Weisheit und Wissenschaft: Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon

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Weisheit und Wissenschaft: Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon

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ERLANGER BEITRÄGE ZUR SPRACH- UND KUNSTWISSENSCHAFT Herausgegeben von den Professoren der Universität Erlangen: SIEGFRIED BBYSCHLAG (Deutsche und skandinavische Philologie), HEINZ 0. BuRGBR (Neuere Deutsche Literaturgeschichte), KARL HOFFMANN (Vergleichende indogermanische Sprachwissenschaft), ALBERT JUNKER (Romanische Philologie), HmNRICH KUBN (Romanische Philologie), WILHELMLBTTBNBAUBR (Slavische Philologie), KARL ÜBIIINvER (Kunstgeschichte), ERNST SCHWARZ(Germanistik), Orro SEEL (Klassische Philologie), FRANZSTANZEL(Englische Philologie)

BAND X WALTERBURKERT WEISHEIT

UND WISSENSCHAFT

VERLAG HANS CARL NÜRNBERG 1

9 6 2.

WEISHEIT UND WISSENSCHAFT Studien zu Pythagoras, Philolaos

und Platon

von

WALTER BURKERT

VERLAG HANS CARL NÜRNBERG 1

96

2.

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Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexa11der-Universität Erlangen-Nürnberg gedruckt mit Unterstützung

der Deutschen Forschungsgemeinschaft Alle Rechte an diesem Werk, auch die des auszugweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, sind dem V erlag vorbehalten. © Copyright 1962 by Verlag Hans Carl, Nürnberg. - Printed in Germany 1962. Herstellung: C. H. Beck'scbe Druckerei, Nördlingen

VORWORT Wenn Pythagoras nicht als fest umrissene Gestalt im hellen Licht der Geschichte vor uns steht, beruht dies nicht auf bloßen Zufälligkeiten der Überlieferung. Von Anfang an vollzog sich sein Wirken in einer Sphäre von Wunder, Geheimnis und Offenbarung. In jener Bruchzone von Alt und Neu, als in weltgeschichtlich einmaliger Leistung Griechen die rationale Weltdeutung und die mathematische Naturwissenschaft entdeckten, bedeutet Pythagoras nicht den Ursprung des Neuen, sondern das Weiterwirken oder Neuaufleben alter, vorwissenschaftlicher Weisheit, gegründet auf übermenschliche Autorität, ausgeformt in ritueller Bindung. Die Weisheit der Zahl ist vielgestaltig und wandlungsfähig. Was später als Philosophie des Pythagoras galt, hat seine Wurzeln erst in der Schule Platons. Umrisse einer früheren Neuformung pythagoreischer Lehre im Stil der q,ucr,oAoy(c,des 5. Jahrhunderts sind kenntlich in den Fragmenten des Philolaos. Indem sich Neues und Altes in wechselnder Weise durchdrangen, verschob sich das Bild von Pythagoras, bis er mit dem Sieg der rationalen Wissenschaft als deren eigentlicher Ahnherr erschien. Die Untersuchung dieser Zusammenhänge bleibt zu einem gewissen Teil ein Wagnis. Doch wurde versucht, die vorhandenen Zeugnisse allseitiger als bisher auszuwerten und vor allem die Verzweigungen und Wandlungen der Überlieferung aufzuhellen. Mannigfache Beratung und Ermutigung verdanke ich meinen Lehrern Otto Seel, Reinhold Merkelbach und Helmut Berve sowie Dr. Ludwig Koenen und Dr. Burkhart Cardauns, der auch die Korrekturen mitgelesen hat. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Erlangen, April 1962

Walter Burkert

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INHALT Abkürzungen





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XI



Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Platonische und pythagoreische Zahlenlehre

























1 14



14

• • • • • • • • • • • • • • 1. Die platonische Ideenzahlenlehre • • 2. Die Philosophie der Pythagoreer nach Aristoteles . • • • • • • • • • 3. Die spätere Tradition im Widerspruch zu Aristoteles und ihre Quellen: Speusipp, Xenokrates, Herakleides • • • • • • • • • • • • • • • • 4. Pythagoreisches bei Platon und die Entstehung der pythagoreischen Tradition aus dem Platonismus • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

II. Die älteste Pythagorastradition

.















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III. Philolaos





























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86













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203

4. Akusmata • • • • • • • 5. Historische Grundlagen • • • • • • 6. >Akusmatiker< und ,Mathematiker< • •









46



• 1. Zur Quellenlage • • 2. Seelenwanderung und >Schamanismus< • • • • • • • • 3. Frühe Zeugnisse für rationale Wissenschaft bei Pythagoras?





26





1. Die Sonderstellung des Philolaosbuches in der pythagoreischen Tradition 2. Unechtes und Echtes in den Philolaos-Fragmenten

. . . . . . . . .

203 222

3. Reflexe pythagoreischer Philosophie im 5. Jahrhundert

v. Chr.?







256

































278

1. Weltmodell und Planetenordnung 2. Die Theorie der Planetenbewegungen













• •

















278































301

3. Der Kosmos des Philolaos 5. Sternwelt und Unsterblichkeit









































315 335



IV. Zur Geschichte der Astronomie



V. Pythagoreische Musiktheorie







• •







• •































1. Spekulationen, Experimente, Fiktionen 2. Symbolzahl und Proportionenrechnung bei Philolaos •



































348



















348

















365

X

INHALT

VI. Pythagoreische Zahlenlehre und griechische Mathematik

.









