsthaft vertretbar ist oder sich als fehlerhaft erweist und nicht korrigiert wird. Erforderlichkeit verlangt, zum Erreichen des (erlaubten) Zweckes das mildeste Mittel gleicher Wirksamkeit einzusetzen, sofern es nicht einen aus der Sicht des Handelnden objektiv unvertretbaren Aufwand erfordert. Proportionalität (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) verlangt, daß die durch das eingesetzte Mittel verursachte (grundsätzlich erlaubte) Rechtsbeeinträchtigung nicht außer Verhältnis zu den angestrebten (ebenfalls erlaubten) Zwecken stehen darf. Salopp gesagt: Man darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, selbst wenn man grundsätzlich auf Spatzen schießen darf, nur über Kanonen verfügt und die Eignung dieser Waffe außer Zweifel steht. Wenn man sich die in reichem Maße vorhandene Literatur und Rechtsprechung zum Verhältnismäßigkeitsprinzip im deutschen (Verfassungs-)Recht ansieht,11 wird deutlich, daß es für die Prüfung und Abwägung der dieses Prinzip ausmachenden Elemente kaum feste - und noch viel weniger normative - Maßstäbe gibt. Insofern erstaunt auch nicht, daß mangelnde Verhältnismäßigkeit nicht sehr oft zumindest nicht auf der Ebene des Verfassungsrechts - Grund für die Aufhebung einer Maßnahme war. Damit vermindert sich aber auch die Auslegungshilfe, die man aus dem nationalen (deutschen) Recht für die Bestimmung des Inhalts des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der internationalen Ebene gewinnen könnte, abgesehen vielleicht von der dreistufigen Prüfung nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, jedenfalls soweit es um den Schutz von Individualrechten geht. Aber auch diese Dreistufigkeit der Prüfung wird auf der internationalen Ebene nicht immer durchgehalten, wie die nachfolgende kurze Übersicht zeigt.

I I I . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des E G M R Die dreistufige Prüfung der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte folgt - bedingt durch die Formu10 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BverfGE 7,377; vgl. im einzelnen H. Schneider„ Die Verhältnismäßigkeitskontrolle insbesondere bei Gesetzen, in: Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. II, 1976, 390 ff. 11 Vgl. die eingehenden Nachweise bei Sachs (Fn. 9), Art. 20 Rn. 145 ff.

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lierung der Einschränkungsmöglichkeiten für die Konventionsgarantien - etwas abweichenden Regeln: Notwendig ist zunächst, daß die Einschränkung eine (nicht notwendig geschriebene) gesetzliche Grundlage hat: „The Court observes that the word 'law' in the expression prescribed by law 4 covers not only statute but also unwritten law. Accordingly, the Court does not attach importance here to the fact that contempt of court is a creature of the common law and not of legislation. It would clearly be contrary to the intention of the drafters of the Convention to hold that a restriction imposed by virtue of the common law is not ,prescribed by law' on the sole ground that it is not enunciated in legislation: this would deprive a common-law State which is Party to the Convention of the protection of Article 10 (2) and strike at the very roots of that State's legal system." 12 „The Court refers to its established case-law to the effect that the terms »prescribed by law' and ,in accordance with the law' in Articles 8 to 11 of the Convention not only require that the impugned measures have some basis in domestic law, but also refer to the quality of the law in question, which must be sufficiently accessible and foreseeable as to its effects, that is formulated with sufficient precision to enable the individual - if need be with appropriate advice - to regulate his conduct". 13 Weiterhin können Eingriffe in die Individualfreiheitsrechte aus der Konvention nur dann zulässig sein, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgen. D i e aus der Sicht der Konvention legitimen Ziele sind i n den jeweiligen Absätzen 2 der Art. 8 bis 11 enumerativ aufgezählt, die eigentlich notwendige abstrakte Definition des „legitimen Ziels" hat die Rechtsprechung des E G M R bisher aber nicht geleistet. So verwundert nicht, daß das Fehlen eines legitimen Zieles bislang nur sehr selten die Konventions Widrigkeit eines Eingriffs begründet hat. 1 4 Beruht der Eingriff auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage und verfolgt er ein legitimes Ziel, so muß er darüber hinaus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, den die Absätze 2 der Art. 8 bis 11 der Konvention i n den Begriff der „Notwendigkeit des Eingriffs i n einer demokratischen Gesellschaft" fassen. Z u m T e i l umschreibt der E G M R diese Voraussetzung als „pressing social need": „It is, in any event, for the European Court to give a final ruling on the restriction's compatibility with the Convention and it will do so by assessing in the circumstances of a particular case, inter alia , whether the interference corresponded to a »pressing social need' and whether it was proportionate to the legitimate aim pursued'". 15 Z u m T e i l w i r d auch von einer „fair balance" gesprochen: „The Court's task accordingly consists in ascertaining whether the measure in issue struck a fair balance between the relevant interests, namely the applicant's right to respect for his private and family life, on the one hand, and the prevention of disorder or crime, on the other". 16 12

EGMR, Sunday Times , Urteil vom 26.4.1979, Series A 30 (1979) Rn. 47. EGMR, Eglise Métropolitaine de Bessarabie , Urteil vom 13.12.2001, Vol. 2001-XII Rn. 109. 13

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Vgl. EGMR, Dudgeon, Urteil vom 22.11.1981, Series A 45 (1982) Rn. 44.

15

EGMR, Wingrove, Urteil vom 25.11.1996, Vol. 1996-IV Rn. 53. EGMR, Boujlifa, Urteil vom 21.10.1997, Vol. 1997-VI Rn. 43

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Und immer räumt der EGMR dem betroffenen Staat einen (allerdings überprüfbaren) Beurteilungsspielraum („margin of appreciation") ein, bei dem umstritten ist, ob es sich dabei um eine Modifikation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes handelt oder um ein Instrument des Gerichtshofes zur Variation der Kontrolldichte, abhängig von der jeweiligen Situation oder Konstellation.17 Jedenfalls läßt sich festhalten, daß der EGMR den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sehr flexibel handhabt. IV. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des EuGH Eine ganz besondere Flexibilität in der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kennzeichnet auch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften. Die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht war bereits unstreitig schon bevor er (mit dem Vertrag von Maastricht) in den heutigen Art. 5 Abs. 3 EGV ausdrücklich aufgenommen wurde („Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrages erforderliche Maß hinaus"). Fraglich ist aber, ob das neben dem Erforderlichkeitsgebot auch zur Beachtung des Abwägungsgebotes („Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne") verpflichtet. Auch die erkennbar an dem ,,Necessary-in-a-democratic-society"-Standard der EMRK orientierte Einschränkungsvoraussetzung in Art. 11-112 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union („Unter der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen") bringt hier keine Klarheit. Im Schrifttum ist wiederholt versucht worden zu belegen, daß der EuGH alle drei Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung absolviert, 18 aber die Entscheidungspraxis ist hier keineswegs eindeutig. Deutlicher ist schon, daß der EuGH die Verhältnismäßigkeit eingehender (und dann auch in allen drei Stufen) prüft, wenn es im Vorlageverfahren darum geht, die mitgliedstaatliche Beschränkung von Freiheiten des Gemeinschaftsrechts zu kontrollieren, aber einen durchaus laxeren Maßstab anlegt, wenn es um die Prüfung eines Rechtsaktes der Gemeinschaft geht, der in Individualrechte eines Unionsbürgers eingreift. 19 17

Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, § 18 Rn. 21. So insbesondere Kischel, Die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit durch den Europäischen Gerichtshof, EuR 2000, 380 ff.; Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl., 2002, Art. 5 EGV Rn. 46; differenzierter Packe, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Gemeinschaften, NVwZ 1999, 1033 f. 18

19 Vgl. dazu de Búrca, The Principle of Proportionality and its Application in EC Law, Yearbook of European Law 13 (1993), 105 ff. (114 ff.).

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Die Rechtsprechung des EuGH bestätigt diesen Befund: So hieß es noch in früheren Urteilen „Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die verursachten Nachteile im angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen".20

Spätestens im Verlaufe des berühmt-berüchtigten „Bananenstreites" zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft las man das aber in zahlreichen Entscheidungen anders. Seit der ersten Entscheidung21 und ab dann unverändert hat der EuGH dem Vorwurf der Verletzung der Grundrechte auf Eigentum und Berufsfreiheit durch die Bananenmarkt-Verordnung entgegengehalten, die Verordnung entspreche dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft und taste die genannten Grundrechte nicht in ihrem Wesensgehalt an. Das ist eine sehr verkürzte Wiedergabe der Formel, die das Bundesverfassungsgericht im „Solange-II-Beschluß"22 und in seinem Urteil zum Maastrichter Vertrag 23 verwendet hatte und zunächst vom „wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften" sprach und daraus die Forderung ableitete nach einem Schutz, der dem vom Grundgesetz gebotenen „im wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt". Ob der Begriff „zumal" in Luxemburg richtig verstanden wurde, mag man bezweifeln. Unter den Wesensgehalt gehen darf man nicht. „Jedenfalls" den Wesensgehalt zu wahren, mag im Einzelfall angehen. Aber immer nur den Wesensgehalt, d. h. (nur verbal) das abstrakte Recht, aber nicht auch den dahinter stehenden Rechtsanspruch zu wahren, war sicherlich nicht das, was das Bundesverfassungsgericht gemeint hat 24 und was „Europa als Rechtsgemeinschaft", von dem auch der EuGH spricht, 25 verlangt. Darüber hinaus verkürzt der EuGH die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Verordnung, wenn er ausschließlich darauf abstellt, ob sie zur Erreichung des Zieles „offensichtlich ungeeignet sei" oder eben nicht, und dabei auch die Erforderlichkeitsprüfung im Grunde verweigert: „Zwar ist nicht auszuschließen, daß andere Mittel in Betracht kommen konnten, um das angestrebte Ergebnis zu erreichen; der Gerichtshof kann jedoch nicht die Beurteilung des Rates in der Frage, ob die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählten Maßnahmen mehr oder weniger angemessen sind, durch seine eigene Burteilung ersetzen, wenn der Beweis nicht erbracht ist, daß diese Maßnahmen zur Verwirklichung des Zieles offensichtlich ungeeignet waren". 26 20 EuGH, Rs. 265/87, Schröder , Slg. 1989, 2263 (2269); Rs. C-331/88, FEDESA, Slg. 1990,1-4057 (4063). 21 EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat , Slg. 1994,1-4973. 22 BVerfGE 73, 339. 23 BVerfGE 89, 115. 24 Vgl. dazu Stein, „Bananen-Split"?, EuZW 1998, 261 ff. 25 26

EuGH, Rs. 294/83, Les Verts, Slg. 1986, 1339 Rn. 23. EuGH, Deutschland/Rat (Fn. 21), 5069 Rn. 94.

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Daß das Prinzip der Verhältnismäßigkeit für diesen Bereich des internationalen Rechts gilt, bei dem es allein um den Schutz von Individualrechten geht, wird man jedenfalls auf der Basis dieses Urteils schwerlich behaupten können.

V. Verhältnismäßigkeit außerhalb des Menschenrechtsschutzes Die bisherigen Betrachtungen haben die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Hinblick auf den menschen- bzw. grundrechtlichen Schutz des Individuums zum Gegenstand gehabt. Der Grundsatz soll aber im Völkerrecht auch gelten in Bezug auf Maßnahmen, die ein Staat gegenüber einem anderen ergreift, auch dort, wo Individualrechte jedenfalls nicht unmittelbar betroffen sind. In der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes (IGH) hat „proportionality" darüber hinaus auch eine nicht unerhebliche Rolle gespielt in der Abgrenzung von (in erster Linie) maritimen Grenzen; das soll hier außer Betracht bleiben, denn in der Sache handelte es sich dabei dann doch wohl eher um „equity" denn um „proportionality". 27 Ein immer genannter Anwendungsbereich für das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Völkerrecht ist die Repressalie. Generell, als Vertragsrepressalie oder auch Kriegsrepressalie. Die International Law Commission formuliert in ihren „Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts" 2 8 in Artikel 51 (Proportionality): „Counter measures must be commensurate with the injury suffered, taking into account the gravity of the internationally wrongful act and the rights in question". Zumeist wird dazu gesagt, das Ausmaß der Schäden, die als Reaktion dem anderen Staat zugefügt werden, solle das Ausmaß der Schäden, die der zur Repressalie berechtigte Staat erlitten hat, nicht (wesentlich) übersteigen. Aber gibt es für all diese eher unbestimmten Rechtsbegriffe objektive Kriterien? Ein Staat kann durch eine Verletzung seiner völkerrechtlichen Rechte an einer für ihn besonders empfindlichen Stelle getroffen werden, die für andere (die dann gegebenenfalls die Richter des IGH stellen) eher belanglos erscheint. Gibt es akzeptierte Kriterien für die „Schwere" der Verletzung und das Gewicht der davon betroffenen Rechte, oder kann das aus der Sicht des Täters wie des Opfers nicht völlig unterschiedlich aussehen? Doehring macht zu recht darauf aufmerksam, daß der verletzte Staat mit der Repressalie nicht nur auf das Beenden der Verletzung, sondern auch darauf hinwirken darf, daß der Verletzer den Schaden wieder gut macht, so daß der Erzwingungsschaden den selbst erlittenen erheblich übersteigen kann. 29 Aus den eher seltenen Fällen, in denen der IGH sich mit „proportionality" im eigentlichen Sinne auseinandergesetzt hat, wird jedenfalls nicht deutlich, auf 27 Vgl. dazu schon Delbrück (Fn. 1), 1143 f., insbesondere aber Higgins (Fn. 2), 228 ff. („The concept of proportionality in maritime deliminations remains, for me, full of uncertainties and problems"). 28

Official Records of the General Assembly, 56th Session, Supplement No. 10 (A/56/10). Doehring (Fn. 3), Rn. 1033.

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welcher Stufe der Prüfung (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) das Ergebnis anzusiedeln ist. 30 Dem Wortlaut nach ermächtigt Art. 60 der Wiener Vertragsrechtskonvention die Vertragsparteien bilateraler oder multilateraler Verträge, auf eine erhebliche Verletzung mit der Suspendierung oder Beendigung des Vertrages zu reagieren. Mittlerweile ist unstreitig, daß die Reaktion auch einen ganz anderen oder überhaupt keinen Vertrag betreffen darf, denn es wäre meistens sinnlos, den Vertrag, an dem einem etwas liegt und den der andere verletzt, seinerseits aufzugeben. 31 Auch da soll der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingreifen. 32 Ist damit ausgeschlossen, daß ein Staat den einzigen anderen Vertrag suspendieren kann, den er mit dem anderen geschlossen hat, auch wenn der ein viel größeres ökonomisches Volumen hat?

VI. Verhältnismäßigkeit im Kriegsrecht Die Anwendung militärischer Gewalt soll unter beiden Aspekten, dem ius ad bellum und dem ius in bello , in besonderer Weise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen sein.33 Dabei spielen sowohl der Schutz staatlicher Rechtspositionen wie auch (und insbesondere beim ius in bello) der Schutz von Individualrechten eine Rolle. Schon im Nicaragua-Urteil hat der IGH festgehalten: „there is a specific rule whereby self-defense would warrant only measures which are proportional to the armed attack and necessary to respond to it, a rule well established in customary international law." 34 Er hat das im Nuklearwaffen-Gutachten wiederholt, die Staaten ermahnt, an die Verhältnismäßigkeit zu denken, wenn sie glaubten, in Selbstverteidigung Nuklearwaffen einsetzen zu müssen,35 sich am Ende und mit Stimmengleichheit aber nur verstanden zu der Aussage: „In view of the current state of international law, and of the elements of fact at its disposal, the Court cannot conclude definitively whether the threat or use of nuclear weapons would be lawful or unlawful in an extreme circumstance of self-defense, in which the very survival of a State would be at stake". Wäre es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einem Staat untersagt, die Welt wissen zu lassen, er würde und könnte sich im Falle eines Angriffs nur nuklear verteidigen, weil er seine übrigen Streit30 So heißt es in IGH, Gabcikovo-Nagymaros, ICJ Reports 1997, Rn. 85 nur: „The Court considers that Czechoslovakia, by unilaterally assuming control of a shared resource and thereby depriving Hungary of its right to an equitable and reasonable share of the natural resources of the Danube ... failed to respect the proportionality which is required by international law". 31 So auch Doehring (Fn. 3), Rn. 374. 32 Delbrück (Fn. 1), 1143. 33

So schon Delbrück (Fn. 1), 1141 f.; Higgins (Fn. 2), 230 ff.; Bothe/Partsch/Solf, Rules for Victims of Armed Conflict, 1982, 192 ff. 34 35

IGH, Nicaragua, ICJ Reports 1986, 9 ff. Rn. 176. IGH, Nuclear Weapons, ICJ Reports 1996, 226 ff. Rn. 41 und 43.

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kräfte abgeschafft bzw. auf die nuklearen Komponente reduziert habe? Gibt es umgekehrt eine völkerrechtliche Pflicht, konventionelle Streitkräfte zu unterhalten, um nicht allein auf die Nuklearwaffen angewiesen zu sein im Falle der Notwendigkeit, sich zu verteidigen? Das ius in bello basiert fraglos weitestgehend auf dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit, insbesondere das II. Kapitel des 1. Zusatzprotokolles zu den Genfer Konventionen. 36 Aber gibt es Einigkeit über das, was als (noch) verhältnismäßig gelten kann? Eine ganze Reihe von Staaten hat beispielsweise zu Art. 51 Abs. 5 b) („Kollateralschäden") eine Erklärung abgegeben, derzufolge „the military advantage anticipated from an attack is intended to the advantage anticipated from the attack as a whole and not only from isolated or particular parts of the attack". 37 Da kann der den Angriff führende Staat die Verhältnismäßigkeit weitgehend selbst bestimmen. Zur Kriegsrepressalie schreibt Hobe: „Wenn der Gegner verbotene Kampfmittel im bewaffneten Konflikt anwendet, ist die andere Partei in den engen Grenzen der Repressalie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Einsatz desselben Kampfmittels berechtigt". 38 Das würde bedeuten: eine Gasgranate als Antwort auf eine Gasgranate oder 100 Dumdum-Geschosse als Antwort auf 100 Dumdum-Geschosse. Aber wenn die Partei, die Opfer eines verbotenen Kampfmitteleinsatzes wurde, über dieses Mittel gar nicht verfügt, um damit antworten zu können? Darf dann ein anderes, ebenso verbotenes gewählt werden, oder wäre es von vornherein unverhältnismäßig, mit Laserwaffen auf Napalm zu reagieren, oder umgekehrt, wenn beide für die Kriegsparteien als verboten gelten? 39 Daß die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müsse, läßt sich offenbar leichter sagen als sie im konkreten Fall auch zu bestimmen.

V I I . Ein aktuelles Beispiel: Der israelische Sperrzaun Selten wird die Beliebigkeit in der Anwendung bzw. Intensität der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Völkerrecht so deutlich wie dann, wenn zwei Gerichte über denselben Sachverhalt zu urteilen haben. Dies war der Fall bezüglich des Urteils des israelischen High Court of Justice im Falle Beit Sourik Village, 40 das die Legalität des Sperrzaunes zur Abgrenzung der palästinensischen Gebiete jedenfalls für ein bestimmtes Segment nach israelischem wie nach Völker36

BGBl. 1990 n , 1550. Roberts/Guelff(Hrsg.), Documents on the Laws of War, 3. Aufl., 2000, 500 ff. 38 Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 8. Aufl., 2004, 542. 39 Vgl. nur das VN-Waffenübereinkommen vom 10.10.1980 mit seinen Protokollen, die allerdings in sehr unterschiedlichem Umfang angenommen wurden (BGBl. 1992 II, 958; 1993 II, 935; 1997 II, 806). 37

40 H.C.J. 2056/04, Beit Sourik Village v. Government of Israel, Urteil vom 20.6.2004, http://www.court.gov.il/eng.

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recht zu beurteilen hatte, und des Gutachtens des IGH, das er kurz danach auf Antrag der Generalversammlung der Vereinten Nationen erstattete. 41 Die Entscheidungsgrundlage war insofern unterschiedlich, als die israelische Regierung vor dem High Court of Justice ausführlich Fakten zur Bedrohungslage und zur Begründung der gewählten Route des Sperrzaunes präsentiert hatte, während sie sich vor dem IGH nur dazu eingelassen hatte (wie im übrigen die Mehrzahl der westlichen Staaten auch), warum der IGH dieses Gutachten nicht erstatten sollte. Immerhin hat der IGH zur Kenntnis genommen, daß sich Israel bei der Konstruktion des Sperrzaunes auf sein Recht zur Selbstverteidigung gegen terroristische Angriffe berufen hat. Selbstverteidigung unterliegt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, aber deren Vorliegen (oder auch nicht, oder nicht überall entlang der Route des Sperrzaunes) hat der IGH gar nicht geprüft. Er beschränkte sich auf die nicht näher begründete Feststellung: „the Court, from the material available to it, is not convinced that the specific course Israel has chosen for the wall was necessary to attain its security objectives". 42 Ob da in wenigen Worten das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der zweiten Stufe („Erforderlichkeit") oder der dritten („Angemessenheit") angeprüft wurde, bleibt offen. Zudem verwarf der IGH Israels Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht und die Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mit der schlicht falschen Begründung, Selbstverteidigung setze einen bewaffneten Angriff eines Staates gegen einen anderen voraus und Israel kontrolliere die palästinensischen Gebiete, wobei die Bedrohung, die den Sperrzaun rechtfertigen solle, von dort ausginge und nicht von außerhalb; die Situation sei damit eine ganz andere als die vom Sicherheitsrat in den genannten Resolutionen zugrunde gelegte.43 Zum einen sagen diese Resolutionen eben gerade nichts über einen bestimmten anderen Staat, und vielleicht hatte es sich auch nicht bis zum IGH herumgesprochen, daß die Flugzeuge, mit denen die Anschläge des 11. September verübt wurden, nicht in einem anderen Staat, sondern in den USA selbst gestartet waren. 44 Sehr viel intensiver und geradezu schulmäßig ist demgegenüber die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Urteil des israelischen High Court of Justice, auch wenn das Ergebnis nicht auf allen Stufen der Prüfung völlig überzeugt. Im Urteil des israelischen High Court verweist Chief Justice Barak für die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips sowohl auf nationale Rechtsordnungen wie auf das Völkerrecht („Proportionality ... Its solution is universal") 45 und prüft dann zunächst eingehend die Geeignetheit des Sperrzaunes zur Erhöhung der Sicherheit (bejaht) und anschließend die Erforderlichkeit insbesondere der gewählten Route; 41

IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Teritory , Gutachten vom 9.7.2004, http://www.icj-cij.org. 42 43 44 45

Id., Rn. 137. Id., Rn. 139. Vgl. dazu die deutliche Kritik in den Sondervoten von Buergenthal und Higgins. Fn. 40, Rn. 36 ff.

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sie wird im Ergebnis auch bejaht mit der nicht ganz unproblematischen Begründung, angesichts der unterschiedlichen Expertenaussagen (des verantwortlichen militärischen Befehlshabers und unabhängiger militärischer Experten) müsse das Gericht der Auffassung desjenigen den Vorzug geben, der auch tatsächlich die Verantwortung für die Sicherheit Israels trage. 46 Damit entzieht sich das Gericht der Verantwortung, die Erforderlichkeit selbst zu prüfen, im Ergebnis wird das aber auf der dritten Stufe („Angemessenheit") korrigiert. Hier entscheidet das Gericht, die Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) zwischen Sicherheitsgewinn und der Verletzung der Rechte der Anwohner sei nicht „proportionate", 47 es gäbe eine alternative Route, die etwas weniger Sicherheit schaffe, die Rechte der Betroffenen aber deutlich weniger einschränke. Dieser kleine Verlust an Sicherheit sei hinzunehmen.

V I I I . Schlußfolgerung Aus der vorstehenden, sicherlich nicht lückenlosen, Untersuchung der Rechtsprechung internationaler Gerichte ergibt sich, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht jedenfalls noch keine dogmatische Grundlegung erfahren hat, wie sie sich in der deutschen, aber auch in anderen nationalen Rechtsordnungen im Laufe der Jahre entwickelt hat. Seine Geltung als objektiver Prüfungsmaßstab bleibt daher fraglich. Die Rechtswidrigkeit völkerrechtlich relevanter Maßnahmen folgt eher aus dem vertraglichen oder gewohnheitsrechtlichen Verbot bestimmten Verhaltens per se, oder aus dem Verbot bestimmter Mittel (z. B. Waffenverbote), denn aus mangelnder Erforderlichkeit oder Angemessenheit, zumal sich für das Völkerrecht jedenfalls nicht einheitlich sagen läßt, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Erforderlichkeits- und/oder als Angemessenheitsgebot gilt. 48 Erforderlichkeit steht sicherlich im Vordergrund beim (auch) völkerrechtlichen Individualrechtsschutz („necessary in a democratic society"), Angemessenheit dagegen eher beim ius in bello (militärischer Vorteil v. Kollateralschäden). Gerade,Angemessenheit" ist aber zumeist ein sehr subjektiv gefärbtes Kriterium, eingesetzt zur Stützung des erwünschten oder schon aus anderen Rechtsgründen gefundenen Ergebnisses.49 So waren die Richter des IGH ersichtlich in ihrem Gutachten zum israelischen Sperrwall überzeugt von der Rechtswidrigkeit der israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten („the route chosen for the Wall gives expression in loco to the illegal measures taken by Isreal with regard to Jerusalem an the settlements"50), also war der gesamte Sperrzaun illegal 46

Fn. 40, Rn. 58. Fn. 40, Rn. 60. 48 Vgl. Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2004, 67 ff. 49 So auch Krugmann, ibid., 125. 50 Fn. 41, Rn. 122. Hier stimmt auch der dissentierende Richter Buergenthal zu („Segments of the Wall being built by Israel to protect the settlements are ipso facto in violation of humanitarian law"), Rn. 9 des Sondervotums. 47

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und seine Verhältnismäßigkeit an manchen Stellen seines Verlaufes gar nicht mehr zu prüfen. Man wird auch in Zukunft lesen: „proportionality is a general principle of international law", aber vielleicht sollte man hinzufügen „and proportionality is what the judges say it is".

Der Zugang zu Medizin soziale Menschenrechte und Welthandelsordnung Von Peter-Tobias Stoll

In der Diskussion um die Globalisierung geht es neben dem Unbehagen an den wirtschaftlichen und sozialen Folgen um die grundsätzliche Frage nach dem Verlust an Gestaltungs- und Steuerungsfähigkeit. 1 Das System des Welthandels mit seiner Freihandelsrationalität und Liberalisierungsdynamik engt - so der gängige Befund - nationale Gestaltungsspielräume ein, ohne dass die damit bisher verfolgten Belange und Bedürfnisse nun auf internationaler Ebene wahrgenommen und in dem weltwirtschaftlichen System Berücksichtigung finden. Dem internationalen System fehlt die Einbettung in einen sozialen Rahmen nach Art nationaler Staatsund Rechtsordnungen, der die Berücksichtigung sozialer Belange und die Produktion öffentlicher Güter sicherstellt und mit dem System der Marktordnung normativ verschränkt ist. Sie weicht insoweit vom Entwicklungsmuster der europäischen Integration ab, in der schritthaltend mit der Marktintegration diese soziale Rahmenordnung und die entsprechenden Willensbildungsmechanismen auf europäischer Ebene in dem Maße ausgebildet wurden, in dem die Mitgliedstaaten Befugnisse und die reale Handlungsmöglichkeiten aufgegeben haben. Es verwundert unter diesen Umständen nicht, dass auf internationaler Ebene soziale Fragen zunehmend deutlicher formuliert und diskutiert werden und die Verkoppelung solcher sozialen Belange mit dem System des Welthandels zu einem überragend wichtigen Thema der internationalen Beziehungen avanciert ist. Die wohl größte soziale Herausforderung dieser Tage stellt die Bekämpfung von AIDS dar; einer Seuche, die besonders den Süden Afrikas trifft und ganze Gesellschaften zu destabilisieren droht. 2 Der Ernst der Lage wird daran deutlich, dass sich eine Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat mit diesem Thema befasst haben3 und der Bericht des High Level Panels on Threats, Challenges and Change des Generalsekretärs der Vereinten Nationen neben der Armut und der Umweltdegradierung auch die Infektionskrankheiten zu 1 Siehe dazu besonders: Delbrück, Transnational Federalism: Problems and Prospects of Allocating Public Authority Beyond the State, Indiana Journal of Global Legal Studies 11 (2004), 31 (32 ff.). 2 3

Nähere Angaben dazu finden sich bei UNAIDS, siehe http://www.unaids.org. Siehe z. B. S-Res. 1308/2000 v. 17. Juli 2000.

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den Herausforderungen zählt, vor die sich das System der kollektiven Sicherheit gestellt sieht.4 Ein wichtiger Teilaspekt der internationalen Bemühungen um die Bekämpfung von AIDS betrifft den sogenannten Zugang zu Medizin. Damit verbindet sich das am Ende erfolgreiche Unternehmen, unter einem menschenrechtlich geprägten Begriff durch eine Beschlussfassung in der WTO die kostengünstige Produktion und Verteilung von lebenswichtigen Medikamenten durch eine Einschränkungen des Patentschutzes zu ermöglichen. 5 Bemerkenswert daran ist, erstens, dass hier eine Art Renaissance sozialer Rechte deutlich wird, die sich als durchaus wirksam erweisen, auch wenn sie nach dem deutschen Verfassungsverständnis zunächst recht befremdlich wirken müssen. Zweitens lässt sich hier verfolgen, wie solchermaßen formulierte soziale Belange Eingang in die WTO finden und damit die systemische Kluft zwischen den unterschiedlichen Teilordnungen des internationalen Systems überbrückt werden kann.

I. Der Kampf gegen AIDS und das geistige Eigentum Für die Bekämpfung von AIDS und anderen Epidemien ist die Versorgung mit wirksamen Medikamenten essentiell. Sie muss gerade auch in Gesellschaften sichergestellt werden, die dafür keine hohen Kosten tragen können. Ein wichtiges Instrument stellt insoweit die Gründung eines von Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen getragenen „Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria" auf Initiative der Sondergeneralversammlung dar, der wesentlich zu einer internationalen öffentlichen Finanzierung der Versorgung beiträgt. 6

4

Report of the Secretary General's High Level Panels on Threats, Challenges and Change, New York 2004, siehe den mit „Collective security and the challenge of prevention" überschriebenen 2. Teil des Berichts, der „Poverty, infectious disease and environmental degradation" als „Threats" nennt (21) und diese Bedrohungen auf gleicher Ebene wie „Inter-State conflict", „Internal conflict, including civil war, genocide and other large-scale atrocities", „Nuclear, radiological, chemical and biological weapons", „Terrorism" und „Transnational organized crime" ansiedelt. 5 Matthews, WTO Decision on Implementation of Paragraph 6 of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health: A Solution to the Access to Essential Medicines Problem?, JIEL 2004, 73; Hestermeyer, Flexible Entscheidungsfindung in der WTO, GRUR Int. 2004, 194; ders., Access to Medication as a Human Right, Max-Planck-Yearbook of United Nations Law 8 (2004), 101; Abbott, The Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health: Lighting a Dark Corner at the WTO, JIEL 2002,469; Bartelt, Compulsory Licensing Pursuant to TRIPS Article 31 in the Light of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, Journal of World Intellectual Property 2003, 283 (296); Scherer/Watal, Post-TRIPS Options for Access to Patented Medicines in Developing Nations, JIEL 2002, 913; Sun, Reshaping the TRIPS Agreement Concerning Public Health: Two Critical Issues, JWT 2003, 163; Herrmann , TRIPS, Patentschutz für Medikamente und staatliche Gesundheitspolitik, EuZW 2002, 37. 6

Matthews (Fn. 5), 76 ff.

Der Zugang zu Medizin - soziale Menschenrechte und Welthandelsordnung

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1. Zwangslizenzen Allerdings ist eine solche öffentliche Förderung für sich genommen nicht ausreichend. In Anbetracht der Notlage sind die Kosten für die überwiegend unter Patentschutz stehenden wirksamen Arzneimittel der neueren Generation kaum aufzubringen. Die nationalen ebenso wie die internationalen Regeln des Patentschutzes sehen deswegen die Möglichkeit vor, dass der Staat gegen Entrichtung einer festzulegenden Gebühr Dritten die Benutzung der geschützten Erfindung erlaubt, um eine ausreichende Versorgung sicherzustellen, wo der Patentinhaber allein dazu nicht willens oder in der Lage ist.7 Der darin liegende Ausgleich zwischen verschiedenen öffentlichen und privaten Interessen8 kommt in Art. 7 des Übereinkommens der Welthandelsorganisation über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums9 grundlegend zum Ausdruck. 10 Es heißt dort, dass ,,[d]er Schutz und die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums ... zur Förderung der technischen Innovation sowie zur Weitergabe und Verbreitung von Technologie beitragen, dem beiderseitigen Vorteil der Erzeuger und Nutzer technischen Wissens dienen, in einer dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohl zuträglichen Weise erfolgen und einen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten herstellen [sollen]." In Art. 8 Abs. 1 heißt es weiter, dass ,,[d]ie Mitglieder ... bei der Abfassung oder Änderung ihrer Gesetze und sonstigen Vorschriften die Maßnahmen ergreifen [dürfen], die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Ernährung sowie zur Förderung des öffentlichen Interesses in den für ihre sozio-ökonomische und technische Entwicklung lebenswichtigen Sektoren notwendig sind", soweit die „mit diesem Übereinkommen vereinbar" sind. Die praktische Bedeutung der Regeln über die Zwangslizenz mag exemplarisch damit verdeutlicht werden, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Anwendung dieses Instruments androhte, um in Anbetracht der Anschläge mit Milzbranderregern im Jahre 2001 die Versorgung mit einem Antibiotikum sicherzustellen, an dem ein deutsches Unternehmen die Schutzrechte hält. 11 Als kurz zuvor Südafrika mit Blick auf die AIDS-Epidemie ähnliche Schritte erwog, wurde allerdings ein Rechts- und Strukturproblem deutlich, das durchaus 7 Zur Ausgestaltung und Praxis nationaler Vorschriften über die Zwangslizenz siehe Scherer/Watal, Post-TRIPS Options for Access to Patented Medicines in Developing Nations, JIEL 2002, 913 (915 ff.). 8 Siehe Shaffer, Recognizing Public Goods in WTO Dispute Settlement: Who Participates? Who Decides? The Case of TRIPS and Pharmaceutical Patent Protection, JIEL 2004, 459, und SchorkopfWalter, Elements of Constitutionalization: Multilevel Structures of Human Rights Protection in General International and WTO-Law, German Law Journal 2003, 1359 (1367 ff.). 9 Vom 15.4.1994, BGBl. 1994 II, 1730. 10 Sieht Matthews (Fn. 5), 76 ff.; StolUSchorkopf WTO-Welthandelsordnung und Welthandelsrecht, 2002, Rn. 595 f., 624 f.; Stoll/Raible, Schutz geistigen Eigentums und das TRIPS-Abkommen, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003, 565 (Rn. 92 ff.). 11 Matthews (Fn. 5), 81.

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paradox erscheinen mag. 12 Trotz der gerade mit dem WTO-Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums bewirkten weltweiten Geltung und Vereinheitlichung des Patentschutzes auf hohem Niveau orientieren sich die materiellen Regeln über Erteilung und Grenzen des Patentschutzes ebenso wie die Wirtschaftspraxis an dem Territorialitätsprinzip und damit an den Grenzen der einzelnen, territorial definierten staatlichen Rechtsordnungen. Diese an der einzelstaatlichen Rechtsordnung orientierte Perspektive ist etwa für die Frage maßgeblich, inwiefern sich das Patentrecht als Recht der ausschließlich gewerblichen Nutzung durch das Inverkehrbringen verbraucht. Nach der heftig umstrittenen, aber weiterhin geltenden und von dem TRIPS-Übereinkommen nicht angetasteten Rechtslage13 gilt die Erschöpfung nur für die jeweilige nationale Rechtsordnung. Während aufgrund dieser Erschöpfung der Patentinhaber in dem entsprechenden Land keine Rechte mehr im Hinblick auf den weiteren Handel mit dem einmal auf den Markt gebrachten Produkt geltend machen kann, bleiben seine in anderen Staaten bestehenden Patentrechte davon unberührt. Den Import in ein anderes Land, in dem er gleichfalls ein Patent hält, kann deswegen der Patentinhaber untersagen und deswegen die einzelnen nationalen Märkte aufteilen. An der nationalen Perspektive sind nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen auch die Regelungen über die Zwangslizenz ausgerichtet. Die nationalen Gesetze und die einschlägigen internationalen Regelungen gehen als Voraussetzung der Erteilung einer Zwangslizenz von einer nationalen Notlage aus. So heißt es in Art. 8 1 4 des TRIPS-Übereinkommens, dass ,,Die Mitglieder ... die Maßnahmen ergreifen [dürfen], die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Ernährung sowie zur Förderung des öffentlichen Interesses in den für ihre sozio-ökonomische und technische Entwicklung lebenswichtigen Sektoren notwendig sind." Was die Ausgestaltung von Zwangslizenzen anlangt, ist Art. 31 einschlägig. Große Bedeutung kommt dabei einer Einschränkung in Art. 31 TRIPS Buchst, f zu, nach der Zwangslizenzen „vorwiegend für die Versorgung des Binnenmarkts des Mitglieds" dienen sollen. Damit soll verhindert werden, dass Zwangslizenzen dazu führen, dass die entsprechenden Güter in nennenswertem Umfang exportiert werden. 15 12 Die darum in internationalen Organisationen und der interessierten Öffentlichkeit geführte Debatte hat mit einer Sammelklage begonnen, die pharmazeutische Unternehmen gegen eine Änderung des südafrikanischen Arzneimittelgesetzes angestrengt hatten. Dabei ging es unter anderem um eine Ermächtigung der Regierung, Zwangslizenzen zu erteilen, siehe Matthews (Fn. 5), 78 f. 13 Art. 6 des TRIPS-Übereinkommens enthält lediglich eine Art Streitschlichtungsmoratorium in dieser Hinsicht. 14 Art. 8 Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens lautet: „Die Mitglieder dürfen bei der Abfassung oder Änderung ihrer Gesetze und sonstigen Vorschriften die Maßnahmen ergreifen, die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Ernährung sowie zur Förderung des öffentlichen Interesses in den für ihre sozio ökonomische und technische Entwicklung lebenswichtigen Sektoren notwendig sind; jedoch müssen diese Maßnahmen mit diesem Übereinkommen vereinbar sein." 15

Abbott (Fn. 5), 499 f.

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2. Defizite der Regelung von Zwangslizenzen Aufgrund dieser Rechtslage konnte Südafrika kaum wirksam von dem in der WTO und im nationalen Recht vorgesehenen Zwangslizenzen Gebrauch machen. Die Produktion vor Ort unter einer solchen Lizenz schied aus, weil es vor Ort keine Unternehmen gab, die solche Präparate herstellen konnten.16 Die sich eigentlich anbietende Möglichkeit, die Medikamente in anderen Staaten - im konkreten Fall: in Indien - herstellen zu lassen und zu importieren, erwies sich gleichfalls als rechtlich ausgeschlossen. Zwar.hätte eine in Südafrika erteilte Zwangslizenz auch den eigentlich dem Pateninhaber ausschließlich zustehenden Import ermöglichen können. Allerdings war aufgrund des typischerweise weltweit geltenden Patentschutzes eine Produktion wegen des entgegenstehenden Schutzrechts in Indien ausgeschlossen. Eine Zwangslizenz im möglichen Exportland begegnet dem Hindernis, dass sie nach Art. 31 Buchst, f des TRIPS-Übereinkommens auf die Versorgung des Inlandsmarktes beschränkt sein soll. 17 Kaum geklärt ist darüber hinaus, ob sie sich auch mit einer im Ausland bestehenden Notlage rechtfertigen lässt. Insgesamt werden hier deutliche Defizite der Regelung über die Zwangslizenzen im TRIPs-Übereinkommen deutlich. Mit ihnen wird zwar anerkannt, dass in Fällen eines dringenden öffentlichen Bedürfnisses das Interesse an der Versorgung der Gesellschaft Vorrang vor dem Patentrecht haben soll. Allerdings greift die Regelung zu kurz, wo in einem Staat die entsprechenden Produktionskapazitäten fehlen. Sie vermag es auch nicht, solche essentiellen Notlagen in ihrer internationalen Dimension zu sehen und die Produktion und Versorgung in diesem Fällen grenzüberschreitend zu organisieren. In dieser Regelung und ihren Defiziten spiegeln sich durchaus wichtige wirtschaftliche Interessen. Gerade im Bereich der Pharmazeutika ist nämlich eine differenzierte Preispolitik üblich, die sich auf die patentrechtliche Abgrenzung der Märkte stützt.18 Wie in der weiteren Diskussion deutlich wurde, stand von Seiten der Industrie mangels entsprechender Zahlungsfähigkeit weniger das Interesse an der Erzielung hoher Preise in Südafrika, sondern vielmehr die Befürchtung im 16

Dies hat die WTO Ministerkonferenz in ihrer Deklaration über das TRIPS-Übereinkommen und die öffentliche Gesundheit (siehe III. A. und Fn. 43) dazu veranlaßt, in Ziff. 6 festzustellen, „We recognize that WTO Members with insufficient or no manufacturing capacities in the pharmaceutical sector could face difficulties in making effective use of compulsory licensing under the TRIPS Agreement." Nach Matthews (Fn. 5), 78 verfügen unter den Entwicklungsländern lediglich China, Indien, Brasilien, Argentinien und z. T. aber nicht mit Blick auf AIDS-Medikamente - auch Südafrika über ausreichend entwickelte Kapazitäten zur Produktion von Generika. 17 Bartelt (Fn. 5), 296. 18 Matthews (Fn. 5), 996 ff. und Scherer/Watal (Fn. 7), 928 ff. Zur ökonomischen Bedeutung dieser Preisdifferenzierung gerade im Hinblick auf die Entwicklung und Verfügbarkeit von Medikamenten gegen AIDS siehe Hammer, Differential Pricing of Essential AIDS Drugs: Markets, Politics and Public Health, JIEL 2002, 883.

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Vordergrund, dass die Preisdifferenzierung zwischen den einzelnen nationalen Märkten durch eine weite Ausgestaltung der Zwangslizenz rechtlich eingeebnet oder durch graue Exporte faktisch unterlaufen werden könnte. 19

I I . Zugang zu Medizin: die Bedeutung sozialer Rechte An dieser Stelle kommt die Frage der sozialen Rechte ins Spiel, die am Ende wesentlich zu einer Lösung des soeben beschriebenen Problems beigetragen hat. Soziale Rechte finden sich in verschiedenen Bereichen des Völkerrechts. Zu nennen sind hier die zahlreichen Konventionen und Entschließungen, die die Internationale Arbeitsorganisation in ihrer langen Geschichte hervorgebracht hat, 20 und Art. 25 der Menschenrechtserklärung. In dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.196621 und einer Reihe weiterer regionaler Menschenrechtsgewährleistungen sind solche sozialen Rechte weiter konkretisiert und vor allem verbindlich ausgestaltet worden. Letztere werden oft auch als Menschenrechte der zweiten Generation bezeichnet.22 Eine Reihe wichtiger Entscheidungen, unter ihnen besonders die Deklaration der Generalversammlung zu einem Recht auf Entwicklung aus dem Jahre 1986,23 ergänzen das Bild. Neuerdings ist von solchen Rechten vermehrt die Rede. So in der so genannten Millenniums-Erklärung der Generalversammlung und in den Dokumenten des Johannesburger Gipfels für nachhaltige Entwicklung beispielsweise von dem Recht auf Entwicklung, auf Wasser 24 und auf Nahrung 25 die Rede. Oft können sich diese Aussagen auf die Arbeit des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte stützen, der seit seiner Einsetzung im Jahre 1989 den Aussagegehalt des Sozialpakts in vierzehn „General Comments" entfaltet hat. Dabei wird eine Tendenz deutlich, diese Rechte auch in einen Bezug zum Weltwirtschaftssystem zu setzen. Beispielhaft sei hier die lange Diskussion über die Bedeutung sozialer Rechte in der WTO erwähnt. In ihr ging es wesentlich um die Frage, inwieweit die Einhaltung fundamentaler sozialer Rechte wie die Koalitionsfreiheit und das Recht auf kollektive Lohnverhandlungen Bestandteil des Welthan19

Zu den Maßnahmen, die dagegen vorgesehen sind, siehe unten, bei Fn. 57. Siehe z. B. Brupbacher, Fundamentale Arbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation: eine Grundlage der sozialen Dimension der Globalisierung, 2002. 20

21

BGBl. 1973 n, 1569.

22

Siehe zur Verwendung der Begriffe Riedel Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9. 23 24

G.A. Res. 41/128.

Siehe dazu: World Health Organization (WHO), The Right to Water, Genf, 2003. 25 Hilf, Das Recht auf Nahrung: Staats- und völkerrechtliche Ansätze, in: Schäfer (Hrsg.), Bevölkerungsdynamik und Grundbedürfnisse in Entwicklungsländern, 1995, 275.

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delssystems werden und mit seinen besonderen Mechanismen durchgesetzt werden könnte.26

7. Das Recht auf Medizin Diese neuerliche Bedeutung der sozialen Rechte wird in dem Fall des Zugangs zu Medizin besonders deutlich. 27

a) Art. 12 des Sozialpakts als Ausgangspunkt Ausgangspunkt war insoweit Art. 12 des schon erwähnten Internationaler Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966. Er enthält eine Gewährleistung im Hinblick auf die Gesundheit.28 Danach hat ein jeder „das Recht ... auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit".29 Daran schließt sich in Abs. 2 eine Staatenpflicht an, die eine Leistungsdimension enthält. Insoweit heißt es, dass ,,[d]ie von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts ..." eine Reihe von konkret benannten Maßnahmen erforderten, zu denen unter anderem die „Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer, endemischer, Berufsund sonstiger Krankheiten" (Buchst, b) und die „Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen" sollen (Buchst, d), gehören. Diese Leistungsdimension wird in Art. 2 des Sozialpaktes konkretisiert. Die Vorschrift ergänzt die Staatenpflicht um eine Dimension internationaler Zusammenarbeit einschließlich der Entwicklungshilfe. Sie beschränkt außerdem die

26 Siehe dazu: Charnovitz, Fair Labour Standards and International Trade, JWT1986,61; Langille, General Reflections on the Relationship of Trade and Labor, or: Fair Trade is Free Trade's Destiny, in: Bhagwati/Hudec (Eds.), Fair Trade and Harmonization: Vol. 2, Legal Analysis, 1996, 231. 27 Siehe Hestermeyer, Access to Medication (Fn. 5). 28 Ihr sind weitere Garantien, z. B. in der europäischen Sozialcharta (Art. 11), in dem internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, Art. 5 e) (iv), in Art. 11.1. (f) und 12 des Übereinkommens von 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, in Art. 24 der UN-Kinderrechtskonvention, in der afrikanischen Charta über Menschen- und Gruppenrechte (Art. 16) und im Zusatzprotokoll zur amerikanischen Menschenrechtskonvention von 1988 (Art. 10) gefolgt. Ihrerseits geht die Gewährleistung des Art. 12 des Sozialpakts auf Art. 25 Abs. 1 der UN-Menschenrechtserklärung zurück. Besonders hervorzuheben ist, dass Art. 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union inzwischen eine ähnliche Gewährleistung enthält, die mit der Integration der ursprünglich rechtlich nicht verbindlichen Charta in den Verfassungsvertrag mit dessen Inkrafttreten auch rechtliche Verbindlichkeit wird beanspruchen können. 29

Art. 12 Abs. 1 des Sozialpakts.

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staatliche Pflicht auf das Mögliche und legt die rechtlichen M o d i der Erfüllung gesetzgeberische Maßnahmen - fest. 3 0

b) Der General Comment des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte: Versorgung mit wesentlichen Arzneimitteln I n den Menschenrechtsorganen der U N O ist dieses Recht auf Gesundheit gerade auch i m H i n b l i c k auf die AIDS-Epidemie weiter entwickelt und schließlich auch wirtschaftsrechtlich ausgerichtet worden. I n einem so genannten „General Comment" hat der oben erwähnte Ausschuss des Sozialpaktes i m Jahre 2000 die Vorschrift weiter konkretisiert. 3 1 A l s übergreifende Bestimmungsgrößen des Rechts und seiner Verwirklichung werden dabei die Verfügbarkeit, 3 2 Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit 3 3 und die Qualität sowie die Nichtdiskriminierung genannt. 34 Außerdem w i r d betont, dass zu den Gesundheitsleistungen auch die Versorgung mit wesentlichen Arzneimitteln gehört. 3 5

c ) , Z u g a n g zu M e d i z i n " als Begriffsschöpfung der Menschenrechtskommission Daraufbaut die direkt problembezogene Resolution der dem Ausschuss übergeordneten Menschenrechtskommission über den „Zugang zu M e d i z i n i m Zusammenhang mit Pandemien wie H I V / A I D S " aus dem Jahre 2001 auf. 3 6 30

Art. 2 Abs. 1 lautet: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen." 31 Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), General Comment No. 14 (2000), The right to the highest attainable standard of health, E/C. 12/2000/4, 11 August 2000. 32 Unter Ziff. 12 a heißt es: „(a) Availability. Functioning public health and health-care facilities, goods and services, as well as programmes, have to be available in sufficient quantity within the State party. The precise nature of the facilities, goods and services will vary .... They will include, however, ... essential drugs, as defined by the WHO Action Programme on Essential Drugs." (Hervorhebung im Original) 33

Unter Ziff. 12 b heißt es: „(b) Accessibility. Health facilities, goods and services have to be accessible to everyone without discrimination, within the jurisdiction of the State party. Accessibility has four overlapping dimensions: Non-discrimination ... Economic accessibility (affordability): health facilities, goods and services must be affordable for all. ..." (Hervorhebung im Original) 34 Siehe Chapman, The Human Rights Implications of Intellectual Property Protection, JIEL 2002, 861 (875). 35 In Ziff. 17 wird unter dem Titel „The right to health facilities, goods and services" auch die „provision of essential drugs" angesprochen. 36 „Access to medication in the context of pandemics such as HIV/Aids, Rs. 2001/33 v. 23. April 2001.

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Ganz auf der Linie des „General Comment" wird darin gefordert, dass Arzneimittel und Medizintechnologien zur Behandlung solcher Pandemien in ausreichender Menge zur Verfügung stehen und ohne Diskriminierung zugänglich und auch für sozial benachteiligte Gruppen - bezahlbar sein sollen.37 Außerdem stellt die Resolution Forderungen auf, die das Wirtschaftsrecht und die Weltwirtschaftsordnung betreffen. So heißt es unter Ziffer 3 (b), dass die Staaten gesetzgeberische oder andere Maßnahmen ergreifen sollen, um den Zugang unter anderem zu den einschlägigen Arzneimitteln gegenüber jeder Beschränkung von dritter Seite zu sichern. 38 Diese Aufforderung ist mit einem Hinweis auf die erforderliche Vereinbarkeit mit anwendbarem internationalen Recht begrenzt. Sie kann aber angesichts der oben aufgeführten Spielräume, die gerade das TRIPS-Übereinkommen lässt, wesentliche nationale Gesetzgebungsvorhaben legitimieren, die diese Spielräume ausnutzen. Weiterhin wendet sich die Resolution unter Ziffer 4 (b) an die Staaten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder anderer internationaler Organisationen und ruft sie dazu auf, sicherzustellen, dass ihr Verhalten in solchen anderen internationalen Organisationen dem Recht auf Gesundheit Rechnung trägt und dass die Anwendung internationaler Übereinkommen eine öffentliche Gesundheitspolitik ermöglicht, die einen breiten Zugang zu den entsprechenden Arzneimitteln sichert. 39 Damit wird an die Doppelmitgliedschaft der meisten Staaten in den Menschenrechtsorganen und der WTO appelliert und ihnen aufgetragen, die Belange des Rechtes 37 Unter Ziff. 2 heißt es insoweit: „... Calls upon States to pursue policies, in accordance with applicable international law, including international agreements acceded to, which would promote: (a) The availability in sufficient quantities of pharmaceuticals and medical technologies used to treat pandemics such as HIV/AIDS or the most common opportunistic infections that accompany them; (b) The accessibility to all without discrimination, including the most vulnerable sectors of the population, of such pharmaceuticals or medical technologies and their affordability for all, including socially disadvantaged groups; ...". (Hervorhebung im Original) 38

In Ziff. 3 heißt es: „AIso calls upon States, at the national level, on a non-discriminatory basis: (a) To refrain from taking measures which would deny or limit equal access for all persons to preventive, curative or palliative pharmaceuticals or medical technologies used to treat pandemics such as HIV/AIDS or the most common opportunistic infections that accompany them; (b) To adopt legislation or other measures, in accordance with applicable international law, including international agreements acceded to, to safeguard access to such preventive, curative or palliative pharmaceuticals or medical technologies from any limitations" (Hervorhebung im Original) 39

„4. Further calls upon States, at the international level, to take steps, individually and/ or through international cooperation, in accordance with applicable international law, including international agreements acceded to, such as: ... (b) To ensure that their actions as members of international organizations take due account of the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health and that the application of international agreements is supportive of public health policies which promote broad access to safe, effective and affordable preventive, curative or palliative pharmaceuticals and medical technologies; ..." (Hervorhebung im Original)

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auf Medizin in der WTO zu beachten. Es fällt dabei auf, dass die Resolution diesen indirekten Weg über die Verpflichtung der Mitgliedstaaten geht und nicht etwa eine direkte Koordinierung der unterschiedlichen Systeme anregt.

2. Die Sondergeneralversammlung

der Vereinten Nationen

Wenig später wurde zu der AIDS-Problematik eine Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen einberufen. 40 In der Abschlusserklärung der Sondergeneralversammlung wird der Zugang zu Medizin als grundlegendes Element zur Erreichung und Verwirklichung des Rechtes eines jeden auf Genuss des höchstmöglichen Standards körperlicher und geistiger Gesundheit bezeichnet.41 Daneben wird ausgesprochen, dass die Auswirkungen internationaler Handelsübereinkommen auf den Zugang zu oder der lokalen Herstellung von wesentlichen Arzneimitteln einer weiteren Prüfung bedürfe. 42

I I I . Die Reaktion der W T O 1. Die so genannte Doha-Erklärung Vier Monate später tagte das höchste Beschlussfassungsorgan der WTO - die Ministerkonferenz in Doha, Quatar. Sie hat der Problemlage mit einer besonderen Abschlusserklärung über das TRIPS-Übereinkommen und die öffentliche Gesundheit Rechnung getragen. 43 a) Anerkennung der Problemlage und Kooperation Eingangs wird die Notwendigkeit hervorgehoben, dass das TRIPS-Übereinkommen Teil der nationalen und internationalen Bemühungen zur Eindämmungen von Epidemien wie AIDS, Tuberkulose und Malaria ist. 44 Inhaltlich wird damit einerseits auf die Rolle des Schutzes geistigen Eigentum als Anreiz für Innovationen 45 und andererseits auf die Problematik des Zugangs hingewiesen. Aus 40 41 42

S-26, 27. Juni 2001, A/RES/S-26/2. Ziffer 15. Ziffer 26.

43 Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, WT/MIN(01 )/DEC/W/2 vom 14. November 2001. Zur Frage der Rechtsnatur siehe Hestermeyer, Flexible Entscheidungsfindung (Fn. 5), 196. 44 Ziff. 2 der Erklärung lautet: „We stress the need for the WTO Agreement on TradeRelated Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS Agreement) to be part of the wider national and international action to address these problems." 45

Siehe dazu allgemein: Grabow ski, Patents, Innovation and Access to New Pharmaceuticals, JIEL 2002, 849.

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struktureller Perspektive betrachtet, liegt darin die Anerkennung der nicht im Zuständigkeitsbereich der WTO liegenden Problemlage, des Problemzusammenhanges und der Notwendigkeit der Kooperation. b) Rezeption des Begriffs „Zugang zu Medizin" als Interpretationsmaßstab Weiterhin heißt es in der Erklärung, dass das TRIPS-Übereinkommen in einer Weise ausgelegt und umgesetzt werden kann und sollte, die das Recht der Mitgliedstaaten unterstützt, die öffentliche Gesundheit zu schützen und insbesondere den Zugang zu Medizin für alle zu fördern. 46 Dazu werden ausführliche, erläuternde Aussagen getroffen. Sie heben unter anderem hervor, dass den Staaten ein weiter Spielraum zur Verfügung steht, um Zwangslizenzen zu erteilen. Diese Passage ist deswegen interessant, weil sie mit der Formel „we agree" eingeleitet wird und inhaltlich Maßgaben für die Auslegung des TRIPS-Übereinkommens enthält. Wenngleich die formellen Vorschriften über die authentische Interpretation 47 nach Art. XI: 2 des Gründungsübereinkommens der WTO 4 8 nicht allesamt eingehalten sind, wird doch zu Recht angenommen, dass es sich um eine verbindliche Interpretationserklärung handelt.49 Damit wird das aus dem Recht auf Gesundheit abgeleitete Prinzip des Zugangs zu Medizin als Auslegungsmaßstab für das WTORecht anerkannt. c) Arbeitsauftrag Schließlich weist die Ministerkonferenz dem für das TRIPS-Übereinkommen zuständigen Gremium, dem TRIPS-Rat die Aufgabe zu, Lösungen für das Problem der mangelnden Wirksamkeit von Zwangslizenzen zu suchen.

2. Der Beschluss des allgemeinen Rates Am 30.8.2003 hat daraufhin der Allgemeine Rat der WTO eine umfangreiche Regelung verabschiedet. 50 Sie sieht ein kompliziertes System vor, nach dem es 46

Ziff. 4 der Erklärung lautet: „We agree that the TRIPS Agreement does not and should not prevent Members from taking measures to protect public health. Accordingly, while reiterating our commitment to the TRIPS Agreement, we affirm that the Agreement can and should be interpreted and implemented in a manner supportive of WTO Members' right to protect public health and, in particular, to promote access to medicines for all" (Hervorhebung hinzugefügt) 41

Stoll/SchorkopfiFn. 10), Rn. 55. Übereinkommen zur Errichtung einer Welthandelsorganisation (WTOÜ) v. 15. März 1994, AB1.EG 1994, L 336; BGBl. 1994 II, 1625. 49 Abbott (Fn. 5), 491 f.; Hestermeyer, Flexible Entscheidungsfindung (Fn. 5), 196 ff. 50 Implementation of paragraph 6 of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and public health, Decision of the General Council of 30 August 2003, WT/L/540. Siehe dazu 48

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insgesamt ermöglicht wird, dass ein Exportstaat 51 die Produktion von Generika zur Versorgung eines bedürftigen Staates, der seinen Bedarf dem für das TRIPSÜbereinkommen zuständigen Rat der WTO gemeldet hat, 52 erlauben und letzterer die Medikamente importieren kann. 53 Auf beiden Seiten ist eine Zwangslizenz notwendig, deren genaue Ausgestaltung ausführlich geregelt wird. 54 Für die auf Seiten des Exportstaates bestehende Beschränkung aus Art. 31 Buchst, f des TRIPs-Übereinkommens ist ein „waiver", also eine Ausnahmengenehmigung vorgesehen.55 Die Lizenzgebühr für die im Wege der Zwangslizenz erlaubte Nutzung durch Dritte ist im Exportstaat zu entrichten, wobei der wirtschaftliche Wert für den Importstaat heranzuziehen ist. Die eigentlich bestehende Pflicht zur Entrichtung von Lizenzgebühren auch im Importstaat wird aufgehoben. 56 Umfangreiche Maßnahmen sieht die Entscheidung zur Vermeidung eines Re-Exportes der unter dem System produzierten und gelieferten Produkte vor. Insofern werden der Importstaat und unterstützend auch die übrigen WTO-Staaten verpflichtet. 57 Ein Appell zur Förderung des Technologietransfers und der technischen Hilfe mit Blick auf den Aufbau von Produktionskapazitäten in den bedürftigen Staaten und eine Bestimmung über die jährliche Überprüfung des Systems sowie eine Einschränkung der Anrufung der Streitbeilegung runden die Regelungen ab. Insgesamt ist damit eine allen Belangen gerecht werdende Lösung gefunden, an deren Praktikabilität allerdings mit Blick auf die zahlreichen Verfahrenserfordernisse und Nachweispflichten Zweifel erlaubt sind. 58 IV. Wege der Koordination zwischen der Welthandelsordnung und dem System der Menschen- und Sozialrechte Das hier zu betrachtende Zusammenspiel zwischen dem System der Menschenrechte und der Welthandelsordnung hat eine materielle und eine prozedurale Dimension. auch die Erklärung des Vorsitzes, WTO NEWS vom 30. August 2003. Zum Verhandlungsgang und den unterschiedlichen Lösungsvorschlägen siehe Matthews (Fn. 5), 83 ff. 51 „Exporting member"; Ziff. 1 Buchst, c der Entscheidung. 52 „Eligible importing Member", Ziff. 1 Buchst, b der Entscheidung. 53 Siehe Hestermeyer, Flexible Entscheidungsfindung (Fn. 5), 198 f. 54 Ziff. 2 a bzw. b der Entscheidung. 55 Art. IX:3 des WTOÜ; StolUSchorkopf ( Fn. 10), Rn. 25; siehe Matthews (Fn. 5), 95 f. 56 In Ziff. 3 der Entscheidung heißt es: „adequate remuneration pursuant to Article 31(h) of the TRIPS Agreement shall be paid in [the exporting] ... Member taking into account the economic value to the importing Member of the use that has been authorized in the exporting Member. Where a compulsory licence is granted for the same products in the eligible importing Member, the obligation of that Member under Article 31(h) shall be waived in respect of those products for which remuneration in accordance with the first sentence of this paragraph is paid in the exporting Member." 57

Ziff. 4 bzw. 5 der Entscheidung.

58

Matthews (Fn. 5), 96 ff.

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Aus materieller Sicht fällt die Begriffsschöpfung des „Zugangs zu Medizin" ins Auge, den die Menschenrechtskommission auf der Grundlage des General Comment geprägt hat und den die Ministererklärung von Doha als Interpretationsmaßstab aufnimmt. Darin liegt eine erstaunliche Vermittlungsleistung zwischen den beiden Regelungssystemen. Man wird bezweifeln können, ob ein Verweis auf Art. 12 des Sozialpakts in der WTO Gehör gefunden und in den Text der Doha aufgenommen worden wäre. In Anbetracht der bis heute heftig diskutierten und noch keinesfalls gelösten Problematik der Verschränkung der Menschen- und Sozialrechte mit der Rechtsordnung der WTO 5 9 darf das als unwahrscheinlich gelten. Die durch die Menschenrechtskommission auf der Grundlage von Art. 12 des Sozialpakts problembezogen geprägte und gleichsam autorisierte Formel des Zugangs zu Medizin erweist sich aus der Perspektive der WTO hingegen als anschlussfähig und erlaubt es, die Gehalte des sozialen Rechts auf Gesundheit in den anderen rechtlichen Zusammenhang des TRIPS-Übereinkommens zu vermitteln. Es ginge sicherlich zu weit, diesen Vermittlungsvorgang im Ganzen normativ zu deuten. Man wird dem „Zugang zu Medizin" kaum ohne weiteres normative Geltung als soziales Menschenrecht beimessen und der Doha-Erklärung auch nicht entnehmen können, dass sich die WTO-Ministerkonferenz an den Begriff und die ihm zugrunde liegenden Entschließungen rechtlich gebunden fühlte. Andererseits wird aber auch deutlich, dass der Begriff mit der mit ihm geleisteten problembezogenen Konkretisierung und mit dem Gewicht der in ihm zum Ausdruck kommenden Haltung der Menschenrechtsorgane für die WTO eine wesentliche Orientierung bewirkt haben. Man kann den Begriff als Richtungsweisung für die Verwirklichung der Gebote unterschiedlicher Teilsysteme des Völkerrechts in Anbetracht einer übergreifenden Problemlage verstehen. So besehen, besteht hier eine deutliche Parallele zu anderen konzeptionellen Begriffen, wie etwa dem der nachhaltigen Entwicklung, der ebenfalls einer Koordination unterschiedlicher Vertragssysteme dient. 60 In prozeduraler Hinsicht fällt auf, dass eine Koordinierung der unterschiedlichen beteiligten internationalen Systeme auf formeller Ebene kaum stattgefunden hat. Eine Anordnung der formellen Kontaktaufnahme - etwa zwischen den Menschenrechtsinstitutionen und der WTO enthalten die zitierten Beschlüsse allesamt nicht. Es ist auch kaum ersichtlich, dass eine solche Verbindung sonst auf formeller Ebene bestand. Demgegenüber fällt die in der Entscheidung der Menschenrechtskommission enthaltene Aufforderung 61 auf, dass die Mitgliedstaaten sich in anderen Organisationen in einer Weise verhalten sollen, die den gemeinsam beschlossenen Grundlagen eines Zugangs zu Medizin entsprechen. Es ist offensichtlich, dass diese Formulierung auch dem besonderen Status der WTO geschuldet ist, die keine Institution der Vereinten Nationen und auch keine 59 Petersmann, Human Rights and the Law of the World Trade Organization, JWT 2003, 241; Chapman (Fn. 34); Stoll/Schorkopf (Fn. 10), Rn. 183 f., 754 f. 60 61

Siehe Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge, 2003. Siehe oben bei Fn. 39.

