Welt und Gott: Grundzüge einer die Gegensätze der Neuzeit in sich verarbeitenden theistischen Weltanschauung 9783111480046, 9783111113135

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Welt und Gott: Grundzüge einer die Gegensätze der Neuzeit in sich verarbeitenden theistischen Weltanschauung
 9783111480046, 9783111113135

Table of contents :
Dem Protestantenverein
Einleitung
Erster Abschnitt. Herz und Verstand
Zweiter Abschnitt. Die Vernunft
Dritter Abschnitt. Der Geist
Vierter Abschnitt. Seele und Leib
Fünfter Abschnitt. Die Natur
Sechster Abschnitt. Das Weltganze
Siebenter Abschnitt. Der Lebensgrund
Achter Abschnitt. Das Weltziel
Neunter Abschnitt. Gott als Weltcentrum
Zehnter Abschnitt. Das Band zwischen Gott und Mensch
Elfter Abschnitt. Die Geschichte
Zwölfter Abschnitt. Der Tod und der Stern der Hoffnung
Inhalt

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Welt und Gott. Grundzüge einer die Gegensätze der Neuzeit in sich verarbeitenden cheistischen Weltanschauung.

Von

H. Späth.

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer.

1867.

Der Ve» faffer behält sich das Recht der Uebersehung in fremde Sprachen vor.

Dem Protestsntenverein gewidmet von

einem seiner Mitglieder.

Dem Protestantenverein widme ich diese Schrift, nicht einem Abstraktum, das überall und nirgends ist,

sondern der Schaar der Männer,

welche

sich öffentlich verbunden haben, die Fahne der protestantischen Freiheit hoch zu halten und mit allen gottgeordneten Mitteln eine Wiedergeburt der protestantischen Kirche anzustreben, von deren Vollzug sie die Erhaltung unserer theuersten Güter, ja die Zukunft

des Protestantismus

und

selbst das Gedeihen

unseres gesammten christlichen Kulturlebens

abhängig wissen.

Ich widme sie euch als Genosse eurer Gesinnung, eurer Be­ strebungen und eurer Arbeit in der Ueberzeugung, daß diese Schrift ganz und gar einschlage in die Interessen des Pro­ testantenvereins.

Nicht davon rede ich, daß sie in der Aus­

führung den Interessen des Vereins entspreche und genüge. Sie mag immerhin schwach und ungenügend sein; diesen Fall wünsche ich Nichts sehnlicher kerer seine Hand an den Pflug lege. keine verfehlte sei,

und für

als daß ein Stär­

Aber daß die Absicht

vielmehr das Gewollte einem dringenden

Bedürfniß entspreche und einer Lücke gelte, welche auszufüllen dem Protestantenderein

ernstlich angelegen sein muß,

dessen

VI

bin ich gewiß. Und das gibt mir den Muth, zu der gemein­ samen Arbeit das Meine beizutragen und meinem Beitrag dürch diese Widmung das Siegel der Gemeinsamkeit aufzu­ drücken. Versöhnung von Kultur und Christenthum, ein Kampf auf Leben und Tod mit religionsfeindlicher Berstandesbildung einerseits, mit lichtscheuer Religionsgestaltung andererseits ist eine der klar ausgesprochenen hohen Aufgaben, welche sich der Protestantenverein gesteckt hat. Eine Menge von Arbeit nach den verschiedensten Seiten hin ist darin enthalten, wie das erst im Verlaufe des Kampfes allmählich recht zu Tage treten wird. Schon bisher hat sich ihm mancherlei Arbeit ungesucht aufgedrängt. Abgesehen von der principiellen Behandlung der ganzen Lebensfrage trat an ihn die Aufgabe einzustehen für Lehrfreiheit, aber auch ihrer Gränzen sich bewußt zu werden, der Kampf wider ein unprotestantisches Bekenntnißjoch mit dem Versuch das Wesenhafte, Bleibende des Christenthums heraus­ zustellen. Er sieht sich ferner genöthigt feste, seinen Principien entsprechende Stellung zu nehmen zu der die bisherige Gestal­ tung der christlichen Lehre und des christlichen Kultus so tief erschütternden Frage nach der Person Jesu Christi. Er er­ kannte endlich das Bedürfniß, den weiteren Kreisen der Ge­ bildeten eine ächt protestantische Lösung der brennenden reli­ giösen Fragen zu vermitteln und die gesicherten Resultate vom Geist des Dogmatismus befreiter Wissenschaft ihnen zugäng­ lich zu machen. Und bereits ist von einem seiner hervor­ ragendsten Mitglieder der anerkennenswerthe Versuch unter­ nommen, die religiösen Grundfragen für das nichttheologische

VII

Publikum im Zusammenhang und eingehend zu behandeln. Aber sind denn nicht Hunderte, die mit den Voraussetzungen, auf deren Grund solche Bestrebungen sich stellen müssen, gänz­ lich zerfallen sind, und Tausende, denen sie wenigstens wankend geworden sind und die rathlos und unbefriedigt von Für und Wider hin und her geschaukelt werden, unfähig zu einer festen und klaren, in sich einigen Ueberzeugung durchzudringen, um auf Grund derselben weitere Belehrung anzunehmen? Es fehlt Unzähligen, und es sind gewiß nicht die Schlechtesten, sondern gerade die Denkenden und Suchenden, die Möglich­ keit, sich zu festen Grundzügen einer Geist und Gemüth.zu­ gleich befriedigenden Weltanschauung durchzuringen. Für Solche ist Alles in den Wind geredet, wenn ihre Krankheit nicht an der Wurzel angefaßt wird. Und wie anders könnte das ge­ schehen, als indem ihnen die Hand gereicht wird, damit sie zu einer gegründeten Ueberzeugung über die Grundfragen gelan­ gen, welche jede Weltanschauung constituiren. Das ist, wenn man so will, eine philosophische Arbeit; denn sie hat es we­ nigstens mit den grundlegenden Problemen der Philosophie zu thun. Ihr kann sich der Protestantenverein nicht entziehen, wenn nicht gerade die Besten, auf die er ausgesprochener Maaßen rechnet, außer dem Bereich seiner Einwirkung bleiben sollen. Diese, allerdings schwierige, Aufgabe in Angriff zu nehmen ist der Zweck der vorliegenden Schrift. Nur daß ihr Nichts ferner liegt als das Apologietreiben. Diese Schrift will kein „Beweis des Glaubens" sein weder für die Gläu­ bigen noch für die Ungläubigen. Ich würde fürchten, jene

vni

werden seiner nicht bedürfen und diese ihn mit Mißtrauen abweisen. Sie geht vielmehr von der Ueberzeugung aus, daß jeder mündige Christ auf selbstständigem Wege zu einer festen Weltanschauung, wenigstens zu ihren unentbehrlichen Grund­ zügen gelangen muß. Und demnach kann es sich hier nicht tun eine geistliche Kur an den „Ungläubigen", sondern nur um eine Handreichung für Alle handeln, welche auf einer klippen­ reichen Fahrt feste Bahn und sichern Grund gewinnen wollen. An Hindernissen und Gefahren, welche das Durchdrin­ gen zu einer in sich harmonischen Weltanschauung erschweren und deßhalb zu gemeinsamer Arbeit aufrufen, fehlt es unsrer Zeit freilich nicht. Zeiten gewaltiger Umwälzungen machen die natürliche Trägheit und den Hang -zur Oberflächlichkeit noch gefährlicher, und selbst bei gutem Willen wird manche Kraft sich als unzulänglich erweisen, dem Andrang der Wogen zu widerstehen. Wie schroff sind doch die Gegensätze, welche unser Jahrhundert bewegen und an jeden regeren Geist herantreten, während nicht jeder das Zeug dazu hat ihrer Herr zu werden. In einem und demselben Geiste liegen daher oft Elemente der entgegengesetzten Richtungen unverdaut und unvermittelt nebeneinander. Auch die früher nicht gekannte Ausdehnung des geistigen Besitzes in allen Gebieten, somit der große Um­ fang dessen, was für den Einzelnen zu bewältigen ist, birgt in sich eine große Gefahr, nämlich die, sich an das Einzelne zu verlieren., und den Sinn für die Tiefe der Erkenntniß und für das Fundamentale einzubüßen. Kein Wunder, daßman in dieser Beziehung unserer Zeit allerlei und allerdings nicht tmgegründete Vorwürfe machen kann.

IX

Doch Jeremiaden sind unfruchtbar. Besser ist es, seinen Zeitgenossen durch eigene Mitarbeit den Geisteskampf zu er­ leichtern und den Sieg zu ermöglichen. Es gilt ja eine ernste und schwere Geistesarbeit, welche sich der Protestant des neun­ zehnten Jahrhunderts nicht ersparen kann. Nicht ein Auf­ nehmen von fertigen, logisch richtigen Reflexionen und Resul­ taten ist es, was ihm helfen kann. Auch das Wahrste und Beste kann dem Geiste fremd und äußerlich bleiben. Daß es aber persönliches Eigenthum und eine Quelle sittlichen Lebens in ihm werde, das ist seine Aufgabe, welche nur auf dem Wege eigener geistiger Arbeit in Begeisterung für die höchsten sittlichen Interessen gelöst werden kann. Es ist der Proceß der Selbstbildung, der jedem Glied der protestantischen Welt, das auf Mündigkeit Anspruch macht, zugemuthet werden darf und der im Grunde auch das Wesen des Philosophirens ist, wofern man nicht seine wissenschaftliche Form, sondern den ethischen Gehalt in's Auge faßt. So grundverkehrt daher jene Meinung ist, die Philosophie müsse an die Stelle der Religion treten und fiir die Denkenden wenigstens sie ersetzen, so berechtigt ist es zu behaupten, daß an die Stelle des der Person äußerlich bleibenden Autoritätsglaubens in der prote­ stantischen Welt (und Kirche) immer mehr das Philosophiren d. h. das ureigene Denken zum Zweck der freien Erwerbung eines wahrhaft persönlichen geistigen Eigenthums treten muß. Eine Weltanschauung, für deren Gewinnung er das Mark seines Geistes eingesetzt hat, die ihm deswegen auch nach allen Seiten, nach Erkenntniß, Gefühl und Willen, befriedigt, soll jeder mündige Protestant haben. Und nur zu diesem Selbst-

erwerb anzuregen und Mittel darzureichen, ist der Zweck dieser Schrift, welche ganz darauf verzichtet, eine gepriesene Beute fauler Geister zu werden. Daraus erklärt es sich,

warum diese Schrift so ganz

und gar nichts specifisch Theologisches an sich hat,

obwohl

sie Gegenstände behandelt, welche dem Bereich der Theologie angehören. er sei;

ein

Denn

denkender

man kann Wohl Jedem Mensch sei,

ohnedies wird ja

Einfluß

auf

zumuthen,

daß

nicht aber

daß er Theolog

auch die Theologie,

wenn sie wieder

das christliche Leben gewinnen soll,

mit dem

Dogmatismus die dogmatische Sprache aufgeben und mit der allgemein menschlichen vertauschen müssen. Bloß die Erkenntniß zu fördern,

dazu ist vorliegende

Erörterung nicht bestimmt. Ohne Zweifel wäre es eine große Empfehlung in den Augen Vieler, wenn der Verfasser ver­ sichern könnte, daß ihn das reine intellektuelle Interesse gelei­ tet habe.

Der Verfasser aber bekennt vielmehr, daß nicht nur

der Gedanke der Schrift seinen Ursprung Interesse

verdankt, sondern auch die

führung davon beherrscht ist.

einem praktischen

ganze Art

der Aus­

Es war ihm nicht um eine

systematische Erörterung der behandelten Gegenstände zu thun, um sie theoretisch zu erschöpfen, sondern um den praktischen Zweck, Anregung zur Gewinnung einer wahrhaft ethisch-reli­ giösen Weltanschauung zu geben.

Es ist eine Tendenzschrift,

das spricht der Verfasser ohne Erröthen aus; ist eine ethisch-religiöse.

seine Tendenz

Er ist nämlich der Meinung, das

Wissen könne im Menschen keineswegs die absolute Herrschaft ansprechen, und ein einseitiger Intellektualismus sei nicht nur

XI

unberechtigt, sondern int höchsten Grade verderblich und das Geistesleben entleerend; alle Wissensarbeit müsse einem prak­ tischen Zwecke dienen, natürlich nicht im Sinn des Utilitaris­ mus, wohl aber im höheren einer Förderung und Befriedigung sämmtlicher Geistesinteressen, einer allseitigen Geistesbefriedi­ gung. Es erscheint ihm daher als ein sicherer Maaßstab der Wahrheit, ob durch das Resultat eines Erkenntnißprocesses das ethische Wesen des Geistes, wozu auch die religiöse An­ lage gehört, gefördert oder mißhandelt wird. Und so sindet er es auch ganz berechtigt, die Erkenntniß direkt in den Drenst der ethischen Interessen zu stellen; denn dabei geschieht eigent­ lich nur, was ein gesund organisirter Mensch halb unbewußt fortwährend thut. Der Mensch ist ja gewiß nicht so ange­ legt, daß seine verschiedenen geistigen Interessen unabhängig von einander gedeiheq können, geschweige daß sie von Haus aus sich widerstreiten müßten. Sie gehen vielmehr in Eins zusammen. Und es ist daher nur darauf zu sehen, daß keines zum Nachtheil der übrigen überwuchere. Insbesondere im Interesse der Religion geschrieben zu haben, bekennt der Verfasser offen. Er ist der völligste Anti­ pode derer, welche die Religion für das Erzeugniß niederer menschlicher Entwicklungszustände halten, und meinen, daß es endlich Zeit wäre, der Religion als einer ausgelebten Bewußt­ seinsform den Abschied zu geben. Diese Richtung erscheint ihm als eine der bedenklichsten Verirrungen der Neuzeit, und ihrem zerstörungssüchtigen Fanatismus mit aller Kraft und dem, Zorn begeisterter Ueberzeugung entgegenzutreten hält er für die heilige Psticht jedes Protestanten. Gegen dieses

XII

Schlangengift, welches alles höhere Geistesleben zu zerstören droht, muß energischer Protest erhoben werden. Die Religion ist daS Herz und Heiligthum des Geisteslebens. Sie pflegen heißt die Quelle der Kultur erhalten und speisen. Darum hat jede Zeit die Pflege derselben gleich nöthig; sie ist auch für unsere Zeit kein entbehrlicher Artikel. Wohl ist leicht zu begreifen, wie die Entfremdung gegen abgelebte Darstellungsformen der Religion auch eine Entfrem­ dung gegen die Religion selbst mit sich führt, wie das Leben unter solchen Umständen gern eine gegen alles Religiöse gleich­ gültige Richtung nimmt. Nur ist das kein Vorzug, sondern eine Einseitigkeit; es beweist nicht die Stärke des fortgeschrit­ tenen Geistes, sondern ist das Krankheitssymptom einer Uebergangszeit. Man sagt, unsere Zeit fühle nicht mehr das Be­ dürfniß nach religiöser Erhebung; und wie das von der einen Seite gerühmt wird, wird es von der andern als das Zeichen einer fast hoffnungslosen Entartung angesehen. Die Bemer­ kung ist richtig, daß das Gefühl des religiösen Bedürfnisses im Vergleich zu den „guten alten Zeiten" schwach ist. Aber nur das Gefühl davon ist schwach. Das Bedürfniß selbst ist da, wie zu jeder Zeit. Und ich wage das Paradoxon aufzu­ stellen, daß' das Verlangen nach religiöser Befriedigung sich heutzutage vorzugsweise in Form der religiösen Kälte geltend macht. Die Kluft zwischen der übrigen Geistesbildung und den hergebrachten, einer früheren Knlturform entsprungenen Ausprägungen des religiösen Gemeinschaftslebens verwandelt das Interesse in Kälte; die Kälte ist ein Zeugniß religiöser Nichtbefriedigung. Daher wäre es ungerecht, wenn man die

XIII

Neuzeit im Allgemeinen eine irreligiöse nennen wollte. Nicht irreligiös ist sie, aber religiös unbefriedigt. Und es gilt, ihr die Religion wieder genießbar zu machen durch innigste Verflech­ tung mit allen anderen berechtigten Interessen, durch Aufhe­ bung der Kluft, welche die Religion isolirt und für die Kinder der Neuzeit zu einem erotischen Gewächs macht. Daß die Religion wieder den Ehrenplatz einnehme, der ihr unter den Interessen des Geisteslebens gebührt, und daß sie die Herzen wieder erwärme, ihnen Begeisterung und idealen Schwung verleihe: das ist ein, und ohne Zweifel das dringendste Be­ dürfniß unserer Zeit, das Universalheilmittel für ihre Schäden und die Verklärung aller ihrer Vorzüge. Die Religion muß wieder zu Ehren kommen und ein wirksamer Hauptfaktor in unserm Kulturleben werden. Wie­ wohl nun die Religion nicht im Erkennen besteht und im Stande ist sich mit den mannigfaltigsten Stufen und Formen der Erkenntniß zu verbinden, so ist doch leicht zu sehen, welch tiefen Einfluß der Stand der Erkenntniß auf die Gestaltung der Religion ausübt und wie von der Erkenntniß Förderung und Hemmung ausgehen kann. Denn die Religion kann sich nicht äußern ohne sich einen theoretischen Ausdruck zu schaffen. Die Wichtigkeit dieses Ausdrucks und seine Harmonie mit dem übrigen Erkenntnißstande des Geistes ist natürlich nicht gleich­ gültig; ja seine Bedeutung nimmt zu mit der Höhe, auf welche das religiöse Bewußtsein sich hinaufgearbeitet hat. Wie verwirrend muß es also sein, wenn der Geist sich eine Welt­ anschauung ausbildet, in welcher der theoretische Ausdruck der Religion als ein Fremdes steht, oder wenn der letztere zu

XIV

Consequenzen treibt, in welche sich das Bewußtsein vermöge seines sonstigen Geisteserwerbs schlechterdings nicht mehr finden kann. Daß die Religion kräftig sich erweise, dazu ist vor Allem nöthig, daß sie in organischem Zusammenhang mit dem übrigen Geistesleben stehe und ihr theoretischer Ausdruck aus der Gesammtheit der Erkenntniß herauswachse. Darum be­ dürfen wir einer Weltanschauung, welche nicht nur mit Reli­ gion überhaupt verträglich ist, sondern eine solche, welche zu ihr hinführt und der entsprechende Boden für Ausgestaltung unseres religiösen Bewußtseins sein kann. Für unsere protestantische Kirche ist mit dem vörigen Jahre eine neue Zeit angebrochen. Es ist ihr die Möglich­ keit eröffnet den Nothstall zu verlassen und über das Staats­ kirchenthum nicht bloß in der Theorie sondern in der Praxis hinauszurücken. Sie ist bisher nur sehr mangelhaft kirchen­ bildend wirksam gewesen, und was in dieser Beziehung ge­ worden ist, das war nur eine, allerdings von protestantischen Grundsätzen aus modisicirte, Uebertragung des katholischen Kirchenwesens, aber keineswegs eine reine Darstellung des im Protestantismus. gelegenen Kirchenprincips. Jetzt handelt es sich, und die Geschichte drängt unwiderstehlich darauf hin, um eine Neugestaltung des protestantischen Kirchenwesens im Geiste der freien Association und doch zugleich tut natur­ wüchsigen und geschichtlich gerechtfertigten Anschluß an die nationalen Lebensformen. Der Protestantenverein hat diese hohe Aufgabe klar erkannt und es ausgesprochen, daß er für Herausbildung einer deutsch - protestantischen National­ kirche wirke.

XV

Auch auf dieses Ziel hat die Gewinnung einer religiö­ sen Weltanschauung den innigsten Bezug. stantischer Kirchenbildung

hängt Alles

von

Denn bei prote­ dem lebendigen

Interesse der Glieder für kirchliche Dinge ab; aber kirchliches Interesse erwächst nur nachhaltig durch religiöse Gestaltung des Bewußtseins. Wir kennen ja recht wohl die Ursache des kirch­ lichen Jndifferentismus, des Sichfernhaltens von aller kirch­ lichen Bethätigung:

es ist die religiöse Kälte in Folge der

Nichtbefriedigung durch das kirchliche Leben und der Mangel an einer Weltanschauung, welche die Religion Lebenselement fordert.

als geistiges

Auch die Ueberwindung des trennen­

den Confessionalismus und Herstellung einer wahrhaften weit­ herzigen Union,

wie soll sie möglich sein ohne daß stch für

große Kreise eine ihrer selbst gewisse freudige religiöse Welt­ anschauung herausbildet, auf deren Grunde ein freieres reli­ giöses Bewußtsein sich ausgestalten kann? Es wäre dem Verfasser das Allertraurigste, sich sagen müßte,

wenn

er

er biete hier der Welt ganz Neues, das

bisher höchstens das Eigenthum Weniger gewesen wäre.

Er

stünde dann isolirt und könnte im besten Falle hoffen, einige Gesinnungsgenossen zu erwerben.

Aber auf ein Durchschla­

gen dessen, was er für wahr und der protestantischen Kirche ersprießlich hält,

zu hoffen

,Er freut sich daher der Dinge

wäre in diesem Falle Aberwitz.

der Gewißheit,

eine solche ist,

daß seine Anschauung

welche so zu sagen in der Luft

liegt und an welcher Tausende arbeiten, um sie zu klarem, in sich geschlossenem und harmonischem Bewußtsein zu bringen. Er weiß, daß es sich nur um das Ziehen des Facit handelt, auf

XVI

welches alle Faktoren der Zeitbildung hindrängen. So möge denn diese Blätter, welche dazu bestimmt sind, allenthalben schlummernde Gedanken zn wecken und zu klarem Bewußtsein zu erheben, Gottes Segen begleiten. Im Mai 1867.

Der Berfasser.

Einleitung. (§s wird dem Leser erwünscht sein, wenn zu leichterer Orientirung der folgenden Ansführung ein Einblick in den Standpunkt, welcher dem Gedankenzuge zu Grunde liegt, und ein Ueberblick über die Gedankenreihe, welche sich daraus erschließt, vorausgeschickt wird. Den Standpunkt zeichnet Gott."

der Titel:

„Gedanken

über Welt und

Er soll durch die Voranstellung der Welt vor Gott bemerk-

lich machen, daß das Buch von der Ueberzeugung beherrscht ist, es gebe für das menschliche Denken keinen andern Weg zu Gott, als den von der Welt aus, also den der Erfahrung.

Keineswegs gilt

dieser Weg dem Verfasser nur als der populärere, dem ein vor­ nehmerer, erst recht in die Mysterien des Wissens führender gegen­ überstände; er bekennt sich zu der Ansicht, daß es für alles Denken, auch für das der strengen Wissenschaft, nur Eine naturgemäße, sichere und fruchtbare Methode gebe, wo es nämlich gilt, nicht bereits ge­ wonnene Erkenntnisse systematisch darzustellen, sondern neue erst zu gewinnen oder der gewonnenen sich fester zu versichern.

Es ist die

Methode des AuSgehens vom Gegebenen, welche sich von hier aus rückwärts leiten läßt zu den Voraussetzungen und vorwärts zu den Consequenzen des Gegebenen. ihrem stolzen Namen

Die Spekulation „a priori“, die in

so recht ihren scholastischen, der Wirklichkeit

des Lebens entfremdeten Charakter vexräth, hat ihren Kredit mit Recht verloren

und

kursfähig zu sein.

seit einigen Jahrzehnten

allmählig aufgehört

Während sie den hohen Anspruch machte, eigent-

Spath, Welt und Gott.

1

2 lich allein das rechte Denken und Erkennen zu sein, beruhte ihr Verfahren auf einer reinen Selbsttäuschung: sie that als wenn der gegebene Stoff, dessen sie sich doch bedienen mußte, wenn sie nicht alles Inhalts baar sein sollte, ihr nicht gegeben wäre,- als ob sie ihn

erst aus

müßte.

dem reinen Denken schöpferisch hervorgehen lassen

Das war eine Scheinarbeit und konnte dem tieferen Ein­

dringen in die Dinge gewiß nicht förderlich sein.

Denn wenngleich

bei dieser Erkenntnißrichtung genialen Blicken der freieste Raum blieb, so öffnete sie nicht minder Thür und Thor allerlei Velleitäten und den kuriosesten Einfällen, wie man das nirgends besser sehen kann als an der Hegel'schen Philosophie, welche diese Methode des „reinen Denkens" mit der größten Energie, aber auch mit maaß­ loser Prätension durchgeführt hat. kennen« sind

vorüber und

werden

Jene Zeiten des absoluten Er­ nicht

wiederkehren.

Man ist

nüchtern geworden; selbst treuere Anhänger jener Philosophie haben dem stolzen Flug des idealistischen Gedankens entsagt und huldigen dem Empirismus. Unsere Zeit ist weit weg von den idealistischen Spekulationen. Um so mehr steht sie aber der Gefahr offen,' durch Ueberspannung des Empirismus schweren Schaden zu nehmen und die idealen Kräfte und Güter zu mißachten.

Jene Ueberspannung ist der Materialis­

mus, und ihm zu huldigen vermag das Buch bei aller Anerkennung seiner relativen Berechtigung ebensowenig. Der Materialismus sucht seine Gewißheit nur auf dem Sinnengebiet, dem der äußeren Er­ fahrung; darum erkennt er auch nur auf diesem Gebiet eine Rea­ lität und Substanzialität der Dinge an.

Wir kennen

auch

eine

innere Erfahrung, Thatsachen des Geistes, und von der Anerken­ nung ihrer Realität aus erschließt sich uns eine Geisteswelt, welche so wenig an substanziellem Wesen hinter der Sinnenwelt zurücksteht, daß diese ihr vielmehr nur zur Unterlage und Schaale dient.

Und

nicht nur der weitere Umfang des Erfahrungsgebietes scheidet uns von dem Materialismus, sondern auch ein kritischer Zug des Den­ kens.

Der Materialismus gibt sich unbesorgt den Sinneseindrücken

3 hin mit der vertrauensvollen Annahme, daß sie das Reale darbie­ ten.

Uns scheint gerade die Welt der Sinneseindriicke die am we­

nigsten faßbare und zuverlässige zu sein, so daß, wenn wir aus sie allein angewiesen wären, denken wäre.

an eine sichere Erkenntniß gar nicht zu

Aber was immer sich uns als Object der Erfahrung,

der äußeren oder der inneren, bieten mag, wir betrachten es zunächst nur als das Material für einen

sich selbst controlirenden Denk-

proceß, mittelst dessen uns dasselbe erst zur Erfahrung im vollen Sinne wird. Aus dem Gesagten erklärt sich nun auch der Gedankenzng, in welchem das Buch verläuft.

Von was anders kann es unter solchen

Voraussetzungen ausgehen,

als von dem, was dem Menschen am

nächsten liegt? Das ist doch wohl er selbst.

Wir sind also an die

Befolgung jenes uralten Weisheitsspruches gewiesen: erkenne dich selbst.

Wir müssen zuerst wissen, wer wir sind und wie sich die

verschiedenen Potenzen und Functionen, auf welchen jede Aeußerung unsrer selbst und auch unser Erkennen beruht, zu einander verhal­ ten.

ES gibt zwei Seiten unsres

menschlichen Wesens,

die

nur

allzuoft miteinander im Kampfe liegen und von denen wir doch das Gefühl haben, daß sie für eine gesunde geistige Thätigkeit unzertrenn­ lich und ergänzend zusammengehören,

Herz

und Verstand. —

Die Betrachtung dieser zwei Pole unsres geistigen Lebens wird uns einen Aufschluß desselben vermitteln.

Dies wird uns zu einer Un­

tersuchung dessen führen, was man als das eigentliche Wahrheits­ organ im Menschen anzusehen sich gewöhnt hat, der Vernunft. Wir betrachten uns dann das Wesen des Menschen in seiner Ein­ heit als Geist, als persönliches Wesen; und damit haben wir feste Position gewonnen für die Entscheidung der wichtigsten Fragen über Welt und Gott. Das Bisherige war aufzubauen auf Grund der Thatsachen un­ seres Selbstbewußtseins, welche wir die innere Erfahrung nennen. Aber diese schließt auch ein Wcltbewußtsein in sich, da wir niemals uns selbst wissen ohne Anderes,

das wir von uns unterscheiden,

4 als mitgesetzt zu finden.

Wir betrachten hievon zuerst dasjenige Stück

Welt, welches uns am nächsten angehört, unsern Leib, und zwar in seiner relativen Zugehörigkeit zu uns,

also

Seele

und Leib.

Der Leib aber stellt sich uns andererseits dar als ein Glied der Natur, des Reiches der unpersönlichen Weltwesen, durch deren Verständniß auch erst das Verständniß des Geistes wahrhaft aufge­ schlossen wird.

In Natur und Geist steht sofort vor uns eine

Fülle der mannigfaltigsten Lebensgestaltungen, welche sich nnS zu begreifen geben als Welt ganz es. Aber damit ist nur ein scheinbarer Abschluß erreicht. Forschen kann dabei nicht stehen bleiben.

Unser

Es drängt nach rückwärts

zu dem Lebensgrund, dem das Weltganze entstammt; es drängt über den vorliegenden Weltcomplex hinaus zum Weltziel, auf wel­ ches sich Alles hinbewegt.

Und diese Erkenntnisse führen uns mit

innerer Nothwendigkeit zu Gott als Weltcentrum.

Wir hoffen,

eS evident machen zu können, daß die Welt recht verständlich und eine Weltanschauung erst dann in sich geschlossen ist, wenn sie nicht als für sich gesetzt, sondern in der innigsten Beziehung zu Gott als ihrem persönlichen Mittelpunkt erscheint. Von uns selbst ausgehend wären wir so durch die Welt zu Gott gelangt.

Dies ist der Weg des Denkens.

Aber das Gottes­

bewußtsein ist gar nicht bloß Erzeugniß unserer Reflexion, sondern eS ist in uns schon früher vorhanden als ein auf dem Weg des Triebes entstandenes.

Wir sehen daraus, daß die bewußte Bezie­

hung deS Menschen zu Gott zum Wesen des Menschen gehört.

Dies

führt uns auf das Band zwischen Gott und Mensch, die Religion, welche sich als persönliche Beziehung von Geist zu Geist heraus­ stellen wird.

Im Eindringen in das Wesen der Religion wird der

Höhepunkt unserer Untersuchung liegen.

Aber noch in einer andern

Beziehung wird Gott in Berührung zu setzen sein mit der Mensch­ heit.

Diese ist ja eine sich zur Geistigkeit entwickelnde.

Was wäre

das, wenn wir darin nicht eine Verwirklichung der Idee, d. h. von Gedanken Gottes, die in eine Einheit der Vollendung zusammen-

5 laufen, vor uns hätten? schichte.

Darin sehen wir das Wesen der Ge­

Die Geschichte aber mit ihrem für unsere Sehweite end­

losen Werden und ihrem ununterbrochenen Wechsel der Personen, die ihr oft fast nur als Material zu dienen scheinen, führt uns vor das große Räthsel des Todes.

Und sollte es uns gelingen, dieses

Räthsel zu lösen, so werden wir vielleicht zugleich die Begründung einer auch durch den Tod nicht zerstörbaren Hoffnung finden, wo­ nach doch Jeden verlangt, so ungeheuchelt auch seine Resignation auf Alles, was jenseits des Grabes gesetzt zu werden pflegt, sein mag. Dies wäre die Anlage der Schrift.

Wie man sieht, will sie

sich auf die Grundzüge einer Weltanschauung beschränken. thut das in zweifacher Erwägung.

Sie

Sind doch gerade die Momente

der Weltanschauung so strittig geworden, daß die Gegensätze oft in Einem Individuum hart sich treffen und unvermittelt nebeneinander stehen.

Da scheint nun eine Darstellung, welche durch ihr organi­

sches Ineinandergreifen die Grundfragen unsers Denkens beleuchtet und zu weiterem Nachdenken reizt, ganz nöthig.

Soll aber diesem

Zweck nicht Eintrag geschehen, so darf das Interesse nicht zersplit­ tert werden;

dies aber würde unfehlbar geschehen durch Häufung

von Fragen, welche, je weiter sie von den dringendsten Problemen abstehen, um so eher verschiedene Auffassung zulassen.

Das Buch

will zu weiterer Prüfung und Anregung eben nur das besprechen, was für jeden Gebildeten zu den Lebensfragen gehört, und wovon Jeder fühlt, wie wesentlich eine entsprechende Lösung für sein sitt­ lich-religiöses Bedürfniß nicht minder als für das intellectuelle sei. Und innerhalb dieser Gränzen will der Verfasser nicht reden wie vom Dreifuß herab, zufrieden,

sondern wie ein Forschender für Forschende,

wenn er denen,

welche ernsthaft nach einer haltbaren

Ueberzeugung ringen, einige Anregung zu tieferer Selbstbesinnung bieten darf.

Erster Abschnitt.

Herz und Verstand.

Es gibt eine Menge von Fragen, die wir bloß mit unserm Verstände abzumachen haben. uns kommen, dung.

Wir nehmen die Dinge, wie sie an

und treffen in logischer Consequenz unsere Entschei­

Es gibt also ein Gebiet unsres Denkens, auf dem man von

Alleinherrschaft des Verstandes reden kann,

sofern Nichts in uns

darauf Anspruch macht, das Denken in seinem Resultate zu bestim­ men.

Unser Interesse geht dabei in der logischen Consequenz auf;

mag daS Resultat unsres Denkens so oder so sein, wir sind befrie­ digt, wenn wir es nur als correcteS Produkt unsres Verstandes er­ kennen.

Sehen wir nun aber zu, auf welchem Gebiete unser Ver­

stand so unbestritten die Alleinherrschaft übt, so finden wir, daß es da am meisten der Fall ist, wo der Gegenstand, um den es sich handelt, sich zu unserer geistigen Existenz rein peripherisch verhält. Anders verhält es sich, wo die höheren Interessen der Menschheit in Frage kommen.

Da erkennen wir noch eine andere Macht als

berechtigt an, auf die Entscheidung von Einfluß zu sein. In Allem, was in das sittliche und religiöse Gebiet einschlägt, überlassen wir, sei's bewußt sei's unbewußt, das letzte Wort nicht der Instanz des Verstandes; hier sind wir mit der logischen Consequenz nicht zufrie­ den. Es zeigt sich dies vor Allem da, wo es sich um ein praktisches Verhalten handelt; denn die weitere Instanz,

welche sich geltend

macht, gibt meist den Ausschlag, und dem Verstand bleibt oft nichts

7 übrig als einen unmächtigen Protest zu erheben.

Jedoch auch wo

es sich nur um ein theoretisches Urtheil in sittlichen und religiösen Dingen handelt,

wo also daS Interesse des Verstandes das herr­

schende zu.sein scheint, macht eine andere Instanz darauf Anspruch beachtet zn werden;

und wo sie nicht beachtet wird, da bringt der

Verstand nicht mehr als ein Zerrbild zuwege. Die Instanz, von welcher wir reden, ist eine dunkle Macht; denn sie reicht zwar, so zu sagen, mit ihren Spitzen in das Licht des Bewußtseins herein, aber sie reicht auch weit hinter das Bewußtsein zurück.

Gerade ihre allmählige Erhebung in das Licht des vollen

Selbstbewußtseins ist ein Hauptmoment der menschlichen Entwicke­ lung. Ihre Bezeichnung prägt' daher dieser Macht bald weniger bald mehr den Charakter des Wissens auf.

Wir nennen sie bald Ge­

müth, bald das sittliche und religiöse Gefühl, bald Gewissen, bald das sittliche Bewußtsein. Das Bezeichnete ist in allen diesen Aus­ drücken dasselbe; was sie unterscheidet, das ist nur der verschiedene Grad des Bewußtseins, in welchem das Bezeichnete aufgefaßt wird. Da es unö von Werth ist, diese Macht in ihrer Reinheit zu be­ greifen und deßwegen das erst in ihrer Entwicklung hervortretende begleitende Moment der Bewußtheit fernzuhalten, so wollen wir der­ selben einen neuen und doch nicht neuen Namen geben, der, wie uns scheint, schon lange auf eine bessere psychologische Verwerthung war­ tet.

Wir wollen jene Macht das Herz nennen und sagen:

das

Herz ist für alle Fragen des sittlich-religiösen Gebiets die Instanz, ohne welche der Verstand zur Entscheidung incompetent ist, weil er durch Beiseitesetzung derselben die eigentliche Urquelle aller sittlichen und religiösen Erkenntniß im Menschen verleugnet. Herz und Verstand sind darum auch von jeher in allen sittli­ chen und religiösen Angelegenheiten zugleich wirksam gewesen; nur wirkten sie meist vorzugsweise instinktiv.

Denn so lange der mensch­

liche Geist sich seines Gehaltes als eines ihm eingebornen noch nicht bewußt ist, sondern noch naiv hingegeben an die das Leben beherr­ schenden sittlichen Mächte und Ordnungen als von außen kommende.

8



so lange kann sich die Frage nach den letzten Quellen der Erkennt­ niß im Subject gar nicht erheben.

Vielmehr ist diese Frage erst

Produkt eines langen Entwickelungsprocesses, innerhalb dessen der Geist die schwere Arbeit einer immer gründlicheren Reflexion in sich vollzieht.

Stellt sich aber die Frage nach den Quellen der Erkennt­

niß einmal ein, so ist es natürlich, daß der Geist in sich dasjenige zuerst wahrnimmt, was ihm als bewußte Thätigkeit entgegentritt, die Thätigkeit des Verstandes.

Darum hat auch,

wo immer die Re­

flexion ihre Periode begann, jene einseitig verständige und nichts als verständig sein wollende Richtung sich geltend gemacht, mit Rationalismus

zu bezeichnen pflegen.

welche wir

Die Einseitigkeit aber,

welche so ein Gebiet schädigte, welches nur unter einem Condominat stehen sollte, weckte immer auch die Reaktion. Es regte sich dagegen das Herz, meist mit der ebenso einseitigen Prätension, dem Ver­ stände sein Recht

auf das gemeinsame Gebiet ganz

abzusprechen.

So stehen die beiden Faktoren, Herz und Verstand, vielfach in sehr gespanntem Verhältniß zu einander, und wie Mancher hat schon an der Möglichkeit einer Versöhnung beider verzweifelt, mit dem Kopf ein Heide, mit dem Herzen ein Christ!

Wie viele unhaltbare Com-

promisse sind auch schon geschlossen worden, welche den Frieden zwar in Aussicht stellten, aber nicht brachten.

Und doch kann unser Geist

nicht zur Ruhe kommen, sofern diese beiden Faktoren einander nicht verstehen und nicht in die Hände arbeiten. Es ist sofort unsre Aufgabe, uns über die Art und das gegen­ seitige Verhältniß von beiden Instanzen klar zu werden und ihre Zusammengehörigkeit für alle Fragen von sittlich-religiöser Natur zu erkennen.

Diese Erkenntniß ist für uns nach dem heutigen Stand

der geistigen Entwickelung, insbesondere innerhalb des Protestantis­ mus mit seinem Reflexionsstandpunkte, geradezu ein sittliches Be­ dürfniß und unerläßlich, wenn wir zu einer selbständigen gegründe­ ten Weltanschauung durchdringen wollen.

Denn zu allererst müssen

wir in uns selbst orientirt sein, und es muß uns der Blick für den Reichthum der inneren Welt aufgehen, wenn wir nicht in der äuße-

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rett Welt uns verlieren und mit einem Verzicht auf alles Weltver­ ständniß enden wollen. Das Herz, was ist es uns? Wie schon gesagt, etwas, von dem nur die Spitzen in . die Region des Bewußtseins hineinreichen. Ja das Herz ist eben der innerste, tiefste Grund alles Geisteslebens, aus welchem auch das Bewußtsein erst hervorbricht. Wir berufen uns damit auf eine zwar sehr naheliegende, aber nicht genug an­ erkannte Wahrheit, daß nämlich unsere geistige Existenz nicht aufgeht in der Form des Bewußtseins, daß vielmehr immer nur ein kleiner Theil unsres Geistwesens vom Licht des Bewußtseins beschienen wird. An jedem Kinde sehen wir, daß die Entfaltung des Bewußt­ seins nicht gleichen Schritt hält mit der Entwicklung des Geistwesens selbst, und daß die Realität der geistigen Existenz dem Bewußtsein vorangeht. Betrachten wir unser Bewußtsein nach der formalen Seite, so sehen wir es keineswegs überall von gleicher Intensivität; wir kennen eine Stufenleiter vom schlummernden Bewußtsein an bis zum hellsten Selbstbewußtsein und wissen, daß diese Zustände bei einem und demselben Menschen einander ablösen können, während der Geistesgrund derselbe bleibt. Ebenso mannigfaltig finden wir das Bewußtsein nach seinem Inhalt, nicht nur daß der Inhalt bei jedem Menschen ein beständig wechselnder ist, sich vergrößert und verkleinert, sondern er trägt auch bei Jedem wieder einen ganz in­ dividuellen Habitus. Es bleibt Nichts übrig, als das Bewußtsein als eine bloße Bestimmtheit unserer Geistesnatur zu erkennen, welche sich zu erschließen ihr allerdings wesentlich ist, zu welcher sie sich aber nur allmählig durcharbeitet und zwar nach bestimmten Gesetzen, bettn wir uns erst hinterdrein bewußt werden. Wir haben unsern Geist als einen nur theilweise zu sich gekommenen zu. be­ trachten, und das um so mehr, als unser Bewußtsein in seiner gan­ zen Gestaltung selbst von den körperlichen Zuständen mit bedingt ist. Ja selbst unser hellstes und lebendigstes Selbstbewußtsein können wir nur für unvollkommenes Zusichselbstkommen ansehen; denn es beleuchtet feinen Inhalt als einen dem Ich ungehörigen, es kennt

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ihn in seiner persönlichen Bezogenheit, aber dieses Kennen ist noch kein Durchdringen. Das aber wäre erst das volle Selbstbewußtsein, wenn der Geist seines ganzen Inhalts als eines ihm angehörigen auch vollständig mächtig wäre. Zu dem Bewußtsein hat nun freilich das Herz eine enge Be­ ziehung. Wie die Pflanze dem Licht entgegendrängt und ihr Wachs­ thum wesentlich durch diesen Lichttrieb bedingt ist, so drängt das Herz dem Bewußtwerdcn entgegen. Ohne das müßte sein Inhalt bei allem Lebensreichthum todt liegen. Aber das Bewußtwerden ist erst in der weiteren Entwicklung eine für das Herz wesentliche Er­ scheinung. Somit ist uns das Herz das über alle bewußte Geistes­ bethätigungen Zurückliegende und zugleich sie Bedingende, die Sub­ stanz des Geistes selbst, die eigentliche Quelle unsres gesammten Geisteslebens, wie es sich in den verschiedenen Funktionen ausbreitet. Wir führen auf das Herz als ans seine Wurzel den gesammten Reichthum der geistigen Bethätigungen zurück, nicht etwa bloß, woran man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch am meisten denkt, die Gefühlserscheinungen, vielmehr nicht minder die des Willens und die intellektuellen. Das Herz ist uns jedoch nicht ein bloßes Quantum von Anlagen und Kräften, sondern zugleich ein individuell gestalten­ des Princip, die Anlage zu einer bestimmten sittlichen Existenz, zur Persönlichkeit. Es wäre demnach das Herz zu fassen als der Keim­ punkt, in welchem die Ausgänge unserer gesammten Geisteswelt be­ schlossen liegen, und welcher weit mehr in sich birgt, als irgend ein Mensch im Verlauf seines zeitlichen Lebens zur Wirklichkeit und zum Bewußtsein bringt. Für diesen Begriffsinhalt paßt nun der Ausdruck Herz treff­ lich. Er ist ohnehin, besonders in unserer deutschen Sprache,' seit uralter Zeit zur Bezeichnung des Innersten und zugleich Ursprüng­ lichen am Menschen gestempelt. Man pflegt damit dasjenige zu be­ zeichnen, worin ein Mensch sein eigenstes Eigenthum, sein Selbst zu fühlen bekommt und was über sein jeweiliges Wollen und Wissen zurückliegt. Es gilt also bloß, dem was die Sprache in ihrem Tief-

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sinn mehr ahnend in dies Wort gelegt hat, zum vollen Bewußtsein zu verhelfen. Beachten wir auch das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung. Das Herz als Organ des LeibeS ist ber bewegende Mittelpunkt des leiblichen Lebens; von ihm geht der Kreislauf des BluteS aus, des Stoffes, welcher das Feuer auf dem Lebensheerde erhält und nährt. Im geistigen Leben gibt eö nun freilich kein ein­ zelnes Organ, dem eine analoge Thätigkeit zukäme; hingegen muß unsrem Geistwesen ein ähnlicher Umlauf zugeschrieben werden; und sofern wir genöthigt sind, auch für unser geistiges Leben ein Centrum zu setzen, aus dem es seinen Kräftebedarf ergänzt, so nennen wir in analoger Weise unsre geistige Natur, diese individuell angelegte Substanzialität, das Herz. Und es waltet hier mehr als bloße Analogie. Was hat denn die Sprache geleitet, das Wort Herz für die geistige Sphäre in Anspruch zu nehmen? Nichts Anderes als der. unleugbare Zusammenhang zwischen dem leiblichen Herzorgan und geistigen Vorgängen, insbesondere den Affekten. Gerade dieje­ nigen Erregungen, welche das geistige Leben im Innersten treffen, verleugnen auch ihren Einfluß auf das Centrum des leiblichen Lebens nicht. Bei dem auffallenden Zusammenhang zwischen tiefgehenden geistigen Erregungen und der Erregung des leiblichen Herzorgans ist eö kein Wunder, daß der Ausdruck Herz in eine vergeistigte Bedeu­ tung übergipg. Wenn wir nun dem Herzen die Bedeutung beilegen, daß es auf dem Gebiete des sittlich-religiösen Lebens eine Instanz sei für das Erkennen wie für die Bethätigung, so wird das bei so eben gegebener Fassung Niemanden verwundern; denn je mehr ein Thun unS als Persönlichkeiten, also eben in sittlicher und religiöser Be­ ziehung, in Anspruch nimmt, um so näher wird es unser geistiges Wesen in seinem. eigentlichen Quellpunkt berühren. Es ist eine durchaus verkehrte Meinung, daß das Herz erst da seine Stimme abgeben dürfe, wo der Verstand zum Schweigen verurtheilt sei. Das Herz ist nichts weniger als die Gränze des Erkennend, viel-

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mehr ist es für den ganzen Umfang unsres geistigen Lebens wie die ursprünglichste Basis so die eigentliche Erkenntnißquelle. Nur Eine Schwierigkeit erhebt sich, die aber Alles wieder in Frage zu stellen droht. Wie? wenn man dem Herzen nicht so recht auf die Spur kommen könnte, wenn es in unerreichbarer Tiefe unter dem bewegten Wasserspiegel still verborgen läge und sich jeder Sondirung entzöge? Dann wäre es freilich keine Instanz für unser Er­ kennen, auch wenn es im Rücken des Bewußtseins noch so bedeutend auf die Gestaltung unsres Geisteslebens einwirken würde. Die Schwierigkeit hebt sich einfach genug. ES ist mit dem Herzen wie mit dem Leben. Wer dieses hinter den Lebeuserweisungen suchen wollte statt in ihnen, der würde vergeblich sich umschauen; aber in ihnen bietet es sich ihm zum Fassen. So ist auch das Herz nur in den Geisteserweisungen zu suchen; da müssen wir es finden, weil es sich da bethätigt. Es tritt noch ein zweites Bedenken an uns heran. Wir haben das Herz als den individuell angelegten Geistesgrund gefaßt. Wir müssen daraus wohl schließen, daß, wenn auch das Herz immer­ hin ein generelles und durch die ganze Menschheit gleiches Element an sich hat, eS doch als Keimpunkt eines individuellen Geisteslebens eigenartig, somit kein Herz dem andern von Haus aus gleich sein werde. Zu der Ungleichheit von Haus aus kommt abxr noch eine weitere. Das Herz ist ja in die geschichtliche Bewegung hineinge­ zogen, so daß jede Erweisung des Geisteslebens auch wieder auf das Herz gestaltend zurückwirkt. Und wie das Geistesleben des Einzel­ nen, so kann auch das geistige Gesammtleben, wie es sich in der menschlichen Gesellschaft entwickelt, nicht ohne Einwirkung auf diese Grundlage alles geistigen Lebens bleiben. Das Herz wird sich also in Jedem verändern durch die ganze Menge von Einflüssen, in welche er sich hineingestellt sieht. Wollen wir nun das Herz zu einer Instanz für das Erkennen machen, laufen wir da nicht Ge­ fahr, daß wir an einen Proteus appelliren, welcher in Jedem wieder andere Gestalt und andere Sprache führt? Auch hier ist Rath. Es

13 ist mit diesen Veränderungen des Herzens wie mit den Naturerschei­ nungen, welche die Gesetze der Natur nicht durchbrechen, sondern nur kraft ihrer und innerhalb ihrer erfolgen können.

So sind die

Grundzüge der göttlichen Anlage im Herzen immer wieder erkenn­ bar, wie sie sich auch immer geltend machen.

Der Verstand kann

auch hier sein Amt üben, das Generelle von dem Individuellen zu sondern; und die Verbildungen treiben nur um so stärker, die nor­ male Grnndgestalt des Herzens aufzusuchen.

Es wird also dabei

bleiben, daß das Herz, welches wir als den Keimpunkt unsres gei­ stigen Lebens erkannt haben, auch zum Schlüssel werden muß für rechte Erkenntniß desselben. Zu weiterer Erläuterung wird es zweckmäßig sein, das Verhält­ niß des Herzens zu den einzelnen Thätigkeiten des Geistes, wie sie in das Bewußtsein fallen, darzustellen. Die augenfälligste Beziehung hat das Herz zum Gefühl, wie schon der gewöhnliche Sprachgebrauch zeigt, der das Herz als den Sitz des Gefühls zu behandeln pflegt. -Wir müssen freilich diese populäre Vorstellung fahren lassen und können uns das Gefühl nicht in engerer Beziehung zum Herzen denken als die andern Funktionen des Geistes. rücken.

Herz und Gefühl sind etwas weiter auseinanderzu­

Denn während das Herz das ist, was allem Bewußtsein zn

Gründe liegt und vorangeht, ist das Gefühl eine Wirkung des Selbst­ bewußtseins. Gefühl (im geistigen Sinne) hat Niemand ohne mittelst des Selbstbewußtseins und als dessen Begleiter. Es ist wichtig, sich vor dem Zusammenwerfen des Gefühls mit dem Herzen zu hüten. Denn wollte man die Stimme des Gefühls als die Stimme des Herzens für das Erkennen verwenden, so wäre das ein verhängnißvoller Schritt. Das Gefühl ist das unmittelbare Innewerden eines Eindrucks auf unsern Geist unter dem Gegensatz des Angenehmen und Unangenehmen, wobei wir uns zunächst nicht des Eindrucks nach seinem objectiven Wesen bewußt, vielmehr nur unser selbst als in einem bestimmten zufälligen Zustand Befindlicher inne werden. Darum tragen Gefühle eine Seite der Zufälligkeit und Unzuverlässigkeit an

14 sich, welche sie unfähig machen, für uns eine Instanz zu sein auf den wichtigsten Gebieten des Lebens.

Sich auf wechselnde Gefühle

berufen, welche je nach der Individualität und ihren jeweiligen Zu­ ständen anders sein müssen, käme einem völligen Verzicht ans objek­ tives Erkennen gleich, und ein unbeschränkter Subjektivismus würde damit auf den Thron gesetzt.

Es könnte auch von objektiven prakti­

schen Zielen, die das sittlich-religiöse Gebiet beherrschen, nicht weiter die Rede sein. So wenig wir aber daran denken dürfen, das Herz im Ge­ fühl aufgehen zu lassen, so wenig können wir den Zusammenhang beider übersehen.

Was ist denn der Inhalt unsrer Gefühle anders,

als das Ergebniß des Zusammenhangs

unsres bewußten Geistes­

lebens und Geistesinhalts mit unsrer Geistesnatur, also mit dem Herzen und seinen Bedürfnissen?

Weil sich dieser Zusammenhang

so unmittelbar aufdrängt, haben unsre Gefühle den Charakter des Unwillkürlichen, und vermöge des Unwillkürlichen ist das Gefühl der beständige Motor, so zu sagen der Pendelschwung, der das Herz in Bewegung erhält und sein triebartiges Eingreifen in die freibe­ wußten Funktionen der Selbstbestimmung und des Erkennend ver­ mittelt. Zu den beiden eben genannten Funktionen steht aber das Herz nicht bloß in Beziehung mittelst des Gefühls.

Vielmehr was den

Willen betrifft, so ist zwar seine unmittelbare Beziehung eine dem einfachen Bewußtsein zurücktretende, dennoch aber leicht aufzuzeigen. Der WillenSakt läßt sich in zweifacher Weise betrachten.

Er ist

einerseits zu betrachten als Handlung, als Produkt des Geistes, so­ fern er seiner selbst bewußt und seiner selbst mächtig ist, also einer Persönllchkeit.

Unter diesem Gesichtspunkte ist man gewohnt, die

Willensthätigkeit zu betrachten.

Bleibt man aber hiebei stehen, so

erscheint jeder Willensakt als ein Erzeugniß persönlicher Willkür; denn die Willensregung erscheint so von allem Naturgrund losge­ rissen.

Wir sind also auf eine andere Seite des menschlichen Wil­

lens hingewiesen.

Jeder Willensakt hat auch eine Parallele mit den

15 Wirkungen in der Natur. Kraft.

Wie diese, ist auch er das Produkt einer

Wenn aber diese nicht in der Luft stehen soll, so müssen

wir sie unsrer Geistesnatur zuschreiben. .In dieser Beziehung, in Parallele mit den Naturwirknngen,

ist also jeder Willensakt aus

dem Quell des Herzens herzuleiten.

Und zwar wird er von daher

sowohl seine bestimmte Richtung als auch seine Jntensivität haben: der Wille des Menschen wird nichts Anderes und nicht mehr ver­ mögen als im Schatz deö Herzens bei ihm angelegt ist. Der Wille, wenn auch in vollem Bewußtsein sich bestimmend, kann sich gar nicht von seinem Geistesgrunde lösen; er kann sich nur ans verschiedene, also auch auf falsche und verkehrte Weise in Bewegung setzen und dadurch den natürlichen Geistesfonds mißbrauchen.

Dann wird er

im Mißbrauch seiner Potenz begriffen seine höhere Bestimmung ver­ leugnen. Aber auch so noch wird, was er vollbringt, das Böse nicht ein beliebiges, sondern ein durch seine Anlage bedingtes Böse sein, eben nur ein Zerrbild des Guten, dessen Verwirklichung innerhalb der Befähigung dieser individuell bestimmten Geistesnatur lag. Am fernsten scheint dem Herzen der Verstand zu stehen, ja er scheint ganz unabhängig von ihm zu sein, da seine kalten und schnei­ denden Resultate so oft dem verborgenen Zug wie dem offenba­ ren Begehren des Herzens unleugbar schnurgerade entgegen sind. Man muß sich aber hüten, daraus einen zu weitgreifenden Schluß zu ziehen.

Es ist wahr, der Verstand setzt sich oft in Opposition

gegen das Herz; vermag er aber nicht auch das Gegentheil?

Dar­

aus folgt, daß der Widerspruch zwischen Verstand und Herz nicht im Wesen des Verstandes seinen Grund hat, so wenig als in dem des Herzens. Vielmehr wie das Herz einen Zug hat -dem Licht des vollen Bewußtseins entgegen, sich also dem Verstand nicht verschlie­ ßen kann, so hat auch der Verstand das Bedürfniß, sich in die Tiefe deö geistigen Lebens zu versenken; ist nun das Herz die Grundlage unsrer geistigen Existenz, so muß auch der Verstand, welcher als Potenz gedacht im Herzen so zu sagen schlummert, jene Grundlage

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in ihrer ganzen Bedeutung anerkennen, wenn er nicht selbstmörde­ risch zu Werke gehen will. Besehen wir uns den Verstand oder seine Funktion, das Denken, näher. Seine Aufgabe ist, und durch seine Arbeit die Dinge in objektiver ungetrübter Auffassung vor das Bewußtsein zu führen; ihr Gedankengehalt soll durch ihn dem Subjekt zum angeeigneten Objekte werden. Dazu genügt nicht, daß gewisse logische Operationen applicirt, daß die Denkgesetze und Kategorien auf den Gegenstand ange­ wandt werden, sondern wir müssen uns zu den Dingen in eine solche Beziehung setzen, daß uns die Dinge ihr'Inneres ausschließen. Unser Denken muß in die kogik der Dinge eingehen, statt sie nur mit den Fäden der eigenen zu umspinnen. An ein Begreifen der Dinge wäre nicht zu denken, wenn diese nicht ihren Gedankengehalt in sich trügen, wenn sie etwas Anderes wären als realisirte Ge­ danken. Zu solcher Objektivität kann aber das Denken nicht sich durcharbeiten ohne ein kritisches Element. Denn der Denkproceß wird immer zu bloß subjektiver Auffassung führen, wo der Verstand nicht sich selbst controlirt und mit aller Strenge das Subjektive und das Objektive auseinanderhält. Durch diese Strenge unterscheidet sich das ernste und eigentliche Denken von dem phantasirenden. Es räumt auf mit unberechtigten Meinungen, mit den Gebilden der Phantasie, welche das Wesen der Sache nur sehr getrübt wieder­ geben. Der Charakter des Denkens erscheint daher dem Geiste, welcher noch mit der Phantasie arbeitet, als ein negativer und zer­ störender. In Wahrheit aber ist der Verstand nichts weniger als eine rein verneinende Macht: sein Verneinen ist nur das Mittel zum rechten Bejahen. Denn sein positives Ziel ist ein reines Er­ fassen der Dinge und ein Zurückgehen auf Gründe, welche nicht erst wir an die Sache bringen, sondern welche sich erweisen als in der Sache selbst liegend. Es erklärt sich leicht, wie der Verstand so häufig scheel ange­ sehen wird. Er erscheint und wird gefürchtet als der herzlose, dessen Stärke nur in der Verneinung besteht und unter dessen anatomischen

17 Messern auch das Heiligste verblutet. Denn leicht schlägt das isolirte Verstandsinteresse solche Wege ein, denen der gemachte Vor­ wurf in vollem Maaße gilt. Oft aber geht die Klage auch ganz unberechtigter Weise von denen aus, welche an Gestaltungen unsrer Gedankenwelt hängen, die dem unvermeidlichen Untergang verfallen sind. Spannung zwischen Herz und Verstand ist allenthalben reich­ lich vorhanden, ohne daß wir berechtigt wären, die Schuld von vorn herein dem Verstände zuzuschieben. Da gilt es also einen ernsten Proceß zu führen und ihn so zu führen, daß beide gewinnen; er muß endigen mit einer vollständigen Versöhnung. Es ist dieser Proceß eines der wesentlichsten Momente in der geistigen Entwicke­ lung der Menschheit überhaupt; aber er ist auch keinem Einzelnen ganz zu erlassen, wenn er an der Geistesentwicklung im Großen seinen Antheil behaupten will. Kaum jedoch dürfte es eine Zeit gegeben haben, in welcher dieser Kampf und dieses Bedürfniß nach Versöhnung, wie man es gewöhnlich ausdrückt, von Glauben und Wissen so fühlbar gewesen wäre als in der Gegenwart. Denn der Fortschritt des Reflexionsprocesses bringt es mit sich, daß das bloß instinctive Wachsen und das Gehaltenwerden der Einzelnen durch die Herrschaft des Gesammtlebens, wie es sich in der Ueberlieferung ausprägt, immer mehr zurücktritt und einem freibewußten, persönlich zu erringenden Geistesleben Platz macht. Sollen wir das als grundverderbliche Anmaaßung, als frechen Abfall vom sichern gebahnten Weg, der zur Wahrheit und zum Frieden des Herzens führt, betrachten? Es ist uns vielmehr eine nothwendige, also gottgeordnete Folge der geschichtlichen Entwicklung. Wir wissen zwar wohl, daß große Fehltritte auf dem Weg zur geistigen Freiheit geschehen können und Aergernisse nicht ausbleiben, aber auch, daß der Kampf, wohlgeführt, immer nur zu einem für unsre höchsten Interessen neue Bahnen brechenden Siege führen wird.

Zweiter Abschnitt.

D i e Vernunft. Leicht möchte sich einem Leser die Frage aufgedrängt haben, wo denn die Vernunft bleibe, und wie man doch zur Grundlegung für die wichtigsten Probleme des menschlichen Geistes von den dem Geist immanenten Erkenntnißquellen reden könne, ohne der Vernunft auch nur mit einem Worte ju gedenken.

Ist es doch zum modernen

Glaubenssatz geworden, daß eben die Vernunft die eigentliche Quelle unserer Erkenntnisse sei, soweit sie die höchsten Interessen unseres Geistes betreffen.

Auch wir theilen der Sache nach diesen Glauben,

wenn wir gleich der Ansicht sind, daß die Sache einer präciseren Fassung bedürftig sei.

Nichts liegt uns ferner,

als die Vernunft

herabsetzen und ihre Bedeutung auf ein Minimum beschränken zu wollen; vielmehr hoffen wir, ihre Bedeutung auf einem bisher nicht betretenen Wege erst recht aufzuzeigen. Die Vernunft soll nicht vergessen werden. Aber mit ihr zu begin­ nen, schien nicht rathsam.

Ist es doch nicht zu leugnen, daß dieser

Begriff durch allzu mannigfaltigen Gebrauch sehr unbestimmt und viel­ deutig geworden ist und dadurch den Gegnern des Vernunftstandpunktes manche Waffe in die Hand gegeben wurde.

Es sei zum Belege nur

darauf verwiesen, daß die Einen unter-Vernunft ein praktisches Ver­ mögen, nämlich die Quelle der Sittlichkeit und der sittlichen Begriffe und Forderungen,

etwa auch noch

die Quelle der Religion ver-

19 stehen, die Andern sie als theoretisches Vermögen, und zwar wieder ein Theil als Schlußvermögen im Sinne der formalen Logik, ein Theil als die Quelle der $been im platonischen Sinn auffassen, wieder Andere aber der Vernunft Beides zuschreiben, in welchem Falle der Begriff mit dem Begriff des Geistes fast zusammenfällt. Man hat darum auch schon Anstand genommen, sich des Begriffs in psychologischen Erörterungen zu bedienen, und es mag nach übermäßig vielem Gebrauch dort von Vortheil sein, sich seiner eine Zeit lang zu entschlagen.