1. Grundlegung der griechischen Mathematik durch die Pythagoreer? 2. Pythagoreische Arithmetik • • • • • • • • • • • • • • • • 3. Geometrische Leistungen der Pythagoreer und mathematisches ' heimnis • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •



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379

• •

404

Ge•



424

• •



441

• . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

457

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

468

4. Zahl und Kosmos . Literaturverzeichnis Stellenregister



Personen- und Sachregister











































• . . • . . . . . . . . . . • • . . . . • .

490

Register griechischer Wörter . . • • • • . . . • . . . . . . . . • • • .

496

ABKURZUNGEN (soweit nicht selbstverständlich)

1. ZEITSCHRIFTEN

UND SAMMELWERKE

Archäologischer Anzeiger (vgl. aber Literaturverz.: Szab6) . Archiv für Begriffsgeschichte . Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin Abl1Mainz ....... . Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlicl1en Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz ACl ............. . L' Antiquite Classique Archiv für Geschichte der Philosophie AGPh .....•...... AJ A ............ . American Journal of Archaeology AJPh ........... . American Journal of Philology ALL ............ . Archiv für Lateinische Lexikographie AM ............. . Athenische Mitteilungen AnzAW ......... . Anzeiger für die Altertumswissenschaft ARW ........... . Archiv für Religionswissenschaft Arch. Eph ........ . 'Apxoc,o).oy,x~ 'Eq,")µepl,; Bursian .......... . Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft, begründet von CoNRADBuRsIAN CAG ............ . Commentaria in Aristotelem Graeca, Berlin Cl G ............ . Corpus Inscriptionum Graecarum C!Med ........... . Classica et Mediaevalia Classical Philology ClPh •............ ClQ ............. . Classical Quarterly ClR ............. . Classical Review CMG ............ . Corpus Medicorum Graecorum Dox. . ........... . HERMANNDIELS, Doxographi Graeci. Berlin 1879 (repr. 1958) FGrHist .......... . FELIX JAconv, Die Fragmente der griechischen llistoriker, Berlin 1923 ff. FI-I G ........... . C. MüLLER, Fragmenta I-Iistoricorum Graecorum, Paris 1841 ff. Gn. . ............ . Gnomon HThR . . . . . . . . . . . Harvard Theological Review IF ............... Indogermanische Forscl1ungen IG ............... Inscriptiones Graecae JI-IS . . . . . . . . . . . . . Journal of Hellenic Studies Mnem. . . . . . . . . . . . Mnemosyne. Bibliotheca philologica Batava. NGG ............ Nachrichten der Göttinger Gelehrten Gesellschaft

AA • • • • • • • • AB G ............ AbhBln ..........



• • • •

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ABKÜRZUNGEN

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Philol.

• • • • • • • • •

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Ph W .............

Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur Philologus Philologische Wochenschrift

QSt ...............

Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik, nomie und Physik. B: Studien. Berlin 1931 ff. RAC . . . . . . . . . . . . . Reallexikon für Antike und Christentum RE ............... Realencyclopädie der classischen Altertt1mswissenschaft REA ............. Revue des fitudes Anciennes REG ............ Revue des fitudes Grecques. RhGr ............. Rhetores Graeci, ed. L. SPENGEL. RhM ............. Rheinisches Museum RivFil ............ Rivista di Filologia e d' Istr11zione Classica. RM . . . . . . . . . . . . . Römische Mitteil11ngen

Astro-

RML .............

Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, hgg. v. W. H. RoscHER RPh. . . . . . . . . . . . . . Revue de Philologie SBBln . . . . . . . . . . . . Sitzuugsberichte ten, Berlin

der Preußischen

SBHeid . . . . . . . . . . Sitzungsberichte schaften SBMü.. . . . . . . . . . . . Sitzungsberichte ten, München SIG

.............

der

Akademie der Wissenschaf-

Heidelberger

der Wissen-

der Bayerischen Akademie der Wissenschaf-

Sylloge inscriptionum Graecarum, 3. Aufl. Leipzig 1915-23 Studi Italiani di Filologia Classica

Studit ............

Akademie

ed. W. DITTENBERGER,

SVF ..............

Stoicorum Veterum Fragmenta 1903-21

TAPhA

Transactions of the American Philological Association

..........

vs .............

.

eo!!. H. VON ARNIM, Leipzig

Die Fragmente der Vorsokratiker, griechisch und deutsch von HERMANND1ELS, 10. Aufl. hgg. v. WALTHER KRANZ, Berlin 1961 (= 5. Aufl. 1934-37, mit Nachträgen in der 7. Aufl. 1951) WSt ............ . Wiener Studien n. z. . ........... . nicht zugänglich t. a. q. • • • • • • • • • • • terminus ante quem t. p. q. . ......... . terminus post quem.

2. ANTIKE Ach. Is ....•.•..•..

AUTOREN

Achilles Tatius, Introductio in Aratum, ed. E. MAAss, Commentariorum in Aratum reliquiae, Berlin 1898. Ael. nat. an. . • . • . • Aelianus, De natura animalium Ael. v. h ......•..• -, Varia historia Aet. . .......•..•• 'AeT!ou Ilepl TO>V &peax6vT0>V cruvc,.yo,y-fi, Dox. 267 ff. Aisch. . . . . . . . . . • • . Aischylos

1

ABKÜRZUNGEN

Alex. met ..........