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Sonderorganisation darstellt, sondern lediglich de facto einen solchen Status innehaben soll und deswegen weder direkt noch vermöge eines Beziehungsabkommens in das VN-System und seine Hierarchiestränge eingebettet ist. 62 In Anbetracht der Tatsache, dass viele drängende internationale Problemlagen und Herausforderungen die Zusammenarbeit unterschiedlicher Bereiche und Teilsysteme des internationalen Systems erfordern, erscheint der hier zutage tretende Mangel an einer direkten institutionellen Koordination bemerkenswert. Soweit nämlich die beteiligten Organisationen nicht selbst ihre Anliegen koordinieren können oder wollen, fällt diese Aufgabe auf die Staaten zurück, die es vermöge ihrer Mitgliedschaftsrechte in beiden Organisationen in der Hand haben, auf eine koordinierte and interessengerechte Lösung des Sachproblems hinzuwirken. In Anbetracht der notorischen Problemlagen mit wirtschaftlichem Bezug, die sich im gesamten Bereich der Lösung internationaler sozialer Probleme und in der internationalen Umweltpolitik stellen, wird hier ein Defizit deutlich. Wenn nämlich das internationale System mit seinen verschiedenen Institutionen und Kompetenzbereichen solche typischen Problemlagen mangels einer eigenen internen Koordinierung nur mithilfe der Initiative der Staaten bewältigen kann, so liegt darin eine erhebliche Schwäche des internationalen Systems.

V. Abschließende Bewertung und Ausblick Insgesamt erweist sich die Kontroverse um ein Recht auf Medizin als Beispiel für die Dynamik, die soziale Rechte entfalten können. Die konkretisierende Ableitung eines Rechts auf Zugang zu Medizin aus dem Recht auf Gesundheit nach Art. 12 des Sozialpakts durch die Menschenrechtskommission auf der Grundlage des General Comment stellt eine durchaus beeindruckende Leistung der Konzipierung und Orientierung dar. Es zeigt sich hier, dass soziale Rechte sinnvoll und wirksam entwickelt und für wirtschaftliche Zusammenhänge fruchtbar gemacht werden können. Die Formel vom Zugang zu Medizin hat auch einen Brückenschlag zum System der WTO ermöglicht, weil mit ihr die menschenrechtlichen Gehalte im normativen Kontext der WTO vermittelbar wurden. Auf einer prozeduralen Ebene fällt allerdings auf, dass dieser Brückenschlag kaum durch eine direkte Koordination der beteiligten Organisationen, sondern wohl mittelbar durch ein entsprechend koordiniertes Vorgehen der Mitgliedstaaten erreicht worden ist. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob das internationale System mit seinen unterschiedlichen Organisationen und Institutionen für Problemlagen im Schnittpunkt zwischen sozialen Belangen und der Welthandelsordnung gerüstet ist, die im Sinne einer Bewältigung der Globalisierung zu den drängendsten Gegenwartsaufgaben des internationalen Systems gehören.

62

Stoll/Schorkopf

(Fn. 10), Rn. 15,40.

"Ius Post Bellum" in Iraq: A Challenge to the Applicability and Relevance of International H u m a n i t a r i a n Law? By Daniel

Thürer and Malcolm

MacLaren

I . Introduction "[A]s international lawyers update the law of war to the latest conflicts, can the meaning of its rules be sufficiently fixed in time and space to play the role in world affairs that has come to be expected of it?" 1 The war in Iraq has challenged the ius ad bellum and the ius in bello i n several respects. The abiding applicability and relevance o f international legal rules regarding the use o f force and the conduct o f hostilities have been the subject o f thorough public debate and w i l l not be rehashed here. What has not been discussed to anywhere near the same extent is the role o f international humanitarian law ( I H L ) in Iraq following the overthrow o f Saddam Hussein's regime. This matter is arguably even more important 2 , or at least more pressing, given the current uncertain state o f affairs in that country. I f the US government signally failed to think systematically through the occupation o f Iraq i n advance o f its intervention 3 , so

* The views expressed here are personal and not those of the ICRC unless so cited. Information herein was continuously updated in keeping with events, up to and including the release of the International Court of Justice's advisory opinion in Legal Consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory on 9 July 2004. References to internet websites are accurate as of this date as well. 1 Morgan, Slaughterhouse Six: Updating the Law of War, GLJ 5 (2004), 525 (529), available on the Internet: . 2 See, for example, Wolfrum, who reviews the ius ad bellum and the ius in bello in light of events of the past few years and concludes that "[t]he rules on occupation may be the ones which, in particular, require reconsideration." (Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, M P Y U N L 7 (2003), 1 (78)). 3 One commentator who was in Washington DC in April 2003 testifies personally to the "lack of agreed and clear policies on such basic matters as how the US presence was to be characterized, how order was to be maintained, and what types of troops would be needed for the work." (Roberts, The End of Occupation in Iraq (2004), Harvard Program on Humanitarian Policy and Conflict Research, 28 June 2004, 1, available on the Internet: ).

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Daniel Thürer and Malcolm MacLaren

have mutatis mutandis commentators of IHL. 4 Limitations in the traditional approach to the matter of military occupation have become all too apparent, especially in connection with United Nations Security Council Resolution 1483 of 22 May 2003 and Resolution 1546 of 8 June 2004 on the rebuilding of Iraq. 5 The result seems to be an apparent dilemma in the international rules and procedures regarding the occupation of foreign territory after the close of military operations. An internal critique of the existing provisions' applicability (i. e. that they lack determinate content) and an external critique of their relevance (i. e. that they are outdated and/or biased) might suggest that occupation law is powerless and superfluous in the contemporary context.6 In the following contribution, we will examine several leading concerns relating to the law of occupation, in the Iraqi test-case and more generally. These concerns include: what exactly amounts to occupation (Section II. 1.); who are the Occupying Powers in Iraq (Section D. 2.); how far do the rights of the civilian population and the obligations of the Occupying Powers extend (Section II. 3.); when does occupation end (Section II. 4.); and potentially most challenging, does I H L in any form apply in such situations (Section II. 5.)?7 We do not hope to settle each of these definitively nor to resolve contemporary uncertainty surrounding occupation law fully. These concerns raise many questions, some going to the core of international law, including the changing meaning of the international legal Grundnorm of sovereignty. There is, moreover, limited state practice and judicial precedent to draw on in answering them. In short, these concerns relate - in the fine tradition of the symposia of the Kiel WaltherSchücking Institute - to 'international law at the frontiers'. 4 What attention, moreover, that the matter of occupation has received in past decade or so has tended to relate to the atypically long Israeli possession of the West Bank and the Gaza Strip. This is not to impugn the quality of what was published in this period, just its suitability to the present situation. As Lijnzaad suggests, "the law of occupation may have become somewhat old-fashioned and ill-adapted to contemporary occupations". (Lijnzaad, How Not to Be an Occupying Power: Some Reflections on U N Security Council Resolution 1483 and the Contemporary Law of Occupation, in: Lijnzaad/Van Sambeek/Tahzib-Lie (eds.), Making the Voice of Humanity Heard, 2004, 291 (291)). 5

UN Doc. S/RES/1483 (2003), 22 May 2003; U N Doc. S/RES/1546 (2004), 8 June 2004. In the context of a conflict that in its leadup witnessed its own moments of severe ambiguity, the character of what followed should perhaps not surprise. A distinct lack of objectivity afflicted the application of the ius ad bellum as well, from the uncertain language of "material breaches", "final opportunity" and "serious consequences" in U N SC Resolution 1441 to a group of Member States engaging in a particular interpretation of a U N mandate and unilaterally enforcing a multilateral approach to disclosure and non-proliferation. (Morgan (note 1), 528 and 536). 6

7 It should not be forgotten - but cannot be discussed here further - that I H L is not the only body of law that applies in situations of occupation. As a lex specialis for armed conflicts it is presumed to take precedence over any otherwise applicable national laws and international human rights norms. The latter can fill gaps, however, especially as regards monitoring and implementation. (See Frowein, The Relationship between Human Rights Regimes and Regimes of Belligerent Occupation, IYHR 28 (1998), 1 et seq.).

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Given this area of international law's relative complexity and newness, argumentation here tends to be open-textured and to rely on a political/ethical approach rather than on empirical/doctrinal analysis. We will propose a way of approaching these concerns that furthers the protection of the civilian population in Iraq and IHL's fundamental aim, namely 'humanity for all'. Such a scientific approach might serve as the basis for resolving the tension between the general terms and the specific developments of late. We like to think of this approach as foundational, even "constitutional".8 Whatever its name, it argues against claims of the inapplicability and irrelevance of IHL in postwar Iraq. It argues instead in favour of upholding the substantial restrictions placed on the conflict parties and in favour of the rule of law for the sake of the individual that IHL, and occupation law in particular, prescribe. Outsiders' dealings with the lives and possessions of the Iraqi people must be guided by the rules and procedures' manifest spirit, when not by their occasionally ambiguous terms. The principle of humanity for all sets a "standard of civilisation" in this area of international law, giving effect to which is an essential - if not the essential - function of occupation law. 9 In order to ensure respect for this standard, the situation on the ground should be viewed pragmatically and, where necessary, the related provisions should be understood progressively. We hope that by designating the law regarding the occupation of foreign territory as a distinct matter for concern in a greater humanitarian scheme - namely as the 'ius post bellum' - to draw the political and scholarly attention to this area of international law that it urgently merits. This designation is not obvious and its choice should itself prompt discussion.10 Any discussion should not, however, dwell on the semantic issue of the preferable legal designation; the focus should be the substantive issue of the content of the law and its observance, especially as the law concerns the relationship between the invading force and the local inhabitants.11 Recent experience in Iraq has plainly demonstrated why it is so important that the legal consequences of an invasion be carefully considered before the invasion. Any deficiencies in implementing the law of occupation (e.g. in the form of 8 For more detail, see Thiirer/MacLaren , Might the Future of the ABC Weapons Control Regime lie in a Return to Humanitarianism?, SZIER 4 (2003), 339 (363 et seq.). 9 Schwarzenberger, International Law as applied by International Courts and Tribunals: The Law of Armed Conflict, Vol. 2, 1968, 163. 10 In the context of Iraq, it could be argued, for example, that the armed conflict is not over ('post') but is ongoing. This argument, however, fails to differentiate between war and (internationalized?) internal armed conflict, the latter of which is a possible classification of the current hostilities (see Section II. 4. below). The law of military occupation as here defined is applicable only in international armed conflict, and this type of conflict has definitively ended with the overthrow of Saddam Hussein's regime. 11 We adopt in this regard Roberts' comprehensive definition of occupation and anti-formalistic approach: "One might hazard as a fair rule of thumb that every time the armed forces of a country are in control of foreign territory, and find themselves face to face with the inhabitants, some or all of the provisions of the law on occupations are applicable." (Roberts, What is a Military Occupation?, B Y I L 65 (1984), 249 (250)).

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doctrinal confusion, lapses in enforcement, failure of the international community to ensure respect for its provisions) come ultimately at the expense of the local inhabitants' well-being.

II. Issues 1. What Exactly Amounts to an Occupation? "[H]aving fought the war, we are now responsible for the well-being of the Iraqi people; we have to provide the resources - soldiers and dollars - necessary to guarantee their security and begin the political and economic reconstruction of their country." 12

The first challenge relates to the application of the ius post bellum as a matter of fact. It raises an interpretive question in contrast to the politically motivated challenge to its application (see Section II. 5. below). I H L has traditionally been understood to begin to apply with the onset of active hostilities and to stop applying with the general close of military operations or in the case of military occupation with its end, so that the armed conflict and the occupying regime may be regulated for as long as possible.13 This understanding recognises that the interests of civilians need protection following as well as during hostilities. For its part, the determination of particular rules' applicability in different phases of armed conflict has necessarily been a factual one, taken on a case-by-case analysis of various criteria. This analysis has long raised difficult questions; the situation in Iraq proves no exception. Article 42 of the 1907 Hague Convention IV Respecting the Laws and Customs of War on Land ('Hague Regulations') 14 defines occupation as follows: "[t]erritory is considered occupied when it is actually placed under the authority of the hostile army. The occupation extends only to the territory where such authority has been established and can be exercised." Article 43 adds that the authority of the legitimate power is to have "in fact" passed. The existence of this situation triggers the application of occupation law, which continues to apply after the military operations. The Fourth Geneva Convention (TV GC'), Article 154 of which makes clear 12 Walzer , Just and Unjust Occupations, Dissent Magazine, Winter 2004, available on the Internet: . See more generally, the argument for a "responsibility to rebuild" following a military intervention put forward by the International Commission on Intervention and State Sovereignty (available on the Internet: ). 13 "The formerly disputed issue whether the rules of military occupation only apply during the course of actual warfare has been overcome by Art. 6(1) Fourth Geneva Convention according to which the Convention continues to apply to the occupied territory despite the general close of military operation in a conflict." (Wolfrum (note 2), 63 et seq. (sic)). 14

For the texts of multilateral undertakings mentioned in the article, see the ICRC internet databases on international humanitarian law, available at: .

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that the Convention supplements the Hague Regulations, adds that its terms are to apply from the outset of occupation, "even if the said occupation meets with no armed resistance." 15 The question becomes what constitutes an establishment and exercise of authority, in particular where occupation meets with armed resistance? At one extreme, it is clear that invaded territories must be considered as militarily occupied since at least the close of large-scale military operations. Ongoing violent opposition (be it sabotage, terrorist attacks, rebellion, guerrilla fighting etc.) that does not challenge the authority of the invader over an area and thereby demand further such operations does not challenge the status of occupation. At the other, mere declarations of occupation, temporary occupations by a raiding party or air supremacy alone cannot amount to occupation. They do not constitute situations in which the invading force can be said to be exercising control and the defending force can be said to be no longer effective, as the former does not have a sustained, physical presence.16 Within these extremes, two interpretations - an expansive and a restrictive - have been put forward as to the control amounting to occupation: namely either when a party to a conflict is exercising some level of authority over enemy territory or when a party is exercising a level of authority sufficient to enable it to discharge all the responsibilities of occupation law. The matter of the correct definition of occupation is now moot in the context of Iraq. 17 The close of military operations - "Mission Accomplished" - was officially announced by President George W. Bush on 1 May 2003, shortly after US troops reached Baghdad. (SC Resolution 1483 three weeks later recognized simply the occupation's existence.) Nonetheless, it is useful to consider proactively the level of authority over enemy territory that would be appropriate and desirable. 18 We prefer the former expansive interpretation. It is functional, designed to maximize the protection afforded by I H L to all persons during hostilities, even in the invasion phase of the conflict. Indeed, the restrictive interpretation raises the disturbing possibility of a gap in legal coverage. In situations where the invading troops were not deemed as a matter of law to exercise complete authority and the defending 15

Art. 2, Para. 2 together with Art. 6 same. The US and U K are Parties to Hague Convention IV of 1907, whereas Iraq is not. The relevant Regulations are, however, considered customary law and thus apply in Iraq. Iraq, the US and U K are Parties to the four Geneva Conventions. 16 Other rules may then be applicable for the protection of civilians affected by the military operation. According to the basic rule of Art. 4 I V GC, protected persons are persons who "at a given moment and in any manner whatsoever, find themselves, in case of a conflict or occupation, in the hands of a Party to the conflict or Occupying Power of which they are not nationals." 17

The matter of the requisite level of authority is not entirely moot in a different context, namely as regards the characterization of the ongoing hostilities after 28 June 2004 as an (internationalized?) internal armed conflict (see Section II. 4. below). 18 Not surprisingly, a restrictive interpretation is adopted by several military manuals, whereas an expansive interpretation is preferred by the ICRC Commentary to the I V GC.

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troops were unable as a matter of fact to exercise the ongoing functions of government and thus to implement the relevant rules and procedures, no power would be responsible for ensuring respect for IHL. Such a gap in coverage cannot be compatible with the humanitarian purpose and object of this body of international law. Civilian populations are most in need of legal protection when their armed forces and governing structures have collapsed and can no longer offer them protection. The administration and the life of the local society must continue on according to some set of laws. The deeming of responsibility on the invading force has, in other words, its basis in the invading force's manifest military supremacy and in its underlying moral obligation to provide for the victims of its campaign. Two objections may be raised against such an expansive interpretation. First, it may be objected that where competing bases of authority remain in the area in question, the invading force cannot fairly (because it would be unable to fulfil the concomitant responsibilities) or logically (because such a designation would risk clashing jurisdictions) be said to be occupying the area. These alleged difficulties in drawing lines of responsibility may be respectively averted by imposing proportionally lower standards on an invading force exercising some - but not complete - authority and by recognizing that the possible overenforcement of the law - the result of a conflict of jurisdictions otherwise seen - is to be desired rather than averted. Responsibility on the part of the invading force may be assumed and in event of a lapse of protection, good faith efforts to fulfil Occupying Power obligations in the particular circumstances proved and accountability for any breaches disproved. Second, it may be objected that invading forces are not civil administrators - i. e. that the troops cannot be reasonably expected to maintain law and order and provide essential services etc., only to wage war. This objection, however, begs the question: why are the foreign troops only prepared for combat duties or alternatively, why is no trained personnel available to assist or immediately replace the troops upon occupation? The experience of the Iraq war is in this regard instructive: the egregious inability of the US troops to bring the chaos that prevailed after their defeat of the government forces under immediate control demonstrates all too clearly that modern armies must be prepared for their task of running an occupied territory. They must be "trained to do more than just fight and defend themselves. They have to know how to look after the civilian population they control." 19 Whenever occupation may be considered to have begun, the invading force must make its control known and indicate the penalties for disobeying any laws and regulations that they promulgate. Moreover, whatever the targets and forms of any ongoing violent opposition - in Iraq, attacks not only on States with troops in the country but also on U N and ICRC workers as well as on Iraqi civilians and 19 Gasser, From Military Intervention to Occupation of Territory: New Relevance of International Law of Occupation, in: Fischer et al. (eds.), Krisensicherung und Humanitärer Schutz - Crisis Management and Humanitarian Protection, Festschrift für Dieter Fleck, 2004, 139(154 et seq.).

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civilian objects IHL cannot be ignored by international or Iraqi personnel; they remain bound by it. The occupation continues until the armed resistance results in the overthrow of the occupier's military supremacy and the (re-)establishment of effective authority in opposition to it in a given area. The rule of law may thereby begin to be restored in the war-stricken territory.

2. Who are the Occupying Powers in Iraq? "The Security Council [...] calls upon all concerned to comply fully with their obligations under international law including in particular the Geneva Conventions of 1949 and the Hague Regulations of 1907". 20

A question with considerable doctrinal and precedential consequence follows, namely who are the Occupying Powers in Iraq? The answer seems self-evident considering the current situation on the ground and the framework for the actions of the Coalition Provisional Authority (CPA) and the UN set out in Resolution 1483. The applicable law could in fact be clearer, even as regards the particular status of the US and UK. On a strict reading of the Resolution, the argument could be made that the US and UK do not constitute Occupying Powers. The questionable quality of the Resolution's drafting (or rather the awkward diplomatic compromises behind it) takes on greater significance as regards the other States with armed forces in Iraq (e.g. Poland, Spain and Japan). Should they also be considered Occupying Powers, with full responsibilities under the Hague and Geneva articles? 21 The Resolution's preamble and operative paragraphs require close scrutiny. The operative paragraphs, which are to be consulted first according to interpretive practice, are silent as to the particular status of the US and UK as Occupying Powers. Operative paragraph 4 does call upon "the Authority consistent with the Charter of the United Nations and other relevant international law, to promote the welfare of the Iraqi people". However, operative paragraph 5, which expressly recalls the Hague and Geneva articles as among the international law obligations that are to be fully complied with, addresses these obligations generally to "all concerned". For its part, the preamble, which constitutes a secondary source of meaning for resolutions, does describe the US and UK as Occupying Powers in paragraph 13, "recognizing the specific authorities, responsibilities, and obligations under applicable international law of these States as occupying powers under unified command (the 'Authority')." This preambular paragraph, however, does so with reference to a prior letter to the SC President from the British and American Permanent Representatives. In that letter's opening paragraph, the US and UK did 20 21

Oper. para. 5, UNSC Resolution 1483.

I f the armed forces of any State were to become engaged in hostilites, they would, of course, have to respect IHL. The question relates to States with troops on the ground in Iraq that have not (yet) engaged in hostilities.

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pledge to "strictly abide by their obligations under international law, including those relating to the essential humanitarian needs of the people of Iraq." 22 However, the US and UK neither explicitly acknowledged that their presence in Iraq was an occupation nor that the Hague or Geneva articles were applicable to their actions. In short, though the situation on the ground may have been incontestable, use of the term 'Occupying Power' in the substantive paragraphs of Res. 1483 would have formally clarified the particular status of the US and UK. 2 3 The legal position of the other States present in Iraq is more ambiguous than that of the US and UK. Who exactly are the "all concerned" in operative paragraph 5, who are called upon to comply fully with I H L responsibilities? Should the imposition of responsibilities on "all concerned", a term wider than the otherwise exclusively used form of address "Authority", be taken to indicate that in the Council's view, it is not just the US and U K that are Occupying Powers? The substantive section of the Resolution offers no additional clues. As mentioned, preambular paragraph 13 describes the US and UK as Occupying Powers. It is unclear, however, whether the US and UK are to be understood as the only States that are Occupying Powers or whether other States might also qualify as such. Preambular paragraph 14 acknowledges that "other States that are not occupying powers are working now or in the future may work under the Authority", but in doing so, the provision adds to the semantic confusion. This last paragraph raises the possibility that a third category of States exists, namely States not mentioned in preambular paragraph 13 and yet present in Iraq as Occupying Powers per IHL. Once more, expansive and restrictive understandings of the status of other States present in Iraq are conceivable according to the relative emphasis placed on the object and purpose of occupation law or on the Resolution's language, respectively. On a restrictive understanding, the preamble speaks only of "occupying powers under the Authority" and of States "that are not occupying powers" that provide support to the Authority. According to the terms of the Resolution, tertium non datur. On an expansive understanding, all States whose engagement amounts to exercising authority and that have been assigned responsibility for, and are exercising effective control over, portions of Iraqi territory should be considered Occupying Powers. The overall command structure and the nature of these States' activities would, in other words, be essential to the determination of their status (States, for example, that participated in the war that preceded the occupation and whose troops remain in the territory would be presumed to be Occupying Powers, whereas those that merely provide experts (such as engineers or medical staff) in the war's aftermath would not). In the Iraqi test-case, this issue of which States are to be considered Occupying Powers is arguably of little practical consequence, especially as regards other 22

U N Doc. S/2003/538. Grant, Iraq: How to Reconcile Conflicting Obligations of Occupation and Reform, ASIL Insight, June 2003, available on the Internet: . 23

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States present in Iraq. 24 The issue may, however, be of significant, longer-term doctrinal (resulting in attenuation or confusion and thereby evasion of responsibility) and precedential consequence (in other cases of occupation where States have not been expressly urged by the UN to comply with IHL). It is partly due to these broader consequences that an expansive approach is to be preferred here as well. Moreover, an expansive approach would be consistent with the preceding functional definition of occupation. Lastly, and most importantly, it would ensure the protected persons concerned the maximum benefit of IHL. 2 5 To confirm the sense behind an expansive approach to the conferral of Occupying Power status on the US and UK, the question posed at the outset of this section might usefully be turned on its head: who would be the governing authority in Iraq if not the US and UK? 2 6 Where no viable alternative locus of authority exists, semantic debate about this designation seems at best moot, at worst potentially harmful to the cause of humanitarian law. No other official entity could prior to 28 June 2004 exercise the responsibilities of local administration in Iraq apart from the CPA itself and as such, the States comprising it should be considered Occupying Powers with all the responsibilities inherent in that status. As regards other States providing troops and exercising assigned authority, would it not be too attenuated a line of responsibility to trace the duty to ensure the fulfilment of I H L obligations indirectly back to the CPA rather than assigning this duty directly upon these States? Doing so raises a (greater) risk of obligations going unfulfilled. It is true that the label 'Occupying Power' can bring with it significant risks (including legal liability) 27 as well as political baggage (domestically and/or abroad, as in the case of Japan). In any society that aspires to the rule of law, however, certain maxims must be publicly acknowledged and consistently observed: these include the maxims that with power comes responsibility and that with responsibility comes accountability. The ICRC has on the basis of a similar approach recalled occupation law not only to the US and UK but also to several other (unnamed) States. Significantly for the further development of the customary law, none of these States objected.28 24 "Since any such contributors and their armed forces are still clearly urged to comply with the relevant Hague and Geneva rules, it is hard to see what practical problems might arise from the curious status of participating in an occupation but not being an occupying power." (Roberts (note 3), 6). 25 The argument that all States other than the US and UK are not Occupying Powers may also be doubted within the Resolution's terms themselves: "One could interpret preambular paragraph 14 as achieving this result, but this would be [a] far-reaching interpretation based on a mere preambular paragraph." (Lijnzaad (note 4), 297). 26 This chain of thought builds on Grant (note 23). 27 "Occupation law imposes high performance standards on an occupying military power and liability can quickly arise." (Scheffer, A Legal Minefield for Iraq's Occupiers, Financial Times, 23 July 2003). 28 Lavoyer, Ius in Bello : Occupation Law and the War in Iraq, Comments delivered to the Lieber Society Interest Group Panel, 98th Annual Meeting of the American Society of Inter-

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3. How far do the Civilian Population's Rights and the Occupying Powers ' Obligations Extend? "The occupation authorities cannot abrogate or suspend the penal laws for any other reason - and not, in particular, merely to make it accord with their own legal conceptions." 29

Recent developments in the form of novel fact patterns and shifts in international opinion have brought the civilian population's rights and the Occupying Powers' obligations 30 into sharp relief. The uncontested bases for these relations are the Hague Regulations (Art. 43-56), the Fourth Geneva Convention of 1949 (in particular Art. 5,27-34,47-78), Additional Protocol I of 1977 ('AP I', including Art. 14, 63, 68-79) as well as customary IHL. 3 1 Rule of law in the occupied territory is to be secured through these provisions' enforcement. The law of occupation regulating the relationship between the invading force and the local inhabitants has been aptly compared to "a bill of rights". The rules and procedures prescribe a series of fundamental rights and obligations that, "immediately upon occupation and without any further actions on the part of those affected, becomes applicable to the occupied territories and limits the authority of the occupying power." 32 Foremost 33 among their positive obligations Occupying Powers are to: - protect and meet the needs of the local inhabitants by taking measures to restore and ensure public order, safety, health, provision of food and medical supplies as far as possible;

national Law, 1 April 2004,4. See also Lijnzaad (note 4), 302 et seq., for an analysis of the position of Poland in postwar Iraq. 29 Pictet, Article 64, Commentary, Geneva Convention (IV) relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, 1958. 30 All States present in the occupied territory, whether or not they qualify as Occupying Powers, are bound by common Art. 1 GC and Art. 2 9 I V GC as well as by those principles of occupation law that have ius cogens or erga omnes character. Regarding the position under international law of "other states" during Occupation, see also Lijnzaad (note 4), 300 et seq. 31 Insofar as the provisions of AP I cannot be considered customary international law, they do not apply to the Occupying Powers that are not parties to AP I (in Iraq, the nonparties include the US). Art. 3 (b) AP I is one such provision. (See below). 32 Gasser , Protection of the Civilian Population, in: Fleck (ed.), The Handbook of Humanitarian Law in Armed Conflicts, 1995, 209 (242). 33 For a more extensive review of these obligations (especially provisions regarding transfer of persons from occupied territory; collective penalties; cruel, inhumane treatment, injury and suffering; care for the wounded and sick and provision of food and medicine; prosecution of war crimes and other international crimes) in the context of Iraq, see Paust , The U.S. as Occupying Power over Portions of Iraq and Relevant Responsibilities under the Laws of War, ASIL Insight, April 2003, available on the Internet: .

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- respect public and private property - in particular, the Occupying Power may not confiscate private property or use the assets of the occupied territory for its own benefit; - treat all person persons deprived of their liberty properly, with judicial guarantees and minimum conditions of detention (regardless of whether they are POWs, persons accused of crimes against Iraqis, persons accused of hostile acts against the international forces or persons detained for "imperative reasons of security" 34 ). In turn, the universal, absolute character of the rights provided the civilian population should be appreciated. Article 27 IV GC guarantees respect and humane treatment of protected persons "in all circumstances" and "all at times", and Art. 75 AP I obligates the Occupying Power to maintain a certain minimum standard of human rights "at any time" "in any place" "without any adverse distinction". Article 4 7 I V GC provides that the relevant rights are inviolable: "Protected persons who are in occupied territory shall not be deprived, in any case or in any manner whatsoever, of the benefits of the present Convention by any change introduced, as the result of the occupation". For their part, protected persons are in no circumstances entitled to renounce their rights (Art. 8 I V GC). Lastly, certain of these responsibilities, a 'hard core', remain incumbent upon the Occupying Power as long as it continues to exercise governmental authority. 35 The preceding is not meant to imply that occupation law in its totality constitutes ius cogens or has erga omnes effect, just that certain provisions do display a foundational character in limiting the discretion of any State.36 The existing rules and procedures also provide for exceptions and negative obligations. The ground rule of Occupying Power responsibility is established by Art. 43 of the Hague Regulations. According to Art. 43, the Occupying Power 34 Per Art. 78 I V GC. For one assessment of whether the Occupying Powers have been meeting their obligations under I H L in Iraq, see Scheffer, Beyond Occupation Law, AJIL 97 (2003), 842 (853 et seq.). 35 These responsibilities are set out foremost in Art. 1 to 12, 27, 29 to 34,47,49,51,52, 53, 61 to 77 and 143 of IV GC. The 1907 Hague Convention and other customary international law also apply in full to all parties during continued occupation. For those parties subject to it, Art. 3 (b) AP I provides that the application of the Conventions and AP I shall in the case of occupation cease on the end of occupation (except as regards persons whose final release, repatriation or re-establishment takes place thereafter, who continue to benefit from the relevant provisions of the Conventions and AP I). Accordingly, the provisions of I V GC (per Art. 6 (3)) were only applicable in their entirety to all Occupying Powers until 1 May 2004, assuming the close of military operations is dated to 1 May 2003. Thereafter, the applicable rules varied. (Art. 7 8 I V GC, for example, applies to Occupying Powers that are parties to AP I during the entirety of the occupation but not to parties that are not, in which case the general international human rights regime applies.) (Wolfrum (note 2), 64). 36 "Such principles [... ] pertaining to occupation law have never been conclusively established, but one would expect them to include the overarching principles of humane treatment and judicial due process that appear in various codified provisions of occupation law." (, Scheffer (note 34), 843).

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must respect the laws in the occupied territory "unless absolutely prevented". This positive obligation with its qualifier clause embodies a fundamental tension in the Occupying Power's freedom of action. If, as the head of the ICRC legal department put it, "[t]he civilian population should be able to live a life as normal as possible" 37 , how far is the Occupying Power permitted to avail itself of exceptions ? The Occupying Power's duty to fulfil its responsibilities under IHL presupposes that the administrative apparatus of the occupied territory continues to function and that the local inhabitants respect its authority. (In occupied Iraq, this latter presupposition seems especially wishful thinking. Iraqis, like the civilian population of any occupied territory, do not owe any loyalty to the Occupying Power, and in the event, many of the 'defeated' have made clear that they are unwilling to submit to the CPA's will by perpetrating violence against it.) As noted, the Occupying Power is allowed to take the preexisting laws temporarily or permanently out of force when they constitute a threat to its security. Article 27 IV GC adds as regards protected persons that the Occupying Power may take such measures of control and security "as may be necessary as a result of war". Further, the Occupying Power is entitled to repeal or suspend local criminal laws where they constitute a threat to its security or an obstacle to the application of IV GC (Art. 64 IV GC). Lastly, in recognition of its security imperative, the Occupying Power is not barred from factually enforcing obedience, having for the duration of the occupation an authority to resort to force similar to that of the territorial sovereign. That having been said, the Occupying Power, even in taking measures to ensure the occupation's security and to maintain local public order and safety, is obligated to respect the restrictions found in Art. 27 itself (which implement the general obligation of humane treatment) as well as in Art. 41 to 43 (concerning internment and assigned residence) and Art. 78 to 135 IV GC (regulations for treatment of detainees). The provisions prescribe, in short, a fine balance between the power's and population's legitimate demands, a balance that must be observed at all times.38 A more fundamental question relating to negative obligations of the Occupying Power arises out of the temporary nature and transitory effects of occupation foreseen by IHL. It is clear under I H L that the Occupying Power cannot in principle exercise the authority housed in the occupied State, since a return to the original territorial sovereign is expected. This constraint may be said to be based on the idea of a trustee administration. This idea, however, is difficult to implement when the pre-existing laws of the occupied territory are in turn based on an ideology that 37

Lavoyer (note 28), 4. The President of the Israeli High Court recently described this balance so: "the law of belligerent occupation recognizes the authority of the military commander to maintain security in the area and to protect the security of his country and her citizens. However, it imposes conditions on the use of this authority. This authority must be properly balanced against the rights, needs, and interests of the local population." (BeitSourik Village Council v. The Government of Israel, HCJ 2056/04 (30 June 2004): opinion of President Barak, para. 34, available on the Internet: ). 38

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the foreign power seeks by force to eliminate, i. e. when an occupier seeks to overhaul the society as well as to overthrow the regime. Has the CPA lawfully or unlawfully exceeded the powers typically accorded trustee administrations? The Coalition States did acknowledge the temporary nature of the occupation from the outset, through the suggestive name of the authority itself ("provisional") and through professions of the "urgent need" to create the conditions for Iraqis to exercise their right to internal self-determination. 39 As regards the transitory effects of occupation, however, can the CPA reconcile its own intentions and its apparent U N mandate with its restrictive powers under the law of occupation? Resolutions 1483 and 1546 (and for that matter 1511 as regards the authority of the Multinational Force (MNF) and 1500 as regards the UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI)) refer severally to the legal, political and social reform of Iraq. (Operative paragraph 4 of Resolution 1483, for example, calls upon the CPA to create "conditions in which the Iraqi people can freely determine their own political future". Likewise, operative paragraph 8 describes the mandate of the U N Special Representative for Iraq as including working towards establishing "institutions for representative governance", "promoting the protection of human rights" and "encouraging international efforts to promote legal and judicial reform".) Should the apparent inconsistency between the fundamental duty in occupation law to maintain the status quo ante and the recognized desirability of changes to laws and government structures in Iraq (as expressed by long-standing international human rights agreements as well as by the newest resolutions) be taken to signify that I H L is no longer relevant in this context? One means to reconcile the apparent inconsistency between the I H L constraint and the Resolutions' intentions would be through an expansive interpretation of Hague Art. 43 and a dilution of the obligations imposed. This reading of the obligation to respect the laws in force holds that when military intervention is premised on reform of the existing laws and government structures - or more, when such change is the only effective means to secure the peace - , the victor and military occupant cannot be obligated to uphold the defeated enemy regime. 40 The case of post-WWII Germany is cited in support of this expansive interpretation. Another means proposed is to view the Resolutions as "carve outs": provisions of occupation law that would prevent the CPA from changing the laws, institutions and personnel of the Iraqi State have been suspended by the UN, while the other Hague and Geneva articles remain in force. 41 As noted, the SC texts refer in several paragraphs to reforming Iraqi society, including introducing representative governance. In support of an intention to carve out is the fact that on several recent occasions, the UN has participated in organizing and/or supervising free elections following decolonialization or the demise of a dictatorship. (Resolutions 1483 and 39

See, for example, open para. 1 of SC Resolution 1511.

40

This reading is favoured inter alia by Morris Greenspan. (Wolfrum Grant (note 23).

41

(note 2), 65).

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1546 provisions regarding the future political structures of Iraq confirm from this perspective the emergence under international law of a right to democratic governance.42) In support of an authority to carve out is the fact that the SC adopted the Resolutions under Chapter V I I of the UN Charter. The Charter provides that its obligations preempt pre-existing conventional international law in case of conflicting obligations (Art. 103) and enables the Council to take decisions for the restoration of international peace and security that are binding on all U N Member States (Art. 25). (This "sweeping dispositive authority" has formerly served as a legal basis for "such ambitious programs as independence of East Timor [and] the administration of Kosovo". 43 ) Before taking such a drastic step as an expansive interpretation or a carve out, however, we should examine the two sets of instructions in detail. Seeking to override or ignore the law of occupation, like I H L more generally, risks greater harm than any benefits, as it may upset the delicate equilibrium between different interests on which the system of protection is based. Occupation law should be viewed as a coherent whole, "from which a derogation should not be accepted easily." 44 In response to a new development that appears to pose a challenge to the law's applicability or relevance, the development must first be looked at more closely and the ongoing adequacy of the existing provisions to it considered carefully. The possibilities of interpreting and adapting the existing provisions should then, if necessary, be studied. Once these possibilities have been exhausted, the advantages and disadvantages of a step such as an expansive interpretation or a carve out may be weighed. In the Iraqi test-case, this proposed approach confirms that the inconsistency alleged between two sets of instructions is more apparent than real. When Resolutions 1483 and 1546 are looked at more closely and the existing provisions are read with a progressive understanding, the powers thereby granted the CPA are revealed to be reconcilable with those provided by the Hague and Geneva articles. The degree to which the successive Resolutions prescribe the reform of Iraqi society may be questioned. First, the Resolutions refrain from explicitly referring to democracy as the governing principle of the country's future constitution and to the protection of human rights according to international standards.45 Second, Occupying Powers do not under I H L enjoy a carte blanche to rebuild a country in their own (preferred) mode. Nor do they under U N law. Resolution 1483 expressly invokes the Geneva Conventions and the Hague Regulations. (Operative paragraph 4 inter alia calls upon the Authority "consistent with the Charter of the United Nations and other relevant international law , to promote the welfare of the 42 See generally Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, AJIL 86 (1992), 46 et seq. International law has traditionally held that internal self-determination may be exercised according to the given people's wishes as long as their choice of form of government does not infringe ius cogens. 43 44 45

As favoured, for example, by Grant (note 23). Lavoyer (note 28), 5. As noted by Wolfrum

(note 2), 72.

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Iraqi people", (emphasis own)) Moreover, the U N mandate prescribes a facilitative role for the Occupying Powers - i. e. to effect change for purposes of ensuring an expression of the right to self-determination - not a prescriptive role - i. e. to rewrite Iraq's legislation and remake its institutions in its own legal, social and economic image. (The same paragraph speaks of the Authority creating "conditions in which the Iraqi people can freely determine their own political future".) Third, the CPA does not exercise exclusive and total administrative power according to the Resolutions. (Paragraph 8 of Resolution 1483 vests authority in the U N Special Representative; Paragraph 4 of Resolution 1511 states that "the Governing Council and its ministers are the principal bodies of Iraqi administration".) Fourth, an interpretation of Resolution 1483 and successive Resolutions as a mandate for 'nation-building' in Iraq would run squarely up against the UN's Charter and post-WWII history, which prohibit occupation and colonization as bases for transformational efforts. 46 It might also exceed the SC's authority, according to which Chapter VII-resolutions are to relate to the restoration of international peace.47 This limit on the Council's decision-making authority suggests that in designing a framework for reconstructing Iraq, the Council must choose measures that enhance security in the area. Measures, i. e. legal/economic/ social reforms, that do not contribute to a stable and viable Iraq - and hence to security - appear ultra vires. Finally, the political context in which the U N mandate was agreed advises caution in its interpretation. U N involvement was partly intended to defuse accusations of US self-interest in the reconstruction of Iraq and to accord the process legitimacy inside and outside the country. A U N that was no longer seen to be neutral but to be abetting 'neo-imperialism' in its resolutions would hardly further these objectives.48 Having looked closely - and critically - at the scope of the powers granted by the successive Resolutions, let us consider the ongoing adequacy of the existing provisions to accommodate them. Occupation law proves itself in this respect more flexible than might be expected. In general, the existing provisions prohibit the Occupying Power from effecting changes to the laws in force or government

46 Chesterman , Bush, the United Nations and Nation-building, Survival 46 (Spring 2004), 101 (104). 47

For an analysis of the functions and powers of the Security Council in general, see Delbrück, Article 24, in: Simma et al. (eds.), The Charter of the United Nations: A Commentary, Vol. 1, 2nd ed., 2002, 442 et seq.. For an interpretation of the same in the Iraqi test-case, see Kirgis, Security Council Resolution 1483 on the Rebuilding of Iraq, AS I L Insight, May 2003, available on the Internet: . 48 The Star and Stripes has already been long viewed by many in the Middle East as "the symbol not of liberation, but of alien oppression". CHoward , The Invention of Peace and The Reinvention of War, 2001, 95). More than that, many Arabs view the SC with suspicion (esp. its Resolutions regarding Israel) - as a creature of Anglo-American interests. The Coalition occupation of Iraq has given concrete form to these views, adding accusations of military imperialism to those of cultural imperialism, and has fuelled regional mobilization against an 'American-led secular world order'.

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structures in the occupied territory. 49 Exceptions are, as explained, permitted for the sake of military security and public order. These must arguably be interpreted narrowly and contrary enactments directly justifiable. 50 However, occupiers do have a certain latitude - some would say duty - to implement fundamental human rights according to standards of the rule of law set out or alluded to in IV GC. As mentioned, Art. 6 4 I V GC entitles the Occupying Power to repeal or suspend local criminal laws that hinder the application of the Convention. The Occupying Power may accordingly introduce amendments necessary, for example, to ensure the right to self-determination, to end discrimination of certain minorities or to secure basic judicial standards.51 This latitude reflects basic common-sense as well as positive law: the Occupying Power would otherwise be required to turn a blind eye to - or worse, to perpetuate - injustices in the pre-existing laws, a notion that runs up against the very spirit of humanitarianism and international rule of law that is being promoted. Article 43 is intended to curb abuse of the Occupying Power's discretionary and legislative powers, not to prevent compliance with its international commitments, especially if of ius cogens character. For the sake of argument, the wisdom of adopting an expansive interpretation to the existing provisions may lastly be weighed. Such a step shows itself to be undesirable, just as it is unnecessary. The exemption that an expansive interpretation provides for in the case of wars waged to overhaul a particular society would make the obligations in question largely contingent upon the occupier's war aims (see also Section II. 5. below). It would effectively allow the occupier to pick and choose the provisions that apply to him. "As much it was legitimate to overthrow e.g. the totalitarian government of Germany and to reintroduce the rule of law and democracy in Germany there are definite limits of international humanitarian law" 5 2 that must be observed. Removing these constraints would throw the door wide open to occupiers, well-meaning or otherwise, to abuse their dominant position. In sum, we do not support tyrannical regimes but a decent political order: democratic political theory should guide postwar planning, and 'debaathification' 49 Two further situations relating to the issue of strict compliance with I H L in this regard should be distinguished here. First, where a legal vacuum exists, the Occupying Power will out of necessity impose a (N. B. not necessarily its own) legal system. Second, when occupation is long-lasting, administrative necessity often requires adaption of the system to new circumstances. Both situations presume, in other words, a more flexible application of the rules. Neither is relevant in Iraq, Iraq being neither a failed State nor subject to prolonged occupation. 50 51

Gasser (note 32), 255 et seq.

Green, The Contemporary Law of Armed Conflict, 2nd ed., 2000, 259. 52 Wolfrum (note 2), 65 et seq. (sic). A doctrinal objection to the comparison with postwar Germany might also be raised. A military occupation as in Iraq is to be distinguished from debellatio or consent. When a state of war is terminated by unconditional surrender, as was the situation in Germany in 1945, the invading force may establish his own system of law, regardless of the law of armed conflict, which automatically ceases to apply. (Further, see Schwarzenberger (note 9), 317, 730 et seq.). In Iraq, an instrument of surrender was not possible to arrange.

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remains a political/military prerequisite to establishing an open society in Iraq. However, the scope of discretion that an expansive interpretation would accord the Occupying Power is not appropriate all things considered. 4. When Does Occupation End? "[R]esolution 1546 contains eight references to the words 'sovereign' and 'sovereignty' - probably a record for a U N Security Council resolution, and a reflection of the general truth that the more sovereignty is in question, the more it needs to be asserted."

The above question about the application of occupation law begets further questions and some uncertain answers. The conventional sources of the law of occupation include no precise definition as to its end. Article 6 para. 3, 1st sentence I V GC provides that "the application of the present Convention shall cease one year after the close of military operations". 54 The article goes on to provide, as noted, that the Occupying Power shall remain bound by certain responsibilities protecting the vital rights of the inhabitants as long as it continues to exercise governmental authority. For its part, Art. 3(b) AP I provides that the Conventions and Protocol shall in the case of occupation cease to apply on the end of occupation, but it does not specify when the latter might take place. The Conventions and AP I do not, in other words, prescribe the permitted length of the occupation. As with so many issues in IHL, the end of occupation is ultimately a factual determination, to be made according to the situation on the ground. Various indicia of ongoing foreign involvement may in turn be proposed, but none alone is decisive in the analysis. (For example, occupation has traditionally come to an end when the Occupying Power withdraws from the territory in question or is driven from it. Even if this step is sufficient, however, it is not necessary: the continued presence of foreign troops does not automatically mean a continued state of occupation.55) In the case at hand, moreover, the facts have been in constant flux and with them assessments of the legal situation; it has been difficult to determine whether and if so, exactly when Iraq has regained its 'full sovereignty'. 56

53

Roberts (note 3), 11. The drafters of the Geneva Conventions apparently believed that twelve months' time was sufficient to reestablish stability and to wind up an occuption. 55 See generally Roberts (note 3), 2 et seq. or specifically 4: "[i]n Japan and West Germany the continued presence of external forces does not appear to have undermined or threatened the resumption of sovereignty by these states or their independent decisionmaking capacity." 54

56 We use quotation marks around the term 'fully sovereign' because it is questionable whether any State, especially in today's formally (and informally) interdependent world, can be said to act totally independently, completely free from other authorities. The term 'genuine' sovereignty, which does not imply absolutes, might be preferable.

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In assessing the legal situation, the matter where sovereignty vests in an occupation must first be clarified. Different aspects of the notoriously elusive57 and highly charged concept of sovereignty are to be distinguished. The ongoing international legal sovereignty of Iraq, namely its capacity to have the rights and obligations of a State on the international level, has never been in doubt. (The juxtaposition here is to subjugation or conquest, which imply a transfer of sovereignty.) Occupation law presupposes the eventual withdrawal of the foreign power and a continuation of the native government. As one commentator wrote shortly after the Hussein regime's overthrow at the height of the CPA's control, "[t]he Security Council has imposed restrictions on some of those rights and obligations [on the international level], and for the time being the occupying powers will act on behalf of Iraq in carrying them out, but Iraq's sovereignty under international law remains intact." 58 In contrast to its international sovereignty, the domestic sovereignty of Iraq was qua definitione reduced with the onset of occupation. Iraqis were subject to the control of the Occupying Powers and did not enjoy the same capacity to govern themselves as prior to the military intervention. 59 UN involvement and international recognition in various forms might have been expected to play a pivotal role in determining when there has "truly been a change from international oversight to independence" in Iraq. 60 For its part, SC Resolution 1546 has only clarified the factual and legal ambiguity of the issue to some degree. Like many decisions made on the international level, its provisions were subject to various compromises and expediencies, which by modifying preexisting understandings, raise new questions. At the outset of Resolution 1546, the SC "welcomfes] the beginning of a new phase in Iraq's transition to a democratically elected government" and states that it "look[s] forward to the end of the occupation and the assumption of full responsibility and authority by a fully sovereign and independent Interim Government of Iraq by 30 June 2004." This opening paragraph of the preamble and the similarlyworded first two paragraphs of the operative part decree that the Occupation is officially over and that the new authority has been formally endorsed as the sovereign government of Iraq by the SC (and by extension by all Member States per Art. 24(1) U N Charter). 57 Attempts to explain sovereignty often confuse more than they clarify. For example, the former British Special Representative for Iraq described in early May 2004 the post-occupation arrangement thus: "[t]he interim government will be fully sovereign, in the sense that every arrangement made by America and the international community will need to be agreed with the Iraqis as equal partners." (Greenstock , What must be done now, Economist, 8 May 2004, 24 (25)). 5 *Kirgis (note 47). See in this sense SC Resolution 1483 and 1546, both of which expressly reaffirm the sovereignty and territorial integrity of Iraq, as well as Resolution 1511, which "underscores] that the sovereignty of Iraq resides in the State of Iraq". 59 Roberts accordingly prefers describing the June handover as a "transfer of administrative authority." (Roberts, The day of reckoning, Guardian, 25 May 2004). 60 Greenstock (note 57), 25.

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This so far unambiguous legal qualification of the situation in Iraq after 28 June 2004 is, however, complicated, if not contradicted, by the SC's subsequent authorization of the maintenance of a multinational force to counter ongoing security threats. The occupation in Iraq is officially over, but the current Occupying Powers are permitted to hold onto important (the most important?) state prerogatives. 61 Is it possible to speak credibly of 'full sovereignty' as long as an army of occupation remains in Iraq, protecting its inner and outer security? Other parts of the Resolution attempt to resolve the tension inherent in this alleged change in the normative characterization of the situation and the effective stasis on the ground. Paragraphs 9 and 12 stress that the MNF is present at the invitation of the interim government, which invitation may be rescinded by it at any time. Further, while the SC authorizes the MNF to take "all necessary measures to contribute to the maintenance of security and stability in Iraq" (Paragraph 10), it is to do so in accordance with the letters from the Iraqi Prime Minister and the US Secretary of State annexed to the Resolution. Lastly, the letters provide that the MNF accepts the Iraqi invitation and is (per Colin Powell) "ready to continue to undertake a broad range of tasks to contribute to the maintenance of security and to ensure force protection", including combat operations against and internment of insurgents, but that the forces making up the MNF will "at all times [...] act consistently with their obligations under the law of armed conflict, including the Geneva Conventions."62 Nonetheless, the ongoing presence of foreign troops on Iraqi territory cannot but for the time being call into question the UN's assertion of full sovereignty, even leaving aside other, political and economic indicia of foreign support. 63 The 61 The tension in the concept of sovereignty related to this issue took on concrete form in the discussion over which power(s) would exercise ultimate command and control over the MNF. The governments of the respective powers in Iraq sought to clarify whether the interim government after 30 June will be able to exercise a veto over politically sensitive operations of the M N F troops (as recently in Fallujah). (Neue Zürcher Zeitung, 27 May 2004). The provisional compromise reached between the US/UK and the Iraqis was characterized in the annexed letters as a strategic partnership, in which close coordination and cooperation would be the guiding principles in the development and implementation of security policy. Unity of command of military operations in which Iraqi and multinational troops are engaged is to be the objective, but the existing framework governing the status of and jurisdiction over the armed forces as well as the arrangements for and the use of assets are to remain in place. 62 This recognition of the continuing applicability of the Geneva conventions is all the more pressing given that even after July 2004, foreign troops are to continue to enjoy immunity from prosecution under Iraqi law. (See Patel, The Legal Status of Coalition Forces in Iraq after the June 30 Handover, ASIL Insight, March 2004, available on the Internet: ; Schaller, Die Multinationale Truppe im Irak: Völkerrechtlicher Status nach der Machtübergabe, SWP-Aktuell 2004/30 (July 2004), available on the Internet: ). 63 Massive official US and other foreign aid will remain crucial to the Iraqi economy after any alleged transfer of sovereignty. (Congress has, for example, allocated $ 18.4 billion in aid to Iraq for the current year. (Economist, 22 May 2004, 43)). How far can Washington,

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Resolution's recognition of Iraqi sovereignty takes on a constitutive rather than declarative character in light of the fact that the situation on the ground remains effectively unchanged.64 Ultimately, it remains to be seen whether the interim government actually exercises all the attributes of what is traditionally understood to comprise sovereignty. Perhaps the clearest indication that Iraqis do not possess 'full' or genuine sovereignty would come if a subsequent request by the interim government for the withdrawal of foreign troops were not complied with. The foreign troops could then be characterized a "hostile army" per Hague Art. 42, controlling territory without the consent of local authorities. The chances, however, of the interim government making such a request and Iraqi sovereignty being put to the test in this way seem slim, given Iraqis' inability to ensure their inner and outer security by themselves now and for the foreseeable future. It is tempting to dismiss the issue of when occupation ends as a mere academic concern given the ambiguity of the factual and legal situation in Iraq (and other occupied territories). This would be a mistake: the determination of the locus of authority in post-conflict situations is "a way to identify power and point a finger at it when needed."65 This determination is the basis of the various legal responsibilities assigned to occupying/foreign powers and the basis of any international accountability for events in the territory in question. It decides whether their activities will still be subject to the laws of war. In the Iraqi test-case, as in other occupations, the determination must be made and a clear line of responsibility of its distributor, then be said to possess a 'power of the purse' ? In addition, the interim government is largely staffed from the former Governing Council. The fact that the Council had been picked by the CPA, that many members are returned exiles and that few have a popular mandate fuelled widespread accusations in Iraq and abroad that the 'representatives' are effectively creatures of the Americans. Together with the military presence, the ongoing involvement of and dependence on outsiders have led to harsh comparisons of the administration of Iraq to a puppet government. 64

Rather than maintaining the increasingly strained traditional understanding, it might be analytically preferable and truer to contemporary international relations to reconsider the concept of sovereignty in light of the situation in present-day Iraq. The diversified global governance activities in Iraq (i. e. the demand that the government established by the Iraqi people to assume the Authority's responsibilities be "internationally recognized" (see e.g. Res. 1483); the U N Resolutions' prescriptions of its political, economic, social structures; the authorization of the MNF; the operations of UNAMI; as well as the global communication about human rights in the country generally) have seriously affected its sovereignty, belying traditional claims of 'independence' and 'territorial integrity'. Iraq, like present-day Afghanistan, is manifestly not an entity outside the global legal system: its sovereignty is subject to definition and constraints from the international community. The present-day situation in Iraq provides further support for a new understanding of sovereignty, according to which "sovereignty is a construction of the political system itself which can be reformulated in juridical rationalities". (.Bothe/Fischer-Lescano , Protego et obligo. Afghanistan and the paradox of sovereignty, GLJ 3 (September 2002), paras. 10 et seq., available on the Internet: ). 65 Korhonen, "Post" As Justification: International Law and Democracy-Building after Iraq, GLJ 4 (2003), 709 (722), available on the Internet: .

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the various powers drawn: "[t]he transfer of authority must not become an excuse for an abandonment of responsibility. Indeed, the transfer of authority provides an opportunity [...] to take a clearer, more principled and more determined stand on the application of the rules of international humanitarian law". 66 We believe that the end of an occupation should essentially be determined by the same two conditions that trigger occupation law's application in the first place, namely the control of territory by hostile foreign armed forces and the possibility of these forces exercising authority over the local inhabitants (see Section II. 1. above). In terms of the Iraqi test-case, this approach means that where prerogatives concerning the security of the country have been transferred to the interim government, the concomitant obligations under I H L should be considered transferred as well. Where these prerogatives remain with the foreign powers, 67 however, so should the obligations: foreign powers should then be bound to respect and protect the rights of persons under their effective control. Considered more broadly, determinations of the end of an occupation should be governed by reality as well as by particular proclamations. A SC resolution on the subject, while naturally having considerable political importance, need not be accorded decisive legal importance. This approach to determining the end of occupation and the applicability of I H L does not seek to contradict express provisions of a SC resolution under Chapter V I I and to claim that an occupation (in Iraq or elsewhere) continues nonetheless: "it is not credible that there will not be a significant change of some kind" in such circumstances. 68 Instead, this approach tries to reconcile the facts on the ground with the formal terms for the sake of the optimal enforcement of IHL and the effective protection of the occupied people. The SC itself was evidently conscious of IHL's continued application and relevance: the preamble of Resolution 1546 "not[es] the commitment of all forces promoting the maintenance of security and stability in Iraq to act in accordance with international law, including obligations under international humanitarian law". It sought thereby to combine the determination of the legal situation suggested by I H L with its own statement on the political transition in Iraq, to resolve the tension between the long-standing general terms of I H L and the specific contemporary developments. Although the decision as to when exactly the time is right for transferring power remains ultimately a matter for their political judgment (see Section II. 4. above), the Occupying Powers do have certain obligations under I H L and the successive SC Resolutions on reconstructing Iraq to observe regarding the withdrawal of their

66

Roberts (note 3), 19. See Roberts (note 59): "There could be numerous circumstances are July 1 that constitute a general exercise of authority similar to that of an occupier, or else an occupation of at least part of Iraqi territory." 67

™ Roberts { note 3), 11.

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troops. 69 As noted, occupation is viewed in humanitarian law and the Resolutions as a temporary period during which the occupied territory is prepared for a return to genuine sovereignty. The Occupying Powers are accordingly entitled to transfer responsibility for the maintenance of peace and human rights only to an entity that is capable of acting. 70 Occupying Powers cannot simply 'cut and run', leaving behind a politically/socially unstable situation or worse, a power vacuum and inevitable descent into chaos, regardless of what their domestic political interests might otherwise urge. At the other extreme, the preparation of a people for a return to genuine sovereignty cannot be used as a pretext to perpetually postpone a transfer of power; prolonging the occupation indefinitely for the sake of ensuring stability and the inhabitants' effective exercise of their right to choose their own government would belie the temporary nature of occupation foreseen by humanitarian law and the Resolutions. In short, the Occupying Power should be required to continually justify on the basis of proportionality the necessity (as well as propriety) of its ongoing military presence in the foreign territory against the further denial of the occupied people's right of internal self-determination. 71 Lastly, it should not be overlooked that the declared end of occupation in Iraq might not mean the end of the applicability of other I H L provisions in that country. The ongoing hostilities between security forces (Iraqi and outside armed forces) and insurgents (including former regime elements, foreign fighters and illegal militias) as well as the serious threats to order might be re-qualified as an internationalized internal armed conflict subject to the ius in bello. I f the hostilities reach a sufficient intensity and sophistication (e.g. in the hot spots of Fallujah and Najaf), 72 the conventional (esp. common Art. 3 GC, see below) and customary 69 See generally Sutter , Völkerrecht und Truppenabzug aus dem Irak: Die Rechte und Pflichten einer Besetzungsmacht, Neue Zürcher Zeitung, 31 March 2004. 70 From the perspective of democratic political theory, Walzer adds that transferring power to a puppet government is also offensive to the sense of postwar justice. By denying the population their right to internal self-determination, a satellite regime makes a "moral mess of the aftermath" and its deprivation of sovereignty is an "act of theft". (Walzer (note 12)). 71 Following Sutter (note 69). (See also SC Resolution 1511 of 16 October 2003, which calls upon the CPA "to return governing authorities and responsibilities to the people of Iraq as soon as practicable" and to report to the SC on progress being made.) In cases where the foreign power seeks to overhaul the society as well as to overthrow the regime, Walzer argues that the timetable for self-determination "depends heavily on the character of the previous regime and the extent of its defeat." I f the goal is to ensure that in the resultant society the local population can form civil associations, join parties, make choices etc. without fearing a restoration of the former authoritarian regime, then a quicker transfer of power may be effected where the large majority of the population was not complicit in the regime (as in Iraq rather than postwar Germany). (Walzer (note 12)). 72 The month of April 2004, for example, saw more casualties among US forces than during the entire invasion phase. (Around this time, a rumour even circulated among US forces that President Bush was going to redeclare war as a prelude to stepping up military operations against the armed resistance (Time Magazine (Europe), 3 May 2004, 20). A redeclaration of war would have signified the end of the occupation, and the relations

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rules applicable in non-international armed conflicts would apply to the conflict parties in Iraq. 73 In short, the situation in Iraq at the time of writing "does not conform exactly to recognized definitions of either international or civil war or of military occupation." 74 It is devoutly to be hoped that the determination of the applicability of the ius post bellum (re the end of occupation) and the ius in bello (re the state of war) to this situation will be informed by humanitarian interests in order to maximize the international legal protection afforded the local inhabitants. On such an understanding, if the MNF exercises authority in an operational area, if the multinational or Iraqi forces are used in combat against insurgents, or if either take prisoners, they should be held to the terms of IHL. 7 5

5. Does IHL in Any Form Apply in Such Contexts? "Those who qualify the situation as 'liberation' expect gratitude and not obligations under international law." 7 6

One final challenge to the ius post bellum , namely that inherent in the idea of 'democracy building' as justification for military intervention and occupation, must be examined. Among others, General Tommy Franks has claimed that the US is not an Occupying Power in Iraq, as "[t]his has been about liberation not about occupation." 77 A war can, in other words, have such positive societal consequences - here the downfall of a despicable regime and the establishment of a decent political order - that the traditional laws regarding just cause and postwar between the CPA forces and the Iraqi population would have once more been governed by the normal rules of armed conflict concerning relations between a belligerent and enemy civilians). 73

Roberts convincingly argues against the claim that the ongoing hostilities in Iraq are purely internal in character given the involvement of non-Iraqi groups in terrorist activities and the non-Iraqi character of the Mw/i/national Force. He concludes, however, that Resolution 1546 renders the distinction between internal and internationalized internal armed conflicts moot: its wording "indicates that, regardless of how the situation is characterized, international humanitarian law will apply to it." (Roberts (note 3), 18). 74

Roberts (note 3), 17. The ICRC's entitlement to undertake protection activities also varies according to the legal qualification of the state of affairs in Iraq: namely occupation, internal armed conflict or neither. I f the occupation is deemed continuing, the protection afforded persons deprived of liberty is unchanged, and the ICRC can still base its activities in detention centres on its explicit, conventional right of visit. I f the occupation is deemed at an end, detainees of the sovereign authorities will not be protected by I H L at all and be subject to visits by the ICRC. In the latter case, if these persons are arrested in relation to an internal armed conflict, however, ICRC can act on the basis of its general right of initiative in humanitarian matters per common Art. 3 GC. 75

76 77

Gasser (note 19), 154. Cited in Paust (note 33).

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conduct do not apply. The challenge raised by this argument is, as the moral philosopher Michael Walzer put it squarely, "[h]ow is postwar justice related to the justice of the war itself and the conduct of its battles? Iraq poses this question in an especially urgent way, but the question would be compelling even without Iraq." 78 It would be easy to dismiss the alleged justification by alone referring to the UN mandate or to the facts on the ground in Iraq. In terms of the former, Resolution 1483 - whatever its drafting shortcomings otherwise - provides unambiguously that the Hague and Geneva articles apply to the occupation of Iraq (q. v. operative paragraph 4, preambular paragraph 14). In terms of the latter, it is no coincidence that this argument was heard especially often at the outset of the military intervention but infrequently since. (During the occupation, it has become all too clear that large parts of the Iraqi population do not consider the US and UK as liberators; rather than throwing the proverbial roses at the foreign forces, many have been throwing bombs. Moreover, the CPA has itself undermined a claim that it is bringing freedom, human rights and democracy to the Arab world by certain actions during the occupation.79) Given that occupiers typically seek to characterize their exercise of authority in another State as something other than occupation 80 , this justification should be addressed in a more deliberate fashion, lest it be put forward in future as mitigating against the full de jure application of occupation law. The first objection that may be raised relates to the resultant doctrinal confusion. The argument of 'post as justification' elides the ius ad bellum , the ius in bello and the ius post bellum , three legal categories that should remain distinct for the sake of their integrity and effectiveness. Understandings of the ends (goals), means (facilitation) and consequences (outcome) of armed conflict, respectively get completely muddled in the argument: political opportunism, teleological morality and post facto justifications are dangerously collapsed into an inquiry into the 'sincere beliefs' of the superior power involved. 81 The traditional, tried and tested paradigm should continue to regulate relations between occupiers and local inhabitants.

