Weiterlesen: Literatur und Wissen [1. Aufl.] 9783839406069

Der Band analysiert das Verhältnis von Literatur und Wissen ausgehend von einer Auffassung von Literatur, die diese nich

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Weiterlesen: Literatur und Wissen [1. Aufl.]
 9783839406069

Table of contents :
INHALT
Einleitung: Urbanismusdebatte und Medienkunst
I.ZENTRALE MYTHEN VON NEW YORK UND TOKIO
Mythos New York: Museale Metropole des 20. Jahrhunderts
Mythos Tokio: Mediale Megacity des 21. Jahrhunderts
II.MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN
Musealisierung interdisziplinär
Mediatisierung interdisziplinär
Inszenierungsmodell
III.KONTEXT MEDIENKUNST
Videokunst, Musikvideo und künstlerische CD-Rom
Netzkunst und Computerinstallation
IV.MEDIENKUNST-WERKE NEW YORK
1. Jeffrey Shaw: The Legible City
Straßengitter und Radfahrt
Literatur-Cluster, Nicht-Ort und Event Structure
Spacing und dynamisches Data-Scape
2. Alex Gopher: The Child
Establishing Place und Taktgeber-Metropole
Digitale Poesie, akustischer Index und Computerspiel
Rekombination des Raumes, transformatives Zeichensystem und spielerischer Affektraum
3. Wolfgang Staehle: Empire 24/7
Hommage an Warhol, mythische Ikone und Lichtskulptur
Elektronischer Flux, temporäre Störung und digitales Signet
Konzeptionelle Sinnentleerung
4. Wolfgang Staehle: »2001«
Laboratorium Manhattan, Landschaftsmalerei und Terroranschlag
Elektronische Architektur und mediale Endlosschleife
Archiv des Untergangs und Ästhetik der Destruktion
5. Institute for Applied Autonomy: iSEE – Now more than ever
Lokale Stigmatisierung und urbaner Freiraum
Technologische Kontroll-Instanz und Hyperüberwachung
Kommunikativer Selbstentwurf und spielerische Strategie
V.MEDIENKUNST-WERKE TOKIO
1. Knowbotic Research: IO_Dencies Tokyo
Unitärer Urbanismus, Kartografien und Vorstellungsraum
Konfliktästhetik, Maschinismus und Vernetzungen
Translokale Interventionsfelder
2. Egbert Mittelstädt: Elsewhere
Innenraum, mentaler Rückzug und aktiver Blick
Signalüberlagerungen, Katalysator und Zwischenraum
Offensive Künstlichkeit und Aufmerksamkeitsfeld
3. Raivo Kelomees: Tokyocity.ee
Yamamote-Konservierung und semiotisches Rätsel
Stadt als Akteur, Eigenzeit und glatter Raum
Indifferentes Konglomerat
VI.NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST
New York: Überformte Metropole des 20. Jahrhunderts
Tokio: Unspezifische Mikrostrukturen und latente Urbanität
Spektakuläres New York und zurückgenommenes Tokio
VII.ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE
Musealisierung und Mediatisierung »revisited«
Urbaner Raum
Urbane Zeit
Urbanes Bild
Grad der Vielschichtigkeit urbaner Medienkunst
LITERATUR/RECHERCHE-POOL
ABBILDUNGEN

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Jutta Zaremba New York und Tokio in der Medienkunst

Dem unermüdlichen Förderer Friedrich-Wilhelm Baumann Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Birgit Richard, ebenso auch Prof. Dr. Martina Löw

Jutta Zaremba (Dr. phil.) ist Medienwissenschaftlerin und lehrt am Kunstpädagogischen Institut in Frankfurt mit den Schwerpunkten Medienkunst, Museumskommunikation und Computerspiele.

Jutta Zaremba New York und Tokio in der Medienkunst. Urbane Mythen zwischen Musealisierung und Mediatisierung

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2006 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Jutta Zaremba Korrektorat: Birgit Klöpfer, Paderborn Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-591-X Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT Einleitung: Urbanismusdebatte und Medienkunst 9 I. ZENTRALE MYTHEN VON NEW YORK UND TOKIO 13 Mythos New York: Museale Metropole des 20. Jahrhunderts 17 Mythos Tokio: Mediale Megacity des 21. Jahrhunderts 22 II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN 27 Musealisierung interdisziplinär 28 Mediatisierung interdisziplinär 34 Inszenierungsmodell 41 III. KONTEXT MEDIENKUNST 45 Videokunst, Musikvideo und künstlerische CD-Rom 47 Netzkunst und Computerinstallation 53

IV. MEDIENKUNST-WERKE NEW YORK 61 1. Jeffrey Shaw: The Legible City 62 Straßengitter und Radfahrt 63 Literatur-Cluster, Nicht-Ort und Event Structure 69 Spacing und dynamisches Data-Scape 78 2. Alex Gopher: The Child 82 Establishing Place und Taktgeber-Metropole 82 Digitale Poesie, akustischer Index und Computerspiel 86 Rekombination des Raumes, transformatives Zeichensystem und spielerischer Affektraum 89 3. Wolfgang Staehle: Empire 24/7 93 Hommage an Warhol, mythische Ikone und Lichtskulptur 94 Elektronischer Flux, temporäre Störung und digitales Signet 98 Konzeptionelle Sinnentleerung 101 4. Wolfgang Staehle: »2001« 103 Laboratorium Manhattan, Landschaftsmalerei und Terroranschlag 103 Elektronische Architektur und mediale Endlosschleife 109 Archiv des Untergangs und Ästhetik der Destruktion 113 5. Institute for Applied Autonomy: iSEE – Now more than ever 115 Lokale Stigmatisierung und urbaner Freiraum 116 Technologische Kontroll-Instanz und Hyperüberwachung 121 Kommunikativer Selbstentwurf und spielerische Strategie 125

V. MEDIENKUNST-WERKE TOKIO 131 1. Knowbotic Research: IO_Dencies Tokyo 133 Unitärer Urbanismus, Kartografien und Vorstellungsraum 135 Konfliktästhetik, Maschinismus und Vernetzungen 142 Translokale Interventionsfelder 151 2. Egbert Mittelstädt: Elsewhere 154 Innenraum, mentaler Rückzug und aktiver Blick 154 Signalüberlagerungen, Katalysator und Zwischenraum 160 Offensive Künstlichkeit und Aufmerksamkeitsfeld 162 3. Raivo Kelomees: Tokyocity.ee 164 Yamamote-Konservierung und semiotisches Rätsel 165 Stadt als Akteur, Eigenzeit und glatter Raum 167 Indifferentes Konglomerat 172 VI. NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST 175 New York: Überformte Metropole des 20. Jahrhunderts 176 Tokio: Unspezifische Mikrostrukturen und latente Urbanität 180 Spektakuläres New York und zurückgenommenes Tokio 183

VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE 187 Musealisierung und Mediatisierung »revisited« 188 Urbaner Raum 188 Urbane Zeit 193 Urbanes Bild 196 Grad der Vielschichtigkeit urbaner Medienkunst 200 LITERATUR/RECHERCHE-POOL 209 ABBILDUNGEN 221

EINLEITUNG: URBANISMUSDEBATTE

UND

MEDIENKUNST

Großstädte gelten als Seismographen von kulturellen, sozialen und politischen Entwicklungen, und je nach Betrachtungsweise dienen sie als vorbildhafte oder als beängstigende Beispiele für vergangene, gegenwärtige oder zukünftige gesellschaftliche Prozesse. Deutlich zeigt sich dies in urbanen Mythen, die Städte mittels emotional aufgeladener Bilder und Erzählungen zu legendären Verkörperungen kultureller (Selbst-) Inszenierungen verdichten. Wirft man nun einen Blick auf zeitgenössische Urbanismusdebatten, die sich im Rahmen von Städtebau, Raumplanung und Architekturtheorie mit dem Wandel von Städten beschäftigen, so häufen sich hinsichtlich urbaner Inszenierungen die Begriffe der Heterogenität und der Informationsdichte. Diese beiden Begriffe kennzeichnen zwei unterschiedliche Positionen innerhalb der Urbanismusdebatten: die Musealisierung und die Mediatisierung. Im Sinne der Musealisierung sind Städte genuine Orte, die von besonderer Heterogenität und Hochkultur geprägt sind. Die bestehende lokale Vielschichtigkeit gilt es zu schützen, zu bewahren und/oder wiederherzustellen. Im Sinne der Mediatisierung sind Städte hingegen von globalen, technologischen Vernetzungen dominiert, die eine hohe Informationsdichte erzeugen. Elektronisch geprägte Kommunikationsstrukturen bewirken eine Auflösung von traditionellen Funktionszusammenhängen und schaffen neue, ambivalente Formen von Urbanität. Bei beiden Positionen existiert eine deutliche Zuordnung zu konkreten Städten: Für die Musealisierung gilt New York und für die Mediatisierung Tokio als Exempel. Demnach erscheint New York als Metropole voller Vielfalt und Kultur und als die Hauptstadt des 20. Jahrhunderts. Ihr legendärer Mythos wird durch einen unbeirrten Rückbezug auf das 20. Jahrhundert aufrecht erhalten, so dass New York zur Inkarnation einer musealisierten Stadt wird. Demgegenüber gilt Tokio als elektronisch vernetzte Megastadt, in der eine mediale Bilderflut vorherrscht. Tokio wird zum Modell für Hightech-Urbanität im 21. Jahrhundert und zur Inkarnation einer mediatisierten Stadt.1

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Selbst wenn man die Urbanismus-Debatten verlässt, finden sich in so verschiedenen publizistischen Quellen wie Reiseführern, Medienkunst-Zeitschriften oder wissenschaftlichen Texten übereinstimmende Zuordnungen,

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Diese eindeutigen Zuordnungen sind der Anlass für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Städten New York und Tokio und ihren musealen bzw. medialen Inszenierungen. Eine derartige Auseinandersetzung benötigt einen Kontext, der sich bestens für die Analyse von urbanen Inszenierungen zu New York und Tokio eignet. Aus drei Gründen fällt die Wahl auf die Medienkunst: Erstens bieten die unterschiedlichen Formen der Medienkunst wie Videokunst, Netzkunst oder Computerinstallationen eine Fülle von heterogenen urbanen Inszenierungen, zweitens besitzt sie neben ihrem Potenzial an ästhetischen und konzeptionellen Innovationen eine ausgeprägte Fähigkeit zur Reflexion ihrer eigenen Gestaltungs- und Verwendungszusammenhänge,2 und drittens eignet sie sich in besonderem Maße als Schnittstelle von Musealisierung und Mediatisierung, da sie beide in sich vereint: Museale Aspekte ergeben sich durch die Speicherung, die Archivierung und das Ausstellen von Werken, und mediale Aspekte wohnen der elektronischen Medienkunst ganz offensichtlich inne. Alle drei genannten Themenstränge – die Mythen von New York und Tokio, die Musealisierung und Mediatisierung sowie die Medienkunst – verbinden sich in sieben Kapiteln: »I. Zentrale Mythen von New York und Tokio« behandelt zunächst die wichtigsten Synonyme für Großstädte wie Metropole, Megacity und Global City, die bislang kaum definiert sind.3 Vor allem aber sind zahlreiche unterschiedliche Publikationen zu den Mythen von New York und Tokio zusammengefasst. »II. Modelle urbaner Inszenierungen« widmet sich der Musealisierung und der Mediatisierung, indem zentrale – vergangene und aktuelle – wissenschaftliche Positionen zu beiden Begrifflichkeiten wiedergegeben werden. Ein derartiger Überblick fehlt bislang in der Forschung, was angesichts der Bedeutsamkeit von Musealisierung und Mediatisierung durchaus erstaunt. Dies mündet in Modelle, die stichwortartig alle behandelten wissenschaftlichen Positionen wiedergeben. Aus ihnen wird ein methodisches Inszenierungsmodell entwickelt, das eine strukturierte Analyse von Medienkunst-Werken zu New York und Tokio vorbereitet. »III. Kontext Medienkunst« umreißt die Charakteristika von Videokunst, Musikvideo, CD-Rom, Netzkunst und Computerinstallation. Einige Formen der Medienkunst wie die vier Jahrzehnte alte Videokunst oder die Computerinstallation sind wissenschaftlich gut untersucht, was auch bei der noch recht jungen Netzkunst aufgrund von in-

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die New York zum Exempel einer musealisierten Stadt und Tokio zur Verkörperung einer mediatisierten Stadt erheben. Vgl. Peter Gendolla et al. (Hg.): Formen interaktiver Medienkunst. Geschichte, Tendenzen, Utopien, Baden-Baden 2001. Eine positive Ausnahme bilden hier Gotthart Fuchs/Bernhard Moltmann (Hg.): Mythos Metropole, Frankfurt a.M. 1995.

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EINLEITUNG: URBANISMUSDEBATTE UND MEDIENKUNST

tensiv geführten Debatten der Fall ist. Demgegenüber hat die künstlerische CD-Rom auf medienspezifischem und wirkungsästhetischem Gebiet bislang kaum eine wissenschaftliche Auseinandersetzung erfahren. Wiederum gibt es zum Musikvideo zwar zahlreiche Publikationen, doch schreiben diese das Musikvideo häufig allein der Popkultur und nicht – wie hier – der Medienkunst zu. Die vorliegende Publikation betrachtet alle Medienkunst-Formen als gleichwertig und versteht sich als Beitrag zur Diskussion über die Vielschichtigkeit von Medienkunst. In »IV. Medienkunst-Werke New York« und »V. Medienkunst-Werke Tokio« geschieht zu beiden Städten eine ausführliche Analyse von insgesamt acht Medienkunst-Werken. Hier besteht die Ausgangslage darin, dass es entweder nur allgemeine Veranstaltungsreihen zu Städten1 oder aber nur Festivals zu speziellen urbanen Themen gibt.2 Daher dienen dieser Publikation nationale und internationale Medienkunst-Festivals, MedienkunstZentren und deren Ausstellungen und Kongresse als Recherche-Pool für die gezielte Suche nach Werken zu New York und Tokio. Daraus resultiert eine bis dahin noch nicht existente Zusammenstellung von Medienkunst-Werken zu beiden Städten. Alle ausgewählten acht Werke werden anhand des Inszenierungsmodells hinsichtlich ihrer zentralen und umfangreichen, musealen und medialen Aspekte untersucht. »VI. New York und Tokio in der Medienkunst« und »VII. Erweiterungen urbaner Modelle« sind die Ergebnisse dieser Analyse: So werden zunächst zahlreiche Abwandlungen der Mythen von New York und Tokio durch die Medienkunst sichtbar, so dass ein Vergleich von beiden Städten stattfinden kann. Zudem zeigen sich zahlreiche Erweiterungen von Musealisierung und Mediatisierung, die in den Aspekten von Raum, Zeit und Bild dargelegt sind. Abschließend bildet sich ein wichtiges Kriterium zur Einschätzung von urbaner Medienkunst heraus, nämlich der Grad ihrer Vielschichtigkeit, der hier für jedes Werk veranschaulicht wird. Hinter alledem steht der Wunsch, zukünftige Auseinandersetzungen mit den imaginären Mythen von Städten gerade im Spiegel der heterogenen Charakteristika und Strukturen von Medienkunst voranzutreiben.

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2

Z.B. »Connected Cities« im Lehmbruck Museum Duisburg vom 20.6.1.8.1999, »cITies/Urbanismus« im ZKM Karlsruhe vom 11.11.20004.2.2001 oder das »Städte, Territorien«-Sonderprogramm der 45. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen vom 22.-27.4.1999 (s. RecherchePool am Ende). Z.B. die Biennale Medien+Arc in Graz (s. Recherche-Pool am Ende).

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I. Z ENTRALE M YTHEN VON N EW Y ORK UND T OKIO

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

In diesem Kapitel werden die zentralen Mythen von New York und Tokio betrachtet, die sich in verallgemeinernden Erzählungen zu beiden Städten ausdrücken. Die urbanen Mythen von New York und Tokio dienen als Erklärungsmodell für die Entstehung und die besondere Bedeutung der Städte. Die nun folgende Darstellung der Mythen von New York und Tokio weist auf mehrere Gesichtspunkte hin: So zahlreich die Veröffentlichungen zu den Mythen beider Städte sind, so sehr beziehen sie sich i.d.R. auf ein äußerst homogenes publizistisches Umfeld. Das bedeutet, dass sich Architekturbücher in ihrem Städtebild insbesondere auf Zuschreibungen von Architekturkritikern und Architekten beziehen, Kulturwissenschaftler auf Städtephilosophen und Stadtsoziologen, Reiseführer auf Ausführungen von prominenten Bewohnern und Schriftstellern usw. Um dieser eingeschränkten Diskursivität entgegenzuwirken, werden in dieser Dissertation explizit sehr heterogene Referenzquellen berücksichtigt, auch um aufzuzeigen, dass selbst ganz unterschiedliche Publikationen übereinstimmende Mythen von New York und Tokio darlegen. Dabei wird der hohe Grad der Verbreitung von urbanen Mythen deutlich, denn sie existieren in so verschiedenartigen Publikationen wie in Reiseführern, Architektur- und Medienkunst-Zeitschriften oder in Artikeln der Soziologie, Japanologie und der Kulturwissenschaften. Dies zeigt die stark Gemeinschaft stiftende Wirkung von urbanen Mythen, denn unanhängig davon, ob diese bekräftigt oder kritisiert werden, sind sich alle nachstehenden Positionen zu New York und Tokio einig hinsichtlich der mythischen Dimensionen beider Städte. Die nachfolgenden Positionen transportieren kosmologische oder soziale Mythen1 der Städte: Entweder suggerieren die Publikationen mit dramatisch-emotionalem Ausdruck das Geheimnisvolle einer Stadt und fordern zur Ehrfurcht vor ihr auf oder sie besitzen einen kritisch-warnenden Unterton und versuchen eine Erklärung bzw. eine Legitimation für den aktuellen gesellschaftlichen Zustand einer Stadt zu geben. In allen Publikationen wiederholen sich die »typischen« Diskurse, so dass urbane Mythen allgemein kulturerzeugende Inszenierungen darstellen (s. ausführlicher »Inszenierungsmodell«). Da im Zusammenhang mit New York der Begriff der Metropole und in Verbindung mit Tokio der Begriff der Megacity benutzt wird, seien diese nun kurz erläutert und ergänzt um den zentralen, für beide Städte verwendeten Begriff der Global City. Herkunft und Entwicklung der Bezeichnung Metropole sind bislang nicht ausführlich erforscht worden. Hartmut Häußermann ist einer der wenigen Autoren,

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Joseph Campbell nennt kosmologische, symbolische, soziale und individuelle Funktionen von Mythen. Vgl. ders./Bill Moyers: The Power of Myth, New York 1991.

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I. ZENTRALE MYTHEN VON NEW YORK UND TOKIO

der die historische Begriffsverwendung der Metropole skizziert.2 Er unterscheidet drei geografische Entwicklungsformen, die er religiösen, mentalen und ökonomischen Kontexten zuordnet: 1. Die religionsgeografische Metropole Das erste Mal wird der Ausdruck Metropole in der Antike verwendet und bedeutet Mutterstadt oder Zentralstadt. Im Mittelalter war die Metropole der Ort, an dem der Erzbischof seinen Sitz hatte. Die Metropole stellte die Stätte der geistlichen Mitte und Macht dar, um die herum sich die Provinz gleichfalls stark ausprägte. Als Bischofssitz war sie die früheste Form der Metropole und institutionalisierte sich als kultisch-religiöses und politisches Zentrum. In ihrer Herrschaft als hierarchische Zentralgewalt forderte sie Unterordnung und Tribute. 2. Die mental-geografische Metropole Die mental-geografische Metropole galt als Leitbild, Orientierungsmodell und kulturelles Zentrum der Moderne. Ihre gesellschaftliche Vorbildfunktion entstand in der Umbruchsphase des Übergangs zur Moderne, als kollektive Erwartungen hinsichtlich der technischen, politischen und kulturellen Entwicklungen an die Metropole formuliert wurden und diese eindeutige Antworten für mögliche Existenzformen und Zukunftstendenzen liefern konnte. Daher waren Metropolen richtungsweisende Orte für kollektive Hoffnungen, Sehnsüchte, aber auch für Angstphantasien angesichts der Modernisierung. Durch ihre hohe symbolische Aufladung und die Projektion von Potenzialen und Versprechen verkörperten Metropolen Kristallisationspunkte der Zukunft. Sie galten als Orte der Einmaligkeit und hohen Ausstrahlung. 3. Die wirtschaftsgeografische Metropole Spätestens seit der vehementen Urbanisierung der Dritten Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrer Ausprägung von Megastädten, werden Metropolen vor allem durch ihre Größe und ihre funktionale Bedeutung definiert. Die Wirtschaftsgeografie ordnet die Städte nach ihrer funktionalen Reichweite und klassifiziert sie hierarchisch nach der Anwesenheit höchstzentraler Institutionen. Dies führt anhand ihrer funktionalen Spezialisierung nach Infrastruktur, Umsätzen und Standortqualitäten zu Ranglisten der Metropolen. Nach wirtschaftsgeografischem Verständnis findet weniger eine singuläre Metropole Berücksichtigung, sondern wichtiger ist die Funktion von Metropolen als Knotenpunkte innerhalb eines globalen Systems. Dementsprechend steigt bei aller Konkurrenz die Bedeutung von Netzwerken, Kooperation, Arbeitsteilung und Dezentralisierung zwischen den Städten.

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Hartmut Häußermann: »Es muß nicht immer Metropole sein«. In: Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Jahrbuch 1999/2000, S. 166-178.

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Der Terminus »Megacity« bezieht sich auf Stadtentwicklungen jüngeren Datums, wo insbesondere südamerikanische, afrikanische oder asiatische Großstädte ein enormes Bevölkerungswachstum und marode Infrastrukturen aufweisen. Als eine Kombination aus der wirtschaftsgeografischen Metropole mit der transkontinentalen Megacity benutzt Saskia Sassen die Bezeichnung »Global City«. Durch den wachsenden Einfluss von Telematik und Ökonomie können sowohl Städte mittlerer Größe zur Global City aufsteigen als auch Großstädte des asiatischen oder afrikanischen Kontinents eine Rolle im weltweiten Finanzgefüge spielen. Die technologisch bedingte Zerstreuung des geografischen Raumes geht mit einer globalen Integrationsmöglichkeit von Städten aufgrund ökonomischer Standortfaktoren einher und führt zu Global Cities, wie es Sassen konstatiert: »The combination of spatial dispersal and global integration has created a new strategic role for major cities. […] Thus, a new type of city has appeared. It is the global city.«3 Sassen nennt die globale Kapitalkonzentration, die sich auf wenige Metropolen verteilt, und verweist auf die Wirtschaftsmacht, die durch den Zusammenschluss von führenden Global Cities verursacht wird: So vereint die ökonomische Achse der Triade Tokio-London-New York ein Drittel des Aktienhandels und über die Hälfte des Weltmarkthandels in sich, wobei Tokio als Kapitalexporteur, London als Vermittler und New York als Kapitalanleger und -verwerter fungiert. Sassen skizziert drei grundlegende Kennzeichen von Global Cities: »Today’s global cities are (1) command points in the organization of the world economy; (2) key locations and marketplaces for the leading industries of the current period, which are finance and specialized services for firms; (3) major sites of production for these industries, including the productions of these innovations.«4 Die Ökonomie und ihre Funktionen der Organisation, Distribution und Produktion sind laut Sassen die Maßstäbe, nach denen sich die Global Cities im Informationszeitalter formieren. Sassens Begriff der Global City verweist daher auf urbane Zusammenballungen, die sowohl eine physische Stadtgestalt wie auch transnationale, von der Informationstechnologie geprägte Räume besitzen, die zu neuen internationalen Machtverteilungen und Beziehungsgeflechten führen.

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Saskia Sassen: The Global City. New York, London, Tokyo, Princeton 1991, S. 20. Dies: Cities in a World Economy, Thousand Oaks 1994, S. 30.

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I. ZENTRALE MYTHEN VON NEW YORK UND TOKIO

Mythos New York: Museale Metropole des 20. Jahrhunderts In Publikationen über die amerikanische Großstadt gilt New York als die Metropole des 20. Jahrhunderts, deren Kultur, Vitalität und Einzigartigkeit beschworen werden. Der Rückbezug auf das 20. Jahrhundert geschieht mit unterschiedlichen Vorzeichen, etwa als Feier der auratischen Stadt oder als Ablehnung ihrer narzisstischen Urbanität. Der Mythos der Besonderheit von New York wird durch zahllose Erzählungen seiner Besucher und Bewohner festgeschrieben oder durch die Stadt selbst ostentativ in Szene gesetzt. Dementsprechend wird die amerikanische Metropole entweder als genuine und bewahrenswerte Stadt gerühmt oder als extrem selbstbezügliche Großstadt kritisiert. In Verbindung mit dem mythischen Rückbezug auf das 20. Jahrhundert lässt dies New York zur Verkörperung einer musealisierten Metropole werden. Bernward Joerges betont die legendäre Beispielhaftigkeit von New York sowie individuelle Reaktionen auf diese mythische Urbanität: »New York muß immer herhalten, wenn es um die Exemplifizierung ›der Metropole‹ geht. Die endgültige Katastrophe für New York wird schon lange ausgerufen. Und doch dient New York vielen als eine Art Urbild der modernen Metropole, gerade auch in ihren chaotischen, destruktiven, dschungelhaften, untergründigen, mit einem Wort: gänzlich unordentlichen Aspekten.«1 Michael Pye hebt die große Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt hervor, die den Fortbestand der mythischen Metropole garantiert. Laut Pye wird New York zum gefahrvollen »Dschungel« und somit zum Seismograph einer faszinierenden Urbanität erklärt: »This is not a town for casual exploring [...]; so those of us who live here have to draw on the myth of the city, the simple view from above. This New York is glitter and danger, corrupt, ambitious, ostentatious, the extreme case of the city. It is the point of the place.«2 Jürgen Hansen umreißt die Vielfalt von New York, die in die selbst gewählte Ernennung zur »Hauptstadt der Welt« führte. Hansen bezeichnet die amerikanische Metropole als »große Bühne«, die sich dem Ausstellen von individuellen Energien verschrieben hat: »In New York ist alles vertreten – alle Völker, alle Kulturen, jedes Gewerbe, jeder Beruf. [...] Weil man hier nahezu alles machen und finden kann, haben die New Yorker beschlossen: New York ist die Welt. Größe und Vielfalt in Verbindung mit ihrer räumlichen Kompaktheit machen diese Stadt zu einer hoch1 2

Bernward Joerges: Metropolen. Ordnung und Unordnung, Wissenschaftszentrum Berlin 1995, S. 9. Michael Pye: The Maximum City: The Biography of New York, London 1991, S. 3.

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

effizienten Einrichtung, zu einem Mekka für jeden, der etwas erreichen will. Mit den Jahren haben sich hier die Talentierten und Ehrgeizigen auf jedem Gebiet zusammengefunden und New York in eine große Bühne verwandelt, in eine öffentliche Arena für das Austragen ihrer individuellen Energie.«3

Auch Sabina Lietzmann betrachtet New York als urbane Bühne, die durch die Zur-Schau-Stellung von Multi-Ethnizität in ein »lebendes Museum« übergeht. Lietzmann beschwört die Vielfalt der Stadt anhand des biblischen Verheißungs-Mythos und verbindet diesen mit dem mittelalterlichen Versprechen von städtischer Freiheit. Laut Lietzmann zeigt sich die Grenzenlosigkeit von New York in seiner ausgeprägten Experimentierfreude, die eine Modellfunktion für die gesamte USA einnimmt: »New York ist auch die hochgebaute Stadt, die Stadt aus lauterem Gold, in der ein stolzes und hochgemutes Volk lebt. New York ist auch Jerusalem, verheißenes Land und hochgelobte Stadt, die ihre Bürger frei macht wie die Städte des Mittelalters. Dies ist immer noch die Stadt der Rettung, Asyl der Überlebenden, Versprechen der abertausend Möglichkeiten. [...] Doch New York ist auch das Modell-Labor fürs ganze Land, der Prüfstand für neue Ideen, ein Experimentiergelände, das anderen Risiken erspart. [...] In dieser Vielvölkerstadt sind alle Hautfarben, Stämme, Rassen, Sprachen, Nationen der Erde versammelt, oft in kompakten Siedlungen. So kann New York dem Betrachter zur Vielvölkerschau werden, zum lebenden Museum, das Nationen und ihre Geschichte konserviert, doch auch zur großen Freilichtbühne, auf der sich immerfort Kulturen präsentieren. Diese macht New Yorks besonderen Reiz aus und sorgt für seine Lebendigkeit.«4

Wolfgang Schirmacher bezeichnet New York als die einzig wirkliche Weltstadt und betont ihre mythisch-elitäre Dimension. Er charakterisiert sie als vielfältige und gleichzeitig auf sich selbst bezogene Metropole: »Die Reibungsenergie, die durch die schiere Masse entsteht, und ein unaufhörlicher Austausch, bei dem der Unterschied von Tag und Nacht aufgehoben ist, kennzeichnet eine paradigmatische Stadt wie New York, vielleicht unsere bisher einzige wirkliche Weltstadt. [...] New York dagegen ist das Beispiel einer Metropole, die zugleich eine unvergleichliche Universität des Lebens bietet, eine Herausforderung an Geist und Gefühl, die Hölderlins Göttern wür-

3 4

Jürgen Hansen et al.: Skyline, New York 1982, S. 1. Sabina Lietzmann: New York, die wunderbare Katastrophe, Hamburg 1976, S. 2. Mit ihrem Buchtitel bezieht sich Lietzmann auf den Architekten Le Corbusier, der hinsichtlich New Yorks den Begriff der »wunderbaren Katastrophe« eingeführt hat: »New York ist eine vertikale Stadt. Im Zeichen der neuen Zeit. Es ist eine Katastrophe, mit der ein zu eilfertiges Geschick ein mutiges und zuversichtliches Volk überwältigt hat; doch es ist eine schöne und ehrenwerte Katastrophe.« Le Corbusier, zit.n. Reinhart Wolf: New York, Köln 1980, S. 7.

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I. ZENTRALE MYTHEN VON NEW YORK UND TOKIO

dig ist. [...] Sie ist geprägt von Vielfältigkeit und Eigensinn, unweigerlich angewiesen auf andere und doch immer auch in Sorge um das eigene Selbst.«5

Auch Werner Faulstich bezieht sich auf den legendären Ruf der Stadt als Weltmetropole. Die kulturelle Vitalität von New York gehört laut Faulstich jedoch der Vergangenheit an, denn gegenwärtig wird sie als museale Wiederbelebung für Touristen inszeniert: »New York wurde als Stadt der Extreme, als Stadt der architektonischen Gigantomanie in diesem Jahrhundert zur Stadt aller Städte, zum Vorbild für Großstadt und Weltstadt überall auf dem Globus, zur ›Hauptstadt der Welt‹. [...] Die Populärkultur in New York ist geprägt von einer unendlichen Diversifikation des Angebots: Es gibt nichts, was es da nicht gibt. Diese Komplexität der vielfältigen Subkulturen ließ ganz neue kulturelle Identitäten entstehen, die in ihrer weltweiten Prägekraft provokativ wie anregend waren. [...] Heutzutage aber wird die kulturelle Vielfalt bevorzugt für Touristen inszeniert, ist auf Konfliktmanagement reduziert.«6

Bernward Joerges nennt zwei pragmatische Gründe für die mythische Beschwörung von New York als Weltmetropole: Ihr Kultstatus wird durch ihre dichte ökonomische Konzentration und durch die Quantität an filmischen »Ablichtungen« erzielt: »Was ›definiert‹ New York mehr als Weltmetropole: daß keine Stadt mehr Corporate Headquarters hat oder daß in keiner Stadt so viele Filme spielen?«7 Ebenso bringt Matthias Horx den spezifischen Mythos von New York mit dem Einfluss von medialen Reproduktionen in Verbindung. Horx macht die Fülle an projektiven Bildern und Erzählungen anschaulich, die unmittelbar die Sichtweise der Metropole beeinflussen. Daher orientieren sich die urbanen Wahrnehmungen unweigerlich an medialen Klischees: »Die Crux mit dieser Stadt ist, dass sie längst verlässlich als ihr eigenes Klischee funktioniert. Die Reklamehölle des Times Square, Jogging im Central Park, Swinging Harlem, die düstere Bronx, die glitzernden Auslagen der Fifth Avenue, das quirlige Chinatown – hunderttausendmal gefilmt, fotografiert, beschrieben, verherrlicht, verdammt! Die Nutte am Broadway – sieht sie nicht tatsächlich aus wie Jodie Foster in Scorseses ›Taxi Driver‹? Der dicke Schwarze da an der Ecke – entsprungen aus einem Spike-Lee-Film? Der Wall Street-

5 6 7

Wolfgang Schirmacher: »Die Stadt als Geviert – Fragen einer Philosophie der Architektur«. In: http://www.egs.edu/Art_Life/wolfgang/stadt. html. Werner Faulstich: »Die Kultur der Metropole: New York«. In: Ders. (Hg.), Medienkulturen, München 2000, S. 112ff. Joerges: Metropolen, a.a.O., S. 8. In diesem Zusammenhang äußert Joerges die Vermutung, dass New York auch die stadtsoziologisch besterforschte Großstadt ist.

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Angestellte, der mit Rollerblades über den Asphalt kurvt – kommt er nicht geradewegs aus Tom Wolfes ›Bonfire of Vanities‹ herausgefahren?«8

Auch Adriano Sack konstatiert die hohe Bedeutung von medialen Abbildungen für die Generierung des Mythos von New York. Darüber hinaus ist laut Sack die Ausrufung des 20. Jahrhunderts zum amerikanischen ebenso bedeutsam für die Beispielhaftigkeit der Stadt, die eine Synthese aus Amerika und Europa darstellt: »Wenn es eine Stadt der Neuzeit gibt, die durch ihre Abbildung erst zu dem wurde, was sie ist, dann zweifellos New York. Das vergangene Jahrhundert wurde zu Recht zum amerikanischen erklärt, damit wurde New York zur Metropole schlechthin: die europäischste unter den amerikanischen, die Synthese aus beiden Welten.«9 Es existieren durchaus kritische Einschätzungen der Stadt, die sich in unterschiedlicher Weise auf New York als museale Metropole beziehen. So benennt Rem Koolhaas konkrete architektonische Gründe, warum New York längst an der Grenze seiner Flexibilität angekommen ist. Koolhaas ordnet die Metropole dem späten 19. Jahrhundert zu, weswegen ihre Infrastrukturen besonders baufällig und nur begrenzt erweiterbar sind. Ihre veralteten Strukturen reglementieren die Stadtbewohner, wodurch sie – im Gegensatz zum ausgewiesenen Mythos der Stadt – Freiheit und Individualität nicht fördern, sondern einschränken: »Der Punkt ist, dass Städte wie New York viktorianische Erfindungen sind, denn sie boomten im späten 19. Jahrhundert und wuchsen auf der Basis einer Technologie, die heute überholt ist. Zum Beispiel ist das Transportsystem, die Untergrundbahn, einfach sehr alt. Diese Städte funktionieren nur, wenn alle Einwohner sich an die Regeln halten, die diese Strukturen vorgeben. Aber es gibt starke Anhaltspunkte dafür, dass den Menschen diese Regelwerke zu eng sind und sie es vorziehen würden, in einer weniger durchorganisierten Stadt zu leben, also in einem System, das mehr Freiheit und Individualität zulässt.«10

Peter Callas unterzieht New York einem sehr kritischen Blick und attestiert ihm eine ausgeprägte Arroganz. Der Universalanspruch der amerikanischen Metropole läuft laut Callas auf eine reine Selbstlegitimation hinaus. Dabei übersieht die Stadt aufgrund ihrer großen Selbstbezogenheit, dass es – ähnlich wie stagnierende europäische Städte – bereits zu seinem eigenen Museum geworden ist: »New York, in its arrogance, wishes to be nothing other than itself and in its death tryst with reality has no use for technological gadgets in any case. [...] New York is also a 8

Matthias Horx: »Eine Metropole übt fürs neue Millenium«. In: Merian New York, 12/1993, S. 37. 9 Adriano Sack: »Die Stadt als Überlebenskünstler«. In: http://www.welt.de/ daten/2002/10/06/1006kli360465.htx. 10 Rem Koolhaas: »Eine der besten Erfindungen«, Spiegel Online Interview. In: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,162315,00.html.

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city which like many European cities has already begun to function as a museum of itself.«11 Jürgen Kalwa und Udo Bernhart konstatieren destruktive urbane Prozesse, denen bewusst entgegengewirkt wird, um den Mythos der Metropole zu retten. Die Autoren betrachten New York als organische Finanz-, Kunst- und Kulturmetropole des 20. Jahrhunderts, deren Status gleichermaßen von Finalität geprägt ist: »Denn in New York ist der Zerfall eine Attraktion: für New Yorker, die immer wieder einen Weg finden, ihre Stadt zu reparieren (und einen Mythos am Leben erhalten). [...] Die Wandlung der Stadt von der Herz- und Lungen- zur Seelen- und Sinnes-Maschine des 20. Jahrhunderts und zur ›Hauptstadt der Welt‹ [...] ist abgeschlossen.«12 Andrian Kreye attestiert der Metropole eine archetypische Urbanität und zielt auf die große symbolische Bedeutung der Skyline von Manhattan, da ihre genuine Hochhauskultur amerikanische Werte und Ideale transportiert: »Eines war New York jedenfalls nie – ein bloßes Reiseziel. Es war immer schon der Archetyp der Großstadt, der Metropolis, des Moloch. Und mehr noch: Wer vom Flughafen aus über den Brooklyn Queens Expressway nach Manhattan fährt, der sieht erst einmal die Silhouetten der Wolkenkratzer, die sich am Himmel abzeichnen und jene unvergleichliche Linie bilden, die als Symbol für die Versprechungen Amerikas und der Moderne bekannt ist.«13

Diese symbolische Bedeutung wird beim Anschlag vom 11. September 2001 überdeutlich, denn die legendäre Skyline von Manhattan wird mit der Vitalität und der Prosperität der USA gleichgesetzt und als Sinnbild für das Selbstverständnis der ganzen Nation betrachtet. Durch den Terroranschlag ist das »Urvertrauen« in die Grenzenlosigkeit und in die Unantastbarkeit der mythischen Skyline – und damit auch der amerikanischen Lebensart in Großstädten – erschüttert. Im Zusammenhang mit dem Hochhausbau werden apokalyptische Anklänge an den Turmbau zu Babel laut, die weltweite Diskussionen auslösen. New York wird zu einer traumatisierten Metropole, deren Selbstvertrauen sich dramatisch verschlechtert. In der Stadt, die Schutz in einem (übersteigerten) Sicherheitsbedürfnis sucht, besteht eine vormals ungekannte Angst vor weiteren Angriffen, Gleichzeitig werden durch öffentliche Appelle und Aktio-

11 Peter Callas: »Some Liminal Aspects of the Technological Trade. Video Screens versus Horizon in Tokyo and New York«. In: Mediamatic 5/1990, S. 113. 12 Jürgen Kalwa/Udo Bernhart: New York, München 1999, S. 18 ff. 13 Adrian Kreye: »Die Hauptstadt der Veränderung – In New York war schon vor dem 11. September alles anders«. In: http://www.andrian-kreye.com/ MerianNYC.html. .

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nen die mythischen Überlebenskräfte der Stadt erneut beschworen.14 New York präsentiert sich als unbeugsame Metropole, die der urbanen Katastrophe zu trotzen vermag. In ihr werden wiederholt amerikanische Tugenden wie die Suche nach Erlösung, Optimismus, Aufbauwillen und Gemeinschaftssinn zelebriert. Diese spezifischen Ausprägungen festigen den Mythos der Vitalität von New York, denn bereits vor dem 11. September 2001 wird die Stadt für ihren Überlebenswillen und ihre einzigartige Lebendigkeit bewundert. Diese Eigenschaften werden von Horx als essentiell für eine offene Gesellschaft betrachtet: »Allmählich spüren wir, dass die vitalen Kräfte einer Stadt wie New York nicht einfach nur ›faszinierend‹ sind, sondern vielleicht überlebensnotwendig für eine offene Gesellschaft. New York ist unfähig zu resignieren. Jeder ›Untergang‹ beschwört neue Kräfte hervor.«15

Mythos Tokio: Mediale Megacity des 21. Jahrhunderts Die Publikationen zu Tokio stimmen in der Einschätzung der Stadt als eine postmoderne Megacity überein, die durch Informationsflüsse und Technologie geprägt ist. Demnach kombiniert die Stadt maximalen Technologieaufwand mit radikaler Anpassungsfähigkeit und mit hocheffizienter Mobilität von Verkehrsströmen, Menschenmassen und Zeichensystemen. Dies prägt den Mythos von Tokio, eine postmoderne High Tech-Megacity des 21. Jahrhunderts zu sein, die ein funktionales und zugleich experimentelles Modell von posturbanen Stadtprozessen ist. Durch die nachfolgenden Positionen wird deutlich, wie Tokio zur Inkarnation der urbanen Mediatisierung des 21. Jahrhunderts wird. Japan hat sich bereits 1970 ausdrücklich als Informationsgesellschaft bzw. als »technology based nation« bezeichnet.16 Die Begeisterung für die Maximierung von technologischem Knowhow und für die Miniaturisierung von elektronischen Medien mündet in eine gesellschaftliche Ausformung, die Volker Grassmuck folgendermaßen zusammenfasst: »Japan ist die am meisten semiotisierte Gesellschaft, alles ist Zeichen,

14 Dies zeigt sich exemplarisch im rituellen »Tribute in Light«, einem Projekt der Municipal Arts Society und Gustavo Bonevardi, John Bennett u.a., bei dem sich vom 11.03.-14.04.2002 an der Stelle des World Trade Centers zwei riesige weiße Lichtsäulen ca. eine Meile hoch bei Dunkelheit gen Himmel erhoben. 15 Horx: »Eine Metropole fürs neue Millenium«, a.a.O., S. 37. 16 Vgl. John Zukowsky (Hg.), Japan 2000. Architecture and Design for the Japanese Public, München/New York 1998, S. 15.

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alles ist Oberfläche und Interface.«17 Gleichzeitig weist Grassmuck darauf hin, dass der Westen Japan als das Synonym für die Zukunft der technologischen Entwicklung ansieht, wonach Ausprägungen wie Computerspiele und Virtuelle Realität flächendeckend anzutreffen sind.18 Diese Erzählungen von Technik-Fetischismus werden insbesondere auch auf Tokio übertragen, das als verkleinertes Abbild des gesamten Staates Japan gilt. Das wachsende Selbstbewusstsein japanischer Architekten in den 1980er Jahren hat dazu geführt, dass die extreme Wandlungsfähigkeit von Tokio als gelungenes Modell für eine zukünftige Stadtentwicklung angesehen wird. So spricht Yoshinobu Ashihara bereits 1986 der Stadt eine zukunftsweisende Rolle im technologischen 21. Jahrhundert zu. Ihre Wandelbarkeit hebt sich bei Ashihara positiv von einer stagnierenden europäischen Metropole ab: »The coming twenty-first century will be an era of sophisticated information technology. [...] Will a city like Paris, where fundamental architectural change is impossible, be able to adapt? Perhaps we will be compelled to re-evaluate the merits of the amoeba-like changefulness of a city like Tokyo.«19 Auf einer positiven Neubewertung der asiatischen Stadt basieren auch Wilhelm Klausers wohlwollende Erläuterungen. Sie weisen Tokio – im Vergleich zur europäischen Stagnation – das Potenzial einer zukünftigen Hauptstadt zu: »In einer Stadt von der Dichte Tokyos, die sich aus Kapitalverflechtungen, Infrastrukturen, Interessenverknüpfungen, Informationsfluß und der persönlichen Bewegung zusammensetzt, sind Systeme so hochkomplex geworden, daß es nicht mehr möglich ist, sie mit Hilfe einer hierarchischen Ordnung leichter zugänglich zu machen. [...] Daß die Bilder und Ereignisse, die innerhalb dieser Grenzen erzeugt werden, gleichzeitig viel innovationsfreudiger und spannender sind als in Europa, ist ein Resultat, das eigentlich nur bedeuten kann, daß eine Hauptstadt für das 21. Jahrhundert in Asien sein wird.«20

Die ästhetische Neubewertung von Tokio findet laut Ursula Daus vor allem innerhalb der Architekturdebatte Anfang der 1990er Jahre statt: Das visuelle Chaos der asiatischen Megacity nicht mehr als dysfunktional, irrational und unästhetisch abgelehnt. Vielmehr wird es mit wachsendem Interesse betrachtet oder sogar als genuine Schönheit begrüßt: »Ihre gerade noch getadelten Nachteile werden zu ihren zukünftigen 17 Volker Grassmuck: »Allein, aber nicht einsam – die otaku-Generation. Zu einigen neueren Trends in der japanischen Populär- und Medienkultur«. In: Norbert Bolz et al. (Hg.), Computer als Medium, München 1993, S. 268. 18 Vgl. Volker Grassmuck: »Japanogames & Japanimation. Elektronische Spiele in Japan«. In: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/game/2353/1. html. 19 Yoshinobu Ashihara: The Hidden Order. Tokyo through the Twentieth Century, Tokio/New York/London 1989, S. 63. 20 Wilhelm Klauser: »Bewegliche Stadt«. In: Arch+123/1994, S. 34.

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Vorzügen uminterpretiert: Heterogenität, Unvereinbarkeit von Stilen und Funktionen, Diskontinuität, Divergenz, Ambivalenz, Pluralismus ergeben eine bisher nicht gekannte, anregende Atmosphäre, die ihren Bewohnern ein höchstmögliches Maß an Befriedigung ihrer Bedürfnisse und freie Entfaltung garantiert.«21 Diese Begeisterung findet ebenfalls Ausdruck in den mythischen Schilderungen von Masahiko Ishida, der Tokio als eine High-Tech-Informationsstadt beschreibt, in der die Bewohner ihre Erfüllung finden: »The morning sky turns a deeper blue, highlighted by golden sunbursts and a hi-tech city-scape sparkling against its horizon. [...] Tokyo is an information megalopolis. Sound bytes of information about urban trends come and go in the nanosecond required for transmission or the flash it takes to trash the data. Young Tokyoites learn to make snap decisions and to search, choose and combine significant data according to their tastes and objectives.«22 Peter Callas erklärt Tokio zur technologisch weltweit führenden Stadt, angefüllt mit medialen Screens, den überall im Stadtbild anwesenden Grossbildschirmen. Sie verstärken laut Callas die ohnehin in Tokio vorherrschende Horizontalität, so dass die Stadt einen elektronischen Horizont bekommt. Gleichzeitig meint Callas, dass die zweidimensionale Flächigkeit der öffentlichen Screens dazu dient, das entstandene virtuelle Territorium zu kontrollieren und sogar zu kolonialisieren: »The answer of course is that the screen is the imperative not of the American suburbs but of the world’s first great technologically-based horizontal megalopolis: Tokyo. [...] It is only in the horizontal city that the electronic horizon has become a necessity. [...] The most recent project has been to turn everything so flat so that it (the world) can be addressed – and controlled – through the screen of the monitor. If that two-dimensional world could be considered a form of virtual territory, the Japanese are not only constructing it, they are actively colonising it.«23

Als Reaktionen auf das Konglomerat aus einer technoiden Megacity mit einer amöbenhaft-wuchernden Stadtgestalt stellen sich Faszination ebenso ein wie Horrorszenarien. So bezieht Krystian Wosnicki seine Faszination aus der extremen Formation von Tokio, das er als ultimative Mediatisierung in Anlehnung an Science-Fiction-Szenarien skizziert: »Blanke Kanten, lederne Pipelines, Infosmog: Wolkenkratzer, Highways, Teledeltas, die 21stCentury-Schizoid-Stadt, wie man sie sich nur so vor21 Ursula Daus: Neues aus der fließenden Welt. Japanische Ästhetik zum Ende des 20. Jahrhunderts: Stadt, Architektur, Literatur, Mode & Sex, Berlin 1998, S. 17. 22 Masahiko Ishida: »Surfin’ on the Megalopolis – The Enigma of Tokyo«. In: http://www.casio.co.jp/tw-e/seaside/SotM/. 23 Callas: »Some Liminal Aspects«, a.a.O., S. 115.

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stellt.«24 Mit ähnlich düsteren, urbanen Science-Fiction-Reminiszenzen beschreibt Tony Wheeler das moderne Tokio, das zur Überwachungsinstanz wird: »Not much of the old Japan is left in Tokyo. [...] What you find today is a uniquely Japanese version of a 21st century city: a weaving of the remnants of a shattered past with Blade Runneresque cityscapes peopled by Orwellian legions of business-suited office workers.«25 Stefan Biedermann verknüpft die ästhetische Neubewertung und Modellhaftigkeit von Tokio ebenfalls mit einer Reihe von ambitionierten Science-Fiction-Filmen. Er macht deutlich, dass das reale Tokio bereits seit Jahrzehnten als visionäres Modell für Science-Fiction-Regisseure fungiert: »Nicht umsonst sehen immer mehr europäische und amerikanische Stadtplaner im Stilgemisch und dem Wildwuchs von Tokyo ein weltweit gültiges Modell für die Stadt des 21. Jahrhunderts. [...] Ist es ein Zufall, dass der russische Regisseur Tarkowskij für seinen Science-Fiction-Klassiker ›Solaris‹ schon 1972 auf den Straßen Tokyos drehte? Und Ridley Scotts zehn Jahre später entstandener Kultfilm ›Blade Runner‹ spielt in einem Los Angeles des Jahres 2019, das sich nach dem Vorbild Tokyos komplett zur asiatischen Superstadt verwandelt hat. Das künstliche Tokyo, das Scott 1989 in seinem Thriller ›Black Rain‹ zeigte, bewies noch im Nachhinein, wo er die Ideen für die ScienceFiction-Stadt des ›Blade Runner‹ hergenommen hat.«26

Volker Grassmuck sieht die asiatische Großstadt unter kritischen Vorzeichen. Er nimmt in Tokio zwei Mediatisierungstendenzen wahr: Zum einen den Übergang der Stadt in den Cyberspace, was zum anderen eng mit der Gründung von Internet-Städten nach dem Tokioter Modell einhergeht: »Wenn ich über meine Erfahrungen in der ›Global City‹ Tokyo nachdenke, sehe ich zwei Haupttendenzen der Stadt: Einerseits greift der Cyberspace auf die gebaute Stadt über. Immobilien werden zu terminals. Die Stadt vervirtualisiert. Andererseits entstehen im Universalmedium des vernetzten Computers Meta-Räume, die sich als Stadt gebärden.«27 Kaye Geipel wendet seine Kritik nicht gegen die asiatische Stadt, sondern gegen ihre Analytiker. Er konstatiert bei der Neubewertung von Tokio vor allem einen Trend zur frenetisch-apokalyptischen Betrachtungsweise der Stadt. Er kritisiert hier vor allem Soziologen und Linguisten, die angesichts der Tokioter Stadtgestalt mit Begeisterung ein ästhetisches Chaos diagnostizieren und dies gleichzeitig für unkontrollierbar erklären:

24 Krystian Woznicki: »S()lf: Stadt, Land, Fluss«. In: www.heise.de/tp/ deutsch/inhalt/sa/3080/1.html. 25 Tony Wheeler: Tokyo – A Travel Survival Kit, Berkeley 1991, S. 149. 26 Stefan Biedermann: Anders Reisen: Japan, Hamburg 1992, S. 180f. 27 Volker Grassmuck: »Tokyo: Sim-City«. In: http://www.race.u-tokyo.ac.jp/ RACE/TGM/Text/cybercity.html.

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»Unter dem Vorzeichen einer fatalistischen Lust auf die augenblickliche Weltunordnung geht man lieber wieder vom ›realen‹ Chaos der japanischen Stadt aus. [...] Es scheint, als sei Tokyo das mit gruseligem Spaß betrachtete Experiment des postindustriellen Zeitalters: Vorläufer für die übergreifende Entwicklung nicht mehr kontrollierbarer Weltmetropolen und Beispiel dafür, wie weit es eine von allen Planungsvorgaben entfesselte ›100-Mile-City‹ bei ihrem farbenprächtigen Tanz auf dem Vulkan treiben kann.«28

Diese Dramatisierung der Stadtentwicklung steigert sich in der Einschätzung, dass Tokio bereits ein posturbanes Gefüge ist, das sowohl unsichtbare Kommunikationsvernetzungenals auch ein extremes Bau-, Verkehrs- und Einwohner-Wachstum aufweist. Michael Mönninger wendet das Vokabular des Computerbereiches auf die Beschreibung der urbanen Prozesse in Tokio an, um die Dominanz der massiven Mediatisierung gegenüber der architektonischen Baugestalt zu veranschaulichen: »Tokio ist eine posturbane Stadt, eine ›weiche‹ Struktur, in der die urbanistische ›Software‹ – die Verkehrsströme und Menschenmassen, die Informationskanäle und Zeichensysteme – über die gebaute ›Hardware‹ – die Häuser, die Straßen, die Bahnhöfe, die Brücken – dominiert.«29 Auch Wolfgang Koelbl betrachtet die asiatische Metropole als posturbanes Gefüge, das sich zur Superdichte und zur finalen Übersteigerung alles Urbanen entwickelt hat. Für Koelbl ist diese schwer systematisierbare Superdichte von Tokio ein positives Funktionsmodell, welches das extrem Populäre mit radikalem Pragmatismus verbindet. Die Analogien und Wechselwirkungen, die Koelbl zwischen computerbasierter Technik und der »Superdichte« Tokio findet, macht er vor allem anhand der Wahrnehmungsstrukturierung fest: »Die Ähnlichkeit des kommerziellen Raumes in Superdichte mit den Abläufen im Internet ist keine zufällige. Man kann nun im Internet im wahrsten Sinne des Wortes für den Umgang mit Superdichte trainieren, bzw. ein Zurechtfinden in Superdichte macht Internet-Surfen zu einer bekannt lustvollen Übung. [...] Die vom Computer stammende Gewohnheit, mit einem beiläufigen, fast unbewußten Mausklick zwischen verschiedenen Anwendungen zu wechseln, kann man beim Herumstreunen in Superdichte beibehalten.«30

28 Kaye Geipel: »Tradition der kurzen Dauer«. In: Arch+123/1994, S. 35. 29 Michael Mönninger: »Innenraum ohne Außen: Tokio«. In: Ders. (Hg.), Last exit downtown – Gefahr für die Stadt, Basel 1994, S. 138. 30 Wolfgang Koelbl: Tokyo Superdichte, Klagenfurt/Wien 2000, S. 100ff.

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II. M ODELLE URBANER I NSZENIERUNGEN

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Nach den vorangegangenen Erläuterungen der zentralen urbanen Mythen, die New York als musealisierte und Tokio als medialisierte Stadt ausweisen, stehen nun ausführliche Darlegungen der Begrifflichkeiten Musealisierung und Mediatisierung im Mittelpunkt. Die folgenden Zusammenstellungen zielen nicht auf eine Vollständigkeit der wissenschaftlichen Äußerungen zu beiden Begrifflichkeiten. Vielmehr wird eine Auswahl der wichtigsten wissenschaftlichen Positionen aus Geschichtsphilosophie, Soziologie, Kommunikations- und Informationswissenschaft, Architektur- und Medientheorie sowie Stadtforschung präsentiert, um den interdisziplinären Hintergrund von Musealisierung und Mediatisierung aufzuzeigen. Die dabei vertretenen Thesen hinsichtlich der Ursachen, des Ausmaßes und der Folgen von Musealisierung und Mediatisierung differieren in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und werden im Folgenden skizziert. Zum Zwecke einer Übersicht über die große Bandbreite an Positionen, werden Modelle der Musealisierung und der Mediatisierung erstellt. Sie sind ein wichtiger Bestandteil des hier entwickelten Inszenierungsmodells und bilden die Grundlage für die spätere Analyse der Inszenierungs-Praktiken zu New York und Tokio. Die Betrachtung von Musealisierung und Mediatisierung geschieht aus zwei Gründen: Zum einen führt dies die Wichtigkeit beider Begrifflichkeiten für die Analyse von urbanen Inszenierungen vor Augen, und zum anderen wird die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Musealisierung und Mediatisierung betont. Deswegen sei an dieser Stelle in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass beide in keinem normativ wertenden Verhältnis zueinander gesehen werden, bei dem etwa die Musealisierung für urbane Inszenierungen begrüßenswerter wäre als die Mediatisierung oder umgekehrt, wie dies von einigen Verfechtern der jeweiligen Ausrichtung explizit oder implizit getan wird.

Musealisierung interdisziplinär Die etymologische Herkunft des Begriffes »Musealisierung« stammt aus dem Lateinischen und leitet sich vom Wort »Museum« ab, das für die Idee eines Ortes der gelehrten Beschäftigung steht. Der lateinische Begriff bezieht sich wiederum auf den griechischen Ausdruck »Mouseion« als dem Sitz der Musen, die im antiken Griechenland die Künste, die Wissenschaft und die Bildung verkörpern.1 1

»Mouseion« bezeichnet den Tempel der neun Musen, den Töchtern von Zeus und der Göttin des Gedächtnisses, Mnemosyne. Die Musen waren den Bereichen Geschichte, Tragödie, Epos und Elegie, Komödie, Astronomie, Liebeslied und Tanz, Musik und Lyrik, Chor, Pantomime und ernstes Lied zugeordnet. Vgl. Meyers Großes Lexikon, Bd.15, 1998, S. 97.

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II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

Der Begriff der Musealisierung erscheint zum ersten Mal in zentraler Stellung innerhalb der Geschichtswissenschaften,2 als Joachim Ritter ihn 1963 als geschichtsphilosophischen Fachbegriff einführt. Ritter stellt die These von der »Musealisierung als Kompensation«3 auf. Er sieht die Entstehung der Musealisierung vor dem Hintergrund des Modernisierungsprozesses der bürgerlich-industriellen Gesellschaft, die von Traditionsverlust, dem Fehlen eines historischen Sinns sowie einer allgemeinen Geschichtslosigkeit begleitet ist. Als kompensatorische Gegenmaßnahme errichtet die Gesellschaft institutionelle »Erinnerungsorgane« in Form von Museen, Denkmalpflege oder Geisteswissenschaften, die allesamt helfen sollen, einen »modernen historischen Sinn« auszuprägen. Der Kompensationsgedanke der »Erinnerungsorgane« umfasst neben dem bloßen Erinnern auch das Vergegenwärtigen und Vermitteln von historischen menschlichen Erfahrungen sowie die konstruktive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungen wie dem Verlust von Traditionen. Der daraus resultierende Versuch der Errichtung eines »modernen historischen Sinns« und dem damit einhergehenden Bedürfnis nach Musealisierung zieht laut Ritter wichtige Konsequenzen nach sich. Zum einen lässt der moderne historische Sinn keinesfalls zu, dass Vergangenes verschwindet. Dementsprechend bildet sich ein Blick auf Vergangenheit als geschlossenes System aus, das auch eine Erhaltung dessen betreibt, was für die Gegenwart keine reale Bedeutung hat. Gleichzeitig erfahren die am Verschwinden gehinderten Objekte eine Umwertung, da sie nicht mehr in ihrer herkömmlichen Funktion zum Einsatz kommen, sondern zu historischen Gegenständen deklariert werden. Zum anderen bewirkt die Musealisierung den materiellen und ideellen Bruch mit der eigenen Geschichte, denn die Weitergabe von Traditionen wird durch das moderne historische Bewusstsein abgelöst, durch welches das bürgerliche Individuum Geschichte nur noch distanziert im Sinne einer diskontinuierlichen Herkunftsgeschichte erlebt. Bei diesem defizitären Bruch mit der eigenen Geschichte bekommt die Vergangenheit eine neue Dimension, und die Errungenschaften des materiellen Fortschritts führen zwangsläufig zu einer zerstörerischen Gegenbewegung. Dies zeigt sich exemplarisch in der Auflösung von Einzeltraditionen sowie in der Zusammenziehung von diversen Herkunftskulturen zu einer Einheitskultur, die zu einer weltweiten Annäherung von Verhaltensformen, Lebensstilen und Städtetypen führt. Hermann Lübbe greift 2 3

Vgl. Eva Sturm: Konservierte Welt. Museum und Musealisierung, Berlin 1991, S. 11. Joachim Ritter: Subjektivität. Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft. Sechs Aufsätze, Frankfurt a.M. 1974, Erstausgabe 1963. (Die Musealisierung wird in Aufsatz Fünf thematisiert, J.Z.)

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Ritters Kompensationsthese insbesondere hinsichtlich ihrer Zeitkomponete auf.4 Lübbe sieht in der Musealisierung einen Fortschrittsprozess, der die extremste Manifestation unserer Vergangenheitssehnsucht inmitten eines beispiellosen Kulturbooms darstellt. In einer Zeit der Fortschrittsdynamik, die sowohl Gegenstände als auch die Natur und das kulturelle Erbe für veraltet oder »unbrauchbar« erklärt, erwachsen proportional dazu rettende, konservierende Musealisierungsbestrebungen. Angesichts einer sich immer mehr vereinheitlichenden Kultur, in der Vergangenes aus der Distanz erlebbar wird, schneller fremd erscheint und sich mehr und mehr als geschlossenes Ganzes präsentiert, ist die Musealisierung laut Lübbe letztendlich eine notwendige kompensatorische »Vergangenheitsvergegenwärtigung«.5 In der postmodernen Philosophie und Soziologie befassen sich vor allem Jean Baudrillard und Henri Pierre Jeudy mit dem Voranschreiten der Musealisierung. Baudrillard geht von der zentralen These aus, dass das Reale immer mehr durch die Simulation verdrängt wird, welche eine Substituierung von Wirklichkeit durch die dezidierte Produktion von Wirklichkeit betreibt.6 Er beobachtet eine Existenz des Museums in allen Lebensbereichen7 und betrachtet die wachsende Tendenz zur Musealisierung – für die Baudrillard den verwandten Terminus »Museifizierung« gebraucht – daher als allgemeines Zeitphänomen. Vor allem die Wissenschaften und die westliche Zivilisation treiben sie laut Baudrillard mit dem Ziel einer gesteigerten Machtausübung voran und machen sie sich verfügbar. Sie forcieren einen Akt der Musealisierung, der lebende und tote Objekte einfriert und sterilisiert, um sie an Ort und Stelle als »historische« Zeugen ihrer Zeit einschließt.8 Zudem zeigt sich die Tendenz, den Rahmen des Museums zu sprengen, indem die lebendige Kultur von Industriegebieten oder ganzen Stadtvierteln stillgestellt und konserviert wird. Musealisierungsakte vermitteln ein Bild von Haltbarkeit, Bewegungslosigkeit, Eingeschlossensein und Versteinerung in lebendigem Zustand. Das jeweilige Objekt wird wie unter einer Glasglocke in eine Zeitlücke eingefügt, so dass es sich weder verändern noch sterben kann.9 Laut Baudrillard ist die Musealisierung gleichzusetzen mit Prozessen der Entzeitlichung, der Künstlichkeit und der Gewalt. Indem die Objekte in einem »entzeitlichten« Museumskontext präsentiert werden, müssen sie eine historische Zeugenschaft von vergangenen Lebensformen und Men4 5 6 7 8 9

Hermann Lübbe: Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen, London 1982. Ebd., S. 7. Jean Baudrillard: Agonie des Realen, Berlin 1978. Ebd., S. 18. Ebd. Vgl. Sturm: Konservierte Welt, a.a.O., S. 68.

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II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

talitäten liefern. Bei diesem Akt werden die Objekte in einen neuen Zusammenhang und einen neuen Grad von Realität versetzt, während die »alte« Realität in einer künstlichen Prozedur beschworen wird. Dies geschieht unter Zwang und unter Anwendung von Gewalt, so dass die Wissenschaft ihre Objekte letztendlich ausrottet. Bei einer derartigen Neukonstruktion von Realem bestehen fließende Übergänge zwischen Musealem und Realem, da beide gemäß Baudrillard eine Spirale der Künstlichkeit erzeugen und somit lediglich graduelle Unterschiede besitzen. Wissenschaft und Zivilisation benutzen den Akt der Musealisierung, um ihr eigenes Bild zu retten und Imagepflege zu betreiben, doch die Zunahme der Musealisierung bedeutet wachsende Realitätsferne, so dass sich die Agonie des Realen immer weiter steigert. Letztendlich wird die Welt inventarisiert, durchanalysiert und nach den »Spielarten der Künstlichkeit« wiederhergestellt.10 Auch Henri Pierre Jeudy betrachtet die Musealisierung, für die er den synonymen Begriff der »Museophilie« verwendet, als universelles Phänomen und hat ihr ein ganzes Buch gewidmet.11 Jeudy beobachtet eine »systematische Veränderung des Funktionierens unserer Kultur«,12 die gekennzeichnet ist durch eine weltweite Akkulturation. Diese umfasst sowohl die Auflösung von Einzelkulturen als auch die allgemeine Verdinglichung und Spektralisierung, d.h. die Atomisierung und Klassifizierung von Kulturen.13 Nach Jeudy ist die Musealisierung sowohl ein individueller als auch ein kollektiver Prozess. Er schließt zahllose Museumsneugründungen, einen Restaurierungs-, Sammel- und Bewahrungsdrang sowie eine Überführung von Alltagsgegenständen in die symbolische Ordnung des Historischen ein. Laut Jeudy gehorcht die gegenwärtige Zeit einer Logik des musealen Blicks, der die Kultur verdinglicht und versteinert und für eine weltweite Beschleunigung der kulturellen Zeichen sorgt. Dem Verlust von vergangenen Systemzusammenhängen wird mit der Schaffung von neuen Inhalten kultureller Zeichen innerhalb eines neuen Ordnungssystems begegnet. Aufgrund der allgemeinen Angst von Gesellschaften vor ihrem eigenen Verschwinden manifestiert sich laut Jeudy umso mehr der Wunsch nach kollektiver Erinnerung. Erinnerungsakte inszenieren Ereignisse und kollektive Erzählungen, um das verlorene Objekt authentisch zu präsentieren. Prinzipiell ist nichts ausgenommen von einer potenziellen Sakralisierung, d.h. einer »Heiligsprechung« zum Zwecke der Überführung in die Ordnung des Musealen. Bei dieser weltweiten Musealisierung geht es 10 Baudrillard: Agonie des Realen, a.a.O., S. 10. 11 Henri Pierre Jeudy: Die Welt als Museum, Berlin 1987. 12 Ders.: »Die Musealisierung der Welt oder die Erinnerung des Gegenwärtigen«. In: Ästhetik und Kommunikation 67/68/1987, S. 23. 13 Vgl. Sturm: Konservierte Welt, a.a.O., S. 88f.

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Jeudy zufolge jedoch nicht um die Dinge an sich oder um Werte, sondern lediglich um die Verbreitung von Bildern. Die Menschheit tritt dem Ererbten nur mehr als Publikum gegenüber, das zwar den materiellen Bezug und die voyeuristische Betrachtung, jedoch nicht mehr die ideelle Verbindung und die visionäre Erinnerung an das Erbe kennt. Anstatt die alten Mythen als Erbe weiterleben zu lassen oder zu reproduzieren, friert die Musealisierung die Mythen zu Ausstellungsobjekten des Kulturbetriebes ein und sichert sie als tote Zeichen, so dass ihre Zerstörung nur noch weiter vorangetrieben wird. Die Menschheit ist gleichermaßen von der Kraft und Macht dieser Zerstörung fasziniert und neigt laut Jeudy ohnehin dazu, alle Zerstörungsprozesse als etwas Unvermeidliches und Schicksalhaftes anzusehen. Dieser »Naturlogik« zufolge liegt die einzig mögliche Bezwingung der Zerstörung in den Strategien der musealen Erhaltung. Zur Abwendung der Bedrohung formt der museale Kontrollakt daher die Zerstörung in eine »Ästhetik der Zerstörung« um. So entsteht eine Musealisierung der Bedrohung, die sich konservierter, erstarrter Mythen bedient. Diese werden nach Belieben in Form von frei verfügbaren Metaphern und programmierbaren Bildersammlungen für Verwaltungszwecke aktiviert und funktionalisiert.14 Innerhalb der Urbanismus-Debatte von Architekten, Architekturtheoretikern und -kritikern zeichnet sich aufgrund der gestiegenen Beachtung des Lokalen seit den 1990er Jahren eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Musealisierung ab, die sich auf die Stadtentwicklung und auf den realen, gebauten Ort bezieht. So setzen sich Anhänger der »Zweiten Moderne«, welche die Tradition und das Projekt der klassischen Moderne rettend fortsetzen wollen,15 für eine geschichtliche und gesellschaftliche Bewahrung bzw. Rekonstruktion der Stadtgestalt ein. Robert Krier fordert eine »Wiederbelebung der Städte«,16 die im Zuge des Umbaus von Vororten oder Stadtteilen von »qualitätsvollen, öffentlichen Räumen«17 durchzogen sein sollen. Die revitalisierten Straßen, Plätze und Bauwerke sollen insgesamt zur Vielschichtigkeit und Fülle des Stadtcharakters beitragen. Dieter Hoffmann-Axthelm spricht sich für eine Bewahrung bzw. Wiedereinführung einer hohen Mischfunk14 Vgl. Jeudy: Die Welt als Museum, a.a.O., S. 68. 15 Einer ihrer Wortführer, der Architekt und ehemalige ZKM-Museumsleiter Heinrich Klotz, prägt in diesem Zusammenhang den Begriff der »invented tradition«, die als »erfundene Tradition« wo immer möglich versucht, eine passende Tradition auszusuchen und damit eine Kontinuität zur Moderne zu suggerieren. Vgl. Sokrates Georgiadis: »Nicht unbedingt modern«. In: Arch+143/1998, S. 82. 16 Robert Krier: »Die Wiederbelebung der Städte«. In: http://www.heise.de/ tp/deutsch/special/arch/6072/1.html. 17 Ebd.