Wir in unsrem Fall können es nicht umgehen, von

der Vernunft zu reden, da unser Gegenständ als Domäne der Ver­ nunft betrachtet zu werden pflegt. Allein wir würden ohnehin glau­ ben, durch PreiSgebung dieses Begriffs einen schweren Verlust zu erleiden.

Denn er ist zu betrachten als eine Errungenschaft, und

faßt in sich ein gutes Theil der modernen Geistesarbeit. Wir haben schon das Wort zu schätzen, welches unser deutscher Sprachgeist als ein köstliches Zeugniß feines Tiefsinns geschaffen hat; denn er ver­ dankt seine Entstehung dem Vernehmen, dem Wahrnehmen der Ver­ nünftigkeit der Welt, ist also selber ein im frischen Geistesleben er­ wachsenes Erzeugniß der vernommenen Weltvernunft. höher noch haben wir diesen Terminus zu schätzen,

Aber weit weil er eine

reiche und kampfbewegte Geschichte hinter sich und die Geschichte ihm fein- Gepräge gegeben hat.

Wenn auch die Vieldeutigkeit hinsichtlich

der Vernunft noch weit größer wäre, als sie es in Wahrheit ist, so könnten wir den Gebrauch des Terminus doch nicht verbannen; denn er hat sich zu tief in die Geschichte unsres deutschen Genius eingelebt, als -daß wir ihn

noch entbehren könnten.

Auch seine

Feinde vermöchten es mit dem besten Willen nicht, ihn todtzuschwei­ gen.

Es ist ja eine der würdigsten und zugleich fruchtbarsten Auf­

gaben des historischen Blickes, den oft mehr instinktiv als hellbewußt zu Werke gehenden Geist in den Produkten der Geschichte zu deuten und ihm zu einem klaren und sicheren Ausdruck zn verhelfen. Die Vernunft ist seit dem Abblühen des Rationalismus etwas in Verruf gekommen, und es gehört in manchen Kreisen zum guten

20 Ton, auf sie vornehm herabzusehen um ihrer Blindheit willen oder sie zu verlästern als die Erzketzerin. Zu diesem Scherbengericht über die Vernunft ist kein Grund vorhanden, da sie nicht verantwortlich gemacht werden kann für ihren Mißbrauch und für ihren mangel­ haften Gebrauch.

UebrigenS ist jene rationalistische Periode, welche

die Antipathie hervorgerufen hat, bei allen ihren Schwächen doch noch weit höher anzuschlagen als der reaktionäre Antirationalismus, der sich so viel auf Entwerthung der Vernunft zugute thut.

Ich

wage das zu behaupten nicht nur in kulturgeschichtlicher Hinsicht, sondern auch in religiöser Beziehung, in welch letzterer der Ratio­ nalismus so häufig nur als ein böser Thau angesehen wird, der auf die Pflanzen Gottes gefallen sei und alles Leben ertödtet habe. Denn obgleich das Interesse des Rationalismus vorzugsweise ein intellektuelles, nicht ein religiöses war, so ist doch das freie Ge­ währenlassen des intellektuellen Interesses gekommen,

dem

religiösen

zugute

weil dadurch nach heftiger Spannung eine temporäre

Versöhnung eintrat; wozu noch kommt, daß der Rationalismus die Religion fast ganz von der praktischen Seite auffaßte. Ohne Zweifel hat an ächter, lebendiger Frömmigkeit die rationalistische Zeit der nachfolgenden Restaurationsperiode im Allgemeinen nicht nachgestan­ den, wenn sie auch weniger Profeß davon gemacht hat und mehr das Gewand der Menschlichkeit als der specifischen Kirchlichkeit trug. An reellem Gedankengehalt aber läßt der Rationalismus trotz seiner Dürftigkeit seinen scheinbar so reichen Gegner weit hinter sich; und wenn dieser ihm mit Hohn gewisse Plattheiten und Lächerlichkeiten vorrückte, so that er es nur unter dem schinerzlichen Gefühl, daß der Rationalismus ein so scharfes Auge für seine Undenkbarkeiten hatte. UebrigenS liegt für uns die hohe geschichtliche Bedeutung deS Ra­ tionalismus gar nicht in seinen Resultaten für die Weltanschauung; er bewegte sich in einem uns nicht mehr genießbaren Pragmatismus. Vielmehr besteht seine Bedeutung in der bewußten Absicht, der Ver­ nunft zu ihrem Rechte zu verhelfen,

ihr auch für die höchsten Ge­

biete deS menschlichen Lebens die Herrschaft zu erkämpfen.

Da wir

21 hierin einen Zug der neuen Zeit überhaupt zu erkennen haben, so können wir an der Aufgabe nicht vorüber, dem, wonach das Losungs­ wort V rnunft von jener Zeit an ringt und zielt, die Deutung zu geben, welche dem seitherigen Gang der Geschichte deS Geistes ent­ spricht, wie sie uns durch denselben erst ermöglicht ist. Ehe wir daher das Wesen der Vernunft zu entwickeln unter­ nehmen, sei in kurzen Zügen die hohe Bedeutung deS Kampfes für die Vernunft, der eine ganz neue Phase' in der Entwicklung des menschlichen Geistes bezeichnet, dargestellt. Der Kampf für die Vernunft ist nämlich ein Charakterzug der neuen Zeit, wodurch sie sich gegen das Mittelalter abgränzt, dessen Grundzug vielmehr Beugung unter die Autorität ist.

Wir finden

daher jenen Kampf nicht mehr sporadisch, sondern als einen das allgemeine Interesse in Anspruch nehmenden, und soweit nicht das Mittelalter noch petrefaktenartig in die Gegenwart herein sich er­ halten hat, zieht sich die Tendenz, der. Vernunft Raum zu schaffen, durch alle Gebiete des geistigen Lebens hindurch.

Sein Beginn ist

kein anderer, als die Reformation, daher auch der Schauplatz seines Verlaufes vorzugsweise die protestantische Welt.

Es ist das wohl

zu merken: da wo das religiöse und sittliche Interesse der Mensch­ heit, ihr Heiligstes also, auf dem Spiele stand, hat dieser Kampf seinen Ausgangspunkt genommen.

Das giebt ihm seine Weihe und

seine tiefgreifende Bedeutung und verbürgt sein christliches Recht. Freilich ist es immer noch Manchem befremdend zu hören,

daß

die Reformationskämpfe die ersten und entscheidenden Schlachten für Befreiung der Vernunft gewesen seien.

Es ist aber so, und wir

müssen sogar behaupten, daß der Protestantismus ohne diesen GeisteSzug eine bloße Kirchenverbesserung, aber niemals zu einem weltbewe­ genden Princip geworden wäre, mit welchem eine neue Aera beginnt. Man mag entgegenhalten, wie ein Luther zwar die Vernunft für die irdischen Dinge sehr hoch stelle, aber ihr auf dem Boden der Reli­ gion jede Fähigkeit abspreche, wie ferner die absolute Autorität der heil. Schrift nur blinde Unterwerfung unter den Buchstaben übrig

22 lasse, wie auch das Zeugniß des heil. Geistes, auf welches die Re­ formatoren als auf die letzte Instanz rekurriren, in seiner Fassung als übernatürlich gewirktes das „natürliche Licht" der Vernunft ge­ radezu ausschließe; und so wäre noch sehr Vieles dagegen anzufüh­ ren.

Wir sehen darin nur die theologischen Hüllen,

durch welche

der neue Lebenskeim erst allmählig brechen mußte, ehe er im Stande war, sich sein eigenes Gewand zu schaffen, und wissen, daß Luther auch reiner menschlich und weniger theologisch reden konnte und nicht nur das Gewissen als die entscheidende Macht in Religionssachen für sich geltend machte, sondern auch für helle und klare Gründe, trotz seines ungünstigen Urtheils über die alte Wettermacherin Ver­ nunft nicht unempfänglich war.

Will man wissen, was es um den

Geist der Reformation sei, so muß man sich nicht bloß an die Aus­ drucksweise der damaligen Lehrentwicklung halten, sondern vor Allem sich jenes kühne Wagen und frische, ja stürmische Wogen des Geistes ansehen, wie es uns besonders in Luther'S Schriften der ersten Zeit entgegentritt.

Wie

stark sind da seine theologischen

Anschauun­

gen,noch im Schwanken; Dinge, welche er eben noch für unantast­ bar erklärt hat, sind ihm im Verlauf des Kampfes nach kurzer Frist verwerflich geworden, und er erfreut sich unbesorgt des neuen Lichts, des neuen Siegs, den fein Geist errungen hat. spricht zu uns ein Geist,

Aus jeder Zeile

der seiner selbst gewiß werden will und

keiner von außen kommenden Autorität unbedingt sich hinzugeben ge­ sonnen ist, der nur Eines als sein Maaß und seine Richtschnur er­ kennt, die klar erkannte und durchlebte Wahrheit selbst.

Will man

sich wundern, daß dieser Geist erst allmählig sich aus den Fesseln los machte, welche er bekämpfte, daß er deßwegen selber noch theilweise in Formen sich ausprägte, welche wir heutzutage nach drei­ hundertjähriger Entwicklung ebenfalls für abzulegende Fesseln halten müssen? Was Wunder auch, daß beim Ermatten des ersten Geistes­ schwungs

sich wieder eine starre Decke um den

neugewonnenen

Kern legte. Aber das Feuer hat dennoch fortgeglüht und die Vernunft auch

23 ferner nicht aufgehört, um ihre Selbstständigkeit zu ringen und da­ durch alle Gebiete des menschlichen Geisteslebens einer höheren und freieren Gestaltung zuzuführen.

Dasselbe Princip,

welches in der

Reformation zunächst in der Urgewalt des Gewissensdranges seinen religiösen Ausdruck fand und in dieser Gestalt sich fähig erwies, eine neue Kirche zu constituiren und unsre gesellschaftlichen und poli­ tischen Verhältnisse in eine totale Umwandlung hineinzuziehen, hat auf dem Boden der Wissenschaft ein Jahrhundert später seinen theore­ tischen Ausdruck gefunden.

Die Philosophie proklamirt die Eman­

cipation der Vernunft in dem bekannten Satz des Cartesius cogito

ergo sum. Denn darin spricht der Geist aus: ich nehme das Recht für mich in Anspruch, an Allem zu zweifeln und erst durch den Zweifel hindurch zu einem festen Punkt zu gelangen; der liegt aber nicht außer mir, sondern mein Denken selbst als ein von mir voll­ zogener unleugbarer Akt ist mir die erste Grundlage für alle Gewiß­ heit über mich selbst und sofort über den ganzen Inhalt meines Bewußtseins.

Die Autonomie der Vernunft war darin ansgespro­

chen, und mit der neuen Errungenschaft machte die kartesianische Schule alsbald den Versuch, sie auf dem Boden der Theologie ein­ zubürgern, was den Vertretern des neuen Princips schon damals von Seiten der gereizten Theologie.den Namen Rationalisten ein­ trug. Auf die Schultern des Cartesius stellt sich Spinoza, dem die Vernunft die ächte Handschrift des göttlichen Wortes ist, und der eS für eine Thorheit erklärt, ihr zu mißtrauen und sie imtev einen verfälschbaren Buchstaben zu- knechten.

So wenig auch das kühne

System des einsamen Philosophen Eingang fand, dieser Grundzug lag in der Luft.

Wir finden ihn, wenn auch in viel versöhnlicherer

Haltung, gegenüber der Orthodoxie, bei Leibnitz, dem berühmten phi­ losophischen Anwalt des Offenbarungsglaubens; denn auch er möchte den Glauben auf den Grund der Vernunft stellen, wenn er das gleich auf Entkräftung von Einwürfen gegen die Offenbarung be­ schränken will.

Bald wurde auch die Theologie von dem Verlangen

ergriffen, der Vernunft zu genügen, welcher man bisher nur Magd-

24

dienst anzuweisen gewußt hatte; ja der rationelle Zug drang tief in das Leben ein und wurde ein Moment der allgemeinen Zeitbildung. Und gerade dies ist ein bedeutungsvoller Zug jener sogenannten Aufklärungsperiode, daß der Rationalismus anfing, BolkSeigenthum zu werden und die Geister in Masse zu ergreifen. So war der Boden vorbereitet für eine gewaltige Geistesarbeit, welche uns haupt­ sächlich den Grund gelegt hat für eine tiefere Ausgestaltung unsres sittlich-religiösen Bewußtseins im Sinne der Vernunftherrschaft. Ich meine die neuere Philosophie seit Kant. Man pflegt Kant als den Hauptrationalisten zu betrachten, er ist aber eigentlich mehr; denn er hat der Vernunft den Weg gezeigt, erst recht in ihre eigenen Tiefen hinabzusteigen, und ihr ihren sittlichen Gehalt als das Ge­ wisseste und Werthvollste aufgeschlossen. Durch Kant ging der Ver­ nunft das Bewußtsein ihres Reichthums auf und mit wunderbarer Energie erhob sich sofort das philosophische Denken, sich seine Welt aus sich heraus zu construiren. Es war eine kecke, gährende Ent° Wickelung, welche oft den höchsten Interessen gefährlich zu werden drohte und manchen Geist unmächtig kämpfend im wilden Strudel untergehen ließ. Aber dies ist auch nur die eine Seite; welche ideale Erhebung, welche Aufgeschlossenheit für die höchsten Probleme ist von dieser philosophischen Vertiefung der Geister ausgegangen. Und un­ sere deutsche Literatur, Goethe'S Faust an der Spitze, bezeugt, daß sich diese Vertiefung ganz und gar nicht auf die strenge Wissenschaft beschränkt hat. Ein reicher Gehalt geistigen Lebens ist auf diesem Wege entbunden worden und ein Trieb nach Vorwärts hat die Geister erfaßt, von dem frühere Zeiten kaum eine Ahnung hatten. Dieser Trieb, der uns nicht behaglich ruhen läßt im Genuß über­ lieferter Schätze, er hat sein natürliches und geschichtliches Recht. Er nöthigt uns, unsere Kräfte einzusetzen für eine höhere Verwirk­ lichung der Vernunft, wenn auch in veränderter Weise. Denn jene idealistische Philosophie, welche den Geist in die schwindelnden Höhen des Pantheismus entführte, hat ihren Dienst gethan und ein starkes Bedürfniß geweckt nach einem nüchternen Sichgründen auf die Ge-

25 schichte und das Gegebene.

Das ist ein Gewinn.

Denn während

jene Zeit zu Anfang unsres Jahrhunderts dem Jüngling glich, dessen hochfliegende Gedanken die Realitäten des Lebens ignoriren und der gar manchen lustigen Traum erst lassen muß, ehe er im Stande ist, seine auf daö Höchste gerichtete Kraft im Leben fruchtbringend zu verwerthen, so haben wir seither gelernt, daß die Geschichte und das Leben eine gewaltige Macht ist, welche man nicht ungestraft ignoriren und nicht ungefragt und unbesehen nach einer Idee umformen kann, sondern

daß man

in

geduldiger Arbeit

der objektiven Vernunft,

welche in der Geschichte und in der Welt lebt,

dienen und freien

Lauf geben muß. Die Gegner der Vernunftrichtung, welche fürchten, über dem Ringen nach neuen Gestaltungen gehen die überkommenen Schätze verloren, beschuldigen dieselbe der „Autarkie", der stolzest Selbstgenüg­ samkeit; sie däucht ihnen die Schranken, welche dem Geschöpf gesetzt sind, zu durchbrechen; sie sehen in ihr eine Vermessenheit des Wis­ sens und des Willens, eine Empörung wider Gott.

Denn indem

die Vernunft autonom sein wolle, so spiele sie die Gesetzgeberin, setze sich also an Gottes Statt. Nun ist es freilich nicht zu leugnen, daß es an Verirrungen dieser Art, die im frechsten Uebermuth und zur gerechten Strafe im tollsten Nihilismus endeten, nicht ganz gefehlt hat.

Aber man muß sich durch solche Fehlgeburten nicht zu dem

Gedanken verleiten lassen, eS liege das in der Consequenz des Prin­ cips. Allerdings die Vernunft will autonom sein; um dieses Kleinod kämpft sie als um ihr angebornes Recht, ohne welches sie nicht im Stande ist, ihre ganze Energie zu bethätigen. Aber sie ist weit ent­ fernt, den Dingen ihre Gesetze vorschreiben zu wollen.

Autonom

sein heißt nur, sich frei und unbehindert nach den eigenen Gesetzen richten, also das eigene gottgesetzte Wesen verwirklichen, waö geradezu daS Gegentheil ist von aller Zufälligkeit und Willkür. denn die Autonomie an sich schon

Wie sollte

die Selbstgenügsamkeit

in sich

schließen? Dies wäre stur der Fall, wenn die Autonomie der Ver­ nunft bedeutete, sie setze sich als die absolute.

Ist sie aber, wie sie

26 es ist, geschöpfliche Vernunft, so schließt die Erkenntniß ihres Wesens vielmehr die Selbstgenügsamkeit aus, sie muß sich ja in die Schran­ ken des Endlichen fügen und findet sich angewiesen auf das Ganze, in das sie gestellt ist.

Sie ist nicht darauf angelegt, irgend einer

Potenz in der Welt, am wenigsten der Urvernunft ihren Platz strittig zu machen. Ueberschauen wir nun diesen Gang der modernen Geistesent­ wicklung, der eben nur so weit gezeichnet ist, daß die Hauptmomente sichtbar sind, so stellt sich die hohe Bedeutung davon heraus, daß die Vernunft zum Losungswort geworden ist.

Denn für's Erste

zeigt sich uns der Geist in dem bewußten Streben begriffen, ganz zu sich selbst zu kommen, seiner selbst im vollen Umfang mächtig zu werden.

Es ist also der Stand der geistigen Mün­

digkeit, welcher sich in diesem Wort als ein theils erreichter theils begehrter ankündigt.

Damit ist auch das Recht genannt, welches

die rationelle Richtung der neuen Zeit hat: der Geist der Mensch­ heit hat ein Recht auf seine Reife; er kann diesem in sein Wesen gelegten Drange sich nicht entziehen, ohne die schlimmsten Folgen hervorzurufen, ja völlig entziehen kann sich ihm auch der Vernunft­ feind nicht.

Und man sieht auch, warum die Vernunft erst nach

Jahrtausenden zum Losungswort geworden ist:

Vernunft hat es

immer gegeben und sie war auch in Wirksamkeit, aber sie war we­ niger zu sich selbst gekommen.

Für'S Zweite erkennt der Geist

die Tiefe seiner Natur und das Recht, seine Potenz im vollen Umfang geltend zu machen und er will seinen Ge­ halt realisiren; er findet sich in den Stand gesetzt, sich eine Welt zu schaffen, in welcher er heimisch ist. Aus dem Zustand, in welchem seine Entwicklung mehr noch dem bloßen Naturproceß glich, tritt er in den adäquateren, daß er sich seinen Inhalt freithätig aus der eigenen Tiefe holt.

Er tritt damit gewissermaaßen schöpferisch auf und ist

mit Nothwendigkeit darauf angewiesen, seine volle Selbstständigkeit gegen Alles, was von außen an ihn kommt, sich zu wahren.

Auch

hierin bekundet er nur sein angeborenes Recht, und es ist darin

27 noch Nichts enthalten, was ihn zum Empörer gegen Gott machen würde, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß die Versuchung, seine Höhe zu überschätzen, näher herantritt. Für's Dritte zeigt sich der Drang des Geistes, sich seiner idealen Bestimmung vollbe­ wußt zu werden und sich ihrer Verwirklichung ganz hin­ zugeben. Nun ist freilich zuzugeben, daß gerade diese dritte Seite, der ethische Gehalt des Kampfes für die Vernunft, noch am wenig­ sten zum Bewußtsein gekommen ist, während doch gerade darin seine höchste Bedeutung und die Gewißheit seines Sieges liegt. In ihr liegt die Kraft zur Erneuerung des sittlicheü und des religiösen Le­ bens; sie ist es darum auch, welche immer stärker in Aktivität treten muß. Je mehr die ideale Bestimmung des Geistes zur Anerkennung und Darstellung kommt und zwar auf dem Weg eines Gedanken- und Willensprocesses, welcher die gottebenbildliche Persönlichkeit nicht negirt, sondern eben zu ihrer Geltung und Verwirklichung bringt, um so mehr müssen auch die Vorurtheile gegen die Vernunftrichtung schwinden; eS wird sich zeigen, daß sie weder die geborene Atheistin ist, noch die permanente Revolution bringen will. Gehen wir nun daran, das Wesen der Vernunft näher zu er­ kennen, so werden wir vor Allem darauf verzichten müssen, sie als ein sogenanntes Seelenvermögen zu behandeln und ihr besondere Funktionen neben andern Geistesfunktionen zuzuschreiben. Man kann die Vernunft nicht parallel setzen dem Verstand, dem Willen und dem Gefühl, noch auch kann man sie einem dieser drei „Seelenver­ mögen" subsumiren. Denn sie äußert sich keineswegs in eigenthüm­ lichen Thätigkeitsformen, wie diese, sondern sie durchdringt gleichsam als eine bestimmte Qualität alle Geistesthätigkeiten und Geisteszu­ stände und prägt ihnen den höheren Charakter auf, der sie von allen Naturprocessen unterscheidet und den wir eben mit „vernünftig" be­ zeichnen. Sie bezeichnet eine über dem bloßen Naturleben liegende Richtung des Geistes, aber eine solche, welche nicht von außen hinzu­ tritt, sondern demselben wie auch allen seinen einzelnen Funktionen eingeboren ist. Kant hat das unvergängliche Verdienst, die Vernunft

28 als solche in das wissenschaftliche Bewußtsein erhoben und namentlich ihre praktische Richtung und Bedeutung erkannt zu haben. Aber eö war ihm nicht gegeben,

die Vernunft in ihrer vollen Lebendigkeit

nnd einfachen Natürlichkeit aufzufassen, weil er sie als besonderes Vermögen in den damaligen psychologischen Schematismus einregistrirte.

Dadurch entstand ein schiefes Verhältniß,

da die Vernunft

keine eigenthümlichen Funktionen aufzuweisen hatte, und daher der ihr zugeschiedene Inhalt sich mit den Gebieten jener andern „Ver­ mögen" unklar kreuzte. Vernunft wäre demnach eine bestimmte Qualität unsres Geistwesens überhaupt, welche durch Alles hindurchgeht. Worin aber diese Qualität bestehe, das werden wir am besten erkennen, wenn wir untersuchen, was uns bestimmt, irgend etwas als vernünftig anzu­ erkennen, in einer Sache Vernunft zu finden.

Denu mag es sich

mit der sogenannten objektiven Vernunft in den Dingen verhalten, wie eS will, mag sie eine von uns erfaßbare Realität in den Dingen sein oder nur eine unwillkürliche subjektive Unterstellung unseres Denkens, sofern in ihm Vernunft ist, so viel ist unter allen Um­ ständen klar, daß die Art der objektiven Vernünftigkeit uns Aufschluß zu geben verspricht über das Wesen unsrer Vernunftanlage, da sich in jenem ersten Falle ihre Congenialität offenbart, in jenem zweiten die objektive Vernünftigkeit gerade nur der Wiederschein der Vernunftanlage ist.

Was erscheint uns nun vernünftig, was sind wir min­

destens geneigt, vielleicht sogar genöthigt, als Produkt einer von der unsrigen bestimmt zu unterscheidenden, über der unsrigen stehenden Vernunft anzuerkennen?

ES sind zwei Momente, welche unwider­

stehlich auf unS wirken, so daß überall, wo wir an dem Vorhanden­ sein derselben nicht zweifeln können, die Anerkennung der Vernünf­ tigkeit ohne Widerrede erfolgt. Das eine ist die Wahrnehmung einer organischen Verbindung der Dinge und in den Dingen, das andere die Erkenntniß einer Zweckmäßigkeit in den Dingen. Nicht das eine oder andere der beiden Momente für sich, sondern beide zusammen machen unö den überzeugenden Eindruck der Der-

29 nünftigkeit, wie der Mangel derselben den des Unvernünftigen.

Ob

mehr oder weniger bewußt stellen wir an die Dinge, an unS selbst und an unser Thun die Forderung, diesen Ansprüchen zu genügen. Organische Einheit und Zweckmäßigkeit zeigen sich daher als Postu­ late unserer Vernunft, und sie gehen in Eins zusammen, obwohl jede von ihnen eine wesentliche Seite der Vernünftigkeit repräsentirt. Was sich uns nämlich als vernünftig darbeut, das muß einen realen, lebenskräftigen Gedanken uns entgegenbringen;

einen solchen aber

können wir nur fassen bei organischer Gliederung und Einheit; allein auch die realsten Gedanken werden uns tut vollen Sinn vernünftig erst dadurch, daß wir die Zweckmäßigkeit der Dinge erkennen; wo aber von Zweckmäßigkeit die Rede ist, da muß auch ein Zweck sein. Und gerade die Idee des Zweckes ist es, welche beide Momente in sich schließt, wofern nämlich der Zweck nicht gesetzt wird als ein von außen an die Dinge tretender und ihrem Wesen fremder, son­ dern als ein ihrem Wesen eingeborener, in ihrer WesenSentfaltnng seine Verwirklichung findender; denn im so gedachten Zweck bedingen sich organische Einheit und Zweckmäßigkeit gegenseitig.

So stellt sich

uns also als das Wesen unserer Bernunftanlage heraus die Zweck­ setzung, diese aber im vollsten und umfassendsten Sinne. Nicht bloß dies ist unsere Vernunft, daß wir von Zwecken wissen, Zwecke setzen und in Beziehung auf Zwecke handeln, sondern daß der menschliche Geist darauf angelegt ist, sich zu concentriren in der Idee des Einen Weltzwecks über

das ganze System

Weltzweck verwirklicht.

und zugleich

sich auszubreiten

der Theilzwecke, in denen sich der Eine

Das Zweckshstem, das wir die Welt nennen,

ist der Vernunft nicht bloßes Objekt des Wissens, sondern indem der Geist sich passiv sowohl als aktiv bei demselben betheiligt sieht, findet er eine innere Nöthigung, sich für denselben voll zu bestimmen.

Also daß wir uns

umfassenden Zweckes bewußt werden uns seiner Realisirung

ebenfalls zweck­

des Einen höchsten welt­

und des Triebes fähig sind,

zu Gebote zu stellen,

ihm alle Kräfte zu

widmen, mit ihm persönlich Eins zu werden, das und nichts An-

30

dereS ist unsre Vernunftanlage. Man sehe, wie sie auf allen Stu­ fen des Geisteslebens thätig ist und das Gesagte sich bewährt. Gleich mit dem ersten Erwachen des Geistes dämmert die Zweckidee ans, und sie wird auch alsbald in Praxis übergesetzt. Bis in daö All­ täglichste hinein nöthigt nns das Leben selbst mit dem Zweckbegriff in der mannigfaltigsten Weise zu operiren und eS stellt sich heraus, daß die Vernnnftbethätignng nicht das Monopol einige weniger be­ vorzugter Geister, sondern für jeden Menschen ans jeder Stufe der Entwickelung unumgänglich ist. Allerdings steigt die Vernunftbethä­ tigung mit dem Wachsthum des Geistes, und es ist ihr keine Gränze gesteckt. Denn der Eine Weltzweck mit seiner unendlich reichen Ver­ zweigung bietet der Erkenntniß eine unerschöpfliche Quelle, und wenn­ gleich das Feld seiner Thätigkeit Jedem vermöge seiner Individuali­ tät begränzt ist, so ist doch auch der praktischen Betheiligung am Welt­ zweck ein unermeßliches Feld geöffnet, da mit der Vertiefung in den Weltzweck und der Hingabe an ihn auch die individuelle Aufgabe beständig sich erhöht und erweitert. Die menschliche Vernunft enthält demnach eine theoretische und eine praktische Seite; die beiden aber laufen nicht zusammenhangölos nebeneinander her, sondern sie stehen selbst auch im Verhältniß organischer Einheit und der Zweckmäßigkeit, sofern die theoretische Seite die nothwendige Voraussetzung ist für die praktische, die prak­ tische aber jener erst ihre Bedeutung gibt und jene um dieser willen da ist. Denn dies folgt einfach daraus, daß die Realisirung des Weltzwecks im lebendigen Zusammenhang mit der praktischen Ver­ nunftbethätigung aller endlichen Persönlichkeiten steht, so daß er ohne die letzteren gar nicht gedacht werden kann. Es knüpft sich hieran gleich eine wichtige Erkenntniß, die Hebung eines verhängnißvollen Irrthums. Die gewöhnliche Betrachtungsweise sieht in der Vernunft die Macht und die Vertreterin des „Allgemeinen", wobei alles Individuelle als bloße Schranke erscheint und mindestens nicht in seiner Bedeutung erkannt wird. Dadurch aber'wird das farb­ lose Einerlei einer Abstraktion an die Stelle des unendlich mannig-

31

faltigen, in seinem Gestaltenreichthum berechtigten BernunftprocesseS gesetzt, und nach der praktischen Seite hin gerade die Lebensader unterbunden, da alles Leben und Streben nur individuell-persönlich und nicht auf eine Abstraktion gerichtet ist und wir für das „Allge­ meine" als Solches uns nicht begeistern können, es wäre denn daß wir Fanatiker der Logik wären. Aus dem Bisherigen hingegen er­ gibt sich, daß die Vernunft (sowohl die Weltvernunft als die Ver­ nunft im Subjekt) es vielmehr mit den eigensten Angelegenheiten und Interessen des Menschen als dieses individualisirten Wesens zu thun hat. Denn wenn die Vernunft ihre Spitze im praktischen Ver­ halten erreicht, so ist klar, daß hier die Persönlichkeit in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit nicht nur mitbetheiligt ist, sondern den Mittelpunkt, den Selbstzweck, ausmacht. Handeln, mich selbst bestimmen kann ich mir als dieser so und so gestaltete Wille; geschieht es im vollen Sinn, so geschieht es aus der ureigensten Tiefe der Persönlichkeit. Wir müssen also gerade darin den Reichthum der Vernunft erken­ nen, daß sie auch für daS Individuelle eine Stelle hat und den universellen Weltzweck in die lebendigste Berührung mit dem inner­ sten Grund und den Interessen jeder einzelnen Persönlichkeit und ihrer Eigenthümlichkeit bringt. Mit Recht wirft man dem Panlo­ gismus vor, daß er das Persönliche nicht zu würdigen wisse. Unsre teleologische Anschauung läßt das Ich nach seiner ganzen Indivi­ dualität zu seinem Rechte kommen, und erkennt eö zugleich in seiner Bedeutung für das Ganze und als Selbstzweck. Während wir uns genöthigt sehen, dem Zweckbegriff in unserer Weltanschauung eine dominirende Stellung einzuräumen, glaubt die Philosophie der Immanenz denselben entfernen zu müssen, wenn die Dinge in ihrem vollen Ansich gefaßt werden sollen; er scheint ihr auf die psychologische Sphäre zu beschränken. Somit ist klar, daß wir uns in den entschiedensten Gegensatz gegen den reinen Jmmanenzstandpunkt stellen, daher es geeignet sein wird, uns gleich hier mit ihm einigermaaßen auseinanderzusetzen. Der reine Immanenz­ standpunkt, sei es, daß er die edlere Form des Pantheismus oder

32 die rohere des dynamischen Naturalismus oder die roheste des me­ chanischen Materialismus hat, muß den Zweckbegriff verbannen und läßt an seine Stelle die einfache Existenz des Substanziellen treten. Das Substanzielle hat, so zu sagen, seinen Zweck nur in seiner Exi­ stenz, und da für den Jmmanenzstandpunkt alles Substanzielle ein ewig Göttliches ist, so kann von einem Zweck nur in der Form der Akkommodation an die populäre Sprechweise die Rede sein.

Wie

bedenklich aber diese Abkehr vom Zweckbegriff ist, läßt sich daraus ersehen, daß hiebei auch für die Sphäre menschlicher Geistesthätig­ keit der Zweck genau genommen nur noch die Bedeutung einer opti­ schen Täuschung behalten kann. Denn da der endliche Geist an sich selbst und in allen seinen Bethätigungen für den Jmmanenzstand­ punkt ein Göttliches ist, so ist seine Potenz, Zwecke zu setzen, nur eine scheinbare, in Wahrheit gelangt nur das an sich schon Vorhan­ dene in der psychologischen Form des Zwecks zur Erscheinung.

Es

wird somit durch Leugnung der Objektivität des Zweckbegriffs auch das innerste Wesen des Geistes, die Selbstbestimmung, zu einem Schein herabgesetzt, und man ist gezwungen, dem Determinismus zu huldigen, gegen welchen die augenfälligsten Thatsachen unsres inner­ sten Selbstbewußtseins immer feierlichen Protest einlegen werden. Bei allem Gegensatz jedoch gegen den reinen Jmmanenzstandpunkt verkennen wir nicht, wie große Berechtigung derselbe hat, wenn er den äußerlich gefaßten Zweckbegriff bekämpft, und wie wir es ihm hauptsächlich verdanken, daß wir über jene armselige Teleologie hin­ ausgekommen sind, welche den Dingen Zwecke andichtete und sie da­ mit begriffen zu haben meinte.

Der Pantheismus hat die wilden

Schößlinge eines den Dingen äußerlich bleibenden Denkens mit dem Messer schonungsloser Kritik abgeschnitten, er hat die Vernunft auf das Wesen der Dinge als ein vernünftiges, an die nicht erst Ver­ nunft von außen heranzubringen sei, gewiesen, aber er hat zu tief geschnitten und die Vernunft selbst geschädigt, indem er anfing, von einem immanenten Zweck zu reden, aber in Wahrheit den Zweck aus seinem Begriffsverzeichnisse strich.

Es ist damit sowohl dem Ver-

33

ständniß des menschlichen Gcisteswesens als auch dem des Weltgan­ zen viel Eintrag gethan, indem gerade das eigentliche Agens verkannt, daS dem Weltzweck bloß dienende verabsolntirt wird und das Wer­ den als ein zielloses, in die leere Unendlichkeit gehendes, damit ver­ gebliches und unvernünftiges erscheint. Noch tiefer freilich wird die sittliche und die religiöse Seite berührt, da unsre persönliche Zweck­ beziehung zur Welt und zu Gott ihren festen Boden nur hat an der objektiven Zweckbeziehung Gottes und der Welt zu uns. Sehen wir von hier aus zurück auf den ersten Abschnitt, so wird es keiner Rechtfertigung mehr bedürfen, daß jene Erörterung zum Ausgangspunkt gemacht worden ist. Denn besinnen wir uns über das Verhältniß der Vernunft zum Herzen, so werden wir, da das System der Zweckbeziehungen unserm Geisteswesen der Potenz nach ureigen ist, zu der Einsicht gedrängt, daß das Herz als unser Geistesgrund die Wurzel aller menschlichen Vernunft selber ist. Wir dürfen das Herz die embryonale Vernunft nennen, welche instinkt­ artig wirkt. Die Vernunft kommt aber durch Verstand, Willen und Gefühl zu ihrer Entfaltung und Verwirklichung. Denn die Ver­ nunft ist nicht von vorn herein fertig, so daß sie nur sich selbst zu objektiviren hätte, sondern es gehört zu ihrem Wesen, daß sie sich selbst erzeugen und realisiren darf. Erst in der Doppelthat des Ver­ standes und Willens erhebt sich die Vernunft, welche in der Tiefe des Geistes schluinmert, zu voller und selbstbewußter Realität, wäh­ rend das Gefühl den beständigen Reiz bildet, den begonnenen Realisirungsproceß fortzuführen und zu vollenden. Unsre richtig verstandene Geistesanlage nöthigt uns also zur teleologischen Weltbetrachtung im umfassendsten Sinne. Eine Erkenntniß von hoher Bedeutung, da gerade diejeni­ gen Verirrungen der menschlichen Gedankenentwicklung, welche heut­ zutage so lähmend und zerfressend ans die menschliche Gesellschaft wirken, dadurch gründlich beseitigt werden. Als vernünftiges ist unser Geisteswesen teleologisch organisirt, wir können daher uns keiner Weltbetrachtung hingeben, welche für Zweck keinen Raum hat, Spath, Welt und Gutt.

3

34 ohne uns theoretisch und praktisch zu mißhandeln, wie eS ja leidige Thatsache ist, daß das Verständniß und das Interesse für die idea­ len Güter der Menschheit durch das vornehme Beiseiteschieben aller Teleologie nicht eben gewonnen hat.

Auf den Einwand aber, daß

auS der subjektiven Geltung und Unentbehrlichkeit deS. Zweckbegriffs noch lange nicht feine objektive Realität folge, ist zu entgegnen: wenn sich der Zweckbegriff nicht nur als dem menschlichen Geiste ureigen sondern auch als unentbehrlich erweist um zu einer Weltanschauung zu gelangen,

in welcher die Thatsachen des Geisteslebens zu ihrem

vollen Rechte kommen, und zumal zu einer solchen, welche sich in lauter sittliche Motive umwandelt, und ohne welche wir unser ver­ nünftiges Wesen nicht unverkümmert realisiren, also die Menschheit ihren Zweck nicht erreichen kann, so haben wir daran einen festen Beweis dafür, daß wir es in der Vernunft mit Objektivitäten zu thun haben, einen Beweis, der auch dem subtilsten Skepticismus Stand hält, wenn dieser nicht sittliche Zerfahrenheit zur Quelle hat und für sie plaidirt. Es dürste am Platze sein, daß wir ans die Bedeutung hier auf­ merksam machen, welche unsere Fassung des Vernunftprincips für die sittliche Sphäre hat. Wird dem Zweckbegriff seine objektive Wahrheit entzogen, so wird die sittliche Bethätigung zum bloßen Naturproceß, so gibt es kein Handeln mehr. Der Zweck ist das gewaltige Triebrad, welches in unsere sittliche Existenz Bewegung bringt und vermöge dessen sie als ein wesentliches Moment in das Gefammtgetriebe der Welt ein­ greift.

Aber unsere Zwecke setzen ein Zweckshstem voraus, in das

sie sich einzugliedern haben.

Wäre die Welt nicht selbst ein Zweck­

system, so müßten alle Anstrengungen unsrer Vernunft an der 93er» nunstlosigkeit der Welt, auf welche sie angewiesen ist, zerscheitern. Von hier aus bietet sich die Möglichkeit, zwei ganz entgegengesetzte Standpunkte zur Versöhnung zu bringen. die Sittlichkeit die Forderung geltend,

Die Einen mächen für

das handelnde Ich müsse

autonom sein, sich selbst seine Gesetze geben, sich rein aus sich selbst

35 bestimmen, da jedes Bestimmtwerden von außen her eine Beeinträch­ tigung und Verunreinigung der Sittlichkeit sei.

Die Andern finden

eine Sittlichkeit nur möglich vom Standpunkte der TranSscendenz anS: ein Gesetz muß dem Subjekt gegeben sein, das also über ihm steht und ganz unabhängig von ihm ist, daS es also weder aus sich selbst haben, noch in sich selbst erzeugen kann.

Beide Standpunkte

haben ihre relative Berechtigung. Sie lassen sich vereinigen mittelst des Begriffs des Zwecks. Denn jeder Zweck, welchen wir im vollen Sinne als sittlichen Zweck anerkennen sollen, muß beide Seiten an sich haben.

Einerseits darf er kein bloßes Erzeugniß unserer

Subjektivität sein, vielmehr muß er sich als über aller menschlichen Willkür stehend und in gebietender Form an uns tretend bewähren; andererseits jedoch muß er ja ganz und gar mein Zweck werden, also Produkt meines Willens, und nur so weit können wir einen Zweck als sittlichen betrachten, als er in unsern Willen eingegangen ist, der Wille ihn also in sich erzeugt. Wir entgehen zwei Gefahren, indem wir vermöge der Geltendmachung des Zweckbegriffs verhindert sind, die Wurzeln der Sittlichkeit wo anders zu suchen als in den Tiefen des menschlichen Geistes selbst, aber nicht minder davor be­ wahrt, den Menschen in eine unwahre Höhe hinaufzuschrauben. Wir begreifen ferner, worin die Macht jedes Gesetzes liegt, wo­ durch es erst seinen Sinn bekommt und vernünftig wird. Das liegt in der Beziehung des Gesetzes ans einen Zweck, in letzter Linie auf den universalen, Alles beherrschenden Weltzweck.

Es gilt dies so­

wohl von den Naturgesetzen als von denen der sittlichen Welt. Einem Zweck muß die Natur im Großen, muß jedes Glied derselben im Einzelnen

entsprechen, ein Zweck bestimmt ihre Bethätigung,

welche eben damit eine festgeordnete und gesetzmäßige wird.

Einem

Zweck muß auch die Geisteswelt entsprechen, nur mit dem Unter­ schied,

daß hier sich selbstbestimmende Potenzen eingreifen und der

Zweck zugleich zum Selbstzweck wird; allein die sich selbst bestimmen­ den Potenzen sind keineswegs ihrer eigenen Willkür überlassen, son­ dern der allgemeine Weltzweck, in welchen sie eingeschoben sind als

36 mitthätige Faktoren und unter welchen sie sich selbst als mitbefaßt erkennen, wird ihnen zur Norm, znm heiligen Gesetz, wenn sie ihr Wesen nicht verleugnen und sich nicht selber zu Grunde richten wollen. Aber wenn sich uns so ein allgemeines und nicht der Willkür weichendes heiliges Weltgesetz mittelst des Zweckbegrisfs er­ klärlich macht, so wird durch denselben zugleich begreiflich, daß für das sittliche Individuum das allgemeine Gesetz nicht in Wahrheit verbindlich wäre, wäre es nicht selbst einer unendlichen Individualisiruug fähig. Denn der Weltzweck ist eben nur insofern ein sitt­ licher, als er von den sich selbst bestimmenden Persönlichkeiten an­ geeignet werden kann. Geschieht aber dies, so individualisirt er sich und wirkt eben in seiner Individualisirnng bestimmend, d. h. als sittliches Gesetz. Unsere Auffassung des Vernunftprincips schließt uns drittens die Bedeutung des Ringens nach Erkenntniß, insbesondere nach einer in sich geschlosseneil Weltanschauung für die sittliche Entwicklung in überraschender Weise auf. Die gewöhnliche Moral ist der Meinung, für die Sittlichkeit bedürfe cs nur der Kenntniß jener Abstraktionen, welche man die sittlichen Gebote heißt, und ahnt Nichts davon, daß das Gewinnen höherer Erkenntniß eine höhere Stufe der Sittlich­ keit ermöglicht. Auch die höhere Betrachtungsweise pflegt in der Befriedigung des Erkenntnißtriebes eben eine, allerdings wesentliche, Seite der sittlichen Bethätigung zu sehen. Uns liegt es klar da, daß das Erkennen des Weltzwecks die nothwendige Bedingung der Mitarbeit an seiner Verwirklichung ist, somit diese Arbeit des Erkennens selbst eine grundlegende sittliche Arbeit, ja daß eine höhere Stufe der Sittlichkeit gar nicht erstiegen werden kann, wenn nicht zugleich ein höherer Stand der Erkenntniß in Bezug auf den Weltzweck, somit auch auf das Wesen der Welt erreicht wird. Die Theil­ nahme an den großen Aufgaben der Philosophie wird somit, je höher die Sittlichkeit steigt, uin so mehr zum allgenieinen Bedürfniß. Endlich erkennen wir leicht, daß die Sittlichkeit nicht im for­ malen Verhalten gegen ein abstraktes Gesetz oder gegen einen ganzen

37 Complex von solchen besteht,

wiewohl diese Auffassung allerdings

einen nothwendigen Durchgangspunkt in der Entwicklung des Geistes bildet, was hier näher nachzuweisen und zu begründen zu weit füh­ ren würde.

Die selbstbewußte Sittlichkeit, welche den Standpunkt

der Legalität hinter sich hat, hat es mit ganz conkreten Zwecken zu thun. Diesen zu genügen ist Sittlichkeit. Ein Zweck ist etwas Wirk­ liches nur, wenn er einen conkreten Inhalt hat. Ist nun die ganze Welt ein organischer Complex von theils realisirten theils erst noch zu realisirenden Zwecken und nimmt jedes Ich mit seiner Vernunft­ anlage eine bestimmte, ganz individuelle und unvertauschbare Stellung in dicsein Ganzen ein, so folgt unwiderleglich, daß nur eine indivi­ duelle conkrete Gestaltung des universellen Weltzwecks in ihm seine Sittlichkeit ausmachen kann. Man bezeichnet häufig die Vernunft als das Vermögen der Ideen, d. h. der Grundwahrheiten, welche unser geistiges Leben be­ dingen.

Man macht diese entweder zu Gegenständen des Glaubens,

präsumirt also, daß die Ideen schon fertig in jeder Vernunft vor­ liegen, oder man will sie auf spekulativem Wege rein aus der Ver­ nunft, welche in diesem Fall mit dem Denken identificirt wird, ent­ wickeln.

Der eine Weg wie der andere ist in unseren Augen hin­

fällig geworden, da wir wissen, „Vermögen" ist.

daß die Vernunft kein seelisches

Dagegen bestätigt sich uns, daß in unserer Ver­

nunft die Erkenntniß der Ideen wurzelt; und in dem Zweckbegriff schließt sich uns die Einsicht in ihre Gewinnung auf.

Denn indem

die Vernunft die Potenz des menschlichen Geistes ist, receptiv und produktiv teleologisch sich zu bethätigen und sich den Weltzweck an­ zueignen, so hat sie nothwendig die Fähigkeit, den Gedankengehalt, welcher weil das Wesen der Welt ausmachend unser geistiges Leben bedingt, zu erfassen. Auch auf die drei Ideen des Wahren, des Schönen und des Guten, welche man richtiger als drei verschiedene Gesichtspunkte, unter welchen die Welt betrachtet werden kann,

bezeichnen würde,

wirft der Zweckbegriff sein Licht und erklärt sie als Besitzthum un-

38 serer Vernunft.

Setze ich nämlich den Weltzweck und seine Ver­

wirklichung im Seienden als von uns erkannt und für uns erkenn­ bar, somit als Erkenntnißobjekt, so habe ich das Gebiet des Wahren. Setze ich die Zweckbewegnng, wie sie sich als ein in sich harmoni­ scher Proceß in unserem Gefühl reflektirt, so habe ich das Gebiet des Schönen.

Stelle ich die Verwirklichung des Weltzwecks unter

den sittlichen Gesichtspunkt, wo er mir als schlechthin werthvoll und dadurch als absolut verpflichtend und nothwendig erscheinen wird, so habe ich das Gute, das sich unsrem Willen als Ziel darbietet. Aus dieser Auffassung des Wahren, Schönen und Guten wird auch ersichtlich sein, einerseits wie gründlich uns die Vernunftanlage nöthigt, unsere Subjektivität in ein lebendiges Verhältniß zu setzen zu dem objektiven Weltzweck, andererseits wie eben das klar erkannte Zweckverhältniß uns davor bewahrt, unsere Subjektivität mit dem Objektiven zu identificiren und so unserer Vernunft einen absoluten Charakter zu vindiciren.

Wir stehen hier am Scheidewege: ist die

Vernunft in unS die absolute und zu identificiren mit der göttlichen, wie sie sich in der Welt offenbart, oder ist sie eine relativ selbst­ ständige und eS ihr daher eigen, sich mit der göttlichen nicht zu identificiren?

Vermöge des Weltzwecks, der «nS als beherrschende

Macht gegenübertritt, steht unS als das einzig Vernünftige das Letz­ tere fest, und wir sind damit dem pantheistifch-idealistischen Irrthum entgangen, der wie ein Rausch auf unser Jahrhundert gewirkt hat und wahrlich nicht bloß auf den engen Kreis der philosophffchen Bekenner des Pantheismus.

Unsere Vernunft ist nicht die Welt-

vernunft, aber unsere Vernunft führt uns mit Nothwendigkeit auf eine Weltvernunft, da wir ein Zwecksystem wahrnehmen, für welches auch unser Geistwesen sich angelegt zeigt.

Aber diese Weltvernunst

ist wiederum nicht als die absolute zu fassen. wieder der Zweckbegriff.

Daran hindert unS

Denn die Welt ist ja offenbar mit uns

selbst Zweckprodukt; sie kann also schlechthin nicht mit dem Zweck­ setzenden zu identificiren sein, kann sich zu ihm auch nicht einfach ver­ halte« wie die Realisirung zum Wesen. Die absolute Vernunft ist also

39 nicht minder von der der Welt inhärirenden Vernünftigkeit als von unserer menschlichen und endlichen Vernunft zu unterscheiden. Zum Schlüsse sei noch aufmerksam gemacht auf die tiefgreifende praktische Bedeutung des so gefaßten Vernunftprincips.

Es fordert

nothwendig auf zu einem frischen und nüchternen Eingreifen in die Welt, da der Weltzweck keineswegs die menschliche Zweckthätigkeit absorbirt, vielmehr sie zu seinem Momente hat, aber auch das mensch­ liche Thun nur so weit auf Bedeutung Anspruch machen kann, als es dem Weltzweck conform ist.

Solche praktische Consequenzen sind

ein Zeichen lebenskräftiger Wahrheit.

Daß aber unsere Auffassung

von Vernunft auch dem höchsten Gebiete des geistigen Lebens, der Religion förderlich sei, das sei vorerst nur angedeutet und wird sich späterhin von selbst ergeben.

Dritter Abschnitt.

Der

G e i st.

Die bisherigen Blicke in unser geistiges Wesen leiten unS von selbst zn der Aufgabe, eine klare und bestimmte Anschauung von dem menschlichen Geiste zu gewinnen. Wie unumgänglich nöthig das für das Erringen einer von Phantasiegebilden freien Weltanschauung ist, das bedarf in unserer Zeit keines Nachweises; hält cs doch eine stark verbreitete Richtung allen Ernstes für einen Triumph der Wissenschaft, also des Geistes, daß man endlich dem Geiste auf den Grund gekommen sei und gefunden habe, es sei mit dem Geiste Nichts, was wir so nennen, sei nur ein Erzengniß unsrer Phantasie, welche einer Reihe von Phänomenen an der Materie ein Substan­ tielles snpponire. Wer sieht nicht, wie tief da die ganze Weltan­ schauung interessirt ist und wie weit die Wege auseinander gehen müssen, je nachdem die Entscheidung in diesem peinlichen Proceß für oder wider den Geist ausfällt. Allein gerade weil so viel daran hängt, wird es gerathen sein, sich nicht leichtfertig zu entscheiden und nicht auf bloße Autorität oder oberflächliche Reflexion hin aus dem Buch der Lebenden zu streichen, was bisher einen Hauptfaktor der Weltanschauung bei allen gebildeten Völkern ausgemacht hat. Lassen wir uns nicht verblüffen. Prinzipiell ist allerdings die Frage­ stellung geworden; es handelt sich für den Geist um Sein oder Nichtsein. Die Akten aber sind noch nicht geschlossen. In Wahr-

41

heit kann man sich freuen über diesen Stand der Dinge. Denn ist der Geist eine Realität, so wird er sich als solche answeisen; ja es ist zu hoffen, daß die Bestreitung, welche ihm ans Leben gehen will, dazu diene, sein geheimnißvolles, tief in die Macht der Materie hinunterreichendes Wesen und Wirken erst recht an den Tag zu bringen. Indem wir auch bei dieser Frage, was der Geist ist, vyn den gegebenen Thatsachen ausgehen und insbesondere das unmittelbare Sichgeben des Geistes in unserer Selbstanschauung betonen, ist es dringendes Bedürfniß, auf einen Irrthum aufmerksam zu machen, der sich wie eine optische Täuschung einschleicht und das Verständniß des Geisteswesens nur oberflächlich gelingen läßt. Wie nämlich der Mensch, so lange er sich naiv den Eindrücken von außen hingibt, ge­ neigt ist, die Welt für nicht größer zu halten als den Raum, den seine Blicke bereits umspannt haben, und erst eine fortgesetzte Er­ fahrung und Reflexion ihn überzeugt, daß der weitaus größte Theil der Welt über seinen Horizont hinausfällt, wie also das Sichlosreißen von der unmittelbaren Anschauung und das Umfassen der Welt mit dem Bewußtsein erst mühsam errungen werden muß, so ist eS auch mit dem Geist. So lange er noch nicht das Objekt tie­ ferer Reflexion geworden ist, so lange wir insbesondere auf unser Selbstbewußtsein nicht unsere Reflexion richten, setzen wir unbefan­ gen voraus, daß der Geist ganz innerhalb unsers Bewußtseins falle, und wir nehmen unser Selbstbewußtsein mit seinem Inhalt für das volle Spiegelbild unseres Geisteswesens. Ja wir machen nicht ein­ mal die Unterscheidung zwischen dem Spiegelbild und dem Abge­ spiegelten, sondern wir identificiren ohne Weiteres unsern Geist mit unserm Selbstbewußtsein. Daß hinter dem Horizont des letzteren auch noch etwas vom Geist existiren könnte, fällt uns in jenem Zu­ stand der Naivetät nicht ein, am wenigsten, daß es möglich wäre, der Geist sei eine Welt voll der mächtigsten Potenzen, von denen nur der geringste Theil sich in dem Licht des jeweiligen Bewußtseins offenbare. Bei fortschreitender Vertiefung drängt sich allerdings

42 diese Annahme, welche instinktartig freilich auch zuvor schon gewirkt hat, Jedem auf;

aber bis sie fruchtbar wird und die Bedeutung

dieser Erkenntniß in's Licht tritt, steht eS lange an. die Meinung aufhören, Größe sei;

daß unser

Selbstbewußtsein

es muß sich erst kennen als einen

seinem Abschluß gekommenen Proceß.

Erst muß ja eine fertige

noch keineswegs zu

Erst wo einmal die schwierige

Selbstkritik geübt ist, welche anerkennt, daß wir noch lange nicht im vollen Sinn zu uns selbst gekommen sind, erwacht das Verlangen, durch fortschreitende Vertiefung dem Wesen des Geistes auch auf der vom Licht des Bewußtseins

nicht beschienenen Seite auf den

Grund zu kommen. Von einer naiven, Täuschung ist die Rede.

ursprünglich

ganz

unschädlichen

optischen

Wird sie aber auch auf dem Standpunkt

wissenschaftlicher Untersuchung noch festgehalten, so führt sie zu ge­ waltigen Irrthümern und Einseitigkeiten.

Denn es ist

klar, daß

es nicht gut sein kann, wenn man einen Theil für das Ganze und eine Reihe von Erscheinungen für das Wesen nimmt. sogar der Gefahr aus

DaS setzt

das Wesen des Geistes ganz zu verkennen,

wie denn die materialistische Leugnung des Geistes nur die uner­ schrocken gezogene Schlußfolgerung ist aus dem idealistischen Auf­ gehenlassen des Geistes im Proceß des Bewußtseins.

Wo der Geist

mit dem Bewußtsein zusammenfällt, gibt eö keine Brücke mehr hin­ über von der Materie zum Geist, sie verhalten sich als berührungSlofe Gegensätze, von denen man Nichts zu sagen weiß als daß das Eine ist, was daS Andere nicht ist;

und diese Quelle eines uner­

träglichen Dualismus wird alsdann

nur auf gewaltsamem Wege

verstopft, sei'S daß der Materie oder daß dem Geiste die Realität abgesprochen wird.

Es verhält sich nun in der That so, daß auch

die Wissenschaft von jener optischen Täuschung

sich nur langsam

losmacht; es stimmen tat Festhalten der Annahme,

daß der Geist

sich mit dem Selbstbewußtsein und seinem Inhalt decke, ganz ent­ gegengesetzte Richtungen zusammen, freilich von sehr entgegengesetzten Motiven getrieben.

Denn der sich immer zum Materialismus aus-

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gestaltende Sensualismus ergreift im Interesse der Materie so zu sagen Partei gegen den Geist, welcher weichen muß um der Materie als dem einfachsten und einheitlichen Erklärungsgrund alles Daseins und dem einzig Festen Raum zu machen. Der Idealismus aber pocht auf das Selbstbewußtsein, er glaubt im Selbstbewußtsein nicht nur den Weg zum Realen sondern auch den Inbegriff aller Rea­ lität zu haben. Da nun aber der Idealismus nicht minder als der Materia­ lismus hinsichtlich des Begreifens des menschlichen Geistes in die Brüche führt, indem sie beide für die Thatsachen des geistigen Le­ bens keine genügende Erklärung bieten, ja sogar dieselben zu ent­ stellen genöthigt sind, so erheben sich ernstliche Zweifel gegen jene naive Voraussetzung, als gehe der menschliche Geist im Bewußtsein auf. Und die einfache Würdigung der Nächstliegenden Thatsachen genügt um uns eines Bessern zu belehren. Nur dem oberflächlichen Blick können die Akte unsers Selbstbewußtseins als völlig gleichartig oder als fortlaufender, in allen seinen Momenten sich selbst gleicher Akt erscheinen. Näher besehen erkennen wir, ganz abgesehen von dem wechselnden Inhalt, der uns nur von außen herein zu kommen, gleichsam durch das Fenster hereinzusteigen scheint, auch einen In­ halt, der sich aus den verborgenen Tiefen des Geistes selbst gehoben ansammelt. Wir haben von ihm das Bewußtsein, daß er unser Produkt ist in zweierlei Sinn, einmal in dem daß er nicht ohne unsere Aktivität zu Stande kommt, sodann in dem daß er kein Erzeugniß der Willkür ist, sondern aus dem verborgenen Schatze einer in uns liegenden Potenz herausgearbeitet. Diese Thatsache reicht allein schon hin, uns über unser Selbstbewußtsein zurückzuweisen und eine Realität des Geistes anzunehmen, deren Tiefen das Licht unsers Selbstbewußtseins noch lange nicht durchleuchtet. Aber auch ein schärferer Blick auf das Selbstbewußtsein als Akt, abgesehen von dem Inhalt, welcher den Akt erfüllt und ihn erst specialisirt, ihm seine Farbe, sein Leben gibt, liefert unö dasselbe Resultat. Denn eö stellt sich zwar dar als eine Linie, welche uns nöthigt,

44 nach rückwärts und vorwärts einen ununterbrochenen Zusammenhang zu postnliren; in Wahrheit aber ist ein solcher Zusammenhang ohne Unterbrechung nicht vorhanden. durch

Unser Selbstbewußtsein ist schon

die gewöhnlichen, täglich sich wiederholenden Erscheinungen

unserer physischen Organisation, durch den Schlaf unterbrochen und muß allemal nach dieser Unterbrechung erst von Neuem anknüpfen und sich erst wieder finden; es kommt aber noch eine gute Anzahl von außerordentlichen Zuständen hinzu, welche unser Selbstbewußt­ sein völlig unterbrechen.

Wollen wir nun die Behauptung wagen,

welche allerdings conseqnent aus der Identificirung von Geist und Selbstbewußtsein folgen müßte, daß bei jeder solchen Unterbrechung des letzteren der Geist seine Existenz beschließe und mit jedem neu­ erwachten Bewußtsein ein neuer Geist da sei?

Abgesehen von der

Abenteuerlichkeit der Behauptung widerlegt sie schon das Faktum der Erinnerung, die Continuität des Bewußtseinsinhalts, das Bedürfniß der Anknüpfung an die hinter und liegenden Bewußtseinszustände. Oder wollen wir im Gegentheil uns hinter die Behauptung verschanzen, daß das Selbstbewußtsein in Wahrheit niemals unterbrochen sei und daß wir von jenen Zeitabschnitten, welche unsere gewöhnlichen Be­ wußtseinszustände, unser Tagesbewußtsein unterbrechen, nur keine klare Erinnerung haben? Man könnte sich die Lermnthung noch gefallen lassen, daß die Erinnerung uns im Stiche lasse, wiewohl schon das als regelmäßige Erscheinung bei angenommener Maaßen ununter­ brochenem Selbstbewußtsein schwer genug zu erklären nnd unwahr­ scheinlich genug sein dürfte. Wir streiten nicht darüber. Aber würde man nicht mit der Behauptung eines gewaltsamen Abbrechens dex Erinnerung zugeben, daß wir eigentlich ein Doppelleben des Geistes führen?

Denn

wenn

auch die beiderseitigen Bewußtseinszustände

zeitlich ganz hart aneinanderstoßen und einander ablösen, so ist eben das Verbindende weg, nämlich die Erinnerung, ohne welche eö keine Continuität des Bewußtseins gibt.

Und so müßte also selbst der

Standpunkt, welcher Geist und Selbstbewußtsein sich decken'läßt, zuge­ stehen, daß die größere Hälfte unsers Geisteslebens für unser zusammen-

45 hängendes Bewußtsein im Dunkel liege. Wenn aber das Selbstbewußt­ sein keine in sich zusammenhängende Pinie ist und dennoch eine Continuität desselben vorhanden, so drängt sich die Frage auf, was denn diese Continuität trotzdem ermögliche, und zwar wohlgemerkt als eine solche, welche uns als ein Bedürfniß unseres Gcistwesens und als Produkt unserer Thätigkeit erscheint.

Das ist nur erklärlich, wenn

wir annehmen, daß unser Geistwesen hinter unser Selbstbewußtsein zurückreiche und ihm als Substrat zu Grunde liege,

welches bleibt

und nach dem Licht des Bewnßtw'erdens sich streckt,

auch wo das

Selbstbewußtsein unterbrochen ist.

Alles wird erklärlich, wenn uns

das Selbstbewußtsein nur ein Phänomen des Geistes, nur ein Entwicklungsmoinent desselben ist, während ein Substanzielles zu Grunde liegt, aus welchem es hervorgeht, und in welches es nur den Ein­ gang bildet, vermöge dessen wir in die Tiefe gelangen. Noch in einer andern Beziehung ist nns das Selbstbewußtsein Zeuge für ein Zurückreichen des Geistes über das Selbstbewußtsein. Man braucht ja nur an das erste Aufdämmern des Bewußtseins im Kinde, an die allmähligeu Uebergänge in den Zustand der Be­ wußtlosigkeit und die Rückkehr ans ihm, cm das allmählige Trüb­ werden des Bewußtseins im hohen Alter zu denken um sich zw sagen, daß das Selbstbewußtsein keine constante Größe, vielmehr seine In­ tensität sehr verschieden sei.

Nicht nur ist es dem naturförmigen

Herauswachsen aus der Bewußtlosigkeit und dem Rückgang in die­ selbe unterworfen aus physischen Ursachen, sondern es ist auch durch die Energie des Willens und die darauf ruhende Geistesentwicklung bedingt,

so daß also das Selbstbewußtsein eine unendliche Menge

von Graden der Intensität in sich faßt, welche sogar miteinander wechseln

und

dennoch

untereinander,

zeitlich aneinander gränzenden,

und zwar

nicht bloß die

in Continuität stehen.

Wollen wir

das Geistesleben nicht in der geistlosesten Weise zum Produkt einer bunten und für dasselbe äußerlichen und zufälligen Reihe von Ur­ sachen machen, wodurch wir den Geist und das Selbstbewußtsein zu einem todten Schein herabsetzen, da es in diesem Fall kein Selbst,

kein Ich gibt, so bleibt nichts Anderes übrig als die Annahme, daß alle diese so sehr differirenden Bewußtseinsznstände aus Einer Quelle hervorspringen und in Eine Quelle wieder zurücksinken zu neuem Hervorbrechen;

wir müssen also

eine

Geistessubstanz

annehmen,

welche sich nicht mit dem Selbstbewußtsein deckt. So begreift man,

daß kein Akt des Selbstbewußtseins unser

volles Geisteswesen repräsentiren kann,

daß nicht einmal die Ge­

sammtheit

die

unserer

Bewußtseinszustände

ganze Fülle unseres

Geistes repräsentirt, und die Unvollkommenheiten unserer Bewußt­ seinszustände sind vollkommen erklärlich.

Setzen wir vollends unser

Geisteswesen ebenfalls als ein keineswegs an sich und für immer fertige-, sondern als eine Potenz, welche sich erst entfalten und realisiren will und zwar auf dem Wege der Selbstverwirklichung, so ist noch klarer, wie dem der eben besprochene Charakter unseres Selbstbewußtseins entspricht. Wir werden einsehen, daß unser Selbst­ bewußtsein als Moment der Selbstverwirklichung des Geisteswesens nur in dem Maaße und Umfang ein treues Spiegelbild desselben gibt, als die Selbstverwirklichung schon vorgeschritten ist. Der Grad der Selbstverwirklichung unseres Geistes aus seinen Tiefen ist das Maaß für den Gehalt unseres Selbstbewußtseins.

Und so erscheint

uns der Geist selbst, sogar der eigene, als eines der tiefsten Räth­ sel, an dessen Lösung wir fort und fort zu arbeiten haben nicht nur auf dem Wege des Forschen- sondern auch auf dem praktischen der bewußten Selbstrealisirung.

Kein Wunder also, daß wir der Frage

„was ist Geist" angelegentlich als einer geistigen Lebensfrage uns zuwenden. Ehe wir uns aber durch eine Beurtheilung der eingebürgerten Anschauungen vom Geistesleben den Weg bahnen zu der allein übrig bleibenden,

welche sich uns wie wir hoffen als fest gegründet und

als ein fruchtbarer Ausgangspunkt für die höchsten Interessen der Menschheit herausstellen wird, sei noch auf zwei Einseitigkeiten auf­ merksam gemacht, welche mit dem schon besprochenen Zusammen­ werfen von Geist und Selbstbewußtsein zusammenhängen und nicht

47 wenig dazu beitragen, daß eine gesunde Anschauung in der Wissen­ schaft so schwer auskommen kann. Bei jener Jdentificirung von Geist und Selbstbewußtsein ist es ganz folgerichtig, daß mau den Schwerpunkt der geistigen Existenz in das Denken fallen läßt und die übrigen Funktionen des Geistes nicht in ihrer vollen Bedeutung sich geltend machen können, weil sie eben nur unter dem Gesichtspunkt des Denkproceffes in Betracht kommen.

Es kann dies so weit gehen, daß Wollen und Gefühl zu

besonderen Arten des Borstellens herabsinken.

Indem so die intel­

lektuelle Seite des Geisteslebens über Gebühr erhoben wird, gelangt man nothwendig zu einer Unterschätzung und zu einem mangelhaften Verständniß, wohl auch zu einem völligen Mißverständniß der übri­ gen Geistesfunktionen.

Das aber kann auch praktisch nicht gleich­

gültig sein, da ein einseitiges Hochschätzen des Denkens nothwendig ein Zurücktreten der Pflege der Willens- und Gemüthsseite des Menschen zur Folge hat, so daß die Pflege der einen Seite auf Kosten der andern geht,

was nicht einmal zum Vortheil des bevorzugten

Denkens auSschlagen dürfte,

welches vielmehr in der einseitigen

Pflege vergällt und der Natur der Dinge und seiner eigenen Anlage nicht mehr entsprechende Produkte liefert. AuS dieser miberechtigten Bevorzugung des Denkens entspringt noch eine zweite Einseitigkeit, ja ein förmlicher Irrthum, eine voll­ ständige Verkehrung des Thatbestandes. Weil es nämlich das Denken mit Abstraktionen zu thun hat oder genauer zu reden sich der Ab­ straktion bedienen muß, um das an sich nicht abstrakte und schatten­ hafte, sondern ganz conkrete Wesen der Dinge in eine Denkform zu fassen, so erscheint das überwuchernde Denken in den Augen derer, welche die Denkform des Begriffs und das Wesen der Dinge nicht mehr unterscheiden, als ein schöpferisches Hervorbringen des Wesen­ haften, des Begriffs.

Und da der Begriff sich als das Allgemeine

charakterisirt gegenüber dem Besonderen und Einzelnen, so wird dieses Letztere als das Unwesenhafte, an sich selbst Nichtige zur Seite gestellt, bleibt aber freilich als Stein des Anstoßes stehen.

Indem

48 nun der Geist mit dem in abstrakter Weise gefaßten Selbstbewußt­ sein und mittelbar mit dem Denken, dieser Macht des „Allgemeinen", identisch gesetzt wird, so erscheint auch an ihm das Conkrete, das Individuelle nur als das Unwesentliche, ja als zu entfernende Trü­ bung seines Wesens. „Allgemeine".

Der Geist wird dargestellt als das wahrhaft

Dies ist die vollständigste Verkennung des Sachver­

halts und darum ein fundamentales Hinderniß gesunder Psychologie. Denn wenn irgend Etwas in der Welt conkret, d. h. eine Bestimmte, in sich fest geschlossene Realität ist, so ist es der Geist, weiterhin zu zeigen hoffen.

wie wir

Im Grunde läßt sich bei der Behaup­

tung, daß der Geist das Allgemeine sei, nicht einmal etwas Positives denken, weil ja das „Allgemeine" selbst Nichts ist als eine Abstrak­ tion, eine Denkform, ein von unserem Denken gebildetes, sehr un­ vollkommenes, wenn auch in unserer Geistesnatur begründetes Hilfs­ mittel unseres Denkens.

Nur als negative Aussage hat jene Be­

hauptung einen Sinn, den daß der Geist nicht ein Conkretum ist, daß gerade das Individuelle,

das Eigenartige, das Punktuelle an

ihm das Nichtseinsollende und Nichtige sei. das genaue Widerspiel der Wahrheit.

Allein dieser Sinn ist

Denn man entleert damit

den Geist seiner lebendigen Fülle, setzt ihn herab zum todten, wesen­ losen Schatten und verschließt sich förmlich das psychologische Ver­ ständniß des Geistwesens, weil Alles, was uns die Erfahrung vom Geist darbietet, den Charakter des Individuellen und der Sammlung aller Strahlen in einem Brennpunkt trägt.

Hinweg also mit dem

Trugbild des „Allgemeinen" als des eigentlichen Wesensgehaltes des Geistes.

Es müßte unS, wenn wir es festhalten wollten, einer dem

Leben entfremdeten Scholastik zuführen und würde, wenn eS je Ein­ fluß auf das Leben gewänne, die schädlichsten Felgen nach sich ziehen. Denn eine solche Theorie ist ein Hemmschuh für die freie und fröh­ liche Entwicklung der Individualität, sie ist die Gegnerin des Rechts der Persönlichkeit; sie wird mithelfen, die Menschen unter den Zwang der Schablone zu beugen. Wenn demnach derlei Irrthümer so bedenklich in das Leben

49

einzugreifen vermögen, jedenfalls unsre Lebens- und Weltanschauung verunstalten, wenn ferner die verschiedenen Auffassungen des Geist­ wesens im engsten Zusammenhang stehen mit den schroffen Gegen­ sätzen der Weltanschauungen in unserer Zeit, so ist eS gewiß nicht überflüssig, wenn wir uns mit den Gegensätzen auseinandersetzen, besonders wenn wir nicht bloß negative Kritik üben, sondern vor Allem unS bemühen, die berechtigten Seiten in diesen Einseitigkeiten aufzusuchen und die Ansätze aufzuzeigen, an welchen anzuknüpfen ist, wenn die Gegensätze in einer höheren Einheit sollen versöhnt werden. Und das möchte einer der wesentlichsten Schritte sein, um die so extrem gegeneinanderstehenden Weltanschauungen, von welchen jede ein oder mehrere Momente der Wahrheit enthält, selber in einem höheren zu vereinigen, ich meine die des fpiritualistischen Dualismus, des idealistischen Pantheismus und des sensnalistischen Materia­ lismus. Diejenige Anschauung, welche sich immer wieder neu erzeugt wo noch kein wissenschaftliches Bedürfniß erwacht ist, ist die, welche dem Geist eine Existenz für sich einräumt. Da hier das Denken noch mehr vorstellend verfährt, so reflektirt eS noch nicht auf den Zusammenhang des Geistes mit der übrigen Welt, um ihn so gene­ tisch zu begreifen; vielmehr setzt es jeden Geist, wie er sich der Vor­ stellung darbietet,'noch unbefangen als eine einzelne Realität, welche nur in losem Zusammenhang steht mit den übrigen Existenzen. Aus dieser Anschauung ergab sich, wo sie in das wissenschaftliche Be­ wußtsein einging, der sogenannte Spiritualismus, welcher den Geist als diese einzelne selbstbewußte Realität nur in einen losen, vorzugs­ weise negativ bestimmten Zusammenhang mit der Natur, ja sogar mit dem eigenen Leib zu setzen weiß. Dieses negative Verhältniß drängt nothwendig zum Dualismus, da zwischen rein Entgegengesetz­ tem nur eine nnausfüllbare Kluft sein kann. Die Wissenschaft konnte bei dem Dualismus freilich nicht stehen bleiben und ebensowenig sich mit den Nothbrücken begnügen, welche der Spiritualismus über die tiefe Kluft zu schlagen versuchte. Es erwachte der Draug nach einSpäth, Welt und Gott.

4

50 heitlicher Weltanschauung zu immer vollerem Bewußtsein. Er schlug zwei verschiedene Wege ein, -welche einander sonst schlechtweg ent­ gegengesetzt in dem Einen übereinkommen, daß sie den Dualismus durch den Monismus ersetzen wollten, indem sie Alles auf Eine Substanz zurückführten, somit die Realität der Einzelexistenzen als solcher im Princip aufhoben.

Die eine Richtung, die idealistische,

stellte sich auf die Seite des Geistes und schob entweder die unter­ geistige Welt als ein Geistloses auf die Seite, ihr kaum eine Be­ achtung schenkend,

oder sie zog dieselbe in das Gebiet des Geistes

herein, indem sie sie als niedere Ausgestaltung des Geistes, als den Geist im Schlummer auffaßte.

Dieser idealistische Monismus ge­

staltete sich nothwendig pantheistisch; da die Einheit der Welt nur erreichbar sein soll durch Setzung Einer Substanz, welcher allein Realität zuzuschreiben ist, so ist eben Gott diese Substanz, die ein­ zige Realität; es bleibt hier kein Raum für einen absoluten, aber sich selbst bestimmenden, die Welt von sich unterscheidenden Geist, ebenso wenig kann im Ernst die Rede sein von individuell persön­ lichen Geistern, da diese vielmehr nur die Verpuppungen des Einen Geistes sein können. Der andere monistische Versuch, der materialistische, geht von der Wahrnehmung und der in ihr dargebotenen handgreiflichen Er­ fahrung auS;

es ist daher das Gebiet der Natur, um dessen Er­

kenntniß es sich vor allen Dingen handelt.

Zunächst sie und sofort

die gesammte Welt soll erklärt werden aus der alleinigen Realität der Materie.

Es gibt also nur Materie, und Alles, was existirt,

sei'S materiell oder geistig, kann demnach nur sein eine Erscheinung an der Materie, eine Folge ihrer sei'S mechanisch sei'S dynamisch gefaßten Bewegung.

Somit gibt es keinen Geist, wie im Grunde

keine einzelnen in sich geschlossenen Dinge überhaupt,

sondern nur

eine stromartig alles Einzelne verschlingende Masse von Verände­ rungen,

welche in letzter Linie in einer endlosen Verschiebung der

Weltatome gründen. So berechtigt und nothwendig das Streben ist, eine einheitliche

51 Weltanschauung zu gewinnen, die Welt wirklich als Kosmos zu be­ greifen, so verfehlt ist der Weg, das zu erreichen mittelst des Monis­ mus, und zwar der idealistische nicht minder als der materialistische. Beide wollen nämlich mit einem ganz falschen Mittel helfen.

Es

handelt sich um Ausweisung des organischen detaillirten Zusammen­ hangs; sie aber zerhauen den Knoten und setzen an die Stelle einer die Vielheit ertragenden Einheit die Vereinerleiung. wird hier,

Die Welt

so zu sagen, zu einer gleichartigen Masse zermahlen in

dem Wahn, daß man dadurch Einheit erlange.

Wer Einerleiheit

ist keine Einheit, vielmehr ist gerade sie der Tod aller lebensvollen, organischen Einheit, und da sie der Vielheit doch einen Platz ein­ räumen muß, die Wiege des Atomiömus, derjenigen Theorie, welche die Welt in unendlich viele eigenschaftslose, unter sich zusammenhangelose, in keiner Erfahrung aufzuzeigende Punkte, welche räumlich und raumlos zugleich sein sollen, zerschlägt, also jede wahre Einheit un­ möglich macht. So schlecht die monistische Einheit ist, so schlecht ist diese- ihr Gegengewicht, die atomistisch gefaßte Vielheit. Und es ist meist übersehen,

aber beachtenSwerth,

daß sich der AtomiSmus bei

dem idealistischen Monismus nicht weniger zeigt als bei dem mate­ rialistischen.

Denn wäS ist dieses endlose Nebeneinander und Nach­

einander von Erscheinungen des unendlichen Geistes oder der Idee oder der Substanz als der unverhüllteste Atomismus, das Bekennt­ niß der geistlosen Vielheit in der geistlosen Einheit. Diese Kritik ist herb, aber gerecht;

sie muß herb sein bei der

Dreistigkeit, mit der man nns den Monismus als. das einzig Mög­ liche anpreist und bei der Gefahr für die höchsten Güter, mit welcher die Menschheit dadurch bedroht ist.

Wir wissen beide zu schätzen,

den Materialismus als den Vertreter der Sinnenwelt, den Idea­ lismus als den Vertreter der Geisteswelt; aber wir können weder übersehen, daß ihr einseitiges Recht gegen die entgegengesetzte Rich­ tung ein Unrecht in sich schließt, noch uns um etwaiger Verdienste willen verhehlen, woran sie beide miteinander kranken. So theilen nun die beiden Geistesrichtungen auch hinsichtlich

4*

52 der Lehre vom Geiste untereinander ihre Vorzüge und ihre Gebre­ chen.

Beiden ist gemein, daß sie die Realität des Geistes nicht als

eine individuelle persönliche begreifen, ja nicht einmal als solche an­ erkennen können, wenn sie consequent sein wollen, sondern aus ihm bloße Phänomene entweder der absoluten Getstessubstanz oder an der Materie machen. Beide theilen aber auch das ächt wissenschaft­ liche Streben den Geist zu begreifen im Zusammenhang des Ganzen. Da stellt sich denn der Idealismus die Aufgabe den Geist in seiner Unabhängigkeit von der Materie und seinem Herrschaftsverhältniß zu ihr zu begreifen, der Materialismus faßt des Geistes tiefe Ab­ hängigkeit von der Materie ins Auge.

Sie haben beide ihr Recht,

nur ein einseitiges, indem sie ihre Aufgabe unvollkommen sich stellen, also auch einseitig lösen müssen. Sind nun beide wissenschaftliche Versuche, von denen eigentlich nur noch der eine in der Blüte ist, während der andere, der idea­ listische, bereits sich ausgelebt hat in Folge der Einsicht, daß er der Erfahrung nicht genügend Rechnung trage, als unhaltbar erkannt, so müssen wir zu der ursprünglichen populären Auffassung zurück­ gehen und sie prüfen, ob sie nicht ein tieferes Element der Wahr­ heit in sich berge, welches von den beiden Theorien im lebhaften Bestreben

dem Dualismus zu entgehen

an

ihr

ignorirt wurde.

Ein Drittes ist ja nicht denkbar: entweder der selbstbewußte Geist ist keine substanzielle Realität, sondern nur die Erscheinung,

das

Accidentelle einer Substanz oder er ist allerdings selbst ein Sub­ stantielles und zwar in seiner individuellen Conkretheit.

Sind also

die moralischen Lösungsversuche ungenügend, so sind wir auf die am nächsten liegende populäre Anschauung zurückgewiesen. Von ihr fragt es sich nun aber, ob der Dualismus nothwendig an ihr hängt, wie derselbe in der einstigen wissenschaftlichen Ausbildung aus ihr er­ wachsen ist.

In diesem Fall wäre der Knoten unlösbar,

da ein

Dualismus uns die Begreiflichkeit der Welt als eines Ganzen un­ möglich machte.

Wir sind jedoch keineswegs verurtheilt, auf jede

Lösung zu verzichten.

Das wäre nur der Fall, wenn der Dualis-

53 mus in der Annahme einer Mehrheit von verschiedenartigen Substanzialitäten wurzelte, wie der Monismus meint. davon,

Allein abgesehen

daß wir die Vielheit und mit ihr die Berschiedenartigkeit

selbst beim strengsten Monismus doch nicht los werden,

lehrt uns

die gesammte Erfahrung, daß gerade dies die Art aller Stoffe ist, anders Geartetes zu ihrer Ergänzung zu.verlangen und mit ihrer lebensvollen Bethätigung auf anders Geartetes angewiesen zu sein. Der Dualismus kann also nur darin liegen, daß das Verhältniß der verschiedenen Substanzialitäten nicht richtig erkannt ist. stellt sich auch leicht genug heraus.

Und das

Denn was ist schon zum Vor­

aus wahrscheinlicher als daß das angenommene negative Verhältniß von Geist und Materie, Geist und Natur, Geist und Körper, wobei man sich begniigt, dem einen die Prädikate abzusprecheu, welche dem andern wesentlich und eigenthümlich zu sein scheinen, eben nur ein unfreiwilliges Bekenntniß ist, daß man der Verschiedenartigkeit noch nicht beizukommen wisse. Darin liegt aber nur die Aufgabe ein weit innigeres positives Verhältniß dessen aufzusuchen, wäö uns in der Welt nun einmal bereits vereinigt vorliegt. Und hiefür haben denn auch die monistischen Theorien trotz der Mangelhaftigkeit ihres Prin­ cips das Ihrige gethan. Wir erhalten demnach das interessante Resultat, daß wir von der monistischen Auffassung uns zurückwenden müssen zu der sich jedem Menschen in seiner Naivetät aufdrängenden, nur daß wir nicht bei der Oberfläche stehen bleiben, sondern in das organische Inein­ ander der verschiedenen Substanzialitäten eindringen müssen, um so dem zu genügen, was der Monismus d. h. die Zurückführung aller Weltexistenzen auf Eine Substanz wollte, aber verkehrt angriff, näm­ lich eine wahrhaft einheitliche Weltanschaunng zu gewinnen. Es vertheilt sich uns die Aufgabe in zwei Untersuchungen. Erst müssen wir von der Thatsache des selbstbewußten Lebens aus das Wesen deS Geistes für sich erkennen, und alsdann handelt eS sich um sein Verhältniß zu der übrigen Welt, zunächst zu seinem Leibe. Das Letztere soll dem folgenden Abschnitt vorbehalten sein.

54 Gehen wir aus von unsern geistigen Funktionen, dem Denken, Fühlen und Wollen, so ist die alsbald sich aufdrängende Bemerkung die, daß sie nichts weniger als einen bloß von außen her bestimmten, also zufälligen Wechsel der Erscheinungen repräsentiren, sondern sie stehen in einer organischen Bethätigung, welche sich von innen heraus bestimmt und nach ihren eigenen Gesetzen fortschreitet. Und zwar sind es zwei Momente, welche zusammenlaufen.

ES gibt ein natürliches

Sichentwickeln dieser Funktionen, ein Wachsen derselben parallel dem Wachsen in der nntergeistigen Schöpfung; aber nicht minder finden wir hervorgehend aus dem unauslöschlichen Triebe zur Selbstthätig­ keit ein Sichentwickeln, welches Produkt eigener That, Selbstverwirklichung im vollen Sinne ist.

also eine

Da haben wir nun in

dieser einfachen Bemerkung den schlagenden Beweis, daß wir es beim menschlichen Geiste nicht bloß mit einem Aggregat von geistigen Phänomenen zu thun haben,

welche möglicherweise einem ganz an­

dere Natur an sich tragenden Stoffe anhängen könnten, wie das der Materialismus annimmt; hier muß vielmehr ein geistiger Kern sein, eine Geistessubstanz, welche sich aus einem Keimleben ähnlich heraus­ arbeitet, wie wir dergleichen in der Natur sehen.

Schon daö natür­

liche Wachsen und Sichentwickeln der geistigen Funktionen in Trieb­ form läßt keine andere Annahme zu, viel weniger aber läßt sich die freie bewußte Selbstverwirklichung erklären, wenn man nicht an­ nimmt, daß der menschliche Geist eine reelle Substanz ist,

welche

ihre Natur als eine jedem Akt schon vorausgesetzte in sich trägt. Das eine Faktum, daß das ganze Geistesleben sich in bestimmtem Stufengang aus der embryonalen Existenzform erhebt zu der des vollen freien Selbstbewußtseins, ist hinreichend uns zu überzeugen, daß es sich hier um sehr reelle und starke Potenzen handelt, von denen wir in der Natur nur schwache, niedrige Analogien finden. Man ist gewohnt, daö geistige Leben mehr als ein fertiges zu betrachten

statt daß man es in seinem ganzen Entwickelungsgang

fassen müßte.

Daher kommt es wohl,

daß man dem Triebleben

unseres Geistes nicht die gehörige Aufmerksamkeit zuwendet und es

55 nicht in seiner vollen Ausdehnung würdigt;

es verschwindet zum

großen Theil unserm Blick, der sich von der lichten Oberfläche deS bewußten Geisteslebens in Beschlag nehmen läßt.

In Wahrheit ist

unser gesammteS Geistesleben ein Produkt von zu Grunde liegenden Trieben, ja selbst die freiesten und höchsten Lebensäußerungen deS Geistes, die wir als die der Freiheit und der Vernunft zu bezeich­ nen pflegen, wurzeln in Trieben, Don- denen wir gar nicht glauben dürfen, daß sie bei errungenem vollem Selbstbewußtsein rein umge­ setzt und aufgegangen seien in freie Thätigkeit, welche vielmehr als beherrschende Triebe fortwirken und als unauSgeschöpfte Quelle eine steigend- Selbstverwirklichung ermöglichen.

Wir müssen daher von

einer Geistesnatur reden, da die Triebe nichts Anderes sind als das Sichgeltendmachen von Potenzen, die dazu bestimmt sind, allmählig in die Aktionsform relativ freier Selbstthätigkeit überzugehen. Die einfachste Selbstanschauung, wie sie in jedem Akt unseres Be­ wußtseins enthalten ist, läßt uns also mit aller Sicherheit erkennen: der Geist ist nicht bloßes Phänomen oder gar eine zufällige Summe von innerlich nicht einmal untereinander verbundenen Phänomenen, sondern er ist eine Substanz, welche ihre Entwicklung in sich selbst angelegt trägt, ehe noch das Bewußtsein in ihr aufdämmert, welches vielmehr selbst nichts Anderes ist, als eine in der GeisteSnatur an­ gelegte Lebensäußerung.

Der Geist existirt vor dem Bewußtsein,

daS Selbstbewußtsein ist nur die Höhe seines Entwicklungsprocesses, ein Phänomen des Geisteslebens. Und so gewiß der Geist ein werth­ loser Embryo bleiben würde ohne den Eintritt, in das Bewußtsein und Selbstbewußtsein, so gewiß ist seine Existenz nicht auf die Be­ wußtseinsform beschränkt, sondern geht ihr vorher, und eS liegt immer die GeisteSnatur dem bewußten Geistesleben in seiner vollen Aus­ dehnung treibend und Kraft entwickelnd zu Grunde. Ein Zweites, was sich als Eigenthümlichkeit unseres bewußten Geisteslebens erweist, ist seine Individualisirung. Ansätze zur Individualisirung sehen wir auch in der Natur und zwar um so klarere und bestimmtere, je höher die Stufe des Naturlebens ist, auf welche wir

56 blicken.

Finden wir doch bei der höheren Thierwelt selbst psychische

Eigenthümlichkeiten der einzelnen Exemplare. ES ist als wenn schon hier die straff angezogenen Bande des Gattungslebens etwas ge­ lockert waren, um dem Einzelwesen etwas freieren Raum zu gönnen. Dennoch sind auch bei den höchsten Thierklassen die Ansätze zu aus­ geprägter Individualität höchst primitiv und bleiben dem GattungSleben durchaus untergeordnet.

Dagegen spielt in unserm Geistes­

leben die Individualisirung eine wahrhaft beherrschende Rolle, wo­ von wir die -Rückwirkung auch an unserm Leibe wahrnehmen, ob­ wohl dieser von Haus aus ganz dem GattnngSleben verfallen ist. Während in der Natur die individuellen Unterschiede so untergeord­ net und (für unser Erkennen wenigstens) zufällig sind, daß die Ein­ zelnen nicht als solche, sondern nur alS Exemplare der Gattung Bedeutung zu haben scheinen, so ist es in unserm Geistesleben ge­ rade das Individuelle, das keinem Anderen gleich sein, was dem Einzelnen seinen hohen Werth und seine Stelle in der Welt gibt. Zwar auch auf diesem Gebiet macht sich ein gemeinsamer Typus geltend, innerhalb desselben aber ist Alles auf eine ganz individuelle, ja singuläre Ausprägung angelegt. Und unschwer läßt sich erkennen, daß die Möglichkeit unserer Erhebung zu persönlicher Selbstständig­ keit eben darauf sich gründet, daß wir nicht bloße variirende Exem­ plare der Gattung, sondern singulär angelegte Geistesnaturen sind, welche ein Recht darauf Habens gerade das geltend zu machen, was in ihre GeisteSnatur eigenthümlich gelegt ist und sonst von keinem verwirklicht werden kann, weil eS nur Eine solche Veranlagung in der Geisteswelt gibt.

Wir dürfen demnach mit gutem Grund be­

haupten: jedes Geisteswesen ist von Haus aus kein Abstraktum, kein Allgemeines, kein Teig, aus dem alles Mögliche geformt werden könnte,

sondern es ist ein Conkretum mit ganz individueller Be­

stimmtheit, schon vor allem Bewußtsein und den Einflüssen auf dem Wege der Entwicklung trotz aller Verwandtschaft und alles Zusam­ menhangs mit der übrigen Geisteswelt ein singuläres Wesen. Hier­ auf beruht alle Originalität, welche somit nicht das Privilegium

57 einiger seltener Exemplare der menschlichen Gattung, sondern, frei­ lich in sehr verschiedener Gradabstufung, das Erbtheil aller Geist­ wesen ist. Diese singuläre Bestimmtheit ist nun freilich keine starre, tttv bewegliche; sie bethätigt sich nicht in gleicher Gebundenheit, in wel­ cher wir die Substanzen der Natur schlummern sehen.

Bei dem

Geiste erhebt sich vielmehr die Bestimmtheit seiner Natur aus inne­ rem Triebe zur Selbstbestimmung, und so erwächst aus dem Boden der eingeborenen Eigenthümlichkeit ein selbstbewußtes und sich selbst bewegendes Geistesleben, das sich berufen zeigt, den Zustand voller Macht über sich selbst zu erringen.

Dies ist wiederum eine That­

sache und vielleicht die am unmittelbarsten sich aufdrängende, darum aber auch die wichtigste und sicherste Thatsache.

Wir finden unö

jederzeit nicht nur als bestimmte, sondern auch als uns selbst be­ stimmende Individualitäten. Ja daS eben erweist sich unS als unser Eigenstes, daß wir unS selbst bestimmen können und so vermögen, uns in unserer innersten Eigenthümlichkeit der ganzen Welt entgegen­ zustellen,

wie auch ihr einzugliedern.

In dieser Selbstbestimmung

liegt der Schwerpunkt der Persönlichkeit.

Denn Persönlichkeit ist

nicht eine schablonenmäßige Existenzform, Selbstbewußtsein genannt, sondern eine Fülle von ganz eigenthümlich gearteten Potenzen mit einem ganz singulären Mittelpunkt, von welchem aus bewußte Herr­ schaft über dieselben geübt wird.

Indem der Geist sich selbst be­

stimmt, ist er Persönlichkeit, und damit ist das spezifische Wesen des Geistes gegenüber der Natur bezeichnet.

Es gibt keinen Geist, der

nicht wenigstens Anlage und Trieb zur Persönlichkeit in sich hätte; der Geist ist nicht ein bloßer Spiegel, in welchem sich das „Allge­ meine", der „Begriff" reflektirt, sondern das Allerconkreteste; und auch diese mittete und singuläre Fülle wird erst geistig belebt durch die Macht der Selbstbestimmung, welche sich auf Grund derselben erhebt. Man ist nicht gewohnt, auf die Selbstbestimmung solchen Nach­ druck zu legen, man räumt vielmehr dem Selbstbewußtsein die Stelle

58 ein, welche wir so eben der Selbstbestimmung vindicirten.

Auf den

ersten Blick könnte die-Differenz als bedeutungslos erscheinen, weil das Selbstbewußtsein allerdings unzertrennlich ist von der Selbst­ bestimmung, und sobald die letztere eintritt, auch jene da sein muß. Allein die Sache ist nicht so gleichgiltig. Muß die Selbstbestimmung dem Selbstbewußtsein den Platz räumen, so wird der innerste und intensivste Akt des Geistes bestimmt als ein bloßer WissenSakt, nicht als WillenSakt, und es tritt die vor Allem wichtige Frage, ob der Vorgang eine mit Naturnothwendigkeit eintretende Erschei­ nung oder eine That deS Geistes ist, ganz in den Hintergrund. Wir dürfen nicht einmal in dem Vorgang des Selbstbewußtseins, wie er sich beständig wiederholt,

einen bloßen „Proceß" schauen.

Er kommt nicht nur nicht ohne Selbstbestimmung zu Stande, sondern er ist seinem innersten Wesen nach selber eine Selbstbestimmung, ein Produkt intensiver Reflexion des Geistes auf sich selbst.

So

unbedeutend auch die That, welche im Selbstbewußtwerden vollzogen wird, im alltäglichen Leben, nachdem sie einmal vollzogen und der ihr entspringende Zustand zur Gewohnheit geworden ist, so ist sie doch eine entscheidungsvolle und große That.

Ist aber so das

Selbstbewußtsein als Produkt der Selbstbestimmung zu fassen, so sieht man, daß nichts Anderes als die Selbstbestimmung der eigent­ liche Kern unseres geistigen Wesens ist.

Sie macht den Geist zu

dem, was er ist, zu einer schöpferischen Potenz; denn der Geist ist ein originales Wesen, welches über einen bestimmten Fond frei zu verfügen berufen ist, aber sich diesen ihm eingeborenen Fond erst mit­ telst der Selbstbestimmung zu erobern hat.

Demnach liegt auch der

Schwerpunkt der Persönlichkeit nicht im Selbstbewußtsein, und auf der Seite des Wissens überhaupt nicht, sondern in der Selbstbestimmung und folglich auf der Seite des Willens; denn eben auf dem Wege der Selbstbestimmung verwirklicht sich der Geist selbst, und nur als der sich selbst verwirklichende ist und wird er Person. ' Wir sehen hier, wo die Ethik einsetzt und wie wichtig es für den sittlichen Ge­ halt einer Weltanschauung ist, wie wir die Frage nach dem Geistes-

59 wesen beantworten und ob wir in seiner Tiefe eine rein ethische Potenz erkennen. Es ist vom Geistwesen der Ausdruck Substanz gebraucht wor­ den.

Da unsere Zeit materialistisch angeweht ist, so liegt eö nahe,

bei diesem Wort die Vorstellung von etwas Materiellem, Stofflichem mit unterlaufen zu lassen.

Das nun ist hier ganz fern zu halten.

Wir verstehen eö als Gegensatz zu einer bloßen Erscheinung, einem bloßen Vorgang von etwas Realem,

wahrhaft Existirendem,

und

nennen daher so das nothwendig anzunehmende Substrat des be­ wußten Geisteslebens, die Quelle, aus welcher dieses hervorbricht. Allerdings kennen wir auch materielle Substanzen als Substrat des Naturlebens; aber auch

diese werden uns nicht reell durch ihre

Materialität, d. h. durch ihre räumlichen Eigenschaften und ihre Greifbarkeit, vielmehr wird sich «nS die Materialität dieser Sub­ stanzen gleichfalls nur als ihre Erscheinungsform zeigen und zwar als eine solche, an welcher wir ihren niederen, elementaren Charak­ ter erkennen, vermöge dessen sie in ihrer Gebundenheit und imma­ nenten Trägheit nicht mehr sein können als die Vorstufe der reelle­ ren Substanzen. Ziehen wir die Summe.

Wenn wir die offen vor jedem

Selbstbewußtsein daliegenden Grundthatsachen unsers Geisteslebens in ihrer ganzen Einfachheit und Solidität gelten lassen und uns hüten, sie irgend welchem Theorem zuliebe zurecht zu schneiden, so gelangen wir zu dem sicheren Grundstein, auf welchen sich eine ge­ sunde Weltanschauung bauen und überzeugend Herstellen läßt.

für jeden unbefangenen Sinn

Darnach ist der Geist ein Substanziel­

les, ja die ächte und höchste Realität, aber nicht der Geist als ein unbestimmtes Allgemeines, als Abstraktum, gegen welches sich die indi­ viduelle Darstellung in Personen wie ein Nichtseinsollendes verhielte, sondern als ein Reich conkreter, singulärer Substanzen. diese Substanzen erst zum Geiste macht, Persönlichkeit,

Aber was

das ist ihre Anlage zur

welche in der Potenz der Selbstbestimmung liegt.

Daß diese Wahrheiten in ihrer ganzen Tragweite zur Anerkennung

60

kommen, ist nicht nur eine Lebensfrage für die Philosophie, nicht nur ein unentbehrlicher Schutz gegen das Ueberwnchern naturalisti­ scher Anschauungen, sondern das sittliche Interesse jedes Gebildeten ist dabei betheiligt. Und es scheint uns die Erkenntniß nicht werth­ los zu sein, daß an dieser so tief greifenden Frage wenigstens nach der Hauptsache sich jeder Denkende betheiligen und eine sichere Ueberzeugung sich bilden kann, daß Jeder sich der zudringlichen Zumuthung erwehren kann, seinen Geist für nicht mehr als einen flatus vocis anzusehen. Was sich ans diesen einfachen Grundwahr­ heiten entwickelt, das ist eine gesunde ideelle Richtung, welche auf dem Boden der Natur und der Thatsachen überhaupt ihren Halt sucht und den unwiderstehlichen Trieb in sich schließt, sich in That und Leben umzusetzen. Das Gespenst der materialistischen Lehre, welche den Geist zum bloßen Phänomen am Körper herabsetzt und damit den Geist tödtet, ist mit allen seinen trostlosen Consequenzen hinter uns geworfen. Wir haben erkannt, daß der Geist nichts weniger ist als der Schatten, den der Stoff wirst. Es möchte sich uns im Weiteren der Stoff vielmehr als das dienende Material des Geistes herausstellen, dem jede Bedeutung abgeht, sobald er seiner untergeordneten dienenden Stellung zur Geisteswelt entnom­ men wird. Es dürfte passend sein, noch besonders auf einen hohen Ge­ winn für die sittliche Erkenntniß hinzuweisen. Wir sind gewohnt, von Steigerung unserer einzelnen Geistesanlagen zu reden, die sich nach Umfang und Stärke auf dem Wege der Uebung heben lassen. Nicht so eingebürgert ist jene großartige Idee der Personbildung, mit welcher Schleiermacher den religiösen und sittlichen Boden neu befruchtet hat. Von unserer Auffassung aus ergibt sich die Person­ bildung als unumgängliche Consequenz; wir erkennen,, daß der Cen­ tralpunkt des Geisteslebens selbst, die Persönlichkeit als solche, einer Vertiefung, einer Steigerung ebenso fähig als bedürftig ist. Denn indem wir den Herzpunkt des Geisteslebens in der Selbstbestimmung finden, müssen wir folgern, daß der Geist sich selbst zur Persönlich-

61

feit erst zu bestimmen, herauszubilden hat. Er vertieft sich durch die Arbeit der Selbstverwirklichung, er potenzirt sein Wesen, er wird auf dem Boden des von Natur Gegebenen sein eigener Schöpfer. Auf diesem Wege, also dem sittlichen, wird er erst im vollen Sinn Person. Nichts erscheint uns demnach widersinniger als anzunehmen, daß man Person werde ans dem Weg des einfachen Wachsens statt auf dem Weg der Selbstbestimmung, wobei natürlich nicht verleugnet wird, daß der Proceß in einer dem Geistwesen entsprechenden, durch die Geistesnatur bestimmten Ordnung verlaufen muß. Wenn nun volle Persönlichkeit erst das Resultat eines sittlichen Processes ist und nur da fei» kann, wo in sich harmonisch vollendete, des eigenen Natur­ grundes mächtig gewordene Selbstbestimmung ist, so ist. der sichere Schluß, daß wir, so lange unsere Selbstbestimmung noch keine volle und ihrem Maaß wie ihrer Auffassung ganz entsprechende ist, auch keine volle Persönlichkeiten sind, sondern nur in der 'Bildung be­ griffene, unter Umständen erst embryonale. Wir sprechen damit nur eine Thatsache des sittlichen Bewußtseins aus, welche auf all­ gemeine Anerkennung Anspruch erhebt und uns zur dringendsten, auch höchsten sittlichen Aufgabe macht, volle Persönlichkeiten zu wer­ den und den ganzen von Haus aus in uns -angelegten Geistesgrund in freies Eigenthum zu erheben. Freilich kann unsere Persönlichkeit das Maaß nicht überschrei­ ten, welches ihr- durch ihren Naturgrund gesetzt ist; sie ist darum auch auf Ergänzung durch andere angewiesen. Eine Persönlichkeit im Vollsinne des Wortes hätte das nicht nöthig, weil sich bei ihr eine in sich vollendete Natur mit der Selbstmächtigkeit decken würde. Ob nun aber eine solche Persönlichkeit im absoluten Sinne bloß ein Denkbares oder auch ein als real nothwendig Anzunehmendes ist (eine Frage, welche für das Verständniß des Geisteswesens wie für die ganze Weltanschauung jedenfalls von höchstem Gewicht sein muß), das soll sich uns von unsern bisherigen Ergebnissen aus entscheiden. Das wird geschehen, wenn wir nachzuweisen vermöchten, daß unser Geist als endlich beschränkte Potenz nicht nur eines Organismus

62 von endlich beschränkten Potenzen bedarf, dem er gliedlich einge­ reiht ist

und nicht anders als im gemeinsamen Werden in glied-

licher Stellung gedeiht,

daß er vielmehr sich auch zurückgetrieben

sieht auf einen Urgeist, was uns nach dem bisherigen gleichbedeutend sein müßte mit Urpersönlichkeit. Dies glauben wir leisten zu können. Die Gesammtentwicklung der endlichen Geisterwelt setzt doch selber wieder ein ergänzendes und erfüllendes Moment voraus. Trotz aller gegenseitigen Ergänzung,

trotz des gemeinsamen Reichthums ist sie

doch immer eine endlich beschränkte, da ihr Wesen nun einmal die Endlichkeit ist und eine Summe von Endlichem, selbst wenn sie endlos wäre, niemals ein Unendliches ausmachen kann.

Trägt die

Geisteswelt der Menschheit, wie sie thut, durchaus einen endlich­ beschränkten Charakter,

so ist sie über sich hinausgewiesen, sie ist

peripherischer Natur und setzt ein Centrum voraus, welches in sich selbst den Rühepunkt hat, um das sie sich bewegen, das ihre Rich­ tung bestimmen,

dem sie zustreben kann.

Wie es ein Wahnsinn

wäre, wenn der Einzelne sich zum Absoluten wollte hinaufschrauben, so im Grunde nicht minder, wenn es die Gesammtheit der endlichen Geisterwelt als solche thun wollte.

Der Centralpunkt, um welchen

alle Geister sich bewegen, muß in sich vollendet sein, wenn sie den rechten, ihnen selbst genügenden Zug und Halt an ihm finden sollen. Wir haben demnach im Geistigen eine Parallele zu dem Schwung der Planeten um ihre Sonne.

Welcher Mittelpunkt könnte aber

sonst einer Geisterwelt genügen, als ein Urgeist,

in welchem die

Selbstbestimmung in absolutem Sinne sich vollzieht, der also wirklich seiner selbst mächtig ist und darum in neidloser und bedürfnißloser Fülle sich selbst mittheilt und der persönlichen Aneignung darbeut? Die Analyse des menschlichen Geistes führt also gleich einen gewal­ tigen Schritt weiter auf einen Urgeist, aber nicht auf einen abstrakten Begriff sondern auf einen solchen Geist, der die ganze Geisteswelt im vollster Selbstbestimmung in sich zusammenschließt und in sich vollendet. Wir können diesem Gedanken noch eine andere Wendung geben, die ihn neu beleuchtet.

Wenn eS das eigenste und eigenthümlichste



63

Wesen des Geistes ist, sich selbst zu bestimmen, so scheint im end­ lichen Geist ein unauflöslicher Widerspruch zu liegen. Kann er denn als endlich beschränkter je zur vollen Selbstmacht gelangen, würde er dadurch nicht zum Absoluten sich steigern? Und doch soll es das eigenste Wesen sein, daß er sich selbst bestimme; er scheint also sein Wesen nie verwirklichen zu können, vielmehr wenn überhaupt ein Urgeist zu setzen ist, scheint dieser allein die Prärogative zu haben, im vollen Sinn Person zu fein. In der That läßt sich dieser Wi­ derspruch nicht heben, wofern wir den endlichen Geist, und wär's auch das Ganze der Geisterwelt, für sich setzen. Sogleich aber löst sich der Widerspruch, wenn wir eine wesentliche Beziehung des end­ lichen Geistes zum Urgeiste setzen. Denn hier wird das Bedürfniß der Ergänzung in absolutem Maaß befriedigt. Durch die persönliche Beziehung zu dem Urgeist, welche sich auf Wesensgemeinschast grün­ det, tritt der endliche Geist in den Besitz der absoluten Fülle in der Form, welche für das Endliche allein möglich ist: er wird nicht Gott, sondern er tritt in den innigsten Lebenszusammenhang mit Gott und ist also im Stande, seinen ganzen Geistesgehalt darnach zu be­ stimmen und sich wie ein Gefäß für die Fülle des Urgeistes zu öffnen. Ohne persönlichen Gott ist demnach an eine persönliche Vollendung der endlichen Geister, welche doch sittliches Postulat, ja schon im einfachen Akt der Selbstbestimmung präformirt ist, nicht zu denken; mit seiner Annahme erscheint sie ermöglicht. Und wir sehen so, wie der Drang jedes Geistwesens nach seiner Selbstver­ wirklichung den Drang nach dem Urgeiste als dem Centrum der Geisterwelt in sich schließt.

Vierter Abschnitt.

Seele und Leib. Wenn es uns möglich wäre,

unser Geistesleben bis in seine

tiefsten Tiefen zu erforschen und dieses wunderbare Gewebe zu analysiren, so würden wir 'eö ohne Zweifel in allen Richtungen mit dem Weltganzen auf's Engste verwachsen finden.

Denn es zeigt sich

uns in dieser Beschaffenheit wenigstens in Allem, was davon in unser Bewußtsein tritt.

Es tritt uns der kosmische Charakter

unseres Geisteslebens in der Beobachtung entgegen, in seiner Beschränktheit den Zusammenhang

wie der Geist

mit andern Geistern

bedarf und wie ihm derselbe durch unsere gliedliche Stellung der Menschheit gewährt ist.

in

Aber nicht nur mit der Welt des

Geistes sehen wir uns verkettet, sondern auch mit einer Menge von Dingen, welche unserm Geist als ungleichartig erscheinen, weil wir an ihnen

weder Selbstbewußtsein noch

Selbstbestimmung finden.

Diese Ungleichartigkeit ist keineswegs ein Hinderniß, daß nicht die positivsten Wesensbeziehungen zwischen der Geisteswelt und dieser nntergeistigen Statt finden können,

da gerade das Ungleichartige

einander sucht und auf einander zu wirken bestimmt ist.

Auch das

schroffe Sichverschließen des Geistes gegen die niedere Welt in ge­ wissen Stadien seiner Entwickelung ist nur als ein Beweis anzu­ sehen von der hohen Bedeutung, welche die letztere für den ersteren hat, wie tief sie namentlich in die frühesten Gestaltungen des Geistes



65

-

eingreift. Ja unsere Geistesexistenz ist rein undenkbar ohne die Unterlage der Natur. Insbesondere ist es der Leib, mit dem sich unser Geistesleben auf das Mannigfaltigste verkettet findet und durch welchen auch seine Beziehungen zu der Natur überhaupt vermittelt sind. Eine richtige Erkenntniß vom Geiste wäre daher völlig abrupt und ungenügend, wenn sich daran nicht ein Aufschluß über das allerdings räthselvolle Verhältniß unsers geistigen und unsers leiblichen Wesens anreihen könnte. Dies soll nun unsere nächste Aufgabe sein, einen solchen zu gewinnen. ES kann für diesen Zweck keinen besseren Angriffspunkt geben, als das Ausgehen von jenen Thatsachen unsers Bewußtseins, von welchen sich Jeder täglich und stündlich überzeugen kann. Mittelst ihrer ist es möglich, von vorn herein einen festen Stand zu gewinnen und Theorien, welche mehr in einseitigem Geltendmachen von Prin­ cipien als in Berücksichtigung des Vorliegenden ihren Grund haben, alsbald abzuweisen. Die am nächsten-liegende Thatsache ist, daß der Geist einen tief greifenden Einfluß übt auf den Leib, theils einen auf bewußte Selbstbestimmung zurückzuführenden, theils einen unwillkür­ lich sich vollziehenden, so daß er uns meist erst hinterdrein auf dem Weg der Reflexion zum Bewußtsein kommt. Jede menschliche Hand­ lung, bei welcher der Leib in Bewegung gesetzt wird, bezeugt eS, daß der Geist eine Macht hat über den Leib, welche diesen als das anerschaffene Medium des Geistes darstellt, eine Macht, welche nach allgemeiner Erfahrung auf dem Wege der Selbstbestimmung recht entwickelt wird und mittelst der Intensität des Willens wunderbar gesteigert werden kann. Es geht jedoch dieser eigentlichen Herrschaft des Geistes über den Leib noch ein anderer Einfluß jenes auf diesen zur Seite, von dem uns das Bewußtsein erst bei höherer Reflexion aufgeht. Das Geistesleben findet nämlich unwillkürlich seinen sym­ bolischen Ausdruck in dem Leib, nicht bloß in der Physiognomie, sondern im ganzen Umfang der leiblichen Beschaffenheit und LebensSpath, Welt und Gott.

5

66 äußerungen, hinab bis znm elementaren Vorgang des Blntumlaufs. Und vermöge dieses allgemeinen Verhältnisses treten uns dann ein­ zelne solche Einwirkungen entgegen, welche man Reflexbewegungen des Geistes im Leibe nennen könnte. Jede Schamröthe, jede Herabstimmnng der Kraftentwicklnng des Leibes durch Furcht, jede Erhöhung des gesammten leiblichen Lebensprocesses durch Freude, auch wenn sie nichts weniger als sinnlicher Natur ist, ist davon ein Zeugniß. Jener willkürliche und dieser unwillkürliche Einfluß des Geistes auf den Leib erweist sich jedoch keineswegs als zwei getrennte und inner­ lich verschiedene Hergänge.

Denn jede willkürliche Einwirkung geht

in ihren Folgen für den Leib in die unwillkürliche über und setzt andererseits die letztere schon voraus,

sofern der Leib bei jedem

Willensakt seinen Dienst thut, ohne daß wir nöthig hätten, unsere geistige Energie erst auf alle die einzelnen leiblichen Vorgänge zu richten, welche nöthig sind, damit sich unser Wille verkörpere. Die zweite Thatsache ist entgegengesetzter Art: auch vom Leib gehen Einwirkungen aus auf das Geistesleben, welche wie­ derum theils das bewußte Geistesleben treffen theils im Hintergrund des Bewußtseins sich geltend machen.

So beruht ja der ganze Ver­

kehr des menschlichen Geistes mit der Außenwelt auf Sinnenein­ drücken, welche sich dem Geiste als Objekte darbieten, und ist somit die Gestaltung unserer Gedankenwelt und die ganze Reihe unserer Willensäußerungen von dieser leiblichen Voraussetzung berührt. Auch weiß Jedermann, wie gewaltig Störungen des leiblichen Organis­ mus auf unser Geistesleben wirken bis zur Suspension desselben, und wie förderlich eine harmonische Entwickelung des Leibes der geistigen ist.

Ja unsere sämmtlichen geistigen Funktionen erweisen

sich als abhängig von leiblichen Organen, so daß bei Erschlaffung oder Entkräftung dieser das Geistesleben in sich zusammensinkt der Flamme gleich, wenn sie nicht mehr genährt wird. Zu den beiden genannten Thatsachen

kommt nun noch eine

dritte, daß der Geist gegen leibliche Einflüsse theils un­ willkürlich theils mit vollem Bewußtsein reagirt.

Der

67

ausgebildeten Geisteskrankheit geht z. B. eine UebergangSperiode vor­ her, in welcher der Geist im unwillkürlichen Trieb der Selbsterhaltnng sich auf's Aeußerste wehrt gegen die leiblichen Verstimmungen, welche ihn zu verdunkeln drohen. Und es ist bekannt, wie viel ein energisches Sichzusammenraffen oder eine von Außen kommende Stärkung der natürlichen Widerstandskraft des Geistes dagegen ver­ mag. Im normalen Zustande' unsers Wesens aber ist das ja be­ kanntlich eine unserer wichtigsten sittlichen Bethätigungen, daß wir uns nicht widerstandslos den leiblichen Einflüssen überlassen. Wir sehen also innerhalb unsers Geisteswesens eine ganz analoge Erschei­ nung, nur höherer Art, wie wir sie auch im leiblichen Organismus, ja bei allen Substanzen, selbst den elementarsten, finden. Denn überall zeigt sich das Streben, sich nicht vergewaltigen zu lassen, also gegen Fremdartiges und Störendes zu reagiren. Es ist klar, daß jede Theorie über das Verhältniß von Geist und Leib falsch sein muß, wenn sie genöthigt'ist, irgend eine dieser drei unumstößlichen, sich Jedem jeden Augenblick bezeugenden That­ sachen zu verleugnen. Nach diesem Kanon fallen nun für uns die verschiedenartigsten Theorien zu Boden. Vor Allem erkennen wir die Unhaltbarkeit jeder dualistischen Fassung, wonach Leib und Geist in gar keinem inneren Zusammenhang stehen, also nicht auf einan­ der wirken, noch organisch verbunden sein sollen, weil sie ganz ver­ schiedenartig seien. Der Dualismus hat nur einigen Halt in der Thatsache der Widerstandsfähigkeit des Geistes, bei tieferem Ver­ ständniß nicht einmal in dieser; ganz und gar aber verleugnet er die erste und die zweite Thatsache, ist daher zu den künstlichsten Ersatzmitteln genöthigt. Nein, so viel ist uns vermöge der drei Thatsachen zum Voraus gewiß: Geist und Leib machen nicht Zwei, sondern nur Eines, ein in sich organisch Verbundenes aus. Das ist denn auch eine Erkenntniß, welche als Ferment alles Ringen um tieferes Verständniß durchdringt. Wenn wir aber die Versuche in dieser gemeinsamen Richtung prüfen, so finden wir sie so sehr gegen die augenscheinlichsten Thatsachen verstoßend, daß sich um einen bes-

68 seren Weg verlegen mehr als Ein Forscher wieder dem Dualismus in die Arme geworfen hat.

Die idealistische Theorie,

welche den

Leib herabsetzt zum widerstandslosen und eigentlich wesenlosen Außer­ einander, zur bloßen Erscheinung deS Geistes, kann freilich für sich anführen den ganzen Kreis der Thatsachen, in welchen sich der Leib als der vom Geist abhängige, ja als Ausdruck desselben erscheint. Nur mit einem Schein von Recht kann sie sich ans die entgegengesetzten Thatsachen berufen, da das Geistesleben völlig verkannt würde, wenn man eS mit Spinoza zur bloßen Idee d. h. zur bloßen Darstellung der körperlichen Zustände und Vorgänge in Vorstellungsform machen wollte. Ganz und gar unbegreiflich aber wäre dann die Thatsache der Reaktion gegen leibliche Einflüsse.

Nicht besser steht es um die Theorie des

Materialismus, welche den Geist in eine Reihe von einzelnen Le­ benserscheinungen an den Stoffen, die den Leib ausmachen, auflöst. Sie stützt sich ganz und gar auf die Abhängigkeit, welche alle unsere Geisteszustände in Bezug auf das leibliche Befinden zeigen, erlaubt sich jedoch dabei einen gänzlich unmotivirten Griff,

indem sie die

Thatsache einer Beeinflussung des Geistes von Seiten des Leibes umsetzt in das unerweisliche Verhältniß einer so totalen Abhängig­ keit, daß dabei nicht nur an keine Spontaneität des Geistes gedacht werden kann, sondern der Geist selbst verschwindet und einem me­ chanisch gedachten Processe Platz macht.

Eine Macht des Geistes

über den Leib, welche doch wohl mich Thatsache sein möchte, kann der Materialismus nie begreifen, ja nicht einmal anerkennen, und ebenso zeugt wider ihn jedes Reagiren des Geistes gegen leibliche Einflüsse imb' Zustände. Da die beiden letztgenannten Versuche dem Gewinn der Einheit die relative Selbstständigkeit und mit ihr conseqnent die Realität des einen der beiden Faktoren zum Opfer bringen, so ist klar, daß man sich entschließen muß, wirklich zwei Faktoren anzuerkennen, die mehr sind als bloße

Erscheinungsweisen

oder Thätigkeitsformen.

Wir werden es mit Substanzen oder realen Potenzen zu thun haben, die aber in eine wahrhafte Einheit eingegangen sind, sich im Ver-

69 hältniß der Durchdringung zu einander befinden. nahme weisen uns auch die drei

Auf diese An­

zu Grunde gelegten Thatsachen.

Keine- einzige derselben ist denkbar ohne relative Selbstständig­ keit beider Faktoren, aber ebenso auch nicht ohne ein Verhältniß einer auf Wesensverwandtschaft beruhenden Durchdrin­ gung, wobei der eine Faktor die Einheit darzustellen und zu ver­ treten hat.

Denn selbst die Thatsache des Reagirens (und es gibt

nicht nur ein Reagiren des Geistes gegen leibliche Einflüsse sondern auch eine Reaktion des Leibes gegen das bewußte Geistesleben) läßt sich nur unter beiden genannten Voraussetzungen erklären. Wir sind aber hier auf einem Punkte angekommen, der uns nöthigt uns umzusehen, ob denn diese Verbindung von Geist und Leib eine isolirte Erscheinung in der Welt sei oder ihre Analogien habe.

Pflegen wir doch erst das recht zu verstehen,

was wir in

seinem organischen Zusammenhang mit dem großen Ganzen auffassen. Wir werden also ohne Zweifel viel gewinnen, wenn es uns gelingt, das Grundverhältniß, welches wir uns veranlaßt sehen zwischen Geist und Leib anzunehmen, als ein solches zu erkennen, das nicht nur seine Anbahnung im Weltganzen aufzeigen kann,

sondern dem die

gesammte niedere Schöpfung in allen ihren Gebilden und Stufen zu­ strebt.

Indem wir das erstreben, wird unsere Untersuchung aus

einer anthropologischen zur kosmologischen. Auch in der Natur begegnet uns Leben auf jedem Schritt und Tritt.

Bewegung, die nicht von außen an die Dinge kommt,

sondern von innen heraus, in zweckvoller Harmonie Stoffe vereini­ gend und beherrschend, stellt sich unserm Auge oder vielmehr unsrer Reflexion über das Geschehene überall entgegen.

Wir sehen Leben

um uns in reichster Mannigfaltigkeit und in offenbarem Stufen­ unterschiede.

Es ist das Gebiet des Organischen, in das auch wir

uns mit befaßt erkennen, jedenfalls nach unserer Naturseite hin. Wir sehen an uns selbst Processe vorgehen, welche wir theils durch daS ganze Gebiet des Organischen theils an den höheren Gebilden desselben verfolgen können.

Und wiederum bietet uns die höhere

70 Thierwelt Erscheinungen dar, welche auf das Nächste an das Geistes­ leben der Menschen gränzen.

Folglich erweitert sich unsere Unter­

suchung auf das Seelische überhaupt oder auf das Verhält­ niß von Seele nnd Leib.

Aber auch hier wird eö uns nicht

ruhen lassen; denn wir sehen alles Organische im Besitz von un­ organischen

Stoffen

und

«nd des Unorganischen

ohne

das

Verhältniß

des

Organischen

erfaßt zu haben wird uns Alles

in der

Luft stehen. Ueber den Umfang, in welchem wir von Seele reden, ist übrigens noch eine Erklärung vorauszuschicken.

Es gab eine Zeit,

da man dem Menschen zu Ehren die Thiere für seelenlose Mecha­ nismen

erklärte.-

Jetzt hat man

sich gewöhnt, auch

von einer

Pflanzenseele zu reden, also den Begriff des Beseelten auf alle or­ ganischen Bildungen auszudehnen. Darin spricht sich ein großartiger Fortschritt aus; es ist darin der Uebergang gemacht von einer me» chanisirenden Naturbetrachtung,, welche kein Auge für die Anfänge und Vorstufen des Lebens hat, zu einer dynamischen, welche überall Leben schaut.

Diesem freigebigen Sprachgebrauch in Bezug auf die

„Seele" huldigen auch wir und schicken uns an, ihn mit einigen Zügen zu rechtfertigen.

Die Seele der thierischen Stufe, auch die

des Menschen, begnügt sich beim ersten Beginn des embryonalen Zustandes mit derselben Bildung, wie die Lebenspotenz der angehen­ den Pflanzen, mit der Zelle. Der Proceß der organischen Verinner­ lichung hebt also auch bei den höheren Lebensgestaltungen mit dem Elementarsten, mit der pflanzenartigen Bildung an, und bleibt nur bei diesem Niedersten

nicht stehen.

Was aber später als Seele

hervortritt, das kann nicht erst später hinzukommen, sondern eö ist schon in der frühesten Bildung.

Dasselbe spricht sich auch im Gro­

ßen auS, sofern eS nicht möglich ist, das Reich des pflanzlichen und das des thierischen LebenS genau abzugränzen, indem jedes Bildun­ gen hat, mit welchen eS in das andere hineinragt.

Ferner stellt sich

auch das, was wir als das Wesentliche des Pflanzenlebens erkennen, die Ernährung, die Ausscheidung und die Fortpflanzung eines Gat-

71 tungstypus, als die bleibende Grundlage des thierischen Lebens, wenn auch in höhere Potenz erhoben, dar.

Man hat sich gewöhnt, von

Seele da zu reden, wo sich ein Innewerden, fei'ö auch nur auf der niedern Stufe der Empfindung, offenbart.

Allein das Innewerden

ist nur xein Accidentelles im Proceß des Lebens auch auf den höhern Stufen.

Entscheidend aber ist das Vorhandensein einer von innen

heraus nach einem bestimmten Typus arbeitenden Energie, aristote­ lisch zu reden einer Entelechie.

Diese finden wir einerseits auch bei

dem Menschen uranfänglich nur schlummernd und erst durch die persönliche Entwickelung sich verwirklichen, andererseits ist sie schon überall, wo ein Ansatz zu organischem Leben ist.

Darum reden wir

überall von Seele, wo von organischer Bildung und Leben die Rede sein kann. Ist nun aber die Seele etwas Reales und nicht wieder ein Produkt der Einbildung, Processe findet? sehr einfach.

wo das Denken bloß so wäre die Sache

Man striche die Seele und hätte fortan nur noch von

Leibern zu reden. barer Gewinn.

Doch diese Vereinfachung wäre nur ein schein­

Denn im Leibe ist ebeu das Leben und das Leben

will erklärt sein, zurück.

welche Wesen setzt,

Wäre das Letztere der Fall,

führt uns also zur Annahme einer Lebenspotenz

Dem können wir nur entgehen, wenn wir das Leben me­

chanisch erklären d. h. leugnen. Die einem Organismus und seinem Lebensproceß immanente Lebenspotenz, dies ist unS die Seele. Wir wollen damit bezeichnen, daß in dem Organismus ein sehr bestimm­ ter Einheitspunkt sei, von welchem die ganze Gestaltung und Ent­ wicklung ausgeht, im Vergleich zu den dem Organismus dienenden Stoffen die eigentliche Realität im Organismus. Die Seele trägt die ganze Entwickelung,

wie sie sich in der

Zeit ausbreitet, schon in der Potenz in sich, aber sie ist selbst eine werdende und Zeitdauer,

bestimmt nur deßwegen dem Organismus seine

weil sie ihr selbst zugemessen ist.

Sie ist aber zugleich

eine niemals bloß von innen heraus sich entwickelnde, sondern immer auch durch den ganzen kosmischen Zusammenhang bedingte. UnS ist

72 die Realität der Seele nur eine sehr relative;

sie könnte ja sonst

nicht zeitlich und räumlich so beschränkt auftreten und wäre in der Bethätigung ihrer Lebensenergie nicht abhängig von außen, wie sie eö doch offenbar ist. Wir können daher auch nicht alle Seelen oder Lebenspotenzen einander hinsichtlich ihrer Realität gleichstellen; viel­ mehr ist eine Seele um so realer, je mehr sie als stoffbeherrschende auftritt, und sie tritt um so mehr als solche auf, je individueller sie angelegt ist.

Mit der Eigenthümlichkeit in der Anlage wächst der

Lebenspotenz auch die Energie sie geltend zu machen sowie die räum­ liche und zeitliche Ausdehnung, — ein Satz, der sich durchgängig bestätigt und von nicht geringer Wichtigkeit für das Verständniß der höchsten Lebenspotenz, des Geistes, ist. Wir finden die Seelen oder Lebens­ potenzen nicht isolirt, sondern auf Vermehrung und Ausbreitung angelegt, daher auch durch Zeugung sich erhaltend.

Und hier ist es

ein merkwürdiges Gesetz, das uns für das seelische Leben aufgeht. Je njedriger, schwächer und individualitätsloser eine Lebenspotenz ist,

um

ihre Vermehrung.

Dagegen nimmt bei Zunahme der Intensität

die Extension ab;

so rascher

und

ungemessener

ist

was der einzelnen Lebenspotenz zuwächst, das

zeigt sich an dem Abnehmenden der Massenproduktion, welche nur die relative Werthlosigkeit des Individuums darstellt.

Die Verschieden­

heit der Lebenspotenzen nach Stufen zeigt uns also eine zweifache Unerschöpflichkeit des Lebens, eine niedere und eine höhere; jene

ist

die

der

bloßen

Massenproduktion,

diese

die

der

inneren Entwickelung des Einzellebens; wo diese zunimmt, nimmt jene ab. Der Leib

ist

zunächst eine Verbindung

von anorganischen

Stoffen, welche in beständigem Wechsel sich befinden.

Der Wechsel

der Stoffe enthält aber zwei wohl zu unterscheidende Momente. Das eine ist, daß Stoffe sich lösen und austreten und dafür Wie­ derersatz eintritt; das andere ist die Art,

wie dies geschieht.

herrscht hier nämlich keine mechanische Verbindung

Es

und Lösung,

ebensowenig eine bloß chemische, sondern diese Vorgänge der anor-

73 ganischen Welt erscheinen hier nur dienstbar und von einer Macht in Besitz genommen, welche sie für ihre Zwecke und ganz nach ihrem Bedürfniß benutzt und allen Stoffen ihren eigenen Charakter auf­ drückt, den sie nur so lange behalten, als sie innerhalb dieser Ver­ bindung sind.

Auf diese Weise nehmen die anorganischen Stoffe,

aus denen der Leib besteht, Theil am Leben, aber nur so, daß sie von dem Leben selbst in Dienst genommen sind und zwar nur vor­ übergehend, indem das Leben selbst gerade in ihrem Wechsel sich manifesttrt und seine Realität mitten im Wechsel der Stoffe be­ hauptet. Aus dem Gesagten geht hervor, daß man, wo von dem Ver­ hältniß von Seele und Leib die Rede ist, vom Verhältniß der Seele zu den Stoffen, Leibes ausmachen, sprechen sollte.

eigentlich genauer

welche die Masse des

Denn Dasjenige am Leibe,

was eben diese materielle Masse zum Leib macht, hat sich als Einwohnung der Seele erwiesen.

Leib und Seele sind

nicht zu scheiden als verschiedene Realitäten, sondern als verschie­ dene Betrachtungsweisen des Organismus; dagegen die zum Leib verwandten Stoffe und die sie bildende Seele,

sie sind sehr reell

unterschieden, wie der organische Proceß selbst beweist, der die Schei­ dung ohne Unterbrechung fortsetzt. Wir haben hier vor uns ein Verhältniß innigster Durch­ dringung, das gerade Gegentheil eines bloßen Nebeneinanders. Denn für's Erste sehen wir die Stoffe selbst an jedem Organismus in solche Verbindung getreten, daß sie einander durchdringbar sind; sodann erscheinen sie in dieser ihrer gegenseitigen Durchdringung unter Eine gestaltende Macht gestellt, welche wir die Seele oder die Lebenspotenz nennen; und diese Macht ist ihnen nicht äußerlich, son­ dern ist so völlig in die Stoffe eingegangen, daß sich bei plötzlicher Abtrennung von Gliedern eines Organismus die seelische Potenz in ihnen als eine erst allmählig ersterbende erweist, ja bei niederen Organismen

sogar eine Fortexistenz

Theillebens möglich ist.

des gewaltsam abgetrennten

74 Thatsache also ist dieses Doppelverhältniß innigster Durchdrin­ gung.

Aber auf welche Weise haben wir uns sein Zustandekommen

zu denken?

Und diese Frage nach dem Werden ist keine fern lie­

gende, da wir den Organismus eigentlich nur in beständigem Wer­ dens niemals in Ruhe finden und da uns das täglich vor sich gehende Entstehen neuer Organismen die Frage selbst in den Mund legt: Ist wohl das Räthsel damit gelöst, daß wir den gesammten organi­ schen Proceß für die Wirkung von dem Zusammentreten gewisser anorganischer Stoffe erklären? Es ist gedankenlos sich dabei zu be­ ruhigen. Denn so viel ist freilich auf der Hand liegend, daß gewisse anorganische Stoffe zusammentreten müssen, wo Leben entstehen soll.

wo ein Organismus,

Aber was führt sie denn zusammen? Als

anorganische Substanzen stehen sie auch nur in anorganischem Ver­ hältniß zu einander und bringen es nicht weiter als vermöge der chemischen Affinität zu chemischen Processen, die so oft und mannig­ faltig sie auch sich aneinanderreihen, niemals ein organisches Produkt zur Folge haben. Ja so viel ist richtig, daß die anorganischen Stoffe eine Anlage zu organischer Verbindung in sich tragen müssen; aber damit diese Anlage wirksam werde, dazu kann das bloße Zusammen­ treten der Stoffe nicht ausreichen.

Es muß eine über diesen ein­

zelnen Stoffen stehende Potenz fein, welche sie ergreift und zusam­ menführt. Werden wir nun die Sache umkehren und sagen: die Seele als eine schon vor dem Zusammentritt der Stoffe vorhandene ist die Ursache ihrer organischen Vereinigung?

Die Seele wäre also als

eine präexistente und in sich fertige zu setzen; zu einer bestimmten Zeit bemeistert sie sich der Stoffe, welche sich gegen sie nur passiv verhalten können, und bildet aus ihnen den Leib, welchen sie durch­ wohnt.

Nach bestimmter Zeit läßt sie die Stoffe wieder fallen; in­

dem sie sich löst von den Stoffen, fallen diese auseinander, und die Seele existirt wieder für sich wie vor dem Zusammentritt der Stoffe. ES ist nicht zu leugnen, daß diese Anschauung etwas Anziehendes hat, weil sie eine dynamische ist und geistartig wirkende Potenzen

75 setzt; die Natur ist hier kein Mechanismus, sondern seelenvoll. Und besonders lockt diese Anschauung dadurch, daß sie die Selbstständigkeit des menschlichen Geisteslebens ganz vortrefflich zu begründen scheint. Jedoch bei genauerem Besehen macht sie den Eindruck des Abenteuer­ lichen, indem sie das Beseelende und das Beseelte doch in kein inneres Verhältniß zu setzen weiß; die leiblichen Substanzen erscheinen als solche, denen ein ihrer Natur fremdes Gesetz aufgezwungen ist; und was die Seele dazu treibt, den Zustand ihrer Präexistenz zu ver­ lassen und sich gerade in diesen Stoffen zu verleiblichen, ist nicht abzusehen. Der große Eine kosmische Lebensproceß wird hier in lauter isolirte, höchstens äußerlich mit einander in Berührung ste­ hende BerleiblichnngSprocesse von Monaden zerschlagen. Im Grunde verstößt diese Theorie von der Präexistenz der Seelen gegen dieselbe Wahrheit wie die Theorie, welche das seelische Leben zur Wirkung von zusammentretenden Stoffen macht. Es gibt nämlich beim Organischen kein prius und kein posterius, sondern zu seinem Wesen gehört, daß alle Momente mit einander und inein­ ander gesetzt sind, einander bedingen. Daher paßt die Kategorie von Ursache und Wirkung gar nicht auf das Verhältniß von Seele und Leib; das Entstehen der Seele ist ebenso abhängig von dem Zusammentreten der Stoffe als das Zusammentreten der Stoffe von der Entzündung eines neuen Lebensprocesses. So müssen wir denn zur Erklärung des organischen Werdens sowohl über die einzelne Seele als über die von ihr besessenen an­ organischen Stoffe zurückgreifen. Wir greifen damit nicht ins Leere. Denn es bietet sich uns ein großartiger Lebenszusammenhang, in den wieder alle die einzelnen Lebensprocesse als relativ selbstständige Momente eingegliedert sind. Wie wir nun dies bei jedem Organis­ mus im Kleinen sehen, daß er seine Organe selbst bildet, und ihnen fortwährend an dem allgemeinen Leben Antheil gibt, so werden wir genöthigt sein, auch in Bezug auf den Kosmos zu denken. Ein kleines Glied des großen Organismus ist unser Planet, und da zu dem Planeten sich die Erzeugnisse seines Lebens verhalten wie er

76 selbst zum Kosmos, so trägt alles Leben auf ihm den planetarischen Charakter zum Zeichen, welcher Quelle es entstamme. Alles beseelte Dasein führt unS demnach zurück auf eine ursprüngliche oder wesent­ liche Beseeltheit der Welt, so daß alle Lebensgestaltungen nur die Bethätigung jener kosmischen Beseeltheit, der Weltseele oder, wenn man das lieber hört, einer kosmischen Lebenspotenz ist.

Die Welt­

seele ist die nothwendige Voraussetzung zu der Erklärung des wun­ derbaren Systems

von einzelnen Lebensprocessen.

Diese sind

so

wenig für sich verständlich als das Blutkügelchen, welches für sich ein wenn auch höchst einfacher Organismus im Kleinen ist, ohne den Organismus, dem es angehört. Wenn es aber so ist, daß, der Kosmos ein beseelter ist, wie schauen wir dann die sogenannte anorganische Welt an? Diese Frage ist ohnehin für uns nicht zu umgehen, da das Organische sich keiner andern Stoffe bedient als derer, aus welchen das Anorganische be­ steht.

So lange man das Organische nur für sich betrachtet, ohne

es auf das Weltleben als feine Quelle zurückzuführen,

wird man

immer geneigt sein, das Anorganische als das Todte zu betrachten. Besser gesagt: man weiß damit Nichts anzufangen und bezeichnet es daher als das Gegentheil des Lebendigen;

in Wahrheit gibt es in

der Welt kein Todtes. Für uns ist das die nothwendige Consequenz, daß, wenn die Welt ein Organismus ist, in ihr nur Lebendiges Platz hat.

Können wir doch auf anderm Weg zu demselben Resul­

tate gelangen.

Wir sehen ja die sog. anorganischen Stoffe in die

mannigfaltigsten Lebensprocesse aufgenommen und zwar so, daß ihre Dynamik nicht zerstört oder unterdrückt,

sondern nur in höherer

Richtung thätig ist als außerhalb der Organismen.

Daraus folgt

eine innere Verwandtschaft zwischen den Lebenspotenzen und den Stoffen,

welche von jenen in Dienst genommen werden.

Es muß

wohl das Verhältniß höherer und niederer Potenzen Statt finden. Und so finden wir eS auch, sobald wir nicht an der sichtbaren Hülle hängen bleiben, sondern in die Tiefe schauen.

Sehen wir nicht die

sog. materiellen Substanzen in unaufhörlicher Thätigkeit?

Sie er-

77 weisen sich wirklich als Potenzen, die nicht ruhen können, und den Trieb zeigen durch Vereinigung neue und höhere Erscheinungen zu erzeugen.

Sie sind

allerdings gebunden und relativ unlebendig;

aber dies eben macht sie geschickt, das Material zu werden für höhere Lebenspotenzen.

Das Anschießen der Krystalle, die Polarität des

Magnetismus und der Elektricität, das Sichbilden der Wärme, die Vereinigung von Stoffen im chemischen Processe sind ebenso viele Vorstufen des organischen Lebens: sollten wir nicht das Recht haben die anorganische Welt für die niedrigste Lebensstufe zu nehmen? Die Masse der anorganischen Stoffe, welche selbst wieder das Produkt ausgedehnter Lebensprocesse ist, wenigstens wie sie uns vor­ liegt, .ist also dazu bestimmt, das Material zu sein für höhere Lebens­ potenzen.

Sie kann das aber nur sein vermöge ihrer Wesensver­

wandtschaft mit jenen.

Ja sie sind selbst nichts Anderes als die

elementarsten Lebenspotenzen.

Da sie somit auch Produkte und

Träger des Weltlebens sind, so begreift sich,

daß die höheren

Lebenspotenzen nicht von außen an sie herantreten kön­ nen,

sondern

ans

dem Zusammenwirken

der

niederen

Potenzen erheben sich die höheren, wie ja bei jeder Entwick­ lung das Niedere den Träger des Höheren bildet.

Allerdings sind

es nicht die anorganischen Stoffe, welche im Organismus sich fin­ den, für sich; sie können für sich, wie schon bemerkt, niemals ein Organisches erzeugen, sondern es ist das Weltleben, welches auf Grund der niederen Bildungen und mittelst ihrer immer höhere hervortreibt. Auf diese Weise gelangen wir zu dem Begriff einer einheitlichen Weltbildung, einer organischen Entwicklung von den einfachsten Bil­ dungen herauf bis zum Geiste.

Das entspricht nicht nur unserem

Vernunftbedürfnisse sondern wir finden es auch durch die zahlreich­ sten Spuren in der Natur bestätigt.

Wir sind dabei freilich genö­

thigt, zwei Lehrmeinungen fallen zu lassen, an denen die Welt sehr zähe hängt, weil sie meint, man müsse sich unbedingt dem Materia­ lismus ergeben, wenn sie fallen.

Die eine ist der Unglaube, daß

78 es möglich fei, daß ans dem Anorganischen

d. h. aus der Welt

der niedersten Lebenspotenzen die organische Welt erstehen konnte ohne Sprung oder gewaltsames Eingreifen.

Die andere ist das

Vorurtheil, daß zwischen den verschiedenen Arten eine unübersteigliche Kluft von Anfang an gewesen sei, also von einer Wandelung derselben und von einem Hervorgehen höherer aus den niederen schlechterdings nicht die Rede sein könne.

Diese Lehrmeinungen

stützen sich auf die Erfahrung im Querschnitt.

Je mehr man die

Erfahrung im Längenschnitt zu Rathe zieht und dadurch dem Welt­ zusammenhang auf die Spur kommt, so wie er seine geschichtlichen Denkmale hinterlassen hat, um so mehr sieht man die Grundlosig­ keit jener beiden Lehrmeinungen ein,

die übrigens schon jetzt auf's

Tiefste erschüttert sind. Es ist wahr,- wir machen mit unserer Auffassung dem Mate­ rialismus eine gewisse Einräumung.

Wir räumen ihm ein, daß der

Stoff eine größere Rolle spielt, als man ihm zuzugestehen gewohnt ist.

Aber es gibt keinen besseren Weg,

Schweigen zu bringen Gehör schenkt.

den Materialismus

zum

als wenn man seiner gerechten Forderung

Das Verfehlte des Materialismus,

welches darin

besteht, daß ihm der Stoff als solcher in seiner sinnlichen Erschei­ nung das allein Reale ist und daß er deswegen Alles auf mechani­ schem Wege erklären will, liegt uns so fern als nur immer möglich. Denn wir sehen uns genöthigt, Alles auf Lebenspotenzen zurückzu­ führen, den Stoff mit eingeschlossen.

Bei einer dynamischen Welt­

anschauung aber sind keine materialistischen Conseqnenzen zu fürchten. Auch jener Theorie, welche die Seele präexistent setzt, werden wir gerecht.

Denn auch wir setzen eine Präexistenz,

nur keine solche,

welche die Realität des Werdens aufhebt, aber eine solche, welche sie ermöglicht.

Nicht die einzelnen Seelen sind präexistent,

aber die Weltseele enthält sie als Möglichkeiten.

Aus

dieser Grundpotenz können die einzelnen endlichen Potenzen hervor­ gehen, weil sie in ihr angelegt und latent ist.

Je williger wir aber

diese Art von Präexistenz zugestehen, um so ernstlicher müssen wir

79 darauf beharren, daß die Einzelseelen, die in der Erfahrung auftre­ tenden Entelechien, ihre Einzelexistenz erst zeitlich erlangen. Jetzt erinnern wir uns an unsern Ausgangspunkt, den Geist und sein Verhältniß zum Leib.

Auch er kann Nichts sein als

eine endlich beschränkte Lebenspotenz, welche den orga­ nischen Einheitspunkt bildet für die niederen Potenzen, welche den Leib ausmachen. Er ist Seele, aber die höchste Form unter den seelischen Potenzen, die sich selbstbestim­ mende Seele,

bestimmt

und fähig, Person zu werden.

Der Geist besitzt daher auch unter allen seelischen Gestaltungen am meisten Realität und Lebensfähigkeit.

Er ist auch am meisten fähig,

die niederen Potenzen zu durchdringen und sie in der Weise der Selbstbestimmung zu seinem Eigenthum zu machen.

Je mehr er

aber dazu gelangt, sich in sich zusammenzufassen und sich freien Aus­ druck zu schaffen, um so freier ist er auch von seinem Leibe.

Fünfter Abschnitt.

D i e Natur. In täglicher Erfahrung erweist sich uns unsere leibliche Existenz auf das Innigste verflochten mit einer Menge von Existenzen, welche sich dem bloßen Augenschein als ein mannigfaltiges Nebeneinander darstellen; dem Auge des Forschers aber stellt sich in ihnen ein orga­ nischer Complex von Potenzen dar, welcher in beständiger Wirksamkeit begriffen immer neue Lebensformen ermöglicht. Wir pflegen diesen Complex von Potenzen nebst seinen Produkten mit dem Ausdruck Natur zu bezeichnen. Die Natur ist aber in ihrem Wesen dem Geiste nicht von vornherein aufgeschlossen, sie ist vielmehr für ihn ein Geheimniß, das er selbst sich erst öffnen muß. Er ist allerdings darauf angelegt es zu öffnen, und er trägt den sichern Schlüssel in sich: energische Vertiefung in sich bringt dem Geiste auch die Er­ fassung des Wesens der Natur ein. Daher geht die Entwickelung des Verständnisses der Natur Hand in Hand mit der Geistesent­ wickelung überhaupt, sowohl beim einzelnen Individuum als für die Menschheit im Großen. Uebrigens ist es ein reciprokes Verhältniß: wie die Naturanschauung sich mittelst der Vertiefung des Geistes in sich fortbildet, so kommt der Geist an der Natur zu sich selbst. Wir finden den menschlichen Geist in drei Grundstellungen zur Natur. Mit' Rücksicht auf sie kann man drei Entwickelungsepochen der Menschheit unterscheiden; und da von der Stellung des Geistes

81

zur Natur nicht nur das intellektuelle Gebiet, sondern auch das sittlich-religiöse innig berührt ist, so ist es natürlich, daß jene drei Stellungen der Hauptsache nach mit den großen Epochen des sitt­ lich-religiösen Lebens der Menschheit zusammentreffen. Ich sage: der Hauptsache nach; denn das theoretische Verhalten des Geistes zur Natur erweist sich, obwohl bedingt von ethischen Faktoren, doch als relativ selbstständig, wie hinwiederum diese ebenfalls ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben, so daß die Fortschritte auf den ver­ schiedenen Gebieten sich nicht völlig decken. Die erste, die nothwendiger Weise ursprüngliche Stellung des Geistes zur Natur ist sein Versenktsein in dieselbe. Wie alles Gei­ stesleben beim ersten Erwachen das Naturgewand an sich trägt, noch ganz in die Formen des Naturlebens verhüllt ist, so ist es auch mit seiner theoretischen Stellung zur Natur. Noch hat er keine Ahnung von dem specifischen Unterschied von Geist und Natur. Vielmehr treibt ihn das Gefühl der Verwandtschaft, sich rückhaltslos ihren Eindrücken zu öffnen und unbefangen hinzugeben. Er bezeugt damit daß er selbst vorerst Naturwesen ist. Wie er aber sich selbst nicht faßt im Gegensatz von der Natur, so stellt sich auch diese ihm nicht als Einheit dar; sondern wenngleich der Trieb nach einheitlicher Anschauung niemals ganz fehlen und unwirksam sein kann, so bringt er's vorerst doch nicht weiter als zur Erfassung oder vielmehr zur dichtenden Ausgestaltung von verschiedenen Naturgewalten, denen er sich als göttlichen Mächten verhaftet erkennt. Er gibt damit Zeug­ niß, daß er sich selbst noch unter die Natur beugt, also seines über die Natur erhabenen Wesens noch nicht inne.geworden ist. Nur seiner Naturbeziehungen wird er lebhaft inne. Wir haben hier charakterisirt die Periode der uralten, meist vorgeschichtlichen Natur­ religionen, in welchen das Göttliche mit den Naturmächten zusam­ menläuft, wie wir diesen Grundzug noch durch das ganze poly­ theistische Religionswesen vor Christus wirksam sehen, wenngleich dasselbe in der eigentlich historischen Zeit sich schon weit über den Standpunkt der bloßen Naturreligion erhoben hat. Von eigentSpath, Welt und Gott.

6

82 lichem Verständniß der Naturvorgänge konnte dabei ebenso wenig die Rede sein als von einem Erfassen des menschlichen Geistes in seiner Tiefe.

Vielmehr war es die Macht der sinnlichen Eindrücke,

welche der allerdings sinnvoll bildenden Phantasie den Stoff für ihre Schöpfungen bot. Der Geist regte sich, um sich eine andere Stellung zu der Natur zu erringen.

Er fing an, durch Selbstvertiefung sich in seinem

eigenthümlichen Wesen zu erfassen; die Natur begann ihm fremd zu werden, ja er fühlte sie als seine Schranke, die er als ein in sich Nichtiges bei Seite schieben wollte, und, soweit das nicht ging, als ein ihm Feindseliges mied und bekämpfte.

Man hat sich gewöhnt,

jene naive Einheit des Geistes mit der Natur als den Grundcharakter des klassischen Alterthums zu betrachten, wozu wohl am meisten der Blick auf seine Kunstprodukte Anlaß gegeben hat. Ansicht nicht theilen.

Wir können diese

Zwar ist gewiß, daß das klassische Alterthum

den einen Fuß noch in dieser naiven Einheit hatte; aber ebenso ge­ wiß ist, daß es mit dem anderen darüber hinausgeschritten war. Selbst die Bolksreligion der Hellenen weist in ihren bedeutendsten Ideengestaltungen, wie in der Verdrängung der reinen Naturgötter durch Zeus und in der tiefsinnigen Prometheussage, auf diese Eman­ cipation des Geistes von den Naturmächlen hin; und selbst die Kunst der Griechen ist rein unerklärlich mit ihrem tiefen ideellen Gehalt, wenn man nicht jene Doppelstellung des klassischen Alterthums in Betracht zieht und annimmt, daß der sich emancipirende Geist die Fähigkeit, sich in naive Einheit mit der Natur zu versetzen, in seinen Dienst genommen und zur Darstellung eines ideelleren Gehalts ver­ wendet habe.

Wäre das Gesagte nicht richtig, so müßte man so

ziemlich die ganze griechische Philosophie für ein dem klassischen Al­ terthum fremdes Produkt erklären.

Ein Sokrates, ein Plato, sie

wären das gerade Gegentheil des hellenischen Geistes.

Denn in

ihnen nimmt in der That der Geist seine Stellung gegenüber der Natur. Und in immer stärkeren Zügen macht sich dieser Dualismus zwischen Geist nnd Natur nicht bloß durch die spätere Philosophie

83 der Stoa wie des Epikuräismus geltend, sondern er wurde die gei­ stige Signatur des späteren klassischen Alterthums.

Ja wir sehen

ihn noch tief in die christliche Zeit herein wirken und in das Christen­ thum selber einbringen,

wiewohl dieses ihm,von Haus aus fremd

ist, weil es eine Versöhnung an die Stelle der Entzweiung zu setzen berufen war. Dieser Dualismus war ein entschiedener Fortschritt gegenüber dem ursprünglichen Versenktsein des Geistes in die Natur.

Er warf

seinen Gewinn nicht nur ab für die Selbsterkenntniß des Geistes, sondern auch für die Naturbetrachtung.

Denn sie stellte sich jeden­

falls dar nach einer Seite, welche überaus wichtig ist, als das was gegen den Geist nicht aufkommen kann und über ihn nicht übergreifen darf. UebrigenS mußte eine solche Entgegensetzung der Natur gegen den Geist den Blick auch schärfen für die Erforschung des Einzelnen in der Natur, und wenngleich die eifersüchtige, fast feindselige Stel­ lung des Geistes zu ihr noch ein Hinderniß ist, sie als organische Einheit zu fassen, so gibt sie doch Anlaß, die Naturdinge als Eins zu stellen neben das Reich des Geistes. Die Spannung zwischen Geist und Natur ist nur ein Ueber» gang, darum auch nicht genau abzugränzen;

sie hat vielmehr frühe

Vorläufer und langgestreckte Nachwirkungen.

Eine neue und zwar

die höchste Stufe, welche möglich ist, beschritt der menschliche Geist, als er dem Bedürfniß genügte, sich aus der Spannung mit der Natur heraus

in ein positives reflektirtes Verhältniß zu ihr zu

setzen, also unter Wahrung des Gewinns der Uebergangsstufe, der Selbstständigkeit des Geistes gegen die Natur.

Dies geschah prin­

cipiell im christlichen Theismus, diesem seine Verwirklichung von Anfang an in sich tragenden Glauben an eine allgemeine Versöh­ nung.

Denn unter dem Einen Gott, dem Schöpfer der Welt und

dem Vater der Geister,

waren Natur und Geisteswelt zusammen­

gefaßt als zwei Gebiete, welche von Haus aus in ein positives Ver­ hältniß

gestellt

sind, so jedoch daß

die Natur einer Verklärung

durch den Geist harren sollte, der ja im absoluten Sinne in der

84 Person GotteS die Herrschaft führt. So hatte die Natur für den Geist die -richtige Stellung gewonnen; sie erschien ihm als unter­ geordnet, aber für ihn geordnet; und dieses sehr positive Verhält­ niß ward erkannt als ein durch das lebendige Verhältniß des Schöpfers zur Welt fort und fort vermitteltes. Dieses Geschenk machte das Christenthum der Wett, aber zunächst in der nöthigsten und wirksamsten Form, in der des religiösen Glaubens und.der sittlichen Motive. Die theoretische Ausgestaltung hatte zwar ihre Grundlage empfangen, aber sie sollte die Arbeit einer langen Ent­ wicklung sein. Billiger Weise fixirte der christliche Geist zuerst sich selbst und suchte zuerst seiner eigenen Tiefen mächtig zu werden. Darüber trat ihm die Natur zurück, ja er hat nicht selten ziemlich gleichgiltig und geringschätzig auf sie geblickt. Dieses Verhältniß hat sich jedoch gründlich geändert. Die neue Zeit hat ihr Interesse vorzugsweise der Natur' zugewendet. Das ist ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich. Denn gegen das einseitige Interesse für die Geisteswelt und die daraus hervorgehenden einseitigen Anschauungen, die wir mit Spiritualismus zu bezeichnen pflegen, ist der Drang ganz berechtigt, auch die Natur zu ihrem vollen Recht kommen zu lassen. Aber die Gefahr liegt nur allzunahe, daß wir der entgegengesetzten Einseitig­ keit verfallen. Leicht bringt uns das Vorwiegen der Naturbeobach­ tung in eine ähnliche Lage, wie sie der Menschengeist einst passiren mußte, als er noch ganz in die Natur versenkt war, daß er über den Wundern und Kräften der Natur sich selbst mit seinen viel größeren Wundern und Kräften vergißt, nur daß es jetzt nicht mehr jenes naive Selbstvergessen ist, wo der Geist mit Andacht und An­ betung sich an die Naturmächte als ein Göttliches hingibt, sondern ein leidenschaftliches Bevorzugen der Natur. Es gibt keinen Natur­ dienst mehr, sondern einen Naturalismus, der nicht nur ein rei­ cher Quell des Irrthums ist, sondern auch sittlich verderbliche Consequenzen und eine der Religion tödtliche Anschauung in sich birgt. Der Naturalismus hat sein Wesen darin, daß er die Natur

85 verabsolutirt.

Er stellt die Welt auf den Kopf; denn er scheut sich

nicht das Unterste zum Obersten zu machen.

Die Welt des Geistes

nämlich existirt für ihn nur als Naturproceß, als eine Welt persön­ licher Selbstbestimmung zieht er sie gar nicht in Betracht; sie kann also von ihm nicht gewürdigt werden und alle Folgerungen aus der Existenz und Beschaffenheit der Geisteswelt fallen für ihn weg. Diese Enge der Betrachtungsweise bringt eS nothwendig mit sich, daß der Naturalismus bei der Natur als dem höchsten Denkbaren, dem Absoluten stehen bleibt.

Er kennt von vorn herein Nichts als

Naturerscheinungen: wie sollte er also Realitäten anerkennen, die über die Natur hinausreichen und ihr erst ihre Realität geben? Zwar der Ausgangspunkt des Naturalismus ist berechtigt, nament­ lich im Vergleich zur früheren Unterschätzung der Natur; nur ist er zu beschränkt.

Weil er sein Angesicht der Natur zugewendet hat

und in ihren Lebenszusammenhang auch den menschlichen Geist ver­ flochten findet, so sieht er Nichts als Natur; sie ist ihm Alles, in sie fällt ihm auch das Schöpferische in der Welt; die Natur ist ihm die einzige und letzte Macht, die absolute Lebensquelle. Es hält nicht schwer, den Naturalismus zu widerlegen.

Jede

ernstliche Reflexion über das Wesen der Natur d. i. der untergeisti­ gen Existenzen, wie sie in der Erfahrung vorliegen, ergibt, daß sie daS Absolute nicht sein kann.

Wir finden zwar in der Natur ein

beständiges Werden, bei welchem immer neues Einzelnes durch Zu­ sammenwirken des Einzelnen, dessen Gesammtsumme die Natur ist, hervorgeht.

Aber eine Summe von Einzelnem und Endlichem, mag

eS auch noch so organisch in sich verbunden sein, ist eben auch als Einheit

genommen

ein Endliches

und kann

keine

allumfassende

schöpferische Macht sein, die ihren Grund nur in sich selber hätte. Dafür gibt der Naturalismus selber Zeugniß.

Er kann nicht dabei

stehen bleiben, die Natur wie sie vorliegt für das Absolute zu er­ klären und sieht sich genöthigt, der Welt noch weiter auf den Grund zu gehen. Zu was aber kommt er, da er sich den wahren Weg von vorn herein verlegt hat? Er geht zurück auf die einfachsten Stoffe,

86 deren Verbindungen die Dinge ausmachen,

oder auf die kleinsten

Theile, in die man sich die sichtbaren Dinge zerlegt denken kann, und diese Urstoffe oder diese Atome oder Moleküle müssen ihm das Letzte, daS Absolute sein.

Also die nackten Urbestandtheile der na­

türlichen Existenzen — wir sehen hier ganz davon ab, ob dieselben nur fingirt oder wirklich vorhanden sind —, das Residuum nach Abzug all des Lebensreichthums, den die Natur dem Auge bietet, sie sollen ein ausreichender Erklärungsgrund des Weltprocesses sein; ein Haufen Stoffe soll das Absolute darstellen! Ein größeres Miß­ verhältniß zwischen Erklärnngsgrund und dem zu Erklärenden kann es wohl nicht geben:

die Fülle des Weltlebens soll ihren letzten

Grund haben in der denkbar größten Dürftigkeit und Einförmigkeit. Schon das reine Naturleben mit seinem Reichthum an Form und geistigem Gehalt ist rein unerklärlich auö solchen Prämissen.

Stellt

man aber vollends die Erfahrungsthatsachen des Geistes daneben, so ist vollends klar, daß ihnen der naturalistische Erklärungsgrund gänzlich inadäquat ist.

Ebenso wenig ist eS möglich, die Thatsachen

der Geisteswelt, so eng sie auch mit dem Kreis des Naturlebens zusammenhängen mögen, bloß aus der Natur zu erklären, da sie vielmehr eine ganz neue, über die Natur übergreifende Welt ist. Dafür ist Beweises genug, daß die Naturalisten genöthigt sind, die sichersten Thatsachen des menschlichen Bewußtseins zu mißhandeln oder zu verleugnen. Der Geist hat einen über die bloße Naturwelt weit übergreifenden Trieb und Inhalt: das muß vom Naturalismus für Schein und Täuschung erklärt werden.

Er ist faktisch der sich

selbst bestimmende, ja er kann sich Natureinflüssen mit Erfolg ent­ gegenstemmen: darum behauptet der Naturalismus dennoch, es gebe nur Naturnothwendigkeit für den Geist, und mit der Leugnung der Selbstbestimmung erklärt er. das innerste Wesen des Geistes für Schein.

Kann

es eine gründlichere Selbstwiderlegung geben

als

diese absolute Unfähigkeit, dem Wesen des Geistes gerecht zu werden? Der Grundfehler des Naturalismus ist der freilich oft gemachte, daß man von einem beschränkten Gesichtspunkte ausgehend zu einem be-

87 schränkten Resultate kommt, und weil die Prämissen nicht weiter ^ühren, das gewonnene Resultat für das letzte und abschließende erklärt. Die Naturalisten trifft eine merkwürdige Nemesis. Sie pflegen sich ihrer nüchternen Verständigkeit hoch zu rühmen, und eine Welt­ anschauung, welche noch für Gott und eine Anbetung Gottes Platz hat, ist in ihren Augen Nichts als dunkle Mystik. Allein sie selber trifft dieselbe Anklage, daß sie sich mit trüber Mystik zufrieden geben. Denn entweder muß man in den Hintergrund der Naturdinge eine dunkle Macht verlegen, eine natura naturans, von welcher schwer zu sagen sein möchte, was sie eigentlich ist im Unterschiede von der empirisch vorliegenden Summe der Einzeldinge, und wie sie dazu kommt, in den Einzeldingen sich darzustellen, oder man macht ein Quantum von Urftoffen oder Atomen zum absoluten Grund aller Dinge, sieht sich also genöthigt, dem was so offenbar den Charakter der Beschränktheit und Endlichkeit an sich trägt, ganz entgegengesetzte Attribute beizulegen. Nur freilich kann sich diese Art von Mystik in keiner Weise messen mit jener religiösen, in welcher das menschliche Ge­ müth seine Tiefen erschließt und sich im Hunger nach dem wahrhaft Realen in Gott versenken will, weil ihm nichts Endliches genügt; es ist eine Mystik der schlechtesten Sorte, ein verblendetes Ausruhen bei nebulösen Vorstellungen, ein eitler Versuch, die wichtigste Stelle im menschlichen Denken, mit einem dunkeln Phantasiebild auszufüllen. Der Naturalismus ist jedoch nicht bloß eine unhaltbare, tieferes und umsichtiges Denken nicht beftiedigende Weltanschauung, zu er­ klären aus dem Widerspruch gegen die Einseitigkeiten eines natur­ feindlichen Spiritualismus, sondern er ist auch von den übelsten Folgen für Sittlichkeit und Religion. Daß er religionsfeindlich sein muß, ist an sich klar; denn wo die Natur verabsolutirt, der Geist in seinem innersten Wesen, also auch in seinen höchsten und heilig­ sten Bedürfnissen verkannt und jede Realität über die Summe des Endlichen, welche wir Welt nennen, hinaus geleugnet wird, da ist der volle Atheismus, also muß jedes Verhältniß des menschlichen

88 Geistes zu Gott als Irrwahn behandelt werden. daher den fanatischen Radikalismus, des Naturalismus,

Man begreift

welcher von den Wortführern

wenigstens von denen, die sich berufen fühlen

durch seine Popularisirung die Menschheit zu beglücken, gegen Alles was Religion heißt in Scene gesetzt wird.

Die tiefsten und heilig­

sten Bedürfnisse des menschlichen Geistes erklärt man für Täuschung; was uns als die historisch bewährte Grundlage aller Gesittung er­ scheint, das wird hier zum Wahn gestempelt, den je eher je lieber zu

zerstören,

sein soll.

Verdienst

ersten

Der Naturalismus

idealsten Ziele. auf.

ein

Ranges

um die Menschheit

bringt das Geistesleben um seine

Ja selbst die Fundamente der Sittlichkeit hebt er

Denn er weiß nur von einem Muß, von keinem Soll; es

gibt für ihn keine objektive, auf eine höhere Quelle zurückzuführende, in der Welt zu verwirklichende und in ihr angelegte Zwecke, ja es gibt nicht einmal einen Willen im eigentlichen Sinn, und mit der Selbstbestimmung fällt ihm konsequent auch jede Verantwortlichkeit. Was er allein predigen kann, das ist ein rücksichtsloser Eudämonis­ mus.

Unter dem Titel eines allgemeinen Gesetzes der Selbsterhal­

tung besteigt der Egoismus den Thron. Gelüsten

Er öffnet den schlechtesten

des individuellen Beliebens unbegränzte Bahn und sieht

mit kaltem Hohn oder wenigstens.mit mitleidigem Lächeln auf eine Gesinnung herab, welche bereit ist Alles zu opfern und sich selbst zu verleugnen, freilich nicht für Nichts, aber für das was sie als höchsten

göttlichen Zweck erkannt hat.

Würde die naturalistische

Richtung sich zur allgemeinen Geltung erheben, um die menschlichen Verhältnisse zu beherrschen, so müßte unsere Kultur in wüster Bar­ barei untergehen durch das Aufhören jedes idealen Zuges, ja ein dämonischer Zug würde Alles mit gegenseitiger Zerstörung bedrohen. Wir befürchten das nicht, weil solche Extreme sich nur kurze Zeit in die Praxis umsetzen können und ihnen die schmerzliche Erfahrung bald genug das Urtheil spricht.

Aber schon das halten wir für

höchst bedenklich, was allerdings nicht nur möglich ist, sondern der­ zeit weithin der Fall zu sein scheint:

wenn der Naturalismus als

89 Moment wirkt und die Weltanschauung größerer Kreise naturalistisch angefressen ist. Es ist einleuchtend, wie wesentlich eS ist, von der Natur einen richtigen Begriff zu gewinnen. nur gelingen, Ich

sage

Das kann uns nach dem Bisherigen

wenn wir in ihr Verhältniß zum Geist eindringen.

wohlerwogen:

unser

eigenes

Schlüssel zum Geheimniß der Natur,

Selbstbewußtsein und

ist

der

ohne diesen Schlüssel

führt selbst die genaueste Detailkenntniß der Naturvorgäiige nicht in das Verständniß der Natur ein.

Zunächst ist es der Gegensatz des

Geistes und der Natur, was sich, wie wir oben sahen, bei uns psy­ chologisch herausarbeitet.

Damit sinkt die Natur herab zum Com-

plex der unpersönlichen Daseins- und Lebensformen.

Diese niedrige

Stellung der Natur gegenüber dem Geist ist keineswegeS nur eine subjektive Schätzung, welche mit dem Wechsel der geistigen Disposi­ tion ihr Ende erreicht hätte, sondern sie ist eine nothwendige, sofern unser Bewußtsein immer wieder auf diese Stellung der Natur ge­ führt wird,

diese also sich als grundlegend geltend macht.

Diese

Stellung ist ebenso im Wesen des Geistes wie im Wesen der unter­ geistigen Welt begründet. sich aber auch

Aus dem nothwendigen Gegensatz arbeitet

mit gleicher Nothwendigkeit eine positive Beziehung

zwischen Geist und Natur heraus.

Und

wiederum

ist

es

unser

Selbstbewußtsein, welches uns die enge Verflechtung des GeisteSund des Naturlebens unwiderleglich vorführt. wir unS weder

der aktiven

Natur entziehen können,

Wir erfahren,

noch der passiven Beziehung

daß

zu der

wenn unser Geistesleben nicht nothleiden

soll; ja wir finden unS so in das Naturleben verflochten, daß eine vollständige Flucht aus demselben

ein Ding der Unmöglichkeit ist.

So stellen sich denn die Grundzüge des Verhältnisses so. Der Geist erweist sich als das Höhere gegen die Natur, sie hat ihm in seiner sich selbst bestimmenden Macht Nichts als Gegengewicht entgegenzu­ setzen,

ist also bei aller Fülle von Kräften doch nur eine niedere

Form deS Daseins.

Da sich der Geist als das Beherrschende er­

weist, so ergibt sich, daß die Natur eben um deS Geistes, ihres Be-

90 Herrschers willen da ist. Darin liegt aber auch, daß der Geist ihrer bedarf; also wird sie des Geistes Voraussetzung und unentbehrliche Unterlage sein.

Wir kennen somit die Bedeutung der Natur; neh­

men wir diese Beziehung zum Geiste weg, so wird sie zum sinnlosen Kreislauf des Werdens und Vergehens. So wüßten wir also,

worin das eigentliche Verständniß der

Natur zu suchen ist, in dem positiven Verhältniß zwischen ihr und dem endlichen Geiste, dessen beschränktes Wesen ebenso auf sie zu­ rückweist, wie das ihrige über sich selbst hinaus auf den Geist weist. Es ist nur erforderlich, daß wir das Verhältniß auch in seinem ganzen Umfang uns klar machen, und hiebei die zähen Ueberbleibsel eines überlebten Dualismus mit aller Entschlossenheit wegräumen, aber nicht weniger auch über die naturalistische Leugnung aller ideellen Bezüge zwischen Geist und Natur hinwegkommen. Denn in der That haben wir zwei ganz entgegengesetzten Richtungen zu begegnen, wenn wir das genannte Ziel im vollen Umfang erstreben;

die eine will

die Abhängigkeit des Geistes von der Natur leugnen, die andere die Abhängigkeit der Natur vom Geiste.

Wir-müssen beide behaupten

und zwar so, daß aus der Abhängigkeit des Geistes von der Natur eine Abhängigkeit der Natur

vom Geiste als angelegtes Resultat

freier persönlicher Entwicklung hervorgeht. Soll das Verhältniß der Natur zum Geiste nicht bloß an seiner Oberfläche berührt, sondern in seiner Tiefe und im vollen Umfange gefaßt werden, so legt es sich uns in drei Beziehungen auseinander, welche

sich

übrigens alsbald nur als die verschiedenen Momente

einer und derselben Grundbeziehung erweisen.

Fixiren wir erstens

den Geist in seiner Entstehung, so ergibt sich uns das Verhältniß zwischen Natur und Geist als ein genetisches d. h. der Geist wird aus der Natur herausgeboren.

Denken wir uns zweitens den Geist

in seiner Entwicklung begriffen, so finden wir ein Verhältniß der Wechselwirkung,

gegenseitiger Aktivität und Passivität,

darauf

angelegt, die Aktivität des Geistes zu wecken und ihn zur Herrschaft über die Natur zu bringen.

Setzen wir drittens den Geist in seiner

91 sittlichen Vollendung, so stellt sich uns die Natur im reinsten Zweck­ verhältniß dar, sofern der realisirte Geist der Zweck der Natur ist und die Natur ihre eigentliche Realität in nichts Anderem als in diesem Zweckverhältniß hat. Was daS Erste betrifft, so erweist sich der menschliche Geist in seinem ersten Werden ganz verhüllt in daS natürliche Leben.

Wir

dürfen aber jene dualistische Vorstellung nicht festhalten, wonach das natürliche Leben, das Seelenleben, nur als die äußere Hülle des Geisteskeims zu betrachten wäre, der von anderswoher in sie gesenkt und fertig eingelegt würde.

Die Zeiten, da man Leib, Seele und

Geist wie drei ineinandergeschachtelte Gefäße ansah, sind für immer vorüber.

Vielmehr die menschliche Seele, aus welcher das Geistes­

leben herauswächst, ist selbst von HauS aus Naturwesen und Pro­ dukt des natürlichen Lebensgefüges. Der Geist ist nicht im Seelen­ gefäße, sondern die menschliche Seele ist Geist; die Seele aber steht mit dem Leibe in so grundwesentlicher Beziehung, daß ihre Entste­ hung und die Bildung des Leibes nicht nur zeitlich zusammenfällt, sondern Ein Vorgang ist, den wir uns nur nach zwei verschiedenen Seiten auseinanderlegen. Es kann mit der menschlichen Seele nicht anders sein als wie es die Analogie des Beseelten überhaupt vor­ zeichnet. Die Seelen sind nicht zum Voraus fertig, noch auch treten sie von außen zu dem Proceß der Leibesbildung, sondern die Leibes­ bildung ist zugleich eine Seelengeburt.

So ist denn auch der Geist,

der anfänglich keine andere Bethätigung kund gibt als die niederen organischen Funktionen überhaupt, in seiner Entstehung'bedingt von dem ganzen Naturcomplex.

Die Natur ist der Mutterschooß des

Geistes, der Natur entsteigt der Geist, aus ihrem innersten Wesen sich mittelst des Naturprocesses entbindend.

In diesem Sinne

können wir wohl von einer „Mutter Natur" reden. wohl etwas naturalistisch.

Es klingt das

Warum aber sollten wir uns scheuen,

dem Naturalismus sein Recht werden zu lassen? Wir nehmen aus ihm ein wesentliches Moment der Wahrheit. Dafür, daß der Geist von Haus aus Naturwesen ist und die

92 Natur dazu angethan, Geist aus sich zu erzeugen, könnte man breite Beweise führen.

Wir beschränken unS auf wenige Andeutungen.

Das seelische Leben des Menschen, aus welchem sich allmählig der Typus des Geistes zur Darstellung bringt, enthält eine Menge von Trieben, welche eS an die Natur knüpfen und ihre volle Parallele in der Thierwelt finden.

Man denke z. B. an den Geselligkeitstrieb

und an den Geschlechtstrieb.

Wir finden sodann in der Thierwelt,

obwohl sie nach allgemeinem Zugeständniß die Gränzlinie des bloßen Naturlebens nirgends überschreiten, dennoch unverkennbare Annähe­ rungen an daS Geistesleben des Menschen z. B. an die verständige Ueberlegung, an das Bedürfniß sprachlicher Mittheilung, selbst an sittliche Regungen und Gefühle.

Wir haben keine Ursache, diese

Analogien aus der Sphäre des thierischen Seelenlebens

als den

Menschen entwürdigend von uns zu weisen, da wir ja jedenfalls nicht im Stande sind, wegzubringen.

die Analogien auf dem somatischen Gebiete

Ihre Anerkennung ist vielmehr die nothwendige Er­

gänzung zu dem vollen Zugeständniß des Abstandes zwischen Mensch und Thier, welcher am ausgeprägtesten in der menschlichen Anlage zur Selbstbestimmung und durch sie zur Persönlichkeit liegt.

Soll

aber jenes Geborenwerden des Geistes aus der Natur nicht eine bloße Redensart sein, so darf man sich nicht damit begnügen, die Thierwelt als die typische Hinweisung auf den Menschen zu betrach­ ten. Denn es ist nur Zweierlei denkbar: entweder diese verwandten Erscheinungen sind in ihrer Entstehung unabhängig von einander und laufen'nur nebeneinander her,

ohne in einem genetischen Zu­

sammenhang zu stehen, oder aber sie stehen wirklich in einem gene­ tischen Zusammenhang unter einander, und die Thierwelt ist also der wirkliche Unterbau der Menschheit,

wie für ihr Bestehen so

auch für ihr Entstehen, das Seelenleben der' Unterbau des Geistes­ lebens, die ganze organische (und anorganische) Schöpfung der Mutterschooß, aus welchem zuletzt der Geist an das Tageslicht des stufen­ weise zugerüsteten Planeten treten sollte.

Im ersteren Falle bleibt

unS nur die Annahme einer in sich nicht zusammenhängenden, ato-

93 inistisch zu denkenden Schöpfung übrig, wie sie wohl einer noch rohen kindlichen Phantasie, nimmermehr aber dem Charakter des KoSmoS entspricht.

Im andern Falle haben wir eine wirkliche Einheit der

Schöpfung, wie sie Gottes allein würdig ist und durch alle That­ sachen bestätigt wird.

Mag man immerhin gegen ungeschickte Ver­

suche sich ein Bild von dieser zusammenhängenden Schöpfung zu entwerfen ein starkes Aber haben; es trifft auch die triftigste Wider­ legung nicht den Gedanken selbst,

sondern nur das problematische

Detail. Derjenige Einwand, welcher bisher einem in sich zusammen­ hängenden Schöpfungsproceß allein mit entscheidender entgegentrat,

nämlich,

Bedeutung

daß die Gattungsunterschiede unwandelbar

seien und keinen Uebergang zulassen, ist so sehr erschüttert, daß selbst seine Vertheidiger ihn nur noch mit großer Einschränkung festhalten. Wir haben keinen Beruf, hier den Boden der Hypothesen zu betre­ ten oder die geistlosen Ausfälle einer engherzigen Theologie, die sich für die Tradition wehrt, zu bestreiten.

Nur das betonen wir: so

gewiß die Behauptung der qualitativen Einheit der Thierseele und der Menfchenseele zur Verneinung des eigentlichen Geistwesens führt, so gewiß, schafft die einseitige Betonung des Unterschieds beider, die Behauptung der absoluten Verschiedenheit von Thierseele und Men­ schenseele zur Aufhebung einer durchgehenden mit der Höhe der Stufen zunehmenden Analogie eine Kluft, welche jedes Verständniß der Thierwelt und schließlich auch der Menschenwelt nach der Seite des Naturzusammenhangs unmöglich macht.

Auf Grund so nahe­

liegender Wahrnehmungen müssen wir einen genetischen Zusammen­ hang von Natur und Geisteswelt annehmen und können in den Versuchen einen genetischen Zusammenhang der ganzen organischen Schöpfung mit Einschluß der Menschheit, ja auch einen Zusammen­ hang zwischen dem Werden der organischen und der sogenannten an­ organischen Welt darzuthun nur einen Gewinn sehen, die Eroberung eines nothwendigen Ausgangspunkts der Wissenschaft zu einer neuen und tieferen Welterkenntniß. eS niemals gelingen sollte,

Setzen wir jedoch auch den Fall, daß den einstigen Hergang im Detail aus-

94 findig zu machen, so würde das dem Grundgedanken keinen Abbruch thun, es könnte ihy nicht zweifelhaft machen. Die Genesis des Geistes liegt,

da der Mensch ursprünglich

reines Naturwesen ist, hinter unserm Bewußtsein, kann daher kein Objekt unserer inneren Erfahrung werden. stehungSproceß

des

Lebens

Ist vielmehr der Ent-

überhaupt ein geheimnißvoller,

Hergang uns vielleicht nie ganz bloß gelegt wird,

dessen

so wird dies bei

dem Entstehen der höchsten Potenz des Lebens, des Geistwesens, am meisten der Fall sein.

ES -mag sein,

daß wir in dieser Hinsicht

über sehr unvollkommene und unsichere Vermuthungen die Modalität des Hergangs betreffend nie hinauskommen.

Anders ist eS mit den

Wechselbeziehungen des bewußtgeistigen Lebens und der Natur. Diese liegen vielmehr, zum Theil wenigstens, offen als Thatsache da, so­ fern sie in das Bewußtsein treten, somit jederzeit beobachtet werden können.

Es bedarf also nur Hergänge zu constatiren, welche täglich

sich dem Bewußtsein aufdrängen.

Wir wissen Alle, wie genau die

Bethätigung unsers Geisteslebens an unsern Leib mit seinen Orga­ nen, also jedenfalls an eine Naturbasis, die sich rein werkzeuglich zu ihm verhält, gebunden ist.

Die Erfahrung aber, daß unsere gei­

stigen Thätigkeiten immer mit Beziehungen zur Natur durchflochten sind, kann uns überzeugen, daß unser Geistesleben leer und inhalts­ los wäre, wenn ihm die Wechselwirkung mit der Natur fehlte.

Es

tritt dies insbesondere bei der Geschichte des menschlichen Geistes in Form der Völkergeschichte klar genug hervor.

Die natürlichen

Bestimmtheiten der Völker durch Klima, Länderbeschaffenheit, Nah­ rung und dgl. nehmen nicht nur im Kindesalter der Menschheit eine fast herrschende Stellung ein, sondern selbst bei hoher geistiger Ent­ wicklung bleiben diese Bestimmtheiten immer von hoher Bedeutung. Kein Volk wird jemals sich ganz von seiner Naturbasis so losmachen, daß seine geistige Entwicklung nicht niehr dadurch bedingt und be­ einflußt, ich möchte sagen, charakterisirt wäre.

Allerdings zeigt sich

auch als feststehende Ordnung,

daß der Geist zur Herrschaft über

die Natur sich durchringt

das bloße Gebundensein

und

an ihre

95

blindwirkenden Gewalten Stufe um Stufe überwindet. Allein ist nicht selbst der Zustand durchgebildetster Herrschaft des Geistes über die Natur nur eine Bestätigung davon daß Wechselwirkung und Ver­ kettung beider die in ihrem Wesen liegende Ordnung ist? Nicht Loslösung von der Natur, sondern Herrschaft über die Natur erscheint als das richtige ideale Verhältniß beider. Ohne diese Verkettung könnte die Natur nicht der Boden sein, auf welchem der Geist sich bethätigt und entwickelt. Das führt uns auf den vollendetsten und rundesten Ausdruck für das Verhältniß des Geistes zur Natur: sie stehen nämlich so zu einander, daß die Natur das selbstlose Mittel, der Geist der Zweck ist und zwar der sich selbst verwirklichende. Alles in der Natur strebt unbewußt dem Geist entgegen und ist dazu angethan, seiner Realisirung zu dienen. Sie ist unpersönlich und kann daher ihren Zweck nicht in sich selbst haben, folglich hat sie ihn über sich in einem Andern. Sie kann nur um eines Höheren willen da sein, eines solchen, das um seiner selbst willen da ist, also um des Gei­ stes willen. Für den sich selbst bestimmenden Geist ist sie nur Stoff; sie hat den Beruf und die Befähigung, seine Zwecke in sich einbilden zu lassen. Folglich verhält sich die Natur im Großen zum Geistes­ leben ganz wie der Leib zur selbstbewußten, ihn durchwohnenden Seele, sie ist sein Substrat, sein dienendes Objekt. Daraus folgt nun für das Verständniß von dem Wesen der Natur etwas ungemein Wichtiges. Steht die Natur in so positivem Verhältniß zum Geist, zur Welt der Selbstbestimmung, ist sie nicht sein bloßes Nichtich, sein werthloses Objekt oder gar sein Hinderniß und seine Schranke, der er sich zu entziehen hat, so muß ihr Wesen und das Wesen des Geistes in engster Verwandtschaft stehen, so muß also die Natur geistartig sein. Die' Zwecke, welche der Geist ihr aufprägt, werden zwar in einer Beziehung ihr äußerlich und für sie zufällig sein, sofern der menschliche Geist die Natur eben als sein Mittel zu seinen mehr oder minder zufälligen individuellen Zwecken benützt. In anderer Beziehung aber müssen doch die Gei-

96 steSzwecke zugleich Naturzwecke sein, da es sonst unmöglich wäre daß der Geist auch nur einen Zug zur Verwirklichung seiner Zwecke in der Natur verspürte.

Ist aber eine gewisse Gleichartigkeit des We­

sens zwischen Natur und Geist, so ist die Natur zu betrachten als die Vorstufe deS Geistes, und nur weil sie das ist, hat sie auch die Fähigkeit, eine Entwicklung des Geistes zu ermöglichen.

Es ist einer

der tiefsten Gedanken, welche die neuere Philosophie zu Tage gefördert hat: die Natur ist ihrem Wesen nach Geist, nur eben noch schlummern­ der Geist, der erst seiner Entbindung harrt.

Wir brauchen diesen

Gedanken nur seiner pantheistischen Färbung zu berauben, vermöge welcher beide Gebiete in einander zu fließen drohen. Die Natur ist nicht Geist; denn sie ist nicht auf Selbstbestimmung angelegt, sondern gerade dadurch ist sie, was sie ist, daß sie der Welt der Selbstbestimmung nur zu dienen hat.

Aber geistartig ist sie d. h. sie enthält die ersten,

elementaren Ansätze, welche das Aufgehen des Geisteslebens erst er­ möglichen und den Geist gängeln, ehe er es wagt frei seinen eigenen Weg einzuschlagen.

Es ist ein großartiger Fortschritt,

welchen der

Geist mit dieser Wahrheit, die der neuen Zeit eigenthümlich zuge­ hört, gemacht hat.

Nicht nur ist dadurch der Dualismus auf theo­

retischem Gebiet, welcher gerade die tiefsten Blicke in das Weltwesen verhinderte, überwunden, sondern der Gewinn gilt auch dem ethischen Verhalten,

das sich

Natur angestellt hat. Einfluß;

so lange gleichgültig,

ja feindselig gegen die

Auch auf das ästhetische Gebiet übt sie ihren

beruht ja doch die Kunst darauf,

daß die Natur drauf

angelegt ist, ein Spiegel des Geistes zu werden, und daß die Natur selber eine göttliche Plastik ist. Für das Wesen der Natur ziehen wir aus allem Bisherigen folgendes Resultat.

Das Verschlimgensein des Geistes mit der Natur,

in welche nicht nur seine Anfänge hinunterreichen, sondern auch alle seine Bethätigungen fort und fort verkettet sind, und welche sich, je weiter der Geist sich entwickelt, um so mehr als Mittel und Werk­ zeug des Geistes darstellt, läßt uns das Wesen der Natur als dem Geistwesen verwandt erkennen, als die Vorstufe des Geistes so zu

97



sagen als Geist in niederer Potenz.

Sie ist die nothwendige Vor­

aussetzung seiner Genesis, seiner Bethätigung, seiner Selbstverwirk­ lichung.

Wir erkennen in ihr eine pyramidale Gliederung, ein stu­

fenweises Aufwachen, dem Selbstbewußtsein entgegenstrebend.

Die

Beseeltheit, welche dnrch die ganze Natur sich offenbart und wesent­ lich Eine ist, sie macht in der Thierwelt immer kräftigere Ansätze zur Geistseele, wodurch der Geist nicht nur typisch vorgebildet son­ dern ganz reell vorbereitet wird;

und das höhere Thierleben zeigt

uns schon sehr deutliche Anklänge an das Geistesleben.

Wir sehen

daraus unwiderleglich, daß dem Geist sich annähern den Fortschritt in der Natur ausmacht und keine Kluft sondern ein stätiger Uebergang zwischen Natur und Geist ist. Idee nach das Werden des Geistes, Lebens.

Demnach ist die Natur ihrer die Basis

des persönlichen

Sechster Abschnitt.

Das Weltganze. Der Gang deS menschlichen Erkennend bringt es mit sich, daß eS die Welt als Einheit erst erfassen lernt, nachdem es schon einen weiten Weg seiner Entwicklung hinter sich hat. Denn alles Erken­ nen geht aus von dem Aufnehmen deS Einzelnen und Mannigfalti­ gen. Die ursprünglichste Weltanschauung ist die, welche nur ein bunteS Mancherlei und Nebeneinander vor sich hat. Eine höhere Stufe hat der Mensch erstiegen, wenn sich ihm das Viele gruppirt und wenn er Gebiete des Daseins als Gegensätze fixirt, weil er sie noch nicht bewältigen und zusammenreimen kann; hier wirkt schon das Bedürfniß nach Einheit, und schon beginnt die Phantasie die Klüfte zu überbrücken, welche der Verstand noch nicht im Stande ist auszufüllen. Mit dem Bedürfniß nach voller Einheit und dem energischen Streben, sie denkend zu erfassen, beginnt die höchste, erst wahrhaft geistige Stufe der Weltanschauung. Von hier aus ist auch erst wissenschaftliche Betrachtung im strengen Sinn möglich. Denn die Beruhigung beim bloßen Nebeneinander der Dinge läßt nicht eindringen in das Wesen der Dinge. Zusammenhangslosigkeit ist der Tod der Wissenschaft, welche eö eben mit dem Erfassen der Zusammenhänge zu thun hat. Somit haben wir einen Maaßstab für den wissenschaftlichen Werth einer Weltanschauung: je mehr eine solche noch ein bloßes Nebeneinander zugesteht, um so tiefer steht sie

99 und gibt ihr Kleben an der Oberfläche und ihr rudimentäres Wesen dadurch zu erkennen. Legen wir diesen so naheliegenden Maaßstab an eine bis heute noch nicht aufgegebene Theorie, welche die Welt erklären soll und die mit dem Anspruch auftritt den Dingen auf den Grund zu kommen, so können wir sie nicht sonderlich hoch stellen, müßten uns vielmehr wundern, daß sie selbst in Männern ernster Wissenschaft ihre Ver­ theidiger findet, wenn wir nicht wüßten, daß sie der fast unvermeid­ liche Schlußpunkt einer sensualistischen Richtung des menschlichen Forschens ist. Wir meinen den Atomismus, der die Welt begriffen zu haben meint, wenn er sie in eine unendliche Menge kleinster, „untheilbarer" Theilchen zerlegt und sagen kann, jedes Ding und die ganze Welt bestehe aus Atomen.

Damit übrigens Mißverständniß

vermieden werde, sei bemerkt, daß die Anwendung der Atomenvorstellung ans dem Boden der Naturwissenschaft sehr zu unterscheiden ist von der philosophischen Verwendung.

Es ist in der That Nichts

einzuwenden gegen eine ideelle Zerlegung von Quantitäten in Atome; denn dies ist ein vortreffliches Mittel, um die Proportionsverhältnisse in den Stoffen anschaulich zu machen.

Im Grunde ist es aber die

Technik des Theilens und nicht die Auffindung der „kleinsten Theile", was hiebei von Nutzen ist; die Atome haben dabei nur die Bedeu­ tung, die Vorstellung davon zu erleichtern

und in eine bequeme

Formel zu fassen, daß die gefundenen Proportionsverhältnisse in der Natur sich bis in die kleinsten der Forschung noch zugänglichen Theile hinein wiederholen.

Für die naturwissenschaftlichen Zwecke

kommt es gar nicht darauf an, ob man die Theilung in Atome als kleinste Größen nur ideell vorhanden sein läßt oder sie als eine in Wirklichkeit vorliegende faßt.

Anders aber steht die Sache, wenn

man durch die praktische Verwendung der atomistischen Anschauung zur Erklärung von Naturprocessen oder Naturdingen sich verfiihren läßt, das Atom zum letzten Erklärungsgrund der Welt, die Atomistik $um philosophischen Theorem

zu erheben.

Hier ist sie schlechter­

dings vom Uebel und muß mit allem Ernst abgewiesen werden,

100

weil sie eine wahrhaft einheitliche Weltanschauung geradezu unmög­ lich macht. ES fei ganz davon abgesehen, daß die Atome als denkbar kleinste diskrete Größen niemals als wirklich existirend erwiese» werden kön­ nen, weil sich dieser Gegenstand aller Erfahrung zugestandenermaaßen entzieht, daß wir also an der Setzung von Atomen eine bloße Hypo­ these haben. Auch das sei nicht betont, daß im Begriff eines Atoms eine unlösbare Antinomie steckt, indem es eine kleinste, nicht weiter theilbare Größe sein soll, ein Festes und Letztes, während doch jede Größe auch bei der kleinsten Ausdehnung immer wieder theilbar sein muß. Dagegen müssen wir mit aller Entschiedenheit geltend machen, daß es ein ganz verkehrtes Beginnen ist, wenn man die Qualität zu einer Tochter der Quantität macht und die Verschiedenheit der Qualitäten aus der Verschiedenheit der Quantitäten erklären will, während wir überall, am augenscheinlichsten beiin Organischen, viel­ mehr die Abhängigkeit der Quantität von der Qualität sehen können. Dazu aber sieht sich der Atomistiker genöthigt. Denn wollte er den Atomen verschiedene Qualität beilegen, so ginge auch der letzte Schein eines einheitlichen Erklärungsgrundes der Welt verloren; er hätte dann ebenso viele unter sich in keiner nothwendigen Beziehung stehende Erklärungsgründe als er Atome setzt. Er niuß daher den Atomen eine unterschiedslose Qualität zuschreiben, die natürlich nicht als Erklärungsgrund für die Mannigfaltigkeit der Qualitäten in der Welt verwendbar ist und, da sie für die Welterklärung nicht in Be­ tracht kommt, so gut als keine ist. Der Versuch aber, den Atomen ein Minimum von Qualitätsverschiedenheit beizulegen durch Annahme verschiedener Gestaltung derselben, ist ein ganz verzweifelter Einfall. Denn wo von Gestalt die Rede ist, da ckann von Atomen nicht mehr die Rede sein; jede Gestalt ist theilbar, kann also nur ein Zusam­ mengesetztes von „kleinsten Größen" sein, wovon die Molekülartheorie das offene Zugeständniß ist. Und dann müßte die Gestaltung der Atome als unveränderlich gesetzt werden, während nach unserer Er­ fahrung selbst die mechanische Berührung der Stoffe einest bestän-

101

digen Gestaltenwechsel hervorruft; wie viel mehr müßte das bei der endlosen Berührung und Verschiebung der Atome Statt finden. — Der zweite Einwand gegen den philosophischen AtomiSmuS ist, daß er zwar scheinbar ein einheitliches Princip aufstellt, nämlich das Atom, in Wahrheit aber die Welt zu einem bloßen Conglomerat von unendlich vielen, untereinander beziehungslosen, weil in ihrem Wesen nicht zu unterscheidenden, zusammenhangslosen Punkten macht. Also die Welt soll erllärt sein, wenn man in ihr ein unendliches mechanisches Nebeneinander, einen Ballen kleinster Größen steht! Wie steht doch dieser Erklärungsgrund im Mißverhältniß zu dem organischen Produkt. Eine Anzahl von Nullen soll die Ursache des Reichthums der Welt und ihrer unerschöpflich vielseitigen Lebenszu­ sammenhänge werden, der Kosmos in seiner Fülle und Schönheit soll erklärt werden aus dem leersten und wüstesten Chaos, aus der Zusammenhangslosigkeit selber; denn was sind die Atome anders als die Welt in der feinsten Zerstäubung gedacht, also ihres Zusammen­ hangs beraubt. Indem so die Welt in ihrem Ursprung völlig ent» geistet wird, gelangt man nothwendig zu einer wahrhaft geistlosen Welt­ anschauung, die nur durch ihre scheinbare Einfachheit und die Menge durch ihre Rohheit besticht. Wahrlich die Atomisten haben keine Ur­ sache sich breit zu machen, als hätten sie den gordischen Knoten gelöst. Es ist eigentlich mehr als naiv zu glauben, man habe den Schlüssel zur Welterklärung in dem platten Raisonnement, daß eö schlechthin kleinste diskrete Größen geben müsse, weil ja jede Größe theilbar sei, und daß somit die Welt in solche schlechthin kleinste Größen zerfällt zu denken, folglich auch aus ihnen, und zwar ohne irgend welches weitere Moment, erwachsen sei. Will man bei diesem offenbar rein mechanischen und äußerlichen Raisonnement nicht der förmlichen Ab­ surdität anheimfallen, so muß man wenigstens daneben das Geistartige in der Welt auf eine geistige Potenz zurückführen, also einen Gott annehmen, der innerhalb dieses AtomenchaoS ordnend und Lebensetzend waltet. Wer empfindet aber nicht, wie äußerlich dann das Geistige an die Welt herangebracht wird und wie dieses äußerlich

102 hinzutretende Geistige eben das ist, was man im Atom negirt, näm­ lich der Zusammenhang, welcher der Welt doch wohl schwerlich we­ niger wesentlich ist als die Stoffballung. Im Grund hat man dann aber die Atomistik aufgegeben, da dann nicht mehr in das Atom der eigentliche Weltursprung verlegt wird, und ist zu einer uralten popu­ lären, aber jedenfalls vernünftigeren Anschauung, welche znm Weltstoff einen Weltbildner setzt, zurückgekehrt. Wo man aber consequent bei dem atomistischen Princip stehen bleibt, da bleibt nichts übrig, als der geistloseste Mechanismus, welcher zur unausbleiblichen Consequenz die Verleugnung alles geistigen Lebens in und über der Stoffwelt hat. Man macht die Atome, das Leerste was man sich denken kann, dieses selbst quantitativ ganz Unbestimmte, weil Gränzenlose, nicht nur zum Kern und eigentlichen Wesen der Welt, sondern zum ein­ zig Realen, zum Urgrund, zum Absoluten. Wenn aber ein Theil der Atomistiker die Atome mit der Doppelkraft der Attraktion und und Repulsion begabt, so ist damit Nichts gebessert, sondern die Schleuße gezogen für eine ganze Reihe von Undenkbarkeiten; nur das ist daran zu loben, daß man zugesteht, ohne einen dynamischen Zusatz sei die Atomistik verloren. Wie aber sollen die unterschieds­ losen Atome zu einem Unterschied im Besitz der beiden genannten Kräfte kommen, die ohnedies als direkt entgegengesetzte einander nur binden und aufheben können, und wie sollen wieder diese einfachen nur gleichförmig wirkenden Kräfte den ganzen Lebensreichthum der Welt erzeugen? Wie man auch den Atomismus anfassen mag, überall geht er in Stücke und läßt uns rathlos stehen. Er ist das jämmer­ lichste Stück Philosophie, das je in Kurs gekommen ist und das fest­ zuhalten man sich nachgerade schämen dürfte. Der Weltzusammenhang ist uns eine durchgängige Erfahrungs­ thatsache, und wir erkennen in ihm die Grundbedingung der Welt­ erkenntniß. Wo es mit dem Zusammenhang aus ist, da hat es auch mit dem Begreifen ein Ende. Darum ist unS dies zum unentbehr­ lichen Postulat geworden, daß wie wir innerhalb des Bereichs der Welt, den unser Geist bereits bewältigt hat, überall organischen

103 Zusammenhang entdecken, so auch die Welt über den uns zugäng­ lichen Bereich hinaus ein Ganzes sei, ein Kosmos, in sich gegliedert und bei aller Mannigfaltigkeit in sich eins nnd nur mit solchen Gegensätzen behaftet, deren Dissonanz nach inneren Gesetzen sich wieder in Harmonie auflöst. Wir schreiben also, obwohl wir sie bei unserm beschränkten tellurischen Horizont nicht im ganzen Um­ fang empirisch aufzeigen können, dem Kosmos nothwendig organische Natur zu, und setzen alle Weltsysteme, so viele deren neben oder nach einander sein mögen, als zu einer großen Einheit verschlungen, indem wir den Schluß von Einzelnen auf das Ganze machen. Auf demselben Wege kommen wir auch dazu, in den Charakter des Weltganzen einen Blick zu thun. Jeder Organismus nämlich zeigt uns eine größere oder kleinere Anzahl von Potenzen, welche zu einander nicht nur im Verhältniß der Abstufung, sondern in dem der Gliederung stehen, so daß die niederen von den höheren in Dienst genommen und alle von Einer beherrscht werden. Die nie­ deren erweisen sich als die Mittel, als das Material, die herrschen­ den als die lebenskräftigen, sich verwirklichenden Zwecke. Und eben dies macht den Proceß der Entwicklung aus, daß die beherrschende Potenz zu ihrer Verwirklichung, zur Herausstellung ihres Inhalts kommt in Form einer das Niedrige beherrschenden Macht. Wir finden auch, daß der beschränkte Zweck im organischen Leben selbst wieder Mittel wird für höhere Potenzen, bis wir an der Gränze des Geistes ankommen, der sich als Selbstzweck erweist. Dehnen wir nun diesen Gedanken, wie wir müssen, auf das Weltganze aus, so geht uns folgende Erkenntniß auf. Die Welt ist ein System von Potenzen, die untereinander in organischem Zusammen­ hang stehen und die innerlich sämmtlich verwandt und stufenmäßig geordnet theils dienen theils herrschen. Auf organischem Wege sehen wir Zwecke sich verwirklichen, welche in Erreichung von Selbstzwecken gipfeln. Die Welt ist demnach ein Zwecksystem, das in das geistige Leben als seine Spitze ausläuft, da dieses allein Selbstzweck sein kann. Die Selbstverwirklichung der Zwecke nöthigt «nö zu der An-

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nähme einer zweckvollen Weltentwickelung, innerhalb deren auch die niederen Potenzen eine relativ- selbstständige Stellung finden, indem eben auf ihnen sich da« höhere Zwecksystem aufbaut. Die höchsten Zweckformen werden ihre Vorstufen haben, die ihnen die Existenz vermitteln, und diese werden sich bis in die niedersten Daseinsfor­ men hinab erstrecken. Von diesen Grundvoraussetzungen einer vernünftigen Weltbe­ trachtung aus gehen wir daran, das Wesen der Welt zu fassen. Wir gehen auch hier den Weg der Analyse, die vom Gegebenen ausgeht, wie es den Inhalt jedes menschlichen Bewußtseins aus­ macht, und nicht den Weg der Construktion von oben herab. Es ist heutzutage nicht mehr zu fürchten, daß wir, wie es seiner Zeit Kant begegnete, deßwegen des „flachen RaisonnementS" und des „grund­ losesten GebräueS" beschuldigt werden. Alles was sich unserm Be­ wußtsein objektivirt und was wir als zur Welt gehörig rechnen, das trägt, so mannigfaltig es auch sein mag, immer einen und denselben TypuS an sich: eS ist begränzt, ist extensiv und intensiv beschränkt, ist endlich. DaS ist der allgemeine Charakter der Weltdinge; er prägt sich nach Art und Grad verschieden aus, gibt aber bei aller Verschiedenheit sich als das Gemeinschaftliche zu erkennen und zwar nicht als etwas den Dingen AeußerlicheS und Aufgezwängtes son­ dern als ihr eigentliches specifisches Wesen mit constituirend. Diese Endlichkeit oder die allgemeine Grundform der Existenz der Weltdinge stellt sich unserem Bewußtseiu in einer doppelten Form der Anschauung dar, in der Anschauung des Raumes und der Zeit, und wir können sie außer Raum und Zeit gar nicht als wirklich existirend denken. Kant hat von der letztgenannten Thatsache ausgehend Raum und Zeit für Formen der Anschauung erklärt, an die wir bei der Wahrnehmung und Vorstellung der Dinge gebunden sind. Wir bringen sie nach ihm schon hinzu alS im Akt des Anschauens und VorstellenS enthalten. So weit hatte er nicht nur Recht, sondern er hat mit dieser Erkenntniß einen entscheidenden Schritt auf dem

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Wege der Wissenschaft vorwärts gethan. Er hat damit die Trug­ bilder eines leeren Raums und einer leeren Zeit aufgehoben, in­ dem er sie aus der Objektivität in das Subjekt zurückverlegte und ihnen so ihr Recht widerfahren ließ. Wir haben darin einen blei­ benden Gewinn. Aber Kant ging einen Schritt weiter: er glaubte mit dieser Verlegung der beiden Vorstellungen in da« Subjekt Alles gethan zu haben und schnitt damit jede Untersuchung, ob nicht den­ selben dennoch etwas an den Dingen selbst zu Grunde liege, von vorn herein ab. Indem er Raum und Zeit zur bloßen AnschauungSform herabsetzte, hat er ihnen wenigstens faktisch jede Realität ab­ gesprochen. Ich sage: wenigstens faktisch; denn die freilich unfrucht­ bare Möglichkeit war bei dem Kant'scheu Standpunkt immer noch übrig, daß das unerkennbare Ding an sich etwas der subjektiven Anschauungsform Entsprechendes an sich habe. Gerade aber durch jenes Stehenbleiben bei der reinen Subjektivität von Raum und Zeit oder durch diese rein erkenntniß-theoretische Betrachtungsweise hat sich Kant die Möglichkeit jeder objektiven Erkenntniß der Dinge zerstört, so zu sagen die Brücke zwischen dem Subjekt und der Welt abgebrochen, und die gesammte „äußere Erfahrung" zu einem bloßen psychologischen Phänomen herabgesetzt, das für objektive Erkenntniß nicht weiter zu verwerthen ist. Gerade die Kant'sche Stellung zu Raum und Zeit hat die unausbleibliche Folge, daß das forschende, Seinshungrige Subjekt Nichts sich gegenüber hat als ein unerreich­ bares leeres Ding an sich. Damit hat er dem fliegenden Idealis­ mus den Weg gebahnt und die Geister gewöhnt, die Welt nach ihrem eigentlichen Wesen ihrer Endlichkeit entkleidet zu denken. Nun dieser Weg ist dnrchmessen und wir haben die Erfahrung gemacht, daß der menschliche Geist so nicht zum Ziele komme. Also kehren wir zurück zu jenem Kant'schen Ausgangspunkt, den wir oben als frucht­ baren Ansatz kennzeichneten, um von da aus eine andere Bahn ein­ zuschlagen. Raum und Zeit, so wie sie in unserer Vorstellung sind, abge­ sehen von den Dingen, sind freilich Formen, in denen wir die Dinge

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anschauen, und es entspricht dieser unserer Vorstellung von Raum und Zeit in ihrer Abstraktheit keine objektive Realität. Es gibt weder einen Raum an sich noch eine Zeit an sich. Der Beweis dafür liegt nahe genug. Sobald wir versuchen, den Raum und die Zeit an sich als ein Objektives zu fassen, so zerfließen sie uns gleichsam unter den Händen. Es bleibt Nichts übrig als ein Leeres, eine bloße Form ohne Inhalt; diese Leere wird als ein unendlich Ausgedehntes vorgestellt, indem sich immer unwillkürlich die An­ schauung des erfüllten Raumes der Vorstellung des leeren unter­ schiebt. Gedacht kann es als unendlich Ausgedehntes nicht werden; denn das Leere ist ein Nichts; das Nichts aber ist zwar gränzenlos, weil inhaltslos, jedoch ein ausgedehntes Nichts gehört doch wohl nicht unter die Realitäten, sondern unter die Widersprüche eines verlegenen Denkens. Hingegen begreifen wir sehr leicht, daß eine Anschauungsform, welche in beständigem unwillkürlichen Gebranch und fortwährend mit wechselndem conkretem Inhalt erfüllt ist, wäh­ rend die Form bleibt, unserm Bewußtsein sich in einer gewissen scheinbaren Objektivität darstellen muß. Bei der Erkenntniß der Subjektivität der Raum- und Zeitvorstellung stehen bleiben ist nun aber nach dem Obigen eine bedenkliche Sache, auch nichts weniger als gerechtfertigt. Denn es erhebt sich die Frage, wie das Subjekt, das menschliche Bewußtsein, dazu kommt, sich dieser beiden Formen der Anschauung in solcher Weise zu bedienen, daß es sich von ihnen nicht los machen kann? Oder wollen wir uns damit begnügen uns zu sagen, diese Anschauungsformen seien eben dem Menschen an­ erschaffen? Das hieße sich auf die Willkür des Schöpfers berufen und auf das Begreifen verzichten. Wir wollen nicht verzichten ohne Noth, da wir sonst auf objektive Welterkenntniß mit verzichten, son­ dern die obige Frage unö stellen. Und wir finden leicht die Ant­ wort, wenn wir davon ausgehen, daß wir nicht nur die Dinge außer uns sondern auch uns selbst niemals außer Raum und Zeit vorstellig machen. Daß daS so ist, brauche ich nicht zu beweisen, da Jeder jeden

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Augenblick die Probe machen kann. Das Denken freilich kann das Ich fassen abgesehen von Raum und Zeit; nur darf es nie ver­ gessen, daß es nur für den Gedankenproceß löst, was in der Wirk­ lichkeit unzertrennlich verbunden ist. Was folgt nun aber daraus, daß wir uns selbst immer nur in Zeit und Raum finden? Es folgt nichts Anderes als daß die Substanz unsersWesens räumlich und zeitlich ist, und daß sich in unserer An­ schauungsform von Raum und Zeit nur die Bestimmtheit unserer Natur abspiegelt. Setzen wir den Fall, daß Raum und Zeit nur unserer Anschauung als Formen angehören, so zu sagen als Brillengläser, durch welche wir die Dinge in bestimmten Färbungen sehen, daß darum Raum und Zeit mit unserm Wesen Nichts zu schaffen haben, so ist klar, daß wir wie auf jede objestive Erkenntniß der Dinge außer uns so auch auf jede wirkliche Selbst­ erkenntniß verzichten müssen; es gibt dann kein Selbstbewußtsein im vollen Sinne des Wortes, sondern wir sehen uns nur durch eine trübe Brille, welche uns von uns selbst scheidet. Und wunder­ licher Weise ist dann dieses Hinderniß einer objektiven Erkenntniß nicht außer uns, sondern beruht auf einer unwillkürlichen Funktion unsers Bewußtseins, also auf einer Anlage. Gibt es also ein wirk­ liches Zusichselbstkommen — und dies ist eine offenbare Grundthat­ sache deS geistigen Lebens, ohne welche uns Alles in Nacht und Nebel verschwindet, von welcher sich aber auch jeder energische Geist durch Vertiefung in sich selbst jederzeit überzeugen kann —: so ist auch das gewiß, daß unsere Raum- und Zeitvorstellung ihren imma­ nenten Grund hat in der räumlichen und zeitlichen Anlage unseres eigenen Wesens. Nur darum weil wir raum-zeitliche Wesen sind, ist auch unser Anschauen und Vorstellen raum-zeitlich, sind Raum uns Zeit unsere nothwendigen Anschauungsformen. Jetzt haben wir einen festen Punkt, von dem aus weiter zu operiren ist. Also an uns selbst wenigstens entspricht unserer An­ schauungsform von Raum und Zeit etwas Reelles. Da wir aber auf sehr reelle Weise zusammenhängen mit dem Weltcomplex, wie

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das wiederum eine unmittelbare Thatsache unsers Bewußtseins ist, so ist mit Sicherheit zu schließen, daß der ganze Weltcomplex sich in gewisser Gleichartigkeit mit unserm Wesen befindet, daß auch der Weltcomplex an der Grundbestimmung unsers Wesens, räumlich und zeitlich zzi sein, Theil hat. Denn wäre es nicht so, so wäre nicht nur keine Erkenntniß und selbst keine Vorstellung von der Welt, son­ dern nicht einmal ein Wesensbezug zu ihr möglich. Wenn wir wirklich Weltwesen, Glieder des Weltganzen sind, so muß auch die Räumlichkeit und die Zeitlichkeit ein uns und dem übrigen Welt­ ganzen Gemeinsames sein; und nur um dieser objektiven Unterlage willen ist die Anschauungsform von Zeit und Raum auf Alles an­ wendbar oder vielmehr ans Alles in der Welt und auf das Welt­ ganze nothwendig anzuwenden. Also Raum und Zeit sind zwar keine für sich bestehenden Rea­ litäten, aber sie sind Etwas an den Dingen, sie sind Beschaffenheiten der Dinge und zwar diejenigen Beschaffenheiten, welche alle Welt­ dinge mit einander gemein haben und ohne welche die Welt undenk­ bar ist, da sich durch sie der Weltzusammenhang vermittelt. Wäh­ rend nun die Fiktion eines Raumes und einer Zeit an sich das Denken ans ganz falsche Spuren leitet, indem man die Unendliche keit, besser gesagt die Endlosigkeit, für ihr wesentliches Merkmal er­ kennt, in der That eine rein negative, nichts Positives enthaltendBestimmung, so führt uns die oben genannte Erkenntniß auf das eigentliche Wesen der Zeiträumlichkeit. Denn wenn wir uns besin­ nen, was denn die Weltdinge zu Zeiträumlichkeiten mache, oder waS sich an ihnen offenbare, daß wir uns genöthigt sehen, ihnen'allen ohne Ausnahme dieses Prädikat beizulegen, so ist die einzige und klar vorliegende Antwort: die Beschränktheit ihrer Existenz, mit anderen Worten: ihre Endlichkeit. Es ist ja das begränzte Maaß, der HoroS, was uns an allen Weltdingen und immer entgegentritt; denken wir uns das von ihnen weg, so werden wir von keiner Zeit und keinem Raum mehr bei ihnen reden; wir heben aber dann auch sie selbst auf. Demnach ist eS die Endlichkeit der Dinge selber,

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was sich in Raum und Zeit darstellt; sie macht das eigentliche Wesen der Zeiträumlichkeit aus. Daraus aber, daß man die Weltdinge selbst aufhebt, wenn man sie von Zeit und Raum lösen will, geht auch hervor, daß diese Existenzformen aller Weltdinge nichts ihnen äußerlich Anhaftendes, Uebergeworfenes ist, sondern die Form, in welcher sich ihr Wesen allein darstellen kann, also die ihnen wesent­ liche Grundform. Weil sie aber mit ihrem Wesen selbst verwachsen ist, so bringt die Verschiedenheit des Wesens auch verschiedene Ge­ staltung dieser Grundform aller Weltexistenz mit sich; dieselbe ist daher für jedes Weltwesen individuell, jedes hat nothwendig seinen Raum und seine Zeit d. h. diese seine Existenzformen sind der ge­ naue Ausdruck, ja daS Produkt seines Wesens. Die Zeiträumlich­ keit ist daher nicht bei allen Weltwesen dieselbe, sondern wie sie bei jedem Wellwesen eigenthümlich modificirt ist, so wird sie auch für die verschiedenen Stufen der Weltwesen eben vermöge des Stufen­ unterschieds eine ganz verschiedene sein, ein Satz, der bald seine Erläuterung nnd Anwendung zugleich finden wird. Raum und Zeit sind die Existenzformen der Welt; denn sie sind der reale Ausdruck der Endlichkeit, des nicht-absoluten Seins. Worin nun aber bei dem Endlichen d. h. bei allen Weltwesen daS specifische Wesen der Räumlichkeit und desgleichen der Zeitlichkeit wurzelt und warum diese beiden Existenzformen einander bedingen und voraussetzen, also keine für sich verstanden werden kann, indem sie in Wahrheit Eines ausmachen, die Zeiträumlichkeit: dies haben wir uns weiter klar zu machen. Man pflegt den Raum als das Nebeneinander und die Zeit als das Nacheinander der Dinge zu be­ stimmen. Damit ist offenbar über das Wesen des Raums und der Zeit Nichts ausgesagt, es ist vielmehr nur eine Umschreibung gege­ ben, welche das oberflächlichste und daher augenscheinlichste Merkmal der Raum- und Zeit-Anschauung enthält. Diese Umschreibung ist selbst als Umschreibung der Anschauung ganz unvollständig, da die Kontinuität und die Endlosigkeit d. h. die Möglichkeit unbegränzter Fortsetzung nicht minder zur Eigenthümlichkeit des Raums nnd der

110 Zeit als Anschauungsformen gehören. Wenn man aber gar die unvoll­ kommene Umschreibung für den Begriff von Raum und Zeit aus­ gibt, so verriegelt man sich selber das Verständniß und bringt sich in die peinliche Lage, um die Sache, wenn auch vielleicht mit rich­ tigen Bemerkungen, herumreden zu müssen statt das Wesen zu er­ fassen.

Demnach werden wir es anders angreifen müssen,

wenn

wir uns die obigen Fragen beantworten wollen, die wir nicht um­ gehen können,

wenn es uns um eine Erkenntniß des Weltganzen

zu thun ist. Zuerst das Wesen der Räumlichkeit.

Wir gehen wieder au 8

von den einfachsten Thatsachen unsers Weltbewußtseins.

Da finden

wir nicht nur uns selbst sondern auch alle übrigen Weltwesen, so weit sie immer in den Bereich unserer Erfahrung kommen, in ihrer Existenz bedingt durch Anderes, sondern wenn wir ans den Ursprung sehen, so tritt uns die noch tiefer greifende Thatsache entgegen, daß bei allen Weltwesen an ihrem Ursprung ihre Selbstbestimmung keinen Theil hat, geschweige daß er nur auf sie zurückzuführen wäre.

Nach

ihrem Ursprung stehen alle Weltwesen und Weltdinge und Welt­ processe in einem solchen Causalitätsverhältnisse, bei welchem ihnen nur eine rein passive Rolle übrig bleibt.

Indem sie nun alle den

letzten Grund ihrer Existenz nicht in sich sondern außer sich haben, indem es für sie ein Rückwärts gibt, dem sie ursprünglich wesenund willenlos gegenüberstehen, zu dem sie also ursprünglich als reinste Passiva sich verhalten, so folgt daraus, daß alle Weltwesen nach ihrem Ursprung sich selbst fremd sind.

Auch wo sie darauf an­

gelegt sind, ihrer selbst mächtig zu werden

und zu sich selbst zu

kommen, ist ihre Natur, ihr Sosein, ihre ursprüngliche Anlage etwas rein Gegebenes, Gesetztes.

Nun ist allerdings

kein Reales, sondern ein abstrakter Gedanke.

ein rein Passives

Was sein soll, muß

eine Potenz sein, eine Potenz aber verträgt sich nicht mit reiner Passivität.

Aber mit ursprünglicher Passivität verträgt sich jede

Potenz, die beschränkt ist; ja eine solche ist immer nur auf Grund der ersteren zu denken. Also ein von Hause aus sich selbst entfrem-



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detes Sem ist der Grundcharakter aller Weltwesen. Jedes Welt­ wesen ist daher ein Ding lind jedes Ding hat eine relative Starrheit der Existenz, eben weil es nicht aus sich selbst, sondern von Haus aus nur gesetzt und sich selbst entfremdet ist. Was aber seinen Ursprung außer sich hat, das kann nicht anders als be­ schränkt sein; nur als Beschränktes kann es eine bestimmte Qua­ lität haben, ein bestimmtes Ding sein im Zusammenhang mit andern Dingen. Nur vermöge seiner Beschränktheit, in welche seine Natur­ anlage gefaßt ist, kann es sich behaupten gegen andere Dinge. ES bedarf der Gränzen, innerhalb deren es so zu sagen ruhen kann, und es ruht und muß ruhen vermöge seiner ursprünglichen Passivi­ tät d. h. sofern es sich gesetzt und sich selbst von Haus aus fremd ist. Für dieses Wesen der Weltdinge ist die Räumlichkeit der reale Ausdruck. In der Räuinlichkeit der Weltwesen verwirklicht sich das rein passive, sich selbst fremde Gesetztsein von beschränkten Substan­ zen und ihre ihnen wesentliche relativ selbstständige Beziehung zu andern Dingen. Gerade die Beziehung zu andern Weltwesen ist ein wesentliches Moment für das Verständniß der Räumlichkeit. Nämlich diese Be­ ziehung ist' um der inneren Beschränktheit der Weltwesen willen nothwendig eine doppelte. Denn soll eine endliche Substanz eine relative selbstständige Stelle im Ganzen der Weltwesen einnehmen, so muß eine im Wesen der Substanz liegende Abschließung gegen die andern Substanzen hin vorhanden sein, sie bedarf einer Gränze, innerhalb deren sie sich behaupten kann. Da aber jede endliche Substanz auf den Zusammenhang mit allen übrigen Weltsubstan­ zen oder Weltpotenzen angewiesen ist, so kann die Abschließung keine absolute sein; kein bloßes Außer- und Nebeneinander ist der Raum, sondern die Grundlage für die unendlicke Fülle der innern Beziehungen der Weltsubstanzen untereinander; die Räumlichkeit schließt nach dieser Seite hin nothwendig die Continuität des Raums in sich. Der Zusammenhang aber der Räumlichkeiten der Welt­ wesen untereinander mit ihren negativen wie positiven Beziehungen

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zu einander macht das aus, was an der Vorstellung des Raums an sich real ist. Wir hätten also am Raum diejenige Existenzform der Weltwesen, vermöge deren sie sich gegeneinander sich abschließend behaupten, aber auch sich gegeneinander öffnend Wirkungen ausgehen lassen und Wirkungen empfangen können, das Alles auf Grund dessen daß das Endliche ein ursprünglich rein Gesetztes, also ein sich selbst Fremdes, ein StarreS ist. Wir können nicht umhin, daraus alsbald einige wichtige Sätze zu entwickeln. Bor Allem: was endlich ist, also Alles mit Ausnahme des Urgrundes aller Dinge, ist nothwendig räumlich und kann also der Räumlichkeit niemals sich entbinden, weil es damit aufhören würde Weltwesen zu sein und sein eigenstes Wesen damit aufgehoben wäre. So> gewiß aber nichts Endliches unräumlich ist, so gewiß ist das Absolute nicht räumlich; denn es würde damit endlich; eö würde sich daran erweisen als ein in seinem Ursprung sich Fremdes. Zum Zweiten: es wird nothwendig eine Stufenleiter in der Räumlichkeit geben oder die Räumlichkeit wird sich in den verschiedenen Weltwesen sehr verschieden darstellen. Es wird Alles abhängen von der Potenzialität der verschiedenen Substanzen. Je beschränkter jene ist, je tiefer eine endliche Substanz auf der Leiter der Weltwesen steht, um so starrer wird auch seine Darstellung im Raume, um so mehr wird eö dem Raum als einer fesselnden Macht verfallen sein. Der Charakter der Passivität wird durchschlagen, indem die inwohnende Potenz alS.eine zum Dienen bestimmte keinen selbstständigen Gebrauch von ihrer Räumlichkeit zu machen nöthig hat, sondern nur geschickt sein muß, Objekt und Material für die Einwirkung höherer Poten­ zen zu werden. Je niederer die Substanz, um so mehr macht sich deßwegen an ihrer Räumlichkeit das Merkmal der Trägheit d. h. der Mangel an Bewegung von innen heraus geltend. Je größer die Trägheit, um so mehr scheint der Raum eine Fessel zu sein. In Wahrheit aber ist nicht der Raum die Fessel, sondern die Beschränktheit der Potenz, welche sich nur in einer niederen Form der Räumlichkeit äußern kann. Mit zunehmender

113 Wesenspotenz wird hingegen das Hingegebensein an die Fesseln des Raums ein abnehmendes d. i. ihre Räumlichkeit gewinnt einen freieren und lebendigeren Ausdruck,

an die Stelle der Trägheit tritt die

Bewegung, die mehr von innen ausgeht und endlich in der spontanen Bewegung der Selbstbestimmung gipfelt.

Wir gelangen mit dieser

Spitze bei einem neuen Verhältniß an, bei dem der Raumbeherr­ schung.

Ans dem bloßen Gebundensein im Raum gibt es eine

Erhebung zur Raumbeherrschung, und zwar so

daß offenbar die

Stufenreihe der Weltwesen darauf angelegt ist,

diesem Ziel zuzu­

streben.

Man beachte aber, daß Raumbeherrschung keineswegs ein

Abstreifen der Räumlichkeit ist, wie man so gern sich dieser Täu­ schung hingibt, sie ist vielmehr nur eine höhere Stufe der Räum­ lichkeit, die höchste Form, zu welcher endliche Wesen es in Bezug auf ihre Räumlichkeit bringen können.

Die Wurzel der Räumlichkeit,

die ursprüngliche Passivität, das reine Gesetztsein bleibt ja auch bei der höchsten Intensität der Selbstbestimmung eines endlichen Wesens; und würde auch die Starrheit des eigenen Wesens auf ein Minimum zusammenschwinden, so bliebe doch die Starrheit der übrigen Welt­ wesen, zu welchen sich auch das freieste Weltwesen immer in Wechsel­ wirkung befindet. Folglich ist seine Raumbeherrschung zugleich immer eine Form der Räumlichkeit und diese die unentbehrliche Grundlage von jener. Die Raumbeherrschung beruht aber auf einem allgemeineren vielfach nicht beachteten, noch öfter in Abrede gezogenen Verhältniß, dem der gegenseitigen räumlichen Durchdringung.

Es ist ein

verrotteter Aberglaube, daß das mechanische Nebeneinander allgemein giltiger Erfahrungssatz sei und daß eben die Nichtdurchdringbarkeit der Dinge im Wesen des Raums als des bloßen „Nebeneinander" liege, daß demnach niemals zwei Substanzen (oder endliche Potenzen) denselben Raum einnehmen können.

Wäre das richtig, so wär's

mit allem Lebensproceß aus, es gäbe dann nur noch eine mechanische Verschiebung von innerlich zusammenhangslosen Theilen und Theilchen.

Denn aller Lebensproceß beruht darauf,

Sp a th, Welt und Gott.

daß die endlichen g

114 Substanzen sich nicht bloß äußerlich berühren und aneinander gränzen, sondern daß sie ineinander eingehen und dadurch ein Neues, die ganze Reihe der höheren Potenzen ermöglichen. Jeder chemische, jeder organische Proceß ist ja ausreichend nnS zu über­ zeugen, daß eine Durchdringung der Substanzen wirklich Statt findet; denn die Wirkungen sind ja ganz andere, als ein bloßes Neben- und Außereinander sie zu Tage bringen würde, da wir im letzter» Falle nur die Summe der Wirkungen der einzelnen nebeneinander lagern­ den Substanzen erhielten, nicht aber, wie es wirklich der Fall ist, ein specifisch Anderes und sogar Höheres. Kant's Scharfblick er­ kannte die hohe Bedeutung dieses Verhältnisses und nannte es Jntussusception. Wir können vielleicht einen handlicheren und zngleich umfassenderen Terminus wählen und von Penetranz der Welt­ dinge reden, und eine doppelte Penetranz unterscheiden, eine passive und eine aktive. Unter der passiven verstehe ich, daß alle Weltsubstanzen ein Eingehen von andern Substanzen erleiden können, wor­ auf sie geradezu angelegt sind, unter der aktiven, daß alle auch an­ gethan sind, in anders geartete Substanzen einzugehen und dadurch eine wesentliche Umwandlung in diesen hervorzubringen. Auf diesem allgemeinen und beständig vor sich gehenden Proceß der Penetranz oder der gegenseitigen Durchdringbarkeit beruht die Ranmbeherrschung, da die letztere im Grund weiter Nichts ist als der sichtbare Aus­ druck der aktiven Penetranz der höheren, sich aus sich selbst bestim­ menden und bewegenden Potenzen. Es ist bei der Erklärung des Raumes oder besser der Räum­ lichkeit der Dinge ausgegangen worden vom reinen Gesetztsein, von der ursprünglichen Passivität der Weltdinge, woraus eine gewisse Starrheit, und von der inneren Beschränktheit der Potenzen, wor­ aus ihre Begränzung gegen andere beschränkte Potenzen folge. Da wir es aber in der Welt mit lauter Potenzen zu thun haben, so wohnt allen Weltdingen auch eine ursprüngliche Aktivität inne, frei­ lich eben nur eine gesetzte, also auf der ursprünglichen Passivität beruhende, darum ebenfalls in Gränzen eingeschlossene. Diese

115 Aktivität nun der Weltpotenzen ist unser Ausgangspunkt für die Deduktion der Zeit oder der Zeitlichkeit. Schon die jedem Ding einwohnende Penetranz ist Zeugniß daß der Wesensgehalt bei allen Weltwesen ein auf Aktivität angelegter ist, so starr und gebunden auch die Form sein mag, in welcher er sich geltend macht. Wir haben also in Allem, was Substanz heißt, auch Aktivität und Aktion, wenn auch in noch so niedriger Form oder in noch so bescheidenem Maaße. Die Aktivität aber trägt na­ türlich den Stempel der Endlichkeit an sich, auch sie bedarf einer Gränze; sie hat vielmehr ihre Gränze schon in sich. Alle Bethäti­ gungen, welche von Weltwesen ausgehen, sie seien rein natürliche oder durch die Selbstbestimmung vermittelte, sind dem Wesen der endlichen Substanzen entsprechend nothwendig beschränkte. Die in­ nere Beschränktheit aber der Bethätigung stellt sich dar in der Erscheinungsform der Zeit. Die Erweisungen endlicher Aktivität können nicht als vollendetes Ineinander erfolgen, sondern nur als Nacheinander, also stückweise. Weil aber Bethätigung und Substanz sich nicht gleichgiltig zu einander verhalten, sondern mit der Bethätigung auch die Substanz sich verändert, so gibt es auf dem Ge­ biet der Weltwesen keine Unveränderlichkeit, sondern nur einen Verlauf, ein Werden, ein Sichentwickeln, eine Geschichte. Das also ist die Zeit­ lichkeit eines Weltdings: die Beschränktheit und der daraus folgende Wechsel seiner Aktivität und im Zusammenhang damit auch seiner Substanz. Und Zeit nennen wir den Zusammenhang aller Werdeprocesse, die Darstellungsform sämmtlicher endlicher Aktivitäten. Man begreift, daß jedes Weltwesen, wie seinen Raum, so auch seine Zeit hat, den Ausdruck seiner ihm einwohnenden Akti­ vität. Mit dem Maaß und der Art der Aktivität wird auch die Zeit eine andere werden; beim wie der Raum, so ist auch die Zeit Ausdruck und Produkt des Wesens eines Weltdings. Und so werden wir Stufen der Zeitlichkeit unterscheiden müssen. Wo die Aktivität noch ganz unselbstständig und auf ein Mini­ mum reducirt erscheint, da ist auch die Form der Zeitlichkeit die

116 niedrigste, ein endloses, vorzüglich von außen bestimmtes Anders­ werden. Dieses endlose Werden imponirt vermöge seiner Aus­ dehnung den oberflächlichen Geistern und sie reden gerne von der „Ewigkeit" der Weltstosfe, wo wir nur einen allerdings unabseh­ baren, aber noch ganz niedrigen und wenig bedeutenden Formwechsel sehen. Ans dem Boden des organischen Lebens ist das schon anders. Da ist nicht mehr ein zufälliges, ruheloses, eines festen Central­ punktes entbehrendes Sichbethätigen in Folge von außen kommender Irritation, sondern schon in sich geschlossene Entwicklung aus dem eigenen Wesensgehalt, wobei das Fremde dienstbar gemacht und ent­ weder fern gehalten oder assimilirt wird. Das ist eine höhere Form der Zeitlichkeit; auch sie bekommt einen organischen Charakter, da ja die Zeit nur Ausdruck der Wesensbethätigung ist. Mit der Höhe der Organisation nimmt das zu. Die einheitlich organisirte Aktivität erweist sich in der Gleichmäßigkeit und inneren Einheit des Werdeprocesses; und eö steht diese Continnität in genauer Proportion zu der aktiven Penetranz der organischen Potenzen, zu ihrer beseelenden räumlichen Durchdringung. Durch die organisirte Zeitlichkeit ist der Weg im Weltganzen gebahnt zu dem höchsten Verhältniß, das Weltwesen erreichbar ist, zur Zeitbeherrschung. Von ihr gilt, was von der Raumbeherr­ schung. So wenig diese die Räumlichkeit aufhebt, indem sie viel­ mehr die höchste Stufe der letzteren ist, so wenig hebt die Zeitbe­ herrschung die Zeitlichkeit auf. Zu ihr bringt es nur diejenige Stufe der Weltpotenzen, welche wir als Gebiet des endlichen Geistes bezeichnen. Nur eine Potenz, die ihrer selbst mächtig wird, kann ihre Zeit beherrschen; und sie gelangt zu dieser Höhe nicht anders als durch ihre Selbstbestimmung, also auf ethischem Wege, also durch die Stadien ethischer Entwickelung. Auch das Werden der geistigen Potenzen ist ursprünglich nur ein natürliches, auch ihre Aktivität ist von Hause aus in die Formen der niederen Zeitlichkeit gebunden. Je mehr sie aber sich zu freier Selbstbestimmung erheben oder viel­ mehr durchkämpfen, um so mehr wird ihr Werden ein durch ihr

117 innerstes Wesen frei bestimmtes und den von außen gegebenen Werdeproceß beherrschendes, ihn und zwar im ganzen Umfang der niederen Weltwesen in seinen Dienst nehmendes. Wir haben hiemit der gewöhnlichen Anschaunngsweise Valet gesagt, welche in der Zeitlichkeit immer nur das Vergehen sieht, das Nichtige, die enggezogene und unübersteigliche Schranke. Auch wir sehen in der Zeitlichkeit eine Schranke des Endlichen, aber nur im Gegensatz zu dem über diese ganze Existenzform Erhabenen, zu- dem sich selbst setzenden Urquell alles Seienden. Für das Endliche aber an sich betrachtet sehen wir in der Zeit ein Positives, die adäquate und unendlich reiche Form seiner Selbstbethätigung. Diese Form prägt freilich selbst im Stadium der Zeitbeherrschung jeder Bethä­ tigung der Potenzen den Stempel der Endlichkeit auf, der nun ein­ mal ihnen wesentlich und nichts weniger als eine äußerliche, sie be­ hindernde Schranke ist. Aber daß dieser nothwendige Gang des allmähligen Werdens auch das Ende, ich meine das Zurücksinken in das Nichts in sich schließe: dies ist es, was wir als einen gefährlichen und tief eingreifenden Irrthum bestreiten müssen. In der Form der Zeitlichkeit liegt an und für sich Nichts, was uns zu der Annahme nöthigte, daß ein Weltwesen sich in Nichts auflösen und aus der Welt ver­ schwinden müßte. Vielmehr zeigen die drei Stufen der Zeitlichkeit, daß die Zeitform nicht nur ein Beharren, die Dauer, sondern sogar ein unbegränzteS Wachsen an Realität ermöglicht. Je näher ein Weltwesen dem Ziel der Zeitbeherrschung steht, um so weniger ist faktisch seine Zeitlichkeit ein bloßes Werden und Verschwinden, ein im Kreise gehendes Kommen und Gehen, um so tiefer und unverwüstlicher schlägt eS seine Wurzeln in den Boden des Weltganzen ein. Auf diese That­ sache, welche allgemein ist, gründen wir mit vollster Berechtigung die Ueberzeugung, daß vielmehr die höchste Form der Zeitlichkeit bei normaler Entwickelung und in Proportion zu der freien geistigen Selbstbethätigung das völlige Vergehen ausschließt und der vollen

118 Realisirung der ursprünglichen Weltanlage zuführt.

Wäre dem nicht

so, so müßte man sich mit dem widersinnigen Gedanken zufrieden geben, daß gerade allerschlimmsten

die höchste Stufe der zeitlichen Existenzen am

wegkäme und sich

als die allernichtigste erwiese.

Denn soweit unsere Erfahrung reicht, zeigt die niederste Stufe der Weltexistenzen, das Anorganische, kein absolutes Zunichtewerden, sondern mitten in dem unabsehbaren Formwechsel ein ebenso un­ absehbares Beharren

der

stanzen also müßte man,

Substanzen.

Die elementarsten

Sub­

obwohl auch zeitlich, ja obwohl auf der

untersten Stufe der Zeitlichkeit stehend,

für unzerstörbar achten,

wie dies die Herren Materialisten treulich und gläubig thun;

da­

gegen alle höheren Potenzen, in denen doch jene niederen ihren Zweck und ihre Spitze haben, sie wären im zwecklosen Wechsel der reinen Vernichtung ausgesetzt, und das trotz der unwiderfprechlichen Thatsache, daß sie während ihrer tit unsere derzeitige Erfahrung fallenden Existenz unvergleichlich fester im Strom der Zeit stehen und ihre Zeit vermöge ureigener Kraft beherrschen, während jene ihr widerstandslos anheimgegeben sind. ES erübrigt noch aufzuweisen, wie Raum und Zeit Correlate sind, nicht zwei Existenzformen des Endlichen, welche unabhängig und ohne inneren Zusammenhang nebeneinander hergehen würden, sondern eine Doppelform, bei welcher Raum wie Zeit sich nur als die zwei Momente unterscheiden lassen, weil unser endliches Vor­ stellen und Denken bald die eine bald die andere Seite der Doppel­ einheit für sich fixirt.

Es kann uns nicht genügen zu sagen, was

allerdings richtig ist, daß Raum und Zeit darin ihre Einheit und Zusammengehörigkeit haben, daß sie beide Existenzformen des End­ lichen und Ausdruck der Endlichkeit sind. Wesen

Sondern ihr specifisches

muß ihre Zusammengehörigkeit aus sich entwickeln lassen.

Und man mag daS Gelingen oder Nichtgelingen dieses Nachweises aus dem Bisherigen wohl für eine entscheidende Probe unserer Auf­ fassung der Räumlichkeit und Zeitlichkeit halten, da nur beim Setzen einer Zeiträumlichkeit als Einer Existenzform

an ein einheitliches

119

Begreifen des Weltganzen gedacht werden kann. Die Sache scheint uns keine Schwierigkeit zu bieten; denn wir können nach dem Bis­ herigen sagen: Zeitlichkeit u.ttb Räumlichkeit stehen in demselben un­ zertrennlichen Verhältniß wie die Aktivität und die Passivität auf dem Boden unserer Welterfahrung. Wir haben ja die Räumlichkeit abgeleitet von dem reinen Gesetztsein der Weltdinge oder ihrer ur­ sprünglichen Passivität und von der inneren Beschränktheit ihrer Potenzen, welche eine Abgränzung gegen andere erfordern, um sich zu behaupten. Ist nun eine reine Passivität nicht denkbar, sondern muß auf ihr sich erbauen eine relative Aktivität, so ist klar, daß die Erscheinungsform für die letztere nicht fehlen kann, wo die Erschei­ nungsform für das rein Gesetztsein ist, also kein Raum ohne Zeit. Aber auch keine Zeit ohne Raum; denn jede nur relative oder end­ liche Aktivität hat zu ihrem Hintergründe den Mangel an ursprüng­ licher Selbstmacht oder das Verhältniß reiner Passivität; also hängt an der Existenzform der endlichen Aktivität nothwendig auch die der reinen Passivität. Man sieht, Räumlichkeit und Zeitlichkeit lassen sich nur in der Abstraktion scheiden und sind nur zwei Momente Einer Existenzform. Von der Existenzform schreiten wir weiter zum Wesen, zum Inhalt, und fragen: was ist das Weltganze, was ist seine Idee und welches die Art ihrer Ausführung? Aber um die Beantwortung einzuleiten, müssen wir noch von zwei Begriffen reden, von denen der eine meist in gänzlich irreleitendem und der Wirklichkeit gar nicht entsprechendem Sinne, der andere in allzu engem, also unrich­ tigem Umfang gebraucht wird und die nach der gemeinen Vorstellung die Welt in zwei scharf geschiedene Hemisphären theilen: die Materie und das Leben. Bei beiden Begriffen beruht die Schuld des fal­ schen Gebrauchs, der auch tief in die Wissenschaft eingedrungen ist, auf dem Mangel an tieferer Reflexion. Was der Augenschein bietet, verwandelt man in eine Vorstellung, nämlich in eine Collektivvorstellung, welche den Gesaminteindruck unter Abstraktion von den Einzelnheiten der sich darbietenden Eindrücke in einer Art von Schema

120 sixirt. Und so wird die wahrgenommene Form der Dinge mit ihrern Wesen, die Vorstellung ihres Schema's mit betn Begriff ver­ wechselt, gerade wie wir es bei Raum und Zeit sehen, wenn man glaubt, sie mittelst der Definition als Nebeneinander und Nachein­ ander begriffen zu haben. Man redet von der Materie und dem materiellen Dasein und versteht darunter das Sichtbare und Greifbare. Man hat daran jedoch nur eine sehr unbestimmte Vorstellung und keinen Begriff, während man die Vorstellung als Begriff behandelt. Die Leichtig­ keit, mit der diese oft gebrauchte Vorstellung vollzogen wird, läßt uns die Materie, wie wir sie vorstellen, als eine höchst einfache Realität und als einen ganz objektiven Begriff erscheinen, während sie in Wahrheit Beides nicht ist. Sie ist keine einfache Realität; denn thatsächlich stellt sich die Materie als ein Collektivum heraus, unter welches das Verschiedenartigste zu befassen ist und welches, wie wir bald sehen werden, gar keine Existenz für sich hat. Sie ist kein objektiver Begriff, weil nur das Verhältniß der Dinge zu un­ seren Sinnen, ja eigentlich nur die Erscheinung der Dinge durch das Medium unserer Wahrnehmung als das den Begriff Constituirende genommen wird. Materie ist, sagt der gewöhnliche Stand­ punkt, was wahrgenommen werden kann; und auf das kommt es auch hinaus, wenn man sie bestimmt als das Ausgedehnte oder Stoffliche. Aber fällt denn nicht Manches in die Sinne, was nicht „stofflich" ist, und gibt es nicht wiederum eine Menge Dinge, welche sich der Wahrnehmung entziehen und sich dennoch als gleichartig herausstellen mit dem, was in unsere Sinne fällt? Ein ähnlicher Uebelstand ist es mit der Vorstellung des Leben­ digen und des Lebens. Der gewöhnliche Sprachgebrauch beschränkt das Leben auf das animalische Gebiet, ohne Zweifel weil er seine Entstehung dem bloßen Augenschein verdankt; denn die spontane in die Augen springende Bewegung macht bett überwältigenden Ein­ druck, der die Vorstellung des Lebens erzeugt, und daher auch in Nichts weiter besteht als im Schema der Bewegung von innen her-

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ans. In Wahrheit aber ist diese Vorstellung viel zn arm, um das Leben zu kennzeichnen, und auch die Gränzen, innerhalb deren sich eine solche Bewegung offenbart, sind viel weiter als das Gebiet des Animalischen. Nicht nur daß das gesammte Pflanzenleben herein­ gehört, sondern die ersten Spuren reichen noch viel weiter zurück, wie wir zn zeigen hoffen, so weit, daß es keine „Materie", keinen „Stoff" gibt, die nicht die ersten Ansätze des Lebens in sich trügen. Indem nun das Materielle als das Leblose aufgefaßt und ihm das Gebiet des Lebendigen zur Seite gestellt wird ohne jede Ahnung der inneren Verwandtschaft beider Gebiete, so erhält man eine Un­ terscheidung, welche zwar dem oberflächlichen Augenschein, aber keines­ wegs dem Wesen der Dinge entspricht. Denn einerseits finden wir das Leben nichts weniger als neben der Materie, vielmehr immer nur in ihr, sie durchwohnend und beherrschend, womit schon an und für sich bewiesen ist, daß sich die sogenannte Materie nicht gleichgiltig zum sogenannten Leben verhalten kann, daß sie mindestens fähig ist, die Trägerin des Lebens zu werden; andererseits sehen wir in der Materie Kräfte sich offenbaren, welche starke Verände­ rungen und Bewegungen hervorzubringen im Stande sind, was je­ denfalls beweist, daß etwas dem Leben Analoges auch in der Materie zu finden sein muß. Materie und Leben dürfen uns daher gar nicht als zwei gesonderte Gebiete der Welt, sondern nur als die zwei Seiten des endlichen Lebens erscheinen. Statt von Leben und Ma­ terie reden wir daher, diese Ausdrücke richtig zu deuten und zu detailliren, von Potenzen und ihrer Verkörperung. Was man Materie nennt, das sind uns nur die niedrigsten Potenzen, welche es über die größte Gebundenheit in Raum und Zeit nicht hinausbringen und daher auf der starrsten Form der Verkörperung stehen bleiben. Eine indiskrete Masse ist uns die Materie nicht sondern ein System, eine in sich geschlossene Gesammtheit von Substanzen, welche dazu bestimmt und darauf angelegt sind, in der mannigfaltigsten Complikation der Boden für höhere Bildungen zu werden. Was wir aber Leben heißen, ist uns wieder nicht ein von der Materie Abgelöstes,

122 ebenso wenig aber auch ein materielles Phänomen; sondern das Leben ist uns im engern Sinne ein Collektivbegriff für die höheren Potenzen, welche aus den niederen herauswachsen und dieselben in ihren Dienst nehmen, wodurch das Organische entsteht, im weitern Sinne aber ist uns das Leben die Potenzialität der Weltsubstanzen oder ihre dynamische Anlage überhaupt. Darin geben wir dem Materialismus vollständig Recht, daß er die Kraft nur als eins mit dem Stoff ansehen will; die Kraft hängt nicht äußerlich am Stoffe, wohnt ihm nicht als etwas Trennbares und Geschiedenes ein, sondern die Kraft ist nur die Substanz selber in bestimmter Rich­ tung und unter bestimmten Verhältnissen wirksam gedacht, so daß wir bei wechselnden Beziehungen geneigt sind, von verschiedenen Kräften zu reden, während es in Wahrheit nur die eine Substanz oder Potenz ist, welche unter verschiedenen Verhältnissen verschieden wirksam sich erweist. Wo aber Kraft ist, da ist ein Ansatz zum Leben, wenn auch in beschränktestem Maaße. Es gibt folglich keine todten Stoffe, so wenig als die Materie mit der alten Philosophie als ein Nichtseiendes zu betrachten ist; und wenn der Stoff sich dem eigentlichen Gebiet des Lebens dienstbar erweist, so kann er dies nur, weil ihn seine eigene Natur als eine die Anknüpfungs­ punkte für die.höheren Stufen des Lebens in sich tragende dazu be­ fähigt. — Auch die Gesetze, denen der Stoff oder die Kraft Unter­ than sein soll, sind nichts Transscendentes, sondern nur die imma­ nenten Wirkungsweisen selber ans der Erfahrung abstrahirt und auf einen Gedankenausdruck gebracht. Die ganze Fülle der Gesetze der Weltdinge können wir daher gar nicht umspannen; denn wir müßten sie nach allen ihren Beziehungen kennen und in allseitiger Wirksamkeit sehen; wir müßten auch alle Möglichkeiten der Zusam­ menwirkung der Weltsubstanzen präsent haben. Da dies nicht der Fall ist und niemals der Fall sein wird, so dürfen wir nicht uneingedenk werden, daß uns von den sogenannten Weltgesetzen immer nur ein kleiner Theil bekannt und uns die Erkenntniß der Trag­ weite der Kräfte in den Weltdingen nur annähernd möglich ist.

123 Das möchte besonders zu beachten sein, wenn sich die Nothwendig­ keit ergibt, das System des anorganischen Seins als die Basis zu begreifen, aus welcher die gesammte höhere Welt erwachsen ist. Aehnlich verhält es sich mit dem Gegensatz von Organischem und Anorganischem, welcher zwar richtiger ist als der zwischen Ma­ terie und dem Lebendigen, aber wenigstens Anlaß gibt, unter dem Anorganischen das Todte zu verstehen, während vielmehr das An­ organische nur eine Vorstufe des Organischen sein kann mit An­ sätzen, welche zu diesem hinüberführen. Wir stehen in einer Zeit, in welcher mit unwiderstehlicher Macht der Gedanke durch alle seine Consequenzen hindurch verfolgt wird: die ganze Lebensentwickelung im KoömoS fei Eine innerlich zusammenhängende. Ist der Gedanke richtig, so ist auch das Anorganische nm im positivsten Verhältniß zu denken znm Organischen, und es stellt sich die Sache so, daß das Weltganze aus einem System von innigst verbunde­ nen, in ihrer Differenz dennoch verwandten und einan­ der fordernden Potenzen besteht, welche stufenweise sich erhebend und auch genetisch verbunden, pyramidenförmig ansteigend in eine Spitze sich endigen. Die Potenzenreihe mit ihren Stufen wollen wir jetzt unserer Betrachtung unterziehen, da hierin der Weltgedanke klar hervortritt. Ueberblicken wir die Weltwesen int Ganzen, wie sie uns in täglicher Erfahrung vor Angen stehen, so sind wir genöthigt, jenen eben berührten Unterschied zu machen und zu unterscheiden die Stpfe des Organischen von der des Unterorganischen. Worin besteht der Unterschied? Wir finden bei allem Organischen eine in sich zurückgehende Bewegung, welche in ihrer Continuität einen gleich­ mäßigen bestimmten Charakter trägt. Das Organische hat also einen Centralpnnkt, um den sich Alles dreht und dem sich alle dem Or­ ganismus angehörigen Substanzen und Potenzen beugen müssen. Anders finden wir es bei dem Unterorganischen; hier finden wir lauter einfache Potenzen, welche, auch wenn sie sich auf's Innigste durchdringen, doch nur wieder neue einfache Potenzen liefern, die zu

124 neuer unendlich mannigfaltiger Complikation geschickt sind. Wir un­ terscheiden somit Centralpotenzen und einfache Potenzen; jene bilden die Seele des organischen Lebens, diese bereiten das Material dazu in der nnterorganischen Welt und werden von jenen in Dienst genommen. Uebrigens zeigt sich auch schon bei den einfachen Potenzen ein stufenmäßiger Fortschritt der Bethätigung. Man kann die drei Stufen leicht herausfinden, so mannigfaltig sie auch in der Natur durcheinandergehen. Das Minimum von Bethätigung der Potenz, unter welche sie nicht herabsinken kann, welche aber andererseits die nothwendige Basis ist für alle weitere und höhere Bethätigung, ist die Anziehung. Sie ist es, welche die Weltdinge räumlich ver­ knüpft, die räumliche Continuität herstellt und mittelst ihrer die weiteren specifischen Einwirkungen der einfachen, ja aller Potenzen aufeinander ermöglicht. Weil dieses Grundverhältniß ein ausnahms­ los allgemeines und zugleich von der specifischen Beschaffenheit der Potenzen unabhängiges ist, können wir es nennen die allgemeine Anziehung. Sie ist es, die in der Raunicontinuität d. h. im un­ mittelbaren Zusammengränzen der Weltdinge und in der Schwere offenbar wird. Diese Anziehung gestattet, daß die Weltdinge mit schlafenden Kräften nebeneinander ruhen können, ebenso freilich auch daß sie das Spiel ihrer Kräfte auf einander eröffnen. Wollte man daher nach dem Augenschein urtheilen, so müßte man dieses Ver­ hältniß der allgemeinen Anziehung als ein mechanisches bezeich­ nen, sofern es die Dinge nur aneinander bringt. Und es ist auch Nichts dagegen einzuwenden, wenn man den Ausdruck mechanisches Verhältniß dafür gebrauchen will mit Rücksicht auf eine viel inni­ gere Anziehung, von der wir alsbald zu sprechen haben. Wollte man dagegen sagen, dieses Verhältniß der allgemeinen Anziehung sei ein den Weltdingen äußerliches, also nicht durch ihre immanente Dynamik vermitteltes, so wäre das förmlich falsch, da eö jede im­ manente Welterklärung gleich bei der ersten Stufe aufheben würde. Und es ist uns unendlich wichtig, einzusehen, daß auch das, was

125 wir als mechanisch bezeichnen, in letzter Linie nur im Dynamischen wurzeln kann. Durch die allgemeine Anziehung der einfachen Potenzen ist der Boden

gegeben für die specifische Anziehung.

Darunter ist

nämlich dies zu verstehen, daß die nach ihrem Wesen verschiedenen Potenzen zu einander in sehr verschiedenem Verhältniß der Einwir­ kung stehen.

Wie die Abstoßung, so ist auch die Anziehung eine

Folge der beiderseitigen Wesensbeschaffenheit. Dies aber bleibt nun nicht mehr bloß äußerlich, sondern es bilden sich chemische Vereini­ gungen und die Strömungen jener geheimnißvollen Kräfte, welche wir als Elektricität, Magnetismus, Galvanismus, Licht und Wärme bezeichnen.

Hiemit haben wir die Quelle der Vermehrung der ein­

fachen Potenzen und ihrer Steigerung gefunden, und nehmen wir die auf diesem Wege sich bildenden körperlichen Gestaltungen

in

Betracht, so nähern sie sich in der Krhstallisirung bereits den nie­ dersten organischen Formen. Auf Grund beider aber, der allgemeinen und der specifischen Anziehung, entsteht in der Masse der einfachen Potenzen die cyklische Bewegung, der Grundtypus aller Systembildung.

Dies

ist die große Thatsache, welche uns die Bewegung der Himmelskörper allezeit im

größten Maaßstab vor Augen

führt.

Die einfachen

Potenzen haben von Haus aus eine Neigung zu cyklischer Bewe­ gung; so ist die Welt im Großen zur systematischen Gliederung ge­ kommen unb denselben Trieb haben wir uns auch im Kleinen wir­ kend zu denken.

Wie sehr die cyklische Bewegung wieder zurückwir­

ken muß auf Steigerung sowohl der allgemeinen als auch der spe­ cifischen Anziehung, ist klar; es ließe sich mit unzähligen Beispielen belegen.

Die Steigerung der chemischen Processe aber und ihr ge­

ordnetes Ineinandergreifen in Folge der Systembildung unter den Weltkörpern ist bereits eine deutliche Analogie

zum

organischen

Wesen und wir können nicht mehr zweifeln, daß auch das Unterorganische eine Art von Lebenstrieb in sich hat, welcher es richtig

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seinem Zweck zuführt, dem Organischen als Material und Boden zu dienen. Auf dem so vorbereiteten Boden ersteht das organische Leben. Es entsteht durch den Eintritt von Centralpotenzen, welche die Herr­ schaft über die einfachen Potenzen antreten und darauf angelegt sind, ihnen ihren Stempels aufzudrücken. Sie nehmen sämmtliche Bethä­ tigungen der einfachen Potenzen in Dienst, so jedoch daß diese nicht unverändert bleiben, sondern ganz dem Typus sich anbilden und ihre ursprüngliche Gestaltung erst wieder annehmen, wenn sie aus dem Organismus entlassen werden. Dies aber könnte nicht sein, wenn diese höheren Potenzen, welche wir Centralpotenzen oder Seelen nennen, nicht im Verhältniß innerer Verwandtschaft stünden mit den niedrigeren und einfachen. Es sind auch auf diesem Gebiete wieder drei Stufen; aber die Stufen treten in drei Systemen organischen Lebens auseinander; sie fallen daher auch selbst der rohesten Erfahrung in's Auge. Es sind die Gebiete des pflanzlichen, des thierischen und des menschlichen Lebens. Was ist aber das Wesen dieser drei Stufen, die Idee, die sich in jeder verkörpert? Auf der Stufe des Pflanzenlebens sehen wir die Centralpoten­ zen noch ganz aufgehen in Ausprägung ihres Typus und der dazu dienenden Bewältigung der niederen Potenzen. Im einfachen Wachsen und im Vermehren der Exemplare des Gattungsthpus ist ihre ganze Bethätigung eingeschlossen. Das ist die Stufe des bloßen Generationsprocesses, die eigentliche reine Gattnngsstufe, für welche das Exemplar Nichts weiter ist als ein Mittel zur Erhaltung der Gattung und einfacher Abdruck ihres Typus. Dabei ist noch zu bemerken, wie abhängig das Pflanzenleben sowohl in seiner Entwick­ lung als in seinen Abwandlungen von der unterorganischen Welt und ihren Einflüssen ist, was bei den folgenden Stufen Schritt für Schritt abnimmt. Wozu diese Bildung, ließe sich freilich aus ihr selbst nicht ab­ sehen, wohl aber ist das zu erkennen ans dem Verhältniß zu den

127 zwei höheren Systembildungen, für welche sie als die unentbehrliche Unterlage des Lebens erscheint und welcher sie in organisirter Form das Material ihrer Lebensbethätignng darzureichen hat. Auch die thierische Stufe nimmt diese Bestimmung für die höhere auf. Allein hier ist der Lebensproceß nicht mehr ein rein genereller und damit sich selbst völlig entfremdeter, sondern es kommt zu einem indivi­ duellen Leben. Die Centralpotenz sängt an zu sich selbst zu kom­ men, ihrer selbst inne zu werden und sich dem entsprechend zu bethä­ tigen. Wir haben hier daher ein weit HöheresDasein, das seelische. Je höher man innerhalb dieser Stufe des seelischen Lebens (im en­ gern Sinne) aufsteigt, um so individueller und selbstständiger werden bereits die Centralpotenzen. Und es ist eine völlige Verkennung des Charakters der Thierwelt, wenn man glaubt, es sei ihr wesentlich, nur ein Gattungsleben zu führen und alle einzelnen seien eben nur Exemplare der Gattung. Was vielmehr den Charakter des Pflanz­ lichen Lebens im Unterschied zum thierischen ausmacht, das trägt man hiemit unberechtigt und irrthiimlich auf das thierische über, weil der oberflächliche Blick sich durch die Gebundenheit der Individua­ lität täuschen läßt. Aber obwohl gebunden ist sie doch da und als ein sehr wesentliches Moment. Denn ohne ein Minimum von Jnsichselbsteinkehren, also ganz ohne Fähigkeit sich von der Außen­ welt zu unterscheiden gibt es kein thierisches Dasein. Darin besteht eben das Seelenleben, daß dieser wunderbare Proceß begonnen hat, als eigenthümliche Potenz sich zu sondern und ein eigenes Leben zu führen. Ist es doch unleugbare Thatsache, daß wir bei den höheren Stufen der Thierwelt bereits einen merkwürdig entwickelten Selbst­ erhaltungstrieb und in seinem Dienst Affekte, ein Analogon von menschlicher Ueberlegung und Wollen finden, was sich nicht erklären läßt, wenn man nicht als das Wesentliche der Thierstufe daö Jnsichgehen in seinen Anfängen, also das individuelle Leben setzt. Nur darum kommt es auf der thierischen Stufe zum Seelenleben, weil es auf ihr znm Eigenleben kommt. Während es auf dem Gebiet des pflanzlichen Lebens zwar einzelne Existenzen gibt, aber nur als

128 Ausdruck oder Abdruck des Gattungstypus und somit die Gattung das eigentlich Existirende und Bezweckte ist, ist beim Thier auch daS Individuum als solches ein eigenthümliches und für sich von Be­ deutung, sofern sich in ihm der GattungSthpus, wenn auch erst ahnungsweise und unbedeutend, specialisirt. Das Thierleben stellt sich aber leicht als bloßer Uebergang dar, als etwas was auf Höheres hinweist. Die Gebundenheit des Thier­ lebens, und zwar gerade dessen was eben hervorgehoben wurde, seiner Individualisirung bereitet vor und fordert eine höhere Stufe des Weltlebens. Dieser Schritt geschieht mit dem Eintritt des Menschen. Die Individualseele wächst so zu sagen auö zur ganzen Größe ihrer Bestiminung nnd wird damit Geist, an die Stelle des bloßen Individuum tritt die Person, wie an die Stelle des bloßen Exemplars das Individuum getreten war. Es erfolgt ein förmliches Sichselbstfinden und damit der Weg zur Selbstmacht. DaS Thier bleibt noch gestellt unter die enge Schranke, welche in dem Typus seines eigenen, theils generellen, theils individuellen Wesens liegt und welcher es nur instinktartig folgt. Ueber ein dunkles Ahnen seiner selbst, über ein Triebleben mit seinen Affekten, über ein Traumbewußtsein, welches hingegeben ist an die somatischen Eindrücke und Einflüsse, über ein Verhängtsein mit Zwecken, welche über den Kreis seines Jnnewerdens völlig hinausliegen, bringt es ein Thier nicht hinaus. Der Mensch aber schreitet über das Alles hinaus selbst schon auf der Stufe der Barbarei, wie vielmehr wenn der Proceß der' ethischen Entwickelung bewußt begonnen hat. Darum ist kaum etwas geistloser und verkehrter, als wenn man den Men­ schen zum Thier erniedrigen und den Untevschied verwischen oder zu einem quantitativen herabsetzen will. Gerade diese Schranken, wel­ chen das Thier verfallen ist, sind für die menschliche Seele gebro­ chen; darum ist sie geistig angelegt; nnd der Mensch ist ein Höhe­ res, ein Neues, er ist das Höchste, was aus der Natur als ihre Blüthe hervorgehen konnte. Allerdings ist es ein allmähliger Ueber­ gang ans der Natur zum Geist, und der Geist in der elementaren

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Hülle der Naturform durchläuft erst ein Analogon thierischer Art sowohl nach der somatischen alS nach der seelischen Seite, ehe er sich zur Herausstellung seines specifischen höheren Wesens erheben kann. Wer nun mit dem Blick auf die Oberfläche sich begnügt, der wird immer geneigt sein, die Hülle, welche freilich die Herkunft be­ zeichnet und nichts weniger als unwesentlich ist, für die Sache selbst und die Naturanfänge des Geistes für sein eigentliches Wesen zu halten. Wir sind im Stande, gerade durch den Ausdruck Centralpotenz die Menschenseele d. h. den endlichen Geist in eigenthümlicher Be­ leuchtung erscheinen zu lassen. Der Geist ist nämlich Centralpotenz nicht nur in dem Sinn, daß er wirklich zur Selbstmacht und damit zur wirklich beherrschenden Macht über die niederen Potenzen seiner eigenen Natur wird, sondern er ist Centralpotenz auch sofern auf ihn alle Potenzen ihre Richtung und Bestimmung haben. Er ist also der Sammelpunkt aller untergeordneten Potenzen, die wir in Hinsicht auf ihn als bloße Naturpotenzen bezeichnen. Er ist ihr höchstes Produkt, dem sie eben darum sich als bloßes Material er­ weisen. Im Geist erheben sich die dunkeln Lebensbewegungen der niederen Stufen zur Selbstbestimmung; denn er ist nichts Anderes als die höchste Seelenpotenz mit der Anlage und dem instinktiven Verlangen sich selbst zu bestimmen, sich zur vollen Selbstbestimmung durchzuringen. Die Geisteswelt ist die Frucht sämmtlicher niedriger Gestaltungen in dieser Ecke des Weltganzen, die wir Erde benennen, sie ist ihre eigentliche Bestimmung, ihr über sie hochhinauSreichendeS Ziel, das dennoch in ihnen angelegt ist. Wir stehen mit dem Ein­ tritt des Geistes in die Welt vor der Pforte einer ganz neuen und höheren Welt, der sittlichen; und was von unserer Erde gilt, das haben wir allen Grund als einen Typus zu betrachten, der sich wenn auch mit Modifikationen möglicherweise in viel höherer Art sonst im Weltganzen wiederholen wird. Die Geisteswelt ist ein ganz neuer Boden für viel höhere Lebensbethätigungen, für eine Entwick­ lung, welche ihren Zweck in sich selbst hat und welche des Geistes Späth", Welt unt Gott. 9

130 eigene That ist, und zwar für eine solche, die für jedes Ich wieder einen unendlichen Reichthum der Gestaltung enthält, wie jedes schon unendlich verschieden und im innersten Wesen einzigartig (trotz deS generellen Charakters) angelegt ist. Doch das führt uns zu der Geschichte, welcher ein eigener Abschnitt gewidmet ist. Ueberblicken wir diesen Reichthum des WeltlebenS von den nie­ dersten Potenzen an bis zum Geist mit seiner höhern Welt, so muß unS dasselbe wie ein ungeheurer Destillationsproceß erscheinen, in welchem Stufe um Stufe das innerste Wesen, das Geistwesen her­ ausgeläutert wird. Wir verstehen nun, wozu diese unendliche Menge von Gliedern innerhalb der Vorstufen und Mittelstufen, welche unter einander so starke Analogie und Verwandtschaft und doch immer wieder etwas Neues zeigen, das dem geistigen Wesen näher rückt. Der Makrokosmos ist die Geburtsstätte des Geistes; darum finden sich auch alle Fäden des Makrokosmos im Mikrokosmos, im Men­ schen als der geistigen Potenz zusammen; und eS ist deßwegen eben­ sosehr der Geist nur im Zusammenhang mit seinen Vorstufen zu verstehen, als er seinerseits allein den Schlüssel zum Verständniß des Weltganzen bietet.

Siebenter Abschnitt.

Der Lebensgrund.

Wir sind an einem entscheidenden Standpunkte angekoinmen. Es fragt sich jetzt, und die ganze Weltanschauung bestimmt sich dar­ nach, ob unser Denken seinen letzten Ruhepunkt in der Welt finden kann und keinen Anlaß findet über sie hinauszugreifen, oder ob wir unsere Denkarbeit gewaltsam abbrechen und verstümmeln würden, wenn wir damit innerhalb der Welt stehen bleiben und den letzten Abschluß hier suchen wollten.

Wenn irgendwo, so ist hier die vor-

urtheilsfreieste Untersuchung heilige Pflicht.

Wenn es unS nur zu

thun ist um eine Apologie liebgewordener, durch die Tradition gehei­ ligter Anschauungen, oder wenn wir schon von vornherein hinein­ gezogen sind in den bestehenden Zauberkreis pantheistischer Gedanken oder wenn uns die rohe Lust beherrscht, im Ton des Naturalismus mit allen geheimnißvollen Tiefen aufzuräumen:

dann sind wir für

die Gewinnung der Wahrheit verloren; wir werden, sei'S mit etwas mehr oder mit etwas weniger Aufwand von Geist genau dasjenige Resultat erhalten, welches wir zum Voraus hatten.

Dagegen haben

wir allerdings die entgegengesetzten Versuche, für die Weltanschauung einen genügenden Abschluß zu gewinnen, als Material wohl zu wür­ digen.

Und eS dürfte sich herausstellen,

daß wir den Resultaten

der einen wie der andern Seite gleich nah und gleich fern stehen und die Wahrheitsmomente sich in unserer Anschauung vereinigen.

132 Nicht daß es auf eine Versöhnung der entgegengesetzten Weltanschau­ ungen von unS abgesehen wäre, sondern die Versöhnung wird ungesuchteS Resultat des StrebenS sein, dem Geiste einen einfacheren und befriedigenderen Abschluß seiner Weltanschauung zu erringen, einen solchen, der dem philosophischen Denken nicht minder genügt, als den höchsten, idealsten Interessen des Lebens. Denn das aller­ dings soll nicht verleugnet sein, daß wir auf die Bewährung einer Weltanschauung im Leben große Stücke halten. Es will uns als ein Merkmal der Wahrheit gelten, daß sie den höchsten Bedürfnissen und Interessen der Menschheit genügt und sie nicht schädigt; für ein untrügliches Zeichen des Irrthums aber halten wir es, wenn eine Weltansicht dazu angethan ist, das Geistesleben zu hemmen und den sittlichen Kern zu tödten. Auch dies dünkt unS, was wir nur gelegentlich bemerken, ein bedenkliches Zeichen, wenn eine philosophische d. h. auf dem Weg einheitlichen Denkens erwachsene Weltanschauung gar keine Verwandtschaft mehr aufzuweisen hat mit der instinktiv erwachsenen, im naiven Geistesleben der Völker wurzelnden, wenn man also gewaltsam jede Spur der gewächsartig entstandenen volksthümlichen Denkweise in sich tilgen muß, um sich künstlich in die höhere Erkenntniß hineinzuarbeiten. Was wir bisher vom Wesen der Welt erkannt haben, das nöthigt unS ein Wort auszusprechen, welches bei Bielen einen schlim­ men Klang hat und allerdings den Schein erweckt, als wollte unser Denken innerhalb der Welt stehen bleiben. Wir sind in dem Falle, eine Weltseele annehmen zu müssen. Das folgt nämlich nach der von uns entwickelten Anschauung vom Lebendigen einfach daraus, daß uns die Welt ein Gesammtorganismus, ein belebtes in sich ge­ schlossenes Ganzes mit innigstem Zusammenhang seiner Glieder, eine wirkliche Einheit und kein bloßer Complex ist. Darnach können wir sie nicht anders denken denn als das Produkt einer seelischen d. h. einer Alles erzeugenden und beherrschenden Potenz. ES ist damit nicht gesagt, daß dieses Einende des WeltlebenS müßte selbst­ bewußt sein oder daß es zu denken sei in dem Schema des thieri-

133 scheu Seelenlebens, in den Formen des dunkeln Triebes und der Empfindung. Es liegt zwar klar zu Tage, daß die Weltseele, eine solche vorläufig angenommen, darauf angelegt ist, das animalische Seelenleben aus sich zu erzeugen, ja im Menschengeiste das volle Selbstbewußtsein anzutreten. Aber wir sehen viel niedrigere, sich selbst völlig entfremdete Lebensformen jenen höheren als die grund­ legenden vorangehen und auch das höchste 'Seelische zeigt sich urspriinglich in den tiefen Schlaf völliger Bewußtlosigkeit versunken, und das Bewußte erhebt sich erfahrungsmäßig aus dem Bewußtlosen. Daraus werden wir mit Recht folgern, daß die Weltseele an sich betrachtet eine bewußtlose Energie ist, allerdings dazu angethan, be­ wußtes Seelenleben aus sich zu erzeugen, aber so, daß seine Keime ursprünglich im Unbewußten schlummern. Wir bewegen unS damit ganz innerhalb der Analogie, welche sich uns in der Welt mit ihrem mannigfaltigen Leben darbietet. Diese Analogie ist aber mehr als man gewöhnlich unter diesem Terminus versteht, beweist darum auch etwas mehr. Denn da alle Lebensformen in der Welt als Erzeug­ nisse der Weltseele und somit als partielle Erscheinungsformen der­ selben Entelechie zu betrachten sind, so ist aus dem allgemeinen Charakter der Lebensformen in der Welt mit Sicherheit auf den Charakter der Weltseele zu schließen, welche in ihnen ja nur ihr Wesen verwirklicht oder zur Erscheinung bringt. Die Bedeutung der Annahme einer Weltseele springt alsbald in die Augen, wenn sie bestimmt wird als die Universalpotenz. Denn wir haben in ihr Eine die unendlich mannigfaltigen Potenzen aller Otufen durchwaltende und beherrschende Macht, welche diesel­ ben, wie sie ihre Produkte sind, so auch ganz für ihren eigenen Entfaltungsprozeß verwendet. Da haben wir also eine lebendige Einheit. Ohne Weltseele erhalten wir keinen organischen Zusam­ menhang in der Schöpfung, wie uns hinwiederum die unleugbare Thatsache des letzteren unfehlbar zur Annahme der ersteren hintreibt. Zwar sind wir hierbei in dem Fall des MathemathikerS, der es unternimmt aus einem kleinen Kreissegment den ganzen Kreis her-

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zustellen und den Mittelpunkt zu gewinnen. Aber so sicher der Ma­ thematiker daS bewerkstelligt, so sicher muß es uns gelingen, von dem kleinen Weltausschnitt aus, der sich unsrer terrenischen Erfah­ rung öffnet, daS Weltganze in seinen Grundzügen ideell zu construiren. So gewiß in der Welt, soweit unsre Erfahrung reicht, orga­ nischer Zusammenhang ist, so gewiß ist dies der Charakter des Kos­ mos im Ganzen, so gewiß muß er also auch seine Centralpotenz haben. Weltseele — das ist genau das Gegentheil aller mechanischatomistischen Welterklärung und der stärkste Ausdruck dafür, daß wir die Welt dynamisch und, falls es nöthig sein sollte das noch aus­ drücklich zu erklären, immanent-dynamisch auffassen. Wir glau­ ben uns dabei keiner Einseitigkeit schuldig zu machen und aus Ab­ neigung gegen die Rohheit des Materialismus einem Spiritnalismus neuesten Zuschnitts zu verfallen. Hat sich uns doch der Unterschied deS Materiellen und des Seelischen herabgesetzt zu einem bloßen Stufenunterschied der Potenzen, die in innerer Verwandtschaft mit einander stehen, so daß alles Materielle der Weltseele nicht weniger congenial, ja ihr entsprossen ist als das, was wir seelisch im engern Sinn heißen. Wozu aber die Annahme einer Weltseele? möchte Einer fragen. Ist es nicht hinreichend, die Welt zu fassen als eine durch alle ihre Stufen und Glieder hindurch lebensvolle und die Weltentwicklung als den stufenmäßigen Gang zu immer höheren Lebensgestaltungen, und dem Weltganzen einen unendlichen Reichthum von seelenhaften Anlagen und einheitlichen Lebenszusammenhang zuzuschreiben? Wir antworten: weil wer das im Ernst zugesteht, eigentlich schon auch die Weltseele zugestanden hat. Denn ein solcher einheitlicher LebenSproceß muß auch ein einheitliches Princip haben, dem er entstammt. Man spricht also nur das letzte Wort aus, das nicht zu vermeiden ist, sobald man die Welt nicht mehr in unreif kindlicher Weise als ein buntes Nebeneinander und Vielerlei, sondern als Kosmos, als lebensvolle, in sich geschlossene Einheit sich denkt.

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Die Abneigung gegen die Annahme einer Weltseele beruht zum Theil auf Irrthümern in Betreff des Seelischen. Man pflegt den Begriff des Seelischen zu eng zu fassen und von Seele nur zu reden, wo es zu einem Innewerden kommt, wie auf der Stufe des thie­ rischen Lebens. Man hat ferner noch kein positives Verhältniß ge­ funden zwischen dem Seelischen und dem Materiellen, womit die hergebrachte Anschauung der sog. anorganischen Welt als einer des Lebens entbehrenden und gänzlich unbeseelten zusammenhängt. Geht man freilich von solchen Anschauungen aus, wie sie übrigens immer noch die herrschenden sind, so muß eS als eine höchst wunderliche und unvollziehbare Vorstellung erscheinen, wenn man nicht bloß vom Leben in der Welt sondern von einer Weltseele redet. Fassen wir dagegen Seele als Lebenspotenz überhaupt, also auf allen Stufen des kosmischen Daseins, auch auf der Stufe der „anorganischen" Existenzen, näher als diejenige Realität, welche einer ganzen Ent­ wicklung als Einheitspunkt zu Grunde liegt und in ihr zur Dar­ stellung kommt, so hat es gewiß Nichts auf sich, von einer Weltseele zu reden. Der Hauptanstoß ist allerdings ein anderer und weit ernstlicherer. ES scheint nämlich bei Annahme einer Weltseele der Pantheismus unvermeidlich zu sein. Man meint, der KoSmoS werde damit nothwendig als ein in sich ruhender, rein aus sich zu erklä­ render aufgefaßt. Wie wenig das aus der Annahme einer Weltseele folgt, wird sich uns in Bälde zeigen. . ES dürfte wohl der rechte Ort sein, uns hier mit dem Pan­ theismus, auf den wir später noch eingehender zurückkommen Müssen, nach der Hauptsache auseinanderzusetzen. Denn die pantheistische Weltanschauung begnügt sich, auch wo sie sich in andern Begriffen bewegt, doch im Grunde immer damit, Gott als die Weltseele zu betrachten. Sie ist also recht eigentlich diejenige Theorie, bei wel­ cher das' Denken mit der Weltseele abschließen zu können glaubt. Ihn zu widerlegen, ist immer noch keine überflüssig gewordene Ar­ beit. Denn obwohl er seit einigen Jahrzehnten durch kein Epoche machendes neues System vertreten ist, vielmehr der philosophische

136 Zug sich entschieden theils dem Theismus theils dem mit der Natur­ wissenschaft verbündeten Materialismus zugewendet, und obwohl er als hauptsächlich im Idealismus wurzelnd mit dem Abblühen des letzteren seine Wurzeln im Zeitbewußtsein so ziemlich verloren hat, so ist er dennoch in seinen Grundzüge», seinem allgemeinen Schema immer noch eine sehr verbreitete Vorstellungsweise.

Man mag sich

seiner als einer geistigeren Weltanschauung wohl freuen, da er das Eigenthum vieler edleren Geister ist, die sich mit berechtigtem Wider­ willen von dem alles Ideale tödtenden Materialismus abwenden; aber auch er wird immer bedenklicher, jemehr die „Idee" und der „Urgrund" und das „Absolute" der „Natur" und dem „All" Platz macht und derselbe unvermerkt in den Naturalismus übergeht. Der Pantheismus geht von dem durchaus berechtigten Bedürf­ niß auS, einen innigen Lebensznsammenhang zwischen Gott und Welt begrifflich herzustellen und über jedes nur äußerliche Nebeneinander­ stehen beider als ein Undenkbares hinwegzukommen.

Nicht in einem

bloßen CausalitätSverhältniß, sondern im innigsten Wesensverhältniß sollen Gott und Welt aufgezeigt werden: nur die leere und nichtige,

die Welt soll nicht mehr

sondern die gotterfüllte sein und Gott

nicht mehr der unerreichbar ferne sondern der Allem wesenhast inwhnende.

Diese Tendenz ist wie gesagt durchaus berechtigt,

und

wir danken ihrer Geltendmachung von Seiten des Pantheismus nicht nur für die Erkenntniß sondern auch für das gesammte Kulturleben unendlich viel.

Beruht sie doch auf einem wesentlichen Bedürfniß,

das in der hergebrachten rein transscendenten Gottesvorstellung nur kümmerlich seine Befriedigung findet.

Allein die pantheistische Be­

friedigung dieses Bedürfnisses, erweist sich als sehr einseitig und da­ her wiederum ungenügend.

Von dem Einheitsbedürfniß gänzlich be­

herrscht überstürzt sich so zu sagen der Pantheismus,

und in der

löblichen Absicht Gott und die Welt in das innigste Verhältniß zu einander zu setzen,

schreitet er ohne Bedenken dazu, daß er Gott

und Welt als wesentlich Dasselbe setzt, daß er Gott zum Weltkern selbst und die Welt zur Erscheinung Gottes macht.

Diese Lösung ist all-

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zurasch und schließt nicht nur allerlei Bedenkliches sondern auch Widersprüche in sich, deren der Pantheismus, wie er sich auch färbe, niemals los zu werden vermag, weil sie schon in den Grundzügen seiner Denkweise liegen, also nur durch Aufgeben der pantheistischen Denkweise selbst vermieden werden. Der Pantheismus macht nämlich die Welt zum Absoluten: dies ist die Wurzel seiner logischen Widersprüche, deren Unvermeidlichkeit' ihren charakteristischen Ausdruck in der dialektischen Methode des Hegel'schen Systems mit ihrer Omnipotenz der Negation gefunden hat. Das was endlichen Wesens ist, macht er zum Nichtendlichen, und legt ihm so bei, was seinem Wesen nicht minder als unsrem gesammten Erfahrungskreise widerspricht; er prädicirt von Einem und demselben das Entgegengesetzte, das Unvereinbare als sein Wesen. Er verdeckt zwar den Widerspruch, indem er die Welt nur für die Erscheinung des Absoluten erklärt, während er offen zu Tage treten würde, wenn er sich gestehen wollte, daß ihm die Welt wesentlich nichts Anderes ist als Gott, somit auch Gott wesentlich nichts Anderes als die Welt, also das Endliche und das Absolute identisch. Die Welt soll also Erscheinung Gottes und nur diese Erscheinung soll endlich sein, daS Wesen aber absolut. Wenn nun aber nach den eigenen Grundvoraussetzungen des Pantheismus die Erscheinung in Form der Welt zum Wesen des Absoluten gehört und Gott nicht denkbar ist, also keine Realität hat außerhalb und abgesehen von dieser Ausprägung seines Wesens in der Welt, so ist klar, daß auch die Welt den absoluten Charakter an sich tragen muß, also nicht endlich sein kann, wofern sie wirklich dem absoluten Wesen Gottes entsprechen und seine Erscheinung sein soll. Wie die Welt endlich und doch zugleich die wesentliche und natürlich adäquate Erscheinung Gottes sein soll oder eigentlich seine einzige Existenz­ form, da Gott außer der Welt für den Pantheismus keine Realität hat, diesen Widerspruch wird derselbe niemals lösen; und wenn der moderne Pantheismus dem starren und steifen des Spinoza vorge­ worfen hat, daß er es nicht dazu bringe zu zeigen, wie das Absolute

138 sich erschließe zum Endlichen und wie die Negation oder Determina­ tion an daS Absolute komme, so gilt genau dasselbe von ihm selbst, da eS ihm zwar gelungen ist, wessen er sich rühmt, das Absolute in Fluß zu bringen, jedoch nur mit einem verzweifelten Mittel; was wir als einen einfachen logischen Widerspruch, als ein Undenkbares erkennen müssen, das verlegt er in die Objektivität und sieht sich so genöthigt, das Setzen eines Widersprechenden und Undenkbaren für eine logische Nothwendigkeit und für das rechte, daö Wesen der Dinge producirende Denken auszugeben. Will sich der Pantheismus darauf zurückziehen, daß freilich die einzelnen Dinge endlich seien, daß aber die Welt im Ganzen eine unendliche sei, so läßt er sich eine von ihm selbst öfters gerügte Trübung der Begriffe zu Schulden kommen. Er selbst wußte, wo es ihm paßte, wohl zu unterscheiden zwischen Unendlichkeit im schlech­ ten und im eigentlichen Sinn. Das mag er sich merken. Das Gränzenlose ist noch nicht das Absolute, eine für uns unbegränzte Summe von Endlichem ist nur das schlechte Unendliche. Diese schlechte Unendlichkeit möchte ich rot Gegensatz zu der in sich geschlos­ senen Fülle des Absoluten die dehnbare nennen; die Fülle der Lebenserscheinungen in der Welt ist für unsre Erfahrung unbestimm­ bar groß, also die Zahl der endlichen Gebilde, für uns wenigstens (damit aber noch lange nicht objektiv), unbegränzt, und es liegt auch in der Welt eine Potentialität, welche wir in ihrer beständigen Er­ neuerung unerschöpflich nennen mögen. Diese dehnbare Unendlich­ keit, zu welcher sich noch die leere unreelle Vorstellung eines unend­ lichen Raums und einer unendlichen Zeit gesellt, wird gar leicht verwechselt mit der Absolutheit, einem viel positiveren Begriffe. Denn diese bezeichnet die Potenz schlechthin, die in sich vollendete Realität, welche weder intensiv noch extensiv eine Gränze hat. Will nun der Pantheismus das Weltganze in seiner unmeßbaren Ausdehnung für die adäquate Darstellung des Absoluten ausgeben, indem er sich auf die Unendlichkeit des Weltganzen beruft, so macht er sich jener Trü­ bung und Vereinerleiung der Begriffe schuldig; denn die dehnbare

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Unendlichkeit kann nnr die adäquate, weil im Wesen liegende Dar­ stellungsform der endlichen Dinge, nicht aber die adäquate Darstel­ lungsform des Absoluten sein. Denn was von den Weltdingen als einzelnen gilt, das gilt auch von ihrer Summe, von dem Complex, vermöge dessen sie in gegenseitigem Lebenszusammenhang stehen. Die Welt ist, man betrachte sie nun als dissolute Vielheit oder als lebensvolle Einheit, nothwendig eine extensiv nnd intensiv beschränkte, weil die Schranke, die zeitliche und räumliche Existenz, die Grundform ihres Wesens ist. Wie kann ich nun das, dessen wesentlicher Charakter die Endlichkeit ist, zugleich als das Absolute fassen? Dies ist der unlösbare Widerspruch, der Stein des Anstoßes, an welchem jede Form des Pantheismus scheitern wird. Um dieser Undenkbarkeit zu entgehen, eine Aufgabe, an der die pantheistischen Systeme ihre beste Kraft nutzlos verzehren, sieht man sich auf eine zwiefache Ausflucht Hingetrieben. Der Pantheismus gestaltet sich entweder akosmistisch, er läßt wie Spinoza die Welt als diese mannigfaltige Vielheit in Gott verschwinden, so daß von ihr eigentlich Nichts übrig bleibt als der abstrakte Begriff der Ne­ gation oder Beschränkung, weil Gott selbst die Fülle der Substanz ist, welche Alles in sich zur unterschiedslosen Einheit aufschluckt, oder er läßt das Göttliche an sich noch nicht real, nichtseiend, weil nur ideell vorhanden sein und so völlig in den Werdeproceß der Welt eingehen, daß es im Grunde keinerlei Realität für sich behält, weil sie nur ist, soweit sie in der Gesammtheit der Welterscheinung da ist. Der eine Weg ist aber so halsbrechend als der andere; man ist in beiden Fällen genöthigt, die eine der beiden Realitäten der andern aufzuopfern: entweder geht die Welt in Gott oder Gott in der Welt unter. Was ist aber das für eine Einigung, bei welcher die Realität des einen Theils geopfert werden muß. Gott und Welt fallen im einen wie im andern Fall in Eins zusammen. Die Unterscheidung von Gott und Welt fällt also eigentlich nur noch in die Betrachtungs­ weise des denkenden Subjekts, es ist kein objektiver Unterschied mehr. Je nachdem das denkende Subjekt das Seiende ansteht, wird eö ihm

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in der Form des Absoluten d. h. als Gott erscheinen oder in der Form der Endlichkeit d. h. als Welt. Mit dem Zusammensinken des objektiven Unterschieds von Gott und Welt ist der Pantheismus auf den subjektiven Idealismus zurückgeworfen, den er so siegesfreudig glaubte überschritten zu haben. Ja er ist in eine Sackgasse gera­ then; denn wie wird er es jemals genügend erklären können, wie eS zu einer solchen doppelten Möglichkeit der Betrachtung kommen kann, wobei dasselbe Seiende so ganz verschieden erscheint! Er müßte eigentlich eine ursprüngliche Zweiheit des intellektuellen Ver­ mögens des menschlichen Geistes annehmen, eine Denkart, welche Alles in der Zertheiltheit und Vielheit percipirt, und eine andere, welche Alles in unterschiedslose Einheit aufhebt, beide aber als im unversöhnlichen Widerspruch mit einander stehend. Unser Denken wäre der Penelope vergleichbar, welche die Arbeit des Tages des Nachts wieder zerstört. Der Pantheismus verspricht uns das Räthsel zu lösen, wie die Welt und Gott wahrhaft Eins sein können. Statt dies zu erfüllen, läßt er uns bei dem Widerspruch stehen, daß das Endliche absolut und das Absolute endlich sein soll. Will er nun diesen Widerspruch auS der Objektivität wieder entfernen durch An­ nahme von zwei Betrachtungsweisen, so hat er damit Nichts gebes­ sert, sondern denselben Widerspruch nur auf die Seite des Subjekts, des Denkens übergewälzt. Es ist rein unbegreiflich, wie eö möglich sein soll, daß dasselbe Denken das Seiende das eine Mal als end­ lich, das andere Mal als das Absolute auffassen soll. Grade das also, wovon wir als dem Gewissesten auszugehen genöthigt sind, wenn wir nicht in die Luft bauen wollen, nämlich der empirisch endliche Charakter der Welt, er wird für ein bloßes und zwar für das minder wahre Produkt unsres Denkens erklärt, da das ganz ächte Denken die Welt im Licht ihrer Absolutheit betrachtet. Wir enden also im unüberwindlichen Dualismus des Denkens. Es ist von hohem Werthe zu wissen, worin denn eigentlich dieser verhängnißvolle Gang deö pantheistischen SpekulirenS wurzelt. Er wurzelt im Begriffsdogmatismus, diesem erkenntnißtheoretischen

141 Grundirrthum. Wem der Begriff als solcher das Reale ist, dem ist gerade das Allgemeinste, also die leerste Abstraktion, das. Realste. Daruin ist ihm das reine Sein, dieser inhaltsloseste aller Begriffe, das Absolute, ja das allein wahrhaft Wirkliche. Natürlich also kann die Welt nur so weit wirklich sein, als sie an diesem Sein Theil hat. Und wie der ganze specifische Inhalt der Welt. conseqnenter Weise nur ein Nichtsseiendes sein kann, weil es eben nicht das reine abstrakte Sein darstellt, so ist der ganze Inhalt des Absoluten con­ seqnenter Weise das bloße Sein, das Leerste was denkbar ist. Be­ kanntlich hat der Begriffsdogmatismus schon in der Scholastik des Mittelalters seine Fähigkeit genugsam erwiesen, eine eigene Welt an der Stelle der wirklichen zu construiren, aber auch von der Wirk­ lichkeit gründlich abzuführen trotz all der genialen Blicke, welche man verstohlen durch die Erfahrung geleitet in die reale Welt hinüberthut. Es ist begreiflich, wie Einem so die Welt unter den Händen zerfließt, da sich das Denken des Begriffsformalismus gerade von ihrem konkretem Bestände abwendet und für ihn keinen Sinn hat, wie aber auch Gott sich so verdünnt, daß sein leerer Begriff wieder voll Hungers nach der konkreten Fülle des Endlichen ist. Es ist begreiflich, wie Gott und Welt dem Denken dasselbe sein und in eine unterschiedslose Einheit verfließen müssen, da das allgemeine, aller Besonderheiten entledigte Sein das eigentlich Reale ist. Ver­ schlingt einmal das „Allgemeine" Alles in sich, so ist keine lebens­ volle scharf geprägte Existenz mehr zu begreifen, es wird Alles in das Ein und All zerfließen. Der Begriffsdogmatismus zieht also den Pantheismus konsequent nach sich, wie es ja auch Erfahrung ist, daß die Hinneigung zum Pantheismus so ziemlich immer gleichen Schritt mit einer idealistischen Denkweise gehalten hat. Der Pantheismus rechnet es sich hoch an, daß. er das Causalitätsverhältniß seiner Aeußerlichkeit entnehme und eS vermöge seines Immanenzstandpunktes erst recht geistig auffasse. Wir müssen ihm mit seinem Widerwillen gegen ein rein äußerliches CausalitätSverhältniß von Gott zur Welt, wie es die gemeine Vorstellungsweise

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faßt. Recht geben, aber er überschießt auch in dieser Beziehung das Ziel und führt consequent zur Zerstörung des Causalitätsverhältnisses zwischen Gott und Welt und Beschränkung desselben auf das Ver­ hältniß des Endlichen untereinander. Nur indem der Pantheismus Gott und die Welt weiter auseinanderhält als er eS eigentlich kann, und sie in ein lebensvolleres Verhältniß zu einander stellt, als seine abstrakten Begriffe eS ihm genau genommen erlauben, also nur ille­ gitimer Weise kann er noch von einem Cansalitätsverhältniß zwischen dem Absoluten und dem Endlichen reden. An die Stelle des Causalitätsverhältnisses tritt dem Pantheismus das SubstanzialitätSverhältniß. Gott ist die Substanz, die Welt das Accidens, oder auch die Realität des Göttlichen geht in der Gesammtheit der endlichen Existenzen auf. Das Absolute ist was es ist, es kann weder Etwas wirken noch Etwas werden, und waS endlich ist, das ist so weit es überhaupt ein Reelles und nicht Negation oder Schein ist, von Haus aus identisch mit dem Absolu­ ten, jedenfalls ihm wesentlich inhärirend, kann also weder werden noch bewirkt sein. Nur indem man dem Absoluten ein konkretes Leben andichtet und eine Bewegung gibt, welche es nach den Grund­ begriffen des Pantheismus nicht haben kann, gelangt man zu der erwünschten Täuschung, als bringe man es zu dem freilich unsrem Denken so unentbehrlichen Stück einer abschließenden Ursache. Wir kehren zu der Weltseele zurück und zu der Bemerkung, daß sie dem Pantheismus unvermeidlich in die Arme zu führen scheine. Scheint es doch, in der Weltseele habe die Welt das Princip ihres gesammten Werdens in sich selber, es brauche also nicht mehr über die Welt zurückgegriffen zu werden, somit sei der völlige Jmmanenzstandpunkt nicht mehr abzuweisen. Nun ist freilich klar, daß wofern wir mit der Weltseele den letzten Abschluß setzen wollen, wir einer Berabsolutirung der Welt, somit dem Pantheismus nicht entgehen werden. Allein ich hoffe zeigen zu können, daß ein Stehen­ bleiben bei der Weltseele bei richtigem Gedankengange unmöglich ist, daß vielmehr gerade ihre Annahme unsrem Denken eine sichere

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Brücke zu einem Gott wird, welcher in der Welt nicht aufgeht. Die Welt kann nicht absolut und endlich zugleich sein, da die eine Bestimmung die andere ausschließt. Und das eben über den Pantheismus Gesagte konnte unS zeigen, zu welchen Widersprüchen es führt, wenn man sich in die Lage versetzt, beide Attribute dem­ selben Seienden zutheilen zu müssen. Weil nun die Welt durch ihre Doppelexistenzform der Zeiträumlichkeit zeigt, daß sie nicht nur die Endlichkeit accidentell an sich hat, sondern daß diese vielmehr in ihrem innersten Wesen begründet ist, darum ist sie sicher nicht ab­ solut. Was zeit-räumlich ist, das kann nicht absolut sein, und zeit­ räumlich ist die Welt. Von dem einzelnen Endlichen ist nämlich mit Sicherheit ein Schluß zu ziehen auf den Charakter des Endlichen überhaupt, auf die Welt als Ganzes, da das Ganze nichts Anderes ist als der organische Complex des Einzelnen. Der' Complex des Endlichen kann keinen andern Charakter tragen als das einzelne Endliche, am wenigsten den entgegengesetzten. Demnach ist Endlich­ keit der Grundcharakter des Weltganzen, und sie schließt die Abso­ lutheit aus, welche, wie man sich erinnern wird, mit der schlechten Unendlichkeit nicht zu verwechseln ist. Und jetzt stehen wir vor der unsres Wissens bisher nicht ge­ kannten und noch nicht gelösten Aufgabe-, zu begreifen, von welch entscheidender Bedeutung für die Gewinnung einer rechten Spitze unsrer Weltanschauung in einem lebendigen Gottesbegriff e«' ist, von einer Weltseele zu reden und so die Welt als wirklich belebte Ein­ heit, nicht als bloßes Conglomerat von einzelnen Weltdingen zu fassen. Nehme ich eine Weltseele an, ein einheitliches Lebensprincip, aus welchem die ganze Fülle der einzelnen Dinge organisch hervor­ geht, in innigstem Zusammenhang untereinander und mit Einem Alles beherrschenden Grundcharakter, so ist klar, daß ich der Welt­ seele selbst, dem Weltprincip sogar, nicht bloß dem Weltganzen, die Absolutheit absprechen muß und das Weltprincip selbst nur als eine

144 relative oder intensiv beschränkte, nicht als in sich vollendete, abso­ lute Potenz setzen kann. Denn die Weltseele ist eS, welche sich in allem Einzelnen verwirklicht und Allem ihren Stempel aufdrückt. Folglich beweist der Charakter des Einzelnen für den Charakter der Weltseele, die sich im Einzelnen offenbart. Und ich bin somit zu der durchschlagenden Erkenntniß gelangt, daß die Welt nicht nur in ihren einzelnen Erscheinungen, sondern in ihrem in­ nersten einheitlichen Lebensprincip nicht mehr ist als eine endliche Potenz und um keinen Preis mit dem Absoluten zu identificiren. Wir schließen mit mathematischer Sicherheit folgendermaßen. Ist die Welt in ihren Theilen, so weit sie in unsren Bereich fallen, durchaus endlichen Wesens, so ist sie es als Ganzes nicht minder, nicht nur als Summe des Einzelnen, nicht nur als einheitliches Ganzes, sondern in ihrem Lebensprincip, welches wir die Weltseele genannt haben. Folglich weist uns diese Weltseele mit Nothwendigkeit vermöge ihres endlichen Charakters auf einen über sie hinausliegenden Lebensgrund, auf welchen sie bezogen ist und zu welchem sie nothwendig im Verhältniß des Erzeugten zum Erzeugenden steht. Die Instanz des regressus in infinitum ist abgeschnitten. Denn er kann nur da geltend gemacht werden, wo die Welt zwar als in sich zusammenhängende Reihe von Wirkungen, aber eben als Reihe und nicht als organische Einheit gedacht wird. Nur wo man den Zusammenhang des Einzelnen be­ tont, während man gegen den organischen Zusammenhang des Welt­ ganzen gleichgültig ist, kann man glauben, durch den regressus in infinitum den Rückgang aus dem Endlichen zum Absoluten unsicher zu machen. Ist die Welt als Ganzes endlich, ist auch das der Welt immanente Princip ihres Lebens endlich, so kann die Welt nicht causa sui sein, sie setzt also ein Absolutes voraus, sie weist über sich zurück auf ein Anderes, das causa sui ist. Denn mit dem Denkgesetz des zureichenden Grundes hat es seine vollkommene Richtigkeit; wir können nicht ohne dasselbe den-

145 ken, weil es zugleich ein Weltgesetz ist. WaS also nicht in sich selbst den Grund seines Bestehens hat — und das ist erfahrungsmäßig mit allem Endlichen der Fall —, das hat ihn in einem Andern. Und ist der ÄoSmoS im Princip schon endlich, so weist er unser Denken mit Nothwendigkeit hinaus auf ein Seiendes von absolutem Charakter. Gerade also wenn man die Welt in ihrem innersten Wesen auffaßt und ihr zugleich als wesentlich Einer auf den Grund geht fern davon, in ihr eine bloße Additionseinheit zu sehen, vielmehr ein organisches Gewächs, also das Produkt und die Erscheinung einer Weltseele: gerade dann ist man genöthigt, ihr Lebensprincip als ein bloß gesetztes und in seinem Wesen endliches zu unterschei­ den von dem LebenSgrund, welchem dieses ihr Princip entstammt und welcher ganz andern Wesens sein muß, nämlich absoluten, Denn der Lebens gründ muß in sich ruhen, kann nur auf sich selbst ge­ stellt, in sich gesättigt sein. In dieser scharfen und doch so einfachen Unterschei­ dung endlicher und absoluter Causalität liegen die Ele­ mente aller unsrer Gotteserkenntniß. Der Gegensatz des Endlichen urib des Absoluten ist Nichts weniger als eine bloße Ab­ straktion, sondern er ist, weil ein Grnnderforderniß unsres Denkens, auch ein Grundverhältniß des Seienden. In unsrem Denken setzen sich das Absolute und das Endliche gegenseitig vor­ aus als die beiden Formen des Seienden, aber jede Ver­ mischung beider statt der Correlation hat die Folge, unser Denken und sein Produkt, die Weltanschauung zu verwirren. ES handelt sich uns um Correlate, nicht um contradiktorische Gegensätze. Es ist ein positives Verhältniß, das in dem logischen Gegensatz von Absolutem und Endlichen liegt, das CausalitätSverhältniß. Vergegenwärtigen wir uns daS, so werden wir zum Entscheidenden im GotteSbegriff gelangen. Das Absolute ist der Lebensgrund des Endlichen, folglich kann daS Endliche nicht existiren außer in Abhängigkeit von diesem seinem LebenSgrund, im innigsten Späth, Welt und Gott.

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146 und ungestörten Lebenszusammenhang mit dem Absoluten. Hingegen kann dieses Absolute unmöglich in derselben Weise stehen zu dem Endlichen, daß eS dessen bedürfte, sondern sein Verhältniß zum End­ lichen setzt voraus, daß eS in Wahrheit causa sui, rein auf sich selbst stehend sei, wie wir das auch schon in dem Begriff des Ab­ soluten an sich zu finden gewohnt sind. Setzt man z. B. die Welt in ein solches Verhältniß zu ihrem LebenSgrund, daß auch für diesen eine Nothwendigkeit eingeschlossen ist sich zur Welt zu erschließen, weil er ebenso der Welt wie die Welt seiner bedürfte, so hat man kein Absolutes mehr, sondern nur noch ein Relatives und die noth­ wendige Consequenz ist das pantheistische Zusammensinken von Gott und Welt in Eins. Rein unabhängig von der Welt, rein auf sich selbst stellt sich also das Absolute. Eben darum verhält es sich zur Welt rein aktiv, rein aus sich heraus setzend; wir schreiben ihm nothwendig die reinste Aktivität zu. Und auS diesem Grund­ verhältniß Gottes zur Welt, wo absolute Causalität gegen absolute Abhängigkeit steht, ergibt sich unS ein entscheidender Schluß auf das Wesen des Absoluten. Wenn sich nämlich das Absolute so rein aktiv zur Welt ver­ hält, so muß es seiner selbst mächtig sein, eS ckuß sich selbst bestimmen. Nehmen wir dazu, daß wir die Welt in einer relativen Selbstständigkeit finden und daß sie endliche Potenzen enthält, die auf dem Wege sind, ihrer selbst mächtig zu werden, so verstärkt sich uns noch die Ueberzeugung, daß das Absolute, wenn eö relativ selbst­ ständige Potenzen setzt, absolut selbstständig d. h. seiner selbst durch­ aus mächtig sein muß. Dem LebenSgrund der Welt muß nothwendig Persönlichkeit vindicirt werden, weil er ohne das nicht die absolute Causalität, der rein Setzende sein kann. Es ist ein merkwürdiger Umschlag im Urtheil in den letzten Jahrzehnten vor sich gegangen. Man hat angefangen, das Dringen auf die Persönlichkeit Gottes wieder zu respektiren, während man in den ersten Decennien unsres Jahrhunderts sehr vornehm auf den

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Glauben an einen persönlichen Gott als eine vielleicht unentbehrliche, aber eben rohe volksmäßige Vorstellungsweise herabsah und eS als ein Zeugniß unspekulativen Geistes ansah, wenn man diese VorstellungSweise noch nicht überwunden hatte. Die abschüssige Bahn, welche dir sich auflösende pantheistische Richtung einschlug und welche sehr bald im aufrichtigsten Atheismus endete, mußte bedenklich machen. Und so kam es, daß man erst seit dem Abblühen des Pantheismus die Frage nach der Persönlichkeit Gottes, recht zu würdigen begon­ nen hat, und daß die Ahnung immer stärker aufdämmert, daß mit SSertoerfmtg- der Persönlichkeit Gottes ein verhängnißvoller Schritt gethan werde, weil mit der Persönlichkeit auch die absolute Selbstständigkeit Gottes geopfert werden müsse. Immerhin aber dürfte eö nicht werthloS sein, wenn wir die zwei Motive aufdecken, welche eS hauptsächlich verschuldeten, daß man in stolzer Einbildung sich über die Persönlichkeit Gottes lustig machte und den so einfachen und nothwendigen Schritt des Denkens - von dem Endlichen zu einem persönlichen Absoluten nicht erkannte. Der eine Grund war das Construiren a priori. Nach unsrer An­ sicht muß man vom der Welt ausgehen, um zu Gott zu kommen, und kann Gottes Wesen nicht erfassen außer von der Welt aus. Aus der Beschaffenheit der Welt ist zu schließen auf ihre letzte Voraussetzung. Dieser sichere Gang konnte von der Phi­ losophie erst allmählig als der einzig richtige erkannt werden. Näher lag es dem. Denken, von Gott auszugehen, um zur Welt herabzu­ steigen und so die Welt zu construiren. Denn ehe das Denken es lernt, sich auch gegen sich selbst kritisch zu verhalten, steht es in dem naiven Glauben nicht nur an seine schöpferische Macht sondern auch an die unmittelbare Realität seiner Begriffe. So ist denn der Pan­ theismus wesentlich Produkt eines gegen sich selbst nicht kritischen Denkens oder des Begriffsdogmatismus. Er glaubt, da er den Begriff des Absoluten in sich findet, das Absolute an sich und unmittelbar fassen zu können. Weil ihm aber gerade der Begriff und zwar in der Form des menschlichen Denkens das Reale ist, so erscheint ihm Gott als der

148 höchste Begriff und er glaubt ihn um so adäquater zu soffen, je mehr er ihn in der Form der reinsten Abstraktion denkt. Gott ist ihm also die höchste Abstraktion, somit daS Inhaltsloseste, das Leerste, welches natürlich der Welt zu seiner Erfüllung bedarf. Bei solcher Denk­ weise konnte man sich mit einer Persönlichkeit GotteS nicht vertra­ gen, da ja Persönlichkeit noch lange nicht der höchste und leerste Begriff ist, vielmehr umgekehrt eine Wesenhaftigkeit bezeichnet, welche sich in sich selbst zuspitzt, in sich concentrirt ist, und von welcher ganz conkrete Wirkungen ausgehen. Wir müssen die stolze Abnei­ gung gegen die Persönlichkeit GotteS vom Boden des BegriffSdogmatiSmnS aus, welchem sie vorzüglich angehört, für die nothwendige Folge einer sehr einseitigen, unkritischen und die Wirklichkeit nicht in der Tiefe fassenden Art zu denken erklären. Allerdings hat ein zweites Motiv, und zwar ein an sich voll­ ständig berechtigtes, mitgewirkt, Abneigung gegen den Anthropo­ morphismus. Man glaubte durch das Attribut der Persönlichkeit das Absolute nicht nur zu verendlichen, sondern ganz speciell zu ver­ menschlichen. Und wir geben unbedingt zu, daß diese Abneigung nicht nur eine wissenschaftliche sondern sogar eine tiefe religiöse Be­ rechtigung hat; ja sie hat das Verdienst, erst einen reineren Mono­ theismus zu ermöglichen, der für die höchste Gestaltung der Religio­ sität unentbehrlich ist. Ist Gott der absolute LebenSgrund, so ist er auch durch eine unüberschreitbare Gränzscheide geschieden in seinem Wesen von der Welt als dem Nichtabsoluten; ist nun die Persön­ lichkeit eine Form der endlichen Existenz, wie sollte sie, wenn sie auch die höchste ist, übertragbar sein auf Gott? Ist das nicht eine völlig verwirrende und ungehörige Uebertragung, macht sich hiemit nicht der Mensch ein Phantasiebild von dem Absoluten, daS er nur von sich selbst hernimmt? So reflektirte der Pantheismus. Und eS ist ihm unbedingt Recht zu geben gegen eine unmittelbare Uebertra­ gung der Persönlichkeit in ihrer empirisch-menschlichen Aus­ prägung auf Gott. Denn es bleibt unumstößlich: die Lebensform deS Endlichen kann nicht die Lebensform deS Absoluten sein. Da

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nun das unwissenschaftliche Bewußtsein allerdings naiv genug zu Werke geht und ohne Skrupel das menschliche Geistesleben einfach auf Gott überträgt, da ferner auch die wissenschaftlichen Versuche sowohl die von rationalistischem als auch die von supranaturalistischem Charakter sich meist denselben Mißgriff in ausgedehntem Maaße zu Schulden kommen ließen, so ist eö nicht zu verwundern, daß im Interesse eines dem wissenschaftlichen Denken genügenden Gottesbegriffs die Persönlichkeit als mit ihm unverträglich bekämpft wurde. Man machte aber den naheliegenden Mißgriff, daß man sich gegen die Persönlichkeit selbst wandte statt gegen die allzumenschliche Fassung derselben. Man vergaß zu untersuchen, ob nicht in der Persönlichkeit etwas liege, was keineswegs auf end­ liche Wesen beschränkt sein müsse, setzte vielmehr voraus, daß dies gar nicht anders sein könne. Und von dieser Voraussetzung auS mußte freilich eine absolute Persönlichkeit als ein hölzernes Schür­ eisen erscheinen. Die Voraussetzung aber ist eben nicht richtig und würde nie so hartnäckig festgehalten worden sein, wenn nicht schon zum Voraus immer festgestanden hätte: das Absolute ist das Allge­ meinste, der abstrakteste Begriff. Im Begriff der Persönlichkeit an sich liegt noch Nichts, was ihn auf das Gebiet des Endlichen beschränken müßte. Gehen wir vom Menschen aus und fragen wir, was ihn eigentlich zur Person macht. ES ist seine That. Denn was Einer durch seine That, durch sich selbst geworden ist, das ist er als Person im Gegensatz vom bloßen Naturprodukt. Und je mehr Einer seiner selbst mächtig, weil sein eigenes Produkt wird, um so mehr nähert er sich dem Dollbegriff der Persönlichkeit. Es ist ein Irrthum, wenn man das Wesen der Persönlichkeit in einen Akt des Wissens, in das Selbst­ bewußtsein setzt, während dieser Akt sich vielmehr herausstellt als die bloße Möglichkeit der Personbildung im Gebiete des Endlichen. Mit welchem Rechte wir unsere offenbar dem Gegensatz des End­ lichen angehörende Form des SelbstbewnßtwerdenS auf Gott über­ tragen wollen, sehe ich nicht ein. Wenn nun aber nicht das Selbst-

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bewußtsein, wie es im Menschen vorliegt, sondern die Selbstbestim­ mung und Selbstmacht das eigentliche Wesen der Persönlichkeit ist, sollte alsdann dieses Attribut nicht für das Absolute passen? Es drängt sich vielmehr die Ueberzeugung aus, daß dasjenige kein Absolutes wäre, jedenfalls nicht in dem Sinn eines absoluten Lebenögrundes der Welt, welches nicht sich selbst bestimmt und dessen Verhältniß zu allem Seienden nicht rein auf seiner Selbstbestimmung ruht. Ja wenn wir darauf sehen, wie der Mensch erst allmählig Person wird, und es also im vollen Sinne noch gar nicht ist, so wagen wir den Satz auszusprechen und gegen alle Welt zu verthei­ digen: im vollsten, im eigentlichen Sinne ist eben nur Gott Person und ein endliches Wesen kann Person immer nur in sehr relativem Sinne sein, weil das Endliche zu keiner andern als zur relativen Selbstständigkeit gelangen kann, zu einer Selbstbestimmung, welche auf Grund einer Bestimmung ruht, zu der es sich von Hause aus rein passiv gestellt sieht, während es dem Wesen des Absoluten entspricht, durch und drrrch seiner selbst mächtig zu sein, ohne irgend welche Heimarmene in sich oder über sich zn haben. Wir finden also keinen Widerspruch darin, wenn wir Gott als rein sich selbst bestimmend setzen, dessen Lebensfülle und dessen Wollen einander vollständig durchdringen, so daß Nichts in ihm gesetzt ist anders als durch seine Selbstbestimmung und seine Selbstbestimmung rein etwas Anderes ist als die in sich selbst befriedigte, auf sich selbst gestellte Selbstverwirk­ lichung. Gott ist uns nothwendig zu denken als Urpersönlichkeit, als Geist im unvergleichlichen Sinne, an dessen Wesensverwandtschast wir allerdings Theil haben, so weit es der Charakter der Endlich­ keit überhaupt zuläßt. Es ist der erste und grundlegende Schritt von der Welt zu Gott, wie auf ihn auch das populäre, ungeschulte Denken hindrängt, daß wir ihn als den sich selbst bestimmenden oder absoluten LebenSgrund des Weltganzen erkennen. Gehen wir von der Einen organischen Weltthatsache aus, so ist ein solcher Le­ benSgrund das folgerichtige Ergebniß unsers Denkens. Dieses Auf­ steigen von der Weltthatsache, und zwar von ihrem endlichen Wesen

151 zum Absoluten als ihrem LebenSgrund ist das Wahre am sog. kosmologischen Beweis für das Dasein Gottes. Vergegenwärtigen wir ihn uns in der ohne Zweifel besten Form, wie er sie von Leibnitz erhalten hat. Was wir wahrnehmen, ist endlich, das Endliche aber ist zufällig d. h. eS hat keinen Grund in sich, der sein Dasein nothwendig machte. Jedes endliche Ding hat seinen Grund in einem andern endlichen, so daß man in der Reihe deS Endlichen doch immer nur zu einem Grunde gelangt, welcher selbst wieder der Begründung bedarf. „So muß man also den Grund des Daseins der Welt, dieser ganzen Sammlung der zufäl­ ligen Dinge, aufsuchen und man muß ihn suchen in dem Wesen, welches den Grund seiner Existenz in sich selbst trägt und welches demzufolge nothwendig und ewig ist." Aus der Zufälligkeit oder Contingenz der in der Erfahrung ge­ gebenen Dinge (und Zustände) wird auf ein absolut Nothwendiges geschlossen, das seinen Grund in sich selbst hat und der einzig zu­ reichende Grund der ganzen Summe jener endlichen und zufälligen Dinge ist. Auch in dieser feinen und scharfsinnigen Form ist der Beweis nicht strikt und haltbar. Denn es erhebt sich alsbald die Frage, ob die Contingenz ein dem Wesen inhärirendeö Attribut der Dinge sei oder etwa nur ihrer Erscheinung angehöre, also als Schein adhärire. Und dies wendet -der Pantheismus wirklich ein, welcher behauptet, daß die Contingenz eben nur der Vielheit der Weltdinge angehöre, daß dagegen die eigentliche Weltsubstanz in ihrer kompakten Einheit den Grund ihres Daseins allerdings in sich selbst trage und daß über sie hinauszugehen keine Ursache fei. Würde aber auch im Beweise erst sicher gestellt, daß die Contingenz den Weltdingen wesentlich sei, so würde aus der Contingenz weder der einzelnen Dinge noch ihrer Gesammtzahl die Nöthignng für unser Denken hervorgehen, zu einem absoluten Wesen außer der Welt zurückzugreifen. Denn setzen wir auch, daß die gesammte „assemblage“ der Weltdinge den Charakter der Contingenz an sich trage, also ihren Grund nicht in sich habe, so ist das Denken doch noch

152 nicht genöthigt, über die unendliche Reihe der endlichen Dinge hin­ auszugreifen, so lange die Welt als Conglomerat einzelner Dinge, eben daher als Reihe, die in sich weder organischen Zusammenhang noch organisches Maaß hat, nicht aber als Ganzes betrachtet wird. Sobald wir allerdings die Thatsache zum Ausgangspunkt nehmen, daß das Weltganze auch als Ganzes, als Organismus den Charakter der Endlichkeit an sich tragen muß, somit den Grund seines Daseins nicht in sich selbst haben kann:

sobald ist daö Denken genöthigt,

ein Absolutes vorauszusetzen, ein rein Setzendes, das in sich selbst seinen Grund hat und seiner selbst mächtig ist, Willen oder Gott als Persönlichkeit.

einen absoluten

Denn so wird sowohl die

Ausflucht des Pantheismus, daß die Endlichkeit nicht die Welt nach ihrem innersten Wesen sondern nur nach ihrer Erscheinung angehe, als auch der vexirende Einwand des Rückgangs in's Unendliche ab­ geschnitten. Wir finden also den Fehler des koSmologischen Beweises darin, daß er abstrakt vom Begriff der Zufälligkeit statt vom Nach­ weis der wesenhaften Endlichkeit der Welt ausgeht und wiederum atomist!sch an den Weltdingen in ihrer Vereinzelung hängen bleibt und sich nur zu dem Begriff der Welt als einer Summe von Weltdingen erhebt.

So kommt es, daß im koSmologischen Beweis das

Denken gleichsam ermüdet, die unendliche Reihe der endlichen Ur­ sachen zu durchlaufen, sie gewaltsam und ganz unberechtigt abbricht und statt der Fortsetzung jener auf eine absolute Sache überspringt, von der nun vollends nicht zu erkennen ist, wie das Denken dazu kommt, sie als Gott im Sinn eines persönlichen Wesens zu fassen. Würde der koSmologische Beweis auch wirklich reichen bis zu einer absoluten Ursache außerhalb der Welt, so hätte das Ausgehen vom abstrakten Begriff der Zufälligkeit d. h. des außer sich seinen Grund Habens der Weltdinge immer noch die Folge, daß der nackte CausalitätSbegriff auf den Thron Gottes gesetzt wird, und daß der Beweis nicht weiter führt als zum äußerlichsten Deismus, zur Förderung einer ersten nicht wegzudenkenden außerweltlichen Ursache. Da wir den ersten der sogenannten Beweise für das Dasein

153

Gottes so eben einer Kritik unterzogen haben, und es Manchem alS ziemlich überflüssig erscheinen dürste, heutzutage noch diesen Beweisen als gründlich abgethanen Dingen eine ernsthafte Auf­ merksamkeit zuzuwenden, so nehmen wir Gelegenheit unS zu recht­ fertigen und zugleich das Nöthige über diese Beweise überhaupt zu sagen. ES ist wahr, sie gehören einer hinter unS liegenden Periode der Wissenschaft an und die von ihnen prätendirte Beweiskraft wird nur noch von den Nachzüglern der geistige» Bewegung und in den Kreisen des populären RaisonnementS anerkannt. Sie sind steife Produkte eines logischen Formalismus, welcher einen schon fertigen Inhalt des Denkens dem Subjekt durchsichtig machen und beweisen will. Einer solchen Geistesrichtung erscheint der logische Schematis­ mus als der Zauberstab, der dem Fels des unantastbar Gegebenen die Wasser der Erkenntniß entlockt. Und so erschien die demonstra­ tive Form, der Schluß, an den Beweisen für das Dasein Gottes als ihre Hauptstärke, weil sie das Denken mittelst dieser logischen Operation zu zwingen schienen, das zum Voraus festgestellte Resul­ tat gelten zu lassen. Wir sehen jetzt in dieser Ueberschätzung der Denkformen eine bedenkliche Schwäche, weil sie die Schärfe des Denkens von der Sache ab- und der logischen Form zuwandte. Kommt denn nicht Alles auf den Obersatz an, auf die Realität oder Nichtrealität der Begriffe, auf welche das Schlußverfahren gegründet wird? Enthält der Obersatz Voraussetzungen, welche entweder gar nicht zugegeben werden können oder ganz anders gestaltet werden müssen, wenn sie die Unterlage eines nicht bloß formell sondern auch materiell richtigen Schlusses werden sollen, welche aber nach dem Verfahren jener Beweise jedenfalls ganz unbewiesen dastehen, so ist der Schluß ganz problematisch, also werthlos. Und wie dieses bloß raisonnirende Denken nicht in die Tiefen der Voranssetzungen hinabsteigt, weil es nicht kritisch gegen sich selbst gewendet ist und den Ausgangspunkt seines Verfahrens allzu oberflächlich nimmt, so nimmt es andererseits auch das zu beweisende Ziel allzu getrost und

154 selbstgewiß in Aussicht. dem Denken

ES wird int Grunde das zu Beweisende von

schon vorausgesetzt, das Dasein Gottes.

Implicite

wird auch das Wesen Gottes als bereits bekannt und dem Denken feststehend vorausgesetzt, als wäre da gar Nichts zu untersuchen und in Frage zu stellen, oder als könnte man hinterdrein in aller Ge­ mächlichkeit eine Explikation des Wesens geben, nachdem erst für daS Dasein der formelle Beweis geführt ist.

Man fetzt also ganz

unbefangen nicht nur die Existenz Gottes, sondern auch seinen Be­ griff genau so voraus, wie er im Resultat des Beweisverfahrens auftritt. Ein nicht minder bedenklicher Mangel dieser Beweise ist auch der, daß es immer nur einzelne abrupte Gedanken, abstrakte Begriffe oder vereinzelte Thatsachen sind, von denen aus der Schritt zur Gewißheit der Existenz Gottes als eines „höchsten, vollkommensten Wesens" gemacht werden will.

Auf diesem Weg sporadischer Be­

trachtungsweise ist aber Nichts auszurichten.

Zwar ist richtig, daß

in jedem Strohhalm ein Ausgangspunkt gegeben ist, der den mensch­ lichen Geist auf Gott Hinweisen kann.

Aber für das wissenschaft­

liche Denken genügt es nicht, die vereinzelten Ausgangspunkte als solche benützen zu wollen.

Sie müssen vielmehr als Momente des

Ganzen in Betracht gezogen werden und nur die Weltthatsache in ihrer ganzen Breite und nach ihren verschiedenen Seiten ist der richtige Ausgangspunkt für das Denken, wenn es zu einer festen Ueberzeugung von Gott führen soll.

Und dabei können Dasein und

Wesen Gottes nicht als zwei zu trennende Seiten der Untersuchung auftreten, sondern die Vergewisserung von seinem Dasein und das Eindringen in sein Wesen geschieht in Einem Akte.

Es gibt für unö keine Beweise mehr, sondern nur noch

Einen Beweis oder besser ein Aufzeigen Gottes und seines Wesens auf dem Weg der Folgerung aus der Weltthat­ sache.

Diese sog. Beweise für daS Dasein Gottes wollen, obwohl

sie untereinander in keinem organischen Zusammenhang stehen, doch einander ergänzen und gemeinsam das Resultat stützen.

Wir haben

155 sie auch wirklich anzusehen als die losen Bruchtheile, deren schlimm­ ster Fehler eben in ihrer Zusammenhangslosigkeit liegt. Das Ma­ terial dieser Beweise ist gut; es zeugt dafür die Thatsache, daß der reflektirende Verstand immer wieder dieselben Wege einschlägt. ES ist aber nöthig, daß das Material derselben unter Auffassung ihres inneren Zusammenhanges zu einem organischen Gedankengang ver­ wendet wird. Dies nun daß die Beweise als solche zwar veraltet sind, nicht aber das Material derselben, legt uns die Pflicht auf, über dieselben nicht stillschweigend hinwegzugehen, vielmehr ihre An­ knüpfungspunkte für eine höhere Gestaltung aufzuzeigen. Daß die Existenz Gottes nicht abgesondert könne bewiesen wer­ den, daß ihre Erkenntniß vielmehr zusammenfalle mit der Erkenntniß deS göttlichen Wesens: das ist uns gemeinsam mit dem idealistischen Pantheismus. Trotzdem aber können wir ihm in feiner Parteinahme für den sog. ontologischen Beweis des Daseins Gottes gegen die übrigen gar nicht beistimmen, wir sehen vielmehr in dieser Bevor­ zugung nur die nothwendige Folge deS schiefen erkenntnißtheoretischen Standpunkts, auö dem der Pantheismus erwachsen ist und immer wieder erwächst. Da es von hohem Werth ist, dies nachzuweisen und sich eine Beurtheilung des ontologischen Beweises besonders gut dazu eignet, so gehen wir auf denselben ein. Cartesius hat ihn, indem er ihn noch schärfer logisch zuspitzen wollte, nur verschlechtert. Er ist eine ächte Frucht des scholastischen Realismus und hat feine klassische Form gleich vom Vater der Scholastik erhalten. Anselm von Canterburh kalknlirt so: die Idee eines allervoll­ kommensten Wesens ist in jedes Menschen, auch des gottesleugnerischen Thoren, Verstände. Sie existirt also jedenfalls ideell. Ist aber dies der Fall, so ist darin schon auch enthalten, daß sie reell (in re) existirt. Denn wäre das denkbar Größte nur ideell vor­ handen (in intellectu), nicht aber auch reell (in re), so wäre es eben nicht mehr das denkbar Größte, da ein zugleich reell Existirendes größer wäre. Es widerspräche also diese Annahme dem Begriff

156 des allervollkommensten Wesens. Folglich muß dieses, da eS ideell existirt, auch reell existiren. Man muß sich zum richtigen Verständniß dieses Beweises, der uns freilich fremdartig anmuthet, in die scholastische Denkweise hin­ einversetzen. Da dieselbe dem BegriffSrealiSmuS huldigt, ihr also der Inhalt ihrer Begriffe, sowie sie das Denken gestaltet, unmittelbar real, ja das eigentlich Reale ist, so ist ihr das esse in intellectu etwas Anderes als was wir unter ideeller Existenz verstehen. UnS ist die ideelle Existenz eine subjektive, und eine bloß ideelle Existenz der Gegensatz zur Wirklichkeit, zur Realität. Dem scholastischen Realismus ist hingegen die ideelle Existenz ebenfalls eine sehr reelle, daS esse in intellectu ein wirkliches esse und das esse in re keineswegs die gesammte Realität, sondern nur eine Zugabe zu der­ jenigen Realität, welche ein Begriff schon alS Begriff oder in in­ tellectu hat. So steht und fällt also der ontologische Beweis mit dem Stand­ punkt des Begriffsrealismus. Denn sobald man erkennt, daß un­ sere Begriffe nicht als solche das Reale sind, daß vor Allem die Form der menschlichen, in bloßer Abstraktion sich bewegenden Denk­ operation abzuziehen ist, daß aber auch der Inhalt als solcher erst einer Kritik unterzogen werden muß: sobald sieht man, auf wie unhaltbare Voraussetzungen dieser Beweis gegründet ist. Der Geist der neueren Zeit ist diesen Voraussetzungen so sehr entfremdet, daß selbst der Idealismus es nicht mehr über sich gewonnen hat, den ontologischen Beweis in seiner demonstrativen Form zu vertheidi­ gen, so konsequent diese auch aus dem realistischen Standpunkt hervorgeht, daß sie ihm vielmehr etwas Anderes supponirte, wobei freilich der Grundschaden nur vollends zu Tage gekommen ist. Denn Hegel setzt an die Stelle: Denken und Sein ist in Wahrheit Eines, die wahre Realität ist der Begriff; denke ich also das absolute Wesen, so offenbart eS ja eben in meinem Denken seine Realität, eS kommt ja in mir thatsächlich zum Bewußtsein. Hier geht also alle objektive Realität im Denken auf, noch weit mehr als im scho-

157 lastischen Realismus; die Welt, auch Gott, verflüchtigt sich zur Idee, welche im Subjekt zum Bewußtsein kommt und in ihm, wenn nicht seine einzige, so doch seine volle und adäquate Existenz hat, die- des Begriffs. Kant ist nicht sehr zart mit dem ontologischen Beweise umge­ gangen. Er hat ihn persiflirt durch die Parallele von 100 vorge­ stellten und 100 wirklichen Thalern. Dies zeichnet zwar genau den Standpunkt des KriticiSmus, von welchem aus er an diesen Beweis herantritt, aber eS bezeugt, daß er den Schwerpunkt des ontologischen Beweises nicht zu finden wußte. Auch Anselm war weit entfernt, jeder Vorstellung Realität zuzuschreiben; nicht irgend welche Vor­ stellung, sondern den Begriff, das erfaßte Wesen der Dinge setzt er als real in intellectu; wie natürlich also daß ihm der we-, senhafteste und höchste Begriff, der Gottes, nicht in Parallele mit 100 Thalern treten konnte, die meiner Phantasie vorschweben. Der durchaus entgegengesetzte erkenntnißtheoretische Standpunkt machte Kant unfähig, dem ontologischen Beweise gerecht zu werden. Er hält ihn für ein pures scholastisches Kunststückchen, das bei näherer Beleuchtung sich in ein Nichts auflöst. So weit sind wir nicht im Stande in der Verwerfung deS ontologischen Arguments zu gehen. Obwohl wir nicht etwa nur die Beweisform, wie Hegel, sondern den ganzen erkenntniß-theoretischen Standpunkt verwerfen, in welchem der Beweis wurzelt, so erkennen wir dennoch einen tiefen Gehalt in ihm an, der von anderem Stand­ punkt aus anders zu verwerthen ist, aber ein wesentliches Moment in der Gewinnung einer philosophisch gegründeten Gotteserkenntniß ausmacht. Es ist ja wahr und eine der deutlichsten Gottesspuren, daß unser Denken Gott schon in seinem Wesen trägt, daß es in ihm allein seinen Abschluß finden kann und darum alles Denken mit innerer Nothwendigkeit die Richtung auf Gott nimmt. DaS ist eine psychologische Thatsache, welche freilich nicht in ihrer Vereinze­ lung verwerthet werden kann, dagegen von hohem Gewicht wird, wenn sie als ein Moment deö endlichen Geistes in Parallele und

158 Zusammenhang damit gesetzt wird, daß auch die sittliche und religiöse Seite des menschlichen Geistes Gott, und zwar kein Abstraktum son­ dern einen ganzen conkreten Gott, voraussetzen. Daö Alles sind einzelne Momente der großen Weltthatsache, von welcher auS für uns der allein sichere Weg zur Erkenntniß Gottes führt. Es begreift sich leicht, wie der BegriffsdogmatiSmns dazu kommt, in seiner Denkarbeit „a priori“ mit Gott anzufangen, um im Pantheismus zu enden. Und eben diese leicht zu gewinnende Erkenntniß treibt unS den entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Der Begriffsdogmatismus sucht nach dem allgemeinsten, weil in seinen Augen realsten und grundlegenden Begriff. Hat er ihn, so glaubt er in ihm Gott zu haben. Und von ihm als der höchsten Abstrak­ tion steigt er sofort herab zur Conkretheit der Welt, und Gott und Welt verhalten sich ihm wie Abstraktion und Conkretum. Da ist Gott freilich für das Erkennen das Erste und Nächstliegende, ja seine Erkenntniß ist auch die allereinfachste und klarste, wie Spinoza sagt, daß man das Wesen Gottes so klar erkennen könne, wie die Wahrheit, daß die Winkel eines Dreiecks gleich zwei rechten seien, — natürlich, da Gottes Wesen weiter Nichts sein soll als der ab­ strakteste, inhaltsloseste Begriff, während die Welt erst den uner­ schöpflichen Reichthum des Seienden dem Denken aufschließt. Wir unsererseits glauben, es könne bei dieser Methode, dem Weg von Gott zur Welt ohne gewaltige Luftschritte nicht abgehen, und anstatt uns von der Idee Gottes aus eine Welt zu construiren, gehen wir lieber von unserm Weltbewußtsein aus, suchen die Welt zu begreifen in ihrer gegebenen Conkretheit und steigen auf festem Grunde endlich auf zu Gott, der uns dann nicht mehr als das Abstraktum son­ dern als das Conkreteste alles Conkreten sich erweisen wird. Auch wir verkennen es nicht, daß der Gottesgedanke in unserem Geiste vorliegt, ehe wir an unsere Gedankenarbeit gehen, ja wir vermuthen auch, daß unser Denken zu ihm führen werde, weil es einen so tiefen Zug nach ihm bekundet. Aber wenn wir anfangen, wissenschaftlich zu denken, so dürfen wir Gott nicht voraussetzen,

159 wir müssen unsern etwa vorhandenen Gottesbegriff, wie die bloßen Vorstellungen von ihm, als nicht vorhanden betrachten: da dürfen wir nicht zum Voraus wissen, daß und was er ist. Das ist viel­ mehr gerade durch den Proceß wissenschaftlichen Denkens zu ergrün­ den. Für unser Denken liegt uns Gott am allerentferntesten, wenn es methodisch und nicht sprungweise zu Werke gehen will. Selbst­ bewußtsein, Weltbewußtsein, Gottesbewußtsein: das ist die richtige Folge, wenn wir auf das uns Gegebene bauen und dabei zugleich die Möglichkeit kritischer Untersuchung haben wollen. Wir verfallen damit nicht einem rohen und leichtgläubigen Empirismus. Gerade das Ausgehen vom Gegebenen nöthigt uns vielmehr zu kritischer Arbeit, da wir nnS aus dem unmittelbaren subjektiven Eindruck zur objektiven Realität durchzudringen haben, und jener kritische Zug, den Kant unserm modernen philosophischen Denken eingeimpft, darf nicht nur nicht wieder verschwinden, sondern eben er muß erst recht zu seiner Entwickelung und damit zu positiveren Resultaten kommen. Was gegeben ist, muß erst auf seine Objektivität untersucht werden. Eben diese Untersuchung (aber nicht in der Kant'schen Beschränkung auf das erkennende Subjekt) des Gegebenen ist der rechte Anfang der philosophischen Weltbetrachtung, nicht aber das idealistische Ueberbordwerfen des Gegebenen. Gegen das bloß Gegebene wendet sich die Reflexion und arbeitet aus dem, was zunächst, reflexionsloser Begriff unsers Bewußtseins ist, einen kritisch gereinigten und ge­ sicherten Besitz heraus und läßt uns so durchdringen zum realen Gehalt unsers Selbstbewußtseins, der breiten Grundlage un­ sers Gottesbewußtseins. Für unser wissenschaftliches Denken, für das Forschen ist unö, sagen wir, Gott das Fernste. Allerdings kennen wir auch eine Ver­ bindung unsres Geistes mit Gott, in welcher eben Er unsrem Geiste der Nächste ist, auch ein unmittelbares daraus fließendes Gottes­ bewußtsein. DaS ist die religiöse Seite unsres Geisteslebens. Wir besitzen ein gemüthliches Bedürfniß Gottes; es regt sich in uns ein Instinkt, der uns zu ihm hintreibt und auch auf unsern Denkproceß

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seinen Einfluß übt. Also in dieser Beziehung ist unS Gott der nächste und ganz unmittelbar mit unS verbundene; und wo immer die religiöse Anlage sich entfaltet, da erschließt sich auch zugleich mit einem persönlichen Verhältniß zu Gott ein unmittelbares Ahnen und Wissen GotteS. Ja wenn diese unmittelbare Beziehung zu Gott nicht zu unsrem Geisteswesen nothwendig gehörte und auf'S Unmit­ telbarste und vor aller Reflexion auf Gott im religiösen Bedürfniß sich entfaltete, so kämen wir schwerlich jemals zu einem philosophi­ schen Bedürfniß, Gott und die Welt mit unsren Gedanken zu um­ fassen. Gerade diese religiöspraktische Gewißheit von Gott fördert auch ein Erheben in daS denkende Bewußtsein. Wenn eS sich nun aber darum handelt, wo der Ausgangspunkt für daS Denken soll genommen werden, so sinkt daS unmittelbare religiöse GotteSbewußtfettt zu einem einzelnen psychologischen Phänomen für unsre Unter­ suchung herab und muß erst in einen größeren Complex von That­ sachen außer und in unS gestellt werden, damit es Moment objekti­ ver Erkenntniß werde und zugleich auf diesem Wege seine reflektirte Gewißheit, Berichtigung und Bestätigung zugleich empfange. Für unsre Untersuchung gibt eS keine andere Gränze als die Gränze der Welt. Die gesammte Weltthatsache ist es, von welcher aus der Gang des Denkens zu Gott als ihrer Voraussetzung gemacht wer­ den muß; die gesammte innere und äußere Erfahrung ist eS (mit Einschluß der religiösen Anlage), von welcher aus das Denken sich allein sicher zu Gott erheben kann. Somit ist für das Denken im philosophischen Sinn Gott in der That nicht das Erste, sondern das Letzte, und sein Weg geht, wo es nicht bloß lehrend darstellen, son­ dern untersuchen, forschen will, nicht von Gott herab zur Welt, son­ dern von der Welt hinauf zu ihrer letzten unentbehrlichen Voraus­ setzung. DaS apriorische Construiren ist bereits zur Seltenheit geworden und wird es immer mehr werden, weil sich die idealistische Richtung in der Philosophie erschöpft hat. Das ist aber nicht unser einziger Feind. Wir haben noch entschiedener Front zu machen gegen einen

161 andern, der gegenwärtig noch in weit höherem Kredit steht und dessen Macht noch im Wachsen begriffen scheint, gegen den Naturalis­ mus mit seinem sensualistischen Grundsatz, daß das Den­ ken auf das Wahrnehmbare beschränkt sei, und daß seine ganze Bedeutung sei, was sich durch die Wahrnehmung darbiete, in Richtung,

Form von Vorstellungen zu fassen.

Diese

die das Denken nicht mehr als das Fassen des idealen

Gehalts der Dinge gelten läßt, sondern nur noch von Vorstellungen und subjektiven Beziehungen derselben weiß, negirt eigentlich ein Be­ greifen der Welt im Princip und führt weiter zu dem Wahn, Gott könne mit dem Gedanken gar nicht gefaßt werden, weil er nicht dem Gebiet der Sinnlichkeit angehöre, er liege über die Sphäre des Den­ kens hinaus,

welche nur das Wahrnehmbare umfasse.

Liegt schon

hierin die Behauptung, daß wenigstens für uns nichts Weiteres existire als das Sinnliche,

so ist die weitere Steigerung, welcher

nicht auszuweichen ist, daß auch objektiv betrachtet nur Sinnliches, keinerlei UebersinnlicheS existirt.

Man gelangt also consequeut

bei'der materialistischen Leugnung Gottes nicht nur im theistischen

sondern auch im pantheistischen Sinne an,

beim completen Atheismus. Aus jenem oben angeführten Grundsatz folgt nämlich die grundverkehrte Annahme, daß es im Sinnlichen gar keinen geistigen Ge­ halt gebe, daß vielmehr das Sinnliche nur als Sinnliches, nur so wie cs in der Wahrnehmung sich gebe, existire.

Da kann ja noch

weniger ein Geistiges über die sinnliche Erscheinung hinaus zugestan­ den werden. Allein ein richtig vollzogener philosophischer Gedankenproceß er­ gibt vielmehr, daß auch die gesammte sinnliche Welt nichts Anderes ist als die Verkörperung einer Geisteswelt, daß auch sie Nichts ist als objektivirte Gedanken.

Wir haben eine übersinnliche Welt mitten

in der sinnlichen, die Sinnenfälligkeit ist nur ein Moment am Uebersinnlichen; wäre es nicht so, so hätten wir, worauf auch der Sen­ sualismus eigentlich hinauskommt, am Sinnlichen nnr eine Masse Spath, Welt und Gott,

H

162 sinnloser und leerer Erscheinungen. Macht aber daS Geistige den eigentlichen WesenSgehalt auch des Sinnlichen aus, so ist die natür­ liche Consequenz, daß das Denken eben darin seine Aufgabe hat, uns über das bloß Sinnliche d. h. über die bloße Erscheinungswelt hinaus und in die Realität der Dinge einzuführen. Folglich ist nicht einzusehen, warum nicht der Abschluß dieser Geisteswelt bis in ihren höchsten Einigungspunkt zurück zur Macht des Denkens gehö­ ren soll. Vielmehr wird sich mit Recht sagen lassen, daß unser Denken sich als werthlos und seines höchsten Interesses beraubt darstellen würde, sobald wir ihm das höchste Ziel als ein nicht er­ reichbares absprechen müßten. Auch nach dieser Seite hin stellt sich heraus, daß eine falsche Erkenntnißtheorie die fruchtbare Mutter von folgenschweren, ja verheerenden Irrthümern ist, wie dringend nöthig es daher für alle Wissenschaften, welche Fragen philosophischer Art nicht umgehen können, und für die Philosophie in erster Linie ist, in den Besitz einer tieferen, die einseitige Wahrheit des Idealismus und des Sensualismus verbindenden Erkenntnißtheorie zu gelangen. Unser Standpunkt, wie er schon aus dem Bisherigen ersichtlich ist, bringt es allerdings mit sich, daß wir auf eine absolute Erkenntniß Gottes verzichten müssen und nur von einer relativen reden können, relativ nicht nur was die Klarheit und Durchsichtigkeit unsres ErkennenS betrifft, sondern auch hinsichtlich des Umfangs und des ganzen Standpunkts, von welchem aus es uns allein vergönnt ist Gott zu erkennen. Da wir von der Welt­ thatsache ausgehen müssen und uns Gott nicht außerhalb der Welt­ thatsache, sondern nur in ihr gegeben ist, so kann er von uns auch nicht so gefaßt werden wie er an sich ist, sondern nur so wie er in der Welt und für die Welt, und zwar für diese empirisch vorliegende Welt, ist oder so weit als er Voraussetzung dieser Welt ist, welche wir ohne ihn so und so vorauszusetzen nicht be­ greifen könnten. Weil er für unser Denken nur erreichbar ist von der Welt aus, so ist er für unser Denken Objekt auch nur in seinem Zusammenhang mit der Welt und erkennbar nur, so weit als er in

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diesem Zusammenhang steht. Wir erkennen ihn nur nach der Welt­ seite hin, nur als die Grundvoraussetzung der Welt. Allerdings ist damit unser Spekuliren über Gott in bescheidene Gränzen ge­ wiesen und ein recht unscheinbares Ding im Vergleich zu den An­ sprüchen des Idealismus auf eine absolute Erkenntniß Gottes. Aber allzuenge ist das Maaß denn doch nicht. Denn wenn die Fülle Gottes in der Welt ihre, wenn auch endliche und darum nicht erschöpfende, Manifestation findet, so ist ja doch eine sehr reale Er­ kenntniß Gottes möglich und eine solche, welche wie die Manifesta­ tion der göttlichen Fülle in der Welt selbst einer unbegränzten Stei­ gerung fähig ist. Aber nicht nur theoretisch kann der Mensch in solcher relativen Gotteserkenntniß seine Befriedigung finden, sondern auch praktisch wird sie vollständig genügen, da wir es -in ethischer Beziehung mit Gott eben nur sofern zu thun haben als er sich in der Welt, somit in Beziehung auf uns erschlossen hat. Indem wir so die Mitte halten zwischen einem hochfliegenden Idealismus, der mit seiner Prätension absoluter Gotteserkenntniß einer schwindelnden Selbstüberhebung zutreibt und einem bornirten Empirismus, der in rohem Atheismus endigt, bewahrt uns das Bewußtsein von der Re­ lativität unsrer Erkenntniß Gottes in der Demuth; ein solches Wissen bläht nicht auf. Und wen etwa eine solche Selbstbeschei­ dung sauer ankommen sollte, der bedenke, wie sie ihm die Befreiung von allerlei Fragen gewährt, die das menschliche Denken vexiren und der Natur der Sache nach zu keiner Entscheidung kommen kön­ nen, z. B. wie es sich mit der Allwissenheit Gottes verhalte im Ver­ hältniß zu seinem Willen, ferner ob es denkbar sei, daß Gott keine Welt geschaffen hätte, ferner ob es eine Zeit gab, da Gott ohne die Welt war, ferner wie eö in Gott steht mit Freiheit und Noth­ wendigkeit, und Aehnlicheö mehr. Von unsrem Standpunkt'aus ist kurz zu sagen, es sei uns nicht gegeben in solche scholastische Fragen einzutreten, welche über den Zusammenhang Gottes mit der uns gegebenen Welt hinausliegen, sie seien daher von uns gar nicht aus­ zuwerfen, indem wir nicht theocentrisch, sondern nur anthropocen11 *

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Irisch denken und nicht, um mich anthropomorphistisch auszudrücken, eine Physiologie und Psychologie Gottes aufstellen können. So hätten wir denn von der Weltthatsache aus, zunächst ganz im Allgemeinen, Gott erkannt als den Lebensgrund und als solchen, der sich rein aus sich selbst bestimmend und seiner selbst mächtig d. h. als absoluter sich zur Welt als seinem reinen Produkt verhält und in einem Verhältniß zu ihr steht, welches in keiner Weise die Welt als das wesentliche Correlat Gottes oder Gott als der Welt bedürf­ tig erscheinen läßt, da er sonst nicht der Absolute, seiner selbst Mäch­ tige und die Welt nicht im vollen, dem Absoluten entsprechenden Sinne sein Produkt wäre. Wir haben zugleich die Möglichkeit einer Entscheidung zweier Fragen gewonnen, welche für die neuere Zeit unter den philosophisch-theologischen Problemen obenan stehen, näm­ lich ob Transscendenz oder Immanenz Gottes und ob Evo­ lution oder Schöpfung? Die erste Frage wollen wir zurücklegen bis zum neunten Abschnitt, da dort ohnehin eingehend vom Imma­ nenzstandpunkt die Rede sein muß. Die andre hingegen ist hier zu behandeln, da, wer sie stellt, im Grunde nichts Anderes zu wissen begehrt als: wie Gott sich als den Lebensgrund der Welt beweise oder wie seine Causalbeziehung zur Welt näher zu denken sei? Die Endlichkeit der Welt prägt sich in den beiden Existenzfor­ men des Raumes und der Zeit aus. Indem sich die Welt als zeit­ räumliche unsrer äußern und innern Anschauung darbietet, entsteht unwillkürlich eine optische Täuschung. Unsrem Auge stellt sich das Wahrgenommene in einem geschlossenen Horizonte dar; wir haben eine optische Weltgränze. Diese optische räumliche Weltgränze er­ weitert sich allmählig, aber es gibt sich uns für unser Vorstellen die Welt immer noch unter der Form eines erweiterten Horizonts. Auch die Zeitlichkeit der Welt gibt sich uns für unser Vorstellen in Form einer optischen Täuschung. Wir erfahren das Werden an den einzelnen Weltdingen in Form von Entstehen und Vergehen; wir wenden ans jedes Ding das Schema des Nochnichtseins, des Seins und des NichrmehrseinS an. Indem wir das auf die Gesammtheit

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der uns entgegentretenden Weltdinge anwenden, so erhalten wir so zu sagen einen optischen Zeithorizont, der sich auch allmählig erwei­ tert, aber als Vorstellungsschema uns immer begleitet. Alles in der Welt erscheint uns in der Mitte zwischen Nochnichtsein und Nicht­ mehrsein. Unwillkürlich trägt das naive Bewußtsein diese Anschauung auf die Welt als Summe der einzelnen Dinge über und redet von einem Anfang und einem Ende der Welt. Die Welt muß einmal einen Anfang genommen haben und irgend wann ein Ende nehmen, weil bei allen einzelnen Weltdingen das Nochnichtsein und das Nicht­ mehrsein Erfahrung ist. Dieser Gedanke liegt der naiven Vorstel­ lungsweise zu Grunde. Auf dem Weg des Denkens stellt sich frei­ lich die Täuschung heraus. Wie wir nämlich durch Reflexion bald erkennen, daß die räumliche Gränze, welche wir in unsrem Welt­ horizont setzen, nur eine subjektive ist, dadurch entstanden, daß unser gleichzeitiges Erfassen des Räumlichen nur ein beschränktes sein kann, während wir die Möglichkeit immer noch weiterer Welträume und ihrer Füllung leicht zugeben müssen: so löst sich für tieferes Denken auch die optiscke Täuschung des Zeithorizonts. Soweit wir mit unsrem Vorstellen zurückgehen, können wir uns doch nicht verbergen, daß immer wieder die Möglichkeit vorhanden ist, daß die Welt über unsern gesetzten Anfang noch zurückreiche; ähnlich finden wir es hin­ sichtlich des Endes, daß sie immer wieder über das von uns gesteckte Ende hinausreichen kann. Wir erkennen also unsre Vorstellung von einem Anfang und Ende der Welt als das, was sie ist, als optische Täuschung, durch die Beschränktheit unsres eigenen Borstellens ent­ standen, welche uns nöthigt, den Faden irgendwo abzureißen, damit das Vorstellen in den Schlußpunkten des Anfangs und des Endes zur Ruhe komme. Diese Borstellungsweise, welche ein natürlicher Durchgangspunkt menschlicher Geistesentwicklung ist, welche aber bei höherer Stufe des Denkens als optische Täuschung erkannt wird, sie ist es, auf welcher die kosmogonischen wie die eschatologischen Gebilde der Völker erwachsen sind. Mit Hülfe einer sinnenden, oft tiefsinnigen Phan-

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taste füllte sich dem naiven Bewußtsein der leere Zeithorizont, der Anfang und das Ende der Welt aus. Wir beschränken unS, da wir eS mit dem LebenSgrund und feinem Verhältniß zur Welt hier zu thun haben, auf die kosmogonischen Gebilde, sofern in ihnen das Causalitätsverhältniß GotteS zur Welt feine naive ursprünglichste Ausprägung erfahren hat. Der tiefphilosophische und religiöse Gedanke eines göttlichen Lebensgrun­ des, dem die Welt entstammt, nimmt auf solchem Standpunkte noth­ wendig die Form des Symbols und der Geschichte oder Erzählung an, und wir haben den Mythus als die früheste Form religiöser Spekulation. ES ist nun merkwürdig, wie wir zwei Ströme der koSmogonischen Mythenbildung nebeneinander hergehen sehen, den einen mit vorherrschendem Evolutionscharakter, den andern von der Ten­ denz beherrscht, sich zur Idee einer Schöpfung durchzuringen. Sämmtliche kosmogonische Mythen der sogenannten Naturreligionen gestalten sich vorzugsweise emanatistisch und dies um so mehr, weil die kosmogonischen Gebilde der früheren Periode jenen Religionen anzugehören scheinen, in welchen das Göttliche noch ausschließlich als Naturmacht auftritt und die später sich entfaltenden ethischen Mo­ mente noch in der reinen Naturhülle schlummern. Da hiebei daö Göttliche im Naturproceß aufgeht, so kommt es in seiner absoluten Selbstständigkeit und in dem entsprechenden Causalitätsverhältniß hier nur sehr unvollkommen zur Darstellung. Dagegen findet sich auf dieser Seite ein sehr tiefes intellektuelles Moment, ein Keim, aus dem die altgriechische Naturphilosophie und mit ihr die Philo­ sophie überhaupt erwachsen ist. Das Entstehen der Welt tritt un­ ter den Gesichtspunkt eines Processes, in welchem aus elementaren Bildungen sich allmählig die Welt entfaltet und zwar so, daß die Substanz des Göttlichen selbst sich in dem Proceß der Naturentfal­ tung darlebt. Einen ganz andern Charakter tragen die kosmogonischen Mythen der zweiten Strömung: es ist hier die göttliche Macht, welche über

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das finstere Chaos übergreift und mehr im Kampfe mit ihm als aus ihm entwickelnd die Welt der Ordnung, des Lichts und Lebens schafft. Man mag zweifelhaft sein, ob die altbabylonische KoSmogonie unter diesen Gesichtspunkt zu stellen ist; denn sie hat Elemente, welche sie noch stark den emanatistischen KoSmogonien nähern. Wir halten jedoch dafür, daß sie auf diese Seite gehöre, da Bel an die Stelle der unheimlichen Urwelt mit ihren Mißgestalten ein Neues setzt aus reiner göttlicher Machtvollkommenheit. Jedenfalls aber ist auf diese Seite die persische KoSmogonie zu stellen, die sich bereits dem israelitischen Schöpfungsmythns auf eine Weise nähert, welche kaum einen Zweifel übrig läßt, daß der letztere nicht unabhängig von jener entstanden ist. Der Lichtgott schafft die Welt, ohne Zweifel sie bildend aus dem dunkeln Urwesen, dem er selbst wie Ahriman entsprossen ist, und nach seinem Sechstagewerk feiert er den Sieg in sechstägiger Ruhe. Am schlagendsten freilich tritt der oben be­ zeichnete Charakter hervor an der israelitischen Kosmogonie, wie sie uns in den ersten Kapiteln der heiligen Schrift in doppelter Version vorliegt. Wir müssen staunen, mit welcher Kraft die monotheistische Gottesidee sich der alten koSmogonischen Anschauungen bemächtigt und ihnen ihren Stempel aufprägt. Zwar bleibt noch das Chaos stehen als der anschauliche Anknüpfungspunkt für das freie, aus eigener Kraft begonnene und vollendete Werk des starken Gottes, aber es ist der widerstandslos sich darbietende Stoff; und das Wort des Gebieters genügt so völlig, die Weltgebilde fertig zu setzen, daß dem Urstoff keine wesentliche Bedeutung mehr für die Schöpfungs­ idee übrig bleibt. Es ist daher ganz in der Ordnung, daß die spä­ tere Reflexion im tiefen Gefühl der schöpferischen Macht Gottes den Stoff der älteren Kosmogonie zu einem Nichts herabsetzte und die ursprüngliche Weltursache rein in einem göttlichen WillenSakt er­ blickte. Wir haben hier also die Kosmogonie des Monotheismus auf verschiedenen Stufen ihrer Entwickelung, und eö ist kein Wunder, daß sie die emanatische Mythologie verdrängte. Denn sie steht über

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dieser so hoch als der Monotheismus über dem Polytheismus und die Religion des zu sich selbst gekommenen Geistes über der bloßen Naturreligion. Jene vom Pantheismus so sehr verachtete Transscendenz Gottes, welche darin sich ausprägt, dürfen wir für eine der tiefsten Errungenschaften des menschlichen Geistes halten, sowohl für eine Grundfeste der Religion als für eine Wurzel der mündigen Spekulation. Gott ist der absolute, darum einzige und all­ umfassende LebenSgrund der Welt: dies ist der große Gedanke, welcher sich in der Schöpfungsidee ausspricht und auö der Form des Mythus heraus seiner reinen und allseitigen Darstellung zustrebt. HebrigenS wollen wir die schwache Seite dieser kosmogonischen Anschauung nicht verkennen. Je mehr das Gewicht in den „Starken" fällt, um so mehr ist der Geist veranlaßt, kn der Welt nur das Nichtige zu sehen, und je vollständiger der Werdeproceß in den göttlichen Willen verlegt wird in Form eines reinen Machtgebots, um so weniger wird Raum bleiben für eine immanente Entwicklung der Welt. Wie sich die Entstehung oder der Anfang der Welt in eine reine Willens­ erklärung Gottes concentrirt, so wird auch ihre Existenz und was in ihr geschieht, sich dem Blick nur darstellen als das Produkt des transscendenten Gotteswillens, nicht aber in seinem innern Verlauf voll tiefen ideellen Inhaltes. Auf Grund des SchöpfungsmythuS hat sich die Schöpfungs­ theorie aufgebaut, welche ihren Schwerpunkt rein in die absolute Causalität Gottes legt, jedoch dabei beharrt, daß die Welt einen zeitlichen Anfang genommen haben müsse, in welchem sich somit die göttliche Thätigkeit ganz specifisch erwiesen habe, nicht bloß anders als vor der Weltschöpfung, sondern auch anders als in der im Schöpfungsakt fertig gewordenen Welt. Es ist bekannt, von welchen Schwierigkeiten die Schöpfungslehre gedrückt wird. Sie muthet uns zu, eine Zeit vor der Zeit anzunehmen und Gott selbst in die Zeit­ lichkeit hineinzuziehen. Sie verweist unö auf einen Willensakt Got­ tes, der dem Wesen desselben äußerlich bleibt und damit den Cha-

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tastet bet Willkür und Zufälligkeit annimmt. Sie nöthigt uns, die Welt als eine ans Nichts geschaffene, also an dem Wesen Gottes kein Theil habende, folglich in sich nichtige zu setzen. Und ttotz dieset Undenkbatkeiten haben wit die Schöpfnngslehte hoch zn stellen. Denn sie hat einen tiefen Gehalt in bet Erkenntniß, daß die Wett tnht in bet absoluten Kausalität Gottes und batin, daß sie mit dieset Ueberzeugung vollen Ernst machen will. Es ist aber möglich, diese Undenkbatkeiten abzustreifen und den edlen Ketn nicht nur zu be­ halten, sondern erst recht herauszustellen, wenn wit aufhören, einen Anfang bet Welt zu fahren und die göttliche Kausalität in jenem kleinen Zeitmoment concentrirt zu sehen. Und wit sind dazu genö­ thigt, sobald wit erkennen, daß unser Setzen eines Weltanfangs eigentlich Nichts ist als die Wirkung unsres beschränkten Zeithorizonts auf unsre Vorstellungsweise. Setzen wir die Wett in ihrem ganzen endlichen Bestände gleichmäßig als Produkt der absoluten Kausalität, so haben wir den werthvollen Gedanken ohne die Schwie­ rigkeiten. Wir können ihre zeitliche Ausdehnung wie nach vorwärts so nach rückwärts ganz dahingestellt sein lassen, da selbst die Frage, ob die zeitliche Ausdehnung der Wett eine begräuzte oder ob sie eine unbegränjte ist, das Verhältniß der Wett zu der absoluten Kausali­ tät nicht modificirt. Im Gegensatz zur Schöpfungstheorie hat sich der Pantheismus auf die EvolutionSidee geworfen. Weil er Gott in den Weltproceß eingehen, ja ihn im Weltproceß aufgehen läßt, so muß er im schroff­ sten Gegensatz zur Schöpfungstheorie die Anfangslosigkeit der Welt als wesentlich und für das Absolute selbst nothwendig behaupten; indem er so die Welt verewigt als adäquaten Ausdruck des Abso­ luten, verendlicht er zugleich das Absolute, weil es seine Existenz nur in der Zeitlichkeit gewinnen soll. Diese Schwierigkeiten und Undenkbatkeiten sind um kein Haar geringer als die der Schöpfungstheorie. Andrerseits jedoch ist der EvolutionSidee, ähnlich wie der emanatistischen KoSmogonie des Alterthums, ein sehr bedeutendes Verdienst einzuräumen. Denn sie will die Welt für'S Erste in der

170 Gesammtheit ihrer Entwicklung fassen und für's Zweite als eine gotterfüllte und für'S Dritte Gott als in einem Wesens Verhältniß zur Welt stehend. Wollen wir die Wahrheit treffen, so werden wir wohl die beiden Gegensätze ihrer Einseitigkeiten entkleiden müssen, um ihre Wahrheit in EinS zu fassen. Dies geschieht, wenn wir von der Weltthatsache ausgehen. Denn wir müssen die Welt setzen als eine Realität, eben darum als eine solche, welche an der göttlichen Substanzialität durch Mittheilung Theil hat, da es ohne und außer Gott keine wirk­ liche Realität geben kann; wir müssen sie zweitens setzen als eine von Gott wesentlich verschiedene, da sie endlich ist; wir müssen sie drittens setzen als eine relativ selbstständige, da sich sonst kein Leben in ihr entfalten könnte, während ja in Wahrheit sie nichts Anderes ist als Ein unendlich verzweigter Lebensproceß. Wie ist nun bei solchen Forderungen der absolute LebenSgrund wirksam zu denken? Er ist vor Allem zu denken als ein sein eigenes Wesen mittheilender; er ist weiter zu denken als einer, der ganz und gar nicht sich selber in duplo setzt (eigentlich ein Ungedanke), sondern ein Verschiedenes, das nach Form und Inhalt zum innigsten Verhältniß mit ihm angelegt ist; seine Wirkung ist drittens zudenken alseine durch und durch dynamische, nicht mechanische, nach allen Seiten hin selbstständiges Leben weckende und fördernde. Diese drei Momente fassen wir zusammen im Begriff der Schöpfung. ES drängt sich freilich der Gedanke auf, ob es nicht folgerichtig wäre, daß man für eine Vereinigung der bisherigen Schöpfungs­ und Evolutionstheorie einen neuen entsprechenden Terminus setzen würde. Folgerichtig möchte es fein, aber rathfam wäre es für den gewöhnlichen Sprachgebrauch sicher nicht. Denn der Terminus des Schaffens hat sein historisches Recht, weil er von Anfang an mit dem monotheistischen Gottesbegriff ganz und gar verwachsen ist. Zu­ dem drückt er daö Grundverhältniß von Gott und Welt im Allge­ meinen richtig aus, und was wir als unhaltbar an der SchöpsnngS-

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lehre bezeichneten, das liegt nicht sowohl im Terminus als in der entfernbaren Anlehnung an den israelitischen Schöpfungsmythus. Dagegen könnte es nützlich sein aufzuzeigen, daß der religiöse Sprach­ gebrauch längst eines anderen Ausdrucks sich bedient, der die Wahrheit der Schöpfungs- und der Evolutionsidee in sich vereinigt, aber nur auf das Gebiet der Geisteswelt seine Anwendung gefunden hat. ES ist der Begriff der Zeugung, den wir meinen, im natür­ lichen Sinn angewandt auf die Person Jesu Christi, im geistigen auf die durch ihn zu Erneuerndem. In ihm haben wir Alles zuzusammen. Denn das Gezeugte ist ein Anderes als das Zeugende, empfängt aber sein Wesen ans der Substanz des Zeugenden, erweist sich daher auch als wesensverwandt und zur Wesensgemein­ schaft angelegt. Es muß auch das Gezeugte in eine gewisse Selbstständigkeit von Anfang an gesetzt und für sie bestimmt gedacht werden. Wir hätten also nur den Begriff der Schöpfung durch den Begriff der Zeugung gleichsam auszufüllen oder zu ergänzen. Für die Wissenschaft ließe sich vielleicht der Begriff der Weltschöpfung geradezu vertauschen mit dem der Weltzeugung. Wir hätten darin einen Ausdruck für die organisch sich vermittelnde LebenSmittheilung des absoluten LebenSgrundes an die Welt als organisches. Ganzes, wobei besonders herausträte, daß es von den rohesten Elementen des Naturlebens bis hinauf zur Spitze des geistigen Lebens ein und derselbe Lebensstrom und dieselbe Wesensverwandtschaft mit Gott ist, was sich offenbart. Der hergebrachten Schöpfungslehre hat nicht bloß die Philosophie, sondern auch die Naturwissenschaft eine tödtliche Wunde geschlagen. Es hat sich auf dem Weg der Naturfor­ schung erwiesen, daß dasjenige, was man früher für das Produkt eines momentanen Willensakts Gottes hielt, das Produkt eines lang­ gedehnten, organisch und stufenförmig verlaufenden Processes ist. Damit stimmt unsere Anschauung von einer Weltzeugung, welche einer immanenten Entwicklung Raum läßt, ja sie fordert. Es ist hier der freieste Raum für die Naturforschung und wir können uns ihrer und ihrer geschichtlichen Resultate nur freuen; wir haben nicht

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mehr zu fürchten, daß die göttliche Causalität gerade so viel Raum verliere als der Erkenntniß des natürlichen Hergangs zuwächst. Wir stehen nicht mehr auf dem-Boden, wo man das Wirken Gottes sporadisch und zusammenhangslos auffassen konnte und eS am sichersten und augenscheinlichsten festzuhalten glaubte, wenn man es recht isolirt von allem Naturzusammenhang hervortreten sah. Uns ist es ein organisches, daher in die Welt verzweigtes. Die Welt ist uns Produkt einer einheitlichen Lebensmitthei­ lung, also mit innerer Gesetzmäßigkeit und mit Continuität. In Folge dessen fällt uns Schöpfung und Erhaltung der Welt wesentlich zusammen; denn wir haben es nur mit der Einen die Welt nach allen Dimensionen umfassenden Causalität und LebenSmittheilung Gottes zu thun. Nur insofern könnten wir dem Begriff der-Erhaltung etwas Eigenthümliches reserviren, wenn wir, was von HauS aus nicht drin liegt, hineinlegen wollten, daß die Welt als ganze eine werdende, daher nicht bloß sich in ihrem Wesen er­ haltende, sondern eine fortschreitende und sich potenzirende ist. Dies setzt nämlich vovaus, daß auch Gott sich in einer gesetzmäßig steigenden Lebensmittheilung an die Welt befindet. So wenig also sehen wir mit der herkömmlichen Schöpfungslehre auf den Anfang der Welt zurück als auf die höchste und intensivste Be­ thätigung göttlicher Macht, der in der Erhaltung eine Herabstimmung und ein Beschränktsein durch den Weltbestand gefolgt wäre, daß wir vielmehr eine organische Steigerung der zeugenden Thätigkeit Gottes in Bezug auf das Weltganze behaupten unb als sehr wichtig premiren müssen, wie das im folgenden Abschnitt klar werden wird. Hiemit ist nun zugleich das Wunder im herkömmlichen Sinn abgethan. Es ist ein Kind der Phantasie und hat seine Stelle nur in einer naiv dichterischen Weltanschauung, während es der Wucht der Thatsachen und einem philosophischen Eindringen in das Wesen des Weltganzen den Platz räumen muß. Die Phantasie sucht sich deS Einwirkens Gottes auf die Welt gleichsam zu versichern, indem

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sie ihn den Naturlauf durchbrechen läßt, ja sie erreicht ihren Zweck am vollständigsten, wo das Abrupte deS göttlichen Eingreifens recht augenscheinlich ist. Das ist also die alte naive Weltanschauung: der von Gott ziemlich unabhängig vorgestellte Naturlauf ist mit einer Summe von abrupten göttlichen Eingriffen versetzt und läßt für solche an jeder beliebigen Stelle jederzeit Raum. Bei unserer Welt­ anschauung kann von einem solchen unvermittelten, zusammenhangs­ losen Eingreifen Gottes nicht mehr die Rede sein, ohne daß wir deßwegen genöthigt wären, die Unmittelbarkeit des göttlichen Weltwirkens in Abrede zu ziehen, da unvermittelt und unmit­ telbar zwei zwar häufig verwechselte, aber wohl auseinanderzuhal­ tende Begriffe sind. Weder unsere heutige Kenntniß der Welt mit ihrer wunderbaren Gesetzmäßigkeit und ihrem inneren Zusammenhang noch ein reinerer Gottesbegriff erträgt länger das Wunder. Und da sich uns der letztere auf Grundlage der ersteren immer mehr befestigt, so wird es auch immer mehr zur unerschütterlichen Ueberzeugung werden können, daß wie in unsrer Erfahrung nirgends eine abrupte Wirksamkeit Gottes sich offenbart, so auch ein zerstückeltes, in sich nicht zusammenhän­ gendes, den Weltzusammenhang unterbrechendes, also wesentlich sich selbst zerstörendes Weltwirken GotteS ferner nicht haltbar ist. Es gibt für uns noch Wunder in dem Sinn, daß Gott, auf orga­ nischem Wege zwar, Neues und Höheres in die Welt eintre­ ten läßt, in welchem Sinn übrigens die Welt der Wunder voll ist. Auch in dem Sinn reden wir noch von Wundern, daß wir den Zusammenhang eines Dings oder Ereignisses in der Welt nicht ver­ stehen, uns solche Dinge darum als Räthsel reizen und unsere Auf­ merksamkeit in besonderem Maaße in Anspruch nehmen. Dagegen Wunder in dem Sinn von einem Pausiren des Weltzusam­ menhangs oder wie man scholastisch zu sagen pflegt der sekundären Ursachen, damit in dieser Lücke Gott wie eine endliche Potenz wirkend und die Lücke ausfüllend eintrete: solche Wunder sind uns nicht mehr annehmbar. Diese Vorstellung gehört vielmehr der-

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jenigen Periode der Menschheit an, welche noch mehr mit der Phan­ tasie die Oberfläche streifend als mit dem Verstände das Wesen er­ forschend die Welt betrachtete. Und man sieht also, auf welchem Wege der Wunderglaube allein gründlich überschritten werden kann. Es ist freilich eine weitverbreitete Meinung, daß durch Verwer­ fung der außerordentlichen Eingriffe Gottes in die Welt seine sou­ veraine Wirksamkeit tödtlich verletzt sei; und die intelligentesten Ver­ theidiger des Wunders wollen ihm wenigstens die Möglichkeit solche Eingriffe zu machen zugesprochen wissen. Man stelle den Absoluten sonst unter den Bann der Weltgesetze, meinen sie. Dieser Einwand führt consequent einem Standpunkte zu, welchem die verständigen Vertheidiger des Wunders selbst fremd sind, dem des Deismus, der Gott und die Welt in ein ganz äußeres Verhältniß zueinander setzt. Denn der Einwand hat nur dann einen Sinn, wenn die Welt eine Existenz unabhängig von Gott hat, nicht aber wenn sie in ihrem ganzen Umfang und Verlauf als eine von ihm gesetzte und aus sei­ nem Wesen Leben empfangende aufgefaßt wird. Ja wenn der Welt-gang und seine Ordnung, welche wir die Weltgesetze nennen, eine Macht ist, welche ohne inneren Fortschritt wie ein Bleigewicht auf der Welt liegt statt Ausdruck des fort und fort thätigen absoluten Willens zu sein: dann ist Gott freilich sehr eingeengt durch den fest­ geschlossenen Weltzusammenhang und es muß ihm, um ihm etwas Luft und freie Bewegung zu schaffen, die Befugniß zugeschrieben werden, diese Schranke je nach Belieben oder wenigstens in wenigen Ausnahmefällen zu durchbrechen, um sich geltend zu machen. Allein diese Annahme ziehen wir mit Zustimmung der Wundergläubigen selbst in Abrede. Dann ist uns aber die Möglichkeit genommen, die Unterscheidung einer „mittelbaren" und einer „unmittel­ baren" Wirksamkeit Gottes aufrecht zu halten. Es gibt uns nur noch Eine Wirksamkeit Gottes, welche zugleich mittelbar ist, sofern sie im Einzelnen vermittelt ist durch den Zusammenhang mit allem anderen Einzelnen, und zugleich unmittelbar, sofern Gott selbst in Allem seinen Willen, zwar mittelst des Zusammenhangs, aber in

175 letzter Beziehung rein aus sich heraus realisirt. Der Lebenszu­ sammenhang der Welt, welcher in organischem Fortschritt sich ent­ wickelt und keiner Unterbrechung unterliegt, ist keine Beschränkung und Beeinträchtigung GotteS oder gar ein deistisches Todtlegen des­ selben, sondern er nöthigt uns zur Anerkennung seines LebenSreichthumS, welcher nicht anorganisch und stoßweise sondern organisirend und im großartigsten System wirkt, und dessen Offenbarung eben der Kosmos ist in seinem ganzen Verlauf und im ganzen Umfang seiner Ausdehnung. Die Welt ist damit weder für unabhängig von Gott entstanden erklärt noch für eine solche, welche seiner jetzt oder irgend einmal entbehren könnte. Denn sie hat ihren Lebensgrund nicht in sich, da sie als Ganzes endlich ist; sie weist also gerade durch ihre Gesetzmäßigkeit und ihren festgeord­ neten Gang auf eine absolute Causalität, welche sich in ihrem conkreten Bestand allenthalben offenbart.

Achter Abschnitt.

D a

s

W e l t z i e 1.

DaS Verhältniß der Ursächlichkeit ist nicht das einzige, in wel­ chem Gott zur Welt steht. ES wäre das allzu unlebendig und dürftig. Wie sich herausstellen wird, schließt die absolute Causalität noch ein weiteres Verhältniß in sich, das von ihr nur in der Ab­ straktion des Denkens gesondert werden kann, das Verhältniß der Zwecksetzung. Soll aber das Absolute als zwccksetzend gedacht werden, so kann es der Welt keine Richtung geben, welche außer­ halb seiner, des höchsten Selbstzwecks, endet; Gott ist somit zu- denken als das Meltziel d. h. als der sich selbst zum Weltziel Setzende. Dies ist es, was wir sofort erörtern wollen. Wir sind dabei in der unangenehmen Lage, einem eingefleischten philosophischen Vorurtheil so direkt als nur immer möglich entgegentreten zu müssen. Die Teleologie ist nämlich sehr im Verruf bei der Philosophie, nicht nur bei der naturalistischen Richtung, sondern auch bei derjenigen, die so lange für sich in Anspruch nahm, die allein wahre zu sein und alle Räthsel zu lösen und allen inadäquaten Vorstellungen den Abschied gegeben zu haben, bei der pantheistischen, der kritisch-skep­ tischen gar nicht zu gedenken. Zwar wird sich zeigen, daß wir die Opposition der Philosophie gegen die traditionelle Teleologie mit ihrer Oberflächlichkeit wohl zu schätzen wissen; aber in der banalen

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Verwerfung aller teleologischen Momente der Weltbetrachtung von Seiten der Philosophie können wir nur einen tiefgreifenden Schaden erkennen, der sie nicht nur mit der Religion in schlimme Spannung versetzt, sondern auch für das Weltverständniß eine grundwesentliche Seite der Berücksichtigung entzieht, indem ohne Teleologie ein leben­ diges Verhältniß von Gott und Welt nicht zu gewinnen ist. Ja wir wollen dafür eintreten, daß die Teleologie den eigentlichen Schlüssel zum Verständniß des Verhältnisses von Gott und Welt bietet und daß es ein philosophischer Fortschritt ist, wenn sich unsre Weltanschauung durch und durch teleologisch gestaltet, und hoffen zu zeigen, daß die Einwände gegen die Anwendung der Zwecksetzung auf Gott ihre Stärke nur darin haben, daß man in das Wesen der Zwecksetznng nicht gehörig eindringt und sich begnügt, die trivialste Form der Zwecksetzung auf Gott überzutragen; freilich mitunter auch darin, daß man von bodenlosen Voraussetzungen und Begriffen aus­ geht, welche ein lebensvolles Verhältniß von Gott und Welt von vornherein unmöglich machen. Am stärksten zeigt sich der Teleologie der Naturalismus abgeneigt. Es kann das nicht anders sein. Denn wo die Natur die Stelle Gottes einnimmt, wo also der Naturproceß das Letzte und Höchste ist, auf was rekurrirt werden kaun, weil man sich in den Kops gesetzt hat, eö gebe Realität nur so weit die Sinne rei­ chen, da ist die Annahme einer göttlichen Zwecksetzung principiell abgeschnitten. Was ist es aber, was der Naturalismus an die Stelle zu setzen hat? Während er spottet über den Aberglauben, der die Weltvernunft in einem Baukünstler personificirt und sie so über die-Welt hinaus verlegt, beruhigt er selber sich bei einem completen Ungedanken, indem er die Natur, sei es daß er sie als Complex der Einzeldinge oder als eine dunkle einheitliche Macht, als den die Dinge gebärenden Urgrund faßt, zu einer blinden, ihrer selbst nicht mächtigen, darum aber doch auf sich selbst stehenden Künstlerin macht. Nach dem Naturalismus schafft die Natur ihre Werkzeuge und Mittel und erzeugt vernünftige Produkte und sie soll Späth, Welt und Gott.

178 das thun im selbstlosen Processe. In blinder starrer Nothwendigkeit soll der ewig bewegte Urgrund seine so lebensvollen, bis zum Selbst­ bewußtsein und zur Selbstbestimmung gesteigerten Produkte zu Tage fördern. Die Natur ist das Absolute und dieses somit in letzter Bezie­ hung ein blindes Muß. Doch nein, der Widerspruch zwischen solcher Ursache und solcher Wirkung ist doch zu schreiend; darum leugnet der Naturalismus auch die Selbstbestimmung innerhalb der Welt, indem er sie für einen psychologischen Schein erklärt, und das Selbstbewußt­ sein, indem er es zu einer Art sinnlicher Empfindung herabsetzt. Damit richtet er sich selbst; indem er mit dem lebendigen Gott alle Zweck­ setzung aus der Welt entfernt, sieht er sich genöthigt, auch die endliche Zwecksetznng aufzugeben und den Geist mit seinem Selbstbewußtsein und seiner Selbstbestimmung zu einem bloßen Empfindungsphänomen an der Materie herabzusetzen. Den Naturalismus hat wahrlich die teleo­ logische Weltanschauung nicht zu fürchten. Er ist ein denkfauler und plumper Gegner, der sich den Kopf über die Räthsel der Welt zu wenig zerbrochen hat, als daß er das Recht hätte, den Glauben an eine zweckvolle Welt zu verhöhnen und an ihre Stelle die Zwecklo­ sigkeit zu setzen. Denn in der That, das ist das Dilemma, welchem der Naturalismus nicht entrinnen kann: will er nicht von Zwecken reden, welche die „Natur" unbewußt verfolge, also nicht habe und doch habe, so bleibt ihm bei der Leugnung eines zwecksetzenden Ab­ soluten nur übrig die Behauptung einer vollständigen Zwecklosigkeit der Welt. Sie ist eben da, wozu, das darf man weder im Ganzen noch im Einzelnen fragen; nur seltsam daß der Mensch des närri­ schen Einfalls immer nicht los werden kann, zu meinen, er selbst und mit ihm die Welt müsse doch zu etwas da sein. Anders werden wir über den idealistischen Pantheismus urtheilen müssen, der allerdings auch an der Anwendung des Zweck­ begriffs auf das Verhältniß des Absoluten zur Welt sich stößt, je­ doch beflissen ist denselben in einer dem Immanenzstandpunkt ange­ messenen Form zur Geltung zu bringen. Er unterscheidet äußere, den Dingen fremde Zwecke und immanente Zwecke, die letzteren mit dem Wesen der Dinge, wie es seine Entwicklung schon in sich trägt

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zusammenfallend. Die immanenten Zwecke will der Pantheismus nicht leugnen; ja in diesem Sinn gibt er auch einen einheitlichen höchsten Weltzweck zu, die Realisirung des Absoluten. Gewiß hat der Pantheismus mit Verwerfung der äußeren zufälligen Zwecke Recht, und wie wenig wir geneigt sind ihnen das Wort zu reden, das wird sich bald ergeben. Allein bei seiner Auffassung der imma­ nenten Zwecke und des immanenten Weltzwecks sieht sich der Pan­ theismus genöthigt, gerade das zu entfernen, was uns berechtigt von Zwecken zu reden. Da ihm das Absolute nur existirt als die in der Ausbreitung in der Form des Endlichen begriffene Idee, im Grunde nur das Weltwesen selbst ist in seinem Ansich gedacht, so liegt im Absoluten in Wahrheit Alles, was sich in der Welt expliciren soll, schon ewig fertig, es ist also weder in der Welt noch für die Welt etwas zu erreichen; es kann unmöglich ein Ziel geben, auf welches der ganze Weltgang gerichtet wäre. Zwar ist es gerade das Verdienst des Pantheismus, das Streben der Welt in ihrer Ent­ wicklung von innen heraus und in ihrem ideellen Gehalt in den Mittelpunkt der Spekulation gerückt zu haben. Allein seine Fassung des Absoluten erlaubt eigentlich nur einen ziellosen Lauf in'S Gränzenlose oder einen sich beständig wiederholenden Kreislauf, da das Absolute, so weit eS überhaupt im Endlichen möglich ist, jeden Augenblick reell wird und sich nicht entwickeln kann, während andererseits die Welt sich unendlich fortspinnen muß, wenn das Absolute in ihr seinen ganzen Inhalt heraussetzen soll. Der Pan­ theismus verliert somit nothwendig seinen Gewinn wieder, indem er consequent nicht eine immanente Entwicklung, welche wirklich auf ein Ziel loSgeht, festhalten kann, sondern sich am Ende mit einem ziellosen Wechsel zufrieden geben muß, welcher in sich selbst zurück­ geht. Die Ursache ist, daß er sich scheut, das Absolute als zweck­ setzend aufzufassen und so mit dem Zweckbegriff wirklichen Ernst zu machen, indem nur dasjenige wirklich ein Zweck heißen kann, was mit Willen gesetzt ist, was eine Tendenz in sich schließt. Indem der Pantheismus es für eine inadäquate Uebertragung hält, wenn

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man das Absolute als zwecksetzend und die Welt im vollen Sinn des Worts als zweckerfüüt anerkennt, indem er es vorzieht, sich mit der Abschwächung des Zweckbegriffs zu begnügen, daß das Absolute seinen ideellen Gehalt in der Welt in Form der Entwicklung explicirt, so verliert er mit dem Zwecksetzenden auch den Zweck selbst. Sein immanenter Zweck ist nur noch ein zweideutiger Sprachgebrauch für eine Denkweise, welche für den Zweckbegriff keinen Raum mehr hat. Denn was uns göttliche Zweckordnung ist, das ist dem Pan­ theisten ein einfaches Sichentwickeln der Idee, eine endliche Dar­ stellung des Gehalts des Absoluten, welches seine jeweilige Erschei­ nung immer wieder in sich selbst zurücknimmt. An die Stelle einer zweckförmig gesetzten, von dem Absoluten nicht nur gewollten sondern auch aus dem Grund der Selbstbestimmung zu vollführenden Welt­ entwickelung, welche einer Weltvollendung zuführt, tritt ein bloßer Kreislauf von Erscheinungen, zwar ideellen Gehaltes, aber nur zur Resorption in das Absolute bestimmt. Man stelle sich einmal ernst­ lich die Frage, welche der beiden Anschauungen denn dem Absoluten entsprechender, Gottes würdiger, ich will nicht sagen, tröstlicher und und hoffnungsreicher sei. Müssen wir uns doch gestehen, daß das, waS der Pantheismus vom Zweckbegriff stehen läßt, die Thatsache der vernünftigen Weltentwicklung, über seine Beschränkung der Te­ leologie selbst wieder hinaustreibt. Kaum dürfte ein Philosoph dem Glauben an göttliche Zwecksetzung resoluter und vornehmer das TodeSurtheil gesprochen haben als Spinoza, dessen Polemik uns deßhalb den Weg bahnen soll, den teleologischen Standpunkt als den einzig genügenden zu rechtfertigen, insbesondere den Zweckbegriff etwas tiefer zu fassen als man es ge­ wohnt ist. Daß ein Spinoza mit aller Teleologie vollständig brechen mußte und ihm für ihre Würdigung der total entgegengesetzte Stand­ punkt keine Fähigkeit übrig ließ, ist nicht zu verwundern. Denn wenn der Gottesbegriff so rein das Produkt der Abstraktion ist, daß Gott nur besinnt werden kann als das ens Infinitum, und wenn Gott so starr ist, daß von einer Bewegung in ihm selbst nicht die Rede sein kann, weil jede Bewegung als eine Bestimmtheit nur auf die

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Seite der Endlichkeit soll fallen können, wenn hinwiederum auch die Welt im Grunde Nichts werden kann, weil ihr neben Gott kein Fünklein von Selbstständigkeit und kein Restchen von Realität bleibt: wo sollte denn da für ein Zweckverhältniß noch Raum sein? Nicht einmal dem menschlichen Willen kann ein reelles Zwecksetzen reservirt werden, es wandelt sich auch hier in psychologischen Schein. Ein so abstrakter Pantheismus steht ganz konsequent im Widerwillen gegen alle Teleologie und ihrer totalen Mißkennung dem Naturalis­ mus zum Verwechseln nahe, wie denn das spinozistische System auch soust starke Anklänge an den eigentlichen, auf sensualistischen Grund­ lagen sich erhebenden Naturalismus hat, während bemerkenswerth ist, daß der neuere Pantheismus mit dem Ringen das Absolute der starren spinozistischen Unbeweglichkeit zu entheben und es in einen individualisirenden Fluß zu bringen, auch dem Zweckbegriff wieder näher tritt. Besehen wir uns die Gründe, welche Spinoza gegen die teleo­ logische Weltanschauung ins Feld führt und womit er beweisen will, naturam finem nullum sibi praefixum habere, wie er sie im Anhang zum ersten Theil seiner Ethik zusammenstellt. Alle Zurück­ führung der Ereignisse auf Zweckursachen hat ihren Grund in der menschlichen Unwissenheit und zugleich in der Gewohnheit, den eige­ nen Vortheil in Allem zu suchen. Gerade da wo der Mensch nicht in das Wesen der Dinge eindringt, sucht er Zwecke, theils weil er gewohnt ist selber Begehrungen zu haben und ihnen entsprechend Zwecke zu setzen, theils weil er die Dinge gern auf seinen Vortheil ansieht. So substituirt er denn einen oder mehrere Lenker der Natur, denen er menschliche Freiheit beilegt und die für die Menschen ge­ sorgt und Alles zu ihrem Nutzen bereitet haben sollen. Dieses Zwecksetzen verträgt sich jedoch nicht mit der Vollkommenheit Gottes, aus dessen Wesen Alles mit innerer Nothwendigkeit folgt. Er würde, wenn er um eines Zweckes willen wirksam wäre, ein Begehren nach etwas, was er entbehrt, also seine Unvollkommenheit bethätigen. Durch den Zweckbegriff, meint Spinoza, werde Alles auf den Kopf

182 gestellt; was in Wahrheit Ursache sei, das mache man dadurch zur Wirkung und umgekehrt; was ferner in Wirklichkeit das Frühere sei, das mache die Zwecklehre zum Späteren, und das Höchste und Vollkommenste werde durch sie zum Unvollkommensten. Ohne Zweifel versteht Spinoza das so. Die Natur (natura naturans) ist das wahrhaft Ursächliche und darum auch das Ursprüngliche und Erste, im Zweckbegriff muß sie diesem, der causa finalis, als dem eigent­ lich Ursächlichen, folglich Ursprünglichen und Ersten den Platz räu­ men. Der Zweckbegriff setze ferner voraus, daß gerade das, nm dessen willen das Andere geschehe, das Vollkommenste sein müßte; in Wahrheit jedoch sei diejenige Wirkung die vollkommenste, welche von Gott direkt und unmittelbar hervorgebracht werde, und jemehr Etwas zu seiner Hervorbringung der Mittelursachen bedürftig sei, um so unvollkommener sei es; folglich würden durch Zweckursachen die göttlichen Hervorbringungen nur unvollkommen. Sie würden, fügen wir den Sinn Spinoza'- interpretirend hinzu, an Realität nur verlieren durch die Zweckursachen, weil jedes Ding um so reeller ist, um so mehr an der Substanzialität Theil hat, je direkter es aus dem Wesen Gottes folgt. Diese Begründung ist interessant genug; man sieht aber leicht, wie sie mit den Voraussetzungen des spinozistischen Pantheismus steht und fällt. Wenn freilich Gott sich deckt mit der natura, so verfängt sich der Zweckbegriff nothwendig in Widersprüche; er hat dann keine Stelle mehr, weil ein solches Denken nur noch ein abstraktes Substanzialitätsverhältniß für den richtigen Ausdruck der Beziehung von Gott zur Welt gelten läßt; die Zwecksetzung aber würde nur die Unmittelbarkeit aufheben und die unlebendige Einfachheit jenes Ver­ hältnisses stören. Diese Polemik kann den nicht rühren, der sich von der Unhaltbarkeit des Pantheismus und seinen falschen Voraus­ setzungen überzeugt hat. Sie führt ihm keineswegs Gründe zu für den Pantheismus, sondern stützt sich ganz auf seine Voraussetzungen. UebrigenS wäre eS ein Unrecht, wenn wir nicht anerkennen wollten, wie auch bei Spinoza die Polemik gegen die Teleologie ihr gutes

183 Recht hat, so weit er sich wendet gegen die gewöhnliche Art göttliche Zwecke zu supponiren und in der subjektivsten Weise die Thatsachen sich mittelst einer eingebildeten göttlichen Zwecksetzung zurechtzulegen. Und daS ist allerdings von ihm in Aussicht genommen, wie er an der oben bezeichneten Stelle seiner Ethik klar genug merken läßt. Es gilt nun ernstlich zu untersuchen, ob die Annahme eines göttlichen Zwecksetzens, wie Spinoza sich ausdrückt, Gottes Vollkom­ menheit aufhebe, also mit der Absolutheit sich nicht zusammenreime. Denn wäre das der Fall, wie man es so gern unbesehen annimmt, so wäre es allerdings um alle Teleologie geschehen und wir müßten alsdann auf die gesammte religiöse Weltanschauung mitleidig als auf eine Erscheinung von rein pathologischem Interesse herabsehen. Al­ lein mit dem Zweckbegriff hat es ganz dieselbe Bewandtniß wie mit dem Begriff der Persönlichkeit. Wie man es bei diesem auf platter Hand hat, daß er auf Gott unanwendbar ist, wenn man die speci­ fische Ausprägung der Persönlichkeit im Menschen, also in Form endlichen Daseins als daS Wesentliche und vom Begriff Unzertrenn­ liche ansieht, so ist eS auch unleugbar, daß das Zwecksetzen, wie eS in der Sphäre endlicher Beschränktheit auftritt, nicht auf Gott über­ tragen werden kann, ohne ihn zu verendlichen. Aber wie wir ge­ funden haben, daß das innerste Wesen der Persönlichkeit die Selbst­ bestimmung auf Grund der Selbstmächtigkeit ist und damit eine Realität, welche nicht nothwendig in Form endlicher Beschränktheit auftreten muß, vielmehr erst im Absoluten zur vollen Darstellung kommen kann und in ihrer Vollendung gedacht den Begriff des Absoluten erst zu einem lebendigen macht und ihm aus der Leere dünner Abstraktion zu Kraft und Lebensfülle und Bewegung hilft, so kann auch nachgewiesen werden, daß das Zwecksetzen keineswegs ein endlich beschränktes sein muß, daß vielmehr in seinem Begriff an sich gar Nichts liegt, was eS hinderte, dem Absoluten als wesentliches Attribut anzugehören, ja daß eS erst im Absoluten seine volle Darstellung findet, wie hinwiederum nur als zwecksetzend Gott sich wahrhaft wirksam in der Welt beweisen kann.

184 Das Zwecksetzen, wie es sich in unserer eigenen nächsten Er­ fahrung darbietet, ist das Erstreben eines einzelnen Erfolgs mit einem gewissen Aufwand von Kräften und Mitteln. Die Unvoll­ kommenheit und Beschränktheit liegt dabei schon in der Abhängigkeit vom Gegebensein der Mittel, ferner in der von unserm Willen un­ abhängigen Voraussetzung von Kräften, in dem Gesetztsein unserer individuell angelegten Potenz, auch in dem beschränkten Maaße der­ selben. Sie liegt ferner in der theilweisen Zufälligkeit des zum Zweck von uns gesetzten Erfolgs und zwar in mehrfacher Beziehung, einmal sofern der Eintritt des Erfolgs nicht von unserer Selbstbe­ stimmung allein abhängig ist, aber auch sofern das Erstrebte sich zu unserem Wesen relativ äußerlich oder zufällig verhält, indem bei unserem vereinzelten Zwecksetzen die Anregung wenigstens theilweise immer auch von außen an uns tritt. Ist schon hierin die Endlich­ keit unsers Zwecksetzens stark genug ausgesprochen, so kommt noch dasjenige dazu, was bei Uebertragung des Zwecksetzens auf Gott für Spinoza offenbar den Hauptanstoß bildet, wenn er sagt: si Deus propter finem agit, aliquid neeessario appetit quo caret. Unser Zwecksetzen beruht auf einem Bedürfen, also auf einem Nichthaben, in letzter Beziehung auf der Beschränktheit unsers Wesens als eines endlichen. Gehen wir jedoch tiefer ein in unser menschliches Zwecksetzen und betrachten es vom sittlichen Standpunkte aus und fragen nach dem, was es sein soll und werden kann, so erscheint uns dasselbe schon in ganz anderem Lichte und wir überzeugen uns, daß es eine in uns angelegte und lebendige Idee des Zwecksetzens gibt, welche uns über einen Theil jener empirischen Beschränktheiten unseres Zwecksetzens hinausführt. Es ist die Idee der Sittlichkeit selbst, welche fordert, daß unsere Zwecke mehr und mehr zu Einem Lebens­ zweck verwachsen, daß also ihre Aeußerlichkeit und Zufälligkeit schwinde. Damit ist der Mensch auf sich als Selbstzweck angewiesen: Heraus­ setzen des Eigenen, in seines Wesens Tiefe Angelegten, Verwirk­ lichung der Persönlichkeit ist der materielle Inhalt unserer Zweck-

185 setzung, zu welcher uns die Idee der Sittlichkeit verpflichtet.

Auch

die Erwerbung der vollen Selbstmacht erweist sich als Ziel unseres Zwecksetzens.

Mit dem Hineinwachsen in diese

ethische Art der

Zwecksetzung wird nun auch die Kraft zur Erreichung des Ziels immer adäquater, ja es lebt in uns der sittliche Glaube, dessen wir auch nicht entbehren können, daß unser Zweck vollständig erreichbar sei und auf dem Wege persönlicher Entwickelung im Bereich unserer Potenz liege.

Auch die Mittel der Verwirklichung verhalten sich bei

der ethischen Zwecksetzung nicht mehr vorzugsweise als von außen gegebene, sondern sie werden mehr und mehr mittelst unserer Zweck­ thätigkeit anzueignende Momente des sich verwirklichenden Selbst­ zwecks. Ueber die Schranken der Endlichkeit kommen wir allerdings auch bei dieser höchsten Idee menschlicher Zwecksetznng nicht hinaus, selbst nicht wenn wir vom einzelnen Menschen unsern Blick auf die Menschheit richten und uns vergegenwärtigen,

wie sie ihre Idee

zu verwirklichen hat in einem System von Selbstzwecken, welche nur wieder Momente dieses Ganzen sind. Denn immer kann sich unsere Zwecksetzung nur bauen auf eine über unsern Willen zurückliegende Voraussetzung, ein Gegebenes; wir können Zwecke setzen immer nur als die selbst Gesetzten, und in unserer natürlichen Anlage ist uns eine extensive wie intensive Schranke gegeben, schritten werden kann.

welche nicht über­

Auch bleibt immer ein Rest von Abhängig­

keit von außen, ja immer stärker macht sich die Thatsache geltend, daß der Einzelne auf das Ganze und seine Entwicklung angewieseo ist, was gänzlich über feine Machtsphäre hinausliegt.

Immer bleibt

auch das Werden, da eine Entwicklung, und wenn sie noch so gerad­ linig ist, in sich schließt,

daß das Sichentwickelnde etwas Anderes

wird als es ist, wenn es auch rein aus dem Grund der eigensten Anlage heraus geschähe.

Dagegen finden wir,

daß dieses höhere

Zwecksetzen das Streben ist, das eigenste Wesen auf dem Wege der vollen Selbstbestimmung herauszusetzen bringen.

und zur Entwickelung

zu

Es ergibt sich also als der innerste Kern ächter Zweck­

setzung: die That aus dem eigensten Wesen heraus, nicht

186

als eine isolirte Erscheinung sondern als continuirlicher Lebensakt. Wie wäre es nun, wenn wir uns entschließen möchten, diesen Begriff von Zwecksetzung, besser gesagt, die eigentliche Idee dersel­ ben auf Gott anzuwenden? Haben wir etwa zu fürchten, daß eine solche Fassung dem Wesen des Absoluten auch widerspreche wie das gemeine Zwecksetzen? In Einem, und damit in Allem, würde sich freilich das Zwecksetzen einer absoluten Persönlichkeit von Grund aus unterscheiden von unserem endlich-beschränkten. Bei der endlichen Persönlichkeit kann auch das höchste Zwecksetzen nicht mehr sein als das Streben, sich selbst zur vollen Wirklichkeit zu bringen, welches sich nur von einer beschränkten gegebenen, wenn auch unabsehbarer Steigerung fähigen Anlage aus auf dem Weg allmählicher Entwick­ lung bethätigen kann; hier handelt es sich also um eine Entwicklung auf Grund einer erst werdenden, somit nur beschränkten Selbstbe­ stimmung, um ein Werden dessen, wozu die Persönlichkeit zwar an­ gelegt, was sie aber von vornherein noch nicht ist. Das Absolute oder vielmehr der Absolute kann Nichts erst werden, weil er Alles schon ist, was er sein kann, er kann schon Nichts werden, weil er seiner selbst völlig mächtig, also im vollsten Besitze seiner Potenz, seines Lebensinhalts ist. Nicht Zwecksetzung an sich, sondern eine Zwecksetzung, welche ein Werden und eine Entwick­ lung des Zwecksetzenden selbst in sich schließt, ist mit dem Absoluten unvereinbar. Denn was die volle Realität in sich ist, kann sich nicht erst entwickeln, Und der seiner selbst Mächtige braucht nicht sich selber zur Wirklichkeit zu erheben. Die Frage, ob damit die absolute Langeweile gesetzt sei und in Gott die Negation alles Lebens sein müsse, wenn er Nichts werden könne, weil er Alles schon sei, wollen wir hier nicht beantworten, außer mit der Bemerkung, daß es um das Absolute geschehen ist, wenn eS die For­ men des endlichen Lebens, Werden und Entwicklung, nicht soll ent­ behren können, wenn es, damit es nicht leer sei, nothwendig ver­ endlicht werden muß.

187

Es bleibt aber für das Absolute ein unendliches Feld unend­ licher Zwecksetzung. Ist nämlich, was wir als erwiesene Thatsache auS dem vorigen Abschnitt aufnehmen, Gott der Leben mittheilende, der Lebensgrund einer Welt, so ist eben diese Lebensmitthei­ lung sein Zweck und die Welt demnach sein realisirter und in der Realisirung begriffener Zweck, ein Zweck, der einerseits zwar intensiv beschränkt, andrerseits aber unendlicher Potenzirung fähig ist. Gott wird durch solches Zwecksetzen in keiner Weise verendlicht, da die Endlichkeit nicht in ihn, sondern in das Wesen des Produkts fällt. Das göttliche Zwecksetzen ist in jedem Moment ein solches, welches den ganzen unendlichen Verlauf mit­ setzt, somit über alle Schranken der Endlichkeit übergreift, das Pro­ dukt aber erscheint nothwendig in jedem Moment als ein beschränk­ tes und endliches, da es niemals in derjenigen Ganzheit verwirklicht ist, wie eö ideell in der göttlichen Zwecksetzung vorhanden ist. Wäh­ rend das bloße Substanzialitätsverhältniß, in welches der Pantheis­ mus Gott zur Welt setzt, Gott nothwendig in die Endlichkeit hinein­ zieht und dadurch selbst verendlicht, weil die Welt in irgend welcher Weise zu seiner Existenz gehört, so ist ein Zwecksetzen Gottes das gerade Gegentheil des Ausdrucks seiner Bedürftig­ keit; denn es erweist sich darin nur die ihrer selbst mächtige Lebens­ fülle, welche eö nicht nöthig hat, sich auf sich selbst zu beschränken. Denn der Zweck ist in diesem höchsten Sinne, wie er nur bei Gott denkbar und ihm specifisch eigen ist, von Ansang bis zu Ende die reinste, freieste, ursprünglichste That der Selbstbestimmung. Er tritt organisch auf, gliedert sich und schließt die Mittel seiner Verwirklichung als Momente bereits in sich; die Mittel sind hier nur Zweckprodukte niederer Ordnung, Vor­ stufen der Spitze des Einen Weltzwecks. Man sieht: so wenig wider­ spricht das Zwecksetzen der absoluten Persönlichkeit, daß wir erst in ihr vielmehr die volle Verwirklichung des Zweckbegriffs finden: — die freieste That der Selbstbestimmung aus dem absolu­ ten Lebensgrunde.

188 Noch aber haben wir nicht das eigentliche Geheimniß, den in­ nersten Kern der absoluten Zwecksetzung aufgedeckt. Wir sprachen bisher von Lebensmittheilung, welche im Weltzweck organisch sich ent­ wickelt. Betrachten wir aber die Stufen dieser Lebensmittheilung in der Welt, wie sich Alles zuspitzt in dem Personleben, so wird die Lebensmittheilung nothwendig die Richtung einhalten ans das Ziel persönlicher Mittheilung. Der Weltzweck Gottes kann 'also nach der vorliegenden Weltthatsache, so weit sie unsrer Betrachtung zugänglich ist, nur sein die Selbstmittheilung Gottes an die endliche Geisteswelt. Im Setzen der Weltentwicklung vollzieht sich als höchster Zweck, als Kern und Stern alles göttlichen Weltwirkens die Selbstmittheilung, wobei Gott nicht erst gemüßigt ist sich selbst zu realisiren, weil das Absolute keine Steigerung seiner Realität zu erobern hat, wobei aber die Welt gotterfüllt wird und in steigendem, und zwar unbegränzt steigendem Maaße am Absoluten Theil erhält mit der höchsten denkbaren Spitze eines persönlichen Erfassens Gottes. Das ist nun allerdings eine höhere Anschauung vom Zweck­ setzen Gottes in der Welt, als man es gemeinhin zu verstehen ge­ wohnt ist. Es ist ja leickt zu sehen, daß hierbei die göttlichen Zwecke den Dingen nicht äußerlich anhängen, sondern die Welt selbst nach Länge und Breite ist der in der Realisirung begriffene Weltzweck. Richtung und Ziel ist dem Wesen der Dinge immanent, eingeboren und zwar sich entfaltend in einem großen organischen Zusammen­ hang, in einem System von Welten. Auch wir können mit dem Pantheismus sagen: die Welt sei die göttliche Weltidee selbst, in ihrer Verwirklichung begriffen. Und eben weil die Zwecke den Din­ gen immanent sind und nicht äußerlich ankleben, haben wir in der Welt überall nur Leben und Entwicklung, welche sich aus dem Grunde einer ideellen Anlage erheben. Auch wir wollen Nichts wissen von jenem Erpichtsein auf göttliche Absichten, welche dem Wesen der Dinge ganz'äußerlich bleiben, von jenem Aufspüren von einzelnen Zwecken und Zweckmäßigkeiten, womit wir nur unsre ober-

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sachlichen und subjektivistischen Reflexionen ans Gott übertragen; auch wir geben zu, daß dieses klügelnde Gebühren der Lächerlichkeit verfällt und um so armseligere Resultate liefert, je eifriger man in allen einzelnen Erscheinungen besondere Zwecke und Nützlichkeiten glaubt suchen zu müssen. Allein diese Sucht, an welcher namentlich der Rationalismus seiner Zeit stark gelitten hat, ist doch wohl zu unterscheiden von dem Drange, welchen wir in jedem ächt religiösen Gemüth finden, in Allem, auch in dem Geringfügigsten, eine Bezie­ hung auf göttliche Zwecksetzung in der Welt zu glauben und im Glauben anzuerkennen. Das ist nicht die Frucht eines armseligen und bornirten Egoismus, auch nicht das Erzeugniß der Ignoranz und der Scheu vor dem Begreifen der Dinge, sondern eö ist das instinktive Ergreifen einer unentbehrlichen Wahrheit. Ist Gott wirk­ lich der Lebensgrund der Welt, so daß er auch ihre Entwicklung in ihrer gesammten Ausdehnung einheitlich setzt, so ist damit gegeben, daß Nichts in der Welt geschehen kann, was nicht in diesem Zusam­ menhang der Weltentwicklnng seine Bedeutung, also seine Beziehung zum Weltzweck hätte. Daß Nichts in der Welt zwecklos ist oder zum Weltzweck sich gleichgiltig verhält, das scheint uns ein konkreterer und richtigerer und praktischerer Ausdruck zu sein für jenes oft verschrieene Wort Hegels: Alles, was wirklich ist, das ist vernünftig. AnS dem Gesagten wird sich leicht ergeben, daß Gott auch nicht wahre absolute Causalität im Verhältniß zur Welt wäre, wenn er nicht zugleich der Zwecksetzende und der sich selbst zum Weltziel Setzende sein würde. Denn ohne das wäre die Causalität entweder ein äußerliches, deistisch zu denkendes Verhältniß oder muß sie in daS Verhältniß von Substanz und AccidenS, wie dies bei'm Pan­ theismus immer der Fall ist, umschlagen. Soll Gott wirklich Welt­ ursache sein, so muß er auch als causa finalis begriffen werden; es ist dann nicht mehr die Rede von einem bloßen Ermöglichen der Existenz, sondern von Lebensmittheilung, von der Gewährung einer relativ selbstständigen Entwickelung und von dem Setzen eines höch-

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sten gotteswürdigen Ziels, der Gotteserfüllung. Denn die Zwecksetzung fordert als ihre Spitze, daß die Welt sich erhebe zum Person­ leben und daß eine Welt der endlichen Geister ethisch d. h. sich mit Selbstbestimmung entwickle, selbstthätig in den Weltzweck eingreife und ihn sich aneigne. Der Zweckbegriff ist es also, welcher dem Endlichen zu eigener Entwicklung und namentlich in Form der ethischen Selbstbestimmung Raum läßt. Und darin wurzelt das große sittliche Interesse, welches die Teleologie uns abnöthigt. Wir sind bisher von dem im vorigen Abschnitt erwiesenen Satze ausgegangen, daß die Welt Produkt der göttlichen Selbstbe­ stimmung, somit ein realisirter und in der Realisirung begriffener Gottesgedanke, sei und zogen daraus die Folgerung, daß sie auch zweckvoll sein müsse. Wir haben uns mit diesem Gange nicht zu begnllgen, sondern können uns auch auf den Boden der Thatsache stellen, daß die Welt, weil sie von Leben und Entwickelung voll ist, auf uns den unabweisbaren Eindruck der Zweckmäßigkeit und eines Zweckorganismus macht. Treten wir also von hier aus an die große Zeitfrage, ob wir . mit dem Pantheismus bei einem „immanenten" Zweck stehen bleiben dürfen oder ob dieser unser Denken über sich hinaus nöthigt zur Annahme eines zwecksetzenden Absoluten. ES ist wahr, von Zwecken, welche den Dingen äußerlich an­ hängen, können wir Nichts mit Sicherheit in der Welt finden. Im Gegentheil je objektiver wir die Dinge betrachten lernen, um so gründlicher schwinden jene Zweckreflexionen und geben sich als ein Produkt imaginirender Auffassung der Dinge und undisciplinirten Denkens zu erkennen. Dagegen erschließt sich unsrem Geist bei näherer Betrachtung, was die Imagination theils übersieht theils für Nichts achtet, die innere Zweckmäßigkeit und Vernünftigkeit, der organische Zusammenhang der Welt, die Entwicklung im Einzelnen wie im Großen. Es geht uns die Ahnung einer Weltidee auf, welche den Weltgang bestimmt nnd erst dunkel sich vorbereitend, allmählig immer deutlicher sich herausgestaltet. Je tiefer die For-

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schung bringt, um so mehr offenbart sich ihr Gesetzmäßigkeit und Ordnung, aber nicht als bloße Schranken, welche den Weltbingen wie ein Joch aufgelegt wären, sondern als zu ihrem Wesen gehörig und in ihnen individualisirt. Wir finden eine den Dingen einge­ borene Vernunft, und was wir Gesetze nennen, erweist sich uns als die Abstraktion unseres Denkens ans den Lebensäußerungen, wie sie in den Weltpotenzen gegründet sind; sie drücken also nur die Natur der Dinge selbst, wie sie nach irgend einer Richtung sich thätig beweisen, in abstrakter Form aus. Während man aber gemeinhin bei der Gesetzmäßigkeit der Welt stehen bleibt oder von Zweckmäßigkeit redet in dem Sinn, daß die Dinge organisch zusammenstimmen und eines des andern Voraus­ setzung ist, sehen wir uns in der Lage, eine höhere Thatsache zu fairen: daß wir nämlich in der Welt, so weit unsre Erkenntniß reicht, überall den Drang nach Weiterentwickelung regsam finden. DaS war freilich jederzeit leicht zu sehen bei'm Einzelnen; das ist hauptsächlich in Folge des Einflusses des geistigen und uni­ versellen Charakters des Christenthums der neuen Zeit klar genug geworden hinsichtlich des höchsten Gebiets des Weltlebens, hinsichtlich deS Geisteslebens und seiner Geschichte. Es bleibt uns nur übrig, einen scheinbar kleinen Schritt weiter zu thun und den Drang der Entwicklung auch im Ganzen der Welt zu finden. Und hiefür hat uns die Naturwissenschaft durch die Aufschlüsse über die Vergangen­ heit des Naturlebens, dem wir angehören, entscheidenden Anstoß ge­ geben. ES ist uns zur unleugbaren Thatsache geworden, daß auch das Naturleben im Großen seine einheitliche Entwickelung hat, und immer zahlreicher werden auch die Beweise, daß diese Entwickelung keineswegs eine abgeschlossene und hinter uns liegende ist, daß wir vielmehr immer noch in einer wenn auch für kurze Zeiträume kaum merklichen Weiterentwicklung der Natur stehen. Ja die Welt, auch hinsichtlich des Naturlebens, schreitet fort; das geschieht in stiller allmähliger Bewegung, welche jedoch für die Zukunft nicht minder

192

gewaltige Resultate liefern wird, als dies bisher in großen Zeit­ räumen trotz aller Allmähligkeit der Fall gewesen ist. Also Weiterentwickelung, Potenzirung überall, in der Natur wie auf dem Gebiet des Geistes, demnach auch wirksame Anlage auf ein Weltziel, eine in der Realisirung begriffene Idee. Cs fragt sich nun, auf was diese Idee zurückzuführen ist. Sollen wir sie mit dem Pantheismus zur abso­ luten machen, welche sich eben mit innerer Nothwendigkeit im Welt­ proceß in endlicher Form darlebt, und dabei abusive von Weltzweck sprechen, sofern es ja bei einer blinden Idee weder ein gewolltes Ziel noch überhaupt ein Ziel, sondern nur einen Gang inS UrtBe«stimmte, einen unendlichen Kreislauf geben kann? Oder sollen wir mit dem Zwecksetzen Ernst machen und einen Gott, einen Absoluten setzen, welcher sich zwecksetzend zur Welt verhält? So lang man bei der bloßen Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Welt stehen bleibt und sie int Großen und Ganzen bei allem Wechsel im Einzelnen als unveränderlich dieselbe bleibend betrachtet, kaun allerdings leicht der Schein auflommen, sie sei in diesem ihrem unbegränzten Be­ stände, in dem als fest und unwandelbar vorausgesetzten Theil ihres Wesens ein adäquater Ausdruck des Absoluten oder vielmehr das Absolute selbst, wie z. B. Fichte die Weltordnung als das Feste und Beherrschende dem Wandelbaren in der Welt gegenüber als Gott bezeichnete. Allein von diesem Mißgriff, bei welchem für unwandel­ bar genommen wird, was selbst im Fluß der Entwickelung begriffen ist und nur den Schein der Ewigkeit hat, weil das relative Behar­ ren auf unsre Kurzsichtigkeit so leicht den Eindruck eines absoluten Beharrens macht, werden wir gründlich durch die Erkenntniß geheilt, daß die Welt nicht nur in allen ihren Einzelnheiten sondern auch als Ganzes, als KoömoS in der Entwickelung begriffen ist, wie sie es als endliche ja nothwendig muß. Denn eine solche Bewegung läßt sich nur denken alS ausgehend von einer begränzten Anlage und als hinausweisend auf ein seiner Natur entsprechendes, also intensiv beschränktes Ziel; denn was sich entwickeln muß, das gibt

193 in seinem Zunehmen wie in seinem Abwerfen des Abgelebten seine Endlichkeit durch alle Stadien zu erkennen.

Kann somit weder die

Weltidee selbst noch ihre Verwirklichung das Absolute sein, so weist uns die Welt selbst als eine sich entwickelnde und so sich als end­ liche dokumentirende hinaus über sich auf ein Absolutes, welches die Weltidee in sich trägt und in den Proceß der Verwirklichung setzt; denn waS sich so klar als nicht absolut ausweist, kann den Grund seines Wesens nicht in sich selbst haben, nicht causa sui sein, setzt vielmehr eine solche nothwendig voraus.

Machen wir aber mit dem

Setzen bei'«; Absoluten Ernst, so kann die zu realisirende Weltidee nicht anders zu seiner Aktivität sich stellen denn in das Verhältniß des Zwecks,

welchen das Absolute frei aus sich setzt und den eS

Stufe um Stufe seiner Verwirklichung zuführt. also die Entwicklung als

Sobald man

eine Weltthatsache in ihrem

ganzen Umfang erkennt, so ist der Weg sicher und eben zu einem zwecksetzenden Absoluten, zu einem solchen LebenSgrund, gegenüber von welchem sich die Welt in ihrem ganzen Ver­ lauf nur verhält als daS Produkt seines Willens, als die Verwirk­ lichung eines Gedankens, der nach seiner ganzen Ausdehnung orga­ nisch in sich gegliedert ist, aber nur in der Form des Nebeneinander und des Nacheinander realisirt werden kann. So wäre also Gott erwiesen als der Zwecksetzende; und da die Welt der in der Realisirung begriffene Weltzweck selbst ist, kann man sagen, Erkenntniß der Welt sei zugleich Erkenntniß des Welt­ zwecks und zugleich mittelbar Erkenntniß Gottes selbst,

sofern das

Weltleben nicht zu denken ist ohne die Grundvoraussetzung eines so und so beschaffenen Absoluten.

Wir müssen aber unsre Gedanken

noch höher spannen und Gott erkennen als das Weltziel, nämlich als den der sich selbst zum Weltziel setzt.

Denn

da er der Absolute ist, so kann es natürlich für die Welt,

welche

nur durch Lebensmittheilung besteht,

nur Eine Realität geben,

welche ihren Lebenshunger befriedigt, nämlich

Gott selbst.

Der

Weltzweck müßte nothwendig ein nichtiger, die Welt ein gehaltloser Späth, Welt und Gott.

13

194 Schein, ein Schattenspiel sein, wenn sie nicht eine Theilnahme am Absoluten in sich schlösse, ans dem sie ihr Leben zieht. Daraus folgt, daß der Zug der Welt zu Gott geht und daß die Gotterfüllt­ heit das Höchste ist, was die Welt erreichen kann; also Gott der sich selbst zum Weltziel Setzende. Ist nun das immer noch ein räthselhaster Gedanke in dieser Allgemeinheit, so wird derselbe als­ bald klar und lebendig, sobald die Welt in concreto dabei in Be­ tracht gezogen wird. Wir sehen eine Stufenleiter der Schöpfung, welche vom dumpf entfremdeten Sein aufsteigt zum selbstbewußten Geiste. Gott wird daher Weltziel für die verschiedenen Stufen nur in sehr verschiedenem Sinne sein. Denn was von der Welt noch nicht zu sich selbst gekommen ist, die gesammte Natur im Gegensatz zur Geisteswelt kann Gott nur mittelbar zum Weltziel haben, sofern sie darauf angelegt ist, daß Gott mittelst ihrer das Weltziel für die Geisteswelt werden kann. Eigentlich ist Gott Weltziel nur für die Geisteswelt, welcher er in persönlicher Lebens­ beziehung seine ganze Fülle ausschließen und mittheilen kann. In dieser Spitze des Weltzwecks liegt eine unerschöpfliche Tiefe des Weltgehalts, der ohne Ende wachsen kann, ohne daß da­ durch sein Grundverhältniß zum Absoluten verrückt würde; sie ist auch eine Gewährleistung für den Fortbestand der Welt, da diese ohne volle Erreichung des Weltziels sinnlos würde. Von hier aus wird nun auch klar, daß eine tiefe und lebendige Gotteskenntniß wesentlich abhängt von dem Stand dieses Sichhineinlebens Gottes in die Welt, welches ebenso ein Sichhineinleben der Welt in Gott ist, und zwar einerseits von dem Stand dieses Processes im Allge­ meinen andrerseits von der Stufe, auf welcher jeder Einzelne in dieser Hinsicht steht. Da wir uns genöthigt sehen, ein solches Gewicht auf den teleo­ logischen Charakter unsrer Weltanschauung zu legen, so können wir die Frage nicht umgehen, wie wir uns zu dem sogenannten teleo­ logischen Beweis für das Dasein Gottes stellen. Aus der Ordnung, Zweckmäßigkeit, auch Schönheit der Dinge

195

in der Natur und wiederum aus dem zweckvollen Zusammenhang, der „Weisheit" der Ereignisse in der Geschichte wird auf einen in­ telligenten Urheber und Lenker der Welt geschlossen. Dies etwa ist die Summe dessen, was seiner Zeit in unzähligen Variationen und Exemplifikationen ausgeführt ganze Bücher füllte. Es ist unleugbar baß zu diesem Beweis sowohl die verständige Reflexion als auch das religiöse Bedürfniß von jeher eine besonders freundliche Stellung eingenommen hat. Und das Letztere ist ebenso begreiflich als das Erstere, wenn es wahr ist, was wir behaupten, daß eine lebendige Religiosität das Verhältniß der Zwecksetzung von Seiten Gottes zur Welt nicht entbehren könne und daß auch unsere Vernunft eben darin sich befriedigt findet, daß sie die Welt als zweckvoll erkennt. Der Beweis muß wohl einen gesunden Kern in sich haben; sonst hätte er sich keine solche Bedeutung erobern und nicht so populär werden können. Ja wir machen für ihn auch das geltend, daß er ursprünglich kein Produkt der Wissenschaft ist, sondern die Nächst­ liegende Reflexion, welche wir überall beim einfachen Nachdenken über die Welt sich wiederholen sehen. Was so wenig bloßes Kunst­ produkt ist, sondern als die Frucht eines natürlichen Instinkts unsers Geistes sich erweist, das kann nicht reines Phantasiestück und sinn­ los sein, wie es sich vom Standpunkt eines starren Pantheismus ausnimmt. Wir scheuen uns nicht anzuerkennen, daß wir nnr den Wahrheitskern, welcher in dem sogenannten teleologischen Beweise steckt, in diesem Abschnitt zur Geltung zu bringen versucht haben. Es führte unS der endliche Zweckorganismus, welchen wir Welt nennen, auf einen zwecksetzenden Weltgrund, in welchem selbst das ganze Zweckshstem als in dem einzig denkbaren Welrziel sich zuspitzt. Allein von der Ausführung des teleologischen Gedankens int teleolo­ gischen Beweise haben wir uns weit entfernt. Sie ist allzu unreif und rudimentär. Wir gehen daran, die Mängel aufzudecken in der Erwartung, daß dadurch noch weiteres Licht auf unsere Auffassung fallen wird. Es ist vor Allem der niedrige Begriff von Zweckmäßigkeit und 13*

196

der allzu oberflächliche Begriff von Zweck, was diese Teleologie dem tieferen Geist ungenießbar macht und sie reichlichem Spotte ausge­ setzt hat. Die Zweckmäßigkeit, welche an den Dingen der Natur gepriesen wird, ist meist die niedere Nützlichkeit, insbesondere die nützliche Beziehung der Natur zu unserer menschlichen Existenz. Und die Zwecke, welche atomiftisch aufgegriffen werden, wie sie eine spo­ radische Weltbetrachtung oder die zufällige Erfahrung bietet, sie wird in kein inneres Verhältniß zum Wesen der Dinge gesetzt, viel we­ niger wird das Wesen der Dinge erkannt als der verwirklichte und in Verwirklichung begriffene Zweck selbst und die Welt als Zwecksystem, sondern von außen hängt sich an die Weltdinge irgend eine unsern menschlichen Absichten analoge Beziehung zu anderen Welt­ dingen und als der Verknüpfende wird ein intelligenter Lenker supponirt. Also weil die Zwecke nur äußerlich an den Dingen hängen und zwischen Ding und Zweck und Ding und Ding kein organisches Band ist, muß Gott die Lücke ausfüllen und die Zwecke setzen, von denen jeder direkt und ohne Berücksichtigung seines Zusammenhangs auf Gott zurückgeführt wird. Aber solche nur angeheftete Zwecke wäre» gar nicht mit Sicherheit wahrzunehmen; wenn sie eS aber wären, so könnte auS ihnen Gott nur erkannt werden als der den Dingen nach der Weise einer endlichen Persönlichkeit als fertigen gegenüberstehende und mit menschlicher Berechnung und Klugheit operirende. Förmlich atomiftisch aber wird auf diesem Standpunkt die Geschichte betrachtet. Denn gerade bei denjenigen Ereignissen, welche in keinem merklichen inneren Zusammenhang mit einander stehen,' wird nach dem Zweck des Lenkers gefragt und der fingirte Zweck als das eigentlich Verbindende der sonst gleichgiltig nebenein­ ander stehenden Ereignisse gesetzt. Damit ist dem oberflächlichen Raisonniren und Pragmatisiren Thür und Thor geöffnet; und die gewöhnliche Teleologie ist eben nur die Frucht von diesem. Auch mit jener Zweckmäßigkeit steht eS nicht besser; sie ist ein rein sub­ jektiver Maaßstab, welcher sich bei höherer Betrachtungsweise ganz verliert: die Zweckmäßigkeit hebt sich auf in die objektive Vernüns-

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tigkeit. Wie kann man ans solcher Grundlage einen großen Gewinn für die Gotteserkenntniß erwarten? Es kann sich mit solchen Mitteln der Mensch nur subjektiv bestärken in dem, was sein geistiges Be­ dürfniß zuvor schon gefunden hat. Und trotzdem werden wir auch in dieser armseligen Schaale noch einen besseren Kern erkennen müssen. ES ist bei diesen Nützlichkeitstheorieen doch immer wenig­ stens die Ahnung mitlaufend, daß die Welt ein Produkt der Ver­ nunft, ein Gottesgedanke und durch und durch von idealem Gehalte sei; und die Annahme von diesen unzähligen einzelnen Absichten Gottes als Erweisungen seiner Weisheit ist nur möglich unter der Voraussetzung, daß die Welt Nichts und leer wäre, wenn sich in ihr kein Zweck verwirklichte. Das sind zwar schlummernde, aber doch mitwirkende Wahrheiten bei dem Raisonnement des teleologi­ schen Beweises, und sie bilden seine Stärke, welche durch alle Un­ angemessenheit der Formfassung nicht ertödtet werden kann. Wie sehr der teleologische Beweis auf dem Standpunkt des ab­ rupten und darum oberflächlichen RaifonnementS steht, daS stellt sich besonders in folgendem schon verschiedentlich mit Recht erhobenen Einwand heraus. Setzen wir den Fall, daß die Welt wirklich un­ leugbare Spuren von Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit, oder es mit Einem Worte zu sagen, von Planmäßigkeit enthielte, so ist dieser Thatsache jedenfalls eine andere entgegenzustellen, welche die Kraft der Folgerung vollständig aufzuheben droht. Findet sich nicht auch Verwirrung, Häßliches und Zweckloses, ja Zweckwidriges nach dem Urtheil der Menschen genug in der Welt, vielleicht mehr als vom Gegentheil? Folglich müßte mindestens ein gewaltiger Abzug erfolgen, und wofern aus andern Gründen ein weiser Schöpfer und Lenker zu setzen wäre, wäre seine Weisheit doch nur als eine be­ schränkte zu setzen, weil sie sich auch nur in beschränktem Maaße geoffenbart hätte. Eigentlich stünde es jedoch schlimmer, weil ent­ weder anzunehmen wäre, daß die Welterscheinungen, welche keine Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit offenbaren, auf einen an­ dern Urheber zurückzuführen wären, dem die entgegengesetzten Eigen-

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schäften beigelegt werden müßten und der ganz parallel mit dem weisen Urheber zu setzen wäre, oder daß auf Rechnung Gottes auch alle Unordnung, alle Verbildung und alles Zwecklose und Zweck­ widrige geschrieben werden müsse, was ja den Begriff des Absoluten nicht minder aufhebt, als die erstere Consequenz. Das Gelindeste, was eingewendet werden könnte, wäre zu sagen, daß unsere verein­ zelten Wahrnehmungen von Weisheitsoffenbarung an den Weltdin­ gen, zumal da immer Entgegengesetztes wahrgenommen werde, uns nicht berechtigen, auf eine absolute Weisheit zu schließen, daß dieses Recht auch dann nicht einträte, wenn sich unsere Erfahrung eine weit ausgedehntere Sammlung von einzelnen Exempeln anlegte. , Ganz anders stehen wir mit unserer immanenten Teleologie solchen Bedenken gegenüber. Was kümmert uns dieses subjektivistische Abwägen von Ordnung und Unordnung, von Schön und Häßlich, von Zweckmäßigkeit und Zweckwidrigkeit an den Weltdingen. DaS ist eine Betrachtungsweise der Welt, mit welcher die Wissenschaft Nichts anfangen kann, und bei welcher man über unzähliges Für und Wider nicht hinauskommt. Indem wir uns dagegen der un­ beachteten Thatsache vergewissern, daß das Weltganze in einer or­ ganischen Entwicklung begriffen ist, erkennen wir die Ordnung, die Harmonie, die Zweckmäßigkeit nicht als Erscheinungen, welche da und dort in der Welt auftreten, sondern als der Welt eingeboren; und das Entgegengesetzte erklärt sich leicht daraus, daß die Entwick­ lung durch Stufen geht, es also an rohen und undurchgebildeten Momenten nicht fehlen kann. Wir bedürfen also keiner Theodiceen, es schrecken uns auch die Anklagen nicht, durch welche diese Art von Advokatur in Sachen Gottes hervorgerufen wurde, sondern wir reihen das Alles, was unserm Gefühl oder kurzsichtigen Meinen an­ stößig sein mag, in die Gesammtentwicklung des Kosmos ein und haben dadurch den Gewinn, ihm nicht nur auf den Grund zu kom­ men, sondern auch eö ganz an seinem Platze zu finden, womit Alles wegfällt, was die teleologische Anschauung lähmen könnte. Mit Recht aber richtet sich bei dem teleologischen Beweise der

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Angriff auch gegen das Resultat, welches gewonnen werden soll: ein intelligenter Urheber und Lenker. Zwar was tendirt ist, ist gut. Der religiöse Instinkt treibt hin auf einen Lebensgrund, der seine Realität in freier Selbstthat, also rein geistig, der Welt mittheilt. Aber die Form, in welcher sich dieser Zug hier geltend macht, ist für ein höher gebildetes Bewußtsein ganz unhaltbar. Indem näm­ lich die göttliche Causalität unter den Gesichtspunkt der Intelligenz gestellt wird, erscheint die Welt als Produkt der Ueberlegung, und wird nur der Superlativ menschlicher Berechnung auf Gott über­ tragen. Der Anthropomorphismus macht sich hiebei in stärkster Form geltend und statt des sich selbst zum Weltziel setzenden Abso­ luten hat man einen geschickten, wohl berechnenden Weltbaumeister und Ordner. Mit Recht kann dieser Fassung gegenüber der Pan­ theismus sagen, es sei keine Ursache vorhanden, über die objektive Vernünftigkeit der Welt Hinauszugreisen zur Annahme eines intelli­ genten Wesens, da man bei der herkömmlichen Teleologie im Grunde Nichts thut, als daß man die an der Welt gefundene Vernünftigkeit aus ihr hinaus verlegt und sie personificirt. Anders gestaltet sich das bei unserem Gange. Indem wir von der Entwickelung des Weltganzen ausgehen als von einer durchgreifenden Thatsache, und sich uns damit die Welt als ein in der Verwirklichung begriffenes Zwecksystem darstellt, so drängt sich uns ihre Endlichkeit auf; damit werden wir nothwendig gewiesen auf das Absolute als ein von der Welt zu unterscheidendes, somit Entwicklung, also Zweck setzendes, und langen bei der Annahme an, daß die Welt ihr letztes Ziel eben nur hat in Gott, dem Zweck setzenden. Wir nehmen den geistigen Ge­ halt nicht aus der Welt heraus, um ihn auf ein außerweltliches Subjekt zu übertragen; wir gehen vielmehr davon aus, daß die Welt nur zu begreifen ist als ein System von Potenzen, somit als die Idee in ihrer Verwirklichung. Und diese Thatsache führt uns nicht bloß zu einer intelligenten Ursächlichkeit, von welcher weiter Nichts zu sagen ist als daß sie ist, sondern zu einer reellen Wechselbe­ ziehung zwischen Gott, dem Zwecksetzeuden und der Welt

200 als seinem zweckvollen Produkt,

welches sein Ziel in Gott

selbst findet und darauf angewiesen ist, daß seine Verbindung mit Gott immer inniger und persönlicher werde. Uns ist die Teleologie gar nicht bloß ein Weg zur GotteSerkenntniß, sondern eine wesentliche Seite der Weltauffassung, ohne welche auch das ethische und religiöse Leben des menschlichen Geistes schweren Eintrag erleidet.

Wir wollen schweigen von den furcht­

baren Zerstörungen, welche eine rein naturalistische Weltanschauung anrichtet, sobald man mit ihr vollen Ernst macht.

Denn sie bringt

den Menschen um seinen idealen Gehalt und macht ihm jedes ideale Ziel lächerlich; sie überantwortet ihn dem bloßen Naturtrieb, wel­ cher der Zucht sittlichen Strebens entnommen zum geistlosesten un­ gezügelten Belieben wird.

Dagegen wollen wir uns erinnern an

das Mißverhältniß, welches droht, wenn der Mensch der Bedeutung seiner Persönlichkeit inne wird und sich als Selbstzweck betrachtet und behandelt. Erkennt er da keinen Weltzweck an, dem er sich als Theilzweck einfügen will und in welchem das'höchste Weltziel, Gott, sich ihm darbeut als die einzig genügende Befriedigung seiner geisti­ gen Anlage, so isolirt er sich selbst und verfällt dem Souveränetätsschwindel und durch ihn der subjektivsten Willkür.

Es geht ihm

folgerichtig alles sittliche Maaß und aller sittliche Halt zu Grunde, wobei eS nur gut ist, daß der ethische Trieb der menschlichen Natur stärker ist als jede verschrobene Theorie mit ihren verderblichen Consequenzen. Was aber das religiöse Leben betrifft, so sage ich kurz, daß ihm die bloße CausalitätSbeziehung Gottes zur- Welt nicht genügt; sondern so gewiß die Religion Leben in Gott ist, so

gewiß

setzt

sie eine innige Lebensbeziehung Gottes zur Welt voraus, welche dem Menschen Freiheit läßt, sich in Gott zu versenken und ihm zuzu­ streben. Das aber setzt voraus, daß Gott ein der Welt seine Zwecke einbildender ist und sich als das Weltziel dem endlichen Geist dar­ beut und dieser persönlichen Vereinigung des absoluten und des endlichen Geistes Alles dienstbar macht. Alle -Me religiösen Gemüths-

201 Vorgänge, als Ergebung, Andacht, Hoffnung, namentlich aber auch die Akte des religiösen Lebens in Gottesdienst und Gebet verlieren ihre Unterlage, wenn wir Gott nicht in der lebensvollen Beziehung deS Zwecksetzenden und des persönlichen Weltziels zu unS wissen. Es ist kein Wunder, daß die Bernachlässigung der Teleologie erkäl­ tend auf das religiöse Leben wirkt, indem dieses der Fülle seiner Lebensbeziehungen beraubt wird. Gerade die praktische und die Gemüthsseite der Religion muß da zurücktreten, während in ihnen der Schwerpunkt der Religiosität liegt und die theoretische Seite, bei der dann die Religion in „Betrachtungen" aufgeht, muß über­ wuchern. Die volle Lebensfrische kann der Religion nur erhalten werden, wo Gott für unser Bewußtsein in wahrhaft geistiger Be­ ziehung zur Welt steht, daß er ihr Alles gibt und Alles ist, daß der Weltzweck, in den wir von Gott hineingezeugt sind, in Gott sein höchstes allgenügendes Ziel hat.

Neunter Abschnitt.

Gott als Weltcentrum. Das Weltganze setzt als endliches einen nicht-endlichen Lebens­ grund voraus, und dieser wäre nicht in Wahrheit Lebensgrund, wenn die Beziehung des Weltganzen zu ihm nicht eine permanente, die Exi­ stenz deS letzteren durch und durch bedingende wäre.

Der vorige Ab­

schnitt aber hat uns gezeigt, daß die Beschaffenheit des Weltganzen als eines in organischer Entwicklung begriffenen und darum noth­ wendig zweckerfüllten den Lebensgrund als einen zwecksetzenden for­ dert und daher der Lebensgrund selbst als der sich zum Weltziel be­ stimmende gedacht werden muß.

Erst so erhalten wir einen wahr­

haft lebendigen Lebensgrund der Welt, darum auch nur so ein wahr­ haft lebendiges Causalitätsverhältniß Gottes zur Welt. Es ist aber mit dem Bisherigen das Verhältniß Gottes zur Welt noch nicht allseitig und erschöpfend dargestellt. Vielmehr führt uns daS bis jetzt Gewonnene von selbst weiter und auf den Aus­ druck, welcher daS innige Band, das Gott und die Welt verknüpft, am genauesten bezeichnet. Wenn nämlich Gott der Lebensgrund und das Ziel der Welt in Einem ist, so stellt er sich als den festen Punkt dar,

um den sich das ganze Weltleben bewegt, als das

Centrum, in welchem alle Radien zusammenlaufen.

Nur dadurch

daß die ganze Weltbewegung sich um Gott als ihren persönlichen Mittelpunkt dreht, wird die Existenz, die Lebensbewegung und die

203 Bedeutung des Weltganzen denkbar.

Fassen wir Gott nur als den

Lebensgrund oder als das Weltziel oder auch als Beides in Einem, so erscheint er zwar als der in Bezug auf die Welt Wirksame, aber auch als der, dessen Wesen über die Welt hinaus ist.

Denn wenn­

gleich das Produkt des Lebensgrnndes und ebenso die Beziehung der Welt auf Gott als ihr Ziel nicht denkbar ist ohne Wesensverwandt­ schaft beider, und wenn auch immerhin die continnirlich wirksame Doppelbeziehung Gottes zur Welt als Grund und Ziel die innigste Verbindung beider voraussetzt, so fehlt uns für diese Verbindung eben doch noch der deckende Ausdruck, da uns der Lebensgrund als solcher über den Weltbestand zurück- und das Weltziel über denselben hinausweist. Den begehrten Ausdruck nun bietet uns die Bezeichnung Gottes als des Weltcentrums; es ist ja damit gesagt, daß das Weltganze in Gott seinen Einigungspunkt findet, daß die Welt ihre Realität fort und fort nur der Beziehung auf Gott verdankt und daß ohne seine immanente, Alles durchdringende Aktivität alles end­ liche Leben undenkbar wäre. Als Weltcentrum fassen wir Gott, so­ fern er nicht über, sondern in der Welt lebt, und vermöge seiner nicht ruhend sondern aktiv zudenkenden Einwohnung sehen wir den Weltproceß als einen wahrhaft gehaltvollen und realen ermöglicht. Ob wir auf diesem Wege Gott in ein lebensvolles Verhältniß zur Welt bringen, ohne daß seine Absolutheit einen Abbruch erleidet, und so daß der Welt ihre volle Realität und selbstständige „immanente" Entwicklung gewahrt bleibt, das muß sich nun zeigen.

Um es zu

erweisen, überblicken wir die verschiedenen Stellungen, welche in den verschiedenen Weltanschauungen Gott und der Welt zu einander ge­ geben worden sind.

Es

liegt in der Natur der Sache, daß dem menschlichen Geiste

nach Ueberschreitung des ursprünglichen Naturzustandes Gott zuerst in seiner Unterschiedenheit von der Wett und seiner Erhabenheit über die Welt offenbar wird, ehe er auf die innige Wesensbeziehung von Gott und Welt reflektirt. Grundtrieb,

Nicht nur drängt dahin der religiöse

die Anerkennung der Abhängigkeit des Menschen und

204 mit ihm der Welt von Gott, ein Trieb, aus welchem erst bei höhe­ rer Geistesentwicklung die Sehnsucht nach freier Vereinigung mit Gott, nach Freiheit in Gott sich erhebt, sondern auch der Gang des Denkens; denn so lange es sich mehr in Vorstellungen bewegt als in scharfen Begriffen sich vollzieht, setzt es Gott, ob in der Einheit oder in der Vielheit, als Einzelwesen neben die Weltdinge, während ihm die Wesensbeziehungen zwischen Gott und Welt noch verborgen sind.

Wird doch nicht einmal die Welt selbst als ein Ganzes auf­

gefaßt und als ein Ganzes auf Gott bezogen, sondern nur in ihrer dem Augenschein gegebenen Zertheiltheit und in der Zufälligkeit ihrer einzelnen Erscheinungen. Es ist davon die natürliche Folge die, daß die Ereignisse und Weltdinge in ihrer Vereinzelung auf Gott zurück­ geführt werden, sowie die Entstehung des Triebs, Gott in vereinzelter That in die Welt eingreifen zu sehen.

So sieht der Mensch auf

diesem noch unreflektirten Standpunkt auch in den natürlichsten Er­ eignissen unmittelbare Thaten Gottes.

Er bekümmert sich nicht nur

nicht um den Naturzusammenhang, sondern dieser ist ihm noch nicht vorhanden; Gott tritt überall ein in abrupter That.

Mit der ein­

heitslosen sporadischen Auffassung der Welt ist auch die Vorstellung von dem Wirken Gottes in der Welt als einem rein zufälligen und sporadischen gegeben.

Gott steht zur Welt ganz äußerlich, er greift

ein bald da bald dort, die Welt ist nur der Schauplatz seiner will­ kürlichen Machteingriffe.

Gott ist also hier einerseits völlig trans­

scendent, indem er in all seinem Wirken als nur äußerlich zur Welt sich verhaltend vorgestellt wird, andererseits jedoch sinkt er in die Stellung eines Weltwesens, eines Individuums herab, sofern sein Wirken sich in lauter Einzelwirkungen zerschlägt, und an die Stelle der endlichen Ursachen, welche die Ereignisse in der Welt vermitteln, gesetzt wird. Eine wesentliche Modificatiou

dieses Standpunktes tritt ein,

wenn sich das Bedürfniß regt, die Welt in ihrem einheitlichen Zu­ sammenhang zu fassen, womit auch der Zug zum strengen Mono­ theismus Hand in Hand geht. Die Welt nämlich erscheint in ihrem

205 geordneten Naturverlauf, und je weniger dieser Lücken zeigt, um so mehr scheint er Gott in seinem Wirken auf die Welt zu beschränken. Daher entsteht das Bedürfniß, für Gott ein besonderes Gebiet zu reserviren zu unmittelbarer Bethätigung im Unterschied von dem Naturverlauf. Dies ist die Entstehung der supranaturalistischen An­ schauung, welche ein natürliches, durch die Naturordnung gebundenes Walten und ein übernatürliches Eingreifen Gottes in die Welt unter­ scheidet, und bei welcher die unverkennbare Einheit des Weltlaufs und das Bedürfniß, Gotte ein möglichst großes und unbeschränktes Gebiet freiester Bethätigung daneben übrig zu lassen, immer mit einander im Conflikt stehen. Die Mängel der rein supranaturalistischen Weltanschauung, welche sich bei einer niedrigeren Stufe der Geistesentwicklung immer wieder ans dem religiösen wie aus dem intellektuellen Bedürfniß er­ zeugt, aber beim Uebergang zu einer höhern Stufe ebenso nothwen­ dig als unhaltbar sich herausstellt, liegen auf der Hand.

Gott und

die Welt werden zu einander in ein rein äußerliches Verhältniß ge­ stellt, Gott ist der Mächtige, für dessen Machtwirkungen die Welt das

unbeschriebene Blatt Papier ist;

man begnügt sich auf das

Wirken Gottes den anthropomorphischen Charakter der Willkür über­ zutragen, welche den Naturzusammenhang an jedem beliebigen Ort durchlöchern kann und eben hierin Gottes Souverainetät erweisen soll.

Man will da Nichts wissen von einem festgeschlossenen Welt­

zusammenhang, da sonst kein Platz übrig bliebe für abrupte Willkür­ eingriffe Gottes, und solche erscheinen als schlechterdings nöthig, weil sonst die Welt als von Gott unabhängig erscheinen würde. Zieht man ab was die Phantasie dazu thut, um die Vorstellung von Gott lebendiger zu machen, so führt diese Auffassung des Ver­ hältnisses von Gott und Welt auf den inhaltlosen Begriff Gottes als der unbeschränkten Willkür, also auf denselben dürftigen Gotteöbegriff, den man mit Recht dem Deismus zum Vorwurfe macht, welcher Gottes Wirken darin aufgehen läßt, die erste Ursache zu sein, in ihm also nur die Abstraktion der Causalität personificirt.

206 Indessen sehen wir gerade im Deismus den Uebergang zu einer neuen Gottesidee. Man sieht in ihm gewöhnlich Nichts weiter als den Standpunkt der reinen Transscendenz Gottes und legt ihm das Streben unter, die Welt zu entgöttlichen.

Und eS ist wahr,

daß der Deismus eine rein transscendente Gottesidee hat.

Man

übersieht jedoch, daß er damit nichts Neues aufgebracht, sondern nur die schon vorhandene Gottesidee ans ihrer poetischen Schaale genommen und in der nacktesten Form hingestellt hat. lich Neue des Deismus ist aber,

Das wesent­

daß er das willkürliche Wirken

Gottes aus der Welt hinausgewiesen, es auf ihre Entstehung be­ schränkt und den Weltzusammenhang als einen unverbrüchlichen hin­ gestellt hat.

Gerade dadurch ist der Deismus der Uebergang vom

Standpunkt der Transscendenz zu dem der Immanenz. Da der Deismus durch äußerste Beschränkung des Weltwirkens Gottes die Transscendenz gerade auf die höchste Spitze zu treiben und den letzten Rest von innigem Verhältniß Gottes zur Welt tilgen zu wollen scheint, so mag unsere Behauptung paradox klingen. ist jedoch sehr leicht zu rechtfertigen.

Sie

Die Sache verhält sich so.

Die Entstehung des Deismus steht in engstem Zusammenhang mit dem Wachsthum der Naturwissenschaften, auch einer tieferen Auf­ fassung der Geschichte.

Er ist anzusehen als der theologische Aus­

druck für die Tendenz, die Welt als eine organische Einheit zu be­ greifen und demzufolge alle Erscheinungen in ihr in ihrem natürli­ chen Zusammenhang zu erklären. Aus diesem Motiv heraus beschränkt er die unmittelbare Wirksamkeit, für welche dem supranaturalistisch gedachten Gott auch noch ein freier Raum innerhalb des Weltlaufs übrig geblieben war, auf den Weltanfang und läßt so für den gan­ zen Weltverlauf nur eine durch den Schöpfungsakt vermittelte Ab­ hängigkeit von Gott übrig.

Der Erfolg ist zunächst, daß alles wei­

tere Weltleben abgesehen von dem einen Zeitpunkt der Weltschöpfung nur noch in einer losen Beziehung zu Gott steht.

Gott wird eigent­

lich exterminirt und erscheint als quiescirt seit dem Schöpfungsakt. Damit das Weltleben für eine in sich geschlossene Entwicklung Platz

207 gewinne und der Naturzusammenhang im ganzen Umfang zur An­ erkennung komme, scheidet sich im Deismus das Weltleben schroff von der transscendent gedachten, jenseitigen Thätigkeit Gottes. Aber ist damit nicht in der That der Uebergang zum Standpunkt der Immanenz gemacht? Denn offenbar schwindet im Deismus die Be­ deutung Gottes als des transscendenten auf ein Minimum zusam­ men, sie ist nur noch ein letzter Rest, welcher von einer eigentlich aufgegebenen Weltanschauung noch

übrig behalten ift