78

Walzer (note 12). The maltreatment of Iraqi prisoners at Abu Ghraib has undoubtedly tarnished the moral legitimacy of the US and U K claim of postwar justice. The manner in which aid for Iraq and the benefits of the occupation generally have been distributed have also tarnished their claim. " I f power is tightly held and the procedures and motives of decision-making are concealed, if resources accumulated for the occupation end up in the hands of foreign companies and local favorites, then the occupation is unjust." (Walzer (note 12)). 80 "Using sophisticated claims, all occupants in the past three decades avoided acknowledging that their presence on foreign soil was in fact an occupation to the Hague Regulations or Fourth Geneva Convention (except for Israel, on a de facto basis, in parts of the areas occupied in June 1967)." (Benvenisti , Water Conflicts During the Occupation of Iraq, AJIL 97 (2003), 860 (860)). 79

81

Korhonen (note 65), 710.

"Ius Post Bellum" in Iraq

Ignoring 'democracy building' as a possible casus belli? 2 however, represents an even greater challenge to I H L than that of doctrinal confusion alone, as it risks the exclusion of IHL's application ab initio. A similar argument has been heard during other armed conflicts as regards the relevance of the (un-)lawfulness of the resort to force to the applicability of IHL. The reasoning is as wrong-headed here as it was there. I H L applies to all parties to an armed conflict regardless of the lawfulness of the resort to force; occupation law applies once a situation factually amounts to an occupation.83 That the obligations of an Occupying Power exist whether or not it was lawful to use the armed force that resulted in the occupation is indicated by the wording of the relevant provisions. (Common Art. 2 of the Geneva Conventions refers to "all cases of partial or total occupation", while the preamble of AP I reaffirms "that the provisions of the Geneva Conventions of 12 August 1949 and of this Protocol must be fully applied in all circumstances to all persons who are protected by those instruments, without any adverse distinction based on the nature or origin of the armed conflict or on the causes espoused or attributed to the Parties to the conflict".) Moreover, it is not, as mentioned, for the Occupying Power under occupation law to decide its own status, e.g. through formal proclamation (q. v. Operation Iraqi Freedom)', the fundamental protections afforded to the local inhabitants are not dependent on the motive or characterization of the occupation. "It makes no difference whether an occupation has received Security Council approval, its aim, or whether it is labelled an 'invasion', 'liberation', 'administration' or 'occupation'." 84 These protections are absolute, subject to no restrictions and non-derogable. The humanitarian purpose of the IHL-regime abides amid the vicissitudes of politics in the wake of armed conflict, just as it does vis-à-vis military necessities amid the hostilities themselves.85 Lastly, this argument of 'post as justification' is to be resisted from a broader, more functional perspective, that of 'transitional justice'. 86 Societies like presentday Iraq undergoing political upheaval, moving from a dictatorship to democracy, are faced with a rule-of-law dilemma in which the positive prescriptions of the 82 It should be noted that the humanitarian motive, namely the desire to liberate Iraq, in the Anglo-American decision to invade Iraq became prominent later than the justification that the US and U K were enforcing multilateral law and engaging in anticipatory self-defence. Seen from this perspective, the argument that the Hussein regime was brutalizing the Iraqi people appears insincere and self-serving, an opportunistic excuse for accomplishing an ulterior end. 83 For this reason alone, it cannot be claimed on the basis of Resolution 1483's effective recognition of the US and U K as Occupying Powers that their invasion of Iraq was implicitly approved by the SC as lawful. (Kirgis (note 47)). 84 Lavoyer (note 28), 2. 85 This reasoning holds for assessments of the applicability of the law of occupation to the West Bank and Gaza Strip. The humanitarian purpose of I H L must be kept distinct from the matter of the international status of the territories: the legal protection afforded persons and objects under Israeli authority is not contingent upon which State could legitimately claim sovereignty over the territories. 86

Teitel , Transitional Justice, 2000, 20 et seq.

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previous regime have lost legitimacy, and natural law understandings cannot (yet) claim legitimacy. Where the upheaval has been prompted by military intervention, occupation law can serve as a useful bridge between systems: IV GC, for example, comprises a set of legal norms that are grounded in positive law (see Section II. 4. above), but that incorporate values of justice associated with natural law. International law as an alternative construction will only be able to facilitate political transformation, however, if it is considered to offer universalized, continuous and enduring justice. To find acceptance and be effective in a postwar society, the law of occupation must be kept independent of transitory politics. The politicization of I H L is accordingly to be resisted for the sake of the local rule of law in an occupied territory. 87

I I I . Outlook "The High Contracting Parties undertake to respect and to ensure respect for the present Convention in all circumstances." 88

Recent political events - above all the terrorist attacks of September 11 as well as the wars in Afghanistan and Iraq - pose challenges to the doctrine and practice of IHL. 8 9 More specifically, several concerns about the law of military occupation have arisen following the invasion of Iraq. The combination of a body of law that has been relatively neglected of late on one hand with novel fact patterns and a shift in thinking since agreement on many of the existing rules and procedures on the other has led to calls for provisions to be revised or even circumvented. 90 It is important to discuss these concerns, be they related to the law of occupation or to I H L more generally. New threats and needs do require a sensible legal response; the law must take note of changing circumstances in the society it seeks to regulate. Indeed, it is to stimulate just such a discussion that we have argued for occupation law to be henceforth considered a distinct concern of I H L and that we 87 For a more detailed discussion of the role of I H L and other critical elements in rebuilding States following armed conflict, see Froissart, Legal and Other Factors in Nation-Building in Post War Situations: Example Iraq, in: Fischer et al. (note 19), 99. 88 Common Art. 1 GC. 89 See, for example, Morgan's concerns for the law of war deriving from the leadup to and following the Iraq war. He argues that "international law's tendency to mix and match its governing norms to its desired results, productes] an ahistorical sense of 'doctrinal confusion'" and concludes that "[t]he law of war has therefore become entangled in a temporal and interpretive battle of its own. Each pronouncement fights against either a relic from the past or its opposite contemporary number, and often can be seen fighting the war within itself." (Morgan (note 1), 527 and 544, respectively.) 90 Scheffer, for example, argues that "the occupation of Iraq, which is intended to be a transformational process [...] requires strained interpretations of occupation law to suit modern requirements. Such unique circumstances are far better addressed by a tailored nation-building mandate of the Security Council." (Scheffer (note 34), 843).

"Ius Post Bellum" in Iraq

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have designated it the ius post bellum. The virtues of this scientific approach and designation may be contested; the crucial issue going forward, however, is what exactly constitutes a 'sensible' response. Some commentators argue that IHL must undergo wholesale reform. They assert that I H L is not adequate in the ongoing effort to combat international terrorism inter alia and even that it is an obstacle to 'justice'. Whether wholesale reform is the appropriate response to changing threats and needs is, with respect, highly questionable. Critics should be required to demonstrate in which ways the existing provisions are inadequate to present circumstances.91 Where exactly in this highly-developed legal framework is the alleged gap in coverage leading to legal ambiguity? How precisely do these recent developments evade the constraints of IHL? In which regard is I H L as currently conceived inflexible and incapable of meeting change? If critics are put to the task, we are very skeptical of their ability to justify wholesale legal reform. IHL, while not perfect, is sufficient to deal with today's armed conflicts in all their phases. It is not clear to us, for example, why the Hague or Geneva articles relating to the conduct of a military occupant towards the inhabitants of occupied territory are no longer valid and effective in contemporary armed conflict. On their own terms, the related articles are fully applicable to the situations that cause concern among observers; on their principles, they remain as relevant today as in 1907 or 1949.92 The ius post bellum should be seen as an element of a greater international legal ordering that in seeking to control and limit state power, gives precedence to the principle of humanity for all. Independent of politics and other external influences, all human beings are to enjoy an inviolable 'humanitarian space'93 during and following armed conflict. Further, it must be understood that attempting to reform IHL substantially in response to the perceived novelties of contemporary armed conflict risks upsetting the fine balance that humanitarian law strikes among the often competing interests of personal security, state security and individual rights and liberties that are at play. Specifically, such attempts threaten to diminish either the quality or quantity of the protection afforded civilians in occupied territories. In short, it is not necessary and would not be prudent to attempt a wholesale reform of the existing provisions of IHL. The appropriate response to recent devel91 See similarly, Wolfrum , 3: "where the development of new rules would result in the derogation of established ones the onus is on those advocating the development of new rules, to prove that the old rules have fallen into desuetudo or have been replaced by new ones." 92 As a last resort, the Martens Clause may be referred to: in cases where the law of occupation is silent, the inhabitants must be considered as remaining (in the words of the preamble to Hague Convention IV of 1907) under "the protection and rule of the principles of the law of nations, as they result from [...] the laws of humanity, and the dictates of the public conscience." 93 Thürer, Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in der Bewährungsprobe: Das humanitäre Völkerrecht vor den Herausforderungen der Gegenwart, Speech, delivered 2 February 2004, Humboldt University, Berlin (unpublished).

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opments from concerned observers is renewed effort at the rules and procedures' effective implementation. As a long-time commentator noted, occupation law constitutes a particularly underimplemented area of IHL, "honored more often in the breach than not" 94 . Effort at implementation should in turn focus on realizing shared principles more completely. Specifically, priority should be given to individual rights, accountability of leaders 95 and the rule of law before traditional doctrines of state sovereignty and non-interference in domestic affairs. We set out above some of the specific steps that Occupying Powers are obligated to take to give effect to the law of occupation. In addition, the Occupying Powers must generally ensure that the rights of protected persons and their property are fully respected, with breaches prevented or punished (Art. 146 IV GC). 96 These obligations placed on the Occupying Powers do not absolve the international community of its own, related responsibility. Common Art. 1 of the Conventions and AP I not only mandates respect but also constitutes a solemn undertaking of all State parties to "ensure respect" for their provisions (own emphasis). The character of many humanitarian obligations as erga omnes confirms States' putative legal interest in the obligations' protection and States' responsibility to take appropriate steps to ensure respect, even if they are not parties to an armed conflict. 97 In light of the well-known paucity of effective avenues for legal appeal and review in IHL, 9 8 accountability for state and individual conduct must be enforced through diplomatic channels or if that fails, through exposure and public censure. What positive action States should take to ensure respect for the Convention is a matter for their discretion, as long as the action

94

Benvenisti (note 80), 860.

95

Scheffer notes an anomaly in the enforcement of IHL, namely that while in other areas individuals have increasingly been held accountable, penalties for violations of occupation law have consisted mainly of actions against States not official personnel. (Scheffer (note 34), 856). 96 I t should not be forgotten that it is in the Occupying Power's own self-interest as well as an end in itself to fulfill their responsibilities. Observing the law of occupation reduces the possibility that the occupied people will resist the occupier's authority. Moreover, showing respect for the other people's rights and dignity in the context of armed conflict increases the likelihood of achieving a shared, lasting peace - and not perpetual war - between the former enemies. 97 For an example of judicial reference to this article, see also dispositifD of the advisory opinion of the International Court of Justice in Legal Consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory of 9 July 2004, available on the Internet: : "all States parties [...] also have an obligation, while respecting the United Nations Charter and international law, to ensure compliance by Israel with international humanitarian law as embodied in Geneva Convention I V . " No discursive justification was, however, given for this finding. 98 For a discussion of remedies to ensure compliance with IHL, see Fleck, Humanitarian Protection Against Non-State Actors, in: Frowein et al. (eds.), Verhandeln für den Frieden (Negotiating for Peace), Liber Amicorum Tono Eitel, 2003, 69 (82 et seq.).

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chosen is lawful." The best official response - legally and politically speaking may be a collective one in the form of recourse to the U N to enlist the support of the state community and to put pressure on the relevant actors. Where for their part novelties or ambiguities regarding I H L (be it in the treaties, customs or resolutions) arise, the onus is on the international community as a whole to make clear their own view of the contents of the applicable law and the limits placed on its addressees. (Indeed, no international body exists to determine whether a situation must be legally qualified as occupation.) Understandings as regards armed conflict are constantly evolving, and States have the power to decide whether or not to collectively adopt a particular proposed understanding. In the "world of word politics", the community of interpretation can prevent "interpretive unilateralism" 100 by any one State. Specifically as regards occupation law, opinions or actions of Occupying Powers that breach the spirit, if not necessarily the letter, of its terms should not simply be accepted and thereby achieve validation; they should be unequivocally condemned by the international community. Such condemnation is not only for the sake of affording protection to the civilian population and property in a particular occupied territory but also for the sake of avoiding the possible precedential effect of the breaches elsewhere. In the Iraqi test-case, international oversight can and must serve as a check on the use of power by foreign States. Official acquiescence, for example, to the argument that 'post' justifies inaction - i. e. that the invasion of Iraq, though possibly illegal, was 'legitimate' and that the occupation should not be subject to the usual, established rules and procedures - would severely undermine the cause of IHL in this context. This justification would effectively strip its would-be beneficiaries of the protection promised them by international law in recognition of their dire straits in war's wake. Official aacquiescence for cynical reasons - e.g. national self-interest in securing lucrative reconstruction contracts - would be morally unconscionable: global humanitarian and not narrow political or commercial advantage must be put first in the aftermath of armed conflict. The Iraqi people have experienced several decades of repression, war and deprivation, from the regime of Saddam Hussein, through the war with Iran, the first Gulf war, the international economic sanctions, the second Gulf war to the present occupation. They surely now deserve an unambiguous, principled and determined stand from the international community on the enforcement of IHL. We believe, in short, that existing occupation law remains both applicable and relevant, even in postwar Iraq. Its force could benefit from an approach that amidst " F o r a discussion of the positive action resulting from this obligation that may be expected of States, see Scobbie, Smoke, Mirrors and Killer Whales: the International Court's Opinion on the Israeli Barrier Wall, GLJ 5 (2004), 1107 (1118 ei seq.), available on the Internet: . 100 Scott, Iraq and the Serious Consequences of Word Games: Language, Violence and Responsibility in the Security Council, GLJ 3 (November 2002), paras. 3 and 5, available on the Internet: .

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changing circumstances, emphasizes the facts on the ground, a progressive understanding of the provisions and shared humanitarian principles. Regardless, the ius post bellum is in its basic, original conception more than adequate to meet the challenges of military occupation today. As events following the Iraqi war sadly demonstrated, what really demands concerned observers' attention is not effort at wholesale reform but at effective implementation of occupation law, as of the existing provisions of I H L more generally.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung als Elemente einer konstitutionalisierten globalen Friedensordnung Von Christian Tietje

I. Einleitung Anlässlich seines 60. Geburtstages wurden zentrale Aufsätze von Jost Delbrück unter dem Titel „Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung" herausgegeben.1 Mit diesem Titel, der auf einen gemeinsam mit Klaus Dicke verfassten Aufsatz zurückgeht, 2 wird das bisherige wissenschaftliche Lebenswerk von Jost Delbrück überaus prägnant zusammengefasst. Inhaltlich geht es dabei im Kern um das stetige Bemühen Delbrücks in Wissenschaft und Praxis, den zum Teil auch heute noch vorherrschenden Rechtspositivismus in der Völkerrechtswissenschaft zugunsten einer zukunftsweisenden und menschenrechtlich fundierten Verbindung von Recht und Ethik zu überwinden. Die Friedenssicherung und der Menschenrechtsschutz waren und sind daher für Jost Delbrück von zentralem Interesse. Das hier interessierende Internationale Wirtschaftsrecht scheint hingegen für den Jubilar nur am Rande oder gar kaum wissenschaftliche Bedeutung erlangt zu haben. Dieser Eindruck könnte jedenfalls entstehen, wenn man sich ausschließlich die Titel des umfangreichen Schriftenverzeichnisses von Delbrück anschaut. Ein näherer Blick in die von ihm verfassten Publikationen zeigt indes, dass die rechtliche Ausgestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sehr wohl ein wichtiger Bestandteil des übergreifenden Konzeptes der Konstitution des Friedens als Rechtsordnung ist.3 Insofern bietet es sich an, einige Aspekte der Bedeutung des Interna-

1 Delbrück , Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, herausgegeben von Klaus Dicke, Stephan Hobe, Karl-Ulrich Meyn, Eibe Riedel und Hans-Joachim Schütz, 1996. 2

Delbrück/Dicke, Zur Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, in: Nerlich/ Rendtorff (Hrsg.), Nukleare Abschreckung - Politische und ethische Inteipretation einer neuen Realität, 1989, 797 ff. 3 Siehe u. a. Delbrück , Zum Funktionswandel des Völkerrechts der Gegenwart im Rahmen einer universellen Friedensstrategie - Menschenrechtsschutz und Internationales Wirtschafts- und Sozialrecht, Die Friedens-Warte 58 (1975), 240 ff.; ders., Eine internationale Friedensordnung als rechtliche und politische Gestaltungsaufgabe - Zum Verständnis rechtlicher und politischer Bedingungen der Friedenssicherung im internationalen System der Gegenwart (1985), in: ders. (Fn. 1), 254 (266); sowie Delbrück/Dicke (Fn. 2), 817 f.

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tionalen Wirtschaftsrechts für die konstitutionalisierte internationale Friedensordnung näher zu untersuchen. Das Internationale Wirtschaftsrecht hat seit dem Inkrafttreten des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO-Übereinkommen) nebst der inkorporierten Übereinkommen zum Warenhandel, zum Dienstleistungshandel, zu den handelsbezogenen Aspekten der Rechte des geistigen Eigentums, zur Streitbeilegung und zum Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik4 zum 1. Januar 1995 auch im deutschsprachigen Schrifttum sowie in der akademischen Lehre vermehrt Aufmerksamkeit erfahren. Allerdings wird bei der in weiten Bereichen festzustellenden nahezu ausschließlichen Fokussierung auf das WTO-Recht oftmals übersehen, dass das Internationale Wirtschaftsrecht in seiner Komplexität weit hierüber hinausgeht. Das führt nicht nur dazu, dass außerhalb des WTORechts stehende Regelungsbereiche des Internationalen Wirtschaftsrechts in Lehre und Forschung kaum Beachtung finden, sondern bedingt auch ein deutliches Defizit im Bereich der Grundlagenforschung zum Internationalen Wirtschaftsrecht. Über das WTO-Recht hinausgehende Fragen zur prinzipiellen Struktur der Rechtsordnung der internationalen Wirtschaft werden kaum erörtert. Eine wissenschaftliche Fundierung des Internationalen Wirtschaftsrechts als Rechtsgebiet kann so nicht gelingen. Hierzu bedarf es konzeptioneller Überlegungen, die über Einzelfragen hinausgehend Begriff und Inhalt des Internationalen Wirtschaftsrechts in den Blick nehmen. Wie bereits angedeutet, soll dies nachfolgend ausgehend von der These erfolgen, dass das Internationale Wirtschaftsrecht ein zentraler Bestandteil einer ethisch und rechtlich fundierten Konstitution des Friedens als Rechtsordnung ist. Dazu soll im Folgenden zunächst auf die Struktur des internationalen Wirtschaftssystems sowie auf den Begriff des Wirtschaftsrechts selbst eingegangen werden. Hierauf aufbauend erfolgt anschließend eine Fundierung der wesentlichen prinzipiellen Merkmale des Internationalen Wirtschaftsrechts als Rechtsordnung. Abschließend sollen die gewonnen Ergebnisse zur aktuellen und für die hier interessierende Fragestellung besonders wichtigen Debatte um ein Recht auf Entwicklung in Beziehung gesetzt werden.

II. Das internationale Wirtschaftssystem Der wissenschaftliche Zugang zum Internationalen Wirtschaftsrecht setzt zunächst Klarheit über den sozialen Sachverhalt voraus, um den es geht. Denn der Versuch der begrifflichen und inhaltlichen Konkretisierung des Internationalen Wirtschaftsrechts sowie seiner ethischen und rechtlichen Fundierung kann nur gelingen, wenn sich dieses Recht auf einen bestimmbaren Bereich des internationalen Lebens bezieht, auf ein existierendes internationales System. In Anleh4 Die wesentlichen Texte sind abgedruckt in: Tietje (Hrsg.), WTO - Welthandelsorganisation, 3. Aufl., 2005.

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nung an u. a. von Jost Delbrück formulierte Überlegungen zum Völkerrecht insgesamt ist als internationales Wirtschaftssystem hierbei das Beziehungsgefüge der unterschiedlichen Akteure des internationalen wirtschaftlichen Lebens, wie es durch die ihnen obliegenden Aufgaben, die von ihnen jeweils verfolgten Ziele und Interessen sowie die so entstehenden Konflikte und Konfliktlösungsmechanismen bestimmt wird, zu verstehen.5 Inhaltlich bezieht sich dieses Beziehungsgefüge dabei auf die grenzüberschreitende Bezüge aufweisende Wirtschaft, wobei „Wirtschaft" als Inbegriff all der Tätigkeiten bzw. Lebenssachverhalte, die der Versorgung der Menschen mit knappen Gütern und Dienstleistungen dienen, zu verstehen ist. 6 Gegenständlich geht es also um alle grenzüberschreitenden Transaktionen, die sich auf Wirtschaftsgüter (Waren und Dienstleistungen) beziehen. In soziologischer Perspektive war das internationale Wirtschaftssystem schon immer von verschiedenen Akteuren bestimmt. Grenzüberschreitende Wirtschaftstransaktionen wurden und werden zunächst von natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts vollzogen. Sie sind als Produzenten, Händler, Käufer, Verkäufer, Konsumenten etc. die maßgeblichen Akteure, die Tätigkeiten vollziehen, die der Versorgung mit knappen Gütern und Dienstleistungen dienen. Zugleich haben spätestens seit der Konstituierung des klassischen Territorialstaates mit dem Westfälischen Frieden von 1648 auch die Staaten eine mehr oder weniger intensive Rolle als Akteur in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen eingenommen. Im Gegensatz zur völkerrechtlichen Entwicklung waren sie allerdings nie die einzigen bzw. dominierenden Akteure. 7 Die historische Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen 8 zeigt vielmehr, dass es zwar zeitliche Perioden gab, in denen die Staaten intensiv regulierend im Hinblick auf die Möglichkeit und Ausgestaltung grenzüberschreitender Wirtschaftstransaktionen tätig waren, sie sich in anderen Zeiten aber diesbezüglich sehr zurückhielten. 9 Als weitere Akteure der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind in jüngerer Zeit regionale Zusammenschlüsse von Staaten zunehmend wichtiger gewor5

In diese Richtung mit Blick auf das internationale System insgesamt Dahm/Delbrück/ Wolfrum , Völkerrecht, Bd. 1/1, 2. Aufl., 1989, 3 m. w. N. 6 Siehe z. B. Müller/Dietrich, Wirtschaft, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 8, 6. Aufl., 1963, Sp. 718; Bender (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 1, 8. Aufl., 2003, 3; Behrens , Elemente eines Begriffs des Internationalen Wirtschaftsrechts, RabelsZ 50 (1986), 483 (487); Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 14. Aufl., 2004, 5 und 12. 7

Zur völkerrechtlichen Entwicklung siehe statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum

(Fn. 5),

4 ff. 8 Ausführlich hierzu siehe insbesondere Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, 1983, 88 ff.; Scheuner, Die völkerrechtlichen Grundlagen der Weltwirtschaft in der Gegenwart, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Deutschen Juristentages, Bd. 2, 1954, A 19 (A 27 ff.). 9 Ausführlich hierzu auch Tietje, in: ders. (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2006, § 1 Rn. 36 ff.

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den. 10 Das wird allein schon dadurch belegt, dass es nach realistischen Schätzungen Ende 2005 über 300 regionale Integrationszonen als Freihandelsabkommen oder Zollunionen geben wird, die Einfluss auf das internationale Wirtschaftssystem nehmen.11 Schließlich sind als Akteure des internationalen Wirtschaftssystems verschiedene gouvernementale (staatliche), intermediäre und nicht-gouvernementale (private) Organisationen zu nennen.12 Ihre Anzahl ist kaum mehr zu überschauen, insbesondere wenn ein Blick über die klassischen gou vernementalen Organisationen wie IWF, Weltbank und WTO hinausgehend auf die unzähligen institutionalisierten Zusammenschlüsse privater Wirtschaftsakteure geworfen wird. Ihre Rolle im internationalen Wirtschaftssystem besteht zwar nicht in erster Linie darin, konkrete Wirtschaftstransaktionen zu vollziehen. Durch zahlreiche Koordinations-, Informations- und Standardisierungsaktivitäten nehmen sie aber unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf Transaktionen sowie auf politische Prozesse im internationalen Wirtschaftssystem.

I I I . Begriff und Gegenstand des Wirtschaftsrechts Um über die soziologische Betrachtung des internationalen Wirtschaftssystems hinausgehend dessen rechtliche Struktur ergründen zu können, ist in einem weiteren Schritt zunächst näher auf Begriff und Gegenstand des Wirtschaftsrechts allgemein einzugehen. Im Schrifttum werden hierzu unterschiedliche Ansätze vertreten, wobei diese im Wesentlichen durchgehend vom sozioökonomischen Vorverständnis der jeweiligen Autoren geprägt sind. Dabei stehen sich rein dogmatische und eher sozialwissenschaftlich orientierte Betrachtungen ebenso gegenüber, wie solche, die die Marktfreiheit der Wirtschaftssubjekte oder aber die Wirtschaftsintervention des Staates in den Vordergrund der Überlegungen stellen.13 In historischer Perspektive sind in dieser Diskussion zwei rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Strömungen von großer Bedeutung gewesen: die Diskussionen über die staatliche Daseinsvorsorge 14 und damit im Zusammenhang den (interventionistisch orientierten) Wohlfahrtsstaat 15 sowie in einem darüber hinausgehenden Sinne die Debat-

10

Zu Regionen als Akteuren im internationalen Wirtschaftssystem siehe z. B. Rode , Internationale Wirtschaftsbeziehungen, 2002, 149 ff. 11 Weitere Einzelheiten sind auf der Homepage der WTO verfügbar unter: . 12

Umfassend hierzu Rode, Weltregieren durch internationale Wirtschaftsorganisationen, 2002. 13

Einen ausführlichen Überblick bietet Fikentscher (Fn. 8), 16 ff.

14

Grundlegend Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938; ders., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 10. Aufl., 1973, 368 ff. 15

Zur Debatte im Überblick unter dem Stichwort „Wohlfahrtsstaat" in: Nohlen/Schultze/ Schüttemeyer (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7, 1998, 730 ff.

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te über das Modell der so genannten „mixed economy". 16 Über diese vorverständnisprägenden Grundsatzfragen hinausgehend wurde die Frage nach der Existenz und dem Gegenstand des Wirtschaftsrechts schließlich immer wieder von dem Problem geprägt, ob die sachgegenständliche Weite des gesamten auf die Wirtschaft bezogenen Rechts überhaupt eine eigenständige Erfassung der insofern maßgeblichen Rechtsnormen als Rechtssystem zulasse. Heute bestehen zunächst kaum noch Zweifel, dass die Komplexität des Gegenstandes des Wirtschaftsrechts nicht daran hindert, es als eigenständiges Rechtsgebiet systematisch zu erfassen. 17 Ebenso wie in anderen Rechtsbereichen, deren Komplexität und zum Teil Querschnittscharakter es zunächst erschwert haben, sie als rechtssystematisch eigenständige Rechtsbereiche anzuerkennen - beispielhaft sei auf das Umweltrecht verwiesen 18 - , weist das Wirtschaftsrecht übergeordnete Systemzusammenhänge auf, die seine eigenständige Erfassung als zusammenhängendes Rechtsgebiet rechtfertigen. Allerdings bedarf es dazu noch einer näheren Bestimmung des spezifischen Gegenstandes des Wirtschaftsrechts sowie seiner über die Gegenständlichkeit hinausgehenden theoretischen Fundierung. Die Diskussion zum eigentlichen Gegenstand „Wirtschaft" 19 ist im Wesentlichen durch die Fragen bestimmt, ob auf die „Wirtschaft" im umfassenden ökonomischen Sinne insgesamt abzustellen ist sowie ob es überdies einer normativen Konkretisierung des zunächst nur ökonomisch-tatsächlichen Begriffes bedarf. Was zunächst die Frage nach der Reichweite des maßgeblichen Begriffes „Wirtschaft" angeht, so erweisen sich Versuche einer inhaltlichen Reduzierung auf Einzelaspekte wie den Unternehmens-, Produktions-, Konfliktlösungs- oder konkreten Transaktionsbereich als untauglich,20 da es bei Anwendung eines solchen Ansatzes nie gelingen kann, den ökonomisch vorgegebenen und damit von der Rechtswissenschaft hinzunehmenden Lebenssachverhalt zu erfassen. Insofern hat die Rechtswissenschaft - wie auch in anderen Regelungsbereichen - die soziale Tatsächlichkeit zu akzeptieren. Diese geht über Einzelbereiche hinaus und determiniert den Begriff der Wirtschaft, wie bereits hervorgehoben, in einem umfassenden Sinne als all die Tätigkeiten, die der Versorgung mit knappen Gütern und Dienstleistungen dienen.21

16 Z u r Problematik dieser wirtschaftspolitischen Vorstellung aus jüngerer Zeit z. B. Williams/Reuten , The contradictory imperatives of welfare and economic policy in the mixed economy, Review of Political Economy 9 (1997), 411 ff. 17

Fikentscher (Fn. 8), 31; Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht AT, 1990, 37.

18

Siehe z. B. Kimminich, Das Recht des Umweltschutzes, 2. Aufl., 1973, 11 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., 2004, § 1 Rn. 60, Fn. 171 m. w. N. 19

Zusammenfassend hierzu Schmidt (Fn. 17), 38 ff.

20

Zu den diesbezüglich vertretenen Ansätzen siehe Fikentscher (Fn. 8), 21 ff.; Schmidt (Fn.17), 38, jeweils m. w. N. 21

Siehe bereits oben Fn. 6.

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Die gegenständliche Weite des anzuwendenden Wirtschaftsbegriffes ist allerdings in einem zentralen Punkt zu konkretisieren. Um den Wirtschaftsbegriff dem Wirtschaftsrecht als eigenständigem Rechtsgebiet zugrunde legen zu können, bedarf es einer normativen Zweckbestimmung. Andernfalls wäre eine systematische rechts wissenschaftliche Erfassung des Wirtschaftsrechts kaum möglich. Die Verwendung des Begriffes „Wirtschaftsrecht" und seine abstrakte wie auch konkrete Anwendung würden beliebig werden. 22 Daraus würde zwangsläufig folgen, dass eine eigenständige Erfassung des Wirtschaftsrechts scheitern müsste. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade eine behauptete fehlende normative Absicherung und daraus folgende Beliebigkeit als zentraler Einwand gegen die Eigenständigkeit des Internationalen Wirtschaftsrechts vorgebracht wurde. 23 Der normative Gehalt des Wirtschaftsrechts erschließt sich bei einem Blick auf die zwei Dimensionen, die mit dem Sachgegenstand „Wirtschaft" immer verbunden sind: Jede wirtschaftliche Tätigkeit stellt sich ganz oder zumindest zum Teil als freie Betätigung einer natürlichen oder juristischen Person auf der einen Seite oder als hoheitliche Intervention in Wirtschaftsprozesse auf der anderen Seite dar. 24 Diese grundlegende Erkenntnis ist in den Blick zu nehmen, um die normative Zielrichtung des Wirtschaftsrechts zu bestimmen, wobei hiermit keine Festlegung auf eine ausschließliche Perspektive impliziert ist. Vielmehr geht es nur darum, das Regel-/Ausnahmeverhältnis zwischen individueller wirtschaftlicher Betätigung und hoheitlicher Intervention zu bestimmen. Auf das Wirtschaftsrecht bezogen bedeutet dies, dass man, wenn man mit dem Recht eine prinzipielle Steuerungsfunktion verbindet, eine Entscheidung zwischen Selbststeuerung und Außensteuerung zu treffen hat. 25 Wirtschaft ist untrennbar mit Selbststeuerung der individuellen Wirtschaftssubjekte verbunden. Im Lichte der hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnenden philosophischen Fundierung der Wirtschaft 26 kann diese nur gedacht und gelebt werden, wenn die sie bestimmenden Vorgänge als individuelle Freiheitsverwirklichung verstanden werden. Damit ist nicht gesagt, dass es ausschließlich hierum geht; es besteht heute kein prinzipieller Streit mehr darüber, dass die individuelle wirtschaftliche Freiheitsverwirklichung nur dann zu optimalen Ergebnissen führen kann, wenn sie durch eine hoheitlich gesetzte Rechtsordnung gesichert wird. 27 Allerdings ist der so zum Ausdruck kommende Gedanke einer gesetzten Ordnung 22

Grundlegend Fikentscher (Fn. 8), 37; hiergegen aber z. B. Schmidt (Fn. 17), 39.

23

Ausführlich begründet von Joerges, Vorüberlegungen zu einer Theorie des internationalen Wirtschaftsrechts, RabelsZ 43 (1979), 6(17). 24 Fikentscher (Fn. 8), 4; Stober (Fn. 6), 9 („Eigenverantwortung, Mitverantwortung und Staatsverantwortung"). 25

Fikentscher (Fn. 8), 38 f.

26

Einen guten Überblick bietet Priddat , Theoriegeschichte der Wirtschaft, 2002.

27

Grundlegend Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, 1978, 59 ff. und passim.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

789

der oder für die Wirtschaft nicht der Ausgangspunkt von Wirtschaft. Vielmehr geht es zunächst um die spontane Ordnung der Wirtschaft, die einer „Ordnung aufgrund Gesetzgebung" immer überlegen ist, da letztere nie die Komplexität menschlichen Verhaltens für alle Beteiligten befriedigend regeln kann. 28 Wenn es aber bei der Wirtschaft gerade um eine befriedigende Regelung der Versorgung mit knappen Gütern geht, kann kein Ansatz verfolgt werden, der diese Aufgabe nie erfüllen kann. Gegen die normative Vorrangstellung individueller Freiheitsverwirklichung im Wirtschaftsbereich wurde immer wieder vorgebracht, dass damit die Möglichkeit und Notwendigkeit der rechtlichen Gestaltung der Gesellschaft als Aufgabe des Staates aus der Hand gegeben werde und die so wirkenden außerrechtlichen Kräfte einen Selbstzerstörungsprozess der Gesellschaft zur Folge haben müssten.29 Diese, insbesondere in der Staatsrechtslehre vertretene Auffassung verkennt die rechtsphilosophische Fundierung der Wirtschaft 30 und ist überdies schon mit positivrechtlichen Verfassungsvorgaben nicht zu vereinbaren. Das folgt namentlich aus der fundamentalen Grundentscheidung der Verfassungsordnung für die Freiheit des Individuums als Basis des Staates, die in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ihren Ausdruck findet, 31 sowie aus der verfassungsrechtlichen Verbürgung der speziellen Freiheitsrechte. 32 Die bis heute insbesondere in der Staatsrechtslehre vorzufindende Skepsis gegenüber der Vorrangigkeit der Selbststeuerung der Wirtschaft durch individuelle Freiheitsverwirklichung ist letztlich in der Tradition aristotelischen Gedankengutes begründet. Nach Aristoteles ist die wirtschaftliche Betätigung, die über den eigentlichen Gebrauch von Gütern hinausgeht, keinen Maßen und Gewohnheiten unterworfen und daher grenzen-, d. h. maßlos. In diesem Sinne erachtete er insbesondere den Handel als „unnatürlich" und als Störung der Ordnung der Polis. 33 Die bereits genannte Auffassung der zeitgenössischen Staatsrechtslehre entspricht weitgehend dieser aristotelischen Theorie der Ökonomie: Die Selbststeuerung der Wirtschaft, die im Sinne ökonomischer Rationalität zwangsläufig mit Gewinnstre28

v. Hayek , Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I, 1980, 33 ff.; ders., Die Verfassung der Freiheit, 1971, 194; zu den philosophischen Grundlagen siehe auch ders., Individualism and Economic Order, 1948 (Nachdruck 1980), 16 und passim. 29

Besonders deutlich so formuliert von Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., 1966, 591; hierzu ausführlich Mestmäcker (Fn. 27), 38 ff. 30

Umfassend Mestmäcker (Fn. 27), passim.

31

Siehe insb. BVerfGE 45, 187 (227); sowie aus dem Schrifttum statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl., 2004, Art. 1 I, Rn. 40 m. w. N. 22 Rupp, Die Soziale Marktwirtschaft in ihrer Verfassungsbedeutung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn 21: „Allgemeine Entfaltungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, Freizügigkeit, Berufsfreiheit und Schutz des Privateigentums in seinen verschiedenen Ausprägungen sprechen in der Tat nicht nur für eine liberale , Wirtschaftsverfassung', sondern für eine solche, die - um mit von Hayek zu sprechen - eine Verfassung »spontaner Ordnung' ist". (Hervorhebung im Original). 33

Zusammenfassend hierzu Priddat (Fn. 26), 16 f.

Christian Tietje

790

ben verbunden ist, wird als Gefährdung des Staates bzw. der rechtlichen Ordnung des Gemeinwesens angesehen. Der Begriff des Wirtschaftsrechts wird daher in nahezu unwissenschaftlicher Unterkomplexität nur als „ein Instrument der Steuerung und Marktordnung verstanden". 34 Das kann in einer freiheitlich fundierten Rechtsordnung nicht überzeugen. Im Ergebnis weisen Begriff und Gegenstand des Wirtschaftsrechts damit bereits auf den zentralen Aspekt hin, der die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung insgesamt bedingt. Dem Recht kommt kein Selbstzweck zu. Ausgangspunkt des Rechts ist vielmehr immer die Würde und Freiheit des Individuums. 35 In diesem Sinne verbürgt die konstitutionelle Anerkenntnis individueller Freiheitsverwirklichung als Grundbedingung einer ethisch fundierten Rechtsordnung, jene,spontane Ordnung 4 im Sinne von Hayeks, die als komplexes Entdeckungs-, Informationsund Lernverfahren den offenen Austauschprozess in Gang hält, dynamisch steuert und Anbieter und Nachfrager beteiligt". 36 In dieser normativen Dimension ist Wirtschaft daher grundsätzlich immer Selbststeuerung und nur im Ausnahmefall Außensteuerung, wobei der Hoheitsträger sich für die Ausübung von Außensteuerung stets rechtfertigen muss. Damit ist Wirtschaftsrecht mehr als das Recht des Wirtschaftens in einem wertneutralen Sinne. Es handelt sich vielmehr um das gesamte Recht,37 das sich auf die Selbststeuerung der Wirtschaft als Grundsatz und die Außensteuerung der Wirtschaft als Ausnahme bezieht. Wirtschaftsrecht kann es daher nur in einer Rechtsordnung geben, die die Selbst- und die Außensteuerung der Wirtschaft im dargelegten Regel-/AusnahmeVerhältnis verbürgt. 38

IV. Internationales Wirtschaftsrecht als Rechtsordnung 7. Begriffliche

Grundstrukturen

Wirtschaftsrecht im dargelegten Sinne ist inhärent international. 39 Das bedingt schon der das Wirtschaftsrecht prägende tatsächliche Begriff der Wirtschaft, der heute im Schwerpunkt als internationale Wirtschaft zu verstehen ist. 40 Ruft man in34

So z. B. Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 2. Aufl., 1999, § 100 Rn. 167 m. w. N. 35

Eindringlich mit Blick auf die Friedensfunktion des Rechts Delbrück/Dicke

(Fn. 2), 799.

36

Rupp (Fn. 32), § 203 Rn 23.

37 Zur Ausgrenzung einzelner Bereiche des Zivilrechts und ökonomisch orientierter rechtswissenschaftlicher Methoden siehe Fikentscher (Fn. 8), 15 f. 38

Zu entsprechenden Ansätzen siehe insbesondere Mestmäcker (Fn. 27), passim; Fikentscher (Fn. 8), 1 ff.; siehe auch Stober (Fn. 6), 10: „... ist der Mensch das alleinige, letzte Ziel allen Wirtschaftens". 39 Siehe auch Drucker, Trade Lessons from the World Economy, Foreign Affairs 73 (Nr. 1, 1994), 99. 40

Zur tatsächlichen Dimension siehe z. B. Tietje (Rn. 9), § 1 Rn. 4 ff.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

791

sofern nur in Erinnerung, dass in Deutschland allein im ersten Halbjahr 2003 die Summe der Exporte und Importe von Waren in Relation zum Bruttoinlandsprodukt etwa 56 % betrug, 41 zeigt sich, dass eine Reduzierung des Wirtschaftsrechts auf innerstaatliches Recht vollständig an der Realität vorbeigehen würde. Diese Erkenntnis hat allerdings dogmatisch noch nicht dazu geführt, dass es Einigkeit über den Begriff des Internationalen Wirtschaftsrechts selbst gibt - im Gegenteil: bis heute wird immer wieder versucht, eine begriffliche Konkretisierung herbeizuführen bzw. bestritten, dass diese möglich ist. 42 Hierbei bestehen im Wesentlichen folgende Probleme: Zunächst ist unklar, ob nur einzelne Sachbereiche oder das gesamte Recht der internationalen Wirtschaft dem Begriff zuzuordnen sind. Im wissenschaftlichen Schrifttum wurde der Begriff „Internationales Wirtschaftsrecht" lange Zeit nur selten gebraucht. 43 Wie bereits angedeutet, war und ist der Fokus einzelner Abhandlungen zu Sachbereichen, die dem Internationalen Wirtschaftsrecht zugeordnet werden können, weitgehend beschränkt. Auf der Grundlage einzelner Regelungsbereiche wird daher auch heute noch versucht, das Internationale Wirtschaftsrecht anhand einer systematischen Zusammenstellung zahlreicher einzelner Normenkomplexe zu erfassen. 44 Dieser Ansatz ist allerdings zwangsläufig deskriptiv geprägt und konzentriert sich auf diejenigen Rechtsregime, die primär der marktinterventionistischen Dimension des Wirtschaftsrechts zuzuordnen sind, was nicht überzeugt. 45 Aber auch unabhängig hiervon kann es einer rein deskriptiven Systematik des Internationalen Wirtschaftsrechts kaum gelingen, die prägenden Grundstrukturen dieses Rechtsgebietes aufzuzeigen. Eine zweite Problematik im Hinblick auf die Konkretisierung von Begriff und Gegenstand des Internationalen Wirtschaftsrechts besteht in der Frage danach, ob ein an Rechtsquellen oder am Sachgegenstand orientiertes Vorgehen angezeigt ist. Bei einer rechtsquellenorientierten Betrachtungsweise ist Ausgangspunkt der Analyse, dass es um „internationales" Wirtschaftsrecht geht. Dementsprechend werden nur die „internationalen" Rechtsbereiche dem internationalen Wirtschaftsrecht zugeordnet. Das sind namentlich das Völkerrecht (als internationales öffentli41

Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober, 2003, 18.

42

Im Überblick zu den verschiedenen Ansätzen insbesondere Schanze, Investitionsverträge im internationalen Wirtschaftsrecht, 1986, 21 ff.; Weiler, NAFTA Article 1105 and the Principles of International Economic Law, Columbia Journal of Transnational Law 42 (2003), 35 ff., jeweils m. w. N. 43 Jackson, Economic Law, International, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1995,20 (21); siehe jetzt aber u. a. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., 2003; Lowenfeld, International Economic Law, 2002; sowie das Journal of International Economic Law. 44 Siehe insbesondere Fischer, Das Internationale Wirtschaftsrecht - Versuch einer Systematisierung, GYIL 19 (1976), 143 ff.; ders., Gestaltwandel im Internationalen Wirtschaftsrecht, in: Hummer (Hrsg.), Paradigmen Wechsel im Völkerrecht, 2002, 209 ff. 45 Siehe insbesondere die Systematik von Fischer (Fn. 44), 160 ff.; kritisch hierzu Fikentscher (Fn. 8), 51 f;

792

Christian Tietje

ches Recht) und das Kollisions- bzw. Rechtsanwendungsrecht (als internationales Privatrecht). Bei diesem Ansatz kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen, und nur das internationale Recht der Wirtschaft im engeren Sinne als Internationales Wirtschaftsrecht ansehen. Da das Kollisions- und Rechtsanwendungsrecht in erster Linie innerstaatliches Recht ist, führt dies zu einer Begrenzung des Internationalen Wirtschaftsrechts auf das Wirtschaftsvölkerrecht. Dieser Ansatz wurde insbesondere von Georg Schwarzenberger prominent vertreten. 46 Dabei steht die Reduktion des Internationalen Wirtschaftsrechts auf das Wirtschaftsvölkerrecht in der Tradition des im Sinne eines Formalismus zu verstehenden strengen Rechtspositivismus der so genannten juristischen Methode, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich entwickelt wurde. 47 Bevor diese methodische Strömung ihre volle Wirkungskraft entfalten konnte, wurden durchaus über eine formalistische Rechtsquellenbetrachtung hinausgehende Konzepte zu einem umfassenden Recht der internationalen Wirtschaft entwickelt. So finden sich zum Beispiel bei Savigny Gedanken zu einem privatrechtlich strukturierten Recht des „Verkehr[s] der Völker" als neben dem klassischen staatsorientierten Völkerrecht stehendem internationalem Recht der Wirtschaft. 48 Die strikte Trennung von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht, die vom Rechtspositivismus gefordert wurde, führte dann allerdings schnell dazu, das es ein Internationales Wirtschaftsrecht, das sachgegenständlich begründet und nicht ausschließlich rechtsquellenorientiert dem Völkerrecht zugeordnet wird, nicht mehr geben konnte. 49 Das dualistische Verständnis des Verhältnisses von internationalem und innerstaatlichem Recht herrscht bis heute vereinzelt vor. Sofern man diesem positivistischen Rechts Verständnis folgt, ist es konsequent, als internationales Wirtschaftsrecht nur das „internationale Recht der Wirtschaft" anzusehen, was wiederum eine Konzentration auf das Wirtschaftsvölkerrecht bedingt. 50 Überzeugen kann dies 46

Schwarzenberger, The Principles and Standards of International Economic Law, RdC 117 (1966), 1 (7) definiert wie folgt: ,,[T]he branch of Public International Law which is concerned with (1) the ownership and exploitation of natural resources; (2) the production and distribution of goods; (3) invisible international transactions of an economic or financial character; (4) currency and finance; (5) related services and (6) the status and organisation for those engaged in such activities"; ebenso auch heute noch z. B. Fink, Grundzüge des Internationalen Wirtschaftsrechts, in: Fink/Schwartmann/Schollendorf (Hrsg.), Steuerberater Rechtshandbuch, Stand November 2002, 1 (6). 47 Umfassend hierzu Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 1993; im Hinblick auf die hier interessierenden Auswirkungen der juristischen Methode im Sinne einer strikten Trennung von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, 86 ff. m. w. N. 48

von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 8, 1849, 29 ff.; hierzu Joerges (Fn. 23), 10 f. 49 50

Siehe auch Joerges (Fn. 23), 13 ff.

So heute noch Fink (Fn. 46), 1 (2 f.); ebenso früher VerLoren van Themaat , The Changing Structure of International Economic Law, 1981, 9 f.; Schwarzenberger , A Manual of International Law, 5. Aufl., 1967, 109 ff.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

793

allerdings nicht. Der Dualismus begründet sich insbesondere auf der Vorstellung, dass internationales und innerstaatliches Recht grundlegend unterschiedliche Strukturmerkmale in dem Sinne aufweisen, dass ,,[w]enn es ein Völkerrecht gibt, ... es nur für die Verkehrsbeziehungen koordinierter Staaten unter einander gelten [kann]." 51 Das innerstaatliche Recht demgegenüber zeichne sich durch das Verhältnis Bürger-Hoheitsträger aus, eine Rechtsdimension, die das Völkerrecht gerade nicht kenne.52 Diese Aussagen mögen Ende des 19. Jahrhunderts noch richtig gewesen sein, heute hingegen sind sie kaum noch zu vertreten. Das internationale Recht hat sich in weiten Bereichen über die reine Koordination partikularer staatlicher Interessen hinausgehend fortentwickelt. Das zeigt sich zum Beispiel deutlich im Bereich des Menschenrechtsschutzes und des Schutzes globaler öffentlicher Güter. 53 Gerade die Regelung grenzüberschreitender wirtschaftlicher Sachverhalte war überdies schon immer von einer Vielzahl von Rechtsnormen geprägt, deren Entstehung und Anwendung von einem Wechselverhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht geprägt ist. Georg Erler hat hierauf frühzeitig hingewie54

sen. Insgesamt führen damit die gerade von Jost Delbrück wiederholt beschriebene Relativierung der Rolle des Staates im internationalen System sowie die zunehmende Herausbildung einer Gemeinwohlverantwortung, die unabhängig von territorialen Grenzen zu betrachten ist, 55 zu einem System von innerstaatlichem und internationalem Recht als funktional verbundene Einheit. 56 Diese funktionale Einheit von innerstaatlichem und internationalem Recht zeigt sich heute insbesondere im Wirtschaftsbereich. Beispielhaft hierfür kann heute zunächst auf das Außenwirtschaftsrecht verwiesen werden, das sich namentlich für die EG-Mitgliedstaaten als komplexe Regelungsstruktur im Mehrebenensystem von völkerrechtlichen, gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen Rechtsnormen darstellt. 57 Eine ausschließliche Verortung des Außenwirtschaftsrechts im innerstaatlichen Recht oder im Gemeinschaftsrecht ist daher nicht mehr möglich. Eine vergleichbare Situation lässt sich im Internationalen Privatrecht nachweisen. Die strikte Trennung zwischen dem (innerstaatlichen) Internationalen Privatrecht und dem (internationalen) Völkerrecht ist kaum noch aufrechtzuerhalten. Mit Blick auf 51

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, 20.

52

Näher zu dieser von Triepel begründeten Ansicht Tietje (Fn. 47), 90 ff.; Gassner , Heinrich Triepel - Leben und Werk, 2000, 446 ff. 53 Im Überblick hierzu Tietje , Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, DVB1. 2003, 1081 ff. m. w. N. 54

Erler, Grundprobleme des Internationalen Wirtschaftsrechts, 1956, 9 ff.

55

Siehe nur Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung,

2002.

56 Ausführlich Tietje (Fn. 47), 640 ff.; Thürer, Völkerrecht und Landesrecht - Thesen zu einer theoretischen Problembeschreibung, SZIER 1999, 217 ff. 57

Ausführlich hierzu Tietje (Fn. 9), § 1 Rn. 22.

794

Christian Tietje

die das Internationale Privatrecht und das Völkerrecht einheitlich verbindenden Menschenrechte, 58 die maßgeblich anzuwendenden Rechtsnormen bei komplexen internationalen Vertragsprojekten, das Binnenrecht internationaler Organisationen, das internationale Einheitsrecht, die Überwindung des Dogma der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts, die von der Rechtsprechung praktizierte Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch universelle Wertevorstellungen, den zunehmenden Einsatz des innerstaatlichen Zivilprozessrechts zur Verfolgung individueller Ansprüche aufgrund von Völkerrechtsverletzungen sowie die Proliferation internationaler Streitbeilegungsinstanzen mit unmittelbaren Klagemöglichkeiten für Individuen ist heute eine Einheit von Internationalem Privatrecht und Völkerrecht zu konstatieren. 59 Im Ergebnis erweist sich damit eine inhaltliche Begrenzung des Internationalen Wirtschaftsrechts auf das internationale Recht der Wirtschaft und dabei insbesondere auf das Wirtschaftsvölkerrecht als wenig überzeugend. Vielmehr ist der Begriff „Internationales Wirtschaftsrecht" in Übereinstimmung mit der heute wohl h. M. sachgegenständlich als Recht der internationalen Wirtschaft zu bestimmen, ohne dass hiermit eine prinzipielle Differenzierung zwischen öffentlichem oder privatem Recht verbunden wäre. 60 Allerdings bedarf es zu einer theoretischen Fundierung des so verstandenen Internationalen Wirtschaftsrechts auch einer Erfassung der wesentlichen materiellen Grundstrukturen, die diesem Rechtsgebiet zugrunde liegen.61

2. Die materielle Grundausrichtung

des Internationalen

Wirtschaftsrechts

Ebenso wenig wie mit Blick auf den isolierten Begriff des Wirtschaftsrechts ist es für das Internationale Wirtschaftsrecht möglich, eine werteneutrale theoretische Fundierung dieses Rechtsgebietes zu begründen. Vielmehr verlangt der unmittelbare Wirtschaftsbezug des Internationalen Wirtschaftsrechts eine Aussage dazu, wie, erstens, allgemein das Verhältnis von Recht und Wirtschaft und, zweitens, konkret das Verhältnis von Selbststeuerung und Außensteuerung der Wirtschaft aus der Sicht des Internationalen Wirtschaftsrechts zu beurteilen ist. Das Verhältnis von Recht und Wirtschaft und damit die sachgegenständliche Bezogenheit des Internationalen Wirtschaftsrechts insgesamt sind aus ökonomischer Perspektive zu beurteilen. Ohne dies hier im Einzelnen begründen zu müssen, zeigen dabei die maßgeblichen und heute dem Grunde nach unstrittigen wirt5

*Jayme, Internationales Privatrecht und Völkerrecht, 2003, 4.

59

Ausführlich Jayme (Fn. 58).

60

Ebenso Fikentscher (Fn. 8), 50 (allerdings mit der Bezeichnung „Weltwirtschaftsrecht"); Schanze (Fn. 42), 21 ff.; Fischer (Fn. 44), 150; ders. (Fn. 44), 212 f.; Herdegen (Fn. 43), § 1 Rn. 10; Behrens (Fn. 6), 483 ff.; Jackson (Fn. 43), 20 ff.; Lowenfeld (Fn. 43), 3. 61

Joerges (Fn. 23), 7; Behrens (Fn. 6), 485.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

795

schaftswissenschaftlichen Theorien zu den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, dass von einer „Einheit der Weltwirtschaft" 62 gesprochen werden kann. Namentlich die Erkenntnis weltweiter Wohlfahrtsmehrung aufgrund internationaler Arbeitsteilung 63 bildet hierbei die Grundlage für eine wechselseitige Verbundenheit der einzelnen nationalen Wirtschaftssysteme, die sich als zunehmend intensivierende weltweite Interdependenz darstellt. 64 Damit tritt eine Internationalisierung des bereits für den isolierten Begriff des Wirtschaftsrechts festgestellten konstitutiven Prozesses marktwirtschaftlicher Entscheidungen ein, und zwar umfassend und ungeachtet des tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes der Staaten. 65 In einer zweiten Dimension kennzeichnet das internationale Wirtschaftssystem die vorgegebene Existenz einzelner Jurisdiktionsräume. Trotz der sich intensivierenden weltweiten Interdependenz sind wirtschaftliche Transaktionen auch von ordnungspolitischen Rahmenbedingungen mitbestimmt. Diese werden von den Staaten oder regionalen Integrationszonen, soweit sie - wie die EG - über entsprechende Kompetenzen verfügen, politisch und/oder rechtlich gesetzt. Das internationale Wirtschaftssystem akzeptiert insofern eine „wirtschaftspolitische Reaktionsverbundenheit" 66 der zuständigen Hoheitsträger. Allerdings bedeutet das nicht, dass ihnen umfassend die Freiheit zukommt, wirtschaftliche Prozesse zu steuern. 67 Die Verfolgung ordnungspolitischer Ziele ist zunächst nur im Rahmen der u. a. durch die WTO-Rechtsordnung ausdrücklich belassenen Handlungsfreiräume möglich. Als Grundsatz gilt dabei, dass ordnungspolitische Maßnahmen der zuständigen Hoheitsträger diskriminierungsfrei, ohne Beeinträchtigung der Marktoffenheit und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips angewandt werden müssen. Dieser Grundsatz ist durch die WTO-Rechtsordnung differenziert und weit reichend ausgestaltet.68 Aber auch andere internationale Rechtsregime, wie das internationale Einheitsrecht im Transaktionsbereich, das internationale Finanz- und Währungsrecht, das internationale Transportrecht und das internationale Kommunikationsrecht, 69 enthalten zum Teil weit reichende Vorgaben, an denen sich ordnungspolitische Entscheidungen in den zuständigen Jurisdiktionsräumen ausrichten müssen. Eine rechtlich oder tatsächlich bestehende ordnungs62

Behrens (Fn. 6), 487.

63

Statt vieler Siebert , Weltwirtschaft, 1997.

64

Behrens (Fn. 6), 487 f.; Dieckheuer, Internationale Wirtschaftsbeziehungen, 5. Aufl., 2001, 25 ff.; Siebert (Fn. 63), 11 ff. 65 66

Behrens (Fn. 6), 488. Behrens (Fn. 6), 488.

67

So aber wohl Behrens (Fn. 6), 488.

68

Ausführlich hierzu Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998; ders., in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003, B.I.5 Rn. 47 ff. 69

Insgesamt hierzu die einzelnen Beiträge in: Tietje (Hrsg.) (Fn. 9).

Christian Tietje

796

politische Autonomie der Staaten oder der EG ist damit heute kaum mehr gegeben. Vielmehr zeigt sich ein System einer fortschreitenden globalen Vereinheitlichung ordnungspolitischer Rahmenbedingungen auf der einen Seite und verbleibender Handlungsspielräume auf der anderen Seite. Das entspricht dem ökonomischen Modell einer sinnvollen Balance zwischen Harmonisierung und Systemwettbewerb. 70 Zugleich folgt aus dieser Entwicklung, dass sich aus dem Internationalen Wirtschaftsrecht zunehmend Vorgaben für die einzelstaatlichen Verfassungsordnungen im Hinblick auf demokratische und rechtsstaatliche Strukturen ergeben. 71 Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass demokratische und rechtsstaatliche Strukturen eine wesentliche Voraussetzung für optimale Wohlfahrtsgewinne sind. Die damit auch und gerade im Internationalen Wirtschaftsrecht zu beobachtende „Harmonisierung der Zielstrukturen der Staaten"72 steht im Übrigen im Einklang mit einem nachweisbaren völkerrechtlichen Konstitutionalisierungsprozess insgesamt.73 Schließlich wirken über die Vornahme und ordnungspolitische Ausgestaltung wirtschaftlicher Transaktionen im engeren Sinne hinausgehend auch globale Gemeinwohlverpflichtungen einheitsstiftend im internationalen Wirtschaftssystem. Hierbei geht es in erster Linie um die Bedeutung, die globalen öffentlichen Gütern im internationalen System allgemein74 und damit auch im internationalen Wirtschaftssystem zukommt. 75 Insbesondere mit Blick auf den Umweltschutz zeigt sich durch das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung 76 eine enge Verbindung zwischen ökonomischen Gesichtspunkten einer optimalen Ressourcenallokation und Mechanismen zum Schutz und zur Verteilung globaler öffentlicher Güter. 77 Die genannten Grundstrukturen des internationalen Wirtschaftssystems sind nicht nur sozialer oder ethischer Natur, sondern rechtlich verfestigt. Sie lassen sich 70

Näher hierzu z. B. Tietje, 2003, vor Art 94-97 Rn. 25 ff. 71

in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), EGV/EUV, Bd. 2, Stand: April

Herdegen (Fn. 43), § 3 Rn. 51 f. m. w. N.

72

So für das internationale System insgesamt Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, 253. 73

Umfassend hierzu insbesondere Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, BDGVR 39 (2000), 427 ff. 74 Ausführlich hierzu Kaul/Grunberg/Stern, Defining Global Public Goods, in: dies. (Hrsg.), Global Public Goods - International Cooperation in the 21st Century, 1999, 2 ff. 15

Behrens (Fn. 6), 489.

76

Allgemein zu diesem Prinzip und seinem Bedeutungsgehalt statt vieler Tietje (Fn. 47), 363 ff.; Beyerlin, The Concept of Sustainable Development, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Environmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means?, 1996, 95 ff. jeweils m. w. N. 77 Siehe hierzu z. B. Kluttig, Welthandelsrecht und Umweltschutz - Kohärenz statt Konkurrenz, 2003; Tietje, Process Related Measures and Global Environmental Governance, in: Winter (Hrsg.), Multilateral Governance of Global Environmental Change, 2005 (im Erscheinen).

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im Kern auf Rechtsvorgaben der UN-Charta als Verfassungsurkunde der internationalen Gemeinschaft 78 zurückführen. Die UN-Charta statuiert in Art. 55 lit. a) und lit. b) i. V. m. Art. 56 eine für die U N und ihre Mitgliedstaaten bindende Verpflichtung zur Förderung der „Verbesserung des Lebensstandards, [der] Vollbeschäftigung und [der] Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Forschritt und Aufstieg" sowie zur,,Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie [der] internationale[n] Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und der Erziehung". In diesen Bestimmungen, die unmittelbar auf entsprechende Festlegungen zur internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Atlantik-Charta von 1941 zurückgehen 79 und auf deren Grundlage sich weit reichende Aktivitäten im Rahmen des UN-Systems gerade auf den Wirtschaftsbereich und speziell das Internationale Wirtschaftsrecht bezogen vollziehen, 80 kommt das internationale Verfassungsprinzip des positiven Friedens im Sinne der Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, orientiert an internationaler Wohlfahrt, sozialer Sicherheit i. w. S. und den Menschenrechten insgesamt,81 bereits zum Ausdruck. Der materielle Ausgangspunkt des Internationalen Wirtschaftsrechts ist hingegen nicht in den genannten objektiv-rechtlichen Vorgaben zu sehen, sondern findet sich in subjektiven Rechtsgarantien der individuellen Wirtschaftssubjekte. Ebenso wie im innerstaatlichen Bereich ist es dabei in erster Linie der Grundkanon der Menschenrechte, der systemprägend wirkt. 82 Die auf dem Bekenntnis zur Menschenwürde 83 aufbauenden Gewährleistungen klassischer Freiheits- und Gleichheitsrechte sowie zum Teil auch darüber hinausgehender Leistungs- und Teil78 Hierzu u. a. Dupuy , The Constitutional Dimension of the Charter of the United Nations Revisited, Max Planck Yearbook of United Nations Law 1 (1997), 1 ff.; Franck, Is the U.N. Charter a Constitution?, in: Frowein/Scharioth/Winkelmann/Wolfrum (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden - Liber Amicorum Tono Eitel, 2003, 95 ff.; Fassbender , The United Nations Charter as Constitution of the International Community, Columbia Journal of Transnational Law 36 (1998), 529 ff. 79

Siehe Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Vol. II, 2. Aufl., 2002, Art. 55 (a) and (b) Rn. 3. 80 Ausführlich Wolfrum (Fn. 79), Art. 55 (a) and (b) Rn. 23 ff.; Weiß, Shift in Paradigm: From the New International Economic Order to the World Trade Organization - Germany's Contribution to the Development of International Economic Law, GYIL 46 (2003), 171 ff. 81 Zur Konstitution des Friedens als Rechtsordnung siehe die Abhandlungen in: Delbrück (Fn. 1); sowie ders./Dicke (Fn. 2), 797 ff. 82 Ausführlich hierzu Fikentscher (Fn. 8), 100 ff; Petersmann, Prevention and Settlement of Transatlantic Economic Disputes: Legal Strategies for EU/US Leadership, in: ders./Pollack (Hrsg.), Transatlantic Economic Disputes - The EU, the US and the WTO, 2003, 3 (18 ff.); kurz auch Herdegen (Fn. 43), § 1 Rn. 14 ff. 83

Zur Menschenwürde als Basis des internationalen Menschenrechtsschutzes siehe Dicke, Die der Person innewohnende Würde und die Frage der Universalität der Menschenrechte, in: Bielefeldt/Brugger/Dicke (Hrsg.), Festschrift für Johannes Schwartländer zum 70. Geburtstag, 1992, 163 ff.