XIII

Alexander Aphrodisiensis, In Aristotelis Metaphysica commentaria ed. M. HAYDUCK,Berlin 1891 (GAG I; zitiert nach Seite und Zeile) Anat. . .......... . Anatolius, Sur !es dix premiers nombres ed. I. L. 1-IEIBERG, Annales internationales d' histoire, Congres de Paris 1900. Paris 1901/2 {zitiert nach Seite und Zeile). A. p. . ........... . Anthologia Palatina Ap. h. m. . ....... . Apollonius, Mirabilia ed. 0. KELLER, Naturalium rerum spriptores Graeci I, Leipzig 1877, 43 ff. Apul. flor. . ...... . Apuleius, Florida Apul. met. . ...... . Apuleius, Metamorphoseon libri XI. Ar. Q. . ......... . Aristides Quintilianus, De musica ed. A. JAHN, Berlin 1882 (Seitenzählung nach Meibom) Arist. • • • • • • • • • • • • Aristoteles; ohne weitere Titelangabe: Aristoteles, Metaphysik (980 a 22-1093) Arist. EE ......... Aristoteles, Ethica Eudemia Arist. EN . . . . . . . . . Aristoteles, Ethica Nicomachea Arist. Fr .......... Aristotelis Fragmenta ed. V. RosE, Leipzig 1886. Aristotelis dialogorum fragmenta ed. R. WALZER,Florenz 1934. Aristotelis fragmenta selecta ed. W. D. Ross, Oxford 1955. Arist. MM ........ Aristoteles, Magna Moralia Aristox. harm. . . . . Aristoxenus, Elementa harmonica ed. R. DAR1os, Rom 1954 (Seitenzählung nach Meibom) Askl. met. . ....... Asclepius, In Aristotelis Metaphysicorum libros A-Z commentaria ed. M. HAYnucs, Berlin 1888 (GAG VI 2; zitiert nacl1 Seite und Zeile) Ath. . ............ Athenaeus, Dipnosophistarum libri XV. Boeth. ar. . ....... Boethius, De institutione arithmetica ed. G. FRIEDLEIN,Leipzig 1867, 3ff. Boeth. mus ....... Boethius, De institutione musica ed. G. FRIEDLEIN, Leipzig 1867, 167ff. Gens. . . . . . . . . . . . . . Censorinus, De die natali Chalc ............. Chalcidius, Commentarius in Platonis Timaeum ed. J. WROBEL, Leipzig 1876 Cic. n. d. . ....... . Cicero, De natura deorum Clem. Protr. • • • • • • Giemens Alexandrinus, Protrepticus ed. 0. STÄHLIN,Leipzig 1905 Clem. Str ......... Giemens Alexandrinus, Stromata ed. 0. STÄHLIN, Leipzig 1906/9. Damasc. princ ..... . Damascius, De principiis ed. C. A. RuELLE, Paris 1889 (zitiert nach Band, Seite, Zeile) Diod. • • • • • • • • • • • • Diodorus Siculus, Bibliotheca Historica. Diogenes Laertius; vgl. Literaturverz.: DELATTEVie. D. L. • • • • • • • • • • • Eukl. • • • • • • • • • • • • Euclides; ohne weitere Titelangabe: Euclides, Elementa . Euripides E' ur. . ........... Eust. . .......... . Eustathius, Commentarii ad Homeri Iliadem et Odysseam Geop. . .......... . Geoponica ed. I-I. BECKH,Leipzig 1895. Harpokr.. ........ . Harpocration

l XIV Hdt.

ABKÜRZUNGEN • • • • • • • • • • • • •

hebd .............. Hippokr. . . . . . . . . . Hippol. ref ......... hyp. . ............ Ia ................ Ia. cmsc ........... Ia. Nik. . . . . . . . . . . . Ia. pr ............. Ios. c. Ap. . . . . . . . . Luk. . . . . . . . . . . . . . Macr. Sat .......... Macr. S. Sc ........ Max. Tyr. • • • • • Nikom. ar ........ Nikom. ench ...... Nikom. exc ........ Nikom. th. ar ......

• • •

Herodotus Die hippokratische Schrift von der Siebenzahl ed. W. H. RoscHER, Paderborn 1913 Hippocrates ed E. Littre, Paris 1839-61 Hippolytus, Refutatio omni11m haeresium ed. P. WENDLAND, Leipzig 1916 IIu-&ayoptlausdogmatischen Voraussetzungen, · ··· Parteiinteressen, unsicheren Sagen, willkürlichen Erfindungen und unterschobenen Schriften entsprungenPythagoreernStifter eines religiösen Vereins< und Lehrer der Seelenwanderung bleibt Pythagoras anerkannt (411), doch wird den ethischen und religiösen Lehren die .... philosophische Bedeutung abgesprochen (557 ff.); unverbunden steht daneben die aus Aristoteles gewonnene, von Philolaos bestätigte Zahlenphilosophie der Pythagoreer, die im übrigen anonym und auch chronologisch kaum fixiert bleiben. Scharf getrennt von allem Alten ist die neupythagoreische Philosophie, die aus platonischen und aristotelischen Elementen nicht vor dem 1. vorchristlichen Jahrhundert entstanden sei (III 2, 92 ff.). ZELLERS Leistung hat zumal in Deutschland bestimmenden Einfluß gewonnen; ihm folgt der Abriß bei ÜEBERWEG-PRAECHTER wie auch vor allem die Anordnung der Zeugnisse in den >Fragmenten der VorsokratikerPythagoras< (VS 14) sind die Nachrichten zur Person und die Zeugnisse für und gegen eine schriftstellerische Tätigkeit des Pythagoras vereint ;5 losgelöst davon ist das I(apitel >Pythagoreische Schule< (VS 58), wo nacl1 dem (\_ Pythagoreerkatalog des Iamblich (58 A) vor allem die >altperipatetische Überlieferung< zusammengetragen ist (58 B) ;6 die >Akusmata< (58 C), die Ilul>O(2

Der letzte Literaturbericht über die Vorsokratiker erschien Bursian 216, 1928, 111 ff. von ERNSTHow ALD; über Neupythagoreismus Bursian 281, 1943, 95 ff. von JOHANNES HAUSSLEITER. Hier sei nur eine Skizze gegeben, bei der eine gewisse Subjektivität kaum zu vermeiden ist. 3 I 361-617; III 2, 92-254; der erste Band erschien erstmalig 1844; eine Zusammenfassung seiner Position gab ZELLERunter dem Titel >Pythagoras und die PythagorassageIANNS Argumentation eingefügt (58 B 1 a, vgl. u. S. 47).