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II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

tionalität in Städten aus.18 Viele kleine »Inseln der Begegnung« sollen eine urbane Dichte und einen Lokalitätsbezug schaffen, der die Identifizierung des Einzelnen mit der Stadt fördert. Allerdings sieht HoffmannAxthelm auch die Gefahr der Ausprägung einer Museumsstadt, die lediglich ein reines Überlebensmodell von verhärteten Stadtstrukturen darstellt.19 Dem stellt er die gelungene Verknüpfung von Geschichte und Örtlichkeit gegenüber, die eine lernfähige Metropole und eine offene Weltstadt im Sinne eines großen Handelsplatzes und einer kulturellen Begegnungsstätte hervorbringt.20 Gerda Breuer hebt die Künstlichkeit derartiger Musealisierungsbestrebungen hervor: Sie spricht bei der Musealisierung von Stadtillusionierungen, die lediglich urbane Dichte zur Schau stellen wollen und eine künstliche Stadtmitte zur Konservierung von traditionellen Stadtbildern schaffen.21 Durch die programmierte Fiktion eines historischen Kerns stellt sich ein Museumseffekt ein, der ästhetische Aneignung durch eine Ästhetisierung als Ornament ersetzt.22 Hier bezieht sich Breuer auf Franz Dröge und Michael Müller, welche die Musealisierung als Strategie der Transformation von Innenstadtbereichen seit Mitte der 1970er Jahre betrachten.23 Als Folge der Auflösung von tradierten Raumgrenzen gerinnen die historischen Erzählungen des Ortes zu ästhetisch eingefrorenen Bildern, so dass die Musealisierung durch die Erzeugung eines Erlebnisraumes massenkultureller Teilhabe gekennzeichnet ist. Grundsätzlich konstituiert sich nach Dröge/Müller die Musealisierung in der konkreten Baugestalt und im Ort, ihr Zeitmodus ist evolutionär und ergibt sich aus der körperzeitlichen Raumerfahrung. Ihre zentralen Bezugssysteme sind die Geschichte und die Natur, so dass Erinnerung, Narration, Tradition, Dauer und Wachstum eine lineare und zyklische Entwicklungshistorie des Urbanen bilden.24 Für eine behutsame Bewahrung des Städtischen plädieren die Verfechter der Musealisierung, deren Motiveund Leitbilder Walter Prigge stichwortartig be-

18 Dieter Hoffmann-Axthelm: Anleitung zum Stadtumbau, Frankfurt a.M./ New York 1996. 19 Ders.: Die Dritte Stadt. Bausteine eines neuen Gründungsvertrages, Frankfurt a.M. 1996. 20 Als derartige Metropolen nennt Hoffmann-Axthelm in historischer Reihenfolge Alexandria, Rom, London, Paris und New York. Ders.: Anleitung zum Stadtumbau, a.a.O. 21 Gerda Breuer (Hg.), Neue Stadträume zwischen Musealisierung, Medialisierung und Gestaltlosigkeit, Frankfurt a.M./Basel 1998. 22 Ebd., S. 12f. 23 Vgl. Franz Dröge/Michael Müller: »Musealisierung und Mediatisierung. Strategien urbaner Ästhetik und der Widerspruch von Ort und Raum«. In: Werk, Bauen+Wohnen 7/8/1996, S. 45. 24 Ebd., S. 48.

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nennt.25 Demnach ist die Musealisierung durch eine Re-Traditionalisierung und Re-Urbanisierung des Städtischen unter Berücksichtigung von sozial-strukturellen Differenzierungen gekennzeichnet. Zentral ist das »Modell Museum«, das in der Stadt ein Archiv zur Sammlung von Geschichte sieht und eine symbolische Rettung der europäischen Stadt durch Urbanisten, Historiker und Designer betreibt. Dies führt zum Aufrechterhalten des »Mythos Metropole« mit seiner Betonung eines vitalen Zentrums inmitten der Stadt. Plätze und Straßen werden für gesellschaftliche, politische und kulturelle Aktivitäten bereitgestellt, die als Zeichen einer mächtigen europäischen Hochkultur fungieren.

Mediatisierung interdisziplinär Die etymologische Wurzel der Mediatisierung liegt im Begriff »medial«, der »nach der Mitte zu« bzw. »in der Mitte gelegen« bedeutet. Den Begriff der Mitte greifen alle weiteren Begriffsvarianten auf: So hat »Mediation« die Bedeutung einer (politischen oder sozialen) Vermittlung im Streitfalle, und die geläufige Bezeichnung »Medien« steht für Vermittlungssysteme von Informationen aller Art. Die Begriffsgenese der Mediatisierung stammt aus dem beginnenden 19. Jahrhundert, als Napoleon 1803 im Zuge der Säkularisierung die Neuaufteilung von deutschen Territorien veranlasst, was 1806 zur unfreiwilligen Abdankung des deutschen Kaisers führt. Mediatisierung bedeutet daher den Entzug einer immediaten, d.h. unmittelbaren, politischen Vormachtstellung. Erst Anfang der 1980er Jahre wird die Mediatisierung in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension von der Kommunikationstheorie aufgegriffen, wenn Jürgen Habermas in seiner Analyse der modernen Gesellschaft von einer Mediatisierung der Lebenswelt spricht.26 Damit meint er den Prozess der Verschränkung der durch Macht und Geld regulierten Systeme von Staat und Wirtschaft mit den Handlungszusammenhängen der Lebenswelt von Person, Kultur und Gesellschaft. An der Tatsache, dass Habermas in seiner Kommunikationstheorie dem Machtfaktor der Technik kaum Beachtung schenkt, setzen Forschungen der Informationswissenschaft an. Diese sieht in den modernen Technologien ein Regulativ der Kommunikation, die als vorrangig durch Medien vermittelt eingeschätzt wird.27 Neben der Informatisierung als einer zunehmenden

25 Walter Prigge: »Zwischen Bewahren und Zerstören, Lokalität und Globalität«. In: Breuer (Hg.), Neue Stadträume, a.a.O., S. 25-32. 26 Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt a.M. 1981.

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II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

geschätzt wird.27 Neben der Informatisierung als einer zunehmenden Durchdringung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nennt die Informationswissenschaft die Mediatisierung als ein wesentliches Merkmal unserer derzeitigen Gesellschaft. Die Mediatisierung bezeichnet den Prozess, bei dem der Mensch seine Definition von Wirklichkeit immer stärker anhand von mediengenerierten Wahrnehmungen herstellt. Diese sekundären Erfahrungen ersetzen die unmittelbare Welterfahrung, was die Informationswissenschaft warnend als »primären Erfahrungsverlust zugunsten einer drastischen Ausweitung der indirekten Erfahrung«28 darstellt. Bernd Meurer kombiniert die Kommunikationstheorie von Habermas mit den Thesen der Informationswissenschaft.29 Angesichts der wachsenden Mediatisierung im weltweit zunehmenden Verstädterungsprozess betont Meurer die Wichtigkeit von kommunikativem Handeln, da die reale menschliche Nähe durch das Image von Nähe ersetzt wird und Raum und Zeit auseinander fallen. Dem setzt Meurer einen Interaktionsraum entgegen, der von einem schöpferischen Skeptizismus gegenüber der fortschreitenden Mediatisierung geprägt ist. Dieser Interaktionsraum kann sich die wachsende Dichte der Städte zunutze machen, da sich ökologische, soziale und ökonomische Strukturen umso nachhaltiger entwickeln lassen, je dichter, kompakter und auch abwechslungsreicher das urbane Gefüge ist. Angesichts zunehmender Debatten über den enormen technologischen Wandel seit den 1990er Jahren hat sich die Mediatisierung insbesondere bei der zeitgenössischen Architekturkritik und Medientheorie zum zentralen Schlagwort entwickelt. Bernard Tschumi spricht bei der Mediatisierung von einer Rekombination des urbanen Raumes,30 denn die neuen Kommunikationstechnologien verändern die Stadt und die gesamte Gesellschaft so grundlegend, dass Menschen an mehreren Orten gleichzeitig sein können und es zuvor ungekannte Verbindungen von Räumen und menschlichen Aktionen gibt. Tschumi nennt drei menschliche Bewegungsmöglichkeiten im mediatisierten Raum: Gerichtet-vektoriell mit einem ausgemachten Ziel, aleatorisch in x-beliebige Richtungen und dynamisch-instabil mit einem Raumumschluss des gesamten Körpers. Dementsprechend kommt es zu unterschiedlichen Raumnutzungen von Menschen: Ihre Aktionen widersprechen dem Raum total 27 Ilse Harms/Heinz-Dirk Luckardt: Virtuelles Handbuch Informationswissenschaft. Einführung in die Informationswissenschaft. In: http://www.is.unisb.de/studium/handbuch/kap.1/index.php. 28 Ebd. 29 Bernd Meurer: »Transformationen zum Interaktionsraum«. In: Werk, Bauen+Wohnen 3/1996, S. 14-21. 30 Bernard Tschumi: »Die Aktivierung des Raumes«. In: Arch+119/120/1993, S. 70-72.

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und lösen Konflikte aus, ihre Aktivität findet indifferent im konventionellen Raum statt oder die Menschen passen sich in einer Art absolutem Funktionalismus der starken Akzeleration an. Friedrich Kittler bezieht sich auf die Mediatisierung, indem er die Speicherungs-, Übertragungs- und Verarbeitungsfunktionen von Medien zu Gleichsetzungskriterien von Büchern, Städten und Computern erklärt, die allesamt Befehle, Adressen und Daten verwalten.31 Seine These basiert u.a. auf Lewis Mumfords Beschreibungen der städtischen Megapolis, die mittels ihrer Speichereinrichtungen (Gebäude, Gewölbe, Archive, Monumente, Schrifttafeln, Bücher) eine komplexe Kultur überliefert und zwecks Informationsübertragung »menschliche Agenten« zur Weitergabe und Erweiterung des gespeicherten Erbes einsetzt.32 Kittler betont die unweigerliche Netzstruktur und die Informationsverarbeitungen jeder Stadt und stellt eine fortwährende Digitalisierung aller urbanen Verkehrsflüsse fest, die Infrastrukturen und Fortbewegungen zu getakteten Frequenzen werden lässt.33 Auch Norbert Bolz sieht in der Mediatisierung die einzig auszumachende urbane Entwicklungsdeterminante. Er spricht von einer »Secular City« als der Gleichsetzung von Stadt und Welt, die als Inszenierung von Weltsimultaneität in Metropolen auftritt. Diese setzen auf auf die »totale mediale Mobilmachung«, indem sie mobile Architektur, Kinetik, Flughäfen und transitives Wohnen miteinander vernetzen.34 Die Redaktion der Architekturzeitschrift Werk, Bauen und Wohnen35 spricht von einer urbanen Mediatisierung seit den 1980er Jahren. Demnach werden Städte mit dem allgegenwärtigen und grenzenlosen Bilderphänomen von digitalen Bildschirmen überzogen. Sie durchdringen mittels plakativer Screen- und Layer-Effekte, ihren Zeichen- und Bildüberlagerungen sowie mittels illusionistischer Schichtungen den Raum und lassen die Medienzeit dominieren. Durch die Zeitüberlappungen werden Simulation und Wirklichkeit immer weniger unterscheidbar. Die Austauschbarkeit der digitalen Bilder führt zu einer ikonografischen Unlesbarkeit, weswegen Zeichen und Symbole an Macht, Wirkung und Orientierungsfunktion verlieren. Der Großstadtmensch orientiert sich an medialen Highlights und bilderreichen Infrastrukturen, weswegen eine Massenbegeisterung für ein grenzenloses Bilderspektrum entsteht. 31 Friedrich Kittler: »Die Stadt ist ein Medium«. In: Gotthart Fuchs/Bernhard Moltmann (Hg.), Mythos Metropole, Frankfurt a.M. 1995, S. 228-244. 32 Vgl. Lewis Mumford: Megapolis. Geist und Seele der Groß-Stadt, Wiesbaden 1951. 33 Kittler: »Die Stadt ist ein Medium«, a.a.O., S. 239. 34 Norbert Bolz: »Theologie der Großstadt«. In: Manfred Smuda (Hg.), Die Großstadt als Text, München 1992, S. 73-89. 35 Redaktionsvorwort Werk, Bauen+Wohnen. In: Werk, Bauen+Wohnen 11/ 1998, S. 2-5.

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II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

Gerda Breuer siedelt die urbane Mediatisierung, für die sie synonym den Begriff »Medialisierung« benutzt, im Kontext der Globalisierung und der elektronischen Medien an.36 Hier bezieht sich Breuer auf die von Saskia Sassen beschriebenen »Global Cities«,37 d.h. auf Weltmetropolen, die im Spannungsfeld von globaler Telematik und Ökonomie stehen und zu einer neuen Machtverteilung unter Städten führen (s. »I. Zentrale Mythen«). Laut Sassen bewirkt die Informationstechnologie eine räumliche Konzentration und eine »neue Logik der Agglomeration«38 des urbanen und telematischen Machtgefüges. Es resultiert einerseits eine neue Geografie des Zentrums in einem städteübergreifenden, transterritorialen Raum, und andererseits eine neue Marginalität von früheren Kernzonen. Diesen neuen Bedeutungszuwachs und die sich verstärkenden Ungleichheiten wendet Breuer auf die Inszenierung von Städten als »glanzvoll ausstaffierte Metropolen« an.39 Das Spektakel der Metropole um die vorgeblichen Potenziale einer »Inner City« oder eines »Global Players« ist nach Breuer ambivalent: Es dient zur Kompensation der eigentlichen urbanen Immaterialität und ist zugleich Ausdruck einer erstaunlichen Vitalität. Franz Dröge und Michael Müller sehen die Mediatisierung als postmoderne Strategie inmitten von neuen städtischen Transformationen, deren unsichtbare Strukturen das ehemals öffentliche Geschehen privatisieren.40 Die Autoren ordnen der Mediatisierung drei Bereiche zu: Das Bezugssystem der neuen Informations- und Kommunikationsmedien, die Medienzeit und den Raum. Die digitale Vernetzung bringt den instantanen Zeitmodus hervor, der von einem kognitiven Hier und Jetzt bzw. dem Präsens gekennzeichnet ist. Die Medienzeit bezeichnet die dynamische Bewegung in einem nicht differenzierten Raum, und sie ist verdichtet und gerichtet, ohne teleologisch zu sein. Es entsteht eine Dynamisierung des Raumes, auch wenn in ihm keine sichtbaren Bewegungen stattfinden. Die flexible, globale Ökonomie sorgt für eine Auflösung und Entstofflichung von Raumgrenzen und besitzt eine tendenzielle Universalität. Es entwickelt sich eine zu allen lokalen Kulturen querstehende

36 Breuer: »Vorwort«. In: Dies. (Hg.), Neue Stadträume, a.a.O., S. 7-24. 37 Saskia Sassen: The Global City, a.a.O. (vgl. Kap. I FN 3). 38 Saskia Sassen: »E-Topoi. Global Cities und globale Wertschöpfung. Konturen des ökonomisch-elektronischen Raumes«. In: Catherine David (Hg.), Poetics/Politics – documenta X, Ostfildern 1997, S. 743. 39 Breuer: »Vorwort«, a.a.O., S. 14. 40 Dröge/Müller: »Musealisierung und Mediatisierung«, a.a.O., S. 45-52. Dieser Prozess hat sich nach Müller/Dröge bereits seit dem 19. Jahrhundert mit seiner Industrialisierung und Massenpresse vollzogen, und sowohl das Kino als auch die elektronischen Medien substituieren als Massenmedien immer mehr die politische Öffentlichkeit der städtischen Räume.

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»Global Culture« ohne Geschichte und ohne Erfahrung, die in die Global Cities getragen und dort verallgemeinert wird. Walter Prigge schließlich listet Kennzeichen urbaner Mediatisierung auf:41 Sie zeigt sich in einer Informatisierung und in einer systemischen Entdifferen-zierung und folgt dem »Modell Computer«, das Zukunft impliziert und durch Vernetzungen und Knotenpunkte geprägt ist. Raum wird als global definiert und formt sich durch Logistiker von Zeit, Raum und Kommunikation, die transnationale Kanäle funktional erobern. Zudem basiert die Mediatisierung auf dem »Mythos Netz«, der das technologische Kommunikationspotenzial von Netzwerken als »freien Raum von Strömen« bis in die ausgedehnte Peripherie anpreist und dabei von pragmatischen Technologen auf eine Geopolitik hin ausgerichtet wird.42 Alle o.g. wissenschaftlichen Positionen aus Geschichtswissenschaften, Philosophie, Kommunikationswissenschaften, Soziologie, Medientheorie und Urbanismus-Debatten münden nun in stichwortartige Modelle der Musealisierung und der Mediatisierung, die Kriterien für die Analyse von Medienkunst zu New York und Tokio bereit stellen. (An dieser Stelle sei bereits auf »VII. Erweiterungen Urbaner Modelle« verwiesen, wo sich als Resultat aus der Analyse aller urbanen MedienkunstWerke zahlreiche Erweiterungen beider Begriffe ergeben.)

41 Prigge: »Zwischen Bewahren und Zerstören«, a.a.O., S. 25-32. 42 Ebd., S. 31.

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II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

MUSEALISIERUNG Geschichtswissenschaften RITTER

LÜBBE

Museen /Objekte/Denkmalpflege Traditionsverlust Fortfall Einzelkulturen Geschichtslosigkeit Moderner historischer Sinn: Geschlossene Vergangenheit Historisches Gut Einheitskultur

Gegenstände Natur Kulturelles Erbe Konservierung Rettung Vergangenheitsvergegenwärtigung

Philosophie/Soziologie BAUDRILLARD Museen Stadtviertel Naturvölker Imagepflege Wirklichkeitssimulation Entzeitlichen Einfrieren Stillstellen Haltbarmachen Einschließen Inventarisieren Spirale der Künstlichkeit zwischen Musealem und Realem

JEUDY Museumsneugründungen Alltagsgegenstände Restaurierungs-, Sammel- und Bewahrungsdrang Musealer Blick: Verdinglichung von Kultur Akkulturation Bilderverwaltung und -verbreitung Funktionalisierung von Bildern und Mythen Authentizitäts-Inszenierung Ästhetik der Zerstörung Verlust von Systemzusammenhängen Geschichts- u. Vergangenheitszeugnis Angst vor dem Verschwinden Kollektive Erinnerung/Sakralisierung Beschleunigung neuer Zeichen

Urbanismus KRIER/HOFFMANN-AXTHELM/BREUER/DRÖGE/MÜLLER/PRIGGE Lokalitätsbezug: Ort/Vorort/Plätze/Straße/Bauwerke Behutsame Bewahrung/Rekonstruktion/Re-Urbanisierung Stadtgestalt: Urbane Dichte/Zentrum Wiederbelebung von Vielschichtigkeit und Fülle Wiedereinführung von Mischfunktionalität »Museumsstadt«: Erlebnisraum/Auflösung von tradiertem Raum »Mythos Metropole«: Inszenierung von Vitalität und Hochkultur Begegnung in »offener Weltstadt« Geschichte: Moderne/»Zweite Moderne« »Modell Museum«: Stadt als Archiv von Geschichte Dauer: Tradition/Erinnerung/Hochkultur/Rettung der europäischen Stadt Evolution: Zyklisches Wachstum/Lineare Entwicklung/Körperzeit »Museumseffekt«: Konservierung von traditionellen Stadtbildern Visuelle Ästhetisierung Künstliche Stadt-Illusionierungen

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

MEDIATISIERUNG Medientheorie HABERMAS

HARMS/LUCKARDT

KITTLER/BOLZ

Städte und Computer Mensch Lebenswelt Infrastrukturen Ersatz von primärer Person Vernetzung Wirklichkeitserfahrung Kultur Kommunikationsmedien Informationsspeicherung, Gesellschaft -verarbeitung und Stabilisierung von -übertragung Staat und Wirtschaft Taktung von Frequenzen Kommunikativer Vollzug Fluss von Energie durch Sprechakte und Informationen Symbolische »Secular City« Repräsentation Mediale Mobilmachung Inszenierung von Weltsimultaneität

Urbanismus MEURER Wachsende Verdichtung Kommunikatives Handeln Schaffung eines Interaktionsraumes Auseinanderfallen von Raum und Zeit Image von Nähe

Urbanismus BREUER/SASSEN

TSCHUMI

WERK, BAUEN+ WOHNEN

Unsichtbare Elektronik Mensch Rekombination des Raumes: Zielgerichtet Zufällig Funktional

Raumdurchdringung Raumschichtungen Medienzeit Zeitüberlappungen Grenzenloses Bilderspektrum Bildschirme und Projektionen Digitale Screen- und Layereffekte Zeichen- und Bildüberlagerungen Austauschbarkeit Unlesbarkeit

DRÖGE/MÜLLER

PRIGGE

Unsichtbare Strukturen Global Cities Privatisierung Ökonomie Räumliche Konzentration Raum-Dynamisierung Auflösung Raumgrenzen Neues Machtgefüge Global Culture Transterritoriale Zentren Medienzeit: Urbane Immaterialität Instantaner Zeitmodus Informationstechnologie Glanzvolle Inszenierung Gerichtetheit ohne Ziel Geschichtslosigkeit Spektakel

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Modell Computer: Vernetzungen Knotenpunkte Transnationaler Raum Mythos Netz: Freie Ströme Geopolitik Zukunft Kommunikationstechnologie

II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

Inszenierungsmodell Der Begriff der Inszenierung stammt ursprünglich aus dem Bereich des Theaters und leitet sich aus dem Ausdruck »mise-en-scéne« ab, was »in Szene setzen« oder »zur Erscheinung bringen« bedeutet.1 Dementsprechend wird Inszenierung hier verstanden als ein intentional erzeugtes Geschehen oder Werk, das öffentlich präsentiert wird und zur kommunikativen Verwendung auffordert.2 Der Inszenierungsbegriff besitzt laut Erika Fischer-Lichte zweierlei Bezüge: Einerseits wird Inszenierung im engeren Sinne als eine ästhetische Kategorie hinsichtlich verschiedener Kunstformen aufgefasst, und andererseits gilt sie als ein allgemein kulturerzeugendes Prinzip, das Bedeutungsproduktionen durch unterschiedliche wirtschaftliche, soziale oder politische Kulturtechniken und -praktiken betreibt.3 Das hier entwickelte Inszenierungsmodell teilt sich in Kontext, Praktiken, Diskurse und Modelle der Inszenierung auf und bringt das ästhetisch-künstlerische mit dem allgemein kulturerzeugenden Prinzip zusammen. Zunächst wird ein spezifischer, in pragmatischen Verwendungszusammenhängen stehender Inszenierungs-Kontext wie etwa Medienkunst, Film oder Werbung ausgewählt, um das thematische Untersuchungsfeld einzugrenzen. Innerhalb eines Kontextes existieren zahlreiche konkrete Inszenierungs-Praktiken, und sowohl Kontext als auch Praktiken sind i.d.R. durch das ästhetisch-künstlerische Prinzip geprägt. So liefern die verschiedenen Formen der Medienkunst (s. »Kontext Medienkunst«) konkrete, ästhetisch-künstlerische Inszenierungs-Praktiken zu New York und Tokio (s. »Medienkunst-Werke New York« und »Medienkunst-Werke Tokio«). Den Inszenierungs-Praktiken wohnen – implizit oder explizit – grundlegende Diskurse inne, die zu den allgemein kulturerzeugenden Inszenierungen zählen. Die urbanen Mythen von New York und Tokio sind derartige Diskurse, die auf sprachlicher und bildlicher Ebene die symbolische Bedeutungsproduktion der Städte vo-

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Vgl. Erika Fischer-Lichte: »Inszenierung und Theatralität«. In: Herbert Willems/Martin Jurga (Hg.), Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1998, S. 82. Hier unterscheidet sich die intentional ausgerichtete Inszenierungstheorie vom Konstruktivismus, der auf unbewusste Prozesse abzielt: »Im konstruktivistischen Diskurs wird unter Konstruktion jedoch zumeist gerade nicht das planerische, absichtsvolle bzw. intentionale Entwerfen einer Wirklichkeit, sondern vielmehr das unbewusste, implizit ablaufende Erzeugen ebendieser verstanden.« Stefan Weber: »Konstruktivistische Medientheorien«. In: Ders. (Hg.), Theorien der Medien. Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus, Konstanz 2003, S. 187. Vgl. Fischer-Lichte: »Inszenierung und Theatralität«, a.a.O., S. 85f.

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

rantreiben und sie zu musealen bzw. medialen Inkarnationen von Urbanität verdichten (s. »Zentrale Mythen von New York und Tokio«). Da als Ausgangsbasis für das Inszenierungsmodell die Musealisierung und die Mediatisierung mit ihren umfangreichen interdisziplinären Gesichtspunkten dienen, werden die Inszenierungs-Praktiken ebenfalls auf ihre musealen und medialen Aspekte hin analysiert. Wichtig sind diese Perspektiven dabei sowohl im Einzelnen als auch im Verhältnis zueinander. Hierdurch können die Strukturen der Inszenierungs-Praktiken beschrieben werden, was Rückschlüsse auf die mit ihnen verbundenen Diskurse ermöglicht. Die durch die Analyse potenziell neu hinzukommenden Aspekte erweitern wiederum die Begrifflichkeiten von Musealisierung und Mediatisierung. Hier zeigt sich die grundsätzlich offene Struktur des Modells: Es ist nicht als abgeschlossen anzusehen, sondern erfährt durch die jeweiligen Inszenierungs-Praktiken eine Fülle möglicher Erweiterungen.4 Musealisierung und Mediatisierung sind somit übergeordnete Parameter zur Untersuchung von ästhetisch-künstlerischen und von allgemein kulturerzeugenden Inszenierungen. INSZENIERUNGSMODELL Musealisierung – Mediatisierung

Aspekte (einzeln/im Verhältnis zueinander vorgegeben/neu hinzugekommen)

InszenierungsKontext Urbane Medienkunst

InszenierungsPraxis Werke zu New York und Tokio

Diskurse

Mythen zu New York und Tokio

Ein derartiges Inszenierungsmodell stellt eine wissenschaftlich stimmige und für empirische Analysen nachvollziehbare Methode dar, die auf viel4

Die offenen Modelle und ihre Erweiterungen sind nicht mit den Begriffen der »Offenheit« und der »Ausdifferenzierung« der Systemtheorie gleichzusetzen. Bei Musealisierung und Mediatisierung handelt es sich nicht um operativ-geschlossene Systeme (= abgegrenzte Einheiten in Differenz zur Umwelt), sondern um offene, erweiterbare Strukturen der Inszenierung, die sich teilweise überlagern.

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II. MODELLE URBANER INSZENIERUNGEN

fältige Inszenierungs-Kontexte, -Praktiken und Diskurse anwendbar ist. Es folgt der konstruktivistischen Prämisse, viabel (gangbar) und valide (gültig) zu sein: »Anstelle von Verifikation oder Falsifikation von Wissen verwendet der Konstruktivismus die Konzepte Viabilität (bei Ernst von Glasersfeld, übersetzt mit ›Gangbarkeit‹) und Validierung (bei Umberto R. Maturana, übersetzt mit ›Gültigkeitserklärung‹). So wird etwa ausgeschlossen, dass man jemals mit Sicherheit sagen könne, ob Wissen mit realen Sachverhalten übereinstimme oder auch nur adäquat sei – vielmehr erweise sich Wissen als viabel oder nicht, in einem durchaus lebenspragmatischen Sinne [kursive Hervorhebungen durch Verfasser, J.Z.].«5

Das Inszenierungsmodell weist auf den grundlegenden Konstruktcharakter aller Formen der Inszenierung hin und ermöglicht eine Anschlussfähigkeit an weitere, ästhetisch-künstlerische und allgemein kulturerzeugende Inszenierungen. Josef Früchtl und Jörg Zimmermann erläutern, was eine noch ausstehende Ästhetik der Inszenierung6 leisten sollte: »Es geht also – wie so oft gefordert und so selten eingelöst – um eine interdisziplinär argumentierende Ästhetik im Rekurs auf jene empirisch-theoretische Basis, die das Phänomen der Inszenierung in seiner konkretesten und direktesten Ausdrucksform exemplifiziert, systematisiert, rekonstruiert.«7 An diesem Forschungs-Defizit setzt das hier entwickelte Modell an, indem es auf der Grundlage von Musealisierung und Mediatisierung interdisziplinär angelegte Untersuchungen von Inszenierungen bereitstellt. So können exemplarische wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit verschiedenen Kontexten und Praktiken – in diesem Fall mit Medienkunst-Werken zu New York und Tokio – erfolgen, die in systematischer Weise zentrale Inszenierungsstrukturen darlegen.

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Weber: »Konstruktivistische Medientheorien«, a.a.O., S. 187. Bei den Autoren zunächst bezogen auf den Inszenierungs-Kontext des Theaters. Josef Früchtl/Jörg Zimmermann: »Ästhetik der Inszenierung«. In: Dies. (Hg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a.M. 2001, S. 32.

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III. K ONTEXT M EDIENKUNST

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Urbane Mythen finden in vielen Formen öffentlicher Kommunikation Eingang und erfahren eine Inszenierung durch verschiedene Medien.1 Bei der Frage, ob sich die mythischen Zuschreibungen von New York als musealer Metropole und von Tokio als medialer Megacity aufrecht erhalten lassen, ergibt sich die Medienkunst als naheliegender Kontext von urbanen Inszenierungen. Generell erweist sich die Medienkunst als ästhetische Schnittstelle zwischen technischen, ökonomischen, wissenschaftlichen und sozialen Bereichen2, in denen auch Musealisierung und Mediatisierung angesiedelt sind. Zudem umfasst Medienkunst die gestalterische Inszenierung von Kommunikationsmedien wie Video, Computer oder Internet, die aus ihren pragmatischen Verwendungszusammenhängen herausgelöst werden, um neuartige Nutzungspotenziale ästhetisch erfahrbar zu machen. Daher bieten unterschiedliche Formen der Medienkunst die Basis für heterogene Werke zu New York und Tokio. Die Medienkunst schafft sich eigene Produktions-, Distributions- und Präsentationsmodi, so dass sich im Vergleich zu traditionellen Kunstformen vor allem konventionalisierte Setzungen von Autorschaft, Werkbegriff, Original und Rezeption ändern. Neben medienspezifischen Charakteristika verschiedener Medienkunst-Formen, existieren ebenso konzeptuelle Verknüpfungen der sonst einzeln genutzten Medien. Hans Dieter Huber erläutert die Kriterien, nach denen sich die Ausprägung eines Einzelmediums erkennen lässt: »Man kann das an denjenigen Elementen eines Einzelmediums erkennen, die sich nicht in ein anderes kopieren oder übersetzen lassen. Elemente, die bei einer Übersetzung verloren gehen, sind genuine, an das jeweilige Medium gebundene Selbstreferenzen.«3 Die folgenden Beschreibungen sind nicht auf eine Vollständigkeit aller Medienkunst-Formen angelegt, sondern sie erläutern diejenigen Formen der Medienkunst, die in den acht urbanen Inszenierungs-Praktiken zu New York und Tokio zu finden sind: Videokunst, Musikvideo und künstlerische CD-Rom sowie Netzkunst und Computerinstallation. 1

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Siehe hierzu die Erläuterungen von Franz-Josef Röll, wonach mythische Gehalte im Kino, in der Werbung, im Videoclip, in Videokunst-Werken oder in Computeranimationen existieren. Vgl. ders.: Mythen und Symbole in populären Medien. Der wahrnehmungsorientierte Ansatz in der Medienpädagogik, Beiträge zur Medienpädagogik Bd. 4, Frankfurt a.M. 1998. Vgl. hierzu Stefan Weber, der Kunst als oszillierende Form und integratives System betrachtet, an dem andere Systeme via Schnittstellen beteiligt sind. Ders. (Hg.), Was konstruiert Kunst? Kunst an der Schnittstelle von Konstruktivismus, Systemtheorie und Distinktionstheorie, Wien 1999. Hans Dieter Huber: »Kommunikation in Abwesenheit. Zur Mediengeschichte der künstlerischen Bildmedien«. In: René Hirner (Hg.), Vom Holzschnitt zum Internet. Die Kunst und die Geschichte der Bildmedien von 1450 bis heute, Ostfildern-Ruit 1997, S. 27.

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III. KONTEXT MEDIENKUNST

Videokunst, Musikvideo und künstlerische CD-Rom Die Videokunst lässt sich in drei zentrale Phasen einteilen, die mit technischen Entwicklungen einher gehen und in denen sich spezifische Formen und Setzungen von Videokünstlern gebildet haben.1 Im Gegensatz zu auf Zelluloid abgelichteten Filmbildern basiert die Technik des elektronischen Videos originär auf der Aufzeichnung auf Magnetband mittels einer Kathodenstrahlröhre. Diese elektronische Aufzeichnung lässt sich in Frames (Bildkadern) abspielen und beim Schnitt weiterverarbeiten. Durch die technische Entwicklung des Magnetbandes sowie des tragbaren Videorecorders mit auswechselbarer Kassette wird Anfang der 1960er Jahre die Gleichzeitigkeit von elektronischer Aufnahme und Wiedergabe möglich. Diese ist die Basis von zwei frühen Formen der Videokunst: Einerseits entstehen Closed-Circuit-Arbeiten, die ihr Bildmotiv in einem ununterbrochenen, geschlossenen Kreislauf zwischen Kamera und Monitor präsentieren, und andererseits kommt es zu LivePerformances vor der Kamera, die elektronisch aufgezeichnet werden. Diese erste Phase der Videokunst dient der technisch-apparativen Erkundung der Möglichkeiten des neuen Mediums und der (oft körperlichen) Selbstreflexion von Videokünstlern. Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre beginnt die zweite Phase der Videokunst, in der sich das Videoband bzw. Tape als wichtige Form ausprägt, welches dezidiert mit Weiterentwicklungen des elektronischen Videoschnitts verbunden ist. Ein klares Selbstverständnis von Videokünstlern etabliert sich auf zahlreichen, europa- und weltweiten Videofestivals,2 die inhaltlich und formal sehr heterogene Tapes zeigen. In der dritten Phase Ende der 1980er Jahre zeigen sich zwei weitere Entwicklungen: Zum einen kommt es zur Ausrufung der Form der Videoskulptur, die verschiedene, bis dahin entstandene Videoinstallationen – d.h. die Präsentation einer Videoarbeit auf einem oder mehreren räumlich-gestalterisch hervorgehobenen Monitoren – subsumiert und durch eine museale Retrospektive kunsthistorisch legitimiert.3 Dies leitet eine verstärkte Ausstellung von Videoskulpturen und Tapes im Museumskontext ein. Zum anderen geht das elektronische 1 2

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Vgl. die Einteilung der drei Phasen bei Gerda Lampalzer: Videokunst. Historischer Überblick und theoretische Zusammenhänge, Wien 1992. Hier vor allem durch das World Wide Video Festival in Amsterdam seit 1982 (www.wwvf.nl), die Videonale in Bonn seit 1984 (www.videonle.org) oder das internationale Videomagazin Infermental, das von 1980 bis 1990 jährlich neuste Videoarbeiten zu Kunst und Medien gezeigt hat (alle zehn Infermental-Editionen befinden sich im Archiv des ZKM). Dies geschieht 1989 durch die Ausstellung »Videoskulptur: Retrospektiv und aktuell«, im Kölschen Kunstverein, kuratiert von Wulf Herzogenrath.

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Videobild durch digitale Bildbearbeitungsmöglichkeiten in eine Bildlichkeit über, die laut Yvonne Spielmann auf numerischen Algorithmen beruht und variable Bild- und Toneinfügungen, multiple Schichtungen und Transfigurationen ermöglicht. Die digitale Pixelstruktur, die Datenkompression und Dehnung, Verlangsamung und die Beschleunigung von Bildinformation gelangen zur Sichtbarkeit, so dass sich feststellbare Unterschiede zwischen elektronischem und digitalem »Image Processing« zeigen.4 Durch die digitalen Bildgenerierungs- und -verarbeitungstechniken werden die technische Perfektion und die gestalterischen Ausdifferenzierungen von Videoinstallationen und Tapes immer größer. Laut Yvonne Spielmann entspricht die Veränderbarkeit bzw. Variabilität einer Spezifik des Digitalen, die das raumzeitlich begrenzte, einheitliche Bild zugunsten von prozessualen Bildgenerierungsverfahren auflöst. Es ergeben sich flexible Formen des Bildes, die Spielmann als transformativ, instabil, inkohärent und paradoxal kennzeichnet.5 Dies führt in einigen Fällen zu einer Überschneidung der Videokunst mit kommerziellen Kontexten wie der Werbung oder dem Musikvideo. Wie Peter Weibel bereits 1987 bemerkt, existiert in der westlichen Hochkultur generell ein restaurativ-konservierender Trend, innovative Produktionen ins »Abseits« der für Neues viel offeneren Popkultur zu drängen.6 Musikvideos stellen kulturelle Produktionen dar, die audiovisuelle Medienkunst mit Populärkultur vereinen. Als Waren-formen sind sie Bestandteil einer Alltagskunst, die ästhetische Innovationen der Avantgarde mit kommerziellen Absichten verbindet. Veruschka Bódy und Peter Weibel rechnen den Musikclip der Videokunst zu und bezeichnen ihn als deren populärsten Sektor: »Der Musikclip, aus der Medienwelt von Video, Kino und Fernsehen nicht mehr wegzudenken, ist sicherlich der populärste Teilbereich der Videokunst, die sich seit den 60er Jahren zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt hat.«7 Weibel skizziert die mannigfaltigen künstlerischen und populären Referenzen, die im Genre des Musikvideos verschmelzen und stilistische Einflüsse von frühen Avantgardebewegungen über Comics bis hin zu digitaler Kunst umfassen. Diesen Pluralismus an Bezügen betrachtet Weibel als zu vielgestaltig, als dass er in Gänze erfasst und decodiert werden könnte. Insgesamt zählt Weibel Musikvideos aufgrund

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Vgl. Yvonne Spielmann: »Vision und Visualität in der elektronischen Kunst«. In: Ursula Frohne (Hg.), Video Cult/ures. Multimediale Installationen der 1990er Jahre, Köln 1999, S. 63f. Ebd., S. 65. Vgl. Peter Weibel: »Von der visuellen Musik bis zum Musikvideo«. In: Veru-schka Bódy/Ders. (Hg.), Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987, S. 140. Bódy/Weibel: Clip, Klapp, Bum, a.a.O., Buchklappentext.

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ihres heterogenen und transformatorischen Charakters zu den einflussreichsten Medien der Kulturgeschichte: »In die Geschichte der Musikvideos inkorporiert ist die Geschichte des synästhetischen Traumes mit seinen Farb- und Lichtorgeln, mit seinen Instrumenten, Gemälden, Musikstudien, die Geschichte des Avantgardefilms, des Tanzfilms, des Musicals, des Cartoons, des Zeichentrickfilms, der Comics, der Spezialeffekte, der Light Show, des Werbefilms, der Choreographie, der Mode, des Bühnenbilds, des Rockfilms, des Stylings, der digitalen Kunst, des Makeup, des Sex, des Musikfilms, der elektronischen Geräte, der visuellen Musik, des Rockkonzerts, der Malerei, der Show, des Varieté, der Kunstbewegungen Futurismus, Dadaismus, Surrealismus, Bauhaus, abstrakter Expressionismus, Pop-Art, Fluxus, Happening, Performance, der Modefotografie, des Balletts.«8

Auch Dieter Baacke konstatiert bei Musikvideos resp. Videoclips eine kaum dechiffrierbare Fülle an Anspielungen und Stilelementen, so dass er vom medialen Gesamtkunstwerk spricht. Baacke stellt die medienbedingten Diskontinuitäten und Fragmentierungen der Seherfahrungen als ein aktuelles Phänomen heraus: »Es finden ständig Kontinuitätsbrüche und Zersplitterungen statt, die eine tatsächlich durchlebte JetztZeit quasi durchqueren. Der Videoclip ist nur das Beispiel eines Gesamtkunstwerkes von Musik, Farbe, Bewegungskombinationen, unterschiedlichen Bildausschnitten, unterlegt mit einem aus dem Arsenal der Rockund Filmtraditionen entnommenen Anspielungsreichtum, der ohne weiteres gar nicht zu erschließen ist.«9 Die Idee des Gesamtkunstwerkes wendet auch Dieter Daniels auf das Musikvideo an, indem er dessen zeitliche Komponente beschreibt. Da der Musikclip die Zeitstruktur aufhebt und keinen Rahmen seiner erzählten Zeit besitzt, bezeichnet Daniels die medial präsentierte Realität als außerzeitlich: »Die Idee des Gesamtkunstwerks strebt auch die zeitliche Totalität an. Man will keine begrenzte Aufführung mehr, sondern eine Permanenz, die die Zeit des Werks der Erlebniszeit des Publikums angleicht und so jede Einschränkung und Zeitstruktur aufhebt. [...] Beim Musikclip besteht dieselbe Situation: Der einzelne Clip hat keinen zeitlichen Rahmen, in den drei Minuten kann ein einziger Blickwinkel gedehnt werden oder ein ganzes Leben vorbeiziehen, Vergangenheit und Zukunft verschmelzen zu einem Punkt. Die Realität des Clips ist außerzeitlich. Zudem prallen die verschiedenen Zeitstrukturen von Bild und

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Peter Weibel: »Was ist ein Videoclip?«. In: Bódy/Ders., Clip, Klapp, Bum, a.a.O., S. 275. Dieter Baacke: »Die neue Medien-Generation im New Age of Visual Thinking. Kinder- und Jugendkultur in der Medienkultur«. In: Ingrid Gogolin/Dieter Lenzen (Hg.), Medien-Generation. Beiträge zum 16. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Opladen 1999. S. 141.

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Musik aufeinander, der akustisch notwendige Refrain ist optisch nicht adäquat umsetzbar.«10

Durch die Anleihen bei den o.g. Kunst- und Populärkulturformen ergibt sich in Musikvideos das Verfahren des Zitierens von bereits bestehenden medialen Codes. Diese Funktionalisierung von medienhistorischen Codes bezeichnet Weibel als Bereitstellung von visuellen und akustischen »Logos«. Demzufolge sind Musikvideos durch die Medienindustrie hergestellte Simulationsmodelle von Musik und Bildern, die ihr Erscheinungsbild als eine spielerische De-Realisierung inszenieren: »Musikvideos geben gar nicht vor, Musik und Bild zu sein, sondern verweisen lustvoll darauf, daß sie Bilder von Bildern sind, die wir alle aus der Geschichte (der Medien) kennen, und daß sie Echos von Tönen sind, die wir fast alle schon gestern gehört haben.«11 Zur Differenzierung von Musikvideos führt Weibel die personengebundene mediale Realisation an. So unterscheidet er vor allem zwischen Bands bzw. Einzelkünstlern, die Videos zu ihrer eigenen Musik herstellen, und zwischen Autoren, die zur Musik von anderen Personen Videos produzieren und eine spezifische Videoästhetik entwickeln, die ihrerseits rückwirkende Einflüsse auf die o.g. Kunst und Populärkultur haben.12 Wie Justin Hoffmann beschreibt, produzieren vor allem kleinere Labels Musikvideos mit ungewöhnlichen Ideen und experimentellen Formen. Diese mit relativ geringem Kostenaufwand hergestellten Clips werden laut Hoffmann häufig als besonders künstlerisch rezipiert und als die populäre Kunstform der Gegenwart eingeschätzt, was einer Kulturalisierung von Ökonomie gleichkommt.13 Auch Hoffmann benennt Einflüsse des Musikvideos auf den Film und die Bildende Kunst sowie auf Mode, Lifestyle und Design. Als formale Tendenzen des Musikvideos zeichnen sich eine Nähe zum Computerspiel und die Herstellung von Animations- und Zeichentrick-Clips ab. Hoffmann relativiert kulturpessimistische Interpretationen von Theoretikern, wonach im Musikvideo lediglich eine »Durchkapitalisierung der Musik« und eine Vereinnahmung von Authentizität und Rebellion geschehe. So sehr das Musikvideo für den Autor eine ökonomische Ware mit spezifischen Produk10 Dieter Daniels: »Die Einfalt der Vielfalt. Ein fiktives Selbstgespräch«. In: Bódy/Weibel, Clip, Klapp, Bum, a.a.O., S. 176f. 11 Weibel: »Was ist ein Videoclip?«, a.a.O., S. 274. 12 Vgl. ebd., S. 275. 13 Justin Hoffmann: »Das Musikvideo als ökonomische Strategie«. In: http:// www.xcult.ch/texte/hoffmann/videoclips.html. Hier nennt Hoffmann den deutschen Musikvideopreis »MuVi«, der seit 1999 jährlich bei den Oberhausener Kurzfilmtagen verliehen wird. Laut ihrem Leiter Lars Henrik Gass werden die Musikvideos dort frei von Verwertungsinteressen gezeigt, damit die künstlerische Qualität dieser Arbeiten wahrnehmbar werden.

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tions- und Vertriebsstrukturen darstellt, so deutlich sieht er auch den kulturellen und sozialen Gebrauch des Videoclips: »Ästhetisch gesehen bildet das Musikvideo ein Set kultureller Praktiken, eine Synthese unterschiedlicher Ikonographien und Rhetoriken und damit ein Konglomerat verschiedenster Ausdrucksmittel. Es wird von differenten sozialen Gruppen aus unterschiedlichen Gründen und in verschiedener Weise konsumiert.«14 Wie Hoffmann meint, repräsentieren Sound und Stimme traditionell Authentizität, Energie und Vitalität. Zudem enthält Musik das Potenzial, »Bedeutungsstrukturen aufzubrechen und umzuformen, Emotionen zu wecken und individuelle Bedürfnisse unmittelbar zu befriedigen.«15 Ebenso macht der Autor klar, dass es angesichts der heterogenen stilistischen und kontextuellen Ausprägungen von Musikclips nicht um eine singuläre Definition gehen kann. Vielmehr erscheinen die äußerst differenten Musikvideos eher widersprüchlich denn homogen: »Im Gegensatz zu vielfach gehörten Äußerungen ist die spezifische Form des Musikvideos kaum zu definieren. Stellen wir als Charakteristikum eine fragmentarische, ›postmoderne‹ Ästhetik fest, finden wir auf der anderen Seite klassische Erzählstrukturen und Ausdrucksweisen der Romantik.«16 Die CD (Compact Disc) ist eine in den 1970er Jahren entwickelte Speicherplatte aus Silizium, die von einem Laserstrahl abgetastet wird und eine Speicherkapazität von ca. 680 MB besitzt. Die CD-Rom (Read Only Memory) bezeichnet eine »Nur-Lese-« und nicht wieder beschreibbare Speicherplatte, dessen Inhalt nach dem Schreiben des Laserstrahles nicht mehr veränderbar ist. Audio-, Text-, Grafik- und Bilddaten werden in komprimierter Form auf der CD-Rom gespeichert und sind über Laufwerke am PC abrufbar. Die Vorteile gegenüber elektromagnetischen Speichermedien wie Video oder Diskette liegen in der hohen Speicherkapazität und Datensicherheit der CD-Rom (1 Fehler auf 1 Billion Bit). Da sie sich gut für die reine Wiedergabe von hohen Datenmengen eignet, hat sich die CD-Rom seit Anfang der 1990er Jahre besonders zur Archivierung von Datenbanken und Nachschlagewerken durchgesetzt.17 Zur gleichen Zeit haben sich künstlerische CD-Roms als feste Sparten von Medienkunstfestivals etabliert,18 die einen speziellen Umgang insbesondere mit der Programmierung und Strukturierung von Hypertexten aufweisen. Peter Weibel zielt auf die vielfältigen hypertextuellen und inter14 15 16 17

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. René Zey: Neue Medien. Informations- und Unterhaltungselektronik von A bis Z, Hamburg 1995, S. 49ff. 18 So auf der ars electronica in Linz (http://www.aec.at), beim European Media Art Festival in Osnabrück (http://www.emaf.de) oder auf der Medien+ Arc Biennale in Graz (http://www.artimage.at).

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medialen Möglichkeiten des Mediums, wenn er drei grundsätzliche Charakteristika der CD-Rom nennt. Dies sind erstens der »Access« als Zugang zum Wissen, zweitens die Vernetzung von Information und drittens die parallele Darstellung von Information in mehreren Medien wie Bild, Ton oder Text.19 Während konventionelle CD-Roms ein systematisches Enzyklopädie-Konzept verfolgen und durch eine lexikalische Indexstruktur geordnet sind, benutzen künstlerische CD-Roms eine verzweigte, nicht-sequenzielle Hypertextstruktur, die dynamische Verknüpfungen ermöglicht und eine unvollständige Form der Narration nach sich zieht. Obwohl die Datenmenge einer CD-Rom limitiert ist, bewirkt die Hypertextstruktur ein prinzipielles Springen von einem Informationspunkt einer Seite zu dem einer anderen Seite. Aufgrund dynamischer Übertragungsmöglichkeiten beschreibt Weibel die CD-Rom als Medium der Transcodierung, die durch Variabilität und Viabilität gekennzeichnet ist: »Mit der CD-ROM endet auch die Ära der Transkription und beginnt die Epoche der Transcodierung. [...] Jede Information wird zu einer Variablen, jede Seite wird zu einem Feld von Variablen, die unmittelbar mit anderen Variablen auf anderen Seiten verknüpft werden kann. Das ist eben das Konzept der nichtlinearen Vernetzung. [...] Die Virtualität der Speicherung erlaubt eine Variabilität der Inhalte und diese gewährleisten die Viabilität des CD-ROM-Systems. Wenn ein System auf einen Input mit einem Output reagiert, der innerhalb eines limitierten und determinierten Feldes nicht exakt voraussagbar ist, nennen wir so ein System viabel.«20

Trotz der grundsätzlichen Abgeschlossenheit einer CD-Rom erfolgt die Selektion und Interpretation der Informationen erst durch den Nutzer, der auf die Verknüpfungsmöglichkeiten des Autors mit seiner eigenen Navigation reagiert und somit die eigentliche Vollendung der Narration bzw. der Intention bewerkstelligt. Weibel weist darauf hin, dass bei der CDRom die strikte Trennung zwischen Autor und Rezipient entfällt: Der Autor schlägt verschiedene parallele Welten vor, aus denen sich der User seine singuläre Welt konstruiert, die er sich als individuelle »Reise« zusammenstellt. Auch Barbara Basting beleuchtet die Rezeption von künstlerischen CD-Roms, die mit nicht-linearen Erzählformen experimentieren. In CD-Roms verdichten sich audiovisuelle Kompositionsebenen zu einer interaktiven ästhetischen Struktur, in die auch Spiel- und Unterhaltungselemente einfließen. Ihr Rezeptionsmodus verschiebt sich von einer vertiefenden Lektüre zu einem unentwegten Anklicken der Hyperlinks aus Bildern, Musik und Animationen. Dabei folgt die Rezeption subjektiven Impulsen: 19 Peter Weibel: »Das Post-Gutenbergsche Buch: Die CD-Rom zwischen Index und Erzählung«. In: Eikon 21/22/1997, S. 136. 20 Ebd., S. 139.

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»Die Künstler-CD-Roms stellen spannende Fragen hinsichtlich ihrer Rezeption. Denn mit fortschreitender Komplexität rufen sie einerseits die etablierten Muster der Lektüre, des Schauens und Hörens ab, stellen sie aber auch durch das zeitgemäß nervöse Zappen in Frage. Es gibt – anders als bei Film und Video – keine sinnvolle oder angemessene Verweildauer, sondern nur die Herrschaft des subjektiven Impulses, und anders als bei der Lektüre keine zwingende Sequenz, sondern nur Schlaufen, Wiederholungen, die eher zum Weitermachen antreiben als zur vertieften Auseinandersetzung herausfordern.«21

Basting betrachtet die künstlerische CD-Rom als einen vorgegebenen Fluss von Bildern und Tönen, die einer intuitiven und nicht logisch strukturierten Nutzerführung entstammen. Die Nutzeraktivität stellt daher eine Kombination aus zerstreuter Kommunikation und kreativem Spieltrieb dar. Um das spielerische Potenzial einer künstlerischen CD-Rom auszuschöpfen, betont Basting die Wichtigkeit von übergeordneten konzeptuellen Ideen und von einer Klarheit der Nutzeroberflächen, die dem User das Scrollen, Anklicken oder Verschieben von audiovisuellen Elementen ebenso nachvollziehbar machen wie das nur marginal beeinflussbare Ablaufen von vorgegebenen Animationen.

Netzkunst und Computerinstallation Als Anfang der 1990er Jahre verstärkt das World Wide Web benutzt wird, entstehen zahlreiche künstlerische Arbeiten im Internet.22 Nach Ansicht von Tilman Baumgärtel besitzt Netzkunst Parallelen zu avantgardistischen Bewegungen wie Dada und Fluxus und stellt eine historische Fortsetzung der Telekommunikationskunst der 1970er und 1980er Jahre dar, in deren Zentrum Kommunikationsprozesse stehen: »Sie ist vielmehr die Fortsetzung einer Reihe von künstlerischen Praktiken, die schon seit Jahrzehnten existieren, aber bis jetzt keinen Eingang in den Kanon der Kunstgeschichte gefunden haben. [...] Daß die ›Telekommunikationskunst‹ [...] der kunstgeschichtlichen Historisierung entgangen ist, liegt zum Teil an ihrer eigenen prozessualen Natur. Die Aktionen und Projekte, die Künstler mit Telemedien durchgeführt haben, haben meist keine Spuren hinterlassen, wenn sie beendet waren. Die Telefonkonzerte, die Faxperformances, die Satelliten-

21 Barbara Basting: »Die CD-Rom wird als künstlerisches Medium allmählich interessant«. In: http://www.xcult.ch/texte/basting/01/oursler.html. 22 Das Internet ist ein dezentrales Informationsweiterleitungssystem und ergibt sich aus der Summe aller Rechnereinheiten, die Datenübertragungen zwischen Computern vornehmen und Dienste wie die Nutzung des grafischen Interface World Wide Web anbieten. Alle dort existenten Informationen sind in standardisierten HTML-Dateien festgelegt, die von der Software eines Browsers grafisch dargestellt werden müssen und einer nichtsequenziellen Informationsgewinnung dienen.

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konferenzen der siebziger und achtziger Jahre waren weder zur Aufzeichnung geeignet, noch zu auratischen Unikaten verarbeitet zu werden. [sic!]«23

Ebenso wie die Telekommunikationskunst, ist auch Netzkunst prozessual und zunächst immateriell, denn sie ist auf das aktive Aufrufen durch Internetnutzer angewiesen, um in Erscheinung zu treten. Klaus Möller verweist auf das Ausgabemedium des Monitors, auf dem sich ein Netzkunst-Werk aufbauen muss: »Das Kunstwerk existiert erst in dem Moment, in dem es auf dem Bildschirm erscheint. Vorher wird es nur durch eine bestimmte Ansammlung von Daten repräsentiert, die als technische Beschreibung des Werkes dient.«24 Demnach ist Netzkunst virtuell und ortsgebunden zugleich: Sie hält sich im Internet in immaterieller Form bereit, um bei Bedarf des Nutzers auf einem Monitor zu erscheinen. Beliebig viele User können gleichzeitig dasselbe Netzkunst-Werk weltweit aufrufen, wobei der Vernetzungscharakter von Netzkunst-Arbeiten deutlich wird. Ebenso ist die Übertragungsdauer eines Werkes potenziell unbegrenzt, so dass Netzkunst einen temporären und offenen – d.h. nicht abgeschlossenen – Charakter besitzt. Netzkunst konzipiert ihre Arbeiten ausschließlich für das Internet, in welchem sie zugleich produziert und präsentiert werden. Inke Arns beschreibt die Verwendung unterschiedlicher Internetelemente als künstlerisches Material: »Dies können spezifische Internetdienste oder -protokolle sein [...], das Verändern und Schreiben bestimmter Software [...], die Verwendung bestimmter Skripts oder der Einsatz von Suchmaschinen oder Hypertextformaten. Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Netzkunst: z.B. Projekte, deren Seiten das Hypertextformat voll ausschöpfen und zu einer Interaktion mit anderen Dokumenten im Kontext des WWW einladen, oder Arbeiten, die sich bewusst jeder Interaktion verweigern und Erwartungen der User enttäuschen.«25

Eine der Funktionen der Netzkunst liegt demzufolge in der Auslösung von kommunikativen Störungen, die mit herkömmlichen Nutzungen des Internet brechen. Auch die grundsätzliche Störungsanfälligkeit von Netzübertragungen, die eine Instabilität der Dauer und der Gestalt eines Kunstwerkes mit sich bringt, wird in einigen Arbeiten konzeptuell genutzt. Daher bildet die (konzeptuell eingebundene oder dezidiert ausgelöste) Instabilität ein wichtiges und zugleich produktives Spezifikum von Netzkunst-Arbeiten. Ebenso verschwindet bei der Netzkunst die in 23 Tilman Baumgärtel: »Immaterialien. Aus der Vor- und Frühgeschichte der Netzkunst«. In: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6151/1.html. 24 Klaus Möller: Kunst im Internet (Netzkunst) – Untersuchungen zur ästhetischen Bildung. Bielefeld 1999. 25 Inke Arns: »Unformatierter ASCII-Text sieht ziemlich gut aus – Die Geburt der Netzkunst aus dem Geiste des Unfalls«. In: Kunstforum International 155/2001, S. 237.

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herkömmlichen Kunstwerken existente Unterscheidbarkeit von Original und Kopie, da es in der Netzkunst keinen wahrnehmbaren Unterschied zwischen beiden gibt und sich der digitale Code verlustfrei kopieren lässt.26 Ein zusätzliches Charakteristikum von Netzkunst ist die zahlreichen Werken zugrunde liegende, multiple Autorschaft, die sich in einer Vernetzung von kollektiven, virtuellen Gemeinschaften zeigt. Es handelt sich um temporäre »communities«, die sich informell verbinden, um strategisch im Internet zu operieren. Vielfach nimmt Netzkunst die Form eines kritischen Netzaktivismus an, der das Internet taktisch nutzt (»tactical media«)27, um dessen territoriale Ordnungen sichtbar zu machen, umzufunktionieren oder zu zerstreuen.28 Netzaktivismus betreibt explizite Netz- oder Technologiekritik, indem Mythen des Internet wie grenzenlose Demokratisierung und Liberalisierung (»Zugang für alle«) attackiert und stattdessen tatsächliche ökonomische Machtmechanismen offen gelegt werden.29 Die hierbei auftretenden kontroversen Benennungen verweisen auf unterschiedliche Auffassungen und Ziele, bei denen nicht zuletzt auch über die Ausstellbarkeit von Netzkunst diskutiert wird:30 Es gibt sowohl politisch motivierte Netzaktivisten, die sich gegen das Label »Netzkunst« wehren, als auch gestalterisch und konzeptionell motivierte »Netzkünstler«, deren Selbstverständnis mit der Bezeichnung konform geht, als wiederum auch »the art of networking«,31 dem komplexe Diskurse über die Bezugsfelder von Menschen, Technik, Ästhetik und Ideen zugrunde liegen.

26 Vgl. Samuel Herzog: »Netzkunst – eine Annäherung«. In: Basler Zeitung, 10.02.2000. Für Samuel Herzog ist ein Netzkunst-Werk gleichzeitig ein Original, weil es keine Kopie ist, und dennoch kein Original, da es nicht über eine materielle Existenz wie etwa eine Filmrolle, ein Tafelbild oder ein Videotape verfügt. 27 Siehe das jährlich seit 1995 in Amsterdam stattfindende Festival »The Next Five Minutes. Festival of Tactical Media« (www.next5minutes.org). 28 Vgl. Andreas Broeckmann: »Net.Art, Machines, and Parasites«. In: www. nettime.org/nettime.w3archive/199703/msg00038.html. 29 Siehe z.B. Paul Garrins 1997 initiiertes Projekt NAME.SPACE (www. na me.space.org), das den verdeckten Kampf um die Vergabe von DomainNamen aufzeigt und eine andere Vergabe von »top level domain names« (TLD international: .com., .org, .mil, .net, .edu, .gov; national: ISO Codes: .au, .de, .uk) gerichtlich einfordert. Bei der Anklage gegen Network Solutions entscheiden Justiz und Regulierungsbehörden gegen Garrins »Antitrust«-Vorwurf. 30 Dies spiegelt sich u.a. in der breit geführten Auseinandersetzung um die Ausstellung »net_condition« vom 23.09.1999-27.02.2000 im ZKM in Karlsruhe (http://www.zkm.de/netcondition). 31 Vgl. Broeckmann: »Net.Art, Machines, and Parasites«, a.a.O.

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Als Kriterien zur Unterscheidung von Netzkunst-Werken dienen Hans Dieter Huber verschiedene Stufen von Interaktivität.32 Huber differenziert zwischen reaktiven, interaktiven und partizipativen Arbeiten. Reaktive Arbeiten bieten dem User lediglich Links oder Schaltflächen zum Anklicken und Scrollen an und bilden geschlossene Systeme. Sie greifen die Hypertextstruktur des WWW auf, indem sie strukturell verzweigte Querverbindungen einsetzen und so individuelle Lesarten eines Werkes anbieten. Interaktive Arbeiten ermöglichen dem User temporäre gestalterische Eingriffe, die eine zeitweilige Veränderung des Projektes bewirken. Nach dem Verlassen der Website werden diese Veränderungen wieder rückgängig gemacht und das Projekt kehrt zu seinem Ausgangszustand zurück. Somit sind interaktive Arbeiten ein temporärer Speicher von Zustandsveränderungen durch Usereingaben. Partizipative Arbeiten hingegen erlauben dauerhafte Veränderungen durch Usereingriffe. Die vorprogrammierten Arbeiten eröffnen und regulieren Spielräume im Verhältnis zwischen Reaktion und Aktion und hinterlassen Nutzerspuren. Des Weiteren weist Huber auf die Ausbildung von Kontextsystemen seit Anfang der 1990er Jahre hin, die vorgestaltete Plattformen für einzelne Netzprojekte anbieten. Kontextsysteme bieten Usern ihre computervernetzten Infrastrukturen an und stellen die Kommunikation zwischen allen Teilnehmern in den Mittelpunkt.33 Einige Kontextsysteme erlauben künstlerische Eingriffe der Userseite in die bereitgestellte Software oder in die geschaffenen Netzwerke. Söke Dinkla weist darauf hin, dass in den 1960er Jahren eine Entwicklung einsetzt, bei der Kunst mit dem Ziel des Informationsaustausches eingesetzt wird und Bildende Künstler mit Ingenieuren und Choreographen zusammenarbeiten. In den 1970er Jahren folgt die Erprobung von elektronisch gesteuerten, reaktiven Environments, die auf einen Dialog zwischen der räumlichen Umgebung und dem Publikum zielen, das durch seine Bewegungen Licht und/oder Klänge des Werkes verändern kann. Auf der Basis der Entwicklung des Mikroprozessors, durch den ein Computer zur Steuer- und Dialoggestaltung eingesetzt werden kann, wird in den 1980er Jahren eine komplexere Programmierung von Kunstwerken möglich. Es entstehen experimentelle Werke im Kontext der »Künstlichen Intelligenz«-Forschung, bei denen lern- und kommunikationsfähige, künstliche Systeme als »computergesteuertes Gegenüber«

32 Hans Dieter Huber: »Digging the Net – Materialien zu einer Geschichte der Kunst im Netz«. In: Kai-Uwe Hemken (Hg.), Bilder in Bewegung. Traditionen digitaler Ästhetik, Köln 2000, S. 158-174. 33 Kontextsysteme sind beispielsweise THE THING von Wolfgang Staehle (www.bbs.net/login.thing), NAME.SPACE von Paul Garrin (www.name. space.xs2.net) oder DE DIGITALE STAD Amsterdam (www.dds.nl).

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mit dem Publikum interagieren. Ende der 1980er Jahre etabliert sich der Begriff der »Interaktiven Kunst«, die den Betrachter als Handelnden miteinbezieht.34 Im Zusammenhang mit Interaktiver Kunst hebt Dinkla die Problematik des inflationären Gebrauches des Ausdrucks »interaktiv« hervor, aus dem nicht hervorgeht, ob es sich um zwischenmenschliche Interaktion oder um eine Mensch-Maschine-Relation handelt: »Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es sinnvoll, die heutige gebräuchliche Bezeichnung ›Interaktive Kunst‹ lediglich als terminus technicus für solche Werke zu verwenden, die die operationalen Qualitäten der digitalen Medien nutzen, um Erfahrungsräume zu schaffen, die sich durch Handlungen und Interventionen der Rezipienten verändern.«35 Auch Dieter Daniels beschreibt historische Stationen in der Entwicklung interaktiver Kunstformen.36 Er unterscheidet zwischenmenschliche Interaktivität und Mensch-Maschine-Interaktivität: Die Interaktivität zwischen Menschen meint ein aufeinander bezogenes Handeln von Personen37 und kommt in Happenings der späten 1950er Jahren zum Ausdruck. Durch die Interaktion von Mitwirkenden entsteht ein offenes Aktionsfeld, bei der Kommunikation zum ästhetischen Erlebnis wird. Die Interaktivität zwischen Mensch und Maschine ist laut Daniels bereits in den 1960er und 1970er Jahren in Werken der mediengestützten, experimentellen »Intermedia Art« anzutreffen. Die Technologieentwicklung führt Ende der 1980er Jahre zu einer erneuten Erstarkung von interaktiven Medienarbeiten, da erhöhte Rechengeschwindigkeiten und Speicherkapazitäten 3D-Computeranimationen in Echtzeit ermöglichen: »Auf dieser Grundlage entwickeln sich in den 90er Jahren verschiedene Modelle für die Interaktion von Mensch und Maschine, von Realraum und Datenraum. Die meisten dieser Ansätze zeichnen sich durch eine aufwendige Technologie aus und werden in Zusammenarbeit mit Medieninstitutionen, Hochschulen oder der Industrie realisiert. Die Kommentare zu den kunstbezogenen Projekten betonen durchweg die Aspekte der ästhetischen Innovation und der Recherche in Zusammenarbeit von Techniker und Künstler.«38

34 Söke Dinkla: »Das flottierende Werk. Zum Entstehen einer neuen künstlerischen Organisationsform«. In: Peter Gendolla et al. (Hg.), Formen interaktiver Medienkunst. Geschichte, Tendenzen, Utopien, Baden-Baden 2001, S. 69f. 35 Ebd., S. 68. 36 Dieter Daniels: »Strategien der Interaktivität«. In: Ders./Rudolf Frieling, Medien – Kunst – Interaktion. Die 1980er und 1990er Jahre in Deutschland, Wien/New York 2000, S. 142-169. 37 Dies bezieht Daniels auf die Theorie des »symbolischen Interaktionismus«, den der Sozialwissenschaftler George Herbert Mead in den 1920er Jahren entwickelt hat. 38 Daniels: »Strategien der Interaktivität«, a.a.O., S. 154.

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Bei derartigen Computerinstallationen ist der Betrachter sowohl Rezipient als auch Akteur, der durch innovative Interfaces in körperliche Interaktionen mit der virtuellen Datenwelt tritt, so dass die Qualität des Interfaces nach Daniels im Mittelpunkt steht. Demzufolge ist die Mensch-Maschine-Schnittstelle bzw. das Interface ein zentrales Kriterium von interaktiven Computerinstallationen. Die Interface-Technik beeinflusst Programme und Bildabläufe und bietet eine Auswahl zwischen Handlungsalternativen bzw. Text-Bild-Verküpfungen an. Die Bedienungs- und Kontrollelemente des Interfaces legen Art und Umfang des Austausches in der Mensch-Maschine-Kommunikation fest und ermöglichen einen Wechsel sowie ein Spiel zwischen beiden, wobei die Aufgabe des Verteilens von Regeln an den Computer delegiert wird. Computerinstallationen erweisen sich dabei als hochgradig prozessorientiert: Sie sind computergeneriert und in ihrem Zeitablauf grundsätzlich unendlich, denn sie erhalten ihren Zeitrahmen nur durch die Dauer der Teilnahme von Nutzern. Sie besitzen eine offene Rezeptionsstruktur, sind im Handlungsverlauf jeder Nutzeraktion unwiederholbar und zudem eher wegorientiert anstelle von zielorientiert. Interaktive Computerinstallationen setzen künstlerisch noch nicht genutzte Technologien wie etwa die Flugsimulation ein. Die Flugsimulation stellt eine virtuelle Realität dar, die dem Nutzer eine realistische, multisensorische Wahrnehmung in scheinbaren Echtzeitoperationen ermöglicht. Basiert eine interaktive Computerinstallation auf der Technik der Flugsimulation, kommt es zur Generierung und Manipulation von synthetischen Bildern. Annette Hünnekens beschreibt die dabei entstehende Virtuelle Realität (VR) als eine computergenerierte, dreidimensionale Umgebung für interaktive und immersive Raumerfahrungen, bei der häufig eine körpernahe Interface-Technik eingesetzt wird, um eine intuitive Bewegung im virtuellen Raum zu ermöglichen.39 Es wird eine genuine Realität simuliert, die dem Nutzer eine Präsenz im computergesteuerten Syntheseraum ermöglicht. Anstelle eines abgeschlossenen Bildes präsentieren sich dem Nutzer unterschiedliche Erlebnisräume aus akustischen und visuellen Variablen. Die Simulation automatisiert die Erfahrung des Nutzers und macht sie sowohl unbegrenzt wiederholbar als auch potenziell transformier- und veränderbar.40 Die Charakteristika derartiger interaktiver Computerinstallationen liegen laut Hünnekens in einer komplexen Einbeziehung der Elemente von Aleatorik, Kombinatorik, Variabilität und Prozessbetonung.41 Auch Oliver Grau befasst sich 39 Vgl. Annette Hünnekens: Der bewegte Betrachter. Theorien der interaktiven Medienkunst, Köln 1997, S. 36. 40 Vgl. ebd., S. 45. 41 Vgl. ebd., S. 36.

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mit heterogenen Formen interaktiver Medienkunst, die auch Computerinstallationen umfasst. Er weist auf die Herausarbeitung von neuen Interfaces, Interaktionsformen und Code-Innovationen hin und skizziert ihre Bedeutung für die komplexe Generierung von Handlungs-, Erfahrungsund Vorstellungsräumen: »Heute lotet die Medienkunst als fein gesponnenes Gewebe zwischen Wissenschaft und Kunst das ästhetische Potenzial der interaktiv-prozessualen Bildwelten aus. [...] Es handelt sich um international renommierte Künstler, die in der Regel als Wissenschaftler an Hightech-Forschungslabs arbeiten und u.a. neue Interface-Entwicklungen, Interaktionsformen und Code-Innovationen entwickeln. [...] Und so lauten zentrale Herausforderungen für Künstler heute, Reflexion zum Interfacedesign, Eröffnung komplexer Handlungs- und damit Erfahrungsoptionen für die Nutzer und die experimentelle Erforschung der immer neuen Grenzen des menschlichen Umgangs mit den sich permanent wandelnden Maschinen. Interaktive Medien wandeln unsere Vorstellung vom Bild zu einem multisensorischen interaktiven Erfahrungsraum im zeitlichen Ablauf.«42

42 Oliver Grau: »Bilder von Kunst und Wissenschaft. Auf dem Weg zur Bildwissenschaft«. In: Gegenworte 9/2002, S. 25-30. Einen guten Eindruck der wachsenden Verbreitung von interaktiver Medienkunst gibt auch Graus folgende Darlegung: »Die Interaktive Kunst, groß geworden auf Festivals wie Ars Electronica, Interactive Media Festival, Siggraph, imagina [...], wird in Deutschland bereits seit den 80er Jahren institutionell gefördert. Mit den neuen Medienhochschulen in Köln, Frankfurt und Leipzig, und insbesondere dem im letzten Jahr eröffneten ZKM in Karlsruhe ist Deutschland, neben Japan, das Neugründungen wie das ICC in Tokio und das IAMAS in Gifu vermeldet, Kernland der Medienkunst. Kongresse der ISEA, DEAF, CAiiA und das Interface Symposion in Hamburg haben die Diskussion zur Interaktiven Kunst bislang getragen.« Ders: »Vademecum digitaler Kunst. Rezension zu Söke Dinkla: Pioniere Interaktiver Kunst von 1970 bis heute«. In: Dotzler, Gerhard (Hg.), Jahrbuch computer art faszination 1998, Frankfurt a.M. 1998, S. 275-276.

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IV. M EDIENKUNST -W ERKE N EW Y ORK

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Nach Recherchen auf zahlreichen Festivals, Medienkunst-Austellungen und -Archiven,1 entfallen fünf von den acht hier behandelten Arbeiten auf New York. Diese Verteilung entspricht der quantitativen Materiallage: New York ist die weltweit am meisten medial reproduzierte Metropole, und dies insbesondere nach dem 11. September 2001, der hier in zwei Werken Niederschlag findet: Wolfgang Staehles Live-Installation »2001« stellt die historisch erste künstlerische Arbeit dar, auf die der 11. September einen direkten konzeptionellen Einfluss genommen hat. Und das Institute for Applied Autonomy thematisiert mit seinem NetzkunstWerk iSEE die mediale Hyperüberwachung der Stadt als negative Auswirkung des 11. September. Weitere Inszenierungen zeigen sich sowohl in der interaktiven Computerinstallation THE LEGIBLE CITY von Jeffrey Shaw als auch im Musikvideo THE CHILD von Alex Gopher, die Manhattan in digitaler Buchstabengestalt präsentieren. Außerdem widmet sich Wolfgang Staehles Webcam-Installation EMPIRE 24/7 dem legendären Empire State Building. Zentrale Auswahlkriterien für diese fünf Medienkunst-Werke sind ihre gestalterisch und/oder konzeptionell herausragende Inszenierung von New York sowie auch die ästhetische und thematische Bandbreite aller Arbeiten untereinander. Nach einer kurzen Werkbeschreibung findet jeweils erstens eine Analyse von musealen Aspekten, zweitens eine Begutachtung von medialen Aspekten und drittens ein Vergleich von beiden statt.

1. JEFFREY SHAW: THE LEGIBLE CITY Jeffrey Shaw2 schafft interaktive Medienkunst-Werke in Form von Installationen, um reale und virtuelle Architektur dramaturgisch miteinander verbinden zu können. 1989 errichtet Shaw die Computerinstallation THE LEGIBLE CITY (»Die lesbare Stadt«)3, bei der sich der Besucher auf einem Fahrrad durch die virtuellen Straßen von Manhattan bewegen kann (Abb. 1). Alle Gebäude sind durch riesige digitale Buchstaben dargestellt, die den Bereich zwischen der 34. und 66. Straße und der Park- und der Eleventh-Avenue abbilden (Abb. 2). Das Fahrrad fungiert 1 2 3

Siehe den Recherche-Pool am Ende. Jeffrey Shaw ist seit 1991 Leiter des Instituts für Bildmedien am ZKM in Karlsruhe. Die hier behandelte Manhattan-Version von THE LEGIBLE CITY stellt eine von drei möglichen Wahloptionen dar, bei denen der Benutzer der Installation per Knopfdruck am Fahrrad zwischen den Stadt-Modellen von Manhattan, Karlsruhe und Amsterdam hin- und herschalten kann. THE LEGIBLE CITY befindet sich in der ständigen Sammlung des ZKM-Medienmuseums in Karlsruhe.

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IV. MEDIENKUNST-WERKE NEW YORK

als Verbindung zwischen der Installation und dem Nutzer, dessen Bewegungen auf eine Großbildleinwand übertragen werden. Pedale und Lenker des Rades sind mit einer Silicon Graphics Workstation verbunden, welche die Position des Fahrers innerhalb der simulierten Stadt errechnet. THE LEGIBLE CITY bietet Bewegungsmöglichkeiten in die Richtungen links und rechts, hinten und vorne. Bei der Fahrt durch die virtuellen Buchstaben hindurch verzerren sie sich perspektivisch und werden transparent (Abb. 3). Die Buchstaben-Gebäude besitzen alle dieselbe Höhe und sind in verschiedenfarbigen Sätzen angeordnet, die der Farbgebung der Häuser vor Ort in Manhattan entspricht. Der lesbare Text gibt acht Statements von Bewohnern Manhattans wieder.4 Um die Texte Wort für Wort entziffern zu können, die an den Straßenkreuzungen auch um die Ecke herum weiterlaufen, muss ein körperlicher Balanceakt des Fahrers stattfinden. Zur genauen Lektüre ist er gezwungen, in größtmöglicher Entfernung und parallel zu der Satz-Richtung an den Buchstaben entlangzufahren. Dabei muss er seine Fahrt häufig korrigieren, indem er sie verlangsamt oder bei Bedarf rückwärts fährt. Da die Anzahl der Straßenzüge in THE LEGIBLE CITY begrenzt ist, fährt der Nutzer beim Verlassen der Straßen ins Leere. Bei dieser Fahrt von »außerhalb« sind die Text-Gebäude seitenverkehrt zu sehen. Einzige Orientierungshilfe ist ein kleiner Bildschirm, der direkt vor dem Fahrrad angebracht ist und die Position des Fahrers anhand eines kleinen, digitalen Grundrissplanes von Manhattan anzeigt. Bei der In-Bewegung-Setzung der Computerinstallation ist allein das mechanische Geräusch des Radfahrens zu vernehmen, von keiner zusätzlichen Tonebene begleitet. Straßengitter und Radfahrt In THE LEGIBLE CITY existiert auf mehreren Ebenen ein Lokalitätsbezug zu Manhattan, der sich durch Shaws grundlegende Konzeption der Belebung von Manhattans baulich-geometrischer Form einstellt. Heinrich Klotz konstatiert für den New Yorker Stadtteil ein hohes Maß an Vitalität. Seine Konzentration an Vielfalt lässt New York als außerordentliche westliche Metropole erscheinen, die durch kulturelle Vielschichtigkeit beeindruckt: »Kaum anderswo treffen wir wie hier auf eine derartige Verdichtung von Menschen und Tätigkeiten, die tagsüber das Leben der Stadt bestimmen, kaum anderswo ist eine gleiche Vielfalt von

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Statements vom ehemaligen Bürgermeister Ed Koch, dem Architekten Frank Lloyd Wright, dem Immobilienmakler Donald Trump, dem Übersetzer Noah Webster sowie von einem Botschafter, einem Taxifahrer und einem Hochstapler.

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Funktionen und damit auch von Bauten anzutreffen wie hier.«5 Diese soziale und kulturelle Belebtheit von Manhattan führt Shaw dahingehend weiter, dass die abstrahierten Gebäude eine dynamische Belebung erfahren. Die Unterschiede innerhalb der allgemeinen Vitalität von Manhattan finden eine Berücksichtigung, wenn die Straßenzüge sich aus acht Statements von New Yorkern zusammensetzen. Diese verschiedenfarbigen Statements berücksichtigen diverse soziale Schichten (Bürgermeister, Taxifahrer, Immobilienmakler, Hochstapler etc.) und korrespondieren mit Richard Sennetts Beschreibung von Manhattan als einer »Überlagerung von Unterschieden auf einer Straße«.6 Um die Belebung eines heterogenen Manhattan zu inszenieren, macht sich Shaw insbesondere dessen bauliche Gitterstruktur zunutze. Die Realisation von THE LEGIBLE CITY basiert auf dem geometrischen Gitterkonstrukt der Straßenzüge von Manhattan.7 Dieses existiert seit 1811 als verbindliches Straßenraster (»The Grid«) und entstammt der Regional Planning Association von Manhattan bzw. New York, das die Stadt in rigide, privatwirtschaftlich ausgerichtete Zonen (»Zoning Laws«) aufteilt und bis heute die Einteilung in einen Central Business District und mehrere Downtowns aufrechterhält. Die Gitterstruktur entspringt der cartesianischen Raumauffassung mit zentralperspektivischer Ausrichtung, die mathematische Distanz zur vorherrschenden Raumkonvention werden lässt. Heinz Brüggemann beschreibt die vorgenommene Uniformierung sehr anschaulich: »Die Welt, situiert in einer mathematisch regelrechten raum-zeitlichen Ordnung, angefüllt mit natürlichen Gegenständen, die nur von außen und vom nicht erregten, leidenschaftslosen Auge des neutralen Betrachters beobachtet werden können, manifestiert sich in einem geometrisch isotropen, rechtwinkligen, abstrakten und uniformen Raum, mit dem Gitter, dem Raster als Grundstruktur, [...] der Erweiterung des Abstands zwischen Objekten und Betrachter.«8

Dieses Raster findet sich in THE LEGIBLE CITY als digitale Gitterstruktur wieder, mit deren Hilfe sich der virtuelle Raum vermessen lassen kann. Das Gitter bildet in der Installation die normative Basis, um Manhattans lokale Räumlichkeit in seiner digitalen Abstraktion erfahrbar zu machen. Und ebenso, wie das Gitterraster in Manhattan für vermehrte

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Heinrich Klotz: Von der Urhütte zum Wolkenkratzer: Geschichte der gebauten Umwelt, München 1991, S. 248. Richard Sennett: Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, Frankfurt a.M. 1994, S. 210. Der Prototyp von THE LEGIBLE CITY wurde 1988 als Drahtgittermodell im Maastrichter Bonnefantenmuseum gezeigt. Heinz Brüggemann: »Diskurs des Urbanismus und literarische Figuration der Sinne in der Moderne«. In: Kunst- und Ausstellungshalle der BRD Bonn (Hg.), Der Sinn der Sinne, Bonn/Göttingen 1998, S. 363.

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Distanz zwischen Betrachter und Objekten sorgt, ist auch der Nutzer von THE LEGIBLE CITY zunächst gezwungen, räumliche Distanz zwischen sich und den Buchstaben-Gebäuden zu schaffen, um eine Orientierung innerhalb der Straßenzüge zu bekommen. Daher lässt die dreidimensionale Textur der Installation die Bewohneraussagen nicht frei im virtuellen Raum zirkulieren. Vielmehr fixiert sie diese in einem starren Gittergeflecht, das seine Inhalte in einer linearen Abfolge bereithält. Gerda Breuer weist auf das Phänomen von durchgeplanten Stadtillusionierungen hin, die sich als Effekt einer Musealisierung des Urbanen einstellen (s. »Mythos New York«). Diese reinen Illusionierungen weisen keine wirkliche vitale Fülle bei den Begegnungen im Stadtraum auf.9 Als Parallele dazu gibt es auch in THE LEGIBLE CITY nur ein Nebeneinander, Nacheinander oder Gegenüber von Gebäuden und Textsequenzen, die sich jeweils perspektivisch verzerren, sich jedoch nach den Begegnungen mit dem User weder verändern noch inhaltlich aufeinander reagieren. Obwohl die digitalen Textsequenzen unterschiedliche Gesellschaftsschichten und damit vielfältige soziale Verhältnisse von New York reproduzieren sollen, erscheint Manhattan in der Installation als eine indifferente Segmentierung. Die Textsequenzen sind inhaltlich nicht aufeinander bezogen und besitzen eher den Charakter von losen Abgrenzungen als von verbindender Vielfalt. Norbert Bolz schildert New York auch als Ort der sozialen Abgrenzungen, die sich in seiner festgelegten Linearität spiegeln: »Wenn man durch New York geht, wird man geradezu überschwemmt von der Vielfalt der Unterschiede in der vielfältigsten aller Städte, aber weil sich die verschiedenen Szenen gegeneinander abkapseln, scheint es, als würden sie zu bedeutungsvollen Begegnungen nicht taugen. [...] Die Unterschiede werden gleichsam linear vorgeführt, in einer Abfolge, die ebenso festgelegt ist wie die Abfolge der Räume im Eisenbahn-Apartment.«10

Auch THE LEGIBLE CITY gibt New York zunächst als einen Ort der Limitierungen wieder, indem die Installation »bedeutungsvolle Begegnungen« durch drei Vorgaben einschränkt: Durch eine abstrahierte Stadtform, durch anonyme Bewohner-Statements sowie durch eine vorab festgelegte Computerprogrammierung. Dies führt New York nicht als einmalige und zukunftsweisende Metropole vor, die ihre spezifische Individualität besitzt. Vielmehr reduziert Shaw die formale Besonderheit der Stadt auf eine visuelle Monotonie, da alle Hochhäuser in ihrem Höhenmaß nivelliert sind. Dieser konzeptionelle »Abbau« der genuinen Gestalt von New York verstärkt sich noch dahingehend, dass es am Fahrrad zu9 Vgl. Breuer: Neue Stadträume, a.a.O., S. 25 (vgl. Kap. II FN 21). 10 Bolz: »Theologie der Großstadt«, a.a.O., S. 85 (vgl. Kap. II FN 34).

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sätzliche Optionen für die Durchquerung von Amsterdam und Karlsruhe gibt, deren Text-Gebäude durchaus maßstabsgetreue Höhenunterschiede aufweisen. Trotz der Auswahloption der anderen beiden Städte geht es in THE LEGIBLE CITY jedoch keinesfalls um urbane Vernetzungen oder um entstehende Hierarchisierungen beim sukzessiven Vergleich der drei Städte. Das rigide Straßenraster von New York steht in der Installation unter dem Zeichen von funktioneller Produktivität, denn es ist gerade die strenge Rasterung der Metropole, vor der sich die digitale Flexibilität und Transparenz umso stärker abheben können. Dies weist darauf hin, dass die Auswahl von New York in der Installation nicht auf affirmativen oder kritischen Einstellungen gegenüber der Stadt beruht, sondern gestalterischen Kriterien folgt, denn die Stadtstruktur von Manhattan dient als lokale Folie für interaktive Konzeptionen. In einer Geste der Bewahrung wird das bereits bestehende Gitter-Muster technisch imitiert und erneut fixiert. Dies entspricht Baudrillards doppelter Spirale der Künstlichkeit (s. »Musealisierung Interdisziplinär«), da das Gittergeflecht von Manhattan, das selbst bereits begrenzende Fixierungen beinhaltet, in THE LEGIBLE CITY erneut künstlich wiederholt bzw. »eingefroren« wird. Die Tendenz, die Straßenzüge und Bauwerke von Manhattan zu »revitalisieren«, folgt in der Installation demnach einer wiederkehrenden, künstlichen Inszenierung. Während des Navigierens in den Straßen von Manhattan entsteht beim Nutzer das individuelle Erlebnis, sich durch eine lokale Topografie fortzubewegen, die vorgegebene Erfahrungen in Form der Bewohnerstatements bereitstellt. Dadurch erscheint die Straße in THE LEGIBLE CITY als ursprünglicher Ort eines Erlebens, der die Privatheit von Wohnungen und Häusern hinter sich lässt. Die historischen Straßenzüge sind Teil eines urbanen Kollektivgedächtnisses, das seine eigenen, genuinen Erinnerungsspuren besitzt. Shaw kreiert diese kollektive Erinnerungssubstanz als museales Ereignis, indem er Äußerungen von unterschiedlichen Bewohnern von Manhattan sammelt und ihnen eine spektakuläre Topografie zuweist. Diese Aussagen individualisieren die Straßenzüge und sorgen für eine Weitergabe von verschiedenartigen menschlichen Erfahrungen. Da Shaw der sozialen Vielfalt von Manhattan mit seiner Auswahl an heterogenen Bewohner-Statements zu entsprechen versucht und ihnen die Form von lokalen Gebäuden gibt, bemächtigen sich subjektive Erfahrungen ihrerseits wieder der urbanen Bauten. Durch die Einschreibung in die New Yorker Urbanität bekommen die Gebäude ebenso wie die Erinnerungsspuren der Bewohner einen Archivcharakter. Es bildet sich ein mnemonisches New York, das Volker Fischer beschreibt als »ein subjektives Kaleidoskop separierter ›Architekturwelten‹, die insgesamt gewissermaßen die psychohistorische Bandbreite der Gattung Architek66

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tur im 20. Jahrhundert vorführen.«11 Architektur wird in THE LEGIBLE CITY in eine mit Erinnerungsspuren angereicherte »Archi-Textur« umgewandelt, in der Neues im Bekannten zum Vorschein kommt. Doch die angestrebte Überlagerung von persönlicher Erinnerung mit den Bewohnerstatements gelingt nur bei Personen, die bereits vertraut sind mit Manhattan. Das Abgleichen von zuvor gemachten Erfahrungen und Wahrnehmungen im konkreten New York mit den Äußerungen in der virtuellen Stadt ist nur denen vorbehalten, die Manhattan bereits kennen. Die intendierte Erweiterung von Wahrnehmungsgewohnheiten innerhalb der Metropole funktioniert daher auf der Basis von »Vorwissen« bzw. von primärer Erfahrung vor Ort, wie Oliver Seifert zu THE LEGIBLE CITY ausführt: »The piece also involves the superimposition of subjective memory onto the objective reality of city architecture. Only those visitors of the simulated cities who are familiar with their factual counterparts will be able to uncover all the work’s treasures; they will experience the familiar in the unfamiliar guise, and this breach provides a measure of our perceptual limitations.«12

Auch wenn die direkte In-Beziehung-Setzung vom virtuellen zum realen Manhattan Vorwissen erfordert, besteht aufgrund der mnemonischen Struktur der Text-Gebäude jedoch auch bei Unerfahrenen die Möglichkeit eines indirekten bzw. zeitverzögerten Vergleiches. Falls sich die Erlebnisse in THE LEGIBLE CITY bei einem mit New York nicht vertrauten User stark einprägen, kann es durchaus während einer späteren Begegnung mit der Stadt zu einem erinnernden Abgleichen kommen. In diesem Fall würde sich die Wahrnehmung des »Neuen im Bekannten« zu einem strukturell »Bekannten im Neuen« wandeln. Shaw kombiniert die virtuelle Reise mit dem traditionellen mechanischen Fortbewegungsmittel des Fahrrades. Im realen Manhattan ist das Fahrrad trotz seiner Wendigkeit anderen Verkehrsmitteln im Hinblick auf die körperliche Sicherheit des Fahrenden unterlegen. Dagegen verläuft die Radfahrt im Manhattan von THE LEGIBLE CITY völlig gefahrlos, da es sowohl statisch als auch virtuell stattfindet und es ohnehin keinerlei anderen Fahrzeuge in der computergenerierten Umgebung gibt. Das Fahrrad betont die individuelle Fortbewegungsart, bei der die Richtung und das Tempo der Fahrt vom Benutzer selbst gewählt werden und die Mechanik die Körperkraft verstärkt. Die Körperzeit bestimmt die urbane Raumerfahrung, und die Dauer der Reise hängt von der individu-

11 Volker Fischer: »Standbild, Collage, Zoom – Zur filmischen Erfahrungsweise von Architektur und Stadt«. In: Film+Arc 1, 1993, S. 123. 12 Oliver Seifert: »Jeffrey Shaw: The Legible City«. In: Guggenheim Museum New York (Hg.), Mediascape, New York 1996, S. 48.

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ellen physischen Radfahrt ab. Söke Dinkla beschreibt die für interaktive Installationen wichtige konzeptuelle Rückkopplung an den Körper des Nutzers, um die physische Erfahrbarkeit des virtuellen Raumes zu ermöglichen: »Der Betrachter wird zum bewegten User, der durch seine Entscheidungen den Text/Raum neu strukturiert. Der urbane Raum als (Hyper-)Text erschließt sich jedem User auf individuelle Weise, die von seinen Erfahrungen, Assoziationen und momentanen Entscheidungen abhängig ist. Das flottierende Werk entwirft den Raum als Möglichkeitsform, in der Handlungsalternativen körperlich erprobt werden können. Der User bewegt sich dabei durch das Werk hindurch. Er befindet sich zugleich außerhalb und innerhalb des Werks.«13

Auch in THE LEGIBLE CITY dient die Interaktion zur impulsgesteuerten Erschließung der vorgegebenen Strukturen von New York. Durch die physische Handlung entsteht ein erlebter Raum, der sowohl »intern« durch seine Programmierung vorstrukturiert ist als auch »extern« vom User individuell wahrnehmbar wird. Diese Erfahrung einer individuellen Räumlichkeit, die sich aus der Kombination von aktiver Radfahrt, räumlicher Weite und zeichenhafter Baugestalt ergibt, löst eine momenthafte Identifikation beim User aus. Das neugierige Abgleichen von Vertrautem und Unbekanntem sowie die Betonung des individuellen Navigierens sorgen für die spontane Identifikation mit dem Erlebten. Gesteigert wird dies durch die auffällige Tatsache, dass – anders als beispielsweise bei Computerspielen – in THE LEGIBLE CITY keinerlei virtuelle Stellvertreterfigur bzw. kein Avatar ein fiktives, komplementäres Ich anbietet, das an der Stelle des Nutzers die Welten auf dem Bildschirm durchquert. Bei der Installation entsteht für den Nutzer eine direkte Navigationsmöglichkeit durch Manhattan. Das Gefühl des zeitweiligen Eintauchens in den virtuellen Raum prägt sich aus, was entscheidend mit veranlasst ist durch die Größe des Bildschirmes direkt vor dem Fahrrad. Wiederum bietet der am Lenker installierte Straßenplan von Manhattan die Möglichkeit zur ungefähren räumlichen Orientierung und zur genaueren Navigation durch die Stadt. Als digitaler Grundriss von New York gibt er die spezielle Urbanität von Manhattan in einem ordnenden Überblick wieder. Mit ihm verwendet Shaw eine dem Nutzer bereits vertraute Lesehilfe, denn ein Straßenplan ist ein konventionelles Orientierungsmuster innerhalb einer Stadt, um eine räumliche Ausrichtung zu ermöglichen. Diese Orientierungsfunktion ist durch das Blinken eines Cursors ergänzt, der ständig auf die Position des Fahrers im digitalen Stadtgrundriss hinweist und so einen größeren Überblick beim Umherstreifen auf dem Großbildschirm garantiert. 13 Dinkla: »Das flottierende Werk«, a.a.O., S. 75 (vgl. Kap. III FN 34).

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In THE LEGIBLE CITY ergibt sich darüber hinaus die Situation einer Vorführung, wenn die interaktive Partizipation des Radfahrers von Zuschauern im Ausstellungsraum beobachtet wird. Dadurch entsteht eine Aufteilung in Akteur und Zuschauer, denn das Publikum erlebt die Reise des Radfahrers mit, kommentiert sie oder versucht, sich die Aktion an besonderen Stellen einzuprägen. Ganz bewusst setzt Shaw auf die Ästhetisierung der Metropolenerkundung als Massenerlebnis, indem er für eine Bilderschau von Ereignissen sorgt. Er präsentiert New York als dynamische Bühne, bei der die Text-Gebäude zunächst Statisten sind, die bei ihrer Durchquerung zu Akteuren mit wandelbaren Gebäudekörpern werden. Der real agierende Radfahrer besitzt eine vorbildhafte und vermittelnde Funktion für die Zuschauer, die seine Erlebnisse später selber modifiziert wiederholen wollen. Der Akteur wird für die Umstehenden zum Vorreisenden, der Potenziale der virtuellen Reise durch Manhattan zeigt und den anderen ein Erleben aus beschaulicher Distanz ermöglicht. Daher wird der Vorreisende nicht zur virtuellen, sondern zur real anwesenden Stellvertreterfigur des Zuschauers. Das Handlungsschema des Vorreisenden kann anschließend vom Zuschauer, der nun selbst zum aktiven Fahrer wird, imitiert und wie ein wissenschaftliches Experiment »verifiziert« werden. Shaw stellt diese Vermittlungs- und Rezeptionsstruktur für immer neue Initiierungen desselben fixen Handlungsmusters zur Verfügung: »Ich neige immer zu einem Theater, wo eine Person interaktiv ist und die Zuschauer dessen Performance beobachten. Ich glaube, dass diese Struktur, wo einer handelt und die anderen die Konsequenzen von dessen Handeln sehen, sehr kohärent und konstruktiv ist. Das funktioniert gut und viele Male.«14 Auffallend an diesem Handlungsmuster ist die erweiterte Interaktionsform: In THE LEGIBLE CITY ist die Mensch-Maschine-Relation zwischen User und Interface begleitet von einer »Mensch-Maschine-Mensch-Interaktion«, bei der primäre Handlungen des Users zugleich sekundäre Erfahrungen des Zuschauers sind (der danach selbst zum User werden kann). Literatur-Cluster, Nicht-Ort und Event Structure In THE LEGIBLE CITY erfolgt via Computersimulation eine mediale Codierung von New York, indem die topografische Gestalt von Manhattan eingelesen, gespeichert und modifiziert auf eine Großbildleinwand übertragen wird. Die digitale Durchdringung des Urbanen zeigt sich in der Durchlässigkeit der Architektur für Buchstaben, Worte und Sätze. Aufgrund dieser Durchlässigkeit wandelt sich die grundsätzliche Un14 Jeffrey Shaw im Interview mit Florian Rötzer: »Jeffrey Shaw – Reisen in virtuelle Realitäten«. In: Kunstforum International 117/1992, S. 300.

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sichtbarkeit von medialen Strukturen zu einer sichtbaren Ausprägung von Immaterialität. THE LEGIBLE CITY folgt einer Ästhetik des Immateriellen, die von einer Dynamisierung des Wahrnehmens geprägt ist. Shaw beschreibt seine Vorgehensweise dahingehend, dass der Text »das Gebäude durchlässig werden [lässt] für eine visuelle Transposition von Informationen von innen nach außen.«15 Demzufolge wird vorgegebene Architektur nicht nur digital codiert, sondern durch eine zusätzliche Textkonvertierung in ihren Kommunikationsebenen erweitert. Die mittels Text re-codierte Architektur wird zudem räumlich dynamisierbar. Im urbanen Raum des virtuellen New York ereignen sich visuelle und perzeptive Verschiebungen, wie sie Michel Butor für den Nouveau Roman beschreibt: »Die Orte wandeln sich in Nicht-Orte, an die Stelle der Städte tritt ihr Bild, der unendlich ausgedehnte Raum des Medial-Imaginären, an die Stelle der Berührung das Bewusstsein als Projektionsfläche für die Bildwelten und Erzählungen des Medial-Imaginären, die unablässig Erinnerungen und Vorstellungen sich anverwandeln, sie mit ihren Mustern durchdringen, ihren Ordnungen assimilieren.«16

Bei THE LEGIBLE CITY kommt zu den medialen Überlappungen von Bildlichkeiten noch ihre figurative Verformbarkeit hinzu. Als Spezifik des Digitalen tritt an die Stelle von unterscheidbaren Einzelbildern mit raumzeitlicher Begrenzung eine computergenerierte Bildlichkeit, die geschichtete, transformative und flexible Formen hervorbringt. New York wird zu einer medialen »Engine«, die alle körperlichen und mentalen Ebenen ihrer Nutzer beeinflusst. Die Formensprache der Architektur wird in THE LEGIBLE CITY durch die besondere Stilisierung und Typologie der virtuellen Text-Gebäude überlagert. Die digitalen Buchstaben der lesbaren Installation weisen die visuelle Struktur eines riesigen Literatur-Clusters auf. Ähnlich zum Verfahren der Konkreten Poesie17, werden Textelemente nach visuellen und/oder semantischen Gesichtspunkten grafisch angeordnet. Linie, Fläche, Raum und Farbe stellen autonome künstlerische Mittel dar, die durch das »konkrete« Sprachmaterial von Buchstaben und Wörtern figurativ dargestellt sind. Konventionelle Kommunikationsmuster von Sprache werden aus ihren 15 Jeffrey Shaw: »Interaktive Skulpturen für öffentliche Gebäude«. In: Heinrich Klotz (Hg.), Jeffrey Shaw – eine Gebrauchsanweisung, Ostfildern 1997, S. 97. 16 Michel Butor: »Der Raum des Romans«, zit. n. Heinz Brüggemann: »Mobilität und Transparenz«. In: Breuer, Neue Stadträume, a.a.O., S. 77. 17 Die Bewegung der Konkreten Poesie in den 1950er Jahren ist von James Joyce, Stéphane Mallarmé und den typografischen Experimenten der Futuristen und Dadaisten beeinflusst.

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festgefügten Zusammenhängen gerissen, um traditionelle Aussagen und deren formale Linearität aufzulösen. Ebenso bemächtigen sich in THE LEGIBLE CITY die Körperlichkeit und Bildlichkeit der Sprache des gesamten Stadtraumes. Obwohl die Installation die Linearität von Sätzen übernimmt, sind die Äußerungsinstanzen der Statements zu einzelnen Buchstaben und Gebäuden abstrahiert. New York erscheint als formale Experimentierstätte von sozialen Diskontinuitäten. Auffällig an der formalen Umsetzung der Metropole ist, dass Shaw die prägnante Vertikalität der Hochhaus-Skyline dezidiert in eine neutrale Horizontale verkehrt. Dabei besitzen alle Buchstaben-Gebäude dieselbe nivellierte Höhe, und auch die Leserichtung der Text-Gebäude verläuft horizontal. Obwohl das reale Manhattan mit seinem Konglomerat von über tausend Wolkenkratzern Amerikas größte Verdichtung von Macht und Technik verkörpert, unterstreicht Shaw vor allem die programmatische Neutralisierung des Raumes, die sich in Manhattans parzellierter Rasterung ausdrückt. Diese Neutralisierung des Realraumes findet bei THE LEGIBLE CITY ihre Entsprechung in der gestaltlosen, anonymen Fortbewegung durch den Raum, bei der weder Lebewesen noch Fahrzeuge die virtuellen Straßenzüge bevölkern (Abb. 4). So, wie Michael Butor Transformierungen der Städte in Bilder von Städten und der Orte in Nicht-Orte konstatiert, schildert auch Marc Augé die Ausprägung von mediatisierten »Nicht-Orten«. Im Zuge einer weltweiten Verstädterung sind Nicht-Orte von einer »Inszenierung der Welt« (»mise en spectacle du monde«) begleitet.18 Sie fußt auf einer abstrakten Vertrautheit mit medialen Bildern, bei der es keine soziale Beziehung zwischen Menschen und Bildern gibt. Mit den Nicht-Orten ist das Phänomen des Zeitalters eines fiktiven »Nicht-Ich« verbunden, das sich durch die Position seiner selbst innerhalb der virtuellen Realität definiert und nicht durch eigene phantasievolle Visionen. Ebenso erscheint auch die individuelle Interaktion inmitten der computerinszenierten Welt von THE LEGIBLE CITY als ein sozialer Alleingang, bei dem es um das einseitige Lesen von Bildinformationen geht, mit denen der Reisende synaptische Verbindungen herstellen soll. Diese Anonymität der Reise gleicht Augés virtuellem Umherreisen im Nicht-Ich, das jedoch im Gegensatz zu dem warnenden Unterton des Autors durchaus als angenehm empfunden werden kann. Es ist gerade die von Augé genannte, abstrakte Vertrautheit mit medialen Bildern von Manhattan, die eine Anziehungskraft auf den Besucher ausüben. Es ergibt sich eine suggestive Bildwirkung aus diffusen Form-, Farb- und Lichtschichtungen, die dem Umherschweifen in einem Wachtraum nahe kommt. Shaw kreiert eine spezifische Atmosphäre aus einem unscharfen, abgedunkelten Hintergrund-Setting und aus plötzlich auf18 Vgl. Marc Augé: »Über die Nicht-Orte«. In: Film+Arc 2, 1995, S. 98f.

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leuchtenden, sich verdichtenden Buchstaben, wenn er die Flugsimulation mit den grafischen Computergestaltungsmöglichkeiten der späten 1980er Jahre kombiniert. Daher scheint die adäquateste Zeit zur individuellen Nutzung die Anonymität der Nacht zu sein, wie Shaw beim Besuch seiner Ausstellung feststellt: »Ich verstand plötzlich, dass das die richtige Zeit für diese Arbeit ist, weil ›Legible City‹ ein Ort ohne Menschen ist. Deswegen ist vier Uhr früh die richtige Zeit, hier auf dem Rad zu fahren, weil dann die Stadt als verlassen empfunden werden kann.«19 THE LEGIBLE CITY ermöglicht die Erfahrung eines spielerischen »nächtlichen« Alleingangs in Manhattan, die in dieser experimentellen Art in der realen Stadt New York nicht existiert. Zudem erübrigt sich in den Straßen-Fragmenten jede Erinnerung an ein zusammenhängendes Ganzes einer Stadt, das sich zugunsten einer semantisch offenen Urbanität auflöst. Dieses Abzielen auf eine weitläufige Bedeutungs- und Wertungsfreiheit der virtuellen Buchstaben-Gebäude macht den Bezug zu einer »Architektur als Text«20 deutlich. Bei dieser dekonstruktivistischen Sichtweise wird Architektur nicht mehr nur als reine Agglomeration von Gebäuden, sondern vor allem als Sprache mit Grammatik und Syntax verstanden. Architektonische Ordnungsstrukturen werden bewusst verschoben und erhalten einen beweglichen Kontext, damit sich schichtweise eine mehrdeutige Lektüre entwickeln kann. So wirken auch die Buchstabengebäude von THE LEGIBLE CITY von Weitem als ein fixes Setting, doch beim Heranfahren an die Bauten entstehen Zwischenräume und Lücken, die ein neues Bedeutungsgefüge und andere Perspektiven ermöglichen. Die Präsenz der Text-Architektur in der Installation weist darauf hin, dass Manhattan auch aus immateriellen Pattern von Erfahrungen besteht, durch die sich neue Realitäten bilden können. Es besitzt eine Architektur des fließenden Textes, die dem dekonstruktivistischen Ab- und Aufbau im Sinne einer unentwegten Destruktion und Konstruktion von topologischen Objekten entspricht. Hanjo Berressem beschreibt diese Prozesse für das reale Manhattan: »In the 70s and 80s it was actually impossible in Manhattan to get a buildingpermit without simultaneously providing a destruction permit. The fluctuations of this constant de- and re-constructions created a ›fluid text‹ which, when speeded up, actually creates an architectural film, in which the movement is 19 Interview Shaw in: Rötzer: »Reisen in virtuelle Realitäten«, a.a.O., S. 296. 20 So beschäftigte sich Daniel Libeskind mit einer »Architektur als Text«, wenn er 1985 bei der Biennale in Venedig seiner Installation den Essay »Three Lessons in Architecture« beigefügt, die in »Reading Architecture«, »Remembering Architecture« und »Writing Architecture« unterteilt sind. Vgl. Tanaka Jun: »Das Andere der Architektur: Daniel Libeskind, Architekt am Ende der Architektur«. In: http://before-and-afterimages.jp/files/libes kind.html.

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seen not as a succession of stills anymore, but as a quasi-natural movement, in which the city becomes comparable to a geological formation.«21

Diese geschichtete Formation Manhattans geht in THE LEGIBLE CITY in einen raumzeitlichen Wahrnehmungsfluss über, der sich zwischen elektronischer Projektion und mentaler Erinnerung bewegt. Es findet eine ständige Umschichtung des fixierten Raum-Zeit-Gefüges statt, in der sich der Nutzer inmitten von dynamischen Objekten aufhält. Der dabei entstehende, virtuelle Raum wirkt paradoxal: Er erscheint flexibel und gleichzeitig beliebig, denn er stellt einen sowohl spektakulären als auch unabgeschlossenen Übertragungsraum dar, dessen Gebäude permanenten Prozessen der De-Semantisierung unterliegen. Bei seiner Computerinstallation setzt Shaw 1989 die bis dahin künstlerisch noch kaum genutzte Technik der Flugsimulation ein, die als virtuelle Realität eine multisensorische Wahrnehmung und scheinbare Echtzeitoperationen ermöglicht. Die Flugsimulation gewährleistet bei THE LEGIBLE CITY die Synchronisation der Fahrrad-Interfacebewegung mit der visuellen Darstellung. In computergenerierter Echtzeit, welche die Eingriffe des Nutzers ohne sichtbare Zeitverzögerung auf die Projektionsfläche überträgt, treffen Benutzer, Raum und Bild zusammen. Das Fahrrad wird zum Interface zwischen dem Nutzer und der gegenüberliegenden Leinwand, auf der die Architektur von Manhattan simuliert wird. Shaw kommentiert seinen weit reichenden Einsatz des Flugsimulators: »Der Flugsimulator eröffnet einen sehr radikalen und direkten, vielleicht auch ein wenig übertriebenen Weg, den Zuschauer miteinzubeziehen. [...] Hier schickt man Bewegung wirklich direkt durch den Körper des Zuschauers. Das erfordert auch eine Innovation der Choreographie, nicht nur des Bildes und des Tons. Das demonstriert die große Innovation, welche die Flugsimulation eröffnet, wo man jemand die physische Empfindung von Bewegung geben kann, so dass sich ein Bild erzeugen lässt, in dem man den Zuschauer sich bewegen lassen kann.«22

Die Flugsimulation bietet dem Nutzer der Installation nicht nur die Möglichkeit, das stillstehende Bild auf der Großleinwand zu bewegen oder von außen auf die Projektion zu schauen. Zudem kann der Nutzer sich mittels physischer Anstrengung durch die Bilder hindurch bewegen und sie währenddessen dynamisieren. Shaw arbeitet mit der Inszenierung von Interaktionen, die körperlich und bildhaft angelegt sind. Dieses mobile Abtasten der angebotenen Welt mittels physischem Einsatz ist charakteristisch für interaktive Kunst, die auf eine Bindung des Körpers an die 21 Hanjo Berressem: »The City as Text: Some Aspects of New York in Contemporary Art and Fiction«. In: Amerika Studien 37/1992, S. 110. 22 Interview Shaw in: Rötzer: »Reisen in virtuelle Realitäten«, a.a.O., S. 292.

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Präsenz des Ereignisses zielt (s. »Computerinstallation«). Daher zeigen sich Einflüsse von Kunstströmungen der 1960er Jahre auf Shaws Arbeit. THE LEGIBLE CITY ist vor allem beeinflusst durch das Expanded Cinema mit seiner Auflösung der herkömmlichen Kinosituation zugunsten eines erweiterten cineastischen Erfahrungsraumes sowie durch die Fluxus-Bewegung, die den Ort der Kunst vom Museum in die Öffentlichkeit auslagert, um dem Publikum breite Partizipationsmöglichkeiten und veränderte Wahrnehmungsformen anzubieten. Die Gemeinsamkeiten dieser Kunstströmungen mit THE LEGIBLE CITY liegen insbesondere in der Betonung von Prozesshaftigkeit, Ereignisstrukturen und Interaktionsspielräumen. Zentral ist dabei die grundsätzliche Mobilität aller beteiligten Komponenten. Dies äußert sich bei Shaws Installation in der körperlichen Mobilität des Nutzers, der wiederum die projizierten Gebäude als mobil erlebt. Beim Entziffern der Text-Gebäude stellt sich zudem sukzessive eine Mobilität seines Intellekts ein. Anne-Marie Duguet beschreibt derartige körperliche und intellektuelle Erfahrungen als dezidierte konzeptuelle Absicht von interaktiven Installationen: »Für die Aktivität und die Richtung des Schauens sind in diesen interaktiven Installationen zwei Aspekte von Bedeutung: zum einen die Erkundung der Oberfläche der Welt [...] in allen Richtungen, zum anderen das Eindringen in die Tiefe, in die Beschaffung und Bedeutung der Dinge.«23 Das Eindringen in die inhaltliche Ebene erfolgt bei THE LEGIBLE CITY durch die abstrakte, bedeutungsgeladene Schicht des Textes. Zur erfolgreichen Ebenenverlagerung und Textentzifferung muss eine körperliche Verlangsamung der Fahrt stattfinden. Das partizipatorische Navigieren ist vor allem von der Ereignisstruktur bzw. »event structure« der Installation geprägt, bei der die Nutzeraktivität für eine selbstgewählte Zeitspanne zu einer unwiederholbaren Veränderung des Kunstwerkes führt. Diese Variabilität während des Umherstreifens als auch das Auslösen von nicht vorhersagbaren Gestaltwechseln führen zu einer Fülle von erfahrbaren Eventualitäten. Dabei muss sich der Nutzer bei seiner Reise durch Manhattan an keine vorgeschriebene Richtung oder lineare Ordnung halten. Er kann urbane Bilder und Räume in neuer (Des)Orientierung wahrnehmen und netzwerkartige Verknüpfungen erleben, wie es Florian Rötzer für THE LEGIBLE CITY beschreibt: »Die Arten des Sich-Bewegens durch einen Raum werden vervielfältigt, es entstehen Netzwerke von Text-, Bild- oder Umweltfeldern, die sich beliebig wie beim Samplen verknüpfen lassen.«24 23 Anne-Marie Duguet: »Jeffrey Shaw: Vom Expanded Cinema zur Virtuellen Realität«. In: Klotz: Jeffrey Shaw, a.a.O., S. 39. 24 Florian Rötzer: »Filmische, architektonische und virtuelle Räume«. In: Film+Arc 1, 1993, S. 136.

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Die vorgenommene Digitalisierung der Stadt zieht eine Operationalisierung der Sinne nach sich: Beim Nutzer muss eine körperliche Aktivierung des Interfaces erfolgen, um die Verformbarkeit der Stadt zu erzielen. Ebenso ist er dazu angehalten, bereits vorausgegangene (oder eventuell noch folgende) Besuche im realen Manhattan mit den komplexen raumzeitlichen Erlebnissen der virtuellen elektronischen Reise abzugleichen. Im virtuellen Manhattan bilden sich forcierte Konflikte bzw. Verhaltenssteuerungen aus, die an besondere urbane Erlebnisse gebunden sind. Die Computerinstallation präsentiert das immaterielle New York im Sinne einer »Architektur des Ereignisses«.25 Die architektonische Repräsentation von New York wandelt sich in eine fiktionale Architektur, die konzeptionelle Ähnlichkeiten aufweist mit Bernard Tschumis »form follows fiction«,26 einer programmatischen Idee hinsichtlich neuer Formen architektonischer Notationen. Auch THE LEGIBLE CITY konzentriert sich auf die Fiktion eines textbasierten Manhattan, bei dem die architektonische Form lediglich übernommen wird, um die Metropole zu signalisieren. Erst die kreative Fiktionalisierung von Manhattan bewirkt urbane »Ereignispartituren«, die Zeit erlebnisreich und konkret visualisieren. Die aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Raum löst sich zugunsten eines losen räumlichen Gefüges aus Wahrnehmungen und Erfahrungen auf. Es kommt zu dem Versuch, Ereignisse, Aktionen und Sequenzen als überlappende Zeitphasen zum architektonischen Erlebnis werden zu lassen. Volker Fischer erläutert die Grundannahmen dieses Mediatisierungsprozesses, der auch im Computerspiel Anwendung findet: Die »Überlistung« der Wahrnehmung führt zu einer spezifischen Art von Realismus, bei dem gegenwärtige und vergangene Ereignisse als gleichwertig gelten. Es zählt nicht die akkurate Übertragung einer realen Außenwelt, vielmehr ist die interne Logik zwischen den Ereignis-Sequenzen entscheidend für diese Form der Realismus-Generierung.27 Dementsprechend wird auch das geometrische Manhattan in THE LEGIBLE CITY via Computersimulation zu einem real anmutenden Ort, an dem reale Aktionen stattfinden können. Shaw bedient sich der Generierung von Echtzeit, die in ihrer Beschleunigung von Zeit auf eine andauernde und ausgedehnte Gegenwart ausgerichtet ist28 und eine Aufhebung des Intervalls 25 Der Begriff »Architektur des Ereignisses« geht zurück auf den Architekten Peter Eisenman, der damit einer dekonstruktivistischen Denkrichtung folgt, die von absichtvollen Konfliktauslösungen und vom mathematischen Chaosmodell inspiriert ist. 26 Vgl. Bernard Tschumi/Nicoletta Barberini: Manhanttan Transcripts. Theoretical Projects, London 1995. 27 Vgl. Fischer: »Standbild, Collage, Zoom«, a.a.O., S. 125. 28 Vgl. Paul Virilio: Fluchtgeschwindigkeit, Frankfurt a.M. 1999.

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zwischen Ereignis und Ergebnis bewirkt. Die Echtzeit-Generierung bietet ein Fahrerlebnis, das systematisch durch die digitale Transkodierung von Computertechnik als auch durch eine assoziative Architekturdarstellung vorangetrieben wird. Die virtuelle Reise durch Manhattan orientiert sich zudem an »Surrogat-Reisen«29 der frühen Medienkunst. In den späten 1970er Jahren entwickelt die Architectural Machine Group am MIT (Massachusetts Institute of Technology) die ASPEN MOVIE MAP:30 Der Benutzer kann am Computer seine eigene Route durch die Straßen der Stadt Aspen/Colorado wählen, die zuvor mit Filmkameras aufgenommen und dann auf eine Videodisk überspielt worden sind, um in digitalem Format nonlineare, virtuelle Surrogat-Reisen auf Monitoren zu ermöglichen. Diese Idee wird in THE LEGIBLE CITY im stärkeren Maße mediatisiert: Die Bilder sind nicht zuvor abgefilmt, sondern bereits am Computer erzeugt, anstelle von kleinformatigen Monitoren wird eine Großbildleinwand verwendet, und die passive Sitzgelegenheit eines Stuhles ist durch das aktivierbare Fahrrad ersetzt, das als Interface fungiert. Die Surrogat-Reise in Shaws Installation entspricht dem besonders in den 1980er Jahren angewandten Verfahren des »Mapping«31 als der Orientierung anhand einer assoziativen Kartografie. Die Linearität der Manhattan-Architektur wird gebrochen, indem der Nutzer seine eigene diskontinuierliche Route wählen kann. Der Surrogat-Charakter der Reise durch Manhattan resultiert aus dem paradoxalen Erlebnis einer realen Fahrt durch simulierte Bilderwelten, was einer Anwesenheit in der Abwesenheit gleichkommt. Die virtuelle Navigation durch topografische Text-Sequenzen ergibt eine Reisemöglichkeit, die Shaw mit »Virtual Voyaging in a Landscape of Doubt«32 beschreibt. Dieses »Virtual Voyaging« besitzt in THE LEGIBLE CITY keine privilegierte Fortbewegungsrichtung mehr, da auch ein Durchqueren der Gebäude möglich ist und der Reisende die urbanen Gegebenheiten des realen Manhattan überschreiten kann. Es entstehen neue Raum- und Sinnordnungen, die allerdings wieder in eine Fixierung und Limitierung durch den Computer münden, wie es Florian Rötzer beschreibt:

29 Erkki Huhtamo: »Kolumbus im Lehnstuhl an den Gestaden des Jordan«. In: Film+Arc 2, 1995, S. 80. 30 Architectural Machine Group: The Aspen Movie Map, 1978-80, zu sehen unter der Homepage des Projekt-Mitarbeiters Michael Naimark: http:// www.naimark.net/projects/aspen.html. 31 Besonders in Form des Mind-Mapping, das Gedanken zu einem Thema spontan und schlagwortartig in Verzweigungsgrafiken analog zum zelebralen Denken notiert. 32 Jeffrey Shaw: »Virtual Voyaging in a Landscape of Doubt«. In: Akihiko Yoshimura (Hg.), Media Passage. Intercommunication ’93, Tokio 1993, S. 42.

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»Text und Architektur sind fixierte Raumordnungen. Man kann sie zwar auf verschiedenen Pfaden durchreisen, man kann von vornherein ein Ziel ansteuern oder ungerichtet umherschweifen, aber in den virtuellen Welten wird das dreidimensionale Bild oder die simulierte Umwelt stets in Abhängigkeit von den Aktionen des Reisenden, der sich auf der Stelle bewegt, aus dem Möglichkeitsraum der Daten heraus realisiert. Der Reisende ist mit der virtuellen Kamera verschmolzen.«33

Allerdings bricht Shaw mit der konventionellen computergenerierten Raumerfahrung beispielsweise von Computerspielen, die auch auf der Technik der Flugsimulation basieren, und bei denen Gebäude-Kollisionen immer mit lautstarken Crashgeräuschen erfolgen. Derartige laute Sensationsmomente sind von Shaw bewusst zugunsten einer geräuschlosen, transformativen und bauliche Grenzen überschreitenden Raumerfahrung weggelassen worden. Daher gibt es in THE LEGIBLE CITY Überlagerungen des imaginären Raumes der Surrogatreise, die eine gefahrlose »So-tun-als-ob«-Fahrt durch das riesige Manhattan beinhaltet, mit dem paradoxalen Raum der Virtual Voyage. Bei ihr kann der Nutzer ohne Kollision durch Hindernisse navigieren und eine perspektivische Verzerrung der Gebäude in Ausrichtung auf die eigene Position erleben. Dabei weist Shaws Installation durchaus Züge von Friedrich Kittlers Kennzeichnung einer Stadt als Medium auf (s. »Mediatisierung Interdisziplinär«), da das Netzwerk der Straßen von Manhattan ein Modell von diskontinuierlichen Hypertext-Abläufen darstellt. Nur erfolgt bei THE LEGIBLE CITY der Prozess der Technologisierung in Umkehrung zu Kittlers Zuschreibung: In der Installation erscheint New York nicht als per se mediatisierte Metropole, sondern ist die reale Folie und materialisierte Metapher für eine Form von Mediatisierung, die Technik sichtbar und erlebbar machen lässt. Daher findet sich bei der Installation weniger Kittlers Eindruck von einer Stadt als einem Medium unter diversen anderen Medien wieder, vielmehr präsentiert sich das Medium der Computerinstallation als Konkretion der Stadt New York. Die für das Jahr 1989 neue Computersimulations-Technik kommt gerade angesichts des genuinen Straßenverlaufs von Manhattan am besten zur Geltung.34 Ähnlich wie bei virtuellen Stadtmodellen im Netz35 eignet sich in der Computerinstallation die Stadtmetapher dazu, das Versprechen auf eine spektakuläre Inszenierung und eine mediale Innovation am anschaulichsten trans33 Rötzer: »Filmische, architektonische und virtuelle Räume«, a.a.O., S. 135. 34 So wählt Shaw als weitere Modelle für THE LEGIBLE CITY die ebenfalls eigenwilligen Straßenverläufe von Amsterdams Kanal-Ringen und von Karlsruhes klassizistischem Aufbau. 35 Beispielsweise »Internationale Stadt Berlin« (http://www.is.in-berlin.de/) oder »De Digitale Stad Amsterdam« (http://www.dds.nl/).

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portieren zu können. Shaw nutzt daher für die Präsentation seines neuen digitalen Mediums die Metapher der Urbanität, um Dynamik durch eine Partizipation an heterogenen Prozessen nahe zu legen. Diese Ansprüche der dynamischen Partizipation stellt Shaw allerdings nicht an Manhattan, sondern er überträgt die Forderungen nach Dynamik, Interaktion und Komplexität auf die Realisierung seiner Computerinstallation. Dabei sucht Shaw nach Möglichkeiten, die vorgegebenen Charakteristika von Manhattan – die Dichte seiner Hochhäuser und das starre Straßenraster – künstlerisch abzuwandeln. Die computerbasierte Textabstraktion und die Gebäude-Verformbarkeit sind die künstlerischen Codes, die eine systematische und eigenwillige Erkundung von Manhattan anbieten. Bei THE LEGIBLE CITY kommt die Ambivalenz der digitalen Technik zum Vorschein: Die Computersimulation repräsentiert Manhattan und verleugnet gleichzeitig diese Repräsentation. Manhattans Muster wird eingescannt, übernommen und affirmiert, um andererseits wieder transformiert und neutralisiert zu werden. Kittler führt an, dass mittels numerischer Digitaltechnik eine Computersimulation möglich geworden sei, die maschinell verneint, was ist, und bejaht, was nicht ist.36 Dies wandelt Shaw ab: Er abstrahiert und verdichtet die Topografie von Manhattan derart, dass sie auf den ersten Blick nicht wieder erkennbar ist und eine Orientierung in ihr erschwert wird. Shaw verneint eine »werkgetreue« Repräsentation Manhattans auf der Großbildleinwand, während er die Konzession einer maßstabsgetreuen Abbildung des Straßenrasters auf dem kleinen digitalen Stadtplan macht. Sein Schwergewicht liegt auf der maschinellen Bejahung dessen, was nicht ist, indem er sowohl Vorhandenes weglässt als auch Neues hinzufügt. Shaw eliminiert vorhandene Verkehrsmittel und Menschen, tauscht Fassaden aus, wenn er sein Manhattan auf virtuelle Textkörper reduziert, und fügt architektonische Verformbarkeiten hinzu. Jedoch sind die Textkörper nicht sofort begreifbar, da sich die digitalen Sätze als schwer lesbar erweisen, und eine Flexibilität der Computer-Gebäude entsteht nur bei deren Durchquerung. Spacing und dynamisches Data-Scape Shaw kombiniert die körperzeitliche Raumerfahrung der Radfahrt mit dem Durchqueren eines neutralisierten, beliebigen und endlosen Simulationsraumes. Die Fortbewegung mit dem Rad erzeugt einen eigenen Bewegungsraum, der kontinuierlich im Sinne eines homogenen Newton’schen Raumes ist und eine cartesianische Perspektivität und Linearität aufweist. Doch ebenso zeigt sich bei der Radfahrt das digitale Deh36 Vgl. Friedrich Kittler: »Fiktion und Simulation«. In: Ars Electronica (Hg.), Philosophien der neuen Technologie, Festivalkatalog, Berlin 1989, S. 64.

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nen und Stauchen von Raum, bei der das Computerprogramm eine Bewegung im virtuellen Raum zur verzerrten Bewegung des Raumes selbst umwandelt. Daraus resultieren transparente Räume, die sich überlagern und durch Bewegung miteinander verknüpft werden. Dieses widersprüchliche Raumhandeln inmitten konventioneller als auch experimenteller Erfahrungen entspricht dem Prozess des »Spacing«, das Martina Löw als eine Verbindung von erlernter euklidischer Raumvorstellung mit dem vernetzten und uneinheitlichen virtuellen Raum beschreibt.37 Demnach bewegt sich der User in Shaws prozessualer Computerinstallation zwischen konstruierten und veränderbaren Raumpositionierungen, die vorgegeben und digital überformt sind, jedoch vom User auch interaktiv produziert und abgewandelt werden können. Durch die Bewegungen des Users lässt sich der virtuelle Raum in alle Richtungen steuern und bleibt dabei in seiner konkreten Ausformung einzigartig, da die Bewegungskonstellationen nicht exakt wiederholbar sind. Der fixierte urbane Raum von New York ist in THE LEGIBLE CITY das Trägermaterial, an dem die digitale Dynamisierung der Stadt räumlich sichtbar und plastisch erlebbar werden kann. Das lineare, homogene Gittergeflecht der Metropole wird zwar vom paradoxalen, digitalen Raum überlagert, ist aber durchaus in der jeweiligen Eigenständigkeit – als Bewegungsraum mit dem Fahrrad, als Straßenraum von Manhattan und als Vorführraum – dezidiert erkennbar. Die Überlagerung von Raumerfahrungen findet zwar als virtuelle Fortbewegung durch New York statt, jedoch existiert für den Nutzer keine vollständig immersive Virtuelle Realität, die ihn rundherum in einen simulierten Raum einschließen würde. Das immersive Eintauchen in einen reinen Cyberspace New York, der zu einem »regress ad uterum«38 würde, relativiert sich daher in THE LEGIBLE CITY hin zu momenthaften räumlichen Intensitäten. Shaw stattet New York mit einer Räumlichkeit aus, die eine Zwischenposition innerhalb der körperlich nachvollziehbaren »Revitalisierung« von urbanen Mustern und der interaktiven Simulation einer spielerisch erfahrbaren Metropole einnimmt. Shaw verknüpft den geometrisch-abstrakten Raum von Manhattan mit dem digital gestauchten und gedehnten und bindet beide an den mentalen Raum, der sich durch Text-Kommentare von Abwesenden ergibt. Zudem integriert Shaw den bühnenähnlichen Aufführungsraum in den Ausstellungsraum der Computerinstallation und schafft so insgesamt einen real erfahrbaren Raum mit dem Potenzial des Phantastischen.

37 Vgl. Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt a.M. 2001, S. 102f. 38 Kay Kirchmann: Verdichtung, Weltverlust und Zeitdruck. Grundzüge einer Theorie der Interdependenzen von Medien, Zeit und Geschwindigkeit im neuzeitlichen Zivilisationsprozess, Opladen 1998, S. 480.

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Auch hinsichtlich der Zeitebene verschränken sich fixe und dynamische Komponenten. Das Durchqueren der Text-Topografie ist eine mentale Reise, die einen »Erinnerungspool« aus alltäglichen oder poetischen Schilderungen von Manhattan bildet. Dieser Erinnerungspool wird vom Nutzer entweder mit bereits existierenden Erfahrungen bezüglich des realen Manhattan verglichen oder der Pool ermöglicht erst die noch zu vollziehenden Erkundungen im virtuellen Manhattan. Inhaltliche Grundlage bilden in THE LEGIBLE CITY immer die Erinnerungen Dritter, die einen Vergleich oder eine neue Erfahrung auszulösen vermögen. Der Erinnerungspool ist in der Installation allerdings nicht bis zu seinen »Verursachern« rückverfolgbar, denn die geistigen Urheber der Satz-Gebäude respektive die verschiedenen Bewohner von New York bleiben ungenannt. Die Zitate zu New York sind nicht als eine realhistorische Charakterisierung der Stadt oder im Sinne einer sozialkulturellen Zuordnung angelegt. Die festgeschriebenen Zitate fungieren eher im Sinne eines zeitlosen, anonymen »Brainstorming-Pools« der Einwohner von Manhattan. Die Erinnerungen und Kommentare der Bewohner sind jederzeit plastisch aufrufbar. Daher gerät der instantane Charakter der Installation in den Vordergrund der Wahrnehmung, bei der die virtuelle EchtzeitErkundung das Zeitgefühl prägt. New York wird zu einem instantan aufrufbaren »Data-Scape« mit einem logistisch-neutralen Zeitraumgefüge. Die urbane Textur dient als Projektionsfläche für eine unspezifische und beliebige – da undifferenzierte – Zeitebene. Bedient in THE LEGIBLE CITY niemand das Interface, steht die Zeit in New York still, denn weder Bilder noch Animationen deuten ein Vergehen von Zeit an. Durch diesen konzeptionellen Stillstand bricht Shaw den Mythos von New York als berüchtigter »city that never sleeps«: Die virtuelle Stadt verfällt ohne die Aktivierung von Nutzern in einen schlafähnlichen »Standby«-Modus, dessen Energiepegel gleich null erscheint. Ein zeitlicher Ablauf stellt sich erst wieder durch den Eingriff des Nutzers ein. Hier zeigt sich die systemische Eigenzeit der virtuellen Metropole, die vom Nutzer entweder ausgelöst oder gestoppt werden kann. Zwar kann er das Tempo und den Rhythmus seiner Fahrt selbst bestimmen, doch dieser individuelle Umgang mit Zeit muss sich immer in die computergenerierte Zeit transferieren lassen. Die Zeitintervalle der Fortbewegung sind wiederholbar und einer realen Fahrtdauer angepasst. Daher ist die Nutzungsdauer der Computerinstallation und somit die Erkundung von New York prinzipiell unbegrenzt. Die künstliche Eigenzeit der virtuellen Reise ist so programmiert, dass sie das subjektive Zeitempfinden einer Radfahrt durch die Straßen von New York möglichst authentisch nachahmt. Der Nutzer ist jedoch immer in die instantane Eigenzeit des computergenerierten New York eingebettet. Im Gegensatz zur offensiven digitalen 80

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Raumerfahrung der Metropole ist die computerbasierte Zeitkomponente in THE LEGIBLE CITY nicht auf eine explizite Erfahrbarkeit angelegt, sondern eher unmerklich vorhanden. Insgesamt kombiniert Shaw das »Oberflächenmedium«39 Architektur, das Objekte statisch an Schauplätzen präsentiert, mit dem elektronischen »Hypermedium« der Computerinstallation, die Text-Fragmente linear anordnet, aber nonlinear nutzen lässt. New York wird zum urbanen »Begegnungsgefüge«, in dem eine variable Kombinatorik von statischen und dynamischen Elementen stattfindet. Shaws Computerinstallation ist eine komplexe Synthese von alten und neuen Medien, von Wahrnehmungskonventionen und Raumtransformationen, von abstrakter Form und mentaler Reise und erhält ihre Dynamik durch die Interaktion. Der für Ende der 1980er Jahre hohe Grad an Interaktivität durchdringt immer wieder traditionelle urbane Rezeptionsstrukturen. Die Interaktion umfasst den außen stehenden Betrachter, der die urbane Installation liest, und den involvierten Nutzer, der als individueller Reisender die Route durch New York schreibt, so dass die Rezeptionsstruktur zwischen verschiedenen Ebenen der Partizipation oszilliert. In THE LEGIBLE CITY verlaufen stabilisierende sowie irritierende Komponenten parallel zueinander und vermischen sich bei der Rezeption der Metropole. Aus der wechselseitigen Beeinflussung und dem komplexen Austausch zwischen Nutzer und Computerinstallation resultiert ein dynamisches New York, das ästhetisch-kommunikative Potenziale beinhaltet. Der urbane Raum lässt eine neuartige Kombinatorik von Interaktionsformen zu, die ebenso unpersönlich wie auch intellektuell und perzeptiv bereichernd sind. Das New York von THE LEGIBLE CITY bietet modellhafte Interaktionen, bei denen abstrakte Prozesse an den Körper rückgebunden und auf ihren Innovationsgehalt hin getestet werden. Damit wird die Erfahrbarkeit von künstlerischen Prozessen im digitalen Raum zur Disposition gestellt, was Söke Dinkla – die Shaws Computerinstallation als ein Schlüsselwerk der Interaktiven Kunst ansieht – zu den wichtigen innovativen Leistungen von derartigen Medienkunst-Werken zählt: »Erst die Verbindung zwischen mentaler Interaktion und Rückverkörperung abstrakter Prozesse ermöglicht den kritischen Umgang mit der digitalen Kulturtechnik.«40

39 Vilém Flusser: »Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien«. In: Edith Flusser/Stefan Bollmann (Hg.), Vilém Flusser. Schriften Band 2, Bensheim/Düsseldorf 1993. 40 Dinkla: »Das flottierende Werk«, a.a.O., S. 88.

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2. ALEX GOPHER: THE CHILD 1999 präsentiert Alex Gopher das vierminütige Musikvideo THE CHILD,41 in dem eine einfache Story als Aufhänger für eine rasante Taxifahrt durch das abendliche New York dient, bei der eine hochschwangere Frau mit ihrem Mann von Brooklyn nach Manhattan eilt und gerade noch rechtzeitig das Central Hospital zur Geburt ihres Sohnes erreicht. In Gophers digitalem Musikvideo besteht New York mitsamt seinen Menschen, Verkehrsmitteln und Gebäuden aus computeranimierter Typografie. Gopher überträgt die Regie für die visuelle Umsetzung des Clips an Antoine Bardou-Jacquet, der die Bilder und die Typografie erstellt für die anschließende Animation des Clips sorgt.42 Establishing Place und Taktgeber-Metropole THE CHILD zeigt die dynamische Urbanität von New York, dessen lokale Besonderheiten immer wieder sorgfältig in Szene gesetzt werden. Der Musikclip bietet seinen Zuschauern von Anfang an die Gewissheit, dass das Geschehen in New York stattfindet, da u.a. zahlreiche Filmklischees zur Anwendung kommen. Ohnehin ist es Bardou-Jacquets zentrales Anliegen, die Typografie des Clips mit filmischen Stilmitteln darzustellen.43 THE CHILD beginnt mit einem langen »Establishing Shot«,44 der aus den Wolken über die New Yorker Skyline, weiter zwischen Hochhäuser hindurch und schließlich hinein in die Wohnung des Ehepaares führt. Beim Flug herunter auf New York strahlt die Silhouette der Skyline als leuchtende urbane Eingangspforte, wie sie bereits unzählige 41 Der Musiker Alex Gopher – ein Vertreter der French House Music – bringt das Video im Nachgang zu seinem gleichnamigen House-Song heraus, das den Gesang der Jazzlegende Billie Holliday sampelt. Der Song THE CHILD: Musik/Komposition Alex Gopher, erschienen auf dem Album: You, My Baby and I, Solid-Label, V2 Records, Großbritannien 1999. 42 Videoclip THE CHILD: Regie Antoine Bardou-Jacquet (Grafik-Design Firma H5), Produzent Charles Petit, Frankreich 1999, erstellt mit den 2DProgrammen Adobe Photoshop und Illustrator sowie mit den 3D-Programmen Lightwave und Flame. 43 Vgl. Bardou-Jacquet in: http//:www.freeememes.com/space/Antoine+Bar dou-Jacquet. 44 Beim Establishing Shot, der direkt nach dem Filmtitel beginnt, handelt es sich um eine bewegliche Kameraeinstellung (oft in der Totale), die in den Schauplatz, die Zeit und die Handlung des Films einführt. Der Establishing Shot erfolgt ohne jeden Filmschnitt und meist unter dem Einsatz von aufwendigen Kamerafahrten und -schwenks. Vgl. James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien, Hamburg 1989, S. 197.

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Male als energetisches Wahrzeichen von New York abgelichtet wurde (Abb. 5). Zusammen mit dem Flug durch die beleuchteten Hochhäuser von Manhattan wird der Establishing Shot zum »Establishing Place«, denn er signalisiert vor allem die »Elektrizität« und die spezifische Hochhaus-Ästhetik von New York. Die Metropole ist in THE CHILD gestalterisch derart verdichtet, dass alle Elemente des computeranimierten Videoclips – vom Stadtbild über die Fahrzeuge bis zu den Akteuren – nicht aus fotorealistischen Abbildern, sondern aus typografischen Buchstaben bestehen, die in Farbe, Form und Bewegungsrichtung ihren »realen« Vorbildern entsprechen. Beispielsweise bewegen sich mehrfach wiederholte »subway«-Lettern, die mit Graffiti-Emblemen versehen sind, quer durch das Stadtbild und stellen so einen U-Bahn-Zug dar. Auf der inhaltlichen Ebene benennen die Wörter die Funktion alles Abgebildeten: Die Hochhäuser heißen oft lapidar »building« oder »block«, die Kreuzungen »pedestriancrossing« oder die Passanten »people«. Zudem sind die Hauptpersonen durch humorvolle Attribute charakterisiert. So ist der Taxifahrer mit »dreadlocks rastaman« beschrieben, die schwangere Ehefrau ist mit »brownhaired prettyface woman pregnant reddress sneakers« bezeichnet und ihr Mann mit »blackhaired pleasantface bigglasses husband littleman darksuit«. Entstammen die Buchstaben-Gestalten der Akteure und der Fahrzeuge mehr dem Alltagswitz, so hebt sich die Gestalt der Stadt New York in ihrer Riesenhaftigkeit und Einmaligkeit ab. In der für ein Musikvideo charakteristischen audiovisuellen Zitatform (s. »Videokunst«) setzt THE CHILD darauf, dass die Besonderheiten von New York visuell vorcodiert und dem Zuschauer des Clips aus vorhergehenden Filmen, Reportagen etc. sehr vertraut sind. Diese Vertrautheit beinhaltet zwei Vorteile: Zum einen müssen Figuren oder Handlungen nicht detailliert geschildert werden, denn der Hauptakteur ist das weltbekannte und faszinierende New York mitsamt seiner spezifischen Architektur. Die Metropole hat zum anderen den Vorteil eines sofort lokalisierbaren Wiedererkennungseffektes, der angesichts der innovativen Buchstaben-Animationen einen wichtigen stabilisierenden Faktor für die Rezeption von THE CHILD darstellt. Bei der anfänglichen Fahrt durch Brooklyn bestehen die Hochhäuser aus blaugrauen Buchstaben, die vertikal verlaufen und schlicht als »building« bezeichnet sind. Sie bilden den Ausgangspunkt für eine Fahrt durch New York, die zunächst durch einen Autotunnel aus den braunen, gebogenen Buchstaben »tunnel« führt. Die Fahrt erfolgt weiter über das bekannte Wahrzeichen der Brooklyn Bridge, die Brooklyn mit Manhattan verbindet. In starker Aufsicht zeigt sich die Statur der Brücke, die aus sich immer wiederholenden, großen und kleinen Lettern »Brooklynbridge« besteht (Abb. 6). Diese Buchstaben-Formation demonstriert in 83

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sehr anschaulicher als auch in ungewohnter Weise die ausgefeilte Tektonik der realen Brücke. Der Aufbau der Buchstaben mit seiner guten Lesbarkeit signalisiert sofort das Bauwerk und den konkreten Stadtteil. Auch die Buchstaben-Figur des Guggenheim-Museums, das bei einem Abkürzungsmanöver des Taxifahrers passiert wird, greift die prägnante lokale Baugestalt auf. Bei der Autofahrt zum Museum stechen die großen, geschwungenen Lettern aus einer begrünten Umgebung hervor. Als bänderförmige Außenfassade des Museums sind die Großbuchstaben in drei Reihen angeordnet und deuten zusammen das Wort »Guggenheimmuseum« an (Abb. 7). THE CHILD zielt dezidiert auf die genuine Form des Guggenheim-Museums, das im kulturellen Bildgedächtnis von New York fest verankert ist. Da einige Schriftzeichen verdeckt sind, müssen die fehlenden Buchstaben im Geiste ergänzt werden, was an ein Buchstabenquiz erinnert. Zur Aktivierung des kulturellen Gedächtnisses dient daher ein Worträtsel, dessen Auflösung wiederum das gelungene Wiedererkennen des Museums bestätigt. Eine weitere lokale Besonderheit erscheint im letzten Teil des Clips bei einer schnellen Fahrt mitten durch Chinatown. Die asiatischen Schriftzeichen der Läden, Imbisse etc. sind in Original-Schriftzeichen belassen, denn gerade dadurch können sie die üblicherweise mit Chinatown in Verbindung gebrachte Exotik signalisieren. Das BuchstabenUniversum des Clips wird um asiatische Zeichen erweitert, die beim Publikum für eine Abwechslung im Präsentationsmodus sorgen. Die Zurschau-Stellung der Brooklyn-Bridge, des Guggenheim-Museums und Chinatowns ist eine Verbreitung von kanonisierten Bildern, die legendäre Gebäude und Viertel als urbane Klischees ausstellt. Dabei bildet sich in THE CHILD keine voyeuristische Erstarrung von kulturellen Symbolen, da mit der visuellen Kanonisierung gleichzeitig ein dynamischer Transfer zur unkonventionellen und flexiblen Zeichenhaftigkeit einhergeht. Zudem sind alle urbanen Referenzen in einen vitalen Kontext eingebettet: Auf der belebten Brooklyn Bridge gibt es ein dynamisches Überholmanöver, eine rasante Abkürzung führt entlang des Guggenheim-Museums, und der Weg quer durch das quirlige Chinatown erfolgt unter dem Geleit von Polizei-Motorrädern. Diese Inszenierung von Vitalität prägt den gesamten Videoclip, wenn Kreuzungen (»pedestriancrossing«) und Straßen (»pavement«) frequentiert sind von verschiedenen, oft humorvoll gekennzeichnet Menschen (z.B. »fatguy«) und Fahrzeugen (z.B. ein endlos langer Cadillac, der sich quer über das Bild erstreckt als »veryverylongcadillac«). Ohnehin ist das Video mit seiner rasanten Taxifahrt durch das belebte New York und mit der abschließenden Geburt eines Kindes (= THE CHILD) eine unentwegte Veranschaulichung von Vitalität. Hierdurch erweist sich New York als eine mit unterschiedlichsten 84

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Energien aufgeladene Stadt, in der sich spannende Alltagsgeschichten ereignen. Jede Bildsequenz betont die Eigenwilligkeit und die Einmaligkeit der vitalen Metropole. In Gophers Musikvideo ist auch die Tonebene stark verdichtet, denn der Clip ist nicht nur mit dem eigentlichen Song unterlegt, sondern zusätzlich sind alle Aktionen in New York durch laute und plastische »Originalgeräusche« wie dem Quietschen von Bremsen, dem Heulen von Martinshörnern oder dem Dröhnen von Hupen kommentiert. Im gesamtem Clip erfolgen zahlreiche Kamerafahrten und Schwenks und häufige Änderungen der Einstellungsgrößen und Kameraperspektiven, distanzierte Halbtotalen und Totalen wechseln mit nahen, subjektiven Kamerafahrten. Zusammen mit der plastischen Tonebene erzeugt die audiovisuelle Inszenierung des Clips den Eindruck eines spannungsreichen und vitalen New York, das zur musikalischen Bühne wird, auf der alle Akte geräuschvoll inszeniert sind. Da das Video jedoch linear und ohne Eingriffsmöglichkeiten des Betrachters abläuft, geschieht die Taxifahrt durch New York als dynamische Mitreise mit dem Ehepaar, aus dessen Blickwinkel der Betrachter urbane Ereignisse und Gefahren miterlebt. Die buchstäbliche »Benennung« der Brooklyn Bridge und des Guggenheim-Museums sowie die Visualisierungen von Chinatown sorgen für eine genaue Orientierungsmöglichkeit innerhalb von New York. Um inmitten der turbulenten Ereignisse auf den Straßen eine Orientierung zu haben, wo genau in New York die Taxifahrt verläuft, bietet THE CHILD mehrere Anhaltspunkte. Neben architektonischen Wahrzeichen integriert das Video noch weitere Orientierungsmarken in den Ablauf der Fahrt, wenn insbesondere gegen Ende des Clips die Buchstaben-Struktur zur namentlichen Nennung einzelner Bauten genutzt wird. Wurden zu Anfang noch einige Gebäude schlicht mit »building« oder »block« bezeichnet, sind nun spezifische Hochhäuser in hellerer Schrift mit »fourseasonshotel«, »master appartment« oder »chelseabuilding« konkret benannt (Abb. 8). Alle diese Orientierungspunkte sind repräsentative urbane Wahrzeichen, die »Hohe Kunst« und Prestige miteinander vereinen. Der Clip verdichtet New York daher zu einem zentralen Ort westlicher Hochkultur. Diese ZurSchau-Stellung von repräsentativen Stadtelementen geht mit einer Künstlichkeit einher, wie sie Gerda Breuer für musealisierende Bauvorgänge beschreibt: »Die Musealisierung tritt in äußerst bilderreichen Konfigurationen traditioneller und neuer Stadtelemente auf. [...] Hinzu kamen Stadt-Illusionierungen, [..] die Zentrum und Dichte zur Schau stellen wollten. [...] Über die programmierte Fiktion eines historischen Kerns [stellt sich, J.Z.] ein Museumseffekt her: Die Wirkung der künstlichen

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Stadtmitte, die traditionelle Stadtbilder konserviert.«45 In THE CHILD ergibt sich der Effekt einer künstlichen Stadt-Illusionierung durch ein verdichtetes Stadtbild aus alltäglicher Betriebsamkeit, urbaner Einmaligkeit und lokaler Hochkultur. Diese Künstlichkeit der durchgeplanten Fiktion von New York ist in Gophers Clip allerdings eine ästhetische Notwendigkeit und macht darüber hinaus die innovative Spezifik des Videos aus. Durch die symbolische Aufladung von New York mit Vitalität und Hochkultur weist THE CHILD der Stadt die Rolle einer mental-geografischen Metropole zu (s. »Zentrale Mythen«), denn sie erscheint als ein einmaliger Ort mit hoher Ausstrahlung, in dem individuelle Alltagsschwierigkeiten dynamisch gelöst werden können. Im Zentrum von urbaner Macht und Technik pulsiert ein Strom technischer Fortbewegungsarten, den es zu nutzen gilt. So glückt im »Herzen« der riesigen Metropole die Geburt, weswegen das durchtechnisierte New York intakt erscheint und einen Regelkreislauf von Lebensformen signalisiert. Das metropolitane Leben folgt im Clip einem schnellen Rhythmus und bedient sich diverser Errungenschaften, die dem Menschen sowohl dienen als auch ihn strukturieren. Daher fällt der Metropole in THE CHILD eine »Taktgeber-Rolle« für menschliche Lebenskontexte zu, denn die dynamisch-konstruktive Beantwortung von Existenzproblemen bringt New York in eine Vorreiterposition für urbane Lebensformen. Gophers Video präsentiert die einzigartige Topografie von New York und signalisiert seine Erhabenheit und kulturelle Imposanz. Es zeigt den hohen Stand der Technik als auch Orientierungsmöglichkeiten innerhalb der Metropole und attestiert ihr vielschichtige Vitalität. Im Clip hat New York eine Vorreiterposition für das Leben seiner Bewohner und erscheint als ultimatives Modell für vitale Urbanität. Digitale Poesie, akustischer Index und Computerspiel Die innovative Darstellung von New York als typografische Stadt wird in dem sehr vertrauten Medium des Textes aufgegriffen. In THE CHILD benennen die grafischen Wörter in denotativer Form genau das, was sie abbilden, seien es Personen, Architektur oder Infrastruktur. Jedes Wort reduziert sein motivisches Pendant zum Lexem. Begriffe wie »building«, »car«, »tunnel« oder »people« legen die funktional-technokratische Bedeutung der urbanen »Originale« in New York bloß. Gleichzeitig konkretisieren sich die Begriffe wieder in ihrer indikativen Funktion, da die Häuser, Fahrzeuge und Menschen aus konkreten Farben, Formen, Bewegungen und Tönen bestehen. Diese phantasievolle Gestaltung fügt 45 Vgl. Breuer: »Vorwort«, a.a.O., S. 12f (vgl. Kap. II FN 36).

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gungen und Tönen bestehen. Diese phantasievolle Gestaltung fügt den Wortgebilden wieder ihre konnotative Bedeutungsebene hinzu und setzt beim Publikum eine intensive, plastische Visualisierung aller urbanen Komponenten in Gang. Dieser kreative Umgang mit Buchstaben und Worten ist eine Anlehnung an die Konkrete Poesie, bei der das sprachliche Element als ein konkretes Material gesehen wird, das durch die ornamentale Anordnung von Graphemen seine Wirkung entfalten soll. Zwar wird im Video keine sinnfreie Lyrik wie bei der Konkreten Poesie kreiert, doch ähneln die sich grafisch-individuellen Worte von THE CHILD der spielerischen Kombinatorik der Konkreten Poesie.46 Dies wirkt sich im Clip nicht nur auf die Architektur der Stadt aus, sondern zeigt das durchtechnisierte New York als ein genuines BuchstabenUniversum. Die dynamische Gestalt der Wort-Figuren, die den »Text« New York mehr schreiben als beschreiben, prägt die urbane Sichtweise. Durch digitale Zeichenüberlagerungen und die Einbeziehung von asiatischen Schriftzeichen kommt es im Video zu enblematischen Verdichtungen und »Buchstäblichkeiten«, welche die Wahrnehmung der Mediatisierung von New York ermöglichen. Eine derartige Koppelung von typografischer Kombinatorik an die Großstadtwahrnehmung beschreibt Heinz Brüggemann sehr anschaulich: »In diesen Durchdringungen, Überlappungen, Arrangements von bildnerischen Elementen und Worten, der Verwendung der typographischen Gestalt des Wortes als expressives, bildnerisches Material, der onomatopoetischen Illustration, ist literarische Figuration der Sinne gleichsam buchstäblich vergegenwärtigt und mit ihr, grafische Gestalt geworden, die Wahrnehmung der Großstadt selber als eine mit Schrift, Riesenlettern, Piktogrammen und Texten durchsetzte Merkwelt.«47

Die mediale Durchdringung von New York vollzieht sich in THE CHILD anhand einer Typografie, die keinesfalls Ausdruck einer unsichtbaren Form der Mediatisierung ist. Die offensive Digitalisierung der Typografie betont die Dynamik der urbanen Prozesse von New York. Hinzu kommt eine auditive Aufladung der Stadt, indem sich das Musikvideo auf die Eigenständigkeit und die Wichtigkeit der Tonebene konzentriert. In Anlehnung an Bestrebungen der Konkreten Poesie, dem Klang der Wörter seine Wichtigkeit zurückzugeben und die Lyrik nach auditiven Gesetzen zu bilden, verdichten sich im Video Hupen, Signalhörner, Bremsen, Ausrufe des Ehepaares und des Taxifahrers mit Gophers Mu46 Antoine Bardou-Jacquet hat an der Ecole Superieur des Arts Graphic in Paris studiert, bei der Typografie einen großen Teil des Lehrplans umfasst. 47 Heinz Brüggemann: »Diskurs des Urbanismus und literarische Figuration der Sinne in der Moderne«. In: Kunst- und Ausstellungshalle der BRD Bonn (Hg), Der Sinn der Sinne, Bonn/Göttingen 1998, S. 379.

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sik. Wie in einem Hörstück zu New York lässt sich daher die Story des Videos auch über die Tonebene erschließen. Zusammen mit den Geräuschen sorgen die comicartigen, actiongeladenen Bilder in THE CHILD für einen sehr greifbaren Eindruck der urbanen Szenerie. Siegfried Zielinski bezeichnet die Geräusche in THE CHILD als das »Indexikalische«, das direkten Erfahrung zugehörig ist.48 Dieser »Index« von Alltagsgeräuschen sorgt für eine unmittelbare Durchdringung alles Wahrnehmbaren. Als Verdichtung einer »typischen« Geräuschkulisse von New York stellt die Tonebene in Gophers Musikclip die auditive Mediatisierung der Metropole dar, die Nähe am Geschehen suggeriert und auf den Eindruck einer expliziten räumlichen Erfahrbarkeit abzielt. Angesichts des unvermeidlich linearen Ablaufs des Videos muss die urbane Ereignisdichte neben der auditiven Intensität auch durch visuelle Multiperspektivität hereingeholt werden. Daher sind die Hochhausschluchten von New York aus unterschiedlichsten Perspektiven zu sehen, und durch Tunnel und über Brücken führen Straßen, auf denen sich Überholmanöver, Verfolgungsjagden und Autounfälle ereignen. THE CHILD folgt dabei deutlich einigen Regeln von Computerspielen. Obwohl das Video nicht die Interaktionsmöglichkeiten eines Computerspieles besitzt, macht es von Anfang an Anleihen beim ActionGame: Nach dem dynamischen »Intro« des Fluges können in THE CHILD die Straßen nicht mehr verlassen werden, und die Fortbewegung durch das Geschehen findet mit hoher Geschwindigkeit und unter ständigem Perspektivenwechsel statt. Wie bei einem Computerspiel-Autorennen ergeben sich aus diversen Richtungen Hindernisse und Gefahren, denen durch geschicktes Ausweichen und Manövrieren – hier in Gestalt des Taxifahrers – ausgewichen werden kann. Die ständige Musik- und Geräuschkulisse zieht den Zuschauer von THE CHILD physisch stärker ins Geschehen, so dass der Immersionseffekt als Eintauchen in den bewegten virtuellen Raum für ein Video enorm groß ist. Ähnlich zu den medialen Anleihen, die viele Computerspiele beim Film und bei Musikclips machen, kombiniert Gophers Video die filmischen Stilmittel mit den Trickmöglichkeiten der Computeranimation: Autos kollidieren spielerisch miteinander oder es erfolgt ein schneller Flug aus den Wolken hinunter zwischen Hochhaustürme und mitten hinein in eine Wohnung. Das Video spielt vor allem mit dem Reiz der Transparenz von Computeranimationen: Beim Flug über die Hochhäuser stellen sich die dreidimensionalen Buchstabengebäude als extrem flächig und zweidimensional heraus, die Buchstabenautos überlagern sich grafisch und alle 48 Vgl. Siegfried Zielinski im Interview bei »Fantastic Voyages – Eine Kosmologie des Musikvideos«, 7-teilige Reihe zu Musikclips im Rahmen der 3Sat Fernsehwerkstatt, Regie Christoph Dreher (2000/2001).

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Akteure – Gebäude, Personen, Fahrzeuge – erscheinen je nach Bewegungsrichtung auch von hinten und somit als seitenverkehrte Buchstaben. Den innovativen Stellenwert dieser transparenten 3D-Animation innerhalb des Musikvideo-Genres bringt auch folgender Kommentar zu THE CHILD zum Ausdruck: »A new expression of typography. A new aesthetic sense of 3D expression. This work let us feel the visual expression for the next age. They hammered out a new standard of motion graphics.«49 Die Ästhetik der computergenerierten Typografie betont die experimentelle Komponente des Videos. Die Verbindung von Computertechnik mit einer visionären Gestaltung macht New York zu einem exemplarischen, dreidimensionalen Indikator von urbanem Lifestyle. In THE CHILD erscheint New York als digitaler Trendsetter, der seine Bewohner – ebenso wie seine Zuschauer – in die mediale Struktur der Metropole mit einbezieht. Rekombination des Raumes, transformatives Zeichensystem und spielerischer Affektraum Die Inszenierung von Raum spielt in Gophers Video eine besondere Rolle, da sich angesichts der digitalen Dynamisierung eine neuartige Rekombination des urbanen Raumes ergibt. Hier ergeben sich Parallelen zu Bernard Tschumis komplexer Aktivierung von Raum, in dem es die drei Möglichkeiten der gerichtet-vektoriellen, aleatorischen und dynamischinstabilen Bewegungen gibt.50 (s. »Mediatisierung Interdisziplinär«). Bei der gerichtet-vektoriellen Bewegung gibt es ein ausgemachtes Ziel im urbanen Raum, was zu Aktionen führen kann, die dem Raum total widersprechen und Konflikte auslösen. In Übertragung dazu ist THE CHILD von der vektoriellen Bewegungsrichtung durch den virtuellen New Yorker Raum geprägt, da das Erreichen des Krankenhauses das zentrale Ziel der Story darstellt. Die Durchquerung des Stadtraumes dient als Auftakt, um die mediatisierte Metropole zu präsentieren. Im Video ergeben sich bei vielen Aktionen innerhalb des urbanen Raums lautstarke Konflikte wie heftiges Abbremsen oder ein Auffahrunfall mehrerer Autos. Die Raumwahrnehmung dieses virtuellen New York wird zusätzlich durch das computeranimierte Dehnen und Stauchen der Buchstaben-Figuren variiert. Doch diese Konflikte widersprechen dem Stadtraum nicht, denn sie gehören in THE CHILD ganz offensichtlich zur Alltagserfahrung in New York. Die zielorientierte Taxifahrt nutzt die größtmögliche Mobilität im bekannten urbanen Raum für ihre eigenen Zwecke. Gerade wegen 49 http://www.shift.jp.org/044/gasbook8/artist/h5/ (o.V.) 50 Bernard Tschumi: »Die Aktivierung des Raumes«. In: Arch+119/120/1993, S. 70-72.

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der Kenntnis des Stadtraumes wird eine Erweiterung des urbanen Bewegungsradius möglich, und die digitale Flexibilität der virtuellen Stadt sichert den finalen Erfolg der Raumnutzung. In Gophers Video ist New York ein konfliktreicher Raum, der Orientierungshilfen bereitstellt und mit einem hohen Grad an individueller Flexibilität für Lösungen sorgt. Die zweite Bewegung im urbanen Raumgefüge findet laut Tschumi aleatorisch in x-beliebige Richtungen statt und ist mit einer indifferenten Einstellung gegenüber dem konventionellen Raum verbunden. Im Video THE CHILD gibt es keine völlig x-beliebige, räumliche Bewegungsrichtung, allerdings ist die Fortbewegung durch das immaterielle New York auch nicht am menschlichen Maß ausgerichtet. Die computergenerierten Blickperspektiven des Fluges hinunter auf die Stadt und die gleitende Dynamik der gesamten Bewegungen durch die Metropole lassen es möglich erscheinen, den Raum über und innerhalb der Stadt potenziell in alle Richtungen zu erkunden. Je nach Kameraperspektive verzerren sich die Gebäude so sehr, dass letztlich ein indifferenter Umgang mit dem konventionellen urbanen Raum von New York suggeriert wird. Das virtuelle New York folgt eigenen räumlichen Gesetzen und weist einen grenzauflösenden urbanen Raum auf. Bei Tschumis dritter, dynamischinstabiler Bewegungsmöglichkeit ist der menschliche Körper gänzlich vom Raum umschlossen und muss sich funktional der starken Akzeleration des Körper-Raum-Gefüges anpassen. Dieser vollständige Raumumschluss ist bei THE CHILD auf symbolischer Ebene angelegt, da sämtliche menschlichen Aktionen unablässig von der immateriellen Metropole umfasst sind. Die Menschen und ihre Fortbewegungsarten haben sich in extrem funktionaler Weise dem digitalen »Organismus« New York angepasst. Die starke Beschleunigung ihrer Bewegungen im Raum sind daher über-lebensnotwendig und gehören im Video zum schnellen Alltagstakt der pulsierenden Stadt, in die immer wieder neues Leben »hineingeboren« wird. Diese symbolische Beschleunigung von Körper und Raum greift im virtuellen New York ineinander und ergänzt sich. Die spezifischen Rekombinationen des Raumes in THE CHILD zeigen, dass sich die Möglichkeiten potenzieren, die New York zu einem einzigartigen Erfahrungsraum machen. Das Musikvideo veranschaulicht die räumliche Inszenierung der Metropole und erweckt vordergründig den Eindruck, als präge die Mediatisierung den Clip respektive die Stadt vollends. Doch so sehr die urbane Immaterialität im Clip eine konstitutive Rolle bei der Raumproduktion spielt, so wenig geschieht dies kompensatorisch. Gerda Breuer spricht in dem Zusammenhang von einem Bedeutungszuwachs im mediatisierten Stadtraum: »Und so sind Städte immer noch und erneut Knotenpunkte, Zentrum. Die glanzvoll ausstaffierte Metropole scheint nicht nur Kompensation ihrer eigentlichen Immaterialität zu 90

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sein, sondern ist auch Ausdruck der erstaunlichen Vielfalt von Städten und ihres Bedeutungszuwachses.«51 Das Spektakel einer »glanzvoll ausstaffierten Metropole« hat in THE CHILD seinen Ausdruck in einer erstaunlichen urbanen Vitalität von New York. Im Clip ist die Stadt ein transformatives Zeichensystem, das eine synthetische lokale Aura und einen auffallend künstlichen Charakter besitzt. New York bildet ein Gefüge aus topografischen Vektoren, energetischen Verkehrsströmen und sozialen Prozessen, die sich durch die grafische Abstraktion des Clips deutlich ablesen lassen. Die lokalen Besonderheiten von Hochhäusern und spezifischen Bauwerken, die aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt werden, ziehen sich wie ein topografischer Zoom entlang der linear erzählten Story von THE CHILD. Detaillierte »spotlights« auf die ausgefallene Architektur unterstreichen die Eigenwilligkeit der Stadt, und das Setting des Videoclips wirkt ebenso genuin wie artifiziell. Diese Künstlichkeit erscheint deswegen so interessant, weil die aus Filmen, Serien etc. hinlänglich bekannten Stories und Schauplätze von New York eine erneute fiktionale Abwandlung erfahren. In der für Musikvideos typischen Vorgehensweise, bestehende mediale Codes zu zitieren und abzuwandeln (s. »Videokunst«), unternimmt auch THE CHILD populärkulturelle Modifikationen von urbanen Klischees, indem ästhetische Anleihen an Detektivfilme und Computerspiele zu einer vitalen Performance von New York verwoben werden. Bei der digitalen Verdoppelung von New York zielt THE CHILD nicht auf eine maßstabs- und wirklichkeitsgetreue Abbildung der Metropole. Vielmehr nutzt der Clip seine Darstellungsmöglichkeiten, um die vorhandene, abstrakte Modellhaftigkeit der Stadt durch filmische Anleihen zu reproduzieren und sie durch digitales Dehnen, Stauchen, Überlagern etc. ebenso auch wieder zu demontieren. Es existiert eine kreative Distanz zur vorhandenen urbanen Konstruktion, so dass ein humorvoller Umgang mit der kanonisierten Zeichenhaftigkeit von New York möglich wird. Die Stadt wird als multidimensionaler Ort präsentiert, an dem sich visuelle Abstraktion mit auditiver Konkretion verbindet. Die audiovisuellen Codes aus Objekten, Klängen, Rhythmus, Licht und Farbe machen New York zu einem Affektraum, der alle vitalen Prozesse umhüllt und einfasst. Trotz der Vervielfältigung des Raumes in verschiedene Orte, Rhythmen und Ereignisse und dem ständigen Changieren zwischen Wort, Bild und Ton erscheint die Metropole in THE CHILD als ein stabiles Kontinuum, das die episodischen »stories« seiner Bewohner zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzuhalten vermag. So sind es die Ereignisse und Infrastrukturen des virtuellen New York, an deren Formationen und Highlights sich der Großstadtmensch in THE CHILD orien51 Breuer: »Vorwort«, a.a.O., S. 15.

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tieren muss. Der digitale Clip zeichnet nicht das Bild einer mediatisierten Metropole, die den Zwängen der neuesten medialen Paradigmen unterliegt, wie es Florian Rötzer für die aktuelle urbane Stadtentwicklung formuliert: »Früher war die Stadt das mediale Ereignis, jetzt muß sie bei der Montage der medialen Attraktionen mithalten.«52 Das New York von THE CHILD umfasst vielmehr beide Aspekte, die Rötzer nennt: Es ist das mediale Ereignis, in das eine Montage von medialen Attraktionen integriert ist. Trotz der Vielzahl von vertikalen und horizontalen Verbindungen, die Urbanität als materiell ausgeformtes Ganzes zeigt, ergibt sich nicht das Bild einer Metropole der Moderne. Der Clip zeigt ein Aufbrechen der alten urbanen Form, woraus sich ungewohnte Dynamiken durch das Verwachsen von Neuem mit bereits Existentem ergeben. Die Metropole wird zur Makro-Textur, die kommunikative Mikro-Zirkulationen innerhalb ihres Gefüges strukturiert. Die Räumlichkeit entfaltet sich in einer Mischung aus Begeisterung und Ironie gegenüber der Metropole, so dass der Clip New York sowohl in seiner mythischen Dimension als auch in seiner alltäglichen Begrenztheit zeigt. Es ist gerade das Zusammengehen von Begeisterung für den Mythos von New York mit der Ironie gegenüber den Unzulänglichkeiten des städtischen Alltags, der im Video die Stimmung der Metropole prägt. Das Spiel mit den mythischen und ironischen Facetten der Stadt führt zu einer äußerst produktiven Wirkung der Metropole. Gotthart Fuchs und Bernhard Moltmann sprechen im Zusammenhang mit der Deutung urbaner Mythen von einem emanzipatorischen Potenzial, das eine Metropole aufweisen kann: »Umgekehrt ist in der Rede von den Mythen der Stadt gerade das emanzipatorische Potenzial, der analytische Überschuß, das produktive Chaos uneingelöster Bilder thematisch im Blick.«53 Dieses »produktive Chaos uneingelöster Bilder« findet sich im Clip in einer radikalen Restrukturisierung von New York als variable Text- und Geräusch-Konfiguration wieder, durch die sich die überschüssige Kraft der Metropole transportiert. Die Stadt wird in einem audiovisuellen Querschnitt präsentiert, welcher der virtuellen Metropole eine relativ freischwebende, utopische Existenz gegenüber ihren Infrastrukturen und Personen erlaubt. Das junge und ästhetisch »unbelastete« Medium des Videoclips ermöglicht es, New York zu einem Referenzsystem für eine nur in der Vorstellung existente Räumlichkeit zu machen. THE CHILD trennt den virtuellen Raum der Metropole nicht mehr in Innen- und Au52 Florian Rötzer: »Stadtverdichtung gegen Telepolis und Suburbanisierung – über Dieter Hoffmann-Axthelms Anleitung zum Stadtumbau«. In: http:// www.heise.de/tp/deutsch/special/arch/6086/1.html. 53 Gotthart Fuchs/Bernhard Moltmann: »Mythen der Stadt«. In: Dies. (Hg.), Mythos Metropole, a.a.O., S. 16 (vgl. Einleitung FN 3).

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ßenräume, sondern perforiert und durchdringt sie und macht sie für den Betrachter transparent. Im Clip wird New York zur variablen Zone aus neuen Hörerlebnissen und Sichtbarkeiten, die sich vor allem aufgrund einer rhythmischen Dynamisierung entfalten. Diese Fusion von Raum, Dynamik und Digitaltechnik bezeichnet Kay Friedrichs als »blinde Flekken« der Architektur: »Die ›blinden Flecken‹ der Architektur sind Bewegung, Schnelligkeit (die vierte Dimension) und die räumliche Wirksamkeit der neuen Technologien.«54 Diese »blinden Flecken« sind in THE CHILD sichtbar vereint, indem eine Rekombination des medialen Raumes mit seinen konfliktreichen, grenzauflösenden und raumumschließenden Bewegungen entsteht. Zusammen mit der Vitalität des Affektraumes resultiert eine derart komplexe Dynamisierung von New York, wie sie insbesondere ein digitales Musikvideo erzeugen kann.

3. WOLFGANG STAEHLE: EMPIRE 24/7 Im Jahr 2000 präsentiert Wolfgang Staehle55 das Netzkunst-Werk EMPIRE 24/7. Eine statische Webcam, die in Staehles Büro in Manhattan installiert ist, gibt den oberen Teil des Empire State Buildings wieder. Der Titel EMPIRE 24/7 bezieht sich auf den Umstand, dass die Webcam ununterbrochen – also 24 Stunden lang an 7 Wochentagen – Live-Bilder des Empire State Buildings direkt ins Internet überträgt.56 Zum einen ist EMPIRE 24/7 als herunterladbares Monitorbild direkt im Internet aufrufbar unter http://bbs.thing.net (Abb. 9), und zum anderen ist das Webcam-Bild hochkant im Großbildformat projiziert und wird so zur Installation, die im jeweiligen Ausstellungsraum die Ausmaße von ungefähr vier Metern Höhe und zwei Metern Breite annimmt.57

54 Kay Friedrichs: »Das Netz als Stadt«. In: http://www.heise.de/tp/deutsch/ special/arch/6085/1.html. 55 Der Maler, Video- und Netzkünstler Wolfgang Staehle lebt seit 1976 in New York und studierte an der dortigen School of Visual Arts. 1991 gründete er den internationalen Netzkunst-Server THE THING. 56 Die Webcam sendet Live-Aufnahmen mit einer Zeitverzögerung von zwei Sekunden und erneuert alle vier Sekunden ihr Bild. 57 So erscheint EMPIRE 24/7 als Installation im Jahr 2000 bei der Ausstellung »net_condition« im ZKM Karlsruhe und bei der Ausstellung »Wolfgang Staehle – New York« im Kunstverein Schwäbisch Hall, 2001 bei der Ausstellung »On the Edge of the Western World« in Loans from the Invisible Museum oder 2002 auf der Transmediale in Berlin.

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Hommage an Warhol, mythische Ikone und Lichtskulptur In EMPIRE 24/7 stellt Staehle die Webcam-Technologie, die als Massenmedium zu touristischen Demonstrationszwecken oder zu voyeuristischen Selbstdarstellungen im Internet verwendet wird, in einen künstlerischen Zusammenhang.58 Staehles Netzkunst-Werk ist eine Hommage an Andy Warhols Experimentalfilm EMPIRE aus dem Jahre 1964 (Abb. 10). In Warhols stummen s/w-Film, der mit einer verzögerten Laufgeschwindigkeit von 16 Bildern pro Sekunde vorgeführt wird, präsentiert eine statische Kamera während einer Länge von achteinhalb Stunden die obere Hälfte des Empire State Buildings aus der Frontalansicht. Die Verwendung eines hochempfindlichen s/w-Films sorgt für den Eindruck einer großen visuellen Flächigkeit des Empire State Buildings. Zusätzlich bewirkt der Einsatz einer maximal geöffneten Blende das völlige Verschwinden des natürlichen Horizonts. Die filmische Dramaturgie von EMPIRE, der in fast neun Stunden ohne Bildschnitte abläuft, basiert auf dem Wechsel von natürlichem und künstlichem Licht. So beginnt EMPIRE in der Abenddämmerung mit dem langsamen Verlöschen des Tageslichtes, das vom Einschalten der künstlichen Beleuchtung des Empire State Buildings begleitet ist, und endet in der Morgendämmerung, in der das allmähliche Ausschalten der Hochhausbeleuchtung erfolgt. EMPIRE gehört zu Warhols »Found Art«-Filmen aus den 1960er Jahren, bei denen der Künstler als motivisch auswählender »VorBeobachter« oder »Herausgeber« eines Kunstwerks fungiert, das erst durch die Rezeption des Publikums vollendet wird. Dieses konzeptionelle Muster der »Found-Art«-Tradition wiederholt Staehle, indem der künstlerische Akt von EMPIRE 24/7 zunächst ebenfalls aus der Selektion eines Bildmotivs besteht. Ergänzt um eine minimale, zusätzliche Seitenansicht, wählt auch Staehle nur die obere Hälfte des Empire State Buildings aus. Das Bild wird mittels Webcam und Internet digital reproduziert, um es für die öffentliche Rezeption zugänglich zu machen. Die cineastische Konzeptkunst von Warhol wiederholt und erneuert sich in Staehles digitaler Konzeptkunst. Aufgerufen wird ein Werk der (ehemaligen) Subkultur, die unweigerlich den WarholMythos heraufbeschwört sowie cineastische Kennerschaft voraussetzt. Im Gegensatz jedoch zu Warhol, der die Wichtigkeit von Publikumsgeräuschen und Kommentaren während des Films betont und EMPIRE

58 Hier sind insbesondere die Aufnahmen von weltweit verteilten und vor Ort positionierten Webcams gemeint, die touristisch begehrte Städte und Landschaften live abbilden, sowie die erotischen oder pornografischen Selbstinszenierungen in Privaträumen, die auf zahlende Interessenten im Internet abzielen.

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deswegen als »sound movie without a sound«59 beschreibt, zielt Staehle nicht auf ein aktives Rezeptionsverhalten ab. Die Betrachtung von EMPIRE 24/7 folgt dem kontemplativen Rezeptionsmodus eines Tafelbildes oder einer Fotografie. Besonders deutlich ablesbar wird dies am Grad der Interaktion, der ein zentrales Kennzeichen von Netzkunst-Werken darstellt. Hans Dieter Huber bezeichnet den rein reaktiven Interaktionsmodus, bei dem der Nutzer zum Beobachter wird und sich nur mittels Klicken und Scrollen durch das Projekt bewegen kann, als den geringsten Interaktionsgrad von Netzkunst-Werken.60 (s. »Netzkunst«) Doch EMPIRE 24/7 unterschreitet diesen reaktiven Interaktionsgrad noch, da sich die angebotenen interaktiven Schaltflächen lediglich auf den DownloadButton beschränken. Um das Werk zu sehen, muss der User es auf seinen Rechner herunterladen und besitzt dann nur noch die Option, das aufgerufene Motiv zu speichern. Diese geringe Handlungsmöglichkeit, die auf den reinen Bildzugriff beschränkt bleibt, entfällt bei der Großprojektion im Ausstellungskontext vollends. Das elektronische Bild des Hochhauses hat sich bei der Projektion bereits aufgebaut, und die visuelle Präsentation ist gänzlich auf »Beschaulichkeit« und auf ein passives Verharren vor dem Motiv ausgerichtet. Dieses Verharren weist Züge einer visuellen Andacht gegenüber dem Empire State Building auf. Die ungebrochene Kontemplation wirkt wie eine Feier des Empire State Buildings und legt die kultische Verehrung einer Ikone nahe. Hans Belting beschreibt die frühe Bilderverehrung von historischen Ikonen und bezeichnet sie als »privilegierte Bilder«, die einer Heiligsprechung unterlagen. Als zentraler Anspruch galt die Authentizität der Ikonen, weswegen sich bei ihrer religiös motivierten Rezeption keinerlei künstlerischen Eingriffe bemerkbar machen sollten: »Der Betrachter band sich an die Realpräsenz und die Heilkraft des Bildes. Diese waren nur garantiert durch eine exakte Entsprechung zwischen Bild und Original, ohne daß die Intervention eines Künstlers erwünscht war.«61 Ebenso bleibt Staehle in EMPIRE 24/7 als Künstler hinter seinem Werk zurück und greift während der Übertragung nicht in die »Realpräsenz« des Bildes ein. Staehle betreibt ein konzeptuelles Spiel mit dem Status einer Ikone: Wo Warhol die Zelebrierung des Empire State Buildings als mythische Beschwörung der New Yorker Ikone zu erkennen gibt, präsentiert Staehle das legendäre Hochhaus als scheinbar banales Abbild 59 Andy Warhol zit.n. Lars Hendrik Gass »Vom Wunsch, der Zeit zu ähneln. Über die Filme ›Empire‹ und ›Poor Little Rich Girl‹ von Andy Warhol«. In:http://www.nadir.org./nadir/periodika/jungle_world/_99/14/ 26a.htm. 60 Vgl. Hans Dieter Huber: »Digging the Net «, a.a.O., S.172 (vgl. Kap. III FN 32). 61 Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1991, S. 66.

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und bloße Reproduktion. EMPIRE 24/7 inszeniert sich vordergründig als »bildlose«, massenmediale Replik einer Ikone. Allerdings trägt die visuelle Referenz an Warhol dazu bei, dass das banale Webcam-Bild in ein »bildhaftes«62 Kultbild transformiert wird, denn Staehle produziert ein Bild vom Bild einer Ikone. Belting hebt die Bedeutung der kultischen Inszenierung hervor, denen Ikonen unterliegen. Die motivische Darstellung in Lebensgröße verbindet sich mit einer Bildpropaganda, bei der mythische Ursprungslegenden den Rang der einzelnen Ikone verbürgen sollen. Diese ikonische Einzigartigkeit geht auch auf den Ort über, an dem die Ikone ihren Sitz hat, so dass sich die Präsenz des sakralen Bildes am Bildort verdichtet.63 In EMPIRE 24/7 ruft die kultische Verehrung die konkrete Baugestalt von New York auf, welche durch das urbane Signet des Empire State Buildings verkörpert wird. Auch diese Ikone besitzt einen mythischen Ursprung und stellt bereits in ihren Anfängen ein populäres Wahrzeichen der Stadt dar: 1931 in nur wenigen Monaten erbaut, ist das Empire State Building mit 381 Metern bis 1974 – und dann erneut 2001 nach dem Zusammensturz des World Trade Center – der höchste Wolkenkratzer von New York. Die sich verjüngende Spitze weist große ästhetische Prägnanz auf und erlangt 1933 durch den Filmerfolg von KING KONG weitere Berühmtheit. Die bauliche Stabilität des Hochhauses wird 1945 nach dem Irrflug eines amerikanischen B25-Bombers legendär, da die Statik des Skyscrapers der gewaltigen Kollision mit dem Flugzeug problemlos standhält. Aus diesen Gründen avanciert das Empire State Building zu einem nationalen Identifikationssymbol, das mit majestätischer Gelassenheit, unbeugsamer Stärke und formaler Eleganz gleichgesetzt wird. Seine besondere nationale Bedeutung drückt sich daher nicht nur im prestigeträchtigen Namen aus, sondern auch durch die offizielle Verfügung, dass sein hoher Mast seit 1974 zu besonderen amerikanischen Feiertagen verschiedenfarbig beleuchtet wird.64 Auf diese zentrale Bezugsgröße von New York beruft sich Staehle, indem er sich den hohen kulturellen Bekanntheitsgrad der Hochhaus-Ikone zunutze macht und sie auf den visuellen Wiedererkennungseffekt ihrer Spitze verkürzt. Diese Reduktion offenbart das große Maß an ikonologischer Selbstreferenzialität, von der sowohl das Empire State Building als auch New York geprägt ist. Aufgrund dieser Selbstreferenzialität benötigt EMPIRE 24/7 nicht die

62 Vgl. Martina Dobbe: »Bildlose Bilder? Zum Status des Bildes im Medienzeitalter«. In: Yvonne Spielmann/Gundol Winter (Hg.), Bild – Medium – Kunst, München 1999, S. 179. 63 Belting: Bild und Kult, a.a.O., S.23f. 64 Z.B. zu den amerikanischen Nationalfeiertagen blau, rot und weiß, zur Weihnachtszeit rot und grün oder am St. Patrick’s Day grün und gelb.

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effektvolle Gesamtansicht der Skyline, um die amerikanische Metropole zu signalisieren. Stattdessen reicht die Reduktion auf den prägnanten oberen Teil, um das legendäre Hochhaus zu symbolisieren und somit eine Ikone nationaler Identitätsbildung aus dem kulturellen Gedächtnis aufzurufen. Das Empire State Building verweist wiederum auf die Besonderheit von New York, die berühmteste Hochhaus-Metropole und die Ursprungsstadt der Wolkenkratzer zu sein. Mit diesem symbolgeladenen Bezug folgt Staehle Warhols Vorgehensweise und aktualisiert in EMPIRE 24/7 den Mythos von New York als der originären »city of skyscrapers«. Dies perpetuiert die populäre Setzung, New York sei die ultimative »Heimstätte« der Hochhäuser. Die Unverdrossenheit, mit der New York anstelle von Chicago zur »Wiege« der amerikanischen Hochhaus-Kultur ernannt wird,65 findet sich daher auch in der ikonologischen Reduktion von EMPIRE 24/7. Auch die zeitliche Komponente unterstützt den mythischen Aspekt von New York. Es ist dem Rezipienten unmöglich, die gesamte zeitliche Dimension von Staehles Netzkunst-Werk überschauen zu können, da es sich um eine ununterbrochene Live-Übertragung aus dem Internet handelt. Es gibt keine Möglichkeit, die potenziell unbegrenzte Dauer von EMPIRE 24/7 physisch oder mental nachzuvollziehen, weder im zeitlich begrenzten Kontext einer Ausstellung noch innerhalb der permanenten Internetverfügbarkeit des Netzkunst-Werkes. In ihrer ständig anwesenden, aber indefiniten Ausprägung beinhaltet die zugrunde liegende Zeit den Aspekt von Ewigkeit. Dieses Mitschwingen von Ewigkeit stellt eine zeitliche »Überhöhung« dar, die den Eindruck einer Unvergänglichkeit des Motivs bewirkt. Zusammen mit der ikonologischen Festschreibung läuft der Anschein von Ewigkeit auf den Eindruck von Monumentalität hinaus. Diesen monumentalen Aspekt greift Staehle besonders in seiner Installation auf, da sie die dreidimensionale Massivität des Empire State Buildings betont. Staehle stellt EMPIRE 24/7 als überdimensionale Skulptur aus, die als architektonische Großprojektion innerhalb einer Ausstellungssituation zum Einsatz kommt. Der Grad der Musealisierung ist im Installationskontext wesentlich ausgeprägter, denn die Aspekte der Fixierung und Bewahrung des Netzkunst-Werk es verstärken sich durch die Ausstellung und Archivierung des Kunstobjektes. Zudem steigert die Großbild-Installation die Monumentalität des Motivs, indem sie die Skulpturalität des Hochhauses betont. Die ohnehin jedem Hochhaus in65 Dieser Mythos von New York, Heimstätte der Hochhäuser zu sein, ist historisch unzutreffend: Die ersten brandsicheren amerikanischen Hochhäuser in Skelettbauweise wurden in Chicago (School of Chicago) gebaut. Vgl. Nikolaus Pevsner et al. (Hg.), Lexikon der Weltarchitektur, München 1992, S. 279.

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newohnende Wirkung, durch seine Ausmaße und seine gen Himmel strebende Vertikalität einer monumentalen Skulptur gleichzukommen, nimmt Staehle in der Zur-Schau-Stellung der plastischen Komponente des Empire State Buildings auf. Die ästhetische Belebung der massiven Skulptur erfolgt in EMPIRE 24/7 durch die Einbettung in den zyklischen Wechsel von Licht- und Wetterverhältnissen (Abb. 11). Die farbige Lichtskulptur präsentiert den linearen Verlauf der Abfolge von natürlichen Lichtverhältnissen und künstlicher Beleuchtung. Dabei stellt Staehle auch die ästhetische Besonderheit des Empire State Buildings aus, dass seine Hochhausspitze an bestimmten Feiertagen farbig beleuchtet wird. Allerdings erschließen sich diese Licht- und Wetterkomponenten im Ausstellungskontext nur durch langes Ausharren vor dem Kunstwerk oder durch wiederholtes Aufsuchen der Installation. Insgesamt gestaltet sich die Motivik des Empire State Buildings in der Ausstellungssituation viel eindringlicher als im Internet, denn gegenüber der »Banalität« eines kleinformatigen Monitorbildes wirkt die Massivität der skulpturalen Installation wie ein urbanes Leitmotiv. Elektronischer Flux, temporäre Störung und digitales Signet Die technische Koppelung der Live-Webcam mit dem Internet führt in EMPIRE 24/7 zu einer digitalen Durchdringung des Gezeigten. Der ständige Fluss der elektronischen Bilder im Internet ist von grundsätzlicher Unsichtbarkeit gekennzeichnet, wohingegen der elektronische Flux in Staehles Netzkunst-Werk auf spezifische Art sichtbar gemacht wird. Es kommt immer wieder zu auffälligen Unterbrechungen in der Bildübertragung, da die Live-Webcam ihre Aufnahmen mit einer Zeitverzögerung von zwei Sekunden alle vier Sekunden erneuert und sich dabei hin und wieder Bildausfälle ergeben. Für Sekundenbruchteile ereignen sich deutlich wahrnehmbare Dropouts einzelner Bildteile (Abb. 12). In diesen Stellen wird das Temporäre und das Provisorische von mediatisierten Strukturen anschaulich, denn die offensichtliche Flüchtigkeit der computergestützten Bilder zerstört den Eindruck einer stabilen medialen Präsenz. Anders als bei Warhols Film EMPIRE, der das Empire State Building kontinuierlich ohne Bildschnitte oder Zwischenbilder wiedergibt, ist EMPIRE 24/7 von unzähligen, abrupt auftretenden Instabilitäten des Hochhaus-Motives durchzogen. Die digitalisierten Live-Bilder geben ihr Motiv nicht als perfekte Konkretion wieder, sondern »materialisieren« kurzzeitig immer wieder die labile Beschaffenheit der Technik. Diese Störungen sind in mehrfacher Hinsicht bedeutend für die Rolle der Technologie in Staehles Netzkunst-Werk. Staehles Einsatz der »banalen« Technik von Webcam und Internet suggeriert in EMPIRE 24/7 nicht den »Mythos Netz«, demzufolge das Internet freie Verfügbarkeit 98

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von Informationen und optimale Funktionsfähigkeit liefern kann. Im Gegensatz dazu sind die Bilder des Netzprojektes für den User erst nach langen Ladezeiten verfügbar, wenn sich das Motiv überhaupt aufbaut. Ohnehin versucht Staehle in EMPIRE 24/7 erst gar nicht, avancierte Technik einzusetzen, um ein leichteres Herunterladen seines Projektes zu ermöglichen oder einen höheren Stabilitätsgrad bei der Bildübertragung zu erzielen. Vielmehr bindet er den Mangel an technischer Perfektion konzeptuell insbesondere in seine Großbildprojektion mit ein, denn es sind gerade die unkontrollierbaren Bildstörungen, die für eine Belebung des starren Motivs sorgen. Angesichts der ausgeprägten Statik, die sich aus der Kamerafixierung eines unbewegten Motivs ergibt, wirken die technischen Dropouts umso dynamischer. Zum einen stellen die Bildstörungen einen visuellen Beweis für den Live-Charakter der statischen Bilder dar. Zum anderen werden sie in ihrer Unvorhersehbarkeit und Momenthaftigkeit zum eigentlichen ästhetischen Ereignis des großformatigen Kunstwerks. Die technischen Störungen, die bei der Installation im vergrößerten Maßstab zu sehen sind, bekommen im Rahmen der Ausstellung einen reizvollen Event-Charakter. Die sichtbare Mediatisierung taktet in EMPIRE 24/7 die Ereignishaftigkeit der Bilder und wird zum Garant von raumzeitlicher Simultaneität. Hans Dieter Huber weist auf die Wichtigkeit von Störungen hin, die eine Selbstreferenzialität des Mediums in Gang setzen: »Erst durch das Auftreten von Fehlern, technischen Problemen und medialen Störungen wie Ausfällen, Lücken oder Druckfehlern entsteht ein neues Bewußtsein für die Bedingungen und Möglichkeiten des neuen Mediums. Erst über die Reflexion der Störung und ihren Einbau als Selbstreferenz, als Bezugnahme auf sich selbst, gelingt es den Bildmedien, einen Zugang zu entwickeln, der von der spezifischen Materialität des eigenen Mediums ausgeht und nicht von den reproduktiven Fähigkeiten fremdreferentieller Imitationen.«66

Demzufolge zielt auch der konzeptuelle Einsatz von Störungen bei EMPIRE 24/7 auf eine Eigenständigkeit von Webcam und Internet. Dies führt in der Netzkunst-Arbeit zu einem Kunstwerk, das die Möglichkeiten des Alltagsgebrauches sowohl vom Massenmedium der Webcam als auch des Internet erweitert. Darüber hinaus bewirkt jede Störung und Unterbrechung des »idealen« Bildmotivs eine Hinterfragung vom Mythos des Empire State Building. Deutlich wird dies im Vergleich mit Warhols Film EMPIRE, der das berühmte Hochhaus durch den Einsatz von speziellem Filmmaterial und offener Blende als mythische Ikone und glamourösen Star inszeniert. So meint Lars Hendrik Gass 1999 über 66 Huber: »Kommunikation in Abwesenheit«, a.a.O., S. 27 (vgl. Kap. III FN 3).

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Warhols Film: »Warhol filmt eine gefallene Diva, ein erratisches Ding mit symbolischer Ausstrahlung und auratischem Wert, das zu jener Zeit schon von der Errichtung höherer Konkurrenten bedroht war.«67 Staehle dagegen setzt die »simple« Technik der Webcam ein und präsentiert das Empire State Building als mediale Skulptur des Alltags. Selbst wenn Staehle das Webcam-Bild zu Installationszwecken vergrößert, wendet er keine speziellen dramaturgischen Mittel wie beispielsweise Bildbearbeitungsprogramme oder akustische Effekte an. Durch seinen minimalistischen Technikeinsatz befragt er die New Yorker Ikone auf ihren aktuellen Symbolgehalt und widersetzt sich einer uneingeschränkten Repräsentation. Staehle nutzt die Tatsache, dass New York in seinen Hochhäusern ein großes Reservoir an kulturellen Symbolen besitzt. Dabei reformuliert EMPIRE 24/7 die Ikonologie des Empire State Buildings, indem es die Formensprache von Warhol nutzt und sie im Modus des visuellen »Understatements« präsentiert. Folglich entkräften die elektronischen Störungen nicht nur den Mythos eines reibungslos funktionierenden, digitalen Netzes, sondern sie weisen auch bei einem so ausgeprägten Mythos wie dem des Empire State Buildings auf die grundlegende Verletzlichkeit des Hochhauses hin. Dessen »störungsanfällige« Struktur suggeriert letztendlich die potenzielle Zerstörbarkeit des Skyscrapers. EMPIRE 24/7 kreiert keinerlei fiktive Katastrophenszenarien, sondern präsentiert abrupte visuelle Ausfälle des Hochhaus-Motivs. Die symbolträchtige Geste, mit der die Fragilität des kulturellen Wahrzeichens hervorgehoben wird, bezieht sich daher auf die grundsätzliche Instabilität von Hochhäusern, die ebenso wie Staehles Installation auf dem ästhetischen Einsatz von Technik basieren. Als konzeptuellen Gegenpol zu den temporären Bildstörungen verwendet Staehle das Einblenden der aktuellen Datums- und Zeitangabe in der rechten unteren Bildhälfte von EMPIRE 24/7. Die ständige digitale Einblendung ermöglicht eine zeitliche Zuordbarkeit, da sich das Datum und die New Yorker Ortszeit in das Motiv des Empire State Buildings »einstanzen«. Die digitale Einblendung fungiert als informative Konstante, die beständig die Bilder kommentiert. Ebenso wie die Bildstörungen ist sie ein Garant des Live-Charakters des Gezeigten. Darüber hinaus legt sie den Charakter der instantanen Medienzeit offen, die es bewerkstelligt, das Bild des Empire State Buildings weltweit fast ohne Zeitverzögerung abrufen bzw. ausstellen zu können. Schließlich übernimmt die eingeblendete Information die Funktion einer größeren Identifizierbarkeit des Bildes. Zusammen mit der Darstellung der Internetadresse, die hochkant an der linken Bildleiste abzulesen ist, liefern sie indexikalische Zusatzinformationen über das Motiv. Die Einblendungen veranschaulichen die 67 Gass: »Vom Wunsch, der Zeit zu ähneln«, a.a.O.

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digitale Prägung des Gezeigten, das nicht auf eine dezidierte Autorschaft rückführbar ist. Beim Netzkunst-Werk EMPIRE 24/7 ist es nicht der Künstler Wolfgang Staehle, der als Autor oder Schöpfer seiner Arbeit namentlich in Erscheinung tritt. Die Rolle der Autorschaft tritt bewusst in den Hintergrund und geht in eine vage Anonymität über. Innerhalb der Netzkunst-Szene lässt sich jedoch die URL »http://bbs.thing.net« eindeutig lesen, denn sie ist ein Verweis auf den ältesten Netzkunst-Server THE THING und legt sofort den Namen seines Gründers Wolfgang Staehle nahe. Die URL-Adresse stellt das elektronische Pendant zu einer autorisierten Unterschrift dar und fungiert bei EMPIRE 24/7 als digitale Signatur, die Staehles Urheberschaft garantiert. Hans Dieter Huber spricht die Produktions-, Distributions- und Rezeptionskontexte der Netzkunst an und erwähnt dabei Staehles Netzplattform THE THING: »Die Produktionsbereiche siedeln sich um kunstspezifische Institutionen oder Kontextsysteme wie ada’ web, New York, Internationale Stadt, Berlin, t0 Public Netbase in Wien oder The Thing (New York, Wien), eine Gründung des deutschamerikanischen Künstlers Wolfgang Staehle an. Damit wird schon über den URL der Produktionskontext verdeutlicht. Er ist das elektronische Pendant des Monogramms oder der Signatur, das die Authentizität des Werkes garantiert.«68

Diese indirekte Autorschaft korrespondiert mit der technischen Unspezifik, die das Serielle und die Kopierbarkeit des Motivs betont. Daher wirkt das Empire State Building trotz seiner Einzigartigkeit in EMPIRE 24/7 wie ein eindimensionales, codiertes Artefakt. Konzeptionelle Sinnentleerung Das Temporäre, das in den Bildstörungen und im aktuellen Datums- und Zeitcode sichtbar wird, erscheint als grundsätzlich provisorische Struktur von New York. Die permanente Live-Übertragung der sich ständig erneuernden Bilder vom Empire State Building deutet nicht nur auf den elektronischen Flux, der das Bild des Hochhauses global zur Verfügung stellt. Staehles Konzeptkunst, die eine fortdauernde Erneuerung des digitalen Motivs betreibt, zielt beim Empire State Building zugleich auf eine semantische Öffnung für mögliche neue Zuschreibungen. In EMPIRE 24/7 erfährt der überbordende Mythos der New Yorker Ikone durch die Mediatisierung eine potenzielle Erweiterung ihres Bedeutungsgefüges. Anstelle einer eindeutigen Lesart benutzt Staehle die »banale« Technik der Webcam, um das Empire State Building als positive Leerstelle zu inszenieren. Hiermit folgt er der konstruktiven Sinnent68 Huber: »Kommunikation in Abwesenheit.«, a.a.O., S. 32.

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leerung, die Warhol in EMPIRE zu erzielen versucht und lakonisch beschreibt: »The more you look at the same exact thing, the more the meaning goes away, and the better and emptier you feel.«69 In Steigerung zu Warhols Präsentationsmodus dehnt Staehle EMPIRE 24/7 auf eine unbegrenzte Dauer aus, denn die permanente Live-Übertragung unterliegt keinem festgelegten zeitlichen Rahmen, etwa im Sinne einer vordefinierten Beendigung der Übertragung. Durch die extreme Langsamkeit bei der Veränderung des Motivs entsteht ein unspezifischer und kontemplativer Eindruck des Empire State Buildings. Somit oszilliert der Mythos des Hochhauses bzw. von New York in EMPIRE 24/7 zwischen einer symbolischen Überhöhung von auratischer Urbanität und einer semantischen »Entladung« dieser Hochkultur, die einer unspezifischen Ästhetisierung des urbanen Alltags Platz macht. Demzufolge unterstützt Staehle beide Rezeptionsmodi – mythische Verehrung und indifferente Zurkenntnisnahme – und öffnet seine Netzkunst für eine ambivalente Lesart. EMPIRE 24/7 wird in Anlehnung an Umberto Ecos Begriffs des »offenen Kunstwerks«70 erst durch den aktiven Betrachter realisiert und verbleibt – durchaus positiv konnotiert – ständig in einem unabgeschlossen bzw. offenen Status. Ein Kunstwerk wie Empire 24/7 ist auf Mehrdeutigkeiten angelegt und bringt Codes hervor, die kontextabhängig interpretiert werden können. Diese produktive Hervorbringung von Mehrdeutigkeiten gilt nicht nur für die Rezeptionsseite, sondern auch für die Produktionsseite von Staehles Kunstwerk. Hans Ulrich Reck erklärt die Funktionen eines derartigen Werkes damit, »Dass ein offenes Kunstwerk sich von einem traditionellen [...] Kunstwerk darin unterscheidet, daß nicht nur die Möglichkeiten der Interpretation auf den Betrachter übergehen, sondern auch deren Bedingungen und Voraussetzungen. [...] Aber im offenen Kunstwerk versteht sich das Kunstwerk von der Produktionsseite her nicht mehr als eine Art Codierung oder Verschlüsselung von Botschaften, die mittels eines Repertoires oder Codes durch den Betrachter dechiffriert werden, sondern als eine Anlage von Möglichkeiten, als, wie Eco sagt, Ensemble von ›für mehrere der Initiative des Interpreten anvertraute Organisationsformen‹.«71

69 Andy Warhol zit.n. Gass »Vom Wunsch, der Zeit zu ähneln«, a.a.O. 70 Umberto Eco: Das Offene Kunstwerk, Frankfurt a.M. 1973. 71 Hans Ulrich Reck: »Kunst durch Medien«. In: Claus Pias (Hg.), [me’dien]: dreizehn Vorträge zur Medienkultur, Weimar 1999, S. 109.

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4. WOLFGANG STAEHLE: »2001« Am 6. September 2001 eröffnet Wolfgang Staehle die NetzkunstInstallation »2001« in der New Yorker Postmasters Gallery. Auf drei Wänden der Galerie sind mit Hilfe von Webcams elektronische LiveBilder unterschiedlicher Architekturen projiziert. Sie zeigen die mittelalterliche Burg Veste Comburg und den Berliner Fernsehturm sowie die Skyline von New York. Die Skyline ist auf der größten Wand abgebildet und als Diptychon angelegt, bei dem Besucher auf zwei aneinander grenzenden Projektionsbildern die ausgedehnte Skyline von Lower Manhattan zwischen der Brooklyn Bridge und dem World Financial Center sehen können (Abb. 13). Ein Wandtext begleitet die Installation, der die Webcam-Bilder mit einem Zitat von Martin Heideggers »Einführung in die Metaphysik« kommentiert. Fünf Tage nach der Ausstellungseröffnung ereignet sich der Anschlag vom 11. September 2001, bei dem die weiterhin eingeschalteten Webcams von »2001« die Live-Bilder der Skyline in die Postmasters Gallery übertragen. Einige Tage später macht Staehle mehrere Standbilder von verschiedenen Stadien der veränderten New Yorker Skyline im Internet zugänglich. Laboratorium Manhattan, Landschaftsmalerei und Terroranschlag Die Installation »2001« präsentiert drei verschiedene Formen von Hochbauten, die unterschiedlichen Zeiten, Kontexten und Regionen entstammen. Die Veste Comburg in Bayern (Baubeginn Ende des 12. Jahrhunderts) ist eine der größten deutschen Burgenanlagen. Sie ist als mittelalterliche Ringburg geformt und stellt mit ihrer zentralen Turmkonstruktion die architektonischen Anfänge des Hochbaus dar. Der Berliner Fernsehturm (fertig gestellt 1965) befindet sich auf ehemaligem DDR-Gebiet am Berliner Alexanderplatz und war mit 365 Metern Höhe das höchste Bauwerk Ost- als auch Westberlins. Die Anfänge des Hochhausbaus in New York gehen auf das Jahr 1870 zurück, als die ersten Hochhäuser auf dem nur 22 Quadratmeilen großen Manhattan entstehen.72 Obwohl der Ursprung des amerikanischen Hochhausbaus auf die School of Chicago zurückgeht, avancierte die Skyline von New York durch ihre Höhenrekorde und skulpturalen Besonderheiten zum Synonym für den amerikanischen Hochhausbau. Daher stellen alle drei Hoch72 Dies war 1870 George B. Posts Equitable Building, dem 1875 Posts Western Union Building und Richard Morris Hunts New York Tribune Building folgten. Vgl. Johann N. Schmidt: Wolkenkratzer: Ästhetik und Konstruktion, Köln 1991, S. 165.

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bauten, die Staehle in seiner Installation vorführt, Artefakte aus sehr erfolgreichen architektonischen Ären dar. Sie dienen zur Veranschaulichung der Evolution von menschlicher Baukunst und rufen Modelle architektonischer Hochkultur auf. In »2001« werden somit epochale »Landmarken« als genuine bauliche Wahrzeichen zeitgleich nebeneinander gestellt. Dabei nimmt New York eine Sonderstellung ein, denn die Projektion von Manhattan ist doppelt so groß wie die der beiden anderen Motive, und sie befindet sich in der Mitte der Installation. Die zentrale Position der Skyline signalisiert ihre Besonderheit und Einzigartigkeit. Dies legt den Mythos der mental-geografischen Metropole nahe (s. »Zentrale Mythen«), bei der die geografische Lage mit der kulturellen Bedeutung einer zentralen Großstadt verschmilzt und die Metropole als kollektives Leitbild erscheint. Im Fall von New York hat sich das Leitbild ausgeprägt, ein einzigartiges Laboratorium für ambitionierte Ideen und Umsetzungen zu sein. Insbesondere Manhattan gilt als verdichtete Anordnung von urbanen Experimenten. So beschreibt Rem Koolhaas das frühe Manhattan als mythische Insel urbaner Stilvielfalt und Experimentierfreude: »Vor allem zwischen 1890 und 1940 machte eine neue Kultur Manhattan zu einem Laboratorium: zu einer mythischen Insel, wo die Erfindung und Erprobung eines metropolitanen Lebensstils und der ihm entsprechenden Architektur als kollektives Experiment verfolgt wurden.«73 Die Live-Bilder von »2001« zielen auf die Wiedergabe dieser mythischen Atmosphäre, da sie Manhattan als architektonisches Tableau präsentieren. Es entsteht eine visuelle Inszenierung, die historisierende Züge aufweist: Die alten Hafengebäude der Docklands sowie die Brooklyn Bridge schaffen einen zeitlichen Rückbezug, indem sie eine vergangene Ära suggerieren. Ende des 19. Jahrhunderts verbanden sich Pioniergeist und Ingenieurkunst und schufen auf der Basis des wachsenden wirtschaftlichen Erfolges in New York urbane Wahrzeichen wie die Docklands und die Brooklyn Bridge. In »2001« entfaltet sich am Bildhorizont die ferne Skyline Manhattans, die durch die Breitwandprojektion in ihrer ausgedehnten Gestalt zur Geltung kommt. Dieses Bildarrangement betont auffälligerweise nicht die vertikale Struktur der Hochhäuser, sondern zeigt die Skyline als riesiges horizontales Ensemble. Im Gegensatz zur konventionellen Präsentation der vertikalen Skyline von New York geht es in »2001« nicht darum, eine spezifische gestalthafte Zuordnung der Hochhäuser zu ermöglichen. Vielmehr zeigt Staehle die Skyline von Manhattan als skulpturales Gesamt-Ensemble, das Ruhe und Erhabenheit

73 Rem Koolhaas: Delirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan, 1999 Aachen, S. 10.

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ausstrahlt. Das Manhattan von »2001« wird zum ruhigen Stilleben, das unterschiedliche historische Bezüge in sich vereint. In Staehles Installation besitzt Manhattan Größe und Erhabenheit und erscheint als einzigartige urbane Szenerie (Abb. 14). Das New YorkMotiv präsentiert die Skyline als einen mythischen Horizont, der die Insellage von Manhattan betont und gleichzeitig dessen ferne Unnahbarkeit suggeriert. »2001« demonstriert das hohe Maß an ästhetischer Inspiration, die Manhattan als magische urbane Landschaft ausweist. Diese mythische Wirkung erzielt Staehle durch die Bildkomposition eines Stillebens. Er schneidet die Docklands im Bildvordergrund an und greift in der Bildmitte den ruhig dahinfließenden East River und die Brooklyn Bridge als Verbindung zur Skyline am Horizont auf. Dies vermittelt den Eindruck einer zusammengewachsenen, harmonischen Landschaft. Selbst die Bewegungen innerhalb des Live-Bildes wirken harmonisch, denn die langsame Fahrt von Booten über den East River oder von entfernten Autos über die Brooklyn Bridge unterstreicht die kontemplative Atmosphäre von »2001«. Es ergibt sich ein meditativer Präsentationsund Rezeptions-Modus der ästhetischen Szenerie von New York. Christoph Wulf beschreibt die meditative Wirkung eines Bildes als imaginäre Reproduktion von etwas Abwesendem. Meditative Bilder erzeugen demnach beim Betrachter einen inneren Bilderstrom, der behutsamen Veränderungen unterliegt.74 In der Ausstellungsankündigung der Postmasters Gallery wird der idyllische Eindruck von »2001« als »reflexive Verlangsamung von schönen Bildern« bewusst der Hektik von elektronischen Massenmedien gegenübergestellt: »In today’s ever present, frenetic networking of the globe as a way of experiencing anything anywhere anytime, Staehle offers the antidote of a reflective slowdown of beautiful images, close and far away, static and changing all the time.«75 Der Eindruck von visueller Schönheit fußt in der Installation auf einer Ästhetik von Licht und Farbe, die Staehle bei seinen Motiven besonders berücksichtigt. Die natürlichen Wechsel von Tageszeiten und Lichtverhältnissen sind die evolutionären Parameter, die den Live-Bildern zugrunde liegen. Dies verweist in »2001« auf ästhetische Anleihen beim Genre der Landschaftsmalerei aus dem 17. Jahrhundert, die eine harmonische Landschaft aus Licht und Farbe schafft. Ausgewählte Partien von realen Landschaften werden zu einer Komposition aus Vordergrund und Horizont vereint, um den Fernblick auf eine imaginäre Landschaft zu 74 Vgl. Christoph Wulf: »Bild und Phantasie. Zur historischen Anthropologie des Bildes«. In: Ders./Gerd Schäfer (Hg.), Bild – Bilder – Bildung, Weinheim 1999, S. 343. 75 Auszug Postmasters Gallery: »Ausstellungsankündigung Wolfgang Staehle in: http://owa.chef-ingredients.com/postUK/e-flux/staehle.htm.

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ermöglichen. Ebenso sind auch die Bilder von »2001« durch die Einbeziehung von Licht, Farbe und Komposition geprägt. Zusammen mit der Rahmung und der Ausschnitthaftigkeit der Szenerien ergibt sich eine suggestive Bildwirkung. Das Manhattan-Motiv besitzt einen perspektivischen Sog, der in die Tiefe des dargestellten Raumes bzw. in die Tiefe des Skyline-Horizonts hineinführt. Der Fernblick, der in »2001« die prägnante Architektur umreißt, deutet auf ein Sinngefüge von New York, das die »restliche Welt« zu sich hineinzuziehen scheint. Zudem nimmt die Installation eine visuelle Bemächtigung der urbanen Landschaft vor. Hier orientiert sich Staehle an einer Weiterentwicklung der Landschaftsmalerei, dem Panorama des 18. und 19. Jahrhunderts. Es bestand aus einem monumentalen, gemalten Rundbild, das bei verdecktem Oberlicht gezeigt wurde und heroische Schlacht-, Landschafts- oder Stadtszenen darstellte. Für die Betrachter des Panoramas wurde so das imaginäre Reisen an entfernte und bedeutungsvolle Orte mühelos und umgehend möglich.76 Auch »2001« präsentiert monumentale Bilder in abgedunkelten Räumen und erlaubt eine visuelle Reise an kulturell aufgeladene Orte. Die Möglichkeit, herausgehobene Orte detailliert betrachten zu können, suggeriert dem Betrachter eine Anwesenheit in exklusiven BildRäumen. Mit der atmosphärischen Komposition der Installation zielt Staehle erklärtermaßen auf eine affektive Rezeption seiner Bilder.77 Die meditative Versenkung in das Bildmotiv ist in »2001« allerdings zugleich von einem prüfenden Blick auf die urbane Landschaft begleitet. Denn ähnlich zu der Funktion des Panoramas, in den präsentierten Landschaften eine imaginäre Ordnung des urbanen Alltags zu schaffen und den Blick auf sie zu regulieren,78 findet auch in »2001« eine visuelle Kontrolle des Abgebildeten statt. Die Webcams beobachten und registrieren ständig das Gezeigte, und sie geben ihre Bilder mit taxierendem Blick an die Besucher weiter. Hier findet in Verlängerung des panoramatischen Blickes eine räumlich-optische Vereinnahmung statt, wie sie Stefan Oettermann für das panoramatische Rundgemälde erläutert: »Im Rundgemälde etabliert sich das Erlebnis des Horizonts als Kunstform; indem es so an Dauer gewann, wurde das Panorama zur Schule des Blicks, zum optischen Simulator. [...] Das Schweifen des Blicks ist nur scheinbar ziellos: er 76 Vgl. Stephan Oettermann: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Berlin 1980. 77 »The internet is very valuable as an information source and a way to organize people – a tool for activism. But people at a monitor don’t have a kind of reflective mode to really be affected by what they see.» Wolfgang Staehle, zit. in Bill Jones: »Art for a new world. Internet pioneer Wolfgang Staehle captures our moment«. In: http://www.postmastersart.com/archive/ staehle_press.html. 78 Vgl. Oettermann: Das Panorama, a.a.O., S. 19.

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geht auf’s Ganze. [...] Der panoramatische Blick ist in erster Linie Zugriff. Zugriff, der das in Blick Genommene objektiv betrachtet, es unbeschädigt lässt, um es dann ganz zu vereinnahmen.«79

Auch »2001« erklärt den Horizont zur Kunstform, dessen ErlebnisCharakter sich durch die Präsentationsform der Installation verstärkt. Ebenso stellt der panoramatische Blick in der Installation die Möglichkeit zur Verfügung, die urbane Szenerie von Manhattan scheinbar objektiv betrachten zu können. Dabei unterliegen Staehles Bilder einem kontrollierenden Kamerablick, der das New York-Motiv selektiert, fixiert und einrahmt. Insbesondere mit seiner Ausrichtung auf die Horizontale vereinnahmt der panoramatische Kontrollblick das Manhattan-Motiv als Ganzes. Dieser apparative Kontrollblick setzt sich beim Betrachter fort, der in die Lage versetzt wird, auf Manhattan aus der Ferne voyeuristisch Zugriff zu nehmen. Er kann die Skyline als einheitliches Ensemble optisch »inspizieren«, so dass sich der Kontrollblick auf die Rezeptionsseite überträgt. Allerdings befindet sich die endgültige Kontrolle über das Geschehen innerhalb der Live-Bilder weder bei den Kameras noch beim Betrachter. Wie der Terroranschlag des 11. Septembers zeigt, wird die finale Gestaltung des Szenarios durch Ereignisse im lokalen Realraum bestimmt, die sich der Kontrolle durch Live-Kameras oder durch Zuschauer entziehen. Anhand der Ereignisse des Anschlages zeichnet sich ab, dass in »2001« der normative Fernblick auf die urbane Landschaft lediglich die Illusion ihrer Beherrschbarkeit gewähren kann. Die Handlungen innerhalb des Realraumes vollziehen sich unabhängig zum konzeptionellen Einsatz von Staehles Aufzeichnungsapparaturen. Die Wirkung des idyllischen Manhattan-Motives hat sich durch die Terrorattacke drastisch verändert. Die endgültige Prägung des Realraumes und somit auch des WebcamMotives von »2001« obliegt den Terroristen. Die Skyline von Manhattan, die den zentralen Lokalitätsbezug der Installation darstellt, wird fünf Tage nach der Ausstellungseröffnung zum Schauplatz des Anschlags. Am Morgen des 11. September sieht Staehle von seinem Appartmentdach aus in Manhattan die Flugzeugattacke auf das World Trade Center und bittet die Postmasters Gallery umgehend, alle Webcams seiner Installation einzuschalten. Daraus ergibt sich die Situation, dass die Galeriebesucher den sukzessiven Zusammenbruch des World Trade Centers auf den Großbildschirmen der Galerie mitverfolgen. Die Kuratorin der Postmasters Gallery, Magdalena Sawon, fasst einige Tage nach dem Anschlag das Ausmaß der Veränderungen folgendermaßen zusammen: »Tuesday morning it looked like our world ended as the projection captu79 Ebd.

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red all stages of the catastrophe. Now, the smoke has settled and it’s back to the transformed skyline with a disorientating gap where the towers stood before. To my knowledge, Wolfgang Staehles piece is the only artwork for which not only the context but also the content was affected directly by the attack on the WTC.«80 Selbst in dieser völlig neuen und dramatischen Situation verändert Staehle in keinerlei Hinsicht seine bestehende Bildkomposition, indem er beispielsweise versuchen würde, die brennenden Twin Towers in einer Großaufnahme heranzuzoomen. In der plötzlich über New York hereinbrechenden, fatalen Lage setzt Staehle seine bereits auf die Skyline gerichteten Webcams nicht zu spektakulären journalistischen Zwecken ein. So umgehend Staehle die Webcambilder der Öffentlichkeit des Galeriepublikums präsentiert, so wenig ist er an einer schnellen massenhaften Ausstrahlung interessiert. Er behält seinen Installationsaufbau dezidiert bei und bezieht die neuen, extremen Konstellationen mit ein. Die Live-Installation wird durch die politischen Ereignisse modifiziert, und Staehle lässt diese Modifikationen zu. Das spektakuläre Element findet sich daher durchaus in den Live-Bildern des brennenden Manhattan, es bleibt in der Installation jedoch formal weiterhin in einen ästhetischen Kontext eingebunden. Auf der ikonologischen Ebene ändert sich »2001« dahingehend, dass das Bild einer statischen und idyllischen Landschaft durch eine flammende Feuersbrunst in der rechten Bildhälfte irritiert wird. Diese eher graduelle motivische Abwandlung steht einer gravierenden Veränderung auf der Rezeptionsseite gegenüber. Die ehemals meditative Versenkung in eine malerische Landschaft geht – im Wissen um die Katastrophe für New York – beim Publikum schlagartig in Angst und Bestürzung über. Manhattan erscheint nun als ein panoramatisches Groß-Szenario des Schreckens. Dies deutet erneut auf inhaltliche Parallelen zu den Ursprüngen des Panoramas, das dramatische Kriegsszenen und nationale Schlachten im Großformat darstellte. Doch diese national-patriotischen Schlachten, die das Panoramagemälde heroisch verklärt darbot, gehen in »2001« formal in eine sublime urbane Katastrophe über, die sich lediglich mit dem Wissen um die aktuellen Geschehnisse ablesen lässt. Daher kommt es nicht zu einer Hinfälligkeit von Staehles Konzept, denn zum einen behält die Installation ihre Komposition bei und integriert alle sich ergebenden Veränderungen der Skyline von Manhattan, die aus dem Zusammenbruch des World Trade Centers resultieren. Zum anderen beruft sich Staehle wieder auf sein ursprüngliches Konzept des verlangsamten, reflexiven Umgangs mit Bildern, wenn er nach einigen Tagen Standbilder der veränderten Skyline im Internet abrufbar macht. Diese Standbilder weisen erneut den Aspekt der Kontemplation auf, indem der Blick 80 Magdalena Sawon, zit. in Jones: »Art for a new world«, a.a.O.

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des Betrachters auf ästhetisch schönen Bildkompositionen ruhen kann. Den Bildern wohnt nun allerdings ein subtiler Schrecken inne, weil den schönen Motiven grauenvolle Ereignisse zugrunde liegen. Staehle lässt seine Installation zu einem Bildarchiv der Destruktion werden, das Standbilder der Katastrophe speichert und sie in selektierter Form zugänglich macht. Im Gegensatz zur tagesaktuellen Berichterstattung hat sich Staehles Bildarchiv nicht zur Aufgabe gesetzt, die politische Dimension des Anschlages direkt zu kommentieren. Elektronische Architektur und mediale Endlosschleife Die Installation »2001« nutzt Webcams in Verbindung mit dem Internet als »Daten-Pipeline«, um drei verschiedene Orte zeitlich und räumlich zu verdichten. Die simultane Übertragung von Bildern aus unterschiedlichen Orten bewirkt eine temporäre Vernetzung und In-BeziehungSetzung aller Motive innerhalb des Ausstellungsraumes. Das zentral angelegte Manhattan-Motiv bündelt die medialen Energien der drei Übertragungsorte in sich und gibt wiederum Impulse an die benachbarten Screens zurück, indem es die Aufmerksamkeit für räumlich und zeitlich sehr differente Motive schärft. Dabei besitzen die drei Motive durchaus funktionale Gemeinsamkeiten, weil sie alle informationelle Architekturen sind: Die drei Formen von Turmbauten stammen aus unterschiedlichen Ären der Informations-Übertragung und dienen spezifischen Überwachungs- und Kommunikationszwecken. Die Burg Veste Comburg ist eine mittelalterliche Festung und Verteidigungsanlage. Ihr Turm diente als Nachrichtenzentrale, die Informationen zu Uhrzeit oder zu festlichen Anlässen aussandte und Signale zur Verteidigung gegen feindliche Angriffe an die nähere Umgebung weitergab. Ebenso sendet und empfängt der Berliner Fernsehturm audiovisuelle Informationen (die zu Sendebeginn der Kontrolle der damaligen DDR-Regierung unterlagen). Die Skyline von Manhattan wiederum taktet die Prozesse im urbanen Gefüge durch ihre extreme Dichte von Hochhäusern. Durch die absolute Dominanz der vertikalen Struktur veranschaulicht die Skyline die zentrale Stellung von New York innerhalb der US-amerikanischen als auch der globalen Medienkultur, bei der Fernseh- und Kommunikationsgesellschaften wie AT&T, Sony, IBM etc. Die Erbauer und Nutzer von zahlreichen Hochhäusern sind.81 Die Skyline ist daher auch architektonischer Ausdruck der medialen Macht von New York im weltweiten Kommunikationsgefüge.

81 Die entsprechenden Namen der Hochhäuser lauten: The AT&T Building, the Sony Building, the IBM-Tower.

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Die Installation »2001« betont den Kontroll- und Kommunikationsaspekt der übertragenen Architekturen und hebt deren mediale Funktion hervor. Staehle überführt die Veste Comburg, den Berliner Fernsehturm und die Skyline von Manhattan in elektronische Architekturen. Die Installation bewerkstelligt eine Verdichtung der Mediatisierung: Historische wie auch zeitgenössische Modelle der Informationsarchitektur werden mittels digitaler Webcam-Technologie aktualisiert und zeitlich und räumlich miteinander synchronisiert. Die Installation lässt die Eigenständigkeit aller drei medialen Architekturen zur Geltung kommen und weist der Manhattan-Szenerie die Rolle als Knotenpunkt von globalen und zeitgleichen Prozessen zu. Die Bilder der Webcams aktualisieren den Mythos von Manhattan, eine zentrale Stellung im globalen Gefüge als »Hauptstadt der Welt« (s. »Mythos New York«) innezuhaben. Daher wirken die Webcam-Bilder von New York nicht nur als aktuelle LiveÜbertragung des Manhattan-Motives, sondern stellen zudem die beständige Ikonografie des mythischen Manhattan zur Schau. Doch diese Hervorgehobenheit von New York relativiert sich durch eine inhaltliche Setzung, denn trotz formaler und motivischer Differenzen der drei Projektionen nivelliert der Titel der Installation alle Besonderheiten, so dass der lapidare Begriff »2001« die drei Architekturen auf simultane Screens zusammenzieht. Der numerische Titel wird zum aktuellen Index, der die projizierten Architekturen markiert und gleichschaltet. Allerdings ändert sich diese programmatische Gleichsetzung durch den Anschlag auf das World Trade Center, da der Titel »2001« seit dem 11. September 2001 mit New York in Verbindung gebracht wird und das Jahr des Desasters in Manhattan signalisiert. Darüber hinaus setzt Staehle die Technik keineswegs derart ein, dass er die Aktualisierung der Malerei-Genres etwa durch digitale Bildbearbeitungs-Programme betreibt. Vielmehr installiert Staehle Webcams an fixen Positionen und benutzt die »rohen«, unbearbeiteten Bilder, um sie auf große Screens zu projizieren. Die Kameras übertragen nicht nur Informationen, sie »malen« vielmehr Bilder von einem weit entfernten Ort auf große Leinwände im Ausstellungsraum. Demzufolge sorgt die Technik in »2001« nicht nur für eine mediale Abbildung und Durchdringung von Manhattan, sondern sie evoziert eine kompositorische Landschaftsmalerei einer kontemplativen Szenerie. Diese Aktualisierung von ästhetischen Kompositionen transzendiert den medialen Gebrauch der Technik, da der konventionelle Mediengebrauch massenmedialer Basistechnik in die Ikonologie der Landschaftsmalerei transferiert wird. Gleichzeitig kennzeichnet die Installation die etablierten Malerei-Genres als allgegenwärtige Bilderphänomene, die sich mittels digitaler Medien inszenieren lassen. Somit greift »2001« historische Codes auf und markiert das digi110

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tale Manhattan im aktuellen Modus. Trotz der Nutzung von Live-Webcams geht die Installation »2001« über eine rein aktuelle Präsenz des Gezeigten hinaus, da sie ein komplexes Raum-Zeit-Gefüge aufweist. Es ereignen sich Zeitüberlappungen, die von einer Kombination aus linearen Zeitverläufen mit temporären Zeit-intervallen geprägt sind. Zum einen umfassen die drei Architekturen evolutionäre Zeiteinheiten, die von der ferneren Vergangenheit (mittelalterliche Burg) bis zur Gegenwart (Berliner Fernsehturm und New Yorker Skyline) reichen. Zum anderen sind diese Zeitabschnitte in »2001« ständig von der unbestimmten Zeit der Live-Übertragung durchdrungen. Die permanente Gegenwart der Live-Übertragung synchronisiert und verdichtet die verschiedenen Zeitmodi. Alle Raum-Zeit-Bezüge erscheinen als medialer »Output« von gleichzeitigen Transfers. Obwohl die Architekturen stabile Zeitphasen signalisieren, weist der provisorische Charakter der Live-Installation auf eine unabgeschlossene Simultaneität von Zeit. Dadurch deutet »2001« auf den Umstand hin, dass die präsentierten Architekturen nur scheinbar zeitlich homogene und abgeschlossene Ären verkörpern, denn ihre aktuelle Gestalt verdankt sich unregelmäßigen und heterogenen Baustadien. Die mediale Allgegenwart seiner Installation unterzieht Staehle durchaus einer kritischen Reflexion. Zu diesem Zweck begleitet er sein Werk mit dem folgenden englischsprachigen Zitat aus Martin Heideggers Werk »Einführung in die Metaphysik«, das dem Vorkriegsjahr 1935 entstammt: »At a time when the farthermost corner of the globe has been conquered by technology and opened to economic exploitation; when any incident whatever, regardless of where and when it occurs, can be communicated to the rest of the world at any desired speed [...] when time has ceased to be anything other than velocity, instantaneousness and simultaneity, and time as history has vanished from the lives of all peoples; when a boxer is regarded as a nation’s great man; when mass meetings attended by millions are looked on as a triumph – then, yes then, through all this turmoil, a question still haunts us like a spectre: What for? Whither? And what then?«82

Heideggers Bedenken zur instantanen Beschaffenheit der modernen Gesellschaft stellt das kritische Leitmotiv von »2001« dar. Seine eindringlichen Fragen nach dem Sinn einer massenmedialen Ausbreitung von globaler Technologie spiegeln Staehles Suche nach einem reflektierten Umgang mit aktueller Breitentechnologie. Staehle selbst drückt dies aufgrund seiner täglichen Erfahrung mit dem Internet-Provider THE

82 Wandtext der Installation »2001«, im Original: Martin Heidegger: »Einführung in die Metaphysik. Vorlesung 1935«. In: Heidegger Gesamtausgabe, Bd. 40, Frankfurt a.M. 1983.

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THING83 ganz ähnlich zu Heideggers Fragen aus: »With all this information and all these images available to anyone through the internet, I just wanted to ask: Where does it go? What does it all mean? What is it for?«84 Diese Fragen beantwortet Staehle in »2001« mit der Intention, die ständige Anwesenheit von medialer Durchdringung veranschaulichen zu wollen. Staehle setzt sich dahingehend kritisch mit der Mediatisierung auseinander, dass er deren ubiquitäre Präsenz an realen Schauplätzen sichtbar machen will. Dabei geht er von der Übertragungsmöglichkeit einer unangefochtenen Wirklichkeit aus, denn Staehle zielt auf eine kontinuierliche Übertragung von unveränderter Realität, die ohne jegliche korrektive Eingriffe – etwa in die Kameraführung und durch schnittechnische Nachbearbeitung – erfolgen soll. Demzufolge dient »2001« dazu, ein ununterbrochenes »streaming« von unzensierter Realität zu bewerkstelligen. Nach der Sichtbarmachung der allgegenwärtigen medialen Durchdringung setzt Staehle die LiveTechnik als Garanten von Wirklichkeit ein. Er folgt hierin einer Prämisse der Mediatisierung, dass erst dasjenige als existent gilt, was technologisch wahrgenommen und erfasst wurde. Allerdings ist die vermeintlich authentische Wirklichkeitserkundung der Installation in eine ästhetische Inszenierung eingebunden, denn Staehle wählt die urbanen Motive nach ihrem malerischen Gehalt aus und bricht sie medial durch die elektronische Übertragung. Auf Basis der potenziellen Verfügbarkeit von LiveBildern präsentiert »2001« stilistische Kompositionen, die auf kontemplative Wirkungszusammenhänge abzielen. Daher veranschaulicht die Installation vor allem auch die Kontextabhängigkeit der Mediatisierung: Die alltägliche Unsichtbarkeit von mediatisierten Strukturen und der »information overload« des Internet verlagern sich in »2001« hin zur Sichtbarmachung einer zunächst meditativen Bildwirkung. Die konstruktive Nutzung der computerbasierten Technik veranlasst eine Verlagerung vom massenmedialen Überangebot hin zu einer kontemplativen Wirkung von medialen Strukturen. Doch angesichts der Geschehnisse vom 11. September stellt sich die Kontextabhängigkeit der Mediatisierung als weitaus stärker heraus, als Staehle sie in seinem Konzept von »2001« berücksichtigt hat. Die unvorhersehbaren Ereignisse in New York veranlassen eine Verschiebung von Staehles Konzept. Mit dem Terroranschlag auf die Twin Towers ändert sich der meditative Eindruck der Installation umgehend. Die transzendente Beschaulichkeit der Szenerie und die malerisch-sinnliche At83 THE THING ist der von Staehle 1991 gegründete und damit früheste Internetprovider für Netzkunst. Als öffentlich zugängliche Ausstellungsplattform im Internet steht sie unter http://bbs.net zur Verfügung. 84 Staehle zit. in Jones: »Art for a new world«, a.a.O.

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mosphäre verwandeln sich in ihr Gegenteil. Durch die Terrorattacke übernimmt die Technik nun die Zeugenschaft von dramatischen Geschehnissen. Anstatt eine idyllische urbane Landschaft zu registrieren, zeichnet die Technik sukzessive Bilder der Destruktion auf. Die Zuschauer der Installation werden zu Zeugen der aktuellen Zerstörung von Teilen der Skyline. Das Live-Streaming der Webcam-Bilder beschwört die Echtheit der Ereignisse und zeigt die Mutation der fernen Skyline auf der großen Projektionswand. Nun garantiert der Live-Charakter einzig eine Realität der schrecklichen Ereignisse. Die Bilder zerschlagen zudem den Mythos der Beständigkeit und Unangreifbarkeit von New York. Diese traumatisierte Wirklichkeitserfahrung stellt sich in »2001« in hohem Maße durch mediengenerierte Vorgaben her. Die modernen Technologien fungieren als ein Regulativ der Kommunikation, denn die Installation setzt auf die medienvermittelte Wahrnehmung der Katastrophe via Webcam, die der unmittelbaren Erfahrung des Ereignisses vorausgeht bzw. sie ersetzt. Die Technologie schiebt sich in »2001« zwischen die direkte Erfahrung des Attentates in Manhattan und dem Begreifen dieser Erfahrung. Das unveränderte Prisma der Webcams von »2001« präsentiert den sukzessiven Kollaps der Twin Towers. Damit wird Technologie wieder zur rein registrierenden Instanz, die den Zusammenbruch der Twin Towers nach der Flugzeugkollision live überträgt und aufzeichnet. Sie nimmt erneut die Rolle ein, Bildinformationen zu senden und zu speichern und den Raum ununterbrochen visuell zu durchdringen. In »2001« erscheint die terroristische Attacke daher kommentarlos als eine Nivellierung der New Yorker Skyline, deren topografischer Maßstab sich nach dem Wegfall der riesigen Twin Towers verändert hat. Archiv des Untergangs und Ästhetik der Destruktion Eine strategische Weiterentwicklung erfährt »2001« durch Staehles Entscheidung, einige Stadien der Katastrophe im Internet zu veröffentlichen. Staehle kehrt hierdurch wieder zu seiner ursprünglichen Intention zurück, reflexive mediale Bilder anzubieten. Dazu wechselt er vom Einsatz eines ununterbrochenen Bilderstroms hin zu einer Verwendung von statischen Standbildern. Dieser Transfer von der Installation in der Galerie zu einzelnen digitalen Standbildern im Internet wird durch die kontextuelle Flexibilität von Digitalmedien ermöglicht. Aus derselben Quelle bzw. Source lassen sich gezielt Images in veränderter Form weiter aufbereiten und veröffentlichen, denn das Hypermedium Internet ist auf die Kompatibilität und Weiterverarbeitung von gespeicherten Daten ausgerichtet. Die nachträglich im Internet veröffentlichten und für alle herunterlad113

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baren Standbilder erlauben zu einem sehr frühen Zeitpunkt – einige Tage nach dem 11. September – eine Reflexion der verschiedenen Stadien der dramatischen Ereignisse, indem sie das veränderte Aussehen der Skyline in unterschiedlichen Stationen der Katastrophe visuell nachvollziehbar machen. In Verbindung mit dem kompositorischen Aufbau der Szenerie sorgt Staehles technische Reduktion auf digitale Basistechnologien für eine ikonologische Lesbarkeit der Katastrophe in New York. Die Standbilder stellen Erinnerungsspuren dar und werden chronologisch als ein »Vorher«, »Währenddessen« und »Nachher« gelesen (vgl. Abb. 14, 15 und 16). Dabei zielt die Wiedergabe von Standbildern unbeirrt auf die dramatischen atmosphärischen Stimmungen der einzelnen Stadien der Katastrophe. Ein Vergleich der Einzelbilder weist fast schon lakonisch auf die kompositorische Lücke, die der Wegfall der Twin Towers in der Skyline von Manhattan hinterlassen hat. Mit der Veröffentlichung der Standbilder im Internet hält »2001« ein Bildarchiv vom Untergang der Twin Towers bereit, das Staehle gezielt aus seinen Webcam-Aufzeichnungen zusammengestellt hat. Wie zuvor bei der Installation folgen die Motive der Standbilder einer ästhetischen Komposition, die den Parametern von Bildausschnitt, Licht und Farbe folgen. Gleichzeitig verlässt »2001« den musealen Galeriekontext und überführt die Standbilder in die jederzeit und allerorts zugänglichen Strukturen des Internet. Interessanterweise ergeben sich auf die Frage nach der Legitimation des ubiquitären medialen Einsatzes, die Staehle mit dem Heidegger-Zitat aufgeworfen hat, nach dem Terroranschlag zwei widersprüchliche Antworten. Zum einen zeigen sich Parallelen in der politischen Ausnahmesituation von Heidegger und Staehle: Ebenso wie Heidegger seine Reflexionen in der Vorkriegszeit von 1935 angestellt hat und seine Fragen nach dem »Warum« und »Wofür« von massenmedialem Einsatz mit dem Beginn des Krieges beantwortet wurde, ändert sich der Sinn des Einsatzes von Webcams in »2001« dahingehend, dass die Live-Installation Manhattan als symbolischen Schauplatz von kriegerischen Attacken ausweist. Zum anderen hat sich zwar das aktuelle Bild von Manhattan verändert, dennoch bestärkt auch »2001« erneut das mythische New York: Die Installation wie auch die Standbilder im Internet setzen nach wie vor auf die Magie von Licht und Farbe, nur dass sich die Ästhetik auf eine Einbeziehung von Flammen, Rauch, Nebel etc. ausweitet (Abb. 16). Zwar verbindet sich die Ästhetik der Destruktion mit Manhattan in einer Dimension, wie dies nie zuvor in der Geschichte der Metropole geschehen ist. Der Mythos von New Yorks ewiger Vitalität und ungebrochenem Erfolg scheint erstarrt und paralysiert. Doch auch die »traurige« Schönheit des Manhattan-Motives wirkt in »2001« gewaltig und einma114

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lig. Es scheint gerade die ästhetische Erstarrung zu sein, die in ihrer Dramatik den Mythos wieder erstarken lässt. In seiner Mischung aus lakonischer Kommentierung und magischer Beschwörung transportiert »2001«, dass Manhattan trotz massiver Destruktionen bestehen bleibt und seine Einzigartigkeit dabei umso mehr zur Geltung kommt. Zudem veranschaulicht die Installation, dass Manhattan sowohl zum Schauplatz als auch zum Auslöser von globalen Konflikten geworden ist.

5. INSTITUTE FOR APPLIED AUTONOMY: ISEE – NOW MORE THAN EVER Ende des Jahres 2001 startet das Institute For Applied Autonomy (I.A.A.) sein Netzprojekt iSEE – now more than ever (im Folgenden iSEE). Das US-amerikanische Forschungs- und Entwicklungskollektiv aus Künstlern, Ingenieuren und Schriftstellern thematisiert die zunehmende Videoüberwachung in New York. Unter der Internetadresse http://www.appliedautonomy.com/iSEE gelangt der User zur Startseite von iSEE, auf der eine Computeranimation die inhaltliche Ausrichtung des Netzprojektes visualisiert (Abb. 17). Nach der Animation kann der User zwischen zwei Optionen wählen: Klickt er auf den »Info«-Button, erscheint ein längerer Text, der die User-Handhabung von iSEE erklärt und den politischen Kontext des Projektes erläutert (Abb. 18). Klickt der User auf den »Map«-Button, gelangt er zu einer digitalisierten Straßenkarte von New York, die verändert – verkleinert, vergrößert und nach links oder rechts verschoben – werden kann. Mit einem roten Symbol sind auf der Karte die Positionen von Überwachungskameras innerhalb der Straßenzüge verzeichnet (Abb. 19). Der User kann nun per Mausklick einen beliebigen Startpunkt und einen Zielpunkt auf dem Stadtplan von New York bestimmen. Aus diesen Koordinaten errechnet eine vom I.A.A. entwickelte »route-planning software« diejenige Route zwischen Start und Ziel, die an den wenigsten Videokameras vorbeiführt, und hebt diese Route grafisch besonders hervor. Die digitale Straßenkarte informiert zudem in der unteren Bildzeile über die genaue Länge des Umweges und über die Anzahl der Kameras, die auf der Route passiert werden. Bei den meisten Verbindungsrouten ergeben sich große Umwege bei der Absicht, von möglichst wenigen Kameras aufgezeichnet zu werden (Abb. 20). Mit Hilfe des iSEE-Projektes zeigt das I.A.A. dem User den Weg der geringsten Videoüberwachung in den Straßen von New York. Für die exakte Positionierung der Videokameras auf dem digitalen Straßenplan greift das I.A.A. auf Datenmaterial des Netzprojektes »NYC Surveillance 115

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Camera Project« von der New York Civil Liberties Union (NYCLU) zurück, die seit 1998 Videoüberwachungskameras in New York registriert und kartografiert hat.85 Beide Netzprojekte – iSEE und »NYC Surveillance Camera Project« – wollen den hohen Grad an apparativer Kontrolle veranschaulichen, dem Passanten in New York ausgesetzt sind. Lokale Stigmatisierung und urbaner Freiraum Das grundlegende Konzept von iSEE bildet das Aufdecken der aktuellen Überwachungssituation in New York. Der Stadtplan dient als argumentative Basis, um die verschärfte Situation vor Ort zu veranschaulichen. Bei iSEE garantiert der Stadtplan Orientierung und geografische Zuordbarkeit im Lokalraum. Für den User stellt die optische Ausrichtung am Stadtplan die unumgängliche Voraussetzung dafür dar, das Ausmaß der Überwachung in der Metropole nachvollziehen zu können. Das lokale Engagement in New York und seinen Stadtvierteln ist das zentrale Anliegen des Netzprojektes, dessen Konzeptionierung sich aufgrund gesellschaftspolitischer Verschärfungen in der Stadt herausgebildet hat. Der Lokalitätsbezug kommt insbesondere in der Thematisierung der verstärkten Kameraüberwachung in New York seit dem 11. September zum Tragen, weswegen der Untertitel des Projektes »iSEE v. 911: Now more than ever« lautet. Nach Ansicht des I.A.A. hat die mediale Kontrolle seit dem Terroranschlag ein so außerordentliches Maß erreicht, dass die Notwendigkeit zu einer programmatischen Gegenwehr gegeben ist. Daher startet das I.A.A. wenige Wochen nach dem 11. September ihr Netzprojekt, das sie mit einem Appell für die Bedeutsamkeit von politischen Gegenaktionen versehen: »Given heightened awareness of public safety and increased demand for greater security in the face of growing threats of terrorist violence, projects that undermine systems for social control may seem to some viewers to be in poor taste. It is the Institute for Applied Autonomy’s position that such times call out all the more strongly for precisely these kinds of projects. As spytech dealers stumble over themselves in their haste to auction off our civil liberties – 85 Die NYCLU ist eine landesweite Organisation, die sich dem Schutz von New Yorker Freiheitsrechten widmet, wie sie in der amerikanischen Verfassung, der Bill of Rights, verankert sind. Die NYCLU rief 1998 ihr »Surveillance Camera Project« ins Leben, für das Freiwillige der Vereinigung fünf Monate durch die Straßen von New York gingen und die Positionen von Videokameras festhielten, die den öffentlichen Raum überwachten. Das »Surveillance Camera Project« startete in Manhattan, weitete sich dann sukzessive auf die vier anderen New Yorker Stadtteile (Boroughs) aus und wird weiterhin kontinuierlich ergänzt mit Hilfe von New Yorker Bürgern. Siehe dazu http://www.mediaeater.com/cameras.

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wrapped in the stars and stripes, tied up tight with memorial ribbons – to rightwing politicos who drool and salivate in anticipation of railroading their own Orwellian wet-dreams of social control through our legislative bodies, there is a vital need for independent voices that cry out against such cynical exploitation of legitimate human fear and suffering for political power and monetary gain. The Institute for Applied Autonomy is such a voice. iSEE is our statement.«86

Dieses Statement impliziert die Fragen, wie viel lokaler Freiraum den Einwohnern von New York zusteht und ob urbane Kontrollmechanismen sozial verträglich sein können. Das I.A.A. beantwortet dies zunächst mit dem generellen zivilen Recht auf Privatsphäre im öffentlichen Raum, das sich gerade angesichts verschärfter Kontrollen ergibt. Das Netzprojekt fordert, individuelle Aktivitäten im urbanen Raum stärker vor medialen Kontrollen zu schützen, denn nach Einschätzung des I.A.A. hat sich die apparative Überwachung in New York verselbstständigt. Da permanent unauthorisierte Aufnahmen vom und im urbanen Realraum vorgenommen werden, versucht das I.A.A., noch verbliebene Möglichkeiten von individuell gewählten Freiräumen zunächst im Internet »durchzuspielen«. Aus diesem Grund offeriert iSEE Wege durch New York, bei denen der persönliche Freiraum am wenigsten durch Überwachung eingeschränkt ist. Diese Wege erscheinen als persönliche Spuren des Nutzers, die zunächst nur optional sind. Die grundsätzliche Anonymität der gewählten Wege findet im Schutz des virtuellen Raumes statt. Somit wird der Mechanismus der Videokameras, gezielt Personenaufnahmen im New Yorker Realraum vorzunehmen, durch die Vorwegnahme der Kamerapositionen im virtuellen Raum entlarvt. Diese Zur-Verfügung-Stellung von Informationen im Internet soll sich auf das Verhalten der Bewohner im realen New York auswirken, die sich laut I.A.A. mittels einer Vermeidungstaktik fortbewegen können: »With iSEE, users can find routes that avoid these cameras – paths of least surveillance – allowing them to walk around their cities without fear of being ›caught on tape‹ by unregulated security monitors.«87 Diesen Schutz von Bürgerrechten bezieht das I.A.A. vor allem auf bestimmte Personengruppen, die ausdrücklich im Erläuterungstext genannt werden. Demzufolge werden Gruppen wie Schwarze, Jugendliche oder Frauen von den Kameras verstärkt ins Visier genommen. Laut I.A.A. behandeln die Überwachungskameras Angehörige dieser Gruppen von vornherein als verdächtig oder benutzen sie als Schauobjekte für voyeuristische Aufnahmen. Durch das iSEE-Projekt wird deutlich, dass die gezielte Anvisierung mittels Videoüberwachung die ohnehin vorhandene gesellschaftliche 86 Textauszug iSEE-Projekt. In: http://www.appliedautonomy.com/iSEE. 87 Ebd.

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Stigmatisierung von bestimmten Personen perpetuiert. Die Kameraobservierung stellt sich als Manifestation eines Blickmusters heraus, das die gesellschaftliche Kontrolle mit technischen Mitteln in den öffentlichen Raum hinein verlängert. Beim Netzprojekt erscheint daher die soziale Stigmatisierung als das gesellschaftsstrategische Organisationsprinzip des New Yorker Raumes. Klaus Ronneberger beschreibt die komplexen Ausgrenzungs- und Kontrollmechanismen, die auf eine erzwungene »Konsensstrategie« ausgerichtet sind: »Mit der Krise des fordistischen Vergesellschaftungsmodells mehren sich nun [...] Sanktionsformen und Kontrollmechanismen, die vor allem mit Ausgrenzung und Internierung arbeiten. Das strategische Moment der medialen und sicherheitspolitischen Bedrohungsszenarien besteht darin, Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit von Gruppen zu definieren, Einschränkungen des bürgerlichen Gleichheitspostulats zu legitimieren, Grenzen des Anspruchs auf Anerkennung von sozialen Rechten zu bestimmen und den Zugang zu materiellen Ressourcen auch vom moralischen Status des Betroffenen abhängig zu machen. [...] Diese Form der Repressions- und Konsensstrategie bestimmt vor allem den Alltag in den Metropolen.«88

Angesichts dieser urbanen Normierungstendenzen fordert das I.A.A. sozialen Freiraum und setzt auf die Wichtigkeit von menschlicher Bewegungsfreiheit innerhalb New Yorks. Das I.A.A. versteht sich als unabhängige lokale Stimme und ruft zur Wiedererlangung bzw. zur eigentlichen Schaffung von urbanem Freiraum auf. In politischer Nähe zur »reclaiming back the streets«-Bewegung, bei der die Straße als öffentlicher Versammlungsort beansprucht bzw. erneut »zurückerobert« wird,89 möchte iSEE die Straßen von New York als Orte von symbolischer Bewegungs- und Ausdrucksfreiheit zurückgewinnen. Dementsprechend nennt der Erläuterungstext des Projektes die Bandbreite an privaten Aktionen, die dem persönlichen Bereich vorbehalten bleiben sollen. Bei der Aufzählung von privaten Aktivitäten geht das I.A.A. zu einem suggestiven, gemeinschaftlichen »Wir« über: »Let’s face it – we all do things that are perfectly legal, but that we still may not want to share with the rest of the world. Kissing your lover on the street, interviewing for a new job without your current employer’s knowledge, visiting a psychiatrist – these are everyday activities that constitute our personal, private 88 Klaus Ronneberger: »Schutzräume gegen Ungeschützte. Mit Differenz-Urbanismus auf globalem Komfort Niveau absichern – so machen es die neuen Metropolen«. In: Spex 6/1997, S. 49. 89 Die »reclaiming back the streets«-Bewegung startete in San Fransisco und griff auf viele andere Großstädte über. Insbesondere die von der Gesellschaft als »Randgruppen« bezeichneten Personen wie Homosexuelle oder Jugendkulturbewegungen wählen sich die Straße als Ort von unangemeldeten Versammlungen oder Veranstaltungen.

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lives. While there is nothing wrong with any of them, there are perfectly good reasons why we may choose to keep them secret from coworkers, neighbors, or anyone else.«90

Das I.A.A. verteidigt hier das Territorium des Privaten, in dem sich Individuen in der Öffentlichkeit klar von anderen Personen abgrenzen müssen, um ihre Integrität wahren zu können. Dabei erscheinen die Anderen als »detektivische Agenten«, die persönliche Geheimnisse aufspüren und somit die menschliche Vorstufe zur technologischen Überwachung bilden. Die imaginäre Bedrohung der eigenen Privatsphäre erscheint in iSEE umso ausgeprägter, als sie auf einer Idee von Individualität beruht, die zum gesellschaftlichen Organisationsprinzip erhoben wird. Ein derartiges Individualitätsprinzip kritisiert Richard Sennett, wenn er die Betonung der Privatsphäre als übergeordnete Tendenz einer säkularen städtischen Kultur kennzeichnet, die sich im 19. Jahrhundert ausbildet. Erzeugt durch den wachsenden Privatisierungsdruck des Kapitalismus breiten sich laut Sennett Individualinteressen und Autonomisierungsbestrebungen aus, die für den Verfall einer repräsentativen Öffentlichkeit sorgen: »Zwar spaltete sich das Molekül [= das Zusammengehen des öffentlichen Bereiches mit der Ordnung des Privaten, wie es das Ancien Regime aufwies, J.Z.] aufgrund des Rufes nach Freiheit, aber nicht die Freiheit war die eigentliche Bedrohung des öffentlichen Lebens, sondern die Individualität als ›symbolische‹ Kraft.«91 Die »symbolische Kraft der Individualität« drückt sich bei iSEE in der Maxime der Selbstverwirklichung auf den Straßen von New York aus, die eine ungehinderte Bewegungsfähigkeit des Individuums als ein Recht auf Intimität definiert. Anders als Sennett setzt das Netzprojekt jedoch die öffentliche Sphäre nicht der privaten entgegen, sondern sieht die grundsätzliche Anerkennung des öffentlichen Raumes als die fundamentale Voraussetzung dafür, das Recht auf Privatheit ausüben zu können. Der kommunikative Austausch soll in einem urbanen Straßenraum stattfinden, über den alle Einwohner von New York in gleichem Maße verfügen können. Dabei kommt den Straßen von New York die Funktion zu, persönliche und private Interessen zu koordinieren und ein kulturelles Mischverhältnis in der Metropole zu garantieren. In iSEE bilden die Straßen der Metropole die vitalen Knotenpunkte im urbanen Gefüge, deren Vitalität bewahrt, geschützt und wieder belebt werden soll. Das hohe Maß an Überwachung, das die sozialen Interaktionen einschränkt, ist für Klaus Ronneberger der Grund, sowohl Richard Sennett als auch postmodernen Diskursen zu widersprechen. Laut Ronneberger basiert Sennetts These des Verfalls von 90 Textauszug iSEE-Projekt, a.a.O. 91 Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a.M. 1983, S. 142.

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stabilen kulturellen Wertvorstellungen auf dem bürgerlichen Ideal einer aufgeklärten Öffentlichkeit und übersieht deren Ausschlussmechanismen. Neben Sennetts These weist Ronneberger auch die postmoderne Suche nach einem authentischen Urbanen zurück, die das vorherrschende Strukturprinzip der urbanen Kontrolle außer Acht lässt: »Angesichts der aktuellen Entwicklung muss die Verfallsthese von Urbanisten wie Richard Sennett über die ›Verödung und Trivialisierung der Stadt‹ zurückgewiesen werden. Deren retrospektives Ideal ist das der bürgerlichen Öffentlichkeit, die bekanntlich noch nie einen Ort der herrschaftsfreien Kommunikation, sondern immer schon ein Ort des Ausschlusses war. Ebenso ist es wenig sinnvoll – in kritischer Wendung gegen postmoderne Inszenierungsstrategien – ›authentische‹ Formen urbaner Erfahrung einzuklagen. Künstlichkeit und Simulation sind untrennbar mit der Geschichte der Stadt verbunden. Die Suche nach der Authentizität des Städtischen blendet ebenso wie das retrospektive Ideal der aufgeklärten Öffentlichkeit die bestehenden Machtbeziehungen und Gewaltverhältnisse aus, die den Alltag strukturieren und sich in den städtischen Raum einschreiben.«92

Zwar verfolgt auch das I.A.A. ein Ideal der Aufklärung, wenn es die Freiheitssicherung aller Bürger und den allgemeinen Zugang zum »Versammlungsort« New York zu ihrem Prinzip von Öffentlichkeit erhebt. Jedoch ist diese Haltung nicht retrospektiv, sondern sie macht sich fest am aktuellen urbanen Status quo New Yorks. Vor allem aber blendet das Netzprojekt Gewaltverhältnisse nicht aus, sondern bezieht sie dezidiert ein, indem es Überwachungsinstanzen benennt. Dem iSEE-Projekt zufolge bildet im realen New York nicht die Gesamtheit aller zusammenkommenden Menschen die Öffentlichkeit, vielmehr findet ein Ausschluss von bestimmten stigmatisierten Gruppen statt. Das I.A.A. spricht sich daher durchaus für das Ideal einer aufgeklärten Öffentlichkeit aus, ohne die von Ronneberger hervorgehobenen urbanen Machtverhältnisse zu vernachlässigen. Es sind gerade die sich durch das Mediale verlängernden Kontrollmechanismen, die in iSEE die Wichtigkeit von zwischenmenschlichen Transaktionen und individuellen Ausdrucksmöglichkeiten im New Yorker Lokalraum vor Augen führen. Die im Netzprojekt vertretene Idee eines öffentlichen Raumes, der ein »herrschaftsfreies« Gebilde für gleichberechtigte Individuen darstellt, ist eine urbane Idealvorstellung. Sie weist Parallelen auf zu dem neutralen Raum, den Derrick de Kerckhove beschreibt, und dessen potenzielle Neutralität er für eine Illusion hält: »Selbstverständlich entspringt die Idee der Demokratie der Illusion, Raum sei neutral, frei von jeglichem gewichtigen sozialen, psychologischen oder physiologischen Widerstand. Neutraler Raum ist jenes

92 Ronneberger: »Schutzräume«, a.a.O., S. 49.

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durch nichts unterbrochene Gebiet innerhalb der Grenzen einer Nation; es gilt als gemeinsames Eigentum aller Bürger.«93 Allerdings geht das I.A.A. nicht von der Möglichkeit eines absolut neutralen Raumes aus, sondern fordert innerhalb des urbanen Großraumes die generelle Berücksichtigung von Freiräumen und Privaträumen. Es ist letztendlich die Verteidigung von demokratischen Grundrechten im lokalen Raum, die nach Auffassung des I.A.A. in New York mehr und mehr verloren gehen. Bei iSEE bezieht sich der Begriff der Illusion weniger wie bei de Kerckhove auf die prinzipielle Unmöglichkeit eines neutralen Raumes, das Projekt bezieht sich vielmehr auf die illusorische Vorstellung, die Räume von New York seien neutral im Sinne von weitestgehend unkontrolliert. Angesichts der massiven medialen Kontrolle fordert das Netzprojekt den Schutz von menschlichen Kommunikations- und Handlungsformen im öffentlichen Raum, die als friedliche Alltagstätigkeiten beschrieben werden. Das Projekt schließt keinerlei gewalttätige menschliche Aktionen in seine Betrachtungen mit ein, denn menschliche Kommunikation wird mit gelungener Interaktion gleichgesetzt. In iSEE geht daher Bedrohung nicht von New Yorker Bürgern, sondern a priori von der Technik der Videoüberwachung und ihrer medialen Weiterverwendung aus. Technologische Kontroll-Instanz und Hyperüberwachung Der zentrale Ansatz von iSEE ist, den Grad der Mediatisierung in New York erkennbar zu machen, dessen urbaner Raum beinahe flächendeckend von Überwachungskameras durchsetzt ist. Diese erweitern ständig die Zonen der Sichtbarkeit von menschlichen Alltagsroutinen, die durch die technischen Aufzeichnungen nahezu lückenlos dokumentiert sind. Selbst wenn die meisten Kameras für die Blicke von Passanten sichtbar sind, bleibt es iSEE vorbehalten, einen umfassenden Überblick über die Dichte der Videoüberwachung in New York zu ermöglichen. Deswegen führt iSEE dem User das Ausmaß der urbanen Überwachung vor Augen und konfrontiert ihn mit der grundsätzlichen Unmöglichkeit eines Nicht-Registriert-Werdens. Zu diesem Zweck stellt das Netzprojekt eine computergenerierte Kartografie von Videokameras bereit, die Aufzeichnungen des öffentlichen Raumes von New York vornehmen. Klickt der User Start- und Zielpunkte im digitalen Plan an, demonstrieren die großen Umwege, die bei einem Weg durch den urbanen Raum in Kauf genommen werden müssen, sehr anschaulich den hohen Grad der video93 Derrick de Kerckhove: »Jenseits des globalen Dorfes – Infragestellen der Öffentlichkeit«. In: Rudolf Maresch (Hg.), Medien und Öffentlichkeit, München 1996, S. 135.

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überwachten Durchdringung. Auch diese Umwege sind von zahlreichen Videoobservierungen geprägt, so dass es keine unkontrollierte Fortbewegung durch New York zu geben scheint. Das I.A.A. zielt darauf ab, dass die User von iSEE großes Misstrauen gegenüber jeglicher Form von technologischer Kontrollinstanz entwickeln. Daher umreisst der Erläuterungstext des Projektes weiterreichende gesellschaftspolitische Implikationen der Mediatisierung im urbanen Raum. Zunächst kommen generelle Fragen nach den Besitzrechten an Videoaufnahmen und deren mögliche Weitergabe an staatliche und private Organisationen wie Polizei und Fernsehanstalten zur Sprache, die juristisch noch wenig geklärt sind: »Clearly, video surveillance of public space represents an invasion of personal privacy. The fact is, there is very little oversight of video surveillance systems, and the question of who owns the tapes and who has the right to see them is still largely undecided […] The fact is, many of the cameras monitoring public space are privately owned. Banks, office buildings, and department stores all routinely engage in continuous video monitoring of their facilities and of any adjacent public space. The recordings they make are privately owned, and may be stored, broadcast, or sold to other companies without permission, disclosure, or payment to the people involved. At present, there is precious little to prevent television programs like ›Cops‹ and ›America’s Funniest Home Movies‹ from broadcasting surveillance video without ever securing permission from their subjects.«94

In diesem Zusammenhang nennt der Begleittext die Gefahr eines latenten Anpassungsdrucks, der sich bei den Passanten angesichts der umfassenden Kontrolle einstellt bzw. der sich laut I.A.A. in New York bereits eingestellt hat. Die Verinnerlichung der Kontrollmacht durch das Individuum sorgt bei vielen Bürgern für ein präventives Wohlverhalten im urbanen Raum. Dieses Wohlverhalten wird vom I.A.A. nicht als mögliche Abschreckung von kriminellem Verhalten betrachtet, sondern als persönlichkeitsverändernde Überanpassung und als erschreckende menschliche Reaktion auf den Kontrollapparat gewertet. Die teilweise sichtbar angeordneten Überwachungskameras bilden zusätzliche Bezugspunkte im urbanen Raum und stellen eine normative Instanz im Alltagsverhalten der New Yorker Bewohner dar. Die Kameras determinieren die psychologische Wahrnehmung des urbanen Raumes und lösen laut I.A.A. durch ihre apparative Autorität eine Verhaltenskontrolle bei den Beobachteten aus. Anstelle von möglichem Phlegma oder Desinteresse der aufgezeichneten Bürger ist der Handlungsraum von New York dem Projekt durch eine wachsende Konformität seiner Einwohner bestimmt, die ihrer möglichen Verdächtigung entgegenwirken wollen. Durch die permanente Beobachtung und Selektion entpersonalisieren die Video94 Textauszug iSEE-Projekt, a.a.O.

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kameras ihre »Objekte«. Sie fixieren Ausschnitte des New Yorker Raumes unter dem Fokus einer aktuell und zukünftig zu entlarvenden Verhaltensauffälligkeit, die Sanktionen nach sich zieht. Diese weitreichenden Konsequenzen der Mediatisierung werden nach Ansicht des I.A.A. zu wenig untersucht, so dass insbesondere die sozialpsychologischen Implikationen der Überwachung bislang nicht hinreichend Beachtung finden: »While the nature of such a society has been long theorized by philosophers, critics, and sociologists, the psychological and social effects of living under constant surveillance are not yet well understood.«95 Auf diesen Mangel antwortet das iSEE-Projekt mit einem psychologischen Konzept, das die störenden und bedrohlichen Eigenschaften der Überwachung betont, um das Vertrauen des Users in die rechtsstaatliche Nutzung von Technik zu schwächen. Die strategischen Mittel, die den User zum Einvernehmen mit der Haltung des I.A.A. führen sollen, betonen die Komplizenschaft der technischen Überwachung mit der Macht staatlicher Kontrollinstanzen. Diese Macht erscheint in iSEE als omnipräsent, was es dem Netzprojekt erlaubt, die Überwachung in vielerlei Hinsicht an den Bereich der Angst zu koppeln. Der Begleittext verstärkt die Angst vor der technischen Überwachungsstruktur, indem die Videoüberwachung in den größeren Kontext der »data-veillance« als einer grenzüberschreitenden, multimedialen Datenüberwachung gestellt wird. Das Bewusstsein für das Ausmaß an Kontrolle wird in iSEE durch die Evozierung von Furcht geschaffen, die an Szenarien eines undurchschaubaren Verbundsystems der Mediatisierung gekoppelt ist. Der Text nennt neben der offensichtlichen Videoüberwachung die weitgehend unsichtbare Computer-Datenüberwachung, die digitale Informationen auf Schlüsselbegriffe hin selektiv speichert. Der Kontext der Hyperüberwachung als einer Fusion aus Videotechnik mit vernetzten Datenbanken wird evident. Durch die Vision des feindseligen Zusammenschlusses von Überwachungstechniken unterstreicht das Projekt beängstigende Dimensionen der Hyperüberwachung: »As video surveillance systems evolve and become more sophisticated, the opportunities for abuse are compounded. Sophisticated video systems can identify the faces of individuals (matching video images to databases of known faces – for example, the repository of driver’s license photos maintained by the Department of Motor Vehicles), the objects they carry (including, for example, reading the text on personal documents), and their activities. These systems enable the creation of databases that know who you are, where you’ve been, when you were there, and what you were doing. Databases that are conceivably available to a host of people with whom you’d rather not share such information,

95 Ebd.

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including employers, ex-lovers, and television producers. […] Once a cold-war caricature of Soviet-style communist regimes, the notion of the ›surveillance society‹ is increasingly employed to describe modern urban life in such bastions of personal liberty and freedom as the United States, United Kingdom, and Canada.«96

Demnach erscheint New York als flächendeckend mediatisiertes Cluster, in dem ununterbrochen Aufzeichnungen seiner Einwohner vorgenommen werden, die einem potenziellen Missbrauch zugeführt werden. Das I.A.A. betrachtet die Herausbildung einer Überwachungsgesellschaft als eindeutiges Kennzeichen von westlichen Metropolen, weswegen die Omnipräsenz und die Verselbstständigung der Kontrollinstanzen in iSEE als ein globales Phänomen beschrieben wird. New York ist demzufolge nur ein exemplarischer Fall für eine Überwachungsmentalität, die das urbane Leben in westlichen Nationen prägt. Das I.A.A. beabsichtigt, am Beispiel von New York ein Bewusstsein für das Ausmaß medialer Kontrolle im urbanen Raum zu schaffen. Dieser Bewusstmachung kommt die pädagogische Funktion zu, bei Usern die Aufmerksamkeit für allgegenwärtige Überwachungssituationen zu erhöhen und sich die Frage nach dem Sinn derartiger technischer Implementierungen im öffentlichen Raum zu stellen. Letztendlich zielt das iSEE-Netzprojekt darauf ab, dass User die Notwendigkeit von technischen Überwachungen grundsätzlich als obsolet empfinden: »iSEE also serves a pedagogical function, raising public awareness of the omnipresence of CCTV [Closed Circuit Television: engl. Begriff für Videoüberwachungskameras, J.Z.] in public space and challenging the effectiveness and appropriateness of remote surveillance in general.«97 Daher schafft die in iSEE vorgenommene Sichtbarmachung der Kontrolle ein Bewusstsein für die Omnipräsenz der medialen Hyperüberwachung. Das Projekt sensibilisiert seine User für die Reibungslosigkeit, mit der Wahrnehmungsmuster im Medienverbund einhergehen. Dirk Baecker plädiert für die Verwendung des Begriffes der »Techniierung«, um mediale Ausschließungseffekte zu benennen, die durch die technische Reibungslosigkeit vergessen gemacht werden sollen. Bei der Wahrnehmung und Kommunikation bestimmen mediale Ausschließungseffekte, welche Ausschnitte dargestellt und welche Inhalte transportiert werden respektive insbesondere welche nicht.98 Als Parallele dazu veranschaulicht iSEE den Grad der Technisierung in New York, der in seiner Gänze intersubjektiv nicht mehr wahrnehmbar ist. Das Netzprojekt 96 Ebd. 97 Ebd. 98 Vgl. Dirk Baecker: »Oszillierende Öffentlichkeit«. In: Maresch, Medien und Öffentlichkeit, a.a.O., S. 89-107.

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durchbricht für die Userseite jegliche mediale Reibungslosigkeit, da es die Umwege im Realraum und die damit verbundenen Anstrengungen geografisch simuliert. Zudem macht iSEE die verdichteten Kontrollzonen in New York sichtbar und erläutert im Begleittext die sozialpolitische Dimension der Ausschlussmechanismen. Kommunikativer Selbstentwurf und spielerische Strategie Das Netzprojekt thematisiert einen sozialpsychologischen Grundkonflikt, der in variierter Form auftaucht und das Konzept des Netzprojektes prägt. Die starken sozialen, psychologischen und physiologischen Widerstände, die de Kerckhove im Zusammenhang mit der Konstituion von Raum nennt, äußern sich bei iSEE in einer Spaltung des New Yorker Raumes. Es handelt sich um die Vitalität in seinen Straßen, die der permanenten Kontrolle des mediatisierten Raumes unterliegt. Obwohl die Straßen von New York in iSEE als Zentren der Vitalität betrachtet werden, weisen die angezeigten Umwege und Kamerapositionen auf die Unmöglichkeit hin, diese Vitalität unbeobachtet stattfinden zu lassen. So erscheint jeder individuelle, frei gewählte Weg durch die Stadt von vornherein durch Kontrollkameras observiert zu sein. Die Option größtmöglicher Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum steht einer bedrohlichen Persönlichkeitseinschränkung durch Videokameras gegenüber. Beim User wird die Grundhaltung der Angst gegenüber der Mediatisierung impliziert, wenn beispielsweise die Route der geringsten Überwachung als »path of least surveillance without fear« bezeichnet wird. Zugleich kommentieren die Anzahl der Kameras und die Länge des Umweges als ständige »Warninformation« die Route des Users. Das iSEE-Projekt präsentiert die Kontrollen in New York so zwar als lokalisierbar, jedoch in ihrem »Output« bzw. in ihrer weitergehenden Datenverarbeitung als nicht einsehbar oder nachvollziehbar. Der Grad der praktizierten Überwachung verläuft demnach proportional zum Ausmaß der Einschränkung der öffentlichen Sphäre und des Privatlebens, so dass die Mediatisierung den individuellen Aktionsradius im New Yorker Raum bestimmt. Dies läuft auf einen Kampf um die kommunikative Macht im öffentlichen Raum hinaus, die sich beim Netzprojekt in der Spaltung in ein positives menschliches und ein negatives technologisches Kommunikationsgefüge niederschlägt. In iSEE geht es daher nicht um eine sekundäre, medienvermittelte Kommunikation, mit der die Informationswissenschaft eine zunehmend mediatisierte Welt charakterisiert (s. »Mediatisierung Interdisziplinär«), sondern um menschliche Kommunikation und Interaktion, die durch Mediatisierungsstrategien eingeschränkt und kontrolliert werden. Angesichts der permanenten Überwachung wirkt New York wie ein instabiler und unüberschaubarer 125

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Raum, der nur unter Vorbehalt »nutzbar« ist. Die Metropole erweist sich in iSEE als institutionalisierter Raum, der nur noch Regeln bereitstellt und der die Handlungen seiner Bewohner medial zu steuern versucht. Die mediale Erfassung jeder raumzeitlichen Fortbewegung zieht nach Verlautbarung des Projektes Verunsicherung und Skepsis hinsichtlich der Beschaffenheit des urbanen Raumes und dem Verbleib der Bildinformationen nach sich. Da die Vernetzung der Überwachungsmedien eine weitgehend orts- und lückenlose Dokumentation von individuellen geografischen Bewegungen innerhalb der Stadt ermöglicht, bewirkt sie einen generellen Vertrauensschwund in den neu-instrumentalisierten Raum von New York. Das Netzprojekt wirft Fragen nach dem Selbstverständnis auf, das sich beim User bzw. bei den Bewohnern der Stadt angesichts der massiven Überwachungstechnologien ergibt. Die Fragen nach dem Identitätsentwurf und dem noch verbleibenden Aktionsfeld innerhalb des Urbanen beantwortet das Netzprojekt durch seinen Titel »iSEE«, das dem passiven Registriert-Werden durch Kameras ein aktiv blickendes Ego bzw. ein zurückblickendes Ich (= »I see«) gegenüberstellt, das bewusste Wachsamkeit mit taktischem Verhalten kombiniert. An dieser Stelle kommt das spielerische Element des Netzprojektes zum Tragen, das wie ein digitales Brettspiel angelegt ist. Beim Logo ist das »i« als voluminöse Spielfigur und das »see« als gestrichelter Umweg dargestellt, und im Begleittext gibt es Variationen des Spielfigur-Icons, die Personen wie »raver«, »woman«, »protester«, »afro« und »activist« symbolisieren. Obwohl die Spielfiguren bei der konkreten Stadtplan-Ebene nicht zur Anwendung kommen, deuten sie auf urbane Spielregeln, die insbesondere für bestimmte Gruppierungen gelten. Die Überwachung scheint für Angehörige dieser Gruppen in der Weise zu funktionieren, dass sie im mediatisierten New Yorker Raum gezielt observiert und aufgezeichnet werden und keinerlei sichtbare Repräsentation dort erfahren. Das Netzprojekt iSEE zeigt, dass sie zum Ziel des medialen »Überwachungsspieles« werden, ohne offiziell präsent zu sein. Dem versucht das Projekt entgegenzusteuern, indem diese Personen einen grafischen Stellvertreter besitzen und die strategischen Regeln genannt bekommen, denen sie im urbanen Kontrollraum ausgesetzt sind. Das Projekt iSEE nimmt auch Elemente von Strategie-Computerspielen auf, bei denen eine einführende Animation die zentralen Handlungsmuster visualisiert und ergänzende Texte das SpieleUniversum erläutern, das es operativ zu durchqueren gilt. Bei iSEE ergibt sich der Eindruck eines paradoxalen Raumes von New York, der das »Spiel« mit medialer Existenz und Nicht-Existenz leugnet. Ein eindeutiger Identitätsentwurf und ein klarer Handlungsraum erscheinen in einer 126

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derart technisch kontrollierten Metropole daher als schwierig. Angesichts der Kontrolle erweist sich ein Selbstentwurf im mediatisierten Raum als sehr komplex. Unentwegte mediale Aufzeichnungen, Transfers und Vervielfältigungen des Selbstbildes lassen de Kerckhove grundsätzlich von einer fehlenden Modellvorstellung für den eigenen Gegenwartsbezug reden: »Die Konsequenz dieser folgenlosen Erkenntnisse bezüglich unserer psychologischen Realität ist, dass wir keine Modellvorstellung haben, um uns unsere eigene Gegenwart mitten in den erfundenen, überallhin übertragbaren, vervielfältigten und verformten Bildern unserer Selbst über die elektronischen Netzwerke der Welt verständlich zu machen.«99 Das I.A.A. bietet mit der Nutzung des Internet dem User und den Bewohnern von New York die Möglichkeit, sich einen Einblick in die aktuelle Situation und somit einen taktischen »Vorsprung« zu verschaffen. Der kontrollierenden Videoüberwachung wird ein aufklärerischer Netzaktivismus entgegengestellt, der individuelle Verhaltensstrategien möglich macht: Die Kombination von unabhängiger Beobachtung mit anonymer (= datengeschützter) Nutzung des Netzprojektes – bis hin zur potenziellen Mitarbeit beim ebenfalls anonymen Kollektiv des I.A.A. – stellt eine veränderte Form von lokalem Engagement dar. Dennoch zeigt sich Vivian Sobchak skeptisch gegenüber derartigen politischen Protestformen im Internet und kritisiert deren libertinäre Prinzipien, da auch sie auf der Ideologie einer freien Verfügbarkeit von Information basieren. Auf den Mythos des freien Zugangs von Informationen bzw. des »access for all« rekurrieren Sobchak zufolge sowohl die Strukturen des korporativen Kapitalismus als auch die Struktur eines anarchistischen Individualismus, was die Autorin eine Privatisierung des öffentlichen elektronischen Raumes befürchten lässt.100 Dieser Einwand erfährt angesichts des Netzprojektes eine Abwandlung: Bei iSEE geht es weniger um eine Privatisierung des öffentlichen elektronischen Raumes, der mitverursacht ist durch einen liberalen Netzaktivismus, als vielmehr um eine Nutzung der Strukturen dieses Raumes, um vor der dominanten Privatisierung des öffentlichen Realraumes am Beispiel von New York zu warnen. Gefordert wird eine öffentliche Re-Privatisierung von urbanem Raum, der erneut zum exklusiven Rückzugsraum seiner Bewohner werden und »Territorien des Selbst«101 im Sinne von individuell wählbaren »Reservaten« anbieten soll.

99 De Kerckhove: »Jenseits des globalen Dorfes«, a.a.O., S. 147. 100 Vivian Sobchak: »Demokratisches ›Franchise‹ und die elektronische Grenze«. In: Maresch: Medien und Öffentlichkeit, a.a.O., S. 334. 101 Vgl. Erving Goffman: Das Individuum im öffentlichen Austausch, Frankfurt a.M. 1974, S. 67.

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Da sich in iSEE Öffentlichkeit zwar auf den Realraum bezieht, dieser jedoch als medial kontrolliert verstanden wird, verwandeln sich die urbanen Strukturen von physischer und informationeller Offenheit zunehmend in räumliche Distanz und Selbstkontrolle. Im Sinne einer panoptischen Gesellschaft,102 welche Sicherheit durch eine unentwegte Sichtbarkeit von Kontrollinstanzen suggeriert, ergeben sich nach Ansicht des I.A.A. auch im New Yorker Realraum optimierte Disziplinierungs- und Überwachungsmechanismen. Daher resultiert das Engagement von »iSEE – now more than ever« aus der Tatsache, dass globaler Terrorismus sich in lokalen Verschärfungen von urbanen Sicherheitsstandards niederschlägt. Die latente Allgegenwärtigkeit des Terrors geht über in eine manifeste Präsenz der lokalen Überwachung, was Hartmut Böhme als De-Liberalisierung schildert: »Gerade der Erfolg des Terrorismus führt urbanistisch zu einer weiteren Stufe in der De-Liberalisierung der Städte und damit notwendig zu einer Zunahme von Segregations- und Überwachungsstrategien. Die potentielle Ubiquität des Terrors zerstört in Folge der gegen ihn gerichteten Sicherheitsvorkehrungen den für die Entwicklung der Städte notwendigen Freiheitsraum.«103 iSEE koppelt seine Forderung nach Freiräumen in New York an die Schaffung von virtuellen Zonen der Aufklärung im Internet. Auf die massive TechnologieÜberwachung antwortet das I.A.A. daher ebenfalls mit gezieltem Technikeinsatz. Das Projekt stellt eine mediale Gegenöffentlichkeit her, indem es aktuelle Kommunikationstechniken für lokale Anliegen nutzt. Mit iSEE wird der Versuch unternommen, informationelle Selbstbestimmung und elektronische Kommunikationsmedien zu verbinden. Es entsteht ein medialer »Meta-Raum« New York, dessen organisierter Überwachungskomplex durch das informelle Internetprojekt veranschaulicht und entlarvt wird. Angesichts der dominanten Kontrollmacht, die eine Ökonomie der medialen Aufmerksamkeit vorgibt, versucht das I.A.A., eine autonome Teilöffentlichkeit zu bilden, die den Schutz der Privatsphäre inszeniert. In iSEE dient das Internet zur Artikulation von politischen Zielvorstellungen, die im Spannungsfeld zwischen medialen Restriktionen der Überwachung und kommunikativen Potenzialen der Aufklärung liegt. Das Projekt stellt eine Form der Medienöffentlichkeit dar, die den Internetzugang als öffentliche Plattform benutzt, um die Forderung nach individuellen sozialen Realräumen zu erheben. Deshalb verzahnen sich die 102 Vgl. Peter Weibel: »Von Zero Tolerance zu Ground Zero. Zur Politik der Visibilität im panoptischen Zeitalter«. In: Heinz Peter Schwerfel (Hg.), Kunst nach Ground Zero, Köln 2002, S. 87-106. 103 Hartmut Böhme: »Global Cities und Terrorismus. Über Urbanität in einer globalisierten Welt«. In: Lettre International 55/2001, S. 26.

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Bereiche des Öffentlichen und des Privaten, wie es Kurt Imhof beschreibt: »Der konstitutive Kern der Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften ist das Mediensystem. [...] Diese pragmatische Definition des ›Öffentlichen‹ als alles, was allgemein zugänglich ist und des ›Privaten‹ als alles, was der Konstitution von Vertrautheitsbeziehungen dient.«104 So sehr sich bei iSEE zwar die öffentliche und die private Sphäre überlagern, so deutlich bleiben die pragmatischen Schemata der beiden Bereiche dennoch bestehen. Beim Netzprojekt bildet sich Öffentlichkeit aus allgemein zugänglichen Straßen von New York, und Privatheit ergibt sich aus diversen sozialen Interaktionen, die auf Vertrautheit basieren. Interessant ist zudem die eigene Setzung des I.A.A., das sich als kompetente und engagierte Instanz gibt, die einen Informationsvorsprung vor den Usern besitzt. Durch die Veröffentlichung ihrer Informationen leistet das I.A.A. quasi detektivische Arbeit für die User bzw. für die Bewohner von New York. Dabei stellt der selbstgewählte Name »Institute for Applied Autonomy« (Institut für Angewandte Autonomie) eine Ironisierung von institutionellen Formationen dar, die sich im autonomen politischen Kontext gebildet haben. Insgesamt operiert das I.A.A. mit einer Kombination aus investigativer Offenlegung, lokaler Gegenöffentlichkeit und spielerischer Visualisierung, um sich und den Usern eine Einflussnahme auf urbane Mediatisierungsprozesse zu ermöglichen. Es ist gerade die strategische Einmischung in medial erzeugte Restriktionen und somit die Politisierung der öffentlichen urbanen Sphäre, die das I.A.A. zu »kollektiven Akteuren«105 macht. So deutlich sich iSEE als Teil der Bewegung des Netzaktivismus ausmachen lässt, so offen bleibt die Frage nach seiner Einwirkung auf den urbanen Raum von New York, der sich durch konkrete Handlungen gestaltet. Die gegenkulturelle Option, die das I.A.A. mit ihrem Netzprojekt anbietet, geht von der Möglichkeit kreativer Abweichungen zunächst im virtuellen und dann im Realraum von New York aus. Die Chance von derartigen dezentrierten Äußerungen via Internet geht nach Ansicht von Anil K. Jain mit der Gefahr einher, letztendlich im mediatisierten Cyberspace »steckenzubleiben«: »Mit dem sich abzeichnenden Verschwinden der lokal bzw. national zentrierten Massenöffentlichkeit eröffnen sich also neue Möglichkeiten für dezentrierte globale Netzwerke subpolitischer Bewegungen, die sich durch die Nutzung technologischer ›Tunnel‹ zu Suböffentlichkeiten formieren und aufschaukeln können. Damit ist allerdings die Gefahr verbunden, daß sich Öffentlichkeit als politische Handlungssphäre in den virtuellen Landschaften des Cyberspace 104 Kurt Imhof: »Tyrannei der Intimität?«. In: Zoom&KM H5/1999, S. 40. 105 Vgl. Karl-Heinz Stamm: Alternative Öffentlichkeit. Die Erfahrungsproduktion neuer sozialer Bewegungen, Frankfurt a.M. 1988.

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auflöst. Im ›space of flows‹ droht der konkrete (Handlungs-)Raum zu entschwinden.«106

Doch ohnehin beabsichtigt das iSEE-Projekt keinen direkten Handlungstransfer vom virtuellen in den urbanen Raum von New York, da sich der Netzaktivismus des I.A.A. vor allem in programmatischen Texten und sinnfälligen logistischen Visualisierungen im Internet ausdrückt. Gerade das Wissen um den geringen Handlungsspielraum im institutionalisierten Realraum führt in iSEE zu einer strategischen Aufdeckung von medialen Alltagsroutinen im (noch) gestaltbaren virtuellen Raum. Im Gegensatz zu der von Jain befürchteten Auflösung der politischen Handlungssphäre im Cyberspace befürwortet iSEE die temporäre Verlagerung und Bündelung von widerständigen Aktionen im Internet und geht von einer längst transformierten Öffentlichkeit aus, die das Projekt spielerisch zu beeinflussen versucht.

106 Anil K. Jain: »Medien des Wandels. Transformationen der Öffentlichkeit. In: http://www.power-xs.de/jain/pub/mediendeswandels.pdf, S. 7.

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V. M EDIENKUNST -W ERKE T OKIO

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Im Gegensatz zur großen Auswahl an Arbeiten zu New York gibt es nur sehr wenige zu Tokio. Dies erstaunt zwar angesichts der weltweiten Bedeutung und Beachtung der Megacity, ist aber wohl auf die offiziell immer noch abwartende bis »geschlossene« japanische Haltung gegenüber externen kulturellen Einflüssen zurückzuführen.1 Die Möglichkeit, an japanische Medienkunst-Werke zu Tokio zu gelangen, gestaltet sich schwierig; überdies scheint die japanische Großstadt viel stärker in Filmen2 als in Medienkunst-Arbeiten präsent zu sein. Durch Recherchen bei nationalen und internationalen Festivals, Ausstellungen und Medienkunst-Zentren ließen sich dennoch drei sehr heterogene Werke aus insgesamt sechs Arbeiten zu Tokio auswählen, Die drei Arbeiten unterscheiden sich in ihrer gestalterischen und konzeptionellen Inszenierung deutlich voneinander: Das interaktive Netzkunst-Projekt IO_DENCIES TOKYO von Knowbotic Research nimmt zehn Tokioter Distrikte als Basis für ein abstraktes und hochkomplexes Stadtmodell, das auf eine grundlegende Hinterfragung von Urbanität zielt. Das Video ELSEWHERE von Egbert Mittelstädt gibt eine alltägliche S-Bahnfahrt in Tokio wieder und verdichtet die S-Bahn zu einem meditativ-poetischen Innenraum. Die CD-Rom TOKYOCITY.EE von Raivo Kelomees reduziert die asiatische Großstadt auf ihre urbane Mikrostruktur und präsentiert sie als semiotisches Rätsel.

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Dies bedeutet, dass für positiv befundene Errungenschaften anderer Kulturen durch eigene Fertig- und Fähigkeiten assimiliert werden und so eine mehr adaptionsfähige denn offene japanische Gesellschaft vorherrscht. Vgl. hierzu Wilhelm Klauser: »Tokio«. In: Stefan Bollmann (Hg.), Kursbuch Stadt. Stadtleben und Stadtkultur an der Jahrtausendwende, Stuttgart 1999, S. 311-320. Volker Grassmuck weist auf den zentralen Begriff der Geschlossenheit hin, der Japan historisch (durch die Abschließung des Landes während der Edo-Zeit) und topologisch (durch die Insellage) prägt, was Japan zum »geschlossenen diskursiven Raum« werden lässt. Vgl. Volker Grassmuck, Geschlossene Gesellschaft Mediale und diskursive Aspekte der »drei Öffnungen« Japans, München 2002. Hinzuzufügen ist, dass auch in Tokio die Offenheit für internationalen künstlerischen Austausch geringer wird, wie beispielsweise die Schließung des Cannon ARTLAB Tokyo im Jahr 2001 und die Einschnitte im Budget des ICC (InterCommunication Center) Tokyo zeigen, die beide zentrale Produktions- und Ausstellungsstätten für experimentelle Medienkunst sind bzw. waren. Vgl. hierzu Armin Medosch: »Japan: Firmenumstrukturierung gefährdet Medienkunst-Institutionen. Kuratoren des Canon ARTLAB geben auf; Veränderungen auch bei NTT [ICC]«. In: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/9317/1.html. Siehe z.B. TOKYO-GA (Wim Wenders, 1985), TOKYO EYES (JeanPierre Limosin, 1998) oder LOST IN TRANSLATION (Sofia Coppola, 2004).

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1. KNOWBOTIC RESEARCH: IO_DENCIES TOKYO 1997 entwickeln Knowbotic Research3 ihr interaktives Netzkunstprojekt IO_DENCIES TOKYO,4 das zum einen als Präsentation im Internet und zum anderen als Installation in den Ausstellungsräumen des ARTLAB in Tokio zum Einsatz kommt.5 Der Projekttitel »IO_DENCIES TOKYO« ist eine Zusammensetzung aus den Initialen »I« und »O«, die für den Inund Output von Informationen stehen, und aus »DENCIES«, das eine Zusammensetzung von »density« (Dichte) und »tendency« (Tendenz) ist. Das »IO« lässt sich auch als die englische Zahl »ten« lesen, so dass sich aus »IO_DENCIES« die Lesart »tendencies« ergibt. Demzufolge bezeichnet der komprimierte Titel IO_DENCIES TOKYO die computergestützte Verdichtung von ein- und ausgehenden Informationen in Tokio, um urbane Tendenzen in ihrer Komplexität aufzuzeigen. IO_DENCIES TOKYO versteht sich als abstraktes Stadtmodell von Tokio, in dem urbane Dynamiken digital sichtbar und potenziell umstrukturierbar gemacht werden können. In Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Soto Ichikawa, der als »city collaborator« bezeichnet wird, ernennen Knowbotic Research zehn zentrale Tokioter Gebiete zu »urbanen Kräftefeldern«. Auf Grundlage einer zuvor durchgeführten Feldstudie vor Ort,6 werden die zehn Tokioter Kommerz- und Verkehrsknotenpunkte wegen ihrer lokalen Charakteristika und ihrer Energiepotenziale ausgewählt und zu urbanen »Profilen« erklärt (Abb. 21). Es erfolgt ein Transfer der »Profile«Forschungen in Computerdaten, die jedem Nutzer auf der Startseite des Netzprojektes von IO_DENCIES TOKYO zur Verfügung gestellt werden.7 Die zehn Profile können einzeln angewählt werden und besitzen im oberen Bereich jeweils urbane Knotenpunkte bzw. »Ströme«, die sich in die fünf Kategorien »Mensch«, »Information«, »Ökonomie«, »Verkehr« und »Architektur« gliedern (Abb. 22). Alle diese »Ströme« erscheinen 3

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1991 gründen Christian Hübler, Yvonne Wilhelm und Alexander Tuchacek an der Kunsthochschule für Medien in Köln die Gruppe Knowbotic Research. IO_DENCIES TOKYO ist das erste Projekt in ihrer IO_DENCIES-Reihe, die 1998 mit IO_DENCIES SAO PAULO, 1999 mit IO_DENCIES LAVORO IMMATERIALE und 2000 mit IO_DENCIES RUHRGEBIET fortgesetzt wurde. ARTLAB Tokyo gründete sich 1991 unter dem Kuratorenteam Yukiko Shikata und Kazunao Abe und präsentierte seitdem regelmäßig interaktive computerbasierte Kunst, so z.B. 1993 die Ausstellung »Psychoscape: Mind Observation through Art« oder 1996 »Molecular Informatics«. Diese Feldstudie ist nicht öffentlich publiziert worden. Die URLs der Startseite lauten http://www.khm.de/people/krcf/ und http:// www.canon.co.jp/cast/.

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als grafische Java-Applets, die in Form, Dichte und Lautstärke variabel sind und einzeln oder simultan aufgerufen werden können. Die Eingriffsmöglichkeiten des Nutzers bestehen in der Aktivierung von kleinen Icons am unteren Bildschirmrand, den »Attraktoren«, welche die grafische Darstellung der »Ströme« verändern. Alle Eingriffe der User werden in IO_DENCIES TOKYO zunächst auf einer Datenbank gespeichert. Bei Ähnlichkeiten eines aktuell vorgenommenen Eingriffs mit vorangegangenen Nutzerspuren ändert sich das Aussehen der Datenbewegungen, indem sie entsprechend dichter, schwächer etc. werden. Erweisen sich die Ähnlichkeiten als sehr stark, werden die Spuren des vorangegangenen Nutzers zum »Remote Attractor«, der die Handhabung des aktuellen Users stört. So entsteht ein Cluster aus mehrschichtigen grafischen Vektoren, die ständig mittels Knowbots8 miteinander verbunden sind. Diese Knowbots stellen verschiedene Informationsverknüpfungen für alle User bereit und halten die grafischen Interaktionsmöglichkeiten aufrecht. Bei der Ausstellungssituation von IO_DENCIES TOKYO gibt es zwei Präsentationsformen, die sich überlagern. Grundsätzlich existiert die virtuelle »Interventions-Zone«, die alle Internetnutzungen des Projektes umfasst. User können sich weltweit unter den Internetadressen des Projektes ein urbanes Profil ihrer Wahl herunterladen und beeinflussen. Im ARTLAB-Ausstellungsraum gibt es zudem drei Computer-Terminals mit Internetzugängen zum Projekt, die sich auf der erhöhten Galerie des Ausstellungsraumes befinden (Abb. 23). Im Stockwerk darunter gibt es den Raum der »Effekten-Zone«, die mit Transparentfolie ausgekleidet ist und eine große Projektionswand besitzt. Dort orientieren sich die Besucher mittels tragbarer Minibildschirme, auf denen das Projekt und die zehn Tokioter Distrikte als Videoeinspielungen anwählbar sind. Eine große Leinwand in der »Interventions-Zone« projiziert das Gesamtbild aller Interneteingriffe aus Monitoren, Terminals und Minibildschirmen. Die entstehenden Überlagerungen werden durch grelle Stroboskop-Lichtblitze, Schrifteinblendungen am Boden und laute Klanggeräusche in Szene gesetzt (Abb. 24). Die Installation IO_DENCIES TOKYO bewirkt so eine audiovisuelle Verschränkung der Interventions- und der Effekten-Zone. Dabei koppelt sie die Nutzer- und Besuchereingriffe an die Realisation einer interaktiven Live-Performance.

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Knowbots (eine Zusammensetzung aus »knowledge« und »robots«) sind lernfähige, autonome Software-Agenten, die verschiedene Daten miteinander verbinden können und mit einer Interface-Funktion ausgestattet sind.

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Unitärer Urbanismus, Kartografien und Vorstellungsraum Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Internetzugang zum IO_ DENCIES TOKYO-Projekt über die Zeit der Ausstellung hinaus zur weiteren Nutzung unter den beiden o.g. Netzadressen bestehen bleibt. Dadurch findet der Aspekt der Dauer bei diesem Netzkunstprojekt eine grundsätzliche Berücksichtigung. Knowbotic Research beziehen sich auf die konkrete Stadt Tokio, indem sie anhand einer lokalen Feldstudie zehn Distrikte auswählen. Da sie einer Feldstudie vor Ort in Zusammenarbeit mit einem japanischen Architekten entstammen, findet das Wissen um Tokioter Traditionen und Entwicklungen als kundige »Feldforschung von innen« ebenso Berücksichtigung wie der »Blick von außen« durch Knowbotic Research. Visuell verdeutlichen Knowbotic Research ihre lokale Referenz durch den Ausschnitt des Tokioter Stadtplanes, auf dem die Namen der zehn Distrikte vergrößert und zusätzlich mit einem roten Kreis umrandet sind (Abb. 21). Diese Markierung von lokalen Einzigartigkeiten stellt die Mikrostruktur von Tokio heraus: Es handelt sich um die Verkehrs- und Kommerzknotenpunkte Ginza Shopping Area, Fish Market, Highway Entrance, Hama-Rikyu Park, Homeless Area, Plaza Hillside, Hinode Passenger Terminal, Imperial Hotel, Shimbashi Station, JR-Appartment Houses und World Trade Center Building. Die Videoeinspielungen der zehn Zonen sind eine Visualisierung des Realraumes von Tokio. Aufrufbar in der oberen linken Hälfte des Monitorbildes erscheinen die kurzen Videoeinspielungen im kleinformatigen Real-Player-Modus als visuelle Feldstudie vor Ort. Sie sind formale Studien von Tokioter Infrastrukturen, Architekturgebilden, Verkehrsknotenpunkten, Einkaufszonen etc., so dass sie den geografischen Raum ausschnittweise abbilden und erste visuelle Informationen über das Aussehen der anwählbaren Zonen geben. Die Videos bestehen aus dokumentarischen Bildern, die durch grafische Einfügungen digital bearbeitet worden sind. Somit visualisieren die Einspielungen die vom Projekt vertretene Vorstellung, dass sich Tokios lokales Ordnungsschema aus divergenten Profilen und Strömen zusammensetzt und die Stadt ein Ort der Agglomerationen und Verflechtungen ist. Alle Einspielungen lenken die Wahrnehmung des Users dahingehend, die asiatische Stadt als strukturelle Komposition aus urbaner Dichte, sich überlagernden Ebenen und vielschichtigen Entwicklungsachsen wahrzunehmen. Damit fungieren die Videos in IO_DENCIES TOKYO als exemplarische Sichtbarmachungen der energetischen Knotenpunkte von Tokio. Eine Entsprechung zu dem derart strukturierten Tokio findet sich im Installationsraum, da der ARTLAB-Ausstellungsraum die zehn »Profile« abbilden und stellvertretend für das in IO_DENCIES TOKYO markierte Tokioter Shimbashi-Gelände stehen soll. Das Shimbashi-Gebiet wird von 135

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Knowbotic Research als zentraler Ort gewählt, weil es ein großes, leerstehendes Areal beeinhaltet. Dieses für Tokio ungewöhnliche Vorhandensein von großflächig unbebautem Raum ergibt sich daraus, dass das markierte Shimbashi-Gebiet zu einer archäologischen Ausgrabungsstätte der Edo-Ära erklärt wurde. Der große, leere Shimbashi-Raum ist umrahmt vom Konsumdistrikt Ginza, verschiedenen Schnellstraßen und mehreren Bahn- und U-Bahnlinien. Dieser Tokioter Realraum erfährt im Ausstellungsraum einen Transfer zum Kunst- und Aktionsraum, so dass im ARTLAB eine gezielte symbolische Aufladung der lokalen Umgebung stattfindet. Dabei bildet das Eingebettetsein des Besuchers in Licht-, Klang- und Schriftimpulse symbolisch die urbane Leere-DichteRelation von Tokio ab (Abb. 24). Zudem wiederholt sich die archäologische Komponente durch den leerstehenden Ausstellungsraum, in dem die Besucher die komplexen Schichten des Projektes erforschen müssen. In IO_DENCIES TOKYO verweisen die Videoeinspielungen vom Lokalraum und die Eingriffsmöglichkeiten im Kunstraum auf die Vorstellung, urbane Plätze belagern und sich ihre Energien transitiv wieder aneignen zu können. Das Projekt propagiert eine auratische Aufladung von bestimmten topografischen Regionen, um die Transformationskraft von Tokio zu suggerieren. Diese Vorstellung bildet eine Parallele zu unterschiedlichen Avantgardebewegungen, die das revolutionäre Potenzial der Großstadt betonen. So feierten die Futuristen Metropolen als gegenwärtige und zukünftige Motoren von aggressiven Dynamiken, Beschleunigungen und Energien, und die Surrealisten suchten im Alltag der Großstadt das Auftauchen der »Merveille« (das Wunderbare/Merkwürdige) und betonten das Widersprüchliche, das Zufällige und die Kraft der subjektiven Imagination.9 Insbesondere die Situationisten10 nutzten die Großstadt zur Ausrufung ihres »unitären Urbanismus«, den sie betrachteten als die »Theorie der gesamten Anwendung der künstlerischen und technischen Mittel, die zur vollständigen Konstruktion eines Milieus in dynamischer Verbindung mit Verhaltensexperimenten zusammenwirken.«11 Diese situationistischen Zuschreibungen haben Knowbotic Research beeinflusst. Daher lässt sich folgende Verlautbarung zu IO_DENCIES TOKYO wie eine technisch und theoretisch aktualisierte, 9

Vgl. Marianne Österreicher-Mollwo: Dadaismus und Surrealismus. Bildkunst des 20. Jahrhunderts, Freiburg i.B. 1978. 10 Die künstlerische Avantgardebewegung der Situationistischen Internationale (SI), die aus Künstlern, Fotografen, Filmemachern, Malern und Schriftstellern bestand, gründete sich 1957 in Norditalien und proklamierte die revolutionäre Umwandlung der Lebenspraxis. 11 Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig (Hg.), Die Situationistische Internationale 1957-1972, Ausstellungskatalog des Museums des Zwanzigsten Jahrhunderts, Wien 1998, S. 184.

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komplexe Variante des situationistischen Urbanismus lesen: »The project creates a topological cut through the heterogeneous assemblage of physical spaces, data environment, urban imaginations, connective agencies and individual experiences, and forms a model for the complex way in which network topologies will have to be questioned.«12 Die programmatischen Herangehensweisen der Situationisten als auch von Knowbotic Research sehen in Metropolen Laboratorien von verborgenenen Spielregeln. In IO_DENCIES TOKYO wird Tokio zum Ort von sublimen urbanen Kräften, die individuelle und kollektive Dimensionen besitzen. Dabei ist die urbane Imagination im Netzprojekt nur ein Faktor innerhalb eines komplexen urbanen Gefüges. Angesichts der divergierenden und heterogenen Prozesse dieses Gefüges befragt IO_DENCIES TOKYO die Stadt auf ihre Modellhaftigkeit hinsichtlich zukünftiger globaler Entwicklungen. In Anlehnung an Hartmut Häußermanns mental-geografische Metropole der Moderne (s. »Zentrale Mythen«), findet im Netzprojekt eine symbolische Aufladung mit urbanen Potenzialen statt, die Tokio zu einem Kristallisationspunkt der Zukunft erhebt. Durch die Suggerierung einer Zeit des Umbruchs und der Desorientierung steigt die Erwartung an Tokio, richtungsweisende Tendenzen und Antworten für mögliche Existenzformen aufscheinen zu lassen oder konkret aufzuzeigen. Knowbotic Research wählen Tokio als einen im Umbruch begriffenen und gerade deswegen richtungsweisenden Ort innerhalb einer Zeit des technologischen Wandels aus. Um Tokio auf manifeste und latente urbane Tendenzen hin zu befragen, bedient sich IO_DENCIES TOKYO grundlegender musealer Verfahrensweisen, die im Sammeln, Speichern, Kategorisieren, Vermitteln, Präsentieren, Ausstellen sowie im Publizieren und Auslösen von Diskussionen bestehen. Da Knowbotic Research nach eigenen Aussagen weniger Kunstwerke als vielmehr interdisziplinäre Projekte realisieren,13 arbeiten sie in ihren Projekten mit Informatikern, Wissenschaftlern und Architekten zusammen. Auch bei IO_DENCIES TOKYO sammeln Knowbotic Research mit Hilfe von Experten vor Ort Eindrücke und Fakten, speichern sie digital und transferieren sie auf Datenbanken. Wolfgang Ernst benutzt daher hinsichtlich des Netzprojektes die Bezeichnung »Datenarchäologie« und meint das spezielle Archiv einer Datenbank, das die Analyse von Schichten betreibt, die eine Stadt informieren.14 Die Re-

12 Artlab 7 (Hg.), IO_DENCIES TOKYO. Questioning Urbanity – Knowbotic Research, Ausstellungskatalog, Tokio 1998, S. 8. 13 Yvonne Wilhelm, zit. n. Armin Medosch: »Mem_brane – Labor für mediale Strategien«. In: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/3/3007/1.html. 14 Wolfgang Ernst: »There is No City? Non-located data versus local concreteness«. In: Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, a.a.O., S. 34.

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sultate dieser Recherchen finden dann in speziellen Kategorien Niederschlag. Termini wie »Ströme«, »Profile«, »Attraktoren« oder Eingriffsoptionen wie »löschen«, »umleiten« etc. dienen zur Einordnung und Sammlung von unterschiedlichsten Aktivitäten. Die Einteilung in Kategorien ist eine Inventarisierung, die den Nutzeraktivitäten durch komprimierte Schlagworte operationale Vorgaben macht. Diese Vorgaben stellen Schemata dar, mit denen die User das vorgegebene Modell von Tokio zu entschlüsseln versuchen. Die Präsentation von IO_DENCIES TOKYO erfolgt durch zwei Arten von Kartografien. Die eine bildet die reale topografische Ausdehnung in Gestalt eines Stadtplanes sowie die fokussierten Stellen als »Profile« ab. Diese Stellen wurden zuvor vor Ort in ihren Einzelheiten durchmessen und erfasst, um dann als Vorgabe zur Verfügung zu stehen. Die Markierungen auf dem Stadtplan ermöglichen ein gewisses Maß an räumlicher Orientierung und repräsentieren die aktuelle Baugestalt Tokios. Söke Dinkla umreißt die Bedeutung der Kartografie für die Organisation von komplexen interaktiven Medienkunst-Werken: »Die Karte ist abstrakt und konkret zugleich und lässt daher eine Neubewertung des Raumes zu, die weitgehend auf gewohnte Formen der Repräsentation verzichtet. An die Stelle der Welt der Objekte tritt eine Welt des Textes und der Zeichen. Diese Zeichen werden nicht linear wahrgenommen, sondern sie sind wie ein sich verzweigendes Netz organisiert.«15 Da auch Knowbotic Research auf gewohnte Formen der Repräsentation verzichten, basiert IO_DENCIES TOKYO auf einer abstrakten, vernetzten Kartografie, die alle Datenmengen zusammenfasst. Durch diese Kartografie geschieht eine situative Visualisierung von unsichtbaren kommunikativen Prozessen in Tokio. In ihrer grafischen Zeichenhaftigkeit verbindet die Kartografie übergeordnete Strukturen und versucht, künstlerische Handlungsfähigkeit in temporär gewandelten Räumen zu ermöglichen. Hans Ulrich Reck erläutert die Methode der Kartografie von Knowbotic Research wie folgt: »Künstlerische Praxis wird im folgenden verstanden als Konstruktion von Handlungen, die sich verschiedener Kartografien bedienen, nicht zuletzt solchen, die sich dem Umbau der virtuellen Maschinerien, des Netzes und der Verbindung von Ort und Dislokation, der stetig wechselnden Beziehung zwischen virtuellen und realen Räumen widmen. Künstlerische Praxis entwickelt spezifische Methoden, um spezifische Handlungsweisen zu generieren. Sie wirkt konkret innerhalb verbundener Kartografien.«16

15 Söke Dinkla: »Das flottierende Werk«, a.a.O., S. 74. 16 Hans Ulrich Reck: »Konnektivität und Kartografie«. In: http://aleph-arts. org/io_lavoro/textos/io_lavoro_reck.html.

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Kartografien umfassen demzufolge verschiedene gesellschaftliche, räumliche, technische etc. Prozesse, die sich als Ansatzpunkte für die Eingriffe von praxisbezogenen, künstlerischen Strategien eignen. Knowbotic Research setzen die Kartografien als Metaphern für die Vermittlung und die kreative Sichtbarmachung von gesellschaftlichen Veränderungen ein. Die beiden Formen der Kartografie in IO_DENCIES TOKYO deuten auf eine Aktualisierung des situationistischen Vorgehens, Kartografien – genau dieser Begriff wurde bereits von den Situationisten benutzt – anzulegen. Die Situationisten entwickelten für ihre Verhaltensexperimente zwei Strategien, um sich die Stadt spontan anzueignen. Sie propagierten das »Détournement« als dem ziellosen Umherstreifen durch das Stadtlabyrinth und dem absichtsvollen Missverstehen der vorgegebenen Topografie, und ergänzten dies mit der »Dérive« als dem nomadischen Umherwandern nach dem Zufallsprinzip.17 Die Ergebnisse von beiden Aktivitäten wurden in collageartige Kartografien übertragen (Abb. 25), die das spielerische Strudeln und die willentliche Orientierungslosigkeit nachzeichneten.18 Aus den Umwegen und Entdeckungen entstanden eine Vielzahl von urbanen Zentren und ein verdichtetes Gewebe aus Bewegungsrichtungen. Für das labyrinthartige Gebilde, das die Kartografien zum Ort des Unbekannten jenseits von konventionellen Stadtplänen machte, prägten die Situationisten den Ausdruck »Psychogeographie«.19 Knowbotic Research übernehmen Elemente der situationistischen Strategien, indem sie die vorgegebenen Topografien auf eine computerbasierte Ebene übertragen, den Zufall per Knowbots integrieren und das imaginäre Umherstreifen im digitalen Labyrinth von Tokio ermöglichen. Daher macht die symbolgeladene Präsentationsform der Kartografie die Anknüpfung an avantgardistische Traditionen deutlich. In der Präsentation von IO_DENCIES TOKYO wiederholt sich die bereits von den Situationisten beabsichtigte Kollision diverser Schichten und die Verdichtung urbaner Zentren durch die Darstellung von Variablen und Vektoren. In Anlehnung an den Stellenwert von Manifesten, die von den frühen Avantgardebewegungen der Öffentlichkeit vorgetragen wurden, legen auch Knowbotic Research auf öffentliche Verlautbarungen großen Wert.20 Bereits der programmatische Name Knowbotic Research verweist auf die computerbasierte Erforschung von komplexen gesellschaft17 Détournement meint eine Umleitung oder einen Umweg und besitzt auch die Nuancen von Veruntreuung, Verdrehung, von verdeckten Wegen und Schlichen, und Dérive meint das raumzeitlich unbegrenzte Taumeln im Stadtgefüge. 18 Vgl. Simon Sadler: The Situationist City, Cambridge Massachusetts 1998. 19 Vgl. ebd., S. 76f. 20 Siehe Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, a.a.O., S. 47.

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lichen Prozessen, weswegen sich das IO_DENCIES TOKYO-Projekt als Katalysator und Plattform einer Debatte über neue Formen öffentlicher Erfahrungsräume versteht. Das richtungsweisende Infragestellen von wissenschaftlichen Mustern soll bei Knowbotic Research dazu führen, eine neue – weder individuell noch zentral gesteuerte – intermediäre Form von Wissen zu schaffen, wie es Reck beschreibt: »Wie können Handlungen erzeugt werden, die eine Relevanz entwickeln und für deren – dann auch politische, soziale etc. – Entwicklung künstlerische Prozesse und die Initiierung bestimmter Methoden nicht nur eigenständig, sondern unvergleichlich und unverzichtbar sind?«21 Zur In-Gang-Setzung einer öffentlichen Debatte sorgen Knowbotic Research bei IO_DENCIES TOKYO für gedruckte und auch im Internet abrufbare Erläuterungen. Sie versehen ihr Projekt zudem mit einer didaktischen Anleitung bzw. einer operativen »Interventions-Beschreibung«. Alle Publikationen kombinieren einen formalen Manifest-Charakter mit komplexen intellektuellen Referenzen. Das Referenzuniversum reicht vom marxistischen Städtephilosphen Henri Lefêbvre über Félix Guattaris Maschinismus, vom Dekonstruktivismus bis zur Urbanismustheorie von Rem Koolhaas u.v.a.m. So lauten die Einstiegserklärungen für IO_ DENCIES TOKYO wie folgt: »Non-hierarchical electronic networks provide experimental fields for collaborative/connective ways to deal with urban forces. [...] IO_DENCIES looks at urban environments, analyses the forces present in particular urban situations, and offers experimental collaborative interfaces for dealing with these force fields. [...] Inside these heterogeneous dynamics the project offers tactical connectivities, operative clashes, tendential relations and transformative structures as a possible vocabulary for critical networking.«22

Da sich die kritische Netzwerkarbeit von Knowbotic Research als Auslöser von Diskussionen versteht, existiert in IO_DENCIES TOKYO der programmatische Untertitel »Questioning Urbanity«, was das Infragestellen bzw. die Befragung von Urbanität bedeutet. Heterogene wissenschaftliche Fragestellungen dienen zur topologischen Erforschung und zum Entwurf von situativen Handlungsexperimenten. Wissenschaftliche Recherchen befinden sich im Austausch mit künstlerischen Reflexionen und befragen Urbanität durch eigens entwickelte Kommunikationstechnik. Mit dem »Questioning Urbanity« erfolgt eine Grundlagenforschung, die Kunst, Wissenschaft und Technikeinsatz produktiv machen und gleichzeitig auch zur Disposition stellen möchte. Diese Zusammenballung von lokalen Beobachtungen, radikalen intellektuellen

21 Reck: »Konnektivität und Kartografie«, a.a.O. 22 Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, a.a.O., Katalog-Innenseite.

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Thesen und eigens entwickelten grafischen Konstrukten fordert aktive Stellungnahmen der Rezipienten heraus. Für den Nutzer werden Handlungsfelder in neu geschaffenen Artikulationsräumen ermöglicht. Insbesondere in der Ausstellungssituation entwickelt sich ein situativer Erlebnisraum, der eine kommunikative »Versuchsanordnung« aus wissenschaftlichen Referenzen und kreativer Praxis darstellt. Hans Ulrich Reck spricht bei IO_DENCIES TOKYO daher von einem »animierten Raum« als dem poetischen Versuch, eine Schnittstelle zwischen den Datenräumen und dem Wahrnehmungsraum der Besucher anzubieten.23 In der Ausstellungssituation kommt es zu einer Produktion von real-suggeriertem Raum, der durch technische Apparate abstrakte urbane Imaginationen erfahrbar macht. Dieses symbolisch-konkrete Erlebnis im Ausstellungsraum schafft ein imaginäres Wahrnehmungsfeld, das mit Henri Lefêbvres Begriff vom »Vorstellungsraum« bezeichnet werden kann: »Die Räume der Repräsentation (oder Vorstellungsräume), das heißt der Raum, wie er durch die begleitenden Bilder und Symbole hindurch erlebt wird, der Raum der ›Bewohner‹, der ›Benutzer‹ [...]. Er ist der beherrschte, also erfahrene, erlittene Raum, den die Einbildungskraft abzuwandeln und sich selbst anzuverwandeln sucht. Er überlagert den gesamten physikalischen Raum, indem er dessen Gegenstände symbolisch verwendet. Unter den gleichen Vorbehalten wie zuvor könnte man sagen, dass diese Vorstellungsräume auf mehr oder weniger kohärente Systeme nichtverbaler Symbole und Zeichen hinstreben.«24

Diese Anverwandlung von physikalischen Räumen durch symbolische Vorstellungsräume geschieht in IO_DENCIES TOKYO auf sehr komplexe Weise, da sie sowohl kontrolliert als auch unkontrolliert abläuft. Die eingesetzten Knowbots steuern und koordinieren die Nutzerspuren und die audiovisuelle Datenausgabe. Dabei entsteht eine Komplexität von Zeichen, die von keinem festen Punkt aus mehr kontrollierbar ist.25 Das algorithmische Handlungskonzept des Projektes betrachtet die Imagination als ein prozessuales Element neben dem der Programmierung, der Kommunikation und des Experimentes. Daher bezieht sich die symbolische Ebene in IO_DENCIES TOKYO eher auf ambivalente Kommunikations- und Kooperationsstrukturen in experimentellen Handlungsabläufen als auf eine direkte Relation zum Lokalraum.

23 Vgl. Hans Ulrich Reck: Kunst als Medientheorie. Vom Zeichen zur Handlung, München 2003, S. 437. 24 Henri Lefêbvre zit.n. Walter Prigge: »Die Revolution der Städte lesen. Raum und Repräsentation«. In: Martin Wentz (Hg.), Stadträume. Die Zukunft des Städtischen, Frankfurter Beiträge Bd. 2. Frankfurt a.M. 1991, S. 104 (Lefêbvre im Original: La production de l’espace. Paris 1974). 25 Vgl. Reck: Kunst als Medientheorie, a.a.O., S. 406.

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Konfliktästhetik, Maschinismus und Vernetzungen Grundsätzlich geht es bei IO_DENCIES TOKYO um die Vormachtstellung von Technologien innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Gefüges. Die Hierarchisierung, die mit der Dominanz der neuen Kommunikationstechnologien einhergeht, soll durch die beiden Kommunikatoren der Interaktion und der Intervention in Frage gestellt werden. Diese operationelle Verschränkung von Kommunikationsprozessen ist nur zu verstehen, wenn man den großen Einfluss der Dekonstruktion26 auf zentrale Prämissen und Vorgehensweisen im IO_DENCIES TOKYO-Projekt berücksichtigt. Die dekonstruktivistische Denkart betrachtet Eindeutigkeit als Konstrukt und greift daher herkömmliche Begriffszuschreibungen konsequent an. Grundsätzlich wird jegliche Struktur als gespalten angesehen, so dass wiederholte Verschiebungen, Verlagerungen und Veränderungen Lücken im Strukturgefüge offenlegen. Mark Wigley spricht bei der Dekonstruktion von einer kontinuierlichen Veränderung von Struktur: »Dekonstruktion [...] ist ein fortlaufendes strukturelles Ereignis, eine kontinuierliche Veränderung von Struktur, die sich in den traditionellen Begriffen deshalb nicht fassen lässt, weil sie eben diese Begriffe frustriert.«27 Auch IO_DENCIES TOKYO operiert mit einem neuen Begriffsvokabular, das dominante urbane Strukturen in Tokio heraus-filtert. Daher ergeben sich Bezeichnungen wie »Ströme« für Stadtenergien, »Profile« für Gebiete oder »Non-Locations« für Orte. Derartige Begrifflichkeiten betonen die absichtsvolle Uneindeutigkeit und die innovative Konfiguration des Urbanen. Auf der weiter ausdifferenzierten Ebene der »Ströme« finden zudem nur dynamische Charakteristika eine Berücksichtigung: Die Kategorie »Mensch« meint die Fortbewegungsarten verschiedener Gesellschaftsgruppen, »Information« beinhaltet die Fließrichtungen öffentlicher Medien, »Ökonomie« umfasst unterschiedliche Geldflüsse und Wohnungswechsel, »Verkehr« betrachtet Straßenverläufe und diverse Verkehrsmittelströme, und »Architektur« erfasst den Rhythmus von anhaltenden und unterbrochenen Bautätigkeiten in Tokio. Diese dynamischen Bezeichnungen verweisen auf relationale Vernetzungen aller urbanen Prozesse, die in permanenter Bewegung sind. Zwischen allen

26 In Anlehnung an Martin Heideggers Forderung nach »Destruktion« und »kritischem Abbau« von philosophischen Grundbegriffen verwendet Jacques Derrida für die Destruktion und anschließende Konstruktion von Texten den Ausdruck »Dekonstruktion«. Gemeint ist die umfassende Subversion traditioneller kultureller Diskurse mit dem Ziel der Offenlegung von inhärenten labilen Faktoren. 27 Mark Wigley: Architektur und Dekonstruktion: Derridas Phantom, Diss., Basel u.a. 1994, S.40f.

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Komponenten existiert ein unentwegter, im Sinne des dekonstruktivistischen Austauschprozesses mobilisierbarer Fluss. In IO_DENCIES TOKYO ist das strategische Spiel mit verschiedenen kulturellen Prozessen zentral, bei denen ununterbrochen unaufgelöste Widersprüche sichtbar werden sollen. Das dekonstruktivistische »Lesen gegen den Strich« entspricht im Netzprojekt der »Intervention mittels Attraktoren«, bei der das bestehende urbane Gefüge neue Interpretationen und Veränderungen erfahren soll. Die grafischen Spuren der »Attraktoren«-Eingriffe sind dabei von vornherein auf die Sichtbarmachung von aggressiven Überlagerungen und Aufsplitterungen der »Ströme« angelegt. Den Störungen kommt ein großer Stellenwert zu, indem die Knowbots so programmiert sind, dass sie bei parallel verlaufenden Eingriffen die jeweils aktuellen Interventionen stören. Zudem bieten sich dem Nutzer die zehn Eingriffsoptionen »anziehen«, »bestätigen«, »durcheinanderbringen«, »umleiten«, »schwächen«, »verschmelzen«, »abstoßen«, »treiben lassen«, »organisieren« und »auslöschen«,28 die Störungen und Voraussetzungen für das Offenlegen von verborgenen Schichten darstellen. Dem dekonstruktivistischen Versuch, permanent labile Konstruktionen aufzuspüren, entspricht die im Netzprojekt obsessiv betriebene, grafische Sichtbarmachung von verstekkten Rissen und verdeckten Operationen im Urbanen. Sowohl die Dekonstruktivisten als auch Knowbotic Research gehen davon aus, dass sich erst durch die Erschütterung und die konsequente Durchkreuzung eines komplexen Sinngefüges bewegliches Kontexthandeln entwickeln kann. Daher sorgen sie für eine Ästhetisierung des Konfliktes, um die labilen, widersprüchlichen Prozesse deutlicher sichtbar werden zu lassen. In IO_DENCIES TOKYO symbolisiert die Übertragung der Konflikt-Ästhetik in den Tokioter Ausstellungsraum die dynamische Prozessualität des Projektes. Dies ist eine dramaturgische Umsetzung des dekonstruktivistischen Ansatzes, ein neues, kritisches Sinngefüge durch die Aktivierung von verschiedenartigsten Interdependenzen zu veranschaulichen. Wenn Knowbotic Research ihr erforschtes Material in eine konzeptionelle Struktur mit offenem Ausgang übertragen – in ihr programmatisches »Infragestellen von Urbanität« –, führen sie eine Befragung im Sinne des dekonstruktivistischen »offenen Ganzen« durch. Zudem beziehen sich Knowbotic Research auf die von Deleuze und Guattari verwendete Metapher des »Rhizoms«29, das ein wucherndes Geflecht aus hochgradig vernetzten Schnittstellen und Verzweigungen meint. Die mit dem Rhizom 28 Im Netzprojekt lauten die englischen Begriffe »attracting«, »confirming«, »confusing«, »diverting«, »weakening«, »merging«, »repulsing«, »drifting«, »organising« und »deleting«. 29 Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari: Rhizom, Berlin 1977.

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verbundenen Eigenschaften von Offenheit, Dezentralisierung, Heterogenität, Subversivität und Zentrifugalität werden bei IO_DENCIES TOKYO als programmatische Begrifflichkeiten übernommen und in netzförmige Diagramme übertragen. Knowbotic Research diagnostizieren für die Gegenwart insofern eine Trennung von materieller Technologie und öffentlichen Prozessen, als ein gegenwärtiger Einsatz digitaler Technik sich bestenfalls auf ihre Verwendung als gestalterisches Werkzeug beschränkt. Demgegenüber konstruieren Knowbotic Research eigens Software und spezielle Interface-Techniken für IO_DENCIES TOKYO und befragen diese auf ihr Potenzial für partizipatorische Modelle. Das erklärte Ziel des Netzprojektes besteht in der Suche nach einem sinnvollen und komplexen Technologie-Einsatz bei urbanen Planungsprozessen: »The aim, however, is not to develop advanced tools for architectural and urban design, but to create events through which it becomes possible to rethink urban planning and construction. IO_DENCIES unfolds the potentials that digital technologies might offer towards connective, participatory models of planning processes and of public agency.«30 Die apparativen Techniken sind in IO_DENCIES TOKYO daher zunächst die operationelle Basis für komplexe Artikulationsmodelle. Ähnlich zu Kittlers Gleichsetzung der Stadt mit einem Medium, das Speicherungs-, Übertragungs- und Verarbeitungsfunktionen umfasst (s. »Mediatisierung Interdisziplinär«), wird Tokio im Netzprojekt zur Folie für den Transfer und die Organisation von Datenprozessen. In der computerbasierten Darstellung von Tokio wird die Gleichsetzung der Stadt mit einem Medium offensichtlich. Ihre Digitalisierung zeigt sich angesichts der fünf urbanen Kategorien Mensch, Information, Ökonomie, Verkehr und Architektur, die als Datenströme aufgezeichnet, gespeichert und weiterverarbeitet werden. In Weiterführung von Tokios Rolle als Global City wird die Stadt im Netzprojekt zum Taktgeber und Auslöser von aktuellen, transnationalen Entwicklungen. Es entsteht ein globales Bedeutungsgefüge, das einer »neuen Logik der Agglomeration« folgt,31 doch äußert sich diese in IO_DENCIES TOKYO weniger in ökonomischen Standortfaktoren, Börsendominanzen etc. als vielmehr in einer systemischen Entdifferenzierung von urbanen Variablen. Tokio wird im Netzprojekt von einer instantanen Medienzeit dominiert, die den Gegenwarts-Charakter betont und Orte nur in ihrer aktuellen Ausprägung berücksichtigt. Ohne jegliche Miteinbeziehung von historischen 30 Knowbotic Research in Artlab 7: IO_DENCIES, a.a.O., S. 8. 31 Saskia Sassen: »E-Topoi. Global Cities und globale Wertschöpfung. Konturen des ökonomisch-elektronischen Raumes«. In: Catherine David (Hg.), Poetics/Politics – documenta X, Ostfildern 1997, S. 743.

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»Monumenten« wie z.B. dem Kaiserlichen Palast, erscheint Tokio als temporäre Stadt ohne Geschichte. Ebenso sind die computergesteuerten Nutzerspuren von Kurzzeitigkeit geprägt, da es nur zu einer vorübergehenden und später wieder gelöschten Speicherung grafischer Interventionen kommt. In IO_DENCIES TOKYO geschehen somit kurzfristige, absichtsvolle Zeitüberlappungen von sehr nah beieinander liegenden Zeitzonen. Die instantane Medienzeit liefert im Netzprojekt keine starren Zeitzonen, sondern erweckt den Eindruck einer »flüssigen«, instabilen und nicht greifbaren Zeit. Mit ihrer Auslösung von operativen Dynamiken ist die Medienzeit vektoriell auf die Zukunft ausgerichtet und fokussiert Tendenzen bevorstehender Entwicklungen. Ebenso erscheint der Tokioter Raum flüchtig, da die Präsentation des virtuellen Stadtgefüges auf die Entstehung von transformativen Zonen abzielt. Raum bedeutet im Netzprojekt vor allem Datenraum, der als »non-location« oder »dislocation« bezeichnet wird. Dies impliziert den Zusammenbruch räumlicher Grenzen sowie die virtuelle Auflösung des Ortes Tokio. Allerdings zielt IO_ DENCIES TOKYO keinesfalls eine reine »Cybercity« Tokio, sondern der Bezug zur realen Großstadt bildet die Grundlage für die Artikulationsmöglichkeit in neuen Handlungsräumen: »Utopia is not the construction of a new city, utopia is the movement towards the potencial of working together with the complexity of an existing big city in order to develop new forms of urban agencies.«32 An dieser Stelle ist es wichtig, die von Knowbotic Research vorgenommene Unterscheidung zwischen der Stadt und dem Urbanen zu berücksichtigen. Das Urbane wird als übergeordnete Maschine angesehen, die durch diskontinuierliche Brüche ständig Öffnungen bereitstellt, in denen die konkrete Maschine Stadt kurzzeitig ihre Ordnungsmuster ausstellen kann. In IO_DENCIES TOKYO steht das Urbane mit der Stadt in einem Austausch, der die Stadtstrukturen in ihrer Gesamtheit mit einbezieht und sie zu einem ereignishaften Gefüge transformieren kann: »The urban is a machine that connects and disconnects, articulates and disarticulates, frames and releases. It offers the impression that it can be channelled and controlled, that it can be ordered and structured. The city is always an attempt at realising that order which, however, is nothing than a temporary manifestation of the urban. Cities are moments or segments of ordering and reterritorialisation in the deterritorialising machinic process of the urban abstract machine.«33

32 Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, a.a.O., Katalog-Innenseite. 33 Andreas Broeckmann: »Connective Agency in Translocal Environments«. In: Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, a.a.O, S. 30.

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Demzufolge sind die Stadt und das Urbane von einer abstrakten Art der Mediatisierung gekennzeichnet, die sich nicht allein in einer digitalen Durchdringung niederschlägt. Die o.g. Hypothesen von Knowbotic Research leiten sich aus der experimentellen Konzeption des Maschinismus von Félix Guattari und Gilles Deleuze ab. Der zentrale Ansatz des Maschinismus besteht darin, Maschinen nicht als Gegensatz oder in reiner Relation zum Menschen zu sehen. Es wird kein Ähnlichkeitsverhältnis zum menschlichen Körper hergestellt, wie dies angefangen von der mechanischen Automatismus-Tradition des 17. Jahrhunderts34 bis hin zur »Künstlichen Intelligenz«-Forschung der Gegenwart geschieht. Vielmehr finden sich im Maschinismus antike Vorstellungen wieder: Zum einen im weitgefassten Begriff der »Machina« als einer konkreten Maschine, einer trickreichen Strategie oder einem verblüffenden Ereignis zum anderen in der antiken Deutung der Welt als »Neben- und Ineinander von Organischem und Mechanischem«.35 Guattari/Deleuze verbinden in ihrem Maschinismus-Konstrukt die Technik mit dem Psychischen, Sozialen und Biologischen.36 Sie erweitern in starkem Maße den Begriff der Maschine und multiplizieren ihre gesamtgesellschaftlichen Anwendungsbereiche,

34 Vgl. hierzu Henning Schmidgen: »Seit dem 17. Jahrhundert sind vor allem die Modelle des Uhrwerks und des Automaten verwendet worden, um das willentlich Unkontrollierbare, das Selbstläufige und Eigendynamische menschlichen Erlebens und Verhaltens zu beschreiben. [...] Im 18. Jahrhundert [...] bezeichnete der Begriff Automatismus erlernte Handlungsabläufe, die durch gewohnheitsmäßige Wiederholung offenbar ohne Bewußtsein ablaufen konnten, wie z.B. Gehen, Schreiben oder Klavierspielen. Im 19. Jahrhundert wurde der Automatismus-Begriff in Frankreich aufgenommen und verstärkt im Kontext der Psychopathologie verwendet. Die psychischen Phänomene, die in der Beschäftigung mit Hypnotismus und Somnambulismus beobachtet wurden, forderten Vergleiche mit Automaten, Uhrwerken und Spieldosen heraus.« Ders.: Das Unbewußte der Maschinen. Konzeptionen des Psychischen bei Guattari, Deleuze und Lacan, München 1997, S. 11. 35 Ebd., S. 15. 36 Der Maschinismus ist eine naturphilosophische Theorie der Technik, die vor allem von Henri Bergson und Karl Marx beeinflusst ist. Er führt Technik auf eine übergreifende Produktivität der Natur zurück und bezieht sie zudem auf den sozialen Zusammenhang. Im Falle der von Guattari/Deleuze propagierten »Wunsch-Maschine« handelt es sich um die unbewusste Formation von sozialen Komponenten und individuellen Beziehungen, die durch den Wunsch zusammengehalten werden. Die »Wunsch-Maschine« gilt als ein produktives und innovatives Feld, als ein »système des coupures de flux«, das von vielfältigen Beziehungsströmen biologischer, psychologischer, sozialer oder technischer Maschinen durchzogen ist. Vgl. Félix Guattari: Mikropolitik des Wunsches, Berlin 1977, S. 44.

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weswegen es z.B. die »Logikmaschine«, die »Kriegsmaschine« oder die »institutionelle Maschine« gibt.37 Nach Auffassung von Guattari/Deleuze erzeugt jede Maschine einen Strom, den eine andere, mit ihr gekoppelte Maschine entnimmt und damit einen Einschnitt durchführt. Eine weitere Maschine ist wiederum mit der Schnitt-Maschine durch den gleichen Austauschprozess verbunden. Unaufhörlich existiert ein Kontinuum an Strömen, Kopplungen und fragmentierten Teilobjekten. Es entstehen Wirkungsfelder, die angefüllt sind mit Potenzialen und Virtualitäten, und die weder eindeutig lokalisierbar noch bis ins Letzte rückführbar sind. Es kommt zu einer Ansammlung verzweigter und miteinander verschränkter Felder, die in einem desorganisierten Spannungsverhältnis zueinander stehen. Damit die heterogenen Elemente gemeinsam funktionieren und unterschwellige Potenziale zwischen den Maschinen aufgeschlossen werden, bedarf es einer zusammenführenden »Zündung«.38 Diese kann nur durch die plötzliche Abfolge von Einschnitt und Ereignis ausgelöst werden. Resultat ist ein eruptives Ereignis, das die Transformationskraft und den revolutionären Charakter der maschinistischen Prozesse veranschaulicht. Betrachtet man diese maschinistischen Hypothesen, verdeutlicht sich die experimentelle Konzeption von Strömen, Non-Locations und Interventionen bei IO_DENCIES TOKYO. Der von Guattari/Deleuze erwähnte dynamische Fluss von Prozessen wird von Knowbotic Research auf die virtuellen Netzwerk-Flüsse der Nutzeraktivitäten und auf die Ströme der urbanen Energien Tokios übertragen. Der Aspekt der »Zündung« kommt im Netzprojekt bei den Schnittstellen zum Tragen, die zu Auslösern von verschiedenartigen, ereignishaften Interaktionen werden. Andreas Broeckmann sieht im Einsatz der speziell angefertigten Computer-Terminals die transformative, maschinistische Zündung, die in einer Mischung aus Zufall und Ereignis das revolutionäre Potenzial aller urbanen Prozesse hervorholt: »This cut of one machine into another takes the form of an event or incident, it happens immediately. It is ›significant‹ insofar as it transposes expressive material from one machine to another and ruptures the semiotics of the second. The machinic cut (coupure) is 37 Vgl. Schmidgen: Das Unbewußte der Maschinen, a.a.O., S. 63f. Interessant ist im Übrigen, dass auch Schmidgen beim maschinistischen Begriffsfeld von einer Kartografie redet: »Zunächst handelt es sich um einen erweiterten Begriff der Maschine, der dazu dient, komplexe Gesamtheiten zu erfassen. [...] ›Maschinen‹ in diesem Sinne können nicht schematisiert und struktural analysiert werden. Sie müssen in ihren Einzelheiten durchmessen und abgeschildert, ›kartografiert‹ werden. Es handelt sich um Assemblagen, um Zusammenfügungen verschiedener Gegenstände zu reliefartigen Objekten, um ortsgebundene, zeitlich begrenzte Installationen.« Ebd., S. 157. 38 Ebd., S. 74.

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the interface, the ›Schnittstelle‹, it is a field of potential agency and a field of potential subjectification.«39 Broeckmann hängt demzufolge die Auslösung von produktiven Potenzialen in IO_DENCIES TOKYO einzig an der digitalen Interface-Technik auf, die Knowbotic Research eigens für ihre Projekte entwickeln. Nach der Logik des Maschinismus wäre das digitale Interface jedoch zunächst einmal eine »TechnikMaschine«, die in zwei Richtungen geöffnet ist: »Nach unten« durch die Anhäufung von heterogenen Zeichen und Materialien, aus denen qua Selektionsdruck das konkrete technische Objekt entsteht, und »nach oben« durch den gesellschaftlichen Kontext respektive die »Gesellschaftsmaschine«, auf die das Interface Einfluss ausüben oder aus der es selbst ausgeschlossen werden kann.40 Mögliches ereignisauslösendes Feld bzw. Schnittstelle wäre in IO_DENCIES TOKYO daher nicht zwingend allein die »Interface-Maschine«, sondern potenziell ebenso alle anderen technischen, sozialen etc. »Maschinen« wie die Knowbots, das ShimbashiGelände oder der Ausstellungsraum. Broeckmanns »Beschwörung« der partizipatorischen Interfaces sowie die von Knowbotic Research vertretene Vorstellung von unhierarchischen, elektronischen Netzwerken führen zum »Mythos Netz« (s. »Mediatisierung Interdisziplinär«), der sich aus der Suggestion von optimierten Interaktionen und hierarchielosen Vernetzungen speist. Das urbane Potenzial von Tokio wird in IO_DENCIES TOKYO als freier Fluss von divergierenden Energien betrachtet, was ebenfalls auf der zum »Mythos Netz« gehörigen Annahme von grundsätzlich frei umhertreibenden Netzströmen fußt. Im Netzprojekt sind zwar partizipatorische Interaktionsmöglichkeiten am Netzfluss geschaffen, die allerdings mit einer auratischen Bedeutungsverleihung einhergehen. Knowbotic Research benutzen die Begriffe »heterogene Dynamik«, »taktische Verbindungen«, »tendenzielle Bezüge« und »transformative Strukturen« als Vokabular für ihre kritische Netzwerkarbeit. Genau dieses Vokabular, das intellektuelle Strategien mit absichtsvoller semantischer Uneindeutigkeit vereint, sorgt für eine Verklärung von kritischer Netzwerkarbeit. Die Bedeutungsverleihung der Teilhabe an interaktiven Prozessen führt zu einer mythischen Überhöhung von Kommunikationsakten. Dies erschwert wiederum die proklamierte Hinterfragung von urbanen Interaktionsprozessen. Die von Jeudy konstatierte Sakralisierung von kulturellen Prozessen (s. »Mediatisierung Interdisziplinär«) lässt sich bei IO_DENCIES TOKYO in der Überhöhung des Komplexen, Radikalen und Operationellen wiederfinden. Die von Knowbotic Research verwendeten Begriffstermini 39 Broeckmann: »Connective Agency«, a.a.O., S. 29. 40 Vgl. Ausführungen zu konkreten technischen Objekten innerhalb des Maschinismus Broeckmanns. Ebd., S. 161f.

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signalisieren rhetorisch vor allem Neuartiges, Zukunftsweisendes und Bedeutungsvolles. Die intellektuellen Referenzen stellen einen großen Anspruch an eine adäquate Umsetzung des Netzprojektes. Zudem verlangen sie vom Rezipienten ein hohes Maß an intellektuellem Vorverständnis, so dass die Zurverfügungstellung von Wissen einen bereits vorhandenen Wissenslevel voraussetzt. Die mit dem »Mythos Netz« verbundene Vorstellung einer unhierarchischen Vernetzung verwundert in IO_DENCIES TOKYO insbesondere deswegen, da bereits das von Knowbotic Research verwendete Theorem des Maschinismus vom Vorhandensein übergeordneter maschinischer Instanzen qua Selektionsdruck ausgeht. Somit unterstellt der Maschinismus dezidiert ein hierarchisches Gefüge, das sich folgerichtig auch in IO_DENCIES TOKYO wiederfinden muss. Knowbotic Research übertragen alle ihre Daten und Messungen in Computergrafiken und benutzen für ihr Netzprojekt eigens konstruierte Software und Knowbots, die alle Nutzereingriffe beeinflussen. Daher ist die Absicht des Netzprojektes, komplexe partizipatorische Modelle für eine sinnvolle Hightech-Nutzung im Urbanen zu entwickeln, in ihrer Umsetzung so sehr von einer computergestützten Visualisierung und dem medialen Impetus einer innovativen Techniknutzung dominiert, dass sich eine Hierarchie des Medialen entwickelt. An der Spitze dieser Hierarchie befindet sich die rein computerbasierte Kodierung, die anstelle von partizipatorischer Bedeutungsgenierung eher permanent selbstreferenzielle Operationen ausführt. Insgesamt herrscht in IO_DENCIES TOKYO das Modell eines globalen Raumes vor, der zentrale Knotenpunkte aufweist und lokal nutzbar ist, sich jedoch permanent verändert und örtlich nicht fixierbar ist.41 Knowbotic Research gehen für die Gegenwart von dominanten Überlagerungen des elektronischen Raumes über den Lokalraum aus. So werden bereits die Ausschnitte aus Tokios physikalischem Raum auf ihre dominanten Dynamiken hin untersucht und in Netzwerk-Datenumgebungen überführt. Die Datenauswertungen folgen dem Prinzip der Heterogenität, wonach fragmentarische Stadtteile zu vielfach gebrochenen Zonen erklärt werden. Knowbotic Research definieren eine Stadt per se – und schließen auch Tokio ein – als fragmentarisch und kontrastieren sie mit elektronischen Netzwerken, die als beschleunigtes Verbundsystem bezeichnet werden. Diese strikte Trennung von Städtischem und Netzwerken relativieren Knowbotic Research insofern, als die zeitgenössische Stadt ihrer Meinung nach immer mehr von elektronischen Eigenschaften geprägt ist:

41 Zu der Reorganisation des globalen Raums vgl. Martina Löw: Raumsoziologie, a.a.O., S. 104ff (vgl. Kap. IV FN 37).

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»The Tokyo IO_DENCIES project combines physical, local urban dynamics of the selected city quarter of Shimbashi with virtual network flows (the activities of the participants on the net). [...] The urban system of a city (broken, fragmented) is quite different from the system of an electronic network (highly connected and accelerated). Yet the physical structures of a city nowadays consists of many electronic qualities, therefore one cannot separate anymore between physical and electronic world.«42

Dieser aktuellen Dominanz von elektronischen Vernetzungen über den physikalischen Stadtraum und der fragmentarischen Stadtstruktur muss in zweierlei Hinsicht widersprochen werden: Zum einen weist Friedrich Kittler auf die historische Komponente einer Mediatisierung des Urbanen hin, derzufolge Vernetzung und Beschleunigung von Informationsspeicherung und -weitergabe durchaus keine rein zeitgenössischen urbanen Phänomene sind, sondern bereits die Aufgaben früherer Stadtmodelle kennzeichnen: »Zur Berechnung, Speicherung und Übertragung von Zahlen gibt es aber Medien. Eine griechische Stadt, vermutlich Milet, hat unsere ältesten Medien hervorgebracht: Die Münze und das Vokalalphabet. Rom, um aus einer Stadt zum Staat zu werden, übernahm das ausgebauteste aller orientalischen Übertragungsmedien: die Staatspost der Achämeniden.«43 Auch wenn Kittler den Begriff des Mediums in weitaus generalisierender Weise als Knowbotic Research benutzt, indem er die Stadt mit einem reinen Datenspeichermedium gleichsetzt, so bewahrt seine historische Kontextualisierung von medialen Stadtfunktionen vor einer Engführung. Die Setzung von Knowbotic Research, eine Stadt sei erst im elektronischen Zeitalter von Informa-tionsvernetzungen gekennzeichnet, muss deshalb dahingehend korrigiert werden, dass Städte von Beginn an immer auch die Funktion einer medialen Datenzentrale besitzen. Zum zweiten erstaunt die in IO_DENCIES TOKYO vorgenommene Gleichsetzung der Stadt mit einem gebrochen-fragmentarischen Gebilde, denn gerade Tokio weist eine rhizomatische Stadtgestalt auf, die eher eine wuchernde Symbiose als eine zusammenhanglose Aufsplitterung ist. Insbesondere die Qualitäten der Vernetzung und der Beschleunigung, die Knowbotic Research der elektronischen Welt zuschreiben, finden sich in Tokios historischer Betonung von Nachbarschaften, optimierten Transportsystemen und seiner Vielzahl von Zentren wieder, die in der Metropole nicht erst seit dem technologischen Wandel vorherrschen. Der von Knowbotic Research beschriebene Mediatisierungsprozess, in dem elektronische Netzwerke die Stadt strukturieren, ist bei Tokio gegenläufig: 42 Knowbotic Research in Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, S. 8f. 43 Friedrich Kittler: »Die Stadt ist ein Medium«, a.a.O., S. 233 (vgl. Kap. II FN 31).

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Da der Tokioter Realraum immer schon über gut ausgebildete, miteinander vernetzte Sozial- und Infrastrukturen verfügt, ist er umso geeigneter für die Adaption von später hinzukommenden elektronischen Netzwerken. Es ist demnach die bereits vorhandene soziale Netzstruktur, welche die elektronische Technologie integriert. Translokale Interventionsfelder Das Netzprojekt visualisiert Tokio als elektronischen »datascape«, in dem zukünftige urbane Tendenzen zum Vorschein kommen. Die Befragung des »Informationskörpers« Tokio zielt jedoch nicht auf eindeutige Antworten hinsichtlich konkreter urbaner Umsetzungsmöglichkeiten oder auf praktisch verwertbare Prognosen. In IO_DENCIES TOKYO interessiert keinesfalls nur der materielle Bezug, und die beim Projekt ablaufenden Prozesse erweisen sich als zu komplex, als dass sich Knowbotic Research konzeptuell nur auf das reale Stadtmodell von Tokio konzentrieren würden. Innerhalb der dekonstruktivistischen »Meta-Maschine« des Urbanen formen sich auch die Funktionen der »StadtMaschine« Tokio um, wie es Kanazao Abe und Yukiko Shikato für IO_DENCIES TOKYO beschreiben: »Today, however, when electronic networks are spread worldwide, the urban should be considered as network nodes beyond geographical and physical frameworks. A perspective, free from the conventional optical viewpoint, should be developed to regard the urban as a hybrid information system where the concepts such as local/global, micro/macro, material/electronic are interconnected.«44

In dieser Beschreibung, die das Urbane als »hybrides Informationssystem« charakterisiert, nimmt die Netzwerk-Ausrichtung eine Monopolstellung im Projekt ein. Bereits in dessen grundlegendem Konzept wird die mediale Durchdringung nicht als ein urbaner Prozess veranschlagt, der auf der gleichen Ebene wie lokale Repräsentationen anzusiedeln ist. Vielmehr führt die heraufbeschworene Dynamik der Mediatisierung dazu, dass sie zur übergeordneten Instanz wird, die alle Aspekte in sich zusammenzieht. Sie prägt in IO_DENCIES TOKYO nicht nur das lokale Tokio, sondern auch alle Datenumgebungen, urbanen Imaginationen, räumlichen Manifestationen und Nutzereingriffe. Dies geschieht auf eine Weise, die sich einer konventionellen grafischen Repräsentation weitestgehend entzieht, da die Kräfte und Potenziale von Tokio nicht mimetisch abgebildet oder metaphorisch veranschaulicht werden. Die Visualisie44 Kazunao Abe und Yukiko Shikata: »Notes on IO_DENCIES«. In: Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, a.a.O., S. 23.

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rung urbaner Fluktuationen äußert sich vielmehr in digitalen Clustern, die weder figurativen noch narrativen Prinzipien unterliegen, da sie der Präsentationslogik der Knowbots folgen. Die Usereingriffe sind festgehalten in rein digital ausgerichteten Analysen, Schematisierungen und Koordinationen. Die grafische Verdichtung erfolgt diagrammatisch und nicht figurativ, so dass sich ein hyperreales Cluster in Form eines »endless dataspace«45 bildet. Das Problem einer derart durchcodierten Präsentationsplattform ist, dass die Knowbots die menschlichen Eingriffe rechnerisch abtasten, ohne sie danach in einen Rezeptionsmodus zu übersetzen, der einen menschlichen Erkenntnisgewinn ermöglicht. Rodney Brooks beschreibt Knowbots daher sehr treffend als »intelligence without representation«.46 Die dem Netzprojekt zugrunde liegende, komplexe Theoriebildung führt durch den Einsatz von eigens entwickelter Technologie nicht automatisch zu einer potenziellen Lesbarkeit. Die Technologie-Anwendung in IO_DENCIES TOKYO geht vor allem in ein selbstreferenzielles Interface-Design über. Volker Grassmuck weist darauf hin, dass Knowbotic Research weniger Experimente als vielmehr Simulationen einsetzen, die durch ihre Überführung in den reinen Code lediglich der »Erkenntnis« von Maschinen dienen: »Die Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis, also die Wahrnehmbarkeit des Objekts sowie die Erkenntnisfähigkeit des Subjekts, sind in die Maschine übergegangen. Im Bit-Raum der abgetasteten und errechneten CAN [Computer Aided Nature, J.Z.] bewegen sich [...] autonome Agenten, Knowbots. Vorgeblich stehen sie auf Seiten der wissenschaftlichen Wahrheit, doch als epistemologische Doppelagenten, Chimären, zeichengeborene Wesen stehen sie immer schon auf seiten des reinen Codes.«47

Da Ausschnitte der realen Stadt Tokio im Netzprojekt zunächst subjektiv durch die Nutzer und danach permanent durch das Zufallsprinzip der Knowbots umcodiert werden, oszilliert die Präsentationsform von IO_ DENCIES TOKYO zwischen der Darstellung von lokalen Eigenarten und nicht mehr lokalisierbaren Ereignissen. Zwar verbildlichen die Videoeinspielungen der Tokioter Distrikte noch den lokalen Realraum, doch sie sind bereits ein digitaler Schritt hin zur vektoriellen Darstellung der »Info-City« Tokio, die sich im Kräftefeld einer translokalen, elektro45 Vgl. Vivian Sobchak: Screening Space. The American Science Fiction Film, New York 1987, S. 261. 46 Brooks zit.n. Fumihiro Nonorama: »Where is the utopia, or where is the master?« In: Artlab 7: IO_DENCIES TOKYO, a.a.O., S. 45. 47 Volker Grassmuck: »Computer Aided Nature in der Turing Galaxis. KR+cF: Nonlocated Online. Territories. Incorporation and the Matrix«. In: http:/ waste.informatik.hu-berlin.de/Grassmuck/Texts/knowbots.d.html.

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nischen Kommunikation befindet. Die lokale Spezifik Tokios geht über in ein modulares Cluster mit kryptischen Formationen. In der Ausstellungssituation des IO_DENCIES TOKYO-Projektes geschieht dies unter anderen Vorzeichen, da der physische Raum mehr Berücksichtigung findet und urbane Virtualität in konkrete Räumlichkeit übersetzt wird. Als stabilisierender Faktor wird der Tokioter Raum konkret wieder durch den Ausstellungsraum hereingeholt, der ein Experimentier- und Interventionsfeld für lokale Prozesse und Interaktionen innerhalb des Shimbashi-Gebietes bietet. Gleichzeitig wird die für Knowbotic Reserach wichtige Hypothese veranschaulicht, dass in Tokio ein Datenraum unter dem Realraum liegt. Der virtuelle Datenraum »informiert« demzufolge den Tokioter Raum und prägt temporär auch den Ausstellungsraum. Darüber hinaus repräsentiert der Ausstellungsraum auch einen öffentlichen Ort, an dem latente und virtuelle Dynamiken Tokios manifest werden können. Der Ausstellungsraum stellt einen Organisationsbereich dar, der den Tokioter Realraum und dessen immateriellen Datenraum in sich vereint. In ihm sind die komplexen Operationen von IO_DENCIES TOKYO physisch erfahrbar, wenn es bei der Live-Installation zu sichtbaren und hörbaren Kollisionen von heterogenen urbanen Prozessen kommt. Durch die stärkere Gewichtung der lokalen Komponente wird das Aufeinandertreffen von Unbekanntem und Ungewöhnlichem im Tokioter Raum für den Besucher nachvollziehbarer. Die Ereignisfelder, die sich bei der Internetpräsentation vorwiegend aus vernetzten Prozessen zusammensetzen, gehen bei der Ausstellungssituation in eine Ereignisstruktur über, die in höherem Maße die Wahrnehmungsmodi der Rezipienten berücksichtigt. Durch die Bereitstellung eines stabilen Raumes kann sich eine situative Dynamik entwickeln, welche die Komplexität der urbanen Vorgänge nicht nur visualisiert, sondern wieder an einen konkreten – in diesem Falle simulierten – Raum zurückbindet. Die Zur-Verfügung-Stellung von »neuen Wissensformen für den Realraum«, wie es Knowbotic Research für ihr Projekt beschreiben, ist daher in der Ausstellungssituation »rezeptionsfreundlicher« umgesetzt als bei der Internetpräsentation. Auch Söke Dinkla sieht die Schwierigkeiten, die mit einem derart ambitionierten und experimentellen Werk wie IO_DENCIES TOKYO verbunden sind. In Übereinstimmung mit Grassmucks Analyse bezeichnet Dinkla daher das »Universum« von Knowbotic Research als weit mehr technisch denn kulturell codiert. Doch für Dinkla bedeutet dies zunächst nur ein Scheitern von herkömmlichen Repräsentationsmustern. Weit zentraler ist für sie die sinnlich-physische Konkretion in der Nutzerhandlung, die das Potenzial von prozessorientierten Werken wie IO_ DENCIES TOKYO ausmacht. Daher ist bei diesem Netzprojekt weniger 153

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die Visualisierung als weit mehr das Angebot von komplexen Handlungskonzepten zentral: »Es entwickelt sich ein neues Formenvokabular, das der Versuchung widersteht, visuelle Gewohnheiten in den neuen Raum zu übertragen, so bei Knowbotic Research. Hier ist die visuelle Sprache abstrakt und konkret zugleich. In der Welt der immateriellen Daten entstehen neue Metaphern: Als Agenten verschaffen uns knowbots Zugang zu einer Welt, die vor allem technisch, aber kaum kulturell codiert ist. [...] Es ist vor allem diese Fähigkeit, eigene Kriterien zu bilden, die hier auf eine harte Probe gestellt wird, denn der User befindet sich in einer Situation permanenter Unsicherheit, da seine Versuche, auf herkömmliche Weise Repräsentationen zu bilden, immer wieder scheitern. Es gelingt in keinem Moment, die abstrakten Signaturen zu bekannten Repräsentationen zu formen. Konkretisiert werden sie erst in der handelnden Aneignung des Users. In diesem Prozess liegt das ästhetische Potenzial des flottierenden Werkes, das zum erstenmal die sinnlich-physische Interpretation einer abstrakten Ordnung ermöglicht.«48

2. EGBERT MITTELSTÄDT: ELSEWHERE Nach einem kurzen Aufenthalt in Tokio stellt Egbert Mittelstädt49 1999 das Video ELSEWHERE fertig, das für die Dauer von 5:50 Minuten die Fahrt mit einer Tokioter S-Bahn wiedergibt. Inmitten eines asiatischen S-Bahnwagens kreist die Videokamera langsam im Uhrzeigersinn und nimmt die Fahrgäste sowie die an den Fenstern vorüberziehende urbane Landschaft auf. Die Videokamera ist eine von Mittelstädt entwickelte Round-Shot-Kamera, die panoramatische Aufnahmen vornimmt. Nachträgliche digitale Bildmanipulationen überlagern bewegte Farbaufnahmen mit statischen Schwarzweiss-Standbildern, um in ELSEWHERE die Fahrgäste, den Innenraum und die Außenwelt der S-Bahn wiederzugeben. Hinzu kommt eine Tonebene, die Originaltöne mit spärlichen Elektrogitarrenriffs mischt, so dass in ELSEWHERE ein meditativ-poetischer Eindruck der Tokioter S-Bahnfahrt entsteht. Innenraum, mentaler Rückzug und aktiver Blick ELSEWHERE bildet nicht die Architektur von Tokioter Stadtvierteln ab, sondern präsentiert einen spezifischen Ausschnitt der urbanen Infrastruktur der japanischen Großstadt. Im lokalen Massentransportmittel der

48 Dinkla: »Das flottierende Werk«, a.a.O., S. 81f. 49 Egbert Mittelstädt ist Kommunikations-Designer, Grafiker und freischaffender Künstler. Er ist Dozent an der Kunsthochschule für Medien in Köln und betreibt sein INLINE-Atelier für Medienprojekte in Köln.

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S-Bahn nimmt Mittelstädt Tokioter Menschen in einer Alltagssituation auf. Die S-Bahnfahrt ermöglicht nur eine ungefähre Verortbarkeit von Tokio, das sich durch asiatische Schriftzeichen auf Werbeplakaten und vorbeiziehenden Stationsschildern abzeichnet. Formal rahmt ELSEWHERE das urbane Geschehen durch ein anfängliches Auf- und ein finales Abblenden der Szenerie ein. Auf der narrativen Ebene erleben die Zuschauer des Videos eine S-Bahnfahrt von einer kleinen hin zu einer zentralen S-Bahnstation. Diese Fahrt weist eine lineare Struktur auf: Die anfangs noch recht leere S-Bahn füllt sich sukzessive mit Menschen, der schemenhaft vorbeiziehende Verkehr geht über in erkennbare Züge und Stationen, und das Video endet mit der Einfahrt in eine unspektakuläre Tokioter S-Bahnstation (Abb. 26). Mittelstädt unterstreicht diese ansteigende Dramaturgie audiovisuell, indem der leise O-Ton nach und nach von Elektrogitarrensound begleitet wird und sich die Standbilder vermehrt in Bewegtbilder verwandeln. Mit dem Schnellzug greift ELSEWHERE einen wichtigen lokalen Bezugspunkt auf, in dem sich ein großer Teil des Alltags von Tokio abspielt. Angesichts der ausufernden Infrastruktur der Stadt funktionieren die Bewohner von Tokio den S-Bahnwaggon zu einem »Wohnraum« um, der ihren momentanen Bedürfnissen angepasst ist. Christiana Hageneder beschreibt das Verhalten der Tokioter daher folgendermaßen: »Doch schaffen sich die japanischen Pendler im dichten Gedränge ihren privaten Freiraum, indem sie sich mental aus ihrer Umgebung ausklinken und die Fahrzeit als Regeneration für den Geist oder für einen erholsamen Kurzschlaf verwenden. Die Fähigkeit, die unwirtlichsten Orte für die eigenen Bedürfnisse zu adaptieren, gerät den Tokyotern zur Kunst, denn man erhebt keinen Anspruch auf die Umgebung. Der Fokus liegt immer auf dem Notwendigen, alles andere wird ausgeblendet und stört somit nicht.«50

Diese mentale Aneignung von öffentlichem Raum findet sich bei ELSEWHERE in der Generierung einer meditativen Atmosphäre wieder. Mittelstädt setzt die formalen Komponenten der Wiederholung und des Stillstandes ein, um das Tokioter Alltagsverhalten zu choreografieren. Zunächst fixiert die digitale Spezialkamera das Alltagsgeschehen und tastet den Raum der S-Bahn in unbeirrt kreisenden Wiederholungen ab. Die Kamera registriert in kontinuierlichen Rotationen das Raumgefüge innerhalb und außerhalb des S-Bahnwaggons. So formt sich das Bahnabteil zu einem geschlossenen Raum um, der auch die Begebenheiten von draußen »hereinholt« und integriert. Das Bahnabteil wirkt wie ein

50 Christiana Hageneder: »Wohnen außer Haus«. In: Arch+51/2000, S. 47.

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einheitlicher, allen Fahrgästen übergeordneter Container,51 der in seiner Geschlossenheit zu einer individuellen Bezugsgröße wird und losgelöst von einem bestimmten Ort existiert. Die rotierende Kamera ritualisiert ihre Wiederholungen und beschreibt mit ihrem Bilderkanon einen hermetischen Raum. Die Kamera lässt einen klaustrophobischen Innenraum entstehen, der sämtliches Geschehen nivelliert. Der direkte Zugriff der Spezialkamera, die den Raum zusammenzieht, verändert die real-räumlichen Koordinaten dahingehend, dass alle visuellen Erscheinungen auf das gleiche Format gebracht werden. ELSEWHERE transportiert den Aspekt der Abgeschlossenheit von Tokio, indem die urbane Enge anhand der Raumerfahrung innerhalb der S-Bahn nachvollziehbar wird. Toyo Ito geht so weit, Tokio insgesamt als einen einzigen Innenraum zu betrachten. Vergleichbar dem hermetischen Charakter von ELSEWHERE, konstatiert Ito bei Tokio ein Raumgefüge, in dem sich seine Bewohner ständig »innen« fühlen: »Da fast alle privaten Bedürfnisse in der Öffentlichkeit befriedigt werden, ist ganz Tokio ein einziger Innenraum ohne Außenseite – es ist unmöglich, sich außerhalb der Stadt zu bewegen.«52 In ELSEWHERE setzen zudem Visualisierungsvorgänge ein, bei denen Alltagsmotive als eingefrorene Standbilder oder als bewegte Videobilder erscheinen. Der fixe respektive bewegte Modus orientiert sich an der Bewegung durch den Raum: Ändert ein Passagier seine Körperhaltung oder geht ein neuer Fahrgast durch das S-Bahnabteil, bzw. fährt draußen ein anderes Transportmittel vorbei oder erscheint eine belebte Tokioter Station, wechselt das Standbild des Motivs in sein Bewegtbild (Abb. 27). Doch ELSEWHERE geht über eine Abgeschlossenheit von Tokio hinaus, indem die Stadien der Ruhe und der Bewegung zwei Pole einer Imaginationseinheit darstellen, die ein poetisches Eigenleben bekommt. Der Innenraum der S-Bahn besitzt im Video eine mentale Aufgeladenheit, die das grundlegende imaginative Potenzial der Metropole andeutet. Der reale S-Bahnraum dient zur inneren Rückzugsmöglichkeit der Tokioter und erscheint nicht nur als rein materieller, sondern auch als ein mentaler Innenraum, der mit den Vorstellungen seiner Fahrgäste »gefüllt« ist. Innerhalb des S-Bahnraumes bildet die gedankliche Versunkenheit der Tokioter kleine mentale Innenräume, die das Video durch den Wechsel von statischen mit dynamischen Bildern betont. Daher ist die räumliche Wirkung in ELSEWHERE nicht auf die Wahrnehmung der S-Bahn-Architektur angelegt, vielmehr deutet sich ein Imaginationsraum an, der durch das introvertierte Verhalten der Anwesenden geschaffen 51 Zu der Raumvorstellung des Einstein’schen Containers bzw. BehälterRaumes siehe Löw: Raumsoziologie, a.a.O. 52 Ito zit. n. Michael Mönninger: »Innenraum ohne Außen: Tokio«, a.a.O., S. 142.

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wird. Das Video suggeriert den grundsätzlichen mentalen Freiraum, der sich bei den Tokiotern in der abgeschlossenen Situation ergibt. Die mögliche, beklemmende Wirkung eines hermetischen Innenraumes wird in ELSEWHERE dahingehend aufgelöst, dass sich der Tokioter Alltag zum mentalen Freiraum umgestaltet. Anstelle von klaustrophobischer Dramatik überträgt sich die ruhige Gelassenheit der Tokioter auf die Wahrnehmungshaltung der Zuschauer des Videos und ermöglicht die Rezeption des imaginativen Räumlichkeitspotenzials von Tokio. Die spezifische Raumerfahrung vermittelt sich in ELSEWHERE aufgrund der kreisenden Round-Shot-Kamera, die in gleichmäßigen 360Grad-Abtastungen einen einheitlichen Illusionsraum schafft. Mit dem Einsatz der Panorama-Kamera greift Mittelstädt medienhistorisch auf das im 18. Jahrhundert aufkommende Massenmedium des gemalten Rundbild-Panoramas zurück, das den Betrachter in die Mitte stellte und ihm eine illusionistische Form des Reisens ermöglichte. Im 19. Jahrhundert kam die mechanische Zirkulation von großen Rundbildern hinzu, so dass die Bewegung der Bilder eine imaginäre Reise an ferne Orte und Kontinente suggerierte. Der Betrachter der bewegten topografischen Stadtlandschaften wurde zum Forscher und Erinnernden.53 Auch in ELSEWHERE existiert durch die mitten im S-Bahnwagen fixierte Kamera eine zentrale Betrachterperspektive. Ihre gleichförmige Rotation läuft ebenso automatisch ab wie die mechanische Zirkulation des historischen Panoramas. Zudem hat die Kamera die ausschließliche Betrachterperspektive in dem fast sechsminütigen Video ohne Zwischenschnitte inne. Als einzig vorhandene Perspektive besitzt sie das Blickmonopol in ELSEWHERE, so dass der Betrachter unweigerlich zu einer genauen Erkundung des Dargebotenen angeleitet wird. In Verbindung mit den Standbildern resultiert ein Rezeptionsmodus des längeren Verharrens auf Motiven. Details wie Kleidung und Mimik der Reisenden, Ausstattung der S-Bahn und Architektur der Haltestationen können aufmerksam erfasst werden. Sie fügen sich zu einem differenzierten Gesamteindruck des Tokioter Alltags und lassen den Zuschauer ähnlich wie beim historischen Panorama zum Erforscher von fernen Orten werden. Anders als beim gemalten Panorama vermittelt sich Tokio im Video nicht durch eine gezielte Exotisierung der dargebotenen Szenerie, sondern der Zuschauer taucht in den imaginären Alltagsraum Tokio ein, der meditative Qualitäten aufweist. Eine weitere Parallele zum historischen panoramatischen Verfahren ist die Ausrichtung des Videos auf die Zeitkomponente. Wo allerdings das Panoramagemälde ein Aufrufen von heroischer Geschichte und längst vergangener Taten beabsichtigt, schafft ELSEWHERE eine spezi53 Vgl. Oettermann: Das Panorama, a.a.O. (vgl. Kap. IV FN 76).

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fische Eigenzeit von Tokio, die sich nicht an offizieller Geschichtsschreibung orientiert. Diese Eigenzeit basiert zunächst auf der Dauer der lokalen Zugfahrt, die sich mit der Laufzeit des Videos deckt. Die Chronologie der S-Bahnreise wird mit dem Gleichmaß der Kamerarotation vertaktet. Zudem baut Mittelstädt die Eigenzeit von Tokio in der Weise auf, dass er das urbane Geschehen immer wieder in s/w-Standbildern konserviert. Das Anhalten der Zeit geschieht nicht dadurch, dass die Kamerafahrt gestoppt wird, um einen Bedeutungsfokus zu schaffen. Es geschieht ein sichtbares Anhalten der Zeit, indem die bewegten Motive stillgestellt werden, während die Kamera weiterkreist. Dieser Stillstand eines bewegten Prozesses ist immer in einen beständigen Bilderkreislauf eingebettet. Durch die Konstanz des Kreisens wirken die Standbilder wie Alltagsszenen, die über die Gegenwart hinausweisen. Das Markieren der Standbilder im s/w-Modus signalisiert zusätzlich Vergangenheit und lässt die starren Bilder den Status einer Fotografie annehmen. Wie ein Betrachter eines historischen Panoramas, wird der Zuschauer von ELSEWHERE in die Position eines Erinnernden von gerade Vergangenem versetzt. Doch die Erzeugung von Erinnerung ist im Video nur angedeutet, denn es kommt lediglich zu einer zeitweiligen Hervorhebung des Stillstandes, der durch die ständig weiterziehende Kamera relativiert ist. Der Zuschauer kann sich die Motive nicht beliebig lange wie Fotografien ansehen, sondern er muss seine Rezeptionszeit an die rigide voranschreitende Kamerarotation anpassen. Die im Uhrzeigersinn kreisende Kamera nivelliert die gesamte Zeiterfahrung dahingehend, dass sich in ELSEWHERE Erinnerungsspuren bilden, die allenfalls im Kurzzeitgedächtnis des Zuschauers haften bleiben. Die kreisende Kameraführung weist Anklänge an die asiatische Tradition auf, beim Rundweg im traditionellen japanischen Spaziergarten »mit den Augen voraus zu wandern«. Diese kreisende Wahrnehmungsmethode wirkt einem längeren Verweilen auf Objekten entgegen und möchte erreichen, dass sich kein visuelles Zentrum bildet, wie es Günther Nitschke beschreibt: »Das verbindende Prinzip ist michiyuki, mit den Augen vorauswandern. [...] Es gibt kein einzelnes Zentrum oder fest umrissene Grenzen, sondern bietet weite, dehnungsfähige Ränder.«54 Auch in ELSEWHERE existiert kein visuelles Zentrum, und es gibt weiche Übergänge von den Standbildern zu den Bewegtbildern. Dennoch bleiben beide Stadien sichtbar voneinander getrennt und vermischen sich nicht im Fortlauf des Videos. Die Zeitebenen von Gegenwart und Vergangenheit beeinflussen sich wechselseitig durch 54 Vgl. Günther Nitschke: »Die Manga-Stadt«. In: Atsushi Ueda (Hg.), Die elektrische Geisha. Entdeckungsreisen in Japans Alltagskultur, Göttingen 1995, S. 243.

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den sichtbaren Wandel von Bewegung zu Regungslosigkeit und von Stillstand wieder hin zur Aktion. Mit diesem Zeiten- und Gestaltwechsel offeriert ELSEWHERE eine Wahrnehmung von Tokio, die das Anhalten und Weiterziehen von Zeit betont und die Abwandlungen der urbanen Gestalt veranschaulicht. Im Video bildet Tokio einen ambivalenten Raum, der eine unspezifische Wahrnehmung begünstigt und dabei kontinuierliche Wechsel »organisch« zu vermitteln scheint. Der Wandel der Zeiten und Formen unterliegt in ELSEWHERE einem festen Prinzip. Während die Kamera im Gleichmaß rotiert, alternieren Stillstand und Bewegung in stetiger Abfolge vom Schwarzweiß- zum Farb-Modus. Dadurch weist der formale Rhythmus des Videos ein hohes Maß an Strukturierung auf. Der Tokioter Alltag in der S-Bahn erscheint paralysiert von seiner zwar wechselnden, doch letztendlich gleichförmigen Struktur. Für ein Aufbrechen dieses Schemas sorgen diejenigen S-Bahn-Passagiere, die für einen gewissen Zeitraum direkt in die Videokamera schauen (Abb. 28). Sie lassen ihren Blick auf der Kamera ruhen und begegnen der monotonen Rotation mit aufmerksamem Interesse. Ihre aktiven Blicke in die Kamera beschreibt Mittelstädt als eine Belebung des Bildes: »Die Banalität der Bilder trübt Wahrnehmung und Erinnerung. [...] Die fotografische Abtastung des Raums wird mit den Blicken der Passagiere einer S-Bahn in Tokio konfrontiert, sie beleben für Augenblicke das starre Bild.«55 Daher sind es in ELSEWHERE nicht so sehr die farbigen Bewegtbilder, die für eine Belebung der Szenerie sorgen, denn die schematische Gleichförmigkeit dominiert auch die Bewegtbilder, die von einer ruhigen Indifferenz gegenüber dem Geschehen geprägt ist. Die eigentliche Belebung geht vom aktiven Blick einiger Tokioter aus, der eine direkte Zuschaueradressierung darstellt. Die Distanz zur Situation schlägt um in eine Unmittelbarkeit des Blickdialoges, so dass die introvertierte Zurückhaltung durch die direkte Blickpräsenz aufgehoben wird. Die Blicke erzeugen in ELSEWHERE eine visuelle Gegenbewegung zur horizontal kreisenden Kamera, da die Blicke der Tokioter direkt in die Kamera zurückführen. Durch ihr aktives Blickverhalten werden die Tokioter zu Handelnden innerhalb des hermetisch durchstrukturierten Raumes, den sie durch direkte Blickpositionierungen aufbrechen. Die Gegenläufigkeit zur Kamerabewegung verstärkt die Vitalität der Blicke, die offene Momente in der routinierten Gesamtsituation entstehen lassen. Die aufmerksamen Gesichter veranlassen den Zuschauer, die Blicke der Tokioter zu interpretieren, doch da ihre Mimik nicht eindeutig ist, bleibt eine situative Spannung bestehen. Die Tokioter fungieren im Video als 55 Egbert Mittelstädt im Interview: »Metropole/Panorama/Raum+Zeit. Ein E-Mail Interview von Jutta Zaremba mit Egbert Mittelstädt«. In: Blimp Film Magazine 44/2001, S. 21.

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Garanten für Vitalität innerhalb eines urbanen Gefüges, das sich nicht ohne weiteres erfassen lässt. In ELSEWHERE deutet sich Tokio als ein vielschichtiger Ort an, an dem sich Zurückhaltung, Versunkenheit und Aufgeschlossenheit verschränken. Mittelstädt charakterisiert Tokio als »undurchdringlich offen«: »Tokyo erschien mir bei diesem kurzen Besuch als ›undurchdringlich offen‹. Es ist auf der einen Seite sehr schwer, in den Gesichtern der Tokyoter zu lesen und gleichzeitig fühlt man die ständige Präsenz und Nähe von Millionen von Menschen überall.«56 ELSEWHERE hält ganz bewusst an dem Konzept von alternierender Distanz und Nähe sowie von Stillstand und Bewegung fest. Diese Inszenierung des Alltags bewirkt eine Begriffserweiterung von urbaner Vitalität und vergrößert das Spektrum, das die Lebendigkeit einer Stadt ausmacht. Im Video schließt die Vitalität von Tokio auch Aktivität und Aufgeschlossenheit als lokale Charakteristika mit ein. Signalüberlagerungen, Katalysator und Zwischenraum In ELSEWHERE verfremdet Mittelstädt die alltägliche S-Bahn-Szenerie durch die vier Nachbearbeitungseffekte des Nachziehens, der Wischblende, der Stanze und des Spotlightings. Während der Nachzieheffekt und die Wischblende auf die Unschärfe und Flüchtigkeit des Gezeigten abzielen, heben das Ausstanzen und Beleuchten von spezifischen Motiven deren punktuelle Wichtigkeit hervor. Die weicheren Effekte des Nachziehens und der Wischblende sorgen zudem für eine Transparenz der härteren Effekte von Stanze und Spotlighting. Durch die Kombination aller digitalen Effekte entstehen Signalüberlagerungen, die eine raumzeitliche Verdichtung der Gesamtsituation bewirken. Dabei zeigen sowohl die Bewegung als auch der Stillstand des Videos die Entstehung einer digitalen Bildlichkeit, die ihre Künstlichkeit deutlich sichtbar macht. Es ist gerade diese Künstlichkeit, die in ELSEWHERE aus der alltäglichen S-Bahnfahrt ein endloses Aufscheinen von bedeutsamen Momenten entstehen lässt. Tokio wirkt temporär und dem Augenblick verpflichtet, und es kommt zu einem flüchtigen Eindruck, wie ihn Toyo Ito bei seiner Schilderung der Stadt hat: »Alles ist nur temporär, relativ, phänomenologisch zu verstehen. [...] Welchen Kontext gibt es sonst in einem endlosen Spiel, wenn nicht die Konstellation des Augenblicks?«57 ELSEWHERE lässt die gesamte S-Bahnreise zu einer komplexen Projektionsfläche werden. Innen- und Außenraum fusionieren zu erweiterten Projektionswänden, die vom abtastenden Blick wahrgenommen werden.

56 Ebd., S. 23. 57 Ito zit.n. Mönninger: »Innenraum ohne Außen: Tokio«, a.a.O., S. 142.

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Die rotierende Kamera, die an keinem der Motive hängen bleibt, eröffnet wie ein Katalysator neue Räume. Durch ihre ruhige Bewegung bewirkt die Kamera eine permanente Initiation in mentale Räume, die beim Betrachter einen inneren Sog entstehen lässt, den Zeit- und Raumverschränkungen zuzusehen. Der aufgezeichnete Raum scheint sich der Kameraführung anzuverwandeln, und andererseits gibt sich das Poetische dieses Raumes erst durch die Kamerabewegung zu erkennen. Bei der visuellen Inszenierung präsentiert ELSEWHERE übereinander und nebeneinander Spuren von soeben Vergangenem und erneut Gegenwärtigem. Diese künstlich generierte, ineinander verschränkte Zeitstruktur erzeugt eine eigenwillige Ortlosigkeit. Der Titel ELSEWHERE weist bereits auf ein Anderswo hin, weswegen Mittelstädt im Zusammenhang mit Tokio von dem Vorhandensein eines Zwischenraumes spricht: »Tokyo befindet sich in meinen Augen in einem ständigen Fluß. Dieser subjektive Eindruck von Tokyo bildete die Grundlage von ELSEWHERE. Der ›Zwischenraum‹ ist die Heimat der Menschen im Fluß. [...] Da dieser ›Zwischenraum‹ keine Nachbildung des Raumes um einen herum ist, kommt es zu Verzerrungen zwischen Bild und Abbild.«58

Weit entfernt von einem dokumentarischen Präsentationsmodus benutzt Mittelstädt Verzerrungen und Transformationen, um diesen Zwischenraum sichtbar machen zu können. Die Spezialkamera und die Nachbearbeitung schaffen gezielt die Möglichkeit, zeitlich lineare Ereignisse unabhängig voneinander bzw. gleichzeitig darzustellen. Es entsteht ein Zwischenraum, der paradoxale Zeitverschränkungen dezidiert in der Bewegung sichtbar machen möchte. Laut Gilles Deleuze ist insbesondere diese Vielschichtigkeit ein Kennzeichen des Zwischenraumes, der innerhalb eines permanenten »Und-Stadiums« anzutreffen ist. Demzufolge befindet sich jegliche Vielschichtigkeit inmitten eines »Und-Stadiums«, eines ewigen »Dazwischen« zwischen zwei Zuständen, jenseits von linearen Entweder-Oder-Kategorien. Als dynamische, verschwindende Spur oder Strömung kaum wahrnehmbar, formen sich aber gerade entlang des »UND« entscheidende Ereignisse.59 In ELSEWHERE ist Tokio ein verdichtetes urbanes Gefüge, das prozessuale Zwischenräume bereitstellt. Erst der Einsatz von digitalen Medien ermöglicht eine Sichtbarmachung dieser raumzeitlichen und mentalen Zwischenzustände, die für die Generierung von Ereignisprozessen entscheidend sind. Folglich ist es in ELSEWHERE die Mediatisierung, die eine konstruktive Sichtbar-

58 Mittelstädt im Interview, a.a.O., S. 22. 59 Vgl. Gilles Deleuze: »Trois questions sur ›Six fois deux‹ «. In: Ders.: Pourparlers, 1972-1990, Paris 1990. S. 55-66.

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machung der verborgenen oder oft unbeachteten Prozesse im Alltag von Tokio bewerkstelligt. Die digitalen Techniken, mit denen Mittelstädt Tokio präsentiert, machen sich die Faszination zunutze, etwas zu zeigen, was der menschlichen Wahrnehmung sonst nicht entspricht. Der Videozuschauer sieht Zeit- und Raumverschiebungen, von denen er weiß, dass sie so nicht existieren. Die Faszination dieser ungewöhnlichen Wahrnehmungen bezeichnet Ulrich Giersch als die gezielte Ausrichtung von digitalen Medien. Seiner Ansicht nach bringt die digitale Technik keine Bilder mehr hervor, sondern Datenmengen wie Pixel und Tonfrequenzen, die explizit auf die Schwächen der menschlichen Wahrnehmung hin ausgerichtet sind. Angesichts der Reflexion der menschlichen Beschränktheit faszinieren dann die digitalen Effekte umso mehr.60 Ebenso geht es in ELSEWHERE nicht um die Darstellung einer »äußeren Wirklichkeit«, denn trotz des dokumentarischen Charakters, der sich insbesondere bei den s/w-Sequenzen einstellt, wird eine authentische Präsentation von vornherein vermieden. Bei Mittelstädts Video ist die Suggerierung von urbanen Potenzialen zentral, die dem Betrachter einen besonderen Standort in der Wahrnehmung zuweisen. Demnach erscheint Tokio in ELSEWHERE als eine prozessuale Stadt, die gerade wegen ihrer Unspezifik die Möglichkeit zu Gestaltwechseln bietet. Offensive Künstlichkeit und Aufmerksamkeitsfeld ELSEWHERE ist geprägt durch die Kombination einer Technik des Maschinenzeitalters mit der Technologie des elektronischen Zeitalters, denn das Massenmedium des Maschinenzeitalters wird mit Hilfe von elektronischen Medien aktualisiert. In Anlehnung an das Panorama als einem Massenmedium des 18. und 19. Jahrhunderts gibt die digitale Technik in ELSEWHERE Tokioter Szenen als permanentes Rundbild wieder. Darüber hinaus beschreibt das Video den Alltag der japanischen Großstadt als schematisches Gefüge, in dem unterschwellige Zeit- und Raumwahrnehmungen zusammenwirken. Die Markierung von Tokio als klaustrophobischer Innenraum wird durch die Schaffung von paradoxalen Zwischenräumen aufgebrochen. Die Abgeschlossenheit des S-Bahnwaggons fungiert als rigides Muster, gegenüber dem sich die mediale Dynamik umso stärker entfalten kann. Damit dient die Hermetik in ELSEWHERE als ideale Projektionsfläche für digitale Transformationen. Der lokale

60 Vgl. Ulrich Giersch: »Im fensterlosen Raum – das Medium als Weltbildapparat«. In: Kunst- und Ausstellungshalle der BRD Bonn (Hg.), Sehsucht. Das Panorama als Massenunterhaltung des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1993, S. 102.

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»Behälter« der S-Bahn kompensiert dabei nicht etwa mangelnde Kommunikation, sondern bewirkt ein Aufscheinen von verborgenen Prozessen in Tokios Alltag. Das Video verdeutlicht, dass Tokio von kulturellen Patterns durchzogen ist, die sich insbesondere in seinen Massentransportmitteln offenlegen lassen. In der Mischung aus vektorieller Fortbewegung, vorbeiziehender urbaner Landschaft und verhaltenen Formen der Kommunikation scheint das Massentransportmittel der S-Bahn prädestiniert für den Versuch, das Spezifische im Unspezifischen von Tokio anschaulich zu machen. Die Bewegung durch die vorgefundenen urbanen Schemata betont die Konkretion aller physischen und mentalen Vorgänge. Durch den plastisch anmutenden Wechsel von stillgestellten Motiven mit bewegten Überlappungen werden spezifische Alltagsphänomene von Tokio deutlich erkennbar. Eine Besonderheit von ELSEWHERE stellt die betonte Künstlichkeit sowohl von Erstarrung und Gleichförmigkeit als auch von Transformation und Temporalität dar. Die formale Trennung dieser Mechanismen durch Stillstand, Bewegung und Farbgebung macht das gleichwertige Verhältnis starrer und mobiler Inszenierungen ablesbar. Die ausgeglichene Balance zwischen den Stadien stellt sich gerade anhand der Künstlichkeit ein, die beide Modi dezidiert durchzieht. Der Tokioter Alltag bildet sich daher aus der künstlichen Erzeugung von ritualisierten Wiederholungen und Transformationen. ELSEWHERE zeigt Tokioter Szenen, bei denen der Ausgleich zwischen vordergründigen Schematisierungen und unterschwelligen Zwischenstadien erst durch die Strategie der Künstlichkeit offen zu Tage tritt. Demzufolge siedelt Mittelstädt die offensive Künstlichkeit in Tokio unter positiven Vorzeichen an, da erst durch sie die alltägliche Banalität sichtbar in Komplexität übergehen kann. Die Balance, die ELSEWHERE zwischen beiden Komponenten schafft, ist jedoch labil. In der Ausschnitthaftigkeit seines verdichteten Alltags wird Tokio zu einem uneindeutigen Universalraum, in dem sich Innen-, Zwischen- und Außenraum überlagern. Aus den offensichtlichen und latenten Spuren dieses Gefüges muss der Betrachter eine Synthese herstellen. Wolfgang Koelbl spricht von dem Aufmerksamkeitsfeld des Betrachters, das in Tokio permanent ausgereizt wird. Er sieht Tokio als mediatisierte Software-Stadt bzw. »Superdichte«, in der oberflächliche optische Reize subjektive Assoziationsbilder auslösen: »Eingehend zum Kommunizieren aufgefordert wird zweifellos, aber wer kann in der Gedrängtheit und Gleichzeitigkeit der Zeichen ohne selektive Fokussierung eine einzelne Mitteilung noch herauslesen? Können Betrachter, deren Aufmerksamkeitsfeld permanent ausgereizt wird, mit den ausgesendeten Botschaften noch erreicht werden? [...] In der Dichte der Softwarestadt [...] schließlich fällt auch noch der Informations- und Bedeutungsinhalt vom Zeichen ab. Das Zeichen wird unweigerlich geteilt, in eine optische Erscheinung, die ein-

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drucksvoll wahrgenommen wird, und in den programmierten Informationsoder Repräsentationsgehalt, der im allgemeinen Stimmengewirr nicht mehr gehört werden kann. [...] Das resultierende Sinnvakuum wird durch persönliche Assoziationsbilder ersetzt, mit denen der Betrachter auf den oberflächlichen optischen Reiz reagiert. Aus dem Informationssignal wird ein Stimmungssignal.«61

Anders als bei Koelbls Beschreibung reizt das Tokio von ELSEWHERE nicht unentwegt die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer aus. Vielmehr wird sie auf eine Ebene gelenkt, die von unterschwelligen mentalen Impulsen durchdrungen ist und einer perzeptiven Gespaltenheit entgegenwirkt. In Mittelstädts Tokio ergänzen sich Realraum, Imaginationsraum und Zwischenraum bei der Schaffung von Assoziationsbildern. Sie stellen keine reaktiven optischen Reize dar, sondern sind Wahrnehmungsangebote, die sich aufgrund eines produktiven Sinnvakuums bilden. In ELSEWHERE wirken die optische Erscheinung und der kommunikative Ausdruck einer spezifischen Tokioter Alltagssituation zusammen und generieren eine belebte und ortlose Atmosphäre. Tokio erscheint als gesellschaftlich produzierter sowie technisch reproduzierter »MatrixRaum«,62 der sich selbst gestaltet und strukturiert.

3. RAIVO KELOMEES: TOKYOCITY.EE 1999 veröffentlicht Raivo Kelomees die CD-Rom TOKYOCITY.EE, die das Ergebnis eines mehrwöchigen Aufenthalts in Tokio darstellt.63 Aus der Yamamote U-Bahn-Linie heraus macht Kelomees Videoaufzeichnungen mit einer Digitalkamera und nimmt eine Nachbearbeitung mit dem Animationsprogramm »Macromedia Shockwave« vor. Die Startseite von TOKYOCITY.EE ist in fünf Bildlaufleisten unterteilt, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen (Abb. 29): Die größte Laufleiste befindet sich in der Bildmitte, in der vier transparente grafische Säulen perspektivisch aneinander vorbeiziehen. In der untersten Bildlaufleiste bewegt sich der Titel permanent von rechts nach links, und in der Leiste darüber sowie in den beiden oberen Leisten laufen unentwegt kleinformatige Standbilder von Tokio entlang. Klickt der Nutzer der CDRom nun auf eines der Bilder, erscheint es in dreifacher Ausführung 61 Koelbl: Tokyo Superdichte, a.a.O., S. 232f (vgl. Kap. I FN 30). 62 Vgl. Dieter Läpple: »Essay über den Raum«. In: Ders. et al. (Hg.), Stadt und Raum. Soziologische Analysen, Pfaffenweiler 1991, S. 197. 63 Raivo Kelomees ist Projekt-Koordinator des E-Media Centers der Estländischen Kunstakademie in Tallinn. Kelomees ist Medienkünstler, Medientheoretiker und war Kurator des in Tallinn stattfindenden Französisch-Baltischen Videokunst-Festivals der Jahre 1994 und 1998.

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sowie als Großformat in der mittleren Laufleiste (Abb. 30 und 31) und wird von lauten Stadtgeräuschen begleitet. Der Ton, der die Großmotive der mittleren Leiste begleitet, besteht aus verschiedenen Stadtgeräuschen. Yamamote-Konservierung und semiotisches Rätsel Bereits der Titel TOKYOCITY.EE weist auf eine Auseinandersetzung mit dem urbanen Tokio hin, das in einem Bezug zu Estland – bezeichnet mit der Domain-Namen-Länderendung »EE« – gestellt wird. Der Titel deutet zwar eine In-Beziehung-Setzung von beiden Kulturen an, zeigt aber durch die fiktive Verortung von Tokio in Estland, dass die CD-Rom keine real-geografische Bezugnahme beabsichtigt. Der trennende Punkt, der in TOKYOCITY.EE zwischen beiden Geografien erscheint, ist eher als mentale Grenze zu begreifen, die auf einen deutlichen Unterschied in der Wahrnehmung des Urbanen hinweist. Dieser Unterschied ergibt sich für Kelomees durch eine Kombination aus subjektiver Wahrnehmung und unterschiedlichen urbanen Zeiterfahrungen: »The project ›Tokiocity.ee‹ is drawn on personal experiences about one city. […] The prevailing experiences were not experiences with people, buildings and architecture; they of course existed as well, but experiences with time. Experiences about this invisible matter. Also about how the invisibleness there that differs from the habitual invisible here. «64 In TOKYOCITY.EE macht Kelomees aus der Tokioter YamamoteLinie heraus Videoaufnahmen von Häusern, Straßenkreuzungen, Schriftzeichen etc. und präsentiert Ausschnitte davon als kleine, aufgereihte Standbilder. Das Verkehrsmittel der U-Bahn strukturiert den visuellen Blickwinkel und die räumliche Fortbewegung anhand einer vektoriellen Großstadterfahrung. Die Bearbeitung dieser Aufzeichnungen durch ein Computerprogramm wählt Bildfragmente aus, die eine abstrakte Struktur aufweisen. Diese Abstraktion verstärkt sich durch das »Einfrieren« von Einzelmotiven. Aneinander gereihte, kleinformatige Standbilder – pro Laufleiste sind jeweils zehn Einzelbilder gleichzeitig sichtbar – erscheinen als eingestanzte »Stills«. Es existiert keinerlei Bewegung innerhalb der Einzelbilder, sondern es erfolgt eine mechanische Bewegung durch den Lauf der Leisten. Die vormals bewegten Videoaufzeichnungen werden zu fixierten Bildern, in denen sich Bewegung lediglich als ein Vorbeiziehen von Motiven ausdrückt. Die Bilder in TOKYOCITY.EE sind wie bei einem Filmstreifen fest umgrenzt, sie sind jedoch nicht wie im Film zu einer kontinuierlichen Illusion von Bewegung montiert. Auf der

64 Raivo Kelomees: »Tokyocity.ee«. In:http://www.art.tartu.ee/~raivo/tekstid/ keloeng.htm.

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CD-Rom ziehen die Motive derart langsam entlang der linearen Leisten, dass der Betrachter sie mühelos als Einzelbilder wahrnehmen kann. Das Muster der Wiederholung zeigt die Bildmitte, wenn kleinformatige Bilder in variierter Form wiedergegeben werden. Auch die vergrößerten und vervielfachten Bildmotive der mittleren Laufleiste sind kontinuierlich ablaufende Standbilder, zu denen zusätzlich Originalgeräusche ertönen. Die Tonebene in TOKYOCITY.EE belebt die Standbilder und suggeriert ein authentisches Tokio. Die Toneinspielungen bewirken eine Vitalisierung der gesammelten urbanen Motive. Dabei nehmen sowohl die Töne als auch die Bilder eine Konservierung von Tokio vor, ohne dass genaue topografische Zuordnungen innerhalb der Stadt möglich wären. Auf der CD-Rom sorgen weder ein Stadtplan noch Bildunterschriften für eine urbane Orientierungsmöglichkeit, und Tokio erscheint zumindest für westliche Nutzer als semiotisches Rätsel, wie es Donald Richie schildert: »Eine farbenfrohe Proklamation aus Schildern und Fahnen, Kanji (chinesische Ideogramme), die auf dich einstürmen, Neonreklamen, die den Blick des Passanten auf sich ziehen. Wo man auch hinsieht, Embleme, Symbole, Logos. Alle schreien sie dich an, ein semiotisches Tohuwabohu, ein Gewimmel von Zeichen [...].«65 Gegenüber diesem »Zeichengewimmel« wirken die audiovisuellen Eindrücke von Tokio auf der CD-Rom eher zurückhaltend und grundsätzlich nachvollziehbar, weil das Bildmaterial sich nicht grafisch überlagert und jederzeit vom Nutzer wiederholt abrufbar ist. Der formale Aufbau der CD-Rom greift lokale Gegebenheiten von Tokio auf: Analog dazu, dass das reale Tokio weder einen urbanen »Rand« noch ein ausmachbares Zentrum besitzt, verlaufen auch in TOKYOCITY.EE die urbanen Motive seitlich unbegrenzt über den Bildrand hinaus, und auch die Bildmitte setzt kein genuines Motiv der Repräsentation ins Zentrum. Durch diesen Aufbau reproduziert TOKYOCITY.EE das Gefühl der Irritation bei vielen westlichen Besuchern, da Tokio nicht nach westlichen Vorstellungen urbaner Grammatik funktioniert. Die mosaikartige Zeichenhaftigkeit von Verkehr und Architektur geht einher mit der Tatsache, dass die Megacity Tokio weder eine innerstädtische Perspektive noch ein repräsentatives Panorama aufweist, wie Richie anschaulich macht: »Es gibt in der Tat keinen Ort, von wo aus man einen befriedigenden Blick auf Tokio genießen könnte. [...] Das wäre auch unmöglich – Tokio ist nicht nur zu groß und zu ausufernd, sondern auch zu undifferenziert. Man kann nicht auf Tokio hinabblicken wie auf einen belebten Stadtplan, so wie in Kobe oder Hakudate, noch lässt sich eine dem Auge verborgene Ordnung erahnen, wie es in 65 Donald Richie: »Ein Spaziergang durch Tokio«. In: Arch+151/2000, a.a.O., S. 58.

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Kyoto der Fall ist. Es ist schwer, Städte zu begreifen, die man von keinem Aussichtspunkt in ihrer Gesamtheit wahrnehmen kann. Es ist ebenfalls nicht leicht, eine passable Aussicht auf Tokios wichtigste Stadtviertel zu genießen. Die Hauptstraßen sperren sich dagegen, dem Betrachter irgendwelche Perspektiven zu eröffnen.«66

Auch TOKYOCITY.EE ist nicht perspektivisch, sondern fortlaufend frontal angelegt. Die CD-Rom zeigt Bilder einer Stadt, die keine einheitliche urbane Frontalität anbietet. Es kristallisieren sich einzelne Mikrostrukturen heraus, die wichtiger als die Wahrnehmung eines zusammenhängenden Ganzen zu sein scheinen. TOKYOCITY.EE deutet an, dass die strukturellen Ordnungsprinzipien von Tokio sehr von denen westlicher Städte abweichen, weswegen urbane Vitalität sich eher auf ästhetischen Singularitäten als auf einer übergeordneten Stimmigkeit des Bildausdrucks gründet. Die CD-Rom zeigt Tokio als eine unhierarchische Ansammlung mosaikartiger Teile, deren Künstlichkeit zum lokalen und kulturellen Charakteristikum wird. Es herrscht eine selektive Sichtweise vor, die einzelne Aspekte der Stadt vervielfältigt. Stadt als Akteur, Eigenzeit und glatter Raum Für den Nutzer von TOKYOCITY.EE ergibt sich die Wahrnehmung einer relativen Ereignisdichte aus Bildern und auditiven Einspielungen. Je nachdem, ob die dargebotenen urbanen Motive und Geräusche auf den Nutzer komplex und spannungsreich oder eher eindimensional und langweilig wirken, stellt sich entweder der Eindruck von Ereignisdichte oder von Ereignislosigkeit in Tokio ein. Dem Nutzer steht bei TOKYOCITY.EE nur ein geringer Grad an Interaktion zur Verfügung, denn er kann lediglich Einzelbilder von Tokio anklicken. Diese gerade für eine CD-Rom sehr limitierten Eingriffsmöglichkeiten machen aus dem potenziell interaktiven Nutzer nur mehr einen aktiven Zuschauer der selektiven Vorgänge in der Stadt. Doch dies scheint eine spezielle lokale Rezeptionsform in Tokio zu berücksichtigen, die der europäischen Stadterfahrung vollends widerspricht, indem nämlich die Stadt selbst zum Akteur wird, wie es Richie für die Tokioter Straße veranschaulicht: »In Europa ist man Teil der Zurschaustellung – sehen und gesehen werden, beobachten und beobachtet werden. Die Straße ist eine Bühne. Ganz anders in Japan. [...] Wenn du dort durch die Straßen gehst, dann bist du kein Akteur. Du bist vielmehr so etwas wie ein aktiver Zuschauer. Die Zurschaustellung dreht sich nicht um dich und die Menschen um dich herum. Es ist die Straße selbst,

66 Ebd., S. 62.

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die sich zur Schau stellt. Die Richtung verläuft nicht von dir zur Straße, sondern von der Straße zu dir.«67

So wie in Richies Schilderung die Straße das dominante Element im urbanen Erleben Tokios ist, zeigt sich auch in TOKYOCITY.EE Tokio eine eigenständige Struktur, die anstelle der Menschen die Rolle des aktiven Urbanen innehat. Die räumliche Fortbewegung der Yamamote U-Bahn, die sich in den nach links und rechts verlaufenden Bildleisten spiegelt, ist von einer deutlich ausgeprägten Zeitkomponente begleitet. In TOKYOCITY.EE kristallisiert sich ein facettenartiges Tokio heraus, das sich eher durch die Zeit als durch den Raum zu bewegen scheint. Vor allem die unterschiedlichen motivischen Geschwindigkeiten bewirken den Eindruck einer besonderen Zeitlichkeit von Tokio. Der Eindruck der Stadt basiert nicht auf Erinnerung, vielmehr erscheint Tokio als Subjekt mit individueller Eigenzeit. Nelli Rohtvee beschreibt dieses Zusammenwirken von Abstraktion und zeitlicher Subjektivität, das sich in TOKYOCITY.EE für Tokio abzeichnet: »In his CD-ROM, we can see Tokyo views turning into abstractions, which are shots from the inner town railway Yamamote Line. […] The artist has used the starting material as a subject matter to illustrate his thoughts about the relativeness of time and sensing its speed regarding to the ›own speed‹ of places. «68 Die in unterschiedlichem Tempo ablaufenden Bildleisten von TOKYOCITY.EE sind präsente urbane Spuren, die Lokales als eine Variation von Wiederholungen zeigen. Die kleinformatige Vervielfältigung des Tokioter Raumes wird zu einer regelmäßigen Inschrift von Zeit. Kollektive Bilder und Töne werden aufgebrochen, ohne auf ihren Verbleib in urbaner Erinnerung oder Geschichte abzuzielen. In TOKYOCITY.EE existiert ein widersprüchliches Zeitkonzept, denn Tokio besteht aus einem variierten Vorbeiziehen von Zeit, die zu einem momenthaften und doch fixen Ereignis belebt werden kann. Der indifferente Fortlauf von Zeit erfährt eine Stimulierung durch den Augenblick, der jedoch immer schon »eingefroren« ist. Ein interessanter Aspekt bei TOKYOCITY.EE ist, dass Kelomees die Präsentation von Tokio nicht mit einer authentischen Darstellung seiner Menschen und Architektur verbindet, da er den Mythos der Megacity Tokio relativieren möchte: »The prevailing experiences were not experiences with people, buildings and architecture [...]. But the myth about Tokyo is more major than the city itself. There everything seems more smaller and dimensions are human.«69 Kelomees versucht, die audio67 Richie: »Ein Spaziergang durch Tokio«, a.a.O., S. 58. 68 Nelli Rohtvee: »Dot as a border. Raivo Kelomees ›tokyocity.ee‹«. In: http:// www.art.tartu.ee/~raivo/tekstid/rohteng.htm. 69 Kelomees: »Tokyocity.ee«, a.a.O.

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visuelle Kultur von Tokio wiederzugeben, indem er die repräsentative Funktion der mythischen Stadt aufbricht. Die Gestaltung der computerbearbeiteten Videobilder ähnelt der Sehweise eines Fotoapparates, der eine gigantische Stadt zu selektiven Kleinbildern arrangiert. Die Megacity wird dadurch auf ihr puzzleartiges Kleinformat reduziert. Obwohl die einzelnen Bilder keiner nennenswerten Bildverfremdung unterzogen wurden, sondern sie Vorgefundenes abbilden und von authentischen Geräuschen begleitet sind, benutzt Kelomees sie nicht als Garanten reiner Authentizität. Er vermeidet in TOKYOCITY.EE eindeutige Bedeutungszuweisungen. Seine Vorgehensweise besitzt Parallelen zu Roemer van Toorns Bemerkungen über Authentizität: »Das Streben nach dem Authentischen ist ein ehrbarer Ansatz, doch eine auf der Negation des Spektakels beruhende Authentizitätssuche ist ein hoffnungsloses, naives Unterfangen.«70 Mit dem hohen Grad an Abstraktion und der beharrlichen Künstlichkeit seiner unbewegten Bilder setzt TOKYOCITY.EE auf eine ästhetische Inszenierung von urbanen Fragmenten. Kelomees stützt durchaus den Mythos von Tokio, eine überdimensionierte und künstliche Megacity zu sein: »Tokyo is a megatown, supercity, conglomeration, agglomeration, total accumulation and supernatural hybrid. I was interested by experiences, which arise staying in this city-machine.«71 Edward W. Soja nennt derartige Zuschreibungen von Städten Neologismen, die er als dritte Komponente einer neuen industriellen Geografie beschreibt: »Die dritte Geographie hat vielleicht das größte Durcheinander an Neologismen zur Beschreibung ihrer Neuheit hervorgebracht. Eine kurze Liste schließt dabei solche Ausdrücke ein wie megacities, outer cities, edge cities, metroplex, technourbs, postsuberbia, technopolis, heteropolis, exopolis. Was dabei mit diesen Begriffen beschrieben wird, ist eine radikale Restrukturierung der urbanen Form und der konventionellen Sprache, mit der gewöhnlich Städte beschrieben werden.«72

Auch in TOKYOCITY.EE kommt es zu einer Re-Strukturierung der urbanen Form, die sich ästhetisch vermittelt. Sie basiert vor allem darauf, dass den audiovisuellen Texturen keine Narration zugrunde liegt. Die digitalen Bilder und Zeichen der CD-Rom zielen nicht auf eine realitätskonforme Erzählbarkeit, sondern sie kombinieren und veranschaulichen die Gleichzeitigkeit des Nicht-Gleichzeitigen in Tokio. Wie beim »Zeit-

70 Roemer van Toorn: »Architektur gegen Architektur«. In: Film+Arc 2, 1995, S. 10. 71 Kelomees: »Tokyocity.ee«, a.a.O. 72 Edward W. Soja: »Postmoderne Urbanisierung«. In: Fuchs/Gotthart: Mythos Metropole, a.a.O., S. 153.

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Bild« von Deleuze73 ist das elektronische Bild in seiner Anlage selbst nur noch Fragment und darauf angelegt, Ereignisse nicht mehr zu einem zusammenhängenden Ganzen zusammenzufügen. Die digitalen ZeichenFragmente der CD-Rom wirken daher ortlos und symbolentleert. Rohtvee geht so weit, bei TOKYOCITY.EE von einer Bedeutungsentleerung Tokios zu sprechen: »In Kelomees’ Tokyo-imaginary we see a city space impoverished by meanings, Tokyo without the compulsory adjustment of Japanese culture – as abstract patterns, graphic and auditive textures.«74 Diese Bedeutungsentleerung erfolgt in der Weise, dass Tokyo in einer Präsentationssituation sichtbar ist, die auf einer Zweckentfremdung von repräsentativen Bildern und Tönen beruht. Als dialogisches Spiel mit modifizierten urbanen Texturen entwickelt sich Tokio zur Konkretion von selbstähnlichen Teilen. Die Neologismen, mit denen Kelomees Tokio kennzeichnet, deuten auf eine wirkungsmächtige Struktur der japanischen Stadt, deren Radikalität gerade in ihrer Austauschbarkeit von urbanen Funktionen besteht. Kelomees nennt die Stadt daher eine funktionelle Maschine: »The city is a functional machine organized to a nationally noncharacterized environment.«75 Der Versuch, Tokio als urbane Maschine in einer national nicht näher gekennzeichneten Umgebung zu zeigen, äußert sich bei TOKYOCITY.EE in einem reibungslosen »Recycling« von asiatischen Patterns. Tokio wird zum ikonografischen Modul, das letztendlich auf identische Einheiten hin programmiert ist. Die CD-Rom präsentiert die Stadt als asiatischen Text, der nicht auf ihre Entzifferung hin angelegt ist, sondern vor allem Patterns der Fehl- oder Mis-Information bereitstellt. Tokio wird zum abstrakten Kommunikationsraum, der dem westlichen Nutzer keine Form von Erkennen oder gar Identifikation anbietet. TOKYOCITY.EE verweigert eine Reflexion oder persönliche Vertrautheit mit der Stadt. Wie bei Marc Augés »Nicht-Ort«, erscheint der audiovisuelle Raum von Tokio als kaum definiert und schwer wahrnehmbar. Bei der CD-Rom ist die asiatische Stadt ein Nicht-Ort, der singuläre Texturen in einem suggestiven und wenig fassbaren Raum nebeneinander stellt. Dem Nutzer kann sich daher nur die subjektive Dimension eines Nicht-Ortes erschließen, wie es Augé für mediatisierte Stadträume beschreibt. Er sieht einen Nicht-Ort potenziell in allen heutigen Verkehrs-, Informations- und Kommunikationsräumen gegeben, und beschreibt drei charakteristische Phänomene, von denen hier das erste genannt wird:

73 Vgl. Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt a.M. 1997. 74 Rohtvee: »Dot as a border«, a.a.O. 75 Kelomees: »Tokyocity.ee«, a.a.O.

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»Der Nicht-Ort existiert (auch im negativen Sinn) durch den Blick der Menschen, die sich in ihm nicht oder nicht mehr oder noch nicht wiedererkennen. [...] Das erste ist die allgemeine Verstädterung [...] samt ihren Folgen: mit der unzulänglich definierten, kaum bewertbaren und geistig oft nicht beherrschten, nicht symbolisierten Beschaffenheit der auf diese Weise besetzten neuen Räume.«76

In Übereinstimmung mit Augés Beschreibung existiert Tokio in der CDRom als ein Nicht-Ort aus kleinteiligen Verkehrs-, Informations- und Kommunikationsaspekten. Der so präsentierte Stadtraum wirkt kaum definiert und auch nicht symbolisch ausgerichtet. Der Nicht-Ort Tokio ergibt sich aus einer einfachen digitalen Manipulation von urbanen Ereignissen, die in ihrer reinen Oberflächen-Gestalt zugänglich sind. Anstelle einer Collage der Stadt, die das Zusammenfügen von disparaten Einheiten verfolgt, verschwimmt Tokio zu dem Bild eines indifferenten »Raumzeitselbst«. Neben der Wahrnehmung von urbaner Zeit resultiert die Wirkung von TOKYOCITY.EE aus der räumlichen Dimension. Das Prinzip, Neuheiten aus Ähnlichkeiten herstellen zu wollen und die Rezeptionsebene nicht mehr an einem aufrecht stehenden Betrachter auszurichten, weist Tokio als »glatten Raum« aus. Diesen Ausdruck bezieht K. Michael Hays auf das Computernetz und definiert einen »glatten Raum« als die Absicht, multiple digitale Einheiten in einem glatten, reibungslosen Fluss koordinieren zu wollen. Hays kritisiert dies als eine ideologische Haltung, die auf eine inhärente Widerspruchsfreiheit angelegt ist.77 Sowenig TOKYOCITY.EE zwar auf das Computernetz mit seinen gerasterten Ebenen zurückgreift, um einen dreidimensionalen Raum zu erzeugen, sosehr zeigt die CD-Rom Tokio doch als ein funktionales Raster, das eine episodische Aufreihung von beliebigen Flächen vornimmt. Die abstrakte Flächigkeit der Bilder nivelliert den Tokioter Raum und zieht ihn zu einem Bilderfluss zusammen. Die tatsächlich zwar differenten, aber formal sehr ähnlichen Motive erwecken den Eindruck einer großen Austauschbarkeit. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit implodieren die flächigen Bilder in grenzenloser Ähnlichkeit, so dass Tokio als ein glatter, reibungsloser Fluss aus bewegten Patterns erscheint. Urbane Bildteile werden aufgegriffen, nebeneinander gestellt und beliebig zusammengesetzt. Ihre übergeordnete Rahmung korrespondiert zwar noch mit der kontextuellen Einbindung in den »Makrokosmos« Tokio. Doch die kleinformatigen Bildteile ähneln einander auf die Weise, wie es Christian Wulf für fraktale Bilder beschreibt: »Bereits ihre Beschleunigung gleicht sie einander an: Mimesis der Geschwindigkeit. Unterschiedliche Bilder werden 76 Augé: »Über die Nicht-Orte«, a.a.O., S. 98 (vgl. Kap. IV FN 18). 77 Vgl. K. Michael Hays: »Ideologische Glätte«. In: Arch+128/1995, S. 71.

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aufgrund ihrer reinen Flächigkeit, ihres elektronischen und miniaturisierenden Charakters trotz Unterschiede einander ähnlich. [...] Eine Promiskuität der Bilder entsteht.«78 Betrachtet man den Grad der Interaktion, so erweist sich dieser – insbesondere für das interaktive Speicher-Medium einer CD-Rom – als sehr niedrig. Dies ist umso erstaunlicher, als sich der Titel der Arbeit TOKYOCITY.EE nennt und er sich damit formal ähnlich zu einer Internetadresse präsentiert, die diverse Nutzer-Interaktionsmöglichkeiten und einen vielschichtigen Computereinsatz erwarten lässt. Der Interaktionsgrad ist jedoch äußerst gering, denn lediglich auf zwei Bild- und Text-Ebenen der CD-Rom lassen sich die Texturen der Stadt abrufen. So ist es vor allem die mechanische Bewegung von erstarrten Bildern, die eine Dynamik des urbanen Tokio verhindert. Das permanente Einfrieren von selektiven urbanen Bildern, die vervielfacht werden und in dieser Gestalt immer wieder abrufbar sind, führt in TOKYOCITY.EE zu dem Eindruck, als bestünde die asiatische Metropole aus einer redundanten Kombination von unentwegter Wiederholung und Enttäuschung. Die einzige Konkretion vermittelt sich über die Tonebene, die eine urbane Ereignisdichte anklingen lässt. Als Kontrast zu den rigide ablaufenden Bildern deuten die Geräusche das Eigenleben der Stadt an und schaffen einen imaginären Stadtraum. Die Geräusche machen eine Fortbewegung durch einen verdichteten urbanen Raum möglich und lassen Tokio ansatzweise als Akteur mit individueller Taktung erscheinen. Indifferentes Konglomerat Trotz der vordergründig spezifischen Lokalität zeichnet sich insgesamt ein modulares Stadtmodell ab, das Tokio als mediatisierten Nicht-Ort mit reiner Oberflächen-Gestalt präsentiert. TOKYOCITY.EE zeigt die asiatische Großstadt als urbanes Modul mit ortlosen Einheiten, in dem die Gleichzeitigkeit von Nicht-Gleichzeitigem vorangetrieben werden soll. Tokio wird zum Konglomerat aus Nicht-Ort, Oberfläche und Modul, so dass es gerade die non-dimensionale, nicht mehr durch Zeit und Raum begrenzte Komponente zu sein scheint, welche die mediatisierte Stadt kennzeichnet. Bei ihrer näheren Beschreibung des imaginären Ortes von TOKYOCITY.EE spricht Rohtvee über den Versuch von Kelomees, die Vorstellungen von einem mythischen Tokio mit dem OberflächenCharakter der CD-Rom in Einklang zu bringen: »And what kind of place this ›tokyocity.ee‹ is? No-place, where a border lies in a dot between the words, which are filled with infertile discussions about time. In a know78 Wulf: »Bild und Phantasie«, a.a.O., S. 338 (vgl. Kap. IV FN 74).

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ledge that they belong to a mythical city we notice that our expectations wreck into the meaningless and realistic picture surface.«79 Rohtvees Interpretation legt die absichtsvolle Enttäuschung des mythischen Tokio durch die Dimensionen von Nicht-Ort und digitaler Oberfläche nahe. Allerdings übersieht Rohtvee hierbei, dass sich der Mythos von Tokio und die Ausprägung seiner medialen Oberflächen-Struktur ergänzen und sich wie in TOKYOCITY.EE sogar noch verstärken. Da der Mythos von Tokio der einer mediatisierten Megacity ist, fügt sich die modulare Oberflächen-Gestalt der Stadt nahtlos in diesen Mythos ein. Bei der CD-Rom läuft die Bekräftigung des Mythos auf die Präsentation von Tokio als glatten Raum hinaus. Der glatte Raum ist wiederum an die Herstellung von grundsätzlicher Widerspruchsfreiheit geknüpft, was zur Kritik an dem Werk von Kelomees führt. Denn es ist nicht die absichtvolle Enttäuschung, sondern gerade der mangelnde Widerspruch zum Mythos des mediatisierten Tokio, der TOKYOCITY.EE zu wenig vielschichtig wirken lässt. Die Indifferenz des glatten Raumes scheint sich auf eine gewisse Beliebigkeit des Präsentationsmodus der CD-Rom übertragen zu haben: Die funktionale Koordinierung von Modulen des glatten Raumes bewirkt ebenso wenig eine urbane Ereignisdichte wie die limitierte Aufreihung von kleinformatigen Bildern. Ereignisdichte, die für die Rezeption einer multimedialen CD-Rom von hoher Bedeutung ist, deutet sich lediglich auf der Tonebene der Stadt an. Ist das Konzept eines semiotischen Rätsels von Tokio zwar durchaus interessant, so muss sich auch dieses – gerade angesichts des gewählten Mediums der CD-Rom – auch in urbaner Ereignisdichte niederschlagen. TOKYOCITY.EE jedoch versucht, urbane Dichte durch ein mediales Konglomerat aus glattem Raum, Bedeutungsentleerung und OberflächenModulen zu erreichen. Dies birgt Probleme in sich: Es zeigt sich ein zu starkes Übergewicht an medialen Aspekten bei der Darstellung des ohnehin schon als mediatisiert geltenden Tokio, so dass derartigen Aspekten zu wenig Dynamik innewohnt. Ein weiteres, wichtiges Manko kommt zum Vorschein: Es ist weniger das unausgeglichene Verhältnis zwischen musealen und medialen Aspekten, das Tokio nicht vielschichtig erscheinen lässt. Vielmehr mangelt es TOKYOCITY.EE an einem dynamischen Austausch zwischen musealen und medialen Aspekten, so dass sich Tokio als indifferentes Konglomerat aus nebeneinanderher laufenden, urbanen Inszenierungsebenen erweist.

79 Rohtvee: »Dot as a border«, a.a.O.

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VI. N EW Y ORK UND T OKIO IN DER M EDIENKUNST

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Die vorangegangenen Medienkunst-Werke machen vielfältige Abwandlungen der zentralen Mythen zu New York und Tokio ersichtlich. Dabei zeigen sich bei jeder einzelnen Stadt ganz spezifische Abwandlungen, die zunächst zusammengefasst werden. Der anschließende Vergleich beider Städte thematisiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Inszenierungen.

New York: Überformte Metropole des 20. Jahrhunderts Die Computerinstallation THE LEGIBLE CITY präsentiert New York als grafische Abstraktion seiner geometrischen Straßengestalt, bei der die gestalterische Unverwechselbarkeit von New York aufgegriffen wird. Manhattans Gittermuster dient als vertraute Topografie, die durch die Text-Architektur zum mentalen Erinnerungspool seiner Bewohner umfunktioniert wird. Gleichzeitig präsentieren digitale Umformungen ein unspezifisches Manhattan, das menschenleer ist. Die anonyme Stadterkundung steht ganz offensichtlich im Gegensatz zum mythischen »Schmelztiegel« New York. Ohnehin verzichtet die Computerinstallation auf das Wahrzeichen der Metropole, auf die Skyline, denn die legendären Hochhäuser sind formal auf dieselbe Höhe zusammengezogen. Daher erscheint New York als neutralisiertes Data-Scape, das von der Echtzeit in einem simulierten Manhattan dominiert ist. Gezielt legt THE LEGIBLE CITY die dezidierte Künstlichkeit von Manhattan offen und betont den urbanen Surrogat-Charakter von New York. Gleichzeitig ermöglicht die Computerinstallation eine digitale Verformbarkeit der geometrischen Metropole und macht sie zu einer beweglichen Plattform. Der Mythos der energetischen Vitalität von New York verschiebt sich hin zur architektonischen Mobilität und Transparenz seiner Straßengestalt. Die überraschende räumliche Flexibilität von Manhattan kann spontan erkundet werden und bietet ereignisreiche Interaktionsmöglichkeiten. Insgesamt entfallen bei diesem Medienkunst-Werk jegliche mythische Zuschreibungen zugunsten des pragmatischen Modellversuches einer innovativen Raumerkundung. New York gibt seinen Besuchern urbane Handlungsanweisungen und wird zum spannungsreichen Terrain für paradoxale Raumerlebnisse. Die Virtual Voyage durch Manhattan zeigt die Metropole als kommunikatives Stadtgebilde aus Konvention und Experiment. Computerprogrammierte Vorgaben schränken allerdings neue urbane Raum- und Sinnordnungen immer wieder ein und relativieren so die mythische Freiheit und die unbegrenzten Möglichkeiten, die der Metropole sonst attestiert werden. 176

VI. NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Beim Musikclip THE CHILD findet sich der Mythos von Vitalität und Einzigartigkeit wieder, der die pulsierende Kraft und die Architektur der Metropole betont. Das Musikvideo präsentiert New York als energetische Stadt, die ihren eigenen, schnellen Rhythmus besitzt und die Alltagsgeräusche zum akustischen Index der Stadt werden lässt. Gleichzeitig zeigt der Clip die gelassene Souveränität von New York, das den aufgeregten Zirkulationen seiner Bewohner einen funktionalen Orientierungsrahmen gibt. Durch phantasievolle Anleihen bei Film, Comic und Computerspiel belebt THE CHILD spielerisch urbane Klischees. So geht die permanente Eigenbezüglichkeit von New York in ein kenntnis- und facettenreiches Spiel mit medialen und urbanen Konventionen über. Die phantasievolle Künstlichkeit des Clips lässt die dynamische Vitalität, das ästhetische Innovationspotenzial und der eigenwillige Konstrukt-Charakter der Metropole humorvoll aufeinander prallen. Der Clip spielt mit der produktiven Bandbreite von New York, die sich in einer mythischen Überhöhung der Stadt sowie in der Ironie ihres Alltags ausdrückt. Das Netzkunst-Werk EMPIRE 24/7 thematisiert die »city of skyscrapers«, in der sich die magische Ikone des Empire State Buildings entfaltet. Die visuelle Reduktion auf den oberen Teil des Hochhauses signalisiert die kulturelle Prägekraft des Wahrzeichens. In der minimalistischen Präsentationen von EMPIRE 24/7 gibt sich die mythische Überformung der Metropole deutlich zu erkennen: Die Hochkultur der Stadt drückt sich in einer ikonologischen Beschwörung ihrer Hochhäuser aus und betreibt so eine permanente visuelle Selbstreferenzialität. Doch die Überformung des Wahrzeichens unterliegt in der Installation wiederkehrenden Bildstörungen. Abrupte Dropouts visualisieren vorübergehende Labilitäten der New Yorker Stadtgestalt und deuten – zunächst auf ästhetischer Ebene – kurzzeitig eine Endlichkeit urbaner Sinnbilder an. Fragen nach dem aktuellen Symbolgehalt der Hochhaus-Ikone tauchen auf und verweisen auf einen Zusammenhang von globaler Vernetzung und labilen urbanen Strukturen. Es kommt zu einer formalen Entmythologisierung der New Yorker Ikone: Vordergründig ein legendäres Wahrzeichen, wohnt ihr immer die Redundanz eines mythischen Artefaktes inne. So zeigt sich ein ambivalentes New York, dessen auratische Urbanität ständig von ästhetischen Redundanzen begleitet ist. Die Netzinstallation »2001« zeigt die Skyline von Manhattan als einzigartiges architektonisches Stilleben und lässt Manhattan wie ein harmonisches, zeitloses Tableau aussehen. Bei der Komposition aus Licht, Farbe und Formen erscheint Manhattan als idyllische Landschaft mit kontemplativer Ausstrahlung. Der Fernblick auf das monumentale Panorama drückt die symbolkräftige Macht von New York aus, die sich in der majestätischen Unnahbarkeit der mythischen Insel Manhattan zeigt. 177

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Gleichzeitig erscheint das zentral in der Installation projizierte New York als Verteiler von globalen Kommunikationsprozessen. Durch den Terroranschlag vom 11. September wird der Mythos der Unangreifbarkeit der amerikanischen Metropole zerstört, wobei die Netzinstallation den vernichtenden Untergang des Wahrzeichens von Manhattan in lakonischer Erstarrung registriert. Vor allem verkehrt sich nun die zuvor malerische Wirkung, die Manhattan scheinbar allen politischen und sozialen Dimensionen von Urbanität entrückt hat, in eine finale Prägung der Stadtgestalt innerhalb des politischen Realraums. Die Standbilder der verschiedenen Stadien der Katastrophe transportieren eine wiederum malerische Beschwörung von Manhattan, das als magisches Inferno von subtilem Terror erscheint. Inmitten der einschneidenden Ereignisse, entwickelt sich eine Ästhetik der Destruktion. Dabei reduziert sich der Mythos vom ungebrochenen Lebenswillen der Stadt, die massiven Zerstörungen zu trotzen scheint, auf zunächst langsam wieder zum Vorschein kommende Energien. Auch bieten einzelne Standbilder der veränderten Skyline die Möglichkeit zur besonnenen Reflexion der dramatischen Ereignisse. Der Mythos der Einzigartigkeit von New York bekommt in »2001« eine negative Konnotation, da die Stadt unweigerlich zum aktuellen Katalysator und ästhetischen Schauplatz von kriege-rischen Konflikten geworden ist. Das Netzprojekt iSEE verdeutlicht, dass New York nach dem 11. September seine medialen Kontrollmechanismen verstärkt hat und sich bestehende gesellschaftspolitische Verschärfungen ausweiten. Bereits vorhandene soziale Stigmatisierungen verlängern sich zum rigiden Organisationsprinzip der Metropole. Sie wird zu einem Ort der Verunsicherung, weil mediale Zusammenschlüsse eine omnipräsente Datenüberwachung bewirken. Der Mythos von New York als einer offenen und freien Weltstadt wird angegriffen, denn sie erscheint als mediales Cluster, das massive Überwachungen seiner Bewohner vornimmt. Demokratische Grundrechte auf individuelle Bewegungs- und Ausdrucksfreiheit ihrer Bewohner gehen verloren, so dass die Vitalität der Stadt durch die Bedrohung der Privatsphäre erheblich reduziert wird. Da New York als Ort von allgegenwärtigen Ein- und Übergriffen präsentiert wird, ist die Offenlegung der medialen »Spielregeln« im Stadtraum wichtig. Im technologischen Machtraum der Metropole nimmt lokales Engagement die Form einer ebenfalls medialen Gegenöffentlichkeit an. Sie kann durch eine Kombination aus taktischer Aufklärung und aus spielerischer Anonymität der Einwohner den Überwachungskomplex New York schwächen. Entgegen seinem Mythos als offener Weltstadt zeigt sich New York als durchmediatisierte und restriktive Metropole. In den fünf Werken wird die Kultur der Metropole auf unterschiedliche Weise insbesondere mit der Einzigartigkeit ihrer Hochhäuser gleich178

VI. NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

gesetzt: Wenn Skyscraper den Kultstatus von New York demonstrieren, ist ihr repräsentativer Charakter gleichzeitig durch populärkulturelle Bezüge und eine Ironisierung des urbanen Alltags humorvoll gebrochen. Wenn die Ikone des Empire State Buildings die auratische Ewigkeit von New York transportiert, impliziert sie ebenso die ständige visuelle Selbstreferenz und die mythische Überformung der Metropole. Bildstörungen unterbrechen die permanente Eigenbezüglichkeit, sie deuten auf die grundsätzliche Labilität der genuinen Großbauten und werfen Fragen nach dem aktuellen Symbolgehalt der Wahrzeichen auf. Ebenso wird die Skyline von Manhattan zum malerischen Ensemble, das die formale Vielfalt und Experimentierfreude von New York vorführt. Durch die historisierende Inszenierung wirkt Manhattan ruhig, erhaben und zugleich distanziert. Bei den Ereignissen des 11. Septembers geht der distanzierte Kamerablick in das dramatische Miterleben des Terroranschlags über. Einzelne Stadien der urbanen Katastrophe sind mit subtilem Schrecken angefüllt und zeigen New York im Zentrum einer Ästhetik der Destruktion, die auf der visuellen Ebene weiterhin mythische Qualitäten besitzt. Darüber hinaus gibt es in den Medienkunst-Werken das Umherreisen in einem Manhattan, das eine digitale Text-Architektur besitzt. New York wird zu einem urbanen Experimentierraum, der sowohl flexible Raumerkundungen als auch abwechlungsreiche Dynamiken anbietet. Die genuine Struktur von Manhattan dient zur Identifizierbarkeit der Stadt, die paradoxale Erlebnisse räumlicher Multiperspektivität und Verformbarkeit ermöglicht. Die Flexibilität des medialen New York bezieht sich auf die Umwandlung von starren Stadtstrukturen in konkrete räumliche Instabilitäten. Es zeichnet sich eine spezifische Künstlichkeit der Metropole ab, die durch ihren eigenwilligen Konstrukt-Charakter sowohl ein Trendsetter als auch ein Surrogat von Urbanität darstellt. Grundsätzlich zeigen die Medienkunst-Werke New York als mythisch überformte Stadt, die gerade durch ihre Überfrachtungen zu deutlichen, spielerischkonzeptuellen Abwandlungen provoziert. Insgesamt nehmen die Medienkunst-Werke bei New York keine ungebrochene Beschwörung seiner Vitalität, Kultur und Einzigartigkeit vor. Wenn die mythische Vitalität der Metropole zum Ausdruck kommt, ist sie bereits eingebunden in mediale Klischees. Urbane Vitalität äußert sich in einem Spiel mit Klischees und Genres, das die ästhetische Innovationskraft der Stadt gerade in seinen medialen Strukturen verankert. Gleichzeitig zeigt sich ein New York, dessen Vitalität durch mediale Strukturen extrem gefährdet ist. Im mediatisierten Stadtraum dominieren elektronische Überwachungsinstanzen die menschliche Ausdrucks- und Bewegungsfreiheit. Es sind die medialen Kontrollmechanismen des 21. 179

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Jahrhunderts, die soziale Stigmatisierungen zum inhumanen Ordnungsprinzip der Stadt erheben. Die mythischen Zuschreibungen der Weltstadt unterliegen Prozessen der Verschiebung und Konterkarierung. Trotz zeitlicher Rückbezüge ist New York vor allem auch eine mediale Stadt, was sich in der Visualisierung als elektronische Architektur, urbanes DataScape, virtueller Nicht-Ort oder flächendeckendes Überwachungs-Cluster niederschlägt. Daher inszenieren die Medienkunst-Werke New York als mythisch überformte Metropole des 20. Jahrhunderts, die sowohl konstruktive als auch restriktive Strukturen des 21. Jahrhunderts verkörpert.

Tokio: Unspezifische Mikrostrukturen und latente Urbanität Das Netzprojekt IO_DENCIES TOKYO wählt Tokio als Modell für experimentelle Interventionen im urbanen Handlungsgefüge. Die japanische Großstadt erscheint als einmalige Formation inmitten von technologischem Wandel, weswegen sie sowohl für ein Infragestellen von repräsentativer Urbanität eingesetzt als auch zum Kristallisationspunkt von zukünftigen urbanen Entwicklungen erklärt wird. Im konkreten Stadtgefüge betont das Projekt einander überlagernde Achsen von Infrastrukturen, Kommerz und Kommunikation. Ein derartiges Tokio besteht aus fluktuierenden Energien, die von immateriellen Kräftefeldern durchzogen sind, denn die Stadt wird im Netzprojekt zur Folie für den Transfer und für die Organisation von Datenprozessen. Demzufolge liegt unter dem Realraum von Tokio ein virtueller Datenraum, der die Stadt ständig formt. In ihm verschwinden die räumlichen Grenzen, und dynamische Ereignisse bilden sich in einer ortlosen »Info-City«. Das elektronische »datascape« Tokio ist ein energetisches Gebilde aus heterogenen urbanen Zonen, in denen auch sublime Kräfte wie der Zufall, die Imagination und das Unbewusste Berücksichtigung finden, die sichtbar umgeformt werden können. Im Netzprojekt bildet die Stadt ein ästhetisches Reflexionsfeld von interaktiven, sinnlich-physisch erfahrbaren Handlungsexperimenten. Dennoch sind diese Handlungen im Netzprojekt derart technisch codiert, dass der Eindruck einer undurchschaubaren »StadtMaschine« entsteht, die von enigmatischen Prozessen durchzogen ist. Tokio erweist sich daher zwar als partizipatorisches Stadtmodell, in dem urbane Entwicklungen kulturell dennoch nicht transparent werden. Das Video ELSEWHERE deutet auf latente kulturelle Patterns von der japanischen Großstadt, die gerade im Alltag seiner Massentransportmittel anzutreffen sind. Tokio ist ein unspezifischer Ort mit lokalen Be180

VI. NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

sonderheiten, die in künstlichen Überlagerungen von Zeit- und Raumeffekten besonders zum Vorschein kommen. Eine S-Bahnfahrt lässt Tokio als hermetischen Innenraum erkennen, in dem sich Innen- und Außenwelt verschränken. Meditative Versunkenheit und mentaler Rückzug kristallisieren sich als Bestandteile des urbanen Alltaglebens heraus. Das uneindeutige Tokio verwandelt sich in einen imaginären Raum, der das Ortlose und das Vorüberziehende als poetische Spuren besitzt. Die Stadt erscheint als subtiler Zwischenraum aus wiederkehrenden Ritualen und mentalen Transformationen. Es entsteht ein urbanes »Anderswo«, das sich in einer gleichförmigen Alltagsstruktur entfaltet. Darüber hinaus kommt in ELSEWHERE die kommunikative Aufgeschlossenheit einiger Tokioter zum Ausdruck, die kommunikative Aktivität und Offenheit signalisieren. Im eigenwillig ortlosen und gleichzeitig belebten Alltag zeigt sich urbane Widersprüchlichkeit, die so unterschiedliche kulturelle Patterns wie räumliche Abgeschlossenheit, mentalen Rückzug, imaginative Zwischenräume und kommunikative Offenheit in sich vereint. Entgegen ihrem Mythos mutiert Tokio nicht zur medialen Info-City, sondern gerät zum poetischen Alltagsraum. Die CD-Rom TOKYOCITY.EE präsentiert die japanische Stadt als semiotisches Rätsel, das nicht nach westlichen Vorstellungen von urbaner Grammatik funktioniert. Die mosaikartige Zeichenhaftigkeit seiner Infrastrukturen geht einher mit der Tatsache, dass Tokio weder eine innerstädtische Perspektive noch ein repräsentatives Panorama aufweist und keinerlei einheitliche Frontalität anbietet. Da einzelne Mikrostrukturen wichtiger sind als die Wahrnehmung eines zusammenhängenden Ganzen, zeigt sich ein strukturelles Ordnungsprinzip der Stadt, das sich eher auf ästhetische Singularitäten als auf eine übergeordnete, urbane Stimmigkeit gründet. Da die japanische Großstadt als Zusammensetzung aus modularen Wiederholungen vorgeführt wird, erscheint sie als urbane Variation des Immergleichen. Tokio besteht aus einem »Recycling« von asiatischen Patterns, deren Künstlichkeit zum kulturellen Charakteristikum wird. Die Stadt ist ein ikonografisches Modul, das letztendlich auf identische Einheiten hin programmiert ist und ein Spiel mit selbstähnlichen Teilen betreibt. Doch die CD-Rom verdeutlicht, dass die Radikalität von Tokio gerade in der Austauschbarkeit seiner urbanen Funktionen besteht. Das Raster aus beliebigen kleinteiligen Flächen lässt Tokio zu einem »glatten Raum« werden, der urbane Reibungslosigkeit transportiert. Die Stadt erscheint als pragmatisches Funktionsmodell von konfliktfreier Urbanität. Es bildet sich eine eigenständige urbane Struktur: Anstelle der Menschen hat die Stadt die Rolle des aktiven Urbanen inne und besitzt eine fiktive Eigenzeit. Tokio bewegt sich zwischen den Zuständen von Ereignisdichte und Ereignislosigkeit, und es ist gerade eine spezifische 181

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Spannungslosigkeit, die seine urbane Künstlichkeit konsequent voran treibt. Der Kommunikationsraum Tokio ist dabei nicht auf eine Entzifferung hin angelegt, denn er verweigert jegliche Reflexion oder persönliche Vertrautheit. Durch die formale Reduktion auf das Kleinformat und die Spannungsarmut relativiert sich der Mythos der Megacity Tokio dahingehend, dass die überdimensionierte Großstadt zu multiplen unhierarchischen Fragmenten verkürzt, die nur eine abstrakte Verortung der Stadt zulassen. Insgesamt bekräftigen und relativieren die Medienkunst-Werke zugleich den urbanen Mythos einer postmodernen Megacity Tokio: Wird die Stadt zur Inkarnation urbaner Mediatisierung des 21. Jahrhunderts, so erfolgt ein Bezug auf die Info-City und das virtuelle Data-Scape. Aufgrund der Quantität seiner fluktuierenden Energien und elektronischen Transfers, wird Tokio zur immateriellen Megacity erhoben. So sehr die Stadt aufgrund ihrer Dichte, Heterogenität und Vernetzung zum Modell für zukünftige Urbanität herangezogen wird, so wenig ist sie doch dem mythischen Cyberspace verhaftet oder an Science-Fiction-Szenarien gekoppelt. Vielmehr wird sie dezidiert zur Infragestellung von repräsentativer Urbanität eingesetzt. Dominante Charakteristika wie Zeichenhaftigkeit, Transformationen und Künstlichkeit sind allerdings nicht allein mit mediatisierten Stadtstrukturen verbunden, sondern sie kennzeichnen den lokalen Alltag insgesamt. Dort finden sich Aspekte, die bei mythischen Schilderungen der asiatischen Stadt als Megacity keinerlei Erwähnung finden. Dies sind latente urbane Ebenen, die meditative Versunkenheit, mentalen Rückzug, Imagination sowie Aufgeschlossenheit umfassen: Die Stadtgestalt verwandelt sich in eine suggestive Projektionsfläche, die Introvertiertheit und Abgeschlossenheit signalisiert. Tokio wird zu einem mentalen Zwischenraum, in dem zeitweilig poetische Spuren aufscheinen. Gleichzeitig ereignen sich offensive Handlungen im urbanen Alltag, die auf die kommunikative Offenheit seiner Bewohner verweisen. Im Gegensatz zu der Warnung vor Tokio als einer Stadt wachsender Extreme, zeigt sich in den Medienkunst-Werken eine ausgesprochen konfliktfreie Urbanität. Selbst die Absicht, Risse und Störungen als Konflikte im urbanen Gefüge aufzudecken, lässt keine kulturellen oder symbolischen Dynamiken ablesen. Durch seine Reibungslosigkeit erscheint Tokio unspezifisch und enigmatisch, so dass die Stadt wie ein pragmatisches Funktionsmodell von Urbanität wirkt. Die vormals gigantische Megacity teilt sich in grafische Zonen, in Verflechtungen von Modulen, Oberflächen und Zwischenräumen auf. Das ehemals zur »Superdichte« überhöhte Tokio reduziert sich auf alltägliche kleinformatige Patterns. Dies zeigt, dass die Radikalität von Tokio nicht in seinen Hightech182

VI. NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Strukturen, sondern in seiner vielgestaltigen und fluktuierenden Kleinteiligkeit liegt. Es ergibt sich das Bild einer Stadt, die ihre Kontinuität gerade aus Transfers von zeichenhaften und subtilen Mikrostrukturen bezieht. Ganz offensichtlich wird Tokio nicht nur auf ein mythisches Modell für zukünftige Urbanität verkürzt, denn die reibungslose Prozessualität der Stadt lässt keinerlei visionären Impulse ablesen und transportiert eher urbane Indifferenz. So sehr Tokio durchaus – seinem Mythos entsprechend – als Gradmesser für Urbanität im 21. Jahrhundert betrachtet wird, so sehr existiert auch eine Betonung des Latenten und der Unspezifik. Sie bilden wichtige Charakteristika einer Stadt, die sich jeder Messbarkeit und Eindeutigkeit entzieht.

Spektakuläres New York und zurückgenommenes Tokio Die Abwandlung der Mythen zu New York und Tokio geschieht in den Medienkunst-Werken durch unterschiedliche Formen der Entmythologisierung: Sie wandeln die Mythen der Städte konstruktiv ab, betreiben ein humorvolles Spiel mit ihnen, nehmen konzeptionelle Überfrachtungen vor, greifen urbane Mythen gezielt an, machen Widersprüche im urbanen Gefüge sichtbar, offenbaren Zwischenräume im städtischen Alltag oder präsentieren eine Stadt als formales Funktionsmodell. Beim Vergleich beider Städte zeigen sich wichtige Gemeinsamkeiten, die jedoch in unterschiedlichen Ausprägungen zu Tage treten. Sowohl New York als auch Tokio sind durch Formen der Künstlichkeit gekennzeichnet: Die Künstlichkeit von New York zeigt sich in dem eigenwilligen Konstrukt seiner Straßenzüge, Architektur und Wahrzeichen, die als ein Surrogat von Urbanität zum Ausdruck kommen. Die Künstlichkeit von Tokio besteht aus seiner extremen Funktionalisierung als kleinteiliges Modul, das asiatische Patterns beständig visuell aufbereitet und sie dem Prinzip der Selbstähnlichkeit unterstellt. Urbane Künstlichkeit verbindet sich in New York daher mit der lokalen Topografie und in Tokio mit immateriellen Mikrostrukturen. Beiden Städten ist die Raumzuschreibung als Nicht-Ort und als DataScape gemeinsam: Das reale Manhattan wird in einen virtuellen Raum verwandelt, der von Anonymität und medialen Interaktionen geprägt ist und der menschliche Wahrnehmungen an eine computergenerierte Umgebung koppelt. Demgegenüber wird Tokio von vornherein als virtuelles Gebilde behandelt, das einen immateriellen, wenig fassbaren Raum besitzt und einen suggestiven Nicht-Ort darstellt. Daher gilt es als wichtiger Unterschied festzuhalten, dass in New York die Zuschreibungen Nicht183

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Ort und Data-Scape dazu eingesetzt werden, neue Wahrnehmungen des Urbanen zu transportieren, während sie in Tokio dazu dienen, bereits vorhandene Stadtstrukturen zu bekräftigen. Beide Städte unterliegen Prozessen urbaner Mediatisierung: Die in New York existenten Mediatisierungsprozesse stehen unter deutlich negativen Vorzeichen: Unter Gefährdung der öffentlichen Ausdrucks- und Bewegungsfreiheit seiner Bewohner nimmt New York flächendeckende elektronische Überwachungen vor und treibt die verschärfte soziale Kontrolle voran. Auffällig ist die Tatsache, dass mediale Kontrollinstanzen lediglich im Zusammenhang mit westlichen Metropolen thematisiert werden, so dass die Hightech-Stadt Tokio nicht durch Überwachungspraktiken, sondern allenfalls durch ein gewisses Maß an räumlicher Hermetik charakterisiert ist. Diese Abgeschlossenheit basiert zudem auf der freiwilligen Introvertiertheit der Tokioter. Sie steht unter positiven Vorzeichen, denn sie gibt Anlass zur Visualisierung von mentalen Imaginationen und poetischen Zwischenzuständen. Demgegenüber fußen die kontemplativen Betrachtungen der Insel Manhattan auf durchgängiger apparativer Kontrolle. In beiden Städten werden Störungen visualisiert: Das Empire State Building als einem bedeutenden Wahrzeichen von New York unterliegt formalen Störungen, die lediglich visuell erfolgen und keine reale Auswirkung auf die Stadtgestalt haben. Auch im virtuellen Tokio wird der Versuch unternommen, Störungen und Kollisionen sichtbar zu machen. Allerdings machen sich diese Störungen nicht an architektonischen Repräsentationen der Stadt fest, sondern an immateriellen Kommunikationsprozessen. Demzufolge beziehen sich mediale Störungen in New York immer auf legendäre und einzigartige Artefakte der Metropole, die als instabil oder getilgt vorgeführt werden. Dagegen setzen mediale Störungen in Tokio an unsichtbaren und latenten Prozessen innerhalb des Urbanen an, die sich bereits aus Instabilitäten gebildet haben und in ihren Erscheinungen schlecht fassbar sind. Der Vergleich zeigt, dass New York und Tokio zugleich als museale und als mediale Städte inszeniert sind, wobei unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen werden. Im Fall von New York dient ihre mythische Zuschreibung als museale Metropole des 20. Jahrhunderts als Anlass dafür, sie zu überzeichnen und mit Aspekten der Mediatisierung zu kontrastieren zu. Vor dem Hintergrund der museal überformten Metropole, können sich mediale Ausprägungen umso deutlicher abheben. New York signalisiert urbane Einmaligkeit, Vitalität und überfrachtete Größe, die durch mediale Interventionen spielerisch abwandelbar sind. Diese Abwandlungen nehmen durchaus spektakuläre Formen an und orientieren sich an innovativen und experimentellen Stadtinszenierungen. 184

VI. NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Daraus lässt sich somit eine Korrespondenz zwischen Mythen und ihren Abwandlungen ablesen: Die jeweilige Ausrichtung des urbanen Mythos ist prägend für die darauf folgende Inszenierung von Abwandlungen. So wird eine computergenerierte Urbanität in New York als irritierend empfunden, während sie im ohnehin als mediatisiert geltenden Tokio nicht auffällt. Das Verhältnis zwischen urbanem Mythos und dessen Abwandlung funktioniert bei Tokio unter umgekehrten Vorzeichen: Seine mythische Zuschreibung als mediale Megacity des 21. Jahrhunderts wird aufgegriffen, um vor dieser Folie museale Ausprägungen sichtbar werden zu lassen. So können sich angesichts der Gleichsetzung von Tokio mit immaterieller Urbanität seine meditative Alltagskultur und mentale Dynamiken umso sichtbarer entfalten. Gleichzeitig wirkt die japanische Großstadt weit weniger spektakulär als die amerikanische, denn in Tokio gehen die urbanen Prozesse unterschwellig und eher unauffällig vor sich. Kontemplation und Imagination verlaufen nicht konträr, sondern parallel zur medialen Unspezifik und zur reduzierten Kleinteiligkeit der Stadt. Insgesamt wandeln sich die Mythen beider Städte dahingehend ab, dass New York eine überformte Metropole des 20. Jahrhunderts darstellt, die als (ambivalentes) urbanes Vehikel des 21. Jahrhunderts erscheint. Tokio wiederum ist eine zurückgenommene Stadt, die sich aus unspezifischen Mikrostrukturen und unterschwelligen Prozessen zusammensetzt und auf latente Formen von Urbanität im 21. Jahrhundert verweist.

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VII. E RWEITERUNGEN URBANER M ODELLE

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Wie bereits im Inszenierungsmodell angesprochen, führt die Analyse von urbanen Medienkunst-Werken zu einer Fülle von Erweiterungen sowohl inhaltlicher als auch methodischer Art: Den Anfang bilden zahlreiche inhaltliche Erweiterungen der Begrifflichkeiten von Musealisierung und Mediatisierung. Es folgen methodische Erweiterungen, denn der Grad an Vielschichtigkeit erweist sich als wichtiges Kriterium zur Einschätzung von urbaner Medienkunst. Hierdurch wird ein Vergleich zwischen allen Werken formulier- und vor allem auch visualisierbar.

Musealisierung und Mediatisierung »revisited« Die Zusammenfassungen der acht Medienkunst-Werke haben zahlreiche neue Aspekte im Bedeutungsspektrum von Musealisierung und Mediatisierung hervorgebracht. Diese neuen Aspekte werden nun zunächst knapp erläutert. Zu einem besseren Überblick, unterliegen alle Aspekte einer Aufteilung in die Ebenen von Raum, Zeit und Bild, die sich bei der Analyse der Medienkunst-Werke deutlich abgezeichnet haben. Immer anschließend an die jeweilige Behandlung von Raum, Zeit und Bild, folgt ein entsprechendes Überblicksschema. In diesen Schemata stehen bereits bekannte neben neuen Aspekten: Vorherige museale und mediale Aspekte aus »Modelle Urbaner Inszenierungen« sind hier ebenso integriert wie neue Aspekte, die im Folgenden kursiv hervorgehoben sind. Urbaner Raum Bei der Musealisierung, wird der Stadtraum in Erweiterung des »Mythos Metropole«, zum Establishing Place, bei dem urbane Hochkultur durch die Vorführung von architektonischen Besonderheiten repräsentiert wird. Der Lokalraum konkretisiert sich in einer Feldstudie vor Ort, die den geografischen Raum erforscht und das Wissen um urbane Entwicklungen einbezieht. Sie klassifiziert lokale Besonderheiten und dient als Ausgangsbasis für spätere Eingriffe in den Realraum. Zu ausgewählten Stadtvierteln und Plätzen als musealen Raummanifestationen gesellen sich Verkehrsknotenpunkte und Kommerzzentren hinzu. Demnach sind es nicht nur geografisch hervorgehobene, sondern auch stark frequentierte Örtlichkeiten, die den urbanen Raum repräsentieren. Die euklidische Geometrie im Stadtraum manifestiert sich sich in der Gitterstruktur von Straßenzügen, die sich angesichts durchgängiger Linearität zu einer rigiden Gleichförmigkeit verfestigen kann. Zudem wird im Lokalraum eine situative Kontextabhängigkeit von musealen Ausprägungen erkennbar, 188

VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

die beispielsweise durch unvorhersehbare politische Ereignisse modifiziert werden. Wichtige Erweiterungen des musealen Raumes beziehen sich auf die Potenziale von symbolischer Räumlichkeit. Auratisch aufgeladene Plätze einer Stadt werden ausgewählt, um deren Energien erforschen und beeinflussen zu können. Mittels Handlungs- und Wahrnehmungsexperimenten werden Kollisionen von verschiedenen Schichten einer Stadt ausgelöst, um Irritationen von konventionellen Raumaneignungen zu bewirken. In Anlehnung an frühe Avantgarden erfolgt die Bewegung im städtischen Raum durch zufälliges Umherstreifen, um das poetische Eigenleben der Großstadt auszuloten. Die Aneignung von öffentlichem Raum umfasst daher auch mentale Prozesse. Die Stadt entwickelt sich zum Laboratorium und unterliegt Desorientierungen und aggressiven Dynamiken. Dieses Laboratorium bewahrt gleichzeitig Spuren des urbanen Kollektivgedächtnisses in sich auf, das die neuen Vorgänge an bereits existente Symboliken rückbindet. So koppeln sich subjektive Imaginationen und verborgene Kräfte an vorhandene Vorstellungen des Urbanen. Zur Manifestation von symbolischer Räumlichkeit werden künstlerische Ausstellungsräume zu situativen Aktionsräumen umfunktioniert, die der Erfahrbarkeit von symbolischen urbanen Handlungen dienen Der Aktionsraum wird ästhetisch verdichtet und erscheint als Schnittstelle zwischen dem städtischen Raum und dem Wahrnehmungsraum der Besucher. Durch die offensive Künstlichkeit des Aktionsraumes vervielfältigen sich die potenziellen Handlungsfelder im Lokalraum. Es bilden sich Vorstellungsräume, bei denen sich der physikalische mit dem imaginativen Raum verbindet. Allerdings können diese Umfunk-tionierungen und Verdichtungen des Lokalraumes ambivalente Züge aufweisen: So kommt es zur Ausprägung eines urbanen Containers als einem abgeschlossenen Innenraum. Bei seiner stetigen Aneignung von äußeren Begebenheiten können sich durchaus klaustrophobische Raumwahrnehmungen ergeben. Auch hinsichtlich der Funktion von Straßen zeigen sich negative Aspekte. Ihre Rolle als Garant von urbaner Fülle und Vitalität setzt sich zwar zunächst dadurch fort, dass sich auf ihnen individuelle Ausdrucksfreiheit artikuliert und sie daher als schützenswerte Zonen betrachtet werden. Doch Straßen stellen gleichfalls Räume gesellschaftlicher Kontrolle dar, die den konkreten Handlungsspielraum der Stadtbewohner einschränken. Im urbanen Raum verschärfen sich soziale Ausgrenzungen, so dass das Recht auf persönliche Kommunikations- und Ausdrucksfreiheit in wachsende Stigmatisierungen übergeht. Hier bildet sich lokales Engagement durch die Entwicklung einer aufklärerischen Gegenöffentlichkeit, die eine Politisierung der urbanen Sphäre vornimmt und urbane Aktions- und Spielräume einfordert. Aus den produktiven und restrik189

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

tiven Tendenzen im Lokalraum ergibt sich ein grundlegendes Infragestellen von Urbanität. Ziel ist die Schaffung einer Plattform für Debatten über neue Formen von öffentlichen Erfahrungsräumen. Der Stadtraum wird als Interventionsfeld begriffen, das die alltägliche Produktion von gesellschaftlichem Raum zur Disposition stellt und individuelle Handlungsexperimente mit symbolischen Kommunikationsprozessen verbindet. Daraus resultiert die Praxis einer urbanen Grundlagenforschung aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Technik. Beim medialen Stadtraum sind grundsätzlich nicht nur übergeordnete Infrastrukturen erkennbar, sondern auch Mikrostrukturen, die aus kleinteiligen, zirkulierenden Einheiten bestehen. Die Beschreibung einer Stadt als Speicher- und Verarbeitungsmedium von Informationen (s. »Mediatisierung Interdisziplinär«) verkehrt sich in die Ausprägung eines Mediums als Stadt: Hierbei wird die Metapher von Urbanität dazu benutzt, um mediale Dynamik, Partizipationsmöglichkeiten und Innovationen zu signalisieren. Ebenso wird die Stadt als Interface angesehen, das urbane Austauschprozesse sichtbar macht. Das Interface dient innerhalb des übergeordneten Urbanen als Schnittstelle, die temporäre Ereignisse auslöst und zukunftsweisende Tendenzen aufspürt. Bei der Auffassung eines medial geprägten Raumes werden Städte als vernetztes Datascape bezeichnet. In diesem logistisch-neutralen Datenraum sind urbane Grenzen zusammengebrochen zugunsten von zahllosen Datenumgebungen und relationalen Vernetzungen. Ist der städtische Raum vollends von elektronischen und computergestützten Operationen durchdrungen, entsteht der Eindruck eines endless dataspace. Alle diese Ausprägungen gehen eng einher mit einer urbanen Umformung in Nicht-Orte, bei denen sich mediatisierte Stadträume zu unspezifischen Phänomenen zusammenziehen. Der mediale Raum von Nicht-Orten erscheint wenig fassbar und hat einen transitorischen Charakter. Besitzt der mediale Stadtraum nur noch reine Oberflächen-Struktur, die auf elektronische Reibungslosigkeit ausgerichtet ist, so entsteht ein glatter Raum. In diesem unbestimmten und flächigen Raum nivellieren sich funktionale Unterschiede im Urbanen nur mehr zu formalen Ähnlichkeiten. Die medialen Transformationen lassen temporäre Raumverschiebungen entstehen, in denen sich urbane Zwischenräume bilden. Gerade durch die Uneindeutigkeit ermöglichen sie poetische Raum- und Zeitverschränkungen und können produktive Öffnungen im städtischen Kommunikationsgefüge auslösen. Die Umwandlungsprozesse äußern sich ebenso in einem spielerischen Affektraum, der audiovisuelle Stadtstrukturen in sich zirkulieren lässt und innovative urbane Trends hervorbringt. Bei der medialen Durchdringung des Urbanen entsteht eine flexible Raumdynamik, so dass konventionelle Raumnutzungen eine zusätzliche 190

VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

Aktivierung durch das digitale Dehnen und Stauchen von Raum erfahren. Dadurch zeigen sich Überlagerungen von virtuellen und realen Raumwahrnehmungen. Es kommt zum Prozess des Spacing, bei dem eine Verbindung von euklidischer Raumerfahrung mit immaterieller Raumbildung stattfindet. Topografische überlagern sich mit virtuellen Strukturen und bilden gemeinsam den Stadtraum. Da technologischen Prozessen eine grundsätzliche Indifferenz innewohnt, beschleunigt sich die flächendeckende Überwachung des Stadtraumes. Elektronische Überwachungsmedien führen zu Verschärfungen von urbanen Sicherheitsstandards, welche die ohnehin zum städtischen Organisationsprinzip gehörenden sozialen Ausgrenzungen weiter festschreiben. Die medialen Kontrollinstanzen erweitern unaufhörlich ihre Zonen der Erfassung von menschlichen Alltagsroutinen, so dass sich der individuelle Aktionsradius im Stadtraum einschränkt. Angesichts der massiven Überwachungen formiert sich eine mediale Gegenöffentlichkeit, die urbane Kontrollen im elektronischen Raum des Internet veröffentlicht und alternative Verhaltenstaktiken simuliert. Die operativen Regeln im städtischen Überwachungsraum werden nachvollziehbar und gleichzeitig strategisch abwandelbar. Politisches Engagement nutzt vorhandene mediale Strukturen, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im urbanen Raum zu stärken. Die Kommunikation über mediale Kontrollen im Lokalraum findet daher im virtuellen Raum statt. In den folgenden Überblickschemata von Raum, Zeit und Bild sind die bereits in Kap. II präsentierten musealen und medialen Aspekte von den entsprechenden neuen Aspekten begleitet, die kursiv hervorgehoben sind.

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

RAUM MUSEALISIERUNG

MEDIATISIERUNG

Establishing Place Konkreter Handlungsraum Lokalraum/Feldstudie Stadt/Ort/Viertel Straße/Plätze/Zentrum Verkehrsknotenpunte/ Kommerzzentren Rigide Gitterstruktur Situative Kontextabhängigkeit

Global City Neues Machtgefüge Infrastrukturen/Mikrostrukturen Stadt als Medium/ Medium als Stadt Stadt als Interface Cyberspace/Datascape/ Endless Dataspace Nicht-Ort/Glatter Raum

Raum-Zeit-Kontinuum Kollision Umherstreifen/Desorientierung Laboratorium Aktionsraum/Vorstellungsraum

Energie- und Informationsfluss Elektronische Durchdringung Überlagerungen von Raum und Zeit Rekombination des Raumes

Architektur Topografie/Territorium Museum/Archiv Erlebnisraum Container

Mediale Mobilmachung von Architektur Zwischenraum Affektraum Digitales Dehnen und Stauchen

Mythos Metropole Offene Weltstadt/Westliche Hochkultur Kontrolle/Ausgrenzungen Gegenöffentlichkeit

Privatisierung von Öffentlichkeit Flächendeckende Überwachung Verschärfungen von Sicherheitsstandards Mediale Gegenöffentlichkeit

Bewahrung/Rettung Reurbanisierung/Revitalisierung Infragestellen von Urbanität Stadt als Interventionsfeld Urbane Grundlagenforschung

Spacing

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VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

Urbane Zeit Bei der musealen Zeit erweitern sich die Begriffe von Vergangenheit, Geschichte und Tradition. Zum einen geschieht dies in Form einer Retrospektive, die zeitliche Rückbezüge auf erfolgreiche architektonische Ären unternimmt. Zum anderen ist die museale Zeitkomponente nicht ausschließlich durch ihren Vergangenheitsbezug gekennzeichnet, denn sie ist ebenso durch das aktuelle Zeitgeschehen geprägt, das zum Vergleich von vergangenen und gegenwärtigen städtischen Entwicklungen führt. Auch die zeitliche Dauer differenziert sich weiter aus: Sie verlängert sich durch den Anschein der Unvergänglichkeit hin zur potenziellen Ewigkeit einer Stadt. Mit ihr schwingt allerdings immer die unausweichliche Vergänglichkeit von kulturellen Wahrzeichen mit. Auf die stabilisierende Funktion der Dauer verweist die Kontinuität von städtischen Prozessen. Selbst angesichts aktueller Veränderungen erscheint die Metropole als beständiger Regelkreislauf. Daraus leitet sich die funktionale Taktgeberrolle einer Stadt ab, die urbane Ereignisse souverän in ihren eigenwilligen Rhythmus integriert. Darüber hinaus erweitert sich der Zeitraum der Moderne um die Anlehnung an frühe Avantgarden, die temporäre Beschleunigungen von urbanen Prozessen inszenieren. Bei der Rezeption weitet sich die Zeiterfahrung auf ein andächtiges Verharren aus. Urbane Kompositionen lösen beim Betrachter meditative Versenkungen aus, die von ruhiger Kontemplation geprägt sind. Anstelle der Beschleunigung von immer neuen Zeichen findet eine Verlangsamung der Präsentation von urbanen Motiven statt. Dieser retardierte Modus beeinflusst die inhaltliche Auseinandersetzung, indem eine Reflexion von Geschehnissen und damit eine moderate Beurteilung von aktuellen Ereignissen innerhalb der Stadt möglich wird. Es verdeutlicht sich, dass urbane Alltagssituationen durch ein Gleichmaß von Stillstand und Bewegung zu Stande kommen. Demzufolge perpetuiert die Stadt ihre Alltagskultur durch ständige Wiederholungen von Ereignissen. Bei der mediatisierten Zeit erweitert sich die Echtzeit dahingehend, dass sie nicht nur eine computergesteuerte Taktung von Interaktionsprozessen darstellt, sondern auch Live-Übertragungen umfasst. Im ununterbrochenen Streaming erfolgen Live-Transfers von urbanen Ereignissen, die mit unmerklichen Zeitverzögerungen übermittelt werden. Die elektronische Übertragung von aktuellem Geschehen lässt den Eindruck von Unmittelbarkeit aufkommen, die ein scheinbar direktes und zeitgleiches Miterleben ermöglicht. Besonders ausgeprägt geschieht dies bei Live-Übertragungen, die einen permanenten Flux von medialen Informationen auslösen. Die mediale Zeit besitzt Diskontinuitäten, die den vorübergehenden Charakter von urbanem Geschehen spürbar werden lassen. Die damit provisorische Zeitkomponente fördert den Eindruck von Tem193

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

poralität urbaner Prozesse. Städte werden zu energetischen Zeitzonen, die einem ständigen medialen Wandel unterliegen und allenfalls für kurzfristige Ereignisse sorgen. Bei der ununterbrochenen elektronischen Zusammenziehung von Zeit und Raum findet eine Synchronisation beider Ebenen in der Gegenwart statt. Durch diese Zusammenziehung werden die jeweiligen Besonderheiten von Zeit und Raum nivelliert. Es bilden sich Simulationen, die einen internen Realismus schaffen, bei dem gegenwärtige und vergangene urbane Ereignisse gleichwertig behandelt werden. Diese Ereignisse unterliegen der Logik der Sequenzialität, die sich in zeitliche Abfolgen gliedert. Urbanes Geschehen kann somit durch die Auslösung von zeitlichen Intervallen nachvollzogen werden Als Resultat entsteht eine Endlosschleife urbaner Mediatisierung, welche die Ereignisse innerhalb einer Stadt komprimiert, punktuell verdichtet und in unzähligen Wiederholungen aneinander reiht. Diese Form der Wirklichkeitsgenerierung stützt sich auf die ausschließlich mediale Erfassung von urbanen Ereignissen. Bei der Exklusivität dieses Vorgehens wird urbane Realität gänzlich durch Medialität hergestellt. Es kommt zu unentwegten Informationsverbreitungen, die kontinuierlich Bild-, Tonund Textübermittlungen im Urbanen durchführen. Insgesamt werden medialen Ausprägungen zukunftsweisende Tendenzen für die Stadtentwicklung zugeschrieben, wobei die Einschätzungen ihrer voraussichtlichen Wirkung von kommunikativer Partizipationsmöglichkeit bis hin zu bedrohlicher Einschränkung reichen. Insbesondere die mediale Allgegenwart in westlichen Metropolen weist demnach eine gefährliche Omnipräsenz von elektronischen Technologien auf. Angesichts der globalen Ausbreitung von Technologie kommt es zu einer Hinterfragung von medialer Allgegenwart in den Städten. Fragen nach dem Sinn von allgegenwärtigen Medienverbünden im Stadtgefüge versuchen, einen reflektierten Umgang mit aktuellen Technologien zu bewirken.

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VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

ZEIT MUSEALISIERUNG

MEDIATISIERUNG

Vergangenheit/Retrospektive Geschichte/Aktuelles Zeitgeschehen Tradition Moderne/Zweite Moderne Frühe Avantgarden

Gegenwart Echtzeit/Streaming Unmittelbarkeit/ Permanenter Flux Zukunft/Tendenzen Geschichtslosigkeit Neutralisiertes Zeit-Raum-Gefüge Allgegenwärtigkeit Instantaneität/Simultaneität

Kollektive Erinnerung Modell Museum Sakralisierung Dauer/Ewigkeit/ Vergänglichkeit/Kontinuität/ Stabiler Regelkreislauf Zyklus/Taktgeberrolle Entwicklung/Körperzeit

Diskontinuitäten/Temporalität Taktung/Zeitzonen Synchronisation von Zeit und Raum Logik der Sequenzialität Intervalle Beschleunigung Zeitüberlappungen Verräumlichung von Zeit Vernetzung Verdichtung Simulation

Inventarisierung Einfrieren Stillstellen Kontemplation Verlangsamung Reflexion Vergangenheitsvergegenwärtigung

Inszenierung von Weltsimultaneität Mediale Endlosschleife Unentwegte Informationsverbreitungen Omnipräsenz Hinterfragung medialer Allgegenwart

Entzeitlichung Gleichmaß von Stillstand und Bewegung

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Urbanes Bild Beim musealen Bild konkretisiert sich die aktuelle Baugestalt in einem Stadtplan, der eine visuelle Orientierung im unbekannten Urbanen ermöglicht. Er stellt eine Form der musealen Kartografie dar, bei der lokale Topografien maßstabsgetreu abgebildet sind. Bei den musealen Stadtbildern gesellen sich architektonische Artefakte hinzu, die erfolgreiche Erzeugnisse städtischer Kultur darstellen. Durch die sorgfältige Inszenierung von städtischer Hochkultur werden kulturelle Einzigartigkeiten zu unverwechselbaren urbanen Ikonen stilisiert, die weltweit die jeweilige Metropole signalisieren sollen. Das urbane Motiv wird in einen bildhaften Kultträger transformiert, bei dem eine Produktion vom Bild eines Bildes stattfindet. Aufgrund ihrer symbolgeladenen Bildlichkeit kommt es zu einer visuellen Beschwörung der Ikonen, die wie ein andächtiges Verharren vor einem sakralen Bild erscheint. Als bildhafte Kultträger städtischer Imposanz strahlen Ikonen souveräne Erhabenheit aus. Dabei wird das hohe Maß an visueller und kultureller Eigenbezüglichkeit sichtbar, die symbolgeladenen Bildträgern innewohnt. Aus dieser ikonologischen Dichte resultiert eine mythische Überhöhung von urbanen Wahrzeichen. Bei ihnen geschieht eine kulturelle Überformung, die sich auf die Stadt überträgt. Diese Überformung zeigt sich deutlich in Stadtmotiven, die zu einem Bilderkanon von urbanen Klischees geworden sind. Dieser Kanon äußert sich in der beständigen Verbreitung eines künstlich aufrecht erhaltenen Bilderkreislaufes. Dies wirft wiederholt Fragen nach der tatsächlichen kulturellen Prägekraft von städtischen Wahrzeichen auf. Zudem wird offensichtlich, dass urbane Repräsentationen immer auch artifizielle Bedeutungsmuster besitzen. Dabei können urbane Inszenierungen einer Künstlichkeit unterliegen, die in produktiver Weise das städtische Innovationspotenzial veranschaulicht. Die Künstlichkeit wird nach den Regeln eines funktionalen Spieles eingesetzt, das die museale Illusionierung gezielt verstärkt. Für eine ZurSchau-Stellung von exklusiven Stadtmotiven sorgen zudem Anleihen an die Kunstform des großformatigen Landschaftspanoramas, das die Monumentalität mit auratischem Glanz verbindet. Der panoramatische Fernblick suggeriert eine Anwesenheit in exklusiven Räumen und schafft die Illusion der visuellen Bemächtigung der präsentierten Stadtlandschaft. Die Panoramaansicht erklärt den Horizont zur Kunstform und unterwirft die ausschnitthafte lokale Topografie einem optischen Kontrollblick. Demgegenüber kristallisiert sich als individuelle Handlungsmöglichkeit im Urbanen das aktive Blickverhalten von Stadtbewohnern heraus. Das Blickverhalten erweitert das Spektrum der Vitalität einer Stadt, da es für kommunikative Öffnungen in ihren Alltagsroutinen sorgt.

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VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

Beim mediatisierten Bild können sich innerhalb einer Stadt verschiedene elektronische Bilder zu einem Medienverbund zusammenschließen, um die Aufzeichnung, Bearbeitung und Weitergabe digitaler Bilder zu koordinieren. Durch den Technikeinsatz von Kameras, Computern und Netzwerken entsteht ein umfangreiches Instrumentarium zur Bereitstellung von Stadtbildern. Eine spezielle Form von Kameras bilden die Webcams, die über das Internet ununterbrochen Live-Bilder vom Stadtraum übertragen. Als Basis von audiovisuellen Interaktionen dienen spezielle Interface-Techniken, die individuelle Interventionen im urbanen Raum ermöglichen. Die urbane Zeichenhaftigkeit erweitert sich zu einem audiovisuellen Zeichensystem, das sich aus den Parallelmedien von Computerspiel, Comic und Film ergibt. Es entsteht eine spielerische Kombinatorik durch humorvolle Genre-Anleihen an die Parallelmedien. Aus spezifischen Bild- und Tonüberlagerungen im Stadtraum bilden sich urbane Icons, die bereits vorhandene mediale Codes aufgreifen und spezifische Stadtwahrnehmungen erzeugen. Sind die angebotenen Bildwelten durch eine digitale Bearbeitung geschichtet und flexibel, prägen sich urbane Cluster aus. Sie führen eine grenzenlose Dynamisierung der Stadtgestalt vor und präsentieren Transformationen, die sich in einem stadtspezifischen TonIndex konkretisieren können. Eine weitere Form der Visualisierung von urbanen Prozessen stellen verdichtete und veränderbare Diagramme dar. Sie sind ein computergrafischer Output von interaktiven Eingriffen in den virtuellen Stadtraum. Als Überschneidung von lokalen mit immateriellen Prozessen bildet sich eine urbane Datenarchäologie aus. Durch sie werden gezielt diejenigen visuellen Datenmengen archiviert und verwaltet, die eine Stadt informieren. In Form einer zeichenhaften Kartografie, verknüpft die Datenarchäologie lokale Knotenpunkte einer Stadt mit ihren latenten Kommunikationsprozessen und macht die Überschneidungen beider Vorgänge sichtbar. Da diese Überschneidungen bei einer Kartografie grundsätzlich abstrakt dargestellt sind, erfolgt zudem die unmittelbare Umsetzung der urbanen Prozesse durch eine ästhetische Schau von Ereignissen. Auch Bildausfälle werden mitunter zu ästhetischen Ereignissen werden: Elektronische Dropouts gehören den systemimmanenten Störungen von Bildtransfers an und können konzeptuell genutzt werden, indem sie die alltägliche Störanfälligkeit und die grundlegende Fragilität von groß angelegten Stadtstrukturen veranschaulichen. Die visuellen Instabilitäten suggerieren die labile Beschaffenheit von urbanen Wahrzeichen. Digitale Einblendungen liefern knappe indexikalische Zusatzinformationen über die Urheberschaft von elektronisch vermittelten Stadtmotive. Als Hin-

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

weis auf den Produktionskontext der Motive, bekommen die Einblendungen die Rolle einer digitalen Signatur. Grundsätzlich wird erkennbar, dass ein monotoner Technikeinsatz den Eindruck der Beliebigkeit des urbanen Motivs aufkommen lässt. Die mediale Akkumulation betont das Serielle des Motivs, das einer grenzenlosen Austauschbarkeit zu unterliegen scheint. Die Stadtmotive entsprechen einander formal und lösen den Eindruck eines selbstähnlichen Moduls aus, das permanent gleichförmige Strukturen präsentiert. Die Stadtgestalt wird zum widerspruchsfreien Bilderfluss von indifferenten Texturen. Dies führt zu einer reibungslosen Koordination von urbanen Motiven, bei der Neuheiten aus Ähnlichkeiten hergestellt werden. Es geschieht operatives Recycling von Stadtstrukturen, so dass sich der Eindruck von visueller Uniformität einstellen kann. Jedoch resultiert aus dieser Uniformität von urbaner Bildlichkeit auch eine eigenwillige Unspezifik, die semantische Öffnungen für unterschwellige Prozesse bereitzustellen vermag. Somit wird die Stadt zur Projektionsfläche für die Sichtbarmachung von latenten Prozessen. Umso mehr erweisen sich mediale Interaktionen als wichtig, um urbane Dynamiken zu initiieren und deren Verläufe zu visualisieren. Interaktionen übersetzen körperliche Handlungen via Interface-Techniken in eine bildhafte Ebene zur Veranschaulichung von temporären Ereignissen. Durch die vielgestaltigen Interventionsmöglichkeiten sowie Bild- und Tonüberlagerungen können zukünftige urbane Tendenzen sichtbar gemacht werden. Daher spielen konnektive Vernetzungen eine wichtige Rolle für die Durchführung von ereignisorientierten Aktionen im mediatisierten Stadtgefüge. Die damit verbundene Visualisierung folgt nicht nur ästhetischen Prämissen, sondern fordert auch das Machtgefüge in medial hierarchisierten Städten heraus. Urbanes Machtgefüge generiert sich gerade durch den Einsatz von medialer Bildlichkeit. Die Fusion diverser Visualisierungsapparaturen drückt sich in einer panoptischen Gesellschaft aus, die durch die unentwegte Anwesenheit von vernetzten optischen Kontrollinstanzen urbane Sicherheit suggeriert. Mittels einer dezidierten Strategie der Sichtbarkeit und der Unsichtbarkeit von Bildern operiert die panoptische Gesellschaft im Machtgefüge der technologischen Überwachung von Städten. Im Kampf um die kommunikative Macht innerhalb realer und virtueller urbaner Sphären findet ebenso eine gegenöffentliche Strategie des Medialen statt, die spielerische Visualisierungen durch taktische Simulationen und interaktive Operationen im Urbanen umfasst.

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VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

BILD MUSEALISIERUNG

MEDIATISIERUNG

Stadtbilder/Imagepflege Zeichen/Stadtplan/Kartografie Artefakte/Ikonen Mythen/Klischees Landschaftspanorama/ Horizont als Kunstform

Informationstechnolgie/ Medienverbund Elektronik/Tonindex Cluster/Icons Computer/Game/Comic/Film Signal/Codes/Interface Netzwerke/Interface-Techniken Monitor/Screen/Webcam Piktogramme/Diagramme Datenarchäologie/Kartografie

Repräsentation Symbolgehalt Authentizität Inszenierung/Ästhetisierung Bild eines Bildes/Beschwörung Erhabenheit Eigenbezüglichkeit Überhöhung/Überformung

Ikonologische Unlesbarkeit/ Digitalität/Hypermedialität Immaterialität/Virtualität Ästhetische Schau von Ereignissen Bildausfälle/Instabiliäten Austauschbakeit/Uniformität/ Unspezifik Grenzenloses Bilderspektrum Spektakel

Musealer Blick Bemächtigung/Kontrollblick Konservierung Klassifizierung Verbreitung Funktionalisierung Bilderkanon/Bilderkreislauf Künstlichkeit/Produktive Künstlichkeit Zerstörung

Bilderflut/ Selbstähnliches Modul Kopierbarkeit/Serielles/Recycling Bilderkreislauf Digitale Signatur Beliebigkeit/Neuheiten aus Ähnlichkeiten Widerspruchsfreier Bilderfluss Flächigkeit/Projektionsfläche

Aktives Blickverhalten Kommunikative Öffnung Fragen nach der kulturellen Prägekraft

Interaktion/ Konnektive Vernetzung Kampf um kommunikative Macht Data-Veillance/ Panoptische Gesllschaft

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Grad der Vielschichtigkeit urbaner Medienkunst Bereits bei den konkreten Werken zu New York und Tokio bildet das Verhältnis zwischen musealen und medialen Aspekten den Schluss jeder Einzelanalyse. Nun soll dieses Verhältnis dazu dienen, urbane Medienkunst-Werke hinsichtlich ihrer jeweiligen Vielschichtigkeit betrachten zu können. Diese Vielschichtigkeit ermöglicht nicht nur einen vergleichenden Überblick über zentrale Strukturen aller Werke, sondern sie ist vor allem ein wichtiges Kriterium zur Einschätzung von Medienkunst. Aus den eingehenden Analysen zeichnen sich zwei grundlegende Verhältnisse zwischen musealen und medialen Aspekten ab: das quantitative und das qualitative Verhältnis. Das quantitative Verhältnis bezieht sich auf die mengenmäßige Verteilung zwischen musealen und medialen Aspekten, die sich entweder in einer Dominanz oder in einer Balance ausdrückt: Überwiegt einer der Aspekte, führt dies zu seiner Dominanz; stehen beide Aspekte in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander, resultiert daraus eine Balance zwischen ihnen. Das qualitative Verhältnis ergibt sich aus Austauschprozessen zwischen musealen und medialen Aspekten: Hierbei wird erkennbar, ob ein dynamischer Austausch zwischen ihnen stattfindet oder ob ein indifferentes Nebeneinander von beiden Aspekten besteht. Die unterschiedlichen Grade der Vielschichtigkeit von urbaner Medienkunst ergeben sich aus der Kombination von dem quantitativen mit dem qualitativen Verhältnis: So existiert bei einem Werk von hoher Vielschichtigkeit sowohl eine deutliche Balance als auch ein dynamischer Austausch zwischen musealen und medialen Aspekten. Entsprechend weist ein Werk mit geringer Vielschichtigkeit zum einen eine Dominanz von entweder Musealisierung oder Mediatisierung auf, und zudem herrscht lediglich ein Nebeneinander beider Aspekte vor. Für ein Medienkunst-Werk von mittlerer Vielschichtigkeit gibt es zwei Optionen: Einerseits mag zwar ein Balance-Verhältnis zwischen musealen und medialen Aspekten vorliegen, doch entfalten sich beide lediglich in nebeneinanderher laufenden Strukturen. Ein derartiges Werk scheint vordergründig vielschichtig, ist tatsächlich jedoch eher schematisch und spannungsarm. Andererseits können sich trotz einer eindeutigen Dominanz von musealen oder medialen Aspekten sehr dynamische Austauschprozesse zwischen ihnen ereignen, so dass die Medienkunst-Arbeit trotz ihrer tendenziösen Einseitigkeit insgesamt eine mittlere Vielschichtigkeit besitzt. Die unterschiedlichen Grade der Vielschichtigkeit ergeben sich aus folgenden Kombinationsmöglichkeiten:

200

VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

Vielschichtigkeit

Quantitativ

Qualitativ

Grad der Vielschichtigkeit

Dominanz (D) Balance (B)

Austausch (A) Nebeneinander (N)

von musealen und medialen Prozessen

B + A = Hoher Grad D + N = Geringer Grad

D + A = Mittlerer Grad B + N = Mittlerer Grad

Bei der konkreten Ermittlung der Vielschichtigkeit der hier behandelten Medienkunst-Werke kommt der methodische Aufbau der Überschriften zweiter Ordnung aus »IV. Medienkunst-Werke New York« und »V. Medienkunstwerke Tokio« erneut zum Einsatz: Aus dem Vorgehen, zunächst museale und dann mediale Aspekte zu analysieren, lässt sich nun das quantitative Verhältnis der Dominanz oder der Balance ablesen. Ebenso entspricht das sich anschließende Verhältnis von musealen und medialen Aspekten hier nun dem qualitativen Verhältnis des Austausches bzw. der Indifferenz. Bei den folgenden Darstellungen befinden sich die musealen Aspekte (MU) auf der linken und die medialen Aspekte (ME) auf der rechten Seite, zwischen denen das Verhältnis der Dominanz (D) oder der Balance (B) herrscht. In der Mitte der Darstellung ist das qualitative Verhältnis inklusive der Begriffe »Austausch« bzw. »Nebeneinander« kursiv hervor gehoben. Sowohl das quantitative als auch das qualitative Verhältnis von musealen und medialen Aspekten erscheinen je nach Ausprägung größer oder kleiner im Druck. Kurze Stichworte kommentieren das Schema und leiten zum jeweiligen Grad an Vielschichtigkeit des Medienkunst-Werkes über.

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

THE LEGIBLE CITY MU

Straßengitter Radfahrt

D

ME

Austausch

Literatur-Cluster Nicht-Ort Event-Structure

Spacing Dynamisches Data-Scape Dominanz medialer Aspekte Dynamik von räumlichen und mentalen Austauschprozessen

= Mittlerer Grad an Vielschichtigkeit

THE CHILD D

MU

Establishing Place Taktgeber-Metropole

Austausch

ME

Digitale Poesie Akustischer Index Computerspiel

Rekombination des Raumes

Transformatives Zeichensystem Spielerischer Affektraum Trotz der Dominanz medialer Aspekte existiert ein hochdynamischer Austausch auf räumlicher, semiotischer und affektiver Ebene.

= Hoher Grad an Vielschichtigkeit

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VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

EMPIRE 24/7

B

ME

Nebeneinander

Elektronischer Flux Temporäre Störung Digitales Signet

MU

Hommage Mythische Ikone Lichtskulptur

Konzeptionelle Sinnentleerung Trotz ausgewogener Balance zwischen musealen und medialen Aspekten existiert ein Nebeneinander von beiden Ebenen. Auch die konzeptionelle Sinnentleerung neigt zur Indifferenz.

= Mittlerer Grad an Vielschichtigkeit

2001 MU

1

2

D

Laboratorium Manhattan Landschaftsmalerei Terroranschlag

ME

Elektronische Architektur

B Austausch

Mediale Endloschleife

Archiv des Untergangs Ästhetik der Destruktion Bei diesem Werk existieren 2 Phasen: Bei Phase 1, der Ursprungskonzeption, dominieren die musealen Aspekte ohne jeglichen Austausch mit den medialen Aspekten. Phase 2 ist durch den Terroranschlag geprägt, der sowohl eine Balance als auch einen Austausch zwischen musealen und medialen Aspekten auslöst.

= Geringer bis Mittlerer Grad an Vielschichtigkeit

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

iSEE

B

MU

Lokale Stigmatisierung Urbaner Freiraum

Austausch

ME

Technologische Kontrollinstanz Hyperüberwachung

Kommunikativer Selbstentwurf Spielerische Strategie Ausgleich zwischen musealen und medialen Aspekten, die kommunikativen und strategischen Austauschprozessen unterliegen. Dynamik politischer Gegenöffentlichkeit.

= Hoher Grad an Vielschichtigkeit

IO_DENCIES TOKYO MU

B

ME

Unitärer Urbanismus Kartografien Vorstellungsraum

Austausch

Konfliktästhtetik Maschinismus Vernetzungen

Translokale Interventionsfelder Ausgesprochene Balance zwischen musealen und medialen Aspekten. Es wird eine hohe Dynamik signalisiert, jedoch bleiben die eigentlichen Austauschprozessezwischen beiden Ebenen relativ gering. Beachtlich sind die konzeptionelle Komplexität und die urbane Grundlagenforschung.

= Hoher Grad an Vielschichtigkeit

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VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

ELSEWHERE MU

Innenraum Mentaler Rückzug Aktiver Blick

B Austausch

ME

Signalüberlagerungen Katalysator Zwischenraum

Offensive Künstlichkeit Aufmerksamkeitsfeld Ausgesprochene Balance zwischen musealen und medialen Aspekten. Deutlicher Austausch zwischen offensichtlichen und unterschwelligen Wahrnehmungsebenen.

= Hoher Grad an Vielschichtigkeit

TOKYOCITY.EE

MU

D

Yamamote-Konservierung Semiotisches Rätsel Nebeneinander

ME Stadt als Akteur Eigenzeit Glatter Raum

Indifferentes Konglomerat Dominanz medialer Aspekte Indifferentes Nebeneinander von musealen und medialen Aspekten

= Geringer Grad an Vielschichtigkeit

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Die Schemata verdeutlichen sehr anschaulich, welche unterschiedlichen Grade der Vielschichtigkeit in Medienkunst-Werken zu New York und Tokio vorhanden sind. Hierdurch entsteht die Möglichkeit eines strukturellen Vergleiches zwischen allen Werken, wobei sich mitunter Verlautbarungen über eine angeblich hohe Komplexität einer Arbeit relativieren oder aber – in umgekehrter Richtung – die bislang wenig hervorgehobene Vielschichtigkeit eines Werkes zum Vorschein kommt. Wie sich an diesem und dem vorangegangen Kapitel ablesen lässt, hat die ausführliche Analyse drei konkrete Resultate erzielt: Es kam zu offensichtlichen und subtilen Abweichungen bei den Mythen von New York und Tokio, die operativen Begrifflichkeiten von Musealisierung und Mediatisierung erfuhren zahlreiche Erweiterungen, und der Grad an Vielschichtigkeit lieferte ein wichtiges Kriterium zur Einschätzung von urbaner Medienkunst. Es stellt sich abschließend die Frage nach einer möglichen Übertragbarkeit des Modells auf weitere Inszenierungskontexte und -Praxen. Grundsätzlich läge es nahe, Medienkunst-Werke zu anderen Städten wie beispielsweise zu Rom und Hongkong einer vergleichenden, strukturellen Analyse zu unterziehen. Dabei käme Rom als der »Ewigen Stadt«1 ein musealer Mythos und Hongkong als der Megacity aus HightechSkyscrapers2 ein medialer Mythos zu. Ebenso wäre es denkbar, anstelle des Kontextes der Medienkunst beispielsweise den des Spielfilmes, der Gegenwartsfotografie oder auch der Computerspiele auf ihre musealen und medialen Inszenierungen von Städten hin zu betrachten, denn ganz unterschiedliche künstlerische und populärkulturelle Kontexte eignen sich für eine Analyse ihrer musealen und medialen Praxen. Bei allen Übertragungsmöglichkeiten gilt es zwei wichtige Gesichtspunkte zu beachten: Zum einen sollten sich bei den jeweiligen Werken deutliche und jeweils sehr unterschiedliche urbane Mythen abzeichnen. Zum anderen ist die Wahl eines geeigneten Inszenierungs-Kontextes sehr entscheidend. Dieser sollte möglichst heterogene Praktiken umfassen und dabei 1

2

Siehe dazu Jim Antoniou: Städte gestern und heute. Ein Streifzug durch die Geschichte der Weltmetropolen, Köln 1998; Francesco Dufour: Alte Wege nach Rom: auf traditionsreichen Straßen in die Ewige Stadt, Innsbruck 1999; Heinz-Joachim Fischer: Rom – Zweieinhalb Jahrtausende Geschichte, Kunst und Kultur der Ewigen Stadt, Köln 2000. Siehe dazu Erhard Pansegrau/Klaus A. Dietsch: Hongkong, München 1996; Michael Mönninger: »Bodenlose Sicherheit: Hongkong«. In: Ders. (Hg.), Last Exit Downtown, a.a.O., S. 46-53; Aaron Tan: »The Walled City«. In: Stan Allen/Kyong Park (Hg.), Sites and Stations. Provisorial Utopias. Architecture and Utopia in the Contemporary City No.7, Hongkong 1994, S. 146-155; Deutsches Architekturmuseum Frankfurt (Hg.), Hongkong Architektur. Die Ästhetik der Dichte, München 1993; Space Design 330/ 1992: Hong Kong: Alternative Metropolis.

206

VII. ERWEITERUNGEN URBANER MODELLE

gleichzeitig auf bestimmte Formen eingrenzbar sein, die vorab zu charakterisieren wären. Bei allen zukünftigen Inszenierungs-Analysen wird sich zeigen, wie ausgeprägt jeweils die Abwandlungen urbaner Mythen, die Erweiterungen von Musealisierung und Mediatisierung sowie der Grad an Vielschichtigkeit sind. Früchtl und Zimmermann betonen die zentrale Rolle von Inszenierungen auf der gesellschaftlichen, individuellen und kulturellen Ebene und plädieren für eine umfangreiche und vor allem differenzierte Auseinandersetzung mit der Inszenierungs-Thematik, was auch die vorliegende Publikation unterstreichen möchte: »[...] die Reflexion über ›Inszenierung‹ sollte hinter der prätendierten Einheit des Begriffes die Unterschiede und hinter seiner Hypostase die Genese hervortreten lassen. In Zeiten seines ubiquitären Gebrauchs ist das Bemühen um Differenzierung vordringlich. [...] Im Falle der Künste kann sie sogar dazu verhelfen, Kriterien für die Unterscheidung zwischen einer guten und einer schlechten Inszenierung abzugeben. [...] Sie könnte, in aller historischen Relativität, für die Debatten unserer Zeit eine klärende Funktion übernehmen.«3

3

Früchtl/Zimmermann: »Ästhetik der Inszenierung«, a.a.O., Frankfurt a.M. 2001, S. 46f (vgl. Kap. II FN 49).

207

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NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

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LITERATUR/RECHERCHE-POOL

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219

ABBILDUNGEN

Abb. 1 THE LEGIBLE CITY Radfahrt vor virtuellem Manhattan

Abb. 2 THE LEGIBLE CITY Modell der Straßenzüge von Manhattan

221

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Abb. 3 THE LEGIBLE CITY Transparenz der Buchstaben

Abb. 4 THE LEGIBLE CITY Anonyme Fortbewegung

222

ABBILDUNGEN

Abb. 5 THE CHILD Skyline

Abb. 6 THE CHILD Brooklyn Bridge

223

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Abb. 7 THE CHILD Guggenheim Museum

Abb. 8 THE CHILD Hochhäuser-Schluchten

224

ABBILDUNGEN

Abb. 9 EMPIRE 24/7 Internetbild

Abb. 10 Warhols Film EMPIRE

Abb. 11 EMPIRE 24/7 Zwei Licht- und Wetterstadien

Abb. 12 EMPIRE 24/7 Vier Dropouts

225

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Abb. 13 2001 Dyptichon aus zwei Webcam-Projektionen

Abb. 14 2001 Skyline New York, vorher

Abb. 15 2001 Skyline New York, währenddessen

226

ABBILDUNGEN

Abb. 16 2001 Skyline New York, nachher

Abb. 17 iSEE Ausschnitte Animation

Abb. 18 iSEE Beschreibung

Abb. 19 iSEE Zoombare Straßenkarte mit roten Überwachungskameras

Abb. 20 iSEE Verbindungsroute

227

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Abb. 21 IO_DENCIES TOKYO Karte mit zehn Profilen

Abb. 22 IO_DENCIES TOKYO Profil Hinode

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ABBILDUNGEN

Abb. 23 IO_DENCIES TOKYO Drei Terminals im Ausstellungsraum

Abb. 24 IO_DENCIES TOKYO Ausstellungsraum unten, Live-Performance

Abb. 25 Situationistische Kartografie

229

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Abb. 26 ELSEWHERE Ende des Videos

Abb. 27 ELSEWHERE Übergang vom Standbild zum Bewegtbild

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ABBILDUNGEN

Abb. 28 ELSEWHERE Direkte Blicke in die Kamera

Abb. 29 TOKYOCITY.EE Startseite der CD-Rom

Abb. 30 TOKYOCITY.EE Bildlaufleiste Mitte (Beispiel 1)

231

NEW YORK UND TOKIO IN DER MEDIENKUNST

Abb. 31 TOKYOCITY.EE Bildlaufleiste Mitte (Beispiel 2)

232

ABBILDUNGEN

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: THE LEGIBLE CITY in: http://csw.art.pl/new/99/7e_shaw1.html Abb. 2: THE LEGIBLE CITY, in: http://www.jeffrey-shaw.net/html_main/ frameset-works.php3 Abb. 3: THE LEGIBLE CITY in: http://aig.cs.man.ac.uk/gallery/images/lc2_ 2. jpg Abb. 4: THE LEGIBLE CITY in: http://stephan.barron.free.fr/art_video/ images/shaw_legible.jpg Abb. 5-8: THE CHILD, Stills aus: Intro (Hg.): »Introduced 100: 100 issues intro, essential music videos 1991-2002«, DVD, Produktion Dirk Völler, Realisation Matthias Hörstmann/Matthias Fricke, Berlin 2002 Abb. 10: Warhols s/w-Film EMPIRE in: http://www.zingmagazine.com/zing3/ reviews/001_hall.html Abb. 9, 11-12: EMPIRE 24/7, Stills aus: »cITy/Urbanismus – Internationaler Medienkunstpreis 2000 `Die 50 Besten´«, TV-Sendung des SWR am 27.10.2000 Abb. 13: »2001«, in: http://www.postmastersart.com/archive/staehle.html Abb. 14: »2001«, in: http://www.postmastersart.com/archive/ws_pic4.html Abb. 15: »2001«, in: http://www.postmastersart.com/archive/ws_pic5.html%20 Abb. 16: »2001«, in: http://www.postmastersart.com/archive/ws_pic6.html Abb. 17: ISEE, in: http://www.appliedautonomy.com/isee/ Abb. 18: ISEE in: http://www.appliedautonomy.com/isee/info2.html Abb. 19: ISEE, in: http://66.93.183.118:8080/isee/s1?zm=0&id=434 Abb. 20: ISEE, in: http://66.93.183.118:8080/isee/s1?id=434&cord=?250,241 Abb. 21: IO_DENCIES TOKYO, in: Artlab 7 (Hg.), IO_DENCIES: Questioning Urbanity - Knowbotic Research. Ausstellungskatalog. Tokyo 1998, S. 10 Abb. 22: IO_DENCIES TOKYO, in: http://www.krcf.org/krcfhome/IODENS_ TOKYO/1IOdencies1g.htm Abb. 23: IO_DENCIES TOKYO, in: http://www.krcf.org/krcfhome/ IODENS_ TOKYO/1IOdencies1l_2BIG.htm Abb. 24: IO_DENCIES TOKYO, Zusammenstellung dreier Bilder von: http://www.krcf.org/krcfhome/IODENS_TOKYO/1IOdencies1m.htm ttp://www.krcf.org/krcfhome/IODENS_TOKYO/1IOdencies1o.htm http://www.krcf.org/krcfhome/IODENS_TOKYO/1IOdencies1n.htm Abb. 25: Situationistische Kartografie Guy Debord »Naked City«, in: Simon Sadler: The Situationist City, Cambridge Massachusetts 1999, S. 60 Abb. 26-28: ELSEWHERE, Stills aus: ELSEWHERE Video Egbert Mittelstädt Köln 1999 Abb. 29-31: TOKYOCITY.EE, Stills aus: TOKYOCITY.EE CD-Rom Raivo Kelomees Tallinn 1999

233

Kultur- und Medientheorie Vittoria Borsò, Heike Brohm (Hg.) Transkulturation Literarische und mediale Grenzräume im deutschitalienischen Kulturkontakt

Annett Zinsmeister (Hg.) welt[stadt]raum mediale inszenierungen

Dezember 2006, ca. 280 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-520-0

Jutta Zaremba New York und Tokio in der Medienkunst Urbane Mythen zwischen Musealisierung und Mediatisierung

Simone Dietz, Timo Skrandies (Hg.) Mediale Markierungen Studien zur Anatomie medienkultureller Praktiken Dezember 2006, ca. 270 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-482-4

Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts Dezember 2006, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-420-4

Peter Rehberg lachen lesen Zur Komik der Moderne bei Kafka Dezember 2006, ca. 224 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-577-4

Nic Leonhardt Piktoral-Dramaturgie Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899)

Oktober 2006, ca. 160 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 16,80 €, ISBN: 3-89942-419-0

Oktober 2006, 236 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 25,80 €, ISBN: 3-89942-591-X

Georg Stauth, Faruk Birtek (Hg.) ›Istanbul‹ Geistige Wanderungen aus der ›Welt in Scherben‹ Oktober 2006, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-474-3

Constanze Bausch Verkörperte Medien Die soziale Macht televisueller Inszenierungen Oktober 2006, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-593-6

Bettina Mathes Under Cover Das Geschlecht in den Medien Oktober 2006, ca. 220 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 3-89942-534-0

November 2006, ca. 350 Seiten, kart., ca. 30,80 €, ISBN: 3-89942-596-0

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Kultur- und Medientheorie Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film Zum Verhältnis von Gender und Medium Oktober 2006, ca. 320 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN: 3-89942-563-4

Karin Knop Comedy in Serie Medienwissenschaftliche Perspektiven auf ein TV-Format Oktober 2006, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-527-8

Stefan Kramer Das chinesische Fernsehpublikum Zur Rezeption und Reproduktion eines neuen Mediums

Sibel Vurgun Voyages sans retour Migration, Interkulturalität und Rückkehr in der frankophonen Literatur Oktober 2006, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-560-X

Ursula Link-Heer, Ursula Hennigfeld, Fernand Hörner (Hg.) Literarische Gendertheorie Eros und Gesellschaft bei Proust und Colette Oktober 2006, 282 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-557-X

Petra Missomelius Digitale Medienkultur Wahrnehmung – Konfiguration – Transformation

Oktober 2006, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-526-X

September 2006, 234 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-548-0

Petra Leutner, Hans-Peter Niebuhr (Hg.) Bild und Eigensinn Über Modalitäten der Anverwandlung von Bildern

Helga Lutz, Jan-Friedrich Mißfelder, Tilo Renz (Hg.) Äpfel und Birnen Illegitimes Vergleichen in den Kulturwissenschaften

Oktober 2006, ca. 180 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-572-3

Arno Meteling Monster Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm Oktober 2006, ca. 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 31,80 €, ISBN: 3-89942-552-9

September 2006, 260 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-498-0

Christian Wenger Jenseits der Sterne Gemeinschaft und Identität in Fankulturen. Zur Konstitution des Star Trek-Fandoms August 2006, 406 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 3-89942-600-2

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Kultur- und Medientheorie Michael C. Frank Kulturelle Einflussangst Inszenierungen der Grenze in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts

Georg Mein (Hg.) Kerncurriculum BA-Germanistik Chancen und Grenzen des Bologna-Prozesses

August 2006, 232 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-535-9

Juli 2006, 94 Seiten, kart., 11,80 €, ISBN: 3-89942-587-1

Martin Pfleiderer Rhythmus Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik

Michael Treutler Die Ordnung der Sinne Zu den Grundlagen eines ›medienökonomischen Menschen‹

August 2006, 390 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 3-89942-515-4

Juli 2006, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-514-6

Antje Krause-Wahl, Heike Oehlschlägel, Serjoscha Wiemer (Hg.) Affekte Analysen ästhetisch-medialer Prozesse. Mit einer Einleitung von Mieke Bal

Petra Gropp Szenen der Schrift Medienästhetische Reflexionen in der literarischen Avantgarde nach 1945

August 2006, 196 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-459-X

Barbara Becker, Josef Wehner (Hg.) Kulturindustrie reviewed Ansätze zur kritischen Reflexion der Mediengesellschaft August 2006, 296 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-430-1

Juli 2006, 450 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 3-89942-404-2

Ralf Adelmann, Jan-Otmar Hesse, Judith Keilbach, Markus Stauff, Matthias Thiele (Hg.) Ökonomien des Medialen Tausch, Wert und Zirkulation in den Medien- und Kulturwissenschaften Juli 2006, 338 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 3-89942-499-9

Regina Göckede, Alexandra Karentzos (Hg.) Der Orient, die Fremde Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur Juli 2006, 214 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN: 3-89942-487-5

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