798

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haberechte 84 konstituieren zumindest in den wesentlichen Grundstrukturen eine globale freiheitliche Ordnung, die bereits für den isolierten Begriff des Wirtschaftsrechts als Grundlage marktwirtschaftlicher Strukturen herausgestellt wurde. 85 Zugleich wurde hierdurch die Vorstellung einer vollständigen Mediatisierung des Individuums durch den Staat aufgegeben und das Individuum selbst zum partiellen Völkerrechtssubjekt, was einen vermeintlichen Ausschließlichkeitsanspruch des Staates deutlich relativierte. 86 Die Zuerkennung eigener, völkerrechtsunmittelbarer Rechte ist dabei nicht zwingend an die Möglichkeit der individuellen Rechtsverfolgung auf internationaler Ebene geknüpft, wie der Internationale Gerichtshofjüngst ausdrücklich anerkannt hat. 87 Dessen ungeachtet stehen natürlichen und juristischen Personen zahlreiche Möglichkeiten der unmittelbaren und mittelbaren Rechtsverfolgung im Wirtschaftsbereich offen. Das betrifft u. a. die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit 88 und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit allgemein,89 aber auch die spezifischen Mechanismen im Rahmen der Weltbank 90 sowie mit Blick auf das Welthandelsrecht. 91 Damit findet die Gewährleistung individueller Rechtsgarantien im Wirtschaftsbereich heute auch eine weitgehende prozedurale Absicherung. Zusammenfassend zeigt sich damit, dass auch für das Internationale Wirtschaftsrecht von einem Regel-/Ausnahmeverhältnis zwischen Selbst- und Außensteuerung in dem Sinne gesprochen werden kann, dass es zunächst immer die spontane Ordnung des Marktes ist, die strukturprägend wirkt. Mit dieser Aussage 84

Zu Differenzierung der unterschiedlichen Dimensionen der Menschenrechte siehe Riedel, Die Universalität der Menschenrechte, 2003, 28; Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 8. Aufl., 2004, 392 ff. 85

Vgl. die Ausführungen oben unter III.

86

Statt vieler Delbrück, Menschenrechte und Souveränität, in: ders. (Fn. 1), 22 (26 f.); Hobe/Kimminich (Fn. 84), 222; D ahm/Delbrück/Wolf rum, Völkerrecht, Bd. 1/2, 2. Aufl., 2002, 259 ff.; frühzeitig und grundlegend zum gesamten Themenkomplex Menzel, Die Einwirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das deutsche Recht, DÖV 1970, 509 ff. 87 IGH, LaGrand Case, ICJ Reports 2001, Rn. 77; in deutscher Übersetzung abgedruckt in: EuGRZ 2001, 287 ff. 88 Hierzu z. B. Tietje, Grundstrukturen und aktuelle Entwicklungen des Rechts der Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten, 2003; sowie Reinisch, in: Tietje (Fn. 9), § 5 Rn. 1 ff. 89 Hierzu z. B. Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: ders. (Hrsg.), Internationale Schiedsgerichtsbarkeit: Generalbericht und Nationalberichte, 1997,1-160; Girsberger, Entstaatlichung der friedlichen Konfliktregelung zwischen nichtstaatlichen Wirkungseinheiten: Umfang und Grenzen, BDGVR 39 (2000), 231 ff. 90 Mosler, Finanzierung durch die Weltbank, 1987, 176; Lücke, Internationaler Währungsfonds, 1997, 281; Schlemmer-Schulte, The World Bank, its Operations and its Inspection Panel, Recht der Internationalen Wirtschaft 45 (1999), 175 ff. 91 Hierzu ausführlich Tietje/Nowrot, Forming the Centre of a Transnational Economic Legal Order? Thoughts on the Current and Future Position of Non-State Actors in WTO Law, European Business Organization Law Review 5 (2004), 321 ff.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

799

muss nicht zwingend eine vollumfángliche menschenrechtliche Ausrichtung des Internationalen Wirtschaftsrechts verbunden sein.92 Entscheidend ist nur, dass durch die wirtschaftsbezogenen Aussagen in Art. 55, 56 UN-Charta und die hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden menschenrechtlichen Garantien für die Annahme einer rein politisch-machtorientierten Ausrichtung des internationalen Wirtschaftssystems kein Raum mehr ist. 93 Damit entfällt ein wesentliches Argument gegen die Begründbarkeit eines einheitlichen Internationalen Wirtschaftsrechts. 94 Zugleich wird deutlich, dass sich das Internationale Wirtschaftsrecht längst nicht mehr in einem „Rohzustand eines ungeordneten Laisser-faire" befindet. 95 Über die „Integration der nationalen Wirtschaftsordnungen in den globalen Wirtschaftsverkehr" 96 hinausgehend ist das Internationale Wirtschaftsrecht Ausdruck des Regel-/Ausnahmeverhältnisses von Selbst- und Außensteuerung in der internationalen Wirtschaft. Es ist damit mehr als eine wertneutrale „Ordnung der Wirtschaftsbeziehungen von Staaten und internationalen Organisationen sowie des von Privaten getragenen Verkehrs von Gütern, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren (unter Einschluss des gesellschaftsrechtlichen Rahmens)".97 Aufgrund seiner materiellen Ausrichtung an subjektiven Rechtsgarantien der Freiheitsentfaltung und an objektiv-rechtlichen Vorgaben im Hinblick auf globale Gemeinwohlbelange ist das Internationale Wirtschaftsrecht vielmehr in Übereinstimmung mit Fikentscher als dasjenige Recht zu definieren, „dessen Aufgabe es ist, die Freiheit des Zuordnungswechsels und die Zuordnung der für die Weltwirtschaft erheblichen Güter in allgemeinen Grundsätzen sowie durch globale und spezielle Eingriffe mit dem Ziel gerecht ausgewogener Entfaltung und Versorgung zu regeln". 98

92 Siehe hierzu die Kontroverse zwischen Petersmann , Time for a United Nations 'Global Compact' for Integrating Human Rights into the Law of Worldwide Organizations: Lessons from European Integration, European Journal of International Law 13 (2002), 621 ff; ders., Taking Human Rights, Poverty and Empowerment of Individuals More Seriously: Rejoinder to Alston, European Journal of International Law 13 (2002), 845 ff.; und Howse, Human Rights in the WTO: Whose Rights, What Humanity? Comment on Petersmann, European Journal of International Law 13 (2002), 651 ff.; Alston, Resisting the Merger and Acquisition of Human Rights by Trade Law: A Reply to Petersmann, European Journal of International Law 13 (2002), 815 ff. 93 Ein etatistisch orientiertes Verständnis des Weltwirtschaftsrechts wird hingegen auch heute noch vertreten von Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, 1995, passim; hierzu Tietje, Buchbesprechung zu Stefan Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, 1995, GYIL 38 (1995), 456 ff. 94

Anders allerdings noch Joerges (Fn. 23), 49.

95

So noch Raiser, Der Ordnungsrahmen des internationalen Wirtschaftsrechts, in: Sauermann/Mestmäcker (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung - Festschrift für Franz Böhm zum 80. Geburtstag, 1975, 485 (491); dem in der Tendenz folgend auch Schmidt (Fn. 17), 204. 96

Herdegen (Fn. 43), § 1 Rn 11.

97

So die Definition von Herdegen (Fn. 43), § 1 Rn 11.

98

Fikentscher (Fn. 8), 49, der insofern allerdings von Weltwirtschaftsrecht spricht.

800

Christian Tietje

V. Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung Bei der hier vorgelegten Begründung von Begriff und Gegenstand des Internationalen Wirtschaftsrechts wurde die Entwicklungsperspektive bislang nicht weiter diskutiert. Diese spielt indes seit vielen Jahren eine wichtige Rolle bei der Frage nach der ethisch und rechtlich angemessenen Ausgestaltung der internationalen Systems und damit auch des internationalen Wirtschaftssystems. Allerdings ist die Debatte zum Recht auf Entwicklung" zum Teil auch heute noch von den problematischen Regelungsanstrengungen zur Schaffung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung gekennzeichnet. Das führt auf den ersten Blick zu dem Eindruck, dass die dargelegte materielle Bestimmung von Begriff und Gegenstand des Internationalen Wirtschaftsrechts in prinzipiellem Widerspruch zum Recht auf Entwicklung steht. Ob das jedoch tatsächlich der Fall ist, soll nachfolgend näher untersucht werden. Angesichts der zumindest politischen Bedeutung, die dem Recht auf Entwicklung in der internationalen Diskussion beigemessen wird, erscheint eine entsprechende Analyse auch notwendig, zumal erst in jüngerer Zeit näher auf Einzelaspekte des Internationalen Wirtschaftsrechts im Verhältnis zum Recht auf Entwicklung eingegangen wird. 1 0 0

7. Geschichte und Stand der Diskussion zum Recht auf Entwicklung Als Urheber des Begriffes von einem „right to development" gilt bekanntlich der Senegalese Keba M'Baye, der im Jahre 1972 im Rahmen einer Vorlesung am International Institute of Human Rights in Straßburg davon sprach, dass das Recht auf Entwicklung jedem Menschen zustehe, da „every man has a right to live and a right to live better". 101 Seit der so erfolgten begrifflichen Begründung des Rechts auf Entwicklung bestimmt es weite Bereiche der internationalen Diskussion, das allerdings in wechselnder Intensität. Dabei waren die 1970er und auch noch die erste Hälfte der 1980er Jahre zunächst von einer heftigen Kontroverse zwischen 99 Zusammenfassend hierzu aus jüngerer Zeit Nuscheier, „Recht auf Entwicklung": Ein „universelles Menschenrecht" ohne universelle Geltung, in: von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 305 ff. 100 Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Mainstreaming the right to development into international trade law and policy at the World Trade Organization (paper by Robert Howse), UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/2004/17 v. 9.6.2004. 101 M'Baye, Le droit au developpement comme un droit de l'homme, Revue des droits de l'homme 5 (1972), 505 ff.; hierzu und zur Geschichte insgesamt u. a. Bunn, The Right to Development: Implications for International Economic Law, American University International Law Review 15 (2000), 1425 (1433); Gros Espiell, The Right of Development as a Human Right, Texas International Law Journal 16 (1981), 189 ff.; Rich, The Right to Development as an Emerging Human Right, Virginia Journal of International Law 23 (1983), 292 ff.; Kiwanuka, Developing Rights: The U N Declaration on the Right to Development, Netherlands International Law Rev. 35 (1988), 257 ff.; Auprich, Das Recht auf Entwicklung als kollektives Menschenrecht, 2000, 75 ff.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

801

den industrialisierten Ländern und den Entwicklungsländern geprägt, die im Wesentlichen im Zusammenhang mit der Debatte über eine so genannte Neue Weltwirtschaftsordnung stand.102 1986 kam es zur Verabschiedung der „Declaration on the Right to Development" als Resolution der UN-Generalversammlung. 103 Da die Resolution mit 146 Ja-Stimmen bei nur acht Enthaltungen und einer Nein-Stimme der USA angenommen wurde, schien sich spätestens zu diesem Zeitpunkt die schon früher geäußerte Prognose, dass ein Widerstand gegen die Anerkennung des Rechts auf Entwicklung keinen Erfolg haben werde, 104 zu bewahrheiten. Zumindest politisch wurde ein universeller Konsens über das Recht auf Entwicklung dann endgültig auf der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz 1993 erzielt. In der Wiener Erklärung wird „the right to development, as established in the Declaration, as a universal und inalienable right and an integral part of fundamental human rights" ausdrücklich anerkannt. 105 Im Anschluss hieran befasste sich die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen seit 1997 durchgehend bis heute mit dem Recht auf Entwicklung. 106 1998 beschloss der ECOSOC einen Follow-up-Mechanismus, bestehend aus einer Open-ended Working Group und der Ernennung eines unabhängigen Experten, zum Recht auf Entwicklung. 107 Seither hat der Unabhängige Experte Aijun Sengupta verschiedene Berichte zur Konkretisierung des Rechts auf Entwicklung vorgelegt. 108 Überdies haben die Menschenrechtskommission und die Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights immer wieder Entscheidungen getroffen bzw. Resolutionen zur weiteren Arbeit zu dem Thema verabschiedet. 109 Begleitend hierzu stand das Thema kontinuierlich auf der Tagesordnung der UN-Generalversammlung110 und wurde verschiedentlich in Berichten des UN-Generalsekretärs aufgegriffen, wobei u. a. sein ausschließlich dem Recht auf Entwicklung gewidmeter Bericht für die 58. Generalversammlung zu erwähnen ist. 111 102

Im Überblick zu dieser Debatte aus jüngerer Zeit z. B. Weiß (Fn. 80), 171 ff.

103

U N Doc. A/RES/41/128 v. 4.12.1986.

104

So frühzeitig Tomuschat , Das Recht auf Entwicklung, GYIL 25 (1982), 85; siehe auch Nuscheier (Fn. 99), 310. 105 Vienna Declaration and Programme of Action, UN-Dok. A/CONF. 157/23 v. 12.7.1993, para. 10. 106

Ausführlich Auprich (Fn. 101), 128 ff.

107

ECOSOC Decision 1998/269 v. 30.7.1998.

108 Zusammenfassend wiedergegeben von Sengupta, On the Theory and Practice of the Right to Development, Human Rights Quarterly 24 (2002), 837 ff. 109 Zuletzt Resolution 2004/7, The right to development, Commission on Human Rights, UN-Dok. E/CN.4/2004/L. 11/Add. 1 v. 13.4.2004; Decision 2003/116 v. 14.8.2003, The right to development, Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/2003/L.7 v. 6.8.2003. 110

Siehe insbesondere die United Nations Millennium Declaration, A/RES/55/2 v. 18.8.2000, para. 11 ff.; sowie aus jüngerer Zeit Res. 57/223, The right to development, A/RES/57/223 v. 27.2.2003. 111 The right to development, Report by the Secretary-General, UN-Dok. A/58/276 v. 12.8.2003.

802

Christian Tietje

Ob und inwieweit ein Konsens der Staatengemeinschaft zu einzelnen Aspekten des Rechts auf Entwicklung besteht, ist schwer festzustellen und muss jedenfalls auf Details bezogen bezweifelt werden. Gerade in jüngerer Zeit hat sich insoweit verschiedentlich eine ablehnende Haltung industrialisierter Staaten gegenüber ihrer Ansicht nach zu weitgehenden Interpretationen des Rechts auf Entwicklung durch die Entwicklungsländer gezeigt. 112 Die Grundidee des Rechts auf Entwicklung, die in der Zusammenführung entwicklungspolitischer und menschenrechtlicher Konzepte besteht, wird aber weiterhin von einem internationalen Konsens getragen. Darauf lassen zumindest die im Frühjahr 2002 im Konsensus von der Working Group on the Right to Development angenommenen Conclusions ihrer bisherigen Arbeit schließen.113 Damit ist allerdings noch keine Aussage zu einem internationalen Konsens über die drei zentralen Diskussionspunkte getroffen, die politisch immer wieder zu Kontroversen führen. Namentlich ist bis heute über rechtsdogmatische Fragen hinausgehend politisch problematisch, ob 1) mit dem Recht auf Entwicklung Ansprüche der Entwicklungsländer auf positive Transferleistungen verbunden sind, 2) ob sich hieraus konkrete makroökonomische Forderungen im Hinblick auf Ausgestaltung einzelner weltwirtschaftlicher Rechtsregime ableiten lassen, sowie 3) ob möglicherweise unter Berufung auf Entwicklungsnotwendigkeiten eine Einschränkung individueller Freiheitsrechte zu rechtfertigen ist (wie insbesondere von einigen asiatischen Staaten vertreten). 114 Überdies ist bis heute unklar und strittig, ob und ggf. inwieweit dem Recht auf Entwicklung überhaupt völkerrechtliche Bedeutung zukommt bzw. jemals zukommen kann. Eine detaillierte Diskussion aller Einzelfragen, die mit dem Recht auf Entwicklung verbunden sind, kann und soll hier nicht geleistet werden. Vielmehr erscheint es im Lichte der Überlegungen zum Begriff und Gegenstand des Internationalen Wirtschaftsrecht angezeigt, einige konzeptionelle Gedanken zum Recht auf Entwicklung vorzustellen. Das betrifft die inhaltliche Ausgestaltung des Rechts auf Entwicklung sowie darauf aufbauend dessen völkerrechtsdogmatische Einordnung.

112 Detailliert hierzu Marks , The Human Right to Development: Between Rhetoric and Reality, Harvard Human Rights Journal 17 (2004), 137 (141 f.) m. w. N. 113 Right to Development, Report of the open-ended Working Group on the Right to Development on its third session, UN-Dok. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002; die hierauf bezogene Resolution 2002/69 der Menschenrechtskommission wurde ohne Gegenstimme, allerdings bei 15 Enthaltungen, angenommen; zu den spezifischen Gründen einer eher zurückhaltenden Einstellung verschiedener industrialisierter Staaten siehe Marks (Fn. 112), 141 f. 114

Zu diesen Problembereichen u. a. Nuscheier (Fn. 99), 310 f.; Marks (Fn. 112), 141 ff.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

803

2. Inhalte des Rechts auf Entwicklung Mit dem Recht auf Entwicklung werden in der gegenwärtigen Diskussion zwei Dimensionen verbunden, eine internationale und eine innerstaatliche. Dabei werden in beiden Bereichen objektivrechtliche und subjektivrechtliche Rechtsnormen ausgemacht, die das Recht auf Entwicklung kennzeichnen. In der internationalen Dimension wird zunächst regelmäßig auf die universell anerkannten und in zahlreichen Rechtsinstrumenten niedergelegten fundamentalen Freiheits- und Gleichheitsrechte Bezug genommen. Dabei wird allerdings darauf verwiesen, dass die Verwirklichung der Menschenrechte in erster Linie eine innerstaatliche Aufgabe ist, auch wenn es insoweit Wechselbeziehungen zum internationalen System gibt. 115 Neben diesen subjektivrechtlichen Normen wird das Recht auf Entwicklung in objektivrechtlicher Hinsicht mit Blick auf hier interessierende weltwirtschaftliche Aspekte an so genannten „core principles" festgemacht. Zu diesen soll u. a. „equality, equity, non-discrimination, transparency, accountability, participation and international cooperation, including partnership and commitments" gehören. 116 Die so genannte nationale Dimension des Rechts auf Entwicklung wird von zwei zentralen Prämissen geprägt. Zunächst betonen u. a. die „conclusions" der Arbeitsgruppe zum Recht auf Entwicklung, dass „the basic responsibility for the realization of all human rights lies with the State". 117 Weiterhin wird betont, dass „States have the primary responsibility for their own economic and social development, and the role of national policies and development strategies cannot be overemphasized." In Ergänzung hierzu wird „the necessity of establishing, at the national level, an enabling legal, political, economic and social environment for the realization of the right to development" hervorgehoben. 118 Damit im Zusammenhang stehen die Verweise auf Armutsbekämpfung, Stärkung der Rolle der Frau in der Gesellschaft, Beachtung der Rechte der Kinder, Bekämpfung von HIV/AIDS, Förderung der Good Governance, Intensivierung der Partnerschaft zur Zivilgesellschaft und Bekämpfung der Korruption sowie, systematisch nicht ganz passend, die New Partnership for Africa's Development (NEPAD). 119 Auch die nationale Dimension des Rechts auf Entwicklung ist damit von subjektivrechtlichen und objektivrechtlichen Rechtsnormen gekennzeichnet. Das entspricht dem Wesen der 115 Siehe hierzu und zu den nachfolgenden Punkten die conclusions der open-ended Working Group on the Right to Development, UN-Dok. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002, para. 95 ff. 116

UN-Dok. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002, para. 100.

117

UN-Dok. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002, para. 103.

118

UN-Dok. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002, para. 104.

119

UN-Dok. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002, para. 105; zur hier nicht weiter behandelten NEPAD siehe Röhmer, New Partnership for Africa's Development - Nepad, MRM-MenschenRechtsMagazin Heft 3/2002, 168 ff.

804

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so genannten Rechte der dritten Generation, zu denen das Recht auf Entwicklung an prominenter Stelle gehört. 120 Im Übrigen wird die so deutlich werdende Parallelität der Regelungsanstrengungen auch in der konkreten Umsetzung des Rechts auf Entwicklung deutlich. Dazu kann beispielhaft aus jüngerer Zeit auf den entwicklungspolitischen Aktionsplan für Menschenrechte 2004-2007 des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom Juli 2004 verwiesen werden. 121 Die Mehrdimensionalität und auch die inhaltliche Reichweite des Rechts auf Entwicklung waren natürlich schon immer der wesentliche Grund für intensive politische und wissenschaftliche Auseinandersetzungen über seine tatsächliche und wünschenswerte Relevanz in der internationalen Rechtsordnung. Auf die damit u. a. angedeutete Frage nach der völkerrechtsdogmatischen Einordnung des Rechts auf Entwicklung ist noch einzugehen. Zuvor soll allerdings aufgezeigt werden, ob und ggf. in welcher Form sich die oben genannten Inhalte des Rechts auf Entwicklung in die normative und rechtspositive Struktur des Internationalen Wirtschaftsrechts einfügen. Wie bereits angedeutet, ist Ausgangspunkt der rechtlichen Gestaltung des internationalen Wirtschaftssystems die Garantie individueller Freiheit und Gleichheit. Dem liegt die fundamental und zunächst keinen weltwirtschaftlichen Bezug aufweisende Fundierung der Menschenwürde als Grundnorm der Menschenrechte insgesamt zugrunde. 122 Überdies kommt damit zum Ausdruck, dass an der Basis des Internationalen Wirtschaftsrechts ebenso wie des Völkerrechts allgemein ,glicht der Staat, sondern der Mensch steht". 123 Spezifisch wirtschaftsrechtlich betrachtet kann schließlich nur unter den Bedingungen individueller Freiheit und Gleichheit, ausgedrückt u. a. in der Privatautonomie, der Gewerbefreiheit und dem Eigentumsschutz, erreicht werden, dass Transaktionskosten minimiert und damit optimale Wohlfahrtsgewinne generiert werden. Insgesamt kann damit die durch individuelle Rechtsgarantien konstituierte Ausrichtung der Wirtschaftsordnung heute als Leitvorstellung des Internationalen Wirtschaftsrechts bezeichnet werden. 124 Dem entsprechen die Verweise auf die Menschenrechte in der Diskussion über das Recht auf Entwicklung.

120

Statt vieler hierzu insbesondere mit Blick auf das Recht auf Entwicklung Riedel , Die Menschenrechte der dritten Generation als Strategie zur Verwirklichung der politischen und sozialen Menschenrechte, in: Perez Esquivel (Hrsg.), Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht - Von der Nord-Süd-Konfrontation zur Weltsozialpolitik, 1989,49 (56 ff.). 121 Verfügbar unter: . 122

Zur Bedeutung der Menschenwürde Dicke (Fn. 83).

123

Für das allgemeine Völkerrecht hierzu Riedel (Fn. 84), 49 und 56 m. w. N.; Tomuschat (Fn. 104), 99 f. 124

Herdegen (Fn. 43), § 3 Rn. 8.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

805

In objektivrechtlicher Hinsicht haben die im Recht auf Entwicklung ebenfalls zum Ausdruck kommende Beachtung der „rule of law" in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen und das Prinzip der „good governance" heute große Bedeutung im Internationalen Wirtschaftsrecht. Nachdem lange Zeit im internationalen Finanz-, Währungs- und Handelsrecht ein machtpolitisch-diplomatischer Ansatz vorherrschte, hat sich im Bretton-Woods-System insgesamt spätestens seit Mitte der 1990er Jahre eine Orientierung an der rule of law durchgesetzt. 125 Zum Ausdruck kommt dies auch in der Seoul-Erklärung der International Law Association über die fortschreitende Entwicklung von Völkerrechtsprinzipien einer Weltwirtschaftsordnung vom August 1986 126 sowie in ihrer „Declaration on the Rule of Law in International Trade" aus dem Jahre 2000. 127 Überdies sind verschiedene einzelne Rechtsprinzipien, die aus der rule of law abzuleiten sind, heute in der Streitbeilegungspraxis der WTO und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit anerkannt; hierzu gehören die Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und damit im Zusammenhang stehend die zumindest mittelbare Rechtsrelevanz von Präjudizien, das Transparenzprinzip, das Prinzip von Treu und Glauben, das Rechtsmissbrauchsverbot, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie das Prinzip des fairen Verfahrens („due process"). 128 In einzelstaatlicher Perspektive wird die rule of law schließlich durch das übergreifende Prinzip der good governance ergänzt. Dieses zielt im Sinne von Gedanken, die Max Weber frühzeitig formuliert hat, u. a. darauf ab, durch die Schaffung von rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen eine optimale Ressourcenallokation zu ermöglichen. „Good governance" ist heute zentraler rechtlicher und gesellschaftspolitischer Ansatzpunkt für die Tätigkeit der maßgeblichen internationalen Finanz-, Währungs- und Entwicklungsorganisationen. 1 2 9

125

Für das Welthandelsrecht z. B. Jackson , The World Trading System, 2. Aufl., 1997, 109 ff. und passim; WTO, India-Quantitative Restrictions , Report of the Panel v. 6.4.1999, WT/DS90/R, para. 5.101; für das internationale Finanz- und Währungsrecht z. B. Bayne/ Woolcock , Economic Diplomacy in the 2000s, in: dies. (Hrsg.), The New Economic Diplomacy - Decision-Making and Negotiation in International Economic Relations, 2003, 287 (291 f.). 126

ILA, Report of the Sixty-Second Conference, Seoul 1986, 2 ff.; hierzu auch Oppermann, Die Seoul-Erklärung der International Law Association vom 29.-30. August 1986 über die fortschreitende Entwicklung von Völkerrechtsprinzipien einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in: Böckstiegel/Folz/Mössner/Zemanek (Hrsg.), Völkerrecht - Recht der Internationalen Organisationen - Weltwirtschaftsrecht, Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, 1988, 449 ff. 127

ILA, Report of the Sixty-Ninth Conference, London 2000, 193 ff.

128

Ausführlich hierzu z. B. Weiler (Fn. 42), 45 ff.; Hilf, Power, Rules and Principles Which Orientation for WTO/GATT Law?, Journal of International Economic Law 4 (2001), 111 ff. 129 Ausführlich Botchway, Good Governance: The Old, the New, the Principle, and the Elements, Florida Journal of International Law 13 (2001), 159 ff.

806

Christian Tietje

Das Internationale Wirtschaftsrecht wird weiterhin von den in erster Linie auf die WTO-Rechtsordnung bezogenen Prinzipien der Offenheit der Märkte und der Nichtdiskriminierung bestimmt. 130 Systemprägend wirkt weiterhin das Prinzip relativer staatlicher Regelungsfreiheit, zu dem auch das völkerrechtliche Prinzip der Jurisdiktionshoheit einschließlich der zunehmend wichtiger werdenden Vorgaben für die extraterritoriale Rechtsanwendung gehört. 131 Hinzuweisen ist auch noch auf das Kooperations- und Solidaritätsprinzip im Internationalen Wirtschaftsrecht. 132 Dieses findet seine rechtsnormative Grundlage in erster Linie in Art. 55 lit. a), 56 UN-Charta. 133 Es statuiert als Optimierungsgebot eine Verpflichtung der Staaten, der wirtschaftlichen Situation der schwächer entwickelten Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft durch entsprechende Maßnahmen angemessen Rechnung zu tragen. Damit ist allerdings nicht eine umfassende Verpflichtung zu Transferleistungen verbunden. Vielmehr richtet sich das Kooperations- und Solidaritätsprinzip zumindest im Internationalen Wirtschaftsrecht daran aus, ob bestehende Ungleichverteilungen zu rechtfertigen sind; nur wenn dies nicht der Fall ist, greifen positive Umverteilungsverpflichtungen. 134 In diese Richtung hat auch der Appellate Body der WTO den Verweis in der Präambel des WTOÜbereinkommens auf das Kooperations- und Solidaritätsprinzip interpretiert. 135 Auch im sonstigen Internationalen Wirtschaftsrecht lässt sich eine entsprechende Verankerung des Kooperations- und Solidaritätsprinzips nachweisen.136 Schließlich hat gerade in jüngerer Zeit das Prinzip der Bewahrung und gerechten Verteilung von globalen öffentlichen Gütern zunehmende Bedeutung auch im Internationalen Wirtschaftsrecht erlangt. Die rechtliche Relevanz von Normen, die sich auf globale öffentliche Güter beziehen, ergibt sich dabei bereits vor einem wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund, da öffentliche Güter keine Güter sind, auf die der normale (spontane) Marktmechanismus Anwendungfindet. Daher ist aufgrund des so vorliegen130

Ausführlich Tietje Rn. 13 ff.

(Fn. 68), 189 ff.; Berrisch, in: Prieß/Berrisch (Fn. 68), B.I.l.

131 Zum Prinzip relativer staatlicher Regelungsfreiheit siehe Tietje (Fn. 68), 291 ff.; ders. (Fn. 9), § 1 Rn. 97 ff.; zur Jurisdiktionshoheit und zur extraterritorialen Rechtsanwendung statt vieler Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, passim. 132 Ausführlich hierzu für das allgemeine Völkerrecht Dahm/Delbriick/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/3, 2. Aufl., 2002, 851 ff.; siehe auch z. B. Tomuschat (Fn. 104), 98 f.; Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, 233 ff. 133

Allgemein hierzu Wolfrum

(Fn. 79), Art. 55 (a) and (b) Rn. 5 ff.

134

Detailliert hierzu, auch unter Verweis auf das entsprechende Differenzprinzip von John Rawls, Tietje (Fn. 68), 326 ff. 135

WTO, EC- Ta riff Preferences, Report of the Appellate Body v. 7.4.2004, WT/DS246/ AB/R, para. 92 ff.; hierzu auch Jessen, Zollpräferenzen für Entwicklungsländer: WTOrechtliche Anforderungen an Selektivität und Konditionalität - Die GSP-Entscheidung des WTO Panel und Appellate Body, 2004, passim. 136

Umfassend Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, 1994, passim.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

807

den Marktversagens eine hoheitliche Intervention in das Marktgeschehen notwendig und gerechtfertigt. 137 Auf das internationale System übertragen führen diese Überlegungen zu der Erkenntnis, dass einzelne Rechtsgüter einem universellen Schutz unterstellt werden müssen, der gerade nicht mehr eine konditionale Verknüpfung mit einzelstaatlichen Interessen aufweist. 138 Für das allgemeine Völkerrecht wurde dies im wissenschaftlichen Schrifttum mit Blick auf Erga-omnes- Verpflichtungen und Staatengemeinschaftsinteressen bereits umfangreich nachgewiesen.139 Im Internationalen Wirtschaftsrecht steht die Frage im Vordergrund des Interesses, wie und durch welche internationalen Regelungsmechanismen die Bewahrung und gerechte Verteüung globaler öffentlicher Güter in Abwägung zur grundsätzlich anerkannten Notwendigkeit einer spontanen Ordnung der Märkte realisiert werden kann. Das betrifft den Weltwarenhandel 140 ebenso wie zum Beispiel zahlreiche Bereiche des geistigen Eigentumsschutzes,141 wobei jeweils der Umwelt- und der Gesundheitsschutz sowie die Menschenrechte insgesamt als globale öffentliche Güter zur Debatte stehen. Im Einklang mit Art. 55 UNCharta lässt sich darüber hinaus heute konstatieren, dass das internationale Wirtschaftsrecht als Rechtsordnung seine Legitimation zu einem beachtlichen Teil daraus erfährt, dass es auch dem Schutz von Gemeinschaftsgütern - globalen öffentlichen Gütern dient.142 Dem entspricht es im Übrigen, die rechtliche Ausgestaltung des internationalen Wirtschaftssystems insgesamt als globales öffentliches Gut einzuordnen.143 137

Statt vieler Gruber/Kleber,

Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl., 2000,

130 ff. 138 Hierzu u. a. Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against their Will, RdC 241 (1993), 195 ff.; Simma , From Bilateralism to Community Interest in International Law, RdC 250 (1994), 217 ff.; Tietje (Fn. 53), 1093. 139 Vgl. Delbrück , "Laws in the Public Interest" - Some Observations on the Foundations and Identification of erga omnes Norms in International Law, in: Götz/Selmer/ Wolfrum (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke - Zum 85. Geburtstag, 1998, 17 ff.; Frowein, Die Verpflichtungen erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, in: Bernhardt/Geck/Jaenicke/Steinberger (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte - Festschrift für Hermann Mosler, 1983, 241 ff.; ders., Das Staatengemeinschaftsinteresse - Probleme bei Formulierung und Durchsetzung, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung - Festschrift für Karl Doehring, 1989, 219 ff.; RagazzU The Concept of International Obligations Erga Omnes, 1997, passim. 140

Besonders deutlich werden die entsprechenden Schwierigkeiten mit Blick auf die welthandelsrechtliche Bewertung von so genannten processes and production measures (PPMs), hierzu Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, 2003; Tietje (Fn. 77). 141

Hierzu z. B. Drahos, The Regulation of Public Goods, Journal of International Economic Law 7 (2004), 321 ff. 142 Ausführlich hierzu Nowrot/Wardin, Liberalisierung der Wasserversorgung in der WTO-Rechtsordnung - Die Verwirklichung des Menschenrechts auf Wasser als Aufgabe einer transnationalen Verantwortungsgemeinschaft, 2003, 45 ff. m. w. N. 143 Siebert, What Does Globalization Mean for the World Trading System?, in: WTO Secretariat (Hrsg.), From GATT to the WTO: The Multilateral Trading System in the New Millennium (2000), 137 f.

Christian Tietje

808

Im Ergebnis zeigt sich damit, dass die wesentlichen materiellen Regelungsinhalte, die mit dem Recht auf Entwicklung verbunden werden, im Internationalen Wirtschaftsrecht ihre Anerkennung erfahren haben und dementsprechend ihre systemprägende Wirkung entfalten. Damit kann eine nicht unwesentliche Konvergenz der materiellen Ausrichtung des Internationalen Wirtschaftsrechts und des Rechts auf Entwicklung konstatiert werden; hierauf ist noch zurückzukommen. 144

3. Der rechtsnormative

Status des Rechts auf Entwicklung

Die Erkenntnis, dass die wesentlichen Inhalte des Rechts auf Entwicklung schon heute strukturprägende Wirkung auch im Internationalen Wirtschaftsrecht entfalten, lässt die Frage nach dem rechtsnormativen Status des Rechts auf Entwicklung in einem übergreifenden Sinne, also als selbständiges Recht bzw. Konzept, aufkommen. Weder politisch noch wissenschaftlich konnte hierzu bislang eine Mehrheitsmeinung gebildet, geschweige denn ein Konsens hergestellt werden. Auch heute noch stehen sich im Wesentlichen die von Eibe Riedel bereits 1986 ausgemachten acht verschiedenen juristischen Begründungsansätze gegenüber. 145 Im Einzelnen sind im Anschluss an Riedel die nachfolgenden Theorien zur Rechtsqualität des Rechts auf Entwicklung zu unterscheiden: Zunächst wird es zum Teil als ethisches Postulat mit legitimatorischer Wirkung angesehen. Andere erachten das Recht auf Entwicklung als soft law. In der Nähe zu diesen Theorien steht die weiterhin vertretene Auffassung, nach der das Recht auf Entwicklung ein „Konglomerat positivierter Menschenrechte" sei und sich insofern insbesondere durch seinen höheren Abstraktionsgrad auszeichne. Zum Teil wird dieser Erklärungsansatz auch noch mit konkreten Forderungen nach einer Verpflichtung zur Befriedigung von Grundbedürfnissen verbunden. Noch einen Schritt weiter gehen Auffassungen, nach denen es sich bei dem Recht auf Entwicklung um eine Bestätigung der „universal bill of rights" sowie um deren Ergänzung um ein umfassendes internationales Sozialstaatspostulat handele. Als weitgehend die herkömmliche Menschenrechtsdogmatik verlassend stellt sich dann die Auffassung dar, nach der es sich beim Recht auf Entwicklung um ein Syntheserecht handele, das sich insbesondere durch Staaten als neue Träger von Menschenrechten auszeichne. Demgegenüber bewegt sich der Verweis auf Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut als Rechtsquelle des Rechts auf Entwicklung wieder in herkömmlichen völkerrechtsdogmatischen Bahnen, hat aber freilich mit dem Problem zu kämpfen, ob es empirisch nachweisbar wirklich einen entsprechenden Rechtssatz in den innerstaatlichen Rechtsordnungen weltweit gibt. Vor dem Hintergrund der dogmatischen Probleme und Schwierigkeiten der empirischen Beweisführung wurde schließlich von

144

Vgl. unten VI.

145

Riedel (Fn. 132), 227 ff.; siehe auch zusammenfassend ders. (Fn. 120), 63 ff.

Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung

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Riedel 146 im Anschluss an Delbrück 147 ausführlich begründet, dass das Recht auf Entwicklung als Menschenrechtsstandard einzustufen sei. Damit wird ein Ansatz verfolgt, der die klassische und rechtspositivistisch geprägte Lehre der Völkerrechtsquellen jedenfalls zum Teil verlässt und in erster Linie auf die materielle Ordnungsfunktion des Rechts auf Entwicklung abstellt. Dabei wird durch den Verweis auf Standards versucht, ,,[a]nstelle einer partikularistischen, nur Teilaspekte ... einfangenden Sicht ... eine hollistische, ganzheitliche Betrachtungsweise" zu ermöglichen. 148 Dem entspricht im Wesentlichen die Einordnung des Rechts auf Entwicklung als völkerrechtliches Strukturprinzip oder auch Leitgedanke, wie es schon frühzeitig im Schrifttum formuliert wurde. 149 Im Ergebnis scheint es damit überzeugend, die völkerrechtsdogmatische Einordnung des Rechts auf Entwicklung nicht primär an den Völkerrechtsquellen mit dem Ziel der Begründung eines subsumtionsfähigen Rechtssatzes festzumachen. Eine an den Rechtsquellen des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut verhaftete Betrachtungsweise wird mit Blick auf das Recht auf Entwicklung kaum jemals Erfolg haben, wenn man nicht den Boden der diesbezüglichen Dogmatik vollständig verlässt und Resolutionen der Generalversammlung per se Rechtsquellenqualität zuspricht. 150 Es ist auch fraglich, ob das Recht auf Entwicklung überhaupt strukturell dazu dienen kann, subsumtionsfähige Rechts vorgaben zu machen. Wie bereits angedeutet, dient es in erster Linie dazu, Zielvorgaben für die erst in einem zweiten Schritt erfolgende konkrete rechtliche Ausgestaltung des internationalen Systems zu postulieren. Dass dem Recht der internationalen Gemeinschaft solche Zielvorgaben nicht fremd sind, hat die auch von Delbrück mitbestimmte Diskussion zu internationalen Standards gezeigt.151 Noch größere Akzeptanz würde die diesbezügliche Betrachtung erfahren, wenn nicht nur wieder verstärkt auf von Art. 38 Abs. 1 IGHStatut strukturell nicht erfassbare völkerrechtliche Strukturprinzipien in der wissenschaftlichen Diskussion abgestellt werden würde, 152 sondern in einem weitergehenden Sinne anerkannt wird, dass die Rechtsordnung der internationalen Gemeinschaft von Gemeinschaftszielen und Gemeinschaftszielbestimmungen ebenso 146

Riedel (Fn. 132), 258 ff.

147

Frühzeitig in seiner Habilitationsschrift Delbrück , Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen, 1971, 38, 92 f., 96, 108 ff. 148 Riedel (Fn. 132), 259; ausführlich auch ders., Standards and Sources - Farewell to the Exlusivity of the Sources Triad in International Law?, European Journal of International Law 2 (1991), 58 ff. 149

Ausführlich Tomuschat (Fn. 104), 85 ff.

150

So der jüngst für die Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights erstellte Bericht von Shadrack Gutto, The legal nature of the right to development and enhancement of its binding nature, UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/2004/16 v. 1.6.2004. 151 152

Ausführlich Riedel (Fn. 148), 58 ff.

Grundlegend hierzu Verdross , Die Quellen des universellen Völkerrechts, 1973, 20 ff. und 31 ff.; speziell mit Blick auf das Recht auf Entwicklung hierzu Tomuschat (Fn. 104), 94 f.

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determiniert wird wie die innerstaatliche Rechtsordnung durch Staatsziele und Staatszielbestimmungen.153 Das verlangt in methodischer Hinsicht freilich zunächst einen intensiveren interdisziplinären Ansatz auch der Völkerrechtswissenschaft; 154 die wissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre über das Verhältnis von Internationalem Recht und Internationalen Beziehungen (als politikwissenschaftlicher Teildisziplin) hat hierzu erste wichtige Erkenntnisse erbracht. 155 Weiterhin kann eine Lehre von den hier primär interessierenden internationalen Gemeinschaftszielen nur gelingen, wenn über Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut hinausgehend insbesondere die Diskurstheorie fruchtbar gemacht wird, um die materiellen Determinanten des Rechts der internationalen Gemeinschaft zu bestimmen.156

VI. Die im Internationalen Wirtschaftsrecht und im Recht auf Entwicklung zum Ausdruck kommenden globalen Gemeinschaftsziele und ihre Bedeutung für eine konstitutionalisierte globale Friedensordnung Die bisherigen Überlegungen zum Internationalen Wirtschaftsrecht und zum Recht auf Entwicklung haben verschiedene globale Gemeinschaftsziele deutlich werden lassen. In einer systematischen Gesamtschau handelt es sich hierbei um Zielvorgaben für das internationale Wirtschaftssystem und seine Akteure auf internationaler und innerstaatlicher Ebene, die einen Individual- und einen Gemeinschaftsbezug aufweisen. Ausgangspunkt der Ausgestaltung des internationalen Wirtschaftssystems ist dabei immer der Mensch und damit die individuelle Freiheit. Sie ist Grundbedingung für jedes Wirtschaftssystem. Zugleich ist jedes Wirtschaftssystem auf die Effektuierung von Freiheit ausgerichtet. Individuelle Freiheit und Wirtschaft stehen insoweit in konditionaler Wechselbezüglichkeit. Das zeigt zugleich, dass Wirtschaft und damit auch Wirtschaftsrecht nicht monokausal und eindimensional auf das Ziel einer optimalen ökonomischen Ressourcenallokation gedacht werden kann. Natürlich muss Wirtschaft, um ihrer Idee gerecht zu werden, dieses Ziel verfolgen und erreichen. Entscheidend ist indes, dass die ökonomischen Ziele der Wirtschaft materiell Ziele individueller Freiheitsverwirklichung sind. Durch die zentrale Fixierung auf die menschliche Freiheit als Individualwert wird auch deutlich, dass das Internationale Wirtschaftsrecht nicht primär ein Ord153

Grundlegend hierzu Sommermann (Fn. 72), passim.

154

Zur entsprechenden Bedeutung historischer, ökonomischer, politikwissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher, rechtstheoretischer und rechtsdogmatischer Ansätze für eine Staatszieltheorie siehe Sommermann (Fn. 72), 297; zur Bedeutung der Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Ansätze in den völkerrechtswissenschaftlichen Diskurs siehe auch Delbrück (Fn. 3), 240 ff. 155 Umfassend hierzu Slaughter, International Law and International Relations, RdC 285 (2000), 9 ff. 156 Zur entsprechenden Bedeutung der Diskurstheorie für die Lehre von den Staatszielen siehe Sommermann (Fn. 72), 301 ff. m. w. N.

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nungsprogramm zum social engineering der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen ist. Aufgabe des Rechts in der internationalen Wirtschaft ist es vielmehr zunächst, die aus und für individuelle Freiheit entstehende spontane Ordnung des Marktes zu ermöglichen. Es ist dann auch dieser zentrale Individualbezug, der die Bedeutung des Internationalen Wirtschaftsrechts in einer konstitutionalisierten globalen Friedensordnung belegt. Rechtlich determinierte grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen haben die wichtige Aufgabe, in funktionalistischer Perspektive wesentlich zur Friedenssicherung beizutragen; Immanuel Kant hat das bekanntlich eindringlich formuliert. 157 Darüber hinaus wird durch das Internationale Wirtschaftsrecht im hier herausgearbeiteten Sinne aber auch umfassend ein an Gerechtigkeit orientierter Teil einer Weltordnung konstituiert. Das zeigt die menschenrechtliche Dimension des Internationalen Wirtschaftsrechts ebenso wie die genannten objektivrechtlichen Rechts vorgaben zum Schutz, zur Bewahrung und zur Verteilung globaler öffentlicher Güter. 158 Auch das Recht auf Entwicklung konstituiert Vorgaben für die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen, insbesondere im Wirtschaftsbereich, die als Gemeinschaftsziele einen wesentlichen Beitrag zu einer gerechten Weltordnung leisten. Hierin liegt zunächst sein wesentlicher Wert, und zwar auch dann, wenn die Zuordnung des Gesamtkonzeptes zu den Völkerrechtsquellen i. S. v. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut schwer fällt. Zumindest in diskurstheoretischer Perspektive hat die bisherige Diskussion zum Recht auf Entwicklung eine Übereinstimmung über einen Grundkanon an globalen Gemeinschaftszielen hervorgebracht. Allerdings haben die Debatten zum Recht auf Entwicklung auch deutlich gemacht, an welcher Stelle noch kein Konsens gegeben ist: Bis heute ist problematisch, ob das Recht auf Entwicklung tatsächlich von der internationalen Gemeinschaft konzeptionell in dem Sinne gesehen wird, dass Ausgangspunkt aller Entwicklungsbemühungen die individuelle Freiheit des Menschen ist. Die in erster Linie gemeinschaftsbezogene Interpretation des Rechts auf Entwicklung durch verschiedene Staaten, die in der Konsequenz sogar zur Rechfertigung intensiver freiheitsbeschränkender Maßnahmen bemüht wird, hat insofern selbst frühere Anhänger zu heutigen Gegnern des Rechts auf Entwicklung werden lassen.159 Die Kritik an der Interpretation des Rechts auf Entwicklung als den Freiheitsrechten des Individuums übergeordnetes Recht ist berechtigt. Sie steht zunächst im Widerspruch zur positivrechtlich fundierten Bedeutung der Menschenrechte. Weiterhin ist sie nicht mit der an Gemeinschaftswerten orientierten Ausrichtung des Internationalen Wirtschaftsrechts zu vereinbaren. Bei dieser Kritik ist auch zu be151

Kant, Zum ewigen Frieden, Definitivartikel, Erster Zusatz Nr. 3 („... Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt. ...")• 158 Zur völkerrechtlichen Bedeutung einer an Gerechtigkeit orientierten Weltordnung siehe Delbrück/Dicke (Fn. 2), 817 f. 159

Besonders prägnant Nuscheier (Fn. 99), 311.

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rücksichtigen, dass die hier entwickelten Grundlagen des Internationalen Wirtschaftsrechts insgesamt die maßgebliche und eigentliche Voraussetzung für Entwicklung, also die Ratio des Rechts auf Entwicklung, sind. Entwicklung und damit Entwicklungspolitik und Entwicklungsrecht müssen sich ebenso wie die globale Gemeinschaftsrechtsordnung insgesamt an der Achtung und Förderung individueller Freiheit ausrichten: ,,[D]as freiheitszentrierte Verständnis von Ökonomie und Entwicklungsprozessen [orientiert sich] zuerst und vor allem am tätigen Subjekt. Räumt man ihnen angemessene soziale Chancen ein, sind Individuen in der Lage, ihr eigenes Schicksal erfolgreich zu gestalten und einander zu helfen. Nichts zwingt uns dazu, sie in erster Linie als passive Empfänger der Wohltaten ausgeklügelter Entwicklungsprogramme zu sehen. Nein, es ist wirklich ein Gebot der Vernunft, die segensreiche Rolle freien und selbständigen Handelns - j a sogar schöpferischer Ungeduld - anzuerkennen." 160

Diese für sein Buch „Development as Freedom" zentralen Worte des Nobelpreisträgers Amartya Sen fassen letztlich die hier gewonnen Ergebnisse prägnant zusammen. Wie Amartya Sen überzeugend nachgewiesen hat, ist die individuelle Freiheit „(1) oberstes Ziel und ... (2) wichtigstes Mittel der Entwicklung", hat also eine konstitutive und eine instrumenteile Funktion. 161 Nur wenn Entwicklungspolitik und Entwicklungsrecht diese beiden Funktionen individueller Freiheit in den Blick nehmen, können die zahlreichen Ziele, die mit dem Begriff „Entwicklung" verbunden sind, erreicht werden. Das zeigen die von Sen vorgelegten wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen ebenso wie die hier herausgearbeiteten normativen und rechtspositiven Grundstrukturen des Internationalen Wirtschaftsrechts. Zugleich schließt sich damit der Kreis der Konstitution des Friedens als Rechtsordnung durch und mit Blick auf das Internationale Wirtschaftsrecht sowie das Recht auf Entwicklung. Die mit dem Internationalen Wirtschaftsrecht und dem Recht auf Entwicklung zu verbindenden Gemeinschaftsziele sind unmittelbarer Ausdruck einer gerechten Weltordnung orientiert an den Menschenrechten und globalen Gemeinschaftsgütern. Die Erkenntnis, dass dabei die individuelle Freiheit zwingend oberstes Ziel und wichtigstes Mittel der internationalen Wirtschaft und der Entwicklung ist, muss sich im internationalen Diskurs insbesondere mit Blick auf das Recht auf Entwicklung noch abschließend durchsetzen. Die wiederholten Verweise in jüngeren Berichten an die Sub-Commission der Commission on Human Rights auf die Arbeiten von Amartya Sen als Grundlage der Regelungsanstrengungen zu einem Recht auf Entwicklung 162 160 Sen, Ökonomie für den Menschen - Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, 2000, 23. 161 162

Sen (Fn. 160), 50.

Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Mainstreaming the right to development into international trade law and policy at the World Trade Organization (paper by Robert Howse), UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/2004/17 v. 9.6.2004, para. 4; The legal nature of the right do development and enhancement of its binding nature (paper

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lassen insofern jedoch optimistisch stimmen. Wenn es dementsprechend in Zukunft gelingt, die individualrechtliche Fundierung des Rechts auf Entwicklung deutlicher herauszustellen, wird es ebenso wie das Internationale Wirtschaftsrecht vollumfänglich ein wichtiges Element im Konzept der Konstitution des Friedens als Rechtsordnung sein.

prepared Shadrack Gutto), UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/2004/16 v. 1.6.2004, para 4; siehe in diesem Zusammenhang auch Howse/Mutua, Protecting Human Rights in a Global Economy - Challenges for the World Trade Organization, verfügbar unter: .

An Optional Protocol for the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights? By Christian

Tomuschat

I. Introduction: The Efforts Undertaken to Draft an Optional Protocol The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR) lacks an effective enforcement mechanism. Like the other human rights treaties adopted by the UN General Assembly (UNGA) it provides for monitoring of compliance by States parties with their obligations through a reporting procedure, but individuals who feel aggrieved by non-respect of these obligations have no remedy at their disposal. When the International Bill of Rights was transformed from a purely hortatory and promotional scheme as embodied in the Universal Declaration of Human Rights to a truly binding regime under international law, it was precisely the realization that economic and social rights could not be implemented in the same way as the traditional rights which prompted the drafters to take a drastic decision, which still today is denounced by some as a grave mistake: they chose to split the body of law which had been prepared by the Commission on Human Rights, into two parts.1 This decision shaped the further work on the drafts until the very end. Whereas the International Covenant on Civil and Political Rights (CCPR) was complemented by a general provision which obligates States to grant individuals effective remedies (Article 2 (3)) for the defence of the rights enunciated in the ensuing provisions, and whereas an Optional Protocol (now: [First] Optional Protocol) was framed to permit individual communications to be brought, at the international level, to the attention of the Human Rights Committee (HRCee) as the competent monitoring body, the CECSR remains silent in this regard. The drafters felt that economic, social and cultural rights were not susceptible of being enforced according to the same methods as civil and political rights. The Committee on Economic, Social and Cultural Rights (ESCRCee), which by virtue of a bold decision of the Economic and Social Council (ECOSOC)2 replaced ECOSOC itself as the monitoring body for the CESCR, felt understandably dissatisfied with this state of affairs. Being convinced that such "discrimination" of economic, social and cultural rights was unacceptable, given the equal rank of 1 2

UNGA resolution 543 (VI), 4 February 1952. Resolution 1985/17, 28 May 1985.

816

Christian Tomuschat

the two sets of rights which has been asserted and confirmed time and again by the political bodies of the United Nations, it began ventilating the idea that a procedure of individual communications was necessary in order to redeem economic, social and cultural rights from their second-class status. In fact, the Vienna World Conference on Human Rights (June 1993) gave its support to this idea.3 Responding to the encouragement received by the World Conference and thereafter also by the Commission on Human Rights,4 the ESCRCee started drafting an optional protocol to the CESCR. This draft optional protocol (henceforth: protocol) was finalized in 19965 and transmitted to the Commission on Human Rights, where it is still pending. It resembles largely the [First] Optional Protocol to the CCPR. Essentially, it provides for individual communications through which individuals may seize the ECSRCee, claiming that their rights under the CESCR have been infringed. Article 2 states that such a complaint can be based on "any" of these rights. The members of the ESCRCee were apparently of the view that the CESCR constituted an indivisible whole the unity of which could not be broken up by distinctions of any kind on account of criteria of justiciability. One may legitimately ask whether this was a sound decision. The draft proposed by the ESCRCee has not made any great strides forward. In its decision 1997/104 of 3 April 1997 the Commission on Human Rights requested the Secretary-General to transmit the text of the protocol to governments and intergovernmental and non-governmental organizations for their comments. However, States were rather reluctant to face up to this task. Therefore, that request was renewed several times. Notwithstanding these calls, few answers were received.6 A workshop organized by the Office of the UN High Commissioner for Human Rights and the International Commission of Jurists on 5 and 6 February 2001 yielded few constructive results, notwithstanding an impressive attendance by not less than 74 governments.7 Thereafter, the Commission on Human Rights decided8 to appoint an independent expert (Hatem Kotrane of the University of Tunis), who was mandated in particular to examine the justiciability of economic, social and cultural rights. The independent expert produced two reports. 9 Upon a 3

Vienna Declaration and Programme of Action, I L M 32 (1993), 1663, Part I I para. 75. Resolution 1996/16, 11 April 1996, para. 10. 5 U N doc. E/CN.4/1997/105, 18 December 1996, annex. 6 See the following reports by the Secretary-General: E/CN.4/1998/84, 16 January 1998, with answers by Cyprus, Ecuador, Finland, Germany and Syria; E/CN.4/1998/84/Add. 1, 16 March 1998, with answer by Canada; E/CN.4/1999/112, 7 January 1999, with answers by Croatia and Finland; E/CN.4/112/Add. 1, 4 March 1999, with answers by Cyprus, Mexico and Sweden; E/CN.4/2000/49,14 January 2000, with answers by Czech Republic, Georgia, Germany, Lebanon and Lithuania; E/CN.4/2001/62, 21 December 2000, with answers by Mauritius, Norway and Portugal; E/CN.4/2001/62/Add.l, 20 March 2001, with answers by Chile and Sweden. 4

7 8 9

Report on the workshop: U N doc. E/CN.4/2001/62/Add. 2, 22 March 2001. Resolution 2001/30, 20 April 2001. U N docs. E/CN.4/2002/57, 12 February 2002; E/CN.4/2003/53, 13 January 2003.

An Optional Protocol for the CESCR?

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request formulated thereafter by the Commission on Human Rights in paragraph 12 of its resolution 2003/18, before the 2004 session of the Commission, an openended working group of State representatives convened with a view to considering options regarding the elaboration of the planned protocol. The report about that meeting,10 which enjoyed massive attendance by 85 States, shows how far the views on the usefulness of such an optional protocol diverge. Consequently, the meeting ended without any substantive result. 11 It fell to the Chairperson-Rapporteur to formulate a couple of recommendations which are purely procedural in character. Essentially, by resolution 2004/29 of 19 April 2004, the Commission on Human Rights endorsed these recommendations. Thus, the working group will continue its endeavours of research and reflection for another two years before the 61st and 62nd sessions of the Commission on Human Rights in 2005 and 2006. 12 Currently, a negative forecast is almost inevitable, given the wide gap which separates the views which were articulated at the first meeting of the working group. This article is designed to shed some more light on the intricacies of the reform project than it has hitherto received.

II. The Challenge: Effectuating Human Rights Everywhere in the field of human rights, the issues that have to be resolved today differ from those that had to be addressed 40 or 50 years ago. In the early years of the United Nations, human rights did not yet have a natural place within the edifice of international law. First, they had to be acknowledged as truly binding legal standards,13 thereafter, adequate implementation procedures had to be established. All this was accomplished in a few years time. In particular, the demise of the socialist regimes in central and eastern Europe gave human rights an enormous boost. At the current time in 2004, the observer finds himself confronted with a plethora of human rights activities. There is an ever-growing tendency to enlarge, multiply and refine the existing framework. Most of these efforts remain confined to the classical dimension of diplomatic activity: new texts are drawn up almost every year and thus the tree of human rights procedures and mechanisms does not cease growing.

10

UN doc. E/CN.4/2004, 15 March 2004. According to Dennis/Stewart, "Justiciability of Economic, Social, and Cultural Rights: Should There Be an International Complaints Mechanism to Adjudicate the Rights to Food, Water, Housing, and Health?", AJIL 98 (2004), 462, "the session ended in disarray". 12 For a more detailed account of the legislative process see Dennis/Stewart, ibid., 467^176. 13 A quantum leap was made forward when the International Court of Justice acknowledged the binding nature of the hunman rights clauses of the U N Charter, see Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (270), Advisory Opinion , ICJ Reports 1971, 16, at 57. 11

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Christian Tomuschat

The true challenge, however, is a different one. In devising new mechanisms, one should primarily ask, on the basis of a realistic assessment, whether such mechanisms are indeed suitable to effectuate enjoyment of human rights by individuals. It is not enough to show that here and there the available procedural framework has a fragmentary character and could be improved. Such gaps may well have their causes in structural difficulties which are inherent in the complexity of the subject-matter concerned. It makes no sense to elevate the institutional framework to idealistic heights where its failure may be almost guaranteed beforehand. Concerning the planned protocol, a careful assessment would seem to be necessary which weighs, to the extent possible ex ante, the pros and cons of a procedure allowing for individual communications related to economic, social and cultural rights to be submitted to an international body. For most lawyers, it may seem self-evident that the ultimate perfection of effectuating a legal position branded as a right will best be achieved by a complaints procedure, for which there are so many positive examples with respect to civil and political rights at universal and regional levels. But it may well be that this is simply not the case. In any event, it would be wrong to follow simply the Olympic motto: faster, higher, stronger.

I I I . The Intrinsic Nature of the Two Sets of Rights Although it has become a standard formula to speak of the universality, indivisibility, interdependence and interrelatedness of all human rights and fundamental freedoms, 14 this assertion should not be a bar to recognizing that, in principle, there may exist structural differences between the two principal sets of rights. The traditional rights, which are generally labelled civil and political rights, are "negative" rights, "negative" in the sense that they enjoin governmental authorities to refrain from interfering with the rights and freedoms which every person enjoys by virtue of his/her quality as a human being. According to a classical conception, every State is supposed to be able to live up to the commitments entailed for it by these rights. It just should remain passive, respecting the "natural" rights of everyone under its jurisdiction. Economic, social and cultural rights make up a different factual configuration. They are "positive" rights, requiring specific action on the part of governmental authorities. Nobody can ensure for himflierself a right to the enjoyment of just and favourable conditions of work, a right to social security or a right to education. Systems of social security or education are collective goods which must be generated and managed by the community concerned, and their level and quality depend largely on external economic factors. Thus, it appears at first glance that it is a much more demanding task to secure rights of the "second" generation than to comply with rights of the "first" generation. 15 Whether such 14 See, for instance, Commission on Human Rights resolution 2004/29, 19 April 2004, para. 8 d). 15

Regarding the "generational" terminology see Tomuschat , Human Rights. Between Idealism and Realism, Oxford 2003, 24.

An Optional Protocol for the CESCR?

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context-dependent pledges by States can be classified as genuine individual rights on their reverse side is a question which cannot be circumvented, and posing it should not be regarded as a heresy notwithstanding the broad international consensus which supports economic, social and cultural rights. In swiftly going through the provision of the CESCR which is the most relevant one for the present purposes, Article 2(1), one might be tempted to lay the controversy to rest from the very outset. Indeed, Article 2(1) was drafted in an extremely cautious way. 16 The text contains several elements that accord the States Parties a large measure of flexibility. Clearly, States are not required to achieve specific results. Rather, it is incumbent upon them to "take steps" which should be conducive to "achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant". According to certain phraseology, this is an obligation of "means" or of "conduct". 17 States shall mobilize all their capabilities to bring about a state of affairs which permits the rights proclaimed in the CESCR to be fully enjoyed by everyone under their jurisdiction. This wording faithfully reflects the skepticism of the drafters as to the actual power of States to honour the farreaching promises embodied in the CESCR. Consequently, on the basis of a perusal of Article 2 (1) the reader is led to assuming that the CESCR cannot be the source of individual rights, given that the denomination "rights" used in the following articles seems to be a misnomer which covers no more than State obligations of a highly flexible character. Even a short glance at the way in which the specific rights under the CESCR are framed would appear to corroborate this first conclusion. The CCPR generally employs concise and straightforward language in setting forth the rights which it guarantees: according to Article 6 (1) "[e]very human being has the inherent right to life", Article 7 states that "[n]o one shall be subjected to torture", and on the basis of Article 19 "[e]veryone shall have the right to hold opinions without interference". By contrast, the language of the CESCR is much more guarded, lacking the direct approach which characterizes its twin brother. Under Article 6(1), the States parties "recognize the right to work", and this formula has also been used in most of the other provisions. It does make a difference whether a person shall have a right to social security or whether, as said in Article 9, the States parties "recognize the right of everyone to social security". By relying on this terminology, the States parties wished to make clear that any rights accruing to individuals would need an additional basis in implementing domestic legislation. 16

The differences between the key provisions of the two Covenants have not escaped the attention of any commentator; see, for instance, Dennis/Stewart (note 11), 476-477; Nowak, Einführung in das internationale Menschenrechtssystem, Wien and Graz 2002, 95; Steiner/ Alston, International Human Rights in Context, 2nd ed., Oxford 2000, 246. 17 See Article 20 of Part I of the draft articles on State responsibility adopted by the ILC on first reading, Yearbook of the ILC 1980, Vol. II, Part Two, 30, at 32. The articles as adopted by the ILC on second reading in 2001 and taken note of by the GA in resolution 56/83, 12 December 2001, have refrained from maintaing the distinction between obligations of "result" and obligations of "conduct".

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This concept has found a particularly tangible expression in those provisions which specify the measures which States are supposed to take with a view to complying with their commitments under the CESCR. Article 6 (2), which deals with the right to work, is quite telling in this respect. States are required to take steps which "shall include technical and vocational guidance and training programmes, policies and techniques to achieve steady economic, social and cultural development and full and productive employment". There is not the slightest hint in Article 6 that States might be obligated, vis-à-vis an individual, to provide him/her with a job in a situation of unemployment. Clearly, the commitment is confined to general strategies which States must pursue in order to reach the objective of work for everyone. A similar structure can be found in the body of Article 11 (1) on adequate standard of living. In the first sentence of this paragraph, the "right of everyone to an adequate standard of living" is recognized, and the second sentence continues by stating that the States parties "will take appropriate steps to ensure the realization of this right, recognizing to this effect the essential importance of international cooperation based on free consent". It is particularly the last phrase of this clause which makes clear, once again, that in many of its provisions the CESCR does not purport to enunciate truly individual rights, but prescribes general strategies to be pursued by governments. Indeed, in an individual case international cooperation could not have any relevance.

IV. Overlaps Between the Two Sets of Rights The result of textual and systematic interpretation is not absolutely conclusive, however. The texts themselves imply that it would be wrong to conclude that all of the rights assembled under the roof of the CCPR require nothing else than conduct of abstention, whereas the rights enunciated in the CESCR consist of obligations "to do something", to provide goods and services to their beneficiaries. In that regard, a closer look reveals a colourful variety which defies any strict categorization. 18 Categorically to oppose civil and political rights to economic, social and cultural rights without any differentiation overlooks essential features of that variety.

7. Traditional

Rights Implying

Positive

Obligations

It is not a novelty to state that even some of the traditional civil rights presuppose positive State action. This is true, in particular, of all the judicial guarantees which belong to the core heritage of human rights. Today like several hundred years ago, these rights aim to protect the individual against arbitrary interference 18 However, it amounts to denying the obvious to state that economic, social and cultural rights are not essentially different from civil and political rights, as done by Eibe Riedel, member of the ESCRCee, see U N doc. E/CN.4/2004/44, 15 March 2004, para. 41.