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EINLEITUNG

yop,x,xl &1tocp&o-e,c; des Aristoxenos (58 D) und die Anspielungen der i\1ittleren Komödie schließen sich an (58 E). Dazwischen stehen, nach Möglichkeit chronologisch eingeordnet, die Zeugnisse zu einzelnen Pythagoreern, insbesondere I-Iippasos (VS 18), Philolaos (VS 44) und Archytas (VS 47); auch in der Echtheitskritik der Philolaosfragmente schließt sich l-IERMANN DIELS an ZELLERan. Dennoch ließ ZELLERSLösung eine Reihe von Problemen offen; hier mußte die weitere Forschung einsetzen, ergänzend, modifizierend, kritisierend. Vor allem war eine Kluft aufgebrochen zwischen Pythagoras dem Religionsstifter und der Zahlenphilosophie anonymer Pythagoreer: die Verbindung und ursprüngliche Einheit des scheinbar Disparaten zurückzugewinnen, mußte eine ungewöhnlich reizvolle Aufgabe sein. Denn gleichzeitig verebbte das philosophisch-systematische Interesse, das noch ZELLERSWerk getragen hatte, und eben dieser Verlust ermöglichte eine Vertiefung geistesgeschichtlichen V erständnisses: indem die Grenzen der Philosophie ins Fließen gerieten, wurden die Zusammenhänge mit vorwissenschaftlichem, religiös-mythischem Denken deutlicher. Damit stellte sich die Aufgabe, zu begreifen, wie in Pythagoras Religion und Philosophie, ,Mystik< und zumindest der Keim exakter Wissenschaft vereint sein konnten. Hinzu kam die Hochflut des Entwicklungsgedankens: mit seiner Hilfe schien es möglich zu werden, die Widersprüche der Tradition zu erklären und in eine ausgedehnte und differenzierte Geschichte des Pythagoreismus einzuordnen. Als erster sah A. DöRING die Aufgabe; übernommen und weiterentwickelt wurden seine Thesen von J OIIN BunNET in den späteren Auflagen des Werks ,Early Greek Philosophy>Themore primitive any Pythagorean doctrine appears, the more likely it is tobe that of Pythagoras himselfl)lato und die sogenannten Pythagoreer< (1923) an kritischer Energie, an Scharfsinn und Entschiedenheit herausragt aus allem, was seit ZELLER zur Geschichte des Pythagoreismus erschienen ist. Freilich halten Einseitigkeiten und offenbare Verkehrtheiten seinen Vorzügen die Waage. Das methodisch Neue war, daß FRANK konsequent die Geschichte der Naturwissenschaften - Mathematik, Musik und Astronomie - zum Fundament für die Rekonstruktion des Pythagoreismus machte. Das Ergebnis war zunächst eine radikale Spätdatierung: die gesamte pythagoreische Wissenschaft sei erst nach 400 im !(reis des Archytas entstanden, beeinflußt vom voll entwickelten Atomismus Demokrits. Die Philosophie der >sogenannten Pythagoreer< jedoch, die Zahlenlehre, sei vom späten Platon abhängig, sei im wesentlichen eine Schöpfung Speusipps, der auch das angebliche Philolaosbuch selbst gefälscht habe - in diesem Punkt kam HowALD28 unabhängig zur gleichen Ansicht. Die Gestalt des Pythagoras verschwimmt im Nebel, der ganze vieldiskutierte Pythagoreismus des 5. vorchristlichen Jahrhunderts wird zur Phantasmagorie. FRANKS Buch hat viel Widerspruch gefunden 29 , doch wurden seine Thesen nie im einzelnen nachgeprüft. FRANI{ hat dies auch sehr erschwert; seine Anmerkungen bringen meist nur nackte Stellenangaben, und erst mühsames Nachschlagen kann ergeben, ob der herangezogene Text das leistet, was er soll. Nie gibt FRANK eine Interpretation, sondern allenfalls eine Übersetzung mit der Bemerl{ung, dem sei nichts weiter hinzuzufügen. In selbstsicherem Ton • entworfene, eigenwillige und weithin unbegründete Thesen über die Entwicklung des griechischen Geistes werden zur Grundlage weittragender Schlüsse gemacht; dabei unterlaufen FRANK gerade im Bereich der exakten Wissenschaften gröbste Irrtümer 30 • Das Zutrauen zu FRANKS Ergebnissen wird dadurch nicht gefestigt, daß er selbst in späteren Aufsätzen zuweilen sich ganz anders vernehmen ließ 31 : Pythagoras sei doch der Urheber griechischer Wissenschaft, und Platon sei doch von pythagoreischer Philosophie abhängig ... Vgl. ZELLERI 369, 3 gegen ScnAARSc11,110T. 27 Vgl. u. S. 205 f. 2• Essays on the history of medicine presented to l(ARLSuo110FF, Zürich 1924, 63-72, vgl. auch die sehr positive Besprechung von FRANKS.Bucl1, Bursian 197, 1923, 166 ff.; ausgearbeitet wurde diese Auffassung, freilicl1 in et,vas schnellfertiger vVeise, in der Dissertation von JENNY BoLLINGER(Züricl1 1925). 29 Nocl11951 erscl1ien ein ausdrücklicl1er Gegenangriff: GEORGEDE SANTILLANA und WALTERPITTS, Philolaos in Limba, or: \Vhat happened to tl1e Pythagoreans? Isis 42, 1951, 112-120. 30 Vgl. u. S. 352, 20; 373, 48. 31 Las man 1923, »daß alle jene von den späteren Scl1riftstellern dem Pytl1agoras selbst ... zugescl1riebenen Entdeckungen erst das Verdienst gewisser unteritali26

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EINLEITUNG

Trotzdem bleibt dem Werk seine Bedeutung, vor allem dank der Radikalität der Fragestellung: >Platon und die Pythagoreerpythagoreische< l\!lathematik und Naturwissenschaft im Zusammenhang mit der außerpythagoreiscl1en, von der ionischen und eleatischen Naturphilosophie herkommenden Naturwissenschaft zu betrachten und zu fragen, inwieweit möglicher,veise Pythagoreer die Nehmenden waren. Die >pythagoreische Matl1ematik< wurde schon 1907 durch GusTAV JuNGE, HEINRICII VoGT und dann vor allem durch die ebenso gründliche wie einflußreiche Arbeit von EvA SACHSüber >Die fünf Platonischen l(örper< (1917) in Frage gestellt. Die auf Pythagoras selbst weisenden Zeugnisse werden kritisch ausgeschieden, das sicher Bezeugte wird herabdatiert und die nicht pythagoreische Wissenschaft der Griechen tritt ans Licht. Zuletzt hat WrLLIA~IARTHUR HEIDEL einen Vorstoß in dieser Richtung unternommen 32 • Dagegen aber stehen jene scharfsinnigen Rekonstruktionen pythagoreischer l\1athematik durch andere Forscher (o. S. 5), so daß gerade auf diesem scheinbar exaktesten Gebiet alles andere als Einmütigkeit herrscht. Nimmt man dazu, daß die Zeugnisse über den >Religionsstifter< Pytl1agoras von WALTHER RATII~IANNeiner radikalen Kritik unterzogen wurden, die kaum etwas bestehen ließ - das früheste Zeugnis für eine pythagoreische Seelenwanderungslehre entstamme dem 1. Jh. v. Chr.! - 33 , daß die scharfsinnigen Untersuchungen von rlAROLDC11ERN1ssauch das letzte Fundament von ZELLERs Bau, die Zuverlässigkeit der aristotelischen Berichte, in gefährlicher Weise erschüttert haben 34 , so scheint der letzte Rest einer möglichen communis opinio zu verschwinden. So ist es nicht verwunderlich, wenn Resignation um sich greift. Man behilft sich, indem man den gesamten l(omplex sowenig wie möglich anrührt 35 oder sich dadurch zu salvieren

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scher Mathematiker der platonischen Zeit ... sind« (VI), so später (l(nowledge, Will and Belief. Wissen, Wollen, Glauben. Collected essays, ed. LUDWIGEDELSTEIN, Zürich 1955, 82): »it can l1ardly be doubted that Pythagoras was the originator of tl1is entire scientific development. He was a rational tl1inker rather than an inspired mystic.« 1-Iatte er 1923 für unmöglich erl,liirt, daß Platon Pl1il. 16 ff. Pythagoreisches (Philolaos) übernommen habe - »wenn man den Philebus unvoreingenommen liest, so hat man durchaus den Eindrucl,, hier vor dem reifen Ergebnis eines langen Denkerlebens zu stehen« (304) -, so erklärte er 1940 unumwunden, Platon l1abe an dieser Stelle pythagoreiscl1e Ontologie übernommen (AJPh 61, 49 = l(nowledge, Will and Belief 100); radikale Hyperkritik dagegen spricht wieder aus der Rezension AJPh 64, 191,3, 220-225 (zu VON FRITZ Pol.). AJPh 1940; vgl. u. S. 381 ff. RATII,!ANN 6: Diod. 10, 6, 1; vgl. u. S. 98 ff. Vgl. u. S. 15 ff.; 26 ff. So geht FESTUGIERE Rev. auf Pythagoreisches so,venig wie möglich ein; vgl. BoYANCE REG 6',, 1951, 302 f., der sich freilich unglücklicherweise auf das vermeintliche Protreptikosfragment (o. S. 4, 13) beruft.

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EINLEITUNG

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sucht, daß man an Stelle von Pythagoras nur von Pythagoreern spricht. Pythagoreismus wird so zu einem unverbindlich-ungreifbaren überall und Nirgendwo. Alle Philologie lebt vom Ringen zwischen Überlieferungsgläubigkeit und Überlieferungskritik. Im Fall des Pythagoreismus freilich hat zunächst die l{ritik durchschlagende Argumente zur fland: Die scheinbaren Primärquellen, die Schriften des Pythagoras und seiner Schüler, die teils erl1alten, teils in Reflexen faßbar sind, sind mit verschwindenden Ausnahmen apokrypl1 - nur bei den Philolaosfragmenten und einigem vonArchytas wird die Echtheitsfrage überhaupt noch diskutiert 36 • Wohl hat auch die >Fälschung< ihren geistesgeschichtlichen Ort 37; doch für die Frage nach dem Ursprung hat auszuscheiden, was - wie die Schrift des Okellos oder des Timaios Lokros - offensichtlicher Abklatsch platonisch-aristotelischen Geistesgutes ist. Die sekundären Quellen jedoch, die Überlieferung über Leben und Lehre des Pytl1agoras und die Geschichte seiner Schule, enthalten gelegentlich bare Unmöglicl1keiten38, weit häufiger noch unleugbare Widersprüche über wichtigste Fragen: ob Pythagoras bei der Revolte in l{roton anwesend war 39, ob die Zahlen körperlich oder unkörperlich zu verstehen seien 40 , ob Pythagoreer eine Bewegung der Erde angenommen haben oder nicht 41 - die eine wie die andere These wird, gelegentlich mit gegenseitiger Polemik, von antiken Autoren verfochten. Auch die entschiedenste Überlieferungsgläubigkeit gerät hier an ihre Grenze: es ist schlechthin unmöglich, den >Pythagoras der Tradition< (o. S. 6) zu akzeptieren, weil keine einheitliche Tradition besteht. Weniger auffällig, doch kaum weniger beunruhigend ist ein letztes: in vielen Fällen nennt späte Tradition den Namen des Pythagoras, wo ältere Tradition über den gleichen Gegenstand dies eben nicht tut 42 ; dies wird um so verdächtiger, wenn zahlreiche scheinbar alte Zeugnisse beim Zugriff zerbröckeln: die 43 Erwähnung des Pythagoras ist in Aristoteles' Metaphysil< interpoliert , im Protreptikosfragment von Iamblich zugefügt 44 , in einem E11demfragment von MuLLAc11stellt in seinen Philosophenfragmenten etwa 150 Seiten Pythagorica zusammen - bei allen bekannten Miingeln die einzige Sammlung dieser Art -, von denen kaum etwas als autl1entisch anzusehen ist. Gegen 94 Textzeilen von Archytas, die DIELs (VS '•7) für echt nal1m, stehen in N OLLES Sammlung volle 57 Druckseiten Pseudoarchytea. 37 Vgl. Verf. Philologus 1961, 16 ff. 38 z. B.: Pythagoras sei in Ägypten von l(ambyses gefangen ,vorden (525 v. Chr.), habe sich 12 Jahre in Babylon aufgehalten und sei dann nacl1 Samos zurückgekel1rt, um die Insel 532 v. Chr. wegen der Tyrannis des Polykrates zu verlassen (vgl. u. S. 176 f.); er sei mit Phalaris (um 570) zusammengetroffen und Lel1rer des Empedol,les (geb. et,va ,,90) gewesen; die musikalischen Experimente, die Pythagoras zugescl1rieben werden, sind pl1ysikalisch falsch (u. S. 351,ff.). 39 Vgl. u. S. 94; 182 f. 40 Vgl. u. S. 53 ff. 41 Vgl. u. S. 215 ff. 42 Vgl. u. S. 147 ff.; 282 ff.; 303 f.; 383 ff.; vgl. 38,145; 437. 43 Vgl. u. S. 27, 78. 44 Vgl. o. S. 4, 13.

36

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EINLEITUNG

Proklos nach Iamblich ergänzt 45 , im Theophrastzusammenhang von Porpl1yrios eingeschoben••. Wenn sich derartige Beobachtungen häufen, kommt docl1 wieder Zellers Argwohn gegen die >Erweiterung der Überlieferung< zu seinem Recht. Doch trotz alledem bleibt die l(ritik stets der Gegenkritik ausgesetzt: mögen viele Quellen spät und wenig vertrauenswürdig sein, dennoch kann dem allen kein bloßes Nichts zugrundeliegen. >Pythagoreismus ohne Pytl1agorasv""t &p,&µwv""t ye0>µeTp(°',; "°'t &crTpoAoy(°',; "°'t -ro 1t/;pa,; 5-r, &y°'&6vicr-r, ev (&y°'&6v einleuchtende I{onjektur von MACRAN,vgl. KRÄMER423); TO 1t/;prx,;ist dabei adverbial zu verstehen, vgl. C11ERN1ss Riddle 87, Anm. 2; Ross PIThid 148, 1; 244; I{RÄ>IER 423 (anders DE VOGEL GrPh I 274, 1). 2 C11ERNiss sucl1t dieses Fundament zu erschüttern durch die Beobachtung, daß in den 1tept -r&y°'&oü-Berichten dem ev der Punkt entspricht (Alex. met. 55, 20 ff.; Simpl. phys. 451,, 19 ff.; auch Sextus 10,259 ff.), während nach Aristoteles Platon den Begriff des Punktes eliminierte (992a 20 ff.; CnERNiss Plato 167 ff.; Riddle 28 f.); der Ausgleichsversuch von DE VOGEL Mnem. 1949, 306 ff. überzeugt nicht ganz. Indes: An den Stellen des Aristoteles, die auf Platon zu beziel1en sind (u. S. 22, 50), ist nie vom Punkt als µovoc,;&/;cr,vexoucrC< die Rede, als erste Zahl entstel1t die 2 (vgl. 1081a 21 ff.), als erstes geometrisches Gebilde die Linie; anders ist es bei Speusipp. In den Referaten muß also in der Tat eine Ungenauigkeit vorliegen (so auch l(RÄ>rER 418, 76: die I{ommentatoren schließen sich der mathematischen Terminologie an) die Verläßlicl1keit des Aristoteles bestätigt sich. 21 Während CnERNrss die &xp61XcrL,; 1tept -r&yCCourse of lectures< (PlThld 148), und KRÄMER(404 ff.) konstatiert: »Die A6yo, 1tept -r&yCImperfekt der \Viederholung< (407) im Aristoxenosbericht (harm. 2, p. 30 M.: lFünfte< geht, leicht, zu widersprechen und zu widerlegen; ev o!c; 8' OCv Tb 1t€µ1tTov&1tox.plvoccr&oc1. xoct 81)Aoüv&vocyx&~wµe:v, 6 ßouA6µe:voc;; --rWvÖuvocµevwv &vix-rperre,v xpix-re,(343 d). Darum bleibt nur übrig, diejenigen, die schon auf dem recl1ten Weg und dem Wahren >verwandt< sind (344 a), durch beständige Übung so weit zu führen, bis in plötzlicher Erleuchtung das Sein sich enthüllt: E~€Aocµ~ecpp6v1Jcr1.c;; 1ts:pt€x.occrTov x.octvoüc;;O"uv--re:LvovT1. 8-r1.µ&A1.0"--r' e:Lc;; 8Uvocµ1.v &v&pwrr[v'lv(344 c) 28 • Platon, der leidenschaftliche Anwalt des ).6yoc;, ist sich der Grenzen des rationalen Wissens bewußt, und doch dringt seine denkerische Energie eben gegen diese Grenze unablässig vor. Wenn er die Aufgabe stellte, das Seiende, die Ideen auf ihren letzten Grund zurückzuführen, so begnügte er sich nicht mit einer begrifflich widerspruchsfreien deduktiven Ontologie. Das &yix&6vnicht das >Gute< im Sinn eines von höchster Instanz geforderten Sollens, sondern als Ziel allen Strebens, Halt und Sinn aller IExtensiontER(146 ff., 244 ff.) erwiesen. den Titel 1tept TZuweisenbedenklichen Nachbarschaft der abstrusen Spielereien des Eurytos< beiseite gescl1oben; BECKERZwUnt 18 f. möcl1te il1n auf den >sinnlichen Bereicl1< einscl1ränken - was unplatonisch ist: das Mathematische ist überempirisch, aprioriscl1e Sinnlichkeit kennt erst l{ant); Hauptein,vand gegen BECKERist die Sc!1,vierigl,eit, daß nach seiner Deutung die Ideenzahl je nach der Definition der Idee wecl1seln 111üßte (Z,vUnt 2), also die Zuordnung der Zahl zur Idee beliebig erscheint, u11d ebenso die gleiche Zahl den disparatesten Ideen zul,ommen müßte. 47 }?r. 4 = th. ar. 84, 10 f.: -rOµ.Evyt1:p&vcr-rtyµ.~,-rd:OEOUoypaµ.µ.~,-rd:OE.-.pla-rplyffivov, T

LO'Wc;'t'CX.e:1t1.1te:ooc, e:x

oö8e -r&.µoc&tjµoc-r,x&:, (vgl. b 13) oö8e -re.,xwv ~zoucrocq,,:>.ocroq,[ocv (987 a 30 f.); freilich - dieser Einschränkung ist dabei zu gedenken - geht es ausschließlich um die Fragestellung: ,velche &pzoc[haben die frül1eren Denker angesetzt, wie verhalten sie sich zur aristotelischen Klassifizierung? Platon und Pythagoreer haben gemeinsam die Zahlen als &pzoc[angenommen (987 b 24), Zahl nicht als Zahl von anderen, vorgegebenen Gegenständen, sondern als selbständige Wese~heit, oucr[oc.In diesem Sinn werden Pythagoreer und Platon regelmäßig nebeneinandergestellt und allen anderen, früheren Denkern entgegengesetzt••, in diesem Zusammenhang werden sie auch gemeinsam von Aristoteles bekämpft. Und doch betont Aristoteles zugleich den Unterschied: während Platon die Zahlen als Ideen von der Wahrnehmungswelt abtrennt und überdies das Mathematische als eigenen Bereich dazwischen ansetzt, >sind< für die Pythagoreer die Dinge selbst Zahlen, sie >bestehen aus< Zahlen, &p,&µooc;eivoc[ 87. Aristoteles muß sich darüber verwundern: die q,occr,vocÖTalTal 1tpocyµocToc Pythagoreer, sagt er, haben &pzoc[eingeführt, die durchaus geeignet wären, übers bloß Wahrnehmbare hinauszuführen in die höheren Bereiche des Seienden, aber sie sprechen stets nur von der wahrnehmbaren Natur, >verausgaben< (xocTocvoc:>.,crxoucr,v) ihre &pzoc[für diese unsere Welt, als ob es nichts gebe außer dem Wahrnehmbaren, das der Himmel umschließt (989 b 29 ff.). Was Platon von den Pythagoreern unterscheidet, ist der zwp,o-µ6c;, die etilwv etcrocywy/) (987 b 31), die Aristoteles auf die durch Sokrates entwickelte Dialektik zurückführt88. Wenn die Zahlen mit den Dingen identisch sind, sind sie selbst raumzeitlich bestimmt; tatsächlich spricht Aristoteles von ihrer Entstehung in kosmogonischem Sinn 89 und sagt, sie seien ausgedehnt, ihre Einheiten besäßen Größe 90 • Gegen diese These richten sich verständlicherweise die logischen und physikalischen I-Iaupteinwände des Aristoteles 91 ; ZELLER wollte daher die Angabe über die >ausgedehnten Einheiten< überhaupt als Interpretation des Aristoteles ausscheiden 92 ; doch kann einer solchen Interpretation des Ari88TOµtVTOLye &voöcr[Unbegrenzte< als weiblich, entsprechend ist auch die ungerade Zahl männlich, die gerade weiblich 98 • Für die Entsprechung von >Ungerade< und >GrenzeGerade< und >Unbegrenztem< gibt Aristoteles eine komplizierte Erklärung, der die Methode zugrunde liegt, Zahlen durch Anordnungen von Steinchen, durch Unbegrenzteaußerhalb des Himmels< und drang, >eingeatmet< vom Himmel, in die Welt ein und trennte die einzelnen Dinge (eingeschlossen und abgeLes etapes de Ja philosophie mathematique, Paris 1929 3 , 33: »si non l'origine, du moins l'illustration saisissante de Ja doctrine pythagoricienne«. 10 • Dazu u. S. 443 ff.; t,49. 103 Plut. de E 388 ac; der Anfang, die Erklärung des ~v &pTLOTC oöpav Ex -roü&1telpoutme:Uµa-roi;Ctli;&vo::m€o\l-rt xo::t-rOxev6v, 8 Ötopl~e:t-rCX.c; q:illcreti;, &c; öv-roi;;-roü xe:voü xwptcrµoü -r1.vOi;; -r&v Eq:ie:~1ji;; xat [ rijc;] Ötoplcre:wc; · xaL -roüi-' e:!va1. T'l)vq:illcr1.v aöi-&v ... Für die offenbar 1t'p&-rov Ev i-oti;;&pt.&µoti:; · -rOy&p xevOv Ö1.opl~e1.v korrupte Formulierung scl1lägt RAVEN-I{. Nr. 315 mit D1ELs itveüµ& -.e vor, VON F1t1Tz RE &c;me:üµ&-rt &vam€ov-r1. [xal] -rOxev6v. Dazu Fr. 201 i-OvµE:voöpavOv 8' Ex -roü &1te:lpou xp6vov i-e:xa:Lmo~v xat -rOxevOv 8 81.opl~e:1. e:!vcxtEvcx,E1t"e::tcr&:yecr.&a1. ex&cr-rwv-raAtmenlinke< Seite ,!es l(osmos, Arist. cael. 281, b 6 ff.; 285 b 25 f.; F'r. 200; Fr. 205; auf die einzelnen Scl1,vierigkeiten, besonclers den Widersprucl1, den Alexander in Aristoteles' Angaben fand (I"r. 205), sei nicl1t eingegangen; vgl. ZELLER I 547, 1; C11E11NrssPres. 186,178. Unergiebig J. Cu1LLA~DRE, La droite et Ja gauche dans !es poemes I·Iomeriques en concor,!ance avec Ia doctrine pytl1agoricienne et avec Ia tradition celtique, Paris 1944. Über >rechts< und >links< in altorientalischer Kosmologie !{. SETHE NGG ph.-h. KI. 1922, 197-242. 123 Vgl. phys. 203 a 12 cr~µei:ov S' elvcx, TOUTOU Ta cruµßcxi:vovl:irt TWV&p,&µöiv (äl1nlicl1 213b 26, vgl. o. S. 33,107; u. S. 41,162). - CaERNiss J>res. 39ff.; 44ff.; 221,f.; 387 f. ,vill erweisen, ratl1cr tl1c universe itselfnuroerical 11nitGerade< und >Ungerade< bestel1t, beweist nacl1 Ci1E11N1ss(Pres. t,5 f.) noch nicl1t eine Entstehungs- oder Ableitungstl1eorie; docl1 ursprünglichste und einfachste Denkform, urn bestel1ende Eigenart zu erk!iiren, ist die Genealogie. 124 CrrEnNrss setzt freilicl1 den >Zal1lenatomisn1us, als sicl1er vora11s, vgl. u. S. 37f .. Arist. 1092 b 10 ff., i\hnlich 'l'J1eophr. met. 6 a 19 ff. nacl1 Arcl1ytas; von zweifelhafter Authentizität sind die weiteren Angaben von Ps.-Alex. met. 827, 9 (VS 45).

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I. PLATONISCHE

UND

PYTIIAGOfiEISCilE

ZAIILENI,EI-IRF.

ums Ze11tralfeuer, weil 10 die >vollkommene< Zahl ist 125; daß die Sonne, von außen gezählt, an 7. Stelle steht, erscl1eint gleicl1falls bedeutsam 126. 1'ritt schon dabei die Zahl in einer ganz anderen Funktion at1f - nicht als Raumgestalt, sondern als Ordnungszahl -, so führt die Angabe, daß der ganze Himmel apµov(ocxoct&p,&µ6Grenze< und >UnbegrenztSphärenharmonie< ins IErkenntnisse< gegenüber den >Spekulationen< keineswegs erfaßt zu sein, vielmehr stehen noch absonderlichere Angaben daneben: 1 ist Gerechtigkeitaggregation of unit-point-atoms< angesprochen). 137 1080 b 19; 1083 b 15; vgl. o. S. 29; 1084 b 26 ff. geht gegen die Platoniker. 138 u.

s. 59.

I. PLATONISCHE

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UND

PYTI-IAGOilEISCHE

ZAJ-ILENLEI-IRE

Doch wenn auch die Widerlegung des Aristoteles gelegentlich eine atomistiDeutung keine aussche Auffassung vora11ssetzt 139 , kann doch CoRNFORDS schließliche Geltung beanspruchen. Jeder Atomismus rechnet mit 11nsichtbar kleinen >Einheitenunbestimmter Vielheit< spricht tatsächlich CoRNAuzal1l noch ,Zahl