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of governmental power with his/her freedom. Habeas corpus is the archetype of a human right. According to the Western tradition, no one else can discharge the requisite protective function than a judge. Obviously, however, judges do not grow like flowers in the midst of society, but have to be appointed by duly authorized public institutions or by the people itself. In all modern States, the judicial apparatus established to administer justice, not only in the field of criminal prosecution, but also for the purpose of settling disputes between private citizens - and additionally between the State and its citizens -, has grown to considerable proportions. Although everywhere less important in size than the executive branch, the judiciary generally absorbs a part of the national budget which is by no means negligible. Justice is not cost-free. It must be financed by the taxpayers. Moreover, judges as the active element of the system are just one side of the medal. They must be organized in courts, and every court needs an office building together with supportive staff. Thus, the existence of a financial burden can hardly be denied. And yet, the example of the judiciary does not lead to dismantling the traditional distinction between the two sets of rights. The existence of a judiciary belongs to the core pillars of a State. An entity pretending to be a State, but lacking any mechanism for the settlement of disputes could hardly sustain that pretense. Still today, the main raison d'étre of the State, its primary objective, is to enforce peace and security among its citizens. For that purpose, a minimum of organizational structures is necessary. There is no denying the fact that in our time States are burdened with many more tasks. But the task to ensure peace and public order is so fundamental that it dwarfs any other additional functions. Indeed, according to the 1997 World Development Report of the World Bank, State functions may be divided into three categories that range from "minimal" over "intermediate" to "activist", the responsibility for maintaining law and order belonging, together with its attendant institutional consequences, to the first group. 19 Consequently, the right to judicial protection, which is a pure individual right, cannot be invoked to demonstrate that it would be easy likewise to introduce other entitlements enabling individuals to claim goods and services. The duty of protection deserves close attention as well. Pursuant to a doctrine and practice which has become the common denominator of all the different bodies entrusted with promoting and protecting human rights, States parties are not only obligated not to interfere with the rights of persons under their jurisdiction, but must additionally see to it that such rights are not encroached upon by third private parties. What was said by the European Court of Human rights in Airey, 20 19 See Fukuyama, State-Building. Governance and World Order in the 21st Century, Ithaka (New York) 2004, 8. 20 Judgment of 9 October 1979, Publications of the European Court of Human Rights, Series A, Vol. 32 (in the following: A 32), 12-13, para. 24; see also judgment of 13 August 1981 in Young/James/Webster, A 44, 21-24. For a comprehensive assessment see now Dröge , Positive Verpflichtungen der Staaten in der Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin et al. 2003.

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was soon thereafter also affirmed by the Human Rights Committee under the CCPR 21 and crept then into the jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights. 22 In principle, this case law is in full consonance with the general philosophy defining the legitimate tasks of a State. As already pointed out, to ensure public order constitutes the central raison d'étre of the State. Humankind has assembled in governmental organizations in order to escape from bellum omnium contra omnes. Primarily, public authorities are mandated with protecting the life, freedom and physical integrity of everyone under their command. Concerning the right to life, this fundamental approach is clearly reflected in the relevant texts. The CCPR (Article 6 (1)) as well as the European Convention on Human Rights (Article 2(1)) set forth that everyone's right to life "shall be protected by law". How far the duty to protect may extend its scope is certainly open to doubt. After all, in a free society every member of that society should be free to shape his/her life as he/she chooses. Excessive regulation and care may become enemies of the status of freedom. The fight against tobacco products is today one of the battlefields where two contrasting concepts of human freedom are at loggerheads with one another. The recent case law of the ECHR has provided illustrative examples of the wide scope of the duty of protection according to the opinion of the Strasbourg judges. Thus, in A. B. v. Slovakia, 23 the ECHR confirmed its general stance to the effect that fairness injudicial proceedings is a key concept which requires that each party should be afforded a reasonable opportunity to present his/her case under conditions that do not place him/her at a substantial disadvantage vis-à-vis his/her opponent, which can mean that under certain circumstances a lawyer must be appointed to represent a party who otherwise would not be in a position effectively to assert his/her rights. This duty exists in civil cases notwithstanding the fact that the ECHR provides for the appointment of a defence lawyer only in criminal cases (Article 6 (3) (c)). In McGlinchey v. UK 24 the ECHR went so far as to conclude that the United Kingdom had violated Article 3 of the ECHR by not providing adequate medical assistance to a prison inmate who was a heroin addict. In fact, when public authorities assume full control over the existence of a person, as in the case of prisoners of war or of prison inmates, strict standards should be applied. Under such circumstances, even if the authorities themselves have abstained from inflicting any actual harm on the victim by positive action, responsi-

21 General Comment No. 3, 28 July 1981, Yearbook of the Human Rights Committee 1981-1982, Vol. II, 299: "The Committee considers it necessary to draw the attention of States parties to the fact that the obligation under the Covenant is not confined to the respect of human rights, but that States parties have also undertaken to ensure the enjoyment of these rights to all individuals under their jurisdiction." 22

Case of Velásquez Rodríguez , judgment of 29 July 1988, I L M 28 (1989), 294, at 324 para. 166. 23 24

Judgment of 4 March 2003. Judgment of 29 April 2003.

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bility falls to them if they have not done everything in their power to secure the physical integrity of the person concerned. 25 It is not necessary to continue this enumeration of examples. The inference is clear: civil and political rights are not separated by a watertight wall of separation from economic, social and cultural rights. There exists some degree of overlapping. Therefore, it may be not only legitimate, but also legally correct to depart from the formal categorizations of the two Covenants if an examination shows that with regard to specific issues the legal position cannot be different for the two sets of rights.

2. Economic , Social and Cultural

Rights Implying

"Negative "

Obligations

Analyzing the essential features of substance by now taking economic, social and cultural rights as the point of departure, one reaches the same conclusions. The caution which has continually marked the attitude of States with regard to these rights is based on the assumption that an obligation to provide specific goods and services cannot be complied with under all circumstances and that, consequently, States should, as a maximum, be burdened with an obligation to take appropriate steps for the full realization of the "rights" concerned. However, this general distancing from assuming full responsibility does not seem to be warranted in a number of situations which will be described in the following. First of all, some rights have been wrongly codified in the CESCR instead of in the CCPR. They encapsulate classical liberal freedoms. Any denial of these rights can be counted as interference which permits the precise identification of the victim(s). The liberty of parents to choose for their children the schools which they feel best suited for the development of their progeny (Article 13 (3)) is the classical example of such a right. One cannot perceive any valid reason which could make it imperative to commit this right to a process of progressive realization. Freedom of choice regarding schools may be characterized as an elaboration of freedom of thought, conscience and religion under Article 18 CCPR. Given that Article 18 CCPR must be strictly safeguarded by States, with very little room for limitations pursuant to pressing domestic needs (Article 18 (3) CCPR), the same should apply to Article 13 (3). No justification can be found for a split approach which takes away large parts of a freedom which is a constitutive element of a free society. The same considerations apply to Article 13 (4). The right to establish educational institutions complements the freedom guaranteed in Article 13 (3). Article 15 (3) likewise constitutes a freedom which has its place outside the logic of scarcity of public resources. Freedom of scientific research and creative 25 Generally on the duty to protect see Klein (ed.), The Duty to Protect and to Ensure Human Rights, Berlin 2000; International Commission on Intervention and State Sovereignty, The Responsibility to Protect, December 2001, http://www.dfait-maeci.gc.ca/ icissciise/report2-en.asp.

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activity protects human conduct which belongs to the natural capabilities of everyone. In connection with the exercise of this right, no claims are raised by necessity against the State. On the other hand, prohibitions to carry out research amount to clearly identifiable interference in the classical sense. Apparently, the drafters of the CESCR felt that education should be regulated as a complex whole in one provision and not be split up in different elements, dispersed over two different instruments. Ratione materiae , however, their choice has no substantive justification. The somewhat arbitrary distribution of certain rights between the two Covenants is also shown by the fact that freedom to form trade unions appears both in the CCPR (Article 22) and in the CESCR (Article 8). The latter provision is more detailed, but some elements of the two provisions are identical (in particular para. 3). Thus, one cannot err in stating that the substance of the right is meant to be the same under both instruments. Apparently, the drafters thought that freedom to form trade unions should not be missing in connection with rules on the right to work (Article 6) and on conditions of work (Article 8). Such duplication of the legal foundations does not cause any harm. Its main consequence is that each one of the monitoring bodies may concern itself with trade union freedom, albeit under different conditions and pursuant to different procedures. Since a couple of years, the ESCRCee employs regularly a formula according to which States are obligated to "respect, protect and fulfil" the rights under the CESCR.26 As far as can be seen, this formula was coined by an expert meeting convened under the auspices of the International Commission of Jurists in January 1997. The "Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights", 27 adopted by that meeting, have become an important tool of the ESCRCee, and they have helped to shape the Committee's General Comments in many respects. I f the analysis of the structure of economic, social and cultural rights embodied in the trinity of "respect, protect and fulfil" 2 8 is correct, each of these rights contains an element which has the nature of a classical freedom in that it provides a defence against governmental interference. It stands to reason that the 26 General Comment 12, U N doc. E/C. 12/1995/5, 12 May 1999, is the first one of the General Comments where the formula is used as a defining parameter (para. 15). 27 Reproduced in U N doc. E/C. 12/2000/13, 2 October 2000. 28 "Like civil and political rights, economic, social and cultural rights impose three different types of obligations on States: the obligations to respect, protect and fulfil. Failure to perform any one of these three obligations constitutes a violation of such rights. The obligation to respect requires States to refrain from interfering with the enjoyment of economic, social and cultural rights. Thus, the right to housing is violated if the State engages in arbitrary forced evictions. The obligation to protect requires States to prevent violations of such rights by third parties. Thus, the failure to ensure that private employers comply with basic labour standards may amount to a violation of the right to work or the right to just and favourable conditions of work. The obligation to fulfil requires States to take appropriate legislative, administrative, budgetary, judicial and other measures towards the full realization of such rights. Thus, the failure of States to provide essential primary health care to those in need may amount to a violation", ibid., para. 6.

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general ratio behind Article 2(1) CESCR - the scarcity of public resources that does not permit any formal legal guarantee of the provision of material goods and services - does not affect this classical dimension of economic and social rights. Thus, a weighty argument would have been found that would support the suggestion by the ESCRCee that the protocol should not be confined to specific rights only, but should have a comprehensive character ratione materiae. In respect of the right to work, this innovative interpretation would yield many interesting results. The right to work would include the freedom to seek employment and also to engage in self-employed activities. Inevitably, this would encompass freedom of transaction in the economic field. It can hardly be denied that this is a desirable result. However, one has to ask whether States parties are indeed ready to accept such inferences. According to a general practice to be found almost anywhere in the world, the right of foreigners to engage in gainful activities is strictly controlled. Although the two Covenants generally require equality of treatment of nationals and aliens, most States do not automatically admit foreigners present in their territories to their labour markets. As a rule, persons of foreign nationality need a specific authorization if they either wish to offer their services to an employer or to establish themselves in a self-employed capacity. Not without reason, governments take the view that free access to labour markets should be agreed upon terms of reciprocity, which is also the basis of free movement of persons within the European Union. The ESCRCee has not yet touched upon this most delicate issue. The General Comments it has issued are confined to specifying the duties of the welfare State.29 The liberal dimension of the right to work has not yet been discovered by it. If the right to work is understood as a complex right which includes both elements of caretaking and of dismantling of bureaucratic obstacles, the controversy which was fought out between Ernst-Ulrich Petersmann30 and Philip Alston 31 would lose much of its bitterness. Whereas Alston views exclusively the role of the State as the great provider, Petersmann focuses somewhat too narrowly on market freedoms as the ideal recipe to solve the problems raised by the fight against poverty and unequal distribution of wealth. In any event, general recognition of an entitlement to opportunities of transaction would bring about a state of harmony between political freedom, which is guaranteed under the CCPR, and economic freedom, the source of which would then be constituted by Article 6 CESCR. To posit that 29 For an overview see http://www.ohchr.org/english/bodies/cescr/comments.htm : General comment 4, 1991: The right to adequate housing; 5, 1994: Persons with disabilities; 6, 1995: The economic, social and cultural rights of older persons; 7, 1997: The right to adequate housing: forced evictions; 11, 1999: Plans of action for primary education; 12,1999: The right to adequate food; 13,1999: The right to education; 14, 2000: The right to the highest attainable standard of health; 15, 2002: The right to water. 30 "Time for a United Nations 'Global Compact' for Integrating Human Rights into the Law of Worldwide Organizations: Lessons from European Integration", EJIL 13 (2002), 621-650; id., "Taking Human Dignity, Poverty and Empowerment of Individuals More Seriously: Rejoinder to Alston", EJIL 13 (2002), 845-851. 31 "Resisting the Merger and Acquisition of Human Rights by Trade Law: A Reply to Petersmann", EJIL 13 (2002), 815-844.

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political and economic freedom must go hand in hand is hardly a revolutionary notion. In German literature, Franz Böhm may be referred to as one of the proponents of this doctrine; 32 at world level, Amartya Sen has written extensively about market freedom as a constitutive element of general development of a nation and as a form of personal emancipation from lack of freedom. 33 Close attention is also deserved by the principle of equality and non-discrimination, a principle which is enshrined both in the CCPR (Article 2(1) and 26) and the CESCR (Article 2 (2)). Here again, the logic of scarcity of public resources does not come into play. If and when a State makes certain goods and services available to its citizens, it must be debarred from applying arbitrary criteria of selectivity. In such instances, the question is not whether States have the necessary resources, but whether all the groups of the population should have access to these resources on equal terms of fairness and reasonableness. The difficult problem of who may be recognized as a victim also finds an easy solution. Whoever is excluded from the benefits granted to the vast majority of the inhabitants of the country concerned may legitimately claim to be aggrieved, demanding specific redress in his/her individual case. The Optional Protocol to the Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women 34 has already demonstrated that it is feasible to establish a remedial mechanism designed to outlaw any form of discrimination with regard to the most diverse form of State activity, including the provision of economic and social benefits. 35 It was already underlined that this configuration may need some more reflection with regard to foreigners. Equality and non-discrimination is a principle well suited to complement and round off civil and political rights since it applies across the board. The rights to life and physical integrity are evenly placed under the protection of governmental authorities. No one may be tortured, irrespective of his/her nationality. It is by no means certain, however, that foreigners should enjoy the same social benefits as the nationals of the country concerned. Any person who has been integrated in the social welfare system of his/her State of sojourn, having paid contributions for the financing of the relevant programs, must of course be entitled to receive payments if he/she finds him/herself in a condition of need. But someone who just happens to be by accident in a foreign country, on a business journey or as a tourist, cannot be deemed to deserve the full panoply of welfare 32

See, in particular, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, Tübingen 1950. Sen, Development as Freedom, New York 2000, 25 et seq. 34 Adopted by UNGA resolution 54/4, 6 October 1999, in force since 22 December 2000. For a comment see Tomuschat, "Learning from the Human Rights Committee's Experience: The Optional Protocol to the Convention Banning Discrimination Against Women", in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (eds.), Recht - Staat - Gemeinwohl. Festschrift für Dietrich Rauschning, Köln et al. 2001, 313-334. 33

35 Notwithstanding their opposition to most of the ESCRCee's proposals, Dennis/Stewart (note 11), 498, accept that an adjudicatory mechanism could be suitable for allegations of discrimination.

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advantages which the legislation of that country provides for. Although Article 2 (3) CESCR would seem to suggest that with the sole exceptions set forth in this provision all other rights under the CESCR must be granted to nationals and foreigners alike, practice does not confirm the conclusions to be drawn from a purely literal interpretation of Article 2 (3). Contrary to this assessment, the European Court of Human Rights recently rendered a bold decision in Koua Poirrez v. France, 36 where it held that an allowance for disabled adults, a non-contributory social benefit, had to be classified as property ("possession") in the sense of Article 1 of Protocol No. 1 to the ECHR and was therefore placed under the protection of the non-discrimination clause of Article 14 ECHR. This is a case which serves as an illustrative example for the possible extension of traditional rights into the realm of social rights. The doctrine of minimum core rights has its roots in General Comment No. 3 of the ESCRCee.37 The Committee is of the view that "a minimum core obligation to ensure the satisfaction of, at the very least, minimum essential levels of each of the rights is incumbent upon every State party. Thus, for example, a State party in which any significant number of individuals is deprived of essential foodstuffs, of essential primary health care, of basic shelter and housing, or of the most basic forms of education is, prima facie , failing to discharge its obligations under the Covenant. I f the Covenant were to be read in such a way as not to establish such a minimum core obligation, it would be largely deprived of its raison d'étre ."

This commentary denotes an understanding of the CESCR for which many valid grounds may be adduced. As the text shows, however, the ESCRCee is fully aware of the pitfalls inherent in its approach. The word prima facie introduces an important proviso. In any State, situations of emergency may arise where public authorities are as powerless as the citizens themselves and where self-help will be the only remedy. Moreover, nobody can close his/her eyes to the phenomenon of the failing State. Many of the young democracies in Africa and Asia are hardly able to assert their authority in remote areas of the national territory. In such instances, to provide assistance to a needy population is outright illusory. Nonetheless, the concept of minimum core obligations is a laudable one. In no State should a person under normal circumstances die from hunger and exposure. Moreover: Is not elementary education such a vital need that any government should provide it to young children under any circumstances? 38 A person who has not learned to read and to write at young age will never be able to fully deploy its intellectual capacities, being relegated from the very outset to the lowest class of the societal hierarchy. If a government does not take care of such basic needs of its people, it loses its legitimacy as the representative entitled to act on behalf of that people.

36 37

Judgment of 30 September 2003.

Of 14 December 1990, U N doc. HRI/GEN/l/Rev.7, 12 May 2004, para. 10. See Eide , "Economic and Social Rights", in: Symonides (ed.), Human Rights: Concept and Standards, Aldershot and Paris 2000, 109, at 122. 38

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V. Back to Standard Situations In the preceding sections, an attempt has been made to show that civil and political rights, on the one hand, and economic, social and cultural rights, on the other, are not separated from one another by a deep and unbridgeable gap and that there are indeed configurations where an optional protocol providing for individual complaints could make a useful contribution to strengthening the rights under the CESCR. The few examples which were given confirm that a large strip of overlapping exists. These overlaps, however, do not call into question the dualistic classification scheme as such. In the following sections, the focus will be on situations of normalcy which would rather give food to the existing doubts as to the suitability of a complaints procedure for the enforcement of economic, social and cultural rights. The first example to be assessed should once again be the right to work. Let us assume that in a given country the rate of unemployment stands at 20%. Can any individual person then claim that he/she is the victim of a violation of Article 6? The Independent Expert who produced two reports on the subject-matter dealt with the problematique under the heading of justiciability. Justiciability is certainly a concept worthy of intensive study. Logically, however, it must first be determined what rights are conceivable which the State concerned may have violated. As already pointed out, the obligations which States undertake by ratifying the CESCR are mostly of a general nature. Regarding Article 6, it is incumbent upon them to take steps which activate the economy so that job opportunities may arise for everyone desirous of finding employment. This general obligation is certainly owed to the other States parties. It is also true that every State party is accountable to the ESCRCee, where it must show that it has deployed serious efforts with a view to securing employment for everyone under its jurisdiction. 39 But the general obligation is not owed specifically to every individual. Whoever would assert such proposition would contend at the same time that just anyone from the public at large has a claim which could be brought to the attention of the body which would have the competence to receive and consider individual communications. Necessarily, apart from instances of discrimination, such communications would have the nature of actiones populares . Unemployment in a given State is the result of many factors. Every member of a given community provides his/her contribution to the actual state of the economy of that community. State authorities may not have taken the right measures, they may even have committed grave and unforgivable mistakes. Although such a balance sheet of mishandling of the economy hovers like a dark cloud over the entire nation, it does not target anyone specifically. Rightly, judicial protection against State action is generally confined to measures which adversely affect a person individually. General political measures, which have repercussions on all citizens alike, are not subject to judicial review. 39

See again ESCRCee, General Comment No. 3: The nature of States parties' obligations, loc. cit. (note 37), passim.

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If really a new protocol opened the gates to communications complaining of failure to manage the economy appropriately, thousands and even tens of thousands of communications could be filed. Obviously, this would dramatically contrast with the [First] Optional Protocol to the CCPR where each case is considered on its own merits. If, however, in instances where a violation of Article 6 is alleged, the author of the communication is not able to point to any measure which has affected him/her specifically, the body concerned would be called upon to gauge the policies conducted by the State concerned over their whole breadth, from labour market policies to fiscal policies and even to foreign policy. This can hardly be the legitimate task of an expert body in dealing with individual communications. The oral stage of the reporting procedure is a much better place for the discussion of such general issues inasmuch as it encompasses a dialogue with competent interlocutors. It would be ludicrous for an international body to discuss the policies of a given country in the absence of any representatives of that country, basing itself just on the written submissions it has received. 40 Similar thoughts are prompted by an examination of the legal position in a State which, contrary to Article 9, has hitherto failed to establish a system of social security. Undeniably, this is a very serious failure. Social security is an essential instrument for the preservation of the dignity of human beings at old age. Life without any secure source of income may mean extreme misery and premature death if a person is unable any longer to gain his/her living by work. But again: the lack of a system of social security affects every inhabitant of the country concerned in a like fashion. Nobody can claim to be more exposed to suffering than his/her fellow citizens. Communications filed with the competent body would again have the nature of actiones populares, and it is hard to see why the ESCRCee hopes to deal with such structural deficiencies in implementing economic, social and cultural rights more efficiently within the framework of a complaints procedure than when examing a State report. On the contrary, thousands of individual communications might inundate the competent body, making it unable to properly discharge its tasks. In any event, it is clear that a specific assessment of the communications received would be neither possible nor necessary inasmuch as the relevant facts and arguments would not relate to the individual case, but would invariably be exactly the same for all the cases to be adjudicated.41 To sum up, it makes little sense to follow the lines of the [First] Optional Protocol to the CCPR by granting a right of complaint to "any individual or group 40

This, however, is the solution suggested in the protocol (Article 7 (4)): "The Committee shall hold closed meetings when examining communications under this Protocol". 41 Consequently, the procedure would assume features of the 1503 procedure where the individual communication constitutes no more than a tiny element of a mosaic which requires to be assessed in its entirety. Following the proposals of the Independent Expert to restrict complaints to allegations of "situations revealing a species of gross, unmistakable violations of or failures to uphold any of the rights set forth in the Covenant", U N doc. E/CN.4/2002/57, para. 34, would thus bring about a total change in the procedural configuration. Skeptical assessment also by Dennis/Stewart (note 11), 513.

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claiming to be a victim of a violation by the State concerned of any of the economic, social or cultural rights recognized in the Covenant". A great deal more of constructive thinking is necessary in order to identify the situations where indeed a complaints procedure could make an effective contribution to the enhancement of the rights in issue.

V I . Parallel Mechanisms at Regional Level Our negative conclusion is buttressed by a look at the mechanisms which have been established for the enforcement through complaints procedures of economic and social rights under other treaty mechanisms at the regional level. The implementation of the rights set forth in the European Social Charter was for many years secured solely through a reporting procedure which had no resonance in the public at large. Proceedings were conducted in private meetings. Therefore, the Charter could not win over the hearts and minds of those who were supposed to be its beneficiaries. Eventually, in the last decade of the last century, the decision was taken by the governments of the member States of the Council of Europe to give some more boost to the Charter. They adopted, on 9 November 1995, the Additional Protocol to the European Social Charter Providing for a System of Collective Complaints.42 According to Article 1 of this Protocol, organizations of employers and trade unions as well as other international non-governmental organizations that have consultative status with the Council of Europe may submit complaints alleging unsatisfactory application of the Charter. The response by the European nations to this Protocol can be said to be fairly disappointing. From the 46 member States of the Council of Europe, only eleven have ratified the Protocol. Given the fact that the Protocol exists now for almost a decade, it can hardly be expected that the circle of parties will still grow significantly larger at any time in the future. As far as the Inter-American system for the protection of human rights is concerned, the 1988 Protocol of San Salvador 43 provides for individual petitions, but only to a very limited extent, regarding trade union rights and the right to education. Deliberately, the members of the Organization of American States refrained from granting the same kind of remedy also for the enforcement of the other rights enunciated in the Protocol. Thus, the Protocol of San Salvador cannot be relied upon to prove that indeed a complaints procedure is perfectly conceivable with regard to all economic, social and cultural rights. Trade union rights, as pointed out above, are truly classical freedoms and have been listed in the CESCR only for the sake of completeness of the enumeration of labour rights. On the other hand, 42

ETS No. 158, in force since 1 July 1998. Additional Protocol to the American Convention on Human Rights in the Area of Economic, Social and Cultural Rights of 17 November 1988, OAS Treaty Series No. 69, I L M 28 (1989), 161. 43

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the right to education may be counted as the reverse side of one of the "minimum functions" which any entity aspiring to be State must discharge in order to earn that qualification. 44 The legal position might be different in Africa as soon as the Protocol to the African Charter of Human and Peoples' Rights on the Establishment of an African Court on Human and Peoples' Rights 45 will be implemented. According to this Protocol, the African Court may receive individual cases, provided that the State against which the application is directed has accepted this procedure. Since the African Charter comprises both traditional freedoms as well as economic, social and cultural rights, individuals will thus have the opportunity to complain about alleged violations of any of the rights guaranteed by the Charter without any distinction as to their substance. However, the evidentiary value of this regional experiment is subject to some doubt. To date, although the Protocol came into force in January 2004, any practical experiences are lacking because in July 2004 the Assembly of the African Union decided at its 3rd Ordinary Session in Addis Ababa to integrate the African Court and the Court of Justice of the African Union into one Court. 46 This new Court has not yet been established, and the merger of totally different functions does not augur well for its future. It may well be that the inclusion of economic, social and cultural rights in the petition scheme was motivated by a general intention to "do something for human rights", without reflecting too much about the consequences that might be entailed by such a courageous decision.

V I I . Failure of the ESCRCee to Make Appropriate Use of its Powers under the Reporting Procedure The Independent Expert who studied primarily the justiciability of human rights devoted also a high degree of attention to the issue of which body should be bestowed with jurisdiction to receive and consider communications in the field of economic, social and cultural rights. This is in fact an important issue. Although currently a complaints procedure is not yet in place, some lessons can be derived from the practice of the ESCRCee in examining State reports. The level of intensity it has reached in this area would hardly be surpassed once it would have received competence to consider individual complaints. Stock-taking amounts to outright disillusionment, however. Any observer can only be dismayed by the way in which the ESCRCee operates when trying to assess, on the occasion of its study 44

The 1997 World Bank World Development Report, on the other hand, classifies "education" as belonging to the intermediate State functions, see Fukuyama, op. cit. (note 19), 8. 45 Reprinted in: Brownlie/Goodwin-Gill ed., Oxford 2002, 741.

(eds.), Basic Documents on Human Rights, 4th

46 See information provided by Amnesty International, http://news.amnesty.org/index/ ENG AFRO 10142004.

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of State reports, whether governments have lived up to their commitments under the CESCR. It may suffice to give one example from the recent practice. 47 The ESCRCee studied the report of Ecuador in May 2004. Its Concluding Observations on the report date from 14 May 2004. According to the scheme it has developed for this exercise, it first sets out the "positive aspects" before proceeding to "factors and difficulties impeding the implementation of the Covenant". Then comes a long section on "principal subjects of concern" which comprises 23 paragraphs which are all extremely short and concise. Thus, the first paragraph states: "The Committee is concerned about the lack of independence of the judiciary and the alleged human rights abuses committed by the judiciary".

This style of pretorian brevity is maintained throughout the section. Two more, particularly striking examples should be given from the same document: "The Committee is concerned about the high percentage of unemployment in the State party and the size of its informal economy",

and "The Committee is deeply concerned about the persistent and growing level of poverty in the State party, affecting primarily women, children, indigenous and Afro-Ecuadorian communities".

For the purposes of identifying shortcomings, this is an adequate method. The relevant problems were extensively discussed during the meetings between the members of the ESCRCee and the delegation appearing before it so that the Ecuadorian Government was fully informed about the preoccupations of the Committee. The Concluding Observations are meant to constitute a summary of the proceedings. However, when it comes to indicating strategies for tackling the social illnesses denounced by the ESCRCee, the same method is not adequate. I f the examination of State reports is to be of any assistance to the States appearing before the Committee, substantive advice would have to be given to the government concerned. However, the section on "Suggestions and recommendations" provides only general admonitions which are trivial truths which any reasonable person in the country concerned knows fairly well without any lesson from an international body. On judicial independence, the ESCRCee had this to say: "The Committee urges the State party to take immediate and appropriate measures to ensure the independence and integrity of the judiciary ...".

One might defend this statement by arguing that indeed to ensure the independence and integrity of the judicary is largely dependent on the will and dedication of governmental authorities. With regard to unemployment, however, one would expect more substantiated language, given the fact that in any event no govern47

This example is absolutely representative of the current practice of the ESCRCee.

An Optional Protocol for the CESCR?

833

ment has a taste for large masses of unemployed people. But the ESCRCee, from Olympic heights, just confínes itself to stating: "The Committee urges the State party to take effective steps to reduce the unemployment rate as well as the percentage of employment in its informal economy".

The same helplessness is reflected in the call on the Ecuadorian Government to combat poverty: "The Committee encourages the State party to intensify its efforts and activities to combat poverty, including the setting up of an antipoverty strategy to improve the living conditions of the disadvantaged and marginalized groups ...".

What is the added value of such an exercise in the exchange of hollow messages? The Ecuadorian Government will not be any wiser as to the means it should employ in order to improve the deplorable situation in its country, and the members of the ESCRCee may be satisfied because they have accomplished their work, but they would have to recognize that their suggestions and recommendations are hardly worth reading. If the examination of State reports, where the ESCRCee is in the presence of representatives from the country concerned and has access to first hand expert knowledge, yields such poor results, one cannot expect that the examination of individual communications behind close doors in private session might be any more productive. The ESCRCee has excelled in drafting General Comments which, with a maximum effort in juridical imagination, describe the scope of application of the individual rights under the CESCR. The actual application of these benchmarks, however, must be called a blatant failure. In sum, the ESCRCee has missed a golden opportunity to show that third-party control over the implementation of economic, social and cultural rights can be carried out in a rational fashion by a body of legal experts. Its practice rather tends to prove the contrary, namely that such a body is totally lost when confronted with the task of gauging an ensemble of complex economic and social policies as to their compatibility with the relevant legal parameters. 48

V I I I . Conclusion Broadening the competence of the ESCRCee by conferring upon it jurisdiction to hear individual communications (complaints) on the basis of the protocol elaborated by the ESCRCee would be a serious mistake. The proposal does not take into account the specific nature of economic, social and cultural rights which the ESCRCee has acknowledged on the one hand, but wishes to belittle to the greatest

48 For a discussion on whether the ESCRCee would be the right body for the examination of individual complaints see the two reports of the Independent Expert, E/CN.4/ 2002/57, paras. 38-42, and E/CN.4/2003/53, paras. 52-53, as well as Dennis/Stewart (note 11), 466.

834

Christian Tomuschat

extent possible on the other hand.49 Judicial methods are not the best suited methods for the strengthening of second generation rights. Unfortunately, the ESCRCee has not exploited the opportunities provided by the reporting procedure. Here, great improvements are possible. Individual communications could be used as supporting material for encounters with delegations from States parties where the crucial issues could be studied in depth. The current structure and composition of the ESCRCee does not seem to favour conducting such a truly constructive dialogue. 50

49

Thus, judicial enforcement at domestic level is strongly advocated in General Comment No. 9, 1999, U N doc. HRI/GEN/l/Rev.7, 12 May 2004. 50

Our conclusions largely coincide with those reached by Dennis/Stewart

(note 11).

American International Law: A Sonderweg? By Detlev F. Vagts

I. Introduction Although international law is supposed to be universal, as Verdross' treatise title would have it, 1 it has been shown that there are striking differences among national approaches to the subject. Each has followed its special path or Sonderweg. The work of Martti Koskenniemi demonstrates that the international law propounded in France and in Germany before 1914 were quite different. 2 After 1914 German international law teaching went its own way, though quite differently during the Weimar and the Nazi periods. 3 Has the same been true of international law in the United States? That is the subject of this contribution and the conclusion to which it comes is that, to a large extent, United States law of nations is sharply different in its approaches, its topics and its conclusions from other national branches of the discipline. This has to do with the situation of the United States in world affairs, with the relative geographical and linguistic isolation of the American branch of the profession and with the special approaches taken by American scholars in analyzing domestic law. Professor Delbrück himself is quite familiar with the peculiarities of the American learning but it seemed useful to provide this summary for the guidance of those who have not had as many contacts on the other side of the Atlantic.

II. The History of US International Law American international law started out as a branch of the European discipline. The texts used were the same as on the other shore of the Atlantic - Vattel, Pufendorf and Bynkershoek. Combing electronically through the reports of the Supreme Court one finds dozens of citations to each, particularly to Vattel. There were passages about international law in Chancellor Kent's commentaries on American law of 1826 but the first American treatise, that by Henry Wheaton did not appear until 1

Verdross, Universelles Völkerrecht: Theorie und Praxis, 1984. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations: The Rise and Fall of International Law 1870-1960, 2001, 179-352. 2

3 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur, 1914-1945 , Vol. 3, 1999, 380-400; Vagts, International Law in the Third Reich, AJIL 84 (1990), 661.

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Detlev F. Vagts

1836. A European historian says it "could in many ways be a European textbook on international law of that period". 4 The focus of the American courts was on the maritime side of international law and the naval clashes between the new republic and the British and French furnished much material for analysis. As these matters quieted down so did the significance of international law in the American literature and schools. It was only in 1898 that the Harvard Law School established a chair in international law; it was funded by a lawyer who had noticed the lack of preparation on the part of counsel that represented the United States in the Alabama arbitration with Great Britain in the 1870s. The chair remained vacant for substantial periods thereafter. A chair at Columbia (the Hamilton Fish chair) followed. International law concerns never disappeared completely in the late nineteenth century; the law of nations proved to be relevant to questions arising from our Civil War and later the Spanish American war and its colonial aftermath. In a sense the emergence of a mature American international law presence dates to 1906 when the American Society of International Law was founded and the American Journal of International Law began publication.5 It was also the date of the publication by James Bassett Moore of the first digest of U.S. practice in international law. These developments were interconnected with the meeting at The Hague, the first international conference with an attendance representing each of the continents and arousing widespread public interest in its agenda. Figures such as Elihu Root and Charles Evans Hughes became involved in the project of creating world peace through law with a focus on the peaceful resolution of conflicts through arbitration. 6 That interest was transferred to a degree to the project of the League of Nations, an endeavor which was in a sense ruined by the United States and its failure to ratify the Covenant but which also had a substantial appeal in the country. The 1930s largely represented a relapse by the United States into an isolationist frame of mind. Still a devoted band of internationalists kept the colors flying. The work of the Harvard Research program on treaties and extraterritorial jurisdiction represented a major collective scholarly effort that foreshadowed the restatements produced after World War II, American business became more entangled than ever with foreign aspects. American openness to international law was enhanced by the coming of such émigré scholars as Leo Gross, Hans Kelsen and Steven Riesenfeld, even though their impact on American law was not as pronounced as that of their colleagues in comparative law. To that number one would add Hans Morgenthau even though he wrote as an international relations scholar rather than as a lawyer.

4 Scupin, History of the Law of Nations: 1815 to World War I, EPIL, Vol. 2, 1995, 767 (784). 5 Kirgis, The Formative Years of the American Society of International Law, AJIL 90 (1996), 559. 6

Raymond/Frischholz, Lawyers who Established International Law in the United States, 1776-1914, AJIL 76 (1982), 802 (823-826).

American International Law: A Sonderweg?

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World War I I saw an unprecedented number of Americans involved in international activities and witnessing the necessary involvement of the United States in the winning of the war and the construction of the peace. At varying levels of seniority such scholars as Louis Henkin, Philip Jessup, Myles McDougal, Oscar Schachter and Seymour Rubin found their interests refocused through the experience. The creation of the new international economic institutions such as the International Monetary Fund, the World Bank and the General Agreement on Tariffs and Trade involved numbers of Americans not only in their creation but in their administration thereafter. The erection and maintenance of the cold war alliance had a similar effect in drawing the interest of talented Americans to the outside world. Another noteworthy body of recruits to the international law world was represented by the talented young graduates brought by Professor Abram Chayes to the office of the Legal Adviser to the State Department during the presidency of John F. Kennedy. Yet the overall impact of international law on the world of American law practitioners and teachers remained modest. Nearly every law school in the country now had a professor of international law but their audiences tended to be relatively small. There were fewer impressive figures among those now entering the field and one observed that the brightest talents, those who could teach wherever they wanted and whatever subject they wanted, seldom opted for international law. As the decade of peace after the fall of the Berlin wall turned into the age of the war on terrorism it was apparent that America's talent in the field ran rather thin and that those who did teach the subject were overwhelmingly at odds with the administration's policies. Thus international law in the United States does not have the momentum that it has in countries that are involved in pervasive, even intrusive, international organizations such as the European Union, the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, the Organization of American States and the like.

I I I . Institutions To understand the character of American international law today one has to understand the institutions within which it develops, arrangements that are very different from those prevalent elsewhere. Aside from the academic world these institutions are the American Society of International Law, the Section on International Law of the American Bar Association and the American Branch of the International Law Association. Each of them has a substantial number of members. There are in all about 170 law schools in the United States. They are much less homogenous than German law faculties; some are state institutions, some are private, some are national in appeal and others are local. Some are regarded as prestigious and enjoy a dozen or more of applications for each position in the

Detlev F. Vagts

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entering class. A few of the more prestigious schools make a strong point of advertising that they are "global", a term of uncertain significance. Public International law is taught at more or less every law school. So far as I am aware, it is required at only one, the University of Michigan. More specialized courses are offered at many schools; these include international litigation and arbitration, international economic law, international environmental law, transnational business law and so forth. The fraction of American law students who take any of these courses is limited, perhaps amounting to 37 %. 7 Many see no real likelihood that their practice will involve trans-border factors, they know that the bar examination will not contain any questions on international law. The directory of law teachers indicates that there are over 800 who teach international law; most of them also teach some other subject since the deans want everybody to carry a fair share of the burden of teaching large numbers of students. The number of professors who are really comfortable with a language other than English is not large, a fact reflected in their footnotes. 8 This limits what they can read in languages other than English; others, particularly Germans, have made life easier for monolinguists by publishing much of their output in English.9 In comparison with the number of foreigners who have studied at American law schools the number of Americans who have studied outside their country is small indeed. The volume of scholarly production on international law is amazing. There are two journals published by professional groupings and refereed by mature experts - the American

Journal

of International

Law and The International

Lawyer.

In

addition there are a multitude of international (and comparative) law journals published by students at various law schools. These journals are almost all subsidized by their schools which value them as a process through which their students acquire skills in legal writing. They vary widely in quality and the sheer volume of materials that they require means that almost any author can get printed somewhere. 10 The regular unspecialized law reviews published by every law school also publish international articles from time to time. A full survey of the field would also require the reader to look at international relations journals such as Foreign Affairs, Foreign Policy , International

Organization

and the like. Keeping track o f

all of this outpouring is a taxing assignment for American scholars, far harder than in those countries where there are only one or two specialized publications such as the German Yearbook of International

Law and the Zeitschrift für

ausländisches

1 Barrett, International Legal Education in U.S. Law Schools. Plenty of Offerings, But too Few Students, International Lawyer 31 (1997), 845. 8 A careful study, Pellet , Correspondence, AJIL 82 (1988), 331, showed that only 1.4 % of American footnotes cited French sources (compared to 7.3 % English citations in the Annuaire de droit international). 9 Up to 2001 the Encyclopedia of Public International Law had been cited 205 times in the American literature but Juris-Classeur, in French only, but once. Vagts , Book Review, AJIL 95 (2001), 726. 10

For an attempt to evaluate these journals see Crespi, Ranking International and Comparative Law Journals: A Survey of Expert Opinion, International Lawyer 31 (1997), 869.

American International Law: A Sonderweg?

839

öffentliches Recht und Völkerrecht. Getting a sense of American views on a particular topic is all the more difficult because there are no major authoritative treatises to look to; there are several one volume works for student readers but there as been no comprehensive text since 1947 when the second edition of Charles Cheney Hyde's major work entitled "International Law Chiefly as Applied and Interpreted by the United States" appeared.

IV. Foreign Relations Law One feature that distinguishes American scholarship and teaching on international law is the degree of the emphasis on foreign relations law, that is, the part of United States constitutional and public law which has to do with the way in which international law comes to be a part of American law and is enforced within the country by American political and judicial institutions. This topic is not left uncovered in other bodies of international law teaching. It was indeed in Germany that Heinrich Triepel developed the distinction between "monism" and "dualism" 11 as ways of describing the incorporation of international law into the domestic level. The German constitution and others have provisions about the status of treaties and customary law within the system of norms. Still a survey of major texts on international law stemming from Europe and the United States shows that there is a clear difference in emphasis. American texts tend to devote 20 % of their space to foreign relations law and even more when one includes their treatment of foreign sovereign immunity and the act of state doctrine which are more outgrowths of American public law than of the law of nations and which can be studied or commented upon without much reference to non-American sources. To push the matter to an extreme there are two American casebooks devoted entirely to foreign relations law. 12 The Restatement of Foreign Relations Law of the United States manages to include international law in its coverage in a way that suggests that the law of nations is only meaningful when it is incorporated into U.S. law. 13 The place of treaties in American law derives from Article V I of the constitution which proclaims that they are the supreme law of the land, alongside federal statutes. The first question this raises is quite clearly answered by the text, that is, what is the relation between a treaty and a statute of one of the fifty states? Both the language and the history have led to the conclusion by the courts and commentators that treaties entered into by the federal government prevail over state law. But there remains a question: what limitations are there on the subjects as to which the federal government can make treaties without infringing on the rights of the 11

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899. Franck/Glennon, Foreign Relations and National Security Law, 2nd ed., 1993; Bradley/ Goldsmith, Foreign Relations Law, 2003. 12

13 Restatement of the Foreign Relations Law of the United States (Third), 1987, § 1. Be it noted that I was an Associate Reporter of the project.

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states? For many years it was assumed that the only restraints on the federal treaty power were political. In recent years the Supreme Court has several times struck down federal statutes on the ground that they infringed on state prerogatives. 14 While it has not yet invalidated a treaty on that basis commentators have written at length on the question.15 It is in a sense the counterpart of European concepts of "subsidiarity" and represents a judgment that the intrusion of the outside world on American life should be held back. That sense accounts, among other things, for the reservations which the United States added to its ratification of the International Covenant on Civil and Political Rights. They protect the right of the states to continue with such practices as executing persons below the age of eighteen at the time they committed the crime. The relationship between treaties and federal law presents more difficult issues. The question arises whether a later statute can cancel out an older treaty. A consistent series of Supreme Court decisions has answered in the affirmative. 16 This is based in part on the text of Article V I which puts treaties and statutes on a parity with each other as sovereign acts. It is also supported by a judgment that the political branches of the government should be free to renegotiate agreements with foreign countries without judicial interference. In the older cases the Court almost always observed that on the international plane the United States remained bound by its agreements and that its honor and good faith should be protected. That concept has received short shrift in recent opinions and scholarly writings. Indeed the concept of international commitment receives very short shrift indeed in the literature on the foreign relations law literature - so short that the student who reads too rapidly might miss it altogether. 17 A related question is whether a particular treaty is "self-executing", that is, whether it can be enforced by the courts in litigation between private parties without there being a statute to bring it into effect. It is a distinction rather parallel to that in the European Union between those of its pronouncements which have direct effect and those which leave to the members the appropriate way of making the rule operational. Although the Supremacy Clause seems to say that a treaty is the supreme law of the land and all judges shall be bound by it there is a long history of case law determining which treaties are or are not self-executing, a matter thought to depend on the intent of the Senate in giving its consent. The

14 In one of those cases, Printz v. United States, 521 U.S. 898 (1997), the dissent by Justice Breyer draws attention to potentially useful European comparisons. Id. At 976-977. 15

For a brief treatment of the question with references to the authorities see Bradley/ Goldsmith (note 12), 373-385. 16 This history is explored in Vagts , The United States and its Treaties: Observance and Breach, AJIL 95 (2001), 313. 17 For example Bradley/Goldsmith (note 12), 354 had a one sentence reference: "keep in mind that even when Congress does override a treaty as a matter of U.S. domestic law, the treaty still binds the United States under international law until validly terminated."

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extensive recent commentary 18 on this question tends to keep the focus away from the fact that as a matter of international law a state's problems in making a commitment effective as internal law in no way excuse it from fulfilling its international obligation. Finally foreign relations scholars come to the question whether the treaty power is exclusive. Can both houses of Congress acting by a mere 50% majority authorize the President to make international agreements and thus bypass the requirement that two thirds of the Senate approve a treaty. The matter has been hotly debated by eminent constitutional law scholars. 19 The Supreme Court a century ago held that customary international law is part of the law of the United States.20 However it specified that customary international law was only controlling in the absence of legislative or executive action to the contrary. In recent years the focus has shifted to the question whether the international consensus on capital punishment had developed to the point where it constitutes a custom and, if so, whether it supersedes state law. The negative voices put some emphasis on the fact that the federal government has carefully avoided committing us to treaty obligations which would contravene state law and reject the idea that judges, by finding that a customary rule exists, could do the same thing. They criticize the line of cases under the Alien Tort Claims Act which claim the right to determine whether a rule of customary law exists21 (although those cases do not address the question of the impact of such rules on state law). All of this is accompanied by very demanding standards as to when a customary rule in fact emerges from practice, so demanding that very few rules meet the criteria set by these scholars. Once more, the concept of the United States as a sovereign entity in the old sense and of the states as largely autonomous permeates U.S. foreign relations law. The foreign relations law output of American scholars is by and large of no interest to foreign scholars and has produced no country to country dialogue. But it is harder to ignore these writers since they have played significant roles in the formulation of positions on international law and relations by the Bush administration.

18 For a brief treatment of the self-executing question with authorities see Bradley/ Goldsmith , (note 12), 339-348. 19 Tribe, Taking Text and Structure Seriously: Reflections on the Free-Form Method in Constitutional Interpretation, Harv. L. Rev. 108 (1995), 1221; Ackerman/Golove, Is NAFTA Constitutional?, Harv. L. Rev. 108 (1995), 799. For an international lawyer's perspective see Vagts, International Agreements, the Senate, and the Constitution, Columbia J. Transat'l L. 36 (1997), 143. The only case to consider the matter rejected the challenge to legislative agreements. Made in the USA Foundation v. United States, 242 F.3d 1300 (11 th Cir. 2001). 20 The Paquete Habana, 175 U.S. 677 (1900). 21 Bradley/Goldsmith , The Current Illegitimacy of International Human Rights Litigation, Fordham L. Rev. 66 (1997), 319.

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V. American Hegemony The United States has been said to be a hegemonic, indeed imperial, power. 22 International law thinking reflects this concept though in a muted sense. In fact the only extended study of the impact of U.S. hegemony on international law was mounted in Europe with only secondary participation by Americans. 23 That volume examined treaty law, customary law and international organizations and concluded that the influence of American hegemony was fairly modest. American scholars tend rather to assume that the United States is unique. They accept the fact that the United States can maintain a certain level of sovereign independence that other nations cannot match. Those with a penchant for international relations theory tend to downplay the vulnerability of the United States to retaliation by other states if America defects from an agreement and thus put a low value on cooperation. Rethinking of the concept of hegemony is under way. The problems that surround the incursion into Iraq have led the President to appeal to other countries and to the United Nations to share the military and financial burdens of reconstructing Iraq as a democratic and peaceful state. Other countries - those placed by President Bush in the "axis of evil" category - send out disturbing messages about their potential nuclear weaponry that call for cooperative responses by the peaceloving states. The promulgation by the U.S. government of a doctrine of preemptive force in advance of real threat by one of these rogue states has yet to be thoroughly examined in the legal literature. 24 Certainly such a right, if recognized, would have to be the exclusive possession of the hegemon; states such as India and Pakistan, Iran and North Korea have grounds for regarding their neighbors as threatening them with destruction more valid than those of the United States but cannot be allowed to preempt such violence. International lawyers will have to review their thinking about the structure of the United Nations and other international organizations such as the International Atomic Energy Agency in the search for a solution which will allow the United States to exercise enough power to satisfy its ambitions but still be capable of drawing upon the cooperation of other states to carry a portion of the load. Although there is some talk of American hegemony when dealing with international economic matters it is muted. While the American economy is still the single biggest producer the gap between it and its nearest competitors is narrow, 22 For references to the "imperial" and "hegemonic" literature see Vagts, Hegemonic International Law, AJIL 95 (2001), 843. 23 Byers/Nolte (eds.), United States Hegemony and the Foundations of International Law, 2003. 24 For a description of the Bush policy see Daalder/Lindsay, America Unbound: The Bush Revolution in Foreign Policy, 2003. For early analysis of preemption by an American and a German scholar see Sofaer, On the Necessity of Preemption, EJIL 14 (2003), 209; Bothe, Terrorism and the Legality of Pre-emptive Force, EJIL 14 (2003), 227.

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much narrower than that between the United States and others with respect to expenditures on arms and defense. It is also substantially narrower than it was in the years immediately after World War I I when the United States was able to lay down the rules for the organization of global trade and finance. American politicians and commentators show a high awareness of the possibility that foreign states will react effectively if the United States breaches the rules of the game set by the GATT/WTO. One of the areas in which the American sense of hegemony is displayed is the questions of extraterritoriality. 25 At least since World War I I American internationalists have claimed the right to project American rules into foreign realms. This began with a series of antitrust cases that aggressively utilized the "effects doctrine" to regulate activities outside the United States. American rules on exporting goods, particularly materials with potential military applications, caused some difficulties with other countries even though alliances during the cold war tended to minimize these difficulties. Confrontation across the Atlantic blazed up again as a result of the Helms Burton statute designed to penalize those who "trafficked" in the products of expropriated property in Cuba. Only a presidential agreement to suspend the contested provisions brought peace to this front.

VI. Liberal Idealism From the beginning American political thought has included a belief that the American political system would serve as an example for reform in other countries - that it would be a "city on the hill." To varying degrees over time it has also included an element of missionary zeal, the idea that American values should be projected into foreign societies. Sometimes this involved the use of force, sometimes it called only for assistance guidance and "public diplomacy." This element of U.S. thought has been reflected in various ways in international law. In recent years the most salient reflection has been the human rights movement. It has been shown that the creation of the basic modern human rights corpus directly after World War I I was the result of collaboration between American, French and other figures. 26 But American lawyers, institutions and journals have provided special momentum for the human rights movement. In so doing they have forged closer links with foreign internationalists than have most Americans; in particular they have brought to America numbers of important human rights activists from developing countries. The human rights group in American academia has been at odds with conservatives in various respects. Some conservatives have expressed concern at the un25 For an American perspective on extraterritoriality see Steiner /Vagts/Koh, Legal Problems, 4th ed., 1994, 885-994.

Transnational

26 Glendon, A World Made New: Eleanor Roosevelt and the Universal Declaration of Human Rights, 2001.

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democratic character of Non Governmental Organizations and the influence that they exert at the United Nations. For one thing, the American political system has resisted the incursion of human rights norms into the American legal system. It took years to obtain Senate consent to the Genocide Convention, the International Covenant on Civil and Political Rights and other major universal agreements. When they were adopted they were accompanied by reservations and understandings designed to prevent them from having any domestic effect. There has been scholarly dispute between Americans and others about the compatibility of these reservations with the law of treaties as expressed in the Vienna Convention. For the establishment American constitutional rights are enough and no foreign reformers need apply. Another point of controversy centers around the Alien Tort Claims Act. 27 This statute, dating back to 1789, has been interpreted by U.S. courts as authorizing them to entertain suits against foreigners who tortured, killed or disappeared non-Americans. After a considerable time lag it began to appear to conservatives that there was inconsistency and perhaps hypocrisy in a situation wherein we rejected restraints from the law of nations as limiting our activities while at the same time imposing them on other countries. And very recently the federal government has started to try to persuade the courts not to pursue this route, particularly where American corporations constitute the defendants. Finally, one notes that conservatives within the government have tended to frustrate statutory provisions designed to put pressure on countries with outstanding records of violating human rights, sacrificing those interest where local tyrants cooperate in the war on terrorism. 28 One product of American democratic idealism is that it causes U.S. internationalists to categorize other states as more or less liberal. They calculate, for example, that wars are less likely to take place between liberal states. Indeed, they have argued for a different species of international law to govern the relations between liberal states than that system which includes all countries. 29

V I I . Domestic Intellectual Approaches The way in which scholars approach international law is inevitably influenced by the styles developed in connection with thinking about domestic law. The United States has seen three such styles - legal realism, critical legal studies and law and economics. The impact of each of these on international law scholarship has to be considered. 27 28 U.S. Code § 1350. The Supreme Court recently decided that the statute did authorize courts - cautiously - to apply a modernized law of nations. Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S.Ct. 2739 (2004). 28 Carothers, Promoting Democracy and Fighting Terror, Foreign Affairs 82/1 (2003), 84. 29 Burley, Law among Liberal States: Liberal Internationalism and the Act of State Doctrine, Columbia L. Rev. 92 (1992), 1907.

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1. Legal Realism Legal realism developed in the 1920s, primarily at the elite American law schools, especially Yale. It sought to undermine the concept of law as a closed logical deductive scheme. It attacked ways of thinking that were associated with the name of Christopher Columbus Langdell, dean of he Harvard Law School. Scholars looked for the motivations behind statutes and judicial decisions. One of them sought to analyze judges' minds to see what their real reasons for decision were. In the forefront of the movement to establish legal realism on the international stage was the Yale Professor Myres McDougal. 30 Enormously productive and highly original, he succeeded in doing what few American law professors have done, that is, establish a school with numerous disciples who picked up his ideas and developed them further. A few of his students returned to other countries and cautiously incorporated his ideas into their work. 31 For one thing the schema he developed was based on a set of values that seemed very American in quality. For example, his argumentation in favor of the legitimacy of U.S. testing of the hydrogen bomb in the Southwest Pacific saw matters from a very American perspective.

2. Critical Legal Studies Critical Legal Studies (CLS) was for a period an influential movement in American domestic law though its influence has declined in the last few years. To some extent it carried on the work of realism in demonstrating that rules were not apolitically derived from universally agreed upon general principles. It emphasized the political quality of decisions. It also focused on the semantics and structure of international law argumentation or discourse, demonstrating the incoherence and circularity of its concepts and the contradictions among them. 32 "Indeterminacy" was a battle cry for CLS; there were of course observers who judged that it needed no "ghost come from the grave to tell us" that international law was indeterminate. Although CLS was largely American in its origins it cited various European scholars in support of its ideas and some European internationalists, most notably Martti Koskenniemi,33 followed CLS methodology in their writing.

30 The convenient source for his thinking is McDougal/Reisman, International law in Contemporary Perspective: The Public Order of the World Community, 1981. 31 Reisman, Judge Shigeru Oda: A Tribute to an International Treasure, Leiden Journal of Int. L. 16 (2003), 57, 62. Most European reactions are probably like that in Koskenniemi (note 2), 475: "McDougal's and Harold Lasswell's Yale School was only the most visible but perhaps among the least influential of the new approaches ...". 32 Bederman, The 1871 London Declaration. Rebus sic Stantibus and a Primitivist View of the Law of Nations, AJIL 82 (1988), 1 (30 f.). 33 See especially Koskenniemi, From Apology to Utopia: The Structure of International Legal Argument, 1989.

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Detlev F. Vagts

5. Law and Economics But by far the single biggest source of new ideas about international law in recent years has been law and economics. Economic thinking began by penetrating areas of law with a natural affinity for economics such as antitrust law, corporations and securities regulation. The presence of professors, administrators and lawyers with training in both disciplines has furthered the advance. Junior law professors often found legal argument to be soft and indefinite and welcomed the hard-edged quality of economic analysis, including its ability to find relevant numbers and manipulate them in ways that supported argumentation. It was noted by critics that law and economics scholars tended to come out with conservative answers. Their respect for the market and its efficiency - as contrasted with their disdain for regulators and legislators - tended to cause them to conclude that business should be left alone. Of late law and economics analysis has been broadened and qualified by a recognition that people do not always behave as wholly rational maximizers of their own satisfaction. Economic analysis, while focused on the market, also offers some tools applicable outside of markets, such as game theory (including the frequently featured prisoners' dilemma). The sub-science of behavioral economics is winning attention. Again we have a movement that is very American in its origin and driving force, although there are devotees to be found in other countries. Predictably economic analysis first entered international law in areas that are basically economic in character, in particular the areas governed by the General Agreement on Tariffs and Trade and the World Trade Organization. 34 Others have extended this approach to the field of international antitrust law. 35 Moving into other areas, scholars applied economic-statistical techniques to questions not economic in their subject matter. For example they attempted to predict the degree to which states would ratify and comply with human rights treaties by gathering data as to various characteristics of their governments and then applying regression analysis to determine their correlation with compliance.36 The same approach was used to seek an answer to the question why some states and not others entered into bilateral investment agreements with capital-exporting states.37 The skeptic wonders whether there are not too many variables and too few members of the population to make regression techniques really reliable.

34 E.g. Sykes , Countervailing Duty Law: An Economic Perspective, Columbia L. Rev. 89 (1989), 199; Hufbauer, Economic Sanctions Reconsidered, 2nd ed., 1990. 35 Dodge, An Economic Defense of Concurrent Antitrust Jurisdiction, Texas J. Int. L. 38 (2003), 27; Guzman, Antitrust and International Regulatory Federalism, N Y U L Rev. 76 (2001), 1142. 36 Hathaway, 1935. 37

Do Human Rights Treaties Make A Difference? Yale L. J. I l l (2002),

Guzman, Why LDCs Sign Treaties that Hurt Them: Explaining the Popularity of Bilateral Investment Treaties, Virginia J. Int'l L. 38 (1998), 639.

American International Law: A Sonderweg?

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V I I I . Conclusion It follows from what precedes this conclusion that America's activity in the law of nations has followed a course of development significantly divergent from that in Europe and elsewhere. It is influenced by the special status of the United States in the world of power, by the oddity of American educational institutions and by the influence of special approaches to law in general that give a special bent to studies of international law. The focus of so many American scholars on foreign relations law disables them from participating in an international dialogue. There is reason to be concerned about this divergence. It keeps American scholars and government officials from reaching agreement with colleagues in other countries. The inability of American internationalists to attract large numbers of students to their classes means that many American lawyers graduate without the equipment to conduct dialogues with their foreign confreres. One hopes that in the day of globalization more institutions will develop to pull the intellectual communities of different countries closer together.

Die herausgeforderte Einheit der Völkerrechtsordnung Von Wolf gang Graf Vitzthum Et haec quidem quae iam diximus, locum [aliquem] haberent etiamsi daremus, quod sine summo scelere dari nequit, non esse Deum aut non curari ab eo negotia humana. Diese hier dargelegten Ausführungen würden auch Platz greifen, selbst wenn man annähme, was freilich ohne die größte Sünde nicht geschehen könnte, dass es keinen Gott gebe, oder dass er sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere.

Mit diesen berühmten Worten in den „Prolegomena" von „De jure belli ac pacis libri tres" legte der entschiedene Aristoteliker Hugo Grotius im Jahr 1625 eine Grundlage für das moderne Naturrecht. Er versuchte, das Kriegs- wie das Friedensvölkerrecht frei von einer unablösbaren religiösen Grundlage zu konstruieren. Ein Recht, das Staaten ganz unterschiedlicher Religionen bindet, kann in der Tat nur Wirkung entfalten, wenn es sich nicht mit einer bestimmten Religion identifiziert: Nichtidentifikation, wenn auch nicht Werteindifferenz, als Bedingung der Möglichkeit einer allgemein zugänglichen Völkerrechtsordnung. Die Gefährdung ihres Zusammenhalts und die den einschlägigen Spaltungstendenzen begegnende Arbeit an einer völkerrechtlichen Integrationslehre bilden das Thema meiner Skizze. Sie ist einem der großen Völkerrechtsgelehrten der Gegenwart gewidmet.1 Angesichts der noch ganz fließenden Situation unserer Zeit trägt Nachfolgendes ganz den Charakter der Vorläufigkeit. Als der normative Maßstab der internationalen Politik hat die Einheit der Völkerrechtsordnung in unserer globalisierten Welt der Raumkonflikte, Handelskämpfe und Religionskriege einen eigenständigen, unentbehrlichen Wert. Die souveräne Gleichheit der Staaten, das Gewaltverbot und die Menschenrechte, der Kern also der Art. 1 und 2 der UN-Charta, bilden die Systemgrundlage dieser Ordnung. 2 Diese Trias dient als Maßstab unserer 1

Vgl. etwa Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979 - ein früher Kieler Tagungsband, zu dem ich auf Einladung des stets dialogbereiten, den Problemen der Gegenwart leidenschaftlich verbundenen Jubilars, der das moderne Völkerrecht pointiert als Werteordnung versteht, als Referent beitragen durfte. 2 Vgl. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl. 2004, 1. Abschnitt. - Auf einem anderen Blatt, nämlich dem des Zusammenhangs von Völkerrecht und staatlichem Recht, steht Verdross ' Suche nach der „Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung", 1923. Wiederum ein anderes Thema ist die Frage nach der Einheit

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Bestimmung der jeweiligen völkerrechtspolitischen Herausforderung und der korrespondierenden, am Gemeininteresse der Staatengemeinschaft zu orientierenden Integrationsaufgabe. Die Einheit der Völkerrechtsordnung, die schon Grotius vor vier Jahrhunderten zu wahren suchte,3 ist in unserer Epoche gefährdeter denn je. Jede der modernen Desintegrationsgefahren setzte oder setzt an einem speziellen Konflikt an: am Kalten Krieg, am Nord-Süd-Konflikt, am clash of civilizations sowie, im Schatten des 11. September 2001, am war on terror. Den potentiellen völkerrechtspolitischen Spaltern erschien es jeweils nicht möglich, die Konflikte de lege lata in ihrem eigenen nationalen oder sonstwie ideologischen Interesse zu lösen. Deshalb schlugen sie, von Lenin bis Präsident George W. Bush, neue Pfade ein, ohne Rücksicht auf den Zusammenhalt der Gesamtordnung. Derartige Versuche eines divide et impera ignorieren unsere Maßstabstrias - Staatengleichheit, Gewaltverbot, Menschenrechte - und potenzieren die Desintegrationsgefahr der Völkerrechtsordnung. Risse in dieser Ordnung entstanden im 20. Jahrhundert - und auf diese Epoche beschränkt sich mein Überblick - frühzeitig durch das Propagieren eines sozialistischen Völkerrechts. Bald nach den fünfziger Jahren forderten dann die unterindustrialisierten Staaten ein sie gegenleistungsfrei begünstigendes Entwicklungsvölkerrecht. Normative Spaltungsgefahren gehen heute vor allem vom islamischen Rechts- und Gemeinschaftsdenken aus. Aktuell gefährden zudem Unilateralisierungstendenzen den Zusammenhalt, mit dem „Präemptivkrieg" der US-geführten coalition of the willing gegen den Irak im Jahr 2003 als Schlüsselbeispiel. Wie kann den im Zuge der Re-Ideologisierung („Einheit von Moschee und Staat") und der Re-Militarisierung der internationalen Beziehungen („Wir Amerikaner lieben den Mars, ihr Europäer die Venus") verstärkt auftretenden völkerrechtspolitischen (nicht: realpolitischen) Spaltungsgefahren begegnet werden? Nachfolgende Antwortsuche geht historisch vor. Von der überwundenen sozialistischen Herausforderung (unten I) führt die Skizze über das verblassende Entwicklungsvölkerrecht (unten II) zu der aktuellen islamischen (unten III) und der nicht weniger brennenden hegemonialen Herausforderung (unten IV), bevor abschließend auf jenen grotianischen Nichtidentifikationsansatz und die forschungspolitioder Fragmentierung des Völkerrechts. Sie stand im Mittelpunkt der Kieler Tagung 2004. Hier geht es um die Vielzahl von problembezogenen Spezialregimen, die an einem einzelnen Vertrag oder einer bestimmten Internationalen Organisation anknüpfen (Menschenrechtsschutz, Umweltschutz, Seerecht, ILO-Konventionen etc.) und das Völkerrecht in den sich überschneidenden Problembereichen mit ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit und Richtung fortentwickeln. Beispiele sind das Spannungsverhältnis zwischen Umweltvölkerrecht und WTO-Recht, zwischen dem Recht der Friedenssicherung und dem Schutz der Menschenrechte, zwischen dem Regime der Geburtenkontrolle und dem des Zugangs zu Medikamenten. 3

Danach würde das (Natur-)Recht auch gelten, wenn es keinen Gott gäbe. Der eingangs zitierte Satz ist scholastischen Ursprungs, wahrscheinlich von einem spanischen Moraltheologen des 16. Jahrhunderts. Wieackter, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 290 Fn. 34 führt den Stammbaum des Gedankens bis zu Gregor von Rimini ( t 1358) zurück.

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sehe Integrationsagenda, die gerade auch den Jubilar herausfordern sollte, zurückzukommen ist (unten V).

I. Sozialistischer Spaltungsversuch im Ost-West-Konflikt: Delegitimierung von Souveränität, Staatengleichheit und Gewaltverbot? Die Frage nach der Existenz eines „sozialistischen Völkerrechts" zielte auf den jahrzehntelangen Versuch Moskau-treuer Internationalrechtler, ein Aufspalten des allgemein geltenden Völkerrechts zu betreiben und zu rechtfertigen. Die weltpolitische Wende von 1989/90 und die damit einhergehende rechtsdogmatische und -politische Flurbereinigung beantwortete die Frage schließlich im negativen Sinne, definitiv. Das behauptete „System" sozialistischer Staaten gibt es nicht mehr; im rechtlichen Sinne hat es ein solches auch nie gegeben. Verschwunden ist damit auch der prätendierte Typus besonderer „intersozialistischer Beziehungen". Er diente Moskau als ideologischer Hebel, um Gewaltanwendung gegenüber abweichenden sozialistischen Staaten zu legitimieren, insofern also die Prinzipien der Souveränität, der Staatengleichheit und des Gewaltverbots zu delegitimieren. Die Kreml-These, wonach im „sozialistischen Weltsystem" die Bruderstaaten untereinander nur über eine beschränkte Souveränität verfügten, implementierten die Truppen des Warschauer Paktes blutig, von Budapest 1956 bis hin zu Prag 1968. Worum ging es völkerrechtsdogmatisch? Während fast des gesamten 20. Jahrhunderts waren gemäß sozialistischer staatstotalitärer Theorie die Staaten die (nahezu) exklusiven Völkerrechtssubjekte. 4 Gemäß dem Basis-Überbau-Theorem, das auch für das Recht allgemein galt, waren sie Herrschaftsorganisationen der sie tragenden Klassen. Insofern war vom Klassencharakter des (Völker-)Rechts die Rede, von einer Welt unauflösbarer Gegensätze. Wie in den innerstaatlichen Gesellschaften die Beziehungen zwischen der herrschenden und der unterdrückten Klasse galten auch die zwischen den bürgerlichen und den sozialistischen Staaten als unversöhnlich antagonistisch. Aus dieser Perspektive - aus der des behaupteten Wegfalls einer globalen (Staaten-)Gemeinschaft auf dem Boden der „Ideensolidarität", der intellektuellen Einheit - war die Ordnung des Völkerrechts dreigeteilt. Erstens gab es weiterhin das zwischen den „kapitalistischen" Staaten, den „Kräften der Reaktion", geltende bürgerliche Völkerrecht, das Recht der „Bourgeoisie". Zweitens herrschte, zwi4 Vgl. Schweisfurth, Socialist Conceptions of International Law, EPIL I V (2000), S. 434 ff.; Uibopuu, Socialist Internationalism, ebd., 443 ff.; Völkerrechtslehrbuch der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften (1957), 1960 (dt. Übersetzung). - Gegenüber der Erstreckung einer (auch nur partiellen) Völkerrechtssubjektivität auf die Internationalen Organisationen, einschließlich der E(W)G, oder gar auf das Individuum wurde deshalb jahrzehntelang eine äußerst restriktive Haltung eingenommen. Anders stand es mit Völkern und Befreiungsbewegungen. - Das Kieler Institut des Jubilars hat sich schon unter Menzel u. a. für die internationalen Beziehungen bei Marx und in der parteikommunistischen Theorie interessiert bis hin zum transnationalen historischen Materialismus. Zu Letzterem etwa Krell, Weltbilder und Weltordnung, 2. Aufl. 2003, 251 ff.

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sehen den „fortschrittlichen" Staaten, das neuartige sozialistische Völkerrecht. Drittens galt zwischen Staaten, die unterschiedlichen Systemen angehörten, ein Völkerrecht, das begrifflich hilflos als „allgemeindemokratisch" bezeichnet wurde. Im sozialistischen Lager gehe sein Völkerrecht dem allgemeindemokratischen vor; ein gemeinsames Recht mit dem „Rest der Welt" könne es nur vorübergehend geben.5 Galt aber jener Grundsatz des proletarischen Internationalismus, der als prätendierter Völkerrechtssatz sowjet-marxistischer Prägung letztlich für die Subordination der einzelnen sozialistischen Staaten unter die UdSSR stand?6 Die Antwort etwa Theodor Schweisfurths war schon in den siebziger Jahren eindeutig: Ein sozialistisches Völkerrecht in diesem Sinne hat es nie gegeben.7 Wegen seiner völkerrechtspolitischen Aussichtslosigkeit hatte und hat es auch keine Zukunft. Die souveräne Gleichheit der Staaten und das Verbot zwischenstaatlicher Gewaltanwendung hatten zwischen den sozialistischen Staaten weiterhin Geltung behalten: keine Spaltung der Völkerrechtsordnung, kein Recht jenseits der Grenzen des universellen Völkerrechts. Die Erfolglosigkeit sozialistisch geführter Aufstandsbewegungen in der Dritten Welt, dann das Neue Denken in der Sowjetunion ab Mitte der achtziger Jahre, schließlich der Sturz der kommunistischen Regime in Europa seit 1989 und die Aufnahme der meisten mittel- und osteuropäischen Staaten in den Europarat, in die NATO, in die Europäische Union - all dies hat letztlich bewirkt, dass vom verklungenen Postulat eines „sozialistischen Völkerrechts" keine dogmatische Gefährdung mehr ausgeht.8

5

Vgl. Korowin, Das Völkerrecht der Übergangszeit. Grundlagen der völkerrechtlichen Beziehungen der Union der Sowjetrepubliken, 1929. Korowins Zentralfrage lautete: Wie ist Völkerrecht zwischen einem auf marxistischer Grundlage aufgebautem Klassenstaat und einem bürgerlichen Gemeinwesen möglich; welche Grenzen, welche Besonderheiten ergeben sich für dieses ggf. lagerübergreifende Völkerrecht? - Bzgl. der Rechtsquellen lag der Schwerpunkt der sozialistischen Theorie auf Verträgen. Gewohnheitsrecht wurde als pactum taciturn konstruiert, die internationale Gerichtsbarkeit im Prinzip abgelehnt, ebenso die Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze. 6 Erlaubte das postulierte „Prinzip des sozialistischen Internationalismus" unter seinem Subprinzip der „brüderlichen Hilfe" Gewaltanwendung in den intersozialistischen Beziehungen? Waren diese Staaten untereinander hinsichtlich ihrer Souveränität also in dem Sinne beschränkt, dass sie ihr politisches System nicht ohne Zustimmung der KPdSU ändern durften? Das „sozialistische Völkerrecht", so Moskaus zentrale These, erlaubte Hilfeleistung zugunsten eines Bruderstaates, wenn in diesem die Errungenschaften des Sozialismus gefährdet waren. „Alle sozialistischen Staaten sind gleich, die UdSSR als Hort der reinen Lehre ist gleicher", lässt sich diese „Breschnew-Doktrin" in Anlehnung an George Orwells „The Animal Farm" karikieren. 7 Sozialistisches Völkerrecht?, 1979,109,539,560 ff. Vgl. demgegenüber etwa Tunkin, Völkerrechtstheorie, 1972, 487 f. 8

Kubanische, nordkoreanische oder chinesische Völkerrechtsansichten werfen mangels eines eigenständigen sozialistischen Staatensystems und mangels einer korrespondierenden Völkerrechtstheorie keine fundamentalen rechts systematischen Probleme auf. Gerade die Volksrepublik China hatte die sowjetische Theorie und Praxis von den besonderen innersystemaren Beziehungen politisch und dogmatisch durchgehend bekämpft.

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Spaltungsgefahren drohen aus anderen Richtungen. Sie sind rechtspolitisch freilich nicht weniger dramatisch, als es jene sozialistischen sieben Jahrzehnte lang gewesen sind.

I I . Entwicklungsvölkerrechtliche Desintegrationstendenzen i m Nord-Süd-Konflikt: positive Diskriminierung der Entwicklungsländer statt souveräner Gleichheit der Staaten? D i e Spaltungsgefahren, die seit den sechziger Jahren v o m Propagieren eines droit international du développement 9 ausgingen, setzten sektoraler an als jene sozialistischen. A u c h sollten die rechtspolitischen Änderungen nun i m Konsens erfolgen, nicht mehr i m Konflikt. Es ging der Dritten W e l t u m einzelne Inhalte des Völkerrechts, etwa um die Lockerung der Bindung der ehemaligen Kolonien, der „proletarian nations " of the international community 10, an das überkommene Gewohnheitsrecht. 11 Nicht handelte es sich, mochten die Befreiungsbewegungen auch das Prinzip des Gewaltverbots herausfordern (Kolonialismus als permanent aggression , mit einem „korrespondierenden" - gelegentlich augenzwinkernd reklamierten - „Recht auf Selbstverteidigung"), u m „ a l l e " Fundamente der Völkerrechtsordnung als solcher, gar u m ein Infragestellen der realpolitischen Kernelemente der Rechtsquellen- oder der Souveränitätslehre.

9 Der Terminus geht zurück auf Philip, La Conférence de Genève. Amorce d'un mouvement mondial irreversible, in Développement et Civilisation, 1964, 52 ff. 1965 folgte Philips Appell in Association Française pour le Développement du Droit Mondial (Hrsg.), L'adaption de l ' O N U au monde d'aujourd'hui, 1965, 129 ff. Hierzu auch Kaltenborn, Entwicklungsvölkerrecht und Neugestaltung der internationalen Ordnung, 1998, 19 ff. In der Folge erlangte der Ansatz in der französischen Völkerrechtswissenschaft (im Unterschied zur Realpolitik) einen starken Widerhall. 10 Vgl. Bedjaoui, in: Snyder/Slinn (Hrsg.), International Law of Development: Comparative Perspectives. Some Unorthodox Reflections on the „Right to Development", 1987, 87 (92) („The problems of the proletariat within nations' in their individual dimension must not make us forget the problems of the proletarian nations 4 of the international community. What we need is an international social law [...]. International cooperation should be the expression of a new international law which, for the wealthiest States, imposes a duty to contribute to the development of the least advantaged States, in a spirit of human solidarity which must henceforward outlaw any idea of exploitation."). Vgl. auch ders., Pour un nouveau droit social international, Yearbook of the A. A. A. 39 (1969), 17 ff. 11

Wie Dolzer, in: Graf Vitzthum (Fn. 2), 6. Abschnitt, Rn. 107 ausführt, suchten die Staaten der Dritten Welt nach Wegen, um ihre wirtschaftliche Entwicklung zu sichern, ohne ihre soeben erst errungene politische Selbstbestimmung aufgeben zu müssen. Sie fürchteten, in die Rolle preisgünstiger Rohstofflieferanten abgedrängt zu werden. So bestanden sie auf „permanenter Souveränität" bzgl. ihrer Naturvorkommen. Vgl. etwa GA Res. 1803 [XVII], Declaration on the Permanent Sovereignty over Natural Ressources, vom 14.12.1962; Chimni, The Principle of Permanent Sovereignty over Natural Resources, IJIL 38 (1998), 208 ff.; Schrijver, Sovereignty over Natural Resources, 1997.

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Völkerrechtspolitische Desintegrationstendenzen folgten aus der m i t einer gewissen Sympathie etwa von Maurice und Thibaut F l o r y 1 2 systematisierten Forderung nach einer „neuen internationalen Wirtschaftsordnung" 1 3 . I m Kern ging es dem tiers-mondisme u m reverse discrimination bzw. affirmative action. A u f zwei UN-Sondergeneralversammlungen (1974 und 1975) und einer Kaskade ebenso brisanter U N C T A D - T a g u n g e n 1 4 seinerzeit mit verhandlungsstrategischem Geschick vorgetragen, steht diese rechtspolitische Forderung weiterhin alljährlich auf der Tagesordnung der UN-Generalversammlung 1 5 . I n den Augen der pays défavorisés ist dies mehr als ein bloßer Merkposten für vergangene Dritte-WeltAufbrüche. Es geht u m eine künftige internationale Solidar- und Kooperationsordinternational 11. nung 1 6 , u m ein un droit social

12 Unter den französischen Kollegen nahmen neben den Brüdern Flory in erster Linie Colliardy R. J. Dupuy , Feuer, Pellet und Virally diese Gedanken auf. Das Recht der NordSüd-Beziehungen wurde Gegenstand diverser Lehrbücher und Monographien. Es bildete den Schwerpunkt größerer Tagungen, vgl. Société Française pour le Droit International (Hrsg.), Pays en voie de développement et transformation du droit international, 1973; Flory/Mahiou/Henry (Hrsg.), La formation des normes en droit international du développement, 1984. Souverän bilanzierend M. Flory, Mondialisation et droit international du développement, RGDIP 1997, i n , 609 ff. 13 Vgl. in diesem Kontext vor allem die Resolutionen der UN-Generalversammlung: 3201 (S-VI), Declaration on the Establishment of a New International Economic Order, vom 1.5.1974; 3202 (S-VI), Programme of Action on the Establishment of a New International Economic Order, vom 1.5.1974; 3281 (XXIX), Charter of the Economic Rights and Duties of States, vom 12.12.1974. Einschlägig auch Bettati, Le Nouvel Ordre Economique International, 1985; Feuer, Les Nations Unies et le NOEI, J.D.I 1977, 606 ff. 14

Die UNCTAD entwickelte sich nach ihrer Gründung im Jahre 1964 rasch zum Sprachrohr der Entwicklungsländer, zu einer Art „Anti-GATT" (Carreau, Le nouvel ordre économique international, J.D.I. 1977, 595 ff.). Erst in den 80er Jahren sank ihr Stern; das WTOProjekt nahm konkrete Form an. 15

Zu erwähnen ist auch das „Recht auf Entwicklung", vgl. Dolzer (Fn. 11), Rn. 32. Im Jahr 1981 wurde es durch die UN-Generalversammlung gar als „unveräußerliches Menschenrecht" proklamiert, was 1986 in der „Declaration on the Right to Development" (Res. 41/128 vom 4.12.1986) konkretisiert und 1993 in der Wiener Menschenrechtserklärung vom 25.6.1993, I L M 32 (1993), 1663 repetiert wurde. Zu Letzterer Kunig/Uerpmann, V R U 27 (1994), 32 ff. 16 Wie anhand der zitierten Konsensbeschlüsse deutlich wird, war das Besondere an dieser Herausforderung die Methode: weniger eine solche der Konfrontation, als vielmehr eine solche der Kooperation, primär bei der Normgebung, also der Versuch, insbesondere durch Generalversammlungsresolutionen (s. o. Fn. 13) fundamental neues („soziales") Völkerrecht zu schaffen. Letztlich scheiterte dieser Ansatz. Es kam zu keiner Erweiterung des Kanons der Rechtsquellen (Art. 38 IGH-Statut), obwohl es etwa M. Flory „déraisonnable" erschien, „de considérer une resolution votée à l'unanimité comme dénuée de toute signification. C'était la seule façon pour les pays défavorisés d'attirer I'attention sur leur problème. L'idée que la paix passait par le développement n'avait rien de contraire au droit international même si elle ne s'exprimait qu'á travers des recommandations." 17 Vgl. M. Flory, Droit International du Développement, 1977, 14, 16, 23. In aktueller Terminologie ging es darum, „dem Prozess der Globalisierung eine stärkere soziale Dimension zu verleihen" (Erwägungsgrund 3 der Präambel des Cotonou-Abkommens zwischen AKP- Staaten und der EG, vom 23.6.2000 (Amtsblatt L 317 vom 15.12.2000)).

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Kann man heute noch von „Entwicklungsvölkerrecht" bzw. von einer entsprechenden rechtspolitischen Herausforderung sprechen? Im Umweltvölkerrecht hat sich das Konzept „Sonderkriterien für Dritte-Welt-Länder" partiell durchgesetzt. responsibilities lautet die entsprechende Rechtsfigur. Common but differentiated Sie zielt auf eine pflichtenbezogene Minderbelastung der erst am Beginn der Industrialisierung stehenden Länder im Vergleich zu einer Mehrbelastung der Industriestaaten. 18 Im internationalen Seerecht, etwa im Fischerei- und im Festlandsockelrecht, finden sich seit den späten siebziger Jahren ebenfalls Privilegierungen der Entwicklungsländer als solcher. Weitere derartige Ansätze, die das umfassende Ziel der positiven Diskriminierung sektoral zu verwirklichen suchen, gibt es im Welthandels- und im internationalen Finanzrecht (etwa Schuldenerlass und soft loans für die ärmsten Länder). 19 Der ideologische, potentiell systemdestabilisierende, damit letztlich kontraproduktive Lärm der Forderung nach globaler reverse discrimination , niedergelegt etwa in der Charter of the Economic Rights and Duties of States20, freilich ist verhallt. An seine Stelle21 trat das murmelnde tête-à-tête der Experten. Sie bearbeiten Sektor für Sektor - Medien, Gesundheit, Wasser, Weltraum, geistiges Eigentum, Ernährung usw. - , auch in der Absicht, den besonderen Bedürfnissen und Interessen der Entwicklungsländer (partiell) entgegen zu kommen. Am Stützpfeiler des gemeinsamen Rechtsgefüges - der souveränen Gleichheit der Staaten - sägen sie nicht. Völkerrechtspolitisch war jener Vorstoß, denkt man an das Engagement zumal der auteurs tiers-mondistes Bedjaoui, Bennouna und Benchikh, womöglich Europas und des Maghrebs „letztes Hurra". Die aktuellen Gefahren für die Einheit der Völkerrechtsordnung sind außereuropäischen Ursprungs. Es sind islamische bzw. US-amerikanische Herausforderungen.

18 Vgl. Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Fn. 2), 5. Abschnitt, Rn. 107; Centre for International Sustainable Development Law (Hrsg.), Sustainable Development Law: Principles, Practices and Prospects, 2004. 19 Vgl. Dolzer (Fn. 11), Rn. 107 ff. 20

GA Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974 (Fn. 13). Diese rechtlich nicht verbindliche Charta wurde ohne Zustimmung der Industrieländer verabschiedet. Bereits in den Jahren 1961 und 1971 hatte die Generalversammlung jeweils Entwicklungsdekaden ausgerufen, ohne durchschlagenden Erfolg. Desintegrationsgefahren für die Völkerrechtsordnung hingen mit einigen („tyrannischen") Mehrheitsentscheidungen zusammen, nicht mit den einstimmig bzw. im Konsens verabschiedeten Texten. Letztere denunzierten die auteurs tiers-mondistes, soweit sie auf ein revolutionär neues Völkerrecht abzielten, dann als neokolonial. 21

Die Herausforderung verlor spätestens in dem Moment an Gewicht, in dem die Zweite Welt und damit eine Gegenposition entfiel, Daillier/La Pradelle/Ghérari , Droit de l'économie internationale, 2004, 16, Rn. 29. Das Ende des Ost-West-Konflikts und die sich damit eröffnenden Chancen für eine Neubelebung des Nord-Süd-Dialogs inspirierten andererseits die völkerrechtspolitische Debatte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, Kaltenborn (Fn. 9), 21. Dies zeigt etwa die Suche von Vertretern beider Staatengruppen nach konsensfähigen Resultaten auf diversen, von der UNO seit 1990 veranstalteten „Weltkonferenzen".

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I I I . Islamische Desintegrationsgefahr im „Zusammenprall der Kulturen 64 : Religions- und „umma"-Orientierung statt Säkularrechtsund Staatsfundierung der Völkerrechtsordnung? Die Frage nach der Einheit der Völkerrechtsordnung wird heute nicht in einem realpolitischen, wohl aber in einem rechtssystematischen Sinn vom islamischen Rechts- und Gemeinschaftsverständnis aufgeworfen. 22 Die Einheitsfrage besitzt insofern auch eine religiös-politische Dimension. Herausgefordert sieht sich die überkommene Staatsorientierung des Völkerrechts und seine, wie erwähnt, bereits von Grotius ins Auge gefasste Nichtidentifikation mit religiösen Autoritäten. Bedroht also der Islam, genauer: bedrohen Elemente der islamischen Rechts- und Gemeinschaftsvorstellung die Einheit des Völkerrechts als einer säkularen, primär staatsorientierten Rechtsordnung? Stehen wir seit den ab Mitte der sechziger Jahre einsetzenden Reislamisierungstendenzen an der Schwelle eines neuen, eines postsäkularen, gar postnationalen Zeitalters? Das islamische Recht 23 beruht im Kern auf der Maxime: Gottes Wille, ausgedrückt im Koran und in der authentischen Überlieferung und normativen Praxis des Propheten, der sunna, ist die höchste Regel. Den Satz „Mein Reich ist nicht von dieser Welt" hat Mohammed nie geäußert. Grotius' vorsichtige Überlegung, dass man vielleicht auch ein Recht ohne Gott denken könne, muss strenggläubigen Muslimen als Gotteslästerung erscheinen. 24 In ihrer Theorie unterliegt das Recht den Prinzipien der Scharia, der Hauptquelle der Gesetzgebung. Mit ihr sollen, theoretisch, die staatlichen Gesetze vereinbar sein. Wer alles Recht auf den geoffenbarten Willen Gottes als dem Inhaber der Souveränität zurückführt, 25 dem 22 Vgl. Salem, Islam und Völkerrecht, 1984; Pohl, Islam und Friedensvölkerrechtsordnung, 1988; Mikunda Franco , Das Menschenrechtsverständnis in den islamischen Staaten, JöR 44 (1996), 205 ff. Zur Natur der Scharia Wichard, Zwischen Markt und Moschee, 1995. Zur historischen Entwicklung und Systematik bahnbrechend Schacht, An Introduction to Islamic Law, 1964; Coulson, Conflicts and Tensions in Islamic Jurisprudence, 1969. Zur islamischen Offenbarung, dem Interpretationsprivileg der Religionsgelehrten und der einschlägigen Gesetzgebung und Rechtsprechung Tellenbach/Haustein (Hrsg.), Beiträge zum Islamischen Recht IV, 2004. 23 „Den Islam" gibt es nicht. Es existieren nur islamische Staaten oder Gemeinschaften sowie muslimische Individuen (Schiiten, Sunniten etc.). Nichtmuslime müssen aufpassen, nicht ihre eigenen Begriffe den Muslimen überzustülpen. Zugleich müssen sie sich ihrerseits gegen Pauschalurteile verwahren. 24 Als die theoretische Verkörperung der Gemeinschaft der Muslime besitzt das islamische Gemeinwesen mit dem Islam als religiös-politischer Ordnung eine besondere Qualität - ein Problem auch für die völkerrechtliche Grundregel der souveränen Gleichheit der Staaten. Das gilt jedenfalls für die Staaten, die nicht nur eine muslimische Bevölkerung, aber kein flächendeckendes islamisches Recht aufweisen, wie etwa Ägypten, sondern in denen auch, wie etwa Iran, das islamische Recht gilt. 25 Den Gläubigen ist die Souveränität nach dieser Sicht nur treuhänderisch überlassen. Koran und sunna bilden die normativen Texte der Offenbarung. In der Sekundärliteratur wird das „klassische" islamische Recht z. T. „essentialisiert", nur um es hinterher um so leichter als Bedrohung westlichen Rechtsdenkens kritisieren zu können. Daß sich das

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müssen Menschenrechte, die religiös motiviertem Zugriff entzogen sind, problematisch erscheinen, zumindest soweit sie in Differenz zu den Lehren des Islam stehen. Jedenfalls das klassische islamische Recht trennt die geistlichen Angelegenheiten nicht deutlich von den weltlichen. Originäre Regelungsgegenstände sind der Glaube, das religiös-soziale Zusammenleben der Muslime sowie die (untergeordnete) Stellung der Angehörigen der anderen (älteren) Buchreligionen, also der Juden und der Christen. Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung werden bejaht, nicht nur in dem im Prinzip säkularen türkischen Staat. Eine liberale Grundhaltung freilich, die auch religiöse Indifferenz, gar eine Abkehr von den axiomati sehen Glaubens Vorstellungen oder den Anschluss an eine andere Religionsgemeinschaft zulässt, wird prinzipiell abgelehnt: Pluralismus nur in den Grenzen des Islam. 26 Religionsfreiheit etwa für Christen im modernen verfassungsstaatlichen Sinne gibt es selbst in der Türkei nicht (wohl aber z. B. in Aserbaidschan)27. Was im Koran steht - an seinem wörtlichen Verständnis wird vor allem von den Sunniten strikt festgehalten - , ist diskussionsverbietende Wahrheit. Diese Zusammenhänge führen, wenn die Transpositionen der hermetischen Rechtssprache des Islam nicht täuschen (dieser Irrtumsgefahr kann eigentlich nur derjenige begegnen, der, im Unterschied zu mir, zumindest arabisch kann), zu Umsetzungsschwierigkeiten, erstens, bei den UN-Menschenrechtspakten von 1966, an die sich praktisch alle muslimischen Staaten gebunden haben, seit 2003 auch die Türkei, die freilich dem Rom-Statut noch nicht beigetreten ist. Probleme mit dem Konzept vom Individuum - es gibt über eine Milliarde Muslime in der Welt - als des Trägers der Menschenrechte und als eines partiellen Völkerrechtssubjektes liegen in jedem System göttlichen Rechts auf der Hand, erst recht in einem Scharia-Staat. Gleiches gilt beim Islam bezüglich der Herausbildung offener, liberaler Gesellschaften, jedenfalls gegenüber dem Absolutheitsanspruch von religiösen Fanatikern. Auch die Kooperation mit internationalen Gremien (Menschenrechtsausschuss, UN-Menschenrechtskommission etc.) bleibt insofern defizitär. Ein Beispiel ist die Todesstrafe. Die seinerzeit u. a. von der Bundesrepublik Deutschland in der UNO lancierte Initiative für ein weltweites Verbot der Todesstrafe hat mit der Annahme des Zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Jahr 1989 28 zwar ihren formell islamische Recht in einem höchst komplexen Prozeß historisch entwickelt hat, wird so ungenügend berücksichtigt. 26 Vgl. Krämer, Gottes Staat als Republik, 1999, 49 ff.; Peters, Jihad in Medieval and Modern Islam, 1977; ders./de Vries, Apostasy in Islam, in: Die Welt des Islam, XVII, 1-4 (1977), 2 ff. 27 Ein Verständnis der staatlichen Obrigkeit als (auch strafrechtliche) Garantin der Religion setzt eine Staat-Religion-Einheit voraus, die mit der menschenrechtlichen wie verfassungsstaatlichen Religions-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit prinzipiell nicht kompatibel ist. Zudem ist in islamischen Ländern auch die Zivilgesellschaft religiös geprägt, also keineswegs das, was man sich im „Abendland" darunter vorstellt. Fehlt in islamischen Gesellschaften damit auf Dauer der Freiraum für die laizistische Vernunft, den die Aufklärung in Europa schuf? 28

BGBl 1992 II, 391.

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erfolgreichen Abschluss gefunden. Vom Koran für einige Delikte als absolute Sanktion vorgesehen, ist die Todesstrafe in vielen islamischen Ländern aber einfach nicht zum Thema zu machen (mag der Vollzug der Strafe dann auch ausgesetzt werden). In einer Offenbarungsreligion, so eine unter Muslimen verbreitete Überzeugung, können gottgegebene Institute und Regeln, etwa bezüglich der Konsequenzen eines Abfalls vom Glauben, durch keine menschliche Instanz abgeschafft werden, schon gar nicht durch einen zeitlich begrenzten Herrscher. Insofern gibt es auch verbreitete Zweifel an der Säkularisierungs- und Reformfähigkeit islamischer Gemeinwesen. Die Teilnahme des Iran am internationalen Menschenrechtsdiskurs, etwa über die Rechte der Frau oder das Verbot der Folter („Demokratie ist, wo nicht gefoltert wird" [Willy Brandt]), gerät seit der islamischen Revolution von 1979 jedenfalls immer wieder ins Stocken. Schwierigkeiten der Vereinbarkeit mit dem Gewaltverbot des Völkerrechts folgen, zweitens, aus dem djihad, dem Glaubensgrundsatz vom Kampf. Er besitzt auch eine militärische Dimension. Für Muslime mag der Kampf gegen Ungläubige, was nicht seine Schrankenlosigkeit bedeutet, de facto eine Art bellum iustum sein. Dieses Thema ist freilich zu bekannt (und angesichts des ¿#z7zad-Terrorismus auch zu komplex), als dass es in unserer knappen, vorläufigen Skizze vertieft werden könnte. 29 Eine vielleicht weniger bekannte, jedenfalls spezifische Herausforderung des Islam für eine allen zugängliche Völkerrechtsordnung liegt, drittens, in seiner wmma-Zentrierung. Das klassische, nach wie vor prägende islamische Recht ist, eine konzeptionelle Besonderheit, auf ein Universalgemeinwesen hin orientiert. Ihm sind im Laufe der Zeit durch Mission und djihad möglichst alle Mitglieder der Menschheitsfamilie einzugliedern. Als Ideal anerkannt wird die janusköpfige umma, die politisch-religiöse Einheit aller Muslime. Sie ist die Trägerin der abgeleiteten Souveränität. Nicht der Staat als politische Entscheidungseinheit, als weltliche juristische Person und als Träger der Souveränität im zwischenstaatlichen Verkehr steht im Vordergrund, sondern die transnationale Religionsgruppe, die Gesinnungsgemeinschaft, die Gesamtheit der Gläubigen, der überethnische Personenverband. Die ideale umma sorgt egalitär und solidarisch für alle ihre Mitglieder wie eine Mutter für alle ihre Kinder: die Familie als Mikrokosmos auch der „WeltMmma". Die islamischen Völker insgesamt bilden, dieser Theorie nach, eine politische Gemeinschaft, nicht nur eine spirituelle Einheit, mit dem Koran als „islamischer Verfassung" 30 . Dieses wraraö-Konzept im Allgemeinen sowie das Fernziel einer „globalen umma" im Besonderen führen zu Gegensätzen zwischen dem 29 Gemäß mittelalterlicher islamischer Lehre ist die Welt zweigeteilt: in das Territorium des Islam, in dem Frieden herrscht, und in das von den Ungläubigen bewohnte „Gebiet des Krieges". Mit dem (Selbstbegrenzungs-)Schema von rechtlich anerkannten Beziehungen zwischen Staaten auf der Basis souveräner Gleichheit gerät dieses Schema in Konflikt. Insofern ist teilweise, trotz Abschwächungsversuchen moderner islamischer Juristen, von einem gleichheitswidrigen Anspruch der formal unaufgebbaren Lehre zu sprechen. 30

Er enthält freilich keine einzige Verfassungsnorm im modernen Sinne.

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Völkerrecht als Zwischen-Staaten-Recht, das auf der souveränen Gleichheit seiner staatlichen Subjekte - eben der Staaten als Organisationen - aufbaut, einerseits und, andererseits, dem Konzept eines Rechts, bei dem der Akzent auf den Beziehungen zwischen staatenübergreifenden, religiös homogenen Personalkörperschaften liegt. Spannungen werden damit auch in die zwischenstaatliche Weltorganisation einschließlich Weltbankgruppe und WTO hineingetragen, teilweise auch in die regionalen Internationalen Organisationen. Die gemeinsame völkerrechtliche Grundlage der Beziehungen zwischen den muslimisch geprägten Gemeinwesen einerseits und dem „Rest der (Staaten-)Welt" andererseits ist insoweit wenig belastbar. 31 Der real existierende Islam ist freilich, jedenfalls in politicis, pragmatisch. Die wenigen Verfassungen islamischer Staaten, die sich überhaupt zur globalen und regionalen Einbindung äußern, gehen der Realität entsprechend vom Nebeneinander mehrerer Staaten aus. Mit der Existenz nichtislamischer Staaten haben sich selbst die Islamisten abgefunden, sogar mit der Vielzahl muslimischer Einzelstaaten. Die Staatengemeinschaft wird als Ausgangspunkt anerkannt, mag auch das Endziel die Auflösung alles organisiert Staatlichen in einer Weltgemeinschaft sein. Die islamischen Staaten beteiligen sich zudem - freilich begrenzt, zurückhaltend und unstetig - an der fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts und seiner Kodifizierung. Auch haben sie bislang nicht versucht, ihre Glaubensgrundsätze in das universelle Völkerrecht einzubringen oder ein islamisches Staatensystem (mit, wie seinerzeit im sozialistischen Lager, prätendierten rechtlichen Sonderbeziehungen im innersystemaren Bereich) zu konstruieren. Die Aufnahme der „allgemein anerkannten Menschenrechte" in die Präambel der 1992 geänderten Verfassung von Marokko etwa, eines, wie es dort heißt, „souveränen muslimischen Staates mit arabischer Staatssprache", der „einen Teil des Großen Arabischen Maghreb bildet", ist ein weiteres positives Zeichen. Was kann der Westen, was kann das Konzept der rechtsstaatlichen Demokratie im islamischen Teil der Welt bewirken? 32 An der Aufgabe einer dauerhaften 31 An der Herausbildung des modernen Staatsbegriffs in den konfessionellen Bürgerkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa war der Islam nicht beteiligt. An der am Ende dieser Entwicklung stehenden grundsätzlichen Trennung von Religion und Staat sowie an der prinzipiellen Differenz von Staat und Gesellschaft fehlte es im traditionellen islamischen Denken, ja noch bis hinein ins 19. Jahrhundert. Damit wurde die strukturelle Vereinbarkeit des islamischen Rechts - Modellfall eines religiösen Rechts systems, mit der Religion als wichtigster Legitimierung der politischen Ordnung - mit dem modernen Völkerrecht und somit die Einheit dieser Rechtsordnung zum Problem. 32

Optimistisch Feldman , After Jihad, 2003, 6 f.: „Islam is not inherently committed to the overthrow of Western ideals. To the contrary, many [...] Muslims find the combination of Islamic ideals and democratic values appealing [...] Muslims are also embracing the ideals of self-government and freedom associated with democracy [...] Wherever advocates have been free to speak [...] in the name of Islamic democracy, they have found an eager democracy." Ebd., 11 ff.: „Islamic democracy is not a contradiction, because secularism of the Western variety is not a necessary condition of democracy." - Insofern gibt es keineswegs nur die Alternative: entweder Muslimsein aufgeben (und säkular wer-

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„Einhausung" der umma-zentrierten islamischen Gemeinwesen 3 3 i n die staatenorientierte internationale Gemeinschaft haben alle - auch selbstkritisch - zu arbeiten, u m der Einheit der Ordnung des Völkerrechts willen.

I V . Unilateralisierungsgefahren in der Ä r a US-amerikanischer Hegemonie: Relativierung des Gewaltverbots durch den „ w a r on terror"? Eine realpolitisch größere Gefahr für die Einheit der Völkerrechtsordnung bilden Konzepte, die die U S A i m Kontext ihres war against terrorism entwickelt haben. Hier geht es primär u m preventive und preemptive self-defense (eine A r t „früher" Präventivschlag), also um eine nach geltendem Völkerrecht höchst bedenkliche Überdehnung des Selbstverteidigungs-, Gegenschlags- und Nothilferechts. 34 Russland hat nach dem Massaker von Beslan diese „ B u s h - D o k t r i n " aufgegriffen und Präventivschläge gegen Terroristen angekündigt, wo immer i n der W e l t (etwa i n Georgien) sich diese befinden. Preemptive strikes mögen i n einer unverschuldeten Notlage unter besonderen Umständen noch v o m Selbstverteidigungsrecht gedeckt sein. Dies gilt aber, lässt man sich auf diese semantischen Feinheiten überhaupt ein, nicht generell von preemptive self-defense , kann also militärische Aktionen jedenfalls gegenüber nicht unmittelbar bevorstehenden oder nicht beweisbaren Bedrohungen nicht rechtden) oder als Muslim modernes Rechts- und Staatsdenken bekämpfen. Dies ist eine Irrsinnsalternative (entweder Säkularismus oder Islamismus), die viele Muslime ebenso ablehnen wie viele Christen. 33 Feldman (Fn. 32), 20 f.: „The word Islam [implies] a recognition of God's ultimate sovereignty - a sovereignty that places all people on equal footing before the divine Majesty. To mistreat one's fellows not only violates their rights but offends God. Muslims serve God alongside other Muslims who are their equals and partners in the creation of the Muslim society." 34 Delbrück, The Fight against Global Terrorism: Self-Defense or Collective Security as International Police Action? Some Comments on the International Legal Implications of the „War Against Terrorism", GYIL 44 (2001), 9 ff.; Bothe, Terrorism and the Legality of Pre-emptive Force, EJIL 14 (2003), 227 ff.; ders., in Graf Vitzthum (Fn. 2), 8. Abschnitt. Auch die humanitäre Intervention verstößt, trotz fortschreitender Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes, prinzipiell nach wie vor gegen das Gewaltverbot, Liebach, Die unilaterale humanitäre Intervention im „zerfallenen Staat" („failed State"), 2004, 257 f. Zum Kontext Münkler, Die Neuen Kriege, 6. Aufl. 2003; Müller, Amerika schlägt zurück. Die Weltordnung nach dem 11. September, 2003; Clarke, Against A l l Enemies. Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror, 2004. Aus völkerrechtlicher Sicht: Charney, Terrorism and the Right of Self-Defense, AJIL 95 (2001), 835 ff.; Franck, ebd., 839 ff.; Greenwood, International Law and the „War Against Terrorism", International Affairs 78 (2002), 301 ff.; ders., International Law and the Pre-Emptive Use of Force, San Diego Int. L.J. 4 (2003), 7 ff.; Streinz, Wo steht das Gewaltverbot heute? Das Völkerrecht nach dem Irakkrieg, JöR 52 (2004), 219 ff.; Benvenisti, The US and the Use of Force: Double-edged Hegemony and the Management of Global Emergencies, EJIL 15 (2004), 677 ff.; Byers/Nolte (Hrsg.), United States Hegemony and the Foundations of International Law, 2003.

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fertigen. Anticipatory defense mag ausnahmsweise unter das naturgegebene Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 UN-Charta) fallen - alles Übrige ist, liegen die Ausnahmeelemente nicht vor, Aggression, ist hegemonialer Unilateralismus, mag dieser auch auf ein geändertes Verständnis der Weltpolitik bzw. der perzipierten Bedrohungslage (Massenvernichtungswaffen in der Hand von Diktatoren oder Terroristen etc.) seit dem 11. September zurückgehen. Hier, beim unilateralen Postulieren und Anwenden neuer Institute zur militärischen Terrorismusbekämpfung (oder beim „Wiederentdecken" alter Institute aus dem 18./19. Jahrhundert wie guerre de précaution und guerre préventive ), liegt die aktuellste völkerrechtspolitische Herausforderung. Natürlich verfolgt die £w.s7i-Administration auch imperiale Interessen im Namen einer Mission des viel zitierten „Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit". Der Unilateralismus jedoch entspricht kaum dem von Hegel ex post entschlüsselten, objektiven Geschehen der Weltgeschichte als Weltgericht. Gefahren der Desintegration der internationalen Rechtsordnung können eben auch von den „Leuten des Evangeliums und der Thora" ausgehen. Die rechtspolitischen Zentrifugalkräfte werden vor allem in dem Moment wirksam, in dem diese Staaten mit christlich-jüdischem Hintergrund das Recht „kulturkämpferisch" mit ideologischen, quasi-religiösen oder gar konfessionellen Gehalten aufladen, etwa einem messianischen Sendungsbewusstsein oder christlichen Autoritarismus huldigen. Spaltungsgefahren drohen ebenso, wenn das Völkerrecht, etwa um künftigen Terroranschlägen zuvorzukommen, kurzfristig und womöglich kurzsichtig, nämlich die Systemfolgen für die Rechtsordnung als solche ignorierend, fallbezogen uminterpretiert wird. Das kann z. B. beim Einsatz militärischer Gewalt ohne UNMandatierung der Fall sein.35 Grotius, der Vater des klassischen Völkerrechts, hatte im eingangs zitierten Werk „De iure belli ac pacis", das er als (religions-)politischer Flüchtling in Paris erscheinen ließ, eine überzeugende Antwort auf unsere Unilateralisierungs- und Präventionskriegs-Fragen 36 gegeben: 35 Auch der Erhalt des politischen Gleichgewichts rechtfertigt demnach keinen Präventionskrieg. Noch 1870 hatte etwa Adolphe Thiers, erster Präsident der Dritten Republik, versucht, unter Rückgriff auf den Präventionsgedanken die staatliche Einheit Deutschlands durch Intervention der Großmächte zu verhindern. Eine Einigung Deutschlands brächte „pour l'Europe le chaos, pour la France le troisième rang!" M i t ähnlicher Argumentation wehrt sich heute etwa Italien gegen eine Reform des UN-Sicherheitsrates, die Berlin vorübergehend ggf. eine stärkere Stellung als Rom gäbe - so uneinig ist Europa auch in einer Ära, die sich insgesamt von einem effektiven Multilateralismus abzuwenden scheint. Die bloße Rückwendung zu älteren Schemata (vgl. Weil, Vers une normativité relative en droit international, RGDIP 1982,1, 5 ff.) wird die bedrohte Einheit der Völkerrechtsordnung freilich nicht stabilisieren können. Darin gehe ich mit dem Jubilar einig, vgl. Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, 318 ff. Letztlich zuversichtlich auch Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990. 36 Das vertrauensvolle Abstellen u. a. auf die „göttliche Vorsehung" war ein Grund für Grotius' Zurückhaltung gegenüber einem Widerstandsrecht des Volkes. - Zu aktuellen „kulturkämpferischen" Herausforderungen Kepel, The War for Muslim Minds: Islam and

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llud vero minime ferendum est quod quidam tradiderunt, jure gentium arma recte fumi ad imminuendam potentiam crescentem, quae nimium aucta nocere posset [...] Ita vita humana est, ut plena securitas nunquam nobis constet. Adversus incertos metus à divina Providentia, & ab innoxia cautione, non à vi praesidium pretendum est. In keinem Falle aber ist es zulässig, wie einige behaupten [etwa Alberico Gentili], dass nach dem Völkerrecht ein Krieg begonnen werden dürfe, um das Anwachsen einer Macht, welche später schädlich werden könnte, zu verhindern [...]. Das menschliche Leben ist so, dass eine vollkommene Sicherheit niemals vorhanden ist. Gegen ungewisse Übel muss der Schutz bei der göttlichen Vorsehung oder durch unschädliche Bürgschaften gesucht werden, aber nicht durch Gewalt.

V . Aufgabe der Wissenschaft: Arbeit a n einer Integrationslehre des Völkerrechts Integrationspolitisch mag sich auf den zweiten B l i c k gerade der Schutz der Menschenrechte als Element einer Zukunftsagenda erweisen. Z u erinnern ist an die bekannte islamische These, wonach die Idee der Menschenrechte als Teil des Menschheitserbes, auf das der Westen kein M o n o p o l besitze, zu verstehen sei. Diese These ist geeignet, den immer wieder neu zu begründenden und zu sichernden Anspruch auf Universalität der Menschenrechte zu untermauern - ohne den jüdisch-christlichen Glauben ins Abseits zu drängen. Eine alleinige Ableitung der Menschenrechte aus der abendländischen Tradition, letztlich aus dem Ius Publicum Europaeum und dem klassischen Gedankengut der Aufklärung, könnte ihre Universalität gefährden. Jene islamische These, verständig formuliert (was nicht der Fall ist bei der gelegentlichen Einlassung, dass der Westen die Menschenrechte erst nach der Aufklärung „entdeckt" habe, der Islam schon vor 1.400 Jahren), kann damit das Einpassen des Menschenrechtskonzepts i n die spezifischen islamischen Gemeinschafts- und Rechtsvorstellungen erleichtern. Einer Integrationslehre des Völkerrechts hilft das auf. 3 7 the West, 2004, einerseits und Rose, Guantamaño Bay. Amerikas Krieg gegen die Menschenrechte, 2004, andererseits. Zum Kontext Ross, The Missing Peace. The Inside Story of the Fight for the Middle East Peace, 2004; Kepel, Jihad, Expansion et decline de l'islamisme, 2000. 37 Die universelle Ordnung wird nach wie vor herausgefordert, gewiss, zumal durch den Terrorismus. Dieses Feld ist mit jenem der islamischen Herausforderung aber keineswegs deckungsgleich. Hier zeigen sich Risse in den Fundamenten der Rechtsordnung: Relativierung des Gewaltverbots (seitens des prätendierten Hegemons), Ignorierung der souveränen Gleichheit der Staaten, Abschwächung des Menschenrechtsschutzes. Das Recht der Staaten auf das Ergreifen von Gegenmaßnahmen, einschließlich der schon von Emer de Vattel Mitte des 18. Jahrhunderts geforderten légitimité des moyens, ist offensichtlich in rascher, unkoordinierter Bewegung. Es knistert im rechtssystematischen Gebälk. Hier hat die Integrationsarbeit anzusetzen. Hoffnungen lassen sich an dem Umstand festmachen, dass nicht nur die Strömungen im Islam, sondern auch die Charaktere der muslimischen Staaten, von Algerien bis Indonesien, von Usbekistan bis Albanien, politisch wie rechtlich keineswegs einheitlich sind. Von den Resten der sozialistischen Staatenwelt gilt nichts anderes. Heterogenität aber kann rechtspolitisches Spaltungspotential entschärfen: safety in numbers. Die rechtsdogmatischen Probleme des „Fundamentalismus" waren im sozialistischen Lager

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Um ihre relative Einheit zu wahren, ist die Völkerrechtsordnung - davon hängt der Erfolg aller Integrationsarbeit ab - zur Zurückhaltung aufgerufen, zur Konzentration auf ihren einleitend erwähnten systembildenden universellen Kern: auf Staatengleichheit, Gewaltverbot, Menschenrechte. Die Vorbehalte muslimischer Staaten zu Menschenrechtsverträgen sprechen insofern beredt. Gefährlich ist es auch, wenn immer mehr Menschenrechte argumentativ in den Rang von ius cogens gehoben werden. Es dürfen auch nicht immer opulentere Menschenrechte einer „dritten Generation" und immer ausgreifendere Verpflichtungen als solche erga omnes postuliert werden. Nur die grundlegenden Menschenrechte (und das Gewaltverbot) sind einschlägig geschützt, die Freiheit von Sklaverei und von Folter etwa. Ihre weltweite Durchsetzung bleibt ohnehin ein Desideratum. Von einem „Menschenrecht" auf Ernährung oder Entwicklung 38 , auf sozialpolitische Solidarität oder auf klares Wasser lässt sich schlechterdings nicht sprechen. Auf der Einhaltung auch der scheinbar technischen Justizgrundrechte dagegen (Recht auf Verteidiger, Pflicht zur Information von Angehörigen nach Festnahme etc.) 39 ist strikt zu beharren, in Syrien ebenso wie in Guantánamo. In seinen unentbehrlichen Fundamenten, nicht in seinen einzelnen Ausprägungen oder gar in seinen rechtspolitischen Projektionen muss das Völkerrecht als die universale und säkulare normative Weltordnung seine Einheit wahren. 40 Die Aufgabe, eine detaillierte Ordnung im Sinne materieller Gerechtigkeit herzustellen, würde die internationale Rechtsordnung überfordern. Das Völkerrecht bleibt eine im Schwerpunkt nach wie vor zwischenstaatliche Koexistenz-, Kooperations- und (ansatzweise) Legitimationsordnung. Der Weg bis zum Entstehen einer weltstaatlichen Solidarordnung ist noch unübersehbar weit. Jedes Überziehen des Koopera-

freilich geringer als sie es heute im islamischen „Haus" sind. Der Sozialismus war keine Offenbarungsreligion. Korrekturhoffnungen gibt es gleichwohl, auch bezüglich des hegemonialen Unilateralismus (dazu bereits aus historischer Sicht Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie, 1948 [seine Hoffnung auf Europa setzend, 235: „ein freies System artverwandter und konkurrierender Staaten, das sich keiner Vormacht eines seiner Glieder beugen will"]): Washington hat nach einer Phase realitätsvergessener Selbstüberschätzung die Unentbehrlichkeit einer UN-Legitimation und Nato-Kooperation erkannt, jedenfalls für die Re-Etablierung der staatlichen Ordnung im Irak. 38 Vgl. Worku, Entwicklungstendenzen des regionalen Menschenrechtsschutzes. Die Afrikanische Charta der Rechte des Menschen und der Völker, 2000, 89 ff. 39 Vgl. Grabenwarter, Right to fair trial and terrorism, in Société Française pour le Droit International, 2004, 211 ff.; Stahn, International Law at a Crossroads?, ZaöRV 62 (2002), 184 ff.; von Schorlemer, Human Rights: Substantive and Institutional Implications of the War Against Terrorism, EJIL 14 (2003), 265 ff. 40 Hinter dem speziellen Problem eines etwaigen Zerfallens seiner Ordnung in unkoordinierte, widersprüchliche, die Gesamtordnung letztlich auflösende Teilordnungen stehen generelle Zweifel an der fortbestehenden Universalisierbarkeit von Werten, Normen, Institutionen. Beim Spaltungsproblem geht es insofern letztlich um die Zukunft des Völkerrechts: um religionsübergreifende Einheit oder Aufspaltung entlang den Bruchlinien der Großmächte, Großideologien, Weltreligionen.

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tionsansatzes41, jeder verbale Idealismus ohne substantiierten Realismus schürt falsche Erwartungen und wirkt letztlich desintegrierend. Eine Übereinstimmung in allen Schlüsselfragen - Voraussetzung einer materiell angereicherten Rechtsordnung - wäre nur in der irrealen civitas maxima eines Christian Wolff gegeben. 42 Aequalitas der Glieder setzte bereits Grotius dort voraus, wo er den Gedanken der „Menschheit" verwendete. Eine substantielle Gleichgestimmtheit der Staaten fehlt aber heute so wie früher, von einer solchen der Weltreligionen oder der Weltgesellschaft ganz zu schweigen. In der pluralistischen Staatengemeinschaft der Gegenwart hat das Völkerrecht im Wesentlichen die Aufgabe, im Interesse eines geordneten Zusammenlebens der Menschen dieser Erde für den Verkehr zwischen den Völkerrechtssubjekten geeignete Institutionen und Verfahren zur Verfügung zu stellen und für die Einhaltung und Verbesserung der entsprechenden Regeln zu sorgen. Für die Wissenschaft bedeutet dies den Abschied von hegemonial- oder integrationspolitischen Weltstaatsträumen 43. Auch nach dem Zerfall der sozialistischen Staatengruppe etwa ließen sich wider mancher mondialistischer Erwartung die entscheidenden Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik nicht zu einer Weltinnenpolitik unter UN-Kontrolle transformieren. Stattdessen gilt es, die Arbeit 44 an der skizzierten Integrationslehre des Völkerrechts fortzuführen. In der real- wie rechtspolitisch verwickelten Situation unserer Zeit, die weder bereits eine „postnationale Konstellation" aufweist, noch durch das prä- und transnationale wmma-Konzept einer „Völker- und Menschheitsfamilie" bestimmt ist, bleibt dies Aufgabe genug.

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Zurückhaltend-optimistisch Friedmann, The Changing Structure of International Law, 1964; fortschreibend Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995. 42 Ius gentium, 1749 (eine der staatlichen Ordnung entsprechende und damit die zwischenstaatliche Realität letztlich verfehlende Konstruktion der Völkerrechtsordnung). 43 Kritisch auch Bayart, Le Gouvernement du monde. Une critique politique de la globalisation, 2004, in Abgrenzung zu den provozierenden Thesen von Hardt/Negri, Empire, 2000. 44 Wenn Aristoteles tagsüber ruhte, nahm er eine Steinkugel in die Hand und stellte eine Schüssel darunter. Sobald er einschlief, lockerte sich sein Griff, die Kugel fiel herunter, er schreckte auf und konnte sich wieder seiner Arbeit widmen, ohne viel Zeit verloren zu haben. Zugegeben - vielleicht ein wenig übertrieben. Aber auch wir haben viel und lange zu arbeiten: an der Einheit der Völkerrechtsordnung im Horizont der vorstehend skizzierten Herausforderungen, im Vertrauen, wie der Jubilar, auf die humanistische Idee einer langsam voran schreitenden Vernunft.

Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen: Eine neue Rolle für den Sicherheitsrat Von Rüdiger Wolfrum

I. Einführung Die Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft, eine weitere Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einzudämmen, geht - stark vereinfacht formuliert - von zwei unterschiedlichen Ansätzen aus. Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen wird unter humanitären Gesichtspunkten abgelehnt. Es wird zu Recht eingewandt, ein derartiger Einsatz könne nicht zwischen zivilen und militärischen Objekten, insbesondere nicht zwischen Kombattanten und Zivilpersonen unterscheiden; ein derartiger Einsatz verletze zwangsläufig das Prinzip der Proportionalität und erzeuge überflüssige Leiden bei den Opfern. Damit verstieße der Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen grundlegende Prinzipien des internationalen humanitären Völkerrechts. 1 Diese Meinung ist allerdings nicht unumstritten, es wird durchaus argumentiert, ein Einsatz von modernen Massenvernichtungswaffen könne mit dem internationalen humanitären Völkerrecht vereinbart werden. Darüber hinaus wird geltend gemacht, dass der Einsatz bestimmter Massenvernichtungswaffen zwangsläufig zu nachhaltigen Schäden an der natürlichen Umwelt führen müsse. Auch dies würde einen Verstoß gegen grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts bedeuten.2 1 Der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen verpflichtet zur Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten. Der Grundsatz der Proportionalität ist in Art. 22 der Haager Landkriegsordnung verankert. Danach ist das Recht der Kriegführenden, den Gegner zu schädigen, nicht unbegrenzt. Art. 23 der Haager Landkriegsordnung verbietet den Einsatz von Waffen, die unnötige Leiden verursachen. 2 Art. 35 Abs. 3 und Art. 55 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen machen es den Kriegführenden zur Pflicht, die natürliche Umwelt gegen weitreichende und lang anhaltende Schäden zu schützen. Das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshof zur Frage der völkerrechtlichen Legalität eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen, das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeholt worden war, stellt zwar fest, dass das geltende humanitäre Völkerrecht auf Massenvernichtungswaffen anwendbar ist, nimmt aber zur Frage der Legalität bzw. Illegalität letztlich keine Stellung: „ . . . in view of the present state of international law viewed as a whole ... and of the elements of fact at its disposal, the Court is led to observe that it cannot reach a definitive conclusion on the

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Massenvernichtungswaffen, insbesondere Nuklear-Waffen, sind zwar teilweise erst nach der Entwicklung des humanitären Völkervertragsrechts in das Arsenal der Staaten aufgenommen worden. Dessen bestimmende Grundprinzipien erfassen aber alle neuen Waffenentwicklungen und erhalten durch die fortschreitende Waffentechnologie einen neuen Aussagegehalt. Massenvernichtungswaffen sind darüber hinaus teilweise geeignet, die menschliche Existenz grundsätzlich zu gefährden. Insbesondere ein Einsatz von NuklearWaffen würde - je nach Ausmaß des Einsatzes - nicht nur die Bevölkerung des Zielstaates vernichten, sondern könnte schwerwiegende negative Folgen für weitere Räume einschließlich des Weltklimas haben. Die bisherigen Versuche, Massenvernichtungswaffen und damit die Gefahr deren Einsatzes einzuschränken, beruhen auf folgenden Ansätzen: völliges oder weitestgehendes Verbot der Lagerung und Herstellung derartiger Waffen; Einschränkungen hinsichtlich der Entwicklung, Lagerung und Erprobung derartiger Waffen für die Staaten, die über diese Waffen verfügen und schließlich eine Einschränkung des Einsatzes. Die entsprechenden völkerrechtlichen Instrumente richten sich ausschließlich an Staaten, denn sie beruhen auf der stillschweigenden Annahme, dass theoretisch nur Staaten über die technischen Fähigkeiten zur Herstellung und zum Einsatz verfügen. Dies korrespondiert mit der Prämisse des humanitären Völkerrechts, dass lediglich Staaten oder - und dies ist eine moderne Entwicklung - nationale Befreiungsbewegungen in der Lage sind, militärische Konflikte auszutragen. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001 kann von dieser Prämisse nicht mehr ausgegangen werden. Es besteht vielmehr seitdem die reale Gefahr, dass Terroristen in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen. Derartige Befürchtungen wurden letztens im Irak laut, nachdem dort größere Mengen Urans verschwunden waren. Die Hemmschwelle, Massenvernichtungswaffen auch einzusetzen, ist bei terroristischen Vereinigungen zumindest im Vergleich zu im Regelfall verantwortlich handelnden Staaten möglicherweise deutlich reduziert. Ein Einsatz von Massenvernichtungswaffen setzt Terroristen nicht im gleichen Umfang der Gefahr aus, in vergleichbarer Weise Opfer eines entsprechenden Gegenangriffs zu werden. Das viel kritisierte - aber dennoch friedenserhaltende „Gleichgewicht des Schreckens" kann gegenüber derartigen Vereinigungen nicht hergestellt werden. Deswegen ist es in Bezug auf terroristische Gruppierungen zutreffend, von einer Lücke in dem Instrumentarium gegen Verbreitung und Anwendung von Massenvernichtungswaffen zu sprechen.3

legality or illegality of the use of nuclear weapons by a State in an extreme circumstance of self-defence in which it's survival would be at stake." Vgl. IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons , ICJ Reports 1996, 266 (para. 95). 3

So ausdrücklich bei der Verabschiedung von S/RES/1540 (2004) vom 28.4.2004 die Vertreter Frankreichs, vgl. U N Dok. S/PV./4956.

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Eine vergleichbare Lücke besteht aber auch im Hinblick auf Staaten, die versuchen, ein Arsenal von Massenvernichtungswaffen aufzubauen, und zwar ohne Rücksicht auf die negativen Folgen, die deren Einsatz haben könnte und unter völliger Mißachtung der Interessen ihrer Bevölkerung, die unter entsprechenden Gegenmaßnahmen zu leiden hätte. Diese Lücke in den existierenden Rechtsregimen gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen versucht die Resolution des Sicherheitsrats S/RES/1540 (2004)4 vom 28.4.2004 zu schließen, wobei diese auf Kapitel V I I der U N Charta beruhende Resolution auf früheren Resolutionen gegen den internationalen Terrorismus aufbaut. 5 Sie ist aber nicht isoliert zu sehen. Es gibt derzeit unterschiedliche Ansätze, eine weitere Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu unterbinden. Eine von ihnen ist die Proliferation Security Initiative (PSI). Deren Ziel ist es, den Transport von Massenvernichtungswaffen und von entsprechenden Trägersystemen über See zu verhindern, um so zu erreichen, dass weder terroristische Organisationen noch bestimmte Staaten Zugriff auf diese Waffen oder Trägertechnologie erhalten. Die Initiative ging von U.S. Präsident Bush aus, ihr haben sich inzwischen eine Reihe von Staaten angeschlossen. Im Einzelnen soll im Rahmen dieser Initiative ein besserer Informationsaustausch erfolgen und die nationalen Regelungen gegen eine Weitergabe von Massenvernichtungswaffen, Komponenten für diese und Trägersysteme sollen verschärft werden. Der entscheidende Punkt aber ist eine Verschärfung der Kontrolle des Seeverkehrs. Die vorgesehenen Maßnahmen sind allerdings weder mit Art. 110 des Seerechtsübereinkommens über das Aufbringen von Schiffen auf hoher See noch mit den Rechten der Küstenstaaten hinsichtlich der Schifffahrt in ihren ausschließlichen Wirtschaftszonen oder Küstengewässern ohne weiteres zu vereinbaren. Die schwierigen Verhandlungen über die Verwirklichung der PSI belegen erneut die Probleme hinsichtlich einer schnellen Fortentwicklung des Völkervertragsrechts, auch wenn die Notwendigkeit für eine derartige Fortentwicklung weitestgehend anerkannt ist. Der ganze Komplex ist außerdem vor dem Hintergrund der für 2005 vorgesehenen Revisionskonferenz für den Nichtverbreitungsvertrag zu würdigen. Im Vorfeld dieser Konferenz haben einzelne Staaten sich gegen die Beschränkungen in Bezug auf die Anreicherung von Uran gewandt mit dem Hinweis darauf, dass die Atommächte ihren Abrüstungsverpflichtungen nicht nachgekommen seien.6 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auf der Revisionskonferenz zu einer Aufweichung des Nichtverbreitungsvertrags kommt, die es letztlich bestimmten Staaten eher ermöglicht, sich Zugang zur NuklearWaffentechnologie zu verschaffen. Dies würde das Risiko einer weiteren Verbreitung von Nuklear-Waffen erhöhen.

4 Vgl. dazu Zimmermann/Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, Vereinte Nationen 2004, 71 ff. 5 S/RES/1267 vom 15.10.1999 und S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001. 6 Z u der Kontroverse um das Nuklear-Waffenprogramm von Nordkorea vgl. Kile, Nuclear arms control, non-proliferation and ballistic missile defence, SIPRI Yearbook 2003, 577 ff.

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Rüdiger Wolfrum

Es ist die Frage, ob die Anerkennung von Legislativbefugnissen des Sicherheitsrats, die er mit der Resolution 1540 de facto in Anspruch nimmt, eine adäquate Lösung zur Schließung des skizzierten Sicherheitsdefizits darstellen kann. Der folgende Beitrag will kurz auf die Ansätze eingehen, die den Vertragsregimen zum Verbot oder zur Einschränkung von Massenvernichtungswaffen zu Grunde liegen, um diesen die Resolution des Sicherheitsrats gegenüber zu stellen.

II. Bisherige Ansätze zur Einschränkung von Massenvernichtungswaffen 7. Völliges Verbot von Einsatz, Herstellung

und Erwerb auf regionaler

Basis

In Bezug auf Nuklear-Waffen gibt es bislang kein völliges Verbot auf universeller Ebene. Einzelne Staaten aber auch einzelne geo-politische Regionen haben aber den Versuch unternommen, Nuklear-Waffen zu verbieten, indem sie entsprechende Nuklear-Waffen freie Zonen erklärt haben. Rein nationale Nuklear-Waffen freie Zonen haben die Mongolei und Österreich erklärt. 7 In beiden Staaten sind die Herstellung, Lagerung, der Transport sowie der Test von Nuklear-Waffen gesetzlich verboten. Das Verbot der Mongolei erfasst darüber hinaus auch die Lagerung von nuklearem Abfall. Die Staaten, die über Nuklear-Waffen verfügen, haben gegenüber den Staaten, die einseitig auf die Verfügung über Nuklear-Waffen verzichtet haben, keine Sicherheitsgarantien abgegeben. Der Beitrag dieser Staaten zur Einschränkung von Nuklear-Waffen ist dementsprechend gering. Gemäß Art. 5 Abs. 3 des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland, 19908 (sog. Zwei-plus-Vier-Vertrag) dürfen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR keine Nuklear-Waffen stationiert werden. Zurzeit existieren folgende Nuklear-Waffen freie Zonen, die auf der Basis entsprechender völkerrechtlicher Verträge eingerichtet worden sind. Die erste Zone dieser Art wurde 1967 durch den Vertrag von Tlatelolco 9 für Lateinamerika und die Karibik geschaffen. Als weitere Nuklear-Waffen freie Zonen ist die durch den Vertrag von Rarotonga von 198510 für den südpazifischen Raum geschaffene Zone, die Südost-Asiatische Nuklear-Waffen freie Zone 11 (Vertrag von Bangkok, 1995), sowie die Afrikanische Nuklear-Waffen freie Zone (Vertrag von Pelindaba, 7 Die Bundesrepublik Deutschland hat in dem WEU-Protokoll von 1954 auf die Herstellung von A, B und C Waffen verzichtet; Österreich hat einen gleichen Verzicht im Friedensvertrag von 1955 ausgesprochen. 8 BGB1. 1990 n , 1318-1329, UNTS Vol. 1696, 115-151. 9 Treaty for the Prohibition of Nuclear Weapons in Latin America, 1967 (Treaty of Tlatelolco), UNTS Vol. 634, 326 (in Kraft seit 22.4.1968). 10 South Pacific Nuclear Free Zone Treaty (Treaty of Rarotonga), 1985, in Kraft seit 11.12.1986), I L M 24 (1985), 1442. 11

Treaty of the South-East Asia Nuclear-Weapon Free Zone, 1985 (Treaty of Bangkok) (in Kraft seit 27.3.1997), UNTS Vol. 1981, 129-165.

Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen

869

1996)12 zu nennen. In den genannten Verträgen verzichten die betreffenden Staaten auf Besitz, Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Verfügung von Nuklear-Waffen. Das bislang nicht vollständig in Kraft getretene Vertragssystem von Pelindaba13 verbietet in den beiden Zusatzprotokollen darüber hinaus die Unterstützung gegenüber Staaten, die über Nuklear-Waffen verfügen, diese zu testen oder die Unterstützung von Staaten, die drohen diese Waffen gegen Staaten der Region einzusetzen. Die Nuklear-Waffen freien Zonen unterscheiden sich durchaus in ihrer Ausgestaltung. Sie verbieten alle die Stationierung, das Testen, die Lagerung, die Herstellung, den Erwerb, die Erforschung und vor allem den Einsatz von NuklearWaffen. Der Vertrag von Bangkok verbietet darüber hinaus die Ablagerung von atomarem Abfall und der Vertrag von Pelindaba schließt auch eine Förderung anderer Staaten in Bezug auf Nuklear-Waffen aus. Gewährleistet wird bei allen genannten Verträgen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Alle Verträge sind als Rüstungsbeschränkungsverträge zu verstehen, die zudem zum Ziel haben, die betreffenden Staaten von einem Einsatz von Nuklear-Waffen zu schützen. Der Beitrag, den derartige Zonen für eine Sicherung des Weltfriedens zu leisten vermögen, wird vor allem in der Deklaration von Kairo vom 11.4.1996 anlässlich der Zeichnung des Vertrages von Pelindaba unterstrichen. Das Problem der Nuklear-Waffen freien Zonen ist deren fehlende oder zumindest unvollständige Anerkennung durch Staaten, die über Nuklear-Waffen verfügen und die Unklarheit, inwieweit ein Transit von Nuklear-Waffen durch eine Nuklear-Waffen freie Zone verboten werden kann. Protokoll I des Vertrages von Pelindaba verpflichtet allerdings die Nuklearwaffenstaaten, diese Waffen in der Zone nicht einzusetzen und hiermit auch nicht zu drohen. Außerdem verpflichten sie sich, keinen Beitrag zu einer Verletzung des Vertrages zu leisten. Eine Beispielsfunktion unter den Nuklear-Waffen freien Zonen nehmen vor allem die Antarktis, der Weltraum und der Meeresboden ein. Der Antarktisvertrag 14 reserviert die Antarktis ausschließlich für friedliche Zwecke; sie ist völlig demilitarisiert. Der Vertrag verbietet spezifisch Atomwaffenexplosionen und die Lagerung von radioaktivem Material. Nach dem Weltraumvertrag 15 ist der Weltraum, einschließlich der Himmelskörper, ausschließlich für friedliche Zwecke reserviert. Der Vertrag verbietet u. a. die Errichtung militärischer Basen, Installationen und Befestigungen. Ausdrücklich verboten ist die Stationierung von Atom12 African Nuclear-Weapon Free Zone Treaty, 1996 (Treaty of Pelindaba) (in Kraft seit 11.4.1996), I L M 35 (1996), 705-722. 13 Vgl. dazu im Detail Reddy, The African Nuclear-Weapon Free Zone Treaty (Pelindaba Treaty) and the non-proliferation of weapons, Tydskrif vir die Suid-Afrikaanse Reg 1997, 273 ff. 14

Antarctic Treaty, 1959 (in Kraft seit 23.6.1961), UNTS Vol. 402, 71. Treaty on Principles Governing the Activities of States in The Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and Other Celestial Bodies, 1967 (in Kraft seit 10.10.1967), UNTS Vol. 610, 205. 15

870

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waffen oder anderer Massenvernichtungswaffen auf Himmelskörpern, in dem Orbit um die Erde oder im All. Auf dem Meeresboden und in seinem Untergrund dürfen nach dem Meeresbodenvertrag 16 von 1971 keine Massenvernichtungswaffen stationiert werden; ebenso verboten sind Installationen für das Abfeuern, die Lagerung oder das Testen derartiger Waffen.

2. Waffenorientierte

Beschränkungen von Herstellung , Erwerb und Einsatz von Massenvernichtungswaffen

Im Gegensatz zu den gebietsbezogenen Beschränkungen bestimmter Waffenarten sind im Völkervertragsrecht auch universell geltende Einschränkungen für Waffensysteme entwickelt worden und zwar für bakteriologische Waffen und chemische Waffen, wobei sich diese beiden Abkommen gleichen, sowie für Nuklear-Waffen. Insgesamt kommt diesen Beschränkungen der Waffensysteme ein höheres Gewicht zu als den angesprochenen Nuklear-Waffen freien Zonen. Das Abkommen zum Verbot von bakteriologischen Waffen von 197217 enthält ein umfassendes Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer Waffen. Die Staaten verpflichten sich, entsprechende Trägersysteme, Gifte, Waffen- und Ausrüstungsbestände oder Mittel zu dem Einsatz derartiger Waffen unter ihrer Jurisdiktion oder Kontrolle entweder zu zerstören oder einer friedlichen Nutzung zuzuführen. Darüber hinaus verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Herstellung derartiger Waffensysteme weder direkt noch indirekt in anderen Staaten zu unterstützen. Entscheidend ist die Verpflichtung unter Art. IV des Abkommens. Danach verpflichten sich die Vertragsstaaten alle notwendigen innerstaatlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Entwicklung, Herstellung, Lagerung oder den Erwerb bakteriologischer Waffensysteme zu verhindern. 18 Diese Vorschrift legt den Staaten innerstaatliche Umsetzungspflichten von Gewicht auf; mit den entsprechenden innerstaatlichen Normen wird in die industrielle aber auch die wissenschaftliche Forschung eingegriffen und dieser im Interesse der Friedenssicherung bzw. zum Schutz von Zivilbevölkerung und Kombattanten Beschränkungen auferlegt. 16 Treaty on the Prohibition of the Emplacement of Nuclear Weapons and Other Weapons of Mass Destruction on the Seabed and the Ocean Floor and the Subsoil Thereof, 1971 (in Kraft seit 18.5.1972), UNTS Vol. 955, 115. 17 Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction, vom 10.4.1972 (in Kraft seit 26.3.1975), BGBl. 1983 II, 133-138, UNTS Vol. 1015, 163-241. 18 Die entsprechende Vorschrift lautet: „Each State Party to this Convention shall, in accordance with its constitutional processes, take any necessaiy measures to prohibit and prevent the development, production, stockpiling, acquisition, or retention of the agents, toxins, weapons, equipment and means of delivery specified in article I of the Convention, within the territory of such State, under its jurisdiction or under its control anywhere."

Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen

871

Das Abkommen zum Verbot von chemischen Waffen 19 folgt im Wesentlichen dem gleichen Ansatz wie das Abkommen zum Verbot biologischer Waffen. Es geht auf frühere Ansätze - das Genfer Giftgas Protokoll - zurück. 20 Verboten sind die Entwicklung, Herstellung, der Erwerb, die Lagerung und die Zurückbehaltung von chemischen Waffen sowie deren direkter oder indirekter Transfer. Verboten ist ebenfalls der Einsatz chemischen Waffen, die Vorbereitung eines Einsatzes sowie die technische oder andere Hilfe oder Förderung anderer hinsichtlich von Aktivitäten, die unter der Konvention verboten sind. Schließlich verpflichten sich die Vertragstaaten, alle in anderen Staaten zurückgelassenen chemischen Waffen zu zerstören sowie die Produktionsstätten für chemische Waffen unter der eigenen Jurisdiktion oder Kontrolle zu vernichten. Zu der letztgenannten Verpflichtung gibt es weitreichende Ausführungsbestimmungen. Auch dieses Abkommen erlegt den Vertragsstaaten weitgehende Implementierungsmaßnahmen auf, die auch die Einführung von Strafnormen verlangen. 21 Einem anderen Ansatz folgt der Nichtverbreitungsvertrag von 1968;22 er strebt nicht ein völliges Verbot von Nuklear-Waffen an, sondern versucht lediglich deren Verbreitung einzuschränken. Unterschieden wird zwischen Kernwaffenstaaten und Vertragsstaaten, die nicht über Nuklear-Waffen verfügen. Die Vertragsstaaten, die über Nuklear-Waffen verfügen, verpflichten sich, diese nicht an Nicht-Kernwaffenstaaten weiterzugeben und Nicht-Kernwaffenstaaten auch keine Kontrolle über Kernwaffen einzuräumen. 23 Zudem verpflichten sich die Kernwaffenstaaten, Nicht-Kernwaffenstaaten nicht bei der Herstellung oder dem Erwerb von Kernwaffen in irgendeiner Form zu unterstützen. Damit korrespondiert eine entspre19 Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and their Destruction, 1993 (in Kraft seit 29.4.1997), BGBl. 1994 II, 807-969, UNTS Vol. 1974,45-466 (arab., chin., engl.), UNTS Vol. 1975,3^69 frz., russ., span.). 20 Protocol for the Prohibition of the Use of Asphyxiating, Poisonous or other Gases, and of Bacteriological Methods in Warfare, 1925, RGBl. 1929 II, 174-177, LNTS Vol. 94, 65-74. 21

Art. V i l lautet: „Each State Party shall, in accordance with its constitutional process, adopt the necessary measures to implement its obligations under this Convention. In particular, it shall: (a) Prohibit natural and legal persons anywhere on its territory or in any other place under its jurisdiction as recognized by international law from undertaking any activity prohibited to a State Party under this Convention, including enacting penal legislation with respect to such activity; (b) Not permit in any place under its control any activity prohibited to a State Party under this Convention; and (c) Extend its penal legislation enacted under subparagraph (a) to any activity prohibited to a State Party under this Convention undertaken anywhere by natural persons, possessing its nationality, in conformity with international law." 22 Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, July 1, 1968 (in Kraft seit 5.3.1970), BGBl. 1974 II, 786-793, UNTS Vol. 729, 161-299. 23 Nicht verboten ist allerdings, Nuklear-Waffen auf dem Gebiet eines Nicht-Kernwaffenstaates zu stationieren, solange dieser darüber keine Verfügungsmacht erhält.

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chende Verpflichtung der Nicht-Kernwaffenstaaten, keine Kernwaffen zu erwerben und derartige Waffen auch nicht herzustellen. Weitere Abkommen schränken die Entwicklung des A-Waffenpotentials bzw. von Trägersystemen bis zu einem gewissen Grad auch die Entwicklung dieser Waffen oder die Vorbereitung ihres Einsatzes ein; dies gilt insbesondere für das Teststoppabkommen zwischen den USA, der damaligen UdSSR und Großbritannien von 1963,24 den Vertrag zwischen den USA und der UdSSR über die Beschränkung unterirdischer Tests von A-Waffen, 1974,25 den Comprehensive Test Ban Treaty von 1995,26 den International Code of Conduct against Ballistic Missile Proliferation, 2002, 27 sowie die bilateralen Verträge zwischen den USA und der UdSSR bzw. Russland über Verringerung des Nuklear-Waffenpotentials bzw. die Verringerung der Trägersysteme. Das letzte dieser Abkommen ist das SORTAbkommen, 2002 (Strategie Offensive Reductions Treaty), 28 wonach sich die beiden Staaten zu einer maßgeblichen Reduktion von nuklearen Gefechtsköpfen bis Ende 2012 verpflichten. Es fehlt in dem Nichtverbreitungsvertrag eine Implementierungsvorschrift, wie sie die Abkommen zum Verbot von chemischen bzw. biologischen Waffen aufweisen. Der Grund hierfür liegt in den unterschiedlichen Entstehungszeiten der Abkommen. Zur Zeit des Abschlusses des Nichtverbreitungsvertrages bestand noch nicht im gleichen Maße das Bewusstsein, dass es konkreter Regelungen für eine innerstaatliche Implementierung völkerrechtlicher Verpflichtungen bedarf. Moderne völkervertragliche Verpflichtungen enthalten in zunehmendem Umfang derartige Regelungen für eine innerstaatliche Implementierung, wobei allerdings die Vorgabe, dass für die Implementierung auf das Strafrecht zurückgegriffen werden muss, eher die Ausnahme darstellt.

I I I . Die Sicherheitsratsresolution 1540 (2004) vom 28. April 2004 ein neuer und tragfähiger Ansatz? 1. Vorbemerkung

Der Sicherheitsrat hat in seiner Resolution 1540 einstimmig die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen als eine Bedrohung des Weltfriedens bezeichnet. Damit verweist er auf Art. 39 V N Charta und eröffnet sich die Möglichkeit, nach Kapitel V I I der V N Charta tätig zu werden. Gestützt hierauf hat der 24

Treaty Banning Nuclear Weapon Tests in the Atmosphere, in Outer Space and under Water, BGBl. 1964 II, 907-910, UNTS Vol. 480, 43-99. 25

UNTS Vol. 1714, 123-127 (russ.), 217-220 (engl.), 302-303 (frz.).

26

BGBl. 1998 n, 1211-1313, ILM 35 (1996), 1443-1478.

27

Abgedruckt in: SIPRI Yearbook 2003, 761.

28

ILM 41 (2002), 799-800.

Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen

873

Sicherheitsrat den Staaten eine Reihe von Verpflichtungen auferlegt, auf die im Folgenden näher einzugehen sein wird. Das entscheidend Neue an dieser Resolution ist, dass eine abstrakte Gefahr - nämlich die Gefahr, dass Terroristen in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen könnten - als Gefahr im Sinne von Art. 39 V N Charta qualifiziert und als Grundlage für ein Tätig werden des Sicherheitsrates nach Kapitel V I I der Charta instrumentalisiert wird. Wichtig ist aber ebenso, dass mit den vorgeschriebenen Maßnahmen der Sicherheitsrat de facto normierende Funktionen übernimmt. Die Resolution 1540 tritt als solche neben die existierenden Vertragssysteme, insbesondere den Nichtverbreitungsvertrag, mit dem ausdrücklich erklärten Ziel, diese Vertragssysteme zu ergänzen. Dieses ist der zweite Fall, in dem der Sicherheitsrat quasi gesetzgeberische Kompetenzen für sich in Anspruch nimmt. 29 Die Resolution 1540 baut auf Überlegungen auf, die seit längerer Zeit in den Vereinten Nationen diskutiert werden 30. Bereits im ersten Präambel-Absatz der Resolution 1540 stellt der Sicherheitsrat fest, dass die Weiterverbreitung der Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstelle.31 Des weiteren stellt der Sicherheitsrat fest, dass diese Resolution von der Besorgnis diktiert wird, dass nichtstaatliche Akteure (darunter werden Personen oder Organisationen verstanden, die bei der Durchführung von Aktivitäten, die unter den Anwendungsbereich dieser Resolution fallen, nicht unter der rechtmäßigen Autorität eines Staates handeln), nukleare, chemische und biologische Waffen und ihre Trägersysteme erwerben, entwickeln und mit ihnen handeln oder sie einsetzen könnten. Die folgenden Maßnahmen ergehen dann auf der Basis von Kapitel V I I der Charta der Vereinten Nationen. Diese verpflichten alle Staaten, den genannten nichtstaatlichen Akteuren keine Unterstützung in Bezug auf den Erwerb, die Entwicklung, die Herstellung, den Besitz oder den Transport von Massenvernichtungswaffen zu gewähren. Die Staaten werden weiterhin verpflichtet, innerstaatlich wirksame Rechtsvorschriften zu erlassen und anzuwenden, die es jedem nichtstaatlichen Akteur untersagen, nukleare, chemische oder bakteriologische Waffen und ihre Trägersysteme herzustellen, erwerben, zu besitzen, zu entwickeln, zu transportieren, weiterzugeben oder einzusetzen. Auch der Versuch hierzu und die Finanzierung derartigen Aktivitäten muss unterbunden werden. Die Staaten sind verpflichtet, innerstaatliche Kontrollen zur Verhütung der Verbreitung von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen einzurichten. Diese Maß29 S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001; vgl. dazu u. a. Dicke, Standpunkt: Weltgesetzgeber Sicherheitsrat, Vereinte Nationen 2001, 163. 30 Für diesen Teil insoweit auch die Resolution A/RES/57/81 vom 22.11.2002 der Generalversammlung der Vereinten Nationen sowie die Resolution A/RES/58/48 der Generalversammlung. Sie sind allerdings in ihren Appellen an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen allgemein gehalten. 31 Als Trägersysteme werden in der Resolution benannt Flugkörper, Raketen und andere unbemannte Systeme, die als Einsatzteile für nukleare, chemische oder biologische Waffen dienen können und die speziell für diesen Verwendungszweck entwickelt wurden.

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nahmen werden im Folgenden weiter spezifiziert. Genannt werden Grenzkontrollen, Strafverfolgungsmaßnahmen, Export- und Umschlagkontrollen, Vorschriften zur Kontrolle der Ausfuhr, Durchfuhr, des Umschlags, der Wiederausfuhr; Kontrollen der Bereitstellung von Geldern und Dienstleistungen, wie Finanzierung und Transportleistung. Die Umsetzung dieser Verpflichtung soll dabei durch ein für die Dauer von zwei Jahren eingesetzten Ausschuss des Rates überwacht werden. Rechte und Pflichten der Staaten aus den Abrüstungsverträgen bezüglich von AB C-Waffen, insbesondere erwähnt werden der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und das Chemiewaffenübereinkommen, sowie das Übereinkommen über biologische Waffen und Toxinwaffen, bleiben ausdrücklich unberührt. 2. Würdigung der Sicherheitsratsresolution

1540

Die Sicherheitsratsresolution wirft im Wesentlichen zwei Fragen auf, nämlich ob die abstrakte Gefahr, dass Massenvernichtungswaffen unter die Kontrolle von terroristischen Vereinigungen gelangen können, ausreicht, um gemäß Art. 39 V N Charta von einer Bedrohung des Friedens („threat to the peace") sprechen zu können. Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob in Reaktion auf eine Bedrohung des Friedens abstrakt generelle Maßnahmen ergriffen werden können. Der Wortlaut von Art. 39 V N Charta spricht eher dafür, dass auch abstrakte Gefahren ausreichen können. Jede Bedrohung ist schon aus der Logik dieses Begriffes heraus nur abstrakt zu begreifen. Sie enthält zwei Elemente, einen Zustand bzw. die Handlung eines Staates oder eines anderen Akteurs in internationalen Beziehungen, die potentiell zu einer Störung des Friedens führen kann. Verlangt wird also eine prognostische Entscheidung anknüpfend an eine bestimmte Situation. Nur diese Situation muss konkret sein, die sich hieraus ergebende Friedensbedrohung kann notwendigerweise nur abstrakt bestimmt werden. 32 Die Gefahr, dass Massenvernichtungswaffen unter die Kontrolle terroristischer Vereinigungen gelangen, ist aber durchaus real. Entsprechende Bestrebungen sind offenbar gegeben, vor allem liegen Drohungen dieser Art vor. Nur diese Interpretation von Art 39 V N Charta wird dem doppelten Ansatz dieser Norm gerecht. Denn neben einer Bedrohung des Friedens rechtfertigt eine Angriffshandlung ein Tätigwerden des Sicherheitsrates. Die Forderung, es müsse ein Einzelfall vorliegen, aus dem sich eine Bedrohung des Friedens ergibt, rückt die Bedrohung des Friedens zu dicht an die Angriffshandlung und nimmt damit erst dem einen Teil seine eigenständige Bedeutung. Das von M. Koskenniemi gebrauchte Bild, der Sicherheitsrat sei die Polizei, die um Ordnung bemüht sei und die Generalversammlung bilde den Tempel und beschäftige sich mit Fragen der Gerechtigkeit 33, hilft hier nicht weiter. Weder spie32 Zimmermann/Eberling (Fn. 4), 72, wo von ,im Einzelfall friedensbedrohenden Situationen' gesprochen wird; Happold, Security Council Resolution 1373 and the Constitution of the United Nations, Leiden Journal of International Law 16 (2003), 593 (599-601). 33

Politi, The Police in the Temple. Order Justice and the UN: A Dialectical View, European Journal of International Law 6 (1995), 325.

Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen

875

gelt es die Realität der V N Charta wider noch entspricht es dem Bild einer modernen Polizei, die gerade präventiv zur Abwehr abstrakter Gefahren tätig werden kann. Schließlich ist noch ein weiteres Argument gegen eine Engführung der Kompetenzen des Sicherheitsrates anzubringen. Der Sicherheitsrat ist kein Gericht oder eine gerichtsähnliche Institution, die internationale Normen auslegt und anwendet. Bei Art. 39 V N Charta handelt es sich vielmehr um eine Kompetenzvorschrift für ein politisch handelndes internationales Organ. Hieraus ergibt sich, dass den dieser Vorschrift inhärenten Entscheidungsspielräumen und Einschätzungsprärogativen ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Schließlich können die Maßnahmen gemäß Art. 41 V N Charta durchaus normativen Charakter haben. Dies gilt insbesondere für Embargomaßnahmen, auch die Formulierung des Oil for Food Programms, die Errichtung von zwei Strafgerichtshöfen 34 und die Regelung des Friedensschlusses zwischen Irak und Kuwait hatten einen legislativen Charakter. Sie waren abstrakt und generell und dienten als Grundlage für weitere exekutive Maßnahmen der adressierten Staaten. Ihrem legislativen Charakter steht nicht entgegen, dass sie in Bezug auf einen konkreten Fall erlassen wurden. Entscheidend ist der universelle Adressatenkreis und die diesem verbleibenden Möglichkeiten hinsichtlich der Umsetzung.35 Damit soll nicht gesagt werden, der Sicherheitsrat unterliege in der Ausübung seiner Funktionen keinerlei rechtlichen Schranken, 36 auch wenn sich derartige Schranken weder aus Art. 25 noch Art. 39 V N Charta entnehmen lassen. Diese Schranken ergeben sich daraus, dass der Sicherheitsrat allein zum Schutze der Friedenssicherung tätig werden kann 37 und dabei im Interesse der Staatengemeinschaft und nicht für partikuläre Interessen tätig werden darf. 38 Bedenken gegen die Übernahme von Legislativkompetenzen des Sicherheitsrates ergeben sich auch nicht daraus, dass diesem nach seiner Zusammensetzung und dem Verfahren für seine Entscheidungsfindung die demokratische Legitimation fehlt. 39 34 Vgl. dazu das Urteil der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien im Falle Dusko Tadic, Case No. IT-p4-l-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), I L M 35 (1996), 32 (§ 39). 35 A. A. Zimmermann/Elberling (Fn. 4), 74; zur rechtlichen Bindung des Sicherheitsrats allgemein Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats, Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), 257 ff. und zu der Möglichkeit von Legislativbefugnissen, die letztlich als nicht unvereinbar mit der Charta angesehen werden, ibid., 280 ff.; Stein, Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die Rule of Law, 1998, 62. 36 Vgl. dazu statt vieler Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, RdC 250 (1994), 217 (269 ff.). 37 Dies ergibt sich letztlich aus Art. 24 Abs. 2 Satz 2 V N Charta. 38 Vgl. Zu diesem Komplex vor allem Delbrück, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Vol. I, 2. Aufl., 2002, Art. 24 Rn. 21: „The SC ... does not act as the agent of the individual member States". 39

A. A. Zimmermann/Eberling

(Fn. 4), 75.

876

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Der Sicherheitsrat reflektiert das politische Kräfteverhältnis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Seine Einsetzung und die Kompetenzzuweisung an ihn sind als pragmatische Resultate der damaligen Machtstrukturen zu verstehen. Aber auch unter den derzeitigen politischen Verhältnissen erscheint eine Friedenssicherung zumindest ohne oder sogar gegen die USA, Rußland und China politisch illusorisch. Auf diesen Überlegungen beruhen die Kompetenzen des Sicherheitsrates, nicht auf einer irgendwie gearteten demokratischen Legitimation, die letztlich nur über die Schaffung eines Weltparlaments zu erreichen wäre. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Kritik fehlender demokratischer Legitimation sich nicht nur gegen etwaige legislatorische Maßnahmen des Sicherheitsrates, sondern in gleichem Umfang auch gegen Einzelaktionen richten müßte.

IV. Zusammenfassung Die Anerkennung von Legislativkompetenzen des Sicherheitsrats zum Schutze des Weltfriedens gegenüber neuen Gefahren, die aus der Proliferation von Massenvernichtungswaffen erwachsen, ist die einzig sachgerechte Reaktion auf diese Gefahr. Die Alternative hierzu wären unilaterale Maßnahmen einzelner Staaten, nach dem Vorbild des Angriffs der USA auf den Irak, wo der angebliche Besitz von Massenvernichtungswaffen zunächst als Kriegsgrund benannt wurde. Eine andere Alternative wären vertragliche Vereinbarungen, deren Abschluss und deren Effektivität letztlich fraglich wären. Maßnahmen des Sicherheitsrats haben demgegenüber den Vorteil der unmittelbaren Verbindlichkeit, wenn auch deren Effektivität nicht außer Frage steht, wie die Sicherheitsratsresolution 1540 belegt. Denn sie richtet sich gegen nichtstaatliche Akteure und nicht, worauf Pakistan nicht müde wurde hinzuweisen, gegen staatliche Programme zum Aufbau eines Arsenals von Nuklearwaffen. Die Legitimation zu derartigen Maßnahmen ergibt sich aus der Notwendigkeit zur Friedenssicherung. J. Delbrück hat dies in folgende Worte gefasst, die diesen Beitrag zu seinen Ehren auch adäquat abschließen: „... there are international legal norms which are designed to protect the public interest of the international community and which, therefore, are binding upon all states because these norms are,necessary4 - not in an empirical, but in a normative sense as they are based on a universally shared value judgement, e. g. that the survival of humankind is desirable." 40

40

Delbrück, Opening Address, in: ders. (Hrsg.), New Trends in International Law Making - International Legislation in the Public Interest, 1997, 17 (18 f.).

Zivile Konfliktbearbeitung ein Novum deutscher Außen- und Sicherheitspolitik Von Gerda Zellentin

I. Grundlagen im internationalen und deutschen Recht Der Primat gewaltloser Streitschlichtung in internationalen Konflikten wurde erstmals 1928 im Briand-Kellogg-Pakt 1 begründet und 1945 in die Charta der Vereinten Nationen (Art. 2, IV und 33 2 ) aufgenommen. Die Erfahrungen beider Weltkriege hatten gezeigt, daß gewalteskalierende militärische Auseinandersetzungen weder ihre Ziele erreichen noch wegen der menschlichen und sachlichen Schäden und Folgekosten politisch und moralisch zu rechtfertigen sind. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist das völkerrechtliche Friedensgebot inkorporiert (Art. 25 und 26) und zum Bestandteil des Bundesrechts gemacht worden. Nach der Präambel dient das „deutsche Volk" ausdrücklich dem „Frieden der Welt", d. h. es verteidigt die Sicherheit der Bundesrepublik nicht nur. Frieden als Verfassungsgrundsatz fordert als ständige Aufgabe die aktive Überwindung von Gewalt durch gleichberechtigte internationale Kooperation zum Aufbau gewaltfreier Strukturen. 3 Diesen Leitlinien folgend trug die Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg dazu bei, daß sich die Europäischen Gemeinschaften durch funktionale Integration zu Friedenszonen entwickelten. In den 90er Jahren begann sie, vor allem in den Krisengebieten der Welt die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit den Methoden der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) zu vertiefen. Im Koalitionsvertrag von 1998 (P. 11, 3 und 5) kündigte die rot-grüne Bundesregierung an, von der Gewaltreaktion zur „Kultur der Prävention" fortschreiten zu wollen. 4 In Übereinstimmung mit der UN-Charta sowie der Europäischen Sicherheitscharta der OSZE vom 19.11.19995 legte sie der Öffentlichkeit im Jahr 2000 1

LNTS 94, 57. Art. 33 UNCh sieht zur friedlichen Streitschlichtung vor: „Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl." 2

3 Vgl. Lutz, Dem Frieden dienen! Zur deutschen Sicherheitspolitik nach dem Kriege, in: Schoch/Ratsch/Mutz, Friedensgutachten 1999, 1999, 49. 4 Vgl. auch die Rede des deutschen Außenministers vor der UN-Vollversammlung, Herbst 1999. 5

IP 2000, 75 ff.

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entsprechende Konzepte vor, die in einen Bundestag-Beschluß6 über die Förderung der Handlungsfähigkeit zur Krisenprävention, Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung eingingen.7 In der zweiten Regierung Schröder/Fischer entwickelte das Auswärtige Amt (Federführung) gemeinsam mit dem BMZ sowie anderen mit Krisenprävention befaßten Ministerien, Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen Gruppen ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" (Dezember 2002), dem in 2003 ein gleich betitelter Aktionsplan 8 folgte. ZKB wird in diesen Dokumenten verstanden als das frühzeitige, zwischen Ressorts, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Internationalen Organisationen (IO) koordinierte Handeln, das Intentionen und Potentiale gewaltsamer Konfliktlösung eindämmt und durch den Aufbau gewalttransformierender Strukturen eine friedliche Streitschlichtung möglich macht. Das Gesamtkonzept setzt auf die „Entwicklung und Anwendung wirksamer Strategien und Instrumente" insbesondere der ZKB in den drei Phasen eines Konflikts, um, erstens, zu Beginn des Streits Gewalt vorzubeugen, zweitens, ausgebrochene Gewalt einzudämmen und um drittens, nach Beendigung der Gewalthandlungen zur Friedenskonsolidierung beizutragen. Das Völkerrecht soll dementsprechend fortentwickelt, die Konfliktaustragung verrechtlicht und der Menschenrechtsschutz als vorbeugende Friedenspolitik ausgeübt werden. Eine entsprechende Strategie verzahnt „die Instrumente insbesondere der Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Finanz-, Wirtschafts-, Umwelt-, Kultur- und Rechtspolitik, ... [und sorgt für] eine sorgfältige Koordination, auch zwischen militärischen und zivilen Mitteln. Nichtstaatliche Akteure ... sollten soweit wie möglich einbezogen werden." Die friedenssichernde Entwicklungspolitik erleichtert die „Entfeindung" durch die „Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse." 9 „Sie trägt bei zur Verhinderung und zum Abbau struktureller Ursachen von Konflikten sowie zur Förderung von Mechanismen gewaltfreier Konfliktbearbeitung" und unterstützt die Selbstorganisation insbesondere von Flüchtlings-, Jugend- und Frauengruppen sowie Versöhnungs- und Traumaarbeit, durch die die psychosozialen Voraussetzungen gesellschaftlicher Friedensfähigkeit geschaffen werden sollen. 10 6

Vom 15.03.2001. „Förderung der Handlungsfähigkeit, zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung", Bundestags-Drucksache 14/5283. 8 Berlin, 12.05.2004. 9 Mit Bezug auf die U N setzen die Staaten der EU Handel und Entwicklungspolitik als „mächtige Instrumente der Reform" zur zivilen Streitschlichtung und als Wegbereiter zum besseren Regieren ein. Ein sicheres Europa in einer besseren Welt, ESS Dezember 2003,10. 7

10

Böge/Spelten, Zivile Konfliktbearbeitung - Konzepte, Maßnahmen, Perspektiven, in: Schoch u. a. (Hrsg.), Friedensgutachten 2002, 2002, 198.

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Für die Aufgaben der ZKB schafft die Bundesregierung Ausbildungsangebote und „die Voraussetzungen für den Einsatz von zivilem Personal in den Bereichen Krisenprävention, Konfliktbeilegung und Friedenskonsolidierung ... Ziel ist es, ressortübergreifend und durch Nutzung gesamtgesellschaftlicher Ressourcen qualifiziertes Personal in allen Bereichen bereitzustellen." 11 Die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und NRO findet über eine „Gruppe Friedensentwicklung" (FriEnt) statt, die vertraglich zwischen BMZ, GTZ, den Entwicklungsdiensten der evangelischen und katholischen Kirchen, parteinahen Stiftungen sowie Zivilem Friedensdienst (ZFD) und der Plattform ZKB vereinbart wurde (Folgevereinbarung 06.04.2004 für drei Jahre). Die in dem genannten Aktionsplan aufgeführten 161 Tätigkeitsfelder werden, den Beschlüssen des Europäischen Rats vom Dezember 2003 entsprechend, der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS)12 zur Planung und Führung von Auslandseinsätzen zugeordnet; sie sollen „der Verbesserung der Operationalität der EU im zivilen Krisenmanagement und der Erschließung neuer Schwerpunktbereiche, z. B. Überwachungsmissionen (monitoring missions) dienen." 13 Interventionen zum Schutz der Menschenrechte in failing states , die die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern organisiert, finden im Rahmen der ESS statt. Bereits 2001 hatte sich die EU gem. deutscher Initiative in Göteborg verpflichtet, eine klare politische Priorität für präventive Aktionen zu setzen, Frühwarnung und rasche Aktion sowie politische Kohärenz zu verbessern, Instrumente für lang- und kurzfristige Prävention zu schaffen und effektive Partnerschaften zur Prävention zu bilden. 14 Grundsätzlich sollen die „weichen", zivilen und die „harten", militärischen Fähigkeiten nebeneinander entwickelt werden. Die Modalitäten der Zuordnung sind nicht geregelt, Normen, Interessen und Kapazitäten beider Bereiche werden ad hoc aufeinander bezogen, wobei der Verbesserung der militärischen Handlungsfähigkeit eindeutig Priorität vor Krisenprävention und Ziviler Konfliktbearbeitung zukommt. Mit dieser reaktiven (statt der deklarierten proaktiven) Grundeinstellung dürften weder EU noch Bundesregierung den selbst genannten neuartigen Bedrohungen frühzeitig und effektiv begegnen können.

11

Wörtliche Zitate aus dem Gesamtkonzept der Bundesregierung, Berlin, Dezember 2002. Die Europäische Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003 nennt als Hauptbedrohungen des Weltfriedens: - den Nexus zwischen Gewalt, Unsicherheit und Armut, - die regionale Dimension der neuartigen Konflikte, - Gewaltökonomien und organisiertes Verbrechen sowie - unkontrollierten Waffenbesitz. 13 Aktionsplan (Fn. 8), 26. 14 Saferworld/International Alert, The EU Security Strategy: Implications for EU Conflict Prevention, 2004, 4 ff. 12

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Die Bundesregierung sieht den Erfolg ihrer Friedenseinsätze abhängig von Ausbildung und Koordination der vier Hauptbeteiligten - Bundeswehr und Polizei, zivile Friedensfachkräfte in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sowie Helfer aus humanitären Organisationen. Seit den 90er Jahren kann sie auf zwei in Deutschland ausgebildete Personalkontingente für Friedensarbeit zurückgreifen, die in Krisen- und Konfliktgebieten eingesetzt werden, um der Ausweitung und Eskalation von Gewalt frühzeitig vorzubeugen, bereits ausgebrochene Kämpfe einzudämmen und um nach Ende bewaffneter Auseinandersetzungen zur Friedenssicherung beizutragen. 15 Die Bundesregierung fördert erstens einen Zivilen Friedensdienst (ZFD) im Rahmen der EZ. Die vom nichtstaatlichen ,forum ZFD" ausgebildeten Friedensfachkräfte werden zum Abbau der strukturellen Ursachen von Gewalt und der Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse sowie zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung weltweit eingesetzt. Zweitens unterhält das Auswärtige Amt eine vom Berliner Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF 1 6 ) instruierte Personalreserve, die für zivile, von UNO, OSZE oder EU mandatierte Friedensmissionen bestimmt ist. Die im Aktionsplan der Bundesregierung enthaltene „OSZE-firstOption", d. h. die vorrangige Nutzung der Organisation „als Instrument der Krisenprävention, ... das die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit begleitet" 17 , wird bei internationalen Beobachtungen von Wahlen, Truppenrückzügen, Waffenstillständen, Entwaffnungen etc. wahrgenommen. Für solche Zwecke stellt das ZIF „ressortsübergreifend und durch Nutzung gesamtgesellschaftlicher Ressourcen qualifiziertes Personal in allen relevanten Bereichen

15 16

Gesamtkonzept (Fn. 11), 1.

Das am 24.06.2002 gegründete ZIF ist eine eigenständige Einrichtung in der juristischen Form einer gGmbH. Gesellschafter ist die BRD, vertreten durch das Auswärtige Amt; finanziert wird sie aus AA-Mitteln zur Krisenprävention. Ihre Organe sind ein Aufsichtsrat, der sich aus einem Staatsminister, Staatssekretären der verschiedenen Ministerien und Abgeordneten von SPD, FDP und Grünen zusammensetzt. Der Beirat umfaßt einen Unterabteilungsleiter aus dem BMI, wissenschaftliche Experten zur Friedensforschung, zwei Experten des UN peace keeping aus GTZ, OSZE und SEF. Ferner sind vertreten die Bundeswehrakademie für Zivilschutz, der DED, Justicia et Pax, der DIHK, DRK, die Bundeswehr und der ZFD. Die gemeinsame Versammlung besteht aus Vertretern der für die Arbeit des ZIF relevanten Abteilungen und Referaten des Auswärtigen Amtes. Von diesen Organen abhängig ist die Verwaltung, die in drei Bereichen tätig wird: 1. Training und Vorbereitung der Friedensarbeiter, 2. Rekrutierung, Schaffung einer Personalreserve und Betreuung und 3. Analyse, Konzeption und Netzwerkpflege. Die vom Auswärtigen Amt mit Hilfe des ZIF ausgebildeten Friedensfachkräfte, die aufgrund völkerrechtlicher Mandate internationaler Organisationen tätig sind, werden auf die folgenden Tätigkeitsfelder vorbereitet: Demokratisierung, Wahlen, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Verwaltungs- und Regierungsaufbau, Aufbau unabhängiger Medien, Presse und Öffentlichkeitsarbeit, rechtliche Beratung, Infrastruktur und Wirtschaft, Beobachtung und Verifikation, Entwaffnung, Demobilisierung, Reintegration der Kombattanten, humanitäre Angelegenheiten wie Flüchtlingsarbeit und Versöhnung. An dieser Aufstellung wird deutlich, daß das vorrangige Ziel der Friedensaktivitäten die Errichtung von demokratischen Rechtsstaaten ist. 17 Aktionsplan (Fn. 8), 28.

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bereit." 18 Während das Training in Friedensarbeit und Wahlbeobachtung auch ausländischen Teilnehmern offensteht, ist die Personalreserve ausschließlich aus deutschen Staatsangehörigen zusammengesetzt.19 Zwischen Regierung und Opposition scheint Einigkeit darüber zu bestehen, daß, wie die Fraktionen der CDU/CSU im Bundestag formulieren, „deutsche Politik gerade im Bereich der zivilen Konfliktbewältigung beispielgebend gestaltet werden sollte." 20 Angesichts der Kompetenzquerelen zwischen den Ressorts der Bundesregierung, den spannungsreichen Beziehungen zwischen NRO und Militär, den z. T. gegensätzlichen Werthaltungen von humanitären Organisationen, Menschenrechts- und Entwicklungshilfegruppen sowie den ungelösten Problemen der konstitutionellen Modellierung von Nachkriegsgesellschaften erweist sich die ZKB allerdings als ein komplexes und kontroverses Projekt, an dem Bedeutungswandel und -Verluste der militärischen und diplomatischen Funktionen der Außenund Sicherheitspolitik deutlich werden.

II. Zivile Konflikttransformation als strategische Option Die in Gesamtkonzept und Aktionsplan aufgezählten Teilziele der Gewaltprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung bestimmen die Ausbildungsund Tätigkeitsfelder von ZIF und ZFD. In folgender Reihenfolge werden genannt: Demokratisierung, Wahlen, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Verwaltungsund Regierungsaufbau, Schaffung unabhängiger Medien, Presse und Öffentlichkeitsarbeit, rechtliche Beratung, Infrastruktur und Wirtschaft, Beobachtung und Verifikation, Entwaffnung, Demobilisierung, Reintegration von Kombattanten, humanitäre Angelegenheiten, insbesondere Flüchtlingsarbeit und Versöhnung. Während die vom ZIF instruierte Personalreserve des Auswärtigen Amtes zur Überwachung, Begleitung und Überprüfung von Aktionen eingesetzt wird, die z. B. gemäß Waffenstillstandsvereinbarungen vom politischen und militärischen ,,First-level"-Personal der Konfliktparteien einzuhalten sind, steht das Konzept der friedenssichernden EZ für eine zivilgesellschaftlich motivierte wirtschaftliche und politische Modernisierung von Krisengebieten sowie für die Hilfe zur friedlichen Bewußtseinsveränderung und Kooperationsbereitschaft verfeindeter Bevölkerungsgruppen. 18

Gesamtkonzept (Fn. 11), 2. Ihre Friedens- und Wahlbeobachtungseinsätze werden im Rahmen der EU, der OSZE, der UNO und anderer internationaler Organisationen durchgeführt. Ihnen und anderen Staaten werden die Erfahrungen des ZIF zur Verbesserung ihrer Operationalität in zivilem Krisenmanagement angeboten. Aktionsplan (Fn. 8), 26. Für die deutsche Vorreiterrolle bei der ZKB spricht, daß der Koordinator für ziviles Krisenmanagement im US-State Department sich im Zuge des Aufbaus eines Koordinierungsbüros am 07.10.2004 über das Vorbereitungstraining und das Management des Personalpools im Berliner ZIF informierte, chttp:// www.zif-berlin.de >. 19

20 Antrag der CDU/CSU, Humanitäre Soforthilfe zielgerecht gestalten, BundestagsDrucksache 15/4130 vom 09.11.2004, 1.

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Im Katalog der Aktionen überwiegen die konstitutionalistischen Ziele, die auch die Tätigkeit der Friedensfachkräfte anleiten. Der demokratische Verfassungsstaat und insbesondere sein Gewaltmonopol gelten als zivilisatorische Errungenschaften schlechthin; die mit legitimer staatlicher Gewalt stabilisierte Ordnung sichert das friedliche Verhalten der Bürger. Eine ähnliche Pazifizierungsfunktion - so die Annahme - ist z. B. zum Schutz der Menschenrechte in Krisenregionen auch von der Gemeinschaft demokratischer Staaten 21 auszuüben, vorausgesetzt, es gelingt ihr eine frühzeitige, präventiv-proaktive und friedliche Intervention, die Gewalt verhindert. In der Realität reagieren allerdings auch Demokratien, die sich zur friedlichen Konfliktlösung anbieten, selten früh und präventiv mit zivilen Mitteln, sondern eher spät und mit Gegengewalt. Sogenannte humanitäre Einsätze mit bellizistischer Gewaltausübung tragen indessen erfahrungsgemäß zur Eskalation bei, womit auch die Demokratie als Ziel der Intervention in Mißkredit gerät. Für die Machbarkeit einer exogenen Förderung rechtsstaatlich demokratischer Verfassungen sowie Straf- und Sanktionsrechtsregime, die zivilisiertes Verhalten erzwingen sollen 22 , wird stets die gelungene Transformation der diktatorischen Achsenmächte (Deutschland-Italien-Japan) nach dem 2. Weltkrieg zitiert. Die Generalisierung dieser Erfahrung fußt auf der Überzeugung, daß eine „Konstitution des Friedens als Rechtsordnung" möglich sei.23 Eine umfassende empirische Studie hat indessen ergeben, daß die Transformation im Nachkrieg nur dort Erfolg hat, wo vor den Kämpfen bereits Erfahrungen mit rechtsstaatlichen, pluralistischen, demokratischen Systemen gemacht wurden. 24 Sind vor dem Krieg industrielle Entwicklung und Mittelschichten nicht vorhanden gewesen, werden die oktroyierten demokratischen Formen von ethnischen oder religiösen Bürgerkriegsgruppen benutzt, um sich als Parteien gegeneinander zu profilieren. „The enlargement of democracy around the world [Clinton] ... can rarely be accomplished and tends to be very costly, not merely in economic resources and those of political capital, but also in human lives." 25 Die exogenen Versuche zur konstitutionellen Konflikttransformation können im Nachkrieg traditionaler Gesellschaften auch deshalb kontraproduktiv wirken, weil der institutionelle Kernbereich der Friedenswahrung, nämlich das Monopol innerer und äußerer Gewalt in failed states nicht selten „korrupt, legitimierter ziviler Kontrolle entzogen, parteiisch und mit privaten Gewaltakteuren verwoben sowie 21

Vgl. zur Theorie des demokratischen Friedens AFB-Info 2004, Vgl. hierzu den Zielkatalog in Gesamtkonzept (Fn. 11) und Aktionsplan (Fn. 8). 23 Schneider, Frieden durch Recht, in: Hauswedell u.a., Friedensgutachten 2003, 2003, 267. 22

24 Etzioni, a.a.O., 6, zit. aus einer Studie des Carnegie Endowment for International Peace von 2003. 25

Etzioni , A Self-Restrained Approach to Nation Building by Foreign Powers, in: International Affairs 2004, 7 mit neuerer Literatur zum Thema.

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in Menschenrechtsverletzungen verwickelt", also selber ein großer „Unsicherheitssektor" ist. 26 Außerdem werden die legitimatorischen Defizite der besetzten Länder nicht selten ausgenutzt, um geopolitische Macht- und Wirtschaftsinteressen der Entsenderstaaten (vor allem der Bau-, Energie- und Rüstungsindustrien) wahrzunehmen. State-building und Demokratisierung zur nachhaltigen Befriedung von Krisengebieten ähneln nicht zufällig der „mission civilisatrice", die im 19. Jahrhundert der Rechtfertigung imperialer Kolonialpolitik diente.27 Heute begünstigen westliche Staaten weltweit rechtsstaatliche, demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen und Akteure, die sich mit ähnlichen Verhaltensweisen künftig als zuverlässige wirtschaftliche, politische und militärische Partner erweisen sollen. Der angestrebte Systemwandel dient auch den Interessen der Interventionsmächte: Die politische und ökonomische Liberalisierung im Nachkrieg, insbesondere die Aufhebung von Lohn- und Preiskontrollen, Subventionen, Zöllen etc. zielt auf eine für die global players offene Marktwirtschaft, die rechtsstaatlich-demokratisch geregelt wird. 28 In den Krisengebieten wird dazu konditionierter Beistand u. a. bei der Etablierung eines pluralistischen Verbändesystems und seiner Vernetzung mit den entwickelten Industriestaaten geleistet. Anders als frühere imperiale Zivilisierungsmissionen gehen die derzeitigen insofern subtiler vor, als sie sich internationaler Organisationen (UN, WTO, EU) bedienen, um Regeln zu schaffen, nach denen der Wiederaufbau von Krisengebieten nicht zuletzt zum Vorteil der Industriestaaten gestaltet wird. 29 Die Beihilfe zur Professionalisierung von Streitkräften und Polizei samt ihrer Ausbildung und der profitablen Lieferung ihrer Ausrüstung sowie der Güter für den Aufbau von Infrastruktur und Wirtschaft dient der strukturellen Anpassung an die Standards des industriegesellschaftlichen Zivilisationsmodells. Die Globalisierung westlicher Steuerungsmechanismen prägt auch die Zivile Konfliktbearbeitung als Komponente der von der Bundesregierung vertretenen „Kultur der Prävention". Es entspricht zwar der Erfahrung, daß die Eskalation von Gewalt durch eine Verregelung gesellschaftlicher und politischer Konflikte verhindert werden kann. Ob allerdings westlich-bürgerliche Verfassungswerte, -normen und -Institutionen, die auf die Konfliktgebiete nicht zugeschnitten sind, dort überhaupt zur zivilen Konfliktschlichtung beitragen können und von der Bevölkerung anderer Kulturen à la longue angenommen werden, wird in der Interventionsstrategie kaum reflektiert. Da die Akzeptanz aber von großer Bedeutung ist, wäre jeweils zu klären, welche autochthonen Formen geregelter Konfliktaustragung in den traditionalen Herrschaftsformen oder „non-state political structures" mit 26

Böge/Spelten (Fn. 10), 201 f. Paris , International Peace Building and the „mission civilisatrice", in: Review of International Studies 28 (2002), 637. 27

28 29

Paris (Fn. 27), 644. Vgl. die laufenden Verhandlungen zur Doha-Runde, in: .

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Zustimmung der Bevölkerung aktiviert und zusammen mit den modernen Praktiken genutzt werden könnten.30 Zu den „lessons learned" der ZKB gehört daher die Einsicht, daß vorhandene Regeln ziviler Streitschlichtung auf allen gesellschaftlichen Ebenen an erster Stelle zu berücksichtigen sind. 31 Nicht der Oktroy demokratisch-rechtsstaatlicher „Standards" ist geeignet, eine Krisenregion zu befrieden, sondern allein die Bereitschaft der lokalen und zentralen Akteure, aus eigenem Interesse einem graduellen Wandel in Richtung auf mehr Gerechtigkeit und Freiheit zuzustimmen.32 Darauf haben sich u. a. die Friedensfachkräfte aus ZFD und Auswärtigem Amt einzustellen, die dazu tendieren, über die Interpretation der ihnen im Gesamtkonzept vorgegebenen konstitutionellen Maximen zu streiten. Besonders Mitglieder von NRO, die sich der Verbreitung demokratischer Grundwerte und Menschenrechte verschrieben haben, neigen dazu, mit normativer Unnachgiebigkeit auf ambivalentes Handeln zu reagieren. Die strategischen Widersprüche der drei Friedensaktivitäten - Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechtsgleichheit und Gewaltfreiheit - belasten nicht selten das praktische Handeln vor Ort. Die Menschenrechtsgruppen bezeichnen die von ihnen verfochtenen Rechte, die gleichermaßen jüdisch-christlichem und islamischem Denken sowie Aspekten afrikanischer Überlieferung zugrunde lägen, als universell, unteilbar und nicht verhandelbar, da sie, nach ihrer Auffassung, unmittelbar dem Schutz der den Menschen innewohnenden Würde dienten. Aus dieser Annahme schließen die Menschenrechtsverfechter aus globalisierungsorientierten Staaten, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen NRO, daß das Verbot der Diskriminierung von Rassen, Frauen, Kindern, Berufen sowie des ungleichen Zugangs zu Bildung und Erziehung kultur- und grenzüberschreitend geltend zu machen sei.33 Würden Verletzungen von Menschenrechten irgendwo als friedensbedrohlich eingestuft, wären völkerrechtliche, politische, wirtschaftliche und nicht zuletzt militärische Sanktionen (Kap. VII, UNCh) und Interventionen legitim. Das weltweite Einklagen von Menschenrechten zum Zweck der Krisenprävention ließe sich so „auf das wundervollste verzahnen ... mit den altmodischen Zielen imperialistischer Weltpolitik." 34

30

Paris (Fn. 27), 654. Zu traditionalen zivilen Konfliktlösungsstrukturen und -methoden vgl. Nolz, Frieden mit friedlichen Mitteln, Wissenschaft und Frieden 2004, 26 f. sowie ZIF-Workshop: ZIF, 7th International Berlin Workshop, „Organized Crime as an Obstacle to Successful Peacebuilding - Lessons Learned from the Balkans, Afghanistan and West Africa, 11.-13.12.2003. 31

32 Vgl. Etzioni (Fn. 25), 5; sowie die Kontroverse über die deutsche Strategie „Standards [= westlicher Konstitutionalismus] vor [völkerrechtlichem] Status" in Bezug auf die Befriedung des Kosovo im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages am 14.09.2004, zit. in: Der Spiegel 38/04, 38. 33 In den Menschenrechtskonventionen der U N und des Europarats sind diese Tatbestände rechtsverbindlich fixiert; das Individuum kann sie vor den internationalen Gerichtshöfen einklagen. 34

Beck, Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter, 2002, 120.

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Gegenüber dem rigiden Menschenrechtsdogmatismus ist die Entwicklungszusammenarbeit, die dem Leitbild der Nachhaltigkeit (einschließlich der Intergenerationengerechtigkeit) folgt, auf die Förderung der materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung von Menschenrechten gerichtet. Die dazu eingeleitete Armutsbekämpfung durch Befriedigung der Grundbedürfnisse ist weniger auf hoheitliche Verfügungs- und militärische Sanktionsgewalt als vielmehr auf wirtschaftliche Hilfe, auf Zusammenarbeit und Wettbewerb angewiesen. Die Friedensfachkräfte orientieren sich am Modernisierungskonzept der EZ, wonach die „Entfeindung" in erster Linie durch die Initiierung einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kooperation zwischen den Widersachern zustande kommt, die bei allseitigem Vorteil zur Befriedung und Stabilisierung beiträgt. 35 Die Menschenrechtsgruppen, die zweifellos große Verdienste bei der Aufdeckung von Rechtsverletzungen haben und über Frühwarnung zur Gewaltprävention beitragen können, werden dort friedenspolitisch dysfunktional, wo sie Kooperation als Belohnung von Rechtsbrechern ablehnen und statt dessen Vergeltung für erlittenes Unrecht und die Verfolgung von Menschenrechtsbrechern als Vorbedingung des Friedensprozesses einfordern. Gerechtigkeit rangiert in ihren Augen vor Frieden. Ähnliche Reibereien treten zwischen Menschenrechts- und humanitären Organisationen auf, die - politisch neutral - das Leiden von Kriegsopfern lindern und von ersteren bezichtigt werden, nicht zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und den Tätern Vorteile zu verschaffen. 36 Die rot-grünen Koalitionsfraktionen im Bundestag weisen in diesem Zusammenhang auf ein Dilemma hin, vor dem humanitäre NRO stehen: „Es ist ihr Ziel, dort präsent zu sein und Hilfe zu leisten, wo die Not am größten ist. Dies kann sie dazu zwingen, mit Konfliktparteien zu kooperieren und Kompromisse einzugehen, die ihrem Grundverständnis von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit widersprechen. Im schlimmsten Fall helfen sie ungewollt verbrecherischen Warlords. Auch wenn zivile Hilfe in eine Interventionsstrategie eingebunden und zur Durchsetzung 35 Die in Deutschland ausgebildeten Fachkräfte für zivile Konfliktbearbeitung verbinden wirtschaftliche und technische Hilfe mit Versöhnungsarbeit, Wiedereingliederung von Flüchtlingen und Kombattanten sowie mit demokratischer und zivilgesellschaftlicher Emanzipation. 36 Vgl. den Bericht der Tagung der Plattform ZKB vom 10.-12.10.2003, in: AFB-Info 2004, 9 ff. sowie die Kontroverse um die Möglichkeit einer „neutralen" Position von Fremden zwischen den Fronten innerstaatlicher Konflikte bei Fast , Frayed Edges: Exploring the Boundaries of Conflict Resolution, in: Peace & Change 2002, 532 ff. Die Arbeitsgemeinschaft FriEnt bemüht sich seit 2002, die skizzierten Spannungen mit der Bildung „strategischer Partnerschaften für den Frieden" auszuschalten. Bisher sind allerdings weder Kriterien noch nachvollziehbare Handlungskonzepte zur zivilen Streitschlichtung zu erkennen, die eine funktionale Zuordnung und Arbeitsteilung zwischen einzelnen NRO sowie diesen und den staatlichen Akteuren möglich machen. Die Organisationsegoismen und -rivalitäten der spendenabhängigen, auf Öffentlichkeit angewiesenen Gruppen dürften daher weiterhin zu Lasten der Krisenprävention und -bearbeitung zunehmen. Vgl. FriEnt , Strategie Partnership for Peace, Workshop Dokumentation, 23.10.2003.

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militärischer Ziele vereinnahmt wird, verliert sie ihre Neutralität, ... [werden] humanitäre Helfer ... selbst zu Zielscheiben der Konfliktparteien." 37 Für den Erfolg ziviler Konfliktbearbeitung sind die Beziehungen zwischen NRO und den staatlichen Akteuren, die zur Gewaltprävention und -beilegung militärische und polizeiliche Mittel einsetzen, von entscheidender Bedeutung. Daß dieser, dem durch Gesamtkonzept und Aktionsplan vermittelten Eindruck gemäß, der Vorrang gegenüber militärischer Konfliktaustragung gebühre, hält der Realität freilich nicht stand. Zivile Prävention gelingt selten, wenn sie überhaupt versucht wird. Die Situation nach humanitären Interventionen ist geprägt von militärgestützten internationalen Treuhand- und Protektoratssystemen, die staatliche Funktionen übernehmen, und durch die Transformation gewaltsamer in zivile Konflikte versuchen, das eigene Fremdregime zugunsten eines gewählten einheimischen Rechtsstaats zu ersetzen. Bis das zustande kommt, dominiert das Militär nicht nur die Innen- und Sicherheitspolitik des besetzten Landes, sondern auch die Tätigkeitsfelder der zivilen Friedensfachkräfte, also EZ, ZKB und humanitäre Hilfe. Die Wiederaufbauarbeit wird daher begleitet von Interessenkonflikten über Ressourceneinsatz, Präsenzbereiche und Kompetenzen, die die ungleich reicher ausgestatteten Kräfte des staatlichen Gewaltmonopols gegenüber den NRO für sich entscheiden. Obwohl die Krisen der Welt immer weniger mit militärischen Mitteln zu beheben sind und dementsprechend immer mehr Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppen und staatlicher Institutionen Friedensarbeit leisten, ist eine geregelte Umstellung der militärischen auf zivile Konfliktbearbeitung nicht in Sicht. Bundesregierung und NRO versuchen aber, zivile und militärische Aufgaben aufeinander abzustimmen. Beim Ausbau ihres internationalen Militärengagements will die Bundesregierung verhindern, daß zivile Konfliktbearbeitung „in Opposition zum Einsatz militärischer Mittel gedacht wird." 38 Die grundsätzlich widersprüchliche Ratio ziviler und militärischer Konfliktbeilegung sowie die Kommunikationsbarrieren zwischen beiden Bereichen, die sich aus unterschiedlichen Werten, Interessen und Sprechweisen ergeben, sollen zwar durch „sorgfältige Koordination" (Gesamtkonzept) ausgeräumt werden; der Primat des Militärischen steht dabei allerdings nicht in Frage.

37 Einen Ausweg aus der zuletzt genannten Falle sehen sie in der Festlegung „klarer Kriterien für die Abgrenzung zu den CiMiC-Aktivitäten der Bundeswehr und eines gemeinsamen „code of conduct", s. den Antrag der Fraktion der SPD und des Bündnis 90/Die Grünen, „Humanitäre Verantwortung für Menschen in Not", Bundestags-Drucksache 15/4149 vom 10.11.2004. 38

Fincke/Hatakoy, Krisenprävention als neues Leitbild der deutschen Außenpolitik, in: Harnisch/Katsioulis/Overhaus (Hg.), Deutsche Sicherheitspolitik, 2004, 60.

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Bereits in den 90er Jahren hatte die NATO, um einer Delegitimierung des Militärs vorzubeugen, die Zivil-militärische Kooperation (CiMiC) initiiert, die im Oktober 2001 als „Teilkonzeption" der Bundeswehr eingeführt wurde. Sie gilt als Auftrag für bestimmte militärische Einheiten, die sich am Wiederaufbau kriegszerstörter öffentlicher Infrastruktur, an der Unterstützung und Koordination von Maßnahmen zur strukturellen Entwicklung sowie an der Zusammenarbeit mit karitativen und humanitären Organisationen beteiligen.39 Ob damit allerdings eine „zivilgesellschaftliche Reformation des Militärwesens" 40 eingeleitet wird, ist fraglich. Die Menschenrechtslegitimation der Interventionen und die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen NRO haben das Militär bislang, wie die typischen Gewaltübergriffe von Soldaten auf die Bevölkerung in Krisenregionen zeigen41, weder zivilisieren noch in „Deeskalationsstreitkräfte" 42 verwandeln können. Mit seinem in den „humanitären Kriegen" (Beck) zu beobachtenden Vordringen in Nothilfeleistungen begründet das Militär seine Überlegenheit als „Generalunternehmer" beim Wiederaufbau. 43 Eine „neuartige transnationale Verschmelzung von Zivilgesellschaft und Militärwesen" 44 ist daraus ebenso wenig abzuleiten wie eine neue Militärmoral. 45 Im „Krieg gegen den Terror" führt der Kampf zwischen Gut und Böse in den Interventionsgebieten zu ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen der angeblich „neuen gesinnungsethischen" Streitkräfte. 46 Im Unterschied zum NATO-CiMiC-Auftrag betont das deutsche Konzept zur Zivil-militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) den Gedanken der Subsidiarität: Die Bundeswehr ist demnach gehalten, die Befähigung der lokalen Bevölkerung durch Hilfe zur Selbsthilfe zu stärken und bei den militärischen und zivilen Aktivitäten den Grundsatz des geringsten Eingriffs strikt zu beachten.47 Ungeachtet dessen sieht die fachliche Weisung zur Planung und Durchführung der ZMZ vom Februar 2003 auch die befristete Durchführung humanitärer Hilfsprojekte ausschließlich 39 Vgl. Lambach, Zivile und militärische Komponenten im Nachkriegs-Wiederaufbau. Dokumentation des Fachgesprächs am 04.12.2003 in Berlin, 7. 40 von Bredow , zit. in: Beck (Fn. 34), 122. 41

s. die Gewalt an Zivilisten und Gefangenen in Jugoslawien, Somalia und im Irak. von Bredow , zit. in: Beck (Fn. 34), 122. 43 s. die dazu geäußerten Meinungen bei Lambach (Fn. 39), 9. „... eine Besatzungsmacht [hat] die völkerrechtliche Verpflichtung nach dem 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen, die Grundversorgung der Bevölkerung zu übernehmen und ihren Schutz zu gewährleisten. Hilfsorganisationen können darüber hinaus tätig werden, brauchen dazu aber die Genehmigung der Besatzungsmacht." Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Bundestags-Drucksache 15/4149, 3. 44 Beck (Fn. 34), 123. 45 Kritisch auch H. Simon (ehemaliger Bundesverfassungsrichter), Simon , Zivile Konfliktbearbeitung kommt zu kurz, in: FR vom 06.01.2004. 42

46

von Bredow behauptet das Gegenteil, zustimmend zit. in: Beck (Fn. 34), 123. So auch der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Bundestags-Drucksache 15/4149,5. 47

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durch die Bundeswehr vor, und zwar auch dann, wenn zivile Institutionen vorhanden und in der Lage sind, diese Aufgaben zu erfüllen. Eine in Afghanistan erprobte neue Form der Z M Z soll die militärische Dominanz verhindern: Zivile und militärische Akteure agieren hier in einem gemeinsamen Organisationsrahmen, der von einer Dreier-Spitze aus BMV, A A und BMZ gestellt wird. 48 Trotz des vor allem im B M Z vertretenen Anspruchs auf Gleichberechtigung der zivilen Friedensfachkräfte bleibt die Vorrangstellung des Militärs indessen de jure und de facto unangefochten. „Ziel der [CiMiC- und ZMZ-]Konzepte ist es, die Akzeptanz der Truppen in der Bevölkerung zu erhöhen und das Truppenfeld zu sichern. Es ist insbesondere dieser militärische Zweck der Hilfe, den viele Organisationen kritisieren." 49 Wie die rot-grüne Koalition sieht auch die Bundeswehr den Nutzen der ZMZ, so ein deutscher Oberst, in der „force protection" in Krisengebieten. Indem die NRO den Streitkräften Akzeptanz auf lokaler Ebene verschüfen, trügen sie zu ihrer Sicherheit bei und erleichterten die Durchführung militärischer Maßnahmen.50 Diese Militärlogik behält solange Oberhand, wie eine ausgereifte interministerielle Präventionspolitik fehlt. Bislang erschöpfen sich ressortübergreifende Konzepte in Absichtserklärungen. Werden Gewaltkonflikte erst nach ihrem Ausbruch registriert, wird den Streitkräften letztlich als einzigen die Fähigkeit zugesprochen, unter Berufung auf verletzte Menschenrechte den Konflikt militärisch zu lösen, um weitere Gewaltopfer zu verhindern. Damit wird die Einsicht verstellt, daß die Streitkräfte zwar einen Krieg, nicht aber den Frieden gewinnen können. Die Präferenz militärischer Kampfeinsätze wird auch von den durch Legislaturperioden geprägten Politikern gestärkt. Militär verspricht immer wieder mediengerechte, rasche Aktionen zur Konfliktlösung in komplexen Krisenlagen, die, trotz ungewissen Ausgangs, in Wahlkämpfen Engagement für die eigene Sicherheit signalisieren. Gebotene Instrumente und Handlungsweisen wie EZ und zivile Konfliktbearbeitung, die auf eine nachhaltige Entwicklung setzen und erst längerfristige Erfolge zeigen, sind zur Stimmenmaximierung weniger geeignet. Die Bundeswehr selber sieht sich, ungeachtet ihrer fragwürdigen Eignung zur Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung, aufgrund der legiti48 Vgl. hierzu Heinemann-Grüder/Pietz, Zivil-militärische Intervention - Militärs als Entwicklungshelfer?, in: Weiler u. a. (Hrsg.), Friedensgutachten 2004, 2004, 202. 49 Bundestags-Drucksache 15/4149, 3. 50 s. Fachgespräch zwischen NGO und Bundeswehr über „Zivile und militärische Komponenten im Nachkriegswiederaufbau - Chancen und Risiken einer ungewohnten Nachbarschaft", Erfahrungsdokumentation vom 04.12.2003, Mai 2004, Plattform ZKB, 9. Diese Einschätzung ist auch bei den Alliierten (insbesondere den USA) anzutreffen., Just as surely as our diplomats and military, American NGOs are out there serving and sacrificing on the front lines of freedom. NGOs are such a force multiplier for us such an important part of our combat team ...", so US-Außenminister Colin Powell, zit. in: Burnett , Relief Workers in the Line of Fire, in: IHT vom 05.08.2004,

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men politischen Weisungen als Herrin der ZMZ, der sich Polizei und NRO unterzuordnen haben. Sie läßt sich von den zivilen Helfern über die Situation am Einsatzort ebenso informieren wie über die Tätigkeiten der NRO. Humanitäre Helfer und Fachkräfte für Entwicklungszusammenarbeit und Zivile Konfliktbearbeitung werden so für politische Zwecke instrumentalisiert. Besonders die auch in Kriegsgebieten tätigen humanitären Organisationen kritisieren, daß humanitäre Hilfeleistungen (wie in Afghanistan) als Lock- und Druckmittel eingesetzt werden, um an Informationen über die Taliban und A l Qaida zu kommen, wodurch ihre völkerrechtlich gesicherte politische Neutralität unglaubwürdig wird. Es wächst das Risiko, daß die Helfer als Angehörige des militärischen Interventionskomplexes und unerwünschte Zeugen und Verräter von Kombattanten liquidiert werden. 51 Ob derartige Gefahren durch eine klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten zwischen Militär und Hilfsorganisationen, für die die rot-grünen Fraktionen und die CDU/CSU im Bundestag plädieren, abgewendet und größere Unabhängigkeit der zivilen Akteure erwirkt werden könnten, ist zweifelhaft. Die relative Schwäche der NRO in der ZMZ liegt nicht zuletzt in ihrer Abhängigkeit von Geldern aus der Staatskasse, die sie zum Arm der Regierung machen. Lassen sie sich darauf nicht ein, werden ihre Verträge in den USA einfach kassiert und neue Partner gesucht.52 Da sich alle intervenierenden Staaten ähnlich verhalten, wächst das Sicherheitsrisiko der NRO, nehmen die privaten Spenden ab. Die Folge ist, daß das Militär seine Hauptrolle bei der Krisenprävention und Friedenskonsolidierung sichern kann. Auch die den NRO gewährte Nutzung militärischer Infrastrukturen und Ressourcen (Feldpostsystem, Telekommunikation, Krankenversorgung und Transporte) macht den Vorrang des Militärs deutlich. Nach dem 11. September wurde die zivil-militärische Kommunikation aus Sicherheitsgründen eingeschränkt und die Bedeutung der Friedensarbeit herabgesetzt.53 Im Irak führte die Unterordnung humanitärer und anderer NRO unter die Koalitionsstreitkräfte 2004 dazu, daß letztere solche UN-Projekte, denen ein Einfluß auf Transformation und Demokratisierung des Irak zugeschrieben wurde, nicht genehmigten. Indem die Truppen über die Hilfsorganisationen verfügten, vergrößerten sie deren Sicherheitsrisiko. Die Weltbehörde untersagte daraufhin eine gemein51 Der Mord an 22 Mitgliedern von „Ärzte ohne Grenzen" (ÄoG) in Afghanistan (Juni 2004) führte dazu, daß diese Organisation nach 24 Jahren lebensschützender Arbeit (zur Zeit der sowjetischen Unterdrückung und unter der Taliban-Herrschaft) das Land verließ. ÄoG machte die USA dafür verantwortlich, da diese die humanitäre Hilfe „aus politischen und militärischen Motiven" mißbrauchten. S. Lambach (Fn. 39), 10 f. 52

U S A I D , zit. in: Burnett (Fn. 50). So wurden die Leistungen des von der Bundeswehr in Afghanistan abgesicherten „Kundus Provincial Reconstruction Teams", die auf einer eindrucksvollen Liste ziviler Aufbauprojekte der friedenssichernden Entwicklungszusammenarbeit ausgewiesen sind, der deutschen Öffentlichkeit insofern vorenthalten, als die Medien anläßlich von Besuchen der deutschen Außen- und Verteidigungsminister als Hauptakteure stets die Streitkräfte und nicht die zivilen Friedensfachkräfte und ihre Projekte vorstellten. 53

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same Projektarbeit mit dem Besatzungsregime sowie Auftritte mit ihren Vertretern. 54 Bleibt abzuwarten, ob der Entzug der „force protection" das Militär zu kooperativem Verhalten veranlaßt. Ein Gutteil der Unstimmigkeiten zwischen Militär und zivilem Friedensdienst geht aus den rivalisierenden Bestandsinteressen der Organisationen hervor. Wirbt die Bundeswehr im Rahmen der Z M Z private Drittmittel ein, umgeht sie die Kooperation mit den zivilen Kräften und unterstreicht ihre Generalkompetenz und Alleinverantwortlichkeit bei der Friedenskonsolidierung. Die Geltendmachung derartiger Bestandsinteressen ist - wie Bundes wehr-Angehörige hervorheben auch bei den NRO üblich, die „bisweilen ... mittels absichtlich übertriebener Bedarfsanalysen" dazu beitragen, daß z. B. die humanitäre Hilfe vor allem dem Fortbestand und der Ausweitung ihrer Mission dienen.55 Je mehr sich die ZKB professionalisiert, desto größer wird außerdem das Risiko, daß wesentliche Aufgaben der Prävention aus Eigeninteresse nicht wahrgenommen werden. Da „Warnungen und Kritik [von Friedensfachkräften] einerseits wenig verändern, andererseits aber die eigenen Karrierechancen vermindern", verlegen sie sich auf „Schönreden" der Situation im Einsatzgebiet. Auf einem Rückkehrertreffen des zivilen Personals im ZIF wurde kritisiert, daß „sich viele Mitarbeiter vor Ort [gemeint waren die im Kosovo vor den Unruhen im März 2004] durchaus bewußt waren, auf einem Pulverfaß zu sitzen", und trotzdem dazu beitrugen, daß „sich die internationale Gemeinschaft kollektiv in einem trügerischen Gefühl von Fortschritt und Sicherheit" wiegte.56

I I I . Voraussetzungen effektiver ziviler Konfliktbearbeitung Die institutionelle Verankerung der zivilen Konfliktbearbeitung im europäischen und deutschen Recht ist auf den ersten Blick ein ermutigendes Zeichen für das „Mainstreaming" dieser Form von Krisenprävention. 57 Das Know-How der von ZIF und ZFD ausgebildeten Friedensfachkräfte hat die zivile Konfliktbearbeitung im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eindeutig bereichert. 58 Dennoch zeigen vor allem die problematischen Berührungspunkte zwischen ziviler und militärischer Konfliktbearbeitung, daß eine gleichberechtigte Kooperation von militärischen, polizeilichen und zivilen Kräften zur Herstellung von Sicherheit und Frieden schwierig ist. Zu unausgeglichen ist die Mittelvertei54

Heinemann-Grüder/Pietz

(Fn. 48), 204.

55

Heinemann-Grüder/Pietz (Fn. 48), 206. 56 von Gienath/Hett, Kosovo nach den März-Unruhen. Wie geht es weiter?, ZIF-Report 9 (2004), 3. 57

Fincke/Hatakoy (Fn. 38), 64. s. die Evaluation für das B M Z von Kievelitz u. a., Joint Utstein Study of Peacebuilding. National Report on Germany, 2003. 58

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lung zwischen den Akteuren auf dem neuen sicherheitspolitischen Feld 59 , zu beschwerlich die Koordinierung zwischen staatlichen und privaten Strategien in unterschiedlichen Aufgabenbereichen (wie Jugend-, Flüchtlings-, Frauengruppen, Betreuung, Rückkehrprogramme, Kleinwaffenkontrolle, Wahlbeobachtung) sowohl auf ministerieller Ebene (Auswärtiges Amt, B M V und BMZ) als auch im Interventionsgebiet. 60 Angesichts der Unfähigkeit, derartige Defizite zu beheben, erscheinen die konstitutionellen Pläne zum nation-building bzw. zur Herstellung effektiver Staatlichkeit als überambitioniert; ohnehin sind bisher nur wenige der nach westlichem Muster exogen geschaffenen politischen Systeme von Dauer gewesen. Erfahrungsgemäß gilt, daß der neue konstitutionelle Zusammenhalt eines Gemeinwesens unter der Bedingung stabil bleibt, daß die Gesellschaft durch Allokation von Ressourcen und Distribution von Werten allmählich befriedet werden kann. 61 Die umgekehrte Reihenfolge - Konstitution vor Allokation und Distribution - kann die Stabilität wegen fehlendem normativem Konsens verwirken. Ein friedlicher Ausgleich verfeindeter Gruppen setzt dann ein, wenn mit konditionierter Hilfe von außen (nach dem Prinzip des Marshallplans) Not gelindert und wirtschaftliche Erholung und Leistungsfähigkeit, Unternehmergeist und persönliche Emanzipation angereizt werden. An der Verteilung der Mittel sowie vor allem der Zugänge zu materiellen Ressourcen, Stellen, Bildung, Information etc. sind die gegnerischen Gruppen so zu beteiligen, daß in den zwischen ihnen entstehenden Kooperationsbereichen der Einsatz von Brachialgewalt keiner Seite Gewinne bringen würde. Nur mit stringentem Zeitmanagement ist zu verhindern, daß Warlords und kriminelle Gruppen auch den Nachkrieg beherrschen. Der von ihnen geführten „Gewaltökonomie" ist rasch eine wirtschaftliche Not-Hilfe für die Bevölkerung entgegenzusetzen, die in eine langfristig geförderte ökonomische Entwicklung überleitet. In den Plänen der Intervenierenden zur raschen „Ermächtigung" („empowerment") der lokalen stakeholders und ihrer „local ownership of peace building processes" werden meistens reichliche finanzielle Mittel in Aussicht gestellt, die durchaus geeignet wären, eine arbeitsintensive Wiederaufbauarbeit in allen lebenswichtigen Bereichen möglich zu machen und Energien zu binden, die sich sonst in ungeregelter Weise verausgaben könnten. Eine solche Pazifizierungsfunktion der Wirtschaft verlangt allerdings sowohl nach rascher Verfügbarkeit versprochener Gelder als auch nach dem unverzüglichen Aufbau von Gerichten

59

Vgl. Weller,

Zivile Konfliktbearbeitung im Aufwind?, in: Weller u. a. (Fn. 48), 286.

60

Zu den Streitereien um Kompetenzen, unterschiedliche Entlohnung der Mitarbeiter etc. in den je eigenen Ausbildungs- und NRO-Förderungsprogrammen der Ministerien s. Böge/ Spelten (Fn. 10), 199 sowie Fincke/Hatakoy (Fn. 38), 66. 61 s. Chevallier, Berater der UNMiK, ZIF-Workshop (Fn. 31), 149; vgl. zu den Vorkriegsbedingungen Etzioni (Fn. 25),

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und Polizei, um die einheimische lokale Rechtskultur nach Kriegsende zu stärken. 62 Zu oft werden solche Hilfen indessen (wenn überhaupt) so spät angewiesen, daß die Glaubwürdigkeit aller Interventionskräfte leidet. Kommt eine entwicklungspolitisch definierte Sicherheitspolitik aber nicht rechtzeitig zustande und gelingt auch die rasche Errichtung öffentlicher Strukturen und Grunddienstleistungen nicht, wird der Wiederaufbau zu einer „top-down affair", die vornehmlich vom regierenden Militär geprägt ist. Um eine gleichberechtigte Kooperation mit dem Militär möglich zu machen, müßte die friedenssichernde Entwicklungspolitik in den sich überschneidenden Tätigkeitsfeldern sowohl auf eine Abgrenzung der Kompetenzen als auch auf die notwendige Integration der entwicklungs-, sicherheits- und friedenspolitischen Maßnahmen dringen. 63 Die Kosten-Nutzen-Ratio militärischer und ziviler Hilfeleistungen ließe sich am Kriterium der Stärkung lokaler Eigenverantwortung der Menschen in den Krisengebieten beurteilen. 64 Vor dem Hintergrund der EU-Debatten über die zunehmende Bedeutung des militärischen Faktors in der ESVP stellt sich die Frage, ob und wie der Primat der Krisenprävention und ZKB künftig geltend gemacht werden kann. Der Europäische Verfassungsvertrag (Dezember 2003) kündigt mit der Pflicht zur „Verbesserung der militärischen Fähigkeiten" sowie der Einrichtung der „Europäischen Agentur für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" die Stärkung der militärischen Statur der EU an; der Präventionsgedanke (Art. 1-40,1 und 3, S. 1), nämlich die Streitschlichtung mit zivilen Mitteln vor dem Militäreinsatz sowie die Förderung ziviler Präventionskräfte, scheinen diesem Ziel untergeordnet zu sein. Weder Personalstärke noch Materialausstattung, weder Kohärenz noch Kompatibilität sind zwischen zivilen und militärischen Kräften der Krisenprävention und Konfliktbeilegung auch nur annähernd gleich entwickelt. Die Interventionseinsätze von Polizei und europäischer Gendarmerie 65 als Komponenten der Streitkräfte 66 ebnen zudem den funktionalen Unterschied zwischen Polizei und Militär ein. Der polizeiliche Schutz der Allgemeinheit vor Gewalt mit den schonendsten, lebenserhaltenden Mitteln weicht dem Einsatz tödlicher Militärgewalt zur Erreichung sozialer Ziele. 62

Z I F ( F n . 31), 142. s. dazu Klingebiel/Roehder, Eine neue Allianz? Das Verhältnis der Entwicklungspolitik zum Militär wird enger, in: IP 2004, 57. 63

64

Heinemann-Grüder/Pietz (Fn. 48), 208. s. Alliot-Marie (französische Verteidigungsministerin), Alliot-Marie, Seite an Seite, in: Financial Times Deutschland vom 17.09.2004 sowie Groß, Die Reform der Bundeswehr und Krisenprävention als sicherheitspolitische Gesamtaufgabe, in: Mutz (Hrsg.), Krisenprävention als politische Querschnittsaufgabe, 2002, 95 f. 66 Statewatch Bulletin 3^t/00, 23, zit. in: Bunyan/Busch, Europäisches Krisenmanagement, in: Cilip 2003, 25. 65

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Die Klärung der Frage, wie die militärischen und zivilen Elemente der Präventionspolitik, die nach Berliner Auffassung „das gesamte Spektrum sicherheitspolitisch relevanter Instrumente und Handlungsoptionen"67 abdecken, aufeinander zu beziehen und abzustimmen sind, steht noch aus. Sie ist indessen die entscheidende Voraussetzung für ein sicherheitspolitisches Alternativkonzept, das deutschen und europäischen Sicherheitskräften vor allem im Verhältnis zum US-Hegemon eine andere Rolle sichern könnte als die des „zivilen Arms", der nach weltweiten amerikanischen Militärschlägen Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten leistet.

67 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR), Mai 2003, chttp://www.bmvg.de/sicherheit/vpr.php>.

Für mehr Offenheit und Realismus in der Völkerrechtslehre Von Karl Zemanek

Mit Bedauern muß man zur Kenntnis nehmen, daß das Völkerrecht in der breiten Öffentlichkeit keinen guten Ruf hat. Die meisten Menschen interessieren sich nämlich nicht für den weiten Bereich des Völkerrechts, der die Verkehrs-, Handels- und Kommunikationsinfrastruktur der Welt sicherstellt. Sie sind sich seiner meist gar nicht bewußt, obwohl gerade seine Auswirkungen ihr Leben am stärksten unmittelbar beeinflussen. Hingegen wird ihre Aufmerksamkeit durch medial vermittelte internationale Krisen erregt, deren Verlauf oft den Eindruck erwecken muß, daß das Völkerrecht, so wie es ihnen dargestellt wird, jedesmal, wenn es etwas bewirken sollte, versage. Selbst Vertreter anderer Rechtsfächer gestehen dem Völkerrecht oft nur mit leisem Lächeln - und vermutlich auch aus kollegialer Höflichkeit - die Bezeichnung Recht zu. Die daraus resultierende defensive Position drängt in einem circulus vitiosus viele Völkerrechtler dazu, das Völkerrecht als ein der innerstaatlichen Rechtsordnung vergleichbares Recht zu vermitteln, anstatt die Andersartigkeit einer dezentral organisierten Rechtsordnung hervorzuheben und auf die einer solchen immanenten Schwächen in Erzeugung, Befolgung und Durchsetzung - und damit auf die wesensmäßigen Unterschiede 1 zu staatlichen Rechtsordnungen - zu verweisen. Diese Art der Darstellung findet sich in vielen Lehr- und Handbüchern des Völkerrechts, nicht selten auch in monographischen Arbeiten, und zwar - wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen - weltweit, nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Damit trägt die Völkerrechtswissenschaft zur unvermeidlichen Erwartungsenttäuschung bei, denn das Dargestellte wird so in weiten Bereichen der Realität nicht standhalten und nur der schon gegenüber Grotius geäußerten Kritik neue Nahrung liefern, das Völkerrecht sei ein bloßes Gelehrtenrecht, eine Kopfgeburt der Völkerrechtlehre. Wohl ist verständlich, daß die Völkerrechtslehrer in ihren Arbeiten das Augenmerk vordringlich auf die Verständlichkeit der Darstellung für Studierende oder auf die Überzeugungskraft der Argumente für Fachkollegen richten. Dabei wird aber vergessen, daß gerade verständlich geschriebene Kurzlehrbücher, aber selbst Handbücher und Fachartikel, auch 1 Zu diesen eingehend Watts , The International Rule of Law, G Y I L 36 (1993), 15. Weil, Towards Relative Normativity in International Law?, AJIL 77 (1982), 413, schreibt: „... the international normative system, given the specific structure of the society it is called on to govern, is less elaborate and more rudimentary than domestic legal orders which, of course does not mean that it is inferior or less ,legal 4 than they; it is just different."

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von interessierten Nichtjuristen, etwa Journalisten, benützt und vermutlich unkritisch rezipiert werden. Das Ergebnis läßt sich dann in den Medien ablesen. Wo Völkerrecht einen Maßstab zur Beurteilung internationaler Krisen abgibt, wird es zum Gegenstand der Berichterstattung. Deren plakative Sprache und simplifizierende Darstellungsweise verzerren den Inhalt des aus anonym bleibenden Sekundarquellen entnommenen Völkerrechts noch weiter und entstellen damit seinen Wert für die Beurteilung des in Frage stehenden Sachverhalts; einmal ganz abgesehen von Sprachschlampereien verursachenden Wissensmängeln der Berichterstatter. So wurde das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes zur israelischen Mauer auf palästinensischem Gebiet in einer österreichischen Qualitätszeitung2 zum „Urteil". Der uninformierte Leser mußte daher annehmen, Israel verweigere die Durchführung eines Urteilsspruchs ohne von Folgen getroffen zu werden, was den Leser in seinem Vorurteil gegen das Völkerrecht bestärken mußte. Aber auch Schnellschüsse von Völkerrechtlern, unmittelbar nach Beginn krisenhafter weltpolitischer Ereignisse mit noch unzureichender Sachinformation in den Medien abgegeben, verbessern die Urteilsfähigkeit der breiten Öffentlichkeit nicht wirklich. Um nur ein Beispiel einer Medienblase zu nennen: In den vergangenen Monaten konnte man immer wieder von der „internationalen Gemeinschaft" lesen oder hören, die dieses oder jenes in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan, im Irak, im Sudan, im Kongo, oder sonst irgendwo, entweder nicht zulassen, oder umgekehrt, tun werde. Wer ist diese „internationale Gemeinschaft"? Die Vereinten Nationen, die NATO, die EU, die mit den Vereinigten Staaten im Irakkrieg Verbündeten? Oder handelt es sich bloß um ein praktisches Kürzel, das eingehende Recherchen erspart? Jedenfalls wurde auf diese Art, scheinbar aus Gründen der Simplifizierung, eine „Gemeinschaft" erfunden, die keinen nachvollziehbaren willensbildenden Prozeß hat und in deren Namen daher auch niemand zu sprechen oder zu handeln vermag. Wohl aber war damit ein unspezifischer Sündenbock geschaffen, den die öffentliche Meinung mit jeder beliebigen Organisation oder Gruppierung, mit der sie gerade unzufrieden war, gleichsetzen konnte. Es sei noch einmal wiederholt: Es sind die überzogenen Erwartungen, die ganz wesentlich zum schlechten Ruf des Völkerrechts beitragen. Ich möchte das im folgenden an einigen Beispielen zeigen, wobei ich einschlägige Textverweise bewußt unterlasse, weil Beckmesserei nicht meine Absicht ist. Es geht mir vielmehr darum, die Aufmerksamkeit auf Umstände zu lenken, die zwar durchaus bekannt sind, dennoch aber in der Darstellung des Völkerrechts kaum jemals berücksichtigt werden. Jeder, der völkerrechtliche Texte veröffentlicht hat - und ich schließe mich dabei nicht aus - wird beim Wiederlesen seiner Texte erkennen können, daß er hie und da - hoffentlich nur hie und da - eine der im folgenden behandelten Sünden begangen hat. Daß es sich nur um eine exemplarische Auswahl handeln kann, versteht sich im Rahmen eines Essays von selbst. 2

„Die Presse" vom 22. Juli 2004, 4.

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Ein wesentlicher Unterschied zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht ist der persönliche Geltungsbereich der Rechtsordnung. Während innerstaatliches Recht, abgesehen von Spezialgesetzen, regelmäßig für alle der Rechtsordnung unterliegende Personen gilt, haben Völkerrechtsnormen, mit wenigen Ausnahmen, unterschiedliche persönliche Geltungsbereiche. Das trifft insbesondere auf multilaterale Verträge zu, die Völkerrechtsnormen erzeugen, wird aber von der Lehre nur selten reflektiert. Häufig wird ein rechtserzeugender Vertrag als das einschlägige Völkerrecht schlechthin dargestellt. So hat es sich beispielsweise eingebürgert, das völkerrechtliche Vertragsrecht mit der „Wiener Konvention über das Recht der Verträge" von 1969 gleichzusetzen. Bei einem Stand von 98 Vertragsparteien 3 ist das nicht unproblematisch, worauf später noch einzugehen sein wird. Plausibler ist die Gleichsetzung etwa bei der „Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen" von 1961 mit 181 Vertragsparteien, oder der „Wiener Konvention über konsularische Beziehungen" von 1963 mit 166 Vertragsparteien. Allerdings ist damit, nennt man noch das „Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen" von 1982, das 145 Vertragsparteien hat, die Liste der völkerrechtlichen Kodifikationskonventionen, hinsichtlich derer ein Anspruch auf universelle Geltung wenigstens diskutiert werden kann, auch schon erschöpft. Die globalen Übereinkommen des Menschenrechtssektors überraschen durch die große Zahl ihrer Vertragsparteien. Der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte" hat 152, jener über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte immerhin 149 Vertragsparteien. Bedenkt man die reale Lage in vielen Staaten der Welt, so verwundert noch mehr die große Zahl der Vertragsparteien der „Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau" von 1979 (177) und der „Konvention über die Rechte des Kindes" von 1989 (192). Was aber meist, wenn überhaupt, nur nebensächlich behandelt wird, ist die Tatsache, daß gerade die Verpflichtungserklärungen zu Menschenrechtskonventionen oft mit weitreichenden Vorbehalten versehen werden, die die aus dem Vertrag erwachsenden Verpflichtungen relativieren. Manche dieser Vorbehalte, insbesondere jene, die das innerstaatliche Recht oder die Scharia zum Erfüllungsmaßstab der Vertragspflichten machen, stellen letztere zur alleinigen Disposition der betreffenden Vertragspartei und heben die rechtliche Verpflichtung ihres Inhalts damit praktisch auf. 4 Dagegen haben andere Vertragsparteien wegen Unvereinbarkeit des Vorbehalts mit Ziel und Zweck („object and purpose") des Vertrages Widerspruch erhoben. Da die Wirkung eines solchen Einspruchs aber umstritten ist,5 entsteht eine unsichere Situation, in der nur mühsam festgestellt werden kann, wer, in welchem Ausmaß, und gegenüber wem (es handelt sich schließlich meist um Erga3 4

Die Zahl der Vertragsparteien aller angeführten Konventionen stammt vom Mai 2004. Siehe Lijnzaad, Reservations to U N Human Rights Treaties. Ratify and Ruin?, 1995.

5 Siehe Zemanek, Re-examining the Genocide Opinion: Are the Object and Purpose of a Convention Suitable Criteria for Determining the Admissibility of Reservations?, in: Ando u. a. (Hrsg.), Liber Amicorum Judge Shigeru Oda, 2002, vol. I, 335 (343 ff.).

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omnes-partes-Pftichten) gebunden ist. Doch allein ein Einbeziehen dieser Vorbehalte und ihrer Folgen in die Darstellung würde ein realistisches Bild vom Zustand des internationalen Menschenrechtsschutzes geben - eine Aufgabe, die zugegebenermaßen in einem Lehrbuch schwer zu bewältigen ist. Die Schwierigkeit sollte aber kein Freibrief dafür sein, die Unsicherheit des Rechtsbestandes einfach zu ignorieren. Die Gleichsetzung einer multilateralen Konvention mit dem im gleichen Gegenstand geltenden völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht wirft eine Reihe von Fragen auf, die nur selten - wohl auch wegen der Knappheit und Geschlossenheit der Darstellung in Lehrbüchern - gestellt, noch seltener aber beantwortet werden. Die Wiener Vertragsrechtskonvention (künftig: W V K ) mag wieder als Beispiel dienen. Wohl ist die Anzahl der Vertragsparteien beachtlich, aber dennoch: Welche Normen gelten für die Vertragsbeziehungen unter den Staaten, die ihr ferngeblieben sind, und für solche zwischen ihnen und Vertragsparteien der WVK? Es liegt auf der Hand, darauf zu antworten: das einschlägige völkerrechtliche Gewohnheitsrecht. Doch wo ist dieses dargestellt? Die Versuchung ist groß, es eben inhaltlich mit der W V K gleichzusetzen. Nun hat diese zwar größtenteils Völkergewohnheitsrecht kodifiziert, aber nicht alle ihre Vorschriften galten vorher als Gewohnheitsrecht, wie sich beispielsweise an der Vorbehaltsregelung leicht nachweisen läßt.6 Nun ließe sich dagegen natürlich einwenden, daß auch jene Normen der WVK, die ursprünglich Ergebnis „fortschrittlicher Entwicklung" waren, zwischenzeitlich durch allgemeine Anwendung Gewohnheitsrecht geworden sein können,7 womit die Aussage, die W V K sei mit dem einschlägigen Gewohnheitsrecht inhaltsgleich, zuträfe. Hinsichtlich der Vorbehaltsregelung, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wäre die Aussage aber nur dann gesichert, wenn sie sich auf eine eingehende Untersuchung der Vorbehalts/?ram von Staaten stützen könnte, die nicht Vertragsparteien der W V K sind. Mir ist nur eine einzige Untersuchung bekannt, die dafür überhaupt in Frage käme, und das ist die noch nicht abgeschlossene Arbeit von Alain Pellet in der International Law Commission. Bevor deren endgültige Ergebnisse vorliegen beruhen alle Aussagen zum Gegenstand letztendlich auf Vermutungen. Doch nur internationale Gerichte - insbesondere der Internationale Gerichtshof - können sich mit apodiktischen Behauptungen des Bestandes von Gewohnheitsrecht begnügen,8 weil ihre Aussagen zwar kritisiert 6 Siehe Zemanek, Some Unresolved Questions Concerning Reservations in the Vienna Convention on the Law of Treaties, in: Makarczyk (Hrsg.), Essays in International Law in Honour of Judge Manfred Lachs, 1984, 323 (328 ff.). 7

Zu diesem Vorgang kritisch Weil (Fn. 1), 435 ff. Klassisch das Nicaragua-Urteil, IGH, Nicaragua, ICJ Reports 1986, 9 (para. 188). Jüngst auch wieder im Rechtsgutachten über Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestine Territory , vom 9. Juli 2004, para. 157, hinsichtlich einiger „intransgressible principles" des völkerrechtlichen Humanitätsrechts. Auch der österreichische Oberste Gerichtshof ist darin nicht besser. Siehe die Kritik von Bühler, Casenote: Two Recent Austrian Supreme Court Decisions on State Succession from an International Law Perspective, Austrian Review of International and European Law 2 (1997), 8

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werden können, aber keiner weiteren Kontrolle unterliegen. 9 Doch selbst sie würden an Überzeugungskraft gewinnen, wären die Rechtsfeststellungen auch nachvollziehbar. Eigenzitate ebenfalls unbegründeter Rechtsfeststellungen aus früheren Urteilen oder Rechtsgutachten erfüllen diese Bedingung nicht. Der Schluß auf die universelle Geltung der in einem Vertrag festgesetzten Normen ist besonders dann fragwürdig, wenn besonders betroffene Staaten die Beteiligung an dem Vertrag ausdrücklich, unter Hinweis auf die Ablehnung einer oder mehrerer Vertragsbestimmungen, verweigern. In bezug auf eine mögliche gewohnheitsrechtliche Geltung der Vertragsnormen wird man diese Staaten wohl als „persistent objector" betrachten müssen. Doch welche praktische Bedeutung soll man diesem vom „universellen" zum „allgemeinen" mutierten Völkergewohnheitsrecht zuschreiben, wenn ausgerechnet die zur normierten Tätigkeit fähigen Staaten es ablehnen, und wie ist das in der Völkerrechtslehre zu reflektieren? Ein Beispiel dafür ist Artikel 11 des „Agreement Governing the Activities of States on the Moon and Other Celestial Bodies", 10 der das Prinzip des Gemeinsamen Erbes der Menschheit festschreibt. Diese Bestimmung ist die Ursache für die Weigerung der am meisten betroffenen Staaten, also jener, die tatsächlich Aktivitäten auf dem Mond oder auf anderen Himmelskörpern zu unternehmen imstande sind, den Vertrag anzunehmen.11 Ist es dann aber sinnvoll, wie das in einer kürzlich erschienen Monographie geschehen ist, 12 das Gemeinsame Erbe der Menschheit zum „allgemeinen Strukturprinzip des Weltraumrechts" zu erklären? Ein weiterer Einwand gegen die Gleichsetzung des gewohnheitsrechtlichen völkerrechtlichen Vertragsrechts mit der W V K gründet darauf, daß nicht das gesamte, vor dem Inkrafttreten der W V K Bestand habende Völkergewohnheitsrecht in letzterer kodifiziert worden ist. Eine vollständige Darstellung des Völkervertragsrechts - ich denke dabei beispielsweise an den Einschluß einer Reihe von Interpretationsmaximen, die von internationalen Gerichten und Schiedsgerichten laufend angewendet werden, in der W V K aber nicht behandelt sind - muß auf das nicht kodifizierte Gewohnheitsrecht zurückgreifen.

213, an einem Urteil, das Artikel 18 der Vienna Convention on Succession of States in Respect of Property, Archives and Debts, der die proportionale Verteilung von beweglichem Staatsvermögen auf alle Nachfolgestaaten vorsieht, zu geltendem Völkergewohnheitsrecht erhob (231 f.). 9 Probleme können allerdings entstehen, wenn verschiedene internationale Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, wie etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der im Loizidou-Fall von der Auffassung des IGH bezüglich der Wirkung von Vorbehalten abwich. Dazu Higgins, The ICJ, the ECJ, and the Integrity of International Law, ICLQ 52 (2003), 1 (18). 10

I L M 18 (1979), 1434. Macdonald, The Common Heritage of Mankind, in: Beyerlin u. a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, FS f. R. Bernhardt, 1995, 153 (162). n

12 Woller, Grundlagen ,Gemeinsamer Sicherheit 4 im Weltraum nach Universellem Völkerrecht, 2003, 215 ff.

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Und bei dessen Erfassung stößt man auf einen weiteren Problembereich der Völkerrechtswissenschaft. Im Grunde genommen wird der Inhalt des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts von Lehrbuch zu Lehrbuch mehr oder weniger fortgeschrieben und bestenfalls die ihn bestätigende „Staatenpraxis" durch neu hinzugekommenes Material beispielhaft ergänzt. Nicht selten wird dabei die Bedingung, daß die Staatenpraxis die Rechtsüberzeugung bestätigen soll, recht weitherzig ausgelegt, indem die opinio juris oft nur aus der Meinung des Autors besteht,13 der sie durch einige Beispiele, meist aus der relativ leichter zugänglichen Rechtsprechung nationaler oder internationaler Gerichte oder Schiedsgerichte, bestätigt sieht. Aber einige wenige Beispiele sagen weder aus, daß die Rechtsüberzeugung allgemein ist, noch bestätigt diese selektive „Staatenpraxis" notwendigerweise die tatsächlich bestehende opinio , denn jene der jeweiligen Richter ist eine Sache, die der Allgemeinheit der Staaten eine andere. Zur gesicherten Feststellung müßten die Lücken gefüllt und außerdem untersucht werden, wie viele und welche Staaten überhaupt in die Lage gekommen waren, zur relevanten Staatenpraxis beizutragen. Erst daraus ließe sich ein einigermaßen sicherer Schluß auf die Allgemeinheit einer Gewohnheit ziehen. Der Einwand, die nicht in Erscheinung Getretenen hätten durch Verschweigen zugestimmt, greift hier nicht, denn wer nicht in die Lage gekommen ist, ein einschlägiges Verhalten zu setzen, der konnte sich auch nicht verschweigen. Eine gründliche Untersuchung der Staatenpraxis wird aber selbst in monographischen Arbeiten nur selten unternommen und auch der Internationale Gerichtshof stellt, wie schon erwähnt, völkerrechtliches Gewohnheitsrecht gelegentlich mit leichter Hand fest. Mir ist aus der jüngeren Vergangenheit nur ein einziges Beispiel bekannt, in dem ein internationales Gericht sich eingehend mit der Staatenpraxis auseinandergesetzt hat um seine Aussage über den Rechtsbestand zu begründen: Das Internationale Tribunal für das frühere Jugoslawien im ersten Berufungsurteil im Tadic-Fall. 14 Allerdings war es ein glücklicher Zufall, daß ein hervorragender Völkerrechtler (Antonio Cassese) den Vorsitz führte und außerdem bereit war, sich der umfangreichen Arbeit zu unterziehen. Denn trotz des Fortschritts der Informationstechnologie bleibt die Analyse der Staatenpraxis in ihren vielfältigen Ausprägungen und durch ihre verstreute Publikation in vielen Sekundarquellen 15 sehr personal- und zeitaufwendig und wird meist nur für eine konkrete Situation aus Anlaß eines anhängigen Gerichtsfalls von den Parteienvertretern unternommen. 16 Eine gemeinsame Anstrengung zur Errichtung einer Datenbank für Staatenpraxis würde die Situation wesentlich verbessern.

13

So schon Kunz, The Changing Science of International Law, AJIL 56 (1962), 488.

14

Case No. IT-94-1-AR 72 (2 October 1995), The Prosecutor v. Dusko Tadic a/k/a „Dule"; Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, I L M 35 (1996), 32. 15 16

Zemanek, What is State Practice and Who Makes It?, in: Beyerlin u. a. (Fn. 11), 289. Siehe Watts (Fn. 1), 28.

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Noch häufiger als beim Gewohnheitsrecht spielen die subjektiven Wertvorstellungen von Autoren bei der Behandlung von sog. „soft law" 1 7 eine Rolle, besonders im Bereich des Wirtschafts- und Umweltrechts. Eine in den internationalen Rechtsentstehungsprozeß eingebrachte Idee, von der gehofft wird, sie werde sich im Laufe der Zeit zur Rechtsnorm verfestigen, die aber vorderhand noch nicht allgemeine opinio iuris ist, sondern für manche möglicherweise opinio necessitatis , für andere aber nur unverbindliches Programm, sollte so ausgewiesen werden und nicht, dem Wunsch des Autors entsprechend, als geltendes Völkerrecht. 18 Wohin ist nur der gute alte Ausdruck de lege ferenda verschwunden? Hier besteht ein deutlicher Unterschied zu innerstaatlichem Recht, dessen Erzeugungsprozeß in einer Weise formalisiert ist, die eine präzise Unterscheidung zwischen gelehrten Vorschlägen, Gesetzesvorhaben, parlamentarischen Gesetzes vori agen und den schließlich verabschiedeten Gesetzen ermöglicht. Die dazu notwendigen formalen Kriterien fehlen in der Erzeugung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht, weshalb diesbezügliche Rechtsbehauptungen besonders sorgfältig überlegt werden sollten. Das eben Gesagte gilt auch für eine Deklaration von Rechtsgrundsätzen, die zwar angibt, einer allgemeinen Rechtsüberzeugung Ausdruck zu verleihen, den Test der sie bestätigenden Staatenpraxis aber noch zu bestehen hat.„Instant customary law" ist eine Chimäre und weckt nur unbegründete Erwartungen. Die „Declaration on the Legal Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space" aus 196319 ist hinsichtlich ihrer Verpflichtungswirkung etwas anderes als der Weltraumvertrag von 1967. Diese Feststellung vermindert nicht im Geringsten die Bedeutung der Deklaration als Leitlinie für die Verhandlungen des späteren Vertrages, wozu sie auch bestimmt war. 20 Bei der Behandlung von ius cogens schließlich ist das Einbringen der eigenen Wertvorstellungen quasi Bestandteil des Systems. Das Völkerrecht verfügt über kein spezielles Verfahren, um diese besondere Normqualität auszudrücken. 21 Die im einschlägigen Artikel 53 der W V K geforderte Annahme und Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit als Norm, von der nicht abgewichen werden kann, ist im Grunde ein Verweis auf die Übereinstimmung von Wertvorstellungen, also auf einen meta-juristischen Bereich. Man muß nicht Anhänger der Theorie vom „clash of civilizations" sein, um zu vermuten, daß eine solche Übereinstimmung nur hinsichtlich einiger Werte bestehen wird und durch eine vergleichende Untersuchung nachzuweisen wäre. Das 17 Zemanek, Is the Term ,Soft Law' Convenient?, in: Hafner u. a. (Hrsg.), Liber Amicorum Professor Seidl-Hohenveldern - in Honour of His 80th Birthday, 1998, 843. 18 Siehe die harsche Kritik von Jennings , International Law Reform and Progressiver Development, ibid., 325, an dieser Praxis (333). 19 UN GV Resolution 1962 (XVIII). 20 Siehe Zemanek, The U N and the Law of Outer Space, Yearbook of World Affairs 19 (1965), 199 (207 ff.). 21 Dazu Weil (Fn. 1), 423 ff.

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geschieht aber üblicherweise nicht, vielmehr werden die eigenen Wertvorstellungen als universell geltend postuliert. Im Ergebnis gehen daher die Vorstellungen, welchen Normen der Charakter als ius cogens zukomme, durchaus auseinander. Lange Zeit wurde die von den Vereinigten Staaten seit 1945 vertretene Auffassung vom Umfang des Rechts auf Selbstverteidigung, die auch von einem Teil der amerikanischen Völkerrechtslehre gestützt wird, 22 in Europa entweder ignoriert oder als Verirrung abgetan. Bis die USA im September 2002 eine neue „National Security Strategy" verkündeten, in der das Recht auf „pre-emptive self-defense" beansprucht wird. 23 Geht man von der Definition von ius cogens in der W V K aus, so muß man fragen, ob das Gewaltverbot die dort gestellte Bedingung noch erfüllt, wenn ein so bedeutender Akteur wie die USA es offenbar nicht (mehr?) als eine Norm betrachten „von der nicht abgewichen werden kann". Das Konzept von ius cogens läßt schließlich keine Abweichler, keinen „persistent objector" zu. Anstelle bloß den eigenen Wertvorstellungen Raum zu geben, sollte eine realistische Völkerrechtslehre solche Zweifel reflektieren. Ein anderer Aspekt der Völkerrechtsordnung, der sie von innerstaatlichen Rechtsordnungen wesentlich unterscheidet, ist die Art ihrer Vollziehung. Begreiflicherweise leitet die Öffentlichkeit den Inhalt des Begriffes „Recht" aus den Erfahrungen ab, die sie in ihrer jeweiligen staatlichen Rechtsordnung macht. Grundsätzlich erwartet sie daher, daß die Einhaltung des Rechts gesichert und seine Verletzung gegebenenfalls geahndet wird. Wenn der Öffentlichkeit nicht bewußt gemacht wird, daß diese beinahe Automatik im Falle des Völkerrechts, infolge seiner andersgearteten Organisation nicht besteht und schwerlich hergestellt werden kann, so müssen die durch den unzutreffenden gedanklichen Vergleich entstehenden Erwartungen notwendigerweise enttäuscht werden. Es ist der Völkerrechtslehre aber offenbar nicht gelungen, ein öffentliches Bewußtsein dafür zu schaffen, daß in einer dezentral organisierten Rechtsgemeinschaft, die noch dazu auf dem Prinzip souveräner Gleichheit ihrer Mitglieder beruht und daraus ein Interventionsverbot ableitet, die Entscheidung darüber, wie eine übernommene völkerrechtliche Verpflichtung zu erfüllen ist, primär bei dem verpflichteten Staat selbst liegt, der sie zu diesem Zweck auch interpretiert und dabei zu einem durchaus eigenartigen Verständnis gelangen kann, wie etwa die Vereinigten Staaten bezüglich des Rechtsstatus der Gefangenen auf Guantánamo. Besser gesagt: für den eigenen Staat nehmen seine Bürger solches selbstverständlich in Anspruch und reagieren dementsprechend erbost auf allfällige „Einmischungen";24 aber gegenüber anderen Staaten wünschen die Medien, und möglicherweise wirklich auch die Öffentlichkeit, ein aktives Auftreten ihrer Regierungen gegen jede behauptete Völkerrechtsverletzung, die ihr Bewußtsein erreicht. 22 Ein Überblick bei Alexandrov, Self-Defense Against the Use of Force in International Law, 1996; und bei Constantinou, The Right of Self-Defence under Customary International Law and Article 51 of the U N Charter, 2000. 23 24

The National Security Strategy of the United States of America, section V, 15. Z. B. die Österreicher auf die sog. Sanktionen der EU Staaten im Jahre 2000.

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Fast jeder westliche Staatsbesuch in einer für ihre Geringschätzung der Menschenrechte bekannten Diktatur läßt diesen Wunsch laut werden. Die reisenden Politiker sehen sich dann, obwohl sie sich der Begrenztheit ihrer Möglichkeiten natürlich bewußt sind, meist veranlaßt, diesem Wunsch zu entsprechen. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie das als innenpolitische Pflichtübung betrachten; als Pallativ sozusagen. Das Völkerrecht als Ordnung zwischen Gleichen tut sich schwer, eine faire Balance in der Ausübung einzelstaatlicher Macht herzustellen. Einerseits ist diese als Rechtssanktion („counter-measure", Repressalie) unverzichtbar; andererseits soll die Ausübung staatlicher Souveränität des Zielstaates nicht beeinträchtigt werden. Dementsprechend sind die völkerrechtlich erlaubten Mittel, die einem Staat zur Verfügung stehen, um einen anderen Staat zu beeinflussen oder zur Beendigung einer Völkerrechtsverletzung zu veranlassen, eher gering. Darüber hinaus beruht die Vorstellung, daß Staaten, weil sie in dem dezentralen System auch Organe der Völkerrechtsordnung sind, gleich den Organen der innerstaatlichen Rechtsordnungen nach rechtsstaatlichen Prinzipien handeln müßten, auf einem Mißverständnis. Das völkerrechtliche Handeln von Staaten ist Teil ihrer Außen- oder Innenpolitik und erstere wird vorwiegend von politischen und wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt, und erst danach auch durch Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit. Überdies ist zu bedenken, daß ein Staat, wenn er schon einmal missionarischen Eifer mit genügend Macht verbindet und meint, die Welt verbessern zu müssen, wie etwa jetzt die Vereinigten Staaten, dafür meist massive Kritik erntet. Es müsste daher Aufgabe der Völkerrechtslehre sein, der Öffentlichkeit ins Bewußtsein zu rufen, daß die Effektivität des Völkerrechts unter den gegenwärtigen Umständen nur so weit reichen kann, als die Staaten ein gemeinsam geteiltes Interesse an der Aufrechterhaltung vorhersehbarer Verhaltensweisen haben,25 was vor allem dann gegeben sein wird, wenn die einschlägigen Beziehungen auf reziproken Interessen beruhen, wie etwa im Recht der diplomatischen Beziehungen. Die Schwierigkeiten in der Entwicklung eines modernen Völkerrechts entstehen häufig dadurch, daß „die Lösung einiger der heute drängendsten Fragen, insbesondere im Nord-Süd Verhältnis,... einen Verzicht auf Reziprozität der Vorteile oder doch zumindest eine sehr aufgeklärte und geduldige Auffassung von Gegenseitigkeit voraussetzt]", 26 für die ein öffentliches Bewußtsein - und damit die politische Voraussetzung einer Realisierung - sich nur zögerlich entwickelt. Auch die Rolle eines Weltpolizisten ist dem System fremd; wo sie arrogiert wird, entspricht das einem hegemonialen oder sogar imperialen Konzept, also einer anderen Ordnung der Staatengesellschaft.

25 26

Watts {Fn. 1), 41.

Simma, Völkerrecht in der Krise?, Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 20 (1980), 273 (278).

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Aus der Medienberichterstattung ist abzulesen, daß sich das Mißverstehen der Öffentlichkeit auch auf das Wesen der internationalen Gerichtsbarkeit erstreckt. Ob nun Schuld der Lehre oder der sie vulgarisierend transportierenden Medien, es ist jedenfalls kein öffentliches Bewußtsein vorhanden, daß (schieds)richterliche Streiterledigung in einer dezentral organisierten Gesellschaft auf Selbstbindung, also auf freiwilliger Unterwerfung beruht. So haben Medienkommentare zur Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs nur vereinzelt den Unterschied zu den vom Sicherheitsrat eingesetzten Sondertribunalen für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda hervorgehoben, die infolge des Einsetzungsaktes eine zwingende Zuständigkeit haben, selbst wenn sie sie nicht immer durchsetzen können. Wie beim Internationalen Gerichtshof - der unselige, von den Medien gerne verwendete Ausdruck „Weltgerichtshof' lädt dazu geradezu ein - wird die Öffentlichkeit vermutlich bald, wenn sie das nicht schon jetzt tut, fragen, warum denn etwa schwere Menschenrechtsverletzungen oder Aggressionen nicht Gegenstand eines Verfahrens vor einem dieser Gerichtshöfe seien. Das Herunterspielen der Freiwilligkeit in völkerrechtlichen Darstellungen, nur um darauf hinweisen zu können, daß auch diese Rechtsordnung über Gerichte verfüge, leistet einer Entwicklung zum Besseren keinen guten Dienst. Abschließend noch einige Bemerkungen zur Behandlung der Vereinten Nationen in der Völkerrechtslehre. Begreiflicherweise setzten 1945 europäische Völkerrechtler, nach den Erfahrungen mit zwei verheerenden, in Europa ausgelösten Weltkriegen, große Hoffnungen in die neugegründete Organisation. Zum Teil verstellen diese unerfüllten Hoffnungen noch heute den Blick für die Realität. Die Organisation wird ideal begriffen, nicht als das, was sie in Wahrheit ist: Eine Staatenversammlung, der die Proklamation hochherziger Ziele leicht von den Lippen geht, die sich mit deren Umsetzung aber schwer tut. Der von Generalsekretär Kofi Annan veranlaßte sog. Brahimi-Bericht vom März 2000 merkte daher zu Recht an: , Jt is therefore incumbent that the Council members and the membership at large breath life into the words that they pronounce ...res not verba ."27 In die Organisation wurden und werden Erwartungen gesetzt, die sie nicht erfüllen kann, weil entweder die Mehrheit der Mitgliedstaaten, oder ein anderes Mal ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates dies nicht wünscht. Im Kontext der internationalen Sicherheit wird das besonders deutlich. Obwohl hier nicht der Ort ist, um sich mit diesem Komplex umfassend auseinander zu setzen, sollen einige Aspekte dennoch als Beispiel dienen. Eines dieser Beispiele ist das Beschluß verfahren im Sicherheitsrat. Während des Kalten Krieges wurde es üblich, die Zustimmungsverweigerung eines ständigen Mitglieds zu einem Beschluß, und damit seine Verhinderung, als „Mißbrauch des Vetorechts" zu bezeichnen. Diese Bezeichnung taucht gelegentlich auch noch heute auf. Man muß sich aber fragen, zu welchem Zweck die Satzung ständige Mitglieder des Sicherheitsrates benannt und ihnen ein Sonderstimmrecht einge27

U N Dokument S/2000/809 und A/55/305, vom 21. August 2000, para. 276.

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räumt hat. Offenbar ist dies deshalb geschehen, weil ohne Mitwirkung der Großmächte (in der Sicht von 1945) die internationale Sicherheit nicht hätte gewährleistet werden können und man ihnen realistischerweise die Wahrung ihrer Interessen ermöglichen mußte, da sie sich sonst an dem System nicht beteiligt hätten. Schon weitblickende Architekten des Völkerbundpaktes hatten die zugrundeliegende Problematik erkannt, bei der es zwar nicht um ein Sonderstimmrecht ging, weil der Völkerbundrat einstimmig beschloß, wohl aber um ständige Sitze für die damaligen Großmächte. Gestehe man ihnen solche zu, so meinten sie damals, dann werde der Rat schlecht funktionieren, verweigere man sie ihnen aber, dann würden die Großmächte dem Völkerbund fernbleiben. Wenn also ständige Mitglieder des Sicherheitsrats zur Wahrung dessen, was sie in einem konkreten Fall für ihre Interessen halten, von ihrem Sonderstimmrecht Gebrauch machen und einen Beschluß verhindern, so kann man nicht von Mißbrauch sprechen, denn es mag zwar bedauerlich sein, ist aber durchaus systemkonform. Der Sicherheitsrat ist weder ein richterliches noch ein auf andere Weise rechtsstaatlich gebundenes Organ; er ist ein politisches Organ, zusammengesetzt aus Staaten, die nur gegenüber den Interessen der in ihnen herrschenden politischen Eliten (und manchmal gegenüber ihrem Staatesvolk) Verantwortung fühlen. Die Völkerrechtslehre fördert somit das Mißverstehen der Öffentlichkeit, wenn sie die Bestimmungen über die Aufrechterhaltung des Weltfriedens in der Satzung der Vereinten Nationen und die Zuständigkeiten des Sicherheitsrates zu deren Anwendung so darstellt, als handle es sich um ein rechtsstaatliches Verfahren. Eine derartige Darstellung muß bei westlichen Durchschnittsmenschen, die ihre Vorstellungen an der innerstaatlichen Realität bilden, notwendigerweise die Erwartung wecken, der Sicherheitsrat sei zum Tätigwerden verpflichtet und verletze eine Rechtspflicht, für die er einzustehen habe, wenn er etwa bei Vorkommen massiver Menschenrechtsverletzungen nicht handelnd eingreife. Satzungsgemäß muß er das aber nicht, welche moralischen Ansprüche seine Kritiker auch immer an ihn stellen mögen, wohl aber kann er. Diesen Unterschied zur staatlichen Organisation klarzumachen, wäre eine dringend gebotene Aufgabe. Wie es auch Aufgabe der Völkerrechtslehre wäre, mit der falschen Vorstellung der Öffentlichkeit über die „humanitäre Intervention" aufzuräumen. Die Vorgeschichte der Resolution des Sicherheitsrates gegen den Sudan28 wegen der Menschenrechtsverletzungen in Dafür hat neuerlich erwiesen, daß viele Staaten der sog. „Dritten Welt", aber auch China und Russland, das Interventionsverbot höher bewerten als die Beendigung massiver Menschenrechtsverletzungen und die Gebote der Humanität, vermutlich weil sie den Motiven der Befürworter mißtrauen. Die Vereinten Nationen sind daher nur gelegentlich und unter besonderen Umständen zu einer „humanitären Intervention" imstande. Das in westlichen Augen daraus entstehende Dilemma hat bewirkt, daß die Vereinigten Staaten unverblümt, die Mitgliedstaaten der EU, mangels entsprechender militärischer 28

Resolution 1556 (2004), vom 30. Juli 2004.

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Mittel vorderhand bloß verbal, das Recht einzelner Staaten oder einer Gruppe von ihnen zur „humanitären Intervention" in anderen Staaten zur Verhinderung oder Beendigung schwerer, systematischer Menschenrechtsverletzungen beanspruchen, wobei sie sich, allerdings recht fragwürdig, auf subsidiäres völkerrechtliches Gewohnheitsrecht berufen. Unter dem Titel „Must Intervention be Legal?" konnte daher eine so angesehene Zeitschrift wie der „Economist" kommentieren: ,Jt would of course be possible to intervene in Dafür without going through the UN. This need not be as drastic an assault on international law as some legal sticklers fear ... That might even set a useful precedent for dealing with future catastrophes." 29 Schon allein um dem „Economist" zu beweisen, daß nicht alle ihre Protagonisten „legal sticklers" seien, sollte die Völkerrechtslehre dieses Dilemma ansprechen und nicht stereotyp auf die Bestimmungen der Satzung der Vereinten Nationen rekurrieren. Sie könnte beispielsweise aufzeigen, daß die Vereinten Nationen tatsächlich gar nicht in der Lage wären, militärisch zu intervenieren, selbst wenn sie es wollten. Die Satzung hat kein Gewaltmonopol für den Sicherheitsrat geschaffen, sondern bloß die Legitimierung der Gewaltanwendung monopolisiert (wenn man von der Selbstverteidigung absieht); die tatsächliche Verfügungsgewalt über Machtmittel ist bei den Staaten verblieben. Das Programm der Satzung, das dem Sicherheitsrat die Verfügungsgewalt über militärische Kräfte verschaffen sollte, wurde nie ausgeführt. Selbst für die weniger invasiven und daher risikoärmeren „friedenserhaltenden Operationen" ist bisher nur mit wenigen Staaten eine „Stand-by"-Vereinbarung zustande gekommen. Trotz ihrer Bezeichnung „Multinational High Readiness Brigade for U N Operations" - benötigt diese Truppe aber eine lange Vorbereitungszeit, weil ihr Einsatz vom wechselnden Vorsitz der sich verpflichtet habenden Staatengruppe koordiniert werden muß. Die Vereinten Nationen sind bei allen Aufgaben, die einen militärischen Einsatz verlangen, grundsätzlich darauf angewiesen, daß Staaten die Truppen, deren (heute sehr teure) Ausrüstung und die zu ihrer Dislozierung erforderliche Logistik ad hoc und freiwillig zur Verfügung stellen, was sie nur tun, wenn es auch in ihrem Interesse liegt, ob es sich dabei um die Abwehr der Aggression gegen Kuweit oder um eine friedenserhaltende Operation im Kongo handelt.30 Es sind die Mitgliedstaaten, die sich - meist aus innenpolitischen Gründen, vor allem aber weil die Bevölkerung eigene Gefallene schwer erträgt - verweigern und nicht die Organisation, die versagt. Es entsteht ein falsches Bild, wenn Satzungsbestimmungen gelehrt werden, von denen jeder wissen sollte, daß sie so, wie sie verfaßt sind, nicht angewendet werden können, ohne gleichzeitig die reale Lage und ihre Gründe darzustellen. Das kann nur zur Enttäuschung, wenn nicht zum Zynismus führen. Eine Luftblase ist auch die neue Mode, von einer „Konstitutionalisierung" des Völkerrechts zu sprechen. Wird darunter die Anerkennung von Interessen der 29

Economist, July 31-August 6, 2004, 33. Dazu Suy, Is the United Nations Security Council Still Relevant? And Was it Ever?, Tulane Journal of International and Comparative Law 12 (2004), 7 (25). 30

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Staatengemeinschaft und die Einführung von Mechanismen zu ihrer Durchsetzung verstanden, so ist ein langsamer Prozeß dazu gewiß im Gange, doch führt die durch die Bezeichnung ausgelöste Assoziation mit „Verfassung" zu einem Mißverständnis. Nichts, was der Durchschnittsbürger mit dem Begriff „Verfassung" verbindet, weder die rechtlich geordnete Verwirklichung von Grundsätzen in an sie anknüpfenden Rechtsvorschriften, noch die effektive Kontrolle der Staaten in der Erfüllung rechtlicher Gemeinschaftspflichten und schon gar nicht deren gegebenenfalls zwangsweise Durchsetzung, können die Organisation der Vereinten Nationen oder die Völkerrechtsordnung in ihrem gegenwärtigen Zustand überhaupt leisten. Versteht man darunter aber, daß die in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze die Rolle von Verfassungsprinzipien übernehmen, also das materielle Völkerrecht determinieren sollen, so unterliegt man einem anderen Mißverständnis. Denn es ist nicht einmal klar, in welchem Verhältnis die in der Satzung angeführten Grundsätze zueinander stehen. Ist „Gerechtigkeit" der „Friedenssicherung" vorgeordnet, oder umgekehrt? Folgt man dem Internationalen Gerichtshof, so trifft das letztere zu, 31 aber überzeugen kann die Begründung nicht, denn wenn, wie der Gerichtshof meinte, ohne Friedenssicherung die anderen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen nicht verwirklicht werden könnten, dann müssten die Vereinten Nationen ihre Tätigkeit schon lange eingestellt haben, da ihnen die Friedenssicherung seit ihrem Bestehen nicht gelungen ist. Soll der Menschenrechtsschutz dem Interventionsverbot vorgehen, oder umgekehrt? Die Satzung bietet zur Lösung dieser Fragen kein Verfahren an; sie ist den Wertvorstellungen der Mitgliedstaaten in ihrer jeweiligen Mehrheit überlassen. Denn die in der Satzung der Vereinten Nationen eingesetzten Organe unterliegen in ihrer Tätigkeit keiner Kontrolle; sie sind alle Grenzorgane. Wenn dem aber so ist, wie soll dann „konstitutionalisiert" werden? Es kann sich dabei bestenfalls um ein akademisches Konstrukt handeln. Mancher wird jetzt vielleicht fragen, worauf denn das alles hinaus soll. Die Antwort ist einfach: Zu mehr Realismus und Wahrheit. Die Völkerrechtswissenschaft sollte ruhig einbekennen, daß ihr Gegenstand eine dezentrale Rechtsordnung mit allen einer solchen innewohnenden Schwächen ist. Ein Vergleich mit den heutigen, hochentwickelten und zentralisierten nationalen Rechtsordnungen ist daher unangebracht und irreführend. Richtiger wäre es, auf frühere Zustände dieser nationalen Rechtsordnungen in Europa hinzuweisen, die erst im Zeitalter des Absolutismus, nach heutigen Vorstellungen also während einer undemokratischen, totalitären Herrschaft, sich organisatorisch zu entwickeln begannen und lange Zeit und Revolutionen brauchten, um in dieser Entwicklung zu ihrer heutigen Gestalt als demokratische Rechtsstaaten zu finden. Die Tatsache, daß diese Entwicklung möglich war und auch stattgefunden hat, sollte auch für das Völkerrecht optimistisch stimmen, wenngleich der Gedanke, auch das Völkerrecht könnte 31

IGH, Certain Expenses of the United Nations, ICJ Reports 1962, 151 (168).

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zu seiner Entwicklung eines „Absolutismus" (Imperialismus? Hegemonie?) bedürfen, unbehaglich ist. Auf jeden Fall aber erfordert eine Entwicklungsstrategie in erster Linie eine realistische Bestandaufnahme des Ist-Standes und danach Überzeugungsarbeit in der Öffentlichkeit, die mit ihrem latenten Mißtrauen gegenüber allem Fremden und Beharren auf nationaler Eigenständigkeit (ins Völkerrecht zu übersetzen mit Souveränität) dieser Entwicklung im Wege steht.32 Als Realität ausgegebene Utopien werden diesen Zweck nicht erfüllen.

32 Die Aussage von G. Fitzmaurice , The Future of Public International Law and the International Legal System in the Circumstances of Today, in: Institut de droit international (Hrsg.), Livre du Centenaire 1873-1973, 1973, 196: „This is the supreme paradox, - that a world of separate nation-States cannot do without international law, and yet that the nationalism they engender is the worst enemy of progress in the international law field (318, para. 107), ist nach wie vor gültig.

Uniting-for-Peace und Gutachtenanfragen der Generalversammlung Anmerkungen aus Anlaß des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes zur Zulässigkeit des Sicherheitszaunes zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten Von Andreas Zimmermann

I. Einleitung und Problemstellung Bereits in seiner Dissertation hat sich Jost Delbrück mit Umfang und Grenzen der Kompetenzen der Generalversammlung im Rahmen der Satzung der Vereinten Nationen beschäftigt 1 und hat sich auch später wiederholt zu den damit zusammenhängenden völkerrechtlichen Fragen wissenschaftlich geäußert.2 Bildete das Thema dementsprechend denn auch bereits den Gegenstand wissenschaftlicher Erörterungen anläßlich seines 65. Geburtstages,3 so scheint es gleichwohl angezeigt, sich im Lichte des Gutachten Verfahrens betreffend den Bau der israelischen Sicherheitsanlagen4 erneut mit dem Verhältnis zwischen Generalversammlung und Sicherheitsrat und dabei namentlich mit Fragen des Verhältnisses zwischen Uniting-for-Peace und Ersuchen an den Internationalen Gerichtshof zur Erstattung von Rechtsgutachten auseinanderzusetzen.5 Nach Art. 96 Abs. 1 der Satzung der Vereinten Nationen besitzt die Generalversammlung bekanntermaßen die Kompetenz, den Internationalen Gerichtshof um

1

Delbrück, Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, 1964y passim. 2 Vgl. nur etwa ders., Rechtsprobleme der Friedenssicherung durch Sicherheitsrat und Generalversammlung der Vereinten Nationen, in: Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, 1975, 132 ff. 3

Vgl. dazu nur etwa Tomuschat, „Uniting for Peace" - ein Rückblick nach 50 Jahren, Die Friedens-Warte 76 (2001), 289 ff. 4 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Gutachten vom 9. Juli 2004, verfügbar im Internet: .

Vorliegende Ausführungen nehmen nicht zu den in dem Gutachten aufgeworfenen vielfältigen materiellen Fragen Stellung, vgl. dazu nunmehr etwa nur Bianchi, The ICJ Advisory Opinion on the Separation Wall, GYIL 47 (2004), 343 ff.

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Rechtsgutachten zu jeder Rechtsfrage zu bitten.6 Von dieser Kompetenz hat die Generalversammlung 7 in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht.8 Die Besonderheit des Gutachtenersuchens der Generalversammlung vom 27.10.2003 in dem Verfahren betreffend , Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory