Wanderer zwischen den Kulturen: Ethnizität deutscher Migranten in Australien zwischen Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion [1. Aufl.] 9783839417980

Migranten gehören zu den wohl einflussreichsten Agenten der »Globalisierung von unten«. Diese auf einer ethnographischen

323 37 3MB

German Pages 708 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Wanderer zwischen den Kulturen: Ethnizität deutscher Migranten in Australien zwischen Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion [1. Aufl.]
 9783839417980

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung: Einmal Paradies und zurück, bitte! Oder: to call the lucky country home
1.1 Disziplinarität und Zuständigkeitsbereich der Kulturanthropologie/Volkskunde
1.2 Kultur als Forschungsfeld: kulturanthropologische Vorstöße in die soziale Wirklichkeit
1.3 Die Produktion von Wissen in der Kulturanthropologie/Volkskunde über Migration
1.3.1 Chicago School of Sociology
1.3.2 Robert Redfield und die peasant studies
1.3.3 Das Rhodes-Livingston Institute of Northern Rhodesia und die Manchester School of Anthropology
1.3.4 Sprachinselforschung und Interethnik
1.3.5 Auf den Spuren der bewegten Lebensformen: Auswanderungsforschung in der Volkskunde
1.3.6 Ethnizitätsforschung: zur kulturellen Taxonomie ethnischer Identitäten
1.3.7 Immigrationsforschung im „klassischen“ Einwanderungsland Australien
1.4 Fragerepertoire und Ziel der Studie
1.5 Die Untersuchungsperspektive: auf der Suche nach dem native point of view im Unterholz des Großstadtdschungels
1.5.1 Fährtensuche: muli-sited ethnography
1.5.2 Sehen, Beobachten, Miterleben und Verstehen: Formen Teilnehmender Beobachtung
1.5.3 Narrationen über Migration: die Interviewsituation und das Herausschälen von Bedeutungsgeflechten
1.5.4 Schriftliche und materielle Quellen zur Dokumentation von Alltagskultur
1.5.5 Small Places, Large Issues: das Forschungssetting Sydney
2. Eine Ethnogenese: zur Historie der deutschen Migration nach Australien von 1788 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs
2.1 The Early Cross-Cultural Encounters: James Cook und seine beiden deutschen Begleiter
2.2 Der Gefangenentransport der First Fleet
2.3 Der europäische Bevölkerungsexodus im 19. Jahrhundert und die daraus resultierende Immigration nach Nova Hollandia
2.4 We must keep the breed pure: White Australia Policy und die Superiorität der „weißen Rasse“
2.5 Die Jahre des Odiums: Imperialismus, Deutschtumspolitik und Faschismus
3. Migrationsdynamiken: Periodisierung der Auswanderung seit 1941 bis zur Gegenwart
3.1 Von Palästina nach Tatura: Deportation der prisoners of war
3.2 Flüchtlinge und Displaced Persons in den 1950er Jahren: Australien als Destination einer ortspolygamen Wanderungsbewegung
3.3 1958–1967: Arbeitsmigration und Remigration auf der Grundlage eines staatlich subventionierten Zweijahresvertrags
3.4 1974–1980: „Wo liegt die Zukunft?“ Emigration in den aufstrebenden asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum
3.5 1980–1989: von der Grünen-Bewegung zur alternativen Lebensgestaltung, oder: Deutschland, nein Danke!
3.6 1993–1999: vom Frustrationsauswanderer zum Gelegenheitsauswanderer
3.7 1989–2005: von den Studenten, die heute kommen und morgen bleiben, zu den young urban highly skilled migrants
3.8 Migrants of choice: Migrationsdynamiken im Zeitalter der globalisierten Welt
4. Kulturkontakt und Kulturkonflikt: deutsche Migranten zwischen Integrationsexigenz und Abgrenzungsbedürfnis
4.1 Grenzziehung durch Kultur: das kultivierte Europa versus das natürliche Australien
4.2 When God created time, he made plenty of it… in Australia: interkulturelle Konzeptionen von Zeit
4.3 Don’t mention the war! I did once, but I think I got away with it: Konfrontationen und Umgang mit der deutschen Vergangenheit
4.3.1 There is no escape from ANZAC: die Überhöhung des Militärischen in der australischen Kultur
4.4 Der Natur zuliebe: Umweltschutz und Ressourcenverschwendung als Distinktionsdiskurs
4.5 Genauigkeit, Pünktlichkeit und Effizienz versus near enough is good enough: praxeologische Formen der Kulturalisierung deutscher Nationaltugenden
4.6 John Howard und Pauline Hanson: die Politik der One Nation, oder: Ade schöne Multi-Kulti-Welt?
4.6.1 The Tampa Crisis: Konturen einer Orientalisierung des fremden Anderen
4.6.2 We grew here! You flew here! Kampf der Kulturen am Strand von Cronulla?
5. Kulturen in Transition: hybride Kulturformen im Zeitalter der globalisierten grenzüberschreitenden Migration
5.1 Cultures in-between: vom postkolonialen Diskurs zur alltagskulturellen Praxis
5.2 Invention of rituals: Rituale zwischen Tradition und Moderne
5.2.1 Weihnachten im Sommer: kulturell internalisierte Festkultur zwischen gottesfürchtiger Besinnlichkeit und karnevalesker Eventisierung
5.2.2 Ein bisschen Heimat folklorisieren: die Weihnachtsfeier der Australian-German Welfare Society in Cabramatta
5.2.3 Der Weihnachtsbasar der evangelisch-lutherischen Kirche in Chester Hill
5.2.4 Kälte, Glühwein und Weihnachtstimmung: Christmas in July in den Blue Mountains
5.2.5 Exkurs: The Yarrawonga Tradition: deutsch-australisches Ostern am Murray River
5.2.6 Der größte Martinsumzug in der südlichen Hemisphäre
5.2.7 Citizenship ceremony am Australia Day: Übergangsritual zur doppelten Staatsbürgerschaft
6. Zur Transnationalisierung kulturaler Welten: Strukturen und Dynamiken polylokaler Verflechtungen
6.1 Nomadische Texturen von Elitenmigration im global village
6.2 Zum Verhältnis von ethnoscapes und mediascapes: transnationale Mediennutzung von Migranten am anderen Ende der Welt
6.2.1 Das Zeitungsmedium Die Woche in Australien
6.2.2 Special Broadcasting Service: medial vermittelter Multikulturalismus und Transnationalisierung
6.2.3 „Gibt es Schimanski?“: Save TV
6.2.4 „Damals war Australien noch weit weg.“ Skype und die internetbasierten Strategien der Heimwehbewältigung
6.2.5 Infobahn Australia: Portal der deutschen Szene in Australien
6.3 Der exklusive Bildungsweg: die German International School Sydney und die deutsche Sonnabendschule
6.4 The homeland desire: Konturen transnationaler Topografien der Imagination?
7. Zusammenfassung und Ausblick
8. Quellenverzeichnis
8.1 Bibliografie
8.2 Zeitungs- und Zeitschriftenartikel
8.3 Unveröffentlichte Dokumente
8.4 Internetquellen
8.5 Filmdokumentationen
8.6 Interviews
8.6.1 Interviews während der explorativen Feldforschungsphase
8.6.2 Interviews während der ploblemorientierten Feldforschungsphase
9. Danksagung

Citation preview

David Johannes Berchem Wanderer zwischen den Kulturen

Kultur und soziale Praxis

David Johannes Berchem hat Kulturanthropologie/Volkskunde, Ethnologie und Germanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn studiert und im Bereich Kulturanthropologie/Volkskunde promoviert. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Migration und Ethnizität, ethnographische Feldforschung, Brauch- und Ritualforschung, Interkulturelle Kommunikation und die Wissenschaftsgeschichte der Disziplin Kulturanthropologie.

David Johannes Berchem

Wanderer zwischen den Kulturen Ethnizität deutscher Migranten in Australien zwischen Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © David Johannes Berchem, Kirribilli/Sydney, September 2008 Satz: David Johannes Berchem Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1798-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

Einleitung: Einmal Paradies und zurück, bitte! Oder: to call the lucky country home | 9

1.1

Disziplinarität und Zuständigkeitsbereich der Kulturanthropologie/Volkskunde | 14 Kultur als Forschungsfeld: kulturanthropologische Vorstöße in die soziale Wirklichkeit | 22 Die Produktion von Wissen in der Kulturanthropologie/ Volkskunde über Migration | 29 Chicago School of Sociology | 33 Robert Redfield und die peasant studies | 36 Das Rhodes-Livingston Institute of Northern Rhodesia und die Manchester School of Anthropology | 39 Sprachinselforschung und Interethnik | 43 Auf den Spuren der bewegten Lebensformen: Auswanderungsforschung in der Volkskunde | 51 Ethnizitätsforschung: zur kulturellen Taxonomie ethnischer Identitäten | 55 Immigrationsforschung im „klassischen“ Einwanderungsland Australien | 64 Fragerepertoire und Ziel der Studie | 75 Die Untersuchungsperspektive: auf der Suche nach dem native point of view im Unterholz des Großstadtdschungels | 84 Fährtensuche: muli-sited ethnography | 90 Sehen, Beobachten, Miterleben und Verstehen: Formen Teilnehmender Beobachtung | 95 Narrationen über Migration: die Interviewsituation und das Herausschälen von Bedeutungsgeflechten | 101 Schriftliche und materielle Quellen zur Dokumentation von Alltagskultur | 108 Small Places, Large Issues: das Forschungssetting Sydney | 112

1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.3.7 1.4 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5

2.

Eine Ethnogenese: zur Historie der deutschen Migration nach Australien von 1788 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs | 119

2.1

The Early Cross-Cultural Encounters: James Cook und seine beiden deutschen Begleiter | 122 Der Gefangenentransport der First Fleet | 129 Der europäische Bevölkerungsexodus im 19. Jahrhundert und die daraus resultierende Immigration nach Nova Hollandia | 133 We must keep the breed pure: White Australia Policy und die Superiorität der „weißen Rasse“ | 139 Die Jahre des Odiums: Imperialismus, Deutschtumspolitik und Faschismus | 144

2.2 2.3

2.4 2.5

3.

Migrationsdynamiken: Periodisierung der Auswanderung seit 1941 bis zur Gegenwart | 149

3.1

Von Palästina nach Tatura: Deportation der prisoners of war | 151 Flüchtlinge und Displaced Persons in den 1950er Jahren: Australien als Destination einer ortspolygamen Wanderungsbewegung | 164 1958–1967: Arbeitsmigration und Remigration auf der Grundlage eines staatlich subventionierten Zweijahresvertrags | 183 1974–1980: „Wo liegt die Zukunft?“ Emigration in den aufstrebenden asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum | 204 1980–1989: von der Grünen-Bewegung zur alternativen Lebensgestaltung, oder: Deutschland, nein Danke! | 214 1993–1999: vom Frustrationsauswanderer zum Gelegenheitsauswanderer | 232 1989–2005: von den Studenten, die heute kommen und morgen bleiben, zu den young urban highly skilled migrants | 255 Migrants of choice: Migrationsdynamiken im Zeitalter der globalisierten Welt | 269

3.2

3.3

3.4 3.5

3.6 3.7

3.8

4.

Kulturkontakt und Kulturkonflikt: deutsche Migranten zwischen Integrationsexigenz und Abgrenzungsbedürfnis | 287

4.1

Grenzziehung durch Kultur: das kultivierte Europa versus das natürliche Australien | 291 When God created time, he made plenty of it … in Australia: interkulturelle Konzeptionen von Zeit | 305 Don’t mention the war! I did once, but I think I got away with it: Konfrontationen und Umgang mit der deutschen Vergangenheit | 320 There is no escape from ANZAC: die Überhöhung des Militärischen in der australischen Kultur | 340 Der Natur zuliebe: Umweltschutz und Ressourcenverschwendung als Distinktionsdiskurs | 350 Genauigkeit, Pünktlichkeit und Effizienz versus near enough is good enough: praxeologische Formen der Kulturalisierung deutscher Nationaltugenden | 368 John Howard und Pauline Hanson: die Politik der One Nation, oder: Ade schöne Multi-Kulti-Welt? | 383 The Tampa Crisis: Konturen einer Orientalisierung des fremden Anderen | 391 We grew here! You flew here! Kampf der Kulturen am Strand von Cronulla? | 400

4.2 4.3

4.3.1 4.4 4.5

4.6 4.6.1 4.6.2

5.

Kulturen in Transition: hybride Kulturformen im Zeitalter der globalisierten grenzüberschreitenden Migration | 409

5.1

Cultures in-between: vom postkolonialen Diskurs zur alltagskulturellen Praxis | 413 Invention of rituals: Rituale zwischen Tradition und Moderne | 416 Weihnachten im Sommer: kulturell internalisierte Festkultur zwischen gottesfürchtiger Besinnlichkeit und karnevalesker Eventisierung | 419 Ein bisschen Heimat folklorisieren: die Weihnachtsfeier der Australian-German Welfare Society in Cabramatta | 437 Der Weihnachtsbasar der evangelisch-lutherischen Kirche in Chester Hill | 450 Kälte, Glühwein und Weihnachtstimmung: Christmas in July in den Blue Mountains | 456

5.2 5.2.1

5.2.2 5.2.3 5.2.4

5.2.5 5.2.6 5.2.7

Exkurs: The Yarrawonga Tradition: deutsch-australisches Ostern am Murray River | 463 Der größte Martinsumzug in der südlichen Hemisphäre | 472 Citizenship ceremony am Australia Day: Übergangsritual zur doppelten Staatsbürgerschaft | 479

6.

Zur Transnationalisierung kulturaler Welten: Strukturen und Dynamiken polylokaler Verflechtungen | 493

6.1

Nomadische Texturen von Elitenmigration im global village | 501 Zum Verhältnis von ethnoscapes und mediascapes: transnationale Mediennutzung von Migranten am anderen Ende der Welt | 512 Das Zeitungsmedium Die Woche in Australien | 516 Special Broadcasting Service: medial vermittelter Multikulturalismus und Transnationalisierung | 525 „Gibt es Schimanski?“: Save TV | 535 „Damals war Australien noch weit weg.“ Skype und die internetbasierten Strategien der Heimwehbewältigung | 543 Infobahn Australia: Portal der deutschen Szene in Australien | 553 Der exklusive Bildungsweg: die German International School Sydney und die deutsche Sonnabendschule | 560 The homeland desire: Konturen transnationaler Topografien der Imagination? | 570

6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.3 6.4

7.

Zusammenfassung und Ausblick | 595

8.

Quellenverzeichnis | 617

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.6.1 8.6.2

Bibliografie | 617 Zeitungs- und Zeitschriftenartikel | 697 Unveröffentlichte Dokumente | 698 Internetquellen | 699 Filmdokumentationen | 700 Interviews | 700 Interviews während der explorativen Feldforschungsphase | 700 Interviews während der ploblemorientierten Feldforschungsphase | 701

9.

Danksagung | 703

1.

Einleitung: Einmal Paradies und zurück, bitte! Oder: to call the lucky country home

Traumland Australien titelt ein von der in Sydney lebenden deutschen Auslandskorrespondentin Barbara Barkhausen veröffentlichter Auswanderungsratgeber (Barkhausen 2008), dessen Überschrift in journalistischer Manier den fokalen Punkt der von Begehren und Verlangen gekennzeichneten Australiensehnsucht des deutschsprachigen Lesepublikums trifft und somit einer Idealisierung des Roten Kontinents, in dem vermeintlich Milch und Honig fließen, Vorschub leistet. Tatsächlich herrscht in der medialen Öffentlichkeit kein Mangel an exotisierenden, romantisierenden, naturalisierenden, theatralisierenden wie inszenierenden Darstellungen jenes fernen Landes in der südlichen Hemisphäre. Wer hat sich insgeheim noch nicht der Hoffnung hingegeben, auf den abenteuerlichen Pfaden von Malcom Douglas, Rob Bredl, Steve Irving oder Paul Hogan alias Mick „Crocodile“ Dundee zu wandeln, die atemberaubenden Naturschönheiten und verborgenen tropischen Gefilde in Queensland, dem Northern Territory oder den Kimberleys zu erkunden? Nicht ganz so abenteuerlich, dafür in der Realität nicht wenig aufregend, stellt sich eine Fahrt mit dem von Wolf von Lojewski und Robert Hetkämper dokumentarisch in Szene gesetzten Zug der Träume heraus. Der von Sydney nach Perth pendelnde Indian Pacific sowie der von Adelaide über Alice Springs nach Darwin fahrende Ghan führen dem Mitreisenden einerseits die imposanten Weiten der kontinentalen Erstreckung, andererseits die naturlandschaftliche sowie kulturelle Heterogenität der Landmasse unter dem Kreuz des Südens vor Augen. Für ein plastisches, einer breiten Öffentlichkeit zugängliches Australienbild abseits der in der Boulevardpresse frequent zu lesenden Haiattacken und Schlangenbisse sorgten ferner die Fernsehreportagen sowie Spielfilme von Joachim Fuchsberger, der nicht zuletzt durch sein Engagement als Schauspieler und Autor (Fuchsberger 1988)1 in Australien per-

1

Das europäische Australienbild wurde des Weiteren durch die fiktionalen Werke des australischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Patrick White konturiert, da sein

10

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

sönliche Erfahrungen und Beobachtungen sammelte, so dass er in Deutschland als eine Art Botschafter Australiens angesehen wird. Unzählige Stätten des Weltkulturund Weltnaturerbes wie Fraser Island, die Blue Mountains, der Ukuru-Kata TjutaNationalpark, die Küstenformation der Zwölf Apostel im Port-Campell-Nationalpark sowie das Great Barrier Reef erhärten die nicht ohne Überprüfung an den empirischen Realitäten nun getätigte Aussage: wahrhaft paradiesische Zustände für Touristen und Migranten. Und im Herzen des in Reiseführern als Eldorado charakterisierten australischen Kontinents, der mit zwei Menschen pro Quadratkilometer die am dünnsten besiedelte Landmasse der Welt ist, schlägt der Puls der metropolitan-kosmopolitischen Weltstadt Sydney. Auch wenn ich gleich zu Beginn zu maßloser Übertreibung tendiere bzw. chorale Lobeshymnen anstimme, ist doch ein Stück Wahrheit an der Behauptung, dass der Naturhafen, die dazugehörige Brücke, das Opernhaus, die unzähligen stadtnahen Strände und die weiteren, im Verlauf dieser Studie genauer beleuchteten Faktoren die Hauptstadt des Bundesstaates New South Wales zu einer der weltweit attraktivsten Lokalitäten machen. Folglich haben wir es mit einem Einwanderungsland zu tun, das für Immigranten neben Erwerbssicherheit im Zuge der expandierenden ökonomischen Prosperität durch die Rohstoffnachfrage seitens aufstrebender asiatischer Staaten (Coleman 2006: 10f.) und einer auf Multikulturalismus ausgerichteten Gesellschaftskonstellation eine breite Fülle von reizvollen Anziehungskräften offeriert und damit auch die Entscheidung deutscher Auswanderer maßgeblich mitbestimmt. Das Konzept des ethnischen Pluralismus ist schon beim Blick auf die Statistik eher alltäglich als eine zeitweilige Modeerscheinung, da jeder vierte Einwohner seinen Geburtsort außerhalb von Australien besitzt und fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung einen Elternteil aufweist, der im Ausland geboren ist (Jungehülsing 2005: 28). Vergleichsweise ist nur jeder 20. US-Bürger nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika geboren (Grotz 2000: 1999). In der Bundesrepublik Deutschland ist demgegenüber eine gesellschaftliche Tendenz zu erkennen, die Alfons Kaiser zu Beginn des Jahres 2008 als „sinnsuchende Wanderlust“ beschrieben hat (Kaiser 2008: 1). Natürlich zieht der Journalist zur Beglaubigung seiner Behauptungen authentifizierende quantitative Daten zu Rate: Allein im Jahr 2007 verließen 155.300 Deutsche ihre alte Heimat, um sie in Kanada, den Vereinigten Staaten, Spanien oder Australien gegen eine neue einzutauschen. Diese Auswanderungsquote, so Kaiser, sei die höchste Zahl seit Beginn ihrer statistischen Erfassung im Jahr 1954. Motivierende innere Beweggründe für das Streben nach fernen Kulturen und einer besseren Lebensqualität sind dabei so vielfältig wie die Menschen selbst, die sich zur Auswanderung entschließen. Nicht mehr Not, Hunger, politische oder religiöse Unterdrückung treiben die Deutschen

Œuvre den Fünften Kontinent in vielfältiger Weise thematisiert (Marr 1992; Teetzmann 1993: 5-10).

E INLEITUNG

| 11

ins Ausland, sondern vermehrt eine unterschwellig präsente Unzufriedenheit mit der Bürokratie, der vermeintlich deutschen Miesepetrigkeit sowie den schlechten Witterungsbedingungen (Lüthke 1989; Ders./Cropley 1989). Eine weitere Entwicklungstendenz für die innere Rastlosigkeit einer Vielzahl von Deutschen geht einher mit den Verheißungen des vom Soziologen Gerhard Schulze zu Beginn der 1990er Jahre in den kulturwissenschaftlichen Diskurs hineingetragenen Konzepts der Erlebnisgesellschaft, in deren Gefüge der Mensch sein Verhalten vorwiegend danach ausrichtet, ob es dem dominierenden Ziel nach „Erlebnisrationalität“, nach einem „schönen und ereignisreichen Leben“ entspricht (Schulze 1992: 40ff.), in dem mehr Freiräume bestehen, eine andere Lebensführung bzw. mehr Lebensqualität auf den Migranten warten, weniger Stressfaktoren existieren und der Abenteuerlust freien Lauf gelassen werden kann. Diese handlungsleitenden Motivationen subsumierend, können Australien im Allgemeinen und Sydney im Speziellen für den Auswanderer in mehrfacher Hinsicht zum Leben im Paradies werden, wenngleich die Berührungen mit dem australischen Way of Life im irdischen Garten Eden auch Enttäuschungen, kulturelle Missverständnisse, Diskontinuitäten, eine Pluralität der Zugehörigkeiten und Seinsweisen, Konflikte mit der fremden „Leitkultur“ hervorrufen können und in letzter Instanz eine Desorientierung des Migranten zwischen den Welten verursachen. So beschreibt Eike Schrimm, der sich nach einjährigem Aufenthalt in Sydney bewusst zur Rückwanderung in die alte Heimat entschieden hat, über seine Erfahrungen mit dem von Mythen umwobenen Paradies resümierend: „Das Gefühl der Fremde ist nicht nur geblieben, es ist von Tag zu Tag stärker geworden. Man kann sich in Sydney wohlfühlen, aber nicht heimisch“ (Schrimm 2008). Wie aus diesem Zitat partiell ersichtlich wird, ist ein interkulturelles Zusammenleben kein leichtes Unterfangen. Hier bleibt die Erinnerung, im Sinne von Jean Paul, das einzige Paradies, woraus man nicht vertrieben werden kann (Paul/ Förster 1862: 67). In der von Clifford Geertz postulierten, für das frühe 21. Jahrhundert zutreffenden Metapher der „Welt in Stücken“ (Geertz 1996) verlieren alle bisherigen, sich auf allgemeingültigen sowie selbstverständlichen Konsens berufenden kulturellen Identitäten ihren bedeutungsvollen und sinnstiftenden Gehalt, so dass zur Beantwortung der Fragen nach gesellschaftlichen Phänomenen wie Migration, Integration, Ethnizität und kultureller Zugehörigkeit ein neues wie innovatives Vokabular in Beschlag genommen werden muss, um zeitgenössische Migrationsdynamiken sowie die aus ihnen resultierenden Auswirkungen auf die direkt Betroffenen zu erklären. Genau an diesem Punkt befinden wir uns am Kristallisationspunkt einer anthropogenen Wanderungsbewegung, der erfolgreichen sowie von kultureller Reziprozität gekennzeichneten Integration, d. h. einem andauernden Prozess des fairen Gebens und Nehmens fernab des Assimilationsparadigmas, in ein fremdes gesellschaftliches Umfeld. Alle zu meiner hier vorliegenden empirischen Migrationsstudie beitragenden deutschen Auswanderer haben als kulturell geformte Wesen in der älteren oder jüngeren Vergangenheit ihrer Migrationsbiografie diesen

12

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Prozess der graduellen Angleichung wie Distinktion kultureller Eigenheiten mehr oder minder erfolgreich durchlaufen, mussten ethnische Partikularitäten ablegen, die australische Politik der Differenz respektieren, ein neues Wir-Gefühl bzw. neue Gruppensolidaritäten gründen und sie übernahmen Rechte, Verpflichtungen und loyale Verantwortlichkeiten beim emanzipatorischen Nationalbildungsprozess des noch jungen Staates. To call the lucky country home, also in Australien ein gleichwertiges, möglicherweise auch besseres Zuhause zu finden, beinhaltet mehr als eloquent Auskunft darüber zu geben, wer Sir Donald Bradman gewesen ist und wo die historische Rivalität zwischen den Quantas Wallabies und den All Blacks begründet liegt. Schenken wir dem von Donald Horne 1964 entworfenen Aphorismus The Lucky Country Glauben (Horne 1964), der zum einen auf die nationalen sowie nachkolonialen Abhängigkeitsverhältnisse Australiens in den 1960er Jahre aufmerksam machte, zum anderen das Bild eines jungen Einwanderungslandes nachzeichnete, dessen zahlenmäßig verschwindend geringe Gesellschaft aufgrund anhaltender ökonomischer Konjunkturen, einer geografischen Isolation von globalen Krisenregionen, dem egalitären Prinzips des fair go sowie des nationalen kulturellen Erbes eines weltweit wohl außergewöhnlich stark aufspielenden batsman einfach ein harmonischeres bzw. glücklicheres Lebens in einem entlegenen Winkel der Erdkugel führen, so wird doch deutlich, dass dieser erstrebenswerte und nicht selten idealtypisch verkörperte Zustand den Mitgliedern der Herkunfts- und der Aufnahmegesellschaft spezifische Anforderungen abverlangt. Zuwanderung und Integration sowie Migration und ethnische Identitäten sind in Australien zentrale gesellschaftliche Herausforderungen und komplexe Forschungsgegenstände von politischer wie kultureller Tragweite, deren wissenschaftliche Bewältigung ein richtungsweisender Schritt hin zu einer „emanzipierten Gesellschaft“ ist, in der die Verwirklichung der „Versöhnung der Differenzen“ (Adorno 1951: 114) ein hegemoniales, zu erlangendes Ziel darstellt (Baur 2009: 274). Diskursiver Dialog der Kulturen, akkulturative Anerkennung kultureller Errungenschaften sowie Bekenntnis zu einem dynamischen Gebilde einer integrierten Gesellschaft sind Charakteristika der Stadt Sydney, für deren deutschstämmige Migranten meine mikroanalytisch verfahrende Untersuchung profund Auskunft geben möchte. Allzu oft wird der Ballungsraum an der Botany Bay mit Berechtigung als Stadt der Akzente gefeiert, in der es immer als etwas Besonderes gilt, wenn zum Beispiel die Barista mit dem asiatischen Habitus und dem französischen Namen beim Servieren eines italienischen Cappuccinos in einem Café mit dezentem, australischem, metropolitanem Flair die englischen Wörter nicht richtig intoniert. Plurale Konfigurationen ethnischer Verhaltensmuster und kultureller Prägungen tragen zu einem erheblichen Umfang zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Gefüge des Manhattans im Südpazifik bei, so dass die Hafenstadt an der Tasmanischen See in Bezug auf die globale Herausforderung einer produktiven Koexistenz von kultureller Diversität unangefochten eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und

E INLEITUNG

| 13

Kultur (UNESCO) gibt die Reichhaltigkeit verschiedener kultureller Phänomene auf ihrer 31. Generalkonferenz am 2. November 2001 in Paris als eine anzuvisierende Ressource aus: „Kulturelle Vielfalt erweitert die Freiheitsspielräume jedes Einzelnen, sie ist eine Wurzel von Entwicklung, wobei diese nicht allein im Sinne des wirtschaftlichen Wachstums gefasst werden darf, sondern als Weg zu einer erfüllteren intellektuellen, emotionalen, moralischen und geistigen Existenz“ (Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt 2002, zitiert nach Kramer 2004: 31).

„Wir sind gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können – freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die der Riesen uns zur Hilfe kommt und emporhebt“, heißt ein die wissenschaftlichen Unternehmungen direkt betreffendes Gleichnis von Bernhard von Chartres, das darauf aufmerksam machen möchte, dass Forschungsstudien nicht in einem geschichtslosen Raum entstehen, sondern sich im Fahrwasser eines sich aus der Wissenschaftstradition herausbildenden Diskurses befinden, dessen bisherige Befunde und Leistungen im Kontext der eigenen Untersuchung gewinnbringend genutzt, überprüft, kritisiert, reflektiert, verifiziert oder gegebenenfalls falsifiziert werden. Jede kulturwissenschaftliche und somit Kultur verstehende Analyse benötigt argumentative Grundbegriffe, die im Vorfeld einer wissenschafts- und grundlagentheoretischen Reflexion sowie einer Tauglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen. Damit der Prozess und auch die Bedingungen des Kulturverstehens überhaupt funktionieren können, sind die von mir verwendeten theoretischen wie methodischen „Handwerkzeuge“ aus der Wissenschaftsgeschichte der Kulturanthropologie/Volkskunde zu operationalisieren sowie zu systematisieren. Wenn beim epistemologischen Kulturverstehen, „wie bei jedem Verstehen auch, die Frage nach dessen Richtigkeit oder Unrichtigkeit, nach dessen Gültigkeit und Ungültigkeit, nach dessen Adäquatheit oder Inadäquatheit gestellt wird“ (Göller 2000: 379), sind spezifische, fachinterne, die Disziplin konstituierende Fachtermini und Forschungstendenzen vonnöten, um kulturell-ethnische Formen und Muster von bewegten Lebensweisen deutscher Migranten in Sydney in anschaulicher Art und Weise ethnografisch zu präsentieren und in weiterer Folge hermeneutisch zu analysieren. Um ein fallbezogenes Problembewusstsein für das im Titel stehende Vorhaben zu schaffen, wird in den nachfolgenden Kapiteln das Anliegen verfolgt, disziplinäre Wissenschaftstraditionen des Faches Kulturanthropologie/Volkskunde näher zu präzisieren.

14

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

1.1 D ISZIPLINARITÄT UND Z USTÄNDIGKEITSBEREICH DER K ULTURANTHROPOLOGIE /V OLKSKUNDE Beginnen wir mit der nicht ganz unfiktionalen Darlegung eines nahezu alltäglichen Szenarios, das den Studenten bzw. Doktoranden der Universitätsdisziplin Kulturanthropologie/Volkskunde zu einem gewissen Grade in einen von Legitimationszwängen kontaminierten Erklärungsnotstand versetzt. Es handelt sich hierbei um die im Verwandten- bzw. Bekanntenkreis des Öfteren mit Besorgnis um die zukünftige Existenzsicherung des Zöglings gestellte despektierliche Nachfrage, was denn dieses mitunter schwer auszusprechende und zugegebenermaßen sperrige Vielnamenfach eigentlich genau als Gegenstandsbereich definiert und inwiefern man mit den während des Studiums erworbenen Schlüsselqualifikationen im späteren Verlaufe des Lebens auch tatsächlich in einem sozial abgesicherten Arbeitsverhältnis stehen wird. Bei der Beantwortung dieser Fragen beginnt meines Erachtens das hausgemachte Dilemma der Ethnowissenschaften, weil der sich aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld rekrutierende Fragesteller mit sanktionierendem Unverständnis reagieren würde, wenn man in Anlehnung an Konrad Köstlin selbstbewusst antwortet: „Sie kann eigentlich alles, die Volkskunde“ (Köstlin 1995: 47). Oder etwa wie es Ingeborg Weber-Kellermann formulierte: „Wer Volkskunde studiert, hat mehr vom Leben!“ (Weber-Kellermann 1991). Darüber, dass die Außenperspektive auf die in der Gesellschaft ausschließlich als Orchideenfächer und Mauerblümchenwissenschaften wahrgenommenen Disziplinen in breiten Bevölkerungskreisen nahezu schemenhaft bis zerrspiegelartig ausgebildet ist, scheint in Gelehrtenkreisen ungeteilte Meinung zu bestehen (Göttsch 2004: 118ff.). Im öffentlichen Bewusstsein ist es um das Fach der „bunten Vögel“ nicht besser bestellt (Kämmerlings 1999: 54; Eggmann 2009: 13ff.). Das bisweilen diffuse Halbwissen wird darüber hinaus befördert von einer hausgemachten Identitätsbricollage, die sich durch das im deutschsprachigen Raum zu verzeichnende inhomogene Auftreten in Bezug auf die institutseigene Namensgebung der verschiedenen, aber unter einem geistigen Deckmantel firmierenden Institutionen äußert. So gibt es an der Humboldt-Universität zu Berlin das Institut für Europäische Ethnologie, in der alten Bundeshauptstadt wurde das Volkskundliche Seminar zur Abteilung Kulturanthropologie/Volkskunde des Instituts Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, in Tübingen nennt es sich Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft (Johler/Tschofen 2008), an der Universität Frankfurt am Main finden wir eine Wortkombination aus Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie (Zimmermann 2005: 12). Es gilt als unhinterfragte Selbstverständlichkeit, dass es sich bei der Umbenennung einzelner Institute ganz und gar nicht um einen schlichten Etikettenwechsel handelt, gleich nach dem Motto: alter Wein in neuen Schläuchen. Erschwerend wirkt zudem, dass nicht nur die voneinander divergie-

E INLEITUNG

| 15

renden Wissenschaftstraditionen und Ausrichtungen im deutschsprachigen Raum von Universität zu Universität andere sind, sondern sie sind auf Europa bezogen von Land zu Land ebenfalls unterschiedlich (Löfgren 1990: 3). So läuft man schnell Gefahr, aufgrund gesellschaftlichen Desinteresses und universitärer Pariastellung der Trivialisierung ausgesetzt zu sein. Je mehr man sich mit den Einzelheiten und feinen Unterschieden, Distinktionen und Grenzmarkierungen, Positionen und Problemen, Kontaktfeldern, Reibungsflächen sowie Überlappungszonen der Disziplinen Volkskunde, Europäische Ethnologie, Empirische Kulturwissenschaft und Sozial- und Kulturanthropologie en détail auseinandersetzt, desto differenzierter wird eine zufriedenstellende Erwiderung auf diese scheinbar einfachen Fragen nach Inhalten und Zuständigkeitsbereichen des Faches. Dieser Konfrontation mit der zur Debatte stehenden, diskursive Energien zum Vorschein bringenden und scheinbar pathologische Strukturen entwickelnden Fachidentität und disziplinären Profilbildung kommt auch zu Beginn dieser Einleitung ein virulenter Charakter zu, so dass zunächst Klarheit darüber bestehen soll, auf welcher grundlegenden Basis sich diese empirische Studie gründet. Es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir ausschließlich die oben erwähnten und oft fälschlicherweise synonym verwendeten fachinternen Bezeichnungen unserer Disziplin näher verdeutlichen, ohne die unmittelbar angrenzenden und in Konkurrenz stehenden Disziplinen Völkerkunde (auch Ethnologie genannt), Soziologie, Geschichtswissenschaften und Germanistik in Betracht zu ziehen. Zur Diskussion stehen an dieser Stelle folglich die historisch gewachsenen Zuständigkeitsbereiche und Kompetenzen sowie das disziplinarische Selbstverständnis des Faches Kulturanthropologie/Volkskunde (oder wie immer man unsere Disziplin bezeichnen möchte), dessen Ausdifferenzierung vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg intensiv vorangetrieben wurde und zur jetzigen, diffusen, scheinbar larmoyanten, aber durchaus ernsthaften Konstellation (Brückner 1992: 202) einen Beitrag leistet. Diese Vorgehensweise wirft insbesondere Fragen zu den eigenen wissenschaftshistorischen Wurzeln und der Forschungsmethodik auf, die sich innerhalb der im Zuge einer Neuformierungsdebatte in den späten 1980er Jahren einem bis in die Gegenwart anhaltenden Wandel unterzieht, der die alte Volkskunde von einer nach volksbeseelten Relikten der mythisch überhöhten Urzeit suchenden Altertumsforschung zur modernen und gesellschaftlich relevanten Kulturanalyse erfolgreich überführte (Bausinger 1971). Genauer gesagt geht es mir um einen Prozess, der mit dem eher nebulösen Titel „Anthropologisierung der Wissenschaft“ zu überschreiben ist (Gusterson 1996) und gleichzeitig mit der Kritik an allem Kanonischen einen „Abschied vom Volksleben“ (Scharfe 1970a: 74ff.) einläutet. Theoretische und methodische Weichenstellungen der 1970er und frühen 1980er Jahre, die aufgrund ihrer widersprüchlichen und zum Teil inkonsistenten Überlegungen meist nur uneinheitliche, polyphone und heterogene Ergebnisse zu Tage förderten, zeigen wiederholt die Porosität und Liquidität der gemeinsamen Findung einer einheitlichen Fachbezeichnung. Bei genauer Betrachtung des seman-

16

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

tischen Gehalts des vielfach traumatisch besetzten Begriffs „Volkskunde“ läuft es einem halbwegs vom Humanismus und der Aufklärung inspirierten Betrachter schaurig den Rücken herunter. Der Begriff evoziert in einer breiten Öffentlichkeit nicht nur assoziative Bilder der volkskundlichen Mottenkiste, der lustigen Volksscheune mit Windmühlen und Heustadlnostalgie, der Sonntagstracht und des lädierten Spinnrades aus der bäuerlichen Dachkammer (alles insgesamt Relikte einer abgelebten Zeit), sondern erdreistet sich auch noch, eine „Kunde“ vom „Volk“ abgeben zu können (Gerndt 1988a). Nicht ganz ohne Berechtigung bezeichnete Thomas Nipperdey die Volkskunde als eine „merkwürdige deutsche Sonderwissenschaft“ (Zitiert nach Korff 1996: 406), die sich beharrlich weigerte, eine „discipline of wider comparative perspectives“ zu sein und deshalb von zwei skandinavischen Kulturanthropologen in der Zeitschrift Ethnos als „fairly isolated Volkskunde“ (Gerholm/Hannerz 1982: 24 [Herv. i. O.]) bezeichnet wurde. Unter nahrungsethnologischem Blickwinkel würde man die antiquierte und unzeitgemäße Wissenschaft vom Volk als ein abgestandenes Gebräu mit leicht undefinierbarem Inhalt versinnbildlichen wollen, dessen Ingredienzien zum einen fad auf Zunge und Gaumen wirken, zum anderen aufgrund ihrer ideologiebefrachteten Reminiszenzen aus einem dunklen Kapitel der Vergangenheit auf längere Sicht Risiken und Nebenwirkungen beim Konsumenten verursachen. Revolutionierend wirkte 1961 Volkskultur in der technischen Welt von Hermann Bausinger. In seiner Habilitationsschrift befreite Bausinger die intrikat-ideologische Interpretation des volkskundlichen Instrumentariums vom Stigmata des Ewiggestrigen und zitierte diesbezüglich Bertold Brechts Aufsatz „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ in gelungener Weise: „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht“ (Bausinger 2005a: 7). In der Vergangenheit war die Affinität zu romantischen und nationalistischen „Tümern“ und zur „Tümelei“ im Sprachgebrauch der volkskundlichen Literatur stark ausgeprägt, so dass die Untersuchung von Hof, Rock und Kamisol verbrauchte und mit unbestimmtem Bedeutungsinhalt belegte Wortbildungen wie „Volkstum“, „volkstümlich“, „Brauchtum“ und „brauchtümlich“ (Bimmer 1990: 155) zum Vorschein brachte, die die schöpferischen, naturgegebenen Kräfte des Volkscharakters bzw. Volksgeistes beschworen sowie die Wertgewichtigkeit der kulturellen Quellströme des eigenen Volkes zu eruieren trachteten. Diese als Apriori-Wissen verabsolutierten, dezisionistischen Kategorien des Volkstümlichen, Grundschichtigen, Grundständigen, Ursprünglichen und Echten, die einer der Begründer unseres Faches im 19. Jahrhundert einmal als die „Mächte des Beharrens“ (Zimmermann 2001: 520) klassifizierte und die Theodor W. Adorno als „Edelsubstantive“ bezeichnet hat, standen gerade in der Zeit der nationalsozialistischen Aufarbeitungsphase unter akutem Ideologieverdacht (Scharfe 1970a: 77ff./Emmerich 1971: 124). Das drohende Unheil der vielfachen Deutungs- und Anwendungsmöglichkeiten der altehrwürdigen Formel „Volk“ (Allison 1997: 836) sowie ihr Missbrauch für Zwecke und Ziele eines Propaganda-

E INLEITUNG

| 17

apparates des Nationalsozialismus waren in der Nachkriegszeit in unerbittlicher Evidenz hervorgetreten. Eine ambitionierte pseudowissenschaftliche Volksforschung, die auf einer Rückwendung zu den germanischen Altertümern verharrte, die Betonung des nordisch-germanischen Rassengedankens pflegte, den Bauernstand mittels der Metapher „Blut und Boden“ überhöhte, von einer monogenetischorganischen Konstruktion des geschlossenen Volkskörpers ausging sowie die Kontinuität des Fortlebens germanischer Traditionen als Glaubensfrage inthronisierte und sich der Hoffnung einer völkischen Utopie hingab (Braun 2009: 9ff.), musste sich unlängst einer scharfen, kompromittierenden Begutachtung unterziehen (Bausinger 1965). Die Suche nach dem ewigen Deutschen, dem „Germanimathias“ (Kraus 1967: 74) oder dem „Ideal eichelfressender Germanen“ (Immermann 1966: 155), wurde von Friedrich Ludwig Jahn bereits in der Frühphase der Wissenschaftsgeschichte des Faches, in der Romantik des 19. Jahrhunderts, popularisiert und politisiert (Weber-Kellermann 1969: 16f.; Sievers 2001: 39; Braun 2009: 16f.). Insbesondere aufgrund der von den so genannten Germanenforschern mit halbwissenschaftlicher Akribie betriebenen Suche nach den Ursprüngen germanischer Kontinuität in teutonischen Wäldern jenseits des christlichen Mittelalters wurde die Volkskunde über Jahrzehnte hinweg von anderen Sozialwissenschaften in kompromittierender Manier zu Recht als „Stallwache der Vergangenheit belächelt“ (Jeggle 1991: 56). Auch Eduard Hoffmann-Krayer sah zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Hauptbetätigungsfeld der jungen Volkskunde darin, das „Generell-Stagnierende“ (Hoffmann-Krayer 1992: 10) zu ergründen, zu dokumentieren und nicht zuletzt zu retten. Lange Zeit trat Einfühlung, das Schaffen von Mythen und Prophetie an die Stelle des kritischen Verstandes. Vom historischen Ballast befreit und um eine neue Fachbezeichnung bemüht (Bausinger 1969; Scharfe 1970b; Bausinger 1980), wurde sich die Disziplin ihrer Schwächen und vor allen Dingen ihrer Stärken bewusst und mauserte sich mittels harter Kärrnerarbeit als „Alltagswissenschaft mit Hinwendung zur Kultur“ im Schatten manch einer Sozial- und Geisteswissenschaft zu Rang und Namen. Interdisziplinäre Angrenzungen, methodisch-theoretische Überschneidungen und inter- bzw. transdisziplinäre Zusammenarbeit mit unmittelbaren Nachbarfächern wie der deutschsprachigen Ethnologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft (Mohrmann 1989/90: 10), historischen Landeskunde (Müller/Aubin/Frings 1926; Hirschfelder/Schell/Schrutka-Rechtenstamm 2000) und der in den USA institutionalisierten Kulturanthropologie fanden in einer sowohl kooperativen als auch konkurrierenden Atmosphäre statt und wiesen bereits seit den 1960er Jahre (Heilfurth 1962; Greverus 1971a) den Weg zu einer weiteren Profilbildung in Richtung empirische Kulturwissenschaft. Die polygenetische Entstehungsgeschichte des als ambivalent zu charakterisierenden Nachbarschaftsverhältnisses der Volkskunde zur Völkerkunde (Gingrich 2005: 76ff.) sowie deren historische Zusammenhänge, disziplinäre Territorialität und zukunftsweisende Schnittmengen hat bereits 1969 Gerhard Lutz einer dezidierten Betrachtung unterzogen (Lutz 1969; Ders. 1971/72).

18

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Als die Volkskunde innerhalb ihrer intradisziplinären Standortdebatte bzw. der institutionellen Vergangenheitsbewältigung (Bruck 1990: 181ff.) um eine substanziierte Positionierung rang (Brückner 1971; Wiegelmann/Heilfurth/Zender 1972; Bausinger/Jeggle/Korff/Scharfe 1999; Bausinger 1966), kam es hierbei zu Meinungsdifferenzen und Polarisierungen zwischen Anthropologie und Soziologie, die einerseits zu der Forderung nach „einer kulturanthropologischen Orientierung“ aufriefen, andererseits stand der Vorschlag zur Diskussion, das Fach „als ein ethnologisches zu verstehen“ (Lutz 1982: 44; vgl. auch Niederer 1980). In der jüngsten Vergangenheit entwarf Iris Därmann ein konzeptionelles Plädoyer, das engagiert für eine Ethnologisierung der gesamten Kulturwissenschaften eintrat. Mit Rekurs auf die Determinierungen und Korrelationen fremdkultureller (nichteuropäischer) auf europäische Vorstellungen wies die Autorin darauf hin, das die Untersuchungsergebnisse der Disziplinen Ethnologie, Kulturanthropologie, Afrikanistik, Islamistik und Japanologie von den anderen Kulturwissenschaften bei der Selbstkritik abendländischer Genres eine kathartische Rolle einnehmen würden, da sie im Horizonte fremder Lebenswelten für die Konstitution der eigenen Lebenswelt unverzichtbar seien und somit als kulturelle Emissäre fungieren (Därmann 2007a: 17ff.) Für die Problemlösungen der Gegenwart sei durchaus ein Umweg vonnöten, der über zeitlich und räumlich weit entfernte Stationen führe. Vor nicht allzu langer Zeit hat man die Ethnologie in berechtigter Manier als „Wissenschaft vom kulturellen Fremden“ (Kohl 2000: 26ff.) bzw. als „erfahrungsnahe Kulturanthropologie“ (Antweiler 2007: 125f.) ausgegeben, die von ihrem traditionellen Selbstverständnis teilweise abrückte, d. h., sie befasst sich nicht mehr ausschließlich mit den außereuropäischen, nonliteraren Gesellschaften auf der Basis der kulturellen Parallelisierung von Mythen, Kosmologien, Riten, Tänzen, magischen Kulturpraktiken, Schamanismus sowie Kopfjagd. Vielmehr profiliert sie sich im Zuge einer akademischen Revierabsicherung ganz allgemein „als Wissenschaft von der Differenz“, fordert ein „Recht auf Eigenart“ ein und lehnt Uniformität kategorisch ab (Streck 1997: 13). Die holistisch-mikroskopische Erkundung und Darstellung von exotischen Lebenswelten bei „Naturvölkern“ bzw. „Stammesgesellschaften“, die der in der frühen viktorianischen Ethnologie beheimatete Edward B. Tyler ohne pejorativen Hintergedanken als Primitive Cultures (Tylor 1871; Ders. 1972) bezeichnet hat, war bei der Völkerkunde – die bereits im 19. Jahrhundert als Kronzeugin für eine Wissenschaft vom Menschen auftrat – integrale und identitätsstiftende Untersuchungsmaxime. Nachdem man die Überwindung des holistischen Kulturbegriffs hinter sich gebracht hatte, die eine Vorstellung von isolierbaren und systematisch geschlossenen Einheiten als Ausgangspunkt obsolet machte, gingen zudem der Wissenschaft von den indigenen Kulturen die traditionellen Forschungsobjekte infolge von Kolonisierung und der selbst intendierten administrativen Losung Assimilation weitgehend verloren, so dass die Forderung nach einer Ethnografie in komplexen Gesellschaften immer lauter vernehmbar wurde (Jensen 1995). Eurasien hieß die letzte Überlebenschance

E INLEITUNG

| 19

für die im Zeitalter des Imperialismus als Sammel- und Bergungswissenschaft2 zu charakterisierende Völkerkunde, so dass nach Meinung Wolfgang Brückners eine verstärkte Invasion von Ethnologen in genuin für Volkskundler reklamierten Berufs- und Anwendungsfeldern als nahende Götterdämmerung auf breiter Front zu erkennen sei, nur mit dem kleinen Unterschied, dass nun die Volkskundler im Zuge der imperialistischen Okkupationsbestrebungen als „Neger“ und „Rothäute“ tribalisiert würden (Brückner 1981: 129). Bei der „Kunde“ vom „eigenen Volk“ galten Forschungen, die über den Tellerrand des deutschsprachigen Horizontes hinausblickten, um gemäß der nomenklatorischen Dachbezeichnung „Europäische Ethnologie“3 zu betreiben, eher als singuläre Ausnahmen wie Bestätigungen der Regel. Daher war es auch ein Leichtes für die Völkerkunde, der Volkskunde/Europäische Ethnologie bei der disziplinären Zugehörigkeit im außerdeutschen Europa Etikettenschwindel zu Last zu werfen, weil sie sich zum einen nach außen als europäisch präsentierte, zum anderen im Gros ihrer Wissenschaftsgeschichte kaum Studien mit europäischer Perspektive an ihren Instituten bearbeitete. Europäisch bis global gestimmte Forschungen, so insistierte Gisela Welz jüngst, gehören jedoch gegenwärtig unlängst zum Sujet der Wissensproduktion in der Europäischen Ethnologie (Welz 2009: 195f.). Derlei Vorwürfe lösen von Seite der Volkskunde regelmäßig auftretende anti-ethnologische Übersprunghandlungen aus, deren historische Verwurzelung in der Fachgeschichte von Elisabeth Timm eingehend untersucht wurde (Timm 1999, zitiert nach Johler 2000: 168). Wesentliche Impulse für eine von reziprokem Erfolg gekennzeichnete Verwirklichung der guten Absichten dieser beiden

2

Adolf Bastian gilt als die Vaterfigur der deutschen Ethnologie, der als Mitbegründer der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte eine umfassende Dokumentation der so genannten Naturvölker anstrebte. Über seine Passion als Sammler exotischer Ethografica berichtete sein Kollege Karl von Steinen: „Mit lauter Weck- und Warnrufen trat er Jahr und Jahr für das Sammeln bei den dahinsterbenden Naturvölkern ein: ‚der letzte Augenblick ist gekommen, die zwölfte Stunde ist da! Dokumente von unermeßlichem Wert für die Menschheitsgeschichte gehen zugrunde. Rettet! rettet! ehe es zu spät ist‘.“ (von Steinen 1905: 248).

3

Zurückzuführen ist die Fachbezeichnung „Europäische Ethnologie“ auf eine europäische Fachtagung im Jahre 1955, bei der sich im niederländischen Arnhem die aus verschiedenen Ländern zusammengekommenen Vertreter nationaler Volkskunden und Ethnologien, Ethnografien und Kulturwissenschaften auf diese einheitliche Namensgebung verständigen konnten (Dias 1988). Bereits in den 1930er Jahren bildete der skandinavische Volkskundler Sigurd Erixon einen frühen Vorläufer für die europaweit operierende Kooperation der einzelnen nationalen Vertreter, um die Entnationalisierung, also die Verabschiedung von der Beharrung auf der Untersuchung von Nationalkultur, zu forcieren (Bringéus 1983).

20

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

sich im stillschweigenden Einvernehmen weder fremd noch freundlich gegenüber verhaltenden Stämme sind unlängst von beiden Seiten formuliert worden, wenngleich die offiziellen Kontakte nach Auffassung von Dieter Kramer nur Seltenheitscharakter besitzen (Kramer 1997b: 119). Gerade wegen des gemeinsamen Objektbereiches „Kultur“4 könnte man von einem eigentlich regen Gedankenaustausch zwischen diesen beiden Wissenschaften ausgehen, um in Bereichen Kräfte zu bündeln, die ohnehin zueinander neigen, so dass beiderseitige Strukturschwächen behoben werden und die Flucht aus dem gesellschaftlichen Schattendasein in ein positiv konnotiertes, öffentliches Bewusstsein gelänge. In den „Teufelskreis der kleinen Fächer“ verbannt, tat man sich bis in die 1990er Jahre noch enorm schwer, von komplementären Lösungsstrategien zu profitieren (Wiegelmann 1982: 61ff.). Ethnologie und Volkskunde/Europäische Ethnologie sollen auf der Grundlage der „interkulturellen Hermeneutik“ auf eine empirische Gesellschafts- und Kulturformenkunde mit anthropologischen Grundfragen konvergieren, die schlussendlich in eine „allgemeine und vergleichende Wissenschaft vom Menschen als Kulturwesen“ (Stagl 1993a: 48), der Kulturanthropologie (Mühlmann 1966a: 24), münden könnte. Die Forderung nach einer produktiven sowie von Synergieeffekten geprägten Liaison zwischen europäischen und außereuropäischen Ethnologen sah Ina-Maria Greverus am ehesten bei der interkulturell vergleichenden Dachdisziplin Kulturanthropologie verwirklicht, wobei Anlehnungen an ähnliche Entwicklungen in der USamerikanischen Cultural Anthropology verfolgt werden sollten (Greverus 1978: 153). Als Beispiel sei hier die von Greverus vorgenommene Umbenennung des Frankfurter Instituts erwähnt, das seit 1974 den Namen „Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie“ trägt, sein Curriculum auf die bevorstehende „Anthropologische Wende“ (cultural turn) in den Geisteswissenschaften hin ausrichtete und somit dem „Paradigmenwechsel hin zu dem methodologischen Selbstverständnis einer Kulturwissenschaft“ (Weber-Kellermann/Bimmer/Becker 2003: 192) notwendige strukturelle Perspektiven eröffnete (Greverus 1994a: 10). Veränderte gesamtgesellschaftliche Realitätszusammenhänge wie die ökonomische Modernisierung, die Nachwehen des Kolonialismus, die global exponentiell ansteigenden Mobilitätsraten in Form von Migration, Flucht und Vertreibung, Integration von Minderheiten sowie die in einem europäischen und sogar internationalen Kontext implementierten Prozesse der invention of ethnicity, die zur rasanten Ausbrei-

4

Da die Fronten und Grenzmarkierungen der Disziplinen nach den zum Teil heftig ausgefochtenen Disputen um das Verhältnis zwischen Völkerkunde und Volkskunde in mancher Hinsicht in Auflösung begriffen sind, überdachte Klaus Roth die Gemeinsamkeiten und Unterschiede neu und plädierte für eine praktische Anwendung des ethnologischen Wissens, das, gemäß der programmatischen Losung der Falkensteiner Fachtagung, einen „Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme“ leisten könne (Roth 1999: 32ff.).

E INLEITUNG

| 21

tung ethnisch orientierter Identitätspolitiken und ethnisch bzw. als ethnisch etikettierter Konflikte führen, konstituieren unweigerlich eine spürbare Zunahme von „Ungleichzeitigkeiten in unserem eigenen System“ (Jeggle: 1971: 37).5 Dies forciert zeitgleich eine Wahrnehmung von kultureller Fremdheit innerhalb der als homogen, vertraut, also eigen, gedachten sprachlichen und politisch-nationalen Grenzen. Diese Phänomene einer sich transformierenden Gesellschaft im Zeitalter der kulturellen Sakralisierung ziehen die Notwendigkeit eines verstärkten Einbezuges kultur- und sozialanthropologischer Herangehensweisen sowie eines terminologischen Instrumentariums angloamerikanischer Provenienz nach sich. Wolfgang Kaschuba dekonstruierte die allgemein bekannte Vorstellung von der volkskundlichen Erforschung der eigenen Kultur, die zumeist gewohnt und heimisch erschien, weil im Laufe der ethnischen Erweckung (ethnic revival) in der Postmoderne (Melucci 1996: 368) ein Bewusstsein dafür geschaffen wurde, dass Wahrnehmungen des fremden Anderen sowie der kulturellen Fremdheit weniger mit nationalen Demarkationslinien zu tun haben (Kaschuba 2003: 103). Eine Hinwendung zu fremden, konträren und pluralen Alltagswelten der Kulturanthropologie auf bundesdeutscher, europäischer oder globaler Ebene wird gegenwärtig befördert durch eine über Nationalgrenzen diffundierende kommunikative Reichweite mittels moderner Mediennutzung sowie der Durchlässigkeit regionaler, ethnischer und sozialer Schranken. In Anbetracht der interkulturellen Auseinandersetzungen „at home“ (anthropology at home) (Hannerz 2010: 97) diffundieren zunehmend Erklärungsansätze aus der sich zur Makroanthropologie weiterentwickelnden Kulturanthropologie in volkskundliche Wissensarchive, die „für die Formierung einer vergleichenden Theorie der kulturellen Pragmatik“ (Wimmer 1996: 420) von immenser Bedeutung sind. Somit forschen Kulturanthropologen und Ethnologen, die sich das Fremdverstehen gleich der Devise „knowledge of others becomes a vehicle for knowledge of the self“ (Strathern 1987: 23; zitiert nach Niedermüller 2002: 45) auf die Fahnen geschrieben haben (Saalmann 2005), nicht mehr über „andere“, die weit weg und fern der Heimat sind: die anderen sind vielmehr präsent (Schiffauer 1997: 165). Dabei wird der Oberbegriff „Kulturanthropologie“ (Stagl 1974: 11-64; Harris 1994; von der Ohe 1987) von Roland Girtler als „Gesamtschau des Menschen“ bezeichnet, der Kraft dieser Aussage mit der Meinung von Marcel Mauss übereinstimmt, dass der Mensch erst über eine Vielzahl von Perspektiven zu erfassen sei (Girtler 2006: 45).6

5

Das zentrale Fachperiodikum Zeitschrift für Volkskunde offeriert mit den Aufsätzen von Greverus, Jeggle und Lutz in Heft 1 des Jahrgangs 67 einen Einblick in die Diskussionen der Orientierungsdebatte im Spannungsverhältnis von Ethnologie und Kulturanthropologie (Greverus 1971; Lutz 1971).

6

Neben der prähistorischen Archäologie, Linguistik und physischen Anthropologie ist die Kulturanthropologie einer der vier Arbeitsbereiche der im angloamerikanischen Raum

22

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Der Gründervater der modernen französischen Ethnologie, Claude Lévi-Strauss, äußerte sich folgendermaßen dazu: „Ob die Anthropologie sich als ‚sozial‘ oder ‚kulturell‘ ausgibt, immer strebt sie danach, den totalen Menschen kennenzulernen, der im einen Fall auf Grund seiner Produktion, im anderen Fall auf Grund seiner Vorstellung gesehen wird“ (Lévi-Strauss 1977: 383 [Herv. i. O.]). Es ist müßig zu erwähnen, dass die Volkskunde zur Kulturanthropologie nicht wie die Jungfrau zum Kinde kam, sondern das Interferieren methodologischer und theoretischer Grundgedanken ebnete den Weg zu einer effektiven Partnerschaft. Welche Kompetenzbündelungen, die bestehende Fächergrenzen sprengen, bei dieser Allianz für die Untersuchung von Migrantenkulturen von Nutzen sein kann, soll im nächsten Kapitel veranschaulicht werden.

1.2 K ULTUR

ALS F ORSCHUNGSFELD : KULTURANTHROPOLOGISCHE V ORSTÖSSE IN DIE SOZIALE W IRKLICHKEIT

Die Verortung der Disziplin Kulturanthropologie/Volkskunde als so genanntes wissenschaftliches Fach bedarf in der Gemengelage des universitären Nebeneinanders sich different gebender sowie verstehender Fachgebiete eines abgrenzenden sowie konstruierenden Konglomerats von Problemen und Lösungsversuchen, die den auf historischen Erfahrungen und Traditionen gründenden Orientierungsrahmen generieren. Dank unserer besonderen Kompetenzen im Bereich der institutionalisierten Dauerreflexion (Simon/Frieß-Reimann 1996; Hoppe/Schimek/Simon 1998; Burkhardt-Seebass 1996; Schweiger/Wietschorke 2008) sowie der Kontinuitäten der innerfachlichen Dissense in Bezug auf die Überwindungen der Altlasten unserer geistigen Vorväter wissen wir heute mehr oder minder genau, was die unter zahlreichen Namen firmierende Wissenschaft als ihre Mitte bezeichnet, sprich, was ihre Corporate Identity ausmacht.7 Jene Aussage indiziert darauf, dass eine spezifische disziplinäre Kanonizität die Einzigartigkeit und Kohärenz eines jeden Faches aus-

ganz allgemein unter dem Terminus „Anthropologie“ rubrizierten Disziplin, die einen four-field approach besitzt. In Deutschland dominiert die Bezeichnung „Ethnologie“ und in Großbritannien findet man die Bezeichnung „Social Anthropology“, was auf die unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen hinweist (Dracklé 1999: 220). 7

Wie die Fächer Soziologie und Volkskunde/Kulturanthropologie ihre eigene (kognitive, soziale, historische) Identität auf der Grundlage von Wissenschaftsgeschichtsschreibungen, Institutionalisierungsprozessen, Problemstellungen, Forschungswerkzeugen und Paradigmen herausbildeten, haben Wolf Lepenies und Konrad Köstlin deutlich gemacht (Lepenies 1981; Köstlin 1987).

E INLEITUNG

| 23

macht. Worin liegen nun das erkenntnistheoretische Fundament, sein analytischer Zugriff, die zeitlichen Betrachtungsperspektiven sowie der Forschungsgegenstand unserer Schrägstrichwissenschaft mit Bei-, Zusatz- oder Klammerbezeichnung? Was macht die spezifische Herangehensweise volkskundlicher/kulturanthropologischer Arbeit aus? Wem nützt sie? Eine sorgfältig komponierte volkskundliche/ kulturanthropologische Programmatik mit Rekurs auf die Reformulierung des fachlichen Grundkonsens wird unter Berücksichtigung einer zunehmenden Diversität der kulturwissenschaftlichen Forschungspraxen in bildungspolitischen Institutionen in mehrfacher Hinsicht als Notwendigkeit angesehen. Freilich ist die Erkenntnis, über einen unausweichlichen Bedarf an präzisem Wissen über theoretische Konzepte, methodische Instrumentarien sowie ein strenges Methodenbewusstsein verfügen zu müssen, in unserer Disziplin über unzählige Dezennien stiefmütterlich behandelt worden. Aus diesem Dornröschenschlaf erwacht, wurde sehr schnell ersichtlich, dass diese Art von „tastend-schreitender Wissenschaft“ (Deißner 1997: 277) den heutigen Ansprüchen in keiner Weise genügen kann. Beim Reflektieren über die Axiomatisierung volkskundlicher/kulturanthropologischer Wissensinventare, die auf die Herausbildung der Spezifik des Kanons einen langfristigen Einfluss ausübten, fällt unweigerlich die Verständigungsformel aus dem diskursiven Dunstkreis von Falkenstein im Taunus ins Auge: „Volkskunde analysiert die Vermittlung der sie bedingenden Ursachen und die begleitenden Prozesse in Objektivationen und Subjektivationen“ (Brückner 1972: 196). Diese ist nicht nur als Symbol oder sogar als Symptom für eine intradisziplinäre Neuschöpfung angeführt worden, sondern führte zum Abfeiern der Begriffe „Volkskultur“ und „Volksleben“, die mit „Alltagskultur“ und „Alltagsleben“ zeitgemäße Substitutionen fanden (Gerndt 1980: 31). Die Volkskunde eröffnete sich mit diesem Schritt die Perspektive auf Kultur und Alltag (Kaschuba 2003: 115-127). Mit dem Abschied vom Volksleben begann die Hinwendung zu der Alltagskultur unterer und mittlerer Sozialschichten (Narr 1970: 57), wobei man sich einerseits philosophisch-wissenssoziologischen Diskursen über die intersubjektive Zusammensetzung der Lebenswelt verpflichtet fühlte, andererseits die Regelhaftigkeit des Alltagsdenkens aus der Tradition von Henri Lefevbre miteinbezog. Ganz pauschal betrachtet suggeriert Alltag eine unhinterfragte Vertrautheit, die sich aus Repetition, als der wiederholenden routinierten Handlung gegenüber dem Einmaligen, speist. Unter theoretisch-wissenssoziologischer Perspektive haben sich insbesondere Alfred Schütz in seiner Analyse Strukturen der Lebenswelt (Schütz/ Luckmann 1979) sowie Peter Berger und Thomas Luckmann in ihrem Buch Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (Berger/Luckmann 1975) mit normal-unhinterfragten Routinewirklichkeiten befasst, die gemeinsam die Konzeptionen von Edmund Husserle (Husserle 1976) weiterentwickelten. Als Erfahrungsraum sei der Alltag ein vorgegebenes soziales Konstrukt einer bereits in vielfacher Hinsicht vorkonstruierten Welt in ihrer konkreten Geschichte, die nicht eine rein

24

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

zufällig oder ohne jegliche Struktur ablaufende Chronologie darstellt, sondern durch Ordnungsprinzipien, Regeln, Deutungsprozeduren, Pläne und Zwecke strukturiert ist. Alltag, so Helge Gerndt, ist die „epochal durch die Art der Produktion festgelegte Erfahrung von Zeit und Raum als Grunddimension menschlicher Erfahrung überhaupt“ (Jeggle 1999: 123; Greverus 1976), die das von historischen Determinanten beeinflusste Kulturwesen Mensch ausmacht. Mit der Erkenntnis eines sinnbeseelten Aufbaus der Lebenswelt konnte auch die Frage „Wem nützt Volkskunde?“ (Kramer 1970; Ders. 1997a) profund sowie konsequent beantwortet werden, da die Wissenschaft von den Alltagskulturen ihren Fokus auf die kulturellen Äußerungen in den anthropogenen Lebens- und Erfahrungsräumen richtete und unter Einbezug der historischen Dimension zum Vehikel der Gegenwartskritik avancierte. Spätestens seit der Emergenz zurzeit gerade beliebter Strömungen zur ausschließlichen Beharrung auf der empirischen Erfassung der Gegenwartskultur, die allesamt im konjunkturell-trendigen Fahrwasser der als Kulturwissenschaften (Hengartner 2001: 41; Böhme/Matussek 2000) oder cultural studies (Lindner 2000) ausgegebenen Allerwelts-Anthropologien manövrieren, plädieren Volkskundler bzw. Kulturanthropologen für eine Behauptung einer Erfahrungs-, Praxis- und Alltagskulturperspektive im Rahmen einer auch historisch motivierten Kulturforschung, die phänomenologisch „Kulturgebilde und Kulturgebärden“ (Scharfe 1996: 18) der Gegenwart aus ihrem geschichtlichen Gewordensein heraus analysiert sowie Entstehung, Wandel und Bedeutung beleuchtet. Nicht umsonst hat Leopold Schmidt unsere Disziplin bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert als „die Wissenschaft vom Leben in überlieferten Ordnungen“ konkretisiert (siehe dazu Art. Volkskunde 1974: 877; Gerndt 2002: 15). Der Mensch ist in seiner Alltagswelt permanent sozialen und historischen Konstitutionen unterworfen und ist somit Produkt seiner eigenen Geschichte (Lipp 1994: 86; Dies. 1993). Gegenläufige Tendenzen wie die pathologische Tabuisierung des antiquiert-morbiden volkskundlichen Propriums nach dem Motto „Du darfst keinen alten Rock- und Kamisolschimpf mehr betreiben“ sowie der Erlösungsformel, Kultur sei exklusiv durch das Postulat der Empirie beizukommen – was nach Wolfgang Brückner hauptsächlich mit der Trendwende zu modischen Denominationen wie „Empirische Kulturwissenschaft“, „Europäische Ethnologie“ und „Kulturanthropologie“ als Volkskunde-Ersatz einhergeht –, führen scheinbar zu einer abnehmenden Lobby der historischen Anthropologie, einem Verlust an Realität bzw. Disziplinarität in der Volkskunde und verstärken nicht zuletzt die Sinn-Erosion der Humaniora (Brückner 1996: 152; Ders. 1993: 201).8 Fernab dieser binnenfachlichen Kontroversen zur Mitte der 1990er

8

Brückner geht davon aus, dass angesichts einer Anthropologisierung der Volkskunde die historisch ausgerichteten Forschungszweige im Fach zu Gunsten einer mit kultur- und so-

E INLEITUNG

| 25

Jahre haben sich die Vertreter der Lehre von den kulturbedingten Modifikationen des Verhaltens darauf geeinigt, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die das kulturbestimmte Denken und Handeln des Menschen regeln. Der viel zitierte „Sitz im Leben“, die Vermitteltheit bzw. die Vermittlungsprozesse gesellschaftlich-kultureller Zusammenhänge in alltäglichen Lebenswelten (Gerndt 1981: 15 u. 27), die Gleichzeitigkeiten bzw. Ungleichzeitigkeiten (Bausinger 1989: 268) von „fremder Nähe“ und „ferner Vertrautheit“ (Greverus 1995: 262ff.) in Geschichte und Gegenwart sowie die Ethnografie der kontinuierlichen Dauer und des rapiden Wandels von Lebensgestaltung und populären Kulturphänomenen (Warneken 2006: 1-16) bilden das Postament einer ethnologisch ausgerichteten Kulturanthropologie/Volkskunde. Wenn man in Betracht zieht, dass von der Tiefenschärfe unseres parallelisierenden sowie historisierenden Vorgehens in einer Oberflächenwahrnehmung kaum Notiz genommen wird, scheint doch gerade hierin genügend symbolisches Kapital für ein kleines Zwitterfach verborgen zu sein, das dem Anschein nach über keinen kohärenten und integrierenden Rahmen verfügt.9 Kulturanthropologische/volkskundliche Arbeiten sind insofern der Mehrdimensionalität verpflichtet, als dass die komparativen und historischen Betrachtungsmöglichkeiten bzw. Wahrnehmungsweisen von kulturellen Versatzstücken fachintern in einem hohen Maße heterogen ausgeprägt sind, jedoch einem spezifischen, auf die Ethnowissenschaften zugeschnittenen Arrangement von Dogmen folgen. Kurz formuliert: Formen der Wahrnehmung spielen sich jenseits des Nadelöhrs ab und setzen ein hohes Maß an Erfahrungswissen voraus (Bendix 2002: 213). Eine fast unbegrenzte Formenmannigfaltigkeit der Kulturen (König 1972a: 15) lässt leicht darauf schließen, dass sich Aussagen über den Untersuchungsgegenstand nur schwerlich formulieren lassen, wenn man nur über einen einzigen wissenschaftlichen Horizont verfügt. In seiner Konzeption über die „Kulturanthropologie der feinen Unterschiede“ explizierte Christian Giordano gleich drei Auffassungsgaben, die kurz Erläuterung finden sollen. Dem „nomothetisch-vergleichende[n] Horizont“ stellt er zunächst eine Aussage des US-amerikanischen Kulturrelativisten Robert Lowie vorweg, der die Behauptung aufstellte, dass die Kulturanthropologie bei der Verwendung eines epistemologischen Monoismus lediglich kulturelle Porträts anhäufe (Lowie 1920: 3). Dagegen bestehen die Chancen des nomothetisch-vergleichenden Ansatzes vielmehr darin, „mit Hilfe der

zialanthropologischen Methoden arbeitenden Europäischen Ethnologie, die über die Grenzen des Regionalen und Nationalen hinausgeht, marginalisiert wurde. 9

Diesen besonders flagranten defizitären Makel des Faches sieht Günter Wiegelmann im „relativ zusammenhangslosen Bestehen verschiedener theoretischer Konzepte“, was Wiegelmann zugleich herausforderte, Bemühungen zur Verwirklichung von Rahmenkonzepten mit all ihren Vernetzungen und Querverbindungen anzustreben (Wiegelmann 1991: 5).

26

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

kulturvergleichenden Analyse empirisch erhobener Daten Gesetzmäßigkeiten“ über Denk- und Handlungsweisen des Menschen zu dekuvrieren und anhand des „interkulturellen Vergleichs“ den Nachweis für „transkulturelle Phänomene“ zu erbringen (Giordano 1994: 19f.). In Anbetracht der Expansion kultureller und sozialer Zerklüftung sowie des interethnischen Austauschs werden kulturwissenschaftlich geschulte „specialists of translation“, ex professo mit transkulturellem Denken vertraut und zum Verstehen erzogen, die Regelmäßigkeiten kulturellen Differenzen am ehesten decodieren (Bauman 1987: 143). Zumal die Kulturanthropologie den Menschen mittels einer vitalen historischen Denkperspektive10 als time-binding animal11 versteht und sich gemäß diesem Postulat ständig mit der history in the making befasst, benennt Giordano den zweiten Betrachtungswinkel als den „his-torischverstehenden Horizont (Giordano 1994: 21ff.). Verhaltensmuster von Gruppen, Gesellschaften und Kulturen der Jetztzeit lassen sich über Vergangenes ableiten und erklären, weil der vom Menschen „subjektiv gemeinte Sinn“ (Thurnwald 1957: 12ff) durch seine geschichtliche Topografie beeinflusst wird und ein Kollektiv durch die gemeinsam durchlebte Vergangenheit zusammengebunden wird. Kurz formuliert: Die Gegenwart ist durch die Vergangenheit kulturell codiert und lässt sich über die Reanimation der „Geschichtlichkeit des Daseins“ erschließen. Im dritten und letzten Horizont wird der statischen Betrachtung der ersten beiden Blickrichtungen entgegengewirkt, indem „die Tempi und die Modalitäten des soziokulturellen Wandels“ in Erwägung gezogen werden. Das Unbehagen des früheren Frankfurter Kulturanthropologen liegt darin begründet, dass Kultur einerseits vom Menschen gemacht werde, andererseits sich der kulturelle Wandel nie in gradliniger Progression, sondern im Rhythmus der Echternacher Springprozession vollziehe: drei Schritte vor und zwei zurück – zwei nur, auch wenn es manchmal so aussieht, als seien es vier. Im „prozeßhaften Horizont“ (Giordano 1994: 24ff.) rekurriert er auf die unberechenbare Natur von „Beharrungs- und Veränderungstendenzen“ (Giordano 1984: 89), die allesamt in die unergründliche Dialektik zwischen Kontinuität und Innovation, zwischen Persistenz und Wandel, zwischen Tradition und Modernität eingeschrieben sind. Mit der Ausrichtung des Steuerruders auf die kulturelle Ausprägung menschlicher Lebensweisen rückte ein vermehrt subjektzentrierter

10 Gesonderte Erwähnung finden hier die Forschungsarbeiten der Münchner Schule um Hans Moser und Karl-Sigismund Kramer, die sich in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts verstärkt mit der Historizität von Kultur auseinandergesetzt haben und anhand einer systematischen, kritisch-archivalischen Quellenforschung eine exakte Geschichtsschreibung der Volkskultur verwirklichen konnten (Moser 1985; Kramer 1968). 11 An anderer Stelle griff der Kulturanthropologe Alfred Kroeber diesen Tatbestand auf und wies den Menschen in gelungener Art und Weise als time-binding animal aus (Kroeber 1948: 8).

E INLEITUNG

| 27

Zugang ins Zentrum kulturanthropologischer Forschung, der die alltagskulturellen Handlungen sowie biografischen Erfahrungen aufzugreifen suchte, diese nach bestimmenden „Normen, Werten und Einstellungen“ (Korff 1999a: 60) hin untersuchte und demgemäß eine verstehende Perspektive zu kulturellen und gesellschaftlichen Prozessen eröffnete. Nun bleibt zu fragen, was das Spezifikum der hermeneutischen Erschließung alltagskultureller Wirklichkeiten, die vom Beobachten, Beschreiben, Interpretieren und Verstehen lebt, auf der methodologischen Ebene nach sich zieht. Als Konsequenz wurde das Untersuchungsdesign an den weichen Methoden der ethnografischen Feldforschung angelehnt, die nicht wie in den Sozialwissenschaften auf Repräsentativität sowie feste und vergleichbare Ergebnisse abzielt, sondern mikroanalytisch verfährt, die historische und kulturelle Kontextualisierung mit in Betracht zieht (Bachmann-Medick 2003: 100) und der Offenheit, Empathie und Dialogizität Rechnung trägt. Dieses kulturanthropologisch/volkskundliche Unikum zeigt wiederum eine scharfe disziplinäre Grenzziehung zu anderen Kulturwissenschaften auf. Eine Lesbarkeit der Realitäten und ihrer Handlungszusammenhänge in gesellschaftlichen Mikrobereichen wird folglich anhand einer „weichen“ Forschungscollage gewährleistet, wobei weich nicht im Umkehrschluss schwach oder völlig beliebig bedeutet, sondern auf einen eher behutsamen, anschmiegsamen und interaktiven Charakter verweist, der sich erst beim zweiten Hinsehen als „‚genauer‘, als wirklichkeits-adäquater“ (Bausinger 1980a: 18) bewahrheitet. Zwischen empathischer Nähe und reflexiver Distanzierung kann eine minutiöse Annäherung an die Figurationen der kulturalen Seiten gesellschaftlichen Lebens (Köstlin 1987: 8) nur dann gelingen, wenn einerseits ein konkreter Ausschnitt der Wirklichkeit gewählt wird, andererseits der Mehrdeutigkeit, Multidimensionalität und Veränderlichkeit des sich in Bewegung befindlichen Untersuchungsfeldes Genüge geleistet wird. Innerhalb dieser für unsere Disziplin so typenbildenden Kulturanalyse, also der mikroskopischen Detailerfassung der sozialen Wirklichkeit12, erfordern die kulturellen Konstellationen des Subjekts zunehmende Aufmerksamkeit für die veränderten Rahmenbedingungen der gesellschaftlichen Transformation, die, zugegebenermaßen leicht idealtypisch formuliert, vom Forschenden keinesfalls nur hohes interpersonales Engagement, sondern die gänzliche Immersion (Lindner 2003: 186) verlangt. Die paradigmatische Untersuchung von Indikatoren in lokalen Kontexten oder kleinen Feldern, die die Veränderungen bzw. die Transformation gängiger Wertehorizonte und Mentalitätsmuster zu dokumentieren im Stande sind, zielt letztlich auf das Erhellen großer Zusammenhänge und lokaler Entwicklungen (Eriksen 2010: 2). Anders formuliert: Im Alltag bzw. in der All-

12 Geertz spricht in diesem Kontext von „begrenzten Örtlichkeiten“ oder „Miniaturwelten“, in denen es gilt, die Kultur als die „informelle Logik des tatsächlichen Lebens“ sichtbar zu machen (Geertz 1999a: 25, 32 u. 34).

28

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

tagspraxis von Mikrowelten sind historische und gesellschaftliche Makroprozesse eingewoben. Zu fragen ist also, wie sich der Mensch in seinen selbst hergestellten kulturellen Bedeutungsgeweben verstrickt (Geertz 1999a: 9) und welche Aussagen sich dabei hinsichtlich Kultur und Gesellschaft als übergeordnete Referenzgrößen formulieren lassen. Die Leistungsfähigkeit ist darin begründet, in ethnografisch dichter Weise ein sektorielles Terrain von Lebenswelten in seiner ganzen Komplexität und Vielfalt von Bezügen eidetisch zu machen und so den übergreifenden Gesellschaftserklärungen der Nachbarwissenschaften aussagekräftige, quellengesättigte sowie alltagsnahe „dichte Beschreibungen“ zur Verfügung zu stellen. Jenem ethnowissenschaftlichen Modus Procedendi wohnt die Besonderheit inne, dass er mit seinem qualitativ-induktiven Urteilsvermögen die emische sowie die etische Perspektive gerade der kulturellen Phänomene zu durchdringen versucht, die in der „großen“ Geschichte nicht aufgehen und nur singulären bis marginalisierten Charakter besitzen. Hierbei findet die fachinterne Konstruktion größerer Erkenntnisgebäude ihre Grundlage in der Generierung von Thesen und Theoremen, die aus einer reichen Materialbasis abgeleitet werden. Ein an Signifikanz nicht zu unterschätzendes Ziel meiner empirischen Studie über die Ethnizität deutscher Migranten in Sydney, die sich der hier ausgebreiteten, aus den eigenen wissenschaftsgeschichtlichen Fachtraditionen begründeten, kulturanthropologischen/volkskundlichen Axiomatisierung verpflichtet sieht, ist die Offenlegung der kulturellen Texturen des Feldes, über die hier unter Zuhilfenahme eines ethnografischen Rüstzeugs Bericht erstattet werden soll. Kraft dieser verortet sich das Kulturwesen Mensch (Bringéus 1994), weil jene Determinanten Zeit, Raum und Alltag gliedern, bestimmte lebensimmanente Rhythmen verstärken oder durchbrechen, Ordnung und Orientierung schaffen und emotionale Sicherheit in Zeiten pathologischer Identitätskrisen stiften. Wie im Verweis auf die „überlieferten Ordnungen“ bereits anklang, sind es in der Kulturanthropologie/Volkskunde zumeist die aus der Tradition abgeleiteten, also die tradierten kulturellen Muster, die von Interesse sind, d. h., die man sich infolge von Sozialisation, Enkulturation, Akkulturation und Repetition zu eigen macht. Diffusion, Kulturaustausch und Innovation kommen des Weiteren eine gewichtige Rolle zu. Es konnte in diesem Kapitel deutlich gemacht werden, dass sich das Fach durch den genuin wissenschaftlichen Gegenstandsbereich „Alltagskultur“ eine eigene Disziplinarität zu eigen gemacht hat und dabei aus der Fachgeschichte überlieferte Vorgehensweisen reaktivierte sowie mit der tendenziellen Ausrichtung an sozialwissenschaftlich-kulturanthropologischen Theorien und Methodendiskussionen konstruktiv Neuland kultivierte. Wissenschaftliche Äußerungen zu dem als anthropologische Universalie zu kennzeichnenden Phänomen Migration sind in den gesamten life sciences in solch starkem Maße von diskursiven Homologien und Konvergenzen durchzogen, dass eine Darlegung der spezifischen fachlichen Zuständigkeit und disziplinarischen Kanonizität meinem Forschungsunternehmen eine unverkennbare Silhouette verleiht und vorzugsweise bei der fächerüberschreitenden

E INLEITUNG

| 29

Ausweitung der so genannten cultural studies als integraler Aspekt der Distinktion Gewichtung erhält. So werden die weiteren Aussagen nicht vom Zufall oder der Strukturlosigkeit diktiert. Ganz im Gegenteil, Ordnungsprinzipien und Regeln für die Alltagsauslegung erhalten somit ihre Legitimation. Eine Rede von der Spezifik kulturanthropologischer und epistemologischer Grenzen ist nur dann sinnvoll, wenn diese auf der Basis ihrer eigenen Historizität und Synchronizität ihren eigenen forschungsrelevanten Rahmen zu entwickeln vermögen.

1.3 D IE P RODUKTION VON W ISSEN IN DER K ULTURANTHROPOLOGIE /V OLKSKUNDE ÜBER M IGRATION „To migrate is certainly to lose language and home, to be defined by others, to become invisible or, even worse, a target; it is to experience deep changes and wrenches in the soul. But the migrant is not simply transformed by this act; he also transforms his new world. Migrants may well become mutants, but it is out of such hybridization that newness can emerge“ (Rushdie 1991: 210).

In den letzten Jahren ist eine deutliche Intensivierung der Migrationsforschung im breiten interdisziplinären Feld zu verzeichnen, die nicht nur Mobilität und Migrationen in der gegenwärtig postfordistisch-globalisierten Welt zur Kenntnis nimmt, sondern ferner in historischer Perspektive die Veranlassungen und Bedingungen, die Verläufe und Folgen von Bevölkerungsbewegungen und ihre kulturelle Verarbeitung analysiert. In der überwiegenden Zahl der Studien werden Migrationen zwar mehr oder weniger als Begleiterscheinung des Industrialisierungsprozesses oder als Krisenerscheinungen früherer Epochen angesehen, jedoch entwickelte man ein Bewusstsein dafür, dass Formen der Migration durchaus als strukturelles Element historischer Gesellschaften dienten. Bei der multidisziplinär ausgerichteten Untersuchung von Wanderungsformen – hier reicht der Spannungsbogen von der Bevölkerungswissenschaft über die Soziologie, Geografie, Geschichte und Ökonomie zur Regionalplanung und von der Psychologie über die Kulturanthropologie bis hin zur Erziehungswissenschaft (Lauterbach 1999: 129) – rücken nicht nur die überseeische Auswanderung, sondern auch binneneuropäische Migrationsprozesse und den Mikrokosmos betreffende Wanderungsbewegungen vermehrt ins Blickfeld der Forschung. Wissenschaften, die sich das Studium der sich durch geografischkulturelle Räume bewegenden Menschen zur Passion gemacht haben, setzten a pri-

30

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

ori multiple Perspektiven auf Ausgangs- und Empfängerkultur voraus und haben eine einfühlsame, von Empathie und Sympathie geleitete Veranschaulichung der interkulturellen Wechselbeziehungen auf individueller, regionaler und gesellschaftlicher Ebene zum Inhalt. Migration, kulturelle Wechselbeziehung und der daraus resultierende gesellschaftliche Transformationsprozess gelten weithin als eine konstitutive Conditio sine qua non menschlicher Lebensformen. Migration, in einem voluminösen deutschen Nachschlagewerk definiert als ein Überschreiten von zwischenstaatlichen Grenzen13, ist aus der Sicht der Kulturanthropologie/Volkskunde ein soziokultureller Prozess, der als anthropologische Universalie zu charakterisieren ist und jegliche soziale Realität reglementiert. Hier geht es um Menschen, die geografisch-kulturelle Grenzen überschreiten, in der Mehrheitsgesellschaft oft eine Stellung als marginal man besitzen, durch den „Wechsel der Gruppenzugehörigkeit“ (Haller 2005: 133) alltäglich in Konfrontation mit sozialen, politischen, religiösen und wirtschaftlichen Hürden geraten und sich kontinuierlich an der Grenze zwischen Vertrautem und Befremdlichem bewegen. Für manche Autoren, die die historischen Spuren des hier zum Thema werdenden Kulturzuges verkennen, stellt diese Form der Mobilität eine neue Errungenschaft des 20. und 21. Jahrhunderts dar, die auf die Emergenz der unterschiedlichen Strukturveränderungen des internationalen Systems und vertiefter weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung im globalisierten Setting zurückzuführen sei. Die von Heterogenität geprägten Ausformungen der Migrationen sind jedoch so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst (King 2007: 8). Ein Hinweis darauf, dass die menschliche Evolution in starker Wechselbeziehung mit dem Verlassen eines Habitats sowie mit der Adaption des kulturell Neuen in einem fremden Kontext steht, scheint gerade aus anthropologischer Perspektive besonders signifikant. Jäger- und Sammlergesellschaften, von Transhumanz sowie Nomadismus lebende Ethnien bilden die ersten Vorläufer in der Frühzeit. Flucht vor natürlichen Katastrophen, klimatischen Veränderungen, der Kampf verschiedener rivalisierender Gruppen um natürliche Ressourcen und Territorien protegierten diesen multidimensionalen Prozess in unterschiedlicher Intensität. Der in der Bibel beschriebene jüdische Auszug aus Ägypten sowie Homers epische Erzählung des Odysseus sind tief im abendländischen Gedankengut verankert. Wir sprechen in unseren alltäglichen Erzählungen mit unreflektierter Selbstverständlichkeit von

13 Migration: [lateinisch migratio „(Aus)wanderung“, zu migrare „wegziehen“] die, -/-en, Wanderung, allgemein ein Begriff, der Prozesse räumlicher Bewegung bezeichnet. (Art. Migration. In: Brockhaus Enzyklopädie 2006: 428.) Jede langfristige räumliche Verlagerung des Lebensschwerpunktes über eine größere Distanz, die ein Verlassen des geografischen, sozialen und kulturellen Aktionsraums zur Folge hat, wird als Migration bezeichnet. Josef Soder führt circa 50 zum Teil ziemlich stark voneinander abweichende Definitionen von Auswanderung an (Soder 1960).

E INLEITUNG

| 31

einem „verheißungsvollen Land“ und der „Odyssee“, die ohne die unterschiedlichsten Formen der Migration nicht verstanden werden können. Frühe Zivilisationen wie die Mesopotamier, Inka, Indus und Zhou, die vom Judaismus und Hellenismus unbeeinflusst blieben, generierten ihre eigenen echtologischen Kosmologien anhand von Bevölkerungsbewegungen, die in den meisten Fällen einen Widerhall in ihren monumentalen architektonischen Konstruktionen fanden (Cohen 1995: 9). Schenken wir dem Phänomen der menschlichen Wanderungsbewegung aus historischer sowie weltumspannender Perspektive Betrachtung, so wird ersichtlich, dass Administratoren und Söldner, Kleriker und Pilger, Verkäufer und Händler, Bauern und Handwerker, Vaganten und andere marginalisierte Gruppen freiwillig migrierten, unter Androhung drakonischer Strafen zu fernen Lokalitäten übersetzten (glavnoe upravlenije lagerej) oder vor menschenfeindlichen Lebensbedingungen flüchteten (Rodriguez 2007: X). Wo immer Potentaten oder religiöse Führungspersönlichkeiten ihre Paläste, Befestigungsanlagen, Tempel oder Kathedralen errichten ließen, dort ließen sich auch zugewanderte Handwerker und Künstler nieder. Die Architekten des Taj Mahal, der Kathedrale von Chartres sowie der aztekischen Stadt Tenochtitlán benötigten qualifizierte Arbeiter von anderorts. Die hängenden Gärten Babylons, der von Mythen umwobenen Metropole zwischen Euphrat und Tigris, die Chinesische Mauer sowie Angkor Wat wurden von unterworfenen und zur Arbeit gezwungenen Menschen erbaut. Der transatlantische Dreieckshandel auf der Basis der Ware Mensch sowie die kolonialen Abhängigkeiten vom dominanten Mutterland brachten neue Formen der Wanderungsbewegung in der Migrationshistoriografie zum Vorschein. Diese ausgewählten Aspekte bilden nur eine sehr unvollständige sowie selektive Anhäufung von historischen Vorbildern, die die Historizität eines an der Gegenwart zu untersuchenden Gegenstandes zu unterstreichen suchen. Daraus ableitend, muss die Geschichte der Wanderung als ein Teilbereich der allgemeinen Geschichte angesehen werden, ohne den die Komposition der heutigen Welt in ihrer sozialen, kulturellen, religiös-weltanschaulichen sowie ethnischpolitischen Konstellation kaum bis nicht begreifbar wäre. Die Wanderer zwischen den Welten gehören mit ihrem Dispositionsdualismus ohne Zweifel zu den wohl prominentesten Katalysatoren des kulturellen Wandels, da sie durch ihre Interaktionsformen ein transportiertes kulturelles Gepäck mit den Agenzien des Gastlandes fusionieren und somit einen enormen Beitrag zur kontinuierlichen Umgestaltung von Gesellschaften leisten (Hettlage 1987: 32ff.). Als von seiner tradierten Kultur bestimmt, ist der Migrant insofern in einem permanenten und reziproken Austausch mit verschiedenen kulturellen Praktiken, als dass er seine an diversen Örtlichkeiten erlernten Erfahrungen konstruktiv in sein ihn umgebendes Milieu einbringt und somit dem Alltagshorizont neue Konturen verleiht (Trend 2007: 17ff.). Eine über bestehende Fächergrenzen und Nationalstaaten hinweg diffundierende, international ausgerichtete Wissenschaftsgemeinschaft, die die Migrationskultur je nach Epoche, Forschungsperspektive und Verfahrensweisen unterschiedlich versteht, beschreibt,

32

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

analysiert, interpretiert und vergleicht, versucht diesem komplexen und vielschichtigen Spektrum in besonderer Weise Rechnung zu tragen (Bommes/Morawska 2005; Vasta/Vuddamalay 2006; Bommes/Castles/Wihtol de Wenden 1999). Kulturanthropologische Bestrebungen zur Analyse von Migrantenkulturen schlummerten lange Zeit ihren hausgemachten Dornröschenschlaf, da man in den Grenzgängern Wandel, Instabilität und soziale Abweichung ausmachte, die die lange vorherrschenden, am Funktionalismus ausgerichteten Gleichgewichtsmodelle sozialer Ordnung in Frage zu stellen vermochten, so dass man in den Formen der Bewegung von Menschen über Grenzen und Grenzen über Menschen erst sehr spät ein wichtiges Forschungsfeld erkannte.14 Eine eingegrenzte Auffassung von Kultur, die ausschließlich von nationalen Territorialisierungs- und Homogenisierungsprozessen ausging, begünstigte die Hypothese, dass Sesshaftigkeit Stabilität garantiere, während der Migration wirklichkeitsverzerrende Attribute wie anormal, defizitär und pathologisch anheimgestellt wurden (Bennett 1998: 3). Unter der Verwendung eines festgefügten Kulturbegriffs (rooted culture), der in der Phase der klassischen Anthropologie – an dieser Stelle sei nur auf die kulturrelativistischen Erklärungsmodelle eines Edward B. Tylor verwiesen – des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als ein abgegrenztes, ganzheitliches, organisches, homogenes, universalistisches und historisch fundiertes Gefüge verstanden wurde, war es ein Leichtes, Pendler als gesellschaftliche Außenseiter abzutun. Der in der Wissenschaft vorherrschende paradigmatische Glaubenssatz, dass Kultur immer an einen unbeweglichen, überschaubaren Standort einer „Lokalität“ (zum Beispiel Dorf oder Südseeinsel) gebunden ist, erklärt somit auch die geringe Priorität bzw. das unverkennbare Desinteresse an Migrationsauswirkungen im Fach Kulturanthropologie. Jede Wissenschaft besitzt in ihrer Tradition geistige Ahnherren, die infolge ihres persönlichen Engagements eigene Schulen ausformten und verbindliche Routen vorgaben, die theoretische Anregungen und Impulse für die weitere Beschäftigung der Scientific Community mit Mobilität, Wanderung und Ortswechseln beeinflussten. Für den weiteren Forschungsverlauf wird ein Wissen als fundamental angesehen, das Aufschluss darüber gibt, wo die Migrationsforschung in der Kulturanthropologie/Volkskunde herkommt, auf welches

14 Die US-amerikanische Kulturanthropologin Caroline Brettel gibt in ihren Ausführungen über die Wissenschaftsgeschichte zu verstehen, dass die Forscher den Aspekten der Migration noch nicht einmal dann Interesse bzw. Aufmerksamkeit schenkten, wenn sie direkt vor ihnen im Feld vonstatten gingen. Dafür gibt sie ein bezeichnendes Beispiel: Nach Schätzungen zu urteilen gingen 52 Prozent der zwischen fünfzehn und fünfundvierzig Jahre alten Männer der Ethnie der Chambri (Tchambuli) dem auf Arbeitsmigration basierenden Gelderwerb nach und waren aufgrund dessen schlicht und ergreifend absent, als Margaret Mead 1933 in ihrem Dorf in Papua-Neuguinea lebte und forschte. Bei Mead erfuhr dieser Aspekt keine Berücksichtigung (Brettell 2007: IX).

E INLEITUNG

| 33

wissenschaftliche Erbe sie sich stützen kann und wo sie sich damit, nicht zuletzt auch im Rahmen dieser Studie, disziplinär positioniert. So widmen sich die folgenden Kapitel den theoretischen Fassungsmöglichkeiten und Zugängen ausgewählter Forschungstraditionen unter wissenschaftsgeschichtlicher Einordnung, stellt dabei die begriffliche sowie theoretische Perspektivierung des Untersuchungsgegenstandes zur Diskussion und nimmt wichtige definitorische Klärungen vor. Mit der Entdeckung des Forschungsfeldes „Stadt“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der US-amerikanischen Urbansoziologie entwickelte sich eine zunehmende Sensorik für Migranten und ihre kulturellen Praktiken in der großstädtischen Gemenge- und Lebenslage. Mit geschultem Blick für die Wahrnehmung revolutionär neuer Gesellschaftserscheinungen begann man, die Urbanität in all ihrer transitorischen und fragmentarischen Ausgestaltung als wichtigen Verdichtungsraum für soziale Prozesse und kulturelle Entwicklungen zu erschließen. 1.3.1 Chicago School of Sociology „The world had been discovered. This adventure is finished. But the world is still young, still eager for adventure; what next? There are other worlds to be discovered, even more interesting. The world of great cities. The immigrant colonies. The Ghettos and the Chinatowns.“ „Why go to the North Pole or climb the Mount Everest for adventure when we have Chicago?“ (Robert E. Park, zitiert nach Lindner 1990: 50 u. 98)

Den Ausgangspunkt einer kulturanthropologischen Erforschung von Migrationskulturen manifestieren die in der nordamerikanischen Stadt Chicago von Robert Ezra Park und Ernst W. Burgess zu Beginn der 1920er Jahre initiierten erfahrungsgesättigten Untersuchungen über die veränderten demografischen Rahmenbedingungen urbanen Lebens (Bulmer 1985), die vorwiegend als Resultat der massenhaften Einwanderung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Modernisierung breiter Gesellschaftskreise angesehen wurden. Forschungsgegenstand der Chicago School of Sociology (Hannerz 1980: 19-58) war die amerikanische Großstadt, hier hauptsächlich Chicago, die durch Industrialisierung und Besiedlung des amerikanischen Westens in rasantem Tempo zu einer Weltstadt avancierte und deren raumgreifendes Hinterland kontinuierlich Arbeitskräften brauchte.15 Sukzessive

15 Lal untersuchte die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Stadt Chicago und zeichnete aufgrund der starken Immigrationszuläufe alles andere als ein harmonisches Bild. Im

34

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Immigrationsströme aus China, Polen, Italien, Deutschland, Irland, Russland und die afroamerikanische Binnenmigration aus den Südstaaten der USA, die zunehmende Komplexität urbaner Gebilde sowie die wachsende Differenzierung und Entgrenzung städtischer Lebensweisen wurden als prägende Faktoren dieser Zeit erkannt, die zu einer Dynamisierung kultureller Lebensformen führten. Neue multikulturelle Zusammensetzungen, soziale Realitäten wie Enklaven sowie Ghettobildung und ethnischer Partikularismus sorgten für eine Veränderung der Siedlungsstruktur im städtischen Agglomerationsraum. Ein Ausgangspunkt der Städtesoziologen bestand in der Hypothese, dass die grundlegende räumliche Architektonik der fremden und auf Zweckrationalität basierenden Großstadt (Kokot 1991a: 3) aus der zwischenmenschlichen Konkurrenzsituation aller ihrer Bewohner um materielle und räumliche Ressourcen entsteht, die die Migranten dazu verleitet, Solidarität bei ihrer nationalen sowie kulturell nahestehenden Herkunftsgruppe zu suchen, was unweigerlich zu einer räumlichen Segregation nach ethnischen Gesichtspunkten führe. In den von der Chicagoer Schule als natural areas, cities within the cities oder distinct cultural areas (Park 1929: 36f.) bezeichneten, räumlich abgegrenzten Wohndistrikten formten sich auf der Grundlage eines hohen Immigrationsimpetus eigene Normen, Traditionen und Verhaltensweisen aus. Die sich aus dem Prozess der innerstädtischen Segregation ableitenden moralischen Distanzen lassen die Stadt zu einem Mosaik von little worlds, kleinen, ins sich geschlossenen „Dörfer[n] in der Stadt“ (Welz 1991a: 30) werden, die sich berühren, aber nie durchdringen und somit den Neuankömmling dazu ermutigen, sich zwischen kulturell voneinander divergierenden Milieus zu bewegen. Zugleich wird dieser Mittendrin-und-dochdazwischen-Status mit einem gefährlichen Abenteuer gleichgesetzt, das möglicherweise zu gespannten und konfliktreichen sozialen Beziehungen führen kann (Park 1915: 608). Dessen Ausbreitung sollte jedoch mit dem Konzept der Assimilation16

Jahre 1900 zählte die Stadt circa 900.000 Einwohner, bei denen Immigranten und deren Kinder 80 Prozent ausmachten. Dreißig Jahre später war die Stadt am Lake Michigan auf knapp 3,4 Millionen Einwohner angewachsen, wobei die Bevölkerungsrate aufgrund der US-amerikanischen Binnenmigration (Armutsflüchtlinge) aus dem ländlichen Süden von 1,8 Prozent auf 6,9 Prozent angestiegen war (Lal 1986: 282). 16 Im verstärkt soziologisch argumentierenden Theoriediskurs der internationalen Migration zur Assimilation und Absorption sind es insbesondere die unterschiedlichen Adaptionsstufen während der Integration, die der Auswanderer „zwangsläufig“ zu bewältigen hat. Robert E. Park und Ernest W. Burgess vertreten in ihren Konzeptionierungen die Auffassung, dass eine ethnische Gemeinschaft, die durch Wanderungsbewegung in einem Raum zusammenkommt, die fünf zyklischen Phasen der sozialen Interaktion (contact, competition, conflict, accommodation, assimilation) zu durchlaufen hat. Die Assimilation, d. h, die gänzliche Aufgabe eigenkultureller Lebenspraktiken als Endzustand eines geglückten

E INLEITUNG

| 35

an die US-amerikanische Mehrheitskultur eindringlich entgegengewirkt werden. In seinen Publikationen apostrophierte Park die Assimilation – dies meinte die vollständige Ausmerzung von ethnischer Identifikation und die ausschließliche Ausrichtung an der dominierenden US-amerikanische Gesellschaft, was er prägnant Americanization as assimilation nannte – als Endstufe einer Abfolge von interaktiven An- bzw. Eingliederungsmechanismen zwischen Aufnahmeland und Auswanderergruppen, in deren Abfolge sich nur die Letzteren änderten. An der Ideologie des von legislativ-staatlicher Seite verordneten Zwangs zur Naturalisation, d. h. einer Brechung mit der Heimatgebundenheit, der Auferlegung nationaler Identität und Loyalität sowie der Negierung des Rechts auf Differenz, orientierten sich auch Park, Burgess und McKenzie mit ihrer idealtypischen Fiktion der gesellschaftlichen und kulturellen Ganzheit, die als unhinterfragte und statische Leitkultur normative Handlungsmaximen zu wegweisenden Verbindlichkeiten erwachsen ließ. In der alltagskulturellen Realität von Chicago sah es im Gegensatz dazu ganz anders aus, da die Migranten ausschließlich selbst das Tempo ihrer Anpassung an die US-amerikanische Gesellschaft bestimmten, in dem sie sich in ihren ethnischen Enklaven zusammenrauften und nur schrittweise den gesellschaftlichen Anforderungen Folge leisteten. Binnen Kurzem war eine Approximation an die Anglo-Conformity folglich nicht zu bewerkstelligen. Der Zugezogene, so Parks These vom marginal man17, ist der doppelten Loyalität bzw. der dualen Identifikation ausgesetzt und steht daher im dauerhaften Konflikt (Stonequist 1935: 10), einerseits seinem Herkunftsland, seinen historischen Wurzeln sowie seiner ersten Sozialisation verpflichtet zu sein, andererseits tendiert er an seinem neuen Bestimmungsort – nicht ohne stereotype Voreingenommenheit seiner Umwelt – dazu, eine neue Lebensgrundlage aufzubauen. Als Kulturhybrid steht er an den Grenzen zweier Kulturen und Gesellschaften, die einander nie völlig durchdringen und nie miteinander verschmelzen (Park/Miller 1974 [Orig. 1921]: 354). Die mit diesen recht vagen und realitätsfer-

Eingliederungsprozess, dominiert diesen empirisch nicht haltbaren Diskurs. Kritik von Seiten der Vertreter des kulturellen Pluralismus zielt auf Diskontinuitäten und Regressionen in dieser oben erwähnten Chronologie (Park/Burgess 1921: 37 u. 121f.). Ein weiteres, ausschließlich den US-amerikanischen Kontext berücksichtigendes Phasenmodell stammt aus der Feder von Gordon (Gordon 1964: 71). 17 Das Konzept des „Marginalisierten“ liest sich in deutlicher Weise als Anlehnung an „den Fremden“ von Georg Simmel, bei dem Park studiert hatte. Die Analyse des Fremden von Georg Simmel geht explizit von zwei Prämissen aus: Der Fremde ist sowohl derjenige, der seine Gelöstheit von einem „gegebenen Raumpunkt“ nicht ganz überwunden hat, als auch potenzieller Wanderer, dessen Bleiben keine Fixiertheit bedeutet. Seine formelle Bestimmung besteht somit, wie Georg Simmel verdeutlicht, in der Einheit von Gelöstheit und Fixiertheit (Simmel 1958 [Orig. 1908]: 509).

36

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

nen Thesen einhergehende Rede vom Vergesellschaftungsmodell des Schmelztiegels (melting pot) führt nach Angaben der Vertreter dieser Schule zur Anpassung an die herrschenden Normen und Werte, so dass die kategorialen Unterscheidungen zwischen „Einheimischen“ und „Zugewanderten“ obsolet werden, weil nur noch eine gemeinsame, sprich die „amerikanische“, Geschichte geteilt wird. Wenngleich einige theoretische Aspekte unter wissenschaftsgeschichtlichen Gesichtspunkten Stückwerk geblieben sind und in der Folgezeit revidiert werden mussten, gingen doch ausschlaggebende Impulse für die Untersuchung migratorisch-urbaner Lebensweisen von der Chicagoer Schule aus, so dass ihre Rezeption nach wie vor Eingang in wissenschaftlichen Publikationen findet (Hengartner/Kokot/Wildner 2000: 4), wenngleich Burkhard Lauterbach in Bezug auf die Aufnahmefähigkeit dieser frühen theoretischen Stimuli in der Volkskunde sogar von „durchgängige[m] Verweigerungsverhalten“ (Lauterbach 1996: 95) spricht. Eigenständige Forschungstraditionen sowie ein zunehmendes Einbringen volkskundlicher Reflexionen in den Diskurs etablierten sich erst recht spät (Hengartner 1999: 184-197). Insbesondere tat sich hierbei Rolf Lindner hervor, der für eine Übertragbarkeit sowie Anwendbarkeit der urbanethnologischen Fragestellungen aus der Chicagoer Schule in der deutschsprachigen Volkskunde plädierte, da sie nach den ethnografischen Prinzipien, zum Beispiel des nosing around, gegenstandsnah und akteurszentriert arbeite (Deegan 2001:11), statt den Gegenstand durch „die normativen Filter und kulturellen Selbstverständlichkeiten der Herkunftskultur von vornherein zu denaturieren“ (Lindner 1990: 265). 1.3.2 Robert Redfield und die peasant studies Während der Untersuchungen in indigenen oder bäuerlich lebenden Gesellschaften in Afrika, Asien und Lateinamerika konnten Ethnografen eine Tendenz verfolgen, die belegte, dass eine immer größere Anzahl von Menschen die ruralen, unterentwickelten und rückständigen Reliktgebiete in Richtung städtisch-moderner Novationszentren verließen, um ihre Lebenssituation aufzuwerten (Brettell 1996: 739). Der Kulturanthropologe Robert Redfield, Schwiegersohn von Park, entwickelte in den 1930er Jahren das idealtypische Modell des folk-urban continuum, das von einer Wanderungsbewegung aus einem ruralen in einen urbanen Raum ausging und sich durch einige Aspekte der Chicagoer Schule der Migrationssoziologie inspirieren ließ. Mit dem Terminus „peasant“ bezeichnete Redfield einen aus „tradition-ellen Gemeinschaften“ entstammenden Bauern, der in einer emotionalen Beziehung zu seinem Stück Land steht und für den Bodenbau die Lebensgrundlage ist, ohne dabei ein auf Gewinn gerichtetes Geschäft zu verfolgen. Im Mittelpunkt seiner Unternehmungen in diesem landwirtschaftlich geprägten Milieu stand das Interesse für die Probleme und Konflikte, die sich aus der rapiden Expansion der modernen westlichen Zivilisation ergaben. Aus

E INLEITUNG

| 37

seinen ethnografischen Forschungen, die er in zwei mexikanischen Dörfern, Chan Kom in Yukatan (Redfield 1934; Ders. 1950) und Tepoztlán im zentralen Hochland (Ders. 1930), durchführte, erwuchsen theoretische Überlegungen, die in einer modernisierungstheoretischen Hypothese mün-deten, die besagte, dass es bei den bäuerlichen Gemeinschaften (folk communities) im Zuge der Modernisierung, d. h. der allmählichen Diffusion nicht tribal-tradi-tioneller Beziehungen und kultureller Praxen aus dem städtisch geprägten Raum auf das Land entlang seines Folk-urbanKontinuums, zu einer allmählichen Anpassung der agrarisch lebenden Menschen an die komplexe Gesellschaft komme (Kearney 1986: 333f.).18 Während seiner ersten Feldstudie in Tepoztlán, die eine Akzentuierung auf die Untersuchung des Lebens und Zusammenlebens der Einwohner legte, wurde Redfield sehr schnell deutlich, dass er bei diesem dorfkulturellen Setting ein anderes soziokulturelles Gefüge beobachtete, als es Radcliffe-Brown und Mead bei ihren Unternehmungen zu Inselkulturen entworfen hatten (Köhler 2001). Hierbei handelte es sich nicht um abgeschlossene Entitäten, sondern enge Austauschbeziehungen insbesondere zum städtischen Umfeld mussten berücksichtigt werden. So waren zum Beispiel temporär außerhalb der Gemeinschaft lebende Lehrer, Priester, Arbeitsmigranten oder andere Meinungsmacher für einen regen Kulturaustausch und Kulturwandel verantwortlich, da sie aus städtischem Milieu kontinuierlich neue Ideen und Innovationen in die Dorfgemeinschaft hinein transportieren. Der mit der Beeinflussung durch die städtischen Muster notwendigerweise einsetzende Kulturwandel müsse zur Folge haben, dass sich eine Angleichung der ländlichen an die städtische Bevölkerung vollzöge. Der Antagonismus zwischen Stadt und Land spielt hier eine zentrale Rolle. Die folk society, der Redfield Eigenschaften wie isoliert, homogen, in sich geschlossen, nicht schriftkundig und gruppensolidarisch zuweist (Redfield 1966: 333; Ders. 1947: 297), wird der urban society der modernen Großstadt entgegengestellt (Redfield 1966: 328), von der maßgeblich alle fortschrittlichen Entwicklungen ausgehen. Wenn das Bild der städtischen Gesellschaft hier als anonym, detachiert, und labyrinthisch skizziert wird, können mühelos Analogien zum Gesellschaftstyp von Ferdinand Tönnies hergestellt werden (Tönnies 1970 [Orig. 1887]: 3 u. 5), wenngleich Redfields Konzeption der folk society auf dem Ideengut von Luis Wirth aufbaut (Wirth 1988: 43). Sie ist nicht nur Ausdruck von Heterogenität, arbeitsteiliger Spezialisierung, Geldkapital, sondern auch von Anonymität und Abhängigkeit von makrostrukturellen Machtkonstellationen. Diese Entwicklungskluft zwischen Dorf und Stadt, Periphere und Zentrum sowie Agrarstaat und hochindustrialisiertem Staat wird als Katalysator ausgegeben, der sich aus der natürlichen Folge von Migrationen speise. Seine vorläufige Bestätigung sah das Modell in dem massiven Fluss von Bauern in die expandierenden Metropolen der Dritten Welt, der Ar-

18 Siehe zur Stadt-Umland-Theorie aus der Sicht der Volkskunde Wiegelmann 1978; Mohrmann 1990.

38

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

beitswanderung aus Süd- nach Mitteleuropa sowie dem unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Wirtschaftswachstum, das zum Beispiel zur BraceroWanderung vom ruralen Mexiko in die Vereinigten Staaten führte, die sich allesamt auf der Motiv generierenden Basis der individuellen Optimierungsbestrebungen beriefen. Aufgrund seiner Ausrichtung am Gedankengut des Evolutionismus zog das Folkurban-Kontinuum überwiegend kritische Beurteilungen nach sich, die in einer von Oscar Lewis im Jahre 1943 in Tepoztlán durchgeführten restudy kulminierten, deren Augenmerk vor allen Dingen auf den Kulturwandel gerichtet war (Lewis 1961). Dem Ansatz des Holismus verpflichtet, machte sich Lewis eine umfassende ethnografische und historische Untersuchung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Lebens in der Gemeinde zur Aufgabe, obgleich eine „konzeptionelle Veränderung des [S]ozialen durch den Raum“ (Rogers/Vertovec 1995: 18) dadurch zur Dokumentation kommen konnte, indem er auch Emigrationsströmen von Dorfbewohnern gesonderte Aufmerksamkeit schenkte. In dieser Folge kam es zur DeMystifizierung des von Redfield konstruierten bukolischen Dorflebens im mexikanischen Hochland, aufgrund dessen dem Entwurf der Stadt-Land-Dichotomie seine zu starre Linearität und unflexible Eindimensionalität vorgeworfen wurde. Es bleibt zu konstatieren, dass die hier erwähnten peasant studies in vielerlei Hinsicht sowohl die ethnologisch argumentierenden Kulturwissenschaften im Allgemeinen als auch die kulturanthropologische Migrationsforschung im Speziellen nachhaltig bereicherten, weil sie abseits des Funktionalismus nicht mehr darum bemüht waren, die Rekonstruktion des idealen Zustands bestimmter „Völker“ an überschaubaren Lokalitäten zur Darstellung zu bringen, da diese ausschließlich in der Überhöhung des kulturellen Beharrungsvermögens bzw. des hartnäckigen Fortbestehens starrer dörflicher Ordnungen ausuferten.19 Vielmehr wurden Anstrengungen unternommen, den durch komplexe Wechselbeziehungen hervorgerufenen Kulturwandel und die Verbindung der untersuchten Gruppe mit der Außenwelt sichtbar zu machen. Aus diesem neuartigen Ansatz konnten auch die europäischen Volkskundler ihren Nutzen ziehen (Hugger 2001: 295). Redfields Arbeiten waren ein von Kontroversen durchzogener Ausgangspunkt für die meisten Forschungen über Migration in der nordamerikanischen Kulturanthropologie, die bis in die 1970er Jahre stark rezipiert wurden, so dass nach

19 Eric Wolf war es in erster Linie zu verdanken, dass die Studien zur Dynamik bäuerlicher Kulturen in der Sozial- und Kulturanthropologie nach 1960 einen weiteren Höhepunkt erlebten. Den gesellschaftlichen Hintergrund für eine intensive Beschäftigung schuf die rasant voranschreitende Modernisierung der Landwirtschaft im unmittelbaren Umfeld der intentional gegen die „Rote Revolution“ gerichteten „Grünen Revolution“, die unter Zuhilfenahme von Hochertragssorten, Einsatz von externem Kapital, Düngemitteln und Pestiziden zum einen die agrarischen Erträge steigern sollte, zum anderen eine stärkere Integration der Bauern in nationale und globale Warenhandelszirkulationen zum Ziel hatte (Wolf 1985).

E INLEITUNG

| 39

Schätzungen von George M. Foster und Robert van Kemper in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts über die Hälfte der Feldforschungen, die von in den USA arbeitenden Anthropologen durchgeführt wurden, der peasant research zuzuordnen seien (Foster/van Kemper 1988: 93). Zwischen den Studien US-amerika-nischer Ethnologen über „peasants in the cities“ und den im nächsten Kapitel thematisierten Arbeitsschwerpunkten des Rhodes-Livingston-Instituts bzw. der Manchester Schule lassen sich Verbindungslinien ziehen, da beide Traditionen akkulturative Prozesse von Migranten im Spannungsgeflecht von Stadt und Land verfolgten. 1.3.3 Das Rhodes-Livingston Institute of Northern Rhodesia und die Manchester School of Anthropology „[T]he moment an African crosses his tribal boundary to go to the town, he is ‚detribalized‘, out of the political control of the tribe. And in the town, the basic materials by which he lives are different: he walks on different ground, eats food at different hours and maybe different food at that. He comes under different political authorities, and associates with different fellows. He works with different tools in a different system of organization. In short, this patent set of observations, as well as our theoretical orientation, should lead us to view the Africans in urban areas as acting primarily within a field whose structure is determined by the urban, industrial setting“ (Gluckman 1961: 69).

Innovativ wirkende Denkanstöße in Bezug auf die Bewusstseinserweiterung hinsichtlich des methodischen Vorgehens, der Konzeptionierung und der Interpretation migrantischer Kulturen lieferten über Jahre hinweg die situationsanalytischen Studien ethnologisch arbeitender Wissenschaftler aus Zentralafrika. Der aus der strukturfunktionalistischen Tradition von Radcliffe-Brown und Evans-Pritchard stammende Max Gluckman (Zitelmann 2001; Fortes 2004; Eriksen 2010: 258ff.) sowie weitere Vertreter der Manchester School of Anthropology (van Teeffelen 1980; Roberts 1986: 71f.) machten es sich bereit in den 1930er und 1940er Jahre in British Central Africa (Johnston 1910), dem damaligen rhodesischen Kupfergürtel, zur Aufgabe, soziokulturellen Konsequenzen von Urbanität und Wanderungsprozessen nachzuspüren. Auch hier waren es die radikalen Veränderungen der Modernisierung sowie die Sogwirkung der zu urbanen Zentren emporgestiegenen Kolonialstädte, die größere Bevölkerungskreise aus dem Hinterland dazu bewegten, ihrem

40

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

ursprünglichen Bestimmungsort den Rücken zu kehren, um im metropolitanen Raum der Lohnarbeit nachzugehen. Zentrale Gültigkeit besaß die Frage, wie aus ländlichen tribesmen in Form von Mobilität mondäne townsmen werden, oder „why tribalism persists, both in tribal areas and in towns, in spite of the industrial revolution which has produced such great social change“ (Gluckman 1961: 67). Die britischen Ethnologen erkannten diese Welle der Arbeitsmigration und folgten ihren Forschungssubjekten in die Stadt. Clyde Mitchell kleidet dieses paradigmatische Vorgehen folgendermaßen in Worte: „[T]he focus of sociological interest in African urban studies must be on the way in which the behaviour of town-dwellers fits into, and is adjusted to, the social matrix created by the commercial, industrial, and administrative framework of a modern metropolis – having regard to the fact that most African town-dwellers have been born and brought up in the rural hinterland of the city in which the cultural background is markedly dissimilar from that in the city itself“ (Mitchell 1966: 38).

Eng verbunden mit dem Namen Max Gluckman – er wurde zum Begründer der „Manchester Schule“ der Britischen Sozialanthropologie (Kuklick 1993; MacDonald 2001: 65) – war das Rhodes-Livingston Institute of Northern Rhodesia in Lusaka; dies wurde nach der Unabhängigkeit Sambias 1964 in Institute for Social Research of the University of Zambia umbenannt, das Gluckman bis 1947 als Direktor leitete (Kuper 1973: 182). Bereits der erste Spiritus Rector dieses Instituts für Sozial- und Kulturstudien, Godfrey Wilson, gab als ambitioniertes Ziel aus, ein Hauptgewicht der hausinternen Tätigkeiten auf die Aufarbeitung von transformierenden Auswirkungen der Urbanisation sowie der Industrialisierung auf traditionellagrarische Lebenswelten (Landflucht) zu legen, die der britischen Administration nützliche Informationen für die Sicherstellung einer an der Äquilibriumstheorie ausgerichteten Gesellschaftsform liefern sollten (Bommer 1993: 17f.; Gluckman 1968: 223). Eine übergeordnete machtpolitische Bezugsgröße formierte der Kolonialismus (Brown 1973), der durch aus Europa gesandte weiße Siedler im Zuge des auf materielle Güter abzielenden Feldzuges Stadtentwicklungen zum Wohle des Mutterlandes vorantrieb und somit eine koloniale Situation schuf, deren Endresultat nach Gluckman nicht gleich den kulturellen Verfall traditioneller Lebensformen einläutete, wie die Modernisierungstheorie noch unhinterfragt supponierte, sondern das Verhalten des Migranten richte sich grundsätzlich nach den ihn umgebenden Kontexten. Perspektivische Orientierungsfunktion besaß ein von Gluckman im Jahre 1945 am Rhodes-Livingston Institute of Northern Rhodesia entwickelter, hochgesteckte Ziele verfolgender Siebenjahresplan, der der zukünftigen Forschungsausrichtung insofern spezifische Konturen gab, da er zur fallspezifischen Untersuchung der sozialen Entwicklungen in der Region und der Erschließung wie Präsentation einer möglichst breiten Spanne von vergleichenden Datenmaterialien

E INLEITUNG

| 41

aus indigenen und modernen sozialen Organisationen aufrief, um dadurch den wichtigsten sozialen Konflikten, mit denen die Regierung in diesem Territorium konfrontiert war, Rechnung zu tragen. Im Stile einer modernen Kulturanthropologie verstand man Kultur, deren situationsabhängige Auslegung von einem Geflecht von mehrfachen Loyalitäten und Beziehungen abhängig sei, als intern fragmentiert, so dass eine der signifikantesten Lehrmeinungen jenseits jeglicher modernisierungstheoretischer Annahmen daran anknüpfte und die menschliche Handlungsfähigkeit (agency) innerhalb vorgegebener Strukturen als Bestandteil des sozialen Prozesses in den Mittelpunkt rückte. Subjektzentrierte Untersuchungen im ruralen und urbanen Süd- und Südostafrika, die sich entschlossen gegen die Konzepte des Strukturalismus und Funktionalismus aus der Oxford Schule richteten (Werbner 1984: 157), führten den kolonialkritisch und antirassistisch denkenden Gluckman zur Überzeugung, dass die in den hegemonialen Machtapparat des Kolonialismus eingebundenen afrikanischen Gesellschaften in zwei Sphären eingebettet seien, die zueinander auf der Basis der Arbeitsmigration ein funktionales Verhältnis eingehen würden. Komplementär zu Robert Redfield definiert Gluckman in seinem dualspheres model einerseits ein traditionell-bäuerliches Milieu und andererseits eine städtisch-moderne Lebenswelt, in der die Migranten als Kulturkuriere auftreten, sich in der Fließbewegung befindlich dauernd verändern und einer Vielzahl von ökonomischen, sozialen und politischen Grenzen ausgesetzt seien. Kolonialpolitische Aktivisten sahen in den Formen der menschlichen Bewegung vom Land in die Stadt insofern ausschließlich negative und dem kolonialen Profitgedanken abträgliche Auswüchse, als dass die Detribalisierung sowie Demoralisierung einer Destabilisierung der kolonialen Ökonomie gleichkäme und somit den Status quo unterminierte. Dem Migranten wurde das Signum der Detribalisierung erst dann zugesprochen, sobald er eine Position in der urbanen Struktur des sozialen Beziehungsgeflechts eingenommen hatte. Eine Deurbanisierung tritt dann ein, wenn der Pendler die Stadt verlässt und in sein rurales System zurückkehrt, wo nun alte, revitalisierte Handlungsmaximen das Verhalten bestimmen. Diese Konzeption der Alternanz geht von einem temporären sowie geografischen Wechsel zwischen zwei differenziert gearteten Lebenswelten aus, hier verstanden als soziales Feld bzw. System, in der die Migranten ihre Verhaltensmuster nach den jeweiligen kontextuellen Erfordernissen ausrichten (Mayer 1962: 579). So konnte Clyde Mitchell herausarbeiten, dass die rituelle Performance des aus dem traditional-ruralen Milieu entstammenden Kalela-Tanzes bei Arbeitsmigranten infolge von Urbanisierungsdruck sowie interethnischer Beziehungen zahlreiche veränderte Bedeutungen aufwies. Mit der Ausübung des Tanzens verwiesen die Akteure einerseits auf ihre traditionell-tribale ethnische Herkunft, auch tribalism20 genannt, andererseits veran-

20 „Tribalismus“, später durch den Terminus „Ethnizität“ ersetzt, fungierte unter den Migran-

42

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

schaulicht die Übernahme und Integration westlich-urbaner Kultursegmente ein symbolisches Statement für die Identifikation mit den europäischen Zivilisationserrungenschaften (Mitchell 1959). In einer anderen Studie über modifizierte Grundkonstanten auf administrativ-politischer Bühne konnte Arnold Epstein an einem Arbeiterstreik in einer Mine belegen, dass die im urbanen Setting Kraft ihres Amtes gewählten prestigeträchtigen Würdenträger aus traditionellen Stammeskulturen ihre Autorität verloren haben. Im ruralen Umfeld hatte ihr Wort noch gewichtige Bedeutung, jedoch infolge der Integration in ein urban-industrielles Milieu mussten sie realisieren, dass die interne gruppenspezifische Ordnung in der Konfrontation mit den europäischen Interessen der Minenbesitzer obsolet wurde, so dass eine Neukonstellation der traditionalen Hierarchiestrukturen herbeigeführt wurde (Epstein 1958). Hierbei lassen sich drei strukturelle Bedeutungsebenen ausmachen: Erstens sind die aus den ruralen Stammesgesellschaften in die Stadt abgewanderten Arbeiter gewillt, ihre traditionellen Überlieferungen und Rituale auch in der Stadt weiterhin zu praktizieren, um mit den Mitgliedern der eigenen Kulturgemeinschaft, mit denen sie denselben gesellschaftlichen und geschichtlichen Hintergrund teilen, eine Form der Vertrauens- und Solidaritätsbekundung zu installieren. Zweitens führen der Einfluss europäisch-westlicher Objektivationen und Subjektivationen in der vom Urbanismus und Kapitalismus geprägten Stadt einerseits zu einer Adoption neuer Kulturpraktiken und protegiert andererseits die graduelle Eliminierung traditionaler Handlungskomplexe. Ein dritter Aspekt kommt mit der Hypostasierung des Kalela-Tanzes mit ins Spiel, weil mit seiner Praxis eine spezifische Eigenkulturalität zum Ausdruck gebracht wird, die diskriminierend gegenüber anderen Fremden als Instrumentarium der Eigen- und Fremdethnisierung zielgerichtet eingesetzt werden kann und eine kategoriale Grenzziehung zum kulturell Fremden schafft. In der Stadt, die ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten aufweist bzw. die sich nicht selten diametral zu denen in ruralen Gruppen positionieren, stehen die Arbeitsmigranten unter dem Einfluss von vielerlei fremden, aber auch bekannten Systemen und Domänen, weil viele von ihnen ein historisches Erfahrungswissen über grenzüberschreitende Alltagspraktiken verfügen. Somit pendelt der Wanderer zwischen den Welten auf einer geografischen und kognitiven Ebene zwischen ruralem und urbanem Lebensstil, in dessen Terrain er aufgrund seines in beiden Sphären inkulturalisierten Wissens zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlicher Intensität involviert ist. Die mit dieser Wechselbeziehung einhergehenden Korrespondenzen und Widersprüche beim individuellen Management der sozialen Bezugsdomänen

ten im urbanen Milieu des Kupfergürtels als kategorisches sowie klassifikatorisches Vehikel, um in der Heterogenität der unterschiedlichen sozialen Gruppierungen eine Übereinstimmung mit der eigenen ethnischen Herkunft, die natürlich in zweiter Instanz als Abgrenzung gegenüber anderen Migrantengruppen gedacht ist, herzustellen (Gluckman 1961: 67).

E INLEITUNG

| 43

verleiteten Gluckman bei der Reformulierung eines neuen städtischen Vokabulars dazu, von einer situations- und kontextabhängigen Aushandlung kultureller Handlungsvollzüge (situational selection) im Zyklus dieser rural-urbanen Migration zu sprechen. Der Wanderer befindet sich in einer konfliktbeladenen Situation, in der vielfache Loyalitäten und Beziehungen gelten, kulturelle Reglementierungen alles andere als eindeutig und widerspruchsfrei sind, so dass ihm von den Vertretern der Manchester School of Anthropology eine interhierarchische oder zwiegespaltene Rolle (intercalary role) attestiert wurde (Hannerz 1980: 137). Angepasst an die Interaktionsfelder sowie Orientierung suchend in den ihn umgebenden kulturellen Kontextualitäten, entscheidet sich der mobile Lohnarbeiter einmal für die Sphäre der modernen Stadt, ein andermal für die traditionelle Herkunftssphäre. Minenarbeiter verloren nicht nur ihren angestammten kulturellen Bezugsrahmen, sondern fanden, wie am Beispiel eines rituellen Tanzes bei Clyde Mitchell versinnbildlicht, neue hybride Kulturmuster, die in der kulturellen Abgrenzungsdynamik zwischen konkurrierenden Gruppen als „dominante Kluft“ (dominant cleavage) strategiewirksam zum Einsatz kamen. Einen zwischenzeitlichen Höhepunkt der kulturanthropologischen Migrationsforschung bildete die in multiethnischen, von saisonalen Booms geprägten Minenstädten von British Central Africa (Schweizer 1996: 14) betriebene Forschung der Manchester Schule deshalb, weil sie die Annahme einer soziokulturellen Abgeschlossenheit des Untersuchungsfeldes in Frage stellte – so mit alten Traditionen brach – und mit ihren fallbezogenen prozessualen Betrachtungen wie Analysen des situationellen als auch historischen Wandels der städtischen Mikroebene die Kulturwissenschaften für die Offenheit und den situationsabhängigen Momentcharakter menschlicher Handlungsmuster sensibilisierte und damit einen nicht zu gering einzuschätzenden Anteil zur heutigen Debatte um Akkulturation, Ethnizität wie kulturelle Identität beigetragen hat. 1.3.4 Sprachinselforschung und Interethnik „Beim Grenz- und Sprachinseldeutschtum zeigt sich, daß eine bestimmte Stammesherkunft oder Konfession die völkische Widerstandskraft und damit die Erhaltung des Volksguts entscheidend beeinflußen“ (Bach 1960 [Orig. 1937]: 328).

Wie aus den im vorstehenden Kapitel dargelegten ethnologischen Arbeiten zur Migrationsforschung der Manchester Schule um Max Gluckman ersichtlich wurde, sind kulturelle Grenzziehungen, Kulturgrenzen bzw. Prozesse ethnischer Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung auf der Grundlage von Sprache, Kultur und Abstammung in keiner Weise als primordial zu charakterisieren, also von der Natur-

44

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

ordnung gegeben, sondern, aus rein konstruktivistischer Perspektive betrachtet, immer etwas vom Menschen Erschaffenes. In der modernen Kulturanthropologie gilt auch als allgemeingültig anerkannt, dass Staatsgrenzen nicht im Geringsten mit Kulturgrenzen im weitesten Sinne identisch sind (Cox 1993/1994: 11), da eine mehrdimensionale Diffusion materieller und geistiger Kulturgüter auf einer räumlichen wie zeitlichen Ebene in unterschiedlichster Weise von historisch-politischen und sozioökonomischen Faktoren abhängig ist. Eingebettet in eine kulturelle Rahmensetzung treffen ethnische Akteure jeweils Entscheidungen in konkreten Situationen, die über ihr eigentliches ethnisches Zuschreibungsgebiet hinausgehen, so dass die so genannten cross cutting ties auf die kulturdynamischen Wandlungsprozesse katalysatorisch wirken (Beer 2003b: 56). Die in diesem Kapitel zum Thema werdende volkskundliche Beschäftigung der auf historischen Migrationsströmen beruhenden deutschen Sprachinseln in Ost- und Südosteuropa hat seine Entstehungsphase bereits im 19. Jahrhundert, wenngleich die Forschungen während der Weimarer Republik und insbesondere in den Jahren des Dritten Reichs an Intensität zunahmen (Bönisch-Brednich 1994: 240ff.). Immer noch auf der Suche nach dem „mythischen Born“ der „arteigenen Volksbeseeltheit des deutschen Kulturstammes“ stellte sich die Volkskunde insbesondere bei der Erforschung der deutschen Enklaven und Minderheitsgruppen im Ausland in den Dienst der raumexpansiven Bestrebungen des Nationalismus und wurde sukzessiv zu einer die Ideologie untermauernden Hilfswissenschaft, die machtpolitische Ziele der imperialistischen Expansion nach der von Hans Grimm vorgegebenen Orientierungsmetapher „Volk ohne Raum“ (Grimm 1926) (pseudo)wissenschaftlich zu legitimieren suchte. Im Fokus der Reanimierung romantischer Topoi aus der Volkskultur stand die Propagierung der Kontinuität einer einheitlichen und kollektiven Nationalkultur, deren Wurzeln man in der „germanischen Vorzeit“ zu finden vorgab und die in der mythischen Überhöhung des deutschen „Volkscharakters“ sein vorläufiges Ende fand. Über Jahrhunderte hinweg sind Deutsche in den süd- und osteuropäischen Raum ausgewandert, um außerhalb des deutschen Sprachgebietes eigene Siedlungen zu gründen. Ethnische Gruppen bildeten zum Beispiel die Siebenbürger Sachsen, die Zipser, die Gottscheer, die Donauschwaben sowie die Deutschen in der Bukowina (Schenk 2001: 363). Anschwellende Nationalkonflikte in der österreichisch-ungarischen Monarchie sowie der Niedergang des Deutschen Kaiserreichs und der Habsburgermonarchie, bei der 1918 größere Bevölkerungsgruppen mit deutscher Nationalität in neue souveräne Staaten eingegliedert wurden, riefen die Angelegenheit des „Auslandsdeutschtums“ nicht nur bei deutschnationalen Schutzvereinen neuerlich auf die Tagesordnung, sondern „auch viele der deutschen Volkskundler“ begannen „an der großen Tragödie des Ost- und Südostdeutschtums“ (WeberKellermann 1959: 20) mitzuwirken. Eine allgemeine Definition der Sprachinsel lieferte 1934 einer der wohl bedeutendsten Vertreter der theoretischen Sprachinselforschung, Walter Kuhn, der darunter „ein Stück Volksboden, daß vom geschlossenen

E INLEITUNG

| 45

Gebiete seines eigenen Volkes räumlich getrennt und allseitig vom fremden Volkstum umgeben ist“ (Kuhn 1934: 16), verstand. Bereits vier Jahre vor Kuhn hatte Gustav Jungbauer zur Erforschung des „Altgut[s]“ deutscher Sprachinseln aufgerufen, da die auf nationalem Stolz gründenden wissenschaftlichen Entdecker gerade in diesen als geschlossen und einheitlich ausgegebenen Lebenseinheiten im europäischen Osten „jene Seiten auslandsdeutschen Lebens erfassen, die im normalen binnendeutschen Wissenschaftsbetriebe nicht voll zur Geltung kommen können“ (ebd.: 38).21 Durch die Verwendung der statischen Inselmetapher wurde diesen deutschen Siedlungen die Eigenschaft zugesprochen, isolierte kulturelle Rückzugsgebiete „altdeutscher Relikte“ zu sein22, die inmitten eines sie feindlich umbrandenden Meeres, das wie die „gierige Flut“ die urwüchsigen Kulturgüter „Stück für Stück losnagt“, deutsche Art und deutsche Sitte bewahrten (ebd.: 13f.). Max Hildebert Böhm, seit 1933 Professor für Volkstheorie und Volkstumssoziologie in Jena und bis zum Kriegsende Leiter des Instituts für Grenz- und Auslanddeutschtum in Berlin, platzierte seine Abhandlung zur Erforschung der deutschen „Schicksals- und Dauerminderheiten“ Europas in Wilhelm Pesslers Handbuch der Deutschen Volkskunde und plädiert dort insbesondere aus machtpolitischem Interesse (Drang nach Osten) für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Partei und Volkskunde, die sich damit selbst in die „Gefechtslinie des Nationalitätenkampfes“ manövrierte (Böhm 1934, zitiert nach Weber-Kellermann 1978: 91). Instinktsicheres Überlegenheitsbewusstsein, das Sendungsbewusstsein dieser ursprünglichen Herrenschicht sowie der exklusive Rassenstolz würden die inselartige Abgeschlossenheit kultureller Traditionen unterstützen, so dass sich dem deutschen Kolonisten eine planmäßige Assimilation an das „Umvolk“ verbiete. Im Bewahren und Sammeln von Liedern, Erzählungen, als uralt und authentisch klassifizierten Traditionen wie Sitten und Bräuchen sieht Böhm nun die bahnbrechende Aufgabe für die Volkskunde, die zu „einer lebendigen Vorstellung von längst vergangenen geschichtlichen Durchgangsstufen des Deutschtums“ (ebd.: 87) überleiten solle. Das feststehende Bild des Inseldaseins dieser provinzialisierten und marginalisierten Grenzräume wird hier in starkem Maße idealisiert, weil eine zwischen den ethnischen Gruppen stattfindende Kommunikation bzw. ein wirtschaftlicher sowie kultureller Austausch gänzlich ignoriert wird. Falls ein interkultureller Transfer tatsächlich in die Beobachtungen der

21 Ein früher Vorläufer der volkskundlichen Sprachinselforschung findet sich bereits 1895 in der grundlegenden Monografie von Adolf Haufen (Haufen 1895). 22 Diese Hypothese findet auch in einem Passus des Wörterbuchs der deutschen Volkskunde von 1955 seine Bestätigung, wenn es heißt: „In den Außenposten unseres Volkstums haben sich Sitte, Bräuche und Sachgüter oft viel treuer erhalten als im Mutterland, und oft gestattet die Untersuchung dieser Verhältnisse wichtige Schlüsse auf die Urheimat der Bewohner“ (Art. Auslandsdeutschtum, Grenzlandsdeutschtum 1955: 41).

46

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Sprachinselforscher Einzug hielt, wurde er gemäß des politischen Programms mit Zersetzung, Überfremdung, Entnationalisierung und Identitätsverlust gleichgesetzt (Eisch 2007: 144).23 Als es mit der Gleichschaltung der Volkskunde als „Völkische Hilfswissenschaft“ im NS-Schreckensregime (Gerndt 1987) im großen Ausmaße zu Sammel-, Bergungs- und Rettungsaktionen deutschen Kulturguts kam, kann nicht geleugnet werden, dass in dieser Zeit mehrere Vertreter des Faches engagiert und mit absolutem Wille zur „deutschen Tat“ an der Vorbereitung und Realisierung einer ethnischen „Neuordnung Europas“ unter deutscher Vorherrschaft beteiligt waren (Lozoviuk 1997: 9). Nur allzu praktisch ließen sich die deutschen Minderheitsgruppen, ihre „urhafte Wirklichkeit volkhafter Gebundenheit“ (Böhm 1934, zitiert nach Weber-Kellermann 1978: 91) sowie ihr „gesundes Volkstum“, das sie im stetigen Abwehrkampf gegen „fremdvölkische“ Einflüsse (Magyarisierung) zu verteidigen wussten, zur Ausdehnung der reichsdeutschen Herrschaft in Richtung Osteuropa instrumentalisieren. Kurz: Bei den unter dem Signum Volkserneuerung und Grenzkampf firmierenden mörderischen Machenschaften versündigten sich nicht nur Wehrmacht, SS, SA und andere politische Exekutivgewalten, sondern auch die deutsche Volkskunde, hier vor allem unter der Leitung des „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“, Alfred Rosenberg (Pieper 2007; Bollmus 2006), weil sie ein auf scheinbar objektiver Wissenschaft basierendes Legitimationsgerüst für solche ideologischen Praktiken der ethnischen Segregation aufbaute und in ihren Formulierungen bezüglich der rassistisch-antisemitischen Kulturpolitik Hitlers fast immer den gewünschten Ton traf (Becker 2000: 135). Oder wie es Max Hildebert Böhm in der Hoffnung auf einen unermesslichen Machtzugewinn im nationalsozialistischen Wissenschaftsapparat in Worte zu kleiden wusste: „Nationalitätenkampf, Volkstumsbehauptung auf gefährdetem Posten ist uns als ein überaus gegenwärtiges Anliegen deutscher Volkserneuerung drängend vor Augen gestellt. Meldet die Volkskunde überhaupt aktuelle Bedeutung für die Volkswerdung der Deutschen im Dritten

23 Ein interethnischer Kulturaustausch bzw. die Beeinflussung des „Umvolkes“ auf die Bewohner der deutschen Sprachinsel waren laut Jungbauer und Kuhn nicht bidirektional und von Reziprozität gekennzeichnet, sondern hauptsächlich von einem Kulturgefälle zwischen Siedler und Nachbarn definiert. Dies verleitete sie neuerlich zu der Annahme, von einer kulturell führenden Rolle der Deutschen auszugehen. Dialektische Stereotypen, die den Süd- und Osteuropäer im Kontrast zum Topoi des „tüchtigen, fleißigen und strebsamen Schwaben“ als schmutzig, schlampig, nachlässig und lebenslustigen Menschen bezeichnen, erinnern einen bei der Lektüre stark an die ethnozentrischen Beschreibungen der litauischen Bauern von Hans Naumann, denen jeglicher zivilisatorischer Individualismus abgesprochen wurde (Naumann 1929: 57f.).

E INLEITUNG

| 47

Reich an, dann wird sie mit aufmerksamen Ohren auch darauf zu lauschen haben, was das mitten im Kampf stehende Grenz- und Auslanddeutschtum in dieser Entscheidungsstunde deutscher Existenz in der Welt von ihr aus als der deutschen Volkskunde erwartet“ (Böhm 1934, zitiert nach Weber-Kellermann 1978: 93).

Unmittelbar zeitlich auf die Annektierung Polens, der Errichtung des Reichsgaus Wartheland und dem nationalsozialistischen Vorstoß gen Osten kam es unter der Parole „Heim ins Reich“ zu einem Bevölkerungstransfer, bei dem während des Zweiten Weltkriegs mehr als 1 Million so genannte „Volksdeutsche“24 in das „Altreich“ oder die von Deutschland annektierten Gebiete umgesiedelt wurden (Fahlbusch 1999: 512ff.). Diese Menschen mit deutscher Abstammung schenkten den ideologischen Phrasen der Volkstumspolitik des Reichskommissars Heinrich Himmler, der unentwegt die Metapher der „Heimholung der Volksdeutschen“ sowie das Recht des Stärkeren propagierte, was unweigerlich die Unterwerfung, Beherrschung und Vernichtung „minderwertiger Völker“ nach sich zog, Glauben und wurden aufgrund dessen zur Rückwanderung in deutsches Hoheitsgebiet animiert (Benz 1992: 375). Die „Reichskommission für die Festigung deutschen Volkstums“ war größtenteils für die Konzeption, Umsetzung, Betreuung und ideologische Indoktrination dieser Migrationsströme verantwortlich. Um die aus Dobrudscha, Bessarabien, Buchenland, Galizien, Wolhynien usw. herbeiströmenden „Volksdeutschen“ in den eingenommenen westpolnischen Gebieten anzusiedeln, war der Einsatz von SS-Truppen notwendig, die die hier beheimatete polnische Bevölkerung von ihrem Eigentum entschädigungslos vertrieben und einen Transport in das Generalgouvernement einleiteten.25 Zu diesem Vorgehen der zwanghaften sowie freiwilligen Form der Wanderungsbewegung führt Isabel Heinemann in der Enzyklopädie Migration in Europa aus, dass die Deportation und der Genozid der jüdischen Bevölkerung in Ostmitteleuropa das Fundament aller Umsiedlungspläne bildete, so dass sie mit ihrer Behauptung durchaus richtig liegt, dass die Ermordung und die Vertreibung von Polen, Tschechen, Ukrainern und Litauern mit den zur „Germanisierung“ und dauerhaften herrschaftspolitischen Stabilisierung der von Deutschland besetzten Gebiete beitragenden „kolonialen Umvolkungsmaßnahmen“ Hand in Hand gingen (Heinemann 2008: 1084). Von Seiten der

24 Der Begriff „Volksdeutsche“, so gab ein Schreiben des Reichsministers und Chef der Reichskanzlei vom 25. Januar 1938 bekannt, traf auf Personen zu, „die in Sprache und Kultur deutschen Stammes waren, die nicht als Bürger zum deutschen Reich gehörten“ (Herzog 1955: 2). 25 Nicht selten rekrutierte man aus der loyalen, willigen und von der prärogativen Sonderstellung der deutschen „Herrenrasse“ überzeugten Masse der „Volksdeutschen“ Soldaten, die bei der Vertreibung der ansässigen Bevölkerung sowie am Partisanenkrieg aktiv teilnahmen (Casagrande 2003: 229ff.).

48

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Volkskunde war man durchaus voller Zuversicht, bei der auf der Prämisse der Ostkolonisation fußenden Germanisierungspolitik einen mehr oder minder wissenschaftlich gearteten Beitrag zur „germanischen Volkserneuerung“ zu leisten. Eine erste umfangreiche Umsiedlungsaktion und gleichzeitig ein viel beredetes Beispiel jener NSAuftragsarbeit der angewandten Parteivolkskunde stellte die „Heimholung“ von rund 200.000 deutschsprachigen Südtirolern mit italienischer Staatsangehörigkeit dar, die in das Deutsche Reich und die Ostgebiete auf der Krim und Galizien umgesiedelt werden sollten, mit der der Germanomane Himmler26 – seinerseits Weisungsbefugter der SS-Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ (Kater 1974) – die unter der Leitung von Wolfram Sievers stehende Kulturkommission Südtirol (Lixfeld 1994: 238ff.) beauftragte. Der „Reichskommission zur Festigung deutschen Volkstums“ unterstellt, begann Siervers mit seinem Berater Richard Wolfram und weiteren Kollegen 1940 die Sammel- und Rettungsaktion zur Bergung des Kulturgutes aller umzusiedelnden Deutschen, was eine „hektische Feldforschungsarbeit zur volkskundlichen Dokumentation“ (Becker 1997: 32) von Sprache, Liedgut, Erzählungen, Bräuchen, Tänzen, Geräten, Sinnbildern usw. obligatorisch machte. Die hier von der Volkskunde geleistete „praktische Volkstumsarbeit“, die sich am Schürfen nach verschütteten altartigen und vorchristlich-germanischen Überlieferungen der mythischen Vorzeit ergötzte, lässt zwei Ebenen erkennen, die über Sinn- und Zweckhaftigkeit dieser kulturpolitisch höchst relevanten Tätigkeiten Auskunft erteilen. Neben ganz pragmatischen Bestrebungen wie der materialreichen Erhebung und damit der Bewahrung von Erinnerungen aus der alten Heimat ging es zunächst einmal um die Zusammenstellung, Nutzbarmachung und Ordnung „germanischen Kulturguts“, das im Rahmen wissenschaftlicher bzw. politisch-propagandistischer Nutzbarmachung von Bedeutung war. Da die „volksdeutschen“ Migranten nach ihrer zumeist persönlich gewollten Wiederansiedlung im Ostimperium auf ihre „überlieferten Ordnungen“ aus der alten Heimat zurückgreifen sollten, dies natürlich ganz im Sinne der von höherer

26 Himmler ließ seine weltanschaulich fixierten Vorstellungen einer „neugermanischen Religion“ der SS von einer natur- und geisteswissenschaftlichen Zweckforschung untermauern. Okkulte Lehren der Thule-Gesellschaft aufgreifend und weiterentwickelnd, waren der Reichskommissar und seine Berater von dem Tibet-Mythos überzeugt, der zu verstehen gab, dass eine arische „Urrasse“ nach dem Untergang ihres Reichs über die große Insel im Norden, Thule, nach Zentralasien gezogen sei, um auf dem höchsten Gebirge der Welt die „nordisch-arische“ Rasse zu bewahren. Ethnologische sowie physisch-anthropologische Expeditionen der Tibetforschung des SS-Ahnenerbes in den Himalaja machten es sich zum Inhalt, die von pseudowissenschaftlichen Rassentheoretikern wie H.F.K. Günther formulierten Gedanken empirisch nachzuweisen und somit im Dienste einer „kriegswichtigen Zweckforschung“ die absolute Vormachtstellung der „deutsch-arischen Rasse“ zu autorisieren (Greve 1995: 169f. u. 195f.; Gingrich 2005: 131).

E INLEITUNG

| 49

machtpolitischer Stelle geförderten Arisierung bzw. Germanisierung des neuen Reichsgebietes sowie der „völkischen Umerziehung“ der Südtiroler, sollten die gesammelten ethnografischen Materialien ihren Dienst beim Neuaufbau der Siedlungsgemeinschaft erweisen (Assion/Schwinn 1987: 222). Ein von ethnologischer Empathie geleitetes Interesse an den aktuellen Lebenswelten und Kulturformen der in diesem Grenzraum wohnenden Menschen war somit nicht existent, da vielmehr das apriorische Faktum der Reliktforschung, also das Suchen und Finden des „Schlüssels zur Urheimat“, das ganze Projekt infiltrierte (Köstlin 1990: 6). Aufgrund der Tatsache, dass die Mitarbeiter der Kulturkommission bei ihrer Arbeit die ideologische Intelligenzprothese niemals absetzen durften, waren auch die Kriterien hinsichtlich der zu dokumentierenden Kulturelemente fest vorgegeben, so dass man bei der Wahrnehmung bzw. Sammlung höchst selektiv vorging und „Arteigenes“ von „Artfremde[m]“ zu trennen wusste (Johler/Paulmichel/Plankensteiner 1991; Nußbaumer 2002: 137). Volkspolitisch instrumentalisierte Zweckforschung im engeren Umfeld der migrantischen Lebensformen eines als „volksdeutsch“ klassifizierten Menschenschlags kann bei Lichte betrachtet nicht mit der Kategorie „Wissenschaftlichkeit“ aus heutiger Perspektive in Verbindung gebracht werden, da sie historische Fakten schlichtweg manipulierte, der Fetischisierung bzw. dem Glauben an die germanische Kontinuitätsprämisse aufgesessen war und durch ihre Propagandavolkskunde der „blut- und bodengebundenen arteigene[n] Wesenhaftigkeit des deutschen Volkskörpers“ nicht nur scheinbar wissenschaftliche Legitimation angedeihen ließ, sondern mit dem Einschwören auf einen völkisch-germanischen Kulturbegriff (Scharfe 1986: 110) zwischen Eigenem und Fremdem eine unüberbrückbare Trennlinie zog, die fremdenfeindliche Denkweisen hervorrufen sollte. Volkskundler lieferten somit einen aktiven Beitrag zur Errichtung der „Wegweiser nach Auschwitz“ (Jeggle 2001: 61). Aus den verhängnisvollen Konsequenzen ethnozentrischer Argumentationen, die mit ihren konzeptionellen Interpretaments und ihrem semantischen Repertoire eine kulturelle Symbolstruktur sowie ethnisch-politisch Grenzen unter Zuhilfenahme der Kategorie „Volk“ errichteten und durch dieses Mittel eine legitimierende Ideologie fixierten, funktionalisierten und heroisierten, ging in den Jahren der volkskundlichen Neupositionierung nach dem Zweiten Weltkrieg die Erkenntnis hervor, dass nur durch die Ausrichtung auf die empirische Fundierung eine den moralischen, ethischen und demokratischen Gesetzmäßigkeiten der Toleranz folgende Interethnik hervorgehen könne. Maßgebliche Überlegungen bei der revisionistischen Neuetablierung der interethnischen Forschung jenseits der kritisch zu betrachtenden Sprachinselforschung (Kalinke 1999: 33ff.) und Flüchtlingsvolkskunde27 entwickelten sich aus der inhaltlichen

27 Nachdem in den Wirren des Zweiten Weltkriegs Millionen von Menschen unter externen Zwangsbedingungen eine Bevölkerungsbewegung in Ost-West-Richtung antraten und ihre Heimat als Flüchtlinge verlassen mussten, sah man darin von Seiten der Volkskunde ein

50

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

und methodologischen Ausrichtung auf soziokulturelle Wandlungserscheinungen innerhalb interethnischer Kontakt- und Austauschzonen, einer Sensibilisierung für emergierende kulturelle „Übernahmen und Mischformen“ sowie dem ideologiefreien Bekenntnis, dass dem Menschen eine „lebendig-schöpferisch Fähigkeit zur Neugestaltung und Umformung des kulturellen Gemeinschaftsbesitzes“ immanent sei (Weber-Kellermann 1959: 39 u. 42f.). Das wissenschaftliche Terrain für eine konsequente Umsetzung des neu formulierten Forschungsansatzes in der Volkskunde steckten namentlich Ingeborg Weber-Kellermann und Annemie Schenk mit ihren Arbeiten am Marburger Institut in den 1970er Jahren ab, in dem sie ein Konzept von Ethnizität entwickelten, das auf der dynamischen Interaktion von Verflechtungen basierte, und so zur Ethnografie der realen Lebensvollzügen in Südosteuropa einen erheblichen Beitrag leisteten. Ihr Hauptaugenmerk lag auf den kulturellen Austauschformen, dem Zusammenleben von Menschen mit graduell differenzierter Fremdheit, den Mechanismen der Interaktion sowie den Transformationen des Eigenen durch die Internalisierung fremdkultureller Versatzstücke (Weber-Kellermann/Schenk 1973; Schenk 1984). Weit entfernt von stereotypem Klischeedenken und einer monolithischen Konstruktion ethnischer Grenzziehungen und nationaler Mythen begab sich das Wissenschaftlerduo auf die Suche nach gegenwärtigen Prozessen der interethnischen Akkulturation im Spannungsverhältnis der nicht selten konfliktbeladenen Symbiose von Alteingesessenen und Zugewanderten und wies damit der Wissenschaft Kulturanthropologie/Volkskunde neue Wege. Die Methodenkombination von Teilnehmender Beobachtung und qualitativen Interviews stützte den empirischen Datenfundus, von dem Weber-Kellermann und Schenk theoretische Überlegungen zur Struktur ethnischer Gebilde generierten, indem sie stets das soziale Leben der Ethnien und die damit verbundenen kulturellen Äußerungen im Fokus ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Menschen Südosteuropas behielten (Schenk 1995: 259f.; Dies. 1994). Eine unerlässliche Anerkennung der Prozesshaftigkeit kultureller Ausprägungen und die hieraus resultierenden Veränderungen des individuellen sowie auch kollektiven Identitätsbewusstseins dürfen als konstitutive Säulen ihrer Argumentationen verstanden werden.

neues Arbeitsfeld. Die Vertriebenen und ihr aus der alten Heimat mitgebrachtes „kulturelles Gepäck“, nicht selten in überkommener Tradition des Faches als „Altgut“ bezeichnet, konnte nun in einer Art „Laborsituation“ in den Flüchtlingslagern vor Ort gesammelt, bewahrt und vor Verlust gerettet werden. Dem bis in die Romantik zurückzuführenden Rettungsgedanken, als Anliegen mit oberster Priorität, wurde in der Volks-kunde der unmittelbaren Nachkriegszeit noch großes Gewicht beigemessen (Tolksdorf 1991: 208f.; Ders. 1987: 123).

E INLEITUNG

| 51

1.3.5 Auf den Spuren der bewegten Lebensformen: Auswanderungsforschung in der Volkskunde Fundamentale Gesellschaftstransformationen vor und während des 19. Jahrhunderts führten zu einer bisher nicht geahnten Massenauswanderung, bei der zwischen 1820 und 1930 insgesamt 5,9 Millionen Menschen Deutschland in Richtung Amerika verließen (Rößler 1992: 148). In der volkskundlichen/kulturanthropologischen sowie historischen Forschung herrscht Übereinstimmung darüber, dass die Ursachen dieser Wellen vermehrt in wirtschaftlichen, politischen und religiösen Beweggründen zu suchen sind. Bereits in den 1970er Jahren begannen Historiker ein intensives Interesse für Verlaufsformen, den historischen Strukturbedingungen sowie den heterogenen Problemlagen der Auswanderung nach Amerika auszubilden, so dass von Seiten der Geschichtswissenschaften – hier sind vor allen Dingen die Namen Günter Moltmann, Dirk Hoerder, Wolfgang J. Helbich, Klaus J. Bade und Hartmut Keil zu nennen – eine breitangelegte Publikationsspanne auf eine flächendeckende Untersuchung des Forschungsgegenstandes schießen lässt (Moltmann/Focke: 1976; Helbich 1988; Ders. 1988a; Hoerder/Knauf 1992; Bade 1994). Die Zeitschrift für Kulturaustausch hat sich bereits 1989 mit zahlreichen Beiträgen in ihrem Themenband diesem Kulturzug gewidmet.28 Ein Aufsatz von Hans Fenske und Hermann Hiery aus dem Historischen Jahrbuch bringt eine Gesamtschau über die neue Literatur zur Auswanderungsforschung zu Wege, die neben den transatlantischen Auswanderungen ferner im zweiten Teilbereich einige substanzielle Aussagen zur pazifischen Überseewanderung nach Australien und Neuseeland bereithält (Fenske/ Hiery 1996). Bei der schrittweisen Beantwortung der Fragen zur räumlichen Mobilität, zu Akkulturationsprozessen, zu den Abstoßungs- und Anziehungskräften spezifischer Territorien, zu strukturellen Bedingtheiten historischer Wanderungsbewegungen und zu subjektzentrierten Reiseerfahrungen fügten die Wissenschaftler das bunte sowie facettenreiche Mosaik der Historiografie deutscher Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert zusammen, so dass Vergangenes seine Lebendigkeit wieder erlangte (Aengenvoort 1999; Marschalck 1973; Walker 1964). Nah an der Lebenswirklichkeit der historischen Akteure forschend, gelang eine Annäherung an „Geschichte von unten“ (Fielhauer 1984), die ihre Ergebnisse auf einer reichen Quellenbasis, bestehend aus Briefen (Macha 1994), privaten Nachlässen29 usw.,

28 Siehe dazu den Themenband: Jetzt wohnst du in einem freien Land. Zur Auswanderung Deutscher im 19. und 20. Jahrhundert. Zeitschrift für Kulturaustausch 39/3 (1989). 29 Der bis in die jüngste Vergangenheit im ehemaligen Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn aufbewahrte private Nachlass von Joseph Scheben wurde im Jahre 2003 in editorischer Version vorgelegt (Macha/ Nikolay-Panter/Herborn 2003).

52

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

stützen konnte. Schon im Jahre 1972 hat die Frankfurter Kulturanthropologin InaMaria Greverus im Rahmen ihrer Habilitationsschrift Der territoriale Mensch die transatlantische Migration im kulturwissenschaftlichen Diskurs zum Thema gemacht und behandelte dabei in aller Ausführlichkeit das Phänomen von Auswanderung in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der diskursiv hochemotional besetzten Frage nach einer der Lebenswelt nahen und emotional versichernden Zugehörigkeit des Individuums zu einem als „heimatlich“ konnotierten Raumgefüge (Greverus 1972: 131-202). Ein überwiegend methodische Problemstellungen zum Gegenstand machender Sammelband geht auf die von Kai-Detlev Sievers im Jahre 1979 in Kiel organisierte deutsch-skandinavische Tagung zurück, der instruktive Beiträge internationaler Wissenschaftler bilanzierend zusammenfügte, wenngleich weiterführende Forschungstätigkeiten in diesem kulturanthropologischen Feld der Migrationsforschung in den Nachfolgejahren durchaus wünschenswert gewesen wären (Sievers 1981). Um die qualitative und quantitative Dimension dieses menschlichen Exodus adäquat zu verdeutlichen, versah der 1994 verstorbene Volkskundler Peter Assion, der sich seit Beginn der 1980er Jahre am Marburger Institut für Europäische Ethnologie und Kulturforschung vermehrt mit der Auswanderungskultur (Ethnografie der Emigration) beschäftigte (Assion 1982/83) und als Begründer der volkskundlichen Auswanderungsforschung gilt (Brednich 1997; Ders. 1994), seinen herausgegebenen Sammelband mit dem Titel Der große Aufbruch (Assion 1985; Ders. 1987), der für die zuvor in Marburg begründete Forschungsrichtung institutionalisierend wirkte. Damit kamen Assion und seine Kollegen Peter Schwinn und Peter Mesenhöller einem intensivierten Wissensbedürfnis bezüglich der Erhellung des komplexen Massenphänomens der anthropologischen Auswanderungsgeschichten des 19. Jahrhunderts nach, die bei ihren Interpretationen und Analysen nicht bei den Ursachen und Abläufen verharrten, sondern abseits von statistisch-quantitativen Daten zur „Erschließung der subjektiven Seite der Auswanderung“ (Ders. 1987: 9) aufforderten, um die Lebensverhältnisse, kulturellen Begleiterscheinungen und Funktionselemente der Menschen transparent zur Darstellung zu bringen, die sich in ihrem Alltag unmittelbar mit diesen kulturellen Bruchzonen sowie Verwerfungen konfrontiert sahen. Eine Konfrontation der lebensgeschichtlichen Quellenzeugnisse mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen offerierte kondensiert Wissen über die Kultur der Auswanderer jenseits des viel beschworenen „Salzwasservorhangs“, weil der geregelte Mikrokosmos Migration als dem Leben immanenter krisenhaft-ungewisser Einriss ausgedeutet wurde, der die Erinnerung in ein Vorher und Nachher organisiert und folglich kulturelle Begleiterscheinungen wie rites de passage (Hirschfelder: 2000), Bräuche, Lied- und Schriftgut beinhaltet, denen bisher keine andere Wissenschaft in ausreichendem Maße Beachtung geschenkt hat. Vergessene und aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängte Geschichtsinhalte kehren zumeist dann wieder in den öffentlichen Diskurs von Meinungseliten sowie in die wissenschaftlichen Sphären zurück, wenn ein

E INLEITUNG

| 53

Jubiläum ansteht. Anlässlich des 300. Anniversariums der Landung einer ersten größeren deutschen Auswanderungsgruppe in Nordamerika sowie der damit verbundenen Gründung von Germantown (1683) im heutigen Bundesstaat Michigan zierten zahlreiche Publikationen den deutschen Buchmarkt, obgleich das Thema nach seiner mehr oder minder künstlich in Szene gesetzten Tagesaktualität enorm an Popularität einbüßte und schnell im Hinterstübchen des kulturellen Gedächtnisses verschwand. Die kulturanthropologischen/volkskundlichen Perspektivierungen auf migratorische Prozesse und Problemstrukturen in der Vergangenheit, die sich kontinuierlich dazu verpflichtet fühlen, Vorstöße in die soziale Wirklichkeit anhand ausgewählter, die Alltagskultur betreffender Fallbeispiele sowohl im lokalen und regionalen als auch im nationalen Kontext zu untersuchen, eröffneten mit ihren spezifischen Herangehensweisen sowie ihrem sensiblen Verständnis für kulturelle Ausprägungen ein reichhaltiges, in den Nachbardisziplinen gewürdigtes Wissensinventar (Hirschfelder 1993). Nicht zuletzt führen ethnologisch-kulturwissenschaftliche Anstrengungen über Massenauswanderung, Entwurzelung, Neuintegration und kulturelle Traditionspflege zu gesellschaftsrelevanten Ergebnissen, deren Qualitätsprädikat so viel Bedeutung zugesprochen bekommt, dass diese den Weg zur musealen Darstellung finden. Das Rheinische Freilichtmuseum Kommern, hier verstanden als vielschichtiges Medium der dialogischen und belehrenden Vergangenheitsvergegenwärtigung und Übermittlungsinstanz historischer Botschaften, ist kulturpolitische Herberge des Ausstellungsprojektes Schöne Neue Welt – Rheinländer erobern Amerika, das dem interessierten Besucher mit seinen zahlreichen Exponaten einen authentischen und realitätsnahen Überblick über die Emigration aus dem Rheinland nach Nordamerika und deren historische Gesetzmäßigkeiten offeriert (Panek 2001). Wie aus dem in diesem Kapitel Gesagten ersichtlich wird, ist eine streng volkskundliche Auswandererforschung, die den menschlichen Lebensvollzügen ins Ausland folgt, bis auf einige Ausnahmen durchweg historischer Provenienz und bezieht sich bei ihren Aussagen ausschließlich auf die Untersuchung von historischen Archivalien. Frühe Anstöße zur empirisch-ethnografischen Erforschung der deutschen Kultur im Ausland lieferte einer der ersten Aufsätze von Peter Assion, in dem auf das „Deutschtum“ in einem seit 1937 von Buren kolonisierten Gebiet, dem südafrikanischem Natal, eingegangen wird. Die Lebensnähe zur Untersuchungsgruppe suchend, nahm sich Assion diesem wegen der politischen Implikationen eher als konfliktträchtig zu klassifizierenden Forschungsthema an und analysierte Formen und Mechanismen der Repräsentation von kultureller Superiorität und degradierender Inferiorisierung zwischen den eingewanderten Deutschen und der bereits ansässigen schwarzen Bevölkerung (Assion 1977). Rolf Wilhelm Brednich, der mit seinem Kollegen Assion und den Studierenden an der Universität die Klassiker der ethnologischen Feldforschung von Malinowski bis Mead und Lévi-Strauss gelesen hatte und nach Falkenstein mit Assion für eine Zeit „aus dem Mief des angestammten, traditionellen Arbeitens in den Volkskundeinstituten“ entfliehen woll-

54

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

te, richtete seinen ethnografischen Blick auf die deutsche Kultur im kanadischen Bundesstaat Saskatchewan (Brednich 1981; Ders. 1981b). Im weiteren Sinne komplementär zur volkskundlichen Migrationsforschung sind die Magisterarbeit sowie die Dissertation der Wiener Kulturanthropologin Brigitta Schmidt-Lauber, die die deutsche Ethnizität vor dem historischen Hintergrund deutscher Kolonialpolitik in Namibia ins Zentrum ihrer kulturwissenschaftlichen Studien rückt und dabei auf der Grundlage einer mehrmonatigen, qualitativ vorgehenden Feldforschung dem Selbstverständnis deutscher Namibier und Namibierinnen sowie den kulturellen Ausprägungen der Ethnisierung anhand von gruppenspezifischen Grenzziehungen nachspürt (Schmidt-Lauber 1993; Dies. 1996; Dies. 1998). Brigitte Bönisch-Brednichs Habilitationsschrift zu deutschen Auswanderern in Neuseeland ist ein Beispiel für die Umsetzung eines Plädoyers für eine differenzierte Migrationsforschung, die durch einen zeitintensiven und stationären Aufenthalt im Untersuchungsfeld sowie einen engen Kontakt zu den Gewährspersonen gekennzeichnet ist (Bönisch-Brednich 2002). Für die im australischen Bundesstaat Victoria gelegene Stadt Melbourne ist in jüngster Vergangenheit ebenfalls eine Monografie zur Konstruktion der kulturellen Identität deutscher Migranten erschienen (Everke-Buchanan 2007). Wissenschaftsgeschichtlich sollte man von der Annahme ausgehen, dass die volkskundliche Begutachtung beweglicher Lebensformen über ein kanonisches Inventar von essentials, also von gemeinschaftlich legitimierten Grundvoraussetzungen, verfügt. Jedoch ist das Gegenteil der Fall. Vielschichtigkeit, Heterogenität und Uneinheitlichkeit aggregieren diese historischen wie gegenwartsbezogenen Untersuchungsansätze und dürfen daher als genuine Markenzeichen für ein ausgewogenes Verständnis von Migrantenkulturen betrachtet werden, das dem von Konrad Köstlin eingeforderten „ethnographische[n] Paradigma in den Jahrtausendwenden“ (Köstlin 1994) wohl am ehesten eine goldene Brücke baut. Wenn wir dessen ungeachtet doch ein typisches Charakteristikum exponiert akzentuieren wollen, dann ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit die emisch-kulturimmanente Durchdringung des Untersuchungsgegenstandes.

E INLEITUNG

| 55

1.3.6 Ethnizitätsforschung: zur kulturellen Taxonomie ethnischer Identitäten „So when one traces the history of an ethnic group through time, one is not simultaneously, in the same scene, tracing the history of ,a culture‘: the elements of the present culture of that ethnic group have not sprung from the particular set that constituted the group’s culture at a previous time, whereas the group has a continual organizational existence with boundaries (criteria of membership) that despite modifications have marked off a continuing unit“ (Barth 1969a: 38 [Herv. i. O.]).

Mit dem Beginn der „Integrativen Revolution“ rückten die Begriffe „Ethnizität“ bzw. „ethnische Konflikte“ im späten 20. Jahrhundert weltweit in das öffentliche Bewusstsein. Dass der Terminus „Ethnizität“ sowohl Bestandteil alltäglicher, machtpolitischer, wirtschaftlicher und journalistischer Auseinandersetzungen ist als auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften als integrales theoretisches Analyseinstrument fungiert, obstruiert den Umgang mit diesem nahezu schwierigen bis problematischen Konzept (Pascht 1999). Von definitorischer Unklarheit, terminologischer Vagheit sowie einem Mangel an historischer Perspektivierung gekennzeichnete Diskussionen über Zerstörung ethnischer Gruppenpartikularismen, ethnische Konflikte, ethnische Identitätspolitiken sowie die Instrumentalisierbarkeit als ethnisch deklarierter Wesensmerkmale ziehen sich alltäglich durch die massenmediale Berichterstattung und tragen insofern zur Produktion und Reproduktion von gefährlichem Halbwissen bei, als dass ihre Erklärungskapazitäten nicht über den Punkt einer bloßen Stigmatisierung des „Ethnischen“ hinausgehen sowie Rasse, Kultur und Ethnizität als dämonisches Einerlei ohne charakteristische oder hervorstehende Elemente kommunizieren (Wolf 1993: 332). Lediglich die Ausweisung eines Sachverhalts, Konflikts, einer Gruppe von Menschen oder von kulturellen Handlungen als „ethnisch“ machen jede weitere Bemühung, den bestimmten Sachverhalt genauer zu durchleuchten, nicht notwendig. Doch gerade die schwere Fassbarkeit von Ethnizität ist die große Stärke dieses Konzepts, da sie die rückhaltlose Nutzbarmachung sowie den globalen Expansionsfeldzug in der modernen Welt verbrieft. In einer Flut von Publikationen haben sich Wissenschaftler der Genese, Struktur und Funktion des Begriffs angenommen und waren sich dabei einig, dass es sich bei der Ethnizität nicht um eine aus der Historie überkommene bzw. uralte menschliche Errungenschaft handelt, sondern um ein sehr junges Phänomen. Die Eingangsfrage lautet folglich: Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen

56

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

spielten bei der Emergenz dieses Konzepts eine wesentliche Rolle und wie kann dieser Terminus für die vorliegende Studie nutzbar gemacht werden? Der Protagonist der ethnischen Erweckungsbewegung in den Vereinigten Staaten der 1970er Jahre und zugleich Herausgeber der Zeitschrift Ethnicity, Andrew Greely, fällt mit der nachfolgenden Aussage ein kategorisches Urteil: „Ethnizität ist ein Teil von Amerika wie die Rocky Mountains oder der Mississippi“ (Greeley 1971: 15). Diese Behauptung bedarf erklärender und zum Teil auch korrigierender Kommentare. Kaum Zweifel besteht daran, dass der Begriff in den 1960er und 1970er Jahren im angloamerikanischen Raum kreiert wurde, als man sich dort mit gesellschaftlichen Phänomenen wie dem Fortbestehen ethnischer Identitäten im großstädtischen Raum, einer zumeist von Afroamerikanern vollzogenen Binnenmigration aus den wirtschaftlich weniger entwickelten Südstaaten in den nördlichen industrial belt, der Bürgerrechtsbewegung sowie einer zunehmenden Ethnisierung und Kulturalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen gegenübergestellt sah (Elschenbroich 1986: 131ff.). Unter dem Einfluss von urbanem Bevölkerungsanstieg infolge anhaltender Immigrationsströme verzeichneten US-amerikanische Soziologen wie Nathan Glazer und Daniel P. Moynihan (Glazer/Moynihan 1963; Dies. 1975) eine Aufrechterhaltung von Differenzen zwischen ethnisch-nationalen Gruppen, die unweigerlich die Dekonstruktion der aus der Chicagoer Schule der Soziologie herrührenden Idealvorstellung des melting pot (Takaki 1993), also einer assimilatorischen Anpassung an eine als homogen gedachte US-amerikanische Leitkultur, zur Folge hatte. Ein weiterer Grund, der jedoch diesmal außerhalb der Vereinigten Staaten zu suchen ist, ist verknüpft mit der Revitalisierung ethnischer Identitäten in der postkolonialen Situation der Unabhängigkeit erlangt habenden Staaten in der „Dritten Welt“, in denen die ehemals mächtigen Kolonialherren infolge willkürlicher geopolitischer Strategien eine Staatsführung der Standardisierung und Partikularisierung durchsetzten, die künstliche primordiale Loyalitäten produzierte30, die nach der nationalen Souveränität in den eruptiv-blutigen Strudel ethnisch-politischer Zugehörigkeitskonflikte hineingezogen wurden (Tambiah 1994: 435f.). Ethnische Minderheiten entwickelten neue Organisationsformen, begaben sich auf die Suche nach neuen Identitäten und taten dies oft in Abgrenzung zu bestehenden Nationalstaaten. Ethnizität wird heute als Zusammengehörigkeitsgefühl, als Identitätskonstitution

30 Donald Horowitz äußerte sich dazu wie folgt: „The colonists often crated territories out of clusters of loosely linked villages and regions. […] Out of the welding together of local environments a great many new groups appeared, among them the Malays in Malaysia, the Ibo in Nigeria, the Kikiyu in Kenya, the Bangala in Zaire, and the Moro in the Philippines. Some such groups were „artificial“ creations of colonial authorities and missionaries, who catalyzed the slow merger of related peoples into coherent entities“ (Horowitz 1985: 66f.).

E INLEITUNG

| 57

(Antor 2005: 38) sowie als ethnischer Abgrenzungsvorgang in Form von Selbstund Fremdzuschreibungen einer Gruppe begriffen, die sich explizit auf Eigenschaften wie einen gemeinsamen Namen, eine gemeinsame Herkunft, Sprache, Religion, Geschichte, ein gemeinsam bewohntes Territorium und Solidaritätsverpflichtungen gründet (Orywal/Hackstein 1993: 599; Kottak 2011: 127). George DeVos definiert es als „[the] subjective symbolic or emblematic use of any aspects of culture [by groups], in order to differentiate themselves from other groups“ (DeVos 1945: 16). Ubiquitäre Schlagworte, die sich in diesen und anderen Definitionen niederschlagen, sind „Symbolik“, „Bedeutung“, „Identität“, „Kohäsion“, „Solidarität“ und „Zugehörigkeit“ sowie der Verweis darauf, dass ein kognitives Bewusstsein von Differenz in der menschlichen Interaktion ausgebildet wird. Jene Typen sozialer Kollektive, die so genannten Identitätsgruppen oder Gruppen mit gleichen Interessen, gründen sich auf gemeinsam geteilten Eigenschaften des sozialen Verhaltens, ihr ethnisch ausgebildetes Bewusstsein lässt sich ausschließlich durch ihren relationalen Charakter zu einem Gegenüber verdeutlichen, weil zunächst Solidaritäten und Analogien zur eigenen ethnischen Gruppe31 hergestellt werden, dies aber gleichzeitig eine kulturelle Distinktion ermöglicht. So ist eine ethnische Gruppe nach Anthony Smith „a type of cultural collectivity, one that emphasizes the role of myth of descent and historical memories, and that is recognized by one or more cultural differences like religion, customs, language, or institutions“ (Smith 1991: 20). Hier wird neuerlich ersichtlich, dass bei Ethnisierungsprozessen dem Glauben an eine gemeinsame Geschichte, die eine spezielle Retrospektive voraussetzt, eine identifikatorische und legitimatorische Kraft zugesprochen wird, denn eine ethnische Gruppe ohne Heritagiesierung der kulturellen Vergangenheit, ohne kontinuierliche Weiterführung des Vergangenen in die Handlungsprämissen der Gegenwart, ohne geschichtliche Identität und Ideologie ist kaum zu denken. Der im Zitat von Smith hervorgehobene mythische Gehalt, der als die aus entlegener Zeit stammende und nicht prüfbare Entstehungsgeschichte einer Ethnie bezeichnet werden kann und stets im komplexen Verschmelzungsvorgang von Erinnern, Vergessen, Interpretieren und Erfinden zu lokalisieren ist, kann nicht auf die objektiv-korrekte Faktizität der historischen Wahrheit geprüft werden; vielmehr stehen für Kulturanthropologen dessen Funktion für die praktizierende Gruppe in der Gegenwart im Vordergrund

31 Bereits Max Weber hielt hierzu fest: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche aufgrund von Aehnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitte oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, daß dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ,Sippen‘ darstellen, ,ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht“ (Weber 1980: 237).

58

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

(Eriksen 1993: 72; Harris 1999: 16f.). Aufrechterhaltung gruppenspezifischer Bindekraft, Stützung und Steigerungen der Binnenintegrität sowie Errichtung sozialer Netzwerke und kommunizierbarer Muster können weitgehend als zweckgebundene Faktoren der mythischen Erinnerungsarbeit betrachtet werden. Vergangenes durchläuft sozusagen einen selektiven Qualitätsfilter, der nur für die ethnische Gruppe als hochwertig ausgelegte historische Bruchstücke koliert, die dann als Instrumente bei der Fabrikation der ethnischen Vergangenheit strategiewirksam zum Einsatz kommen. Auf der einen Seite besitzt die als Ressource instrumentalisierte Vergangenheit eine konzedierende Funktion, die den Individuen kulturelle und historische Symbolik aus der eigenen Ethnogenese bereitstellt, mit der sie sich identifiziert bzw. auf die sich stützen kann. Auf der anderen Seite wird eine Verbindungslinie zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hergestellt, die der Gruppe allgemein verständliche Expressionen und emische Vokabeln zur Durchdringung des sozialen Gefüges in der Gegenwart zugänglich macht, um einen artifiziellen Status quo nicht selten unter machtpolitischen und wirtschaftsstrategischen Gesichtspunkten intentional für die eigene ethnische Gruppe einzufordern. Dass die Bezugnahme auf die mythische Herkunft nicht mit den sachlichen, der „objektiven“ Wahrheit entsprechenden Fakten einer ethnischen Historie korrespondiert, da sie durch die Linse der Empfindung, des retrospektiven Bedauerns der „heilen Welt“ bzw. der Sehnsucht nach dieser betrachtet wird, wurde bereits festgestellt. So müssen wir bei der ethnischen Vergangenheit davon ausgehen, dass sie stets ein Resultat subjektiver Rekonstruktion ist (Roosens 1989: 17). Der oft diskutierte Verweis der Ethnizität bzw. ethnischen Identität auf aus der Vergangenheit abgeleiteten historischen sowie kulturellen Signifikanten ergeben aber nur im Kontext der gegenwärtigen Umstände, den Herausforderungen sowie den Interessen der Jetztzeit einen Sinn, weil Gruppen, wie Eugeen E. Roosens ausführt, „manipulate and re-create or invent the old in order to attain the new“ (ebd.: 156). Aus diesen utilisierenden Banden der Zusammengehörigkeit erschließt sich das kollektive Werden einer ethnischen Gruppe. Bei der theoretischen Betrachtung der Ethnizität haben sich im Laufe der letzten vierzig Jahre zwei antagonistische Perspektiven oder Schulen herauskristallisiert, die das Konzept seit dem Jahre 1963 unterschiedlich bewerten. In diesem Jahr erschien sowohl die für den Primordialismus wegweisende Publikation Old Societies and New States von Clifford Geertz als auch die in der Tradition des Situationalismus argumentierende Ausgabe Beyond the Melting Pot von Nathan Glazer und Daniel P. Moynihan. Vertreter des Primordialismus oder Essenzialismus gehen von der Hypothese aus, dass die Bindungen einer ethnischen Gruppe stets auf ursprüngliche, also primordiale Beziehungen zurückzuführen seien, die durch schicksalhafte Geburt in eine Familie sowie das Heranwachsen innerhalb einer Gruppe entstehen (Issacs 1975: 38). Anhand dieses konstitutiven Elements, das durch die genetischen Grundlagen der Geburt in eine Gruppe determiniert ist, geht das Erklärungskonzept

E INLEITUNG

| 59

der Primordialisten von einem in frühster Kindheit „natürlich“ erworbenen Set kultureller Muster wie Sprache, Abstammung, Religion, soziales Verhalten usw. als gemeinsame Wesenheiten aus (Geertz 1973: 259f.; Ders. 1963).32 Edward Shils, der den Begriff „primordial“ 1957 als Erster in den Diskurs getragen hat, verstand darunter ein Band, das eine Kontinuität der Mitglieder einer Primärgruppe zu ihrer gemeinsamen Abstammung und ihrem gemeinsamen Territorium herstellt. Diesem Band der Zusammengehörigkeit zwischen Verwandten, Personen aus einer Region und Mitgliedern derselben Religion wohne ein unauslöslicher und zwingender Charakter inne, der eine allumfassende Solidaritätsverpflichtung untermauere (Shils 1957). Im Stile der deduktiven Mutmaßungen – die ohne jegliche empirische Verifizierung auskam – ging der primordiale Ansatz davon aus, dass Identitäten als givens oder attachment (Geertz 1973: 259f.) a priori vorlägen, der sozialen Interaktion bzw. Erfahrung des Menschen vorgeschaltet seien und aufgrund des Hineingeborenwerdens eines Individuums automatisch angenommen würden. Gleichzeitig kommt den hier dargelegten Elementen zur Entstehung von Ethnizität das Charakteristikum zu, nicht beschreibbar zu sein, weil sie sich infolge ihrer „natürlichen Gegebenheit“ als unfassbare, unerklärliche, nicht zu bewältigende und der AprioriLogik folgende soziale Kräfte herausstellen. Zu guter Letzt führt uns die Affektivität des Erklärungsmodells zu der essenziellen emotionalen Wesensart der primordialen Ethnizität, die nicht müde wird, konstant auf die Verbindungen, Bande sowie Anbindungen hinzuweisen, wenngleich dies angesichts seiner irrationalen, persistenten und durchdringenden Natur unweigerlich eine Selbstdisqualifizierung in der weiteren wissenschaftlichen Debatte über ethnische Identität nach sich zog (Eller/Coughlan 1993). Der Grundgedanke der Instrumentalisten geht hingegen von einer Zweckrationalität der Menschen aus, deren kulturelle Gemeinsamkeiten unter dem Deckmantel der Ethnizität einer strategiewirksamen Manipulation bzw. Fabrikation nach dem Nützlichkeitsprinzip unterliegen, bei der externe Kräfte wie ethnische Anführer oder Eliten politisierend gruppenspezifische cultural markers, hier zum Beispiel Entstehungsmythen aus der Ethnogenese einer Minderheitengruppe oder „the same blood“ (Roosens 1989: 15), selektiv herausgreifen, so dass mittels einer inszenierten Kulturalisierung dieser eine Definition der „Wir-Gruppe“ (Elwert 1989: 38ff.) in Abgrenzung zu den fremden Anderen vollzogen werden kann (Galizia 1996: 243f.; Hall 1999: 93). In der hierzu publizierten Forschungsliteratur spricht man bei diesen Formen der künstlichen Revitalisierungsversuche bzw. strategisch-

32 Der kulturanthropologisch verstandene Primordialismus von Geertz geht konträr zu den Vorstellungen eines soziobiologischen Primordialismus, weil er nicht von der Abstammung als entscheidendem Kriterium ausgeht, sondern vielmehr die soziale Integration in eine Gruppe als wesentlich ausweist.

60

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

manipulativen Mobilisierungsprozesse, die über eine vertikal ausgerichtete Integration den in eine Gemeinschaft zusammengebundenen Mitgliedern das Gefühl von Dazugehörigkeit spenden, von der invention of ethnicity (Sollors 1989)33, mit der im innergesellschaftlichen ökonomischen Konkurrenzkampf mit symbolischer Bedeutung belegte Nischen gegen eine Inkorporation der fremden „Die-Gruppe“ verteidigt werden. Ethnizität wird demnach utilitaristisch erklärt. Auf die zunehmende Erosion kulturaler Traditionen, die infolge der ökonomischen Modernisierung, kulturellen Säkularisierung, Enttraditionalisierung und geistigen Nivellierung zu alltagskulturellen Grundkonstanten einer „heillosen Welt“ zählen, trachten Gruppen von Menschen mit dieser kompensatorischen Sinnsuche nach grundlegenden und identitätsstiftenden Werten. Aus berechtigtem Grunde wurde darauf hingewiesen, dass dieses Muster der Ethnisierung höchst artifiziellen Charakter besitzt, weil auf der Suche nach traditionellen Artefakten und Bruchstücken aus der Historie, die zur ingeniösen Erfindung von Ethnizität konstitutiv sind, immer höchst selektiv verfahren wird und ausschließlich das als kulturell hochwertig klassifiziert, was mustergültig in die Differenzmarkierungen gegenüber anderen Interessengruppen politisch-instrumentell in die Waagschale geworfen werden kann. Bei diesem Vorgang geht es nur sekundär um die realen Geschichten bzw. um ein historisch kondensiertes und allgemein beglaubigtes Wissen im Sinne einer Erinnerungsarbeit, sondern mehr noch um eine ethnische Bearbeitung von migrantischen Biografien, bei denen kulturellen Erscheinungsformen jüngeren Datums das Prädikat des Althergebrachten angedichtet wird (Apitzsch 1999a: 13). Darum kann Ethnizität immer nur als subjektiver Prozess ausgegeben werden, eben weil er sich auf der Basis von vorgeblich „objektiven“ oder gemeinsam geteilten kulturellen sowie geschichtlichen Markierungen konstituiert, sich auf diese beruft bzw. auf diese explizit verweist. Bedenkliche Stimmen, die an den apriorischen bzw. affektiven Grundvoraussetzungen des Primordialismus scharfe Kritik übten, ließen nicht lange auf sich warten und wiesen darauf hin, dass die mit dem Essenzialismus einhergehenden Vorstellungen von „natürlicher Wesenheit“, „substanziellen Gemeinsamkeiten“ und „historischer Kontinuität“, um die primordiale Verknüpfungen arrangiert sind, den situationalen und konstruktivistischen Gesichtspunkt von kollektiven sowie personalen Identifikationsprozessen nicht genügend berücksichtigen (Beer 2003b: 57f).

33 Sollors legt einen Schwerpunkt auf die Selbstethnisierung einer Gruppe, während WolfDietrich Bukow eher der dialektischen Einheit von auf Diskriminierung basierender Fremdzuschreibung nachgeht. Einerseits fördert die Ethnisierung der marginalisierten „Wir-Gruppe“ die ethnische Geschlossenheit (Inklusion), was bei der Minderheit ein gruppenspezifisches, ethnisches, lokales, regionales oder nationales Bewusstsein hervorruft und wodurch andererseits eine Distanzierung zur „Die-anderen-Gruppe“ (Exklusion) erst ermöglicht wird (Bukow 1992: 141).

E INLEITUNG

| 61

Fürsprecher des Situationalismus oder Konstruktivismus, deren Ansichten in den Kulturwissenschaften seit den 1980er Jahre verstärkt rezipiert wurden, opponierten gegen die primordiale Sichtweise insofern, als dass sie Grenzziehungsprozesse zum Ziele einer kollektiven Identität als „situationsabhängig“, „kontextuell“, „sozial konstruiert“ und als „verhandelbar“ begriffen und des Weiteren argumentierten, dass diese stets als Ergebnis von Diskursen und sozialen Handlungen gelten müssten (Eriksen 1993: 59). Im Zuge dieser neuen Sichtweisen und Perspektiven auf Kultur bzw. der emischen Hinwendung zu kulturalen Lebenswelten wurde innerhalb der Ethnowissenschaften unter der Losung „rethinking anthropology“ der Wunsch geäußert, Forschungsparadigmen und Methodendesigns mit den sich verändernden Untersuchungssubjekten in Einklang zu bringen (Hymes 1972). Ethnizität wird somit als soziales Konstrukt (Sökefeld 2007: 33) interpretiert, um der Dynamik, der Kontextualisierung, dem Prozesscharakter und dem konsequenten Wandel von Ethnizitätszuschreibungen sowie der vom Menschen gemachten Ausdifferenzierung gerecht zu werden. Die bewusste Entscheidung bzw. die intentionale Verwendung ethnischer Abgrenzungskriterien avancieren bei der Eigen- und Fremdethnisierung, so Ina-Maria Greverus, zum wichtigen Bestandteil des persönlichen Identitätsmanagements (Greverus 1981: 224).34 Ein Verweis auf den hohen Grad von Situationalität, der die Validität und Dissoziation statischer ethnopolitisch-ideologischer Grenzziehungen konsolidiert, insistiert gleichzeitig auf den wichtigen Aspekt, dass Gruppenidentitäten und Loyalitäten kontinuierlich in Zusammenhang mit vom Wandel unterworfenen zeitlichen, räumlichen, gesellschaftlichen, politischen, religiösen und kulturellen Konstellationen stehen. Dies meint, Gruppen bzw. Individuen können aus einer Myriade an Identitäten wählen, so dass es zum „identity switching“ (Lyman/Doughlass 1973: 357) kommen kann. Die von den Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luhmann konstatierte gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit – und somit auch der ethnischen Zugehörigkeit – wird in erster Linie bestimmt durch Regelmäßigkeiten einer situativen und kontextabhängigen Aushandlung, d. h., Ethnizitätsproduktion wie -repräsentation sind nicht ohne die Interferenz von spezifischen Variablen zu denken (Hackstein 1989: 5). Die implizierte Verfasstheit von Ethnizitätsentwürfen verweist synchron auf die Vielfältigkeit von Lebens- und Wirklichkeitsentwürfen. Der revolutionäre Wendepunkt, der konstruktivistische Erklärungsmodelle von ethnischer Identität in den Sozial- und Kulturwissenschaften salonfähig machte und bezüglich der Gegenstandsbestimmung richtungweisende Programmatiken zur Verfügung stellt, kann mit der Herausgabe des ethnologischen Klassikers Ethnic

34 Bei Goffman findet sich bereits neun Jahre vor der Publikation von Greverus in „impression managment“ ein ähnlicher Erklährungsansatz (Goffman 1972: 208f; Abels 2006: 320ff.).

62

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Groups and Boundaries durch den norwegischen Kulturanthropologen Fredrik Barth im Jahre 1969 in Verbindung gebracht werden. Barth dementierte die Existenz der seitens des Primordialismus propagierten „objektiven“ kulturellen Unterschiede und bekräftigte in seinen Ausführungen zur Ethnizitätsbildung, dass vor allen Dingen Prozesse der sozialen Interaktion, Grenzziehung sowie Selbstzuschreibung und Fremdkennzeichnung zwischen unterschiedlichen Gruppen dafür verantwortlich seien (Barth 1969a: 10), dass sich kulturelle Differenzen herauskristallisieren. Die aus einem ständigen Kontakt zweier oder mehrerer Gruppen bzw. ihrer Mitglieder resultierende ethnische Grenze, die Grundkonstante der argumentativen sowie konzeptionalisierenden Beweisführung Barths, macht das definitorische Charakteristikum einer Gruppe aus, und nicht das kulturelle Material, das von dieser Grenze umgeben ist: „The critical focus of investigation from this point of view becomes the ethnic boundary that defines the group, not the cultural stuff that it encloses“ (ebd.: 15). Diese soziale und kulturelle Demarkationslinie kann aber nur dann erfolgreich vollzogen werden, wenn sie von den Akteuren in Dichotomisierung zu Fremden, deren Existenz jenseits der eigenen Grenzen verortet wird, in alltäglichen Handlungen, Identifizierungen sowie durch Inklusions- und Exklusionsmechanismen ausgehandelt und neuerlich reproduziert wird (Sollors 2001: 4816): „When defined as an ascriptive and exclusive group, the nature of continuity of ethnic units is clear: it depends on the maintenance of a boundary“ (Barth 1969a: 14). Den zur Identifizierung der ethnischen Grenze verwendeten kulturellen Merkmalen gesteht der Autor eine dynamische Flexibilität zu, weil die kulturellen Inhalte vom Menschen je nach subjektiv empfundener Interessenlage permutiert werden können, wenngleich ein Kontinuum bei der Dichotomisierung zwischen Mitgliedern der eigenen ethnischen Gruppe und Außenseitern weiterhin Bestand haben muss. So ist die Wahrnehmung der Grenze, d. h. der Dichotomisierung anderer als Fremde, in gleichem Maße auch mit dem Prozess des Verstehens der Eigenkulturalität verknüpft. Das innovative und für die spätere Konzeptionierung ethnischer Prozesse respektable Potential der während der Feldforschungen bei den Paschtunen Afghanistans eruierten Ergebnisse lag darin, dass Mitglieder dieser Gesellschaften nur spezifische kulturelle Versatzstücke aus der Diversität der elementaren Lebensvollzüge selektiv auswählen, um ein recht flexibles ethnisches Selbstbild von sich zu kreieren (Barth 1969b; Heinz 1993: 131). Resümierend hält Barth die Selbst- und Fremdzuschreibungen für das zentrale Spezifikum der ethnischen Gruppe, die mittels kultureller Versatzstücke die Abgrenzung innerhalb der Interaktionsebene vollzieht. Mit der Intonation auf der ethnischen Wechselbeziehung hebt er sich von der strukturalistischen und funktionalistischen Beweisführung der Ethnologen aus den 1940er und 1950er Jahre in aller Deutlichkeit ab, die die Untersuchungseinheiten „Volk“, „Stamm“, oder „Ethnie“ als isolierte Entitäten im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines „funktionierende[n] System[s]“ untersuchten (Scheffler 1985: 23). Die nach Fredrik Barth fortgeführte Debatte über ethnische

E INLEITUNG

| 63

Zusammensetzungen hob neuerlich hervor, dass die interethnischen Forschungstätigkeiten des Norwegers im nordwestlichen Pakistan und im Gebiet des angrenzenden Afghanistans insofern wissenschaftliches Neuland bearbeiteten, als dass sie der ethnischen Komplexität gerecht zu werden versuchten, in dem Barth darauf verharrte, dass bei den Paschtunen und Balutschen weder präzise noch festgelegte Grenzlinien sozialer, politischer, kultureller oder linguistischer Provenienz existierten (Despres 1975: 190). Bei der Weiterführung und Entwicklung dieser Thesen waren es in erster Linie die in der Argumentation von Barth auftretenden blinden Flecken, die Kritiker auf den Plan riefen und die auf die ungleiche Machtverteilung sowie Aspekte der Fremdzuschreibung hinwiesen. Herauszuheben ist hier der britische Sozialanthropologe Marcus Banks, der in seiner kritischen Revision konkretisierte, dass Barth bei seinen analytischen Ausführungen Einflussnahmen auf die Prozesse von Eigen- und Fremdethnisierung ignorierte bzw. nur peripher wahrnahm, die administrativer, machtpolitischer und staatlicher Natur seien (Banks 1996: 76, zitiert nach Feischmidt 2007: 55). Konzeptionierungen von Kulturalisierung und Ethnisierung entwickeln ein sensibles Bewusstsein für den kulturellen Bezugsrahmen, in dem wechselseitig-reziproke soziale Mechanismen der Grenzziehung sowie Identifizierung für die ethnischen Gruppen bestimmende Kriterien sind: „Its [ethnicity’s] varying importance, or varying semantic density, can only be appreciated through a comparison of context, which takes account of differences in the meanings which are implied by those acts of communicating cultural distinctiveness which we call ethnicity […] it is my contention, therefore, that the cultural contexts of ethnic differences should not be ignored in description and analysis“ (Eriksen 1991: 130).

Zusammenfassend können die in diesem Kapitel ausgeführten Argumentationen über das in den Sozial- und Kulturwissenschaften weitverbreitete Konzept der Ethnizität in dem vorläufigen Befund enden, dass ethnische Identität ein immerwährender Sozialisationsprozess ist, in dem anhand von situationsspezifischer In- und Exklusion bestimmter kultureller Merkmale oder Traditionen ein an der Lebenswelt orientiertes Wissen über gruppenspezifische Eigen- und Fremdkulturalität entwickelt wird, so dass konvergente sowie oppositionelle Identitäten entstehen. Über Zeitkontinuen verändern sich die reflexiven Selektionsmechanismen von mit symbolischer Bedeutung belegten kulturellen Versatzstücken, was nicht nur auf die Prozesshaftigkeit, Unabschließbarkeit und Asynchronität ethnischer Grenzziehungen verweist, sondern ferner seinen konstruktivistischen Gehalt betont (Welz 1994: 79f.; Wagner 1975). Folglich werden ethnische Identität und Ethnizität nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern als an bestimmte Interessen angebundene, flexibel verhandelbare sowie situations- und kontextabhängige Konstruktionen verstanden, die in ein kulturelles Setting integriert sind. Eine diesem Begriff immanente und nicht zu verleugnende Unschärfe in Bezug auf stringente Bestimmungskri-

64

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

terien konnte auch in der Vielzahl der bis dato hierzu publizierten Forschungsliteratur nicht hinlänglich behoben werden, was jedoch seiner alltäglichen Verwendung in keiner Weise abträglich zu sein scheint. Ganz im Gegenteil erfährt er gerade dort eine tendenzielle Proliferation. Die Ethnologin Carola Lentz berücksichtigt diesen Sachverhalt, wenn sie in ihrer Habilitationsschrift den Terminus „Ethnizität“ als „schillerndes Konzept“ ausweist, das unlängst aus den wissenschaftlichen Sphären der Kulturwissenschaften herausgerissen wurde und nun zum „handlungsrelevanten Wortschatz“ von Häuptlingen, Politikern, lokalen Intellektuellen und sozialen Bewegungen avanciert sei (Lentz 1998: 31). Die Eigendynamik ethnischer Konstrukte für sich instrumentalisierend, interessieren sich politische Diskurse von Meinungseliten weniger für die wissenschaftlich-diskursiven Debatten über Ethnisierung, sondern sie sind vielmehr mit Berufung auf die Wissenschaftlichkeit darum bemüht, die Grenzen einer legitimen Reichweite geopolitischer Entscheidungen, die eine ontologische Existenz menschlicher Gruppen (Ethnie, Volk, Stamm, tribe) propagieren, auszutesten. So diffundierten vorgestrige primordiale Kulturkonstrukte aus der theoretischen Mottenkiste der Kulturanthropologie in von Nationalisten und ethnischen Führern verwendete propagandistisch-ideologische Slogans eines wie auch immer getakteten Fundamentalismus, der zur Politisierung, Radikalisierung und nicht zuletzt zur innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Destabilisierung demokratischer Grundstrukturen aufruft (Handler 1985: 171). 1.3.7 Immigrationsforschung im „klassischen“ Einwanderungsland Australien Unternehmen wir im urbanen Setting Sydneys als von Empathie geleitete Forschende einen ethnologischen Erkundungsspaziergang, den Roland Girtler unlängst in seinen zehn Geboten der Feldforschung als wichtige sowie entscheidende Voraussetzung für interkulturelle Fremdwahrnehmung gekennzeichnet hat (Girtler 2004: 51ff.), so bleibt in den zahlreichen Vororten wie Crows Nest, Chatswood, Mosman, Cabramatta, Rose Bay und Lakemba unverkennbar, dass der kulturelle Pluralismus und die ethnische Heterogenität eines der zentralsten Charakteristika ist. Für einen aufmerksamen Beobachter, der die Lektüre der zwei wohl prominentesten bzw. am meisten gelesenen Zeitungen der Metropole, des Sydney Morning Herald und The Australian, nicht vernachlässigt sowie dem aus der multikulturalistischen Revolution hervorgegangenen Fernsehsender Special Broadcasting Service (SBS) ausreichend Aufmerksamkeit schenkt, sind es die Tagesaktualität besitzenden Themen wie Immigrationsströme, Multikulturalismus, als ethnisch etikettierte Spannungen, staatlich auferlegte Flüchtlingsrestriktionen sowie das oft in Rede stehende „Aufeinanderprallen der Kulturen“, die in rhythmischen Abständen journalistisches, gesellschaftliches und politisches Interesse wecken. Populistische

E INLEITUNG

| 65

Meinungsäußerungen, wissenschaftliche Dispute, heterogene Leserkommentare sowie eine enorme Bereitschaft zur Partizipation an diesen Auseinandersetzungen um die positiven wie negativen Folgen und Nebenwirkungen des auf konstanten Immigrationsraten basierenden ethnischen Pluralismus kennzeichnen einen großen Teil der australischen Medienlandschaft und zeigen darüber hinaus den Willen, den Werdegang zu einer modernen Form des Zusammenlebens aktiv mitzugestalten. Dies ist nur mehr als verständlich, ist doch die Geschichte Australiens gleichzeitig die Geschichte seiner Migration. Kurz formuliert: Australien wäre ohne Migration nicht zu denken. Abseits des im öffentlichen und medialen Bewusstsein stärker ausgeprägten Phänomens der Massenmigration im 19. und 20. Jahrhundert darf nicht Diskretion darüber bewahrt werden, dass bereits die australischen Ureinwohner, die Aborigines, vor etwa 40.0000 bis 50.000 Jahren von Asien nach Australien eingewandert sind und damit die Historiografie des australischen Kontinents nicht, wie von britischen Kolonisatoren und Geschichtsschreibern des Empire fälschlicherweise angenommen, mit der Landung von Kapitän Arthur Phillip in Sydney Cove 1788 beginnt, sondern schon in der letzten Eiszeit. Um die gegenwärtige australische Gesellschaftskonstellation in ihrer Genealogie und Genese zu verstehen, die immer als Produkt historischer Arrangements zu betrachten ist, behelfen wir uns mit einem Blick in die Vergangenheit, denn das Verständnis für eine Kultur der Klaviatur kann auf dem Fünften Kontinent auf eine noch nicht allzu lange Tradition zurückblicken. Es werden keine Neuigkeiten verbreitetet, wenn erwähnt wird, dass für viele Nationen das Ende des Zweiten Weltkriegs eine zeitgeschichtliche Zäsur bedeutete. Der unmittelbar nach 1945 zu bewältigende Scheideweg charakterisiert in mehrfacher Hinsicht einen kontradiktorischen Wendepunkt in der australischen Geschichte, weil sich graduell die Gewissheit verbreitete, dass der ursprünglich als europäischer bzw. britischer Außenposten konzipierte Fünfte Kontinent nur unter den Voraussetzungen eines gewaltigen Bevölkerungszuwachses am weltumspannend einsetzenden Wirtschaftswachstum profitieren konnte. Ausgangspunkt meiner Argumentation bildet zunächst die unmittelbare Nachkriegszeit, genauer gesagt das Jahr 1948. Zensusdaten veranschaulichen nachfolgendes Bild: Annähernd 90 Prozent der Gesamtbevölkerung sind in Australien geboren, d. h., sie können als direkte Nachfahren der „weißen Siedler“ aus England, Schottland, Wales und Irland angesehen werden, und spiegeln simultan ein Produkt der Immigrationsrestriktionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert wider (Hollinsworth 1998: 225). Um es in die Worte der kulturellen Identität zu kleiden, hat es die von staatlich-administrativer Seite konzipierte Regulierung der Einwanderung, die rassischen und ethnischen Kriterien folgte, erreicht, dass Australien, verglichen mit gegenwärtigen Standards, über eine ungewöhnlich homogene Gesellschaftsstruktur verfügte. Eine alle Gesellschaftsschichten graduell durchziehende ethnische Homogenität ging einher mit einem ausgeprägten politischen Konservatismus, einer konformistischen und intoleranten Grundhaltung gegenüber jeglicher Form von Fremd-

66

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

heit, einer unterschwelligen Xenophobie sowie einem eher klassischen Verständnis von Geschlechterdifferenz (Clark 1986: 205ff. u. 316f.). Kulturelle Institutionen, Muster, Traditionen und Ordnungen waren nach wie vor mehr oder weniger Adaptionen des britischen Empire. Der koloniale Ableger des Mutterlandes war darauf erpicht, seinen britischen Charakter gegenüber jeglichen fremdkulturellen Invasoren zu verteidigen, so dass der Einteilung der Bevölkerung nach rassischen und ethnischen Kriterien seit Beginn der weißen Besiedlung eine herausragende Bedeutung zugesprochen wurde. Stellen wir jedoch 40 Jahre später die gleiche Frage, so fällt das Ergebnis gänzlich anders aus. Ein kultureller Pluralismus sowie anhaltende und sich intensivierende Bestrebungen hinsichtlich einer multikulturellen Gesellschaftsform, verstanden als essenzielles, integratives Ideal, kennzeichnen die nachfolgenden formativen Dekaden Australiens. Nach einer über mehrere Jahrzehnte zu erkennenden Beharrung auf rassischer Segregation sowie der Beibehaltung von mannigfaltigen Abschottungsstrategien gegenüber physischer und kultureller Andersartigkeit stellt sich durchaus die berechtigte Frage, welche Indikatoren, normgebenden Instanzen und Veranlassungen für diesen plötzlichen Sinneswandel verantwortlich sind. Die Revision einer Vielzahl von politisch motivierten Restriktionen bei der Aufnahme von Immigranten schlägt sich in der hierzu publizierten Forschungsliteratur unter dem viel zitierten Slogan populate or perish nieder, einer der größten Bevölkerungskampagnen der Nachkriegszeit.35 Dieser hier zu verzeichnende Umschwung war hauptsächlich ökonomischer Natur, denn ein anhaltendes Anschwellen der kapitalistischen Weltwirtschaft sowie der Aufschwung der Binnenindustrie während des Zweiten Weltkriegs legten den Grundstein für die Expansion des sekundären Wirtschaftssektors. Das nun aufkeimende Bedürfnis nach Arbeitsmigranten war enorm und in Anbetracht der niedrigen Geburtenraten in den Jahren der Depression um 1930 konnte der Bedarf an neuen Arbeitskräften nicht aus eigener Kraft bewältigt werden. Erschütternde Erinnerungen rief des Weiteren die Bombardierung Darwins und Sydneys sowie die Landung japanischer Streitkräfte in Timor hervor, so dass eine Landnahme des Feindes während des Zweiten Weltkriegs im-

35 Es muss deutlich gemacht werden, dass diese Kampagne Gedankengut der White Australia Policy weiterführte, um eine kulturell homogene und kohäsive Gesellschaft, wie sie seit der Kolonisierung der Terra Australis im Jahr 1788 Bestand hatte, aufrechtzuerhalten. Für die politische Realisierung dieses in der Öffentlichkeit nahezu allgegenwärtigen Vorhabens war der damalige Vorsitzende des Federal Department of Immigration, Arthur Carwell, zuständig, der seine Absichten wie folgt zu verstehen gab: „It is my hope […] that for every foreign migrant there will be ten people from the United Kingdom“ (Appleyard 1964: 35). Einen unzweideutig rassitischen und ausgrenzenden Standpunkt nimmt ebenfalls Harris ein: „We do not want anybody who looks, speaks or thinks very differently from ourself“ (Harris 1947: 137).

E INLEITUNG

| 67

mer reellere Züge anzunehmen schien. Sowohl die aufkeimenden Befürchtungen einer invasion from the people of the human anthill of Asia, was nur durch ein Intervenieren der US-amerikanischen Armee während der Offensive in der Korallensee verhindert werden konnte, als auch der Gedanke, mit einer zahlenmäßig sehr geringen Population von nur 7 Millionen Menschen das eigene Land gegen die übermächtigen asiatischen Feinde nicht adäquat verteidigen zu können, unterstrichen die Notwendigkeit und Dringlichkeit, Australien mehr Menschen über Migrationsprogramme zuzuführen. Konstant anhaltende Immigrationszahlen, die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden aus den globalen Kriegs- und Konfliktgebieten wie Vietnam, Kambodscha, dem Libanon, dem Irak und Afghanistan sowie die Anwerbung qualifizierter Arbeitsmigranten ergeben gegenwärtig eine demografische Gesamtbevölkerung von circa 21 Millionen Menschen, von denen 24 Prozent ihren Geburtsort nicht in Australien haben und somit zu den Migranten von Übersee zu zählen sind.36 Es versteht sich fast von selbst, dass dieses „klassische Einwanderungsland“ bei einem so hohen Input von überseeischen Einwanderern logistische, geistige, organisatorische und wirtschaftliche Anstrengungen aufwenden musste, um Ideologien, gesetzliche Regelungen und politische Strategien zu konzipieren, die als Regulative ein multikulturalistisches Zusammenleben befördern und zur Bewältigung immigrationsbedingter Konflikte und Probleme einen Beitrag leisten konnten. Seit den in den frühen Nachkriegsjahren einsetzenden Immigrationswellen lässt sich eine von den Sozial- und Kulturwissenschaftlern ausgehende aktive Anteilnahme an der Produktion notwendiger systematischer, demografischer und statistischer Daten erkennen, welche die Konsequenzen der Migrationsströme für Faktoren wie ökonomisches Wachstum, Arbeitslosigkeitsraten, Rassismus und natürliche Umwelt verdeutlichen sollen. Dieser akkumulierte Wissensfundus trug desgleichen zu der Beantwortung der am neuralgischen Punkt ansetzenden Frage bei, inwiefern der zumeist als negativ konnotierte Einfluss der Menschen von Übersee die nationale Identität und soziale Kohäsion des australischen Staatskörpers nachhaltig beeinträchtigt. Eine von staatlicher Seite mit pekuniären Subventionen geförderte universitäre Auftragsforschung, so Ellie Vasta, verlieh den Migranten nicht nur eine Stimme, sondern beeinflusste ferner die politischen Entscheidungsprozesse der australischen Regierung, wenn es um gesellschaftsrelevante Fragen der Integration und eine gesetzliche Verabschiedung der daran anknüpfenden sozialen Dienst-

36 In ihrem Vortrag während des vom Goethe-Institut ausgerichteten Internationalen Symposiums „Städte – Sprachen – Kulturen“ in Mannheim bezog sich die Professorin für Kulturwissenschaft am Centre for Cultural Research der University of Western Sydney, Ien Ang, auf die statistischen Zensusdaten des OECD Factbook aus dem Jahre 2008 (Ang 2009).

68

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

leistungen ging (Vasta 2006: 14). In der konjunkturellen Hochphase der interdisziplinär ausgerichteten Immigrationsforschung kam es zu einer landesweiten Institutionalisierung gleich mehrerer Forschungszentren zu Interessenfeldern wie Multikulturalismus, Migration, Rassismus und ethnischer Segmentation, von denen an dieser Stelle das Centre for Immigration and Multicultural Studies der Australischen Nationaluniversität in Canberra, das Multicultural Centre der Universität Sydney, das Centre for Intercultural Studies der Monash-Universität in Melbourne sowie das Centre for Multicultural Studies der Universität von Wollongong exemplarisch genannt seien. Stellt man sich dem wohl etwas gewagten Unterfangen und versucht nur annähernd die ins Unermessliche ausufernde Forschungsliteratur zu den großen Schlagwörtern „Immigration“, „Multikulturalismus“ und „ethnischer Pluralismus“ in den Sozial- und Kulturwissenschaften Australiens zu überschauen, wird doch zumindest zweierlei deutlich: Zum einen sind es Akademiker aus der Geschichtswissenschaft, der Politologie, der Soziologie, der Geografie, der Demografie sowie der Anthropologie, die sich den unterschiedlichsten soziopolitischen Problemstellungen der Immigration annehmen. Zum anderen stechen die sich auf die Ergebnisse der Wissenschaftler berufenden politischen Manifeste, Prüfungsforschungen, Positionierungsschriftstücke und Consulting Papers in konstanten Abständen hervor, in denen neue politische sowie zum Teil idealtypische Maxime wie Konzepte zum Zusammenleben in Harmonie niedergeschrieben sind. Aus Gründen der Überschaubarkeit bzw. der eingeschränkten Fragestellung können und sollen in diesem Abschnitt nur kursorisch wie schlaglichtartig ausgewählte Wissenschaftler mit ihrer Forschungstradition aufgegriffen werden, die in ihrer ganz eigenen Art und Weise die australische Wissenschaftskultur bestimmten. Jean Isobel Martin (1923–1979), Professorin für Soziologie an der La Trobe University in Melbourne und später Senior Fellow an der Research School of Social Sciences an der Australian National University in Canberra, thematisierte in ihren Forschungsarbeiten zur Einwanderung eine ganze Anzahl von sich tangierenden Feldern wie Sozialpolitik, Familie, Verwandtschaftsbeziehungen, soziale Wohlfahrtsmechanismen und Ausbildung. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit untersuchte die damalige Studentin der Anthropologie und Soziologie Flüchtlinge im Bundesstaat New South Wales, gewann dabei tiefgründige Einblicke in die Alltagssituationen und avancierte infolgedessen zu einer scharfen Kritikerin der Assimilationsbestrebungen des australischen Staates. Sie schuf ein Bewusstsein für die Inkompetenzen der australischen Institutionen für Gesundheits- und Erziehungswesen und äußerte sich in ihren Publikationen besorgt darüber, dass der Staat sich zwar die kulturelle Vielfalt auf die politischen Fahnen geschrieben hatte, jedoch im Sinne einer ganzheitlichen Angleichung an die anglosächsische Leitkultur direktiv, manipulativ und korrektiv in die Lebensvollzüge der Menschen eingriff und wenig Verständnis dafür entwickelte, auf welcher Grundlage lokale migrantische Netzwerke basierten. Für Wissenschaft und Politik – Martin war Mitglied zahlreicher staatsführender Komi-

E INLEITUNG

| 69

tees und Autorin einer Vielzahl von parlamentarisch in Auftrag gegebenen Falluntersuchungen – galt die Publikation The Migrant Presence (Martin 1978)37 als Höhepunkt der lang angelegten Schaffenskraft einer Frau, die eine ganze Generation von Sozialwissenschaftlern gelehrt hat, soziologisch zu denken und zu schreiben. Sie gab den entscheidenden Impuls zur Diskussion um ethnische Autorisationen, in dem sie explizit auf Formen von migrantischer Diskriminierung und inäqualer Machtverteilung hinwies sowie für deren Lösung durch die Installation der diakonischen Fürsorgeorganisationen in den 1960er und 1970er Jahre einen wesentlichen Anteil beisteuerte (Castles 1990: 50). Ihr eindringlichstes Memento richtete sich gegen die auf Regierungsebene gängige negligeante Handhabung in Bezug auf eine einheitliche, kohärente sowie rechtliche Umsetzung der Philosophie des Multikulturalismus, die zwar gesetzlich unlängst implementiert und an den dazu publizierten Konferenzergebnissen, Bulletins sowie an dem universitären Curriculum abgelesen werden könne, jedoch, so Martin, einen stringenten politischen Handlungswillen anlässlich obligater soziopolitischer Konsequenzen der Migranten vermissen lasse (Martin 1978: 71). Speziell ihre zeitintensiven Forschungen bei osteuropäischen Displaced Persons (Martin 1965; Dies. 1972) sowie vietnamesischen Flüchtlingen38 erschlossen reichhaltiges ethnografisches Material und eröffneten Einsichten in von der Gesellschaft bzw. der Politik bisher nur peripher wahrgenommene oder gänzlich ignorierte alltagskulturelle Problem- und Konfliktsituationen von Menschen mit Migrationshintergrund. In ihrer Vorlesung Equality and Ideology von 1972 integrierte sie das erhobene Datenmaterial und sensibilisierte ihre Studenten mit ihrem analytischen sowie systematischen Feingefühl für eine Dekonstruktion und DeMystifizierung der als ideologisches Dogma ausgegebenen Assimilation, die ihrerseits von dem Gedanken getragen wurde, inwiefern und mit welchem strategischen Vorgehen eine Inkorporation des Gros der Immigranten in die australische Mehrheitsgesellschaft zu bewältigen sei. Rechnung trug sie den komplexen Mechanismen kultureller Adaptionen während des Ansiedlungsprozesses, der den Pfad der politisch-

37 Anlässlich des zwanzigsten Jubiläums dieses wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Meilensteins kam es zur Veröffentlichung einer Festschrift, die sich den Gedankengebäuden zum Multikulturalismus neuerlich annahm und diese auf die Anwendbarkeit in der Gegenwart prüfte (Hage/Couch 1999). 38 Martins Arbeiten über die ersten so genannten Boatpeople aus Vietnam konnten bis zu ihrem Tod im Jahre 1979 nicht vollständig abgeschlossen werden, so dass posthum Frank Lewins und Judith Ly diese Investigationen in einer Publikation zu einem erfolgreichen Ende brachten (Lewins/Ly 1985). Eine Zusammenschau der Schriften Martins über Ethnizität und Pluralismus findet sich in einem von Salomon Encel zusammengetragenen und mit einer Einführung versehenen Band (Martin 1981; siehe dazu auch Richmond 2000).

70

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

legislativ oktroyierten Staatsverordnung langsam zu verlassen schien: „[S]tudies which aim to encompass the complexity of the process of assimilation need to locate the immigrant in the particular social setting to which he had had to adopt […] Australia, for example, is not a homogeneous society“ (Martin 1965: 101). Pionierarbeit leistete neben Jean Martin ferner Jerzy Zubrzycki, ein polnischstämmiger Professor für Soziologie an der Nationaluniversität in Canberra, mit seiner Untersuchung über migrantische Lebensweisen in der Braunkohleindustrie des Latrobe Valley im Bundesstaat Victoria, die sich methodologisch auf extensive Feldforschungen, exemplarische Fallstudien und die Rekonstruktion von bewegten Biografien mittels Oral History stützt (Zubrzycki 1964). Er fand heraus, dass die zur Arbeit in der australischen Schwerindustrie rekrutierte migrant reserve army of labour aus Europa aufgrund struktureller Benachteiligung, unzureichender Sprachkenntnisse sowie eingeschränkter Berufsqualifikationen kaum bis keine Klassenmobilität aufwies und deswegen am unteren Rand des Arbeitsmarktes verblieb. Dies führte unweigerlich zu sozialem Rückzug, gesellschaftlicher Segregation und mentaler Verharrung in ethnischen Enklaven, was der vom Staate auferlegten Assimilationspolitik im höchsten Maße abträglich sei. Dem kulturalistisch-primordialistischen Ansatzes von Clifford Geertz verpflichtet, nahm Zubrzycki während seiner Tätigkeiten als Direktor am Australian Institute for Multicultural Affairs den bei Migranten zu beobachtenden Mangel an Gleichberechtigung bezüglich einer ausgewogenen Ressourcenverteilung in den Fokus und sprach sich mit Nachdruck für eine Chancengleichheit zwischen Immigranten und Ansässigen aus, die nur im Rahmen der theoretischen und praktischen Akzeptanz des ethnischen Pluralismus in Australien zu erreichen sei (Zubrzycki 1977: 130f.). In einem vom Australian Ethnic Affairs Council herausgegebenen Manifest, an dessen Entstehung Zubrzycki als Vorsitzender dieser von politischer Seite ins Leben gerufenen Kommission maßgeblichen Anteil hatte, heißt es apodiktisch: „We belief, therefore, that our goal in Australia should be to create a society in which people of non-Anglo-Australian origin are given the opportunity, as individuals or groups, to choose to preserve and develop their culture – their languages, traditions and arts – so that these can become living elements in the diverse culture of the total society, while at the same time they enjoy effective and respected places within one Australian society, with equal access to the rights and opportunities that society provides and accepting responsibilities towards is“ (The Australian Ethnic Affairs Counsil 1977: 16).39

39 Aus der Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden des Australian Population and Immigration Council, dem Demografen Wilfred David Borrie, entstand ein weiterer Report, der den Traditionalisten bzw. Kritikern der neuen Gesellschaftsform erwidernd gegenübertrat und darauf verwies, dass der Multikulturalismus bestehende Errungenschaften des austra-

E INLEITUNG

| 71

Mit auffallender Häufigkeit werden Zubrzycki und sein Kollege Walter Lippmann in der hierzu erschienenen Literatur als die „Architekten des australischen Multikulturalismus“ bezeichnet, da sie den Trägern der politischen Gewalt signifikante und an den alltagskulturellen Realien der sozialen Wirklichkeit erprobte Expertisen ausarbeiteten, die nachstehende Richtlinien für ein harmonisches Zusammenleben zum Inhalt hatten: 1. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, 2. Kulturelle Identität, 3. Chancen- und Zugangsgleichheit, 4. Gleiche Verantwortung, Verpflichtung und Mitwirkung in Bezug auf die Gesellschaft (Australian Council on Population and Ethnic Affairs 1982; Castles 1990: 52). Ihre Modellentwürfe arbeiteten insofern prohibitiv, als dass sie die Not- und Konfliktsituationen der Einwanderer, ihre finanzielle, wirtschaftliche sowie politische Marginalisierung bzw. Stigmatisierung als argumentativen Ausgangspunkt definierten und des Weiteren nah an der Praxis der Bedürftigen assistierende Programme der Unterstützungsbeihilfe und Sozialhilfe zur Realisierung brachten, die indirekt zur Stärkung der ethnischen Anführer beitragen sollten (Jakubowicz 1984: 33): „What we believe Australia should be working towards is not a oneness, but a unity, not a similarity, but a composite, not a melting pot but a voluntary bond of dissimilar people sharing a common politic and institutional structure. (Multiculturalism means) […] That the spokesmen (sic) for every culture should be heard, that they should have a chance to put their case in the community debate, that they should be taken seriously in high places. Among the groups that are ,in‘ (e.g. trade unions, employees, the established churches, the AMA) this dialogue goes on all the time […] Multiculturalism means ethnic communities getting into the act“ (The Australian Ethnic Affairs Counsil 1977: 17f.).

Im Nachhinein übte der aus Polen emigrierte Wissenschaftler zur Mitte der 1990er Jahre selbst Kritik an seinem Entwurf und musste angesichts gesellschaftlicher Veränderungen eingestehen, dass der Begriff „Multikulturalismus“ zur damaligen Zeit – hiermit meint er die 1970er Jahre – eine konstruktive Idee gewesen sei, wenngleich er in der Gegenwart sein einstiges Emolument einbüßen musste. Jerzy Zubrzycki plädierte 1996 für die Abschaffung des Begriffs bzw. für dessen Ersetzung durch den Leitspruch „Many Cultures, One Australia“ (Zubezycki 1996: 13). Ein Blick auf die Bibliografie des Politikwissenschaftler James Jupp, Direktor des Zentrums für Immigration und Multikulturelle Studien der Forschungsschule für Sozialwissenschaften an der Australischen Nationaluniversität in Canberra, kann auch für den sich nicht im Bilde wissenden Leser ausreichend Informationen

lischen Lebens ergänze sowie bereichere, diese aber nicht partiell zum Erliegen bringen will (Australian Population and Immigration Council and the Australian Ethnic Affairs Council: 1979).

72

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

bereitstellen, die ihn zu der Aussage verleiten, dass Jupp wie kein Zweiter bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit und um Immigration nach Australien federführend war. Sein frühstes Werk trug den Titel Arrivals and Departures und übte im Wesentlichen eine berechtige Kritik an der gesellschaftlichen Marginalisierung der Immigranten, denen es an grundlegenden Voraussetzungen zur Bewältigung alltäglicher Probleme mangelte (Jupp 1966). Kinder von Migranten mussten im Klassenraum angesichts ihres inäqualen Status von Disharmonie gekennzeichnete Auseinandersetzungen bewältigen, wurden von ihren Eltern als Übersetzer bei Terminen mit Ärzten, Krankenschwestern, Sozialarbeitern, Rechtsanwälten und Regierungsbeamten benutzt, also bei Angelegenheiten, bei denen eine gute Sprachkenntnis des Englischen zwingend erforderlich ist, so dass zuerst die von diesem Misstand betroffenen Lehrer und Krankenhausangestellten frustriert auf die semiprofessionelle politische Integrationsarbeit reagierten. Sozialpolitische Planungen zur Verbesserung migrantischer Lebenssituationen, so der spätere Träger des Order of Australia, waren mehr politische Rhetorik als praktische Realität. Jupp lieferte mit den sich in seinem Buch niederschlagenden deskriptiven Sichtweisen und dem analytischen Fingerspitzengefühl ein illuminiertes Dokument der 1960er Jahre, das ferner nicht mit kritischen Worten geizte, wenn es mit tausend Zungen predigte, dass bei der Immigration nach Australien eine über mehrere Dekaden existente Zweiklassengesellschaft etabliert wurde. Einwanderern von den Britischen Inseln konnte eine Behandlung wie Einheimischen gewiss sein, während Migranten aus nichtenglischsprechenden Ländern wie dem Baltikum, später aus Südeuropa, dem Mittleren Osten, Lateinamerika und Südostasien generell eine inferiore Stellung auf dem Arbeitsmarkt und innerhalb der australischen Gesellschaft zukam. James Jupp hält hierzu fest: „[Non-British migrants were] pitch forked into manual labour, dumped in outback concentration camps and regarded as foreigners and cheap labour“ (ebd. 8). Des Weiteren führt er seinen in der Regierung sitzenden Auftraggebern desillusionierend vor Augen, dass eine im Anstieg befindliche Ökonomie sowie der sich drastisch bessernde Lebensstandard in Europa der 1960er Jahre eine verstärkte Remigration nach sich zog. Der Trend, dass sich europäische Auswanderer vermehrt gegen ihre zeitweilige Wahlheimat Australien entschieden und es vorzogen, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, in denen sie keine Sprachschwierigkeiten, rassistische Verschmähungen und arbeitskapitalistische Ausbeutung zu erleiden hatten, verlief konträr zu den über mehrere Jahrzehnte angelegten Bevölkerungsprojekten des Fünften Kontinents. Einen zweiten wichtigen Markstein in der wissenschaftlichen Karriere Jupps konstituierte die von der australischen Regierung in Auftrag gegebene Studie Don’t Settle for Less, in der er nicht nur beratend in Erscheinung trat, sondern die vom Staat ausgearbeiteten konzeptionellen Vorgehensweisen bei der Migrations- und Multikulturalismuspolitik einer revisionistischen Überarbeitung unterziehen sollte (Committee of Review of Migration and Multicultural Pograms and Service 1986).

E INLEITUNG

| 73

Die Untergliederung des so genannten Jupp Report folgte zwei aufeinander aufbauenden Stufen. In Stufe eins sollte er der Regierung in konferierender Funktion bei der Betreuung von Immigranten aus Übersee zur Seite stehen, so dass eine equitable Partizipation derer an der australischen Gesellschaft zuwege gebracht würde. Entwicklungsstadium zwei diente hauptsächlich der Evaluierung von Schlüsselqualifikationen innerhalb der zu diesem Zeitpunkt existierenden Dienstleistungen und Förderprogramme für Immigranten. In ungeschönter Plastizität brachte Jupp zu Papier, dass nach zwei Dekaden der politischen Inaugurierung des multikulturalistischen Gedankenguts nach wie vor eine persistente Benachteiligung von Zuwanderern bestehe (Jupp 1991) und plädierte mit Sachverstand für die Behebung dieser strukturellen Kalamitäten, in dem er vier Prinzipien herausstellte, die jeder Australier für sich beanspruchen sollte: 1. Gerechte Möglichkeit zur Partizipation an ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Aspekten des Lebens 2. Gerechter Zugang zu und einen Nutzen von Regierungsressourcen 3. Die Möglichkeit zur Beteiligung an bzw. Beeinflussung von politischen Entscheidungen und Programmen wie Dienstleistungen der Regierung 4. Das Recht auf die Beibehaltung von Religion, Kultur und Sprache in Australien. Zur nachhaltigen Implementierung dieser Grundsätze forderte das Komitee um James Jupp die Institutionalisierung eines Büros für Multikulturelle Angelegenheiten, das als Grundstein für die Koordination, die auf lange Fristen angelegte Begutachtung sowie Weiterentwicklung der ausgegebenen Ziele als grundsätzliche Verpflichtung ihre insgesamt 32 Empfehlungen an die australische Regierung ausgegeben wurde. Anlässlich der Feierlichkeiten des bicentennial bewies Jupp mit der Herausgabe des voluminösen, großformatigen und in der zweiten Ausgabe von 2001 insgesamt 940 Seiten umfassenden Sammelbandes The Australian People. An Encyclopedia of the Nation, its People and their Origins editorisches Geschick. Gerade das Jahr 1988, in dem der australische Kontinent seinen zweihundertsten Jahrestag seit der Kolonisierung 1788 durch weiße britische Siedler feierlich beging, gab wie kein anderes Ereignis Anlass dazu, kontroverse Diskussionen über die gesellschaftliche Wirklichkeit dominierende Problemstellungen wie nationale Identität, Multikulturalismus, kulturelles Erbe und ethnische Segregation neu aufzugreifen. Es besteht kein Zweifel darüber, dass sich Australien an diesem historischen Fixpunkt der aufkeimenden Globalisierung, Internationalisierung und ökonomischen Deregulierung zwischen Tradition und Moderne befand, so dass diese Zeiten der sozialen, ökonomischen und kulturellen Umbrüche dazu instrumentalisiert werden konnten, die Frage der nationalen Identität zu stellen (Baur 2009: 317). Kurz gefasst: Quo vadis Australien? Aufbauend auf den theoretischen Reflexionen Andersons zur „imaginierten Nation“ hinterfragten die Autoren um Stephen Castles in ihrer mit dem Titel Mistaken Identity (Castles/Cope/Kalantzis/Morrissey 1995) versehenen Publikation die landläufige Vorstellung eines australischen Nationalcharakters, der vor dem Hintergrund der Einwanderungstendenzen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gespiegelt wird. Die

74

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Argumente laufen auf das Ergebnis hinaus, dass die Massenimmigration als Schlüsselprozess eine endgültige Verabschiedung von traditionellen Vorstellungen eines gemeinsamen ideologischen Nationalismus einläutete sowie den australischen Way of Life, wie er noch in den 1950er Jahre Bestand hatte, eindringlich veränderte. Diese 1988 auch im öffentliche Diskurs zu Tage tretenden Fragen, ob Australien sein nationales Bewusstsein auf den Kernwerten einer von Angloaustralien definierten Gesellschaft mit einer aus der Historie begründeten kulturellen Homogenität und sozialen Kohäsion (Leitkultur) gründen soll, oder ob die Entwicklung hin zu einem multikulturalistischen Verständnis von menschlichem Zusammenleben genügend Potenziale zur Manifestation einer nationalen Identität in sich birgt, stellen kein singuläres Phänomen dar und ihr Aufkeimen ist auch nicht auf das Jahr des bicentennial begrenzt. Vielmehr sind sie in der Gegenwart der australischen Gesellschaft dominante, die Meinungseliten polarisierende Streitgegenstände mit diskursiven Energien, die nicht selten in einem eher polemisierenden und weniger den sachlichen Gegebenheiten folgenden Milieu ausgetragen werden. Ein weiteres Arbeitsfeld der Kulturwissenschaftler ist der alle Gesellschaftsschichten durchziehende Rassismus gegenüber den so genannten new Australians. Forschungsarbeiten des Autorenduos Ellie Vasta und Stephen Castles (Vasta/Castles 1996) konnten anschaulich herausarbeiten, wie eine institutionalisierte Diskriminierung den gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ressourcen trotz der Inaugurierung von Antidiskriminierungsgesetzen und einer Politik des ethnischen Pluralismus strukturell für Einwanderer blockiert. In diesem Kontext lässt sich auch die Dissertation des Kulturanthropologen Ghassan Hage, White Nation (Hage 1998; siehe auch Ders. 2002), situieren, deren wissenschaftliche Errungenschaft darin begründet liegt, dass der Autor anhand von ethnografischen Erhebungen den symbolischen und politischen Gehalt von whiteness und deren kulturellen Konstruktionscharakter für die nationale Identität Australiens nachgezeichnet hat. Die Hautfarbe, verstanden als kulturelle Demarkationslinie, als historisch determiniertes Instrument der Inklusion und Exklusion, entscheidet in Alltagssituationen, so führt Hages analytische Abhandlung aus, über Zugewinn oder Verlust von Macht. Eine an der Realität oft verifizierte Binsenweisheit akademischen Schaffensdrangs besagt, dass universitäre Institutionen nur solange vitale Forschungsergebnisse liefern, so lange sie für dieses zeit- und arbeitsintensive Engagement von externen Fördergeldern mit ausreichenden Geldmitteln versorgt werden. Zur Mitte der 1990er Jahre kam es plötzlich zu einem Einbruch von Drittmittelzuweisungen aus staatlichen Fonds, weil die australische Regierung nun mehr Wert auf ein effizienteres Management der Immigration legte, das sich weniger an humanitären und sozialen Maximen orientierte, als vielmehr ökonomischen Aspekten Rechnung tragen sollte. Negative Effekte der Globalisierung, die Schwächung des Wohlfahrtsstaates, periodisch emporkommende Arbeitslosigkeit und Einschnitte bei der von weltweiten Größenordnungen abhängigen Leistungsfähigkeit der nationalen Wirt-

E INLEITUNG

| 75

schaftssysteme bedingten diesen von strengem Pragmatismus und Rationalismus infiltrierten politischen Kurs. Die unter Premierminister John Howard 1996 an die Macht gewählte liberal-nationale Koalition nahm eine Vielzahl von Kürzungen des Budgets für Immigrationsangelegenheiten vor, was zu zahlreichen Schließungen von Institutionen und einem drastischen Stellenabbau an Hochschulen und universitätsnahen Forschungszentren führte. Howards öffentlich und medienwirksam zur Schau gestellte Abneigung gegenüber einer Politik des Multikulturalismus, der von Pauline Hanson mit aggressiver Rhetorik formulierte Alarmismus gegenüber einer zunehmenden „Asianisation of Australia“ sowie die Gründung der rechtspopulistischen One Nation Party schufen ein fremdenfeindliches Klima gegenüber Einwanderern, Flüchtlingen sowie Aktivisten des Multikulturalismus. Auch für die Sozial- und Kulturwissenschaftler, die bis zu diesem Wendepunkt aus einer Vielzahl von staatlichen Geldtöpfen ihre Forschungssubventionen erhielten, mussten nun auf internationale Finanzquellen hoffen. Abschließend hält Ellie Vasta für diese Dekade der neuen politischen Ausrichtung, in der sich die Produktion von kritisch-analytischen Untersuchungen zur Migrantenkultur in den Sozial- und Kulturwissenschaften drastisch verringerte, fest: „Australian research funding for the social sciences had reached rock bottom“ (Vasta 2006: 64). So bleibt für die trans- und interdisziplinäre Immigrationsforschung in Australien zu resümieren, dass nicht nur die judizielle, exekutive und legislative Macht explizit statistische, deskriptive und analytische Daten von den Sozialwissenschaften konsultierte, sondern umgekehrt beteiligten sich die im „nationalen Interesse“ agierenden Akademiker mit ihren staatlichen Auftragsarbeiten bei der Entwicklung von parlamentarischen Gesetzesbeschlüssen zu Zugangsbestimmungen, zur Flüchtlingsaufnahme und zu Integrationsbestimmungen.

1.4 F RAGEREPERTOIRE

UND

Z IEL

DER

S TUDIE

„Anthropology has humanity as its object of research, but unlike the other human sciences, it tries to grasp its object through its most diverse manifestations“ (Lévi-Strauss 1985: 49).

Bisher wurden forschungsleitende Wissenschaftstraditionen der Disziplinen Kulturanthropologie/Volkskunde zur Darstellung gebracht, die eine Untersuchung von Migrationen zum Gegenstand hatten und auf deren entwickeltes analytisches Instrumentarium in dieser Studie zurückgegriffen werden kann. Wenn man im Rahmen seiner Magisterarbeit die alltagskulturelle Praxis einer Heiligendevotion im kühlen Monat November in der lokalen Nahwelt untersucht hat und sich damit zugleich in

76

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

einem eher traditionellen Arbeitsfeld der Volkskunde beweisen konnte, wird man unweigerlich mit der Frage konfrontiert, warum die unmittelbar anschließende Qualifikationsarbeit die interkontinentale sowie subtropische Fernwelt zum Thema auserkoren hat. Diese Nachfrage wurde von Kommilitonen im Doktorandenkolloquium und in Forschungsseminaren des Öfteren gestellt. Substanziierende und legitimierende Überzeugungsarbeit gab es deswegen zu leisten, weil es als Absolvent der Bonner Volkskunde, die sich aus wissenschaftsgeschichtlicher Tradition vielfach den Untersuchungen am regionalen Paradigma des Rheinlandes verbunden fühlt, nicht als Normalfall anzusehen ist, die alten Muster zu durchbrechen, plötzlich im Erbe von Claude Lévi-Strauss oder Sir Richard Francis Burton ferne sowie in Teilen exotische Horizonte und fernliegende Fremdartigkeiten zu erkunden und nicht zuletzt in gewisser Weise zur verklärenden Romantisierung dieser beizutragen. Bereits während der Niederschrift eines ersten Exposés ahnte ich, wie sehr die Wahl des Untersuchungsraumes meine ästhetischen Bedürfnisse befriedigen würde. Tatsächlich tröstete die urban-ozeanische Komposition Sydneys, der strahlend blaue Himmel sowie das türkisfarbene Meereswasser in Momenten des Forschungs- und Transkriptionsstresses und begünstigte mitunter Glücksgefühle als Abgesandter der kulturanthropologischen Zunft in dieser Faszination ausübenden Stadt leben und arbeiten zu dürfen. Möglicherweise entstand das Interesse an diesem Untersuchungsfeld aus einem Mixtum compositum von persönlichem Begehren nach Exotik (Kohl 1998) und einer mit kosmopolitischer Ornamentierung versehenden, weltlich gestimmten Pilgerfahrt, die zur Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse, akademischer Weihen und parenthetisch als Karriere profilierendes Medium der Selbsterfahrung dient. Die viel beachtete Anwendung einer Strategie junger Akademiker, die Julia Bonstein als „Flucht in die Promotion“ (Bornstein 2003) tituliert hat, bei der es gilt, die psychologischen Untiefen nach dem Magisterexamen sowie dem unberechenbaren Arbeitsmarkt für halbfertige Kulturwissenschaftler zu umschiffen, darf ebenfalls nicht zu gering geschätzt werden. Festzustellen bleibt, dass meine kulturanthropologischen Unternehmungen in ein höchst interessantes Untersuchungsfeld integriert waren, das durch Formen der Migration in den letzten sechzig Jahren eine gesamtgesellschaftliche kulturelle Revolution durchlebt hat, die mit der Einführung des ethnischen Pluralismus zur Verabschiedung überkommener Gedankengebäude von rassischer Segregation und kulturellen Homogenisierungsbestrebungen einherging. Nicht zuletzt trugen diese hier angeführten Sachverhalte zur Legitimation dieser gesellschaftlich hochrelevanten Arbeit bei. Zu Beginn der inhaltlichen Vorbereitungsphase des Dissertationsvorhabens, d. h. bei der Lektüre der regionalen und thematischen Fachliteratur, der Erstellung eines zielführenden Forschungsplans sowie der intensiven Vorbereitungsarbeiten zur explorativen Feldforschungsphase, stellt sich das Problem, eine interimistische Forschungsfrage wie Betrachtungsperspektive zu skizzieren, die einen genuin kulturanthropologischen Zugriff auf die Materie gewährleistet. Ad interim zielte die im

E INLEITUNG

| 77

Rahmen eines Forschungsexposés bzw. im Vorfeld der explorativen Feldforschung ausgearbeitete Frage auf die ethnisch bestimmten alltagskulturellen Lebenspraktiken deutscher Migranten in Australien ab. Jedoch sollte der dynamische Prozess der Datenerhebung den Nachweis dafür erbringen, dass durch die Akteure der zu erforschenden Migrationsgruppe ganz neue Sichtweisen und Perspektivenwechsel hinzukamen, zwischenzeitlich überholte Hypothesen revitalisiert werden konnten sowie Nuancenverschiebungen zu tätigen waren, um vorschnelle bzw. auf Vorurteilen beruhende Fragestellungen sowie aus der deutschen bzw. europäischen Wissenschaftslandschaft exportierte Lehr- und Glaubensmeinungen als invariable Kategorien auszuweisen.40 Die Fragestellung musste somit einige Male auf ihre Tauglichkeit sowie Praktikabilität überprüft werden, da sich Ansichten im Feld beständig veränderten und die in der Realität vorgefundenen empirischen Fakten die vorgefassten Theoriegebäude revidierten. Meine Studie Wanderer zwischen den Kulturen. Ethnizität deutscher Migranten in Australien zwischen Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion fragt nach der gegenwärtigen ethnischen Identität und den alltagskulturellen Lebenspraktiken sowie Erfahrungshorizonten deutscher Migranten in Sydney zwischen Anpassungsdruck und Abgrenzungsbedürfnis im fremdkulturellen Umfeld Sydney. Wenn man die letzten fünfzig bis sechzig Jahre der australischen Immigration retrospektiv an seinem geistigen Augen vorbeiziehen

40 Hier steht die eigene Feldforschung vor dem Dilemma, dass der Ausgangspunkt jeglicher Erkenntnis immer das Bekannte ist, zugleich den Fokus bestimmt und die Kategorien der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung bereitstellt. Beobachtungen sind zumeist auf Offensichtliches gerichtet, d. h. auf etwas, was man ohne weiteres Zusatzwissen sofort erblickt und bezeichnen kann, dies natürlich nur mit den eigenen europäischen Kategorien. Die Geschichte der Kulturanthropologie verfügt über viele Beispiele, bei denen Feldforscher vor diesem Problem standen, weil sie immer das erklären möchten, was ihnen selbst aus ihrem eigenen Kontext heraus als erklärungswürdig, als erklärungsbedürftig erscheint. Exemplarisch ist hier ein von Evans-Pritchard und seinem Kollegen MeyerFortes herausgegebener Band anzuführen, welcher der forschungsleitenden Fragestellung nachging, wie afrikanische Gesellschaften ohne die Existenz eines Staates große Heere aufstellen, Kriege führen und Organisationsmuster herausbilden können. Der Einteilung in nicht-staatliche und staatliche Gesellschaften, die sich in der Schlussfolgerung findet, lag somit folgende Vorstellung zugrunde: Um etwas organisieren zu können, brauchen die untersuchten „Stammesvölker“ einen Organisationsrahmen, den die Forschergruppe ausschließlich vor ihrem kulturellen Hintergrund kannten. Hier lieg eines der größten Probleme ethnografischer Forschung, da der Forschende bei der Annäherung stets über seine eigenen Kategorien hinweggehen muss, um zu versuchen, andere Gesellschaften oder einzelne Individuen aus sich selbst heraus zu verstehen (Evans-Pritchard/Fortes 1940).

78

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

lässt, stellt sich unweigerlich heraus, dass sich Formen, Erfahrungsweisen, Handlungsräume sowie kulturelle Aushandlungspraktiken infolge einer intensiven Zunahme von Kommunikationsmedien, verbilligter sowie beschleunigter Transportweisen und globaler Technisierung gravierenden Veränderungen ausgesetzt sahen. Die damit einhergehende Zunahme der Plattitüden im näheren Dunstkreis der Begriffe „Hybridität“, „Transkulturalität“ und „Transnationalismus“ ist unübersichtlich, wenngleich mit empirischen Quellen gesättigte Studien zur alltagskulturellen Wirklichkeit im Kontext dieses relativ neuen Phänomens der Migration rar gestreut sind. Empirisch vergütete Forschung aus der unmittelbaren Nahwelt der Migranten situiert sich in Opposition zu den prävalierenden Denkkurzschlüssen einer Wikipedia-hörigen Wissensgesellschaft. Bei den zumeist einen biografischen Charakter besitzenden Interviews mit transkontinentalen Wanderern wurde ich selbst zum Zeugen der spürbaren Veränderung von Migrationsmustern, die die alten Routen unlängst verlassen haben, globale Verflechtungen zugleich verwerfen und neu entstehen lassen und eine Neustrukturierung der Welt in beschleunigtem Maße vorantreiben, so dass migrancy, also ein Prozess, der Regionen der Ab- und Zuwanderung mittels entstehender sowie zerfallender Netzwerke über zeitgeschichtliche Perioden zu Interaktionsfeldern verknüpft41, zum anthropologischen Totalphänomen emporsteigt. Aus kulturnostalgischer Warte könnte man formulieren, dass Wanderungsbewegungen nicht mehr das sind, was sie mal waren: Migration ist und war zu keiner Zeit einmalig und linear, die zwischenmenschliche Korrespondenz bzw. Kommunikation ist durch das Medium Internet revolutioniert worden, der den Globus umspannende Flugverkehr ersetzt eine über mehrere Wochen sich erstreckende Schiffspassage durch zwei bzw. drei Ozeane und immer häufiger konstruieren sich Migrantenkulturen in stets zwischen zwei kulturellen Welten vermittelnden Zwischenzonen bzw. dritten Räumen (Homi Bhabha), in denen globale, nationale, regionale und sogar lokale Tradierungen transkulturale bzw. hybride menschliche Erscheinungsformen zum Vorschein bringen. Es wird als essenziell erachtet, sich im Folgenden mit Gedanken zu befassen, die die Ethnizität deutscher Auswanderer in ihrer neuen Heimat als einen Prozess dechiffrierbarer Konstruktionen und sozialen Handelns auslegen, der auf einer aktiven kulturellen (Re-)Produktion basiert und Eigen- und Fremdbilder entwirft.42

41 Wicker entlehnt in seiner Einleitung diesen Begriff vom britischen Sozialanthropologen Philip Mayer (Wicker 1996: 18). 42 Da Identität generell auf Anerkennung durch andere angewiesen ist, weil Menschen sich nur in abgrenzender Interaktion mit anderen entfalten können, ist das Problem der Anerkennung, verstanden als prüfende Zuschreibung von Identität bzw. einem Interpretament der Andersheit und Differenz, ein Aufgabenfeld der kulturwissenschaftlichen

E INLEITUNG

| 79

Ethnizität wird verstanden als ein an die spezifischen Lebensumstände geknüpfter Prozess, der Realität schafft sowie in der alltäglichen Praxis wirklichkeitsstiftend umgesetzt und flexibel behauptet wird. Wenn dieser Fragenkomplex aufgegriffen wird, so ist der Zugang im Schnittpunkt der Kulturwissenschaften Kulturanthropologie/Volkskunde und Ethnologie einzuordnen. Damit folgt meine Studie einer Serie interdisziplinärer Bemühungen, theoretische und methodische Ausgangspunkte beider Fächer zu verknüpfen und im reziproken Austausch die wissenschaftshistorisch determinierte Perspektive, die sich hier auf Aspekte der „eigenen Kultur“ und dort auf „fremde Kulturen“ richtet, zu durchbrechen. Um die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit beantworten zu können, wird das kulturelle Phänomen der Migration deutscher Immigranten in verschiedene Kategorien gegliedert, diskutiert und analysiert, die jedoch nicht separiert voneinander angesehen werden sollen. Vielmehr führt die nachstehende Gliederung die in den einzelnen Kategorien behandelten Aspekte in einem Kontext zusammen und macht ihr Verhältnis zueinander und ihre Wechselwirkungen untereinander zum eigentlichen Thema. Dabei möchte ich die Bedeutung von Ethnizität für die verschiedenen Migranten in einer Art Kaleidoskop synchron beschreiben und dafür verschiedene Untersuchungseinheiten sowie Perspektivierungen sequenziell ins Auge fassen. Die hier vorgenommene kategoriale Strukturierung, die zum Gegenstand meines empirischkulturanthropologischen Fragens und Forschens avanciert, involviert eine innere Differenziertheit, die an der subjektzentrierten bzw. gelebten Alltagskultur der Untersuchten angelehnt ist und somit Zugänge zur Formulierung kulturanthropologischer Enunziationen gewährt, die es am ehesten ermöglichen, grenzüberschreitende Konturen translokaler Identitäten nachzuzeichnen. 1) Zu Anfang liegt es nahe, die Faktizität und Historizität der von den Akteuren erlebten Migration genauer zu beleuchten, die sich in einer Zeitspanne vom Beginn des Zweiten Weltkriegs bis ins frühe 21. Jahrhundert erstreckt: Wie erfährt der Migrant seine Wanderungsbewegung als eine „mehrdimensionale Horizonterweiterung“ (Gerndt 2002: 248) zwischen kulturellen bzw. geografischen Räumen sowie identifikatorischen Mehrfachzugehörigkeiten, die durch die Übergangsphasen des Verlassens der Bundesrepublik, der Reise, dem Ankommen im Aufnahmeland und der Neuorientierung gekennzeichnet ist? Wo liegen die Motivationen begründet, Deutschland zu verlassen? Wie lassen sich Auswanderungserlebnisse und bewegte Lebensvollzüge strukturieren? Wie lassen sich auf der Grundlage der individuellen biografischen Aussagen der Migranten strukturelle Gesetzmäßigkeiten finden, die eine Konstruktion der „Geschichte der deutschen Auswanderung nach Australien ,von unten‘“ erlauben? Dabei kann es in keiner Weise zu einer neuerlichen Auflage

Fremdheitsforschung. Die theoretischen Diskursreflexionen der Xenologie werden diese Studie ebenfalls bereichern (Wierlacher 1993).

80

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

der in der klassischen Migrationsforschung so oft verwendeten Ursachenforschung kommen, die mit ihrem beschränkten dichotomischen Analyseverfahren der Pushund Pull-Faktoren versucht, migrantische Kulturformen in der Postmoderne anhand ökonomisch argumentierender Kosten-Nutzen-Gleichungen zu erklären und dabei die emotionale sowie ästhetische Bedürfnisbefriedigung negiert. 2) Migrationen begünstigen die interne Pluralisierung von Kulturen in enormer Weise, in dem sie durch transkulturale Vernetzungen und kulturelle Austauschprozesse zur differenzierten, komplexen und hochgradig fragmentierten Fabrikation einer Globalgesellschaft beitragen, die ihrerseits jegliche Homogenisierungsveranstaltungen ad absurdum führt. Die mit dem Konzept Transkulturalität verbundene Einsicht, dass Migranten in ihren alltäglichen Lebensvollzügen innerhalb eines multiethnischen Milieus auf unterschiedliche kulturelle Quellen- und Wissensarchive zurückgreifen bzw. verschiedene regionale wie nationale Kulturprofile in ihr Handlungsorientierung stiftendes Bedeutungsgewebe einflechten, verabschiedet die von Ruth Benedict, Alfred Kroeber, Clyde Kluckhon und Bronislaw Malinowski übermittelte Lehrmeinung, dass Kulturen als komplexe und abgegrenzte Ganzheiten zu betrachten seien. Die transkulturellen Differenzen entwickeln sich somit maßgeblich aus der globalen Expansion der Kommunikationsmedien sowie des migratorischen Transports kultureller Versatzstücke, so dass kulturelle Bedeutungswelten grundsätzlich mit dem Signum des Synkretistischen versehen werden müssen. Es wird die Frage zu verfolgen sein, inwiefern kulturelle Grammatiken in den pluralistischen Lokalitäten des Hier, des Dort und des Dazwischen entstehen und wie Migranten sich diese in einem kreativ-transformatorischen Akt aneignen. Welche kulturellen Muster werden übernommen, welche identifikatorischen Modelle werden entwickelt? Wie wird Differenz erfahren und narrativ wiedergegeben? Inwiefern tragen diese Mechanismen innerhalb der interkulturellen Kontaktzonen (Antweiler 2010: 126f.) zum Alltagsmanagement sowie der Sinnsuche nach individuellen Ordnungen in einer Welt von verwirrend vielschichtigen Beziehungen bei? 3) Da das Schicksal jedes Migranten darin besteht, sich zwischen differenzierten und überkreuzenden multivalenten Identitätsgefügen, Wertevorstellungen sowie Lebensstilen zurechtzufinden, zu akkulturieren und dadurch in ein neues Gesellschaftsgefüge bzw. eine Mehrheitskultur zu integrieren, kommt dem kulturellen Anpassungsprozess im neuen Residenzland, der stets sowohl die selektive und restriktive Übernahme als auch Verweigerung eines Fundus von Wissen und Fähigkeiten zum Inhalt hat, eine gewichtige Bedeutung zu. Dieser hier beschriebene Vorgang der reziproken Akkulturation wird bestimmt durch ausgehandelte Wechselwirkungen zwischen Kulturen. Infolge des migrationsimmanenten Transfers eines cultural luggage, das neben Objektivationen (materielle Güter, Sprache, Artefakte) ebenfalls Subjektivationen (Mentalitäten, Symbolsysteme, Grundannahmen, Werte, Normen, Bedeutungszuschreibungen, ritualisierte Handlungen) beinhaltet, stellt sich einerseits die Frage, inwiefern durch Offenheit, Kreativität und Neuschöpfung

E INLEITUNG

| 81

synkretistische Kulturmuster entstehen. Andererseits lässt sich in gesellschaftlichen Nischen ein zähes kulturelles Beharrungsvermögen hinsichtlich der Eigenkulturalität beobachten, bei dem Menschen ganz bestimmte Elemente ihrer Herkunftskultur tradieren – wenn nicht sogar mit romantisierendem Blick auf eine „schöne heile Welt“ in der Vergangenheit stilisieren – und so das ethnische Bewusstsein repristinieren. Zudem lassen sich in meinem gesetzten Untersuchungszeitrahmen mit der anglo-conformity (White Australia Policy), dem melting pot und dem cultural pluralism gleich drei administrativ-strategische Systeme bzw. Grundhaltungen der Politik gegenüber den Einwanderern agnoszieren, welche die Dimensionen des Annäherungsprozesses Akkulturation sowie integrative Formen des Zusammenlebens nachhaltig beeinflussten. Somit richtet sich die Aufmerksamkeit konkret auf die veränderten Rahmenbedingungen der gesellschaftlichen Transformation selbst. Wie realisieren sich auf durch Kulturkontakt hervorgerufene Veränderungen von Werten, Normen und Einstellungen in diesem höchst dynamischen Anpassungs- und Lernprozess? Welche Bedeutung hat somit das mitgebrachte „kulturelle Gepäck“ des Migranten innerhalb der Alltagskultur? Welche kulturellen Veränderungen können auf Ebene der sozialen Wirklichkeit expliziert werden? 4) Zur Erforschung einer symbolischen Konstruktion der ethnischen Identität deutscher Auswanderer wird es ferner als sinnvoll erachtet, die Performanz von Ritualen43 und deren Bedeutungs- und Funktionsäquivalente innerhalb des alltagskulturellen Nahhorizonts zu untersuchen, die nicht nur Ordnung und Orientierung schaffen, Übergänge markieren44 und der Repräsentation dienen, sondern auch aktiv Wissen sowie Topoi tradieren. Die durch eine Zeremonie umrahmte feierliche Aushändigung der australischen Staatsbürgerschaft, die so genannte citizenship ceremony, am Nationalfeiertag Australia Day markiert solch einen biografisch einzigar-

43 Hervorzuheben sind hier die theoretischen Überlegungen der performativen Kulturanthropologie, die maßgeblich durch den schottischen Ethnologen Victor Witten Turner und dessen neuen ethnografischen Stil geprägt sind. Mit seinen Strukturanalysen ritueller Abläufe, sowohl bei zentralafrikanischen Stammesgesellschaften als auch bei komplexen Industriegesellschaften, gelingt es seiner kulturanthropologischen Performanztheorie, Prozesse und Bedeutungsherstellung an Handlungen rückzubinden und damit aus der Statik der ausschließlich deskriptiven Kulturbeschreibung auszubrechen. 44 Zentrale Begriffe der Ritualforschung, die an dieser Stelle für die Migrationsforschung effektiv nutzbar gemacht werden sollen, entwickelte der französische Ethnograf Arnold van Gennep, der als Mitbegründer einer modernen französischen Ethnologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelten muss. Van Gennep beschäftigte sich insbesondere mit Grenzsituationen bzw. mit deren entsprechender Markierung in Form von Symbolen und Ritualen.

82

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

tigen Übergang, der den zu ehrenden Immigranten nun zum Bürger zweier (multiple citizenship) mehr oder weniger bekannter bzw. fremder Nationalstaaten macht und die von Geertz postulierten „angestammten Loyalitäten“ (Geertz 1994) letztendlich zu fraktionieren droht. Kulturelle Kreativität und hybride Symbolbildung kennzeichnen diesen lebensgeschichtlich einmaligen, grenzüberschreitenden Passageritus zwischen biografischen Brüchen, Krisen, Bewältigung und biografischer Reintegration, deren Ritualkultur kumulative Effekte, transkulturelle Äußerungsformen sowie Strategien der zwischenstaatlichen Zugehörigkeit aufweist. Neben der politischen Partizipation, einer neuen Staatsangehörigkeit, dem Recht zur Teilnahme an Wahlen des federal government sowie der Berechtigung auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung sind es vor allen Dingen kulturelle Transformationsprozesse, die vor Trennungsriten, im Laufe von Schwellen- und Umwandlungsriten und nach Angliederungsriten dieser Statuspassage die kulturelle Verortung des Migranten zwischen den geografischen, kognitiven und kulturellen Räumen Deutschland – als imaginary homeland – und Australien konstituieren und eine Codifizierung von Bindestrich-Identitäten lancieren. Die Kulturdynamik des rituellen Handelns in ihren Verwendungszusammenhängen wird zum Gegenstand der Analyse. Zu fragen ist: Durch welche rituellen Begehungen wird während der Übergangsphase des Akkulturationsprozesses kulturelle Differenz abgebaut? Inwiefern kann die rituell inszenierte Erinnerungs- und Identitätsarbeit in diasporischen Institutionen als Vorführen von Handlungen und Werteorientierungen, also als Selbstwahrnehmung und Selbstrepräsentation, interpretiert werden? Wie wird die Bewahrung der kulturellen Eigenständigkeit mittels Ritualen sichergestellt? Kurz: Wie entsteht Kontinuität der eigenen Identität beim migrantischen Kulturschaffenden? 5) In dem Maße, in dem zahlreiche Menschen ihre angestammten Orte verlassen und sich in anderen ethnoscapes (Appadurai 1998) neu zusammenfinden, wird den auf transnationaler Bühne gepflegten sozialen Beziehungsstrukturen und Kontakten, die zusammengefasst ein kulturelles Netzwerk konstruieren, Signifikanz beizumessen sein. Dies ermöglicht, Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, welche Bedeutung die – zumeist auf theoretischer Grundlage – viel beschworene „Transnationalisierung der sozialen Welt“ (Pries 2008) für die Migranten im Prozess der Eingliederung in der neuen Heimat hat und wie sich ihre Identität im Verlauf dieses Prozesses wandelt. Kurz gesprochen: Es geht um die Genese transnationaler Kulturverbindungen sowie -verflechtungen und die ethnologisch-kulturanthropologische Dokumentation der aus dieser Dynamik der neuartigen Querverbindungen hervorgehenden Phänomene (Ackermann 1997: 17). Das sich über die eigentliche Diaspora erstreckende grenzüberschreitende Netzwerk sowie die in ihnen vorherrschenden Beziehungsgeflechte, die entscheidend zur Konstruktion einer ethnischen Identität deutscher Auswanderer beitragen, werden ins Zentrum des Interesses gerückt. Identitätsmanagement und soziale Netzwerke aus der Perspektive individueller Akteure betrachtet, so formuliert es die Hamburger Ethnologin Waltraud Kokot, sind

E INLEITUNG

| 83

Schlüsselthemen im ethnologischen Zugang zur Diaspora (Kokot 2002: 33). Wie entstehen neuen Formen der Repräsentation von ethnischer Identität in den hybriden oder kreolischen Kulturen (Hannerz 1992: 265) eines klassischen Einwanderungslandes?45 Wie äußert sich eine De-Territorialisierung kultureller Versatzstücke im Kontext der international akzelerierenden Mobilitätsschübe? Welche kulturellen Phänomene entstehen aus der Veränderung durch Fusion und Vereinigung und inwiefern lässt sich im Sinne von Salman Rushdie ein Lobeslied auf die kulturelle mongrelization (Rushdie 1991: 394; Hagenbüchle 2005: 89) anstimmen? Begriffe wie ethnische Homogenität, kulturelle Identität und ethnisches Bewusstsein sind somit keine aus primordialen Gegebenheiten resultierende selbstevidente Wirklichkeiten oder Fakten, sie sind vielmehr als kulturelle Konstruktionen zu hinterfragen und durch Termini der „Differenz“, „Transnationalität“ bzw. „Hybridität“ zu erweitern. Erst dadurch wird das Verständnis der Migration als ein Leben im Übergang ermöglicht, in der das Subjekt sich seine Identität durch die aktive Gestaltung kultureller Transformation aneignet. In dem durchaus breitgefächerten Untersuchungsfeld liegt mein Bestreben begründet, die Vielfalt der kulturellen Ausprägungen und Perspektiven der verschiedenen Akteure insofern zur Darstellung zu bringen, als dass ein möglichst authentisches sowie plastisches Bild der deutschen Migrantenkultur in Sydney entsteht, das sich insbesondere befleißigt, auf die Handelnden, die kulturellen Akteure sowie die von ihnen produzierten Sinnzusammenhänge zu schauen. Aus diesem Grund wird das kulturelle Ereignis Migration als konstituierte und konstituierende Bewegung manifestiert, in der differenzierte strukturelle Determinanten sowohl des Entsendelandes als auch des Aufnahmelandes situationsspezifisch eingeflochten werden. Das Phänomen Migration soll in meiner Studie untersuchungsleitend im Sinne Hermann Bausingers „aus der kulturellen Gesamtsituation heraus – und als Indiz für die kulturelle Gesamtsituation – interpretiert werden“ (Bausinger 1980a: 9). Nicht zuletzt besteht mein persönliches Anliegen als Forscher darin, Alltagskultur deutscher Auswanderer, d. h. die alltäglichen Lebenszusammenhänge der eigentlich Betroffenen, auf dem Fünften Kontinent in der „erweiterten Gegenwart“ (Niedermüller 2002: 55) in all ihrer spezifischen Authentizität, Greifbarkeit und Nachvollziehbarkeit zu dokumentieren. Dank der Fokussierung auf die Subjektivität von Lebenserfahrungen, Wahrnehmungsformen, Verhaltensweisen, Deutungsmustern und Handlungsmöglichkeiten sowie dem intensiven Umgang mit Menschen erfüllen valide empirische Quellen meine ethnografische Kulturanalyse mit Leben, so dass eine einfühlsame, kritisch reflektierende, prozesshafte und den Ethnowissenschaften

45 Die kulturellen Ressourcen der Menschen zeigten sich, so meint Ina-Maria Greverus, nicht nur im „Überlieferten“, sondern auch in kreativen Prozessen, bei denen eine enkulturierte Ordnung in Situationszwängen modifiziert wird (Greverus 1972a).

84

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

verpflichtete Rekonstruktion historischer wie bestehender Lebensverhältnisse verwirklicht werden konnte. Auf die Frage, worin eigentlich die Signifikanz begründet liegt, in der Kulturanthropologie über Migration zu forschen, kann eine klare Antwort geben werden: Substanziell ist Migration gerade deswegen, weil ihr der Nimbus einer jegliche soziale Realität determinierenden anthropologischen Universalie zukommt, die im Kontext des nachkolonialen sowie globalisierten Zeitalters zum Idiom gesellschaftlicher Wirklichkeit geworden ist. Wanderungsbewegungen von Menschen im geografischen Raum implizieren die Überwindung geografischer Grenzziehungen, die gleichzeitig auch mentale Landkarten in Form von kulturellen, ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten, von Fremd- und Selbstzuschreibungen repräsentieren und reproduzieren. Somit wird der Migrant in die Lage versetzt, Praxisformen und Identitäten zu entwickeln, die sich nicht auf eine soziale Kategorie – die der ethnischen Gruppe etwa – in ihren Fundierungen beziehen, sondern an „den Schnittstellen mehrerer sozialer Positionierungen angesiedelt sind: ethnische wie sozio-ökonomische, geschlechts- wie altersspezifische“ (Welz 1994a: 146). Aufgrund der hohen gesellschaftlichen Bedeutung globaler Migrationsprozesse erlangen alle kulturwissenschaftlichen Anstrengungen, die neue Perspektiven auf Migrantinnen und Migranten und deren Lebenswirklichkeiten ermöglichen, eine besondere Legitimation (Bräunlein/Lauser 1997a: XI). Hinzu kommt, dass ein auf empirische Methoden und theoretische Argumentationen der Disziplin Kulturanthropologie/Volkskunde beruhender Forschungsstand über Deutsche in der südpazifischen Weltstadt Sydney bis dato nicht existiert und in der Forschung noch nicht als kohärentes bzw. der Ergründung würdiges Feld umrissen wurde.

1.5 D IE U NTERSUCHUNGSPERSPEKTIVE : AUF DER S UCHE NACH DEM NATIVE POINT OF VIEW IM U NTERHOLZ DES G ROSSSTADTDSCHUNGELS „Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu studieren, wir müssen das untersuchen, was sie am unmittelbarsten betrifft, nämliche ihre konkreten Lebensumstände“ (Malinowski 1979 [Orig. 1922]: 49).

Bei der Charakterisierung der Kulturanthropologie ist es zum einen der sich durch die gesamte Fachgeschichte ziehende Kulturbegriff (Clifford 1988; Hannerz 1995; Warneken 2010a) und zum anderen die ethnografische Feldforschung (SchmidtLauber 2010: 39f.; Kottak 2011: 51), also die Art und Weise der Daten- und Wissensgenerierung, die zwei konstitutive Säulen des Faches ausmachen. Folgende Abschnitte widmen sich der zweitgenannten Säule und möchten die von mir gewählte

E INLEITUNG

| 85

Erhebungsmethode der Feldforschung genauer beleuchten. Eine dem Grundcharakter nach empirisch informierte Forschung kommt meines Erachtens in ihren über die methodischen Erhebungsverfahren Auskunft gebenden Kapiteln zur Feldforschung nicht umhin, die mit der kulturanthropologischen Vaterfigur Bronislaw Malinowski in Verbindung stehende paradigmatische, methodologische Innovation aufzugreifen und deren Ertrag für die eigenen Belange insofern kritisch zu reflektieren, als dass eine anwendungsbezogene Nutzbarmachung gewährleistet werden kann. Dieser in den Jahren des Ersten Weltkriegs während seines eher auf historischen Zufälligkeiten zurückgehenden Aufenthalts auf den nahe Neuguinea gelegenen Trobriand-Inseln entworfenen verfahrenstechnischen Inkarnation wird an dieser Stelle deshalb Bedeutung zugeschrieben, weil sie in den nachfolgenden Jahren zur gern wiedergegebenen Heroengeschichte stilisiert wurde, bis zum heutigen Tage bei den Kulturanthropologen als Stiftungsmythos gilt sowie das gegenwärtige Verständnis von Beschreibbarkeit kulturaler Lebenswelten nicht zuletzt auch aufgrund seines teilweise defizitär bis desaströsen Charakters46 mitbestimmt hat (Stagl

46 Dass Malinowski für die Disziplin von großer bis unermesslicher Bedeutung war, zeigt auch, dass sogar seine „Stimme aus der Gruft“ (C. Geertz) die Misere in der Kulturanthropologie zu steuern wusste. Nach seinem Tod fand seine Witwe beim Aufräumen seines Studierzimmers die in polnischer Sprache abgefassten, handgeschriebenen Notizbücher. Nach der Übersetzung ins Englische entschied sie sich nach langen Diskussionen und Abwägungen, die Tagebuchnotizen des Feldforschungsaufenthaltes ihre Mannes auf den Trobriand-Inseln unter dem Titel A Diary in the Strict Sense of the Term 1967 zu veröffentlichen. Diese posthume Publikation der Tagebücher wurde insofern zum heiß debattierten Politikum, da hierin die persönlichen Gefühle, Einstellungen, Probleme sowie die Einsamkeit und Frustration zum Vorschein kamen, mit denen Malinowski nicht selten zu kämpfen hatte. Seine innere Haltung gegenüber den Trobriandern lässt deutliche rassistische Konnotationen erkennen und die Niederschrift „ignoring the niggers“ ist nur eines dieser Beispiele, das dem Leser einerseits die nicht zufriedenstellende Situation auf einer von der westlichen Zivilisation isolierten Südseeinsel beschreibt und andererseits Auskunft darüber erteilt, was ein „unangenehmer Zeitgenosse“ (C. Geertz) Malinowski gewesen sein muss. Seitdem begann das Denkmal des über allem thronenden Heroen zu bröckeln, da sich die Fachöffentlichkeit hinters Licht geführt fühlte und das angeblich wandelnde Wunder an Einfühlungsvermögen, Geduld und Taktgefühl in aller Öffentlichkeit die Wahrheit über seine Forschung ausplauderte und somit einen erheblich Beitrag zur Diskreditierung seiner Person beisteuerte (Malinowski 1967: 282). Jeggle kritisierte das nahezu herrenmenschliche Auftreten des „weißen Mannes mit Bridged-Hosen, Gamaschen und dem unvermeidlichen Tropenhelm“, in dem er Malinowski als eine Art ethnografischen „Großwildjäger“ bezeichnete, der ohne jegliches Gespür für Pietät gegen-

86

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

1993b: 94). Infolgedessen betrachten viele das Jahr 1922 als Zäsur oder sogar als die Geburtsstunde der modernen Kulturanthropologie, weil das, was gegenwärtig die Spezifik des Faches ausmacht, auf Ansätze zurückgeht, für die Malinowski und Radcliffe-Brown47 in Buchform den Weg bereitet haben. Paradigmatischen Einfluss auf den Werdegang der Disziplin hatten die Aussagen des aus Polen stammenden Malinowski (Kohl 1990; Roy/Gellner/Kubica/Mucha 1988; Panoff 1972) deswegen, weil er sich von den Vertretern einer armchair anthropology – die entweder wie James Frazer von der Schreibstube aus die überlieferten Quellen von Missionaren, Seeleuten und Administratoren zu großen, übergreifenden Vergleichstheorien verdichteten oder von der Veranda des kolonialen Herrenhauses aus ihre Forschungen betrieben – deutlich abzusetzen wusste und drei wichtige Leitprämissen einforderte. Neben Sprachkompetenz, einer direkten Interaktion bzw. der Teilnahme am Alltag forderte er eine festgeschriebene soziale Rolle des Feldforschers. Für die vorliegende Studie, deren Untersuchungsgegenstand Menschen sind, auf die die politisch korrekte Bezeichnung „mit Migrationshintergrund“ zutrifft, sind vor allen Dingen die in der Ethnografie über die Kultur der Trobriander formulierten Anforderungen von gesonderter Bedeutung, die etwas über die Wahrnehmungsfähigkeiten bzw. die Fremddeutung und Fremdbeschreibung des Feldforschers aussagen. Das Ziel einer idealtypischen Feldforschung besteht nach Malinowski darin, „den Standpunkt des Eingeborenen, seinen Bezug zum Leben zu verstehen und sich seine Sicht seiner Welt vor Augen zu führen“ (Malinowski 1979: 49 [Herv. i. O.]) sowie die „Imponderabilien des wirklichen Lebens und des typischen Verhaltens“ (ebd.: 44) als die als Text ausgebreitete Kultur „über die Schultern“ (Geertz 1999b: 259; Gottowik 2004) der zu untersuchenden Gruppe zu lesen. Die ethnografische Deutung, dies meint die Durchdringung der Denk- und Handlungsweisen von Menschen im fremdkulturellen Umfeld, ist immer „Resultat persönlicher Erfahrung“ (Malinowski 1979: 35). Für meine Untersuchungsinteressen werden somit das von Empathie geleitete emische Verstehen von erfahrungsnahen Dimensionen sowie eine minutiöse Beschreibung und Deutung der Innensicht der deutschen Migranten in Sydney ins Zentrum gerückt. Im Speziellen geht es mir bei der Erforschung der Emigranten darum, „allgemeine Kennzeichen sozialen Lebens zu erfassen“ und „herauszufinden, wie sie sich überhaupt selber verstehen“ (Geertz 1999c: 292). Ein geschulter Weitblick und ein geschärftes Wahrnehmungsvermögen helfen dabei, den facettenreichen kulturellen Horizont der Betroffenen zu ergründen, dies aus

über der Untersuchungsgruppe seine Präsenz vor Ort mit Zigaretten erkaufte (Jeggle 1984a: 31ff.). 47 Im gleichen Jahr publizierte Radcliffe-Brown eine Monografie, für die er von 1906 bis 1908 im Nordosten des Indischen Ozeans, auf den Andamanen, Feldforschung betrieben hatte (Radcliffe-Brown 1922).

E INLEITUNG

| 87

seinen „eigenen Bedingungen heraus zu begreifen und ein einigermaßen faires Bild davon zu geben“ (Vivelo 1988: 48). Untersuchungsleitend wirkte der von Clifford Geertz und der Interpretativen Ethnologie ausgehende kulturspezifische Blick auf den Menschen als aktiven Bedeutungsgeber, der seinen Platz im Leben bzw. der Welt selbst deutet. Die von der zu untersuchenden Migrationskultur als System ausgebreiteten bedeutungsvollen Zeichen können nur dann aus der Binnenperspektive ethnografisch erschlossen werden, wenn es gelingt, diese auf der Grundlage ihrer eigens eingeschriebenen kulturellen Kategorien zu untersuchen. Um zu solchen Innensichten der Auswanderer zu gelangen, hat David Schneider Nachstehendes ausgewiesen: „[C]ulture needs to be studied on its own, in its own terms, as a system apart from and not reducible to other systems“ (Schneider 1976: 213, zitiert nach Gottowik 1997: 248). Geertz versteht den Menschen nach Max Weber als ein Wesen, das in ein „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe verstrickt ist“ (Geertz 1999a: 9), wobei er Kultur als dieses Gewebe ansieht, dessen seman-tischen Bedeutungsgehalt der Ethnograf zuerst in einem aktiven Prozess zu dechiffrieren hat und in einem zweiten Schritt, unter Zuhilfenahme der von den Kulturteilnehmern besessenen „Texte“, interpretativ Einzelfäden in dichter Weise zum Gesamtmuster zusammenflechtet (Stellrecht 1993: 48; Habermeyer 1996: 66-86). Diese meiner Arbeit eingeschriebene Vorgehensweise macht noch auf eine weitere wichtige Angelegenheit aufmerksam: Sie entzieht allen auf Objektivität und Repräsentativität abzielenden Erklärungsversuchen jegliche Grundlage, weil es in der Kulturanthropologie im Allgemeinen und bei meiner Studie im Speziellen immer nur um eine am exemplarischen Einzelfall subjektiv erstellte Leseart kultureller Phänomene gehen kann, denen zu anderen Zeiten und an anderen Orten möglicherweise eine ganz andere Bedeutung zugesprochen würde. Vielmehr kann und muss auf eine Mediatisierung, Diskursivität und Dialogizität von Erkenntnisprozessen sowie empirischen Befunden hingewiesen werden, die nicht nur in besonderer Weise eine künstlich geschaffene Fiktion des Autors sind, sondern kontinuierlich dem Charakter der dialogischen Aushandlung von wirklichkeitsnaher Faktizität folgen.48 Die Meinungs-

48 Was sich im Bezug auf die Repräsentation des Fremden in den letzten zwanzig Jahren in der Kulturanthropologie entwickelt hat, kann als partizipatorisch-dialogischer Ansatz bezeichnet werden. In den 1970er Jahren entstand innerhalb der die Bücherregale füllenden Diskussion um authentische ethnografische Beschreibung von Kulturen die Forderung nach einer geteilten Autorenschaft und mit ihr auf Dialogizität intendierende Verfahrensweisen. Fachvertreter berichteten nicht mehr über andere, sondern sie berichteten, was ihre kulturellen Vermittler ihnen berichtet haben. Sie berichten somit von dem Dialog, den sie mit anderen hatten. Wie Malinowskis Aussage „Feeling of ownership: It is I who will describe them and create them“ anschaulich wie unmissverständlich belegt, herrschten zu seiner Zeit rigide und lineare Kommunikations- und Machtverhältnisse, die

88

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

pluralität in der untersuchten Migrationsgruppe soll zur Darlegung kommen und eine Polyfonie angestrebt werden. Negation muss der in Stein gemeißelten Hypothese zuteilwerden, die nur von einer Interpretation kultureller Erscheinungsformen ausgeht, da die multivocality mehrere, nebeneinanderstehende Interpretationen gleichzeitig zulässt und kein Wissenschaftler ein hermeneutisches Auslegungsmonopol für sich reklamieren kann. Der hier gewählte dialogisch-parti-zipatorische Ansatz auf Augenhöhe macht den Kommunikationsprozess transparent, erlaubt Zweifel und Korrekturen und erhebt nicht den Anspruch einer höheren Form von Wahrheit, sondern kann ausschließlich Sichtweisen auf Kulturen im Plural präsentieren und offeriert in dieser Hinsicht professionelles kulturanthropolo-gisches Arbeiten, das auf dem neuesten Stand der Wissenschaft ist. Die „einfachen Menschen“ werden folglich in ihren Mikrostrukturen in den Fokus der von Geertz geforderten dichten Beschreibung (Rudolf 1992; Gottowik 2007: 127ff.) gerückt, ihren kulturellen Lebensweisen wird sich behutsam genähert, „verborgene Winkel“ der postmodernen Gesellschaft werden ausgeleuchtet und den „unbefragten Selbstverständlichkeiten“ ihre Bedeutung zugestanden (Moser 2008: 241). Mit dieser ethnografisch gestimmten und anwendungsbezogenen Vorgehensweise meiner Feldforschung, die den vielfältigen Stimmen aus dem Feld Gehör verschaffen möchte, kann es wohl am ehesten gelingen, sich in mehrfacher Hinsicht „in die Nähe zu schreiben“. Dessen Resultat ist mit einem Gemälde mit ornamentiertem Rahmen und aussagekräftiger wie gesellschaftsrelevanter Ikonografie gleichzusetzen (Bönisch-Brednich 2001: 68). Zur Erforschung der deutschen Migrantenkultur in Sydney wurde es als sinnvoll und praktikabel erachtet, den zeitlichen Aufenthalt im Feld gemäß den ethnologischen Richtlinien zur Durchführung einer Expedition in fremdkulturellen Welten in eine explorative und eine problemorientierte Phase (Beer 2003a: 24) der Feldforschung aufzugliedern. Nach intensiver Vorbereitung begann die zur ersten Orientierung dienende und insgesamt drei Monate dauernde Tätigkeitsphase in Sydney Anfang September 2007 und fand Mitte Dezember des gleichen Jahres ein vorläufiges Ende. Stationärer und zeitlich durchdringender erstreckte sich die problemorientier-

neuerlich auf den in Kritik stehenden projektiven Charakter kulturanthropologischer Wissensproduktion hindeuten. Fachinterne Reflexionen der Writing-Culture-Debatte führten dazu, dass der Forscher sich nicht mehr über den Prozess der Datengenerierung stellte, an dem er teilgenommen hat, sondern er dokumentiert diesen Prozess der kulturellen Begegnung, nämlich so wie er war, dialogisch und auf Augenhöhe. Ein sehr gelungenes Beispiel für diesen Ansatz offeriert die Monografie von Crapanzano über die Lebensgeschichte eines marokkanischen Ziegelbrenners (Crapanzano 1980; Fuchs/Berg 1995b: 80; Crapanzano 2004). Zur Debatte um die Krise der Repräsentation lohnt ferner die Lektüre von Bachmann-Medick (Bachmann-Medick 1992).

E INLEITUNG

| 89

te Periode von Anfang März bis Mitte September 2008, so dass die in dieser empirischen Arbeit entwickelten subjektzentrierten sowie erfahrungsnahen Auslegungen, Analysen, Beschreibungen und Interpretationen auf der Basis einer insgesamt neunmonatigen Feldforschung im Untersuchungsgebiet Sydney aufbauen. Der die Untersuchung absteckende und zum Thema machende Zeitabschnitt (circa 1939 bis in die Gegenwart) ist jedoch weit breiter zu fassen als mein mehrmonatiger Aufenthalt in Sydney, weil die in unterschiedlichen Abschnitten des 20. und 21. Jahrhunderts ausgewanderten Deutschen in ihren retrospektiven Narrationen, dies meint das personengebundene Erinnerungsvermögen der „historischen Subjekte“, ihre Lebenswirklichkeiten chronologisch-historisch zu rekonstruieren suchten sowie gesellschaftliches Kontextwissen anlässlich ihrer bewegten Biografie anführten. Durch das Verknüpfen der beiden Instanzen Kulturgeschichte und persönliche Biografien gelangte ich zu lebendigen Einblicken in eine menschheitsgeschichtliche Phase, die auf dem aus europäischer Perspektive fern und exotisch gelegenen australischen Kontinent insofern von einer kulturellen Revolution determiniert wurde, als dass mit der stetigen Aufnahme von Immigranten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sowie mit der Implementierung eines multikulturellen bzw. ethnischen Pluralismus ein Überkommen ahistorischer Denkstrukturen, ethnischer Segregation, ethnozentrischer Einseitigkeiten und rassisch argumentierender Abschottungsmechanismen (White Australia Policy) garantiert werden konnte. Im „Zeitalter der Extreme“ (Hobsbawm 2004), in der Digitalisierung, Globalisierung, Modernisierung und Technisierung unmittelbar in die Alltagskultur zahlreicher Menschen einwirken, sind es doch gerade kulturelle Abläufe innerhalb dieser globalen Enträumlichungsprozesse, die den Individuen sinn- und identitätsstiftende Orientierungsund Handlungssysteme bereitstellen. In einer Epoche des beschleunigten gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Wandels wird die hier anvisierte Untersuchung das sich historisch entwickelnde Kulturmuster der deutschen Auswanderung nach Sydney in aller hier erforderlicher Ausführlichkeit zur Darstellung bringen und dabei die selbstinterpretative Sicht der Mitglieder der Gruppe von Immigranten mit deutschem Migrationshintergrund entsprechend der interpretativen Anthropologie umsetzen. So suche ich in einem „kreativen Akt der Neuvernetzung“ disparates kulturelles Erfahrungswissen sichtbar zu machen und damit „den Finger auf die Dialektik des menschlichen Zusammenlebens zu legen“ (Baumann 2000: 167). In dieser Weise wird dem native point of view in besonderer Weise Rechnung getragen. Die nachfolgenden Kapitel setzen sich explizit mit dem Spektrum der multimethodischen Strategie der Quelleneruierung im Untersuchungsfeld auseinander und erläutern die für die Forschungskonzeption Signifikanz erhaltenden Aspekte der Teilnehmenden Beobachtung, die narrativen, offenen und leitfadengestützten Interviews sowie die Analyse von Dokumenten verschiedener Provenienz.

90

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

1.5.1 Fährtensuche: muli-sited ethnography „In Anthropology […] theorizing about migration has been shaped by a particular epistemology that generates a specific set of questions. For anthropology, a discipline sensitive to place but also comparative in its perspective, these questions have focused less on the broad scope of migration flows than on the articulation between the place whence a migrant originates and the place or places respond to global processes“ (Brettell 2000: 98).

Die Jahre der fachinternen Selbstreflexion auf nationaler wie auch internationaler Ebene und die daraus resultierenden Vorstöße in die soziale Wirklichkeit haben gezeigt, dass sich die gegenwärtige Kulturanthropologie nicht zuletzt durch ihr verstärktes Theorieangebot sowie einer ausgefeilten methodischen Ausrichtung profiliert. Wissenschaftler sind heute mehr denn je mit der Vernetzung kultureller Praktiken und Repräsentationen konfrontiert, weil die postmoderne Welt Interaktionsformen anderer Größenordnung beinhaltet (Köpping 2005: 3 u. 7). Technologische Neuordnungen und Veränderungen im Transport- und Kommunikationsbereich, die erdumspannenden Ideen- und Warentransfers sowie die digitale Organisation nutzergenerierter Inhalte über das Medium Internet erzeugen zugleich mannigfache Kontrafakturen und ermöglichen neue Formen der Interpretationen, so dass flagrant wird, dass einem aus der so genannten „klassischen Phase der Ethnografie“ herrührenden Terminus „Feld“, als einer festgefügten, territorial-geografischen Einheit, die wissenschaftliche Tauglichkeit verlustig geht (Stocking 1978: 531; Burawoy 2000). In diese persistente Fließbewegung, in der Migranten und Flüchtlinge, Bilder und Handlungen sowie Erfahrungen und Bedeutungszuschreibungen frei über Nationalgrenzen hinweg diffundieren, gehört es zu den herausforderungsvollen Aufgaben der „anthropology of transnationalism“ (Inda 1996: 1327), den Einfluss kultureller Diversität wissenschaftlich beschreibbar zu machen. Die in Wissenschaftskreisen unlängst als anachronistisch angesehene klassische Ethnografie – im Sinne von Alfred Cort Haddon, Baldwin Spencer und William Halse Rivers – musste sich diesen neuen Qualitätsanforderungen stellen und geriet insbesondere ab der Mitte des letzten Jahrhunderts immer mehr zu einer „hybrid textual activity“, bei der die Grenzen zwischen poetics und politics nahezu fließend gestaltet wurden (Grimshaw/Hart 1995: 54). Doris Bachmann-Medick spricht in diesem Diskurs von einer innovativen kulturwissenschaftlichen Ausrichtung, die durch ein „going beyond boundaries“ gekennzeichnet sei und diskontinuierliche Orte kultureller Produktion in transnationalen Verknüpfungen – Arjun Appadurai nennt diese transnational

E INLEITUNG

| 91

ethnoscapes – zum neuen Gegenstand der ethnografischen Forschung mache (Bachmann-Medick 2003: 98f.; Appadurai 1996: 48). Immer öfter steht man auch in der eigenen Forschung Erscheinungen wie Kreolisierung, komprimierten Kulturphänomenen und hybriden Identitäten49 in einer synchronisierten globalen Gesellschaft gegenüber und nimmt nicht Wunder, in welcher Weise fluktuierende Metaphern und Motive in interkulturellen Zwischenräumen die Quintessenz der Identitätskonzeptionierung deutscher Migranten in Sydney ausmachen. Identität formt sich somit „on the move“ (Clifford 1997) und kann mit einer Migrationserzählung, die ihrerseits auf Transitionen, Heterogenitäten und der Entwurzelung des DazwischenStehenden (Moore-Gilbert 1997: 126) basiert, durchaus verglichen werden (Chambers 1994: 24, zitiert nach Rapport/Overing 2007: 302). Für den territorialen Menschen, der seinem Geburts- und Heimatort eine symbolische Ortsbezogenheit bzw. eine emotional positiv besetzte Identifikation attestiert, bedeutet das Aufbrechen der räumlichen Horizonte sowie der oft kolportierte Satz der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen einen fundamentalen Abbruch mit bekannten Mustern (Bausinger 1990: 39ff.). Im Ambiente dieser flexiblen sowie beweglichen Konstellationen von Verwirbelungen, Konfluenzen und inkonstanten Verbindungen (Geertz 1995: 15f.) avanciert der Mensch zum beweglichen Ziel der Forschung (Welz 1998: 179f; Schmidt-Lauber 2010: 37). Aufgrund dessen wird es seit einigen Jahren in kulturanthropologischen Untersuchungen als existenziell betrachtet, das traditionelle Schlüsselkonzept der stationären Feldforschung – und die gleichzeitig damit verbundenen dialektischen Annahmen von hier und dort, studying down und research up, Single- oder Multi-sited-Ansatz sowie Lokalen und Globalen – zu revidieren (Hannerz 2006: 35f.; Ders. 2010: 68). Im Zeitalter der kulturellen und medialen Globalisierung lokaler Lebenswelten, in der der multiple Dimensionen umfassende Kosmos von Migration und Diaspora nicht mehr lokal begrenzt ist und demzufolge den holistisch-ethnografischen Untersuchungsnimbus exotischer Lebens- und Sinnwelten sprengt, trägt George E. Marcus den Begriff der „multi-sited ethnograpy“ in den kulturanthropologischen Diskurs (Hauschild 2000: 67). Marcus fordert im Hinblick auf die Mobilisierung, Fraktionierung und Beschleunigung der globalisierten

49 Im Vorwort des Sammelbandes Hybride Kulturen, in dem 1997 u. a. Abhandlungen von Edward Said, Homi Bhabha und Ian Chambers erschienen sind, versuchen die Herausgeber Elisabeth Bronfen und Benjamin Marius die Erkenntnisse der angloamerikanischen Postkolonialismus- und Multikulturalismusdebatte auf den Kontext des deutschen Sprachraums anzuwenden. In den Mittelpunkt wird der Begriff der „Hybridität“ gerückt. „Hybrid“, so die Auffassung der Herausgeber, „ist alles, was sich einer Vermischung von Traditionslinien und Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Techniken verknüpft, was durch Techniken der collage, des samplings, des Bastelns zustandegekommen ist“ (Bronfen/Marius 1997: 14).

92

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Welt eine mobile, interdisziplinär operierende Feldforschung, die flexibel den diversifizierten Lebensvollzügen, den sozialen und ökonomischen Verflechtungen, Symbol- und Dingbezügen folgt und damit herkömmliche Beschreibungsweisen statischer und lokal geschlossener Gemeinschaften multiperspektivisch korrigiert (Marcus 1995: 97; Hannerz 2003).50 Seit Malinowskis Argonauten des westlichen Pazifiks (1922), so die einvernehmliche Meinung, wissen wir von der Notwendigkeit, dass der Ethnowissenschaftler ein methodisches Gerüst bestehend aus Teilnehmender Beobachtung, Empathie und Befragungen im Feld anzuwenden hat, um den teilweise allzu illusionistisch gedachten native point of view der Menschen, die wir untersuchen, zu verstehen. Hierzu gehört die Beschreibung und Interpretation sozialer Realitäten und Verhaltensweisen, der Verweis auf kulturrelevante Beispiele aus dem Alltagsleben sowie die Illustrierung der menschlichen Sichtweisen, in dem ihnen eine oder mehrere Stimmen verliehen werden (Young 2004: 397ff.). Lange Zeiträume in Anspruch nehmende stationäre Feldprojekte, Face-to-Face-Kontakte sowie eine holistische Erfassung von Stammeskulturen in tropisch-feuchten bis exotischen Plätzen dieser Erde galten in der Geschichte der Kulturanthropologie (Boas, Mead, Radcliffe-Brown) lange Jahre als authentisches Gütesiegel, als Modell der wissenschaftlichen Graduierung und letztlich als gängiger Standard, an dem sich professionelle Karrieren messen ließen. Den signifikanten Paradigmenwechsel, den Marcus, Professor am Department of Anthropology an der University of California in Irvine, zur Mitte der 1990er Jahre einläutete, verweist auf den methodologischen Stellenwert der systematischen Grenzüberschreitung, bei dem ein kontinuierliches geografisches, aber auch kognitives Lavieren zwischen den Produktionsstätten kultureller Wertigkeit beabsichtigt ist (Faubion 2001: 52). So kann Transgression einerseits Ordnung und deren Grenzen transformieren oder andererseits,

50 Den Ausgangspunkt bei Hannerz bilden die Überlegungen von Professor Edward EvansPritchard, einer der zentralsten Figuren der anthropologischen Gelehrtenschaft in den 1950er Jahren. Sehr idealistisch fordert dieser einen zweijährigen Aufenthalt bei einer „primitive society“ – der im besten Falle in zwei Expeditionen untergliedert wird, so dass der in ein universitäres Institut eingebettete Wissenschafter in den Zwischenmonaten das erhobene Material sichten kann – sowie „to study the entire culture and social life.“ Vor dem Hintergrund seiner eigenen empirischen Erhebungen über Auslandskorrespondenten im Informations- und Nachrichtendienst an translokalen Orten wie Tokio, Johannesburg, Jerusalem, New York und Los Angeles zeigt Hannerz auf, dass der Forschende im Zeitalter der Globalisierung die Bürde der verstärkten Mobilität seiner Gewährspersonen ebenfalls zu bewältigen hat (Hannerz 2004). Die Sesshaftigkeit und Saisonalitätsabhängigkeit der Nuer und Azande, bei denen Evans-Pritchard hauptsächlich forschte, bestimmten zur damaligen Zeit das methodologische Rüstzeug, das jedoch mit Hinblick auf die beweglichen Lebensvollzüge zu revidieren ist.

E INLEITUNG

| 93

wie die ethnologische Forschung zu cross-cutting ties (Brettell 1996: 793) oder long distance nationalism gezeigt hat, gerade die Stabilisierung der jeweiligen Ordnung verdeutlichen. Das Forschungskonzept im Zeitalter der Weltsysteme (Immanuel Wallerstein), so Marcus, „is designed around chains, paths, threads, conjunctions, or juxtapositions of locations in which the ethnographer establishes some form of literal, physical presence, with an explicit, posited logic of association or connection among sites that in fact defines the argument of the ethnography“ (Marcus 1998: 90ff.).

Wege nachzuvollziehen und Verbindungen zu entdecken, das tracing and tracking – also Spuren und Pfade finden und verfolgen –, sind demnach die zentralen Aufgaben einer mobilen Feldforschung. Exemplarisch werden bei Marcus gleich sieben Modi bzw. Praktiken identifiziert, denen Vertreter des Ansatzes der multi-sited ethnography nachspüren sollen: 1. Pfaden und Bewegungen der Menschen (follow the people) (ebd.: 106): Hierbei wird die Strategie vorgestellt, Akteuren – zum Beispiel Auslandskorrespondenten, die von einer Krise zur nächsten reisen – in ihrer geografischen Mobilität zu folgen; 2. Dingen (follow the thing) (ebd.): Der historischen Ausbreitung, Vermarktung und Annexion weltweiter Produkte des Weltmarktes sowie der Medienlandschaft sollen hierbei nachgespürt werden. 3. Metaphern (follow the metaphor) (ebd.: 108): Marcus’ Strategie verweist in diesem Punkt auf die von der Wissenschafts- und Medizinforschung ausgehende Verbreitung von Diskursen über das Immunsystem in medizinischen oder ethnologischen Domänen. 4. Erzählungen (follow the plot, story, allegory) (ebd.: 109): Acht gegeben wird auf den Eingang sowie die Verbreitung von Tropen, Erzählungen wie modernen Mythen, Metaphern sowie allgemeinen narrativen Grundgattungen in öffentlichen Debatten sowie deren Einschreibung in ein kulturelles Kollektivgedächtnis. 5. Biografien (follow the biography) (ebd.): In Bezug auf Punkt fünf liegt die Untersuchung bei der von Heterogenität gekennzeichneten Lebensgeschichten, die im globalen Kontext der Bewegung zwischen menschlichen Gemeinschaften und geografischen Räumen entstehen und als Indikator für die Bruchstückhaftigkeit, aber auch als Dependenzkräfte unterschiedlicher kulturaler Welten angesehen werden können. 6. Konflikte (follow the conflict) (ebd.: 110): Dies beinhaltet zum Beispiel das Verfolgen transnationaler Wanderungen von Flüchtlingen aus Krisen- und Konfliktländern, deren politischen Status, die Aufnahmebereitschaft unterschiedlicher Nationalstaaten gegenüber den Asylsuchenden sowie den Grad der Integration usw. Im 7. Punkt artikuliert George Marcus die „strategically situated single-sitedethnography“ (ebd.), mit der er auf die Signifikanz der intentionalen Selektierung einer Lokalität verweist, die als multifunktionale Schaltzentrale oder multifunktionaler Knotenpunkt, an denen zahlreiche kulturelle Strömungen konvergieren, fungiert (Robben 2007: 331f). Unter Berücksichtigung der Makro- sowie Mikropers-

94

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

pektive kultureller Variablen bedeutete das in diesem Kapitel ausgebreitete Postulat für meine an der Erfahrungswissenschaft der Migrationsforschung angelegte Untersuchung ein kontinuierliches geografisches sowie mentales Diffundieren zwischen den bilokalen Orten der kulturellen Wissensproduktion. Auf diese Forderung aufbauend, sind bereits global operierende kulturanthropologische Fallstudien entstanden, die den flexiblen Lebensvollzügen der Untersuchungsgruppe nachspüren (Paerregaard 2008: 13).51 Nun haben wir ausgiebig den hohen Stellenwert von geografischer Mobilität bzw. das Diffundieren der Forscherpersönlichkeit von einem zum nächsten Untersuchungsfeld thematisiert, wenngleich darüber Stillschweigen bewahrt wurde, dass desgleichen ein mentales sowie intellektuelles anpassungsfähiges Verhalten bzw. eine Rollenflexibilität vonnöten ist, um in einer medientechnologisch routinierten Weltgesellschaft die „verschiedenen Stätten und Einsatzorte von kulturellen Bedeutungszentren“ (Weißköppel 2005: 50; Marcus 2003) ausfindig zu machen und diese für die Wissenschaft zu erschließen. Im Verlauf der Forschungstätigkeiten in der zum gegenwärtigen Zeitpunkt circa 4,5 Millionen Menschen beheimatenden Metropole Sydney sah ich mich unverzüglich mit der Situation konfrontiert, dass gerade die weitläufige bis zersplitterte Siedlungsstruktur der deutschen Migranten in den unzähligen Suburbs des urbanen Raums eine enorme Bereitschaft an geistiger als auch geografischer Flexibilität erforderlich machte. Kontinuierlich musste ich mit Bus, Bahn und Fähre von Vorort A über Vorort B und C nach Vorort D kommen, die im Vorfeld via E-Mail, Telefon oder Videokonferenz mit Gewährspersonen vereinbarten Termine mit den über das Webangebot der öffentlichen Verkehrsmittel konsultierten Fahrtzeiten logistischorganisatorisch so abstimmen, dass es nicht zu Überschneidungen bzw. Verspätungen kam. Das Internetmedium Google Maps stellte eine weitere unentbehrliche und konstant frequentierte Hilfe bei meiner multilokalen Forschung dar, weil in einer Stadt am anderen Ende der Welt zu Beginn manches befremdlich und nahezu undurchdringlich anmutete. Das zur Lokalisierung bestimmter Adressen und Verabredungspunkte nötige handschriftliche Abzeichnen wichtiger Straßenzüge und Wegekreuzungen in mental maps gleichen Skizzen (Ploch 1994) aus dem Internet, die mich nicht selten bei sengender Sonne oder im subtropischen Regenguss in den meisten Fällen nach einem Fußmarsch von unterschiedlicher Länge und Intensität an die diversesten Schauplätze kulturellen Geschehens in Sydney führten, avancierte zum nahezu alltäglichen Handwerkzeug meiner Arbeit im Feld. An diesen vereinzelten und schlaglichtartig herausstehenden Beispielen wird deutlich, dass

51 Gisela Welz erkennt für die mobil operierende Ethnografie eine Hinwendung „towards social formations and cultural practices that transgress national boundaries, that are geographically dispersed and that link local and translocal social actors and institutions“ (Welz 2009a: 49).

E INLEITUNG

| 95

mit den veränderten Vorzeichen des traditionellen Konzepts „Untersuchungsfeld“ gleichzeitig eine Anpassung der Methode einhergeht, die neuen gesellschaftlichen Determinanten, multiplen Örtlichkeiten und kulturellen Brüchen wie Diskontinuitäten des 21. Jahrhunderts gerecht wird (Schmidt 2004: 218ff.; Köpping 1973: 263). 1.5.2 Sehen, Beobachten, Miterleben und Verstehen: Formen Teilnehmender Beobachtung „Die Wahrheit liegt im Feld“ (Ehalt/Girtler 2006).

Innerhalb der Wissenschaften Ethnologie und Kulturanthropologie gilt ein zeitweiliger bis stationärer Aufenthalt im Feld als Alleinstellungsmerkmal, Eintrittsritual, Charakteristikum, Paradigma, Ideologie, Markenzeichen und zentrale Methode52, so dass die Veranschaulichung des Zugangs zur Lebenswelt bzw. Alltagspraxis der Untersuchungsgruppe neben mystifizierenden sowie glorifizierenden Elementen (Pelto/Pelto 1973) des Weiteren eine Nahtstellen zwischen Gelingen und Scheitern einer Studie bildet. Im Kontext einer Migrationsstudie im urbanen Setting einer Weltmetropole, die in vielen Teilen durch kulturelle Vielschichtigkeit, ethnische Heterogenität, multiple Netzwerkbeziehungen, globalen Informationsfluss sowie einem breitgefächerten Medienangebot determiniert ist (Antweiler 2003: 361), kann es aus der Perspektive des Forschungstreibenden nicht als hinreichend erachtet werden, sich bequem auf einem öffentlichen und gut einsehbaren Platz niederzulassen und darauf zu warten, bis das Feld einen herzlich in Empfang nimmt.53 Der Sonderbeauftragte der Wissenschaftskultur wird so zum aktiv Suchenden, der sein Netz in repetierter Vertreter- und Klinkenputzermanier (Lindner 1981: 54) dort

52 Welchen – nicht selten auch heroischen – Stellenwert die auf direktem Kulturkontakt gründende Methode in der Vergangenheit besaß – und heute in Teilen immer noch besitzt –, zeigt bereits ein Zitat von Charles Seligman, einem Freund und Förderer Malinowskis: „Die Feldforschung ist in der Ethnologie das, was das Blut der Märtyrer für die Kirche [ist]“ (Stagl 1993b: 103). 53 Ein Beispiel für diese eher abwartende bis zögerliche Vorgehensweise findet sich in der Ethnografie von Billie Jean Isbell (Department of Anthropology an der Cornell University in Ithaca, New York). Sie forschte in einer quechuasprechenden ethnischen Gemeinschaft nahe der peruanischen Stadt Ayacucho über das Beziehungsgeflecht von rituellen Handlungen und deren Abwehrstrategien gegenüber der steigenden Dominanz von westlichen Einflüssen. Über ihren Zugang zum Untersuchungsfeld hält die Anthropologin Folgendes fest: „My notes read like a forlone soliloquy. One entry: Well, I sat on the plaza most of the day again, and like yersterday, none of the Quechua-speaking villagers acknowledged my presence“ (Isbell 1985: 4).

96

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

auswirft, wo Datenmaterial im Bedeutungsgewebe von Realitäts- und Lebensnähe zu erheben ist.54 Um mit dem Untersuchungsfeld in einen reziproken Dialog zu treten, wurde im Vorfeld der explorativen Feldforschung gleich dem Motto Find the Chief (Eriksen 2010: 30) eine erste Kontaktaufnahme mit potenziellen gatekeepers, kulturellen Vermittlern und key persons der deutschen Community in Sydney in Angriff genommen. Institutionen wie die deutsche evangelisch-lutherische Kirche, die deutschsprachige katholische Gemeinde in Blacktown und Croydon, die German International School Sydney, die German Language Press Pty. Ltd. Die Woche in Australien, die Australian-German Welfare Society sowie die beiden deutschsprachigen Altersruhestätten Allambie Lutheran Homes und Sankt Hedwig Retirement Village wurden via E-Mail-Korrespondenz über das Forschungsprojekt in Kenntnis gesetzt und höflich um aktive Mithilfe gebeten. Zentrale Charakteristika sowie spezifische Fragestellungen der anvisierten Dissertation mussten den „Einheimischen“ gegenüber erläutert, „übersetzt“ und begründet werden. Der noch junge und unerfahrene Forscher, der in eine neue, unbekannte und in Teilen exotische Lebenswelt eintrat, die sich nicht nur in geografischen Breitenund Längengraden, sondern auch vor dem Hintergrund der Alltagskommunikation und Primärerfahrung von der eigenen Lebenswirklichkeit unterscheidet, benötigte eine bestimmte Bezugsperson bzw. einen einflussreichen Gewährsmann, der ihm Tür und Tor zu seiner Kultur öffnete (Lindner 1984: 59). Wie bereits in zahlreichen ethnologischen Monografien dokumentiert, bestand auch an dieser Stelle des Forschungsprozesses die existenzielle Nezessität, existierende Hierarchien zu respektieren und sich zu Beginn der Feldforschung lokalen Autoritätspersonen vorzustellen. Als erste Vermittlungsperson bzw. als Schlüsselinformant bot sich der gegenwärtige Pfarrer der deutschen evangelisch-lutherischen Kirche an, mit dem ich im Anfangsstadium des Forschungsaufenthalts in einen intensiven Wissens- und Erfahrungsaustausch trat, um der „fremden“ Kultur der deutschen Auswanderer in Sydney teilhaftig zu werden. Dieser Spezialist, kontextuell verstanden „als Meister und Hüter eines kulturell tradierten Wissensschatz[es]“ (Galizia/Schneider 2000: 10) seiner Kultur, half nicht nur beim Erlernen von Werten und Verhaltensweisen, der so genannten Enkulturation, sondern wurde zugleich zu einer unumgänglichen Referenzgröße für den Forschenden. Ein Termin in Hinblick auf ein erstes narratives Interview mit dem Pfarrer konnte bereits kurz nach meiner Ankunft vereinbart wer-

54 Der vermeintliche Gründungsvater der Teilnehmenden Beobachtung, Bronislaw Malinowski, schreibt in seiner viel zitierten Einleitung dazu Nachstehendes: „Aber der Ethnograph muß nicht nur sein Netz am rechten Ort auswerfen und auf das warten, was sich darin fängt. Er muß aktiver Jäger sein, das Wild in sein Netz hineintreiben und ihm in seine unzugänglichen Verstecke folgen. Dies führt uns zu den aktiveren Methoden, ethnographische Zeugnisse zu erlangen“ (Malinowski 1979 [Orig. 1922]: 30).

E INLEITUNG

| 97

den, so dass man sich am 13. September 2007 im Gemeinderaum der MartinLuther-Kathedrale in der Goulburn Street in einem Quellen generierenden „eroepischen Gespräch“ (Girtler 2001: 147-168) über die deutsche Migrationskultur in Sydney vertiefte. Der erste Gewährspartner stellte sich aus der Retroperspektive betrachtet als sehr freundliche, zuvorkommende sowie mitteilungsfreudige Persönlichkeit dar. Seine sprachlichen Darlegungen waren begleitet durch gestische und mimische Untermalungen, die seine Aussagen neuerlich fundierten und hervorzuheben suchten. Es brauchte von meiner Seite nicht viele Redeanstöße oder Hervorlockungen von langen Erzählungen, damit sich der Interviewte in die Lage versetzt fühlte, aus seiner Biografie oder seinen subjektiven Alltagswahrnehmungen zu berichten. Der Gesprächspartner konnte nicht nur aufgrund seiner lokalen Kenntnisse in Sydney als key person der Forschung fungieren, sondern ferner weil er in Teilen der deutschen Community einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt und über soziale Kompetenzen im Bereich der Sozialarbeit sowie Menschenbetreuung verfügt. Im Zuge der Eingewöhnungsphase in Sydney sei es für das anvisierte Projekt von besonderer Signifikanz, so der engagierte Gesprächspartner, eine zielführende und kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit in der deutschen Gemeinde vor Ort zu betreiben und er verwies dabei auf die Möglichkeit, während des sonntäglichen Gottesdienstes in der Sektion „öffentliche Bekanntmachungen“ vor die Kirchengemeinde zu treten, um mögliche Informanten für das Dissertationsprojekt zu sensibilisieren sowie zur aktiven Partizipation zu ermutigen. Dieser Offerte nachgehend, konnten schon nach der ersten Sonntagsandacht die ersten deutschen Migranten für Tiefeninterviews gewonnen werden. Ein Vertrauensvorschuss, den ich als Student, Deutscher und hochaufgeschossener Mensch genoss, war tragfähig genug, um vorhandene Misstrauensfaktoren55 auszugleichen, zumal ich auch die anerkannten Formen der Selbstdarstellung und Kontaktaufnahme beherrschte. Rüdiger Dammann hebt hervor, dass es nicht nur auf das Verhalten des Forschers ankomme, sondern auch auf die Disposition der Untersuchungsgruppe den Fremden und seine Tätigkeit zu akzeptieren, was nicht zuletzt von tradierten Verhaltensweisen, Normen und Haltungen abhängig sei (Dammann 1991: 134f.). Die Präzisierung der Fragestellung und die Formulierung sowie Verwerfung von Hypothesen hat sich im Forschungsund Erhebungsprozess im Sinne einer schrittweisen und von Empathie geleiteten

55 Kulturanthropologische Methodenreflexionen haben seit der „Krise der Repräsentation“ und der damit einhergehenden „anthropologischen Wende“ in den Humanwissenschaften offenkundig dargelegt, dass Faktoren wie Misstrauen, Skepsis sowie ein defizitäres Vertrauensverhältnis fatale Auswirkungen auf die Ergebnisse der empirischen Erhebung haben können. Diese führen in der Regel zu kreativen Verweigerungsstrategien, die falsche oder irreführende Angaben beinhalten (Herskovits 1954: 13).

98

| W ANDERER ZWISCHEN DEN K ULTUREN

Klärung ergeben.56 Im ersten und zweiten Teil der explorativen Forschungsperiode kam es infolge einer Zusammenarbeit mit den beiden Chefredakteuren des Pfarrblattes Kirchliche Nachrichten der Deutschen Evangelischen-Lutherischen Kirche Sydney sowie der wöchentlich erscheinenden Zeitung Die Woche in Australien zu einem Interessenaufruf, der weitere deutsche Emigranten auf das Projekt aufmerksam machte. In Anbetracht der leicht verständlichen sowie an die Alltagssprache angepassten Diktion des Textes konnten weitere Gewährspersonen rekrutiert werden.57 Eine dankbare Hilfe war darüber hinaus auch die Vorsitzende der in Sydney lokalisierten Interessengemeinschaft Yogis (Young German Speakers in Sydney), die das von meiner Seite erstellte Informationsrundschreiben über den internen EMail-Verteiler an die circa fünfzig aktiven sowie inaktiven Mitglieder weiterleitete. Bei der oben genannten Vereinigung handelt es sich um eine Gruppe von Deutschen und Deutschsprachigen vermehrt mittleren Alters, unterschiedlicher Herkunft und Aufenthaltsdauer in Australien sowie unterschiedlichen Familienstands, die eine „frische Alternative zu bestehenden Clubs“58 bieten möchten und sich mindestens einmal im Monat zum geselligen Beisammensein, Erfahrungsaustausch und zu Gesprächen in deutscher Sprache treffen. Die Forderung in der kulturanthropologischen Empirieforschung nach einer qualitativ-zwischenmenschlichen Vorgehensweise59, einem heuristischen Fingerspitzengefühl (Eisch/Hamm 2001a: 18),

56 Diese Vorgehensweise wird besonders in der Arbeit von Glaser und Strauss zum Ansatz der „grounded theory“ (der gegenstandsverankerten Theorie) deutlich. Die Autoren sprechen von „Theorie als Prozess“ insofern, als dass Hypothesengenerierung und Verifikation mit den während der Felderkundung gewonnenen Ergebnissen Hand in Hand gehen (Glaser/Strauss 1967). 57 Das erste Inserat zwecks einer Beteiligung am Forschungsprojekt erschien in der Ausgabe vom November und Dezember 2007, 57. Jahrgang, Nr. 6, unter der Rubrik „Verschiedenes“ und hatte folgenden Wortlaut: „Doktorarbeit. Einen interessierten und zugleich interessanten Teilnehmer hatten die Gottesdienste in der Martin Luther-Kirche in den letzten Wochen. Mit David Berchem, M.A., kommt ein zeitweiliger Besucher zu uns, dessen geplante Doktorarbeit sich im Allgemeinen um die Ermittlung des Lebens deutscher Einwanderer in Australien dreht. Damit trifft sein Vorhaben in die Mitte des Lebens der meisten unserer Mitglieder. Er möchte darstellen, wie sich die Erfahrungen unserer vor Jahrzehnten eingewanderten Mitglieder in der Rückschau ansehen, ihre Höhen und Tiefen, ihre Problemlagen als Neubürger in einem ungewohnten Umfeld. David möchte sich mit möglichst vielen unserer Mitglieder unterhalten und bittet um Meldungen zu dieser Bereitschaft über den Unterzeichnenden. D.R.“ 58 Vgl. http://www.yogis.org.au/index.html. 59 Mit einem Plädoyer für eine rein qualitative Forschung wurde davon abgesehen, unlängst kritisierte Fragebögen und standardisierte Interviewformen in das Forschungsdesign zu

E INLEITUNG

| 99

einem hohen partizipatorischen Mittun im Alltag (Sahu/Arya 2009: 249), einer offenen Untersuchungsstrategie sowie der erhöhten Sensibilität bei der Erfassung komplexer kultureller Phänomen – kurzum: einem Leben im Feld (Brednich 2001a: 79f; Bausinger 1987a: 330; Brednich 1977: 31ff.) – konnte eher durch einen glücklichen Wink des Schicksals umgesetzt werden. Während eines Interviews mit einer aus Hamburg nach Sydney ausgewanderten Migrantin und ihrem australischen Ehemann erwähnten die beiden Gesprächspartner, dass sie ein Zimmer untervermieten, in dem ich während meines zweiten und sich über sechs Monate erstreckenden Feldaufenthaltes im Jahre 2008 leben könne. Diese für das weitere Vorankommen meiner Arbeit einmalige Gelegenheit hatte natürlich auch forschungsstrategische Auswirkungen, da nicht nur eine mit dem englischen Begriff „going native“ (Tedlock 1991: 70ff.; Lévi-Strauss 1978: 381) – hier verstanden als „zweite Sozialisation“ und weniger als „kultureller Überläufer“ oder „over rapport“ (Kohl 1987: 7) – verbundene Teilnahme am Leben der zu Untersuchenden realisiert werden konnte. Auch durch das enge, persönliche, freundliche und alltägliche Zusammenleben konnte ein breites und vielschichtiges Netzwerk von potenziellen Gewährspersonen – ergänzt durch persönliche Empfehlungen meiner Gastfamilie – errichtet werden. Der Kreis der gatekeepers60, die bisher verschlossen geglaubte Türen öffneten, Perspektiven und Sichtweisen des Forschenden erweiterten und die Stoßrichtung der Untersuchungsinteressen lenkten, erfuhr aufgrund dessen eine weitere Ausbreitung. Zudem bestand während der gesamten Feldforschung die Möglichkeit zur polyvokalen und dialogistischen Supervision vorläufiger Ergebnisse, da informelle Gespräche Verständigungsfragen klärten, kulturelle Übersetzungen zur Diskussion stellten, Kontextwissen generierten, kulturelle Codes entschlüsselten und Hintergründe sowohl aus australischer als auch aus deutscher Sichtweise

integrieren. Zu beanstanden sind sie deshalb, weil durch die Erzeugung einer artifiziellen Situation, in der ohne jegliche Beziehung zwischen Forschern und Erforschten und ohne genaue Kenntnisse der Lebenswelt der Untersuchungsgruppe agiert wird, Repräsentationen mehr oder weniger dekontextualisiert behandelt werden. 60 Unter dem Begriff gatekeeper sind in der empirischen Kulturforschung sowohl die Institutionen als auch Organisationen subsumiert, mit denen der Forscher vor Ort zusammenarbeitet, als auch einzelne Personen gemeint, die einem den Zutritt zu einer gewissen sozialen Gruppe gewähren. Rolf Lindner gelangt zu dem Urteil, dass es sich bei diesen Vermittlunsgspersonen oft um Laien-Ethnologen bzw. Laien-Volkskundler handelt, die angesichts ihrer kulturell-hegemonialen Funktion über mehr oder weniger gut ausgeprägte Kenntnisse der eigenen Gruppe verfügen. Werden solche personellen Vermittlungsinstanzen oder Meinungsführer um ihre aktive Mithilfe ersucht, dann liegt es nahe, dass diese ein Bemühen an den Tag legen, dem Forschenden „ihre Schäfchen“ vorzuführen (Lindner 1984: 60; Lamnek 2005: 607).

100

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

eingeholt werden konnten. So gelang es, dass Internalisiertes durch reflexive Introspektion bewusst gemacht werden konnte. Anwachsende zwischenmenschliche Kompetenzen sowie das einfühlsame Entgegenkommen der Gastgeber ließen das subjektive Gefühl des Forschenden, ein Fremder zu sein, schnell mildern (Illus 2003: 89). Realitäts- und Lebensnähe galt somit als Ausgangsbasis des „sinnverstehenden Miterlebens und Nachvollziehens von Wirklichkeitszusammenhängen“, denn nur im direkten Umgang mit Menschen konnte kulturelle Bedeutung hervorgebracht werden (Schmidt-Lauber 2007b: 219 u. 230; Hauser-Schäublin 2003: 45). Zur erfolgreichen Umsetzung der von Gerd Spittler 2001 eingeforderten „Dichten Teilnahme“ reichte es während meiner Feldforschungstätigkeiten jedoch nicht aus, als bloßer Beobachter bzw. einstweiliger Zaungast mit Notizblock und Bleistift „danebenzustehen“ bzw. dem kulturellen Geschehen deutscher Migranten „beizuwohnen“ und die als dokumentationswürdig erachteten Ereignisse als fieldnotes niederzuschreiben.61 Ganz im Gegenteil ließen sich kohärierende Muster und Strukturen – und somit zugleich ein vertieftes Verstehen kultureller Abläufe – nur dann erkennen, wenn interpretative Beteiligung, soziale Nähe und ein alle Sinne ansprechendes Erleben kultureller Lebensweisen konvergierten (Spittler 2001: 19; Schlehe 1996: 454). Ein Dabeisein und Mitmachen in den vielschichtigsten Alltagssituationen erforderte nicht nur meine intellektuellen Fähigkeiten, in dem ich mich in Sachverhalte und komplexe Sinnzusammenhänge während natürlicher, d. h. nicht von außen aufoktroyierter, Gespräche hineindenken musste, sondern verlangte beim Zurechtstutzen von Bäumen, dem Verkauf von Würstchen und Salaten, der Errichtung eines Freudenfeuers, bei der Kinderbelustigung, beim Entfernen mehr oder weniger giftiger Spinnen, beim Bügeln von Oberhemden sowie beim alltäglichen Geschwätz eine die physische und psychische Konstitution in Anspruch nehmende Kompetenz. Diese scheinbar kaum bis gar nicht mit der wissenschaftlichen Methode in Verbindung stehenden Aktivitäten nähren einerseits die Positionen von Kritikern der „weichen“ und „anschmiegsamen“ Kulturforschung, nach deren Meinung diese Vorgehensweise nur wenig an Exaktheit und Repräsentativität bereitstellt.

61 Aufgrund des erhöhten Störfaktors wurde es nach Möglichkeit vermieden, in der Gegenwart der zu Untersuchenden Feldnotizen zu formulieren, da es auch von dem eigentlich intendierten methodologischen Oxymoron „Teilnehmende Beobachtung“ ablenkte. Kurz gefasst: Man würde schlicht und ergreifend das Wesentliche verpassen. Die Abendstunden bzw. die Zeit während der Rückfahrt wurden genutzt, um das Beobachtete in Stichworte oder längere Beobachtungsprotokolle zu textualisieren. Jackson formulierte dazu passend: „Anthropologists are those, who write things down at the end of the day“ (Jackson 1990: 15). Zur negativen Wirkung des Abfassens von Notizen während der Situation im Feld siehe auch den Artikel von Emerson, Fretz und Shaw (Emerson/Fretz/Shaw 2001: 357).

E INLEITUNG

| 101

Andererseits sind es gerade diese Nebensächlichkeiten und menschennahen Unternehmungen, mit denen bei den erforschten Menschen Sympathien geweckt wurden und Verständnis für das eigene Vorhaben gewonnen wurde, so dass mir von den deutschen Migranten in Sydney als Interaktionspartner eine Rolle bzw. ein Status zugeschrieben wurde (Fischer 2006: 14f.). Neuerlich muss man sich vergegenwärtigen, dass ich zu jederzeit in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Untersuchungssubjekten stand und dass sie es waren, die über Erfolg und Misserfolg sowie den Verlauf meiner Forschung entschieden. Der Wille zur Anpassung an kulturelle Gegebenheiten vor Ort und die Respektierung sowie Sensibilisierung für emische Perspektiven können als Signum der Untersuchung charakterisiert werden (Knecht 2010: 24), was eine rücksichtslose Durchsetzung akademischer Zeitpläne und Forschungshypothesen gänzlich obsolet macht. Forschungsstrategisch konnte während der Teilnehmenden Beobachtung der Versuch erfolgreich umgesetzt werden, Verhaltensweisen und Umgangsformen zu lernen, die nicht dysfunktional zu den im Feld allgemein vorherrschenden Normen standen, so dass Regelverletzungen und Irrtümern aufgrund eines Mangels an kulturellem Wissen mit der Zeit ein singulärer Charakter zukam. Diese Statuszuschreibung seitens der untersuchten Menschen innerhalb des bestehenden sozialen Gefüges konnte meinerseits jedoch graduell durch Formen der indirekten Kommunikation, meinem äußeren Erscheinungsbild sowie verbalen und nonverbalen Handlungskompetenzen – kurz: dem Selbstverständnis des Ethnografen (von Kutzschenbach 1982: 133) – in Bahnen gelenkt werden, die den Verlauf der Forschung nachhaltig positiv beeinflussten. Auf diesen Sachverhalt baut eine mir aus der studentischen Einführungsveranstaltung zur Thematik Quellen und Methoden des Faches in guter Erinnerung gebliebene Aussage Rolf Wilhelm Brednichs auf, der Feldforschung beim Forscher selbst beginnen lässt, „denn nur der, der sich selbst kennt, kann andere erforschen“ (Brednich 2001a: 88). Meines Erachtens kann mit dem hier ausgebreiteten methodologischen Design die „Rückgewinnung der ethnographischen Dimension“ (Jeggle 1984a: 13) durchaus gelingen. Im nachfolgenden Kapitel soll insbesondere der möglichst offen gestalteten Interviewsituation, deren auf Reziprozität ausgelegter Kommunikationsstruktur und ihrer inhärenten Problematik, vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden. 1.5.3 Narrationen über Migration: die Interviewsituation und das Herausschälen von Bedeutungsgeflechten Neben der Teilnehmenden Beobachtung zählt die dem offenen Gesprächscharakter folgende, in vertrauensvoller Atmosphäre stattfindende, die sensuelle Aufmerksamkeit des Forschenden beanspruchende sowie die von zwischenmenschlichem Respekt und Dialogizität gekennzeichnete ethnografische Interviewsituation zu den in-

102

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

tegralen Bestandteilen einer langfristigen Feldforschungserfahrung innerhalb der empirischen Kulturanthropologie/Volkskunde.62 Zur Umsetzung dieser stets als idealtypisch zu klassifizierenden Quellenerhebung diente mir die Lektüre der in der kulturanthropologischen Methodendebatte als Klassiker zu wertenden Publikation von James Spradley mit dem Titel The Ethnographic Interview. Spradley sieht die Hauptaufgabe der Interviewformen mit Gewährspersonen in der Aufschließung der emischen Perspektive, was zu einer konsequenten subjektzentrierten Konstruktion von Realität führe: „I want to know what you know in the way that you know it. […] Will you become my teacher and help me to understand?“ (Spradley 1979: 34). Ein auf dialogistischer Reziprozität basierender intensiver Austausch von Wissen, Erfahrung und Sichtweisen innerhalb der Konversation, den Steinar Kvale treffend als InterViews (Kvale 1996) bezeichnete, verhalf mir zur Wissensproduktion sowie einem tieferen Verständnis von kulturellen Deutungsmustern und Handlungspraxen der deutschen Migranten in Sydney. Als Grundsatz gilt, dass die in eine spezifische disziplinäre Wissenschaftslandschaft eingebetteten Forschungen stets dazu angehalten sind, ein in der fachinternen Öffentlichkeit entstandenes und kondensiertes Methodenvokabular zur transparenten Darlegung des Quellenerhebungsprozesses zu benutzen. Allerdings ist eine exakte Begriffsbestimmung „der“ zur Anwendung gekommenen Interviewform in meiner empirischen Erhebung schwieriger als ursprünglich angenommen, da die Feldpraxis vielfach Mischformen, d. h. von den gewohnten Standards abweichende Interviewtechniken, einforderte. Als omnipräsente Grundkonstanten können die Offenheit und der narrative Charakter der durchgeführten themenzentrierten Gesprächssituationen (Schlehe 2003: 78) angesehen werden, in denen sich Phasen des intensiven Zuhörens, der Einbindung eines schriftlich vorformulierten Frageleitbogens und der Diskussion des Gesagten anhand von Erfahrungen aus vorangegangenen Interviews abwechselten. Interview, als mehrdimensionale Austauschhandlung, bedeutet somit in dieser Forschungsarbeit eine um das Thema Migration zentrierte bzw. fokussierte künstlich geschaffene Unterhaltung63, bei der zu eruierende Aspekte aus einem Leitbogen flexibel und situationsspezifisch einflossen. Ziel dieses verwendeten Ansatzes „ist das Verstehen, das Aufdecken von Sichtweisen und Handlungen von Personen sowie deren Erklä-

62 In der Fachhistorie der Volkskunde war es insbesondere die von der Erzählforschung betriebene Befragung von Gewährspersonen nach Liedern, Sagen und Erzählungen, die den direkten Kontakt zu Menschen, verstanden als kulturelle Wissensspeicher, suchte (Röhrich 2001; Wehse 1984; Spies 2007: 253f.). 63 Im Kontrast dazu sieht Spittler die „natürlichen Gespräche“, d. h. die informellen Unterredungen während des Forschungsprozesses, die aufgrund ihrer Einbettung in Beobachtungssituationen im Gegensatz zu den Interviews eher zu den Alltagshandlugen zu zählen seien (Spittler 2001: 18).

E INLEITUNG

| 103

rung aus eigener sozialer Bedingung“ (Atteslander 1993: 172). Im Unterschied zu Interviewtechniken, die mit stark standardisierten Fragebögen operieren, erweiterte das offen gestaltete Interview den Antwortspielraum der Befragten beträchtlich. Indem der Interviewer sein Interesse in einen flexibel handhabbaren Leitfaden einbringen konnte, der das Gespräch nur behutsam komponierte, war ein Austausch zwischen beiden Gesprächspartnern möglich, so dass sich – den wesentlichen Regeln des Alltagsgesprächs folgend – Perspektivenwechsel zwischen Zuhörer und Erzähler ergaben. Die Hauptzahl der Interviews fand in privat-häuslicher Umgebung oder am Arbeitsplatz der Befragten statt, so dass mir Einblicke in den alltäglichen Umgang sowie die Wohnkultur möglich waren. Gespräche in öffentlichen Cafés oder Restaurants wurden so arrangiert, dass sie sich in eine unmittelbare Nahund Wohnwelt eingegliederten, die ein milieuspezifisches Vertrauen stifteten. So konnte in einer Vielzahl von Fällen eine zwanglose Erzählsituation geschaffen werden, „die es dem Gesprächspartner ermöglichte, seine Erfahrungen und Vorstellungen in einer ihm angemessenen und vergleichsweise gewohnten Form zur Sprache zu bringen“ (Schmidt-Lauber 2007a: 175). Der Nutzen eines offenen ethnografischen Interviewstils für eine ihrem Grundcharakter nach explorative Forschung liegt auf der Hand, da der Ermessensspielraum für die Antworten bei den Befragten weit blieb, wenngleich es als wesentlich erachtet wurde, zentrale und situationsäquivalente Fragen im geeigneten Moment zur Diskussion zu stellen. Durch die Möglichkeit, Situationsdeutungen in offener Form erörtern zu lassen, deskriptive, sondierende, strukturelle und kontrastierende Fragen nach Handlungsmotiven und kulturellen Dynamiken zu stellen und Alltagstheorien und Selbstinterpretationen zu erheben, sowie durch die Option der diskursiven Verständigung über Interpretationen sind mit dem themenzentrierten narrativen Interview wichtige Chancen einer empirisch-kulturwissenschaftlichen Umsetzung handlungstheoretischer Konzeptionen gegeben (Hopf 1991: 180). In der Rückschau berichteten die Auswanderer über erlebte Ereignisse sowie vergangenen und gegenwärtigen Einstellungen, Wertungen und Absichten (Hron 1982: 130f.), so dass sich im Forschungsverlauf schon nach den ersten Gesprächen herausstellte, dass Erzählungen, die die jeweils individuelle Lebensgeschichte der Auswanderer betreffen, also das Reden über den migrantischen Werdegang von Deutschland nach Australien („wie alles gekommen ist“), eine wichtige und zeitintensive Rolle zukam (Benmayor/Skotnes 1995). Im Hinblick auf die Untersuchung von Narrationen über alltagskulturelle Settings stellt Hermann Bausinger heraus, dass alltägliches Erzählen zu einem großen Teil Erzählen über sich selbst, über das eigene Leben und Erleben ist (Bausinger 1958; Ders. 1977). Die in den biografischen Narrationen inskribierten Äußerungen der Migranten retrospektiv reaktivierten Situationen, Erlebnisse und Gefühle können die Vergangenheit und Gegenwart zwar nicht abbilden, sie aber mehr oder minder bewusst reflektieren, so dass auf diese Weise Texte entstehen, die eine „dialektische Verknüpfung des Erlebens zum Zeitpunkt des Geschehens auf das die Erzählung bezug

104

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

nimmt, von der Verarbeitung des Erlebnisses im Verlauf der weiteren Zeit- und Lebensgeschichte bis zum Zeitpunkt der Erinnerung und Erzählung sowie von den Erwartungen für eine noch offene Zukunft“ (Breckner 1994: 209) darstellen. So war die mündliche Erhebung dieser intersubjektiven sowie biografisch informierten Erinnerungserzählungen eng verknüpft mit der Oral-History-Methode (Niethammer 1997; Lehmann 1979/1980; Brednich 1979), da detailgetreue kulturelle Beschreibungen von vergangenen Räumen und Zeiten in den Redefluss eingeflochten wurden und den Selbstzeugnissen ein historischer Wert verliehen wurde. „Time becomes human to the extent that it is articulated through narrative mode“ (Ricoeur 1984: 52), wusste bereits Paul Ricoeur zu berichten. Jene lebensgeschichtlichen Erzählgenres (Seifert/Friedreich 2009) der bisher ungehörten Zeugen einer australischen und deutschen Geschichte verhalfen mir zu einer bedeutungsunterscheidenden Auffassung, wie Migranten ihr Leben aus der Sicht der Jetztzeit komponieren, konstruieren, erfinden, fabrizieren und gestalten. Das aufmerksame Zuhören bei der oralen Tradierung von reflexiven Lebensgeschichten, verstanden als fein gewebte Cluster kultureller Bedeutungsherstellung, betrachte ich als Eckpfeiler meiner ethnografischen Investigationen, weil diese Erfahrungsgeschichten „pathways into a culture“ (Plummer 2001: 404) bereitstellen. Mittels dieser biografischen oder autobiografischen Erzählungen „öffneten“ sich die Untersuchten insofern, als dass sie über selektiv herausgegriffene sowie subjektiv erfahrene Erlebnisse berichteten, die, ohne immer vollständig in ihrer strikten chronologischen Reihenfolge dargestellt zu sein, dazu tendierten, „sich in nach einsehbaren Beziehungen geordneten Sequenzen zu organisieren“ (Bourdieu 1990: 76). Nach Martyn Hammersley und Paul Atkinson ergibt sich die Auswahl der Interviewpartner, das so genannte Sample, im Verlauf des Feldforschungsprozesses (Hammersley/Atkinson 1996: 138f.), das in Sydney einerseits graduell durch den Zufall determiniert wurde und andererseits anhand von Abwägungen eine Fülle von für die Forschung wesentlichen Personen berücksichtigte und so der Variationsbreite des Untersuchungsfeldes gerecht zu werden versuchte. Blieb die Selektion von Gewährsleuten unter den Mitgliedern der deutschen Community der Eigengesetzlichkeit von Kontaktlinien in der untersuchten Gruppe unterworfen, so wurden bestimmte Experten jedoch gezielt nach forschungsstrategischen Gesichtspunkten ausgewählt, so dass der „Heterogenität des Untersuchungsfeldes“ (Schlehe 2003: 83) am ehesten beizukommen ist. Neben Vermittlungen seitens sachkundiger Autoritäten, die zweifelsfrei als Multiplikatoren den Charakter der Beziehungen zu den Informanten beeinflussten, wurde die Gruppe der Migranten nach der Maxime des Schneeballsystems über empfehlende Fürsprache bereits interviewter Gesprächspartner amplifiziert (Welz 1991: 65ff.). Darüber hinaus gab die gezielte Rekrutierung von Informanten aufgrund theoretisch erschlossener und im Laufe des Aufenthalts im Untersuchungsfeld berücksichtigter Kategorien ein heterogen geartetes Spektrum von Gewährspersonen mit unterschiedlichen Lebenshorizonten, die sich bereitwillig zu ihren Migrationsbiografien

E INLEITUNG

| 105

sowie ihren alltagskulturellen Erfahrungen zwischen neuer und alter Heimat äußerten. Insgesamt wurden 61 qualitative, themenzentrierte Interviews mit 70 Migranten durchgeführt, die zwischen 45 Minuten und 6 Stunden dauerten. Von den Respondenten waren 37 männlich und 33 weiblich, wobei der Altersdurchschnitt der Befragten bei 51 Jahren lag. Die jüngste Gewährsperson war 28, die älteste 100 Jahre alt. Die hieraus resultierenden Transkriptionsmaterialien und Gesprächsprotokolle ergaben einen Datenfundus von circa 1.200 DIN-A4-Seiten64, dessen sorgfältige Bearbeitung es mir erlaubte, bei der nachträglichen Lektüre sowie beim neuerlichen Abhören der Audiofiles zu registrieren bzw. zu dokumentieren, „how meaning got produced during the conversation“ (Heyl 2001: 373). Somit standen im Vordergrund der geführten Quellen generierenden Expertengespräche mit deutschen Auswanderern und Transmigranten der Dialog, ihre subjektiven (kleinen) Geschichten (Bamberg/Georgakopoulou 2008), Lebenswelten und Alltagswahrnehmungen sowie das gezielte Abfragen von Informationen bezüglich ihrer Migrationsbiografien, die mit Daten und Dokumenten aus anderen Gesprächen kombiniert und verglichen wurden. Konstitutives Charakteristikum besaß in allen narrativen Konversationen ein erfahrungsnaher und auf Kultur abzielender Ansatz, der den das Gesagte umgebenden Kontext mit in Betracht zog und anhand des stark (inter-)subjektiven Charakters der Aussagen sich dazu verpflichtet fühlt, nicht von einer, sondern gleich von mehreren und fragmentierten Wahrheiten auszugehen (Clifford 1986: 7; Squire 2008: 50). Eine evidente Mitteilungsbereitschaft seitens der deutschen Migranten war prägendes Charakteristikum fast aller Gesprächssituationen, so dass die Mehrzahl gewinnbringende und kompetente Gesprächspartner waren. Zu Beginn eines jeden Interviews stand eine kurze, einleitende und erklärende Vorrede des Interviewers, die über den Herkunfts- bzw. Studienort des Forschungstreibenden informierte, sein Untersuchungsprogramm legitimierte und dem Interviewten Vertraulichkeit

64 Für die im späteren Verlauf des Forschungsprozesses stattfindende Auswertung der digitalen Tonbandaufzeichnungen erfolgte eine phonetische bzw. phonematische Umsetzung der mündlichen Rede in einen schriftlichen Text. Die Transkriptionen der durchgeführten Interviews liegen als digitalisierte Textdateien vor. Konstitutiv ist die Feststellung, dass bloße Bandaufnahmen von gesprochenen Texten ohne jegliche Form von Übertragung, Übersetzung und Erläuterung nur geringen Wert haben, wenn der Feldforscher diese nicht in der zu untersuchenden Kultur kontextualisieren kann. Jedoch haben wir es hier mit einer sehr zeitintensiven Vorgehensweise zu tun. Harvey Russel Bernard führt aus, dass man sechs bis acht Stunden zur Übertragung einer Bandaufnahme von einer Stunde benötigt. Bei dieser recht vagen sowie definitiv zu knappen Angabe wird leider vergessen, dass es mit der bloßen Verschriftung einer Tonaufnahme nicht getan ist (Bernard 1998: 355; Sutter 2003).

106

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

und die Anonymisierung der verbalisierten Daten zusicherte. Nicht selten war es der Fall, dass den Befragten die im Zentrum des Interesses stehende, historisch argumentierende, gegenwartsbezogene Disziplin Kulturanthropologie/Volkskunde sowie deren Gegenstandsbereich nicht geläufig waren. An dieser Stelle waren vermehrt unterrichtende Worte vonnöten. In Anlehnung an eine offene Gesprächsatmosphäre wies ich die Gewährsperson anfänglich auf den freien Gestaltungsspielraum der narrativen Ausführungen innerhalb des Interviews hin. Darüber hinaus machte ich deutlich, dass ohne Weiteres auch Sachverhalte eine Rolle spielen, die von Seiten des Interviewpartners möglicherweise als Nebensächlichkeiten erkannt werden oder nur anekdotischen Charakter besitzen. Mit akzentuierender Betonung führte ich aus, dass das „Erzählen“ über die Wanderungsbewegung sowie das alltagskulturelle (unhinterfragte/unreflektierte) Leben in Vergangenheit und Gegenwart in Sydney von besonderer Signifikanz für das Gelingen der Studie seien. Danach fragte ich mein Gegenüber nach Einwänden bezüglich eines Tonmitschnitts mit digitalem Aufnahmegerät. Ein Großteil der Gesprächspartner willigte wohlwollend ein, da ich ihnen die Vorteile einer digitalen Aufzeichnung für die weiteren Analyseverfahren (und die Nachteile eines später erstellten Gedächtnisprotokolls) plausibel vor Augen führen konnte. Nachdem einige biografische Daten wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Herkunftsregion in Deutschland, aktuelles Wohnviertel bzw. Distrikt, berufliche Tätigkeit und Bildungsstand eruiert werden konnten, erfolgte eine relativ allgemein formulierte Einstiegsfrage mit dem „erzählgenerierenden Impuls“ (Hermanns 1991: 184) („Erzählen Sie doch mal!“), der nicht zuletzt das Eis zwischen Erzähler und Zuhörer zum Brechen brachte. Thematisch sowie inhaltlich bot es sich im Anfangsstadium der Unterredung an, die Wahrnehmung der erlebten Wanderungsbewegung vom Herkunftsland zur neuen Destination genauer ins Visier zu nehmen. Explizit formulierte Fragen nach dem subjektiv erfahrenen Verlauf der Migration als Wechsel des Wohn- und Lebensorts im geografischen und kulturell determinierten Raum fanden zweckgebundenen Einzug in den Redefluss des Informanten. Während des „telling of stories“65 wurde seitens der Informanten eine kommunikativ-rekonstruktive Erzählgattung (Luckmann 1986: 201 u. 205) selektiert, die vor allem herausgehobene, zur Konstruktion einer „erzählenswerten Geschichte“ (Lehmann 2007a: 277) geeignete Sachverhalte wiedergab,

65 Sarah Lamp hält zu lebensgeschichtlichen Narrationen Nachstehendes fest: „The telling of stories is one of the practices by which people reflect, exercise agency, contest interpretations of things, make meanings, feel sorrow and hope, and live their lives. Storytelling, the narrative presentation of self and culture […] is a creative social practise. Viewed through such a lens, life stories can offer scholars of humanity a compelling mode of probing both the particular and the more generalized dimensions of the way people make, experience, and express their lives“ (Lamp 2001: 28).

E INLEITUNG

| 107

so dass der Informant mit seinen erzählerischen Darstellungen und Herstellungen von jeweils situativ essenziellen Gesichtspunkten narrative Identitätsarbeit leistete (Lucius-Hoene/Deppermann 2002: 55; Ricoeur 2005: 209-225). In seiner 2007 erschienenen Publikation beschreibt der Hamburger Volkskundler Albrecht Lehmann diesen hier angedeuteten Erzählmodus wie folgt: „Zu Erfolgserzählung einer Auswanderung gehört offenbar die ,richtige Mischung‘ aus Schwierigkeiten, Staunen über das neue Leben, Hilfe durch andere und Zufriedenheit in der neuen Welt“ (Lehmann 2007: 194). Der Frageleitbogen, der anhand der in den Interviews erfahrenen Erkenntnisse über die deutsche Migrationskultur in Sydney zum Ende des Feldaufenthalts in vier überarbeiteten und aktualisierten Versionen vorlag, behandelte grundsätzlich die im Kapitel 1.4 für das Untersuchungsvorhaben signifikanten Fragekategorien, die bei der Aufschlüsselung des subjektiven Gehalts ethnischer Identität deutscher Auswanderer assistierten. Da dem Informanten während der Unterhaltung unmissverständlich die Rolle des „Experten“ zukam, war die Erzählaktivität des „kulturellen Brückenbauers“ leitende Instanz, aufgrund dessen sich im Interviewverlauf ein Raster von ihm als bedeutungsvoll erachteten Elementen entwickelte, in dem vergesellschaftetes, kulturell approbiertes sowie handlungsorientierendes Erfahrungswissen aus der Lebenswelt der Migranten zur Artikulation kam. Außer der kontext- und situationsabhängigen Integration bestimmter Frage aus dem Leitfragebogen wurde es von Seiten des Interviewers vermieden, steuernde oder kontrollierende Eingriffe vorzunehmen. Die Stegreiferzählungen seitens des zu untersuchenden „Homo narrans“ (Schmitt 1999; Hengartner/Schmidt-Lauber 2005) – ein von dem Erzählforscher Kurt Ranke ins Feld geführter Terminus, der besagt, dass sich die Menschen im Erzählen selbst herstellen (Ranke 1978: 40) – wurden von mir durch bekräftigendes Nicken und durch zeitweiliges „hm“ sowie „sehr interessant“ verstärkt, was bei den Gewährspersonen längere Erzählpassagen, die so genannten „Identitätsnarrationen“ (Bönisch-Brednich 2002: 414) oder „Kernnarrationen“, hervorrief. Sollten spezifische Erfahrungen, Verhaltensweisen oder die Biografie direkt betreffende zeitgeschichtliche Ereignisse seitens des Gesprächspartners detaillierter erläutert werden, stimulierte ich sie dazu mit Formulierungen wie „Können Sie mir dafür ein Beispiel geben?“ oder „Können Sie mir darüber mehr erzählen?“ Den Schluss des Interviews markierte ein Nachfrageteil, in dem Fragenkomplexe die individuellen Lebenszusammenhänge zu kontextualisieren suchten, in dem weitere Erzählanstöße gegeben wurden, aber auch erste Ergebnisse der Forschung, vorläufige Interpretationen und kulturelle Einsichten zur Debatte standen. Da man davon ausgehen muss, dass das menschliche Erinnerungsvermögen sehr limitiert ist und erst durch möglichst unmittelbare und ausführliche Dokumentation die Ergebnisse der Interviewsituation konserviert werden, nahm die Sicherung und Speicherung der so genannten headnotes (Emerson/Fretz/Shaw 1995: 19) und fieldnotes (Sanjek 1990) – hierzu zählen allgemeine Informationen, Datum, Uhrzeit, Lokalität, Atmosphäre, Stimmung, Gehörtes und Beobachtetes – in dem

108

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

unmittelbar nach dem Gespräch niedergeschriebenen Gesprächsprotokoll eine wesentliche Rolle ein. Die an dieser Stelle zur Anwendung gekommene Form des nachträglichen Protokollierens einzelner Aspekte hatte insofern einen Vorteil, weil sich der Forschende während des betreffenden Interviews bestimmter Bedeutungen von narrativen Ausführungen nicht oder nur zum Teil bewusst war. Im späteren Verlauf des Forschungsprojektes leisteten diese „kondensierten Beschreibungen“ (Spradley 1979: 75) unverzichtbare Komplettierungen zur adäquaten Interpretation des Gesagten, indem sie die Bedeutung einer verbalisierten Anschauung durch Rekonstruktion der Situation und des Kontextes zu dechiffrieren halfen. Mehrmalige Informationsgespräche mit ein und derselben Person waren nur dann vonnöten, wenn eine chronologisch wiedergegebene Erzählung aus unterschiedlichen Gründen unterbrochen wurde, es Fakten zu überprüfen galt, Verständigungsschwierigkeiten über das an die Lokalität Sydney gebundene Wissen auftauchten, erste evaluierende Interpretationen zur Diskussion gestellt wurden und Migranten beim zeitlich später stattfindenden Reflektieren über die Gesprächsinhalte ergänzendes Datenmaterial zur Verfügung stellten. Emische Kenntnisse aus der deutschen Migrationskultur in Sydney können nur dann ans Tageslicht befördert werden, wenn das gewählte Methodenrepertoire über einen hohen Partizipationsgrad am alltäglichen Leben der Beforschten verfügt. Dieser mehrdimensionale, Thesen generierende, erfahrungsnahe und an die konsequente Beibehaltung der subjektzentrierten Dimension gekoppelte Zugang ist ein wesentlicher, wenn nicht der signifikanteste Bestandteil meiner empirischen Kulturanalyse. Die hier aufgeführten sowie namentlich nicht explizit erwähnten bzw. anonymisierten Personen des Untersuchungsfeldes führten schlussendlich zur Erstellung und kontinuierlichen Pflege einer Informantenkartei, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt circa 75 Ansprechpartner umfasst. Das dort dokumentierte vergleichbare Set an Daten hinsichtlich des Alters der Migranten, der Gesprächsdauer, der sozialen Zugehörigkeit, der Profession, der Lokalität des geführten Interviews, der Telefonnummer, der E-Mail-Adresse und des Auswanderungsjahres ermöglicht einen schnellen Zugriff auf wesentliche lebensgeschichtliche Hintergrundinformationen. Um die Disproportionalität zwischen narrativ geäußerter Prätention und gelebter alltagskultureller Wirklichkeit zu decodieren, bedarf es dieser hier vorgestellten kaleidoskopischen Perspektive, die ausschließlich auf der Grundlage einer stationären, langzeitigen sowie situativ, kontextuell, induktiv und prozessual arbeitenden empirischen Feldforschung zu erlangen ist. 1.5.4 Schriftliche und materielle Quellen zur Dokumentation von Alltagskultur Das Bestreben reflektierend aktuelle Zeitströmungen für die Analyse mentaler Muster (Zeitgeist) und gesellschaftlicher Normen mit einzubeziehen, wurde zusätzlich

E INLEITUNG

| 109

zu den digitalisierten Tonbandaufnahmen und den Protokollen der Teilnehmenden Beobachtung weiteres ergänzendes Hintergrundmaterial in Form von handschriftlichen und gedruckten Dokumenten erschlossen und thematisch verarbeitet. Nach diesen den soziokulturellen Kontext der Aussagen von Informanten ergänzenden sowie reflektierenden Dokumenten wurde am Ende des Interviews von meiner Seite nicht intentional gefragt, sondern die Gesprächspartner selbst wiesen mich auf die mit „Forschungsrelevanz“ etikettierten materiellen wie schriftlichen Quellen mit autobiografischen Zügen hin. Nach dem Motto „Da hätte ich noch was ganz besonderes für ihre Nachforschungen“ verließen viele Gesprächspartner für kurze Zeit das Zimmer und kehrten nach wenigen Minuten zurück, um mir ihre „Erinnerungsstücke“ zu präsentieren. Bereitwillig stellten die Gewährspersonen klassische Selbstzeugnisse wie Fotografien, Auszüge aus Tagebüchern, Korrespondenzen, niedergeschriebene Erlebnisberichte, kurze Biografien und Bild-, Ton- sowie Filmdokumente zum Kopieren zur Verfügung. Diese materiellen Überlieferungen aus der zu untersuchenden und über die zu untersuchende Kultur – zu denen auch Informationsbroschüren, periodisch erscheinende Mitteilungen der beiden deutschen Pfarrgemeinden, kartografische Zeugnisse, Festschriften, öffentliche Bekanntmachungen und Jahresberichte eines deutsch-australischen Hilfsvereins zählen – dokumentieren die jeweilige Wirklichkeit und konnten innerhalb der Interviewsituation vor allem Beweggrund für weitere Erkundigungen sein, die Erläuterungen und Geschichten über diese Dokumente nach sich ziehen, so dass ihre wissenschaftliche Brauchbarkeit damit begründet werden kann, dass sie als Belege und als Indiz für empirisch erhobene Sachverhalte zu Rate gezogen werden konnten, aber auch als Gedankenstütze bei der sequenziellen Feinanalyse fungierten. Im Mittelpunkt der in meiner Arbeit zur Anwendung kommenden Dokumentenanalyse steht somit „die Papier gewordene Überlieferung der Vergangenheit in allen denkbaren Erscheinungsformen“ (Brednich 2001a: 83). Eine gewichtige Position in dem kaleidoskopischen Gefüge dieses Informationsinventars historischer Quellen nehmen autobiografische Textgattungen, Tagebuchaufzeichnungen aus einem australischen Internierungscamp für deutsche Staatsangehörige während des Zweiten Weltkriegs sowie eine mehrere Dutzend Seiten umfassende, schreibmaschinell angefertigte Briefkorrespondenz einer deutschen Migrantin ein, die in aller Ausführlichkeit über ihre ersten Erfahrungen in Sydney im Jahre 1946 berichtet. Im Zuge einer allumfassenden anthropologischen Neuorientierung der Geschichtswissenschaft und der damit verbundenen Annäherung an die subjektiven Akteure der Historie, deren Denkhorizonte, Verhaltensmuster und Selbstdeutungen, lag es nahe, lebensgeschichtliche und autobiografische Quellen auf ein Neues „[z]wischen den Zeilen und gegen den Strich“ (Mohrmann 1991) zu lesen. Zur Widerfindung des wirklichen Lebens hinter den Wörtern von Briefen, Tagebüchern und Erlebnisberichten in ethnografischen Feldstudien behalf man sich auch in der Kulturanthropologie/Volkskunde mit der Untersuchung von Ego-Dokumenten (Brednich 1982: 67f.). Anhand dieser Quellen-

110

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

typen, auch human document oder document of life genannt, in denen die Migranten Auskunft über sich selbst geben, lassen „sich der Alltag von Menschen, ihre Konsumgewohnheiten und Bedürfnisse, ihre Freizeitgestaltung und ihr Arbeitsleben, ihre familialen Beziehungen, ihre Mentalitäten u.a.m. rekonstruieren“ (Göttsch 2007a: 22). Eine profunde Definition für diese Quellengattung findet sich bei Winfried Schulze: „Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagepartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektiert. Sie sollen individuell-menschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren, Wissensbestände darlegen, Wertevorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungen und -erwartungen widerspiegeln“ (Schulze 1996: 28).

Jenes an bestimmte Personen, Zeiten, Räume und soziale Schichten gebundene Quellengenre verbürgt einen unmittelbaren Zugriff auf Wertprämissen wie Bedeutungszuschreibungen und avanciert zum „Geburtshelfer eines neuen Blicks auf Menschen und die Beweggründe seines Handelns“ (ebd.: 27). In Bezugnahme auf praxisbezogene Überlegungen in der kulturwissenschaftlichen Debatte der visuellen Anthropologie66 war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass mir eine überaus engagierte Informantin ihre auf Videokassette befindliche Dokumentation über das Leben deutscher Auswanderer in Sydney67, die sie im Jahre 1989 im Abendprogramm des öffentlich-rechtlichen Senders ZDF aufgenommen hatte, zur weiteren wissenschaftlichen Nutzung zur Verfügung stellte. Des Weiteren konnten Zeitungsartikel aus auf regionaler und nationaler Ebene operierenden seriösen Presseorganen wie dem Sydney Morning Herald und The Australian, aber auch aus der Regenbogenpresse wie The Sun oder The Bulletin als ergiebige Quellen herangezogen werden, da sie zur Alltagskultur der informellen Gesellschaft gehören. Das For-

66 Das Genre des kulturwissenschaftlichen Dokumentarfilms und die ihm inhärente Trennlinie zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ist ein kontrovers diskutierter Forschungsansatz. Eine Nutzbarmachung von außerhalb des wissenschaftlichen Films entwickelten visuellen Diskursen und Authentizitätsstrategien bringt hier neue Erkenntnisse zum Vorschein (Ballhaus 2001; Husmann 1987; Wossidlo/Roters 2003). 67 In der dokumentarisch wirkenden Reportage mit dem Titel Was von den Träumen blieb, die Elke Hockerts-Werner, Jossi Kaufmann und Ernst Michael Wingens produzierten, wird eine im Jahre 1981 aus Düsseldorf ausgewanderte Familie bei ihrer alltäglichen Lebenspraxis in der neuen Wahlheimat Sydney begleitet.

E INLEITUNG

| 111

schungsspektrum der Medienforschung ist unlängst als zentrales Arbeitsfeld der ethnowissenschaftlich argumentierenden Disziplinen ausgerufen worden und gerade die aus den Medien Zeitung und Internet hervorgehenden Sichtweisen auf Migration, Ethnizität und Integration sind kulturanthropologische Quellen par excellence (Tavares 2009: 232; Merkel 2010: 264f.). Diese verdienen die Aufmerksamkeit des geschulten Fachpublikums, denn „Medienprodukte spiegeln nicht nur wider oder repräsentieren. Indem sie präsentieren, wirken sie auch ein. Sie bilden Kultur ab, sie schaffen Kultur. Sie sind Kultur“ (Schilling 2001: 572). Daher ist auch im Bereich der Presseforschung und -analyse eine kontinuierliche Annäherung der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit medialen Themenkomplexen lohnens- und erst recht erstrebenswert, denn eine Zeitung bzw. die digitale Version auf journalistischen Internetportalen „ist immer von gestern, sie macht die Dinge historisch“ (ebd.: 570). Da diese Medien und Dokumente vielfach populistische Stimmungen, stereotype Interpretationen und traditionelles Erzählgut mit zumeist problembehaftetem Vokabular verbreiten, bedarf es einer gesonderten quellenkritischen Reflexion, weil diese immer nur eine bestimmte Sicht und keineswegs die als „objektiv“ zu klassifizierende Wahrheit schildert. Es hat sich gezeigt, dass der Prozess der Dokumentation und Datenerhebung mit dem Ende des Aufenthalts im Feld noch lange nicht beendet war, weil über die modernen, internetbasierten Kommunikationsmedien des 21. Jahrhunderts ein Kontakt zum Feld und der Untersuchungsgruppe auch nach meiner Rückkehr nach Deutschland aufrechterhalten wird. In periodischen Abständen erreichen mich E-Mails von Interviewpartnern, denen nach langer Zeit das geführte Interview in guter Erinnerung geblieben ist und die anführen, dass sie während des geführten Gesprächs bestimmte Dinge vergessen bzw. diese nicht im gebührenden Maße akzentuiert hätten, so dass Ergänzungen, Kommentierungen und flankierendes Kontextwissen von diesem Personenkreis als unabdingbare Notwendigkeit erachtet werden. Ein besonders engagierter Auswanderer mailte mir ein selbst geschossenes Foto seines Passagierschiffs, der Skaubryn, die während der Durchquerung des Indischen Ozeans Feuer gefangen hatte und im Hafen von Aden gesunken ist, sowie eine Kopie seiner Registrierung beim Department of Immigration während der Ausschiffung in Melbourne am 4. Mai 1958. Meine deutsch-australische Gastmutter war so freundlich und schickte mir auf elektronischem Wege nicht nur ihren monatlich angefertigten Kalender mit Bildern und allgemeinen Infos aus Down Under, sondern ließ mir des Weiteren das Einladungsschreiben zu ihrer citizenship ceremony am Australia Day sowie eine an diesem lebensgeschichtlich wohl einzigartigen Tag von ihrem Mann per Videokamera aufgenommene Filmsequenz zukommen. Die Fülle von gesammelten schriftlichen, materiellen und audiovisuellen Quellen – die niemals in Gänze in dieser Publikation zur Geltung kommen können, jedoch eine Grundvoraussetzung für das Verstehen von Kultur manifestieren – dürfen nicht als isolierter Gegenstand der Kulturanalyse betrachtet werden, da diese nur dann ihren untersu-

112

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

chungsstrategischen Wert im gesamten Forschungsprozess zur Entfaltung bringen werden, wenn sie in Relation zu den anderen Quellengruppen gebracht werden. Diese Quellengattung dient somit als „Hinweis, Anstoß, Anregung, Anlaß und erste Orientierung, Ergänzungen zu anderen Quellen und Möglichkeit der Kontrolle, dann erst Nachweis, Beleg und Beweis“ (Fischer 1998: 23). Nicht zuletzt zollt diese Vorgehensweise dem für das Fach Kulturanthropologie so charakteristischen Methodenpluralismus in besonderer Weise Tribut. 1.5.5 Small Places, Large Issues: das Forschungssetting Sydney Der skandinavische Kulturanthropologe Thomas Hylland Eriksen schreibt in seinem als Einführungsband in die Sozial- und Kulturanthropologie konzeptionalisierten Werk über die Profilbildung des Faches, dass die Disziplin ihre Quellen vermehrt aus der ethnografisch-analytischen Betrachtung „kleiner Felder“ beziehe, um die Daten einem hermeneutischen Interpretationsverfahren zu unterziehen, so dass für jene mikroskopischen Felder exemplarisch gesellschaftlich relevante „große Aussagen“ formuliert werden könnten. Das kulturanthropologische Paradigma besteht somit darin, einen beispielhaften Ausschnitt (Feld) aus den kulturellen Welten des Menschen zu wählen und emische Einsichten über die Ausprägungen bzw. die Verfasstheit der ihm vom Kulturwesen Mensch eingewobenen Kulturalität zu treffen (Eriksen 2010: 2). Aufsatzsammlungen wie Siting Culture (Olwig/Hastrup 1997) sowie Constructing the Field (Vered 2000) zeigen das verstärkte Interesse an der Auseinandersetzung mit den Rahmensetzungen der Untersuchung in den geografisch abgrenzbaren fields und den sich in Zeiten der Weltgesellschaft flexibel emergierenden sites, verstanden als Orte kultureller Herstellung von Bedeutung (Gupta/Ferguson 1996). Das Dazutun des Wissenschaftlers an diesen diversen Erhebungspunkten und Interaktionsbühnen, um einen Terminus des Soziologen Erving Goffman zu bemühen, besteht folglich darin, die kulturellen Phänomene deutscher Migranten in Sydney erst noch zu entdecken (Amann/Hirschauer 1997: 13). In diesem Kapitel soll die Frage einer hinreichenden Beantwortung der aktiven Konstruktionsleistung des Feldes in Angriff genommen werden, d. h., warum schickt sich gerade die Metropole Sydney an, als Untersuchungsraum für die ethnische Identität deutscher Auswanderer in der „erweiterten Gegenwart“ zu fungieren? Anders formuliert: Welche spezifischen gesellschaftlichen, politischen sowie administrativen Aspekte können enumeriert werden, die zur Konstruktion des Untersuchungsfeldes Sydneys, als Schauplatz kulturellen Geschehens, in dieser kulturanthropologischen Migrationsstudie geführt haben? Neben qualitativen wie quantitativen Angaben zur sich aus der Historie entwickelnden Bevölkerungszusammensetzung der Stadt soll ferner darüber Berichterstattung gegeben werden, auf welches

E INLEITUNG

| 113

diverse kulturelle Erbe das heutige Manhattan der Südsee seit der ersten Besiedlung der Eora Aborigines zurückblicken kann. Mit einem Bevölkerungsaufkommen von circa 4,5 Millionen Menschen hat Sydney seine alte Rivalin Melbourne in Bezug auf internationale Bedeutung, Flächenexpansion, überseeische Einwanderungsquote, Absorption globaler Kapitalströme und freie Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen mindestens seit den Olympischen Spielen im Jahre 2000 hinter sich gelassen. Sie definiert sich selbst als Australiens Global Player, wenngleich Parallelen zu der wirtschaftlichen Expansionskraft von Metropolen wie New York, Tokio oder London oder dem Bevölkerungsaufkommen des metropolitanen Areals von Dhaka nur schwer zu ziehen sind (Sassen 2006: 125ff.). Sydney durchlief die Entwicklung von einem kolonialen Dorf mit administrativer Sträflingsverwaltung zu einem gerade in der asiatisch-pazifischen Region prädominierenden dynamischen Wirtschaftsstandort für kommerzialisierte Handelsbeziehungen des postindustriellen Zeitalters, in deren mit Glasfassaden versehener Skyline des imponierenden Central Business District (Grotz 1987; Ders. 1987a) nur noch an wenigen Orten historische Bauten über das koloniale Erbe der 1788 von Kapitän Arthur Phillip entdeckten Sydney Cove informieren. Wenn Sydney in der Schaffensphase von Gouverneur Lachlan Macquarie im 19. Jahrhundert noch als Umschlagplatz der kolonialen Wollindustrie sowie des Walfanges fungierte, Pferdekutschen die einzigen Transportmittel auf den mit Mist bedeckten sowie ungepflasterten Straßen waren und sich die Matrosen in hafennahen Warenhäusern und Pubs ihren Seemannsgarn erzählten (Aplin 2001: 59ff.), so sind es heute gesellschaftliche Tendenzen wie Suburbanisation, Gentrifikation, rasant ansteigende Haus-, Miet- und Lebenshaltungskosten, eine zunehmende Lohnschere zwischen Arm und Reich, überlastete öffentliche Verkehrsmittel sowie eine auf nationaler Ebene nirgendwo anders erreichte Intensität der Luftverschmutzung, die die Stadt prägen. Man ist geneigt hinzuzufügen, dass dies ganz alltägliche Probleme einer Großstadt sind, die sich stärker noch auch in Peking, Los Angeles oder Vancouver finden lassen. Viel interessanter als die Risiken, Nebenwirkungen und Konsequenzen einer Millionenstadt sind meines Erachtens die den Raum kulturell aufladenden Menschen, die den multikulturellen Facettenreichtum seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Australiens heimlicher Hauptstadt kontinuierlich unterstützten. Da die Stadt in intensiverem Maße seit 1945 ein attraktiver Anziehungsmagnet für Einwanderer aus den verschiedensten Nationen war und immer noch ist (Spearritt 2000: 87ff.), kann es nicht verwundern, wenn Migranten aus Übersee nahezu ein Drittel (34,5 Prozent) der Gesamtbevölkerung Sydneys ausmachen und bei der Volkszählung von 1996 über 200 verschiedene nationale und ethnische Gruppierungen Einzug in die Zensusdaten gefunden haben (Connell 2001a: 12f.). Dieser Trend einer gleichbleibend hohen Zuwanderungsrate lässt sich auch in der jüngeren Vergangenheit nachweisen, da sich 40 Prozent aller zwischen den Jahren 1991 bis 1996 nach Australien immigrierten Menschen in der Hauptstadt von New South

114

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

Wales niedergelassen haben. Somit prägen nicht nur chinesische Drachenbootrennen entlang des Point Piper, Fengshui praktizierende Sydneysider im Hyde Park und koreanische Restaurants im Studentenviertel Glebe das Stadtbild, sondern auch buddhistische Tempelanlagen in Bonnyrigg, der Hare-Krishna-Tempel gegenüber dem St. Leonards Park, assyrische Schlösser, griechisch-orthodoxe Kirchen, mazedonische Kathedralen, die große Synagoge in der Castlereagh Street, das im Baustil an die Hagia-Sophia-Moschee in Istanbul erinnernde islamische Gotteshaus in Auburn und nicht zuletzt das nahe Haymarket gelegene Chinatown. Folglich besteht kaum Zweifel daran, dass Sydney den Status einer sozial wie kulturell tief sedimentierten Immigrantenstadt besitzt, zu deren Einwohnern Khmer, Hmong, Palästinenser, Kurden, Sikhs, Singalesen, Libanesen, Tonganer, Melanesen wie Finnen und Deutsche gehören. Nun stehen wir vor der legitimen Frage, wie sich innerhalb der letzten sechzig Jahre dieses urbane Kompositum und zugleich das Forschungsfeld dieser empirischen Forschung zusammensetzte und welche Gründe, gesellschaftlichen Entwicklungen, politischen Entscheidungen und globalen Ereignisse dafür ins Feld geführt werden können. Da darüber in der englischsprachigen Forschungsliteratur bereits ausgiebig erörternde Worte verloren wurden, sollen an dieser Stelle ausschließlich die signifikanten Leitlinien des Bevölkerungszustroms nach Sydney nachgezeichnet werden. Wie bereits in Kapitel 1.3.7 angedeutet, bestand nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere in den darauffolgenden Jahren der Wirtschaftsexpansion ein akuter Mangel an Arbeitskräften, so dass die von staatlicher Seite initiierten Migrationsprogramme freiwillige Einwanderer, die so genannte international division of labour, aus Griechenland, Italien, Malta, Deutschland, der Türkei und dem nördlichen Europa zur Übersiedlung nach Sydney sensibilisieren konnten (Cohen 1987: 37; Castles/Booth/Wallace 1984).68 Die aus den Kriegs- und Nachkriegswirren hervorgegangenen Displaced Persons aus Polen, Russland, Ungarn und dem Baltikum verließen die Flüchtlingslager und kamen nach einer Reise um die halbe Welt im „sicheren Hafen“ von Sydney an, wo sie ihr Leben abseits von Folter, Vertreibung und Völkermord führen konnten. Insbesondere der Einfluss

68 Die Rekrutierung der in der Forschungsliteratur oft erwähnten industrial reserve armies, bestehend aus fremdländischen Arbeitern mit limitierten Berufsqualifikationen, wurde für die Kapitalakkumulation der wirtschaftlich florierenden Nachkriegsphase in der westlichen Welt zur unumgänglichen Notwendigkeit. Die Anwerbung Arbeitsmigranten, den oft restriktiv-abwertend bezeichneten „Gastarbeitern“, findet sich sowohl in der deutschen Historie als auch in den weltumspannenden Wanderungsbewegungen der Gegenwart. Ein Beispiel dafür sind die Golfstaaten Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emiraten, die jährlich mit mehreren tausend willigen, aber oft auch unterbezahlten, überarbeiteten sowie entrechteten Malyen aus dem im Süden Indiens gelegenen Bundesstatt Kerala eine Arbeitsübereinkunft schließen.

E INLEITUNG

| 115

von Zuzüglern mit Flüchtlingsstatus, nicht zuletzt gemäß der Genfer Flüchtlingskonventionen der Vereinten Nationen, führte ab dem Jahre 1975 dazu, dass Sydney in periodischen Abständen zu einer Zufluchtsstätte für politisch Verfolgte sowie für von Kriegen und Verfolgung erschütterte Asylbewerber aus den Krisenherden dieser Erde avancierte (Crock/Saul/Dastyari 2006: 48). Das Gesicht der Stadt, die in den späten 50er Jahren des letzten Jahrhunderts noch den Stempel eines anglosächsischen Konservatismus trug und in der die White Australia Policy als unumstößliches und in Stein gemeißeltes Naturgesetz gegenüber jedem Fremdling in Form eines aus Sicht des Applikanten wenig Erfolg versprechenden dictation test zum Einsatz gebracht wurde, wies seit jeher verschiedene Farben auf, obschon der vielleicht einflussreichste Katalysator erst in den frühen 1980er Jahre das Licht der Welt entdecken sollte. Es war einer dieser typisch feucht-heißen Tage in Nordaustralien, als das werftreife und nur mit Bordmitteln über der Wasseroberfläche gehaltene hölzerne Fischerboot King Giang am 26. April 1976 mit fünf vietnamesischen Besatzungsmitgliedern in den Hafen von Darwin einlief. Die Überlebenswanderung, d. h. die aus externen und internen Motiven des Zwanges resultierende Migration aus Indochina nach Australien, der der Verlust bzw. die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage sowie die Verfolgung aufgrund ethnonationaler Gesinnung vorausgingen, bedeutete nun endgültig die Abkehr von einem rassistisch motivierten und politisch seit 1901 institutionalisierten Segregationsmechanismus mit dem Namen White Australia Policy in Sydney (Tawan 2005: 205). Der Fall Saigons an die kommunistische Volksarmee Ho Chi Mihns am 30. April 1975 sowie das Ende des Vietnamkriegs schufen bei der auf rassischer Superiorität basierenden Immigrationspolitik des Fünften Kontinents insofern gänzlich neue Vorzeichen, als dass Australien bis zum Jahre 1985 einem Kontingent von 85.000 Flüchtlingen aus Vietnam, Laos und Kambodscha Zuflucht gewehrte (Lack/Templeton 1995: 152ff.), von denen heute ein Großteil in den westlichen Vororten wie Cabramatta, Fairfield und Villawood lebt (Breidenbach/Pál 2009: 163f.; Burnley 2001a: 260f.). Ein quantitativ immenser Anstieg der Aufnahme politisch Verfolgter sowie direkter Gewalt ausgesetzter Flüchtlinge war nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon seit 1975 zu verzeichnen, als Muslime, Christen, Drusen, Orthodoxe, Maroniten, Sunniten und Schiiten vor den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen religiösen Glaubensrichtungen und Konfessionen ihr Recht auf Schutz- und Hilfsmandate beim United Nations High Commissioner for Refugees geltend machten, da sie aufgrund unterschiedlich verursachter und begründeter Bedrohungen für Leib und Leben ihren ursprünglichen Lebensmittelpunkt dauerhaft verlassen mussten und in Sydney Zuflucht fanden. Während der 1980er und 1990er Jahren flohen Afghanen vor der Invasion der Sowjetunion, Assyrer aus dem Irak, Kurden und Armenier aus dem Iran, dem Irak und der Türkei sowie Tamilen vor religiöser und ideologischer Intoleranz aus dem Norden von Sri Lanka, Bosnier vor den ethnoterritorialen Auseinandersetzungen wie ethnischen Säuberungen aus dem

116

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

Balkangebiet, entwurzelte Somalier, Sudanesen, Kenianer und Eritreer vor dem afrikanischen Teufelskreis von Krieg, Repressionen und Hungerkatastrophen.69 Als direkte Konsequenz auf das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989 erklärte sich die australische Regierung pflichtbewusst bereit, den 20.000 chinesischen Studenten an australischen Universitäten, von denen allein 11.500 an den Hochschulen in Sydney immatrikuliert waren, einen vierjährigen Amnestieaufenthalt zu gewähren. Vielen Studenten wurde des Weiteren nach ihrer Graduierung erlaubt, einen Antrag auf dauerhaftes Bleiberecht im Status des hochqualifizierten Migranten zu stellen, was ihnen ebenfalls ermöglichte, Familienmitglieder aus China nach Sydney zu holen (Burnley 2001: 260). Formen der Kettenmigration (chain migration) und im besonderem Maße die Familienzusammenführung (family reunion) im humanitären Kontext, d. h. der zeitlich später einsetzende Nachzug bestimmter Personen aus dem näheren Familien- und Verwandtenkreis, sowie eine von staatlicher Seite implementierte großzügige und weniger restriktive Praxis der Ausländer- und Einwanderungspolitik gewährleisteten eine beständig hohe Rate an Neuankömmlingen (Castles/Miller 2003: 76). Vor diesem Hintergrund gelangen wir zu der konkludierenden Erkenntnis, dass faktisch nahezu die ganze Welt in Sydney repräsentiert ist. Der australische Demograf Ian H. Burnley erkennt in dem gesellschaftlichen Phänomen der nachhaltigen, generationsübergreifenden Kettenmigration, bei der engere Freunde, Familienangehörige, ehemalige Nachbarn oder aus weitläufigeren Primärbeziehungen resultierende Landsleute den freiwilligen Migranten oder grenzüberschreitenden Flüchtlingen nachfolgen (MacDonald/MacDonald 1974: 227; Price 1969: 210), sechs wesentliche Faktoren, warum die Entscheidung der sich über Nationalgrenzen bewegenden Wanderer von Übersee zumeist für Sydney getroffen wird: 1. Eine institutionelle wie soziale Unterstützung der kulturell enorm heterogenen Gruppen wird in Sydney durch eine breite Streuung von ethnischen, religiösen sowie administrativ-politischen Kräften sichergestellt. 2. Persistente Kettenmigration via familiärer Kontakte ermöglicht einen gewissen Grad an personeller und emotionaler Kontinuität, da die von Angehörigen gesponserten Nachzügler Sydney als besonders attraktives Auswanderungsziel betrachten, da sie in den Genuss von materieller sowie psychologischer Unterstützung von Mitgliedern ihrer eigenen Kultur kommen. 3. Immigranten besitzen in ruralen, weniger zugänglichen Gegenden und kleineren Städten nur ganz geringe Aussichten auf eine feste Anstellung. Ferner verfügen sie aufgrund ihres Status als Fremde nur über ein Minimum an Informationen über den australischen Arbeitsmarkt außerhalb des metropolitanen Raums, wenngleich sie selbst dort auf die Hilfe

69 Über die Aufnahme von Asylsuchenden in ausgewählten OECD-Ländern in der Zeitspanne von 1995 bis 2001 informiert anschaulich eine Tabelle in der Publikation von Petrus Han (Han 2005: 108).

E INLEITUNG

| 117

anderer angewiesen sind. 4. Dank der Entwicklung Sydneys zu einer globalen Stadt sind es vornehmlich die aussichtsreichen ökonomischen Potenziale für hochqualifizierte wie professionalisierte Geschäftsleute (Yuppies) aus dem internationalen Produktions- bzw. Dienstleistungssektor und den transnationalen Wirtschaftsorganisationen, die die global operierenden Konzerne für diesen Standort begeistern können. 5. Viele Auswanderer mit unterschiedlichem ökonomischem Hintergrund unterziehen sich den Risiken der internationalen Migration ausschließlich zur individuellen Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse, insbesondere einer besseren schulischen bzw. universitären Ausbildung ihrer Kinder. Größtenteils gibt man sich dem Glauben hin, dass diese in urbanen Ballungsräumen eher zu finden sei als in ländlichen Reliktgebieten. 6. Hierbei geht es um die bestehenden Interdependenzen zwischen Tourismus und Immigration, da mehr als die Hälfte aller Geschäftsleute und Regeneration suchender Urlauber Australien durch das Tor Sydney betreten. Falls zum Beispiel ein temporärer Besucher während seiner Ferien im städtischen Milieu eine auf seine Profession zugeschnittene Arbeitsstelle entdeckt, ist der Schritt zum permanenten Einwanderer je nach Qualifikation und Fürsprache des australischen Arbeitgebers nicht groß (Burnley 2001a: 249f.). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit können diese hier präsentierten ausschlaggebenden Aspekte auch für die gegenwärtig 19.350 in Sydney lebenden Deutschen in Anspruch genommen werden (The People of New South Wales 2008: 173), weil eine auf kulturelle Differenz ausgerichtete emanzipatorische, ethnische Interessenpolitik der australischen Nation ein Klima schuf, dass Australien im Allgemeinen und Sydney im Speziellen zu einem der attraktivsten Auswanderungsziele macht. Um nur einige ausgewählte, jedoch nicht weniger aussagekräftige Beispiele anzuführen, sei an dieser Stelle auf die während der Jahre 1987 bis 1996 andauernde Phase der gesellschaftlichen Institutionalisierung des Multikulturalismus im öffentlichen Bereich verwiesen, für den das 1958 inaugurierte Einwanderungsgesetz (Migration Act) sowie das Rassendiskriminierungsgesetz (Racial Hatred Act) von 1975 rechtmäßige Grundlagen bildeten (Castles 1999: 188). Diese auf ein harmonisches sowie kulturell kohärentes menschliches Zusammenleben abzielenden politischen Bestrebungen der australischen Nation gipfelten 1995 in der Einführung eines Gesetztes zur Verhinderung der Anstiftung zur Rassengewalt oder Diskriminierung sowie im alljährlichen Zelebrieren des Australian Harmony Day, der am 21. März alle Australier zum Bekenntnis für gegenseitigen Respekt gegenüber kultureller Andersartigkeit aufruft und somit eine klare Position gegen Rassismus, Vorurteile und Intoleranz bezieht. Ungeachtet der stets vernehmbaren nationalistischen Töne zeigte eine jüngst veröffentlichte Studie des Monash Institute for the Study of Global Movements auf, dass sich eine durch alle Gesellschaftsschichten ziehende Überzeugung von der Wichtigkeit und Richtigkeit der Immigrantenzuströme im öffentlichen Bewusstsein verankert hat. Dies lässt sich vor allem daran ablesen, dass nahezu 70 Prozent aller Australier mit dem Größenverhältnis der aus

118

| W ANDERER ZWISCHEN DEN KULTUREN

vielen verschiedenen Ländern kommenden Einwanderer einverstanden sind, da diese aufgrund ihres Leistungsvermögens Australien stärken (Markus/Dharmalingam 2008: 78). Was damit veranschaulicht werden soll, ist die allübergreifende Disposition, dass die Menschen Down Under dazu tendieren, die Idee sowie Realität des ethnischen Pluralismus als alltäglichen Teil ihres gegenwärtigen Lebens anzusehen. Kulturelle Diversität, so ging aus dem bisher Gesagten hervor, ist ein seit den letzten dreißig bis vierzig Jahren für Sydney charakteristisches Aushängeschild; es ist ein Ort, der sich nicht selten als einer der kosmopolitischsten wie multikulturellsten Plätze dieser Erde zu feiern weiß, an dem Menschen aus allen Ecken des Globus in einem andauernden Prozess damit beschäftigt sind, in einem mehr oder minder harmonischen Gefüge von kultureller Kohärenz miteinander zu leben. Zusammenfassend können die in diesem Kapitel präsentierten zeitgeschichtlichen Aspekte, politischen Rahmensetzungen und soziokulturellen Phänomene als legitimatorische Gründe für die Selektion des Untersuchungsfeldes Sydney geltend gemacht werden.

2.

Eine Ethnogenese: zur Historie der deutschen Migration nach Australien von 1788 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre es ein schweres bis unmögliches Unterfangen, wollte ich mich innerhalb dieser Studie zur Thematik der kulturellen Determinierung von Migration äußern, ohne die historischen, politischen, wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Prozesse und Faktoren bei meiner Argumentation in Erwägung zu ziehen, die den zu untersuchenden Phänomenen immanent sind, diese konstituieren und aus denen jene hervorgehen. Diese treibenden Kräfte haben in der australischen Vergangenheit einen enormen Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Immigration ausgeübt, d. h., diese Voraussetzungen und Transformationsprozesse seit 1788 sind konstitutive Bestandteile des gegenwärtigen Verständnisses der australischen Gesellschaftsstruktur. Da nicht zuletzt der Leser – gehört er nicht gerade zu der Gruppe der Untersuchten – mit einem von Europa geografisch – und nicht selten auch kognitiv – fernliegenden Forschungssetting konfrontiert wird, ist es unerlässlich, in gegebener Kürze, die signifikantesten Markpunkte, Strömungen und Entwicklungen plastisch zu veranschaulichen. Seit der britischen Besiedelung des Kontinents unter dem Kreuz des Südens im Jahre 1788 durch die First Fleet nimmt die Gruppe der aus deutschen Territorien ausgewanderten Menschen innerhalb des Landes eine herausgehobene Rolle ein. Sie gehörten zu den ersten Europäern, die in der frühen Geburtsstunde der Kolonie New South Wales im späten 18. und 19. Jahrhundert als freie Siedler, Handwerker, Wissenschaftler, Entdeckungsreisende, koloniale Expeditionsleiter, Goldgräber, Künstler und Händler ihren Fuß auf australische Erde setzten; bereits um 1900 zählten sie neben den Briten, Iren und Schotten zu der viertgrößten ethnischen Gruppe europäischer Immigranten. Symbolträchtige Orte mit schillernden Namen wie Klemzig, Hahndorf, Lobethal, Tanunda und das Barossa Valley – allesamt im Bundesstaate South Australia gelegen – spiegeln gegenwärtig das kulturelle Erbe der

120 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ersten deutschen Niederlassungen an den entlegenen Gestaden des Fünften Kontinents wider. Hierbei wird gleich zweierlei deutlich: Die als Sippe, Stamm, Klan, Gruppe, politische Partei, Religions- wie Sprachgemeinschaft oder Ethnos verstandenen deutschen Zuwanderer besiedelten den geografischen und sozialen Raum durch das Kulturphänomen der transozeanischen Migration. Das historische Werden – die Ethnogenese – der Zuwanderer steht somit unmittelbar mit diesem anthropogenen Muster in Zusammenhang (Mühlmann 1985: 9). Ferner haben wir es hier weniger mit einem statischen, atavistischen Vorstellungen Genüge leistenden und naturwüchsigen Kollektiv „Volk“ (Girtler 1982) als vermeintlicher Abstammungsgemeinschaft bzw. -gruppe zu tun (Amit/Rapport 2002), vielmehr betrachten wir ein komplexes und höchst temporales Gefüge von intraethnischen Konfigurationen, das innerhalb der letzten drei Jahrhunderte durch die Determinanten Mobilität und Immigration seine Komposition kontinuierlich transformierte. Darüber hinaus scheint es nicht unproblematisch zu sein, in meiner weiteren Argumentation verallgemeinernd und nebulös von „den Deutschen“ zu sprechen, da dieser Terminus an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten aufgrund historischpolitischer Entwicklungen nicht stets mit den gleichen Bedeutungsinhalten belegt war. Der politische Terminus „Deutscher“ verweist im heutigen Verständnis auf einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, der das sprachliche, materielle und geistige Kulturerbe mit den anderen Bewohnern des Nationalterritoriums teilt (Schneider 2001). Aber vor der Gründung des Deutschen Reichs ist die politisch korrekte Definition eines „Deutschen“ mit mehr Schwierigkeiten verbunden, weil dieser auf der sprachlichen Ebene einen der zahlreichen regionalen Dialekte des zentralen Europas sprach und politisch in einer Phase des pränationalstaatlichen Denkens Angehöriger eines oder sogar mehrerer der über dreihundert dynastischen Fürstentümer und Kleinstaaten sein konnte. Somit konnten „deutsche“ Migranten bis weit ins lange 19. Jahrhundert hinein aus dem Elsass (stand unter der Regierung des Königs von Frankreich), aus dem Königreich Hannover (was zu England gehörte), aus Schleswig (was Teil von Dänemark war), aus Preußen, dem Großherzogtum Baden oder dem Habsburger Reich kommen. Der Sachverhalt, dass dieses an einen Flickenteppich erinnernde staatlich-politische Territorium den Ausgangspunkt vieler „deutscher“ Auswanderer seit dem 18. Jahrhundert darstellt, führt nicht nur eine monokausale Auffassung von ethnischen Grenzziehungen ab absurdum, sondern verlangt im Weiteren nach operablen Termini, die den in Rede stehenden Phänomenen und Prozessen der deutsch-australischen Migration zur Genüge Rechnung tragen. Um jenes deutsche ethnische Bewusstsein hinreichend zur Darstellung zu bringen, bedarf es – in guter kulturanthropologischer Manier – eines Blicks in die Vergangenheit, der sich „unter den irreführenden Etiketten, metaphysischen Typen und leeren Ähnlichkeiten hindurch in die Niederungen des Details“ (Geertz 1992: 81) begibt, um Verbindungen, Verlaufsformen sowie Mechanismen zwischen Stagnati-

E THNOGENESE | 121

onen und diskontinuierlichem Wandel nachzugehen. Diese ausgedehnte und historisch argumentierende Ethnogenese erweitert den Orientierung vermittelnden Horizont meiner Arbeit beträchtlich, dient als Schlüssel zur Struktur der Immigration nach Australien und konstituiert nicht zuletzt eine gedankliche Brücke zwischen den Stimmen der Vergangenheit und der Gegenwart (Cipolletti 1997: 16). Wer aber heute über die Geschichte der deutschen Emigration nach Down Under Bericht erstatten möchte, ist tunlichst dazu angehalten, seinen plot nicht nach universal geltenden politischen wie gesellschaftlich kondensierten Hierarchien so anzulegen, dass am Schluss der Erzählung eine Struktur dekuvriert wird, die den Ereignissen schon immer immanent gewesen war. Denn derartiges unwissenschaftliches Vorgehen würde sich auf Kosten menschlicher Vielfalt zum alleinigen Handlungsträger historischer Erzählungen aufschwingen, komplexe vergangene Realitäten unterminieren und kulturell konditionierte Gesetzmäßigkeiten ignorieren, die den Kulturerscheinungen der Jetztzeit ihre historischen Konturen verleihen. Zur Signifikanz und Legitimation von Aussagen über die historischen Dimensionen der vom Menschen selbst erschaffenen Welt äußert sich der Ethnologe Rüdiger Schott wie folgt: „Unaufgebbar ist nicht zuletzt auch die Erkenntnis, daß der Mensch immer und überall als ein geschichtlich handelndes Wesen auftritt, auch da, wo er diese seine Geschichte nicht aufschreibt. Er offenbart sich als geschichtliches Wesen eben nicht nur in den Haupt- und Staatsaktionen einzelner Herrscher, sondern ebenso und vor allem in der unglaublichen Vielfalt seiner kulturellen Schöpfungen bei allen Völkerschaften des Erdkreises in der Gegenwart wie in der Vergangenheit“ (Schott 1971: 34).

Partiell an den Betrachtungswinkel der Ethnohistorie angelehnt1 und um eine Historisierung der im weiteren Verlauf dieser Studie thematisierten ethnografischen Gegenwart bemüht, zielen die anschließenden kulturgeschichtlichen Kapitel auf eine Rekonstruktion ausgewählter Prozesse, Phänomene, kultureller Äußerungsformen sowie Makro- und Mikrostrukturen in einem datierbaren Zeitraum wie lokalisierbarem Gebiet ab. Die Illustration eines dynamischen Geschichtsbildes (Wernhart/Zips 2008: 19) im Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne mit Blick auf die Genese der modernen Welt ist vorrangiges Ziel der nachfolgenden fünf historischen Teilabschnitte.

1

„I view ethnohistory as a form of cultural biography that draws upon as many kinds of testimony as possible […] One can’t do this without taking account both of local-level social history and the larger-scale social and cultural environments that affected that history. This kind of holistic, diachronic approach is most rewarding when it can be joined to the memories and voices of living people“ (Simmons 1988: 10).

122 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

2.1 T HE E ARLY C ROSS -C ULTURAL E NCOUNTERS : J AMES C OOK UND SEINE BEIDEN DEUTSCHEN B EGLEITER „[S]o verdient doch dem Anschein nach kein Theil der Welt mehr untersucht zu werden, als das große feste Land von Neu-Holland, weil wir dessen bloße Außenlinie kaum ganz kennen, und die natürlichen Reichthümer desselben uns gewissermaßen noch gänzlich unbekannt sind. Von den Einwohnern wissen wir nicht viel mehr, als daß sie, dem einstimmigen Bericht aller Reisenden zufolge, ungleich roher denn irgend ein anderes, unter dem heißen Himmelsstrich wohnendes Volk sind und ganz nackend einhergehen; auch müssen sie nur in geringer Anzahl seyn, weil dem Anschein nach bloß die Küsten bewohnt sind. Solchergestalt ist dies Land nicht anders als eine noch völlig unbekannte Wildniß zu betrachten, die aber um nichts kleiner seyn kann als ganz Europa, und größtentheils unter den Wende-Creysen gelegen ist, mithin, sowohl ihrer Größe, als ihres vielversprechenden, vortreflichen Himmelsstrichs wegen, vorzügliche Aufmerksamkeit verdienet und hohe Erwartungen erregt. Die Menge von Merkwürdigkeiten aus dem Thier- und Pflanzenreich, welche auf Capitain Cooks voriger Reise, in der Endeavour, bloß an den See-Küsten allhier gefunden worden, berechtigt uns zu dergleichen Erwartungen und macht es fast ohnfehlbar gewiß, daß die inneren Gegenden unendliche Schätze der Natur erhalten, die dem ersten civilisirten Volk zu Theil und nützlich werden müssen, welches sich die Mühe geben wird, sie aufzusuchen“ (Forster 2007: 150 [Herv. i. O.]).

Die moderne australische Geschichtsschreibung zum Thema The Germans in Australia setzt ihren argumentativen Ausgangspunkt wiederholt im Jahre der vermeintlichen britischen „Erstbesiedlung“ des Kontinents im Jahre 1788 an, ohne dabei die ethnografisch, kulturanalytisch, botanisch und zoologisch gestimmten literarischen Reisebeschreibungen von Georg Forsters Werk Reise um die Welt während der

E THNOGENESE | 123

Jahre 1772 bis 1775 in dem von Seiner itztregierenden Großbrittanischen auf Entdeckungen ausgeschickten und durch den Capitain Cook geführten Schiff the Resolution unternommen in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Daher mag es kaum verwundern, wenn dieser Weltgeist und Revolutionär (Scheel 1985: 18) aus der Epoche von Voltaire, Kant, Samuel Johnson, Diderot, Goethe und Schiller selbst in deutschen Gefilden lange Zeit um Rang und Namen zu kämpfen hatte. Nach der Übersiedlung vom Kontinent auf die Britischen Inseln wurde dem Vater Georgs, Johann Reinhold Forster, die Ehre zuteil, im Dienste der britischen Admiralität als offizieller naturwissenschaftlicher Sachverständiger bei der von James Cook geleiteten zweiten großen Reise um die Welt teilzunehmen, bei der ihm sein noch jugendlicher Sohn als Reisegefährte und Assistent zur Seite stand. Diese Weltumseglung verfolgte nicht nur wissenschaftliche Absichten, sondern hatte sich in erster Linie ganz säkulare machtpolitische Ziele auf die Fahnen geschrieben. Die kulturelle Praxis „Reisen“ (Maurer 1999) war somit planmäßig vorbereitetet, von wichtigen wissenschaftlichen Institutionen organisiert und eine unter dem Deckmantel des europäischen Wettstreits ausgetragene „Entdeckungsreise“. Das Ende des Absolutismus sowie die in England um 1760 einsetzende Industrialisierung, die für Veränderungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Machtverhältnisse in nahezu allen Sozialschichten verantwortlich gemacht werden kann, führten zu neuen, von geografischer und wirtschaftlicher Expansion motivierten Bestrebungen, in deren Zentrum die Exploration der Südsee stand. Per Geheimorder teilte die Admiralität Cook kurz vor der Abfahrt mit, er sollte nach jenem von zahlreichen Mythen umgebenden „große[n] feste[n] Land“, der so genannten terra australis incognita (Meyn 1994: 537-593), suchen, das – so kündeten Berichte von Seefahrern – irgendwo im Südpazifik zwischen Neuseeland und der Westküste Südamerikas vermutet wurde. In erster Linie bestanden die Beweggründe der europäischen Expansion gen Süden in der Ausweitung des Asienhandels, der Suche nach Gold, Silber und Diamanten, aber auch der Auffindung des irdischen Paradieses, dem Missionseifer sowie zivilisatorischem Sendungsbewusstsein, der Ausdehnung politischen und ökonomischen Einflusses, der Abenteuerlust und dem wissenschaftlichen Erkenntnisdrang. Trotz der abenteuerlichen Reisen von Seefahrern wie Vasco Núñez de Balboa, Abel Janszoon Tasman und des Grafen von Bougainville, die nur zerrbildartige Gewissheiten von den befahrenen Längen- und Breitengraden ins Mutterland zurückbrachten und deren Wissen über nautische Berechnungsmethoden, Vermessungsverfahren sowie Navigation keine genaueren Erkenntnisse zuließ, war der Stille Ozean zur Mitte des 18. Jahrhunderts noch immer ein von Geheimnissen geprägtes Meer. Demgegenüber sollte Kapitän Cook der modernen Ozeanografie zuverlässigere kartografische Materialien präsentieren, die zum Teil in der Jetztzeit ihre Gültigkeit nicht eingebüßt haben. Im Wesentlichen verschmelzen die verschiedenen Thesen, Legenden und sagenumwobenen Erzählungen über die im Südmeer gelegene Landmasse in einem

124 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

konstruierten Gedankengebäude, in dessen konglomeratartiger sowie diffuser Anordnung zwei klare Ausgangspunkte für die Mythenbildung der terra australis incognita zu erkennen sind: Einerseits speist sie sich aus biblischen Überlieferungen, andererseits wurde der Erwartungshorizont mit indigenen Wissensbeständen aus Südamerika angereichert. Nachdem sich bei den spanischen Konquistadoren die Gewissheit Bahn brach, dass sich das in Peru erhoffte Eldorado nicht finden lassen würde, entstand in Teilen Zentral- und Westeuropas mit kompensatorischer Wirkung der Mythos vom alttestamentlichen Goldland Ophir (Bitterli 1992: 179), dies meint einem Land, aus dem König Salomon unsagbare Reichtümer an Gold, Diamanten und Elfenbein für die Errichtung seines Tempels in Jerusalem geholt hatte. Diese europäische Geistesprojektion wurde auf die Inselwelt des Pazifiks übertragen, da auch Überlieferungen aus dem andinen Inkareich Belege für dessen Existenz zur Verfügung stellten. Die sich über mehrere Jahre hinziehenden Befragungen der indigenen Bevölkerung durch die spanischen Konquistadoren indizierten des Weiteren das Vorhandensein eines zusammenhängenden Festlandes von großer Ausdehnung, da Angehörige des ehemaligen Inkareichs die Geschichte einer Südseereise in der Yupangi-Legende oral tradierten. Der zehnte Inka-Herrscher Tupac Yupangi führte bereits circa hundert Jahre vor der Landung europäischer Seefahrer in Südamerika eine Flotte an, die mit goldbeladenen Schiffen in die Heimat zurückkehrte. An diesem Punkt kulminieren sowohl die in christlich-europäischer Tradition stehenden als auch die verbalen Überlieferungen der Indigenas zu der bereits von antiken Autoren angenommenen Existenz eines Südkontinents (Meißner 2006: 29f.). Nahezu blinden und von Sehnsüchten erfüllten Glauben schenkten manche Europäer ferner diesem irdischen Paradies in der schier endlosen Weite des Stillen Ozeans, weil sie sich an die aus der Antike herrührende Vorstellung Arkadiens erinnert fühlten, das als Antipode innerhalb einer europäischen Zivilisations- und Gesellschaftskritik die Stellung eines „Lebens im harmonischen Einklang mit der Natur“ einnahm (Fiedler 1983: 10). Der südliche Alternativkontinent zum Norden nahm innerhalb des Wechselspiels der europäischen Projektionsmuster, die durch einen verzauberten Blick auf eine utopisch naturalisierte Topografie geleitet wurden (Kohl 1981: 229), die Stellung des „fortexistierenden idealen Griechenland[s]“ ein, in dem die westliche Welt glaubte gleichzeitig den Garten Eden und den Limbus zu erkennen (Garber 2001: 109). Für die Europäer bedeutete die Eroberung der geografischen Fremde gleichzeitig die Erhellung dessen, was im Dunstkreis der historischen Ferne lag oder: Athen war vergangen, doch die Südsee lag nah. Die bisher noch in kein Maschennetz von Breiten- und Längengraden eingepferchte Südsee symbolisierte vor dem historischen Hintergrund einer eurozentrischen Menschheitsgeschichte nicht nur den Inbegriff der Sehnsucht und des verlorenen geglaubten Glücks, sondern ferner einen entlegenen Schutzraum, in dem frühe und unberührte Zivilisationsformen der Menschheit anzutreffen waren (Goldmann 1985: 217). Dies wird auch darin deutlich, dass die Einwohner entweder als antike

E THNOGENESE | 125

Griechen oder als von den negativen Auswüchsen der Zivilisation behütete, naive und natürliche Kinder beschrieben wurden. Sollten sich die Verheißungen dieses großen, reichen und unberührten Kontinents bewahrheiten, dann würde die Regierung der britischen Majestät umgehend davon Besitz ergreifen und damit den für wahrscheinlich gehaltenen Wegfall der nordamerikanischen Überseebesitzungen auf diese Weise zu kompensieren suchen. Nachträglich stellte sich diese unbekannte Landmasse jedoch als Legende heraus, deren Nichtexistenz die zweite Weltumseglung Cooks zu Tage förderte (Rübesamen 1963: 13). Eine zweite Aufgabe bestand darin, in den südlichen Gefilden des Pazifiks neue Inseln zu entdecken, die bereits bekannten im Stile einer ethnografischen Vorgehensweise gründlich zu untersuchen sowie die Natur des Menschen in „mehreres“ Licht zu setzen. Auch wenn Kapitän Cook, Kommandant der beiden Schiffe Resolution und Adventure, sowie die beiden Forsters während dieser insgesamt drei Jahre und siebzehn Tage dauernden Meerfahrt keinen Fuß auf den Boden von Neu-Holland setzten, finden sich doch einige Kommentierungen in Georgs Schriften. Attraktivität besaß Neu-Holland für das Königreich im weiteren Verlauf der Geschichte gleich aus mehreren Gründen. Zuerst sollte es als Surrogat für die in der weiteren Chronologie der britischen Geschichte verlustig gehenden amerikanischen Kolonien dienen. Zweitens galt es als potenzieller Ort der Verbannung, in dem die „kriminellen und weniger nützlichen Elemente“ der Gesellschaft (Forster 1985: 179) dabei helfen sollten, den neuen Siedlungen im Sinne der ökonomischen Expansionsabsichten des Mutterlandes eine reiche Zukunft angedeihen zu lassen. Zuletzt spielte die konkurrierende Stellung zu den anderen Seemächten Holland und Frankreich eine ausschlaggebende Rolle, da diese Rivalen unlängst Interesse an der Inbesitznahme der Landmasse angemeldet hatten bzw. mit ihren Schiffen vermehrt in diesen Breitengraden kreuzten. Neben dem indischen Subkontinent sollte Australien für England einer der signifikantesten Bestandteile des zweiten kolonialen Empire werden. Als polyglottes Wunderkind und geschulter Zeichner attestierte der noch blutjunge Knabe seinem Vater bei der Sammlung und Taxonomierung von Pflanzen, Tieren sowie ethnografischen Gegenständen, die der Kraft seines Amtes installierte Reisechronist auf dem Seeweg der unter der Führung von Kapitän James Cook stehenden Resolution durch den Südpazifik bzw. das südpolare Meer zu dokumentieren angehalten war. Stand der junge und geniale Georg, geboren in einem zum preußischen Polen gehörenden Dorf namens Nassenhuben bei Danzig, während dieser mehrjährigen abenteuerlichen Expedition nach Neu-Seeland, Neu-Holland, OTahiti, den Societäts-Inseln, dem Oster-Eyland, den Hebridischen-Inseln und NeuCaledonien bis zum endgültigen Verlassen des Schiffs am 30. Juli 1775 noch im Schatten der wissenschaftlichen Schaffenskraft seines Vaters, so löste er sich doch spätestens mit der Publikation der Reise um die Welt – bei der er sich auf die Tagebuchmaterialien seines Vaters stützte – aus diesem heraus, so dass ihm aufgrund

126 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

seiner großen Verdienste im Metier der wissenschaftlichen Darstellungen und Reisebeschreibungen honorierende Verdienste zuteilwurden. Prominente Persönlichkeiten wie Alexander von Humboldt, der Forster einmal als den „hellste[n] Stern seiner Jugend“ bezeichnet hatte sowie Goethe waren voll des Lobes über die bunt kolorierten Berichte von den „schönsten Gestade[n] der Südsee“, die zugleich vor zwei Jahrhunderten als Gründungsmanifest der modernen Reiseliteratur zu gelten haben und mit einer „kulturalisierenden Einformung von Naturwahrnehmung“ (Fetscher 2004: 359) einer neuen literarischen Gattung auf die Füße verhalfen. Im fokalen Zentrum der natur- bzw. völkerkundlichen Schilderungen, philosophischreflexiven Gedankengänge und dokumentarisch-sachlichen Beschreibungen Georg Forsters – der von Robert Lowie zu den Reisenden gezählt wird, „who admirably elucidated externals [but] failed to go deeply into native beliefs and customs“ (Lowie 1937: 6) – standen immer wieder die Lebenswelten und Daseinsformen des Menschen, insbesondere der Südseevölker, deren Bekanntschaft er geradezu suchte (Petermann 2004: 270). Sein Blick auf die unterschiedlichen kulturellen Manifestationen war wesentlich differenzierter als der seiner britischen Kollegen auf See, da er die so genannten „Eingeborenen“ nicht als „edle Wilde“ im Sinne von JeanJacques Rousseau klassifizierte, sondern als Gesellschaftswesen mit eigenen kulturellen Errungenschaften betrachtete. Scharfsinn, eine ausgeprägte Beobachtungsgabe, die Muße zum großen Panorama sowie die Befähigung, analytische Folgerungen aus diesen Gegebenheiten der Wirklichkeit zu ziehen, ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Ausführungen. „Ein Reisender, der nach meinem Begriff alle Erwartungen erfüllen wollte, müßte Rechenschaffenheit genug haben, einzelne Gegenstände richtig und in ihrem wahren Lichte zu beobachten, aber auch Scharfsinn genug, dieselben zu verbinden, allgemeine Folgerungen daraus zu ziehen, um dadurch sich und seine Leser den Weg zu neuen Entdeckungen und künftigen Untersuchungen zu bahnen. […] Ich habe mich immer bemühet, die Ideen zu verbinden, welche durch verschiedne Vorfälle veranlaßt wurden. Meine Absicht dabey war, die Natur des Menschen so viel möglich in mehreres Licht zu setzten und des Geist auf den Standpunkt zu erheben, aus welchem er einer ausgebreitetern Aussicht genießt, und die Wege der Vorsehung zu bewundern im Stande ist“ (Forster 2007: 42).

Die zweite Ausgabe der Deutschen Biographischen Enzyklopädie aus dem Jahre 2006 geht mit ihren Elogen sogar so weit, Georg Foster nachträglich die Würden des Entwicklers der Teilnehmenden Beobachtung zukommen zu lassen, weil der Autor während seiner am konstruktiven Empirismus angelehnten subjektiven Erfahrungsbeschreibungen den Nachweis für seine Fähigkeit erbrachte, Empfindungen und Korrekturen der eigenen Sichtweise zu Papier zu bringen (Garber 2006: 424). Das Postulat eines voraussetzungslosen Beobachtungsgeistes – Forsters einhellige Meinung bestand darin, dass Vorwissen und Traditionen seine Wahrnehmung und

E THNOGENESE | 127

Deutung der fremden Kulturen der Südsee maßgeblich determinieren (Heintze 1990: 74) – sowie der damit einhergehende Verweis auf die Subjektivität aller von persönlicher Erfahrung gekennzeichneten Sichtweisen schenkt in besonderer Weise dem Sachverhalt Aufmerksamkeit, „ein jedes Volk für sich zu betrachten, es nach allen seinen Verhältnissen zu beschreiben, und genau zu untersuchen, wie es an die Stelle hinpaßt, die es auf dem Erdboden ausfüllt“ (Forster 1843: 384, zitiert nach Mühlmann 1948: 66). Georgs erfahrungswissenschaftliche Leistungen beim Versuch, sich weder von stereotypen Vorurteilen noch scheinbar objektiven Gegebenheiten entlang der zu dieser Zeit in Stein gemeißelten Dichotomisierung zwischen einer „zivilisierten“ und einer noch zu „zivilisierenden Welt“ – deren Mitglieder nach europäischen Vorstellungen den evolutionistischen Entwicklungsstatus der Kindheit nicht überschritten hatten und denen jeglicher Individualismus abging – zu orientieren, macht deutlich, wie stark er davon überzeugt war, dass interkulturelle Erfahrungen stets von der eigenen Zivilisation, ihrer Erziehung und Ausbildung sowie ihren Wünschen und Ängsten vorgegeben sind (Neumann 1994). Sein Erzählen von seinem und über seinen Kulturkontakt, der angesichts mangelnder Verständigungskompetenzen und des eher flüchtigen Aufeinandertreffens auf die Ethnografie des Registrierens, Sammelns und Dokumentierens reduziert war, lässt den Weltreisenden in einem geradezu modernen Licht erstrahlen, da er die „ethnozentristische“ Grundhaltung durch eine „ethnologische“ ersetzte und andere Zivilisationen nicht als rückständig, pittoresk, kindisch oder barbarisch diskreditierte, sondern andere Kulturen als historisch gewordene und sinnvolle Gebilde begriff, die wahrscheinlich uns nicht fremder sind wie wir ihnen (Museum für Völkerkunde Frankfurt am Main 1976: 15f.). Mit Blick auf die Kulturerrungenschaften der „Primitiven“ und seiner Sensorik für die zarten Schattierungen der Wirklichkeit relativierte er sogar die europäischen Anschauungen. Der Berliner Soziologe Wolf Lepenies hatte bereits 1973 darauf aufmerksam gemacht, dass die Fremdwahrnehmung Forsters insofern einen Brückenschlag zu den allgemeinen Mustern des Identitätsprozesses bildet, als dass die Herausbildung einer eigenen Identität (Europäer) während des Kulturkontaktes nicht ohne die kontrastierenden Erfahrungen eines fremden Anderen (Südseeinsulaner) auskomme (Lepenies 1973: 71). Als vom Humanismus geprägter Gelehrter und in der Tradition der Aufklärung nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis strebend, eröffnete er seinem englischen und deutschen Lesepublikum neuartige Perspektiven auf bisher unbekannte Welten, fremde Wesen und tollkühne Abenteuer aus der Südsee, d. h. Bilder, die in Europa bis zum Zeitpunkt seiner Publikation maßgeblich vom Genfer Modephilosophen bestimmt wurden. Seine wahrnehmungsästhetische Schreibart in den Passagen über die Königin der Südsee, die Insel Tahiti – in der Bougainville das Neu-Kythera erblickte –, versucht sich mit kühler wissenschaftlicher Objektivität zu schmücken, die jene Vorstellungstraditionen eines nostalgischen Urzustands des „guten Wilden“ von Rousseau dekonstruierten, der mit seinen idealtypischen Schwärmereien für die seligen

128 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Ur- und Naturzustände der Menschen in der Südsee die europäischen Gemüter seiner Zeit zu berauschen wusste.2 Der Kulturanthropologe Wilhelm Mühlmann formulierte dazu: „Daß dieses Inselbild von einer ,seligen Insel‘ in Europa sich ausbreitete, obwohl uns die Originalmitteilungen der beiden Forster eine durchaus ,irdische‘ Gesellschaft und Kultur zeichnen, vom ,Naturzustand‘ so entfernt wie möglich, ist eines der merkwürdigsten Phänomene der europäischen Geistesgeschichte und kann wohl nur daraus erklärt werde, daß die mit Rousseau einsetzende romantische Bewegung eben unfähig war, die Zeugnisse aus der exotischen Völkerwelt adäquat und realistisch aufzufassen: man wollte ein ideales Utopien sehen, und so sah man es“ (Mühlmann 1955: 15).

Georg Forsters Interpretation der Erdoberfläche als eines Ortes koexistierender Stufenabfolgen menschlicher Genese offenbart ein vom humanistischen Ideal inspiriertes, ethnologisches sowie von Hypothesen geleitetes Anthropologie- und Kulturkonzept, das im Stile eines gebildeten „reisenden Philosophen“ arbeitete. Dergestalt verließ er als Kulturvermittler mit seinen wirklichkeitsnahen Reflexionen die spekulativen wie klischeebehafteten Sphären3 der von den zahlreichen Reisenden des Mittelalters und der Frühen Neuzeit kolportierten, mehr oder weniger detailgetreuen wie publikumswirksam eingesetzten Geschichten, Anekdoten und Robinso-

2

Mit Vitalismus versehene Schilderungen des Südseezaubers und der dort in absoluter Harmonie mit der Natur lebenden Menschen waren in dieser europäischen Epoche nicht gerade rar gestreut: „Ich glaube mich in den Garten Eden versetzt“, schrieb Bougainville über das mit allen Attributen paradiesischer Schönheit versehene Tahiti und trug zu einer Wiederbelebung des Mythos vom „edlen Wilden“ maßgeblich bei. Dieser im Grunde von europäischer Zivilisations- und Gesellschaftskritik geprägte Blickwinkel schuf so jenes geraume Zeit beibehaltene Bild der Südseebewohner, die in kindlicher Unschuld und völliger Gleichheit in geradezu paradiesischer Umgebung leben (Bougainville 1977: 188; Bitterli 1991: 373ff.).

3

Dieses konstruierte Klischee von dem außereuropäischen Fremden, das von fernen Weltgegenden in der Frühen Neuzeit zu illustrieren gepflegt wurde, besaß zumeist eine dualistisch-distinktive Ordnung, denn der Fremde glich entweder weitgehend dem Bild, das sich der Europäer von sich selbst machte, oder ihm wurden nahezu alle menschlichen Eigenschaften abgesprochen. Jene stereotypen und ethnozentristischen Attributionen, die im weitesten Sinne einer Art Ikonografie des Fremden folgten, versuchte der junge Forster mit seinem engagierten Schreibstil zu durchbrechen und scheute als scharfsinniger Empiriker auch den Streit mit Philosophen wie Kant nicht (Berg 1982; Lepenies 1988: 142).

E THNOGENESE | 129

naden über sagenhafte Reichtümer, Jungbrunnen und fliegende Fische an den äußeren Rändern der Ökumene (Stagl 2002: 254). Letztendlich lassen darüber hinaus die auf der besagten Reise gesammelten ethnografischen Artefakte den Schluss zu, dass Georg Forster und sein Vater Johann sich mit ihrem empirischen Wissenshunger einen angestammten Platz in der Ahnenreihe der kulturrelativistisch denkenden Ethnologen verdient haben (Gingrich 2005: 66f.). Ihre Materialien fanden nicht selten Einzug in die zu der damaligen Zeit üblichen Kuriositätenkabinette und Museen. Heute stellen sie einen wissenschaftlichen Beitrag zur Rekonstruktion einer pazifischen Ethnohistorie bereit, anhand der eine vitale Produktion des Verständnisses von pazifischer Kultur und Identität bereits in Angriff genommen wurde (Kaeppler 1994: 70). Folglich ist es in der pazifischen Welt und insbesondere in Australien gegenwärtig nur mehr als verständlich, dass die Forsters zu den anerkannten Pionieren der Naturgeschichte, Anthropologie und Geografie der südlichen Hemisphäre gezählt werden (Hoare 1994: 30).

2.2 D ER G EFANGENENTRANSPORT

DER

F IRST F LEET

„Wir erreichten am frühen Nachmittag Port Jackson und fanden zu unserer Freude den besten Hafen der Welt vor, in dem mehr als tausend Schiffe sicher Zuflucht finden können. Ich gab der Bucht den Namen Sydney.“

Diese Tagesnotiz vertraute Kapitän Arthur Phillip am Abend des 26. Januar 1788 dem Schifflogbuch des unter seinem Befehl stehenden englischen Seglers Sirus an, der neben der Supply, drei Vorratsschiffen und sechs Transportern das Hauptschiff der am 13. Mai 1787 im Hafen von Portsmouth aus in See gestochenen ersten Flotte gewesen ist. Am darauffolgenden Morgen gab der deutschstämmige Befehlshaber4 – Phillips Vater Jacob wurde in Frankfurt am Main geboren – Befehl, mit einem Beiboot die Landnahme von Neu-Holland in Angriff zu nehmen. Phillip und seine ihm untergebenen britischen Offiziere aus dem Admiralitätsstab hissten auf einer

4

Neben dem Kapitän der Flotte finden sich noch zwei andere Mitreisende, die deutsche Wurzeln hatten. August Theodor Alt kam als verantwortlicher Vermessungsbeamter und Phillip Schäeffer hatte sich als Sträflingsaufseher in der Kolonie verdingt, ging jedoch später als deutscher Weinbauer nach Parramatta. Der Autor Levi konnte bei seinen Nachforschungen über jüdische Einwanderer in Australien nachweisen, dass zahlreiche Sträflinge notgedrungen den Weg nach Australien angetreten hatten, die ihren Geburtsort in deutschen Territorien besaßen (Levi 1976).

130 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Lichtung ihre Flagge, Musketen feuerten Salven in die Luft und mit Rum wurde ein Trost auf den König von England ausgesprochen. Mit dieser Landnahme beginnt nicht nur die über zweihundertjährige europäische Geschichte Australiens, sondern auch die Historie der Deutschsprachigen in dieser geografischen Zone (Cobley 1987: 35ff.). Hinter dem 1.350 Seelen starken Tross lag eine die Grenzen menschlicher Belastbarkeit transzendierende Reise über Teneriffa, die Kapverdischen Inseln, Rio de Janeiro und Kapstadt, bis sie nach nunmehr achtmonatiger Fahrt auf See die Botany Bay und Port Jackson erreichten. Betrachten wir die während der Ankunft sowie des Aufenthalts an den Gestaden der Tasmanischen See von George Raper und Thomas Watling kunstvoll entstandenden Malereien, Illustrationen und Skizzen genauer, so ist es uns zumindest bis zu einem gewissen Grad möglich, mit den Augen der damaligen Passagiere die Silhouette des östlichen Australiens um 1788 nachzuzeichnen. Einerseits erblicken wir schroffe Küstenformationen beim Eingang in die Sydney Cove, mit urweltlichen Farnbäumen, Akazien und Eukalyptuswälder begrünte Hügellandschaften, abgeschiedene Buchten, nahezu gänzlich unberührte Natur mit einer enormen Biodiversität an Flora und Fauna, andererseits eine intakte Gesellschaft der Aborigine-Stämme der Dharawal, Dharud und Kuringgai mit ihren über lange Zeit gewachsenen Weltbildern und den daraus abgeleiteten Kulturpraktiken (Smith/Wheeler 1988). Ganz davon abgesehen, dass bereits Menschen diesen Erdenstrich vor Tausenden von Jahren als Lebenshabitat für sich auserkoren hatten, waren es in erster Linie Offiziere der englischen Admiralität, britische Gesetzesbrecher und deren Aufseher, die als Gründungsväter der westlichen Zivilisation in den neuen Kolonien im südlichen Pazifik von den europäischen Geschichtsschreibern porträtiert wurden. Der überwiegende Teil jener Mitglieder dieser ersten Flotte waren unfreiwillige, deportierte Menschen, die im britischen Empire in unterschiedlicher Weise und Intensität das Gesetz übertreten und als Strafe nun eine Reise um die halbe Welt anzutreten hatten, um in den neuen Niederlassungen als billige Arbeitskräfte deren wirtschaftliche Erschließung zu vollbringen.5 Ein Blick auf die

5

Der Transport von Gefangenen begann in Australien mit der Gründung der Kolonie New South Wales im Jahre 1788 und fand sein Ende circa achtzig Jahre später, als der letzte von England kommende Transport am anderen Ende des Kontinents in der Region um Perth landete. Während dieser Periode waren es insgesamt 160.000 Männer, Frauen und Kinder, die den langen und kräftezehrenden Schiffsweg durch drei Ozeane über sich ergehen lassen mussten. Während den ersten fünfzig Jahren war es eine Seltenheit, wenn die Häftlinge weniger als 40 Prozent der Gesamtbevölkerung umfassten. In den Dekaden, die dem Ende der Inhaftiertentransporte folgten, bestand ein großes Anliegen darin, diesen „beschämenden“ Teil der Vergangenheit zu vergessen. Dieses Verhalten stellt einen Antagonismus zur gegenwärtigen Pflege des kulturellen Erbes da. Eine Präservation

E THNOGENESE | 131

historisch-gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungstendenzen im britischen Mutterland im 18. Jahrhundert verspricht mehr Aufschlüsse über das doch als monumental zu titulierende Vorhaben der First Fleet und lässt deren Passagiere sowie deren soziokulturellen Hintergrund in einem helleren Licht erscheinen. Mannigfaltige, revolutionierende und irreversible Veränderungen der traditionellen Weltordnung brachten in England, Irland und Schottland eine mit der aufkeimenden Industrialisierung sowie einer starken Bevölkerungszunahme einhergehende Urbanisierung metropolitaner Zentren mit sich, so dass immer mehr Menschen um immer knapper werdende Ressourcen konkurrierten. Sowohl soziale Umschichtungen wie Landflucht als auch die daraus hervorgehende Intensivierung der Binnenmigration mit Hoffnung auf eine bessere Existenz in Großstädten wie London, Glasgow, Manchester, Liverpool, Birmingham, Leeds und Dublin waren gesellschaftliche Auswirkungen eines unruhigen wie turbulenten Stadiums an der Schwelle des Industriezeitalters. Insbesondere die hohe Komprimiertheit in den menschlichen Agglomerationen, der ansteigende Konkurrenzdrang, der geringe individuelle Schutz gegen fluktuierende Nahrungspreise in Phasen der wirtschaftlichen Depression, allgegenwärtige Armut, Arbeitslosigkeit sowie die allgemein vorherrschende soziale Unzufriedenheit im Kontrast zu den pompös-luxuriös lebenden Klassenfeinden der upper class ließen die Kriminalitätsrate sowie die Affinität zu Alkohol und Glücksspiel vor allem im urbanen Milieu drastisch ansteigen. Jene Periode des gregorianischen Englands karikierte anschaulich der Künstler William Hogarth, der dem Betrachter seines Werkes Gine Lane die düsteren Verhältnisse im Slum St. Giles Parish in Westminster vor Augen führt und im Subtext des Bildes vielsagend einfügt: „Drunk for a penny, dead drunk for tuppence.“ (Guratzsch 1987: 171ff.). Kriminelle Handlungen – wie zum Beispiel das Stehlen von Wertgegenständen und Nahrungsmitteln – avancierten in diesem Kontext schnell zur Lebensgrundlage, die die eigene Existenz zu sichern suchten. Im Zuge von ökonomischen Rezessionen, Hungersnöten und Elend konnten viele Menschen der Versuchung nicht widerstehen und bereicherten ihr trostloses Dasein mit Delikten wie Diebstahl, Einbruch, Raub, Dokumentenfälschung, Gewaltanwendung und Prostitution (King 1987a: 38). Zu dieser herabgesetzten Hemmschwelle gegenüber der Einhaltung juristisch festgelegter Prinzipien in einigen Teilen der britischen Bevölkerung paarte sich eine rigorose Anwendung des Strafrechts auch gegen kleinere Vergehen sowie die Absenz von effektiven Formen der Betreuung von Delinquenten in den so genannten old navy hulks. Kurz gefasst: Die Gefängnisse waren überfüllt und als Alternative zum Galgen blieb nur der Transport in eine Gefangenkolonie

handschriftlicher Dokumente findet sich in der Mitchell Library of New South Wales, die durch eine extensive Sammlung von öffentlichen sowie privaten Schriften und einer großen Menge von eher seltenen Bildern komplettiert wird (Weidenhofer 1973: 8).

132 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

übrig. Je nach Grad des Verbrechens und der Härte des angewendeten Urteilsspruchs konnte es sich um sieben oder vierzehn Jahre und sogar lebenslänglich handeln. Nova Hollandia – für das James Cook während und nach seinen Weltreisen nur lobende Worte fand – galt somit als operabler Ort, an dem Britannien sich seiner unliebsamen kriminellen Elemente entledigen sowie gleichsam die Leerung der überfüllten, Krankheiten und Chaos verbreitenden Strafanstalten realisieren konnte. Zudem schuf der Unabhängigkeitskrieg in Nordamerika insofern neue Vorzeichen, als die ehemaligen Kolonien eine Emanzipation vom Mutterland anvisierten und in dessen Folge die Aufnahme weiterer britischer Sträflinge verweigerten. Wer waren aber diese Straftäter? Die historische Forschung ist der Frage nachgegangen, inwiefern es sich bei den convicts um eine kriminelle Subkultur mit pränatal-habituellen Dispositionen und einem Hang zu bandenähnlichen Vereinigungen handelte, oder ob es möglicherweise Mitglieder der Arbeiterbevölkerung gewesen sind, die in der Beschaffungskriminalität einen letzten Ausweg aus ihrer Notsituation sahen. Das Autorenduo Stephen Nicholas und Peter R. Shergold unterstützen in ihrer Argumentation keineswegs die These vom nomadisierenden Kriminellen, der nur aufgrund seines charakterlichen Naturells zum Verbrechen tendiere, sondern werfen ganz im Gegenteil die Behauptung auf, dass die so genannten victims of law aus dem Arbeitermilieu kamen, eine praktisch-handwerkliche Ausbildung genossen hatten und vor dem Gesetzesübertritt einer regelmäßigen Arbeit nachgingen. Hinter der Fassade des zuweilen harschen Sprachgebrauchs und den unzähligen Tätowierungen verbargen sich zumeist junge, hochmobile Männer mit Arbeitserfahrungen als Maurer, Schreiner, Schmied und Schneider; sogar die Rate der des Lesens und Schreibens Mächtigen lag überraschenderweise bei 75 Prozent. Dies waren Kenntnisse und Fähigkeiten, die bei der Zivilisierung und Kultivierung der Strafkolonien in Port Jackson, Port Phillip und der Moreton Bay dringend benötigt wurden (Nicholas/Shergold 2001: 21). Als unentgeltliche Arbeitskräfte standen sie nach dem Verlassen ihrer menschenfeindlichen Behausungen unter Deck – die viele von ihnen für zwölf Monate nicht verlassen hatten – im Dienst des Mutterlandes, hatten Bäume zu fällen, Land zu kultivieren, Straßen anzulegen, nach Frischwasservorräten zu suchen und den kolonial-wirtschaftlichen Expansionsambitionen ihrer Gebieter am kleinen und isolierten Außenposten des britischen Empire Folge zu leisten (Sherington 1980: 6). Von Seiten der britischen Regierung sah man zunächst keine triftigen Gründe zur konzentrierten und nachhaltigen Bevölkerung der immensen Landmasse, so dass die marginale ökonomische Prosperität zu Beginn in den Händen einer Schicksalsgemeinschaft von mehr oder minder qualifizierten Gefangenen und ihren Aufsehern lag. Nachdem die natürliche Barriere der Blue Mountains überwunden wurde, stand einer Exploration des australischen Hinterlandes nichts mehr im Wege. Da Phillip viel an der unverzüglichen Prosperität gelegen war, ersuchte er die Regierung um die Zusendung freier Siedler zur Unterstützung der Landwirtschaft, insbesondere

E THNOGENESE | 133

zur Selbstversorgung mit notwendigen Nahrungsprodukten, aber auch zur Aufzucht von englischen Merinoschafen (Hanke 1973: 197f.). Zur Mitte des vorletzten Jahrhunderts versuchten es die Kolonialbeamten mit der Ansiedlung freier Migranten aus den kontinentalen Gebieten Europas. Für dieses durchweg waghalsige, abenteuerliche, zeitgeschichtlich einmalige und von zahlreichen physischen wie psychischen Entbehrungen gekennzeichnete Vorhaben, am buchstäblich anderen Ende der Welt, in einer unwirtlichen bis fremdartigen Umgebung einen Außenposten der europäischen Zivilisation zu installieren, findet der neu ins Amt gehobene Gouverneur der neuen Siedlung New South Wales, Kapitän Arthur Phillip, in seiner Zwischenbilanzierung ausnahmslos positive und zukunftsweisende Worte: „And I do not doubt that this country will prove the most valuable acquisition Great Britain ever made. We have come today to take possession of this fifth great continental division of the earth, on behalf of the British people, and have founded here a State which we hope will not only occupy and rule this great country, but also will become a shining light among the nations of the Southern Hemisphere. How grand is the prospect which lies before this youthful nation“ (zitiert nach King 1987b: 85).

Schlussendlich markierte die Auswanderung deutscher Migranten aus Preußen im 19. Jahrhundert den Startpunkt der ersten größeren Ansiedlung in Australien, dem ich mich im nächsten Kapitel widmen möchte.

2.3 D ER EUROPÄISCHE B EVÖLKERUNGSEXODUS IM 19. J AHRHUNDERT UND DIE DARAUS RESULTIERENDE I MMIGRATION NACH N OVA H OLLANDIA Zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Ausmaß bei der transozeanischen Auswanderung – neben der Binnenmigration – in deutschen Territorien immens, so dass neben der Zahl der Amerikaauswanderer auch der Anteil der Australienauswanderer ständig anstieg. Wo liegen die Gründe für dieses soziokulturelle Phänomen? Warum verließen so viele Menschen ihre Heimat für eine ungewisse Zukunft in einem fernen Land, über das sie nur spärliche Informationen besaßen? Eine Kategorisierung nach religiösen, ökonomischen, politischen und sozialen Beweggründen – wie sie in der Standardliteratur zu finden ist – scheint hier opportun zu sein. Dabei bleibt jedoch zu bedenken, dass nicht alle hier erwähnten Triebkräfte zur gleichen Zeit und mit gleich hoher Intensität auf die Entscheidung für oder gegen eine Auswanderung gewirkt haben. Das nach den Napoleonischen Kriegen folgende Jahrhundert ist gekennzeichnet durch die Emigration von 55 Millionen Menschen, die Europa den Rücken kehrten. Eine Majorität von über

134 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

90 Prozent suchte ihr Glück in den Vereinigten Staaten von Amerika, nur eine kleine Minderheit siedelte in Kanada, Südamerika, Australien, in Teilen Afrikas und Russland. Tiefe Verunsicherung sowie die Hoffnung auf eine bessere Daseinsform fernab von Hungerkrisen, menschenunwürdigen Lebensbedingungen, Pauperisierung und sozialer Frage führten nicht nur zu der sich in vielen zeitgenössischen Quellenbelegen widerspiegelnden Auswanderungssucht, sondern bildeten konstitutive Charakteristika der oft zitierten Elendsauswanderung. Die Gründe für die Kalamität in Deutschland zur Mitte des vorletzten Säkulums sind vielschichtig (Bade 1984: 265ff.). Aus einem erheblichen Rückgang der Sterblichkeit sowie sich im Wandel befindlicher gemeineuropäischer Heiratsmuster resultierte eine starke Bevölkerungszunahme, so dass mehr Menschen um knapper werdende natürliche Ressourcen konkurrierten. Die zunehmende Industrialisierung, Konsequenzen des Realteilungserbrechts, ausbleibende Ernten und die daraus folgenden Preissteigerungen sowie Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit ließen nicht nur die Zahl der Menschen steigen, deren Einkommen sich am Rande des Existenzminimums bewegte, sondern beflügelte ebenfalls die Zahl der potenziellen Auswanderungswilligen Jahr für Jahr (Kocka 2001 69ff.; Bade 1983: 17ff.). Das damalige Australienbild von einem „verheißungsvollen Land“, dem „Garten Eden“ oder dem „irdischen Paradies“ spiegelt diese Sehnsucht nach einer Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse abseits von individuellen Depressionsphänomenen wie Elend, Siechtum und Hunger deutlich wider. Die folgenschwere Agrarkrise und die drastischen Einschnitte beim protoindustriellen Heimgewerbe, die die deutschen Territorien um 1845 erschütterten, zogen eine prekäre innere Labilität nach sich (Wehler 1996: 641-659). Ganze Wirtschaftszweige, hier insbesondere die traditionsreiche Handwerkszunft, trugen schnell das Prädikat anachronistisch und sahen aufgrund des immer weitere Kreise ziehenden Kapitalismus und Pauperismus berechtigterweise ihre Existenz gefährdet (Bade 2000: 66ff.). Parallel führten Innovationen im Bereich Nahrungsbeschaffenheit, Medizin und Wasserversorgung zu einer geringeren Kindersterblichkeit und einem kontinuierlichen Anwachsen der Bevölkerungsdichte. In den westlichen Regionen Deutschlands führte die auf eine lange Geschichte zurückblickende Realerbteilung dazu, dass die zu bewirtschaftenden Ackerflächen von Generation zu Generation immer kleiner und ineffektiver wurden. Diese wirtschaftlichen Produktivitätsrückgänge intensivierten sich in den 1850er Jahren, als durch Ernteausfälle und Typhusepidemien die Verbitterung angesichts der ökonomischen Verhältnisse in der Phase des Vormärz ihren Höhepunkt fand (Nipperdey 1983: 167). Das gesellschaftskritische Drama Die Weber von Gerhard Hauptmann, in dessen Zentrum die ärmlichen Verhältnisse und das Schicksal einer Gruppe schlesischer Heimweber steht, kann als Soziogramm dieser Epoche gelesen werden. Mack Walker, der in seiner Monografie in aller Ausführlichkeit die Hintergründe und Ursachen der unterschiedlichen Migrationswellen beschreibt, setzt die ärm-

E THNOGENESE | 135

lichen ökonomischen Lebensumstände im 19. Jahrhundert in Beziehung zu der steigenden Rate an willigen deutschen Auswanderern. Er lässt keinen Zweifel daran, dass soziale und ökonomische Rahmenbedingungen im Diskurs über Motive und Veranlassungen der Massenauswanderung bedeutsam sind (Walker 1964: 164). Vor diesem Hintergrund versteht es sich fast von selbst, dass die Lektüre von Wilhelm Kirchners Manuskript Australien und seine Vortheile für Auswanderer (Kirchner 1848: 55) viele Menschen in Hochstimmung versetzte.6 Da das Buch den Vorsatz verfolgte, möglichst schnell gewillte Auswanderer anzuwerben, wird die Terra Australis als das Land beschrieben, in dem Milch und Honig fließen. Mit diesen paradiesisch anmutenden Aussichten hatten Kirchner und seine Agentur leichtes Spiel. Resümierend kann konstatiert werden, dass Deutschland zur Mitte des 19. Jahrhunderts seiner Bevölkerung nur wenig Lebensqualität bot, dagegen suchte die neue Kolonie New South Wales händeringend nach Arbeitskräften und versprach neben politischer Stabilität, Anerkennung der Staatsbürgerschaft und guten ökonomischen Aussichten jedem potenziellen Auswanderer eigene Ländereien sowie eine rosige Zukunft (Beuke 1999; Cloos/Tampke 1993). Die manifesten Push- und PullFaktoren zwischen dem Hier und Dort formuliert Kirchner wie folgt: „Dort [in Australien, Anm. d. A.] sind Krankheiten und Seuchen unbekannt, und Nahrung wird wirklich weggeworfen, weil Bevölkerung nicht genug existiert, den Ueberfluß zu verzehren. In der That, die arbeitende Klasse in dieser gesunden Kolonie hat nie Noth – im europäischen Sinn des Wortes – gekannt, denn nicht allein Nahrung, sondern auch die Mittel sich Kleidung ec. zu verschaffen, sind in Ueberfluß da, und wegen des herrlichen Klimas braucht man nur für ein wenig Schutz gegen Regen und einige leichte Kleidung zu sorgen. Für diejenigen, welche ihr Vaterland verlassen, um Arbeit zu suchen, ist ein großer Beweggrund, Australien zu wählen, der, daß Leute daselbst jeder Zeit vortheilhafte Beschäftigung finden können“ (Kirchner 1848: 70).

Will man nun quantitative Angaben bemühen und konsultiert dafür die statistische Erfassung aller nach Australien ausgewanderten Personen von Mönckmeier, so folgten dieser Aufforderung in der Zeitspanne von 1847 bis 1910 genau 55.322 Menschen (Mönckmeier 1932: 25). Der Sachverhalt, dass Menschen in deutschen Territorien nur eingeschränkt in der Lage waren, ihren eigenen religiösen Anschauungen und Praktiken nachgehen

6

Eine antagonistische Intention verfolgt dagegen die Schrift eines aus Australien nach Deutschland reemigrierten Berliner Oberlehrers namens G. Listemann. Alle Unannehmlichkeiten der Reise sowie des Verfassers versäumte Versuche, als Kolonist erfolgreich zu sein, dienen hier als interessantes Beispiel für eine gescheiterte Migrationsbiografie (Listemann 1851).

136 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

zu können, veranlasste evangelikale Glaubensgemeinschaften zur Immigration. Gerade im 18. Jahrhundert kam es aufgrund von religiöser Verfolgung und Diskriminierung zu massiven Wanderungsbewegungen nach Russland, England, Amerika und Australien. Religionsgemeinschaften wie die Quäkern, die Herrnhuter Brüdergemeinde, die Pietisten und die Reformer betrachteten die zentraldirigistischen Administrationen zahlreicher Fürstentümer als reelle politische Gefahr. Sich auf den im Zuge des Augsburger Religionsfriedens institutionalisierten Rechtssatz cuius regio, eius religio berufend, zwangen Landesherren ihre Untertanen zum Konfessionswechsel. Die Emigration der Altlutheraner nach Südaustralien sowie des Ursulinen-Ordens (Kneipp 1983) nach New South Wales sind bekannte Beispiele dafür (Marschalck 1973: 56f.; Leske 1996; Schubert 1997). Mit der Einführung einer für alle Staatsbürger geltenden offiziellen Liturgie unternahm Friedrich Wilhelm III. 1817 in Preußen die ersten Bemühungen dahingehend, die in seinem Königreich lebenden Protestanten in eine unierte Einheitskirche einzugliedern. Predigern, die von der staatlich verordneten Form abwichen, wurde mit Gefängnis sowie der Konfiszierung klerikaler Güter gedroht. Pastor August Christian Kavel, dessen Gemeinde Klemzig in der brandenburgischen Provinz bei Züllichau, nahe der Grenze zu Schlesien und Posen, lokalisiert war, ahnte voraus, dass kein Ende der religiösen Intoleranz in Sicht war, so dass für ihn und seine Glaubensgemeinschaft die Emigration unumgänglich schien. Dank seiner engen Kontakte zur South Australian Company gelang es ihm, den finanziellen Aufwand für die Überfahrt seiner ganzen Christengemeinde zu arrangieren. Die ersten Schiffe – die Bengalee, die Prince George und die Zebra – erreichten Port Adelaide ab dem 16. November 1838. Die insgesamt circa 500 Menschen umfassende Gruppe der Glaubensflüchtlinge gründete im ruralen Umfeld der Hauptstadt von Südaustralien ihre an Hufendörfer erinnernden Ansiedlungen, deren Namen wie Klemzig, Hahndorf, Bethanien, Lobethal, Langmeil und Tanunda im Barossa Valley auch in der Gegenwart an das kulturelle Erbe der Deutschen zu erinnern wissen (Wilhelm 1931). Zentrales Charakteristikum der auf religiösen Motiven gründenden Massenemigration war somit die im Kollektiv durchgeführte Gruppenwanderung auf der Suche nach religiöser Unabhängigkeit (Harmstorf 2001: 360; Metcalf/Hut 2002: 9ff.; Vondra 1981: 4767). Ein auf Kettenmigration basierender Zuzug von Siedlern aus deutschen Territorien intensivierte die Immigration freier Siedler in Südaustralien und Queensland, die mit ihren Kenntnissen im Bereich der landwirtschaftlichen Nutzerzeugung, ihrem Talent in Sachen Bodenkultivierung und ihrem unermüdlichen Fleiß in der Forschungsliteratur in auffallender Regelmäßigkeit als rurale Pioniere bezeichnet werden und einem Außenstehenden mit ihrer Emsigkeit „wie die englischen Bienen im Frühling“ vorkamen (Jacobi 1988: 16). Während einer Debatte über Immigration im Parlament gab der Premierminister von Queensland, Thomas McIlwraight, folgenden Kommentar ab:

E THNOGENESE | 137

„The Germans arrive from the migrant ship in their German costumes; for one or two days they stay at the migrant hostel and than they suddenly disappear into the bush. Nothing more is heard of these people, until 18 month to two years later they suddenly reappear on the scene. And how? The man, his wife and children come driving into town in an wagon spanned to well groomed horses; are well dressed and on their faces one can see a certain contentment“ (zitiert nach Tampke 2006: 84).

Zwischen 1848 und 1854 gelang es den Administratoren der Kolonie im südlichen Australien, Minenarbeiter aus Clausthal-Zellerfeld im Harzgebirge für die Arbeiten in Broken Hill zu rekrutieren (Vollmer 1995). Ursprung fand die Auswanderung auch in den politischen Wirren der deutschen Volkserhebung. Nach den gescheiterten Eruptionen der Märzrevolution von 1848, die u. a. Freiheit im Sinne von politischen Reformen sowie die Liberalisierung der Wirtschaft als Ziele formulierte, zog es vor allem die Opportunisten, Aktivisten und agitatorischen Rädelsführer dieser gescheiterten Kulturrevolution in ein Land, das ihren repressionsfreien Vorstellungen gerecht wurde und sie vor Verfolgung wie Festungshaft bewahrte (Meyer 1990: 15ff.; Ollmer 2002: 109). Zur Erschließung einer noch jungen Kolonie trugen überdies maßgeblich deutsche Wissenschaftler und Entdecker wie Ludwig Leichhardt und Ferdinand Heinrich Jacob von Müller bei. Leichhardt, der schon zu Lebzeiten als der berühmteste deutschstämmige Entdecker in Australien galt, machte es sich nach einer ersten Expedition von der Moreton Bay nach Port Essington zur Lebensaufgabe, eine Durchquerung der Weiten des Kontinents in Ost-West-Richtung zu verwirklichen. Er scheiterte beim zweiten Versuch im Inneren Australiens an den Klimaverhältnissen. Mit seinem bis heute mit vielen Spekulationen verbundenen Verschwinden sorgte er dafür, dass ihm ein fester Platz in der australischen Mythologie zukommt (Tampke/Doxford 1990: 48ff.). Baron von Müller war von Hause aus Botaniker. Er hatte nach seiner Promotion an der Universität Kiel Deutschland im Jahre 1847 Richtung Australien verlassen, um seine Pflanzensammel- und Bestimmungstätigkeiten in der noch jungfräulichen Flora und Fauna dieses Erdenstrichs fortzuführen. Hohe akademische Würden wurden ihm als Direktor des Botanischen Gartens in Melbourne zu teil. In dem fruchtbaren wissenschaftlichen Umfeld entstanden mehrere größere botanische Nachschlagewerke (Voigt 1988: 55ff.). Gemäß dem Vorsatz „Bringe das Evangelium den Fernen, so erhältst du es den Nahen“ (Becker 2003: 217) ist des Weiteren das religiös-soziale Engagement seitens der Hermannsburger und Neuendettelsauer Missionsanstalt im 19. Jahrhundert auf dem Fünften Kontinent nicht zu gering zu schätzen. Am Lake Eyre begannen die Hermannsburger Geistlichen das Neue Testament in die lokale Dieri-Sprache der Eingeborenen zu übersetzen, wenngleich die enorme physische und mentale Belastung – angesichts der anhaltenden Dürreperioden und der Wüstenhitze – dem Bekehrungsvorhaben ein schnelles Ende bereitete. Hinzu kamen die Probleme, den

138 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

vermeintlichen „Heiden“ christliche Begriffe wie „Gnade“, „Sünde“ und „Gottesgerechtigkeit“ nahezubringen, für die jene keine linguistischen oder gedanklichen Komplementäre bereitstellten. Carl Strehlow übernahm 1884 die nun von der Neuendettelsauer Missionsanstalt geführte Ambassade am Lake Killalpaninna, in der Nähe des Finke River, und legte während seiner achtundzwanzigjährigen Amtszeit vor Ort großen Wert darauf, ein tieferes Verständnis der reichhaltigen traditionellen Aranda-Kultur zu erlangen (Veit 1991). Im Zuge seiner engen Beziehungen zu diesen autochthonen Gruppierungen sowie dem ihnen entgegengebrachtem Interesse an ihrer Mythologie und ihrem Idiom entstanden wertvolle anthropologische und ethnologische Beobachtungen, von denen sich die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts – an dieser Stelle sei nur auf Malinowski, Durkheim und Levi-Strauss verwiesen – inspirieren ließ. Von dem wissenschaftlichen Tatendrang seines Vaters ermutigt, sorgte Strehlows Sohn Theodor für die weitere wissenschaftliche Erschließung des kulturellen Erbes der Aborigines, in dem ihm als initiiertem Kulturvermittler – als so genannter Ingkata (Zeremonienchef) – Zugang zu den bisher geheimen Praktiken der Ureinwohner gewährt wurde. Neben diesem eher ländlichen Leben gab es jedoch auch Deutsche, die als Handwerker, Händler und Geschäftsmänner im urbanen Raum ihren Tätigkeiten nachgingen. Eines der wohl prominentesten Beispiele dafür ist der Hamburger Bernhard Otto Holtermann. Nachdem ihm das Glück in den Goldfeldern rund um Bathurst holt war, baute er, über der Stadt Sydney thronend, eine monumentale Residenz in St. Leonards, von der er die heute noch Berühmtheit besitzenden Fotografien der Hafenstadt schoss. Insgesamt lässt sich über die deutsche Immigration im 19. Jahrhundert nach Australien folgendes Urteil erbringen: Aufgrund ökonomischer, religiöser und politischer Motive verließen zahlreiche Menschen ihre deutsche Heimat, um in einem Hoffnung versprechenden Land ihre Lebensqualität zu verbessern. Deutsche Einwanderer trugen in zunehmend wachsender Zahl zur Erschließung des Kontinents, der Prosperität der Gesellschaft sowie zum Werden der australischen Nation bei. So bleibt zu folgern, dass neben der britisch-irischen Einwanderung die deutsche im 19. Jahrhundert eine der bedeutendsten war, die auf die australische Nation einwirkte. Ihren Höhepunkt überschritten hatten die Immigrationsraten erst zu Beginn der 1890er Jahre, als politische Veränderungen in Deutschland und eine anhaltende wirtschaftliche Rezession in den meisten der australischen Kolonien zu einem drastischen Rückgang der Auswanderungswilligen führten.

E THNOGENESE | 139

2.4 W E MUST KEEP THE BREED PURE : W HITE A USTRALIA P OLICY UND DIE S UPERIORITÄT DER „ WEISSEN R ASSE “ Eine zehn Jahre andauernde Periode des Goldrauschs von 1851 bis 1861 ließ die Anzahl der von Übersee eintreffenden Einwanderer explosionsartig ansteigen, da die Gerüchte von den erst kürzlich entdeckten Goldminen in den Bundesstaaten Victoria und New South Wales schnell an die Öffentlichkeit drangen (McCarty 1998: 284). Als die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts begann und viele Menschen die elektrisierende Imagination eines neuen Eldorados zu erblicken schienen, veränderte sich die Gesellschaftsstruktur zum ersten Mal schlagartig. Die Glücksritter kamen vor allem aus dem kontinentalen Westeuropa, aus China, den Vereinigten Staaten, Neuseeland und dem Südpazifik, so dass bereits auf den Goldfeldern ein multikultureller Charakter erkenntlich wurde. Die als inferior klassifizierten Zuzügler aus dem Reich der Mitte gerieten schnell zum Objekt der gewalttätigen Übergriffe von Seiten der dominant auftretenden europäischen Platzherren (Markus 1979). Diese ganz eigene Sicht auf die soziale Wirklichkeit, gepaart mit einer herrschenden Auffassung der Überlegenheit, Vormacht und des Vorrechts der Weißen, sollte für die weiteren Ambitionen der australischen Einwanderungspolitik von eminenter Bedeutung sein, die im Jahre 1901 in der rassistisch-diskriminierenden White Australia Policy mündeten (Jayasuriya/Walker/Gothard 2003; Kane 1997a). Die Mehrheitsgesellschaft betrachtete ihre Tätigkeiten in den Goldminen als eine existentielle sowie einmalige Gelegenheit, aus ihren erbärmlichen Lebensverhältnissen zu entfliehen und dementsprechend dominierte ein aggressiv-rivalisierendes Konkurrenzverhalten. Bei Konflikten regierte das Faustrecht und nonverbale Auseinandersetzungen bestimmten den Tagesablauf. Die zumeist schlechten physischen Verhältnisse, harten Arbeitsbedingungen, die wirtschaftliche Verzweiflung sowie kontinuierliche Präsenz von übermäßigem Alkoholgenuss förderten eine erhitzte und polemische Atmosphäre, in der Menschen mit fremdem Habitus, ungewöhnlicher Kleidung und abweichenden Umgangsformen in kürzester Zeit zum Sündenbock für alle möglichen Dinge avancierten. Um ihre eigene Sicherheit und Unversehrtheit bemüht, besaßen nur die wenigsten Chinesen die Absicht, weiterhin Zukunftspläne auf der Terra Australis zu schmieden. Für die weißen digger war der Novize aus dem Land der Morgenröte mit seiner leisen, vor sich hinsingenden melodischen Sprache, seinem Pferdeschwanz, seiner Kulimütze, seinem befremdlichen Gewand sowie seiner Vorliebe, barfuß zu gehen, ein personifizierter Untermensch, ein Feind, der den inneren Frieden störte und auf dem Arbeitsmarkt als so genannter cheap coolie labourer immer häufiger als direkter Konkurrent auftrat. Folglich sah die australische Mehrheitsgesellschaft in ihnen eine direkte Gefahr für den inneren Frieden bzw. die auf soziale Kohäsion abzielende Gesellschaftsstruktur des Egalita-

140 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

rismus, der – so kontrovers es erscheinen mag – nur für die Menschen mit weißer Hautfarbe Gültigkeit besaß (Willard 1923: 196). Da half es auch wenig, dass das Reich der Mitte zu den ältesten Zivilisationen der Erde gehörte. In Anbetracht der tief in der australischen Kultur eingeschriebenen xenophoben Angst vor einer asiatischen Übermacht, einer viel beschworenen yellow peril, sahen sich die weißen Goldgräber anhand der nicht zu überbrückenden kulturellen Differenzen dazu verpflichtet, die Chinesen unter Anwendung von Gewalt zurückzutreiben (Fitzgerald 2007: 38f.). Der dehumanisierte Blick auf den Fremden und seine unabänderliche Andersartigkeit offenbarten an dieser Stelle nicht nur den dialektischen Zusammenhang zwischen Selbst- und Fremdverständnis, sondern ferner die effiziente Wirkweise und Instrumentalisierbarkeit nationalistischer Topoi. Eine der erschreckendsten antichinesischen Unruhen während des australischen Goldrausches ereignete sich am 30. Juni 1861 auf der Lambing Ebene, wo mehr als 2.000 Europäer 800 Kantonesen brutal attackierten und deren Zelte niederbrannten (Clark 1955: 71ff.; Cannon 1971: 236; Willard 1923: 25). Gründe und Motive, die das auf Rassismus fußende Vorgehen gegenüber den Chinesen erklären sollen, haben in mehreren Dekaden die Diskussion vieler Geschichts- und Sozialwissenschaftler aufgerieben und zahlreiche Erklärungen zum Vorschein gebracht. Hierzu zählen vor allem die fast paranoide Furcht vor den unmenschlichen Massen der chinesischen Immigranten, Vorurteile bezüglich ihrer „ethnischen Sippenhaftigkeit“, Eifersucht auf ihre Monopolstellung in wirtschaftlichen Domänen, Anstoßnahme an ihren Fähigkeiten, Angst vor der Verschmutzung bestehender Wasservorräte, Geringschätzung ihrer kulturellen Eigenheiten, Verabscheuung ihrer angeblichen sexuellen Immoralität, Misstrauen gegenüber ihrer Rechtschaffenheit sowie gegenüber der Rückführung aller auf den australischen Goldfeldern akkumulierten finanziellen Kapazitäten nach China (Evans 1988: 178f.). Der Zeitzeuge Campbell moniert in der damaligen Diktion: „These Chinese were a most undesirable class of persons to be here introduced, for like all other nations of Semitic origin, they showed a natural indisposition to amalgamate with the Japhetian race, and they remained strange amongst us“ (zitiert nach Syme 1980: XV).

In den Nachwehen der Unruhen beschlossen die Kolonialherren noch im gleichen Jahr den so genannten Chinese Immigration Act auszuarbeiten, der den Chinesen die Einwanderung in die Kolonie New South Wales sowie die Bestellung einer Goldmine deutlich erschweren sollte. Das neue Gesetz besagte, dass die neuen Anwärter nun eine Steuer von zehn Pfund für die Immigration zu zahlen hatten. Da die meisten Chinesen jedoch aus landwirtschaftlichen bzw. finanzschwachen Regionen entstammten und somit ihre gesamten privaten Güter als Investition für die teuren

E THNOGENESE | 141

Überfahrtkosten veräußert hatten, konnte nur eine verschwindend geringe Zahl die hohen Abgaben aufbringen.7 Die von feindlicher Gesinnung getragene Intensität der willkürlichen Fremdethnisierung nach den simplen Kategorien „Wir“ (Eigenbilder) und „Die“ (Fremdbilder) gegenüber allen „nichtweißen“ Einflüssen und Elementen diffundierte zum Ende des 19. Jahrhunderts sukzessiv von einem eher proletarisch geprägten Stammtischmilieu der Arbeiterklasse, das ausschließlich Stereotype reproduzierte, hinein in politische Führungsetagen, in denen Urteile darüber gefällt wurden, wer den rassischen Ansprüchen entsprach und wer die soziale Homogenität eines rein weißen Kontinents ins Wanken brachte (Price 1974: 167ff.; London 1970: 5ff.). Diese Form von kultureller Identitätspolitik, die die scheinbar superior stehende weiße Rasse als idealtypische Bezugsgröße ideologisch verklärte, fand ihren Höhepunkt in dem 1901 erlassenen Immigration Restriction Act sowie einem gesetzlich verordneten Sprachtest, den jeder nichteuropäische Neuankömmling durchlaufen musste.8 Der historische Hintergrund, vor dem die Wirkprozesse und

7

In gleicher Weise verfuhr man 1868 mit den oft als „Kanaken“ bezeichneten Arbeitsmigranten von den pazifischen Inseln, die ihr Dienste bis zu diesem Zeitpunkt auf den Zuckerrohrfeldern sowie Schafsstationen in Queensland zu absolviert hatten. Aus Angst und fehlendem Konkurrenzverständnis in wirtschaftlichen Sektoren geriet auch diese Bevölkerungsgruppe in den direkten Einfluss der restriktiven Emigrationspolitik (Docker 1981). Zu den Beschränkungen der chinesischen Immigranten empfiehlt sich ferner die Lektüre von Choi (Choi 1975: 18ff.).

8

Eine Augenblicksaufnahme ermöglicht die Konsultierung einer kontemporären Chronik Australiens. Der auf den 22. Dezember 1901 datierte und unter dem Titel „Test zur Aufrechterhaltung eines weißen Australiens“ firmierende Artikel offenbart zum Phänomen der restriktiven sowie rassistischen Methoden des dictation tests nachstehenden Inhalt: „A new test has been devised which seems sure to keep Australia as white as its population clearly want it to be. Under the Immigration Restriction Act of 1901, immigrants will be required to sit for a dictation test of 50 words in any European language. This gives discretionary powers to immigration officials but it is understood that the test will not be required of Europeans. The Australian government has been anxious to find a method of excluding Asian immigrants“ (Ross 2000: 470). Potenzielle Immigranten mussten ein fünfzig Wörter umfassendes Diktat in einer europäischen Sprache bestehen. Der Prüfer wählte je nach Antragsteller individuell und flexibel eine von vielen Sprachen aus, so dass die Erfolgsquote an positiv absolvierten Prüfungen verschwindend gering war und die Einwanderung für Nichteuropäer strategiewirksam unterbunden werden konnte. Von einhundertdreiundfünfzig Bewerbern im Jahr 1903 konnten nur drei diese exorbitante Hürde nehmen. Ein Immigrationsskandal hat sich besonders in den Geschichtsbüchern niedergeschlagen, als 1934 dem prominenten tschechischen Kommunisten Egon Erwin Kisch aufgrund seiner öffentlich zur Schau gestellten politischen Gesinnung der Einlass

142 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Handlungsprämissen der australischen Legislative zu deuten sind, dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Falsche Auslegungen des Sozialdarwinismus, der Mendel’schen Regeln und anderen klassischen evolutionistisch-entwicklungstheoretischen Stufenmodellen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als auch die verstärkte Rezeption der Eugenik- und Rassendoktrinen prominenter europäischer Autoren wie Joseph Arthur Graf de Gobineau und Houston Stewart Chamberlain bekräftigten den Gedanken einer von Natur gegebenen Herrenrasse und dienten nicht zuletzt zur ethnischen Selbstpositionierung. Wie ein appellierender Aufschrei liest sich in diesem Kontext eine kurze Passage aus dem Sydney Bulletin von 1901: „We must keep the breed pure. Do we want Australia to be a community of mongrels?“ Dieser Argumentationsstil lässt große Parallelen zu dem im deutschsprachigen Raum um die Jahrhundertwende von der Thule-Gesellschaft herausgegebenen Publikationsorgan Ostara erkennen, in dem pseudowissenschaftlich-völkische Literaten wie Guido von List und Georg Lanz von Liebenfels, deren Schriften einen großen Einfluss auf den jungen Adolf Hitler hatten, gegen eine Überfremdung von Seiten der jüdischen Kultur wetterten. Eine Wechselwirkung aus Ideologie und praktischer Umsetzung verdichtet die von den weißen Invasoren installierte White Australia Policy so effektiv und mit solch hohem Maße, dass die sporadisch aufkeimenden kritischen Gegenargumente schnell verhallten. Zum einen rationalisierten und ermöglichten jene rassistisch geschürten Ängste vor der rising tide of colour die imperiale Eroberung, zum anderen waren die gesellschaftlichen Pfeiler der kulturellen Dominanz, die rassische Exklusion und die ökonomische Destabilisierung des Fremden Garanten für die Blüte der weißen Gesellschaft im Australien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Der politische Code jener justiziell installierten Diskriminierung, der jegliche alltagkulturelle Wirklichkeit unterschwellig determinierte, wurde mit nahezu religiösem Eifer betrieben. Formen des Genozids – die Hatz auf die Aborigines mit Gewehr und Jagdhunden ist nur ein viel beredetes Beispiel – wurden unhinterfragt gebilligt, da die Theorie vom survival of the fittest den autorisierenden Handlungshorizont für die Eliminierung des Schwächsten bereitstellte (Jupp 2007: 8). Ethnisch trennende Demarkationslinien konnten so auf der Grundlage von Blut, Rasse, Hautfarbe, kultureller Herkunft sowie einem Dazutun von herrenmenschlicher Arroganz strategiewirksam errichtet werden, so dass dieses defizitär-pathogene Konzept der nationalen Identität nur inmitten der Ingroup der „Weißen“ – die, glaubt man der zu jener

verweigert werden sollte. Der Journalist Kisch war kosmopolitischer Autor und sprach sieben Sprachen, die Prüfung in schottischem Gälisch bestand er, wie erwartet, nicht, wurde aber nachträglich als Redner in Australien bekannt, weil der Oberste Gerichtshof festlegte, dass das zur Anwendung gekommene Gälische keine europäische Sprache sei (Zogbaum 2004: 97).

E THNOGENESE | 143

Zeit vorherrschenden, landläufigen okzidentalen Meinung, an der Spitze der evolutionären Entwicklung thronen – seine integrative Kraft entfesselte. Zudem verfügte Australien immer noch über das konservative Selbstverständnis, ein geografisch isolierter Außenposten der westlichen Zivilisation am Rande des asiatischen Kontinents zu sein, der sich – auf die der Natur innewohnenden Ordnungsprinzipien des Abendlandes berufend – gegen die teeming masses aus dem bevölkerungsreichen Norden zur Wehr setzen musste. Über mehrere Dekaden gerieten die international operierenden Schiffsgesellschaften nicht nur zur ersten und Erfolg versprechenden Verteidigungslinie, sondern vielmehr noch zum Überbringer dieser restriktiven Kunde in nahezu alle Häfen der Welt. Beim illegalen Transport ausdrücklich unerwünschter Migranten über den Seeweg nach Australien drohten den Reedereien hohe Geldstrafen sowie der Verlust von Lizenzen. Die Botschaft an die Außenwelt war mehr als eindeutig: Kein Nichteuropäer wird seinen Fuß auf australischen Boden setzen. Erst die Denazifizierung in Europa, massenhafte Flüchtlingsströme nach 1945, die Aufhebung der Rassentrennung in den Vereinigten Staaten und die Dekolonisierung in Afrika und Asien sowie eine Reihe von diplomatischen, strategischen und humanitären Übereinkommen mit den asiatischen Nachbarländern intensivierten als gesellschaftliche Strukturveränderungen zur Mitte des 20. Jahrhunderts den internationalen Druck auf die Prozesse des allmählichen Überdenkens bestehender immigrationspolitischer Auslegungen und Leitprämissen (Evans 2001: 48). 1973 kam es unter der Whitlam-Regierung zur Abschaffung von Selektionsverfahren auf der Basis rassischer Kriterien (Windshuttle 2004: 19). Dennoch hatte die White Australia Policy zwischen der politischen Inauguration des Immigration Restriction Act 1901 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen unverkennbaren Einfluss auf die Komposition der Bevölkerung Australiens ausgeübt und niemandem blieb verborgen, dass die herbeigesehnten Ziele einer homogenisierten Gesellschaft auf ganzer Linie in die Wirklichkeit umgesetzt wurden.9 Deutsche waren von diesen Einschränkungen insofern zu keinem Zeitpunkt betroffen, als dass ihnen vom australischen Staat als Westeuropäer und Zugehörige der „nordisch-kaukasischen Rasse“ die Fähigkeit zugeschrieben wurde, sich an den bestehenden Charakter der allgegenwärtigen britishness zu assimilieren, jeglichen kulturellen Ballast aus der ersten Sozialisation abzustreifen und somit in absehbarer

9

Kane führt in seinem Aufsatz einige quantitative Beweise an, die die außerordentliche Effizienz dieser aus unterschiedlichen Motivationen entspringenden Selektion von vermeintlich „fremdrassigen“ Immigranten bestätigt. Zwischen 1901 und 1958, als der dictation test abgeschafft wurde, verringerte sich der Anteil der nicht in Europa geborenen Immigranten in Australien von 1,25 Prozent (47.014) auf 0,11 Prozent (9.973) (Kane 1997: 545).

144 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Zeit zu uniformen Replikatoren eines Anglo-Australianism zu gedeihen. Immigranten aus Nord- und dem kontinentalen Westeuropa schienen für dieses an Orwell’sche Szenarien erinnernde Anforderungsprofil am besten geeignet zu sein (Jupp 1999).

2.5 D IE J AHRE DES O DIUMS : I MPERIALISMUS , D EUTSCHTUMSPOLITIK UND F ASCHISMUS Nicht zu Unrecht widmet Jürgen Tampke den Jahren zwischen dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 in seiner Publikation ein eigenes Kapitel und versieht es mit der Überschrift „The Shadow Years“ (Tampke 2006: 107-133). Bereits die im späten 19. Jahrhundert mit Intensität artikulierten Bestrebungen des seit 1871 geeinten Deutschlands nach eigenen kolonialen Besitzungen im heutigen Bismarckarchipel versetzten die Australier in berechtigte Unruhe und Misstrauen, denn schon bald sollte mit Deutschland ein neuer machtpolitischer Nachbar im Pazifik die britische Monopolstellung in Frage stellen. Deutsche Dampflinienschiffe sowie Marinekreuzer in australischen Seehäfen waren nun keine Seltenheit mehr, die Flottenbegeisterung gewann im Zeitalter der imperialistischen Vaterlandsliebe immer mehr an Bedeutung und durch technische Novationen war die alte Heimat nun nicht mehr ganz so fern. In Teilen um ein ethnisches Selbstbewusstsein bemüht, pflegten viele deutsche Migranten weiterhin ihre Muttersprache und verbrachten ihre Freizeit vorwiegend bei Skatgesellschaften, in Turnvereinen sowie deutschen Klubs, also Interessengemeinschaften, die sich der generationsübergreifenden Aufrechterhaltung der deutschen Kultur verpflichtet fühlten. Die Unterstützung der wilhelminischen Expansionsbestrebungen seitens der loyalen deutschen Untertanen fand ihren Höhepunkt am 17. Januar 1914, als in Sydney das Deutsche Nationalfest „im Dienste der großdeutschen Idee“ (Voigt 1983a: 140) zelebriert wurde, bei dem eine „Deutschtumspolitik“ sowie ein aggressiver Nationalismus propagiert wurden (Moses 1988: 127). Dies führte zu einem gereizten Verhältnis zwischen Australien und deutschstämmigen Migranten. Als Konsequenzen der verhängnisvollen Verluste des ANZAC Corp während der Schlacht um Gallipoli (Dardanellenschlacht), dem Einsatz von tödlichem Chlorgas durch deutsche Truppen in der in der Provinz Westflandern gelegenen Stadt Ypern sowie dem Untergang des britischen Passagierschiffs RMS Lusitania bildete sich eine Germanophobie heraus, die in politischen Kreisen und innerhalb der medialen Berichterstattung intensiv evoziert wurde. In der allgemeinen Kriegshysterie gingen die Unterscheidungen zwischen Deutschen, Deutsch-Australiern und Australiern mit deutscher Herkunft gänzlich verlustig, jegliche potenzielle Illoyalität gegenüber dem britischen Mutterland bedeutete gleichzeitig die Preisgabe der allgemeinen

E THNOGENESE | 145

Verachtung sowie scharfe Sanktionen. Deutsche Auswanderer bzw. Australier mit deutschen Wurzeln standen vor dem Problem ihrer dualistischen Identität: Sie standen damals zwischen zwei Staaten. Ein von der australischen Legislative beschlossener War Precaution Act schuf die Voraussetzungen dafür, jeden umgehend zu inhaftieren und in einem Camp gefangen zu halten, der der Spionage oder der Vaterlandsuntreue verdächtigt war. (Harmstorf/Cigler 1985: 122). So mancher naturalisierte Deutschaustralier, ein so genannter enemy alien oder enemy within the gates, wurde mit vorgehaltener Waffe ohne jegliches gerichtliche Verfahren in Haft genommen, unter Hausarrest gestellt oder aufgrund seiner nach außen gekehrten politischen Gesinnung im Internierungslager Holdsworthy nahe Liverpool, in Bundanoon, in Trail Bay oder auf Torrens Island interniert (Perkins 2001: 372; McKernan 1980: 155ff.). Um Spionage vorzubeugen sowie eine pro-deutsche Haltung im Keim zu ersticken, griff man zu weiteren Repressalien wie dem Verbot, Kirchenpredigten wie Schulunterricht in der deutschen Sprache zu halten, und der Umbenennung der mit deutschen Namen versehenen Städte und Institutionen durch den 1918 verabschiedeten Nomenclature Act. Zudem mussten auch deutsche Vereine ihre Aktivitäten aufgeben und Zeitungen in deutscher Sprache stellten ihr Erscheinen angesichts der politischen Pression ein. Hatte der Erste Weltkrieg die Beziehungen zwischen Deutschland und Australien bereits auf einen harten Prüfstand gestellt, hier tiefe Risse gezogen und eine nachträgliche Normalisierung der Verbindungen erschwert, so sollte die Zeit des Nationalsozialismus eine neue Zerreißprobe darstellen. Als am 31. Januar 1933 Adolf Hitler die Macht übernahm und somit dem deutschen Staatskörper, der während der Weimarer Republik ins Wanken geraten war, wieder Stabilität zu verliehen schien, evozierte dies auch bei deutschen Australiern neuerliche Gefühle von Patriotismus, Vaterlandsliebe und nationaler Größe. Zusätzlich sorgten die seitens der nationalsozialistischen Kulturpropaganda durchgeführten Unterwanderungs- und Infiltrationsstrategien bei den Auslandsdeutschen in Australien für eine Idealisierung des Deutschtums, obschon sich für die Ideologie des Schreckensregimes auf den Fünften Kontinent nur eine geringe Anzahl an Sympathisanten finden ließ. Eine eher distanzierte Haltung bzw. ein politischer Unwillen gegenüber dem Nationalsozialismus war allgemein verbreitet (Voigt 1992: 227; Ders. 1983b: 151). Als es zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam – einem Krieg, bei dem der Feind eher der direkte pazifische Nachbar Japan als das nationalsozialistische Unrechtssystem war – kam es unverzüglich zu einer Inhaftierung all jener propagandistischen Rädelsführer, die die Swastika am Revers trugen (Perkins 1991). Zwangsmigration, in der Literatur oft als Flucht und Vertreibung bedeutungsgleich klassifiziert, galt insbesondere vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg als gesamteuropäisches Phänomen. Wenn wir den Schätzungen des United Nations High Commissioner for Refugess aus dem Jahr 2000 Glauben schenken wollen, waren 1945 über 40 Millionen Displaced Persons infolge der Kriegsge-

146 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

schehnisse heimatlos (United Nations High Commissioner for Refugees 2000, zitiert nach Gibney 2005: 140).10 Aus Angst vor den Vergeltungsschlägen der Roten Armee suchten die in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reichs lebenden Polen, Balten, Ukrainer, Ungarn, Jugoslawen sowie zahlreiche Volksdeutsche ihr Heil in der Flucht und begaben sich mit ihren kargen Habseligkeiten auf einen Marsch, dessen endgültiges Ziel nur den Wenigsten genau bekannt war. Unter den Vertriebenen fanden sich nicht zuletzt entkräftete jüdische Überlebende aus den Konzentrationslagern. Traumatisiert von den physischen und psychischen Erfahrungen in den Todes- und Vernichtungslagern in Treblinka, Belzec und AuschwitzBirkenau, waren die Ängste und Befürchtungen vieler Menschen so tief verankert, dass die Migration in ein geografisch weit entlegenes Land als einziger Ausweg in Frage kam. Unter Anwendung des Oral-History-Verfahrens dokumentiert die in Sydney lebende Historikerin Diane Armstrong in ihrem Buch The Voyage of their Life die menschlichen Schicksale des Auswanderungsschiffes der SS Derna, dessen dreimonatige Reise über den Indischen Ozean nach Australien führte. Den Moment, als das Schiff im Hafen von Marseille 1948 auslief und damit die europäische Heimat vieler Passagiere endgültig hinter sich ließ, kleidet die Autorin zutreffend in Worte: „Some chattered nervously to their neighbours, while others stood in silence, their throats so tightly knotted with emotion that their necks ached. On the salty Mediterranean breeze they smelled the juniper forests of Estonia, heard the murmur of Polish wheatfields in the breeze and saw the swaying birch trees of Russia. Some thought of romantic rendezvous in Prague cafés or stolen kisses in the Vienna Woods that would never come again. Others wept for loved ones who lay in unmarked graves in blood-soaked forests“ (Armstrong 2001: 16f).11

10 Einen sehr guten Überblick zur Vielschichtigkeit sowie Multidimensionalität dieses Bevölkerungstransfers bietet die kartografische Darstellung bei Dirk Hoerder (Hoerder 2002: 476). 11 Infolge der finanziellen Unterstützung durch die International Refugee Organization (IRO) eröffnete sich für zahlreiche Displaced Persons die Möglichkeit, nach Australien zu emigrieren. Die australische Regierung unter Arthur Calwell subventionierte die IRO mit 6 Millionen Pfund, wies jedoch ihre zuständige Immigrationsbehörde in Europa darauf hin, keine jüdischen Auswanderer in dieses Förderungsunternehmen miteinzuschließen. Eingeengt zwischen den Komplikationen, dass ein jedes Passagierschiff nicht mehr als 25 Prozent jüdische Flüchtlinge befördern durfte sowie den diskriminierenden politischen Auflagen der IRO war es für die Juden in manchen Fällen mitunter ein schwieriges bis nahezu unmögliches Unterfangen, eine Überfahrtsgenehmigung zu beziehen. Nicht selten wurden sie als freiwillige Migranten eingestuft, wenngleich sie mit der Gefahr von Kommunismus und Antisemitismus weiterhin konfrontiert waren. Auch nach Kriegsende,

E THNOGENESE | 147

Auch auf dem Südkontinent war die Stunde null recht kurz, dagegen der Tatendrang, ein neues, multiethnisches Verständnis von Nation zu konstruieren, umso größer. Die nach den Weltkriegswirrungen folgenden Dekaden bis ins frühe 21. Jahrhundert standen in Sydney ganz im Zeichen der kulturellen Revolution Immigration, durch die eine Transformation der bisher stark monokulturell geprägten britischen Gesellschaft zu einer der kulturell diversesten Bevölkerungszusammensetzungen in der westlichen Welt gelang. Einwanderer aus allen Erdteilen bereicherten Australien nicht nur auf rein ökonomischer Basis in Zeiten des Konjunkturaufschwungs (Piore 1980: 86), sondern übten vielmehr einen nachhaltig gewinnbringenden Einfluss auf alle Aspekte des alltäglichen Lebens in ihrer neuen Wahlheimat aus.

als 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung in Polen den mörderischen Machenschaften der Vasallen Hitlers zum Opfer gefallen waren, gab es kontinuierlich antijüdische Übergriffe, wie das Pogrom von Kielce 1946 zeigt. Siehe dazu auch das Schicksal des Schiffs St. Louise, das mit seiner traurigen Fracht über Monate zwischen Europa, der Karibik und den Vereinigen Staaten von Amerika im Jahr 1939 nach einem sicheren Hafen suchte (Thiel 2009: 1).

3.

Migrationsdynamiken: Periodisierung der Auswanderung seit 1941 bis zur Gegenwart

Im Zentrum der nachfolgenden acht Kapitel steht die Präsentation von gruppenspezifischen Verlaufsmustern der deutschen Immigration nach Sydney in chronologischer Ordnung, bei der mein Fokus deutlich auf die erlebten und narrativ rekonstruierten Geschichten, Lebenswelten und Wahrnehmungen der Migranten gerichtet ist. Eine authentische Wiedergabe der aus dem empirischen Datenmaterial der Interviews hervorgegangenen Einwanderungsgeschichten, der gelebten Alltagspraxen, der kulturellen Transformationen sowie der subjektzentrierten Erfahrungen gesellschaftlicher Verhältnisse im Entsende- und Aufnahmeland geht einher mit dem Versuch, unter Einbezug der klassischen Schub- und Sogfaktoren nach den Ursachen, Auslösern und Sequenzmechanismen der Emigration zu fragen. Ich verstehe jene heterogene Gruppe der untersuchten Auswanderer in Sydney nicht als eine homogene oder amorphe Masse, sondern vielmehr bin ich bestrebt, die individuellen Erfahrungen der Migranten und ihre erzählenswerten Geschichten genauer unter die Lupe zu nehmen und diese unter Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher wie kultureller Veränderungen auf der Makro- und Mikroebene zu einer Geschichte der Wanderungsbewegung zwischen Deutschland und Australien zusammenzufügen. Da die Ursachen, die Menschen zur Migration veranlassen, zumeist aus einem Konglomerat teils subjektiv relevanter, teils objektiver Multiplikatoren bestehen, daher so unterschiedlich und vielfältig sind, wie die Biografien aus meinem Interviewsample selbst, dürfen diese einerseits keiner monokausalen Erklärungskette unterworfen werden; andererseits sind diese ohne die Determinanten bzw. Interdependenzen aus den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kontexten schlechthin nicht verständlich. Im Folgenden empfiehlt sich somit eine Vorgehensweise, die auf Unterschiede hinsichtlich zeitlicher und räumlicher Dimensionen von Wanderungsprozessen Bezug nimmt, migrationsauslösenden Faktoren ausreichend Bedeutung beimisst und dieses kulturelle Phänomen von Mobilität aus einer akteurszentrierten Handlungsperspektive untersucht, die den Bogen zwischen einer Global- und einer Nationalgeschichte zu spannen weiß und eine ein-

150 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

gehende Beleuchtung der soziokulturellen Kontexte jener Gewährsleute anvisiert. An dieser Stelle meiner empirischen Studie zur Migrationsdynamik zwischen Deutschland und Australien setzen sowohl die konkreten, kulturanthropologisch argumentierenden Veranschaulichungen als auch die kulturwissenschaftlichen Analysen ein, die sich nicht nur mit der Mobilität als einem Kulturphänomen zwischen zwei Nationalstaaten auf rein administrativer bzw. ökonomischer Stufe auseinandersetzen, sondern im Speziellen anhand von Expertenwissen und Überlegungen zu veränderten Wahrnehmungsmustern von Migranten ein lebhaftes Panorama von ethnischen Verhaltensformen präsentieren. Diese Vorgehensweise macht es möglich, Aussagen über kulturverändernde bzw. kulturdynamisierende Faktoren zu extrahieren. Meine ethnografisch angelegte Studie wird durch ihr methodisches Rüstzeug sowie durch die Absenz dogmatisch vertretener Paradigmen zur Erhellung von Entwicklungsprozessen und Situationen kulturellen Wandels im Zusammenhang mit der deutschen Migration im australischen Kontext ihren Beitrag leisten, in dem der Dokumentation des Verlassens sowie der Integration in einen neuen kulturell aufgeladenen und von komplexen Identitäten geschaffenen Symbolraum entsprechend Aufmerksamkeit zugeschrieben wird. Um den verschiedenen Erfahrungshorizonten, Brüchen und kulturellen Verwerfungen der befragten deutschen Grenzgänger Rechnung zu tragen und in Anerkennung der inneren Differenz, soll bei meiner weiteren Beweisführung nachdrückliches Augenmerk darauf gelegt werden, dem „Recht auf kulturelle Selbstkonstruktion“ (Ha 2004: 14), d. h. die Respektierung des eigenen Lebensentwurfes und des individuellen Sinns der Auswanderung, Berücksichtigung zu schenken. Letztendlich leben die Wanderer zwischen den Kulturen in allen den hier aufgeführten Zeiträumen in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen Formen der kulturellen Anpassung oder Assimilation an bestehende Hierarchiestrukturen und der multikulturellen Neukonstruktion des Identitätsbewusstseins in der Ambivalenz von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit in kulturellen Zwischenräumen vonstattengehen. Es tritt bereits bei der oberflächlichen Durchdringung der einen stark biografischen Charakter besitzenden Interviews ein flagranter Unterschied zwischen den Auswanderungsgruppen und deren Lebensverläufen seit den 1970er Jahren im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegsmigration auf, so dass man sich in der Annahme bestätigt fühlt, dass Innovationen im interkontinentalen Verkehrswesen, sprich die Ersetzung der Dampfschifffahrt durch den immer weniger Zeit in Anspruch nehmenden Flugverkehr, neue Strukturen der internationalen Migration zur Folge haben. Diese Rahmensetzungen wirken sich unverkennbar auf die Aus- und Einwanderungsbedingungen aus, bedingen deren Voraussetzungen und sind Merkmale, vor deren Hintergrund die differenzierten Narrationen wie alltagskulturellen Handlungen der Auswanderer gedeutet werden müssen. War das Zeitalter der transozeanischen Passagierschiffsfahrt noch von einer linearen Mobilität zwischen Ausgangspunkt A zum Zielpunkt B gekennzeichnet, existierten mehr oder minder klare

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 151

Bilder von einem fernen Dort und einen nahen Hier, so müssen wir spätestens seit den 1980er Jahren unter den Vorzeichen der von Zygmunt Bauman postulierten liquid modernity von einem neuartigen anthropogenen Verhältnis von Raum und Zeit ausgehen, das in den erzählerisch gestalteten Erfahrungsberichten des erforschten Samples inskribiert ist. Das aus dem Sprachgebrauch entlehnte und auf die Mechanismen der Migrationstheorien übertragene Konzept des „Entweder-oder“ erfuhr gerade auf dem leicht diffusen Terrain mit der Überschrift Kultur eine inhaltliche Amplifizierung zum „Sowohl-als-auch“. Die hier vorgestellte Chronologie von Migrationsdynamiken beginnt mit den auf externen Zwang gründenden Formen der Deportation der auf britischem Mandatsgebiet inhaftierten deutschen Kriegsgegner und schließt bei jenen Mechanismen eines transnationalen, ephemeren Nomaden der flüchtigen Moderne des 21. Jahrhunderts, bei denen Deregulierung, Liberalisierung und Flexibilisierung traditionelle Verlässlichkeiten auflösen und wo die Wahl des Lebensmittelpunktes oft der Frage nach Erlebnisbefriedigung standhalten muss. Jene programmatische Betrachtungsweise von Migration als universaler conditio humana erlaubt eine offene Auseinandersetzung mit den diversen Modi des Kulturphänomens der Wanderungsbewegung, deren Erkenntnisfundus sich hauptsächlich aus den Expertengesprächen generiert.

3.1 V ON P ALÄSTINA NACH T ATURA: D EPORTATION DER PRISONERS OF WAR „Christa: Und sehen Sie, mein Mann ist noch zehn Jahre eher hier raus gekommen. Der ist seit … Erhard: Nein, ich bin hier rausgebracht worden.“1

Als ich die Buslinie 142 in der Belgrave Street in Manly bestieg, um zum wiederholten Male den Weg über Fairlight, Queenscliffe und Manly Vale in Richtung des Allambie Luthern Homes Retirement Village in Allambie Heights auf mich zu nehmen, hatte ich nicht die geringste Ahnung, mit welchen zeitgeschichtlich interessanten sowie geopolitisch hochbrisanten Formen der Migrationsdynamik ich im folgenden Gespräch mit Ehepaar Gohdefeld konfrontiert würde. Durch ihre Expertenperspektive eröffneten mir die beiden Gewährspersonen innerhalb des viereinhalbstündigen Interviews nicht nur einen detailgetreuen Einblick in ihre bewegten Lebensbiografien, sondern darüber hinaus riefen sie einen Ausschnitt der Immigrationsgeschichte Australiens in Erinnerung, zu deren aktiver Mitgestaltung sie maßgeblich beigetragen haben. Durch ihr lebhaftes Erzählen und aufopferungsvolles

1

Zitat aus dem Interview mit Christa und Erhard Gohdefeld, datiert auf den 06.04.2008.

152 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Engagement machte es mir das Ehepaar möglich, eine von Zwangsmigration, Deportation und Internierung geprägte Lebenswelt nachzuzeichnen. Ganz untypisch findet diese Episode der australischen Immigrationsgeschichte ihren Ursprung im Königreich Württemberg zur Mitte des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt im Schabenland, einer Region, die nordöstlich von Stuttgart liegt. Aus der geistlichen Erneuerungsbewegung des deutschen Pietismus heraus entwickelte sich eine fromme Splittergruppe, die aufgrund religiöser Verwerfungen mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche über die Auslegung der Heiligen Schrift sich von dieser abspaltete und unter ihren frühen geistlichen Häuptern Christoph Hoffmann und Georg David Hardegg den Namen „Die Templer“ trug. Hoffmanns Gesinnungsgenossen opponierten gegen die zentraldirigistische kirchliche Ordnung, sahen ihre Chance zur freien religiösen Glaubensausübung ausschließlich in der Emigration in das gelobte Land Palästina, dem heutigen Israel. Ohne die Zustimmung der württembergischen Regierung erhalten zu haben, begab sich die nun eigenständige Religionsgemeinschaft am 6. August 1868 in Waiblingen auf die Reise über München, Wien und Konstantinopel, deren Zielort Haifa am 1. November erreicht wurde. In einer ihnen fremden orientalischen Umwelt siedelten die Mitglieder der geistigen Kongregation auf offenem Land, kultivierten als Bauern und Handwerker die öde und steinige Landschaft, entwickelten mit enormem Engagement eine auf Subsistenzwirtschaft ausgerichtete Überlebensstrategie und bildeten mit ihrer okzidentalen Kultur einen Konterpart zu der im Land der Philister vorherrschenden orientalischen Kultur. Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden in Haifa, Jaffa-Walhalla, Sarona, Jerusalem, Neuhardthof, Wilhelma und Bethlehem insgesamt sieben dieser eigenständigen deutschen Kolonien (Carmel 1997: 42; Ders. 1981: 15). Im Zuge des Kriegsausbruchs am 3. September 1939 dekretierte die britische Mandatsverwaltung Palästinas zunächst die Umzäunung einiger deutscher Ansiedlungen mit Stacheldraht, womit die dort lebenden Glaubensgemeinschaften von offizieller Seite zu zivilen Kriegsgefangenen wurden. Aufgrund des östlichen Vorrückens des unter Befehl von Erwin Rommel stehenden Deutschen Afrikakorps in Richtung Suezkanal und britischem Hoheitsgebiet begann am 31. Juli 1941 die Deportation jener Deutschen nach einem ungewissen Land, zu der auch der damals neunjährige Erhard Gohdefeld – in der dritten Generation Auslandsdeutscher – gehörte. Auf seinen narrativ wiedergegebenen Erinnerungen an die erlebte Zwangsmigration2 basieren die nachfolgenden Darstellungen.3

2

Der Begriff „Deportation“ umreißt gegenwärtig sowohl eine juristisch exakt bestimmbare Form der Sanktion als auch einen rechtlich nicht zu definierenden Akt der individuellen und massenhaften Verschleppung von Menschen (Gestrich/Hirschfeld/Sonnabend 1995).

3

Besonders aufschlussreiche Informationen verdanke ich ferner Charlotte Seidel, deren Ehemann zur gleichen Zeit als angestellter Gewerbelehrer im deutsch-iranischen Schul-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 153

Als Ausgangspunkt dient hier eine Tagesnotiz von Pater Walter Odorich Stenner, die auf den 31. Juli 1941, den ersten Tag der unfreiwilligen Migration, datiert ist: „Alle waren sie mit Körben und Koffern etc. beladen, aber bei gutem Humor. Ein frisches deutsches Mädel im Schmuck der braunen B.D.M.-Weste verteilte aus einem der Körbe Weintrauben. Es waren aussergewöhnlich schöne Früchte, die fleissige deutsche Bauernhände in einem fremden Land angebaut hatten, welches ihnen seit Großvaters-Zeiten zur zweiten Heimat geworden war. Keiner zeigte Traurigkeit, und trotzdem hatten sie Haus und Hof verlassen müssen und gingen jetzt einer ungewissen Zukunft entgegen“ (zitiert nach Gohdefeld 1991: 11f.).

Per Zug gelangten die über ihren zukünftigen Bestimmungsort nicht in Kenntnis gesetzten Templer zum Port Suez, an dessen Hafenmole sie Weisung bekamen, eine Fähre zum wegen Fliegeralarms im Roten Meer vor Anker liegenden Passagierschiff zu besteigen. Zu allem Erstaunen handelte es sich bei diesem Schiff nicht um irgendeinen ausrangierten Truppentransporter, sondern um die imposante Queen Elizabeth, die zwischen Sydney und Suez im Pendelverkehr Kriegsmaschinerie und australische Truppeneinheiten transportierte. Aus den Bullaugen des großen Ozeandampfers grüßten zum Empfang der Neuankömmlinge bereits eingeschiffte Kriegsgefangene in deutscher Sprache, was in dieser scheinbar desperaten Situation Hoffnung aufkeimen ließ, denn die Religionsgemeinschaft war – rein ethnisch gesehen – wieder unter ihresgleichen. Zu Beginn des Monats August 1941 begab sich die zum Truppentransporter umgebaute Queen Elizabeth4 mit ihrer Fracht, bestehend aus 536 Mitgliedern der Templergesellschaft, 84 deutschen evangelischen Lutheranern, 32 Angehörigen der deutschen römisch-katholischen Konfession, 13 deutschstämmigen Juden und 178 Italienern auf die Reise durch den Indischen Ozean, wenngleich das Ziel bzw. die Route der Meeresfahrt von den Passagieren nur anhand des Sonnenstandes zu errechnen war. Gerüchten zufolge sollte es nach Indien oder Cey-

verein aus der deutschen Kolonie in Teheran in das australische Internierungslager Tatura deportiert wurde. Als ergiebige Quelle erwies sich hier nicht nur das geführte Interview, sondern ferner Tagesbuchaufzeichnungen und Briefkorrespondenzen ihres bereits verstorbenen Mannes, die mir die Gesprächspartnerin zur Verfügung stellte und dankenswerter Weise für eine weitere Auswertung in Gänze überlies. 4

Das von der Cunard Steamship Company in Auftrag gegebene Passagierschiff wurde ursprünglich für den Pendelverkehr zwischen England und New York im Nordatlantik konzipiert, war somit für die Route durch die tropischen Gefilde des Indischen Ozeans eher ungeeignet. Als die für die Frischluftzufuhr zuständigen Maschinen versagten, herrschten in den Kabinen unter Deck Temperaturen von über 35 Grad Celsius (Lacey 1973: 81).

154 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

lon gehen. Die auf dem Schiff ausgehängten Pläne sowie die damit einhergehenden Einweisungen der Besatzung teilten den prisoners of war mit, dass unter Deck eine strikte Segregation zwischen den einzelnen deutschen Gruppen herrscht, d. h., Frauen und Kinder schliefen getrennt von ihren Männern, diese hatte in großen Schlafsälen mit behelfsmäßig konstruierten Bretterbetten zu campieren; sogar der Kontakt zwischen deutschen Frontsoldaten und zivilen Kriegsgefangenen wurde streng untersagt. Der Schiffsalltag bzw. das zwischenmenschliche Zusammenleben von britisch-australischem Wachpersonal, jüdisch-palästinensischen Hilfspolizisten und deutschen Kriegsgefangenen war in mehrfacher Hinsicht von Problemen geprägt, die nicht selten an ethnischen, ideologischen und politischen Grenzen verliefen. Direkt nach dem die Schicksalsgemeinschaft die kontinentale Landmasse aus dem Sichtfeld verloren hatte, stand das Schiffspersonal, das für das Wohlergehen bzw. die gesundheitliche Unversehrtheit der Kriegsgefangenen verantwortlich war, vor der scheinbar unlösbaren Aufgabe, einen reibungslosen Ablauf bei der Einnahme der Mahlzeiten im Speisesaal zu gewährleisten. Lange Warteschlangen, eine allem Anschein nach ungenießbare Kost, überfordertes Servicepersonal und meuternde Deutsche beherrschten die alltägliche Szenerie vor, während und nach der Beköstigung der Kriegsgefangenen. Über die servierten Nahrungsmittel, deren Beschaffenheit unverkennbar eine interkulturelle Barriere schuf, äußerte sich Gohdefeld gleichermaßen: „Das Essen war fürchterlich am Anfang, das war englischer Fraß. Zerkocht. Wir waren gute deutsche Speisen gewohnt. Hier wurde das einfach auf dem Tisch gehauen von der englischen Mannschaft, die uns bediente. Ich weiß noch, mein Vater sagte: ,Bub, du musch wasch esse‘. Ich sagte: ,Ich kann nicht‘. Das Fleisch hast du gekaut, bis es nur noch ein Knäuel war, also so ein faseriger Knäuel, aber runter gekriegt hast du das nicht.“5

Ein deutscher Feldwebel erkannte diese nicht zufriedenstellende und Unmut hervorrufende Situation und bat darum, bei dem Kapitän bzw. einem höherrangigen Verantwortlichen der britischen Wachmannschaft vorsprechen zu dürfen. Dabei brachte er zwei Anliegen zur Sprache: Einerseits sah er es als Problem an, dass seine Leute – zumeist junge Soldaten Anfang zwanzig aus dem Deutschen Afrikakorps – nicht genug Beschäftigung an Board fanden. Um die zahlreichen Kinder auf dem Schiff andererseits wieder zum Essen zu animieren, sollte es seinen Soldaten erlaubt werden, in der Kombüse das Essen zuzubereiten und beim Servieren dieser im Speisesaal der deutschen Familien zu helfen. Der Gedanke, das bestehende Verbot des zwischenmenschlichen Kontaktes zu lockern sowie die Organisation bei den Mahlzeiten gänzlich in die Hände der im militärischen Gefecht gefangengenommen

5

Zitat aus dem Interview mit Erhard Gohdefeld datiert auf den 06.04.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 155

Frontsoldaten zu geben, stieß bei der Schiffsleitung zunächst auf Skepsis, obschon die britische Besatzung nach kurzer Überlegung dem Anliegen des Feldwebels entgegenkam, weil das Durcheinander im Speisesaal sowie die Essensverweigerung seitens der Präadoleszenten nicht länger hinnehmbar waren. Wohltuend wirkte sich der vollzogene Wechsel aus, der, so Gohdefeld, „änderte das Leben auf dem Schiff. Dann kam ei gude deusche Supp auf en Disch (Lachen)“6. Den deutschen Armeeangehörigen wurde gestattet, an den Tischen zu servieren, es kamen normative und gesellschaftlich erprobte Höflichkeitsformeln wie „Bitte schön“ und „Danke schön“ zur Anwendung und es bot sich die Gelegenheit, sowohl Front- und Internierungserlebnisse als auch Ängste und Hoffnungen mit Angehörigen der eigenen ethnischen Gemeinschaft auszutauschen. Hierin wird deutlich, dass mit dem erzwungenen Verlassen der deutschen Ansiedlungen in Palästina – verstanden als ein geschichtlich gewachsenes soziokulturelles Raumgefüge mit gesellschaftlich kondensierten Verhaltensmustern – ein Aufbrechen der einigermaßen geordneten Bahnen der deutschen Ess-Welten einhergeht, obwohl die ehemals vergüteten wie verlässlichen Vorstellungen von traditioneller Kost, Speisefolgen und kulinarischen Selbstverständlichkeiten aus der Vergangenheit bei den Mitgliedern der deutschen Glaubensgemeinschaft stets präsent waren und hier als Indikator für einen emphatischen Herkunfts- und Heimatbezug dienten. Die Kontrastierung zwischen „zerkochtem englischem Fraß“ und „einer guten deutschen Suppe“ spiegelt unter ethnischen Gesichtspunkten nicht nur Esspräferenzen mit heimatlichen Assoziationsmustern und unterschiedlichen Lebensstilen wider, sondern die Nahrung bzw. die Zubereitung und der Akt der Repräsentation der Nahrung erhalten darüber hinaus eine symbolische Bedeutung (Heimerdinger 2005a: 208) mit politischem wie kulturellem Beigeschmack. Anders formuliert: Aus der einfachen deutschen Suppe wird in Zeiten der externen Bedrohung durch die Deportation ein für die Wir-Gruppe als typisch ausgewiesenes, identitätsproduktives Kultessen, das als überliefertes Gut in die Geschmacksprägungen und -bewertungen der Deutschen eingeschrieben ist und so die von Ekelgefühl begleitete Aufnahme der englischen Kost verständlich erscheinen lässt. Die kulturelle Praxis Mahlzeit wird zum Vehikel der kosmologischen Identitätsarbeit instrumentalisiert, in der „emotionales durch oralsinnliches Lustempfinden vermitteltes Wissen“ (Hartmann 2006: 148) auf der Ebene des Erkennens und Erkanntwerdens dichotom gesetzt wird zu kulturell Fremden sowie politisch-feindlich gesinnten Geschmackskulturen. In der Aversion gegen die von der britischen Mannschaft vorgesetzte Kost, die den deutschen Kriegsgefangenen widerstrebt, avanciert die Interaktion im Speisesaal zu einem zentralen, symbolischen interkulturellen Aushandlungsmodus der eigenen ethnischen Identität, da es innerhalb des hochemotional besetzten Diskurses auf der Queen Elizabeth, bei dem

6

Ebd.

156 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

stets auf die eigene kulturelle Vorprägung rekurriert wird, zur Aktualisierung des Fremden und Verfestigung des eigenen Kulturrepertoires kommt.7 Als sich die Zustände unter Deck zu normalisieren schienen, trat neuerlich ein Konflikt auf dem Indischen Ozean zu Tage, der auf kulturell-politische Differenzen zwischen den deutschen Kriegsgefangenen, den jüdischen Hilfspolizisten und der britisch-australischen Schiffsleitung zurückzuführen ist. Nachdem nun während der Abendspeisung der Passagiere jene „deutsche Ordnung“ Einzug gehalten hatte, war es den Frontsoldaten möglich, ein Musikquartett auf die Beine zu stellen, das während der Verköstigung sowie den danach folgenden Abendstunden zur allgemeinen Erheiterung Volkslieder aus der alten Heimat spielen sollte. Die diesbezüglich erforderliche Genehmigung der Schiffsbesatzung wurde umgehend erteilt. Nahezu jeden Abend kamen somit die ehemaligen Angehörigen des Bundes Deutscher Mädel (BDM) sowie der Hitlerjugend zusammen, um jene Lieder zum Besten zu geben, die jeder Deutsche auf dem Schiff aufgrund des Popularisierungsgrades jener zumeist ideologisch-politisierenden Chansons mitsingen konnte. Zu diesen Volksstücken gehörte das wohl berühmteste und in Deutschland dieser Jahre am meisten gesungene Marsch- und Kampflied von Hans Baumann mit dem Titel Und heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt. „Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem roten Krieg, wir haben den Schrecken gebrochen, für uns war’s ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt, und heute, da gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt. Und liegt vom Kampfe in Trümmern, die ganze Welt zuhauf, das soll uns den Teufel kümmern, wir bauen sie wieder auf. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt, und heute, da gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt. Und mögen die Alten auch schelten, so laßt sie nur toben und schrein, und stemmen sich gegen uns Welten, wir werden doch Sieger sein. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt,

7

Zingerle formuliert in diesem Kontext treffend: „Eine Verwendung einzelner Speisen in symbolischer Funktion ist für die Identität von Ethnien oder von Orts- und Regionalkulturen charakteristischerweise immer dann registrierbar, wenn die Traditionen ihre Selbstverständlichkeit verlieren und/oder wenn sich das Selbstverständnis der Individuen angesichts kultureller Umbrüche herausgefordert sieht, besonders aber im Fall von Differenzerfahrungen, wie sie sich durch Fremdheitserlebnisse bei Wanderungen ergeben“ (Ziegerle 1997: 83).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 157

und heute, da gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ (Hillesheim/Michael 1993: 41).

Viele der zur Deportation gezwungenen Deutschen verbanden mit dem von Ziehharmonika, Geige und Blasinstrumenten begleiteten Singen altbekannter Refrains in den engen Korridoren ihrer interimistischen Behausungen ein Stück Heimat. Ihnen gelang es, für wenige Minuten zu vergessen, dass sie sich auf einem Dampfer im Indischen Ozean mit einem ihnen unbekannten Bestimmungshafen befanden, und sie verweilten durch diesen gemeinschaftlichen Akt der musikalischen Praxis in Gedanken bei den heimatlichen Penaten im Spessart, dem Schwarzwald, dem palästinensischen Haifa oder im Schwäbenländle. Zutiefst empört über einen derlei politisch aufgeladenen, aggressiven, in provozierender Ausdrucksweise zur Schau getragenen, mit jugendlich-saloppen Phrasen versehenen Marschrhythmus forderten die jüdischen Hilfspolizisten von den Wachdienst innehabenden australischen Sergeanten ein unverzügliches Verbot des Liedes. Der deutschen Sprache nicht mächtig und ausschließlich den äußeren, ästhetisch-geselligen Wert dieser allgemein Erheiterung hervorrufenden Unterhaltungseinlage würdigend, verstanden viele Australier die Einwände der Hilfspolizisten aus Palästina nicht, klatschten in der zeitlichen Gliederung des melodischen Flusses mit. Das kollektive Verhaltensmuster des Singens der von revolutionären Kampfrufen durchzogenen Refrains, die in sublimer Weise ein Wir-Gefühl der vermeintlichen „deutschen Kultur und Abstammungsgemeinschaft“ zum Ausdruck bringen sollten – so die Intention der meisten für die nationalsozialistische Herrschaftskonsolidierung arbeitenden Künstler –, unterstreicht die Abgrenzung zu den Anderen an Bord insofern, als dass mit der Demonstration der Zugehörigkeit zu einer kulturell determinierten Gruppe der Festigung der eigenen Identität Ausdruck verliehen wurde (Hirschfelder 2007: 357f.). Als Produkt großer geistiger Einfachheit entfaltete sich das „Volkslied“ aus der so genannten NS-Singdiktatur, in der nahezu bei jedem Anlass gesungen wurde (Hänel 2007: 281f.), als strukturgebende Markierung, der ein Potenzial innewohnte, die alltägliche Tristesse auf See zu durchbrechen und als etwas Besonderes die fremde Umgebung in ein Stück Heimat zu transformieren. Die im Kollektiv praktizierte Singhandlung, d. h. die Intonierung des „volkstümlichen Lieds“, die gleichzeitig die Beschwörung von bekannten, heilsgeschichtlich sinnstiftenden Formeln wie „Volk“, „Nation“ und „Vaterland“ impliziert und eine bedeutungsstiftende Gruppenkultur beschwört, in der teils selbst gewählte, teils oktroyierte Werte wie „Kameradschaft“, „Aufopferungsbereitschaft“, „Wehrhaftigkeit“ und „Gehorsam“ obenan stehen (Lehmann 1982: 232), kann in erster Linie als eine Formel der Angstbewältigung bzw. -kompensierung interpretiert werden, da sie die soziale Gebundenheit der Schicksalsgemeinschaft der Kriegsgefangenen zu manifestieren sucht und alle Hoffnungen in die suggestive Kraft der messianischen Führergestalt legte.

158 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Kurz bevor die Queen Elizabeth im an der Nordostküste gelegenen ceylonesischen Hafen Trincomalee für einen Zwischenstopp vor Anker ging, sickerte von der Bewachungsmannschaft durch, dass das Reiseziel Sydney in Australien sei. Jene nun zum Wachdienst abkommandierten australischen Soldaten hatten in Syrien, Libyen, Griechenland und Kreta an der Front gekämpft und befanden sich gegenwärtig auf der Heimreise. Den physischen wie psychischen Aufregungen und Anstrengungen der Verschleppung durch tropische Gefilde nicht gewachsen, verstarb in den frühen Morgenstunden des 9. August 1941 an Bord ein sechsundfünfzigjähriger Siedler nach kurzer Krankheit. Dessen Angehörige, sozialisiert in westlich-europäischer Tradition, unternahmen einen Versuch, den von ihnen Geschiedenen auf einem europäischen Friedhof zu beerdigen. Da der nächste für Europäer bestimmte Friedhof jedoch 12 Eisenbahnstunden vom Hafen des Kriegsgefangenschiffes entfernt lag und die Beerdigung in der unmittelbaren Nähe der Anlegemole gegen die religiösen Sitten – hier verstanden als normgebende Kulturpraktiken – der dort lebenden Menschen verstieß, wurde der Tote nach Seemannsart nach kurzer Trauerfeier und kondolierenden Geleitworten dem Meer übergeben. Bei der Betrachtung dieses interkulturellen Szenarios wird ersichtlich, dass die deutschen Templer im heutigen Inselstaat Sri Lanka zum ersten Mal in Berührung mit ihnen gänzlich fremdartig anmutenden, buddhistischen Weltanschauungen und Bestattungsritualen von Singhalesen und Tamilen außerhalb der festgefügten räumlichen Ansiedlungen in Palästina kamen, was das Gefühl des Fremdseins in einer exotischtropischen Erdenregion intensivierte. Mitte August erreichte das Schiff den in Westaustralien gelegenen Hafen Freemantle, wo die Proviant- und Brennstoffreserven aufgefrischt wurden und ein in Diensten der australischen Regierung stehender Arzt eine Gesundheits- und Hygieneüberprüfung bei den Passagieren von Übersee durchführte, um die Einschleppung etwaiger Krankheiten zu vermeiden. Aus administrativen Gründen nahmen Abgesandte des Criminal Investigation Department von allen Männern, Frauen und Kindern über sechzehn Jahre Fingerabdrücke. Durch die Bass Strait steuerte die Queen Elizabeth ihr letztes Ziel an und warf am 23. August in Sydney ihren Anker. Als das große Wasserfahrzeug unterhalb des Taronga Zoo in der Athol Bay anlegte und dort für mehrere Stunden ausharrte, erblickten die deutschen Kriegsgefangenen zum ersten Mal die atemberaubende Kulisse des Hafens, dessen Zentrum die große Harbour Bridge beherrschte. Am nächsten Tag erfolgte die Ausschiffung in Pyrmont, von wo aus die Inhaftierten in einem Zug mit erster und zweiter Klasse nach Campbelltown, Goulburn, Wagga Wagga, Berrigan, über die Grenze nach Victoria bis zur Endstation in Rushworth transportiert wurden. Dort angekommen warteten bereits Autobusse für den weiteren Transport zum nahe des Süßwasserspeicherbeckens Lake Waranga gelegenen Internierungslager Tatura (Gohdefeld 2004; Bevege 1993; Winter 1986). Die Internierung des jungen Erhard Gohdefeld, seiner Eltern und weiterer Mitglieder der Templer erfolgte in Camp 3, einer der insgesamt 18 ge-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 159

geneinander abgeschlossenen Lokalitäten in dieser Region, die aus symmetrisch angelegten, von Stacheldraht umzäunten sowie mit jeweils mehreren Wachtürmen ausgestatteten Wellblechbaracken und Zelten bestanden. Im öden, isolierten, von Buschvegetation geprägten Inneren Victorias gelegen, besaßen die Internierungslager im Hinblick auf den infrastrukturellen Aufbau sowie den zur Verfügung gestellten Einrichtungen eine nahezu identische Formgebung. Das besagte Camp der Templer war für circa 1.000 Personen ausgelegt, besaß eine Gemeinschaftsküche, öffentlich zugängliche Ess- und Aufenthaltssäle, Latrinen, eine Sanitätsstation sowie Gemüsebeete für den Anbau von Produkten für die autarke Verpflegung (Sauer 1985: 281). Insgesamt mussten die Gruppe der Tempelgesellschaft sowie die im Laufe der Kriegsjahre zusehends ansteigende Zahl der in Gewahrsam genommenen Menschen – hierbei erstreckt sich die Spannbreite von den Besatzungsmitgliedern des Hilfskreuzers Kormoran, über japanische, arabischstämmige wie italienische Frontsoldaten bis hin zu deutschen Missionarsfamilien aus Neu-Guinea und anderen Teilen des Pazifiks – den Zeitraum von 1941 bis 1946 hinter dem australischen Stacheldraht verbringen (Hoffmann 2009: 461ff.). Lohnend ist ein Blick auf die soziale Wirklichkeit des interethnischen Zusammenlebens behind barbed wires. Während des Interviews konturierte Gohdefeld deutlich die politische Haltung der Angehörigen der Templergesellschaft, die, wie viele außerhalb der Reichsgrenzen lebenden Deutschen, größtenteils Fürsprecher der nationalsozialistischen Bewegung waren und manche gaben sich der Hoffnung hin, dass Hitler und seine Vasallen in absehbarer Zeit über die im Northern Territory gelegene Stadt Darwin in Australien einmarschieren würden, um die deutschen Gefangenen aus den Internierungslagern zu befreien. Nicht ganz ohne Berechtigung findet Irmhild Beinssen in ihren Ausführungen den für die Templer doch sehr bezeichnenden Terminus der „innocent Nazis“ (Beinssen 1994: 16), da ihnen wegen ihrer geografischen Entfernung zu Deutschland ausschließlich die in den 1940er Jahren mit positiven Konnotationen belegten Errungenschaften von der neuen politischen Bewegung unter der Führung des Mannes aus Braunau am Inn über die doch sehr selektiv verfahrende nationalsozialistische Rundfunk- und Zeitungspropaganda in den deutschen Kolonien berichtet wurde. Das doch sehr unscharfe und von zu vielen Euphemismen durchzogene, sich in den Köpfen der Templergemeinschaft manifestierte Bild der stilisierten Mythisierung Hitlers sowie des nach dem Scheitern der Weimarer Republik aufstrebenden Deutschlands erfuhr eine schlagartige Dekonstruktion, als die ersten Dokumentationen aus den Konzentrationslagern Bergen-Belsen, Auschwitz und Treblinka in den australischen Medien kursierten. Sich den in der zurückgelassenen Heimat praktizierten Brauchbegehungen verpflichtet fühlend, darf es auch nicht verwundern, dass in diesem doch sehr begrenzten Interaktionsfeld des Internierungslagers im Ödland von Victoria die nationalsozialistischen Feiertage mit Blasmusik, Uniform und Deutschem Gruß zu den aus dem Alltag herausgehobenen, inszenierten und pathetischen Selbstdarstellungen gehörten und die Handelnden in

160 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

eine Art Hochstimmung versetzten. Kinder trugen die Uniformen der Hitlerjugend bzw. des BDM, Flaggen flatterten im australischen Steppenwind, Ansprachen wurden einem für politisch-ideologisches Parteisprech affinen Auditorium präsentiert, die Kriegsgefangenen tanzten, je nach Saison, um den Weihnachts- bzw. Maibaum (Moser 1993: 107) oder das Sonnenwendfeuer (Hirschfelder 2005: 129), die Italiener sangen ihre Nationalhymne Giovinezza, giovinezza, primavera die belleza, nella vits, nel’asprezza, il suo canto squillera und die Deutschen sangen das HorstWessel-Lied. Eine mir von Charlotte Seidel übergebene Programmbroschüre aus dem deutschen Internierungslager Tatura gibt als historische Überlieferung Aufschluss über die sich vom 30. April bis zum 1. Mai 1945 erstreckenden Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Arbeit. In den frühen Abendstunden des 30. April fand das feierliche Aufrichten des Maibaumes statt. Am darauffolgenden Tag war das Wecken der Lagerinsassen für 7.00 Uhr anberaumt, von 10.00 Uhr bis 14.30 Uhr wurde zu Sport und Spiel unter dem Maibaum geladen, was Tauziehen, Sackhüpfen, einen Hindernislauf, einen Eierwettlauf sowie Würstchenhüpfen beinhaltete. Boxschaukämpfe und Würstchenausgabe erfolgten um die Mittagstunde. Nachdem eine Verköstigung von Kaffee und Kuchen unter dem Maibaum das Nachmittagsprogramm abrundete, erfolgte ab 18.30 Uhr die erste Vorstellung des Theaterstücks D’Maikönigin, einem Volksspiel aus der deutschen Ostmark in vier Bildern unter der Leitung von Dr. H. Hueber mit einer Spieldauer von ungefähr drei Stunden. Ihren ironischen Humor hatten die meisten der „Hüttenkameraden“, wie sie sich selbst gegenseitig zu nennen pflegten, auch nach bereits vier Jahren Gewahrsam nicht eingebüßt, denn für das leibliche Wohl während der Aufführung sorgte laut Programm das Café Wellblech. Hier scheint jedoch nicht das extrovertierte Herauskehren einer politischen Gesinnung das Hauptmotiv für die kulturellen Handlungen zu sein, sondern im stärkeren Maße eine emotionale Hervorrufung bzw. Verstärkung eines ethnischen Wir-Gedankens der primordial gedachten Volksgemeinschaft. Der kultische Wesenszug jener „organischen Konstruktion einer geschlossenen Volkspersönlichkeit und der ständigen Betonung des Volksganzen“ (Bausinger 1965: 201) dient zur gruppenspezifischen Integration und birgt gerade in dieser durch externen Zwang gründenden Notsituation ein enormes Identifikationspozential. Die von politischer Seite den Brauchakteuren implementierten Überlieferungen sowie die grundlegende menschliche Eigenschaft des Feierns haben auch im fernen Australien ihre Verbindlichkeit nicht eingebüßt, erhalten sie in dieser hoffnungslosen Situation doch eine drastische Intensivierung und müssen sowohl als Kompensationsvehikel für die aus ihrer alten Heimat zwangsweise entfernten Menschen als auch als Multiplikatoren der Identitätsarbeit dieser gelesen werden. Hiermit wird eine Strategie der Vergewisserung einer kulturellen Wesensgleichheit zum Ausdruck gebracht, die durch die intentionale Verwendung eines Konglomerats von als „arteigen“ klassifizierten Symbolen, Motiven und Handlungen hergestellt wird. Die Satisfaktion des Mythosbedarfs, an den man sich in letzter

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 161

Instanz klammern konnte, boten Hitler – als personifiziertes Sinnbild der deutschen Nation – und sein heroisiertes wie charismatisches Herrschaftsmodell. In einer mir vorliegenden Arbeit mit dem Titel The Price of Being a GermanAustralian aus dem Jahre 1981 ist von der achtzehnjährigen Autorin, Heidi Glockemann, ein auf orale Quellen zurückgehender Erfahrungsbericht ihrer bereits seit 1925 in Australien lebenden deutschen Großmutter abgedruckt, der über das Leben im Internierungslager 3 Folgendes preisgibt: „We went right onto Central Railway Station in the military wagon. We only had about two Steps onto the platform and we were in the carriage, a soldier, a wardress, the two boys and myself. We travelled all night and after breakfast we arrived at Seymour and got a car to Tatura. Tatura – tin barracks, wooden floors – From the literary wagon they threw the blankets in the dust and we had to go and shake them. We are in the compound with all the Singapore Yews. It was terribly primitive, but luckily I had enough things. But theses huts! They had wirenetting round the top. And when we had a dust storm I could shovel the boys out of the bed the next morning. Tatura is near Shepparton in Victoria. And then the internees from Palestine came and the boys from Palestine started marching up and down singing Hitler Youth hymns and things like that. Some people went out there and they had a lovely fight. We had shooting and soldiers out there. The Yews went and got knives out of the kitchen. I rushed down to some Italians for protection with my boys. I found out, the person I went to was a doctor, so all the wounded came to her“ (Glockemann 1981: 3).

In Anbetracht der historischen Konstellation der Judenverfolgung in Europa durch das nationalsozialistische Regime scheint es aus der Gegenwart betrachtet mehr als kurios, dass man in dem Camp jüdische Emigranten mit den sich ihrem Vaterland patriotisch verbunden fühlenden Auslandsdeutschen zusammenlegte. Handgreifliche Auseinandersetzungen, Krawalle und heftige Dispute, wie im oberen Passus wiedergegeben, waren Ergebnis einer von politisch-ideologischen Weltanschauungen über religiöse, rassische und ethnische Differenzen durchtränkten Atmosphäre, in deren Zentrum Deutsche, Italiener, Juden und das australische Wachpersonal bis zum Kriegsende danach trachteten, ethnische Grenzen zu ziehen und diese mit allen Mitteln gegenüber jeglicher Andersartigkeit zu verteidigen. Unmut und Verbitterung riefen bei den jüdischen Insassen vor allen Dingen die in den deutschen Volksliedern angestimmten Lobeshymnen auf Hitlerdeutschland sowie andere beleidigend-aggressiv vorgebrachte Handlungen hervor, für deren sofortige Unterbindung die Juden eine Beschwerde an die Lagerleitung richteten. Die Lageroberen sahen dieser Angelegenheit eher mit Gelassenheit und wenig Aktionismus entgegen, da sie einerseits weder die deutsche Sprache noch den schwäbischen Dialekt beherrschten, andererseits im Musizieren, einer zeremoniellen Abhaltung der mit Spektakel illuminierten Feste und im Singen fröhlicher Lieder eher eine Erquickung

162 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ihrer abwechslungslosen und stupiden Arbeit in einer Region Australiens sahen, die gerade für ihre landschaftliche Monotonie bekannt ist. Als der Zweite Weltkrieg im zerstörten Westeuropa zu Ende ging, dauerte es für die deutschen Kriegsgefangenen in Tatura noch bis zum 23. August 1946, bis einige aus ihrer Haft – die in keinem Rechtssystem eine juristische Grundlage besitzt und diesbezüglich stets ein Akt der Willkür politischer Herrschaftsapparate ist – in die Freiheit des Fünften Kontinents entlassen wurden. Die letzten Templer verließen das Internierungslager Anfang 1948. Man muss sich diese Ausgangsposition neuerlich vergegenwärtigen: Die Templer lebten isoliert von der australischen Bevölkerung als gefangene zivile Kriegsfeinde in einem ihnen gänzlich unbekannten Land, oder wie es Gohdefeld im Gespräch formulierte: „Es existierte ein absolutes Unwissen, was auf der anderen Seite des Stacheldrahtes vor sich ging.“8 Ein mit scharfen Eisenspitzen versehener Sperrgürtel bildete eine allgegenwärtige visuelle Barriere, mit der ein kultureller Aktionsrahmen abgesteckt wurde, der jeglichen interkulturellen Kontakt mit der nicht zum Interaktionsradius gehörenden Umwelt unterband und eine allmähliche Integration verhinderte. Eine Aufrechterhaltung als auch Pflege der deutschen Lebensweisen und sozialen Umgangsformen seitens der unter Arrest gesetzten Frontsoldaten und Templer aus den deutschen Kolonien Palästinas war die logische Konsequenz einer auf externen Zwang gründenden Migrationssituation. Für die Menschen, die das gleiche schwere Schicksal in einem von Europa weit entfernten Kontinent verband, avancierte das mit dem Qualitätssiegel „deutsch“ etikettierte Kulturgut zu einem Angst kompensierenden Hoffnungsschimmer und zugleich zum Heilsmittel der Vergegenwärtigung der eigenen Ethnizität. Die australische Regierung unterbreitete den Mitgliedern der Tempelgesellschaft unmittelbar nach der Entlassung aus den Lagern ein Angebot, als naturalisierte Personen mit vollen Rechten auf Staatsangehörigkeit im Land zu verbleiben. Die überwiegende Mehrheit der Templer verfolgte ebenfalls die feste Absicht, sich für die Einbürgerung stark zu machen. Es sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass einige Mitglieder freiwillig in die Heimat zurückkehrten, andere wurden dagegen aufgrund politischer Verstrickungen des Landes verwiesen. Zur damaligen Zeit erlaubten die vom Ministerium für Immigration festgelegten Einbürgerungsauflagen jedem Deutschen die Annahme der Staatsbürgerschaft, d. h. die Naturalisation, wenn er fünf Jahre auf australischem Boden gelebt hatte und dabei nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Nachdem das Gros der Templer fünf Jahre im Outback Australiens in der Inhaftierung verbracht hatte, waren bereits alle wesentlichen Auflagen zur Naturalisation erfüllt. Integrationsfördernd wirkte des Weiteren das am 19. Oktober 1949 in Kraft tretende Gesetz zur Errichtung des Temple Society Trust Fund, der alle monetären Erlöse aus der Liquidation der ehemaligen wertvol-

8

Zitat aus dem Interview mit Erhard Gohdefeld, datiert auf den 06.04.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 163

len Besitzungen und Guthaben der Templer aus ihren zurückgelassenen Kolonien im Vorderen Orient beinhaltete, die zur Rehabilitierung der Gruppe von Zwangsmigranten in Australien ausgezahlt wurden (Sauer 1985: 329ff.). „Stellen Sie sich vor, da kommt dieser Vierzehnjährige aus dem Internierungslager und wohnt da drüben in der Sunshine Street. In weiß noch, links und rechts einige Häuser und der Rest war Busch und dann ein ganz schroffer Felsen. Da sind wir raufgeklettert und guckten dann rüber aufs Meer, so um 4.30 Uhr. Und dann fuhren die Doppeldeckerbusse los, von Manly Wharf nach Norden. Von den Doppeldeckerbussen gab es einen in Tel Aviv.“9

In der Blüte der Pubertätsjahre bereits auf fünf lange Jahre Internierungshaft zurückblickend, saß Gohdefeld, als unfreiwilliger Wanderer zwischen den Kulturen, mit seinen neuen australischen Freunden auf einem über Manly thronenden Felsen und zog in seinen Beschreibungen jenes fremden Landes den Vergleich mit seiner alten Heimat in Haifa und Tel Aviv zu Rate. Dabei darf nicht unterschlagen werden, dass während der Periode der gesellschaftlichen und kulturellen Isolation in den Weiten von Victoria der Fortschritt sowohl im Land der Philister als auch in Australien nicht stagnierte. Dass die australische Nation am weltgeschichtlichen Wendepunkt des Jahres 1945 überhaupt den Gedanken zuließ, ihre Immigrationsrestriktionen zu überdenken, neuen – wiederholt aus ökonomischen und politischen Zwängen resultierenden – Migranten aus Kontinentaleuropa eine neue Zukunftsperspektive zu bieten, verdankt das Land unter dem Kreuz des Südens vornehmlich der Masse der unter dem politischen Terminus „Displaced Persons“ firmierenden Menschen, unter denen eine nicht gering zu schätzende Zahl aus den (ehemaligen) deutschen Territorien den Weg in den Südpazifik bewältigten.

9

Zitat aus dem Interview mit Erhard Gohdefeld, datiert auf den 06.04.2008.

164 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

3.2 F LÜCHTLINGE UND D ISPLACED P ERSONS IN DEN 1950 ER J AHREN : AUSTRALIEN ALS D ESTINATION EINER ORTSPOLYGAMEN W ANDERUNGSBEWEGUNG „Just out of Europe, it doesn’t matter where to go.“10 „Also von dem Krieg und der Nachkriegszeit, ich hatte die Nase voll. Ich sagte mir nur, bloß weit weg davon, so weit weg wie möglich. Und Australien war halt sehr weit weg.“11 „Und dann kamen die Zeltlager und wir waren bei der Eisenbahn. 20.000 Kilometer weiter in einem Zelt, aber das Zelt war mehr Hoffnung als Zuhause.“12

Als mich der gelernte Feinmechaniker Karl-Heinz Kuhnert aus Hamburg in seinem Haus in Georges Hall, einem südwestlichen Vorort von Sydney, zur Mitte eines etwa fünfeinhalbstündigen Interviews herumführte, versuchte er mich unter Zuhilfenahme visueller Arrangements über die Beweggründe seiner Auswanderung nach Australien im Jahre 1952 mit der Anna Salen in Kenntnis zu setzen. In seinem Arbeitszimmer zeigte mir der Informant Portraits seines Geburtshauses in Hamburg, viele historische Bilder aus seinem alten Interaktionsraum St. Pauli und Altona, in seiner Bibliothek Literatur über Hamburg, die Flagge von Hamburg und präsentierte mir zugleich einen minutiösen Milieueinblick in seine Jugendzeit. Mit den Worten „und dann kam der Krieg“ schloss er hinter uns die Tür von innen, so dass ein kleiner Eckteil einer Nebenwand zum Vorschein kam, auf der abermalig Fotografien mit den gleichen historischen Bauten und Straßenzügen Hamburgs nach einem verheerenden Bombenangriff zu sehen waren, die sich Kuhnert nachträglich als Erinnerung bei der Landesbildstelle der Hansestadt besorgt hatte.13 „Und so sah es dann eine Stunde später aus. Das hinterlässt natürlich einen Eindruck im Leben, den kann man nicht mehr so schnell wieder wettmachen. Das ist das Bild, das will ich nicht sehen und dafür ist da die Tür da, aber das ist die Wahrheit. Und wenn ich mit Leuten

10 Zitat aus dem Interview mit dem aus dem Banat (Rumänien) emigrierten Donauschwaben Andreas Bader, datiert auf den 10.05.2008. 11 Zitat aus dem Interview mit Orzela Cekovic, datiert auf den 17.05.2008. 12 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 13 Um seine Ausführungen zu unterstreichen, zeigte mir der Informant Bilder aus einem Fotoband (Grobecker/Loose/Verg 1981).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 165

rede, die nie etwas vom Krieg wussten, meiner Frau, Bekannten aus den Philippinen, und die sagen dann ,Oh, ist das schön‘. Dann kann man sagen, das ist mein Leben, da fing ich an und dann kam der große Knacks.“14

Kuhnert spricht hier stellvertretend für eine Reihe von Nachkriegsflüchtlingen und Displaced Persons, die im gravitativen Zentrum einer der wohl größten multidirektionalen Wanderungsbewegungen der Geschichte zur Mitte des 20. Jahrhunderts standen. Für das Verlassen der in diesem Kapitel thematisierten Gruppe von Emigranten aus der von Hans-Ulrich Wehler treffend betitelten „deutsche[n] Zusammenbruchsgesellschaft“ (Wehler 2003: 951ff.) nach 1945 können zahlreiche migrationsauslösende Gründe ins Feld geführt werden. Aus dem Verbalisieren von Kriegshandlungen, Bombenangriffen auf Städte, dem Zusammenbrechen der Versorgungssysteme, den damit einhergehenden Hungerkatastrophen, Krankheiten wie Diphtherie, Typhus und TBC, die das Hausen in notdürftigen Unterkünften wie Kellerräumen, Dachgeschossen oder Ruinen hervorriefen, sowie der andauernden Ungewissheit, wie der von mannigfaltigen Problemen durchzogene Alltag zu bewältigen sei, kann geschlossen werden, dass dieser Form der erzwungenen Mobilität tiefgreifende gesellschaftliche Verwerfungen vorausgingen, die in allerletzter Instanz zum Aufbrechen der Sicherheit versprechenden Ligaturen enorm beitrugen. Die Displaced Persons, nach der Definition von Tyrannei und Kriegen vertriebene Menschen, die sich fernab ihrer eigentlichen Heimat befinden und ohne externe Unterstützung nicht heimkehren oder eine neue Heimat finden können (Räsänen 1995: 10), sowie die aufgrund von Ausbombung, Kriegserlebnissen wie allgemein verbreiteter Perspektivenlosigkeit emigrierten Deutschen suchten in diesen Zeiten der unmittelbaren Nachkriegswirren in einer Personenzahl von circa 136.000 den Weg nach Australien (Jacobmeyer 1992: 367; Kunz 1988: 8f.). Vor allen Dingen eine staatlich gelenkte Auswanderung, die auf humanitären wie realpolitischen Ambitionen, besatzungs- und außenpolitischen Erwägungen, neuen, hoffnungsschöpfenden Perspektiven auf eine wirtschaftlich erträgliche Ansiedlung in der überseeischen Fremde sowie einer großzügigen Regelung des Nachzuges von Familienangehörigen basierte, sorgte in ganz Europa für einen Massenexodus, in dessen Zuge bis 1951 rund 700.000 Displaced Persons nach Nord- und Südamerika, Australien und Neuseeland emigrierten (Caestecker 2008: 532f.). Ursachen für jenen gigantischen Bevölkerungstransfer finden sich in den Umsiedelungs-, Emigrations- und Vertreibungswellen der bevölkerungspolitischen Maßnahmen des Germanisierungsfeldzuges in den annektierten Ostgebieten unter den Nationalsozialisten. Die auf Expansion, Unterwerfung und Beherrschung abzielende Ostpolitik setzte eine geopolitisch legitimierte Ansiedlung von so genannten

14 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007.

166 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Reichsdeutschen“ und „Volksdeutschen“ in den nun dem Deutschen Reich angegliederten Ostgebieten in die Tat um, so dass mit dem Vorrücken der Roten Armee im Winter 1944/45 eine durch Flucht und gewaltsame Vertreibung ausgelöste Westbewegung dieser dort angesiedelten Menschen begann (Naimark 2002; Brandes/Sundhausen/Troebst 2010). Zu diesen Migranten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und anderen Teilen Ost- und Südosteuropas kamen darüber hinaus noch die für das Deutsche Reich rekrutierten ausländischen Zwangsarbeiter, die befreiten Häftlinge der ehemaligen Konzentrationslager und die angesichts des Bombenkriegs evakuierten Rückkehrer. Unterwegs zu neuen und alten Zielen bewegte sich diese unüberschaubare Masse der Transitmigranten meist ohne einen genauen Bestimmungsort durch das Reichsgebiet. Die unter administrativen Gesichtspunkten beschwerliche Bewältigung der Flüchtlings- und Vertriebenenprobleme stellte die alliierten Besatzungsmächte vor eine schier unlösbare Aufgabe (Benz 1992: 379). Gegenüber den circa 11 Millionen heimatlosen Opfern des Naziregimes sahen sich die Alliierten in die Pflicht genommen, ihnen eine logistische Hilfestellung beim Versuch zu geben, „to return home or find homes“ (zitiert nach Jacobmeyer 1985: 16). Einem von der International Refugee Organization (IRO) initiierten Umsiedlungsprogramm gingen Verhandlungen zur Übernahme von Flüchtlingskontingenten mit den Aufnahmeländern in Südamerika, Europa, dem britischen Commonwealth und Nordafrika voraus, die ihrerseits Interesse an alleinstehenden, gesunden, arbeitsfähigen männlichen DPs hegten (ebd.: 169). Dieses nachträglich durchweg als erfolgreich zu bezeichnende Projekt eröffnete zahlreichen Menschen einen geografischen wie mentalen Bruch mit der traumatischen Vergangenheit Europas und den frischen Start in eine neue Lebensperiode in Übersee (Pegel 1997: 45). Jene Aussage des nach dem Zweiten Weltkrieg eigens installierten Ministers für Immigration – „It is my hope […] that for every foreign migrant there will be 10 people from the United Kingdom“ (Appleyard 1964: 35) – zeigt unzweideutig jene nationalen Präferenzen, den britischen Charakter Australiens zu bewahren und nur ein geringes Quantum an ethnisch „fremden“ Gruppen aufzunehmen.15 Als jedoch entgegen allen Erwartungen die rückläufigen Immigrationszahlen von den Britischen Inseln das geforderte Kontingent an Arbeitsmigranten für die Tätigkeiten im primären wie sekundären Wirtschaftssektor nicht erfüllten, wandte sich Australien allmählich Kontinentaleuropa zu, namentlich zuerst den Displaced Persons. Diese sollten als billige Arbeitskräfte zur Restrukturierung der australischen Ökonomie

15 Die durch den Commonwealth initiierte Kampagne „Bring out a Briton“ (1946–1972), die eine staatliche geförderte Einreise auf der Basis einer finanziellen Eigenbeteiligung von 10 Pfund subventionierte, lässt sich in diesem Kontext lesen (Hammerton/Thomson 2005; Appleyard 1988).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 167

nach den Kriegsjahren beitragen. Durchaus darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Aufnahme der europäischen Flüchtlinge aus Ost- und Südosteuropa nur der Resignation vor dem internationalen politischen Druck zu verdanken war, da Australiens Befürchtungen stets darin begründet lagen, mit den kulturell und linguistisch diversen Heimatlosen, Migranten aufzunehmen, die sich in keiner Weise an die im Land prädominierende britische Gesellschaft assimilieren würden. Hinsichtlich des Bekenntnisses zu einer phänotypischen wie habituellen Wesensgleichheit der australischen Mehrheitsgesellschaft mit den „nordischen“ Menschen Europas schreibt James Jupp: „But the myth of the ,nordic cousin‘ lived on well into the 1950s“ (Jupp 1995a: 64). Als Mitglied der IRO oblagen dem australischen Staat gewisse Verpflichtungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen, denen Integrationsminister Arthur Calwell mit der Unterzeichnung eines Vertrages zur Eingliederung eines juristisch festgesetzten Minimums von Displaced Persons nachging, die einen verbindlichen Arbeitskontrakt für die Dauer von zwei Jahren unterbreitet bekamen und jegliche Beschäftigung anzunehmen hatten, die ihnen der Commonwealth Employment Service zuwies. Um die Signifikanz des Abkommens mit der IRO (Frieler/Henning 1989: 340) zu untermauern, benutzte Calwell die Metapher einer Vitalität verleihenden Bluttransfusion, durch die er im Parlament am 28. November 1947 versicherte, dass „the new blood which will make Australia’s national heart beat with the strong and measured pulse of prosperity and security has now begun to flow“ (zitiert nach Lack/Templeton 1995: 10). Auch wenn die öffentliche Meinung und vor allen Dingen der Kritik der Returned Servicemen’s League gegen die vermeintliche Überschwemmung des eigenen Landes mit Fremden dubioser Loyalität16 (ex-enemy aliens) wetterte, kam es doch zwischen 1947 und 1954 zur Aufnahme von 170.000 Displaced Persons mit einer enormen Varietät an ethnischem und

16 War der Bedarf sowie der Wille in Australien stark ausgeprägt, „tüchtige“ deutsche Arbeiter für die eigenen ökonomische Expansion nach 1945 zu gewinnen, so wurden aber auch die Stimmen immer lauter, die Aufnahmeprüfungen bzw. Sicherheitschecks (security screenings) hinsichtlich einer Kontrolle der nationalsozialistischen Verstrickungen der Migranten forderten. Eine insbesondere in Sydney ansässige jüdische Gemeinschaft intervenierte aus berechtigten Gründen mit ablehnender Haltung bei Premierminister Menzies. Wie The Bulletin 2004 berichtete, war die Begegnung von Opfern und Tätern des Dritten Reichs auf den Auswanderungsschiffen bzw. auf dem Kontinent keine Seltenheit: „[I]n 1949, in the transit camp at Bonegilla a young Jew came up a group of Lithuanians and said: ,Good afternoon, Capitain Simkus, do you remember the time when you supervised the shooting of Jews? I managed to run away from the very edge of the ditch. I remember you very well‘“ (Daley 2004: 24; Sauer 1999). Einen detailreiche Studien über die Aufnahme von Kriegsverbrechern und nationalsozialistischen Kollaborateuren aus Osteuropa bietet ebenfalls Mark Aarons (Aarons 2001).

168 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

beruflichem Hintergrund. Zu den im weiteren Verlauf des Kapitels zu Wort kommenden Migranten zählen ferner die im Zuge der Zusammenarbeit mit dem International Committee for European Migration rekrutierten 5.000 hochspezialisierten deutschen Arbeitskräften aus den Jahren 1950–1952, die unter dem Special Project Worker Scheme ihrer wirtschaftlich aussichtslosen Situation als Handwerker mit Gesellenstatus und verbürgter langjähriger Arbeitserfahrung entgehen konnten (Jordens 2001: 67). Das Sample der unter die Kategorie bzw. Migrationsdynamik der Displaced Persons fallenden Personen besteht aus vier Personen, die, um die unschöne wie ahistorische und unwissenschaftliche Formel des Nationalsozialismus zu bemühen, als „Volksdeutsche“ in Territorien außerhalb der Reichgrenzen lebten. Andreas Bader ist ein Nachfahre der Schwaben, die sich im rumänischen Banat im 17. Jahrhundert angesiedelten hatten, Walter Sonneck kommt ursprünglich aus Schlesien und das Ehepaar Cekovic lebte nach ihrer Flucht aus dem heute zu Polen gehörenden Bromberg im mecklenburgischen Neumünster. Zum Kriegseinsatz in der deutschen Armee verpflichtet, befand sich Sonneck nach 1945 in einem Kriegsgefangenenlager in Belgrad, aus dem er 1949 nach Deutschland entlassen wurde. Noch während der Kriegszeit flüchtete Bader als Kind mit seinen Anverwandten in einer abenteuerlichen Nacht-und-Nebel-Aktion über die rumänische Grenze ins bereits vom Deutschen Reich inkorporierte Österreich, wo sein Vater in Graz in der Steiermark Arbeit annahm. Auffallendes und ubiquitäres Charakteristikum während der freien Befragungssituationen dieser oben genannten Personen waren die längere Zeitabschnitte einnehmenden Schilderungen der persönlich erlebten Kriegshandlungen, deren immerwährende Realpräsenz in den Jahren der Kriegswirren nicht nur physische wie psychische Traumatisierungen zur Folge hatten, sondern zu einem Auswanderungswunsch in ein von allen militärischen Auseinandersetzungen weit entferntem Land führten. Insbesondere die akute Bedrohung durch die Bombardierung der im Deutschen Reich liegenden Städte durch die alliierten Streitkräfte wird in den alltags- und lebensgeschichtlich orientierten Erzählungen kontinuierlich hervorgehoben, d. h., Kriegserfahrungen in ihrer symbolischen Repräsentation wie in ihrer Ästhetisierung sind den historischen Subjekten stets präsent (Löffler 1999: 125) und fungieren somit als legitimatorische Mittel, das die Migration erklären soll. Die den Alltag konstituierenden Elemente wie Tod, Zerstörung, Gefahr, Leid und Lethargie werden nicht nur partiell wiedergegeben oder aus Gründen der traumatischen Verdrängung schlichtweg ausgeblendet, vielmehr sind die Informanten um eine realitätsnahe Dokumentation bemüht, die mir ihre persönliche Ausgangsposition vor der Emigration verdeutlichen sollte. Eingebettet in einen strapaziösen wie entbehrungsreichen Alltag, der hauptsächlich von Hoffen und Bangen geprägt war, konkretisiert Bader in dem nachfolgenden Passus ein für diese Zeit doch prägendes Szenario, das von den anderen Auswanderern aus diesen Jahren – gleichwohl in einem anderen Duktus – ebenfalls in Grundzügen skizziert wurde:

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 169

„Da sind wir eben nach Österreich gekommen und dann sind die Bombenangriffe gekommen. Ich weiß noch 1945, das war zu Ostern, da war ich in einer Stadt, die war ungefähr 15 Kilometer von Graz entfernt. Da sind wir draußen gestanden und da war ein Angriff nach dem anderen, die ganze Nacht, 24 Stunden. Du konntest die Flak am Abend sehen, wie hoch die ging. Wenn dann so ein kleines Flugzeug nicht so hoch flog, dann hat sich das im Feuerhagel in einen Feuerball verwandelt. In Graz sind wir einmal ausgebombt worden, das werde ich nie vergessen. Wir waren im Keller, uns ist nichts passiert, weil die Bombe ist neben das Haus gefallen. Und die Mauer des zweistöckigen Hauses, die ist weggefallen und sah wie ein Puppenhaus aus. Du sahst die Möbel da stehen und alles, aber unten im Keller, wir hatten ja Luftschutzkeller mit einer eisernen Tür. Und jedes Haus hat vor dem Keller einen Ausweg, da hast du ein kleines Loch gehabt, dass du auch Luft kriegst von der Straße. Für eine Sekunde, wenn die Bombe einschlägt, du hörst ja nichts, wenn sie weiter wegfällt, dass hörst du jüüüt [Pfeifton] und dann einen Knall. Aber wenn es auf dich fällt, dann hörst du nichts. In dem Moment ist so ein großer Krach, es ist unmenschlich zu beschreiben, aber nur für einen Sekundenbruchteil, so ganz kurz breenng [Knallgeräuch]. Und unten im Keller, mit verschlossenen Türen, alles verschlossen, so viel Staub, wir haben ja Decken über den Kopf gehabt, da konntest du nicht so weit sehen, weil das so viel Staub war. Du denkst in diesem Augenblick nur an eine Sache, also wir haben das so oft gesehen, dass manche noch leben und ersticken da unten nach einem Bombenangriff. Weil sie die nur mit Mühe und Not nach drei oder vier Tagen da rausnehmen können. Da betest du nur, ich möchte nicht so sterben, dass du da unten ausharren musst, bis du tot bist. Vielleicht ist es dann besser, du bist direkt tot, als wenn du lebendig begraben bist. Das habe ich alles miterlebt, eine schöne Scheiße, ganz ehrlich.“17

Wie bereits in dem oberen Zitat von Karl-Heinz Kuhnert angeklungen ist, können diese geschilderten Ereignisse und Erfahrungen als lebensgeschichtliche Zäsuren interpretiert werden, weil mit der nach ihnen erfolgten Migration aus diesem vom Kriegsgeschehen geschädigten Kontinent eine geografische und nicht zuletzt kognitive Barriere aufgebaut wurde. Jedoch zeigt die emotional vorgebrachte Erzählpassage auch, in welchem intensiven Maße sich diese lebensbedrohlichen Erfahrungen in die Erinnerungskultur der in Rede stehenden Auswanderergruppe eingeschrieben haben. Das narrative Memorieren von ausgewählten Ereignissen, die für die meisten Menschen aus dieser Migrationsgruppe eine durch Zerstörung oder Evakuierung hervorgerufene geografische wie mentale Entwurzelung bedeuteten, ist auch nach mehr als sechzig Jahren integraler Bestandteil der ethnischen Identitätsherstellung. Die Bewältigung der eigenen Vergangenheit kleidet Kuhnert folgendermaßen in Worte:

17 Zitat aus dem Interview mit dem aus dem Banat (Rumänien) emigrierten Donauschwaben Andreas Bader, datiert auf den 10.05.2008.

170 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Wie zum Beispiel in Hamburg, wie die Luftangriffe da waren, die Bomben fielen. Wir hatten Feuersturm, die Balken die flogen hoch, es saugte alles hoch. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie meine Mutter mich rausgekriegt hat. Jedes Mal, wenn ich in Hamburg auf dem Rathausplatz stehe, dann sehe ich immer das Haus der alten Post, das war ein Haus, ein bisschen runter da, in die Luft fliegen. Die ganzen Toten und die verbrannten Körper usw. Das hat einen Eindruck hinterlassen, den man nicht vergisst. Das änderte auch die Einstellung zum Leben. […] Nämlich bevor der Alarm ging, man ging in den Keller, und der Keller war einfach ein normaler Keller in den alten Gebäuden. Die hatten zwar eiserne Türen usw., aber viele Leute wurden verschüttet und erstickten. Wenn wir nicht schnell genug in den Keller kamen, die Flak schoss, die Splitter flogen herum, die Scheiben klirrten. Einige Leute starben, weil die Splitter in den Körper schlugen. Wir gingen in den Keller und wenn wir rauskamen, die Feuerwehr war da, aber das konnte alles nicht helfen. Und wenn man dann eines guten Tages in den Keller geht, stellen sie sich jetzt mal vor, sie gehen für zehn Minuten in den Keller, die Bomben fallen und sie kommen raus und alles, was hier drum herum ist, ist nicht mehr da. Das ist ein Eindruck, das hat irgendetwas damit zu tun, dass man eben anderes denkt wie viele andere. Das erging nicht nur mir so, es waren Tausende.“18

Deutung und Verarbeitung der auch pathogene Konsequenzen in sich bergenden, körperlich-sinnlich erfahrenen Kriegsgeschehnisse bzw. Bombardements, die in der erlebten und wahrgenommenen Realität ihren Ursprung besitzen, zielen darauf ab, diese als die die Lebenswelt der Betroffenen gefährdende Diskontinuität auszuweisen, was nicht selten den Willen verstärkte, diese gravierenden seelischen Verwerfungen zum Anlass zu nehmen, Deutschland zu verlassen. Fundierend und bestehende Migrationssysteme legitimierend wirkt die Erinnerung an die Feuerstürme bzw. die Luftangriffe dort, wo sie von den Auswanderern als Ausdruck einer gemeinsam durchlebten Geschichte, aus der sich die gegenwärtigen Verhältnisse ableiten, wahrgenommen werden. Die individuellen Erinnerungen, die das zentrale Charakteristikum vieler Interviews darstellten, beruhen auf der Bindung an eine Auswanderungsgruppe mit gleichem Fatum, d. h., das individuelle Gedächtnis ist unmittelbar mit dem kulturellen Gedächtnis verknüpft. Dies ist intentional darauf ausgerichtet, „Ungleichzeitiges zu vermitteln“ (Cancik/Mohr 1990: 311). Für die tief in die Psyche eingeschriebenen Reminiszenzen aus einem dunklen Kapitel der deutschen Vergangenheit, für die Jörg Friedrich zu Beginn des 21. Jahrhunderts das deutsche Lesepublikum sensibilisieren konnte und mit seinem Werk eine historische Unbekannte beleuchtete (Friedrich 2002), können als Motiv generierende Auslöser der Wanderungsbewegung Geltung beanspruchen. Bei aller Routine, die man in der Fähigkeit entwickelt hatte, auch in aussichtslosen Situationen Gefahren zu ertragen und drohendem Unheil auszuweichen, zeigen die Ergebnisse der Ge-

18 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 171

spräche doch deutlich, in welchem Maße sich der einzelne Mensch von der bisher Gültigkeit beanspruchenden Lebenswirklichkeit in Deutschland entfremdete und aufgrund der Liquidierung eines unermesslichen Kulturerbes einer Entwurzelung ausgesetzt sah. Ein für die unmittelbare Nachkriegszeit typisches Auswandererschicksal erfuhr Walter Sonneck, der im Jahre 1949 als Spätheimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft in Südosteuropa in die Ohnmachtsverhältnisse auf deutschem Boden zurückkehrte. Einquartiert in einem maroden Dachgeschoss in Denkendorf auf den Fildern bei Stuttgart, in „dem es im Sommer heiß und im Winter eisig kalt war“, laborierte er längere Zeit an einer tuberkuloseähnlichen Erkrankung, die er aus Ermangelung an gesunder Nahrung sowie proteinreichen Heißgetränken in den Jahren der drastischen Einschränkung von Versorgungssystemen nie richtig auszukurieren im Stande war. Eine ärztliche Untersuchung im Jahre 1952 brachte die erschütternde Gewissheit, dass Walter Sonneck mit seinem gesundheitlichen Zustand in den nasskalten Klimaverhältnissen Deutschlands noch eine Lebenserwartung von zehn Jahren hatte, da zu diesem Zeitpunkt keine medizinische Behandlung Aussicht auf eine baldige Besserung versprach. Allerletzte Lebenschance, so die behandelnden Mediziner, sei die Emigration in ein Gefilde mit wärmerem Klima, wobei Südamerika, Südafrika und Australien zur Debatte gestellt wurden. Nachdem er der Pflicht sowohl im Reichsarbeitsdienst als auch im Militär nachgekommen war, die Bürden einer vierjährigen Kriegsgefangenschaft überstanden hatte, eine Heimkehr in die von der russischen Besatzungsmacht okkupierte Ostzone von vornherein ausgeschlossen war und ein mehrwöchiger Transport durch halb Europa nur mit gesundheitlichen Rückschlägen bewältigt wurde, drohte nun ein vorzeitiges Ableben im noch jugendlichen Alter. Sich der Konsequenzen eines weiteren Verbleibs in Deutschland bewusst, holte sich der gelernte Werkzeugmacher über Australien Informationen ein und bewarb sich umgehend als potenzieller Emigrant. Hier wird die Migration gleichzeitig zur Überlebenswanderung. Eine nahezu unüberwindbare Hürde stellte jedoch die vor der Auswanderung erfolgende Prüfung der gesundheitlichen Verfassung des Antrag auf Auswanderung stellenden Bewerbers da, weil besonders die im unmittelbaren Zusammenhang mit Tuberkulose stehenden Erkrankungen, die auf die oft jahrelange Fehl- und Unterernährung und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen vieler Menschen jener Kriegswirren zurückzuführen waren, zum Scheitern der neuen Ambitionen avancieren konnte. Der ominöse Schatten auf der Lunge war allgegenwärtiges charakteristisches Merkmal einer Generation von Displaced Persons und Kriegsflüchtlingen (Pegel 1997: 48). Nachdem er sich auf einem bayerischen Bauernhof einquartiert hatte, dort als Landarbeiter in den Genuss von reichhaltigen Mahlzeiten kam, durchlief er jedoch mit Erfolg die zur Auswanderung qualifizierende Gesundheitsprüfung und verließ mit dem norwegischen Schiff Skaubryn Bremerhaven in Richtung eines lebensbejahenden Erdenstrichs im südlichen Pazifik.

172 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Die persönlichen Schilderungen der ungefähr vier bis fünf Wochen dauernden Seereise auf den für Auswanderer und Displaced Persons umgebauten Truppentransportern schwanken zwischen einer möglichst realitätsgetreuen Wiedergabe des alltäglichen Zusammenlebens und der Anführung von anekdotischen Charakter besitzenden Erzählungen. Natürlich war das Leben auf dem Schiff für Menschen, die bisher nur Leid und Schrecken kannten, ein besonderes, wenn nicht sogar lebensgeschichtlich herausragendes Erlebnis, da eine festgelegte Routine den Alltag bestimmte, niemand musste einer an den menschlichen Kräften zehrenden Arbeit nachgehen und die Einnahme von Mahlzeiten erfolgte zu drei festgelegten Zeiten am Tag. Das oft genannte Faulenzen zum Zwecke der körperlichen Rekreation galt als eine aus der individuellen Vergangenheit kaum bekannte Tätigkeit und wurde während des Aufenthalts auf dem Schiff gerade deshalb als luxuriöses Gut klassifiziert, dem die Migranten tagein und tagaus unbeschwert frönen konnten. In den meisten Fällen legten die Auswanderungsschiffe in Bremerhaven ab, fuhren durch den Golf von Biscaya und steuerten durch das Mittelmeer den Suezkanal an, von wo es über Colombo nach Freemantle und Sydney ging. „Es war eine Reise, von der man träumte und nun war man selber dabei“ (Kuhnert 1995: 2), notiert KarlHeinz Kuhnert in seinen autobiografischen Erinnerungen. Neben geselligen Aktivitäten wie Kartenspielen, abendlichen Tanzveranstaltungen, Vortragsreihen, der obligatorischen und prachtvoll in Szene gesetzten Äquatortaufe, dem Beobachten von Meerestieren wie fliegenden Fischen, Walen, Delfinen und Haien lag es im Ansinnen der australischen Regierung, erste didaktische Integrationsmaßnahmen für die Passagiere in Angriff zu nehmen. „Wir saßen in der Sonne, viele waren seekrank. Und das Essen, das war nämlich ein italienisches Schiff und auch eine italienische Besatzung. Und die Köche haben dann auch hauptsächlich italienisch gekocht. Da gab es wirklich fast nur Spaghetti. […] Wir haben Karten gespielt oder auch gelesen, oder man hat auch Freundschaft gemacht. Und es ist eigentlich keine Langeweile aufgekommen und Franzl ging dann noch zu den Englischstunden. Und manche kamen auch in meine Klasse, die hatten weder Papier noch Bleistift und später ist mir aufgefallen, die konnten nicht lesen und nicht schreiben.“19 „While we were on the boat it was good, because we learned some English, but not proper teachers, only people who learned this stuff in school or in prisons of the war. So you only learn things like ,This is a shirt‘, ,This is a watch‘. You couldn’t speak any sentence.“20

19 Zitat aus dem Interview mit Orzela Cekovic, datiert auf den 17.05.2008. 20 Zitat aus dem Interview mit Andreas Bader, datiert auf den 10.05.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 173

Das Erlernen spezifischer Grundkenntnisse der Landesprache sowie die Wissensaneignung über die australische Geografie und Historie darf hier nicht als ein zusätzlicher Zeitvertreib betrachtet werden, der die Passagiere täglich ein paar Stunden vom zuweilen leicht eintönigen Schiffsalltag ablenken sollte, sondern dieser Unterricht galt als von oberster politischer Ebene autorisierter pädagogischer Vorposten eines auf Assimilation ausgerichteten Verständnisses von Integration (Castles 1996: 261). Immigrationsminister Calwell hatte einer über den massiven Zuzug von Fremden aufgebrachten australischen Gesellschaft die Versicherung gegeben, dass die Neuankömmlinge sich unter dem Einfluss seines Assimilationsprogramms – im Sinne eines gesteuerten Kulturwandels – in unmerklicher Weise zu vollwertigen Staatsbürgern akkulturieren und folglich auch keinen negativen Einfluss auf den australischen Way of Life ausüben würden. Auf australischem Boden fand dieses politische Vorhaben, wie wir noch sehen werden, eine weitere Intensivierung in den Auffanglagern für Migranten. Wenn man zu bedenken gibt, aus welchen ärmlichen sozialen Verhältnissen die Displaced Persons und Kriegsflüchtlinge aus einem apokalyptisch zerstörten Deutschland entstammen – für deren Entstehen sie nur im geringsten Maße verantwortlich gemacht werden können –, dann ist es auch nur mehr als verständlich, dass die ersten Eindrücke bei der Einfahrt in die Hafenstadt Sydney eine kathartische Wirkung entfalteten, die eine kurzzeitige Ablenkung von dem in der Alten Welt zu ertragenden Martyrium erlaubten: „Da kamen wir hier nach Sydney. Und natürlich, wenn man dann hier in Sydney einläuft und man sieht hier die ganzen Inseln, die ganzen Buchten und dann die Hafenbrücke und alles, das war wie ein Märchen, war das. […] Und dann fährst du mit dem Schiff hier rein und die ganzen Abfahrten, die Buchten gehen ja hier alle rein und da hast du so eine kleine Insel in der Mitte, da habe ich mir gesagt, das ist ja richtig zauberhaft. Und dann fährst du unter der Brücke durch.“21

Unter den politischen Vorzeichen der auf Assimilation beruhenden, gelenkten Integration insistierten die auf bürokratischer Administrationsebene der australischen Regierung tätigen Architekten einer nationalen Identität auf der effektiven Bewahrung der eigenen britischen Wurzeln und kreierten darauf aufbauende Eingliederungsprogramme für die von diesem Kulturverständnis abweichenden Migranten aus Kontinentaleuropa. Die Doktrin der Assimilation zielte darauf ab, die als fremd klassifizierten Displaced Persons und Kriegsflüchtlinge mit ihren ganz eigenen ethnischen Verhaltensmustern vollständig und vor allem in kürzester Zeit an die Verhältnisse der als superior angesehenen australisch-britischen Leitkultur anzugleichen. Die unter der ideologischen Schirmherrschaft stehende Assimilierung als

21 Zitat aus dem Interview mit Walter Sonneck, datiert auf den 21.04.2008.

174 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ganzheitliche Ausmerzung jeglicher ethnischen Eigenheiten wurde deshalb als wünschenswertes Ziel der erfolgreichen Eingruppierung angesehen, weil die ahistorischen Denkmuster der White Australia Policy an Wirkung nichts verloren hatten und die öffentlichen Meinungsmacher in der australischen Medienlandschaft in den fremden reffos eine durchweg negative Beeinträchtigung der Lebens- und Arbeitswelt sahen, obschon diese stereotypisierende wie kategorisierende Argumentation im Stile der effizienten Reproduktion von Eigen- und Fremdbildern, in der die unwanted strangers im Vergleich zur anglokeltischen Dominanzgruppe als Untermenschen rubriziert wurden, die Vorurteile gegenüber den new Australians ausschließlich zu legitimieren und bekräftigen suchten. Einer inneren Kolonisierung der Ethnizität gleichkommend, wurde eine Standardisierung der auf dem nationalen Territorium praktizierten Lebensweisen intendiert, mit der nicht nur der vermeintlichen ethnischen Inkompatibilität der Neuankömmlinge populistisch wirksam Vorschub geleistet wurde, sondern mit dem exkludierenden Vokabular der im 19. Jahrhundert grundgelegten rassischen Ausgrenzungspolitik sollte ferner der oberste gesellschaftliche wie politische Anspruch akkreditiert werden, nämlich die Gewährleistung einer auf Homogenität und sozialer Kohäsion ausgerichteten britischen Gesellschaftsstruktur in den Antipoden. Waren die Migranten in ihrem Zielhafen angekommen, fuhren sie mit einem Zug ins Inland zu den aus ehemaligen Armeestützpunkten umfunktionierten migration reception and training centres – den isoliert gelegenen strategischen Epizentren der Assimilationsmaxime – wie Bonegilla in Victoria, dem Greta Camp oder Bathurst in New South Wales, Woodside in South Australia und Northam in Western Australia, wo sie ihr erstes interimistisches Heim vorfanden. In solchen vom Department of Immigration instituierten Übergangslagern erfolgten in den darauffolgenden vier bis fünf Wochen neuerliche medizinische Untersuchungen, eine Ausstattung mit Kleidung und die als Ausländer registrierten Auswanderer erhielten in einer an den Frontalunterricht der Schulzeit erinnernden Lernprozess nähere Informationen über die englische Sprache sowie Grundkenntnisse im australischen Way of Life, einer obligaten, restriktiven wie zentraldirigistisch statuierten Leitkultur. Betonten die von den politischen Eliten instruierten Lehrer bei ihren Ausführungen stets die Unantastbarkeit der ethnischen Homogenität der australischen Gesellschaft, die geschichtlich aus einem rassischen Antagonismus sowie Xenophobie entspringt, erhoffte man sich durch diese Form der Intensivschulung – auch als australianization bezeichnet – eine rasche kulturelle Angleichung mit gleichzeitiger Eindämmung ethnischer Separatismusbestrebungen. Der wünschenswerte Effekt dieses didaktische Motive besitzenden zeitweiligen Aufenthaltes war die Auflösung ethnisch konnotierter Wesensmerkmale, d. h., die High-Speed-Assimilation (von Holleuffer 2001: 303) beinhaltete den Vorsatz einer artifiziellen Nationalisierung und Kulturalisierung zur Kreierung eines „guten australischen Staatsbürgers“. Ein aus der europäischen Vergangenheit mitgebrachtes kulturelles Gepäck bzw. die kul-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 175

turelle Identität, die der Kulturkurier unweigerlich als zweite Haut mit sich trägt, sollte für die neue Existenzgründung in Australien, deren Ausgangspunkt in den migrant camps lag, irrelevant werden. Eine intendierte geografische und soziale Isolierung der neuen Migranten im entlegenen, ruralen Hinterland hatte mehrere administrative Vorteile. Von diesen zentralen Stellen gestaltete sich die Organisation des Arbeitseinsatzes flexibel und effizient; sie gewährleisteten einen sichtbaren Prozess der Assimilation in Form der Vermittlung von grundlegenden Kernkompetenzen. Über das oben bereits namentlich erwähnte Auffanglager für Migranten nahe der nordwestlich von Sydney gelegen Stadt Greta (Keating 1997) gibt Orzela Cekovic folgende Impressionen: „Und in Newcastle, da wurden wir in einen Zug umgeladen und dann ging es nach dem Greta Camp, das war früher eine Wehrmachtsunterkunft. Und dann waren da diese Baracken zum Wohnen und daneben waren Baracken mit Toiletten und Waschstuben. Und wenn wir zur Toilette mussten, dann mussten wir im Mondschein hinlaufen. […] Und das waren, damals waren es große Baracken, aber für die Emigranten haben sie kleine Zimmer gehabt, das war nicht größer als hier das. Aber nur eine Birne an der Decke, alles braune Wände mit dieser gepressten Holzplatte. Und dann natürlich nur Holzfußboden und zwei camper stretcher, das war alles. Wie wir aufgerufen wurden und einer hat uns an unserer Nummer da hingeführt, ich war die Erste. Mein Fuß und mein Bein wollten nicht da rein. Ich konnte mich nicht nach rechts und links drehen, das war fast unmöglich. Na dann haben wir es uns ein bisschen gemütlich gemacht, mit Mull aus Verbandszeug haben wir die Gardinen gemacht. Da so schöne Schleifchen und eine Tischdecke auf unserer Kiste. Diese Transportkiste war dann unser Tisch.“22

Während das frei zur Verfügung stehende, mobile männliche Arbeitnehmerpotenzial hauptsächlich für die Schwerindustrie, große Bau-, Instandhaltungs- und Erschließungsmaßnahmen von Schienenstrecken oder Projekten der Wasser- und Stromerzeugung rekrutiert wurde, verhinderte dies die unmittelbare Konfrontation der Neuankömmlinge mit der australischen Mehrheitsbevölkerung in urbanen Zentren (Sluga 2001: 72; Dies. 1988). Frauen vermittelte der Commonwealth Employment Service als Haushaltsgehilfen, an öffentliche Dienstleister wie Krankenhäuser oder als Hilfsarbeiterinnen in der Konsumgüterindustrie. Auf berufliche Qualifikationen der skilled migrants, so der einhellige Tenor der ehemals in Deutschland als Werkzeugmacher, Feinmechaniker und Waffenschmiede angestellten Interviewpartner, wurde keinerlei Rücksicht genommen, da die Anstellung in Australien stets unter dem die berufliche Befähigung unterminierenden Status des unskilled manual

22 Zitat aus dem Interview mit Orzela Cekovic, datiert auf den 15.05.2008.

176 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

labourer erfolgte.23 Ein sich in der sozialen wie ökonomischen Stratifizierung der Berufswelt nach oben arbeitender Immigrant mit etabliertem Sozialprestige, der zudem noch aus einer mit Diskreditierung belegten ethnischen Fremde nach Australien kam, stand auf keiner politischen Agenda und spiegelte das schlimmste Szenario – so der O-Ton der breiten Bevölkerungsmasse – wider, was der Nation im Zuge dieses Ausländerzustroms widerfahren könnte. Eine Verbesserung des Berufsstatus war durch den politischen Dirigismus der Arbeitsplatzzuweisung und die Einhaltung von bürokratischen Richtlinien nur in den allerwenigsten Fällen zu verzeichnen. Grundvoraussetzung für das Verlassen der wenig gemütlichen Wellblechbaracken war die Internalisierung der vermittelnden Grundkenntnisse für die notwendigsten Dinge des Alltags sowie eine seitens des Arbeitsmarktes akut formulierte Nachfrage nach Arbeitern. Das Beherrschen der englischen Sprache wurde nicht dazu gezählt. Der Übergang aus dem Camp in die fremde australische Gesellschaft wurde von allen Befragten als ein mit zahlreichen Komplikationen und Missverständnissen gekennzeichneter Prozess artikuliert, da hier der interkulturelle Kontakt nicht mehr unter laborähnlichen Verhältnissen der Trainingszentren erfolgte. Gemäß der bereits angesprochenen geschlechtsspezifischen beruflichen Segregation der Emigranten fanden Cekovic sowie Kuhnert zunächst Beschäftigung bei Gleisbauarbeiten, Orzela Cekovic arbeitete als Haushälterin bei einer australischen Familie in Strathfield und Walter Sonneck konnte sein Können in den Stahlwerken von Newcastle unter Beweis stellen. Eine eher allgemein formulierte Binsenweisheit integrationspolitischer Bemühungen besagt, dass vor allem Sprachkompetenzen ein signifikanter Schlüssel zur Integration von Migranten in eine Einwanderungsgesellschaft seien. Zudem dient der gleichberechtigte Zugang zu Anstellungen auf dem Arbeitsmarkt fernab von einer strukturellen Diskriminierung als wesentliches Kriterium einer auf Gleichwertigkeit basierenden Integration. Diesen beiden Faktoren soll im weiteren Verlauf nachgespürt werden. Für die Absorption zahlreicher als billige Arbeitskräfte gehandelter Migranten sorgte die von staatlicher Hand organisierte Neukonstruktion bzw. Vereinheit-

23 Helmut Zeiler berichtet von einer revoltenähnlichen Begebenheit, die sich bei der Einschiffung am 20. März 1958 in Bremerhaven zugetragen hat. Auslöser dafür war das von der Besatzung des Schiffes vorgenommene Aushängen von Einwandererlisten mit circa 800 namentlich aufgeführten Deutschen, einigen Engländern und Jugoslawen. Auf diesen Listen stand hinter den einzelnen Namen der Status als so bezeichneter unskilled labourer, obwohl den ausgebildeten Handwerkern im Voraus eine Anstellung als Facharbeiter zugesagt worden war. Der Unmut führte sogar soweit, dass vereinzelte potenzielle Migranten von ihrem gefassten Vorhaben abrückten und noch in Hafennähe über Board sprangen, um zur Anlegestelle zurückzuschwimmen.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 177

lichung des australischen Eisenbahnnetzes. Im Auftrag eines Projektes „von nationaler Wichtigkeit“24 besaß Kuhnert bereits vor seiner Abfahrt in Bremerhaven eine Anstellung bei der Südaustralischen Eisenbahn, die ihn dazu verpflichtete, in der von der Zivilisation unberührten ländlichen Gegend Südaustraliens mit seinen Schiffskameraden Arbeiten an den Gleisen zu verrichten. Eine Eisenbahnstrecke war dort existent, jedoch mussten die in allen australischen Bundesstaaten unterschiedlichen Spurbreiten insofern vereinheitlicht werden, als dass ein problemloser Transport durch den Zugverkehr gewährleistet werden konnte.25 Zur neuen Heimat wurde ein Zelt in Glenroy. Die harte körperliche Arbeit mit Pickel und Schaufel auf offener Strecke, die bei mehr als 30 Grad Hitze oder Regen kaum Schatten bzw. Schutz bot, wurde auch von Franz Cekovic betont, der in Denistone, im heutigen nordwestlichen Vorort von Sydney, Gleise mit schweren Bolzen befestigte und das Schienenbett stabilisierte. Der Kontrast zur alten Heimat war laut der Beurteilung aller Informanten, die aus einem großstädtischen Milieu kamen, immens, da in Deutschland, zwar in „unglaubwürdigen Zuständen“26 wohnend, immer noch ein Gesellschaftsleben mit Kinobesuch, Fußballspielen sowie dem Treffen des Freundeskreises möglich war. Im Zeltlager des nahezu menschleeren Outback, oft als trostlose Öde beschrieben, traf dies alles nicht zu, da die nächstgrößeren Dörfer 30 Kilometer vom Camp entfernt lagen. Nach einem 3 Kilometer langen Fußmarsch

24 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 25 Jene voneinander abweichenden bundesstaatlichen Spurweiten der Eisenbahngleise waren eine Reminiszenz an eine Zeit, als die einzelnen Bundesstaaten noch autark waren und jegliche Einfuhr mit Zöllen belegten. Wenn ein Gütertransport von Melbourne nach Adelaide fuhr, musste an der Grenze von Victoria die Fracht in einen Güterzug der Südaustralischen Eisenbahn umgeladen werden, um die Ware an ihren eigentlichen Bestimmungsort zu verbringen. In der Ära des wirtschaftlichen Booms der Nachkriegszeit stellten solche zwischenstaatlichen Barrieren eine enorme Obstruktion des Binnentransportnetzes dar, so dass die australische Regierung diese monumentalen und an den Kräften der Arbeiter zehrenden Bauvorhaben zügig mit nur minder entlohnten Arbeitsmigranten in Angriff nahm. Das Ändern der Spurbreite durch deutsche Auswanderer beinhaltete die Neuverlegung einer dritten Eisenbahnschiene, so dass eine ungehinderte Passage der Züge möglich wurde. Insgesamt rekrutierte die Südaustralische Eisenbahngesellschaft für dieses Projekt 900 professionalisierte Arbeiter aus Deutschland, die 1952 in Adelaide an Land gingen. Noch ein im Jahr 1969 ausgewandeter Schweizer berichtete mir, dass er während seines zweijährigen Anstellungsverhältnisses bei Queensland Railways an der Grenze zu New South Wales in einer Menschenkette tropische Früchte von einem Güterwagon in den nächsten Transportwagen umräumte, um den interstaatlichen Warenverkehr zu gewährleisten. 26 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007.

178 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

zur nächsten größeren Hauptstraße hoffte man dort, von einem Australier als Anhalter zur Stadt mitgenommen zu werden. Dieser eher als flüchtig zu bezeichnende interkulturelle Kontakt stellte die einzige Berührung mit dem nicht zum Camp gehörenden Kosmos dar. Eine enorme Strapaze stellte die geografische wie soziale Isolation dar, da den hauptsächlich männlichen Einwanderern in den Arbeitslagern kaum Gelegenheit geboten wurde, zwischenmenschliche Kontakte zum anderen Geschlecht zu knüpfen. Die puritanisch-konservative Lebenseinstellung der Australier untersagte zudem strikt jegliche Freizeitveranstaltungen zur Rekreation am Sonntag, dem einzigen arbeitsfreien Ruhetag für die Arbeiter. „Wir hatten keine Verbindung zur Außenwelt, überhaupt keine. Da saßen wir dann in den Zeltcampen und spielten Karten. Wir gingen mit denselben zur Arbeit und wir essen in der Kantine immer mit denselben Leuten, das war unser ganzes Leben. Und einige haben sehr viel Heimweh gehabt, es gab Leute, die geistig nicht mehr mitkamen. Die haben einfach gesagt: ,Ich will nicht mehr zur Arbeit gehen, ich bleibe im Zelt.‘ Das war das große Problem. Und vor allen Dingen, man konnte kein Englisch lernen. Wir saßen da und wir sagten: ,Wie können wir Englisch lernen? Wie kommen wir hier zurecht?‘ Es war einfach nicht möglich, eben irgendwie eine Verbindung mit der Außenwelt zu machen. Halt manchmal per hitchhiking und auf der Rückreise sagten die: ,Ich fahre euch direkt zum Camp‘.“27

Während aus politischen Kreisen und den Gewerkschaftsverbänden stets die erfolgreiche Assimilation der Neuankömmlinge postulierte wurde, verschwanden die Migranten beiderlei Geschlechts nahezu unbemerkt in Fabriken oder Projekten fernab der urbanen Zentren, d. h. in Arbeitskonditionen, denen sie aufgrund ihrer strukturellen Machtlosigkeit ausgeliefert waren und die sie nicht ändern konnten. Mit der Ignoranz ihrer Arbeitgeber und der Gewerkschaften gestraft, fehlten den deutschen Auswanderern die Möglichkeit sowie die Assistenz bei dem wohl schwierigsten Vorhaben zur Akquisition des wohl wichtigsten Schlüssels einer auf Gleichberechtigung abzielenden Behandlung: die englische Sprache. Das von Übersee kommende Humankapital mit non-English speaking background (NESB) bildete eine Überpräsenz in monotonen, schmutzigen, schweren und nicht minder gefährlichen Berufssparten, was der australischen Bevölkerungsmehrheit die Gelegenheit zur sozialen wie fiskalischen Aufwärtsmobilität in professionalisierte wie administrative Areale der Arbeiterschaft bot (Castles/Booth/Wallace 1984: 63). Eine der unsichtbaren Barrieren zur Verbesserung des sozialen Status der deutschen Migranten bestand in der organisatorischen Fehleinschätzung der Regierung, die die beruflichen Fähigkeiten sowie Qualifikationen nicht gebührend bei der Vergabe von Arbeit berücksichtigte.

27 Ebd.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 179

„Na jedenfalls kam ich dann mit vielen anderen in das große Stahlwerk in Newcastle. Da war ein Stahlwerk gewesen, was ja dann aufgelöst wurde und verlegt wurde nach Wollongong. So bin ich dann ins Stahlwerk gekommen. Nach meiner Qualifikation hätte ich einen guten Job haben können, aber mein Englisch war nicht gut. Da hat es gehapert. Das waren Leute gewesen, die die Schornsteine in Ordnung halten. Und die haben die Geräte und alles was die da brauchen, das musste ja repariert werden. Und da kannst du nicht irgendetwas falsch verstehen oder was, das kann dann zu einem schlimmen Unfall führen. Da sagten sie direkt: ,Nein, sie können kein Englisch, das geht nicht, wir können sie hier nicht gebrauchen.‘ Dann kam ich an den Koksofen gestellt, dann wurde ich dann oven top man. Obendrauf, wo sie die Feinkohle reinschütten, das kam dann da rein und es wurde angeheizt. Und dann wird ja dann der Schwefel und alles was sie brauchen da zur Herstellung von dem Gas und so, das wird da rausgezogen. […] So, das war meine Arbeit da oben und es war heiß, im Sommer heiß, weil da ist ja die Hitze dann da oben drauf. Und der Rauch und der Schwefel, so alles, was da raus quillt, das war eine Sauerei. Der Staub ist rumgeflogen. Am Tag darauf bin ich ja Mal zur Ambulanz gegangen und habe mir den Staub raus machen lassen. Da wird man das aber schon so gewöhnt, dann kommt man schon hin, so dass die Augenwimpern, die fangen das alles auf. Man macht die Augen gar nicht mehr richtig auf, das wird dann ganz normal.“28

Eine enorme Herausforderung stellten die für den beruflichen Alltag existenziellen, jedoch nur rudimentär bis kaum vorhandenen Kenntnisse der Landessprache dar, denen eine herausgehobene Stellung innerhalb des Integrationsprozesses in ein neues kulturelles Umfeld attestiert werden muss. Als wohl wertvollste anthropogene Ressource, Teil des produktiven Humankapitals der in den unterschiedlichsten Wirtschaftssektoren integrierten Migranten und zudem kommunikatives Medium zur Sicherstellung der Verständigung, ist der Erwerb der im Aufnahmeland gesprochenen Sprache von der Soziologie als wichtiger Bestandteil der kulturellen wie sozialen Integration ausgewiesen worden (Esser 2006: 399ff.). Den hier zu Wort kommenden deutschen Migranten fehlte es an einem ausreichenden Zugang zu einer in erster Linie fördernden Lernumgebung. Verantwortlich für deren Nichtexistenz waren teilweise politisch-administrative Fehlinterpretationen, die verkürzte Wahrnehmung der Einwandererrealitäten sowie eine nur unzureichend betriebene Minderheitenpolitik. Aus dieser von der australischen Regierung gebilligten Alltagssituation ergaben sich interkulturell-ethnische Barrieren, die zu sozialer Marginalisierung sowie ökonomischer Segmentation führten, d. h., der Zugang zu interessanten wie lukrativen Posten in der Arbeitswelt, die Aufnahme von Kontakten zu Australiern sowie die daraus resultierende Strukturierung der eigenen Identität waren kaum möglich; man bezog sich weitestgehend auf die Mitglieder der eigenen ethnischen Gruppe. Eine sich auf dem Kriterium der Profession berufende Verfesti-

28 Zitat aus dem Interview mit Walter Sonneck, datiert auf den 21.04.2008.

180 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

gung der ethnischen Schichtung schuf nicht nur geografische Distanzen – man denke nur an die intendierten großen Entfernungen zwischen den im Outback gelegenen Arbeitsprojekten bzw. den Standorten der Schwerindustrie und der meritokratischen australischen Mehrheitsbevölkerung in den urbanen Zentren der Ostküste; diese war auch ferner Symbol der Fremdheit, Abgrenzung und Degradierung zum second-class citizen. Die Resultate aus den kritischen Arbeiten der Soziologin Jean Martin in den 1960er Jahren unterstreichen die Hypothese, dass die vielerorts fehlende Zweisprachigkeit der Zuwanderer eine monolinguale Assimilation zur Folge hatte und vertikale ethnische Ungleichheiten festigte. Unmittelbar in der Lebensund Wohnwelt konzentrierte ethnolinguistische Strukturen und Kommunikationsmöglichkeiten, binnenethnische Kontakte zu anderen deutschen Auswanderern sowie die Verfügung über herkunftssprachliche Pressemedien wie Die Woche in Australien im Aufnahmeland können als Faktoren ins Feld geführt werden, die einer umfassenden Beherrschung der englischen Sprache nicht zuträglich waren. Orzela Cekovic äußerte als angestellte Hauswirtschafterin bei einer australischen Familie – einem Berufsfeld mit einer ausgeprägten kommunikativen Relevanz – enorme Schwierigkeiten, da sie ihre vorhandenen und wertvollen eigenen Kenntnisse und Berufserfahrungen aus dem Herkunftsland nicht in einem für sie ausreichenden Maße gegenüber ihrem Arbeitgeber verbal kommunizieren konnte. Der Wechsel der alltäglichen Lebensbezüge und des kulturell-institutionellen Kontextes uferte somit in der partiellen Dequalifizierung des aus Deutschland transportierten Humankapitals in Australien und hatte aufgrund eines nur sporadisch institutionalisierten Bildungssystems eine ethnische Fragmentierung entlang der Verlaufslinien sprachkundig und sprachunkundig im Berufs- und Alltagsleben zur Folge. Zusätzlich kann nicht verschwiegen werden, dass den latent und eher subtil vorhandenen Ängsten der kulturellen Überfremdung der australischen Leitgesellschaft innerhalb des Prozesses einer kulturellen Differenzkonstruktion auch ein ökonomisches Naturell innewohnte. Mit dieser auf struktureller Diskriminierung angelegten Kulturpolitik zur Sicherstellung der ökonomischen wie sozialen Aufwärtsmobilität der Alteingesessenen befriedigte man das eigene Gefühl der Gruppensolidarität und lancierte die Orientierungslosigkeit der Migranten innerhalb dieses für sie neuen kulturellen Settings, in dem sie diese mit vollem Bewusstsein über die bevorstehenden Konsequenzen einer sozialen Marginalisierung an den haltlosen Peripherien der Gesellschaft als nichtspezialisierte Hilfsarbeiter platzierte und zu dirty and deskilled jobs von nationaler Wichtigkeit heranzog. Partiell vergleichbar mit dem Gastarbeitermodell in Westeuropa gestalteten diese und die nachfolgenden Wellen von überseeischen Immigranten die Säulen der wirtschaftlichen Prosperität und technischen Erschließung Australiens in den ersten beiden Dekaden der Nachkriegszeit, wenngleich die nationale Immigrationspolitik keine temporären sojourneurs suchte, sondern permanente Siedler mit artikuliertem Interesse an der Erlangung der australischen Staatsbürgerschaft. Um es in die Terminologie von Karl Marx zu formulie-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 181

ren, zielten die politischen Ambitionen Australiens nicht auf die Rekrutierung einer reserve army of labour ab, wenngleich eine army of labour für die auf nationalem Niveau angelegten Modernisierungs- bzw. Technisierungskampagnen des primären wie sekundären Bereichs sowie die Ersterschließung disponibler Ressourcen im Inneren des Landes eine unabdingbare Notwendigkeit darstellte. Enorme Produktionssteigerungen in Regionen mit ökonomischer und bevölkerungsstruktureller Unterentwicklung sowie die Wiederbelebung bzw. Aufrechterhaltung von altersschwachen gewerblichen Wirtschaftszweigen wären ohne das engagierte Zutun des schier unerschöpflichen Reservoirs von Zwangsmigranten nicht möglich gewesen. Eine nachhaltige psychosomatische Traumatisierung des ethnisch-territorialen Marginalisierungsvorganges der Displaced Persons, dies impliziert die Metamorphose der Entwurzelung des Flüchtlings zum marginal man, wurde vor dem Reflexionshintergrund der Emigration nach Australien in den Interviews stets als ein lebensgeschichtlicher Zwischen- und Übergangszustand verbalisiert, der, so belegt die nachfolgende Passage von Orzela Cekovic, eine spezifische Auffassung von Heimat nahelegt. „Wir waren damals praktisch in einer Lage, wir gingen zwar aus Deutschland fort, aber nicht direkt von der Heimat, denn Neumünster war nicht meine Heimat, da bin ich auch nicht zur Schule gegangen. Neumünster war auch nicht Franzls Heimat, er kommt ja auch aus Bromberg und Umgebung. Da war auch noch die Mutter und da waren auch noch die Brüder. Zwei Brüder sind von mir gefallen, so war Neumünster in Schleswig-Holstein natürlich nicht die Heimat. […] Ja. Wir sahen das mit anderen Augen, denn wir fühlten uns damals auch im Westen nicht willkommen. Denn wir waren ja damals untergebracht bei Leuten, die es gar nicht nötig hatten einen Untermieter zu nehmen und dann ihren Raum wegzunehmen.“29

Der an dieser Stelle verdeutlichte langjährige Schwebezustand der Entwurzelung, die ihm immanenten Kontinuitätslinien des gesellschaftlichen Randdaseins, dem Außenseiterschicksal und der Stigmatisierung der DPs als Diskriminierungsobjekte in Westdeutschland, gibt ein beredetes Zeugnis über die psychologischen Zustände der Migranten. Ein kulturelles Vakuum, das als Resultat der ortspolygamen Wanderungsbewegung zwischen der alten Heimat im (nunmehr) polnischen Bromberg, der zwischenzeitlichen Übergangsheimat in Neumünster und der langjährigen neuen Heimat in Sydney zu apostrophieren ist, wird situativ mit voneinander abweichenden temporalen Assoziationen von Heimat gefüllt, die an unterschiedlichen Lokalitäten, d. h. den geografisch wie sozial bewohnten Territorien der spatial diskontinuierlichen Lebensgeschichte, gebunden sind. Konstanten der Zuweisung einer kulturellen Andersartigkeit, eine scheinbar unvorhersehbare Zukunftsperspektive, die

29 Zitat aus dem Interview mit Orzela Cekovic, datiert auf den 17.05.2008.

182 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

den uprooted migrant ständig umwandelnde Aura des Gestrandeten sowie die in der gefühlten Fremde zur Anwendung gebrachten zwischenmenschlichen Segregationsfaktoren längs den kategorialen Grenzziehungen hiesig und ausheimig konstituierten eine bewegte Lebensform zwischen Fremde und Fremde (Lehmann 1991: 108f.). In diesen diskursiven und visuellen Erzählungen über an unterschiedliche Stationen gebundene Verlaufsmuster der erzwungenen Migration in Form von Flucht und Vertreibung werden eigenständige Erinnerungslandschaften rekonstruiert, in denen verschiedene Dimensionen von Identität und ethnischer Zugehörigkeit freigelegt werden. Die Sehnsucht nach einer Orientierung und Sinn vermittelnder neuer Heimat erfüllten in Australien zunächst die unter staatlicher Lenkung stehenden Eingewöhnungsprogramme bzw. Eingliederungsmodelle in den Auffanglagern für Migranten. Das janusköpfige Vorhaben der unter den Leitideologien assimilation und australianization stehenden Crash-Kurse bot für die Zuwanderer aus der deutschen Zusammenbruchsgesellschaft die ersten Vorboten für eine erfolgversprechende räumliche wie mentale Neuverwurzelung, die in dem endgültigen Wunsch der Einwanderer kulminierte, die Erfahrung des displacement und der auf Kriegsgeschehen herrührenden Desillusionierung gegen neue identifikatorisch-kulturelle Muster einzutauschen. Historische Altlasten wie die die Seelen der Flüchtlinge erschütternden Erinnerungen an gewaltsame Vertreibung, an ein Leben in Barackenlagern, dem Schlafen auf Strohsäcken in stetig wechselnden Übergangsbleiben, der unzureichenden Verpflegung mit Wassersuppen und trockenem Brot, dem Waschen auf rauen Betonfußböden mit stets kaltem Wasser sowie dem Verlust von Familienangehörigen aufgrund von Kriegsfolgen und dem damit einhergehenden Mangel an Medikamenten bzw. der Überforderung der wenigen intakten Krankenhäuser konstituierten Rahmenbedingungen, die eine integrationsfördernde Wirkung besaßen, da die europäischen Displaced Persons und Flüchtlinge alle Hoffnungen in ihren neuen, von erfahrenen physischen, psychischen sowie repressiven Kriegsentbehrungen befreiten Bestimmungsort setzten.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 183

3.3 1958–1967: ARBEITSMIGRATION UND R EMIGRATION AUF DER G RUNDLAGE EINES STAATLICH SUBVENTIONIERTEN Z WEIJAHRESVERTRAGS „Und das war auch damals, 1967, es [Australien, Anm. d. A.] war nicht mehr das Ende der Welt. Man konnte wieder rüber gehen. Das war jetzt nicht das Endgültige, so wie wir früher aus Ostpreußen geflohen sind, so war das jetzt lange nicht. Es war ja jetzt ein freiwilliges Gehen, das ist schon ein Unterschied.“30 „Na ja, es war halt ein ganz anderes Leben.“31

Die Immigrationspolitik Australiens sah sich sowohl unter dem Regierungsvorsitz von Ben Chifley (1945–1949) als auch unter Robert Menzies (1949–1966) vor dem zeitgenössischen Hintergrund der populate-or-perish-Debatte sowie um internationale wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit gezwungen, staatlich geförderte Einwanderungsprogramme Realität werden zu lassen. Hierbei gingen einwanderungspolitische Ambitionen mit industrialisierungspolitischen Bestrebungen Hand in Hand, die allesamt eine technische Erschließung sowie die großangelegte Ankurbelung der Binnenwirtschaft anstrebten. Australien wollte den wirtschaftlich zügig aufstrebenden asiatischen Nachbarstaaten in Nichts nachstehen und erhoffte sich eine Neuerschließung von Absatzmärkten fernab seines europäisch-britischen Erbes. Die auf soziale Kohäsion und nation-building ausgerichteten Hoffnungen, Migranten aus Großbritannien und Irland anzuwerben, zerschlugen sich, weil der Antipode für Briten, Iren, Schotten und Waliser über die Jahre an Attraktivität verlor. Als jedoch entgegen allen Erwartungen die rückläufigen Immigrationszahlen von den Britischen Inseln das geforderte Kontingent an Arbeitsmigranten für die Tätigkeiten in der verarbeitenden Industrie nicht erfüllte, wandte sich Australien allmählich Ländern in Kontinentaleuropa zu. Im Zuge dieser die gesellschaftlichen Grundfesten Australiens erschütternden kulturellen Revolution, die in der Multikulturalismusdebatte um 1975 einen vorläufigen Höhepunkt fand, kam es zu einer Neudefinition der bisher Gültigkeit besitzenden Maximen (Jordens 1995: 11). Abkommen zwischen den jeweiligen Landesregierungen manifestieren die Grundlage einer kontinuierlich anhaltenden Rate an willigen Emigranten und diese staatlichen Regulierungen der Migrationsprozesse sind somit als Resultate politischen

30 Zitat aus dem Interview mit Ursula Fornett, datiert auf den 16.10.2007. 31 Zitat aus dem Interview mit Christel Paukner, datiert auf den 02.07.2008.

184 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Willens zu betrachten.32 Den überwiegenden Teil der europäischen Neuankömmlinge rekrutierte die australische Einwanderungsbehörde bevorzugt für die wirtschaftliche Expansion des sekundären Sektors, so dass die Migranten zum prägenden Charakteristikum industrieller Vororte in Melbourne, Sydney, Wollongong und Adelaide gediehen. In dieser Periode wurde der migrationspolitische Grundstein zur Konstituierung einer multikulturalistischen Gesellschaftsform gelegt. Bereits 1952 schloss die australische Regierung mit der Bundesrepublik einen Vertrag, der eine andauernde Immigration deutscher Bundesbürger gesetzlich regelte. 460 Deutsche konnten bereits zwischen den Jahren 1949 und 1952 als Arbeitsmigranten (special workers) im Rahmen des Snowy Mountains Hydro-Electric Scheme unter Vertrag genommen werden.33 Zensusdaten aus dem Jahr 1954 belegen, dass 65.422 Deutsche in Australien lebten; diese Zahl stieg bis 1961 auf beträchtliche 109.315 an. Wenn man sich vor Augen führt, dass in dem kurzen Zeitabschnitt von 1963 bis 1973 insgesamt 34.000 deutsche Auswanderer in Australien ihre neue Heimat suchten, so zeichnet sich diese Phase durch eine der größten Einwanderungswellen im deutsch-australischen Beziehungsgeflecht aus (Kaplan 2001: 378). Finstere Zukunftsperspektiven hinsichtlich ökonomischer Bestimmungskräfte sowie eine zu Beginn der 1950er Jahre vorherrschende exorbitante Arbeitslosenquote im vom Krieg zerstörten Deutschland führten dazu, dass 81.000 Deutsche in den Folgejahren von dem staatlich unterstützten und finanzierten Auswanderungsprogramm Gebrauch machten (Bade/Oltmer 2004: 79, für die USA siehe Freund 2004). Weitere 18.000 übernahmen die Überfahrtkosten in

32 Ein solches Abkommen schloss Australien 1951 mit den Niederlanden und Italien, 1952 mit Westdeutschland, Österreich und Griechenland, 1954 mit Finnland, der Schweiz, Schweden, Dänemark und Norwegen, 1958 mit Spanien, 1968 mit der Türkei und 1970 mit Jugoslawien (Jupp 1998: 109). 33 Das Arbeitsprojekt Snowy Mountains Hydro-Electric Scheme im Grenzgebiet zwischen Victoria und New South Wales startete 1949 und beinhaltete die Konstruktion von insgesamt sechzehn Staudämmen, sieben Kraftwerken und 225 Kilometer Tunnel und Leitungen. Das Ziel des komplexesten Wasserkraftsystems der Welt bestand darin, das Wasser des Snowy River für die Elektrizitätsgenerierung sowie Bewässerung nutzbar zu machen. Um große Flächen des trockenen Inlandes zu kultivieren, machten sich die Planer die in Schnee und Eis ruhenden Wasserkapazitäten zu Nutze. Die Konstruktion von Dämmen, Tunneln, Pipelines und Stromgeneratoren in einem 13.000 Quadratmeter großen, gebir-gigen Areal, das sechs Monate im Jahr mit Schnee bedeckt ist, erforderte einen erhöhten Einsatz von robusten Arbeitskräften. Es galt als das größte Ingenieursprojekt in der Geschichte Australiens, das während der Laufzeit von 25 Jahren über 100.000 aus Europa kommende Arbeitsimmigranten beschäftigte und damit in einer frühen Phase das Paradigma des multikulturellen Miteinanders vorlebte. McHugh dokumentiert die alltagsgeschichtlichen Hintergründe, indem sie Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. (McHugh 1995; Biedermann 2006: 124f.).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 185

Eigenregie, um jenseits der Meere in befriedeter Freiheit ein auskömmliches Dasein in einem Land mit einem hohen Lebensstandard zu finden (Sherington 1980: 144). Ein im Zuge geopolitischer und ökonomischer Schulterschlüsse zwischen Australien und der Bundesrepublik Deutschland verhandeltes, am 29. August 1952 abgeschlossenes Assisted Immigration Scheme oder Assisted Passage Scheme ermöglichte deutschen Staatsbürgern eine zeitlich auf zwei Jahre begrenzte, finanziell unterstützte Emigration, bei dem der Auswanderungswillige einen für diese Frist bindenden Arbeitsvertrag mit Australien abschloss. Als Ergebnis politisch-strategischer Planungen verbürgte das Wanderungsabkommen beider Länder u. a. eine Anstellung, damit ein sicheres finanzielles Einkommen, womit die vom Staat in Vorleistung erbrachten monetären Aufwendungen für die Überfahrt sukzessive beglichen werden konnten. Wollte der Auswanderer vor dem Ablauf der Arbeitsfrist nach Deutschland zurückkehren, bedeutete dies einen Bruch mit dem kontraktlichen Einvernehmen und zog die unverzügliche Rückerstattung des vollen Betrags für die Überfahrt nach sich. Nach dem Ableisten des zwei Jahre andauernden Anstellungsverhältnisses stand es den deutschen Auswanderern frei, ihren weiteren Bleibeort selbst zu bestimmen, d. h., sie standen vor der biografisch doch höchst relevanten Entscheidung der Remigration in die Bundesrepublik Deutschland oder ob sie in Australien einer zeitlich unbeschränkten Beschäftigung nachgehen sollten. Eine über die gesetzte Frist hinausreichende Aufenthaltserlaubnis bedeutete eine sehr leicht zu überwindende formell-bürokratische Hürde (Biedermann 2006: 155ff.). Naturalisation der Wanderer auf Zeit, d. h. die Annahme der australischen Staatsbürgerschaft, die übrigens von der staatlichen Regierung als ein Bekenntnis zur Integration starke Förderung erhielt, war nach fünf Jahren Aufenthalt im Land theoretisch möglich, wenngleich dies bei den deutschen Auswanderern in der Realität eher ein seltenes Phänomen darstellte. Zu diesen Zweijahresleuten gehörte Dirk Mohrhardt, der mit Anfang zwanzig als ausgebildeter Bankangestellter in dem zeitlich begrenzten Auswanderungsangebot eine einmalige Chance sah, sein Leben für „zweihundertzwanzig Mark Eigenbeteiligung“34 mit einem mit wenigen Risiken verbundenen Arbeitsaufenthalt in Australien zu bereichern. Der Traum von einer Schiffsreise, Abenteuerlust, ein bestehendes Interesse an Australien, die Möglichkeit, Deutschland für eine gewisse Zeit zu verlassen, sowie das Bestreben interkulturelle Kontakte zu knüpfen und das Erlernen einer neuen Sprache können hier als allgemeingültige, rational motivierte Gründe dieser Migrationsgruppe angeführt werden. Grundsätzlich gilt für das Gros der zu Beginn dieser hier behandelten Periode ausgewanderten Deutschen, dass nur sehr wenig Allgemeinwissen über das neue Aufnahmeland vorhanden war, auch wenn die von Auswanderungsagenturen gefertigten Werbeplakate erste Impressionen bereithielten. Diese von der australischen Regierung konzipierten Merkblätter

34 Zitat aus dem Interview mit Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007.

186 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

und Broschüren zu Werbezwecken, die den potenziellen Auswanderern ein eher weniger authentisches Bild vorgaukelten, beschrieben das ferne Land als eine junge, aufstrebende Nation, in dem Arbeitermangel herrsche, sehr gute Verdienstmöglichkeiten bestünden und breitgestreute Sozialeinrichtungen vorhanden seien. Auf sozialer Ebene erwartete den Migranten von Übersee, so der fernab jeglicher Realität zu situierende Argumentationsstil der Informationsschriften, eine unbeschwerte, lebensfrohe und unbekümmerte bis egalitäre australische Gesellschaft (Zinnbauer 1953). Da der Bruder von Dierk Mohrhardt zur See fuhr und aus Australien Bilder und Erzählungen in den hanseatischen Heimathafen mitbrachte, bestanden bereits ausdifferenzierte Vorstellungen vom Fünften Kontinent, die teils so ins Detail gingen, dass der Informant über den genauen Stückbestand von Merinoschafen zum Zeitpunkt seiner Überfahrt Auskunft geben konnte. Mohrhardt hatten es vor allen Dingen das idyllische Landleben und die unsagbaren Weiten angetan und somit beabsichtigte er über die Dauer des zweijährigen Arbeitsvertrags eine Stellung auf einer australischen Schaffarm anzunehmen. Dies unterstreicht neuerlich den von Abenteuerlust bzw. jugendlicher Erlebnisbefriedigung flankierten Wunsch nach einem interimistischen Leben in einer romantisch verklärten und landwirtschaftlich geprägten Landschaft abseits städtisch-industrieller Zivilisation, die ein deutliches Kontrastprogramm zu dem in Deutschland praktizierten, Hektik und Stress beinhaltenden Berufsalltag in der Bankfiliale bildete. Dieses Begehren kommt einer Sinnsuche nach einem „natürlichen Leben“ fernab der industriellen Kultur gleich, wie es bereits in der Tradition der Wandervogelbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck kam. In Begleitung seiner Eltern begab sich der zum Zeitpunkt der Schiffsreise noch unmündige Mohrhardt an den Anlegesteg des italienischen Passagierschiffs Flavia nach Bremerhaven, auf dem sechshundert Briten und jeweils dreihundert Niederländer und Deutsche in ein und derselben Klasse Quartier bezogen. Die Kajüte mit drei weiteren Deutschen Migranten auf Zeit teilend, schilderte Mohrhardt die liminale Abschiedsszene beim Einschiffen der Passagiere wie folgt: „Da war dann ein Mann, der kam aus Bayern, mein Freund, Herr Prokesch, der war dreiunddreißig, der war also schon relativ alt. Und der erzählte mir gleich, da brachte mich mein Vater mit dem Koffer in die Kabine, und dann sagte dann Herr Prokesch, der lag dann schon da, das war eine Vierbettkabine. Der lag dann schon da, ja, ich meine, wir waren ja noch nicht abgefahren, der lag in der Kabine und atmete schwer und sagte: ,Wir machen den größten Fehler unseres Lebens!‘ Man Vater dann gleich: ,Was? Was? Wieso?‘ Mein Vater wurde auch leicht aufbrausend. Und da sagte der Mann: ,Wussten sie den nicht, dass es in Australien die meisten giftigen Schlangenarten und die schlimmsten Spinnen der Welt gibt. Die sind alle in Australien.‘“35

35 Ebd.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 187

So sehr eine vertraglich gesicherte Rückkehroption eine psychologische Sicherheit suggerierte und diesem Schritt in die Ferne nicht das Gütesiegel der Einmaligkeit und Unwiderruflichkeit aufdrückte, bestanden bei den Akteuren und ihren Angehörigen berechtigte wie Verunsicherung evozierende Ängste gegenüber einem Land, indem man mit anderen, bisher nicht bekannten Gefahren konfrontiert werden konnte. Abseits von linearen und singulären Strukturdynamiken von Migration, bei der die weniger komplexe Diversität der begehbaren globalen wie transkontinentalen Pfade noch recht simpel mit ein paar zweidimensionalen Richtungspfeilen skizziert werden konnte, spielt bei dieser Gruppe von Auswanderern das vorher gegenüber direkten Verwandten und Freunden artikulierte Vorhaben der Remigration nach Deutschland eine tragende Rolle, denn ohne diese in den Kontrakt eingeflossene Rückkehrversicherung hätte eine derartige die Biografie stark verändernde Entscheidung – Deutschland für eine unbestimmte Zeit zu verlassen – nie zur Debatte gestanden. Es soll durchaus nicht unerwähnt bleiben, dass ohne die monetäre Subventionierung der beiden Nationen diese Schiffsreise den finanziellen Rahmen der hier genannten Migranten bei Weitem gesprengt hätte, so dass diese Reise ferner ein lukratives Angebot darstellte, aus dem heimatlichen Milieu episodisch auszubrechen. Die hier thematisierte Mittelfristmigration war somit ursprünglich mit einer klar formulierten Absicht zur Rückkehr versehen, die sowohl eine zeitliche wie geografische Spezifizierung aufweist als auch definitiv keine zeitlich absehbare Eingliederung im Aufnahmeland zum Ziel hatte. Jene Gruppe von Emigranten verstanden sich von Anbeginn ihres Aufenthalts als temporäre Besucher, die ihre personellen Anstrengungen dahingehend fokussierten, nach zwei Jahren mit einem finanziellen Surplus in den Ausgangskontext zurückzukehren. Verschiebungen dieser straff gezogenen Horizonte jener Migrationsdynamik zwischen Australien und Deutschland gingen, wie wir noch sehen werden, teilweise verlustig und mussten sich aus unterschiedlichen Beweggründen einer Neudefinition unterziehen. Ein Gefühl der Ungewissheit überragte, wenngleich eine kontrastierende Gegenüberstellung, bei der auf der einen Seite die Reize der neuen Erfahrung und eines neuen Anfangs stehen, auf der anderen Seite die Angstgefühle des Unbekannten und der endgültigen Trennung von der vertrauten Umwelt im starken Maße ihre scharfen Konturen verloren. Nachdem das Passagierschiff Flavia an der englischen Südküste die britischen Einwanderer aufgenommen hatte, folgte eine Reise durch den Atlantik nach der zu den Niederländischen Antillen gehörenden Insel Curação, von wo man den Panamakanal ansteuerte. Im Pazifik angelangt, folgten Zwischenstopps auf der Insel Tahiti und in der neuseeländischen Hafenstadt Auckland. Ihre Entscheidung für eine Migration innerhalb eines abgesteckten Zeitrahmens legitimierend, wiesen die Gewährspersonen nach ihren narrativen Ausführungen zum Verlauf der Schiffsreise, die auf jene Gruppe der Emigranten mit durchweg jungem Alter ihren ganz eigenen faszinierenden Eindruck ausübte, darauf hin, dass alle diese sonst finanziell unerschwinglichen Vorzüge und Vergünstigungen der Kreuzfahrt in die tropischen

188 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Gefilde ausschließlich den minimalen Eigenanteil von 220 Mark gekostet haben. Verglichen mit den Lebensbedingungen der Displaced Persons auf den zu Truppentransportern umgebauten Armeeschiffen können wir in Anbetracht des Vorhandenseins von gesellschaftlichen Animationsofferten wie Bingo, Tischtennis, Billard, einem Kino und einer nicht selten positiv hervorgehobenen Verköstigung bei Frühstück, Mittagessen und Abendbrot von einem gewissen Grad von Luxus ausgehen, der den Passagieren die Zeit an Board angenehm machte. Fernsehabende und tägliche Wetten, wie viele Kilometer das Schiff am Tag zurücklegte, und der zum australischen Eingliederungsprogramm gehörende obligatorische Unterricht zum Einüben der englischen Sprache boten gemütserheiternde Abwechslung von der monotonen Uniformität der Seefahrt. Um den Aspekt der timiden Befürchtungen bzw. den mit einer Schiffsfahrt verbundenen Risikofaktor erneut aufzugreifen sowie zu zeigen, dass nicht bei jedem Bordalltag ein Gefühl der unbeschwerten Sorglosigkeit mitschwingt, soll am Beispiel der Erfahrungen von Helmut Zeiler aufgezeigt werden, welche existenzbedrohenden Ausmaße das Vorhaben der überseeischen Auswanderung im Zeitalter des ozeanischen Schifffahrtsverkehrs besitzen konnte.36 Am 1. April 1958 befand sich das Auswandererschiff Skaubryn mehrere hundert See-

36 Bei dem in diesem Kapitel zu Rat gezogenen Sample an Gewährspersonen lag eine Auffälligkeit darin begründet, dass die Auswanderer weiblichen Geschlechts im Zeitraum von 1964 bis 1967 nicht mit dem Schiff nach Australien gekommen sind, sondern mit dem Flugzeug. Zum einen findet dieses Phänomen seine Begründung in der frequenziellen Zunahme des grenzüberschreitenden Personenverkehrs und der Ablösung des Schiffsverkehrs durch die Interkontinentalflüge zu Beginn der 1960er Jahre. Internationaler Flugverkehr, Migration und Globalisierung bedingen einander und verstärken sich gleichzeitig. Hierin wird deutlich, dass die technischen Innovationen bzw. die Verbilligung der Kosten für den Flugverkehr als Motor der Globalisierung bezeichnet werden können, ohne den die Globalisierung in ihrer heutigen Ausprägung so nicht möglich gewesen wäre. Zum anderen sind in dieser Zeit und Kosten einsparenden Form der Passage, welche die deutschen Emigranten mit vier bis fünf Zwischenstopps auf den internationalen Flughäfen in Rom, Bahrain, Karachi, Singapur und Darwin nach Australien überführte, ganz rationale Anlässe zu suchen. Vor allen Dingen Frauen sollten angesichts eines starken Männerüberschusses in Australien zur Auswanderung angeworben werden, dort angekommen die Eheschließung vollziehen und zu einem demografischen Wachstum der Nation einen Beitrag leisten. Viele der Frauen hatten jedoch bereits während der fünfwöchigen Schiffsfahrt zwischenmenschliche Banden mit den jungen männlichen Auswanderern an Bord geschlossen und entzogen sich somit dem australischen Heiratsmarkt. Eine von der australischen Regierung inaugurierte Direktive, ledige und junge Frauen nur noch ausschließlich mit dem Flugzeug ins Land zu bringen, unterlag folglich sehr pragma-tischen, die wirtschafts- und sozialpolitische Bevölkerungsstruktur regulierenden Ambitionen.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 189

meilen entfernt von Aden im arabischen Meer, als während der abendlichen Filmvorführung der Feueralarm ertönte. Als die Flammen bereits aus einigen Bullaugen herausragten, ließ die Besatzung die am Vortag nach einer Übung frisch gestrichenen Rettungsboote zu Wasser, in denen alle Passagiere einen rettenden Platz fanden. Im Zuge dieser dramatischen Rettungsszenen trieben nun zahlreiche, mehr oder minder wasserdichte Rettungsboote in sicherer Entfernung zum brennenden Hauptschiff wahllos auf dem Indischen Ozean. Als glücklicher Wink des Schicksals wurde das plötzliche Auftauchen des Tankers City of Sydney betrachtet, auf dem alle in Seenot geratenen 1.300 Migranten, darunter 800 Deutsche und zahlreiche Kinder und Säuglinge, an Oberdeck „wie die Salzheringe“37 einen rettenden Platz fanden. Als die Roma – vollbesetzt mit niederländischen Rückwanderern auf dem Weg von Indonesien nach Europa – den Ort des Geschehens erreichte, konnten die Schiffsbrüchigen von der Skaubryn zurück nach Aden transportiert werden. Das noch brennende Unfallschiff selbst sank nach der Überführung im Hafen von Aden. Nach fast dreiwöchigem Aufenthalt im britischen Protektoratsgebiet erfolgte die Überfahrt nach Australien mit dem niederländischen Schiff Johan van Oldenbarnevelt ohne weitere Komplikationen. Indizien dafür, dass der Ausbruch des Feuers auf offener See auf einen versuchten Versicherungsbetrug zurückzuführen war, gab es mehrere. In den schmalen Gängen des Schiffes stießen sich die Passagiere ständig den Kopf an den zahllosen und ohne jegliche Systematik aufgehängten Feuerlöschern, die Besatzung ließ zu Beginn der Fahrt keine Gelegenheit aus, die Auswanderer darüber in Kenntnis zu, dass das Schiff mit einer feuerhemmenden Farbe gestrichen sei und die Frau des Kapitäns ging beim Stopp auf der Mittelmeerinsel Malta mit mehreren Koffern von Bord. Als die deutschen Migranten, sprich Zeiler und seine mit ihm ausgewanderte Familie, nach der Überquerung des Indischen Ozeans in Freemantle von Bord gingen und zum ersten Mal den Boden der neuen Heimat betraten, erfüllte Australien alle Heilserwartungen. Das Erreichen des geografischen wie lebensgeschichtlich bedeutsamen sicheren Hafens Australien gab den von den Erfahrungen des Schiffsunglücks gezeichneten Emigranten ein Gefühl von Geborgenheit und ließ zunächst alle bestehenden Zweifel am Auswanderungsentschluss vergessen machen. Eine Abkopplung vom sozial wie kulturell bewohnten Heimatterrain erfolgte auch auf rein materieller Ebene, da alle Erinnerungsstücke aus Deutschland wie Fotos oder Kleidungstücke während der Schiffskatastrophe in den Tiefen des Meeres verschwunden waren. Nach dem Abschluss seiner Lehrzeit im Herbst 1957 und der Musterung bzw. Einordnung als Panzergrenadier rückte die bevorstehende Einberufung in die neu gegründete Bundeswehr bei Zeiler immer näher. Helmut Zeiler, der mit seiner Schwester und seinen Eltern nach Australien übersiedelte, hatte mit seinen beiden

37 Zitat aus dem Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008.

190 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

älteren Brüdern, die bereits zeitlich früher ausgewandert waren, erste Bezugspunkte in der neuen Heimat. Migrationsnetzwerke, ausgelegt als integrale Bestandteile von Kettenmigration, die zum Beispiel Freunde und Bekannte beinhalten, können hier als auswanderungsfördernde Indikatoren charakterisiert werden, da für den nachfolgenden familiären Anhang diese Form der Wanderungsmobilität eine sicherere, wohl vorbereitete und risikoarme Emigration darstellt und zur Relativierung von Problematiken der Integration in der Fremde beiträgt. Zeiler selbst hatte im Krieg miterleben müssen, wie junge Soldaten „wie die Hasen“38 über den Haufen geschossen wurden, so dass der Wehrdienst in Anbetracht der Bedrohung durch ein baldiges Ausbrechen des Dritten Weltkriegs für ihn nicht in Frage kam. Selbst in der familieninternen Entscheidungsfrage, in denen argumentative Gründe abgewogen wurden, in welches Land die Auswanderung führen solle, sprach man sich kollektiv gegen eine Auswanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika aus, da dort zahlreiche Immigranten zum Dienst an der Waffe für den Koreakrieg rekrutiert wurden. Die zügige Bearbeitung der Auswanderungsanträge sah Familie Zeiler als einen ausgesprochenen Glücksfall an, weil das Verlassen Deutschlands im März 1957 die allgemein verbreiterte Kriegsfurcht linderte, die mit Schrecken verbundene Wehrpflicht ersparte und eine neue Zukunftsperspektive abseits von psychologischen Angstzuständen und Befürchtungen über neuerliche kriegerische Auseinandersetzungen versprach. Im Interview mit Frau und Herrn Mohrhardt wird über eine diesen Sachverhalt flankierende Begebenheit berichtet: „Traute: Was noch ganz interessant war in Deutschland, nachdem du gerade auf dem Schiff warst, da erhielt dein Vater deinen Wehrpass, oder so. Da standen die dann, glaube ich, drei Tage später an der 3-Meilenzone, standen die dann vor der Tür. Dierk: Ich wäre praktisch desertiert. Ich hatte zu Beginn eine Tauglichkeitsgruppe gekriegt, die nicht für den Wehrdienst gut genug war. Ich habe mich da auch nicht näher mit befasst, dass man die hätte um Erlaubnis fragen müssen. Und davon abgesehen, wie ich wieder kam, bin ich natürlich direkt zum Wehramt getigert und habe dann meinen Ersatzdienst gemacht.“39

Hieran schließt die oft artikulierte Streitfrage der Loyalität zum Geburtsland an, der die Emigranten im Interview stets Raum beizumessen wussten. Nach der Schulausbildung sowie der beruflichen Qualifizierung zum Gesellen bzw. Facharbeiter folgten erst die produktiven Jahre der vornehmlich jungen Erwachsenen, von deren Leistungsvermögen Deutschland beim wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre profitieren sollte. Dieses Humankapital der Fachkräfte stand Deutschland aufgrund der Auswanderung eines Großteils von jungen Männern jedoch nicht

38 Ebd. 39 Zitat aus dem Interview mit Traute und Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 191

zur Verfügung, so dass sich in den Gesprächssituationen des Öfteren ein unterschwelliges Vorhandensein eines „schlechten Gewissens“ äußerte, Deutschland in Zeiten der ökonomischen Abhängigkeit von qualifizierten Arbeitern im Stich gelassen zu haben, „obwohl man die besten Jahre noch vor sich hatte“40. In der Rückschau wird den vom Heimatland aufgebrachten Sozialleistungen in der Frühphase ihre produktive Leistungsfähigkeit nachträglich als soziales Kapital ausgewiesen, auch wenn sich der eine oder andere Auswanderer kritisch eingestehen musste, dass eher die auf Eigennutz ausgerichtete finanzielle und interkulturelle Gewinnmaximierung im Vordergrund der Emigrationsentscheidung stand. Aus der Warte der Gegenwart betrachtet, hätten viele der im Zuge der binationalen Wanderungsabkommen ausgereisten Menschen ihre soziale Schuld gegenüber dem Herkunftsland Deutschland gerne mit Eifer beglichen. Zunächst erwarteten die Auffang- und Trainingslager die deutschen Auswanderer Down Under, von wo aus neuerlich der Commonwealth Employment Service eine Zuteilung auf vakante Stellen im australischen Arbeitsmarkt vornahm. Eine den Qualifikationen der Migranten nicht adäquate Zuteilung als einfache manuelle Arbeiter ist – bis auf die Ausnahme von Mohrhardt – ubiquitäres Merkmal aller Erzählungen dieser Auswanderungsgruppe. Während der Befragung von Seiten des Commonwealth Employment Service gab die Behörde zu verstehen, dass ihnen angesichts der von Dierk Mohrhardt bereits gut beherrschten englischen Sprache daran gelegen sei, Mohrhardt als Angestellter der ANZ Bank in Melbourne zu beschäftigen, bei der er auf die beruflichen Erfahrungen aus Deutschland zurückgreifen könne. Eine Unterbringung, die auffällig häufig nur mit dem Terminus „Behausung“ umschrieben wurde, fand in den im urbanen Milieu zahlreich vorhandenen boarding houses oder hostels (Regierungsunterkünfte) statt, die sich nicht selten im Besitz von europäischen Einwanderern aus der Vorgeneration befanden. „Also so ein Leben habe ich noch nie gehabt. Ich meine, die Arbeitszeit, die ich vorher hatte bei der Dresdner Bank und dann zur ANZ Bank, das schrumpfte zusammen, so auf sechseinhalb Stunden pro Tag. So war die Wertigkeit für mich 1965, einfach sechseinhalb Stunden am Tag arbeiten. Und jeden Freitag ging es dann in die Pubs, also in die Wirtschaft und dann wurde gebechert. Damals wurden die Pubs in Melbourne pünktlich um 6.00 Uhr zugemacht. Six o’clock closing. Das habe ich noch mitgemacht. Das bedeutete, dass die Leute das [Bier] bis 6.00 Uhr in sich reinschütteten wie blöd, weil du den Pub ja auch verlassen musstest. Und dann im Rinnstein lagen die Leute da besoffen mehr oder weniger. Ich fand das prima, das war eine ganz neue Erfahrung.“41

40 Zitat aus dem Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008. 41 Zitat aus dem Interview mit Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007.

192 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Das Leben in Australien während der Auswanderung auf Zeit in den Jahren 1965 bis 1967 wird von Mohrhardt als ein von allen Beschwerlichkeiten befreites bezeichnet, da er sich als junger Mann um niemanden außer sich selbst zu kümmern hatte. Nette australische Arbeitskollegen, eine verkürzte Arbeitszeit, bequeme Arbeitsbedingungen, von Kameradschaft und Solidarität geprägte Freizeitveranstaltungen sowie die für den späteren Lebenslauf wichtigen interkulturellen Erfahrungen bei einem auf internationalem Niveau tätigen Bankinstitut sind die Hauptgründe, die die zweijährige Migration für den Akteur in einem positiven Licht erstrahlen lassen. Darüber hinaus spielt das Alter der Auswanderer eine wesentliche Rolle bei der nachträglichen Reflexion über den Schritt über die deutsche Grenze hinweg. Zum Zeitpunkt der Emigration befanden sich alle Informanten aus diesem Sample im Alter von 20, kaum einer war älter als 25. Das junge, von allen verwandtschaftlichen Zwängen befreite und unbekümmerte Lebensalter der zeitweiligen Besucher kann dafür verantwortlich gemacht, dass in einem fremden Land eine Affinität zur Entwicklung kam, die es ermöglichte, zu anderen Menschen – die möglicherweise das gleiche Schicksal teilten – schneller Kontakte aufzubauen, zwischenmenschliche Berührungsängste zu überwinden und mit wenig Skepsis auf andere Leute zuzugehen, um Freundschaften zu knüpfen. Die unter Männern in Australien stark ausgeprägte Gesellschaftsform des mateship, eines Zusammenspiels aus Maskulinität, Heldenkult und Kameraderie, sowie die im „Land der Arbeiter“ nahezu allgegenwärtige Betonung des Egalitarismus, der die Elitenbildung zu diskreditieren suchte, wurden von den deutschen Migranten als sozial vergütete kulturelle Umgangsformen insbesondere in der Arbeitswelt, die nicht selten an sechs Wochentagen zur Pflichterfüllung rief, internalisiert. Der nach einer mehr oder weniger strapaziösen Arbeitswoche gemeinsam praktizierte Gang der Arbeiter in die Pubs und die damit einhergehende Erzählung vom six o’clock closing, das im Arbeitermilieu zu einem national verbreiteten Kulturgut dieser Zeit avancierte, gibt einen oft beredeten Einblick in ein soziales Gefüge der Migranten.42

42 „Dann mussten wir dann in einen Bus rein und dann war es ungefähr 5.00 Uhr, also um 4.00 Uhr war Schluss und um 5.00 Uhr waren wir in dem Bus drin gewesen. Dann sind wir zur nächsten Wirtschaft gefahren, das war so ein pup, wie sie hier sagen. Und da war der große counter, wo du das Bier ausschenkst, da waren die Biergläser alle schon gefüllt. Da hat alles voll gestanden mit Biergläsern und dann sind die da rein und dann, das ist mein. Da haben sie sich so acht bis zehn Gläser auf einmal genommen, weil um 6.00 Uhr Schluss war. Um 6.00 Uhr gab es nichts mehr, das muss du dir mal vorstellen. Da haben die das kalte Bier nur so hintergesoffen, weil die ja da schwitzen, es war ja Sommer. Da saufen die das Bier wie nichts du. Ich habe da nur ein oder zwei Bier getrunken, weil es so kalt war, das konnte ich nicht so haben. Und draußen haben die alle gelegen, die sind dann zur Tür hinaus gegangen und schlagartig umgefallen. Weißt du, wenn es warm war,

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 193

In Zeiten der wirtschaftlichen Stagnation in Australien mussten sich die Zweijahresleute nicht selten über mehrere Monate mit ihrem interimistischen Zuhause in Bonegilla zufriedengeben, da sie laut den vertraglichen Regelungen des Wanderungsabkommens nur dann die Auffanglager verlassen durften, wenn Vakanzen auf dem Arbeitsmarkt entstanden. Zur Untätigkeit aufgrund der zeitweilig schlechten Situation auf dem Arbeitsmarkt verdammt, gab es immer wieder Konfliktsituationen, denen die in den Trainingscamps gestrandeten und angesichts der Länge ihres dortigen Aufenthalts stark verbitterten Auswanderer machtlos bzw. ohne jegliche Einflussnahme gegenüberstanden. Enttäuscht und verzweifelt über den zähen Verlauf der Zuweisung von Neuankömmlingen zu den ihnen vertraglich versprochenen Arbeitsstellen zeigte sich Ursula Fornett, die mit ihrem Mann, einem Ingenieur für Bauwesen, 1967 in Bonegilla die ersten Erfahrungen in Australien sammelte. Die größte strukturelle Schwäche des gesamten deutsch-australischen Wanderungsprogramms sah die Informantin darin, dass die australische Regierung großen Wert auf die Rekrutierung von Facharbeitern legte, obschon aber eine Anerkennung der deutschen Qualifikationen wie Berufserfahrungen bei der Anstellung nie eine ausschlaggebende Rolle spielte. Als der Mann von Fornett beim lagerinternen Arbeitsamt vorstellig wurde, gab der Vermittler ihm zu verstehen, dass eine Anstellung als Ingenieur ausgeschlossen, jedoch die momentane Nachfrage nach Maurern groß sei. Dank eines freundschaftlichen Kontaktes zu einem Polen aus dem education center des Übergangslagers Bonegilla konnte eine Arbeitsvermittlung des deutschen Ehepaares in Richtung Snowy Mountains Hydro-Electric Scheme verwirklicht werden. Nur durch das engagierte Dazutun eines lokalen Farmers war es ihnen möglich, an die Konstruktionsstelle in der Bergregion zu gelangen, da weder Bus noch Zug diese entlegene Region Australiens ansteuerten. Als ihr Mann Dieter, so Fornett, vor Ort den zuständigen Angestellten des Department of Labour and Industry seine Unterlagen unterbreitete, erwiderten diese, dass sie einen Mann mit derartigen Qualifikationen nicht mehr gebrauchen könnten; weil sich das gesamte Projekt kurz vor der Fertigstellung befände, würden nur noch ein paar einfache Arbeiter unter Vertrag genommen. „Also war das nichts und wir sind wieder um ein Abenteuer reicher nach Hause, nach Bonegilla.“43 Die schlechte Wohnsituation, der nur unzureichend in Angriff genommene soziale Wohnungsbau, temporär aufflackernde Phasen der

so in der Hitze. Dann schreien sie so ungefähr fünf Minuten vorher ,Get your last drink, please!‘ Ja, da haben sie nochmals auffüllen lassen. Ich sage es dir, da waren keine Frauen drin, Frauen waren nicht erlaubt. Da war kein Stuhl drin, da war kein Tisch drin, da war keine Bank drin. Da gab es nur eine Theke und es war alles ausgekachelt. Und wenn du gegangen bist, dann haben sie wie in einem Schweinestall alles ausgespritzt.“ Zitat aus dem Interview mit Walter Sonneck, datiert auf den 21.04.2008. 43 Zitat aus dem Interview mit Ursula Fornett, datiert auf den 16.10.2007.

194 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

wirtschaftlichen Stagnation sowie eine damit einhergehende Erhöhung der Arbeitslosenquote ließen die Lager für Migranten schnell zu einer ungeliebten zweiten Heimat werden, die Emigranten in Form von fordernden Bittgesuchen dazu veranlassten, eine sofortige Rückführung in die Bundesrepublik zu organisieren. In dieser von interkulturellen Konflikten angereicherten Atmosphäre mischten sich zunächst die von einem Großteil der Deutschen nur sehr unzureichend beherrschte Landesprache44 sowie ein Misstrauen gegenüber jeglicher Form von Fremdheit seitens der Australier. Diese entlang von Stereotypen verlaufende Stigmatisierung der Neuankömmlinge, die zumeist in abgekürzter bzw. vereinheitlichter Form als Beschimpfungen wie reffos, dagoes, wogs, balts in die Alltagssprache einflossen, lag vornehmlich begründet in der geografischen und kulturellen Abgelegenheit des australischen Kontinents sowie der longue durée einer fremdenfeindlichen Ausschließungspolitik im Kontext der White Australia Policy (Castles/Miller 2003: 119). Die deutschen Zuzügler, von der populistischen Presse als ex-enemy aliens verschrien und als eine durchaus ernst zu nehmende Gefährdung für die Demokratie bezeichnet (Kaplan 1995), gehörten trotz ihres moderaten Rufes als model workers von Anbeginn ihres Aufenthalts nicht zu den Sympathieträgern. Interkulturelle Missverständnisse in Begegnungen des alltäglichen Lebens – dies meint die soziale Interaktion unter Verwendung unterschiedlicher kultureller Grammatiken oder Codes – führten dazu, dass die Mitglieder der anglosächsischen Mehrheitsge-

44 Helmut Zeiler berichtet von dem Englischunterricht während der Überfahrt nach Australien, den anfänglich mehrere hundert Leute besuchten. Von circa 1.200 Passagieren auf dem Schiff waren mehrere hundert regelmäßige Teilnehmer in den ersten Wochen. Für Zeiler sei es eine durchweg gute Offerte gewesen, da er bereits Kontakte mit der englischen Sprache sammeln konnte und diese durch seine Partizipation am Kurs auffrischen und erweitern konnte. „Und nach einer Woche waren das so wenige, da waren vielleicht nur noch dreißig Leute da. Die anderen haben sehr schnell gelernt, habe ich zu den anderen gesagt (Lachen). Und alle Leute, die dahingegangen sind, weißt du welche Leute das waren? Die schon Englisch konnten. Die kein Englisch konnten sind nicht mehr hingegangen. Und die haben das natürlich in der Fabrik gelernt und die mussten ja einfache Arbeiten ausführen, wo sie es dann lernen.“ Zitat aus dem Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008. Die durch ihr Manko der schlechten Sprachkenntnisse zu körperlich schwerer, schmutziger und gering entlohnter Arbeit gezwungenen Migranten besaßen entgegen den Behauptungen von Zeiler an ihrem Arbeitsplatz, wo sie mit Menschen mit dem gleichen Schicksal zusammenarbeiteten und kaum in Kontakt mit englischsprechenden Migranten oder Mitgliedern der australischen Mehrheitsgesellschaft kamen, nur sehr geringe Chancen auf das Erlernen der ein besseres Auskommen garantierenden Sprache. Geringe ökonomische wie soziale Aufwärtsmobilität war ein landläufiges Schicksal sprachinkompetenter Immigranten in Australien.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 195

sellschaft den kulturellen Fremden zu stereotypen „Bildern im Kopf“ reduzierten und Wahrnehmungsgewohnheiten und Interpretaments vor ihrem eigenen kulturellen Hintergrund entwickelten, so dass deutliche ethnisch voneinander abweichende Trennlinien entstanden. Der Beharrung auf der nationalen Identität auf australischer Seite stand eine Vielzahl von ethnischen Identitäten bei den multinationalen Auswanderungsgruppen entgegen. Eine solche kommunikativ-interkulturelle Alltagsbegebenheit, bei der soziale Unsicherheit in einem fremden Milieu sowie sprachliche Unkenntnis in einem frühen Stadium der Auswanderung den Akt zwischen Verstehen und Nichtverstehen ausmacht, gibt Christel Paukner preis: „Ja, zum Beispiel, ich habe meinen Mann gefragt, mein Mann konnte ja Englisch, ich hatte meinen Mann gefragt, ich wollte Nieren kochen, was heißt ,Nieren‘ in Englisch? Da sagte er kidneys. Und wir hatten dann so einen kleinen Fleischerladen bei uns in der Nähe, dann bin ich rüber gegangen. Da waren viele Leute drin und dann war ich nervös und habe das vergessen. Und dann habe ich mich bloß an kit, kittens erinnert. Da habe ich gesagt, ich möchte ein Pfund kittens haben, fresh kittens. Und die haben alle gelacht, ich wusste aber nicht warum, was sind kittens? Na ja, wenn man zum Fleischer geht und Kätzchen verlangt.“45

Auf jene die alltagskulturellen Situationen betreffenden Phänomene der sozialen bis symbolischen Interaktion, die einer Verfestigung bestehender ethnischer Vorurteile Vorschub leisteten und das Verhältnis zwischen australischer Leitkultur und ethnischer Minderheitskultur determinierten, schauen viele Migranten in der Retrospektive mit einem scherzhaften Lächeln zurück, da diese in erster Linie Ausdruck einer kaum zu vermeidenden kulturellen Inkompetenz der in sozialer Beziehung zueinanderstehenden ethnischen Gruppen sind. Ein aussagekräftiges Beispiel ist die interethnische Differenzsituation zwischen Familie Gohdefeld und der in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden, in der anglosächsischen Tradition lebenden Familien Robertson und White. Erhard Gohdefeld berichtete während des Interviews von einem freundschaftlichen Besuch von Mrs. Robertson, der sich am Gründonnerstag im Jahre 1950 zugetragen hat. Mrs. Robertson wusste, dass es bei Frau Gohdefeld, der Mutter meines Gesprächspartners, zu dem routinemäßigen wie ritualisierten cup of tea in dieser Jahreszeit – gemäß der weiterhin gepflegten schwäbischen Tradition – stets selbstgebackenes Osterbackwerk aus Rosinenteig in Form eines Schneckenhauses als Delikatesse angeboten wurde. Dieses saisonale Gebäck firmierte laut der freien Übersetzung ins Englische unter dem Terminus „snail buns“, so wurde es der Nachbarin als ethnisch-deutsche Besonderheit zu Ostern zum Probieren angeboten. Die eigentliche Situation, in der das kulturell bzw. ethnisch Anders- bzw. Fremdartige der Deutschen verortet und nicht zuletzt mit einem Stigma belegt wurde, ereig-

45 Zitat aus dem Interview mit Christel Paukner, datiert auf den 02.07.2008.

196 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nete sich nicht im Hause von Familie Gohdefeld während der sozialen Interaktion des Teetrinkens mit Mrs. Robertson, sondern erst in einem am gleichen Abend in einer naheliegenden Metzgerei geführten Gespräch zwischen Mrs. Robertson und Mrs. White. Als Mrs. Robertson beim Einkaufen Mrs. White ihr erlerntes Wissen aus dem Immigrantenhaushalt erzählte, kam es aufgrund von sprachlicher sowie kultureller Alterität zu einer Konstruktion von Fremdheitsprofilen zwischen Zugezogenen und Alteingesessenen. „,Ah‘, sagte Mrs. Robertson, ,ich war bei Mrs. Gohdefeld‘. ,Und, wer ist das?‘, sagte Mrs. White. Da sagte Mrs. Robertson: ,Das sind die neuen Leute, die hier eingezogen sind.‘ ,Ah, the continentals. Ja, was haben sie den da gemacht?‘ Da sagte Mrs. Robertson: ,Wir haben snail buns gegessen und Tee getrunken.‘ Da sagte Mrs. White: ,Diese continentals essen wirklich auch alles.‘ (Lachen) Es war aber alles harmlos, wir fanden es auch lustig.“46

Hierin zeigt sich sehr deutlich, dass durch die Wahrnehmung der gelebten Wirklichkeitswelt in Australien mit der doch revolutionierend wirkenden Aufnahme von kulturell fremden Immigranten aus Europa eine bisher unbekannte Gesellschaftsform entstand, in der es nun ständig zu Situationen von Konkurrenz und Unsicherheit sowie interkulturellen Kontakten kam, die genug Anlässe zu falschen Verallgemeinerungen boten. Abseits dieses vom Auswanderer nachträglich verharmlosten Beispiels interethnischer Differenzproduktion besitzen stereotype Vorurteile die Potenzialität, zur Stabilisierung negativer Einstellungen gegenüber einer bestimmten Gruppe beizutragen. Eng am positiv besetzten Selbstbild der australischen Mehrheitsgesellschaft angelehnt und diese als absolut gesetzte soziale Daseinsform, als kategorische Maxime, rechtfertigend, sind es vor allem die normativ-moralischen Gehalte wie Wertemuster der beiden oben erwähnten Damen, die in Kontrast zu den ethnischen Gepflogenheiten der continentals gesetzt werden. Das Essen von richtigen Schnecken, nicht von Gebäcksschnecken, wird als verwerflich, barbarisch und im hohen Maße als ein Zuwiderlaufen gegen jegliche Errungenschaften der menschlichen Zivilisation abklassifiziert. Feste Vorstellungsklischees, die nur selten einer Wirklichkeitsüberprüfung standhalten und fast nie auf erlebten Erfahrungen basieren, rücken den überseeischen Fremdling kurzerhand in die Rolle des kulinarischen Barbaren, der entgegen den in Australien vergüteten Umgangsformen und Speisetabus alles isst und keinen „natürlich“ ausgebildeten Ekel empfindet. Herausgehobene Signifikanz kommt bei dieser Form des praktizierten Ethnozentrismus, verstanden als einem dogmatischen Festhalten und Tradieren von Fehlurteilen und falschen Verallgemeinerungen, der Stärkung der nationalen Gruppenidentität zu. Mit der Lokalisierung und latenten Dämonisierung des kulturellen Abweichlers

46 Zitat aus dem Interview mit Erhard Gohdefeld, datiert auf den 06.04.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 197

verstärkt sich automatisch der ethnische Zusammenhalt bzw. die innere Homogenität, mit der sich die etablierte Elitenkultur Australiens gegen fremdländische – in der Terminologie der 1950er und 1960er Jahre eher fremdrassische – Einflüsse abzuschotten versuchte und damit neuerlich entblößte, dass sie Fremdgruppen eher als Bedrohungen der sozialen Kohäsion bewertete und nicht als Bereicherung ihrer auf kultureller Homogenität ausgelegten Nation. Unterschiede zwischen Australien und Deutschland werden vor allen Dingen unter der Rubrik der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rückständigkeit des Fünften Kontinents zur Zeit der Auswanderer subsumiert. Die Monierung bezüglich der Nichtexistenz von befestigten Straßen, Kanalisations-, Strom- und Wasserversorgungssystemen wurde begleitet mit der despektierlichen Angabe, dass bis weit in die 1960er Jahre hinein einmal wöchentlich der Abtritt hinter dem Haus von einem lokal ansässigen Betrieb geleert wurde. In aller Ausführlichkeit präsentierte Beschreibungen von australischen Frauen, die Morgenmantel und Pantoffeln aus rosarot gefärbtem Kaninchenfell tragend, Zigarette rauchend und mit den Lockenwicklern in den Haaren in den Morgenstunden die Tageszeitung am nächstgelegenen Shop holten, waren in den Interviewsituationen und informellen Gesprächen keine unikaten Vorkommnisse. Für die deutschen Auswanderer aus einem städtischen Milieu wirkten das provisorische Leben in Zeltlagern bzw. Nissenhütten und die primitivsten Wohn- und Lebensbedingungen in den unwirtlichen australischen Regionen sehr befremdlich. Zu dieser Wildweststimmung im Stile von Karl May gab der bei der ANZ Bank als Kassierer tätige Mohrhardt ein aussagekräftiges Beispiel. „Damals als Kassierer bei der Bank, da bekam man damals eine Pistole ausgehändigt. Sie lachen, das war so 1965 und da wurde aber das Training mitgeliefert. Die meisten waren damals junge Männer, so um die zwanzig herum, und wir wurden dann in so eine Schießanlage gebracht und dann kriegten wie hier solche Dinger um die Ohren, damit es nicht so knallte und dann durften wir auf solche Zielscheiben schießen. Und nachdem ich das dann auch sechsmal gemacht hatte, sagte der Instrukteur zu mir: ,Was immer du machst, lass die Pistole in deiner Schublade, den höchstwahrscheinlich richtest du mehr Schaden bei dir selbst an als bei dem Räuber.‘ Aber als damals die Vorstellung war, da kommt ein Räuber rein und man fängt an zu schießen sozusagen, da gab es halt noch nicht diese automatischen Fenster, da waren dann ja überhaupt keine windows im dem Sinne. Das habe ich dann auch gemacht, ich habe dann nicht geschossen. Insofern hat es da keine Toten gegeben. (Lachen)“47

Die bizarren Auswüchse des Zweiten Weltkriegs brachten in erster Linie für das deutsche „Tätervolk“ die unverrückbare Erkenntnis zum Vorschein, dass Pistolen und andere Handfeuerwaffen mit schier irrer Akribie als Mordwerkzeuge benutzt

47 Zitat aus dem Interview mit Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007.

198 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

wurden. Von den Kriegshandlungen unberührt, wenngleich von der Aufarbeitung der Massentötungen während der zwanzig Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands direkt betroffen, fand sich Mohrhardt als Bankangestellter in einer ihm befremdlich anmutenden Situation wieder, im alltäglichen Arbeitsleben über eine Schusswaffe zu verfügen, im Umgang mit dieser trainiert zu werden und im Ernstfall – wobei Ernst erst zu definieren ist – jene Waffe zur Anwendung zu bringen. Diesem Interviewpassus ist ferner eine distanzierte bis kritische Haltung gegenüber dem Gebrauch von Schusswaffen zu entnehmen, weil diese im Zeitalter der kriegerischen Auseinandersetzungen, zu der die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ohne Zweifel zu zählen ist, für die Deutschen zum Alltag dazugehörten, d. h., alle Menschen – unabhängig von Alter und Geschlecht sowie sozialer Zugehörigkeit – waren bewaffnet. Erst der intensive und ohne gesetzliche Auflagen erfolgte Gebrauch während des Zweiten Weltkriegs schuf ein öffentliches Bewusstsein, in dessen Kontext über die Reformulierung dieser Regel nachgedacht wurde und schließlich in einer immens reglementierten Waffenkultur kumulierte. Aus jenem gesellschaftlichen Diskurs des restriktiven Umgangs mit Schusswaffen des Nachkriegsdeutschlands muss diese Interviewpassage ausgedeutet werden. In die biografischen Erzählungen des Auswanderers gehen Komponenten einer sicherheitstechnischen Rückständigkeit Australiens ein und werden kombiniert mit Segmenten eines Abenteuerromans aus dem Wilden Westen bzw. einer Robinsonade. Dies spiegelt neuerlich den Motiv generierenden Auslöser zur Migration auf Zeit wider, der in einer Affinität nach Aventüre zu suchen ist. Das gewagte Unternehmen der Auswanderung hatte folglich Abenteuerlust als Ausgangspunkt, obschon das Wagnis einen im Ausgang unsicheren Lauf genommen hätte, wenn der Griff zur Schublade geboten gewesen wäre. Verstehen wir Migration als einen mittel- und langfristigen bis hin zu einem in letzter Instanz lebenslangen Übergang von Menschen in ein anderes, ihnen fremdes soziokulturelles Raumgefüge, in dem sie für einen hinreichend langen Zeitraum ihren Lebensmittelpunkt instituieren, dann stellt sich in diesem Kapitel die Frage, was die nun ihre längste Zeit in Sydney lebenden Deutschen dazu veranlasst hat, nach ihrer Remigration (Paraschou 2001: 34) in die Bundesrepublik, ihren Schwerpunkt der Lebensführung nach einem gewissen Zeitraum im ursprünglichen Herkunftskontext neuerlich in Australien fortzuführen. Kurz gefragt: Wie wird aus einer Migration als Übergangsstadium eine permanente Ansiedlung? Hierin spiegelt sich die Multidirektionalität jener Auswanderungsdynamik wider; sie ist keine einmalige Ortsveränderung, sondern vollzieht sie sich vielmehr in mehreren unterschiedlich motivierten Etappen, ist von Lokal- und Fernwanderung genauso geprägt wie von ihrem multiplen, kontinuierlichen, geografischen sowie mentalen Diffundieren zwischen den bilokalen Orten der Abreise und der Ankunft. Grundsätzlich stand den Migranten nach der Frist von zwei Jahren die Wahl frei, ob sie ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt weiterhin in Australien suchten,

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 199

oder ob sie die Remigration in die Bundesrepublik vorzogen. Zu den Wanderern, die nach dem abgeleisteten Arbeitsvertrag direkt nach Deutschland zurückkehrten, gehörte in meinem Sample ausschließlich Dierk Mohrhardt, der als Minderjähriger vor dem Verlassen seines Geburtslandes seinen Eltern das Versprechen gegeben hatte, nach zwei Jahren wieder nach Hamburg zu kommen. Die hier vorgebrachte Rückkehrstrategie steht im Kontext der Aufrechterhaltung und Neustabilisierung traditioneller Verbindungen und Sozialbeziehungen (Gmelch 1980: 139). Die Rückkehrquote exakt nach den vierundzwanzig Monaten war folglich sehr gering, da viele Gründe dafür sprachen, für einen zeitlich nicht definierten Rahmen in Australien zu bleiben. Bei einer Vielzahl der von mir interviewten Personen dieses staatlichen Wanderungsabkommens hatte sich das ursprüngliche Vorhaben, in ein Land mit hoher Lebensqualität zu gehen, dort mit Fleiß und Sparsamkeit viel Geld zu verdienen und als „reicher Mann“ zurückzugehen, schlicht und ergreifend zerschlagen. Die Grundlage der migrationsauslösenden Überlegungen war bei manchem der Gedanke, man verlässt Deutschland, um für eine gewisse Zeit in einer remote area zu arbeiten, wo man nicht viel Geld benötigt und entbehrlich leben könnte, geht zurück, heiratet seine Freundin und kann sich eine ansehnliche Wohnung mieten. Die finanziellen Aufwendungen für die Rückreise konnten von vielen nicht aufgebracht werden. Ebenfalls herrschte eine unterschwellige Angst, mit „leeren Händen“ nach Deutschland zurückzukommen, was für viele gleichbedeutend mit einer „Bruchlandung“ bzw. „Blamage“ war. So konnte es weitere zwei bis fünf Jahre dauern, bis die lange ersehnte und nun auch von finanzieller Seite her mögliche Remigration in die Bundesrepublik realisiert werden konnte, obschon diese ausschließlich einen temporären Charakter besaß, da alle Gewährspersonen nach einer gewissen Zeit in der alten Heimat dieser aus unterschiedlichen Motiven heraus den Rücken kehrten. Eine durch rein ökonomische Zwänge bedingte Verlängerung der Verweildauer in Australien intensivierte dabei die heterogenen Wirkkräfte jenes transkulturellen Prozesses, der den originären Mittelfristwanderer von seinem ursprünglichen Herkunftsland Deutschland entfremdete. Der Lebensmittelpunkt wurde auf längere Dauer in Australien gesehen. Anhand des persönlich erlebten Ereignisses der zeitlich variablen oversea experience im Herkunftsland, bei dem die erlernten kulturellen Verhaltensmuster und Lebensweisen aus dem australischen Kontext in Kontrast zu den Lebensverhältnissen einer sich im Wandel befindlichen Bundesrepublik gesetzt wurden, entwickelte sich ein abwägender Prozess der migratorischen Selbstfindung des Wanderers zwischen den Kulturen, der einer persönlichen Identitätsfindung gleichkommt und an dessen Ende ein Entschluss für oder gegen eine Schicksalsdestination steht. Kontakte zu Eltern, Angehörigen aus dem erweiterten Familien- und Verwandtenkreis und engen Freunden sowie die Sehnsucht, seinen Geburts- bzw. Heimatort erneut zu sehen, konstituierten die primären emotionalen Verbindungslinien zu Deutschland. Zudem findet die große Auswahl an Brot- und Wurstwaren, eine ganze Bandbreite stark regional verbreiteter Delika-

200 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tessen sowie die Möglichkeit, Deutschland und die angrenzenden Länder auf einer eher touristischen Ebene zu erschließen, einen großen Anklang. Nationale bzw. europaweite Zugtickets dienen der sich gegenwärtig im Rentenalter befindlichen Gruppe von Australienauswanderern als optimale verkehrsgeografische Offerte, mit der die Erkundung des fremden Kontinents Europa mit weniger Kosten- und Energieaufwand gelingt. Ein hochausdifferenziertes internationales Netzwerk von Bekannten und Verwandten erübrigt vielerorts eine kostenintensive Unterbringung in Hotels, so dass ausschließlich die Flugkosten bzw. weiteren Transportkosten erheblich zu Buche schlagen. Für diese oft in aller Ausführlichkeit beschriebene Reise in die Heimat wurden und werden kontinuierlich enorme Geldsummen investiert, zumal zu den Reisekosten, so berichtet mir ein dreiundachtzigjähriger Informant mit australischer Staatsbürgerschaft, bei touristischen Besuchern über fünfundsiebzig zusätzlich eine Auslandskrankenversicherung in der Höhe von 1.000 Australischen Dollar fällig würde. Wenngleich auf der einen Seite ein durchweg positives Verhältnis aufgrund der zahlreichen Besuche zu verzeichnen ist, so erlebten die ehemaligen Zweijahresleute doch während der temporären Rückkehr nach Deutschland auf der anderen Seite negative Erfahrungen, die sie zur Remigration nach Australien bewegten. Zu fragen ist nun: Auf welchen Erlebnissen gründet diese leicht distanzierende Grundeinstellung gegenüber dem europäischen Geburtsland und welche Indikatoren können für diese endgültige Entscheidung ins Feld geführt werden? Die Gründe für den Entschluss, Deutschland ganz den Rücken zu kehren und eine permanente Immigration nach Australien vorzuziehen, sind zahlreich. Eine vergleichsweise gehobenere Lebensqualität, ein freies wie leichteres Wohnen im eigenen Haus, weniger Inanspruchnahme im Berufsleben, ein großes Angebot an personeller und professionaler Entfaltung sowie das lebensfreundlichere Klima schlugen für die Rückkehr nach Down Under zu Buche. Stetig wurde von den Gesprächspartnern in den Interviews der frei zur Verfügung stehende realgeografischen wie soziokulturellen Wohn- und Lebensraum in Australien als weitläufiger beschrieben, der mehr Möglichkeiten zum individuellen Evolvieren bereitstellt. Naturnähe, die unmittelbare Erreichbarkeit des Meeres bzw. unzähliger Stadtstrände in Sydney, ein freierer Gestaltungsspielraum hinsichtlich der eigenen Lebensführung sowie eine Diversifikation der Einkommensquellen waren ausschlaggebende Vorteile, die gegen das Verbleiben in der Bundesrepublik sprachen. Mit einer distanzierten Begutachtung, die als Resultat der langjährigen Entfremdung zu lesen ist, wird Deutschland in der Rückschau zwar als ein modernisiertes, von allen architektonischen Kriegswunden befreites Land beurteilt, das jedoch von zahlreichen Reglementierungen, bürokratischen Einschränkungen und konservativen Klassenstrukturen geprägt sei. „Man stellte dann plötzlich fest, dass man eine ganz andere Einstellung zum Leben und zu Deutschland hatte als wie der normale Sterbliche. Ich reiste dann so rum und ich kam dann

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 201

zum Entschluss. Ich hatte die Freiheit in Australien und in der Zeit hatte man in Deutschland einen Papierkrieg für alles Mögliche. Erklärungen für dies, Genehmigungen für das, ja diese ganze Bürokratie. Für mich war das nichts und ich hatte eine Rückfahrkarte. […] Und für mich war das dann eben Australien. Hier bin ich, hier führe ich mein Leben. Mal sehen, was ich machen kann. Und damit war der Fall geklärt. Ich hatte nie das Bedürfnis wieder in Deutschland zu leben.“48

Die Rückkehr in die Fremde (Steffanson 2004: 9) als ein wichtiger Bestandteil des Übergangsprozesses einer geografischen, sozialen wie kulturellen Grenzüberschreitung intensivierte die Neigung zur Remigration nach Australien insofern, da in der Aufnahmegesellschaft des Herkunftslandes zahlreiche kulturelle Abweichungen von einem gängigen Normverhalten den Alltag durchzogen. Sowohl unterschiedlich stark ausgeprägte Motivdimensionen als auch kumulative Effekte der sozialen Anpassungsschwierigkeiten bzw. der Distanzgewinnung wie der zunehmenden Wahrnehmung „fremdländischer Einflüsse“ (gemeint waren die so genannten Gastarbeiter aus Südeuropa), Kulturkonflikte der Aus- und Abgrenzungen mit anderen Deutschen, die jene zurückkehrenden Mittelfristmigranten als Nutznießer des deutschen Wirtschaftswunders bezeichneten, welche die Bundesrepublik in Zeiten wirtschaftlicher Not im Stich gelassen hätten, trugen maßgeblich zur vollständigen Zerstörung der Remigrationsillusionen bei. Der Mythos der Rückkehr, den Barbara Wolbert im Gennep’schen Sinne als Passageritus mit Trennungsriten, Schwellen- bzw. Umwandlungsriten und Angliederungsriten interpretierte (Wolbert 1995; Dies. 1997: 59), folgt auch hier dem zyklisch-dynamischen Transformationsprozesses von Bruch, Krise, Bewältigung sowie Reintegration und bedeutet in letzter Instanz eine irreparable Ablösung von Deutschland. „Und ich hatte ja auch nicht gewusst, dass das für immer sein würde, das hätte ich nie gedacht. Aber dennoch habe ich gemerkt, dass man sich doch entfremdet hat von Deutschland. Es hat dann einen Knacks gegeben, nach diesen fünf Jahren, wo ich nicht mehr da war. Da merkte ich auf einmal, Deutschland ist ganz anders geworden. Deutschland ist gar nicht mehr Deutschland. Da waren dann schon so viele Ausländer gekommen und man fand Deutschland dreckig und irgendwie alles hatte sich verändert. Und dann fragt man sich selbst, könnte ich nochmal in Deutschland leben? Aber da habe ich dann festgestellt, nein, das geht nicht. Also das sollte man dann besser nicht machen. Nach dreißig Jahren im Ausland sollte man nicht mehr zurück nach Deutschland. Jeder Mensch verändert sich in dreißig Jahren und das nicht auf einer Seite, sondern auf beiden. Nein, das könnte ich nicht mehr, nein. Ich hatte den Gedanken, dass ich mit meiner Schwester zusammenziehen würde im Alter, weil wir beide Männer geheiratet hatten, die älter waren wie wir, bedeutend älter. Nun war es so, dass in

48 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007.

202 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

einem Jahr mein Mann, meine Schwester und meine Mutter alle verstorben waren. Da war Schluss. Wenn ich jetzt nach Deutschland komme, kann ich nur noch zum Friedhof.“49

Bei der als Zwischenstation der zirkulären Migration gedeuteten Heimkehr in fremde Verhältnisse sah sich der returnee schon kurz nach dem Wiedereintritt in das vermeintlich bekannte Gefüge mit der Überquerung von kulturellen Grenzlinien konfrontiert und das Durchleben eines reverse culture shock (Gmelch 1980: 143) war ein Anhaltspunkt für eine Segregation zwischen Zurückkommenden und Einheimischen. Die Antwort auf die Frage, warum so viele Migranten problem- bzw. konfliktbehaftete Erfahrungen bei der Zurechtfindung in der Kultur machen, in der sie sozialisiert wurden bzw. die formativen Jahre ihres Lebens verbrachten (Eriksen 2010: 65), liegt darin begründet, dass nur ein Bruchteil der Heimkehrer auf diesen schwierigen, von persönlichen Rückschlägen markierten Schritt in das fremde Ursprungsland ausreichend vorbereitet war. Sie realisierten einerseits nicht, dass sich ihr soziales Umfeld, ihre Freunde und Verwandten in Deutschland während ihrer langjährigen Abwesenheit verändert hatten, nicht mehr dieselben Interessen verfolgten, dass sie bereits neue zwischenmenschliche Beziehungen eingegangen waren und wenig Enthusiasmus für ein weiteres Fortbestehen von Freundschaften aufbrachten. Andererseits bemerkten viele Rückkehrer im Alltagsmanagement die auf jene zeitintensive Auswanderungserlebnisse zurückzuführende persönliche Entfremdung von der deutschen Mehrheitskultur, so dass zahlreiche Remigranten plötzlich mehr Gemeinsamkeiten mit den Mitgliedern ihrer ehemaligen australischen Gastgesellschaft teilten als mit ihren deutschen Landsleuten. Akkulturationsund Assimilationsmechanismen während der australischen Migration auf Zeit zeigen in dieser die eigene Identität hinterfragenden Grenzüberschreitung ihre Wirkungskraft, in deren Sogkraft Deutschland für Rückwanderer unter kulturellen Gesichtspunkten zu einer entterritorialisierten Ethnolandschaft avanciert. Unrealistische Erwartungshaltungen gegenüber Deutschland entsprangen vor allen Dingen aus den nostalgisch idealisierten Erinnerungen, bei denen die positiv konnotierten Episoden eine Überhöhung fanden und negative Erlebnisse gänzlich ausgeklammert wurden. Zudem intensivierten kurze Aufenthalte auf Urlaubsbasis – bei der die wahren Lebensbedingungen stets unter verzerrten Grundvoraussetzungen wahrgenommen werden – sowie von deutschen Verwandten bzw. Freunden verfasste Briefe – die stets mit der Intention geschrieben sind, zur Rückkehr zu animieren und deshalb ausschließlich die schöne heile Welt zum Inhalt haben – die Produktion dieses idealisierten Images deutscher Gefilde. An dieser Stelle lässt sich deutlich machen, wie flüchtig und temporal bestimmte Lokalitäten als Ergebnisse kultureller Konstruktionen sein können. Heimat wird zu einer fragilen soziokulturellen Errun-

49 Zitat aus dem Interview mit Ursula Fornett, datiert auf den 16.10.2007.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 203

genschaft, die sich kontinuierlich Neudefinitionen und Revidierungen unterziehen muss. Jene aus der australischen Perspektive in einem kreativen Prozess entworfenen imaginierten Welten der Bundesrepublik erwiesen sich während der erfahrenen Lebenswirklichkeit als zunehmend fremd und verloren somit ihr ehemals identitätsstiftendes Potenzial. Manche Migranten erlebten in ihrem zwangsläufig zwiespältigen, krisenanfälligen und von kulturellen Kontroversen durchsetzten Verhältnis zu Deutschland einen Weg des Scheiterns, der in der fehlgeschlagenen Wiedereingliederung in Deutschland mündete, und für den aus der Retrospektive grundsätzlich sowohl die veränderten Grundkonstanten des Wahrnehmungs- wie Beurteilungssystems als auch das nostalgische Nachhängen an längst zur Vergangenheit gehörenden Selbstverständlichkeiten verantwortlich gemacht werden. Konsequenterweise erfolgte die Rückkehr der Partizipanten des in diesem Kapitel näher beleuchteten Wanderungsabkommens, das ursprünglich eine von staatlicher Seite organisierte Regulierung der Mobilitätsströme als Ziel formulierte, nach Australien, für deren Beweggründe eine Reaktualisierung und Transmission der kulturellen Identität verantwortlich gemacht werden kann (Gmelch 1992: 290).

204 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

3.4 1974–1980: „W O LIEGT DIE Z UKUNFT ?“ E MIGRATION IN DEN AUFSTREBENDEN ASIATISCH PAZIFISCHEN W IRTSCHAFTSRAUM „Somit war das auch für mich damals ein Gedanke, oh, Australien hat Zukunft. Das ist ein reiches Land, es ist aber nicht so ein Grenzland wie Neuseeland, wo es einfach von der Einwohnerzahl zu gering ist, um sich zu behaupten.“50

Die Phase der kontinuierlich über zwei Jahrzehnte praktizierten, auf binationalen Wanderungsabkommen gründenden Anwerbungsbestrebungen von Migranten fand zu Beginn der 1970er Jahre aufgrund zahlreicher gesellschaftlicher und politischer Faktoren in Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum ein Ende. Ein Überdenken der Praktikabilität sowie Nützlichkeit dieser interkontinentalen Immigrationsströme sowie veränderte gesellschaftliche Ansprüche auf beiden Seiten verringerten die Quantität der deutschen Auswanderung nach Australien in drastischem Ausmaße, was sich deutlich in der geringen Zahl des in diesem Kapitel verwendeten Samples niederschlug. Dabei kann es nicht als ausreichend betrachtet werden, ausschließlich auf den Sachverhalt der zahlenmäßig verringerten Mobilitätsrate von Deutschland nach Australien hinzuweisen, vielmehr muss zunächst die Frage von Interesse sein, worin die gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Determinanten für dieses doch außergewöhnliche Phänomen zu suchen sind. Zum einen stellte sich die Frage, warum Deutsche nur noch in einem geringen Quantum Richtung Südpazifik aufbrachen. Zum anderen tauchen auf der gegenüberliegenden Seite des Globus neue Koordinaten auf, die das von innovativen wirtschaftlichen Ansprüchen der australischen Regierung im asiatischen Raum sowie das von einer neuen ökonomischen Weltpolitik geprägte gesellschaftliche wie geoterritoriale Feld in den 1970er Jahren absteckten. Mit der im Folgenden vorgenommenen analytischen Skizzierung dieses multidimensional verwirbelten Geflechts von ökonomischen Grundvoraussetzungen und globalpolitischen Koalitionsschlüssen im Spannungsverhältnis zwischen europäischem und asiatisch-pazifischem Kulturraum wird der Boden für die Beantwortung der Frage nach den quantitativ geringen Auswanderungszahlen geebnet und der holistische Blick befördert. Die strukturellen sozialen Bedingungen zu Beginn der 1970er Jahre gingen vornehmlich zurück auf Phasen der unvorhersehbaren und langjährigen wirtschaftlichen Hochkonjunkturerfahrung seit den anfänglichen Boomjahren zu Beginn der 1950er Jahre. Jene einzigartige Trendperiode der stetigen Aufwärtsbewegung von

50 Zitat aus dem Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 205

1950 bis 1973 wurde in der Bundesrepublik begleitet von einem selbstbewussten Erstarken der Bevölkerung, die sich dabei auf die eigene, scheinbar unbegrenzte Leistungsfähigkeit, die langjährige Expansion und extraordinäre Wachstumsraten berufen konnte. Resultat dieser „wohlstandsverbürdende[n] Kraft“ jenes exportbasierten Aufschwungs, so Hans-Ulrich Wehler, war eine Verdreifachung des Realeinkommens bis 1973, eine bis zu diesem Jahr anhaltende Vollbeschäftigung sowie ein stabiles Hochlohnniveau der bundesdeutschen Bevölkerung (Wehler 2008: 58ff.). Direkte Auswirkungen übte die Ölkrise von 1973 auf den Wohlstand sowie die idealistischen Erwartungen eines vorgeblich permanent fortsetzbaren deutschen Wirtschaftswunders aus. Die westliche Welt verfiel angesichts ihres Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber dem Rohstoff Öl, der als signifikante energetische Triebkraft den ganzen Aufschwung erst möglich machte, in ein stagnierendes Wachstum mit ansteigenden Quoten von Arbeitslosigkeit, die zur Mitte der 1970er Jahre 4,2 Prozent erreichten und bis 1979 wieder auf 3,4 Prozent sanken (Faulstich 2007: 12). Jene wirtschaftliche Rezession aus dem Herbst 1973 hatte in den Folgejahren reale Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der deutschen Bevölkerung – man denke nur an die autofreien Sonntage – und jene, die fabulösen Jahre unterbrechende Zäsur besaß Züge eines alles erschütternden und tiefgreifenden Systemschocks für die westeuropäischen Wirtschaftsmächte, bei dem der gesellschaftliche Wertekonsens zur Debatte gestellt wurde. Entgegen diesen leicht apokalyptisch anmutenden Tendenzen dieses wirtschaftlichen Kollaps zählte Deutschland zu der damaligen Zeit nach wie vor zum engeren Kreis der reichsten Länder der Welt. Diese starren Denktraditionen, die in den Kernjahren des deutschen Wirtschaftswunders Grund gelegt wurden, hatten nachhaltige Auswirkungen auf die Grundüberzeugung eines großen Teils der Bevölkerung, die sich unter einer verkürzten Wahrnehmung der Realität darauf berief, dass diesen Zeiten des wirtschaftlichen Dilemmas ausschließlich ein periodischer Charakter innewohne und eine Fortsetzung des Aufwärtstrends nur eine Frage der Zeit sei. Somit bestanden vor dem Jahr des markanten ökonomischen Einschnitts aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten überhaupt keine direkten Push-Faktoren, aus Deutschland auszuwandern, wenngleich nach 1973 die unmittelbaren Nachwehen der Prosperitätsjahre sowie das Hoffen auf die unbekümmerte Weiterführung der außergewöhnlichen Wachstumserfolge viele Deutsche davon abhielt, ein Land mit ungeahntem Potenzial an Ertragswertschöpfung zu verlassen. Dazu kam der Stopp von Rekrutierungsversuchen der australischen Regierung, die sich im öffentlichen Leben des deutschen Bundesbürgers insofern äußerte, als dass er in der Tagespresse, an Litfaßsäulen oder in Schaufenstern plötzlich nicht mehr den in den 1960er Jahren noch nahezu allgegenwärtigen Slogan „Wollen sie Australien kennenlernen?“ las, der für die Emigration nach Australien Werbung betrieb. Hierin ist abzulesen, dass sich die Einstellung Australiens gegenüber dem Zustrom von europäischen Migranten – wie gezeigt handelte es sich dabei vorwie-

206 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

gend um zur manuellen Arbeit verpflichtete Immigranten – im Hinblick auf veränderte allgemein globale, aber auch spezifisch geoökonomische Entwicklungstendenzen im asian-pacific rim modifiziert hatte. Für Australien bedeuteten die Konsolidierungen sowie der Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einerseits den Verlust wichtiger Handelspartner für den Absatz seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse, andererseits kam es zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten unter den Gastarbeiterübereinkommen zu einem regen Austausch von Arbeitskräften, was zu einer Intensivierung binneneuropäischer Migrationsdynamiken führte, jedoch für Australien eine Regression einläutete, weil viele potenziell Auswanderungswillige den weiten Weg in den Südpazifik als nicht mehr lohnenswert erachteten. Zeiten ökonomischer Flauten begegnete bereits die Labour-Regierung unter Gough Whitlam mit drastischen Reduzierungen der Aufnahmekapazitäten von Immigranten und einer zeitweiligen Schließung des Departments of Immigration im Jahre 1974, da drückende Arbeitslosigkeit die Not der eigenen Bevölkerung erhöhte. Die liberalkonservative Nachfolgeregierung unter Malcolm Fraser (1975–1983), bekannt vor allem wegen ihrer human-liberalen Attitüden gegenüber Flüchtlingen und der institutionellen Rahmensetzung des australischen Multikulturalismus durch den damaligen Immigrationsminister Michael McKellar, installierte das Department of Immigration and Ethnic Affairs neu und favorisierte Migrationsprogramme auf der Basis der Familienzusammenführung, womit man den sinkenden nationalen Geburtenraten entgegensteuerte (Jupp 2007: 38ff.). Wie bereits in Kapitel 2.4 Erwähnung fand, endete die White Australia Policy letztendlich mit der als Resultat des Vietnamkriegs zu klassifizierenden Flucht von circa zehn Millionen Menschen aus Indochina, in deren Kontext Frazer – mehr aufgrund der Ernsthaftigkeit des sozusagen vor der australischen Haustür sich abspielenden Szenarios als aus eigenem innerem Handlungsimpuls heraus – dazu gezwungen wurde, konzeptionelle Richtlinien in Gesetzesentwürfen einfließen zu lassen, die eine großangelegte Aufnahme von Asylsuchenden in Australien garantierten. Eine open door policy wurde zwar längst nicht von allen Australiern gebilligt, sie war aber eine außenpolitische Notwendigkeit, um sich in erster Instanz solidarisch gegenüber seinen direkten Nachbarländern zu zeigen. In zweiter Instanz verlieh Australien mit dieser höchst symbolreichen Geste der eigenen Intention Ausdruck, die bestehenden diskriminierenden Einwanderungsrichtlinien auf der Basis von Rasse, Hautfarbe und Nationalität zu überwinden. Indes war die multikulturalistische Ausrichtung eine Antwort auf fundamentale Veränderungen innerhalb der australischen Kultur, der demografischen Zusammensetzung sowie der geopolitischen Situation während der lange andauernden Expansionsphase der Nachkriegszeit. Mitte der 1970er Jahre ereignete sich ein Wendepunkt im globalen Kapitalismussystem, bei dem neue Formen der Produktion, Distribution sowie ökonomischen Regulation die neuen Zukunftsvisionen bestimmten. Der lange wirtschaftliche Boom der Nachkriegsjahre basierte vornehm-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 207

lich auf dem primären und sekundären Sektor, doch am Wendepunkt von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft war eine Deindustrialisierung bereits im vollen Gange, so dass nun die Wertigkeit einer Aufnahme von zahlreichen Arbeitsemigranten langsam, aber sicher gegen Null tendierte. Einflussreiche international operierende Firmen revidierten ihre Geschäftsverflechtungen und verschoben ihre Investitionen aus alterskranken Industriezentren in neue Innovationszentren, die vermehrt im asiatischen Ballungsraum zu finden waren. Zeitgleich kam es aufgrund der Technisierung ganzer Bevölkerungsteile zu einer elektronischen Revolution, die eine Dequalifizierung der bis zu diesem Punkt stark nachgefragten Industriearbeiter nach sich zog. Effizienzdenken und Rationalismus bestimmten nunmehr die innovativen Formen der Migration, die sich hauptsächlich am anhaltenden ökonomischen Aufschwung der unmittelbaren Nachbarstaaten in Nordost- und Südostasien orientierte (McGillivray 1997: 62).51 Dabei dürfen wir allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass diese hier beschriebenen Migrationsprogramme und Bevölkerungsangelegenheiten Australiens ausschließlich vor dem Hintergrund der Sicherung eines starken und nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstums sowie der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu betrachten sind, da in jüngster Zeit eine Favorisierung von hochqualifizierten Arbeitskräften für den technologischen und tertiären Sektor zu verzeichnen ist (Ruddock 2003: 74f.; Bottomley/Price/Clyne 1994: 34f.). Der Charakter der Einwanderung veränderte sich während der verstärkten Integration Australiens in die globale Marktwirtschaft insofern, als dass der gut ausgebildete Asiate den Migranten der europäischen Arbeiterklasse ablöste (Zubrzycki 1981: 167ff.), so dass die erste Generation von Süd- und Osteuropäern ihre Führungsrolle allmählich einzubüßen schien, weil sie den ausdifferenzierten Qualitätsanforderungen nicht mehr genügte (Castles 1992a: 21). Während dieser ökonomischen Umstrukturierung sah Australien von der weiteren Rekrutierung von weniger spezialisierten Einwanderern aus dem europäischen Süden und Südosten ab und fokussierte seine Suche auf hochqualifizierte Einwanderer aus den asiatischen Nachbarländern. Die Aufnahme von Flüchtlingen bzw. die zeitlich später entworfe-

51 Gerade als den Immigrationsbestimmungen eine nichtdiskriminierende Tendenz zugesprochen werden konnte, bewegte sich die Politik für Einwanderung mit dem Inkrafttreten des von Kanada adoptierten Punktesystems NUMAS (Numerical Multifactor Assessment System) am 1. Januar 1979 in eine benachteiligende Richtung. Unter der subjektiven Beurteilung der einwanderungsbehördlichen Untersuchung sollten zukünftige Zuwanderer auf objektive Faktoren wie Sprachbeherrschung, Beschäftigungsmöglichkeit, Ausbildungsgrad und ökonomische Voraussetzungen hin überprüft werden. Dieser allgemeinen Zugangsbeschränkung kam des Weiteren die Funktion zu, die stets bestehenden Ängste vor einer immigrationsbedingten Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu besänftigen.

208 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nen Programme der Zusammenführung von Familienmitgliedern aus den Krisengebieten Indochinas besaß die Aufgabe, die Überalterung der australischen Gesellschaft zu hemmen. Eingebettet in den dynamischen asiatisch-pazifischen Raum, dessen wirtschaftliche Machtposition angesichts des Innovationsvorsprungs Japans und der so genannten newly industrializing economies (Schwellenländer) Taiwan, Republik Korea, Malaysia und Singapur immer größere und lukrativere Ausmaße annahm, sah sich Australien gezwungen, neue machtpolitische Strategien zu entwerfen. Grundlage für die multilateralen Verknüpfungen der asiatisch-pazifischen Region in Bezug auf die neoklassische Ökonomieausrichtung bildete die Realisation der Association of South-East Asian Nations (Massey/Arango/Hugo 1998: 161), so dass das gegenwärtige Mosaik des anthropogenen Bewegungsflusses in dieser innovationsfreudigen Handelszone noch bunter, intensiver sowie multifaktorieller in Erscheinung trat (Arango 2004: 22). Bereits 1978 hieß es in einer programmatischen Stellungnahme zur gegenwärtigen Ausrichtung, dem Galbally Bericht, bezüglich der Migrantenkultur: „We are convinced that migrants have the right to maintain their cultural and racial identity and that it is clearly in the best interests of our nation and that they should be encouraged and assisted to do so if they wish“ (Galbally 1978: § 9.6). Jeder Neuankömmling sei folglich dazu berechtigt, sein mitgebrachtes kulturelles Gepäck an Traditionen ohne jegliche Form von Ressentiments zur Entfaltung zu bringen und er sollte dazu ermutigt werden, die Kultur der disparaten Gruppenidentitäten und die Heterogenität von Lebensstilen zu verstehen. Speziell auf Emigranten zugeschnittene Radio- und Fernsehsendungen, die ein Diffundieren von heterogenen Wissensbeständen zwischen den unterschiedlichen Kulturen anstrebten, formten die Grundlagen einer staatlich geförderten Bildungsoffensive (Foster/Stockley 1984: 117ff.). Als der damals achtzehnjährige Paul Könnecke mit seinem Vater und seinem zehn Jahre jüngeren Bruder im Jahre 1974 nach dem Fünften Kontinent auswanderte, hatten sie nach dem plötzlichen Tode eines nahen Familienmitgliedes einen fast vier Jahre andauernden Entscheidungsprozess durchlaufen, in dem sie zahlreiche Länder persönlich bereist, diese auf bestimmte Faktoren hinsichtlich einer permanenten Auswanderung untersucht und schlussendlich per subjektivem Ausschlussverfahren eine Entscheidung für Australien getroffen hatten. Der Vater von Paul Könnecke war Besitzer von mehreren Firmen im Süden Deutschlands, nebenbei als Unternehmensberater tätig und wurde innerhalb des Interviews als ein Mensch beschrieben, der aufgrund seines intensiven Arbeitsengagements nach dem unerwarteten Tod seiner Frau plötzlich allein mit zwei Kindern dastand, die er kaum kannte. In dieser pathogenen Krise des Übergangs vom verbrachten zum verbleibenden Leben, in der die bisherige Lebensführung überdacht und gefühlsmäßig in Zweifel gezogen wurde, lag die Entscheidung nahe, mit allem Bisherigem zu brechen. Nach der Beerdigung quartierten sich Vater und Söhne in einem Hotel in Irland ein, um zwei bis drei Wochen über „Gott und die Welt und den Sinn des Le-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 209

bens“52 nachzudenken, den Entschluss zur Emigration zu konkretisieren und das Für und Wider genau abzuwägen. Väterlicherseits, von wo aus der Entschluss zur Auswanderung angestoßen und weiterentwickelt wurde, gab es, bis auf den Wunsch nach einem Leben in unmittelbarer Meeresnähe und der trotz von Willi Brandt betriebenen Entspannungs- und Friedenspolitik bei der Überwindung des Ost-WestKonfliktes geäußerten Befürchtungen eines Ausbruchs des Dritten Weltkriegs in Europa, kaum präzise Vorstellungen von der neuen Destination. Im emotionalen Kraftfeld der familiären Trauerbewältigung stand zunächst die sinnstiftende Suche nach einem besseren und erfüllteren Leben im Zentrum des Interesses. Als hauptberuflicher Unternehmensberater und in der Tradition rationaler Überlegungsführung stehend, begann Könnecke sen. mit der Prüfung bestimmter in Frage kommender Auswanderungsziele auf dem Globus, die an eine empirische Herangehensweise erinnerte. Eingangs konsultierte er Bücher und Seminare und in einem zweiten Schritt bereiste er mit seinen Söhnen Länder selbst, um sich vor Ort ein Bild zu verschaffen. Zu den oben erwähnten Eingrenzungen kam gerade mit Verweis auf die Entwicklungsmöglichkeiten der beiden noch sehr jungen Söhne hinzu, dass die neue Heimat ein Land sein sollte, in dem die Zukunftsperspektive eine wirtschaftliche Prosperität versprach, d. h. dem ein wirtschaftliches Potenzial zukam. Diese polylokale Selektion zur Bestimmung eines geeigneten Aufnahmelandes wurde während der Gespräche vom Informanten als ein mehrjähriges Unterfangen ausgewiesen, das die Auswanderungswilligen von der Schweiz, über Südeuropa zu den Vereinigten Staaten von Amerika, nach Kanada, Südamerika und schließlich nach Australien führte. Während der Konversation fanden Gründe und Faktoren, die gegen eine Immigration in die hier aufgeführten einzelnen Länder und Regionen sprachen, eine differenzierte Kommunizierung und kohärierten in authentischer Manier mit der Chronologie der Entscheidungsfindung. Als ausschlaggebender Umstand gegen die südeuropäischen Länder wie Spanien, Italien und Griechenland wurde zum Beispiel ihre damalige wirtschaftliche Rückständigkeit ins Feld geführt, Kanada war schlichtweg von den dort vorherrschenden Temperaturen zu kalt, an den USA, wohin familiäre Bande gespannt werden konnten, störten die subjektiv erfahrene Oberflächlichkeit vieler US-Bürger sowie die stark ausgeprägten Tendenz des darwinistischen Topos des survival of the fittest, dies meint ein unsoziales Verhalten gegenüber Mitmenschen. Das Leben in Süd- und Mittelamerika wurde nur dann als himmlisch erfahren, wenn es einem potenziellen Neubürger nichts ausmachte, hinter einem Stacheldrahtzaun, einer hohen, mit Glasscherben versehenen Mauer zu leben und mit dem Revolver unter dem Kissen zu schlafen. Die Apartheid in Südafrika und das nicht angestrebte Leben als weißer Kolonialfürst in Rhodesien nahmen dem afrikanischen Kontinent von Beginn an seine Attraktivität. Asien sowie der

52 Zitat aus dem Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008.

210 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Nahe und Mittlere Osten spielten bei den Überlegungen der Migration überhaupt keine Rolle. So ziemlich am Ende der Welt angelangt, hatte man bis auf Australien alle anderen Alternativen eliminiert, so dass man sich nach eingehender Literaturrecherche 1973 dafür entscheiden konnte, eine insgesamt zehnwöchige Reise nach Down Under in Angriff zu nehmen, bei der mit dem Auto die größeren Städte Sydney, Canberra, Melbourne, Adelaide, Perth, Brome, Darwin und Brisbane auf ihre Lebens- und Wirtschaftsqualitäten hin sondiert wurden. Dem gingen ein enger Kontakt zur Industrie- und Handelskammer sowie zu den Botschaften und intensive Gespräche mit den führenden Geschäftsleuten voraus. Das Erreichen eines hohen Lebensstandards mit verhältnismäßig geringem Aufwand sowie der Eindruck, dass in den 1970er Jahren das Geld in Australien auf der Straße lag, nachdem man sich nur zu bücken musste, wirkten anfänglich migrationsfördernd. Um nicht dem ersten und emotional besetzten Eindruck, den Australien ohne Zweifel auf alle Familienmitglieder ausübte, zu verfallen, folgte nach dieser Reise zur Gewinnung von Informationen eine temporäre Rückkehr nach Deutschland, an den sich ein Jahr später neuerlich ein 36 Stunden andauernder Flug von Frankfurt zur intentionalen Visitation der Städte Sydney, Canberra und Melbourne anschloss, die eine letzte Entscheidung bringen sollte. Letztendlich fiel das Votum bei diesem Besuch auf Canberra, da die Australian Capital Town über ein gut ausgebautes Straßennetz verfügte, kein hohes Verkehrsaufkommen besaß, eine ruhige und gemächliche Atmosphäre ausstrahlte und in unmittelbarer Nähe zu den beiden großen Metropolen in Victoria und New South Wales gelegen ist. An der damaligen 3,5-Millionenstadt Sydney störten die aus weniger urbanen Regionen entstammenden Süddeutschen die das tägliche Leben beherrschende Hektik und die Schnelllebigkeit sowie die hohe Luftfeuchtigkeit im australischen Sommer. Aus der Rückschau veranschaulichte Könnecke, der zur Zeit der Auswanderung jugendliche achtzehn Jahre alt gewesen ist, die Auswanderung mit Vater und Bruder als ein aufregendes Abenteuer und verweist im gleichen Moment auf den nicht unwichtigen Sachverhalt, dass sie im Unterschied zu anderen Migranten in Australien nicht ohne eine finanzielle Absicherung einen Neustart begannen. Dank des Verkaufs aller betrieblicher Güter bzw. Immobilien in Deutschland und des migrationsbedingten Transfers des vorhandenen finanziellen Vermögens war ein sorgenfreies Leben in einem von Wirtschaftspotenzial nur so strotzenden Land wie Australien nahezu programmiert: „Wir haben ja nicht hier mit null angefangen, sondern kamen rein und der Mercedes wurde auch geliefert.“53 Bewusst traf der Vater von Könnecke die Entscheidung für Australien einerseits zur Verbesserung seiner work-life balance, die nur dann eine regenerierende Kraft entfalten konnte, wenn er unter dem Leben in Deutschland einen Schlussstrich zog. Andererseits fasste er diesen biografisch einmaligen Entschluss in erster Linie für

53 Ebd.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 211

seine Kinder, deren Leben in der Bundesrepublik von mannigfaltigen Zwängen sowie Auflagen determiniert wurde. Könnecke jun. machte dies wie folgt deutlich: „Vergessen Sie nicht einen Aspekt, den ich vorher nicht nannte, der aber auch sehr wichtig war, […] die Ölkrise, die Anfang der 1970er Jahre war. […] Die damals […] uns klar machte, dass Industrieländer, die keine Ressourcen haben, also keine Eisenerze und was weiß ich, im Prinzip von den Ländern mit Ressourcen erpresst werden. Damals war es ja an sich eine Erpressung der Ölscheichs, heute hat es einen anderen Grund. Und in Australien sitzt man hier auf dem Zeug. Klasse, da ist die Zukunft. Schauen Sie sich den Boom der Wirtschaft in den letzten paar Jahren an. Warum hat es hier so geboomt? Ganz einfach, jeder will, was wir unter dem Dreck haben.“54

Risikofaktoren wie die permanente Bedrohung infolge des Kalten Kriegs, die Dependenz von den Energiequellen besitzenden Staaten und die daraus resultierenden Folgeerscheinungen dieser Rezession in Deutschland standen dem Vorhandensein ökonomischer Mittel, der Möglichkeiten und der Energie in Australien gegenüber. Migration entspricht hier einem immens kalkulierten wie rationalisierten Vorgehen fernab von Fehlattributionen und einer selektiv-verzerrten Informationsaufnahme, bei dem die Strategie der wirtschaftlichen Risikominimierung insofern Realität wurde, als wohl durchdachte Marktuntersuchungen und Kosten-Nutzen-Analysen durch die Einholung wie Auswertung von Informationen zur wohlüberlegten Langzeitinvestition des eigenen Humankapitals in Australien zum Tragen kamen. Entdeckungen von wertvollen Rohstoffvorkommen wie Uran, Kohle und Braunkohle in exorbitanten Mengen, ihr kostengünstiger Abbau sowie eine Intensivierung von Außenhandelsbeziehungen mit den wirtschaftlich rasant aufstrebenden asiatischen Bündnispartnern zur zukünftigen Erschließung und Vermarktung der in Australien unter der Erde schlummernden Energiequellen trassieren jene makrostrukturellen Teilbereiche der individuellen Migrationsentscheidung (Voigt 1988: 156f.). Als migrationsleitenden Mechanismus, so könnte ein Zwischenfazit lauten, fungierte am Rande einer persönlichen Sinn- und globalen Wirtschaftskrise die bilanzierende Frage, wo in der Zukunft ökonomischer Erfolg erlangt werden könnte. Als integrationszuträglich kann der Umstand ausgewiesen werden, dass Paul Könnecke die englische Sprache in Grundkenntnissen bereits in Deutschland internalisiert hatte, damit in die Lage versetzt war, an einer australischen Schule sein Abitur abzulegen und anschließend ein Studium an der Universität von Canberra aufzunehmen. Nach den ersten sieben Jahren der Konsolidierung der Lebensverhältnisse in Canberra zeigten sich vordergründig wiederum wirtschaftliche Motive für die im Jahr 1981 erfolgte Binnenmigration nach Sydney verantwortlich, ob-

54 Ebd.

212 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

schon eine monokausale Erklärung auch hier schwer fällt. Auf der Suche nach lukrativen Mandanten verlegte der junge Anwalt und Steuerberater seinen Wohn- und Arbeitsplatz innerhalb der gleichen nationalen Grenzen in das profitable Zentrum Australiens, einen sich globalisierenden Standort, der Organisationen der Weltwirtschaft, dezentralisierte Finanzunternehmen, spezielle Dienstleistungsfirmen und innovative Produktionsweisen vorzuweisen hatte. Neben dieser beruflichen Entschlussfassung zur Binnenmigration spielte abermals eine Affinität zu einem gewissen Lifestyle eine ausschlaggebende Rolle, hier insbesondere geologische wie klimatische Anreize, die Sydney gegenüber seiner alten Konkurrentin Melbourne den Vorzug zu teil werden ließ: „Für Australien ist Sydney meiner Ansicht nach der ideale Platz. Die Leute in Melbourne sehen das wahrscheinlich genau umgekehrt und ich möchte dem auch überhaupt nicht widersprechen, Melbourne hat auch sehr viel zu bieten. Aber was ich brauche, sind Berge, hätte ich beinahe gesagt, das ist übertrieben, aber wenigstens Hügel, mir ist Melbourne zu flach. Und es ist mir auch zu kalt. Wir müssen ganz ehrlich sein … Es ist ein nördlicher Ausläufer der Antarktis. [Anm. d. Interviewers] Ja, und vor allem das Meer ist nicht zu gebrauchen, es ist zu kalt und es wird nie richtig warm. 18, 19, 20 Grad, ja, ich möchte doch nicht an die Nordsee. Hier, wir waren gerade, wir haben noch ein Haus in Narrabeen direkt am Meer und das ist wunderschön, im Moment hat das Wasser noch 20 Grad und es ist Winter. Und im Sommer hat es 23 oder 24 Grad, das ist angenehm.“55

Nicht der Mangel an erprobten Entscheidungsstrategien und Reflexionskriterien, sondern eine (vermeintliche oder tatsächliche) additive Verbesserung der Lebensweise des Auswanderers im Ravenstein’schen Sinne übte bestimmenden Charakter auf die Motivebene der innerstaatlichen Mobilitätsprogression aus. Stark vereinheitlicht waren die Faktoren Sonne, Klima, Stadtstrände, topografische Gegebenheiten sowie die infrastrukturellen Qualitäten der Millionenmetropole als einem zentralrepräsentativen Knotenpunkt, an dem sowohl kulturelle als auch wirtschaftliche Vektoren zusammenlaufen und in dessen siedlungsarchitektonischer Textur das Betreiben eines fortgeschrittenen Kapitalismus praktikabler erschien, ins Gewicht fallende Stimuli für den Wechsel von Canberra nach Sydney. Der Unterschied zwischen der im vorherigen Kapitel thematisierten Migrationsdynamik, die hauptsächlich im manuell-handwerklichen Sektor tätige Arbeitsemigranten beinhaltete, und den Auswanderern der 1970er Jahre ist frappierend. Iro-

55 Ebd.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 213

nischerweise besorgten europäische manual workers mit der technischen Erschließung des Kontinents die Grundsteinlegung für die Inaugurierung Australiens in das globale Markt- und Kapitalsystem, konnten den spezifischen Ansprüchen im Nachhinein jedoch nicht gerecht werden und trugen selbst zu ihrer Dequalifizierung bei. Ein Umbau der Industrie, die Abschaffung von Subventionen und die Reduzierung von bisher tariflich abgesicherten Gehältern pflasterten den Weg zu einer Erodierung von Arbeitsangeboten auf der manuellen Ebene, für den Zuwanderer in Australien traditionell herbeigeholt wurden. Da diese im unmittelbaren Kontext des ökonomischen Strukturwandels von arbeitsintensiven zu kapitalintensiven Produktionsbereichen der 1970er Jahre zahlenmäßig obsolet wurden, legte das Department of Immigration großen Wert auf die Selektion ausschließlich den neuen Anforderungen Genüge leistenden Immigranten. Während bis zur ökonomischen Zäsur europäische Quellen den Immigrationsfluss in Australien stark prädominierten, verlor jenes Land im südlichen Pazifik für ungelernte wie halbprofessionalisierte Migranten an Anziehungskraft, weil mit dem rapiden Fortschreiten des technologischen Lebensstandards sowie dem immer weiter verzweigten multinationalen Finanznetzwerk das Bedürfnis nach einem Humankapital mit professioneller Businessund Managerexpertise an enormer Bedeutung gewann. Als Beispiel kann Dierk Mohrhardt angeführt werden, der zuerst nach seinem erfüllten Zweijahresvertrag bei der ANZ Bank in Melbourne nach Deutschland remigrierte, um dann im Jahre 1975 angesichts seiner interkulturellen Arbeitserfahrungen im überseeischen Ausland von der Deutschen Bank in die Filialniederlassung nach Sydney entsandt zu werden. Dem Posten als Assistenten des Repräsentanten der Deutschen Bank in Sydney folgten innerhalb der nächsten fünf Jahre Entsendungen bzw. Neuanstellungen in Südafrika und New York. Bereits die 1975 unter der Whitlam-Regierung realisierte Entsendung durch den Arbeitgeber erfolgte unter verschärften Einwanderungsbestimmungen, so dass die zur Migration bereiten Eheleute Mohrhardt in Frankfurt „sechs Wochen auf den gepackten Koffern saßen“56 und auf einen Stempel in ihrem Pass warteten. Nach der Geburt der ersten Tochter in den USA ging der Entschluss, sesshaft zu werden bzw. nicht jedes Jahr in einem anderen Land leben zu wollen, mit dem Wunsch einher, wieder nach Australien einzuwandern. Dieses Vorhaben war nach der restriktiven Trendwende gegen Ende der 1970er Jahre und mit der Einführung des die Immigrationsquoten regelnden Kontroll- und Punktesystems NUMAS jedoch mit diversen bürokratischen Schwierigkeiten verbunden, die es zu überwinden galt. Um eine neuerliche Immigration nach Sydney zu verwiklichen, musste ein in Australien lebender naher Freund einen Antrag zur assistierten Einwanderung auf der Basis des persönlichen sponsorship stellen, in dem er der Einwanderungsbehörde nachzuweisen hatte, dass die in seiner Firma von

56 Zitat aus dem Interview mit Traute Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007.

214 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Mohrhardt zu besetzende Stelle nicht von einem bereits lokal ansässigen Arbeitnehmer besetzt werden konnte. Der Applikation wurde stattgegeben und Mohrhardt immigrierte – bereits zum dritten Mal – inklusive Frau und Tochter im Oktober 1980 aus den Vereinigten Staaten von Amerika nach Australien. Resümierend betrachtet, nimmt die Auswanderung der Deutschen nach Australien in den 1970er Jahre eine Sonderstellung ein. Die klassifizierten Schub- und Sogfaktoren besaßen eine enorm abgeschwächte Intensität, was einerseits in dem geringen Quantum des Samples bzw. der tatsächlich nach Australien übergesiedelten Emigranten abzulesen ist. Andererseits lassen sich in dieser Zeitphase des 20. Jahrhunderts ganz neuartige gesellschaftliche, politische und ökonomische Rahmenbedingungen erkennen, deren Implikationen zu einer veränderten Struktur der internationalen Migration zwischen Europa und der asiatisch-pazifischen Region geführt haben und ferner einen Wendepunkt der Auswanderungsdynamiken im australischen Aufnahmeland anbahnten.

3.5 1980–1989:

VON DER G RÜNEN -B EWEGUNG ZUR ALTERNATIVEN L EBENSGESTALTUNG , ODER : DEUTSCHLAND , NEIN D ANKE ! „Also wissen Sie, ich bin aus Deutschland weg, weil ich von den Deutschen die Schnauze voll hatte. Ich wollte einfach aus Deutschland raus. Dreckiges Wetter, schlechte Laune, miese Leute, Hassgesellschaft, Neidgesellschaft, extreme Steuern und Abgaben. Ich hatte 10.000 Mark im Monat brutto verdient und habe noch nicht mal vier mit nach Hause genommen. Wobei es scheißegal ist, wo es bleibt, es war einfach nicht da. Ob das jetzt eine alterskranke Sozialversicherung oder Soli-Zuschlag, oder weiß der Teufel was ist. Wenn von 10.000 Mark weniger als vier am Schluss da sind, dann hat man die Schnauze voll.“57

Nicht nur wegen des zweihundertjährigen Jubiläums anlässlich der britischen Besiedlung des Kontinents 1788 stellte sich Australien in den 1980er Jahren der höchst emotional debattierten Frage nach der eigenen nationalen Identität bzw. nach einem mythischen australischen Nationalcharakter. Der Zeitpunkt dieser Auseinan-

57 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 215

dersetzung war wohl überlegt, hatte doch Australien in den letzten vierzig Jahren die Erfolgsgeschichte von der Verdoppelung der nationalen Bevölkerungszahl unter der groß angelegten Aufnahme von rund 5 Millionen Immigranten aus mehr als 120 verschiedenen Ländern geschrieben, in deren Kontext es der Staatsführung gelang, Kompetenzen, Bildung sowie industrialisiertes und geschäftliches Talent zu entwickeln, welches Australien vom Nimbus einer großen Schafsfarm befreite und zu einer robusten Industrienation mit internationaler Reputation werden ließ. Das nationale Image des weißen bushman-digger aus dem Outback, dessen Alltagsrhythmus scheinbar von der Natur bestimmt wurde, verlor angesichts der Diskrepanz zu einer vornehmlich im urbanen Milieu der Großstädte lebenden multikulturellen Industriegesellschaft nahezu gänzlich seinen Gehalt. Nostalgische Rückbesinnungen auf das australische Idyll der 1950er Jahre, in der eine intakte, in anglokeltischer Tradition stehende Kernfamilie mit Hund und Holden noch nationale Identifikationsfiguren wie Donald Bradman glorifizierte, gehörten nun gänzlich einer überkommenen Vergangenheit an, da bereits in den 1980er Jahren fünf von zehn Australiern Immigranten oder deren Kinder waren (Castles 1999a: 38). Die Hälfte davon entstammte einem nichtenglischsprechenden Hintergrund. Australien war und ist somit von kraftvollen wie mehrdimensionalen ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren der Immigration beeinflusst, so dass jegliche von Sehnsucht erfüllte Stimmung, die sich in der Rückwendung zu einer vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit äußert, die man gerne wieder beleben möchte, gegenwärtig mehr als realitätsfern erscheint. Das Australian Institute for Multicultural Affairs unter dem Vorsitz des Soziologieprofessors Jerzy Zubrzycki nahm die aus dem Galbally Report resultierenden Thesen und Forderungen zur Kenntnis und entwickelte auf deren Fundament innovative Projekte und Dienstleistungen, die den allgemeinen Lebensstandard der Migranten zu verbessern suchten. Fokussierte Übersetzungsdienste, Sprachkurse und Medienofferten gewährleisteten die Basis für eine vollständige Partizipation eines jeden an den sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Institutionen Australiens.58 Die Ermutigung zum Handeln aus Eigeninitiative sowie reziproke Selbsthilfe standen dabei im Vordergrund der behördlichen Bemühungen. Es mangelte keineswegs an theoretischen Überlegungen zur sinnvollen Verbesserung der alltäglichen Lebenssituation der new Australians, da zwischen 1965 und 2000 zahlreiche Dokumente, Reportagen, Schriften und empirische Fallstudien von wissenschaftlicher sowie staatlicher Seite publiziert wurden. Um diese agnoszierten Bestrebungen jedoch in der gelebten Realität zu verwirklichen, bedurfte es zusätzlicher finan-

58 Die Wende hin zu einem multikulturellen Verständnis von Gesellschaften sowie die damit einhergehende Verpflichtung gegenüber den Migranten wird eingehend veranschaulicht bei Stephen Castles (Castles 1992).

216 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

zieller Mittel zur Subventionierung ethnischer Vereinigungen, deren Mitarbeiter nicht nur über die notwendigen Sprachkompetenzen verfügten, sondern ferner vor dem gleichen kulturellen Deutungshintergrund handelten wie ihre Klienten. Diese rein pekuniäre Angelegenheit ging nicht reibungslos von der Hand, da die verschiedenen politischen Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftslobbyisten, die Returned Services League (Kriegsveteranen) sowie Delegierte der ethnischen Minoritäten zu einem einvernehmlichen Konsens kommen mussten. Ethnische Diversität und eine Anerkennung kultureller Differenzen, wie sie bereits von dem in Kanada 1988 verabschiedeten Multiculturalism Act vorgelebt wurden, konnten mit der National Agenda for a Multicultural Australia. Sharing our Future im Juli 1989 von staatlicher Seite offiziell Grund gelegt werden. Unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit des Migranten wurde ein gleichberechtigtes und ganzheitlich integriertes Mitglied der australischen Gesellschaft, das auf einer korrelativen Verbindung von Respekt und Gewinnbringung basierte, als Ziel ausgeschrieben. Die Agenda schrieb sich drei zentrale Konstanten auf die Fahnen: kulturelle Identität, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Effizienz. Diese hier angeführte Trias besitzt für alle Australier Geltung, egal ob Aborigine, anglokeltischer Abstammung oder Migrant aus einer nichtenglischsprachigen Gesellschaft (National Agenda for a Multicultural Australia 1989: 15). Gezielte legislative Machtausübung in Form einer Durchsetzung multikulturalistischer Richtlinien zielte darauf ab, eine soziale Harmonie voranzutreiben, das australische Prinzip des fair go weiterhin sicherzustellen und die menschlichen Ressourcen so zu bündeln, dass sie auf die produktivste Weise für die Zukunft Australiens genutzt werden können (ebd.: 7). Erkenntnisaufschluss über die Rahmenbedingungen bzw. Anforderungen für deutsche Auswanderer gibt ein unter der Schirmherrschaft von Dr. Stephen FitzGerald herausgegebener systematischer Bericht, der, charakteristisch für jene Zeit der 1980er Jahre, die drei Faktoren Wirtschaftlichkeit, Humanität und Mitgefühl für die weitere Aufnahme von Einwanderern ins Zentrum seiner Argumentation rückte und die in den drei folgenden Komponenten zum Ausdruck kamen: generelle Immigration, Flüchtlingsaufnahme und Familienzusammenführung. Gegen die weitgestreuten Antipathien gegenüber nichteuropäischen und insbesondere asiatischen Neuankömmlingen argumentierend, betonte das aus Akademikern und Vertretern aus Wirtschaft und Politik zusammengesetzte Komitee zunächst einen fundamentalen Gedanken, der eine Weiterführung nichtdiskriminierender Richtlinien bei der Selektion von Zuzüglern beinhaltete.59 Der vorherrschende gesellschaftspolitische Fokus lag nun

59 „The Committee recommends that the Government affirm its commitment to immigration policies which are non-discriminatory in respect of national or ethnic origin, race, sex or religion, and that this principle be asserted in all relevant published information“ (FitzGerald 1988: 4ff.)

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 217

mehr denn je auf den eigennützigen wirtschaftlichen Interessen, für deren Realisierung den Immigranten nun spezifische Leistungsanforderungen auferlegt wurden: „But its [immigration] contribution to that Australia will be to a positive harmony of economic benefit and needed skills, a variety of cultural traditions, a contribution to openness and tolerance and sophistication, to economic independence and cultural patronage and creativity, to a racially diverse but harmonious community, a cosmopolitan Australia“ (ebd.).

Die schärfere ökonomische Zentriertheit bedingten straffere Migrationskategorien und Auswahlkriterien, die immer größeren Wert auf berufliche Kompetenzen, Nachweis der Beschäftigungsmöglichkeit auf dem australischen Arbeitsmarkt und erprobte Kenntnisse im Bank- und Managerwesen legten.60 Gerade asiatische Migranten, in deren Herkunftsländern (China, Hongkong, Indien usw.) Australien mehr als die Hälfte seiner Exportprodukte verkaufte und mit Investitionen im Gegenzug die nationale Wirtschaft Australiens stark protegierten, stellten neben den Einwanderern aus humanitären Gründen und wegen Familienzusammenführungen das größte Quantum an den so genannten business and skilled migrants (Hawke 1988). Zu den quantifizierbaren Schlüsselindikatoren dieses neuartigen ökonomischen Rationalismus, der versuchte, den Menschen und sein Humankapital in festgefügte, vom bürokratischen Apparat definierte Kategorien einzugliedern, zählten eigenverantwortliches Handeln im emporstrebenden Finanzwesen, Wissenskenntnisse im Sektor der Budgetierung öffentlicher wie privater Gelder sowie administrative Handlungsfähigkeit. Begleitet wurde dieser Prozess von der daraus resultierenden Existenz einer unüberschaubaren bis Konfusion verbreitenden Vielfalt an unterschiedlichen Visumsklassen. In der Bundesrepublik Deutschland der 1980er Jahre bekamen die Menschen vornehmlich ihre strukturelle Machtlosigkeit hinsichtlich des Mitbestimmungsrechts bei der Lösung von umweltpolitischen und militärischen Konflikten zu spüren, so dass das persönliche Unbehagen in einer von permanenten Krisenszenarien durchzogenen Epoche den Wunsch nach einem alternativen und gleichzeitig besseren Leben in der Ferne vitalisierte. Exportorientierter wirtschaftlicher Aufschwung dank des gesunkenen Ölpreises, die internationale Konsolidierung Deutschlands unter den führenden Mächten des Finanz- und Währungsaustauschs, die Zunahme von globalen Denkhorizonten, die Zuspitzung des Ost-West-Konflikts, gesellschaftlicher Wertekonservatismus, zahlreiche Umweltkatastrophen, Politikverdrossenheit, neues Umweltbewusst-

60 „In 1983 there was a further change which provides for permanent visaed entry to Australia in five categories: 1. Familiy migration (an extension of the old family reunion category), 2. Skilled labour and business migration (occupations in demand), 3. Independent migration, 4. Refugees and special humanitarian programs und 5. Special eligibility“ (Graeme 1986: 88).

218 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

sein und allgegenwärtige Ängste vor den Restriktionen eines übermächtig scheinenden Staatskörpers skizzieren nur ein verkürztes, wenn doch ein der Tendenz entsprechendes Bild von den deutschen Verhältnissen zu jener Zeit, als die Auswanderung nach Australien ein Stück weit zur Heilserwartungsbewegung avancierte. Eine dieser in Narrationen repräsentierten individuellen Migrationsgeschichten stammt von Ulrike Krause aus Frankfurt am Main, in der makrostrukturelle Determinanten, regionale Entwicklungen und gesellschaftliche Ohnmachtsvorstellungen den inneren Prozess der Auswanderungsentscheidung maßgeblich mitbestimmten. Sie illustriert mit ihrem lokal-sozialen Umfeld von politisch aktiven Umweltaktivisten einen Kontext, aus dem heraus spezifische Tendenzen zur Entschlussfassung, ein Emigrant zu werden, entspringen. Jene migrationslegitimierenden individuellen Erzählungen, so die Anthropologin Caroline Brettell, „sometimes demonstrate the complex feelings associated with leaving one’s homeland and becoming an immigrant“ (Brettell 2007: 43). Die Gesprächspartnerin entflechtet in ihrer Aussage, die an dieser Stelle in extenso wiedergegeben wird, eine lebendige und für die 1980er Jahre so typische soziokulturelle Milieueinsicht in eine sich in politischer Aufbruchsstimmung befindenden Umweltbewegung, bestehend aus Aktivisten, Alternativen, Studierenden und Schülern: „Das war auch eine Zeit, die war wirklich bitter. Ich bin da so ein bisschen, ja, viele Leute, die ich kannte damals, die waren so in der Art eingestellt. Das war sehr apokalyptisch, so die ganze Lebenserfahrung. Es war auch weniger das Tschernobyl selbst, aber davor in den Jahren waren ja diese Bürgerbewegungen gewesen. Und jedes Mal hatte sich rausgestellt, dass man da nichts machen kann. Wir in Frankfurt hatten es ja besonders stark mit der Startbahn West, wo ein paar Kids aus den Klassen über mir, haben draußen im Wald sehr viel Zeit verbracht und die haben so viel Polizeibrutalität gesehen, die konnten nie wieder zurück in die Gesellschaft. Weil, wenn du mit sechzehn unschuldig verknüppelt wirst, dann ist das ein bisschen schwierig, das nachher alles zu glauben. Und ich glaube, das war so dieses Gefühl der Hilflosigkeit. So, die können uns hier ein Atomkraftwerk hinstellen und können machen, was sie wollen. Es heißt zwar Demokratie, aber wir können uns nicht wehren. Gleichzeitig sollen wir uns für die Demokratie totschießen lassen, weil der Kalte Krieg gerade heiß war. Man hatte so das Gefühl, Osteuropa will uns totschießen wegen der Demokratie, wir haben aber selber keine Demokratie und werden so ein bisschen eingegiftet. Wirklich so das Gefühl der Hilflosigkeit, was dann sehr glücklich für alle mit der Mauereröffnung sich entladen hat und eine andere Periode fing an. Ich kann mich entsinnen, dass ich um diese Zeit auch Endzeitphantasien hatte und in Deutschland sagte, ich will noch einmal den Himmel sehen, ohne irgendeinen Scheiß irgendwo. Ich muss sagen, als ich dann auswanderte, das war damals mit 14, und als ich damals auswanderte mit 19, dann dachte ich schon, wann kann ich den meinen Naturtraum ausleben?“61

61 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 23.05.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 219

Zu den Begleitumständen des stetigen ökonomischen Aufschwungs der RheinMain-Region zählte besonders der Neubau der Startbahn 18 West, für deren Realisierung erhebliche Mengen an Bannwald abgeholzt wurden und die zu einer zunehmenden Lärmbelastung für die Anwohner führte. In die breite Öffentlichkeit diffundierten zunehmend die bereits in den 1970er Jahren vom Club of Rome formulierten Thesen des begrenzten Wachstums angesichts der kontinuierlichen Vernichtung natürlicher und sozialer Lebenswelten, was die Umwelt- und Protestbewegung der Startbahngegner auf den Plan rief. Diese verliehen ihrer Unzufriedenheit, die sich vornehmlich gegen die hessische Landeregierung richtete, die aus ihrer Bevorzugung von Wirtschaftsfaktoren bei gleichzeitiger Benachteiligung ökologischer Argumente kein Hehl machte, insofern Ausdruck, als dass sie in einer geplanten Besetzungsaktion ein dauerbewohntes Hüttendorf im zur Rodung freigegebenen Flörsheimer Wald errichteten. Dieses aus Holzhäuschen bestehende konspirative Zentrum der Protestler schwang sich zur grünen Hoffnungsoase gegen die als antidemokratisch wie unerbittlich beschriebenen Vorgehensweisen der Obrigkeit und jener staatlichen und kommunalen Institutionen auf, die unter Anwendung von Gewalt für öffentliche Sicherheit und Ordnung sorgten. Politikverdrossenheit, ein allgemeines Gefühl der Hilflosigkeit, der Gedanke, jeglichen Auswüchsen der staatlichen Willkür beim Bau von Kernkraftwerken, dem Fällen von Bäumen und den Schlagstock- bzw. Wasserwerfermethoden der Deeskalation schutzlos ausgeliefert zu sein sowie die grundsätzlichen Zweifel an den demokratischen Strukturen der Bundesrepublik sind Anzeichen dafür, dass der aktuelle Lebensraum zu Beginn der 1980er Jahre als deprimierend bis peinigend wahrgenommen wurde. Dieser in zahlreichen Gesprächssituationen preisgegebenen Enge sowie der Angst vor äußerer Bedrohung und dem Verdruss über die Zustände im Inneren, als eine persönliche Bedrohung der weiteren Biografie ausgewiesen, konnte mit der Flucht in bessere Lebensverhältnisse abseits von bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Flörsheimer Wald, einem unvermeidbaren Restrisiko atomaren Mülls, kontinentalen Schreckensszenarien wie der Explosion des Kernreaktors im ukrainischen Tschernobyl und vor den Gefahren der Globalisierung in der europäischen Risikogesellschaft begegnet werden. Australien, eine Landmasse mit einer ausreichenden Entfernung zur deutschen Kriegs-, Konflikt- und Katastrophengesellschaft, galt für zahlreiche Auswanderer als ein schutz- und heilsversprechendes Refugium, in dem die Luft zum Atmen noch als sauber galt, das Gras grüner erschien und ausreichend Freiraum, Entfaltungsmöglichkeit und Autonomie bereitstand. Mit dem Rückzug in die naturnahen wie naturbelassenen australischen Lebensbedingungen erteilten die deutschlandmüden Aussteiger den deutschen Fortschrittseuphorien ein deutliches „Nein, Danke!“ Ein fluchtartiges Entkommen von den depressiv wirkenden Gesellschaftsverhältnissen, aber auch von klimatischen wie ökologischen Katastrophen gelten in der interdisziplinär ausgerichteten Migrationsforschung zu allen Zeiten als

220 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Indikatoren der Mobilitätsprogression. Ein anschauliches Beispiel gibt der im Jahre 1985 emigrierte Martin Menzel: „Ich bin vor dreiundzwanzig Jahren ausgewandert, das war so gerade in der Zeit der Greenis, das war die Zeit, in der das Atomkraftwerk in Tschernobyl hoch gegangen war. Ja, das war basically die Möglichkeit, aus, ja zu escapen, wie sagt man im Deutschen? Ja, die Flucht zu ergreifen? [Anm. d. Interviewers] Ja, genau die Flucht zu ergreifen. […] Dann war aber dieser Unfall in Tschernobyl und das war basically der I-Tupfen, dass wir gesagt haben, wir gehen. Traumatisch, es war emotional traumatisch. Es hat damals nur funktioniert, weil ich damals achtundzwanzig Jahre alt war und genug Testosteron und Adrenalin in mir hatte und auch genügend pain hatte und genügend Verzweiflung hatte, dass ich gesagt hatte, well, die Freunde, die ich hatte und auch die Bekannten, die ich hatte, Mutter, Vater und Bruder sind mir nicht so viel wert wie meine eigene happyness, meine eigene freedom. Weil ich einfach gesehen habe, dass ich in Deutschland nicht das werden kann, was ich gerne sein will. Weil einfach zu viel Bürokratie da war, zu viele limitations da waren. Deutschland war zu dem damaligen Zeitraum schon unglaublich bürokratisch und ich weiß aber auch nicht, wie es heute ist. Ich habe auch nicht mehr so viele connections mit Deutschland, aber es war früher einfach nur pain in the butt, das war es. Wogegen hier in Australien viel mehr Freiheiten und viel mehr Entrepreneur-Fähigkeiten sind. If you wanna go for it, go for it.“62

Die Suche nach einem von weltlichem Heil erfüllten Leben im Zeitalter der atomaren Eskalation steht im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Hinwendung zur alternativen Erweckungsbewegung des New Age.63 Australien als kognitive Projektionsfläche bediente alle vermeintlichen oder tatsächlich existierenden Begehren nach einem in freundlicher Symbiose zum Menschen stehenden exotisch-fernen Eiland, auf dem die ersehnte Verwirklichung in großer geografischer Distanz zu den bedrückend wirkenden, bürokratischen und menschen- bzw. lebensfeindlichen

62 Zitat aus dem Interview mit Martin Menzel, datiert auf den 13.05.2008. 63 Eine unterschwellige Affirmität von mehreren Gewährspersonen zur Weltanschauung bzw. zur Heilslehre der Esoterik blieb während der Teilnehmenden Beobachtung sowie den einzelnen Gesprächen kein Phänomen, von dem keine Notiz genommen wurde. Zum Beispiel fand der Besuch einer in Sydney abgehaltenen internationalen Vortragsreihe zum Thema Reasons and Sources of Happyness in einem informellen Gespräch Erwähnung. Einen weiteren Gesprächspartner begleitete ich in einen Buchladen, der ausschließlich Literatur zu Themen wie Yoga, Karma, Spiritualität, Meditation, Biodynamik und zur transzendentalen Erbauung des Lesers offerierte.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 221

Einwirkungen politischer, ökonomischer wie ökologischer Beschaffenheit greifbar nahe schien. Nicht das unerbittliche Konkurrenzdenken, nicht die alltägliche Angst ums Überleben im Zuge des in Deutschland allgegenwärtigen Waffenpotenzials in der heißen Dekade des Kalten Kriegs zwischen Ronald Reagan und seinen Gegenspielern im Kreml, nicht der als korrupte und ungerrecht erfahrene Überwachungsstaat64 sollten das weitere Leben der Migranten bestimmen, sondern vielmehr strebten sie nach Glück, Sicherheit, geistiger Freiheit und liberalen Strukturen. Graduell erfuhr die von alltäglichen Traumata und Ohnmachtsgefühlen erschütterte Lebensauffassung mit der Migration in den südlichen Pazifik eine Rekosmisierung des subjektiv wahrgenommenen Lebenssinns, so dass dieser Form der Mobilität des Weiteren eine stark therapeutische Wirkung zugesprochen werden kann. Jene seelischen Bürden, die das Leben der deutschen Beengtheit zu einem schier unerträglichen Unterfangen werden ließen, fasste erneut Ulrike Krause in Worte: „Und das war damals schon stressig, wenn man damals ein Kind gehabt hat. Also ich bin dann zwei Jahre ins Reformhaus gegangen und habe mir da meine Milch geholt. Dann hattest du das so, auf der einen Seite standen die Wissenschaftler und haben dann gesagt: ,Na ja, das kann euch schon umbringen.‘ Und auf der anderen Seite standen die Politiker und sagten: ,Ihr linksradikalen Schweine, glaubt das nicht.‘ Also, wenn ich damals ein Kind gehabt hätte, das wäre schon schwierig gewesen und du konntest auch sehen, dass sich die Politiker einen Dreck um die Leute geschert haben. Das war dann eher eine politische Desillusion. Da gab es dann einen Zug mit Milchpulver und das Milchpulver war radioaktiv und das Milchpulver gehörte der Bundesregierung. Meinst du, die hätten das Milchpulver vernichten können? Der Zug tauchte monatelang wieder irgendwo anders auf und jede Mutter in Deutschland überlegte sich, ob sie Milchpulver kaufen sollte oder nicht. Die Leute haben auch einfach ihren Glauben verloren so ein bisschen.“65

64 Als erzählerisch veranschaulichtes Paradebeispiel vom Orwell’schen Schreck- und Warnbild des Kontrollstaats wird auch gegenwärtig die so genannte „GEZ-Rundfunkpolizei“ genannt, deren Methoden nicht selten mit der Stasi in Verbindung gebracht werden. In Bezug auf den Aspekt der freiheitlichen Entfaltung der eigenen Persönlichkeiten sahen es einige Auswanderer als Angriff auf die demokratischen Strukturen an, wenn Beauftragte nächtens wie Spione an den Häuserfassaden entlanglaufen, um herauszufinden, was der bundesdeutsche Bürger zu einer bestimmten Zeit für Medien nutzt und ob er dafür die nach gesetzlichen Vorgaben zu entrichtende Rundfunkgebühr beglichen hat. Ein kausaler Zusammenhang mit dem Film Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck, in dem die Spionagetätigkeiten der Staatssicherheit in der Kulturszene Ost-Berlins eine Erhellung finden, wurde von einem Befragten umgehend hergestellt. 65 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 23.05.2008.

222 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Bei genauer Betrachtung der beiden zuletzt angeführten Interviewpassagen kommt man unweigerlich zu der Konklusion, dass diese Migranten zu einem bestimmten Grad die Flucht ergriffen, weil sich aus einer schleichenden ökologischen Degradation der Umwelt gesellschaftliche Brennpunkte herauskristallisierten. Die negative Beeinträchtigung der Umwelt, die mit atomarer Verstrahlung durchsetzten Giftrückstände in Erzeugnissen der industrialisierten Landwirtschaft sowie der Gedanke, apathisch diesen gesellschaftlichen wie ökologischen Verwerfungen ausgesetzt zu sein, konstituieren signifikante Abwanderungsmotive der als Umweltflüchtlinge zu kennzeichnenden Menschen.66 Dergestalt wendeten sich Schätzungen zufolge nicht nur 130.000 Menschen im Zuge des Kernreaktorunfalls aus der heute weitgehend verlassenen Umgebung von Tschernobyl ab (Biermann 2001: 25), sondern jene Katastrophe mit kontinentaler Ausdehnung sorgte auch in Deutschland für eine nachhaltige Destabilisierung sozialer Ordnungen. Emigration besaß hierbei mehr denn je eine Ventilfunktion. Die Kulturkatastrophe Tschernobyl, von Helge Gerndt als „ein lebensvolles, kollektiv geprägtes und bewertetes, subjektiv akzentuiertes Bewußtseinsphänomen“ (Gerndt 2002: 92) aufgefasst, zog mit der Verbreitung einer von radioaktiven Strahlungspartikeln durchsetzten Wolke einen Schatten über Mitteleuropa, zu deren kultureller Folgeerscheinung eine gesamtgesellschaftliche Verunsicherung und Veränderung der alltagskulturellen Wirklichkeitskomplexe zu zählen ist. Abkehr von der mit dem Stigma des „sauren Regens“ belegten Landmasse kann folglich sowohl als konkret fassbarer Reflex auf das Unglück selbst als auch die im Gefolge jener Katastrophe einsetzenden, zumeist eher Verwirrung als Aufklärung stiftenden innenpolitischen Dispute über radioaktive Gefährdungspotenziale, die weitere Nutzung von Atomkraft und das weitere außenpolitische Vorgehen in Zeiten des Ost-West-Gegensatzes gelesen werden. Der an die neue Heimat gestellte Erwartungshorizont beinhaltete all jene von Deutschland nicht erfüllten Kriterien und lebensverbessernden Rahmenbedingungen der Friedens- und Umweltbewegung. Die Anhänger eines in der Bundesrepublik stark ausgeprägten Wertekonservatismus, der einen Drang zur rigiden Auslegung der politischen Direktive besaß, versuchten den umweltbewussten und pazifistischen Aktivisten nicht nur starke Reglementierungen aufzuerlegen, sondern trachteten stets danach, die Bewegung zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Ein weiteres engagiertes Einstehen für gesellschaftlich anzustrebende Ideale kam für die von mir interviewten Auswanderer aus den 1980er Jahren nicht mehr in Frage, da politischer Eigenwille, ein

66 Laut dem Bericht des UN-Umweltprogramms aus dem Jahr 1985 gelten als Umweltflüchtlinge „those people who have been forced to leave their traditional habitat, temporarily or permanently, because of a marked environmental disruption […] that jeopardised their existence and/or seriously affected the quality of their life“ (El-Hinnawi 1985: 4, zitiert nach Conisbee/Simms 2003: 23f.).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 223

undurchschaubarer Beamtenapparat, die Stationierung von Pershing-II-Mittelstreckenraketen, eine gesellschaftliche Restauration sowie die Entmoralisierung des bestehenden Parteiensystems eine durchweg finstere Zukunftsperspektive zeichneten. Unbehaglich wirkte neben den gesundheitlichen Risiken durch die Nachwehen der radioaktiven Verstrahlung beim Verbleiben in der Alten Welt vor allem die politische Desillusion – dies meint ein Gefühl, jegliches Vertrauen in bestehende Kernwerte wie Glaubwürdigkeit, Rechtschaffenheit, Moral, Ethik und Nachhaltigkeit aus der gesellschaftlichen Mitte verloren zu haben. Sie wurde, so der Tenor der Gesprächspartner, gegen die allmächtige Obrigkeitsgewalt und den von der Polizei verwendeten Schlagstock aus Hartgummi eingetauscht. Zu der gerade erwähnten Migrantengruppe, die aus sehr jungen Personen bestand, zum Teil auch Studenten, kann der approbierte und promovierte Arzt Dr. Hugo Wiegemeyer daher nicht gerechnet werden, weil er zum Zeitpunkt des Verlassens der Bundesrepublik im Jahre 1987 bereits zu den Etablierten und finanziell Sichergestellten zählte. Der Bekanntheitsgrad Australiens ging bei ihm auf einen 1980 besuchten Medizinkongress, ein halbjähriges Forschungsprogramm im Jahre 1985 und zahlreiche Inlandsreisen zurück, so dass er genaue Vorstellungen von seiner Destination besaß. Schmalspuriges Denken, ein verbürokratisiertes Leben, enorme steuerliche Abgaben sowie eine kritische Haltung gegenüber einer ständigen Gewinn- und Konsummaximierung gaben Hugo Wiegemeyer genügend Anlass, Deutschland mit frohem Mute den Rücken zuzuwenden. Die nahezu perfekten klimatischen Verhältnisse67, gepaart mit der alltäglichen Freundlichkeit, der easygoing-easy-living-Mentalität sowie dem als unsagbar groß empfundenen Lebensund Erfahrungsraum in Australien68, ließen den Traum von einem gänzlich anderen Lebenskonzept69 schnell Wirklichkeit werden.

67 Als emotionale Schlüsselerfahrung beschreibt Ludger Heidershoff, der als Examensabsolvent der Zeitungswissenschaften ebenfalls zu den Akademikern unter den Emigranten der 1980er Jahre gezählt werden kann, seinen morgendlichen Arbeitsweg im ersten Stadium seiner Aufenthaltsphase. Auf der Nordseite von Sydney wohnend, setzte er gegen 6.00 Uhr mit der Fähre zum Circular Quay über und erlebte alltäglich mit dem Sonnenaufgang eine mit allen positiven Konnotationen versehene Einstimmung in den Tag. Sonnenaufgang, blauer Himmel, warme Temperaturen sowie eine eher informell-freundlich gehandhabte zwischenmenschliche Art der Kommunikation weist er als prägende Charakteristika dieses Starts in den Tag aus. Im Deutschland dagegen, so der Informant, würde man für ein beherztes „Guten Morgen“ frühmorgens in der U-Bahn ausschließlich verächtliche Blicke ernten, während in Australien „jeder Wildfremde“ mit der sympathischen Begrüßungsformel „How is your day today?“ die Möglichkeit zum informellen Austausch besitzt. 68 Um den Sachverhalt des uneingeschränkten Freiraums zu verdeutlichen, fügte Hugo Wiegemeyer den selbst getätigten Ankauf eines circa 13 Hektar großen Landstücks in

224 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Integrationsprobleme waren, wie auch in den Dekaden davor, mit dem Finden einer Stelle verknüpft, die den aus Deutschland mitgebrachten individuellen Qualifikationen entsprach. Wie auch in den vorherigen Kapiteln dargelegt, galten ethnische Zuwanderer insofern als Kanonenfutter für die industrielle Erschließung des Kontinents, als dass sie vor allem im Manufaktursektor, in der Niedriglohnindustrie und in den schmutzigen so genannten blue-collar jobs mit hohen Fluktuationsraten an unterschiedlichen Arbeitsstellen repräsentiert waren. Als Voraussetzungen für eine ökonomische Aufwärtsmobilität, die nur in den seltensten Fällen erreicht werden konnte, galten die Bereitschaft des Migranten, zahlreiche Überstunden abzuleisten und Geld zu sparen, um das über viele Jahre akkumulierte Kapital für den möglichen Ankauf einer Immobilie zu nutzen, die einen gewissen Grad an Sicherheit für das Rentenalter darstellt. Die Barrieren, die den kleinen bis mittelgroßen Wohlstand des Immigranten beeinträchtigen, lagen in erster Linie in den gegenüber ethnischen Emigranten aus Übersee geäußerten Vorurteilen sowie einer diskriminierenden Nichtanerkennung von den in Deutschland erworbenen beruflichen Qualifikationen. Kurz formuliert: Das Erklimmen der Erfolgsleiter war von mannigfaltigen Bürden gekennzeichnet. Ebenfalls muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den deutschen Auswanderern aus den 1980er Jahren nicht mehr um ausgebildete Handwerker wie Werkzeugmacher, Waffenschmiede oder Facharbeiter handelte; ganz im Gegenteil besaßen viele eine akademische Ausbildung, darunter waren Mediziner, Journalisten und Studenten. Soziologische, ökonomische und historische Studien zu Migrationsdynamiken nach Australien konnten in den letzten drei Dekaden Beweise dafür erbringen, dass ethnische Ressentiments, kombiniert mit rassischer Feindseligkeit, auf dem australischen Arbeitsmarkt kontinuierlich zu der Diskriminierung und Ausbeutung zahlreicher Emigrantengruppen führten (Shergold 1985: 65). Der approbierte Gynäkologe Dr. Hugo Wiegemeyer verließ ein sicheres

den Blue Mountains zu regenerativen Zwecken von den Lastern der Großstadt an, das zudem noch den kleinsten Besitz in jenem Tal darstelle. Ein Vergleich zu Deutschland folgt postwendend: „In Deutschland ist 13 Hektar ein Bauernhof, da bezahlt sich die EU mit ihren Subventionen dran arm.“ Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007. 69 Bildlich entfaltet Wiegemeyer seinen Wunschtraum Auswanderung mit einem möglichen Szenario an seinem Sterbebett, was zeigt, dass anfänglich nicht die zukünftigen Ergebnisse der Emigration für ihn wichtig erschienen, sondern vielmehr der Gedanke, den Versuch überhaupt gewagt zu haben. Wenn er auf seinem Sterbebett liegen sollte und die Auswanderung aus irgendeinem erdenklichen Grund misslungen sei, so könnte er sich wenigstens damit trösten, es versucht zu haben. Er würde es als viel drastischer empfinden, wenn er sich am Ende seines Lebens Vorwürfe machen müsste, weil er aus Angst bzw. Befürchtungen etwaiger Folgen und Missgeschicke diesen Schritt erst gar nicht gewagt hätte.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 225

und gut dotiertes Arbeitsverhältnis in einem deutschen Krankenhaus und sah sich in der ersten Periode seiner Auswanderung nach Sydney mit dem Problem konfrontiert, als Arzt eine Zulassung zur Ausübung seines Berufes zu erlangen. Auf meine Frage, ob er unmittelbar nach seiner Ankunft in der neuen Wahlheimat an der Botany Bay eine neue Anstellung in Aussicht gestellt bekam, antwortete er wie folgt: „Nein, ich habe hier viele Schwierigkeiten gehabt. Die australische Ärzteschaft ist äußerst fremdenfeindlich, oder eben auf Deutsch gesagt, sie wollen eben keine Konkurrenz haben. Es hat also sieben Jahre gedauert, also fünf Jahre, bis ich überhaupt zu einer Prüfung zugelassen wurde, die hat sich aber nochmal hingezogen über zwei Jahre. Also nach sieben Jahren hatte ich dann hier wieder meinen Facharzt. Deshalb konnte ich hier in Gegenden arbeiten, in denen kein Australier arbeiten wollte, also in Alice Springs, im Busch halt. […] Nein, die sind einfach, ja, wie soll man das sagen, bösartige Egoisten, die eben nichts teilen wollen. Die wollen am liebsten refugees aus Vietnam, die hier die Drecksarbeit machen, weil sie a) nicht Englisch können und b) überhaupt keine Qualifikationen haben und c) auch den Mund nicht aufmachen. Die einfach hierher kommen und die Arbeit machen, die kein Australier machen will.“70

Nachdem der Gewährsmann ohne jegliche Aussicht auf Erfolg der Befürwortung seiner Ärztezulassung vor dem medical board von New South Wales Nachdruck verliehen hatte, erhielt er plötzlich, viele Jahre nach der Einreichung seiner berufsqualifizierenden Unterlagen, eine telefonische Anfrage, ob er als Gynäkologe im Krankenhaus von Alice Springs, im Northern Territory, arbeiten wolle. Sogleich fragte er nach der bisher immer noch nicht erteilten Genehmigung zur Praktizierung als Mediziner von Übersee, die ihm jedoch vom Krankenhaus sofort für die Arbeit im nördlichen Bundesstaat gewährt wurde. Im Outback angekommen, fand er schnell heraus, dass der aus Tonga stammende medizinische Direktor seiner Abteilung als Migrant die gleichen beruflichen Schwierigkeiten angesichts der von der australischen Gesellschaft geäußerten ethnischen Vorbehalte und Mechanismen der Ungleichbehandlung wie Herabwürdigung zu bewältigen hatte. Mit den gleichen Wirkkräften, wie ehemals die White Australia Policy die australischen Nationalgrenzen gegen den Zuzug von Dunkelhäutigen erbittert zu verteidigen suchte, besorgte nun kulturelle Voreingenommenheit gegenüber anderen europäischen oder nichteuropäischen Einwanderern die Sicherung begehrter beruflicher Tätigkeiten, die ausschließlich den Ansässigen vorbehalten blieben. Der Mediziner aus dem Inselsaat im südlichen Pazifischen Ozean besaß das gleiche Migrantenschicksal wie Wiegemeyer. Beide brachten ausreichende Qualifikationen mit, um in den entlege-

70 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007.

226 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nen Regionen des Northern Territory einer von den australischen Ärzten gemiedenen Beschäftigung nachzugehen; für eine Zulassung an den für Australiern höchst attraktiven Standorten im Bundesstaat New South Wales reichten ihre Fähigkeiten dem Behördenapparat der nationalen Ärztekammer zunächst jedoch nicht aus, was der deutsche Auswanderer nach der Rückkehr nach Sydney feststellen musste. Als Reaktion auf diese Ungerechtigkeiten und ethnischen Benachteiligungen der modernen Arbeitssklaven verbalisierte Hugo Wiegemeyer vor Medienvertretern die Frage, ob es in dem sich nach außen enorm egalitär präsentierenden Australien zwei Klassen von Menschen gäbe, deren Betreuung und Versorgung auf dem Land von scheinbar minderqualifizierten Ärzten aus dem Ausland garantiert würden, während in der Stadt einheimische Mediziner arbeiteten. Zudem kommt hier eher offenkundig eine latente rassistische Einstellung der australischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber den australischen Ureinwohnern zu Geltung, die im Northern Territory landesweit den größten Bevölkerungsanteil stellen. Das Aufbegehren gegen die eng gestrickten Horizonte des bürokratischen Behördenkomplexes, vor der viele Migranten aus der BRD zu fliehen vorgaben, entpuppte sich als ein mühsamer Kampf. Nur die Anpassung an bestehende australische Verhältnisse und individuelle, meist auch akademische Fortbildungen führten zu einer Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Besonders flagrant wird dieser akkulturative Konvergenzprozess mit der sprichwörtlichen Leitprämisse „If you are in Rome, do as the Romans do!“71 Ein hoher Grad von Flexibilität, persönlichem Engagement, die Fähigkeit, aus individuellen Rückschlägen und Zeiten der migratorischen Identitätskrise gestärkt hervorzugehen sowie der Wille, auch Jobs in Australien anzunehmen, die nicht direkt die geradlinige deutsche Akademikerbiografie fortführen, können als integrative Aspekte eines Anpassungsmodells in ein fremdkulturelles Arbeitsumfeld apostrophiert werden. Dieses Prädikat der undogmatischen Anpassungsfähigkeit nehmen die deutschen Migranten für sich in Anspruch und grenzen sich damit gegenüber deutschen Touristen ab, die, inspiriert von den nur kurzzeitig erlebten geografischen, klimatischen und metropolitanen Vorzügen der Stadt, in ihrer Gegenwart den Wunschtraum äußerten, ebenfalls nach Australien auswandern zu wollen, ohne jedoch auf die Sicherheit vermittelnden deutschen Verhältnisse zu verzichten. Dass ein Verlassen des soziokulturellen Bezugsraumes stets mit individuellen Einbußen verbunden ist, wird neuerlich aus einem Zitat von Hugo Wiegemeyer deutlich: „Und wenn dann die Frage kommt: ,Wie ist das denn hier mit der Bezahlung? Ich habe A13 als Oberlehrer.‘ Und dann sage ich: ,Du bleibst am besten da, wo du bist. Wenn das für dich wichtig ist, bleib wo du bist, denn dein A13 und Oberlehrer gibt es hier nicht. Hier haben die Leute Verträge, heute hast du einen Vertrag und nach einem Jahr läuft der aus und dann

71 Ebd.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 227

musst du dich nach etwas Neuem umgucken. Und heute bist du Lehrer und morgen bist du vielleicht Redakteur beim Fernsehen und irgendwann hast du ein Geschäft für, ich weiß nicht was.‘ Hier muss man flexibel sein und diese deutsche Eisenbahnschienenmentalität, eine rechts und eine links bis zum Horizont, dann gehen die Leute hier total unter. Wissen Sie, es ist dasselbe, hier wird eben links gefahren und das ist so und daran ändert niemand etwas auf der Welt, auch nicht die deutschen Oberlehrer aus Rheinhausen mit A15.“72

Ein herrenmenschliches Echauffieren nach den aus Deutschland bekannten Vorgaben des Beamtenstatus sowie die gedankliche Transferierung von Besoldungstarifen aus dem öffentlichen Dienst können der beruflichen wie zwischenmenschlichen Integration nur abträglich sein. Vielmehr wird den Immigranten abverlangt, bestehende kulturelle, gesellschaftliche sowie national- und wohlfahrtsstaatliche Denkstrukturen dahingehend zu revidieren, dass sie den neuen interkulturellen Herausforderungen und Bewährungsproben in der Empfängergesellschaft Rechnung tragen. Auch als sich der in der deutschen Markt- und Meinungsforschung tätige Soziologe Ludger Heidershoff nach seiner Auswanderung im Jahre 1988 in Westaustralien mit seiner Frau in der wirtschaftlich lukrativen Tourismusbranche selbstständig machen wollte, führten auf nationaler Ebene ausgetragene Streitigkeiten über Lohnerhöhungen sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zwischen Gewerkschaften, Arbeitnehmern, Politikern und australischen Fluggesellschaften zu einem monatelangen Stillstand des Inlandflugverkehrs (Norrington 1990). Im Gefolge dieser Auseinandersetzungen um Gehaltsaufstockungen legten am 18. August 1989 etwa zweitausend australische Piloten ihre Arbeit nieder und sorgten damit dafür, dass nicht nur über sechs Monate der Flugverkehr im Inland lahmgelegt wurde; vielmehr scheuten auch ausländische Touristen den mit Gefühlen von Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit verbundenen Aufenthalt im Land. Mit dem realitätsfernen Vergleich, Piloten seien nichts anderes als Lastwagenfahrer in der Luft, sorgte der damalige Premierminister von New South Wales, John Howard, für einen weniger beschwichtigenden Beitrag zu einer ohnehin bereits aufgeheizten Atmosphäre. Einen großen Schaden erlitt durch den internationale Berühmtheit erlangten Pilotenstreik, eine der kostspieligsten und dramatischsten Gewerkschaftsauseinandersetzungen der australischen Geschichte, der überseeische Touristenzustrom, für dessen Ausbleiben der Niedergang zahlreicher Unternehmen im unmittelbaren Umfeld des Tourismussektors von Ludger Heidershoff verantwortlich gemacht wird. Die Rede von den ups and downs während des Anfangsstadiums der Emigration gibt preis, als welch ein affektives Wechselbad zwischen kultureller Abgrenzung und Konvergenz die Eingewöhnungsphase erfahren wird. Gerade in dieser Anfangsphase, in der vorgeblich das Gros der fremdkulturellen Einflüsse wie ein sintflutartiger Sturz-

72 Ebd.

228 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

regen auf den Neuankömmling herniedergeht, werden die alltäglichen Differenzen und kulturellen Missverständnisse als besonders offenkundig erlebt.73 Dass deutsche Auswanderer mit grundverkehrten Erwartungen Deutschland in Richtung Australien in den 1980er Jahren verließen, zeigte schon eine dokumentarisch wirkende Reportage mit dem Titel Was von den Träumen übrig blieb, bei der eine aus Düsseldorf nach Sydney emigrierte Familie in mehreren intervallähnlichen Besuchen bei ihrem Integrationsvorhaben begleitet wurde. Das Vorhaben des Fernsehtechnikers Faber, in Sydney ein größeres Geschäft für Elektrogeräte zu eröffnen, scheiterte schon daran, dass aufgrund der häufigen Wohnortwechsel in Australien keine Stammkundschaft gebunden werden konnte. Von Rückkehrambitionen durchtränkte Aussagen des Emigranten wie „Ich habe mir das anders vorgestellt“ sowie der zum Ende der Dokumentation als appellierende Warnung an alle Auswanderungswillige formulierte Rat, dass dieser existenzielle Schritt doch gründlich überlegt werden sollte, als es die Protagonisten scheinbar getan hatten, lesen sich eher als traurige Bilanzierung des Emigrationsvorhabens und lassen den hohen Grad der Enttäuschung erkennen. Quell dieser migrationsimmanenten Desillusionierungen waren zum wiederholten Male die mangelnden Sprachkompetenzen. Sie begünstigten in enormer Weise eine Dequalifizierung des produktiven Potenzials des mobilisierten Humankapitals, setzten die an die Auswanderung gerichteten Erfolgserwartungen auf ein die Existenz sicherndes Minimum herab, leisteten der Bindung an exklusive ethnische Netzwerke Vorschub und machten für fremdethnisierende Bewertungen empfänglich. Willi Reitinger74, der ein Einwanderungsvisum für seine Familie mit der finan-

73 Im Speziellen gilt dies für Migranten, die zuerst in den westlichen Vororten Sydneys lebten. Ein Informant teilte mir während einer Unterredung mit, dass im westlichen Außenbezirk Auburn eine große Zahl der Immigranten aus dem Mittleren Osten stammt. Frequenziell ansteigende Arbeitslosenquoten zogen negative gesellschaftliche Folgeerscheinungen nach sich und erschwerten ein harmonisches Zusammenleben, so dass Auburn in gewisser Weise als der „niedrigste Punkt“ der Chronologie der Integration des Migranten gedeutet wurde. Hinzu kam, dass in diesem Distrikt die Moschee als kulturelles Zentrum der Mitglieder des mohammedanischen Glaubens das Leben der dort ansässigen Muslime bestimmte, was bei dem in sehr stark christlicher Tradition sozialisiertem Gesprächspartner die interethnischen wie interkosmologischen Divergenzen noch intensivierte. 74 Unter den Gesichtspunkten einer narrativen Legitimation der Auswanderung als einer ausschließlich rationalen Beweggründen unterliegenden Entscheidung ereignete sich während des Treffens mit Willi Reitinger die Auffälligkeit, dass gleich zu Beginn des Gesprächs ohne jeglichen auffordernden Redeimpuls drei Ebenen freigelegt wurden, die das Verlassen Deutschlands zu rechtfertigen suchten. 1. Genetisch: Da der Informant in dem deutschsprachigen Siedlungsgebiet in Wolhynien geboren ist, seine Vorfahren be-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 229

ziellen Unterstützung (sponsoring visa) seines bereits in Sydney lebenden Bruders erhielt, migrierte 1982 im Alter von 46 nach Australien. Als seminaristisch ausgebildeter Prediger verfügte er nur über sehr geringe Kenntnisse der englischen Sprache: „Das hat am Anfang viele demütigende Situationen gegeben, also einmal durch die Sprache bedingt. Die ist jetzt noch nicht perfekt, aber damals war es noch weniger. Das war alles relativ schwierig für mich, das waren alles böhmische Dörfer für mich. Ich habe die englischen Ausdrücke deutsch ausgesprochen.“75

Hugo Wiegemeyer betrat australischen Boden zwar mit einem der höchsten zu erreichenden universitären bzw. akademischen Titel, jedoch fühlte sich das von ihm besuchte, an humanistischen Idealen ausgerichtete Gymnasium den Sprachen der alten Griechen und Römer mehr verpflichtet als den internationalen Ansprüchen der Gegenwart, so dass sich seine Kompetenzen in der Landesprache ausschließlich auf eine überschaubare Anzahl von medizinischen Fachtermini beschränkten. „Also das Sprachproblem war da, aber war auch, ja, in meiner Erinnerung ist das Sprachproblem eigentlich nicht so signifikant muss ich sagen. Und das Medizinenglisch, das ist ja weltweit das Gleiche, das sind zwei- bis dreihundert Worte und da habe ich am wenigsten Schwierigkeiten mit gehabt, aber so teilweise die Dinge vom täglichen Leben. Und wie gesagt, das wird einem hier auch nicht negativ ausgelegt, weil hier so viele migrants sind und viele Leute ein spektakuläres bis fürchterliches Englisch sprechen. […] Und SBS ist eigentlich, finde ich, ein toller Sender, weil die auch täglich von der ganzen Welt, auch Spielfilme

reits durch die russische Kaiserin Katharina ins Land geholt wurden, während des Zweiten Weltkriegs eine Umsiedlung der so genannten Volksdeutschen in das von Deutschland besetzte Ostpreußen erfolgte und in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Vertreibung nach Westdeutschland durchstanden werden musste, sei ihm Mobilität als genetische Disposition, so der Gewährsmann, ins Blut übergegangen. 2. Religiös: Als gläubiger Mensch und seminaristisch ausgebildeter Prediger rückt er seine Wanderungsbewegung in die kosmologische Sphäre der göttlichen Gegebenheit, denn sein Schicksal läge allein in Gottes Händen und diese führten die Menschen auch auf ihre globalen Pfade. 3. Sachlich: Als letzter Aspekt wird der Wunsch zur wirtschaftlichen und arbeitstechnischen Besserstellung der Familie angeführt, die sich mit den Sachkenntnissen des Bruders sowie dem florierenden Arbeitsmarkt in Australien eher verwirklichen ließe, als in einem Angestelltenverhältnis in einer Pfarrgemeinde in Kärnten. Die Überreise in die gottgewollte Fernwelt ist somit auch an mannigfaltige irdische Kalamitäten in der Entsendegesellschaft geknüpft. 75 Zitat aus dem Interview mit Willi Reitinger, datiert auf den 01.11.2007.

230 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

usw. zeigen. Und da muss ich sagen, habe ich auch viel Englisch gelernt. Wenn zum Beispiel ein deutscher Spielfilm lief, mit englischem Untertitel. Das ist ein unheimlicher Lerneffekt, wenn man will. Weil sie hören das Deutsche und sie lesen das Englische, auf zwei Ebenen kriegen sie das rein. Das ist also gut, sehr multikulturell, da läuft dann auch schon mal ein indischer Film, oder ein vietnamesischer, ja mein Gott, da schaut man da eben hin. Dahingehend sind die schon gut.“76

Dem allgegenwärtigen Problem der sprachlichen Defizite versucht die australische Regierung einerseits mit Sprach- und Integrationskursen entgegenzuwirken, andererseits erweisen sich die migrantischen Kontakte zu den unterschiedlichsten Medien als effiziente und erfolgversprechende Angebote für den integrativen Zweitsprachenerwerb. Konzeptionelle Überlegungen zur interkulturellen medialen Integration übernahm Australien von der kanadischen Multikulturalismusdebatte um unity in diversity insofern, als dass die Konsolidierung des staatlichen Richtlinien unterliegenden Special Broadcasting Service beim Eingliederungsvorgang von kulturellen Minderheiten notwendige Voraussetzungen schaffte. Auf ethnische Belange zugeschnittene Radio- und Fernsehformate, als gesetzlich institutionalisierte Strategien der Immigrationspolitik, sprachen vor allem Neuankömmlinge sowie bereits eine gewisse Zeit in Australien lebende Einwanderer an und zielten mit ihren auf Sprachinstruktion ausgerichteten Programmen auf den idiomatischen Gebrauch des Englischen sowie die Vermittlung von sozialen Vergesellschaftungsformen auf dem Fünften Kontinent ab. Jenes didaktische Lehrer-spricht-zu-Schülern-Verfahren sowie die direkte Aufsicht des Department of Immigration und des Commonwealth Office of Education über diese ethnische Produktionsorganisation lassen durchblicken, dass auch dieses methodische Unterfangen dem ideologischen Paradigma der Assimilation, dies meint die schnellstmögliche sprachliche wie soziale Angleichung an den kulturellen Mainstream, unterworfen wurde. Die qualitativen Gütesiegel wie ethnisch und multikulturell, die bei Weitem gegen eine kulturelle Nivellierung im Sinne des Konzepts der Assimilierung in Erscheinung traten, äußerten sich bei dieser Wissen vermittelnden Gattung der Fernsehunterhaltung darin, dass die aus dem Ausland importierten fremdsprachigen Genres (Dokumentationen, Krimis, Seifenopern, internationale Nachrichten usw.) über einen englischen Untertitel verfügten und die Selektion dieser fremdländischen Produktionen von bei SBS arbeitenden Vertretern der jeweiligen ethnischen Gruppe vorbehalten war. Das kulturelle Spektrum der australischen Medienlandschaft erfuhr eine enorme Bereicherung durch die Ausstrahlung ethnische Programme. Für die deutschen Migranten aus den 1980er Jahren erfüllten diese medialen Angebote unter Betonung des ethnisch-kulturellen Erbes ihrer weitgefächerten Bandbreite von internationalen Nachrichten über das

76 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 231

Weltgeschehen außerhalb der australischen Grenzen sowie dem wohldurchdachten Ankauf von ausländischen Filmproduktionen wie zum Beispiel Der Fahnder, Derrick, Die drei Damen vom Grill, Kommissar Rex und Stockinger nicht nur die Funktion einer Brücke in die alte Heimat, sondern erwiesen sich als gesellschaftliches Instrument für die Erlangung der englischen Sprache.77 Unlängst avancierte die sich erfolgreich aus dem Schattendasein des Spartensenders emanzipierte Rundfunkanstalt SBS mit seinem vermittlungstheoretischen Gesamtrahmen zu einem beliebten Medium für Filme aus der ganzen Welt, unter deren Rezipienten nun längst nicht mehr nur die einzelnen ethnischen Gruppierungen zu zählen sind; vielmehr zieht SBS kulturell interessierte Bildungseliten mit internationalem Savoir-vivre an (Ashbolt 1985: 109). Komplexe kulturelle Austauschprozesse leisteten mit der medienbasierten Diffusion von interkulturellem Wissen über regimekritische Features aus den ehemaligen Sowjetstaaten als auch gesellschaftskritischen Dokumentationen aus den kapitalistischen Staaten Westeuropas einen Beitrag zur Überwindung ethnischer Barrieren und beförderten ein dialogistisch-pluralistisches politisches Denken in demokratischen Strukturen, welches das kulturell heterogene Publikum für gegenseitige Toleranz wie humanitäre Aufgeschlossenheit sensibilisierte. Durch die Orientierung an der Konservierung ethnischer Identität, der fürsorglichen Beibehaltung von distinktiven kulturellen Traditionen und der Präsentation nützlicher Informationen konnte das intentionale Vorhaben, die Akzeptanz des Multikulturalismusgedankens in der breiten Bevölkerungsmasse zu verankern, verwirklicht werden. Dies bedeutete, dass alle Mitglieder – gleich welcher kulturellen und nationalen Herkunft – die gleichen Ansprüche auf die von der Regierung unterstützten Programme und Dienstleistungen für Menschen mit Migrationshintergrund besitzen sowie zur vorurteilslosen wie verstehenden Inkorporation fremdethnischer kultureller Versatzstücke in ihren Alltag aufgefordert sind. Deshalb verstehen die deutschen Auswanderer diese Medienangebote ganz und gar nicht nur als rein ethnisches Fernsehen, in dem Sinne, dass sie ausschließlich die in der Bundesrepublik produzierten Formate bzw. Nachrichten schauen. Ganz im Gegenteil tragen sowohl indische, norwegische und peruanische als auch chinesische, koreanische und französi-

77 Die über Bombay 1980 nach Australien eingewanderte Liselotte Mahrbrück arbeitete fünfundzwanzig Jahre als redaktionelle Verfasserin von englischen Untertiteln für deutsche Produktionen bei SBS in Sydney und gewährte mir innerhalb eines Expertengesprächs detaillierte Einsichten in die Vorgehensweisen der multikulturellen Sendeanstalt. Neben ihrem deutschen Ressort existierten eine italienische, spanische, griechische und türkische Abteilung sowie zahlreiche andere Fachgruppen, in denen ebenfalls Migranten mit gut ausgebildetem Bilingualismus einem Beschäftigungsverhältnis nachgingen und sich der Leitdevise des Senders, ethnisches Fernsehen sei „supposed to be about immigrants, for immigrants and by immigrants“, widmeten.

232 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

sche Filme, Dokumentationen und Daily Soaps – in der jeweiligen Nationalsprache vertont und mit englischen Untertiteln ausgestrahlt – zu einem indulgenten Verständnis ethnisch zunächst befremdlich erscheinender Verhaltensweisen, Bewertungsmuster, Rituale, kultureller Muster und Bedeutungszuschreibungen bei. Anders formuliert: Mediengeneriertes Alltagswissen über die fremdethnischen Lebenswelten des Hausnachbarn aus Indien oder Vietnam wirkt sich positiv auf die direkte Alltagskommunikation unter den Menschen aus und baut vorhandene Stereotype ab. Zum einen besitzt die mediale Institution des Special Broadcasting Service im erweiterten Sinne das massenkommunikative Leistungsvermögen, durch die Aufrechterhaltung der deutschen Sprache und Kultur zu einem gewissen Grad das ethnische Selbstwertgefühl zu stärken; zum anderen sorgt dieses die erfolgreiche Integration unterstützende Medium dafür, dass die Neuankömmlinge mit ausreichend Informationen ausgestattet werden, um sich in der neuen Heimat zurechtzufinden. Zuletzt sind es die völkerverständigenden Ambitionen, die als allgegenwärtiges Charakteristikum von den deutschen Rezipienten in den Gesprächen für das tolerante Zusammenleben in Australien ins Feld geführt werden.

3.6 1993–1999: VOM F RUSTRATIONSAUSWANDERER ZUM G ELEGENHEITSAUSWANDERER „1996 saß ich zuhause alleine und meine Frau war mit den Kindern bei ihren Eltern und da habe ich Joachim Fuchsberger in Australien gesehen, der hatte so eine Serie gehabt. Die Serie war im Fernsehen und das war so schön und beeindruckend. Die habe ich am Sonntag gesehen und Sonntagabend habe ich es meiner Frau erzählt und am Mittwoch waren wir schon im Flugzeug.“78

Der Sachverhalt, dass im April 1995 die signifikante internationale Global Cultural Diversity Conference ihre Gastredner und Besucher in Sydney empfing, wurde von den lokalen Medien als ein Zeugnis für die australische Vorreiterrolle hinsichtlich einer ganzheitlich harmonischen und multikulturellen Gesellschaft gedeutet (Neil/Armitage 1995: 9). Jedoch trübt der glitzernde Schein ein wenig, wenn die politischen Ambitionen des 1996 für insgesamt elf Jahre ins Amt berufenen konservativen Premierminister John Howard zur Diskussion stehen, der bereits 1988 verlauten ließ, dass der Multikulturalismus eine zwecklose und Uneinigkeit schaffende

78 Zitat aus dem Interview mit Ahmet Yilmaz, datiert auf den 16.03.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 233

politische Ideologie sei (Jupp 2007: 110f.). Kurz nach seinem Amtsantritt kam es zu drastischen Kürzungen sowie Schließungen von Institutionen, die sich bis dato um die Belange von Immigranten gekümmert bzw. dem ethnischen Pluralismus mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatten. „Within months coming into office“, so berichtete der Londoner Economist im Dezember 1996, „Mr. Howard has abolished both […] the Office of Multicultural Affairs and the Bureau of Immigration and Population Research“ (O.A.: Australia: A National Identity Crisis 1996: 14). Leise zu vernehmende rassistische Verbalattacken aus den peripheren Randzonen der Bevölkerung wurden in dieser politischen Atmosphäre immer stimmgewaltiger und befanden sich urplötzlich wieder im Zentrum des politisch-gesellschaftlichen Diskurses über Immigration. Pauline Hanson, ein neues Mitglied des Parlaments aus Queensland, warnte ihre Kollegen in einer doch sehr naiven und von populistischer Rhetorik getränkten Rede vor den Gefahren „fremdvölkischer“ Beeinflussung durch asiatische Immigranten: „I believe we are in danger of being swamped by Asians. They have their own culture and religion, form ghettos and do not assimilate“ (zitiert nach MacLeod 2006: 158). Die in dieser kurzen Passage verwendeten Erklärungsprämissen und Argumentationsmuster bedienen sich der Instrumentalisierung des Kulturalismus, dies meint die „Hypostasierung des Kulturellen“ (Lindner 2002: 78f.), wobei Kultur dabei eine kategoriale Funktion zukommt. Mechanische Attributionen des Fremden werden unhinterfragt kolportiert, die Akkulturationsfähigkeit wird prinzipiell abgesprochen, vermeintliche Unterschiede überhöht und reale Gemeinsamkeiten negiert oder als singuläre Ausnahmen marginalisiert. Die kulturalistischen Darlegungen der Politikerin besitzen demzufolge die Aufgabe, den eigenen Lebensstil zu rechtfertigen und zu bekräftigen sowie die Gruppe der Nichtprivilegierten davon auszuschließen (Kaschuba 1995b). Darauf rekurrierend spricht der als Future Generation Professor of Anthropology and Social Theory an der University of Melbourne lehrende Ghassan Hage mit Verweis auf den rechtsextremistischen französischen Politiker Jean-Marie Le Pen sogar von einer Hansonisation des nos esprits, die mit ihrem neofaschistischen sowie ethnonationalistischen Propagandasprech den eigenen Prophezeiungen ein argumentatives Grundgerüst konstruiert (Hage 1998: 25). Es passte sehr gut ins Bild, dass Australien zu dieser Zeit gerade eine hartnäckige ökonomische Rezession durchlebte und in einigen Regionen anhaltende Dürreperioden vielen Australiern nahezu unüberwindbare Bürden auferlegten. Das provokative Gedankengut der volksnahen Politikerin revitalisierte überkommen geglaubte Ressentiments und wurde von den Vertretern der medialen Berichterstattung dankend aufgenommen (Markus 2001: 158ff.), so dass einer strategiewirksamen Kolportage der Sündenbockmetapher keine Grenzen im Wege standen. In den folgenden Wochen standen die in Worte gekleideten Feindseligkeiten im Mittelpunkt von Zeitungen, Magazinen sowie Radio- und Fernsehanstalten in Thailand, Indonesien, den Philippinen und Hongkong, welche die politische Newcomerin als unbedeutende Extremistin titulierten und John Howard des Weite-

234 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ren eine schwache politische Führungsrolle attestierten.79 Gerade eine freundschaftlich-nachbarschaftliche Beziehung zu den angrenzenden Koalitionspartnern stellt vor dem Hintergrund der Exportwirtschaft eine strategisch-geopolitische Notwendigkeit dar, weil insbesondere die Rohmaterialien aus den Bereichen des Bergbaus und der Agrarwirtschaft in Singapur, Malaysia, Indonesien, China und Japan ihre Abnehmer finden. Da konservative politische Entscheidungsträger den Kontinent immer noch als einen Teil von Großbritannien betrachteten, unterminierte dieser beständige Verweis auf die intakten Verbindungen zur britischen Monarchie die Wirklichkeit, dass Australien ein Bindeglied im asiatischen Raum ist. Die sich aus der Historie ableitende Produktion bzw. Konstruktion von Kernwerten der reinweißen australischen Identität, die nach dem Prinzip der Inklusion durch Exklusion Konformität, Bürgschaft und kulturelle Kompatibilität repräsentierte und gleichzeitig Differenz, Verunsicherung sowie Unvereinbarkeit ausschloss, signalisiert ihren Produzenten Kontinuität und das Ideal einer essenziellen Homogenität der eigenen Nation. Somit ist die imaginierte Reflexionsfläche eines aus der Geschichte begründeten „weißen Australiens“ konstitutives Element einer (Schicksals-)Gemeinschaft.80 Gegner dieser Geisteshaltung sahen darin ein drohendes Unheil für das nachhaltige Fortbestehen des Multikulturalismus. So verdeutlichte es James Jupp, Direktor des Zentrums für Immigrations- und Multikulturalismusstudien, in einem kritischen Statement: „It is impossible to have fruitable trade, tourism, and foreign relations with neighbouring states while discriminating against their citizens on a racial or ethnic basis. […] It is already hard enough to persuade some states of the Region that Australia is part of the region“ (Jupp 1995: 7).

Die Phase der Sensibilisierung für die multilateralen Relationen zu den asiatischen Nachbarstaaten ist eng mit dem von Stephen FitzGerald veröffentlichten Buch Is Australia an Asian Country? (FitzGerald 1997) verbunden, in dem der Autor einerseits das aus dem ethnozentrischen Denken vieler Australier resultierende Mangel-

79 Die Jakarta Post warnte davor, dass „for Asians in particular, the rapid rise of One Nation […] could forbote a return to that continent’s old and antiquated White Australian Policy“ (Brown 1998: 6). 80 An dieser Stelle folge ich den Überlegungen von Benedict Anderson zum Nationalismus. Für Anderson ist die Nation insofern vorgestellt oder erfunden, als ihre eigentlichen Mitglieder über keine direkten Erfahrungen oder Wissensbestände über die Anderen im Staat verfügen. Die kognitive Entstehung einer solchen Gemeinschaft und seiner Mitglieder sowie Imaginierenden ist jedoch möglich (Anderson 1997: 15; siehe auch Gellner 1983; Larbalestier 1999: 147).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 235

verständnis über die dynamische asiatisch-pazifische Region kritisiert, andererseits für eine Staatsgrenzen überschreitende Ausbildung mit dem Ziel der gemeinsamen Partizipation am Weltmarkt appelliert. Da in den Folgejahren Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten das Weltgeschehen beherrschten, wurde diesen Ansichten kaum Aufmerksamkeit geschenkt. In einem Zeitalter, in dem die Belastung angesichts von Globalisierung, Modernisierung und großen Migrationswellen täglich neue ethnische Spannungen und Konflikte zu Tage förderte, wurde Australien von vielen Rednern der Global Cultural Diversity Conference, u. a. vom damaligen Direktor der UNESCO, Frederico Mayor, als ein zur Nachahmung empfohlenes philanthropisches Vorbild inthronisiert (Kane 1997: 557). Während eines Kolloquiums zum Thema multiethnische Diversität in Melbourne 1995 konnte eruiert werden, dass die australische Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg von 7,5 Millionen auf 18 Millionen angestiegen ist, wobei 6,4 Millionen der Immigration zuzurechnen seien und mehr als 4 Millionen einen nicht anglokeltischen Hintergrund hatten. Jener Zeitabschnitt der 1990er Jahre begann mit der Vereinigung Deutschlands und der Besiegelung eines seit 1947 vorherrschenden Strukturmusters des Blockdenkens. Die politische Ebnung eines neuen Europaverständnisses jenseits von ideologischer Konfrontation und geopolitischer Teilung bedeutete einen nachhaltigen Richtungswechsel innerhalb des Ost-West-Konflikts, der nicht nur in Deutschland, sondern ebenfalls einer den Globus umspannenden Identitätskrise den Weg ebnete. Nichts sei mehr gewiss außer dem Faktum, so führte Paul Kennedy 1993 aus, „daß wir zahllosen Ungewissheiten gegenüberstehen; aber die einfache Anerkennung dieser Tatsache liefert einen entscheidenden Ansatzpunkt, der weit besser ist als Blindheit gegenüber dem Wandel unserer Welt“ (Kennedy 1993: 441). Ein weiteres Indiz für diese kollektive kulturelle Malaise zu Beginn dieser Epoche kann darüber hinaus im hostilen Verhalten gegenüber den ausländischen Mitmenschen in Deutschland ausgemacht werden. Städte wie Hoyerswerda und Solingen sind der Inbegriff für Gewalttaten, regelrechte Jagdszenen und Brandstiftungen im Zuge von Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhass und Rechtsradikalismus. Wer als Ausländer durch kulturell fremdes Verhalten, Aussehen oder eine andere Hautfarbe die Aufmerksamkeit auf sich zog, musste um seine körperliche Unversehrtheit fürchten und sah sich ständigen verbalen Diffamierungen ausgesetzt. Zusätzlich intensivierten wirtschaftliche Faktoren, wie drastische Umsatzeinbußen in der deutschen Automobilindustrie, Rezessionen sowie internationaler Wettbewerbsdruck, das angespannte gesellschaftliche Klima in der geeinten Bundesrepublik. Vielerorts sprachen Vertreter der nationalen Wirtschaft von einer „Vereinigungskrise“ (Wolfrum 2008: 77). Aufgrund einer von den Menschen aus dem Westen proklamierten Investitionsschieflage manifestierte sich in diesem Teil Deutschlands schnell die verkürzte Formel des „Aufbaus Ost und Abbaus West“, die vorgab zu wissen, dass die in den neuen Bundesländern finanzierten Bau- und Renovierungsmaßnahmen der Inf-

236 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

rastruktur zu Lasten der alten Bundesländer getätigt werden. Unter politischen Gesichtspunkten kann die Inauguration einer Rot-Grünen-Regierung bei den Bundestagwahlen zum Ende dieses Jahrzehnts als Reaktion auf die in der Bundesrepublik großflächig grassierende Kanzler-Kohl-Müdigkeit gelesen werden. Statisches Datenmaterial aus den Zensuserhebungen des Jahres 1996, dem Australian Yearbook sowie den Migrationsberichten des Statistischen Bundesamtes geben preis, dass im Jahr der australischen Volkszählung 110.332 Deutschstämmige auf dem Fünften Kontinent lebten, die allgemeinen Wanderungszahlen über die Grenzen Deutschlands hinweg betrugen 1991 98.915, stiegen bis zur Mitte der 1990er Jahre auf 130.572 Auswanderer an, um kurz vor der Jahrtausendwende auf 116.410 abzufallen. Für das Finanzjahr 1999–2000 zum Beispiel verzeichnete das Australian Bureau of Statistics die Ankunft von 781 Migranten mit deutscher Herkunft. Die für den hier thematisierten Zeitraum konsultierten Statistischen Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland geben einen detaillierten Aufschluss über die Emigrationsraten in den Südpazifik: 1991 verließen 1.305, 1994 1.307 und 1998 1.456 Personen Deutschland Richtung Australien. Die Einwanderungsbestimmungen Australiens bauten zu Beginn der 1990er Jahre auf drei bekannten Säulen auf: 1. Familienzusammenführung, 2. Aufnahme besonders qualifizierter Migranten und 3. humanitäre Gesichtspunkte (Australian Department of Immigration 1991). An zwei beispielhaften Migrationsprozessen deutscher Familie sollen nun zunächst die Aufnahmekriterien genauer beleuchtet werden. Bei Familie Overmann handelt es sich dabei um die immigrationspolitische Kategorie der independent skilled migration, die anhand eines später detaillierter vorgestellten Punktevergabeverfahrens jene finanziell nicht gesponserten Antragsteller selektiert, deren berufliche Ausbildung bzw. deren Wissensstand sie zur direkten Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt befähigte und die folglich einen unmittelbaren positiven Effekt auf das Gedeihen der australischen Wirtschaft ausüben. Familie Yilmaz wanderte unter dem business skills programme ein, das besonders für solvente Immigranten vorgesehen war, die mit einer in Eigenregie finanzierten Geschäftsidee nach Australien kamen und durch dieses investitionsintensive Vorhaben neue Arbeitsplätze in der Aufnahmegesellschaft kreieren. Aus mehrmaligen Besuchen auf Urlaubsbasis entsprang beim Ehepaar Overmann zu Beginn der 1990er Jahre der Wunsch, mit den beiden noch jungen Kindern aus einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Bonn nach Sydney überzusiedeln und damit aus dem deutschen Alltagsleben auszubrechen. Informationen von den Beratungsstellen für Auswanderer und der australischen Botschaft in der damaligen Bundeshauptstadt am Rhein besagten, dass die Auflagen zur erfolgreichen Bewerbung um ein Visum für Australien mit mannigfaltigen Hürden verbunden seien, da die Bewerber einen der wenigen von der australischen Regierung präferierten Berufe ausüben, über das nötige finanzielle Startkapital zur Beantragung des Businessvisums verfügen oder gute Kontakte zu Betrieben oder Firmen, die die Einwanderung

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 237

durch das sponsorship visa ermöglichen, haben mussten. Ohne das nötige Kleingeld – sprich einen hohen Betrag von mehreren hunderttausend Australischen Dollar, die aus dem Ausland mitgebracht und aktiv in Australien investiert werden – sowie die qualifizierte Besetzung einer vakanten Stelle innerhalb des australischen Arbeitsmarktes seien die Chancen für die Niederlassungserlaubnis, so die Interviewpartner, verschwindend gering gewesen. Den Umfang und die Art der Jobofferte definiert die Regierung des Aufnahmelandes in jedem Jahr von Neuem, so dass die jeweils aktuelle Situation des australischen Arbeitsmarktes einen direkten Einfluss auf die graduelle Restriktivität der Regulierungsgesetze ausübte. Entgegen allen eher wenig Aussicht auf Erfolg versprechenden Tatsachen und dem Sachverhalt, dass Frank Overmann als gelernter Karosseriebauer nicht einen in Australien gesuchten Beruf hatte, stellte die Familie nach ihrem zweiten Urlaubsaufenthalt Down Under den mit Prüfungsergebnissen, Beurteilungen und Zeugnissen versehenen Immigrationsantrag und versuchte mit ihrem Humankapital eine möglichst hohe Einstufung beim Zuwanderungsverfahren angewendeten Punktesystem zu erlangen. Jene einwanderungspolitische Vorgehensweise, die die behördlichen Verfügungen objektivierte und vorhandene Ermessensspielräume minderte, ermöglichte auch solchen Antragstellern eine berechtigte Zugangsmöglichkeit, die nicht zu dem festen Migrantenkontingent von hochqualifizierten bzw. besonders geeigneten Zuwanderern mit garantierten Erfolgsaussichten auf die Besetzung einer Arbeitsstelle in Australien gehörten (Antecol/Cobb-Clark/Trejo 2001: 3f). In der Skala dieses Immigrationssystems konnten die Bewerber insbesondere deshalb eine zur Bearbeitung des Antrags notwendige Mindestpunktezahl erreichen, weil beide unter dreißig waren, zwei junge Kinder hatten, über englische Sprachkenntnisse verfügten sowie langjährige, tatsächlich nach der Qualifikation zum Beruf gesammelte Erfahrungen vorwiesen. Für Australien lagen die positiven Effekte dieser selektiv und arbeitsmarktorientiert verfahrenden Zuwanderungssteuerung insbesondere in der zeitnahen, flexiblen und bürokratische Hürden umgehenden Rekrutierung von Arbeitsemigranten. Der Vorgang – ab dem Zeitpunkt als das Gesuch zu Immigration gestellt wurde bis zum postalischen Eingang der Einreiseerlaubnis im Frühjahr 1993 – erstreckte sich insgesamt über anderthalb Jahre. Dagegen blieben den Auswanderungswilligen nach dieser schriftlich übermittelten Erlaubnis lediglich drei Monate Zeit, nach Australien überzusetzen. Bei einer Nichteinhaltung dieser von der Immigrationsbehörde festgelegten Frist drohte die nunmehr erteilte Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis zu verfallen, so dass bei Beauftragung einer internationalen Speditionsfirma, dem Buchen der Flüge, Amtsgängen zwecks Dokumentenbeglaubigungen, der Haushaltsauflösung sowie der Beladung des Containers mit privatem Hab und Gut Eile geboten war. Die Frage, welche Gründe letztendlich den Ausschlag zur Bewilligung des Antrags auf das Einwanderungsvisum gegeben haben, konnte das Ehepaar nachträglich selbst nicht beantworten. Gerade vor dem Hintergrund, dass sie ganz selbstkritisch ihrem Auswanderungsvorhaben aufgrund des hohen An-

238 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

forderungsprofils der Immigrationsbehörde nur geringe Chancen auf Erfolg zugestanden hatten und gerade nicht zu der Gruppe der finanziell Gutgestellten zählten, gelang es ihnen auch ohne den Verweis auf ein bereits in Australien lebendes Mitglied aus dem engeren Familienkreis, das als Analyse- und Beratungsorgan dem Vorhaben möglicherweise mit persönlicher Fürsprache und finanzieller Protektion Nachdruck verliehen hätte, einen zeitlich unbegrenzten Bleibestatus sowie bestimmte soziale Rechte zu erlangen. Gerade aufgrund des hochspezialisierten Migrationsnetzwerkes, bestehend aus familiären Bindungen, Freundschaften und Bekanntschaften, und der daraus resultierenden hohen Frequenz des Informationsaustauschs sowohl im Hinblick auf die Organisation der Migration als auch zwischenmenschlicher Hilfestellung bei der Ankunft in Australien entschieden sich alle Auswanderer des für dieses Kapitel zu Rate gezogenen Samples gegen die zumeist mit enormen Kosten verbundene Beauftragung von privaten, institutionellen Nichtregierungsorganisationen (migrant agents) zur individuellen Betreuung von Auswanderungsbelangen.81 Der Gebrauch des sozialen Kapitals der interpersonellen Kommunikationsketten bewahrte somit zahlreiche deutsche Auswanderer vor der zusätzlichen Belastung des Aufbringens von finanziellem Kapital. Als die Migration beflügelnden Katalysator wirkte bei Familie Overmann ein bereits in einem früheren Urlaubsaufenthalt in Australien widerfahrenes Ereignis, das sie im Interview ausdrücklich als eine die existenzielle Entscheidung motivierende Schlüsselerfahrung auswiesen: „Frank: Ja, das Verhältnis der Kinder gegenüber. Nur mal so eine kleine Geschichte, eine Anekdote zu erzählen. Wir waren mit dem Tim in einer Pizzeria essen und wie Kinder halt so sind, machen die Unordnung und schreien auch, so irgendwas lag auf dem Boden usw. Und wir in unserer deutschen Gewohnheit haben versucht den Tim zu beruhigen und haben gesagt: ,Mach hier kein Durcheinander und keinen Müll.‘ Und dann kam sogar der Ober zu uns und sagte: ,Lassen Sie das Kind mal in Ruhe.‘ Und das ist so der Unterschied, was ich glaube, was in Deutschland nicht passieren würde. Da ist es eher so, ja was man aus Deutschland gewohnt ist, alle Leute gucken so ein bisschen verdutzt, wenn Kinder schreien und rumlaufen. Und dann war das auch genau das, was später immer wieder zum Vorschein kam, so der krasse Unterschied. Und dann, sagen wir mal so, wenn man erstmal Lunte gerochen hat in solchen Sachen, dann fallen einem immer mehr Sachen auf, wo man sagt, eigentlich ist man doch relativ eingefahren und stur und es geht auch anders.

81 Gegen Bezahlung nehmen diese in Australien meist von Privatpersonen geführten Einrichtungen eine beratende Funktion ein, die etwa bei juristischen Angelegenheiten, beim Ausfüllen behördlicher Antragsformulare, der Eröffnung eines Bankkontos, der Anmeldung eines Kraftfahrtzeuges, der Wohnungssuche sowie einem allgemeinen Dolmetscherservice den Neuankömmlingen zur Seite stehen.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 239

Heidi: Die Kinder wachsen ganz anders auf. Die wachsen freier auf. Denen wird nicht so viel Zwang aufgedrängt, sich zu benehmen und Formalitäten und so was alles.“82

Das Erlebnis mit dem eigenen Sohn, das in mehreren Urlaubsaufenthalten in Sydney als sehr regenerativ erlebte Klima, die Möglichkeit der Nutzung des Migrationsnetzwerkes durch die familiäre Anlaufstelle im Gastland sowie die Wunschvorstellung „aus dem deutschen Alltagsleben einfach mal raus zu wollen“83 sind Segmente einer Auswanderungserzählung, für welche die Akteure affirmativ in Kauf nahmen, in der ersten Konsolidierungsphase ihrer auf Permanenz ausgelegten Mobilitätsdynamik zunächst ein Arbeitsverhältnis einzugehen, das nur gering den berufsqualifizierenden Kenntnissen von Frank Overmann entsprach, jedoch die Existenz in einem doch unbekannten Land sicherte, in dem man sich auch mit den bereits vorher bestehenden reellen Vorstellungen von seinem neuen Lebensmittelpunkt dennoch „durchbeißen und eigentlich von null anfangen müsse.“84 Die Entsprechung kulturell codierter Normen des australischen mateship, einer ausschließlich maskulinen Form der Kameraderie, wird als ausschlaggebende Schlüsselqualifikation zur erfolgreichen Besetzung einer Berufssparte von dem Gesprächspartner während des narrativen Interviews angeführt, wenngleich ein Neuankömmling aufgrund seines Status als Fremder bei diesem Vorhaben vorerst zum Scheitern verurteilt sei. Gewiss räumen die Wanderer zwischen den Kulturen im Wesentlichen eine sozialisationstheoretische Vorstellung von der Identitätsschädigung durch ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Arbeitsmarktkulturen ein, sie sind aber des Weiteren der festen Überzeugung, dass die anfänglichen negativen Beeinträchtigungen der Kulturmodulation bei den Kindern infolge der interkulturellen Lernprozesse kompensiert werden können. Das zum Eingang dieses Kapitels positionierte Zitat von Ahmet Yilmaz belegt in aller Deutlichkeit, dass seine erste Begegnung mit dem Fünften Kontinent der Formel von der Liebe auf den ersten Blick schon sehr nahekommt. Inspiriert durch die medial tradierten Bilder des deutsch-australischen Kulturbotschafters der 1980er und 1990er Jahre, Joachim „Blacky“ Fuchsberger, fungierten zuerst mehrwöchige Urlaubsreisen in Kombination mit wirtschaftswissenschaftlichen Marktforschungsanalysen vor Ort zur Schärfung des Auswanderungsentschlusses. Die Sichtung zahlreicher in Sydney vorhandener Marktlücken ließ mit zunehmender Verweildauer in der geeinten Bundesrepublik den Gedanken reifen, in Australien die eigene Geschäftsidee zu verwirklichen und somit unter den Einreisestatuten des BusinessVisums zunächst eine temporale Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.

82 Zitat aus dem Interview mit Heidi und Frank Overmann, datiert auf den 14.10.2007. 83 Ebd. 84 Ebd.

240 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Ich bin Ende 1974 nach Deutschland gekommen und danach die nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahre waren super, superschön. Aber irgendwann kommt auch der Punkt, wo du sagst: ,Willst du hier bleiben und hier sterben?‘ Bei dem verregneten Wetter, kein richtiger Sommer, die Leute machen Stress, immer, immer wieder. Die Lebensqualität ist im Prinzip gestiegen, aber nach der Öffnung zu Ostdeutschland habe ich so gesehen, dass es wirtschaftlich nicht mehr so gut klappen wird. Es ist ja im Prinzip ganz logisch, es ist ein riesengroßes Landstück und plötzlich ohne Vorbereitung ist es geöffnet worden und sollte auch ganz schnell aufgebaut werden, also angepasst zu Westdeutschland. Da habe ich gedacht, das geht nicht so gut. Dann habe ich gesehen, also der Euro kurz vor dem Kommen war, der ganze deutsche Markt wird untergehen.“85

Der Fall des Eisernen Vorhangs bzw. die deutsch-deutsche Wiedervereinigung, ein sich auf gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Ebene im Wandel befindliches Deutschland sowie die vom Gewährsmann verbalisierte Gewissheit, dass die Öffnung in Richtung Ostdeutschland zahlreiche negative Konsequenzen mit sich bringen würde, erhöhten das Fluchtpotenzial. Allein die von Yilmaz geäußerte Angst, sein individuelles wirtschaftliches Erfolgsstreben von Determinanten wie einer hohen Arbeitslosenquote, ökonomischer Angleichung der beiden deutschen Staaten und einer zu jener Zeit in Deutschland flächendeckend grassierenden feindlichaggressiven Stimmung gegenüber Ausländern abhängig zu machen, unterstrichen seine Ambitionen hinsichtlich einer aktiven Kapitalinvestition am neuen Lebensmittelpunkt Sydney. Für das Business-Visum, das die damalige Kategoriennummer 457 besaß, musste der Bewerber der Immigrationsbehörde zunächst ein den australischen Marktansprüchen genügendes, wie wohl ausformuliertes Konzept der eigenen Geschäftsidee mit erfolgversprechenden Zukunftsperspektiven präsentieren sowie den Nachweis dafür erbringen, dass der Antragsteller über mindestens 250.000 Australische Dollar verfügt, die er als Direktinvestition der australischen Marktwirtschaft garantiert. Das an diese Auflagen geknüpfte Bleiberecht betrug lediglich vier Jahre und es konnte nur dann eine Verlängerung beansprucht werden, wenn vom Migranten nachgewiesen werden konnte, dass er auch weiterhin so viel Geld mit seinem Projekt erwirtschaftet, dass er die Existenz seiner Familie sicherstellte und somit dem australischen Staat durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht zur Last fiel. Neben der ganzen emotionalen wie subjektiven Exaltiertheit, die Sydney unweigerlich in jedem temporären Durchreisenden effiziert, trachtet der Auswanderer in der Rückschau stets danach, objektive Rationalität als Hauptkriterium im Entscheidungsprozess herauszustellen:

85 Zitat aus dem Interview mit Ahmet Yilmaz, datiert auf den 16.03.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 241

„Wir hatten sowieso im Hinterkopf Sydney, weil damals, als ich Australien im Fernsehen gesehen habe, man zeigte immer das Opera House und die Harbour Bridge. Als ich diese Bilder gesehen habe, das war so beeindruckend und faszinierend schön. Das war alles so wunderschön am Wasser gelegen und dann die Stadt dahinter mit den großen Gebäuden, das war schon beeindruckend. Wir kamen ja nicht einfach so. Bevor wir kamen, haben wir über sehr, sehr viel nachgedacht. Politische Situation, Vergangenheit, Stabilität, dann Ausländerfeindlichkeit und Währung und alles Drum und Dran. Es war für uns schon wichtig, die Verbindung zu Europa zu behalten, deswegen haben wir gedacht Sydney. Jeder aus Europa kommt erstmal nach Sydney. Also die Verbindung zu halten, wäre schon wichtig und es ist immer noch sehr wichtig. Und wenn man ab und zu Mal hinfliegen will, die Verbindungen sind viel besser als in anderen Städten. Deswegen Sydney.“86

Nach mehreren Anläufen zur Realisierung eines eigenen Geschäftes gelang es Yilmaz mit dem Vertrieb von deutschen Backwaren im Queen Victoria Building und anderen Hauptgeschäfts- und Touristenstandorten eine australische Marktlücke zu füllen, die im multiethnischen Milieu der Millionenstadt zahlreiche Abnehmer findet, die nicht nur die Ernährungsgewohnheiten und lukullischen Sehnsüchte vieler Mitglieder der migrantischen „Brotdiaspora“ (Bönisch-Brednich 2002: 359) befriedigt. Der mit ethnischem Qualitätssiegel etikettierte Verkaufsstand87 der Lüneburger German Bakery bietet dem Kunden neben den Offerten einer italienischen Kaffeehauskultur, französischen Croissants und belegten Brötchen mit Pesto ferner ein weites Spektrum an Vollkornbrotsorten, die eine ethnische Gegenströmung zu der australischen Toast- und Weißbrotkultur bilden. Eine kulturelle Schwellenangst vor dem Kauf seiner aus Deutschland importierten Fertigprodukte seitens der australischen Mehrheitsbevölkerung erklärt sich der Geschäftsmann insofern, als dass er

86 Ebd. 87 Die auf den soziologischen Klassikern von Weber, Sombart und Simmel aufbauenden, neueren wissenschaftlichen Untersuchungen zum Migrationsphänomen des ethnischen Gewerbes (ethnic entrepreneurship) gehen von zwei Haupttheoriesträngen aus, die ein Aufkeimen derartiger Geschäftsprojekte erklären sollen. Das Konzept der Benachteiligungstheorie gibt zu verstehen, dass die Migranten bei ihrer Ankunft im Gastland wesentliche Aspekte des hier benötigten Humankapitals wie ausreichende Sprachkenntnisse sowie Ausbildung und Berufserfahrung vermissen lassen und die Integration der Neuankömmlinge in ein bezahltes Berufsverhältniss kaum gelingt, so dass die Selbstbeschäftigung die einzige Wahl sei. Unter der Kulturtheorie dagegen werden kultural determinierte Aspekte subsumiert, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer stark vernetzten ethnischen Gemeinschaft, Solidarität und Loyalität gegenüber den dort vorherrschenden sozialen Wertemustern, der Bereitschaft zur physischen wie zeitintensiven Arbeit sowie die Akzeptanz gegenüber geschäftlichem Risiko (Volery 2007: 32f.).

242 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

sich vorstellte, er selbst wäre noch nie außerhalb Australiens gewesen und wäre somit mit Vollkornbrot noch nie in Berührung gekommen. Er selbst „hätte wahrscheinlich gar kein Verlangen danach.“88 Seinen festen Kundenstamm rekurriert er vornehmlich aus Migranten aus West- und Osteuropa und den Balkanländern sowie zu einem großen Anteil von Asiaten, deren Affinität zu französischen Süß- und Backwaren hoch sei. Behauptungen aus Untersuchungen zu asiatischen Gemeinschaften in westlichen Großstädten wie Toronto, dass chinesische Kochküchen genauso wie japanische Sushi-Bars oder koreanische Hostels der Touristenbranche ausschließlich dem Nachfragepotenzial der eigenen ethnischen Enklave nachkommen, aus dem sie neben der Kundschaft auch ihren Mitarbeiterstamm rekrutieren (Salaff/Greve/Wong/Ping 2003), müssen auch schon aus dem Grund widerlegt werden, weil der deutsche Bevölkerungsanteil im Großraum Sydney zahlenmäßig nicht groß genug ist, um die Existenz der Geschäftsidee auf lange Sicht sicherzustellen. Speziell diese multiethnischen Netzwerke, die einen Informationsfluss über die intraethnischen Grenzen hinweg verbürgen und so zu den bedeutendsten Ressourcen des sozialen Kapitals avancieren, tragen in erheblichem Maße zu einer ökonomischen Minimierung des Risikos bei. Das Wagnis der Etablierung eines ethnischen Gewerbes sei gerade durch eine Vielzahl von erschwerenden Faktoren wie den prekären Konditionen zur Erhaltung eines Bankdarlehens, dem höchst konkurrierend-exkludierend wirkenden Mechanismen des Absatzmarktes, der hohen finanziellen Belastung durch das Nutzungsrecht von Verkaufsräumlichkeiten im zentralen Stadtkern Sydneys sowie strukturellen Diskriminierungen gegenüber Neulingen der Branche als nicht zu gering zu beurteilen. Besonders im Zuge der gesellschaftlichen Modeerscheinungen hin zu einem gesundheitsbewussten und ausgewogenen Ernährungsverhalten sind es nicht nur die traditionellen Geschmackskulturen, die den Kauf bzw. Nichtkauf von europäischen Produkten mitbestimmen, sondern vielmehr die gesundheitlichen Nebenwirkungen und Folgerisiken, die Yilmaz für einen nachhaltigen Wandel in der Backwarenindustrie Australiens in der näheren Zukunft verantwortlich macht. Verfügte die sich über ganz Australien erstreckende Warenpalette bis vor wenigen Jahren ausschließlich in den zum Nischendasein verdammten ethnischen continental shops über derlei Nahrungsprodukte, so haben nun auch große Lebensmittelvertriebskonzerne wie Coles und Wollworth die Absatzstärke von Körnerbrötchen und Vollkornbrot mit Roggenmehl erkannt. Der Auslöser für die aus eurozentrischer Perspektive als defizitär zu charakterisierende Konsistenz und den kulturell determinierten Geschmack des australischen Brotes, so der deutsche Bäcker, sei vor allem in dem auf dem Fünften Kontinent landwirtschaftlich produzierten Roggenmehl zu suchen, das über keine Gluten verfügt, sprich eine die Backfähigkeit des Mehls bedingende, klebrige, zähe Eiweißmasse. Eine für Euro-

88 Zitat aus dem Interview mit Ahmet Yilmaz, datiert auf den 16.03.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 243

päer und insbesondere Deutsche nicht hinnehmbare sowie kulturell nicht kondensierte bröcklige Beschaffenheit des Brotes, der man mit einer überdimensionierten Zugabe von Hefe entgegensteuern will, sei der Garant dafür, dass für sein Geschäft auch in den noch folgenden Jahren weiterhin florierende Aussichten bestünden. Das Konzept der ethnischen Verkaufsstrategie schlägt sich auch in dem Servicepersonal nieder, da bevorzugt ein westeuropäischer bzw. deutscher Habitus zur Bedienung der Kundschaft eingestellt wird: „Man kann nicht Asiaten in die German bakery reinstellen und auch keine German ladies in den Sushi-Laden. Da stimmt das Konzept dann nicht.“89 Wer die Ambitionen hegt, längerfristig auszuwandern, sieht sich mit zunehmendem Näherrücken des Ausreisetermins mit der Frage konfrontiert, ob wenige Kartons mit persönlichen Dingen genügen, vielleicht die wichtigsten Besitztümer sogar in den Auswanderungskoffer passen, oder man alternativ direkt alles in einen 20 Fuß großen Container packt und es von Tür zu Tür bringen lässt. Die 1990er Jahre grenzen sich von den vorher genannten Zeitabschnitten insofern deutlich ab, weil von den deutschen Migranten nahezu lückenlos der kulturelle Ballast in Form von Haushaltsgegenständen und Objektivationen mit subjektiv aufgeladener historischer Bedeutung in einem Container nach Australien transportiert wird. Da zwischen dem Empfang des Visums bzw. der Aufenthaltsgenehmigung und dem Ablauf dieser Erlaubnis nur wenige Monate lagen, mussten unmittelbar nach der Benachrichtigung über die erfolgreiche Bearbeitung des Immigrationsantrags die logistisch-organisatorischen Obliegenheiten in die Hände einer international operierenden Speditionsfirma übergeben werden. Zahlreiche Auswanderer standen nun vor der existenziellen Frage, ob es ratsamer sei, sein privates Hab und Gut via Container in die neue Wahlheimat zu verschiffen, im Zuge einer Haushaltsauflösung Geschirr, Essbesteck bis hin zu großen Kleiderschränken und Betten zu verkaufen oder bei Verwandten oder Freunden zunächst zwischenzulagern, da diese Form der Migration in Zeiten des akzelerierenden Flugverkehrs den Charakter der Eindimensionalität, Linearität und Endgültigkeit unlängst eingebüßt hatte. Bei der Beurteilung der Entscheidung, persönliche Habseligkeiten bei der Wanderungsbewegung über 16.500 Kilometer um die halbe Welt – und manchmal auch darüber hinaus – mitzunehmen, wurden vom befragten Personenkreis mittels einer rational bilanzierenden Erzählform positive wie negative Aspekte erwähnt. Zunächst ist es eine Frage des finanziellen Aufwands, da der internationale Umzug je nach Größe des Frachtcontainers eine nicht zu geringschätzende monetäre Belastung für die Auswanderer von 2.500 bis zu 7.000 Euro darstellt. Der Transport zum Versandhafen, das Beladen der Containerschiffe, Hafengebühren, Seefrachtkosten, Diesel- und Währungszuschlag, Quarantäneprüfung, Zollabfertigung sowie der Transport zur

89 Ebd.

244 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

neuen Adresse im Empfängerland sind Faktoren, die den zu zahlenden Preis für die aufgebrachte Energie der Spedition zusätzlich mitbestimmen. Als kaum lohnend wurde der noch in Deutschland zu realisierende Verkauf aller Haushaltsgegenstände charakterisiert, weil der Neukauf jeglicher Gebrauchsutensilien in Australien meist teurer ist als in Europa, und die mit häuslich-gemütlichen Attributen versehenen Gegenstände aus der deutschen Dingwelt in der Phase der Eingewöhnung in einem fremden Land ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit vermitteln. Bei jenen Mobilitätsformen, an deren Ausgangspunkt in der Bundesrepublik das genaue Endziel noch nicht genau definiert werden konnte, wurde es dagegen als Erleichterung empfunden, mit wenig Gepäck flexibler zu sein, da bei häufigeren Ortswechseln persönlicher Besitz zumeist als bedrückender Ballast erfahren wird. Die für Australien Geltung besitzenden strikten Zoll- und Quarantäneauflagen untersagen die Einfuhr von Lebensmitteln jeglicher Art, Pflanzenbestandteilen, Samen, Wurzeln, unbehandelten Holzsorten sowie Tier- und Insektenarten.90 Schuhe und Fahrräder mit Erdrückständen, Bilderrahmen mit Holzwurmbefall, minimale Restteilchen von Nahrungsmitteln in Geschirrspülmaschinen sowie Flusen in Wäschetrocknern riefen bei dem mehrere Wochen dauernden Kontrollverfahren die Behörde auf den Plan, die neuerlich zeit- und kostenintensive Untersuchungen anstellten. Grundsätzlich war bei den Auswanderern eine intensive theoretische Auseinandersetzung mit Frachtbestimmungen, Einfuhrgenehmigungen sowie Überführungsrichtlinien zu erkennen, wenngleich der Vorgang des Containertransports in der praktischen Umsetzung von einer Fülle von Problemen und Schwierigkeiten begleitet war. Kartons packen und beschriften, Möbel auseinanderschrauben bzw. die Einzelteile, Gewindestifte und Schraubenmuttern mit Zeitungspapier oder Luftpols-

90 Die Befürchtungen Australiens vor der Einschleppung fremdartiger Insekten nehmen seit dem Vorkommen der von einem südamerikanischen Frachter versehentlich mittransportierten Feuerameise paranoide Züge an, da die graduelle Eindämmung dieser Plage sowie die Wiederherstellung der von diesem Insekt zerstörten Teile in Flora und Fauna die australische Regierung gegenwärtig Millionensummen kosten. Keinen Seltenheitscharakter besaßen die Angaben von deutschen Emigranten, dass jene bei den zahlreichen Besuchen in der Bundesrepublik der Versuchung nicht widerstehen konnten, bestimmte, nicht über australische Läden zu beziehende Produkte wie Feldsalatsamen, süßen Senf, Brotfertigmischungen, Backpulver, Dr.-Oetker-Vanillepudding oder Quarkspeisen an den Zoll- und Quarantäneinstanzen vorbei ins Land einzuschmuggeln. Dazu muss gesagt werden, dass das australische Warenangebot in den 1990er Jahren noch über weit weniger Lebensmittelprodukte verfügte, als dass es aktuell der Fall ist. Gerade weil der ALDI-Konzern erst zu Beginn des neuen Jahrtausends seinen internationalen Absatzmarkt um Australien erweiterte, war es in den Jahren davor gang und gäbe, dass Auswanderer die Trommel ihrer im Container mittransportierten Waschmaschine beutelweise mit Gummibärchen füllten.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 245

terfolie so zu verpacken und zu kennzeichnen, dass man sie später wieder richtig zuordnen kann, das mehrmalige Einwickeln von zerbrechlichem Porzellan oder Glas sowie das Isolieren von wertvollen wie wasserempfindlichen Gegenständen gegen die Absorption von Meeres- und Kondenswasser nahmen gleich mehrere arbeitsintensive Wochen in Anspruch. In den acht bis neun Wochen, in denen die Fracht von Sachgegenständen und Objektivationen mit sentimental-kulturellem Erinnerungswert die Seestrecke zwischen Europa und dem Fünften Kontinent zurücklegte, lebten einige Migranten übergangsweise bei Freunden oder näheren Familienangehörigen, da mit der Abholung des Containers einerseits das alte Heim unbewohnbar wurde und andererseits der Verkauf oder die Vermietung von Wohnung oder Haus bzw. das Ende des Mietvertrags anstand. Insbesondere jene Auswanderer, deren Habseligkeiten in den Monaten Oktober und November Deutschland verließen und in den australischen Weihnachts- bzw. Sommerfreien den Hafen von Sydney erreichten, mussten sich einer deutlichen Verlängerung der Bearbeitungszeit beim Zollamt fügen: „Wir haben das ganz schlau gemacht. Wir haben den [Container, Anm. d. A.] vorher weggeschickt, damit der mit uns hier ist, und hatten uns in Liblar dann Möbel von Freunden geliehen. Da hatten wir es leichter als hier, weil hier kennen wir keinen. Und der [Container, Anm. d. A.] war auch hier, aber das war an Weihnachten, als wir kamen, dann saß der fest. Keiner arbeitete und dann war Neujahr und keiner arbeitete und dann war auch noch Streik. Dann kriegten wir auch noch mit, dass der Zoll der uneffektivste der ganzen Welt ist. Das dauerte dann und Ende Januar kriegten wir dann die Möbel. Wir hatten dann hier eine Matratze, eine Pfanne und vier Teller und vier Messer geliehen, das war dann sehr jugendherbergsmäßig.“91

Klaviere, restaurierte antiquarische Möbelstücke aus der Familie, Spielzeug für die Kinder und alltägliche Gegenstände für den Haushaltsgebrauch mit der Aufschrift Made in Sollingen gehörten genauso zum transportierten kulturellen Gepäck wie Vasen, Fotoalben, Bilder aus dem Genre Alpenpanorama mit röhrendem Hirsch und historischen Hafen- und Seekarten aus dem Hanseraum. Das hier nachgewiesene Phänomen des Expedierens von kulturellen Gütern materieller Art von Deutschland nach Australien sekundiert mit einer sowohl von wissenschaftlicher Seite geäußerten als auch von der internationalen Innen- und Außenwahrnehmung den Deutschen attestierten Disposition, eine stark ausgebildete Bindung bzw. Beziehung zu Objekten mit dem nebulösen, dennoch bedeutungsschweren Gütesiegel „traditionell“ zu besitzen (Breidenbach 1994: 54f.). Der aktive Gebrauch von sachkulturellen Gegenständen, ausgelegt „als aus Material gefertigte[n] Objektivationen“ (Jeggle 1983: 14) und „creations und creators of the culturally constituted world“ (McCracken 1988: 77), im

91 Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007.

246 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

fremdkulturellen Milieu erfüllt aus rein kulturwissenschaftlicher Perspektive die Vorstellung des „erweiterten Selbst“, weil sie im Kontext der Wanderungsbewegung wesentliche Bestandteile der Ethnizität eines jeden Wanderers verbürgen und als Ausdruck dafür ins Feld geführt werden können, unter welchen kulturellen Prämissen die migrantische Alltagswelt gesehen, verstanden und gelebt wird. Kulturelles Cargo wie ein altes Grammofon, historische Sessel, Kunstgegenstände und Bücher des säkularen Weltkulturerbes werden auch dann als die nostalgischen Sehnsüchte bedienenden Kultobjekte von Deutschland aus mitgenommen, wenn die Migranten vor der Abreise über ein dezidiertes Wissen hinsichtlich einer freien und weniger mit Möbeln aufgefüllten australischen Wohnkultur verfügten. In den materiell-objektiven Kulturgütern offenbaren sich gerade in der durch räumliche Trennung hervorgerufenen migrationsbedingten Krisensituation, in der sich der kulturell Entwurzelte seiner ethnischen Identität partiell beraubt fühlt, eine kompensatorische Wirkkraft als Erinnerungsorgane, die helfen sollen, historische Sinnbildung zu reaktivieren sowie ein transkulturelles Gedächtnis zu begründen. Denn dieses kulturelle Gedächtnis stellt normative und handlungsdirigierende Antworten auf Fragen nach den für die eigene Kulturgemeinschaft verbindlichen Werten und gestaltenden kollektiven Identitäten zur Verfügung. Der Verweis darauf, dass australische Freunde bei Visitationen bzw. abendlichen Veranstaltungen in den Wohnräumlichkeiten der deutschen Auswanderer kontinuierlich das ihnen kaum bekannte, leicht altehrwürdig wirkende Ambiente – charakterisiert zum Beispiel durch größere Landschaftsbilder, Wandteppiche, massive Bücherregale, eine sich im Eingang befindliche Garderobe, Eckbänke aus Massivholz, Polstermöbel, aufwendig ornamentierte Wanddekorationen, religiöse Devotionalien und Schweizer Kuhglocken – vorgeblich in aller Ehrfurcht vor so viel konzentrierter Historizität loben, zeigt, dass diesem materiellen Set an ethnischen Distinktionen neben allen vordergründigen ästhetischen Inklinationen in erster Linie kulturelle Prinzipien inhärent sind. Australische Interaktionspartner werden innerhalb dieser interkulturellen Situation nicht ohne despektierliche Begutachtung mit Museumsbesuchern gleichgesetzt, vor denen sich ein ganzes Panoptikum von konservierten kulturellen Welten auftut, deren überlieferte Arrangements den deutschen Auswanderern als klassisches Medium zur Übermittlung historischer Botschaften sowie zur Selbstinszenierung und Selbstberauschung zugutekommen. Kulturelle Sachgegenstände der beweglichen Habe (Poehls 2010: 225) dienen somit dem Aufbau einer kulturell konstituierten Welt und zugleich findet eine kulturell-ethnische Repräsentation durch die mit historischer Bedeutung belegten Objekte aus der Herkunftskultur statt, wenn sie vor australischen Freunden bzw. anderen Immigranten als exotische Mitbringsel aus dem fernen Europa und gleichzeitig als Stellvertreter einer als national konstruierten Kultur vorgeführt werden. In dieser ethnischen Interaktion wird wiederum ersichtlich, dass die kulturelle Eigenheit, die von den Artefakten unweigerlich hergestellt wird, nicht ohne eine fremdkulturelle Bestätigung und Anerkennung auskommt. Die sich aus der materialisierten deutschen Ausfuhr speisende Raumausstattung bzw. die Innenarchi-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 247

tektur transportiert konkrete atmosphärische Emotionseindrücke sowie Befindlichkeiten, die unter den den Deutschen nahestehenden Australiern mit der ideologischen Formel der German gemütlichkeit kommuniziert werden und vielen Auswanderern erst dann richtig ins Bewusstsein rücken, wenn der partielle Verlust dieser ehemals selbstverständlichen „Materialisierungen von Sinnbezügen“ und „vergegenständlichte[n] Symbole, verobjektivierte[n] Affekte und Emotionen“ (Korff 1999: 287) droht. Stellen wir die Frage nach der Kulturalität dieser materiellen Sachgegenstände in Zeiten der erhöhten individuellen wie kollektiven Imponderabilität, die eine Migration unweigerlich mit sich bringt, so sind diese gewachsenen Mensch-Ding-Beziehungen, bei denen der Mensch durch die Dinge und in seiner Korrelation zu diesen lokalisiert werden muss, anhand der subjektiven Assoziation von Gemütlichkeit dazu da, kompensatorisch gegen das aktuell vorhandene Nebeneinander von Ungleichzeitigem und Gleichzeitigem innerhalb der Migrantensituation zu Felde zu ziehen. Besonders die Wahrnehmung von heimatlicher Gemütlichkeit bedingt mit ihren Autonomie- und Authentizitätspotenzialen die Glättung der alltäglichen Wogen bzw. die aus den zahlreichen Kulturkonflikten resultierenden personalen Unausgeglichenheiten und offeriert „ein regenerierendes und identitätssicherndes Konzept zur Lebensgestaltung“ (Schmidt-Lauber 2003: 227). Gemein ist all diesen mobilen Besitztümern und Kontinuitätsobjekten, die nicht selten von den Gewährspersonen als kulturelle Unentbehrlichkeiten für die materielle wie kulturelle Bewältigung der Migration dokumentiert werden, dass sie Vertrautheit in der Fremde suggerieren, die ethnische Identität in der unbekannten Transitsituation akzentuieren und eine interkulturelle Brücke zu der alten Heimat entwickeln (Warneken 2003: 13). Ubiquitäres Charakteristikum der kommunikativen Interviewsituationen mit den Migranten aus den 1990er Jahren war eine dichotomische Argumentationsführung, die stets zu einer vergleichenden Gegenüberstellung exemplifizierter Alltagssituationen im Spannungsfeld zwischen Australien – als dem aktuell bewohnten Lebensraum – und Deutschland – als dem verlassenen sozialen Raumgefüge – tendierte, damit ihrer Wanderungsbewegung eine rechtfertigende wie scheinbar objektive Grundlage zur Seite stellte und durch das Modell des In-Zusammenhang-Bringens bzw. der Wiedergabe von dualistischen Denkstrukturen narrativ eine kulturelle Welt kreierte. Mit den zur Alltagskommunikation gehörenden narrativ-illustrativen Gattungsmodi des Vergleichs wie auch des Exempels, die kulturelle Sichtweisen auf Lebenswelten und subjektive Handlungs- wie Deutungsebenen transparent werden lassen, hat sich bereits die narratologisch ausgerichtete Kulturanthropologie/Volkskunde schwerpunktmäßig auseinandergesetzt (Gerndt 1972; Lehmann 1989).92 Unter dem Gesichtspunkt der Lebens- und Identitätsorientierung gebenden

92 Albrecht Lehmann schreibt in seiner jüngsten Publikation über die kommunikative Gattung: „Wer in unserer Gesellschaft tüchtig sein will, Beweise führen, einen Standpunkt

248 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Funktion jener im weiteren Verlauf dieses Kapitels näher präsentierten Muster der Überzeugungsrede mag es nicht gänzlich verwundern, wenn diese zwischen den Polen des Herkunfts- und des Empfängerlandes eingerahmte narrative Minimalform in ihrem strukturellen Aufbau stets so konzipiert ist, dass sie die gegenwärtig Gültigkeit besitzende Daseinsform des Auswanderers einerseits mit abstrahierten narrativen Bausteinen konkret beleuchtet, dabei aber andererseits die eigenen Belege verteidigend einen transnationalen Bogen spannt und damit eine induktive Beweisführung der darin verbalisierten Erzähl- und Argumentationssegmente anstrebt. Um die eigene lebensgeschichtliche Selbstverortung zu systematisieren bzw. zu konturieren sowie dem neugierigen Gegenüber während des Interviews eher dogmatische bis strikt rationale Interpretationshilfen für das Verständnis der migrationsbedingten bewegten Lebenswelt zu explizieren, besitzt dieser ländervergleichende, subjektive Prozess nach Brigitte Bönisch-Brednich die Aufgabe, „den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen, sich seiner Identität zu versichern und schließlich den Auswanderungsentschluss zu bekräftigen“ (Bönisch-Brednich 2002: 274). Dieser automatisch und ohne weitere Erzählstimuli in Gang gesetzte Reflexionsmechanismus verfährt jedoch keineswegs in einer sturen Eindimensionalität der märchenhaften Formel von „die guten Aspekte ins Töpfchen, alle negativen Nebenerscheinungen ins Kröpfchen“; vielmehr dominiert ein sehr heterogenes wie differenziertes Mosaik bei der Beschreibung der beiden Kulturen. Persönliche Schlüsselerlebnisse auf beiden Kontinenten, die binationale Parallelisierung rein ökonomischer Verhältnisse sowie die von Albrecht Lehmann theoretisch konzeptionalisierte Erinnerungsreise in die Bundesrepublik umreißen die argumentativen, zumeist mit hohem Veranschaulichungsniveau wiedergegebenen Typisierungen der deutschen Auswanderer. Andreas Rottscheidt lebte bereits nach der Auswanderung mit seinen Eltern im Jahre 1957 mehrere Jahre in Australien, besuchte in Sydney die Schule und remigrierte in den 1960er Jahren nach Deutschland, wo er seine schulische wie universitäre Ausbildung fortsetzte, jedoch stets Zeit fand, alte Bekannte in Australien zu besuchen. Anlass für seine endgültige Auswanderung im Jahre 1994 gab das Versterben eines nahen Familienmitgliedes, das als initiierender Ausgangspunkt für einen ersten nationalen Vergleich interpretiert werden kann. Aus der psychologischpathogene Züge des Verdrusses beinhaltenden Situation93, in der sich der Informant

artikulieren, ihn zusammen mit anderen klären oder ihn gegen sie verteidigen will, wer unterhalten oder agitieren will, der muß diese Strategie der Alltagskommunikation beherrschen. Als kulturelle Form des Miteinander-Sprechens ist der Vergleich ein situationsübergreifendes und inhaltlich unspezifisches Regelsystem“ (Lehmann 2007: 190). 93 Der Tod des Familienangehörigen stellte den Migranten zwangsläufig vor existenzielle Probleme, die in dem mit einem biografischen Trauma belegten geografischen wie sozialen Territorium Deutschland kaum bis gar nicht zu einer Trauerbewältigung geführt hät-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 249

nach dem weiteren Sinn seines Lebens fragte, wird Deutschland mit der affektiven Stimmungslage der „Trübe“94 gleichgesetzt, wogegen in Australien erfahrungsgemäß die Sonne schien und mehr Abwechslungsreichtum auf ihn wartete. Ein in Relation zu deutschen Verhältnissen gesetztes Schlüsselerlebnis, das ihm als Student bei der Ankunft in Sydney widerfahren ist, speiste seinen Wunsch nach einem persönlichen Bruch mit Altbekanntem: „Ich habe ein Erlebnis gehabt. Als ich Student war, das kam ich hier rüber mit dem Rucksack am Flughafen und frühmorgens kam der Flieger an. Ich hatte Geld umgetauscht und hatte nur einen 50-Dollar-Schein. Habe dann keine Taxe genommen, sondern einen Bus. Ich gehe zum Busfahrer morgens um 6.00 Uhr und halte ihm den Fünfziger hin und sagte: ,Ich möchte nach Sydney rein.‘ Da hat er gesagt: ,Das kann ich nicht wechseln.‘ Da hat eine Frau zu mir gesagt: ,Come on love, come over here.‘ Und dann hielt sie mir ihr Portemonnaie hin und sagte: ,How much does it cost?‘ Und er sagte: ,Ein Dollar zwanzig.‘ Und dann sagte sie: ,Take, meine Augen sind zu schlecht, ich kann nicht gucken, nimm dir die 1,20 raus.‘“95

Das Wechselspiel der kulturellen Grundtechnik des zeitlichen und räumlichen Zuordnens wie In-Beziehung-Setzens gesellschaftlich kondensierter Praktiken wirkt in seiner Regelsystematik nur dann stimmig und nachvollziehbar, wenn das australische Weltbild an dem des deutschen gespiegelt wird. „Es ist nicht passiert, ich habe das erlebt in Deutschland. Als ich in Deutschland war, also als ich mit dreizehn, vierzehn oder fünfzehn nach Deutschland zurückging, da habe ich in Hamburg gelebt, da habe ich den Busfahrschein verloren. Ich hatte bezahlt und der blöde Bus, normalerweise fuhr er bis zur Endstation, aber diesmal nicht. Bei diesem Mal musste er an-

ten. Eine unter externem Zwang realisierte Entwurzelung sowie ein temporäres Abbrechen aller von dieser menschlichen Tragödie behafteten Kontaktpunkte werden deshalb im Nachhinein als positiv beschrieben, weil dieses Muster der Migration eine kathartische Wirkung hatte und den Wanderer in eine von seelischen Repressionen befreite Zukunft entließ. Migration ist vor dem Hintergrund der Handhabung psychischer Langzeitfolgen, die die Erschütterung im Unterbewusstsein hervorrufen, eine Form der anthropogenen Überlebensstrategie. Das hohe Belastungspotenzial des Ohnmachts-Anomie-Lebensgefühls sowie des interaktiven Rollenverlusts bedingte einen Anstieg der Frustrationstoleranzschwelle, so dass die Migration als ein Ergebnis eines anhaltenden internen Kampfes angesehen werden kann, bei dem sowohl äußere negative Lebensbedingungen als auch internale Faktoren und Entscheidungsprozesse ausschlaggebend für die Emigration sind (Collatz 1995: 37). 94 Zitat aus dem Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007. 95 Ebd.

250 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

halten und wir mussten in einen anderen Bus umsteigen und dann hatte ich den Fahrschein nicht mehr. Es war so ein heißer Sommertag und ich war fertig von der Schule nachmittags um 3.00 Uhr und da habe ich eine Frau gefragt, die angehauen und gesagt: ,Ich habe meinen Fahrschein verloren.‘ Ob die mir das Geld geben würde? Da hat die gesagt: ,Wie komme ich den dazu, ich kenne sie doch gar nicht.‘“96

Egalitäre Gemeinschaftsformen, enorme Hilfsbereitschaft auch gegenüber dem fremden Nächsten, Spontaneität, Verständnisbereitschaft, freundliche wie zuvorkommende zwischenmenschliche Kommunikationsweisen sowie der australische Mythos des fair go werden argumentativ an der Reserviertheit, Anonymität, Unliebenswürdigkeit und Arroganz der bundesdeutschen Mitbürger kontrastiert. Als ausschlaggebende Indizien einer australischen Mentalität – die es in ihrer singulären Form wahrscheinlich gar nicht gibt, wenngleich bei den untersuchten Gewährspersonen doch konkrete, auf Erfahrungen des alltäglichen Umgangs mit Australiern basierende stereotypisierte Vorstellungen davon existieren – gelten bei den deutschen Auswanderern ein unkonventionelles Verhalten, weniger an festgefahrenen pedantischen Strukturen orientierte Problemlösungsansätze, ein informell-freundlicher Wesenszug sowie eine gewisse unbekümmerte Lockerheit im Umgang mit Mitmenschen, die kontinuierlich in illustrativer wie intentional formalisierender Manier an der Reflexionsfläche des deutschen Bürokratie- und Behördenapparates gespiegelt wird. Alltägliche kulturübergreifende Kommunikationsformen wie der fast inflationär betriebene, kurzweilige und oberflächliche Smalltalk mit dem Busfahrer, dem Fährpersonal, seinem Lunch-Nachbarn in der Mittagspause, dem Barista im Straßencafé oder der Kassiererin im Einkaufszentrum, bei der die Anrede weniger distanzierend direkt mit dem Vornamen erfolgt, scheinen in dem Herkunftsland in Anbetracht persönlicher Animositäten gegenüber Unbekannten, Klassenhörigkeit und Verkrampftheit nahezu undenkbar zu praktizierende soziokulturelle Gepflogenheiten. Die im ethnografischen Gespräch besondere Erwähnung findende humane Etikette der engagierten Hilfsbereitschaft materialisiert sich in einer für Sydney so typischen wie exemplifizierenden urban legend, einer modernen Stadtsage, in deren Zentrum ein ratloser, suchender und kein direktes Ziel ansteuernder Tourist im Hyde Park steht, der für seine weitere touristische Exploration der Hafenstadt, so vermittelt der erste äußere Anblick, dringend einen guten Ratschlag benötigt. Nach dem Verstreichen nur weniger Sekunden, so die einhelligen Aussagen der Gesprächspartner, könnte sich der im metaphorischen Sinne Gestrandete der Hilfe eines Passanten sicher sein, der auch nicht davor scheut, andere Vorübergehende in die kommunikative Entscheidungsfindung miteinzubeziehen.97 In Opposition zu den

96 Ebd. 97 „Also ich bin angekommen morgens an der central station und habe erstmal ein Hostel in der Innenstadt gesucht und habe dann auch eine Stadtkarte ausgebreitet und stand im Park

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 251

von den Kulturkurieren aus Deutschland mittransportierten Vorstellungen über konziliante Umgangsformen erscheinen die australischen Verhaltensweisen nach einer vordergründigen Betrachtung als lebensbejahender, weniger aggressiv, sensibler und deutlich näher auf die menschlichen Bedürfnisse der kulturell defizienten Neuankömmlinge ausgerichtet. Ein im Zuge der sich in unterschiedlichen Schüben vollziehenden Globalisierung stattfindendes Expandieren des internationalen Flugverkehrs prolongiert den dialektischen Ländervergleich, so dass die vom Hamburger Kulturwissenschaftler Albrecht Lehmann am Beispiel der deutschen Flüchtlinge von 1945 nachgewiesenen Erinnerungsreisen jene polarisierende Bewusstseinsbildung intensivieren, weil solche Reisen auf Besuchsbasis für die Australienauswanderer angesichts ihrer zeitlich intensiven Akkulturation außerhalb der Bundesgrenzen unmissverständlich dokumentieren, dass sich zwischen ihnen und den in Deutschland lebenden Menschen eine enorme kulturelle Kluft aufgetan hat (Lehmann 1991: 108ff.). Die Pilgerfahrt in die alte Heimat führt den deutschen Immigranten die unüberbrückbaren kulturellen Differenzen gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft in ungeschönter Art und Weise vor Augen, in dem diese eher heimwehtouristische Gefühle und mögliche Heimkehrillusionen befriedigende „Reise in die eigene Vergangenheit“ (ebd.: 110) von zahlreichen Ernüchterungen gekennzeichnet war. Eine zumeist mit Resignation und Empörung erzählerisch wiedergegebene exemplarische Situationsbeschreibung von bundesdeutschen Realitäten und deren unmittelbar daran anknüpfende Gegenüberstellung mit der, scheinbar objektiven, sozialen Wirklichkeit in der neuen Heimat muss an dieser Stelle als ein dem Modell des Konstruktivismus folgendes Denkvehikel zur Selbstpositionierung und Selbstvergewisserung des Migranten ausgedeutet werden. Frank Overmann äußerte Nachstehendes über seine Erinnerungsreisen: „Ich muss sagen, jedes Mal, wenn ich jetzt wieder nach Deutschland fliege, habe ich spätestens nach ein paar Wochen, dann bin ich froh, endlich da wieder weg zu sein. Ich halte mir immer wieder vor Augen, wenn ich mich nochmal mit Freunden treffe, ich wäre genauso wie die, ich würde genauso in der Richtung verfahren, wie die das machen. Da gefällt mir also das, wie es hier ist, vielleicht nicht optimal ist, aber für mich ist das einfach besser. Was mir

und hatte plötzlich total verzweifelt rumgeschaut. Da kommen die Leute direkt auf dich zu und haben so ein Helfersyndrom, obwohl das gerade im Berufsverkehr war. Das war dann ein Anzugsträger, der mich sofort fragte, ob ich Hilfe brauch. Normalerweise, ich meine in Frankfurt ist es so, wenn jemand auf dich zukommt und fragt: ,Do you know where you are?‘ Dann kannst du eigentlich davon ausgehen, dass gerade drei Leute sich hinter dir aufbauen, um dich dann gleich auszurauben.“ Zitat aus dem Interview mit Stefan Grunberg, datiert auf den 29.08.2008.

252 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

immer sehr oft auffällt, ist das Meckern. Wir müssen das jetzt bezahlen, wir müssen Abgaben da machen, wir müssen das machen, aber die fahren immer noch dreimal im Jahr in Urlaub. Denen ging es ja vielleicht vorher besser, das will ich ja gar nicht abstreiten, aber es ist lange noch nicht so, dass es denen schlecht geht. Und das ist irgendwas, also immer, also mir fällt es immer sehr auf, dass die Leute immer wieder meckern, weil sie irgendwo mal 1 Dollar oder Euro mehr bezahlen müssen. Wo die sagen, das ist wieder teurer geworden und das ist wieder teurer geworden. Es wird sich auch sehr oft über Krankheiten unterhalten. Also wenn man mal so Gesprächen zuhört, besonders, ich will jetzt nicht sagen älteren Leuten, aber bei meinem Alter zum Beispiel oder bei ihren Eltern, dann ist das immer erst die Krankheit. Der hat das, der hat das und der hat das. Und mir tut das ja auch weh und ich habe ja auch so was Ähnliches.“98

Insbesondere das „Jammern und Klagen auf einem hohen Niveau“99, der Hang zum Griesgram, die hyperkritische Begutachtung von nicht auf der Linie gesellschaftlicher Konformität liegender beruflicher Entscheidungen sowie die deutsche Pingeligkeit100 werden von den Australienauswanderern hinsichtlich des Ländervergleichs als erzählenswert erachtet. All diese Beispielerzählungen kumulierten in

98

Zitat aus dem Interview mit Frank Overmann, datiert auf den 14.10.2007.

99

Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008.

100 Für Familie Pflüger begann das kontrollierte und mit wenigen Risiken verbundene „spannende Abenteuer“ Australien zunächst mit der temporären beruflichen Versendung durch den damaligen Arbeitgeber von Gregor Pflüger im Jahre 1998, bis sie sich im Jahre 2002 entschieden, permanent in Sydney leben zu wollen. Aus der Situation als expatriate, als einer Lebensabschnittmigration, wurde mit zunehmender Integration in die australische Lebensweise sowie einer kontinuierlichen Entfremdung von Deutschland eine permanente Auswanderung. Da die Familie der firmeninternen Versendung zu dem Zeitpunkt zustimmte, als die Fertigstellung ihres Neubaus anstand und dieses im Zeitraum ihrer gegenwärtig noch anhaltenden Abwesenheit vermietet wird, sind die deutsch-australischen Migranten über die ihnen so eigentümlich vorkommenden Verhaltensweisen ihrer Mieter bestens informiert: „Und dann fällt uns schon auf, wie pingelig die Deutschen sind. Jetzt, wo wir schon fast zehn Jahre hier sind, da denken wir, mein Gott sind die Deutschen pingelig. Jetzt gehen wir so ein bisschen in die australische Richtung und sehen das Deutsche so ein bisschen mit Distanz. Also unsere Mieter beschwerten sich, dass der Wasserhahn, dass der Grohe-Wasserhahn, nicht genau so, wie sie drehen, seine Temperatur ändert. Da dachte ich nur, ,get a life‘. Die Deutschen sind echt pingelig dann, aber das geht so ein bisschen weg, wenn man hier wohnt, wo ich denke, das tut uns Deutschen ganz gut.“ Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007 (siehe zur kulturwissenschaftlichen Erforschung der expats Moosmüller 1997; von Dobeneck 2010).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 253

dem griffigen und Kategorien setzenden Statement, dass in Deutschland das Glas immer halbleer sei und nicht halbvoll. Bigotterie zeige sich vor allem darin, so die einvernehmliche Überzeugung der Migranten, dass sich die in Deutschland lebenden Bundesbürger auf der einen Seite beschweren, „dass es in diesem Jahr nur zu drei Urlauben reicht und nicht mehr zum vierten und dass der Skipass in der Schweiz schon wieder teurer geworden ist“101, sowie auf der anderen Seite – im Gegensatz zu Australien – in ein intaktes System der sozialen Absicherung integriert seien und nach der Beamtenpensionierung ein Leben „wie die Made im Speck“102 führen könnten. Auch wenn beim fortwährenden Korrelieren der Gelegenheitsauswanderer stets die bessere Lebensqualität in Australien herausgekehrt wird, so werden doch mit Blick auf das System des Wohlfahrtsstaates, die Altersrente und die Krankenversicherung einige Abstriche eingeräumt.103 Hierbei wird ersichtlich, dass die Migranten durchaus auch um eine selbstkritische Begutachtung ihrer flexiblen Biografien als Auswanderer bemüht sind und nicht nur „aus Gründen der seelischen Harmonie“ Phasen von Rückschlägen und Frustrationen in der Rückschau „emotional geglättet, objektiviert und relativiert“ (Lehmann 2007: 192) präsentieren, um ausschließlich die „Erscheinungsform der Erfolgsstory“ (Ders. 1991: 204) zu saturieren. Zu einer in eine dichotome Argumentationsstruktur eingebetteten gelungenen Integrationsgeschichte, die wie jede rekonstruktive Erzählgattung dem Prozess der bewussten Vereinheitlichung, Erfahrungsreduktion und Wirklichkeitsformalisierung unterliegt, gehören ferner kulturelle Schieflagen und Bruchzonen, die einem zeitlich begrenzten Rückkehrer in der rückschauenden Bewertung der eigenen biografischen Migrationsdynamik zu einem resümierenden Fazit kom-

101 Zitat aus dem Interview mit Gregor Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 102 Zitat aus dem Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007. 103 Dem Aspekt des Gelegenheitsauswanderers bzw. Lebensabschnittsmigranten genügt auch Mathias Burmeister, der nach Jahren des beruflichen Pendlerdaseins 1998 seiner Freundin, die einem Postdoc-Anstellungsverhältnis als Wissenschaftlerin an die University of New South Wales nicht widerstehen konnte, in Richtung Sydney nachfolgte. Gerade weil die finanziellen Bezüge nach dem Übergang in den beruflichen Ruhestand in Australien in keiner Weise mit denen in Deutschland zu vergleichen sind, zahlt Burmeister seit seiner Auswanderung monatlich eine gewisse Summe in eine private bzw. betriebliche Rentenkasse ein und schafft sich somit eine die Existenz absichernde Brücke nach Deutschland, die neben den wenigen Bezügen und sachlichen Vergünstigungen in Australien in der Zukunft einmal seine Hauptrente darstellen wird. Hierin zeigt sich insbesondere das okkasionelle Spezifikum dieser Migrationsdynamik, weil aus Gründen seines fragilen staatsbürgerlichen Status, der permanent residency, die alle fünf Jahre einer behördlichen Erneuerung bedarf sowie kein Wahlrecht beinhaltet, eine Absicherung wohl verständlich erscheint.

254 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

men lassen, dass die Migranten in der Eigenbewertung sich selbst nicht mehr zu den „richtigen Deutschen“ zählen, weil die einfach „anders als die anderen seien“. Denn schon im Zuge der temporären Präsenz in Australien und der räumlichen Segregation von Deutschland veränderten sich in vielfacher Hinsicht traditionelle Bewertungsmuster und Vorstellungen von kulturellen Bedeutungszuschreibungen, die unausbleiblich zu vereinzelten Konflikten zwischen Rückkehrern und Daheimgebliebenen aufgrund der Unterschiede der kulturellen und sozialen Lebensmaximen führten (Matter 1987: 241). Mit dem Wissen um die Komplexität der kulturellen Andersartigkeit jener deutschen Migranten innerhalb der Bundesgrenzen, d. h., dass die Unterschiede kultureller Handlungsprämissen größer sind als die Gemeinsamkeiten, intensiviert sich gleichzeitig eine Identifikation mit der australischen Nation und deren Lebensrealität. Verstehen wir das Miteinander-in-Beziehung-Setzen von kulturellen Differenzierungen und Distinktionen zwischen neuer und alter Destination bei den Erzählungen über die Erinnerungsreise, wie Albrecht Lehmann es tat, stets ausgehend von der gegenwärtigen Migrantensituation heraus und zu deren Erhellung (Lehmann 1995: 30), so verlangt der Vergleich dem Homo migrans stets eine bewusste Entscheidung für eine geografische wie kulturell lokalisierbare Lebenswelt ab: „Ich war jetzt vor zwei Jahren das erste Mal drüben, um jemanden zu treffen und Bekannte zu sehen, aber ich lebe hier. Ich sage das denen dann auch. Ich komme aus dem Paradies, ich besuche euch und ich kehre auch wieder zurück ins Paradies. […] Am Flughafen, damals war der Flughafen noch viel kleiner. Und dann einfach ankommen, aus dem Flughafengebäude raus, oder auch aus dem Flugzeug raus und dann riechen, das Meer. Der Flughafen ist ja direkt am Meer. Diese feuchte, salzige Luft und dann auch so schön diese Hitze. Die Sonne knallt runter auf den Boden und alles ist heiß. Dieses ,Ah, ich bin da.‘ Das ist einfach, hier bin ich zuhause, das ist sehr elementar.“104

Der kulturelle Kontext des vergleichenden Urteilens, Denkens und Sich-Erinnerns, sprich das „Reden in klaren Bildern“ (Lehmann 1989: 200), wird hier im starken Maße determiniert von sinnlichen Effekten: Das Ankommen in der australischen Heimat spricht visuelle, auditive, kinästhische, olfaktorische sowie gustorische Wahrnehmungskanäle an. Durch Akkulturationsleistungen habitualisierte anthropogene Wahrnehmungsmuster, basierend auf Emotionalität, Sensibilität und sinnlicher Befindlichkeit, spendet das kulturell aufgeladene Territorium sensorische Orientierung. Der Vergleich der „zwei nationalen Welten“ (Gontovos 2000: 165) innerhalb der Migrationsnarrationen, so lässt sich schlussfolgern, ist ein kommunikatives und intentional zur Anwendung gebrachtes Behelfsmittel, das der aus der gegenwärtigen

104 Zitat aus dem Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 255

Wahrnehmung heraus konstruierten Alltagswirklichkeit der Australienauswanderer authentische Konturen verleiht, diese ständig aktualisiert, das kulturell Ungleichzeitige mit dem kulturell Gleichzeitigem zu verbinden sucht und nicht zuletzt beträchtliche legitimatorische Charakterzüge besitzt.

3.7 1989–2005:

VON DEN S TUDENTEN , DIE HEUTE KOMMEN UND MORGEN BLEIBEN , ZU DEN YOUNG URBAN HIGHLY SKILLED MIGRANTS

Der geistreiche Ausspruch Simmels von den Migranten, die heute kommen und morgen bleiben, der innerhalb der Zitierkartelle Berühmtheit erlangt hat, soll in diesem Kapitel an jungen bildungs- und karrierebewussten Menschen veranschaulicht werden, die vornehmlich nach der Jahrtausendwende mit der Absicht Deutschland in Richtung Südpazifik verlassen haben, im Rahmen eines Auslandsstudiums bzw. -aufenthalts eine Profilierung ihrer bisherigen Qualifikationen anzustreben. In der internationalisierten und entgrenzten gegenwärtigen Wissensgesellschaft wird mehr denn je die weltumspannende Mobilität der Studenten zur Kompetenzerweiterung in den Dienst der Globalisierung gestellt. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erodierte die ideologische Inselmetaphorik Australiens als ein vom „fremdvölkischen“ asiatischen Umfeld umrahmter Außenposten der europäischen Zivilisation im Pazifik, da die nationale Lebensweise von Immigranten aus nahezu allen Nationen der Welt sowie von Studenten und Besuchern aus den unmittelbaren Nachbarländern kulturell bereichert wurde. Um längerfristig in dieser dynamischen Region ökonomisch konkurrenzfähig zu bleiben, wurde sich Australien seiner Verpflichtungen zur Aufnahme und Intensivierung von bilateralen diplomatischen Austauschbeziehungen mit seinen Koalitionspartnern insofern bewusst, als dass seit dem im Jahre 1951 in Kraft getretenen Colombo Plan (The Immigration Reform Group 1960: 11ff.) mannigfaltige Anstrengungen dahingehend auf den Weg gebracht wurden, ausländische und hier insbesondere asiatische Studenten zu ermutigen, ihr Studium an einer der nationalen Schulen und Universitäten aufzunehmen. Das gesteigerte Nachfragepotenzial hinsichtlich Experten-, Fachkräftemigranten und Studenten, den so genannten „schlauen Köpfen“105, ersetzte ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts die Anwer-

105 Als plötzlich ein Fachkräftedefizit im IT-Bereich bemängelt wurde, konkurrierte Deutschland mit zahlreichen anderen hochentwickelten Industrienationen um die Anwerbung von indischen IT-Spezialisten, so dass die Greencard-Verordnung zum Tragen kam, die jedoch nur eine zeitlich befristete Arbeitsmöglichkeit und keinen permanenten Aufenthalt garantiert und somit zu guter Letzt die soziokulturelle Partizipation an der

256 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

bungsvorhaben von zum größten Teil mobilen, manuellen Arbeitskräften mit niedrigem Bildungsstatus (Sassen 1988: 86), die einerseits aufgrund der sozialen Aufwärtsmobilität der australischen Mehrheitsbevölkerung sowie andererseits durch einen weit ausgedehnten politischen Protektionismus vorrangig in den unteren, dequalifizierten Segmenten des Arbeitsmarktes integriert waren und diesen auch nicht zu verlassen hatten. Den jungen Studenten und dem graduierten Fachpersonal – als den zukünftigen Arbeitnehmern in hochprofessionalisierten, exekutiven und technisierten Beschäftigungssektoren des internationalen Finanz-, Manager- und Informationstechnologiewesens – sind mit ihren erworbenen Qualifikationen kaum geografische oder kulturelle Grenzen auferlegt, weil sie sich quasi aussuchen können, ob sie die berufliche Herausforderung im Heimatland oder im Land ihres absolvierten Auslandsstudiums suchen. Um aus diesem von nationalen Interessen geprägten Mobilitätsphänomen, das sich in dem wissenschaftlichen Terminus „Braindrain“106 eingeschliffen hat, in Zeiten gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit einen ökonomischen Nutzen zu ziehen, hatte Australien im Jahre 1999 die Immigrationsbestimmungen für ausländische Studenten revolutioniert. Mussten graduierte Studenten bis zu dieser Gesetzesänderung nach ihrer erfolgreichen akademischen Ausbildung zunächst für zwei Jahre in ihr Herkunftsland zurückkehren, um nach dieser Wartefrist einen Antrag zur Immigration als hochqualifizierte Einwanderer zu stellen, so ist es nun möglich, vorbehaltlich der Antragsgewährung, die eine feste Anstellung als Bedingung beinhaltet, unmittelbar nach der universitären Graduierung in Australien zu verbleiben (Castles/Miller 2003: 171). Eine Attraktivitätssteigerung für ausländische Studenten aus dem Informations- und Technologiesektor bedeutete die von der australischen Regierung im Jahre 2001 auf den Weg gebrachte Visumsbestimmung, die es den Studenten, den Hochqualifizierten von morgen, erlaubte, einen Antrag auf permanentes Bleiberecht zu stellen, der weder vorherige Berufserfahrungen aus dem Herkunftsland noch ein sponsorship eines australischen Arbeitge-

emotional diskutierten deutschen Leitkultur untersagt. Verglichen mit dem US-amerikanischen Äquivalent, wird neuerlich deutlich, dass alte Abwehrstrategien in der Bundesrepublik bis zum heutigen Tag ihre Wirkung nicht verloren haben (Göktürk/Gramling/Kaes 2007: 15; Hunger 2000: 21). 106 Unter diesem Terminus wird im wissenschaftlichen Diskurs der interdisziplinären Migrationsforschung ein Prozess der Elitenmigration verstanden, bei dem sich die wissenschaftliche und wirtschaftliche Prosperität eines Einwanderungslandes aus dem kontinuierlichen Zufluss von qualifizierten Migranten speist, für deren Ausbildung ausschließlich das Herkunftsland – meist Entwicklungsländer – horrende Kosten aufgebracht hat. Gerade deshalb wird aus der Sicht der Entsendestaaten der Trend zu diesem Exodus teuren Humankapitals als immens negative Auswirkung für die Modernisierungsambitionen des eigenen Landes betrachtet (Körner 1999: 55).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 257

bers als zwingende Bedingung beinhaltete. Besonders zugutekam den Bittgesuchstellern ihre von einer nationalen Universität verliehene Qualifizierung, die ihnen eine bevorzugte Behandlung gegenüber hochqualifizierten Applikanten von Übersee zusicherte. Um dieses Verfahren zur Akquisition der auch in anderen Ländern sehr begehrten Ressource des Humankapitals zu beschleunigen, entwickelte die Immigrationsbehörde für diese Visumsanträge eine internetbasierte Plattform (Tremblay 2002: 45f.). Die Attraktivität des Studien- und Lebensstandorts Australien manifestiert sich – ohne Blick auf die empirischen Befunde – zunächst einmal in rein quantitativen Datenangaben: Bei der Immigrationsbehörde des Landes gingen 2000 86.277 bzw. 2002 97.700 Anträge für ein Studentenvisum ein, und zwischen den Jahren 1991 und 1997 migrierten temporär insgesamt 260.000 Studierende aus aller Welt in Richtung des Fünften Kontinents (Hugo 1998: 104, ziriert nach Düvell 2006: 138). Bei einem Vergleich der wichtigsten Aufnahmeländer der studentischen Weltmobilität wird nicht nur die herausragende Stellung Australiens vor Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den USA deutlich, vielmehr stellen die ausländischen Studenten circa 18 Prozent der gesamten Studentenschaft (Isserstedt/ Schnitzer 2005: 11). Bei der in diesem Kapitel zum Thema werdenden Migrationsgruppe handelt es sich vordergründig um ehemalige Studenten, die nach ihrer Graduierung in Deutschland zu Qualifikations- und Ausbildungszwecken (career migration) (Bade 2007: 116) an eine der zahlreichen Universitäten der Stadt Sydney wechselten bzw. nach Erlangung des dortigen Abschlusses entweder die Integration in den australischen Arbeitsmarkt vollbracht haben oder zum Zeitpunkt meines Feldforschungsaufenthalts aktiv in der akademischen Weiterbildung als PhDKandidaten tätig waren, also vorwiegend die so genannten young urban highly skilled migrants, deren straff strukturiertes Zeitmanagement ferner Auswirkungen auf den Forschungskontext ausübte.107 Gemeinsames und spezifisches Merkmal

107 Die Mehrzahl der Interviews mit diesen Gewährspersonen fand aufgrund ihres eng gestaffelten Arbeitstages in ihrer Mittagspause statt, die wir gemeinsam in einem Restaurant oder Café in der Nähe des Arbeitsplatzes verbrachten. Hier herrschte natürlich ein gewisser Geräuschpegel, der sich negativ auf den Tonbandmitschnitt auswirkte. Wie vor jedem Interview befragte ich die Informanten, inwieweit sie Einwände gegen einen digitalen Tonbandmitschnitt hätten. Die Anonymität aller getätigten Aussagen wurde in diesem Falle ebenfalls bestätigt. Jedoch merkte eine Person an, dass sie sich während des Interviews des Öfteren von dem Aufnahmegerät gestört fühlte. Als diese Person mich zu Beginn fragte, ob die getätigten Angaben nur für den privaten Gebrach des Dissertationsprojektes benutzt würden, bejahte ich dies. Auch nach dieser Versicherung meinerseits fügte die Person an, dass „wir es ja mal versuchen könnten.“ Ebenfalls nicht verschwiegen wird der Sachverhalt, dass einige Interviews aufgrund der äußeren Be-

258 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

dieser Lebensabschnittsmigration im Zeitalter der Globalisierung ist die Tatsache, dass den Wanderern ihr Rückkehrzeitpunkt nach Deutschland selbst nicht bekannt ist, so dass diese Migrationsdynamik im höchsten Maße dynamisch, flexibel, temporal und antizyklisch ist und über keine Linearität verfügt. Ganz im Gegensatz zu den sich dauerhaft in einem Gastland ansiedelnden sowie möglicherweise dessen Staatsbürgerschaft annehmenden Wanderern tendiert das Selbstverständnis dieser Menschen eher zum dynamischen Phänomen der Transmigration, da sie zwischen ihrem Herkunftsland und anderen Länder pendeln, ohne die Verweildauer ihrer temporären Niederlassung in einem dieser Länder genauer definieren zu müssen bzw. zu wollen. Viele sehen ihr Auswandererdasein als befristete und vorübergehende Lebensform an, wenngleich die Dauer dieses interimistischen Aufenthalts von diversen Faktoren abhängig ist und daher eine zeitliche Verlaufsform kaum bestimmbar zu sein scheint. Auf die erfolgreiche Beendigung des Studiums in Deutschland folgte bei zahlreichen Informanten in einer Phase der Neuorientierung der eher unterschwellig getätigte Entschluss, „über den gro-

dingungen nicht über ein Frage-Antwort-Schema hinaus gingen und kaum längere Erzählpassagen, die so genannten Identitätsnarrationen, zu verzeichnen waren. Einschränkend wirkt auch, dass während des Gesprächs meistens eine Mahlzeit bzw. Getränke verköstigt wurden, so dass nicht nur der Vorgang des Verzehrens, sondern auch die abrupten Unterbrechungen durch die Kellnerin bei der Aufnahme der Bestellung bzw. beim Servieren die reziproke Kommunikation hemmten. Im Zuge dieser Problematik ergaben sich im Forschungsprozess die reflektierenden und hinterfragendem Überlegungen, inwiefern in diesem öffentlichen Kontext überhaupt eine Gesprächsbasis gewährleistet werden kann, da der ganze Tonmitschnitt von zahlreichen und kontinuierlich auftretenden Störfaktoren durchzogen ist. Die knapp bemessene Zeit spielt ebenfalls eine zentrale Rolle, da innerhalb einer Stunde definitiv nicht alle wesentlichen Aspekte der personenbezogenen Migrationsdynamik in ausreichendem Maße Beleuchtung fanden. Eine vom Forschenden in den Redefluss einführende Orientierung, die auf die Signifikanz der längeren Erzählpassagen seitens der Befragten hinwies, musste hier aus Zeitgründen ebenfalls ausbleiben, so dass der besagten Person meine Intention nur schemenhaft bewusst war. Dem Rede- und somit auch dem Informationsfluss des von Roland Girtler klassifizierten ero-epischen Gesprächs ist es im besonderen Maße abträglich, wenn der Befragte ausschließlich mit „Ja, genau“ oder „Das hast du wahrscheinlich auch schon gehört“ antwortet und dann verstummt. Bei dieser Research-upSituation hatte ich es mit einer Berufsgruppe zu tun, die von Insiederwissen profitiert und bei der Industriespionage und Ideenklau zum Tagesgeschäft gehören, so dass hier zumindest ansatzweise Erklärungsansätze für das Verstummen der Gesprächspartner gegeben sind (Warneken/Wittel 1997: 8f.; Goldinger 2002: 260; Scharfe 2007: 150; von Dobeneck 2010a: 158f.).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 259

ßen Teich zu wollen, eigentlich egal über welchen“108, um eine weitere Zusatzqualifikation im überseeischen Ausland zu erwerben. „Es ist sehr schwierig zu sagen, ich habe mich nicht bewusst für Australien entschieden und ich habe auch nicht gesagt, ich will nicht in Deutschland leben. Also was mir hier gut gefällt ist einfach, ja, ich habe hier studiert ein Jahr und es hat mir gefallen und ich habe hier einen Job gefunden und bin einfach geblieben. Da war jetzt nicht der bewusste Entschluss, ich mache jetzt das, weil das und das besser ist. Es gibt gute und schlechte Sachen überall, aber im Moment bin ich hier glücklich und im Moment denke ich auch nicht daran, zu gehen. Aber ich weiß auch nicht, was in einem Jahr ist.“109 „Und dann habe ich mir überlegt, dann mach doch noch so einen Master. Ich wollte schon immer ins Ausland und Australien war irgendwie so eine fixe Idee, ich weiß gar nicht warum. Und irgendwie war dieses Wort Sydney für mich schon immer magisch. Ja, dann hatte ich mich hier zu einem Masterkurs angemeldet bei der Sydney University. […] Also, mein erstes Gefühl, auch wenn es jetzt wieder kitschig klingt, also, ich bin aus dem Hauptbahnhof rausgekommen und stand mit großen Augen da. Ich meine, ich war schon in vielen großen Metropolen auf der ganzen Welt, praktisch sämtlichen amerikanischen, aber trotzdem stand ich da draußen und habe mich umgeschaut und dachte nur ,whow‘. Ich habe nur gedacht: ,Stefan, Sydney is your home.‘ Also wirklich von der ersten Sekunde an Sydney geliebt. Das hat schon da angefangen, ja, ich will jetzt gar nicht mit kanadischen oder amerikanischen Einwanderungsbehörden ankommen, aber allein schon der Bundesgrenzschutz am Frankfurter Flughafen, wenn man da dann ankommt, das ist einfach furchtbar. Und hier wirst du mit einem ,How are you doing mate‘ begrüßt. Das fängt natürlich hier schon ganz anders an, das ist dann auch die erste Visitenkarte des Landes.“110

Der Charakter der Zufälligkeit und Elastizität dieser Mobilitätsdynamik wird besonders dann flagrant, wenn den legitimierenden Narrationen zu den ausschlaggebenden Verlaufsmotiven ein relativierender Satz vorgestellt wird, der sich im Gespräch mit Stefan Grunberg, einem in Deutschland gemeldeten Rechtsanwalt, der zum Zeitpunkt des Interviews an der Law School in Sydney ein PhD-Programm durchlief, wie folgt anhört: „Wie das halt manchmal so ist, es kommt meistens immer so ein bisschen anders.“111 Für die ehemalige Studentin Anja Kapmeier, deren Wunsch hier stellvertretend für alle anderen Migranten dieser Gruppe steht, bot Australien mit seiner exotischen Reputation und seiner immensen geografischen

108 Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007. 109 Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008. 110 Zitat aus dem Interview mit Stefan Grunberg, datiert auf den 29.08.2008. 111 Ebd.

260 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Distanz zu Europa die optimale Offerte, „wirklich das ganze Jahr weg [zu] sein, ohne die Möglichkeit zu haben, mal schnell nach Hause zu rennen, um mich bei Freunden auszuheulen.“112 Eine hervorstechende Spontaneität, der nicht existente Endgültigkeitscharakter sowie der offene Ausgang dieses positiv konnotierten biografischen Einschnitts sind signifikante Determinanten dieses momentbezogenen Kulturphänomens. Als internationale Zusatzqualifikation für die zumeist in wirtschaftswissenschaftlichen Fächern ausgebildeten deutschen Absolventen ermöglichte vor allen Dingen der an australischen Hochschulen zu erlangende Grad des Master of Business Administration (MBA) die Weichenstellungen für den Zugang zum australischen Arbeitsmarkt. Schon während des Auslandsstudiums verfügten mehrere Migranten über die den finanziellen Rahmen absichernden Netzwerke, die beispielsweise vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Alexander-vonHumboldt-Stiftung, dem ERASMUS-Programm, dem BAföG sowie Direktstipendien für Doktoranden von Seiten australischer Universitäten bereitgestellt wurden. Es kommt hinzu, dass bereits vor der Einreise nach Australien unter den Visumsbestimmungen für Studenten oder der Kategorie der working holiday visas zahlreiche Auslandserfahrungen bestanden, so dass man von der These ausgehen kann, dass die ehemaligen Studenten bzw. jetzigen Wissenschaftler und finanziell gut situierten Angestellten bereits in einem Kontext sozialisiert wurden, in dem räumliche und gedankliche Mobilität eine erhöhte Gewichtung besitzt. Durch vorherige Auslandspraktika und Reisen bedingte kontinuierliche Ortwechsel setzte sich in dem Bewusstsein der hier Gehör verschafften Migranten nicht nur der Gedanke der Internationalität des eigenen weltlich gestimmten Daseins fest, sondern infolge einer zwischenmenschlichen Ideen- und Kulturzirkulation bestanden bereits vor dem Betreten australischen Bodens multilaterale Kooperationen und Organisationskanäle. Kurz formuliert: In Biografie und Lebensführung war die transnationale Mobilität der kosmopolitisch Denkenden und Handelnden bereits inskribiert. Allesamt erfüllen diese modernen Nomaden jegliche Kriterien zur Absolvierung einer transnationalen Karriere, die Lebens- und Berufsdynamiken von Menschen rubriziert, „die sich im Laufe ihres (Berufs-)Lebens (wiederholt) in verschiedenen Ländern über längere Zeiträume aufhalten bzw. zwischen zwei oder mehreren Ländern hin- und herpendeln“ (Kreutzer/Roth 2001: 12). Nicht alle Migranten gehen in Deutschland mit einer anfänglich durchstrukturierten Vorgehensweise an ihr Australienabenteuer heran, in dem sie sich an einer der Universitäten von Sydney einschreiben und demnach mit einem Studentenvisum in Australien einreisen. Das aus binationalen Vereinbarungen zwischen Deutschland und Australien resultierende working holiday visum – zum Zwecke der interkulturellen Kompetenzförderung – ermöglicht seit dem Jahr 2000 jährlich einer unlimitierten Anzahl von deutschen Staatsbürgern

112 Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 261

zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr einen maximal zwölfmonatigen Bleibestatus in Australien in Verbindung mit der Erlaubnis, beruflichen Erwerbstätigkeiten zur Finanzierung des Aufenthalts nachzugehen (Albert 2005: 11ff.). Marleen Averhof kam nach ihrem Studium des Hotelmanagementwesens nach den Olympischen Spielen in Sydney im Jahre 2001 als Backpacker nach Down Under, lernte während ihres Aufenthalts den „australischen Mann fürs Leben“ kennen, besaß nach der Heirat ein permanentes Bleiberecht und spezialisierte sich während des MBA-Studiengangs im Finanzwesen.113 Ähnlich verlief die Entscheidung zum Verbleib in Australien bei Tatjana Wiersching, die sich nach ihrem einjährigen working holiday status für das Studium der Naturheilkunde und Ernährungswissenschaft entschied: „Also, ich habe nie ernsthaft daran gedacht, dass ich hier bleibe. Ich habe aber dann, während der Zeit, als ich studiert habe, meinen jetzigen Mann kennengelernt und deswegen bin ich dann hier geblieben.“114 Claudia Banger, die nach ihrem Studium ein an ihr Arbeitsverhältnis mit einem in Sydney lokalisierten Konzern gekoppeltes Visum als Hochqualifizierte erhielt, besitzt ein temporales Bleiberecht in Australien, was ihr einige rechtliche Einschränkungen auferlegt, dagegen aber steuerliche Vergünstigungen einräumt.115 Ursprünglich lag die Intention der befristeten

113 Nicht nur im zumeist unseriösen Journalistenjargon werden die so genannten Schein-, Schutz- bzw. Zweckehen zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Nationalität zunehmend als „in die Wege geleitet“ verabsolutiert. Sie stehen somit im Kontext dieser Anklagen kontinuierlich unter dem Generalverdacht, arrangierte Bündnisse zu sein, die nur darauf abzielen, einem Ehepartner die ansonsten unsichere Aufenthaltsgenehmigung zu sichern. Binationale Partnerschaften, bei denen scheinbar der traditionelle Charakter der „Liebesheirat“ hinter einem Zweckrationalismus, der sozialen Verträglichkeit sowie der ökonomischen Absicherung zurücksteht, können als Vehikel vor Abschiebung und Ausweisung bewahren bzw. einen unbefristeten Bleibestatus ermöglichen. Ob diese hier dargelegten Tatbestände bei den von mir untersuchten Migranten ebenfalls eine Rolle beim Entschluss, längerfristig in Australien zu verweilen, spielten, kann und soll hier aus rein ethischen Gründen nicht weiter zur Debatte stehen (Beer 1999). 114 Zitat aus dem Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008. 115 Auch wenn Australien in der Vergangenheit stets permanente Migranten zur Ansiedlung favorisierte, so kommt doch gegenwärtig den temporäreren Wanderern auf dem Fünften Kontinent eine herausgehobene Rolle zu, insbesondere unter der Kategorie temporary skilled migration. Ein auf den 30. Juni 2008 datierter Zensus belegt, dass insgesamt 245.479 Menschen unter dieser Einreisebestimmung in Australien lebten, wo sie Engpässe an qualifizierten Arbeitern im industriellen wie tertiären Sektor füllen. Regulative Richtlinien der Immigrationsbehörden gehen beim Prozess der Integration trichterförmig vor, indem zuerst eine zeitlich befristete Einwanderungsbescheinigung vergeben wird, die nach einer gewissen Zeit und unter Erfüllung bestimmter Kriterien

262 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Auswanderung darin, nur für die Dauer der universitären Ausbildung Deutschland den Rücken zu kehren, jedoch boten sich schon während des Studiums zahlreiche Möglichkeiten, berufliche Vernetzungen wie Kontakte für die Zeit nach der universitären Graduierung zu knüpfen. Lukrative Aussichten auf begehrte Stellen der im Finanz-, Kapital- und Geschäftszentrum Sydneys ansässigen, auf transnationaler Ebene operierenden Unternehmen, gut dotierte und ein freies Leben bzw. ohne finanzielle Unterstützung der Eltern ermöglichende Doktorandenstipendien der Macquarie University, die Gründung von partnerschaftlichen Beziehungen oder sogar einer Familie gepaart mit den subjektiv wahrgenommenen Vorzügen der Metropole können dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Rückkehr in die Bundesrepublik auf einen in der Zukunft liegenden, nicht datierbaren Zeitpunkt verschoben wurde. Zudem unterstützen eine hohe Lebensqualität, gute Arbeitsbedingungen, Einbindung in interkulturelle Arbeitsprozesse, die in einem anderen kulturellen Milieu enkulturierten Soft Skills wie verbesserte Sprachbeherrschung, erlangte Fähigkeiten des unabhängigen Arbeitens sowie die Profilierung bisher ungeahnter persönlicher Talente den Wunsch, temporär in Australien seinen Lebensmittelpunkt zu definieren. Dieses Begehren nach einer zeitlichen Verlängerung der Mittelfristmigration unterlag natürlich vordergründig einer Art Kosten-Nutzen-Abwägung, bei der die zumeist jungen und karrierebewussten Stadtmenschen darauf hofften, das zusätzliche Bildungskapital in monetäres Kapital umzuwandeln, dadurch soziales Prestige zu akkumulieren (Penitsch 2003: 56) und so dem prekären Arbeitslosenstatus in der Bundesrepublik zu entkommen. Der glücklichen Fügung einer prosperierenden australischen Wirtschaft ist es zu verdanken, dass die aus dem nationalen Bildungswesen entlassenen Deutschen mit ihren zertifizierten Schlüsselqualifikationen sowie mit dem stereotypen Leumund als akribische Arbeitsbienen, der ihnen vorauseilte, je nach Konjunkturlage nie länger als einige Tage auf neue Jobangebote warten mussten. Migrationsverlängernde Faktoren dürfen jedoch nicht ausschließlich in der scheinbar rationalen wie kalkulierenden Analyse vorgeblich objektivierbarer Messwerte zwischen Ziel- und Herkunftsland gesucht werden, mehr noch spielen die die Lebensqualität des Einzelnen verbessernden, stadtspezifischen Elemente eine bedeutsame Rolle. Claudia Banger, die zum Zeitpunkt des Interviews im östlichen Vorort Bondi in unmittelbarer Strandnähe wohnte, bedient das von vielen Australienauswanderern für sich proklamierte luxuriöse Eigenbild, dort ihren Lebensmittelpunkt zu haben, wo andere die schönste Zeit des Jahres, sprich ihren Urlaub, verbringen:

die Umwechslung zu einem permanenten Bleiberecht in Australien ermöglicht (Springs 2009: 13f.).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 263

„Der Strand, morgens am Strand spazieren gehen, weil ich wohne am Bondi Beach, ich habe da auch surfen gelernt. Aber einfach morgens an den Strand zu gehen, das ist immer noch etwas Besonderes und noch nicht selbstverständlich. Bei vielen Deutschen ist das auch immer so, jeden Sommer muss man in Urlaub fahren, da muss man an den Strand, weil da hat man die Chance, mal Sonne zu tanken. Hier ist das viel lockerer, es gibt hier nicht die Reisesaison wie in Deutschland, man muss wegfahren und bloß weg. Und man freut sich schon im Mai und im Februar bucht man schon. Hier ist das ganz locker, ich wohne am Strand und ich muss nicht zwanghaft an den Strand gehen. Es ist viel lockerer, weil es eben zum Alltag dazugehört. Da gibt es auch überhaupt keinen Druck, so ich muss jetzt unbedingt zwei Wochen am Strand liegen. Genauso wie der Druck, wenn in Deutschland schönes Wetter ist, dann muss man raus. Da kann man nicht nachmittags ins Kino oder zuhause rumgammeln. Hier ist das einfach ganz angenehm, weil die Sonne scheint auch noch morgen und es ist einfach ein angenehmes Gefühl.“116

Zu denen die Mittelfristmigration verlängernden Beweggründen konnte von dem befragten Personenkreis ein differenziertes Spektrum an Lebensqualität verbessernden Aspekten ins Feld geführt werden. Kommunikative wie aufgeschlossene Zugänglichkeit, sprich „die Freundlichkeit und die Offenheit der Menschen“117 in Sydney, philanthropische Arbeitszeiten mit der Tendenz zu einem geringen Überstundenaufwand und einem ausschließlich an Freizeitaktivitäten ausgerichteten Wochenende, eine regulierte Arbeitsintensität- bzw. -geschwindigkeit, die intensiv genutzten interkulturellen Austauschmöglichkeiten mit anderen Internationalen sowie die in der Tradition der australischen Arbeitskultur institutionalisierten wie ritualisierten freitäglichen Vergemeinschaftungsformen des nach verrichteter Dienstzeit praktizierten Gangs in die nahegelegene Biertaverne mit den Kollegen werden als charismatische Alltags- und Lebensvorzüge im neuen Sozialmilieu apostrophiert. Zukunftsperspektiven und Interessen, die den beruflichen Werdegang sowie das persönliche Salär betreffen, schienen in Sydney noch eher zu einer Verwirklichung zu kommen, als das dies in Deutschland der Fall gewesen wäre, wo Einschränkungen, Beengtheit, eine strukturell bedingte geringe soziale Aufwärtsmobilität sowie eine hohe Arbeitslosigkeit bzw. das Nichtvorhandensein ausreichender Arbeitsangebote der persönlichen Entfaltung Schranken auferlegten. Als allfällige Problematik des auf unbestimmte Zeit verlängerten Auslandsstudiums in Australien wird in den Gesprächen stets die Phase der Trennung von Familienangehörigen und Freunden verbalisiert, die ihren drastischen Charakter daraus generiert, dass in den meisten Fällen zwischen Beendigung der universitären Laufbahn im Empfängerland und der Entscheidung, dort eine akademische bzw.

116 Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008. 117 Zitat aus dem Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008.

264 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

berufliche Karriere zu starten, kein neuerlicher Zwischenaufenthalt in der Bundesrepublik lag. Abgesehen von kurzen Besuchen in der alten Heimat seit dem Augenblick der Entschlussfassung zur Verlängerung des temporären Nimbus, denen ebenfalls die im Vorfeld geschilderte Funktion einer Erinnerungsreise innewohnten, lebten die Migranten zum Zeitpunkt der Untersuchung den größten Teil des Jahres in Sydney. Seit der Entscheidung für Australien und gegen Deutschland sehen sich die Befragten ständig mit der aus dem familiären Kontext formulierten Frage konfrontiert: „Wann kommst du zurück?“118 Die Gemüter der in Deutschland Verlassenen sowie der Migranten in Australien beschwichtigend wirkt allemal die mit besonderer Intonation verdeutlichte Gewissheit, dass diese Form der Mobilität über keinen Endgültigkeitscharakter verfügt, d. h., es wurde von den Wanderern zu keinem Zeitpunkt die Behauptung verlautbart, für immer in der Fremde zu bleiben119, obschon sich die Vorzeichen dieser Proärese mit jedem zusätzlich in Australien verbrachten Jahr transformieren können, da sich nicht nur die Neulinge an die australischen Kulturstandards akkulturieren, sondern auch ein bundesdeutsches Verständnis von Verhaltensweisen, Normen, Werten und Bedeutungszuschreibungen in ihrer Abwesenheit starken Veränderungsprozessen unterworfen ist. Der vornehmlich von elterlicher Seite mit Nachdruck vorgebrachten Frage nach dem Zeitpunkt der Rückkehr in die fremde Heimat wird der Wunsch der Migranten entgegengestellt, für eine zeitlich nicht genauer definierbare Phase des Lebens dort arbeiten und leben zu möchten, wo Zukunftsperspektiven und ein höchst attraktives Qualitätsniveau des weltlichen Daseins konvergieren. Eva Hendriks versuchte ihr persönliches Anliegen, nach ihrem Master auch ein PhD-Programm an der Macquarie University in Sydney in Angriff zu nehmen, langsam an ihre Eltern heranzutragen, in dem sie anfügte, sowohl in Deutschland als auch in Australien Bewerbungen anlässlich spezifischer Stellenausschreibungen versendet zu haben. „Dann haben mich meine Eltern, als ich die Bewerbung für das Stipendium für diesen Platz einreichen musste, gerade zu diesem Zeitpunkt besucht hier in Australien. Und ich weiß das noch, die sind zwei Tage hier und waren gerade erst gekommen, dann hieß es schon: [Eltern] ,Ja, wenn du im Dezember wieder in Deutschland bist und wenn du bald wieder da bist.‘ [Tochter] ,Ja, ich habe mich auch in Deutschland auf etwas beworben, aber ich bewerbe mich halt auch hier.‘ [Eltern] ,Aber wenn du im Dezember dann wieder da bist.‘ Das ging mir schon ein bisschen auf den Keks, aber mein Gott, wenn sie es nochmal sagen, dann wird es auch nicht weiterhelfen. Wir sind dann zusammen in den Urlaub gefahren, wir waren zwei Wochen zusammen unterwegs und sind dann wieder hierhin gekommen und sind in mein

118 Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008. 119 „Und wenn es mir hier nicht mehr gefallen sollte, dann gehe ich auch wieder zurück.“ Ebd.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 265

Zimmer und das Erste, was mein Vater gesagt hat: ,Wir können verstehen, dass du länger bleiben möchtest.‘ Das war für mich ein wichtiger Punkt, muss ich sagen, und ein gutes Gefühl.“120

Da Mobilität, die Sammlung von interkultureller Erfahrung sowie ein internationalgrenzüberschreitend gestimmter Bildungsanspruch zu einem gewissen Grad bereits vor dem Australienaufenthalt zu einem omnipräsenten Charakteristikum der persönlichen Lebensgestaltung der global handelnden Migrationsakteure gehörten, ahnte das familiäre Umfeld die nächste Hiobsbotschaft voraus, wenngleich Eltern von Auslandsstudenten mit geringen und kaum existenten Erfahrungen hinsichtlich multidirektionaler Wanderungsbewegungen regelrecht geschockt auf die diffus umrissene Verlängerung der temporalen Migration reagierten. Negative Auswirkungen dieses von Karine Tremblay substanziierten Phänomens der migration of human resources in science and technology (Tremblay 2002: 39) gehen einher mit dem langsamen Wegbrechen der Kontakte zu einem in Deutschland ehemals Beständigkeit besitzenden Freundeskreis, dem Vermissen bestimmter nationaler oder regionaler Gewohnheitsdinge – hier reicht die Spannbreite von kulinarischen Delikatessen über Serien aus der Reihe Tatort bis hin zu Gesellschaftsspielen – sowie der Erkenntnis, nicht eben für ein Wochenende auf Stippvisite nach Deutschland zu kommen. Gerade die enorme Entfernung bringt es mit sich, dass ein hohes Quantum an Zeit, finanziellen Mitteln und nicht zuletzt mentaler Bereitschaft zur Rückkehr auf Besuchsbasis aufgebracht werden muss, denn letztendlich muss auch dieses kurzweilige Zurückgehen unter subjektiven Gesichtspunkten als lohnend ausgewiesen werden. Eine kulturelle Fremdheit wird erst in der Fremde besonders dann wahrgenommen, wenn die Auswanderer aus jener Ferne auf die bekannte Heimat zurückschauten und realisierten, dass die persönlich durchlebte Geschichte bzw. die eigenen Traditionen, zum Beispiel der zyklische sich wiederholende deutsche Fest- und Brauchkalender, bekannte Chansons oder Serien wie Lindenstraße, vom unmittelbaren sozialen Umfeld nicht geteilt werden: „Wenn ich über irgendetwas Deutsches rede, einen deutschen Schlager, Oktoberfest […] das kennt keiner. Und einfach dieser Hintergrund, oder da kommt irgendein Lied oder ein Film und du sagst, mein Gott, vor zwanzig Jahren damals bei uns. Das kennt aber hier keiner und du kannst es mit niemandem teilen.“121

120 Zitat aus dem Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008. 121 Zitat aus dem Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008.

266 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Das Fehlen eines Wissens über spezifisch ethnisch aufgeladene Traditionen aus dem Herkunftsland, im Sinne von Markpunkten und Einschnitten, die den Jahreslauf rhythmisieren, wird in der anfänglichen Akkulturationsphase als wichtigster Anhaltspunkt für die Negation der kulturellen Vertrautheit verantwortlich gemacht. Dabei gehen die separierenden wie distanzierenden Mechanismen der ethnischen Selbst- und Fremdwahrnehmungen bei dem von eurozentrischen Denken kontaminierten Identitätsfindungsprozess von dem im weiteren Verlauf der folgenden Kapitel noch eingehender zu analysierenden Auto- und Heterostereotyp aus, dass Australien im Gegensatz zu Europa zwar über eine außerordentliche Fülle von Naturschönheiten verfüge, dagegen die kulturelle Ebene – was auch immer für ein eng gefasstes Verständnis von Kultur hier bei den Migranten zu Anwendung kommt – nur sehr wenig zu bieten habe. In diese problembelastete Phase des neuen, auf der kultureller Integration fußenden Sozialisationsprozesses, in der den Migranten die Kompetenz abverlangt wird, sich in einem neuen und unbekannten Umfeld zurechtzufinden, Alltägliches zu koordinieren, neue zwischenmenschliche Netzwerke zu knüpfen und in der das gefühlsmäßige Empfinden durchgängig von kultureller Fremdheit, Unsicherheit und Überforderung geprägt ist, scheint es nur mehr als verständlich, wenn zuerst Beziehungen zu Gleichgesinnten mit demselben Schicksal, sprich anderen Internationalen, geknüpft werden und nicht zu Einheimischen, die wohlweislich schon immer da waren. Eine ähnliche Lebenssituation, gemeinsam geteilte Problemstellungen des Alltags in Australien, Rückkehrsehnsüchte in das Herkunftsland, Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen, Kontaktarmut und das von Empathie geleitete Interesse an interkulturellem Austausch zur Findung von gemeinsamen Lösungsstrategien avancieren schnell zu emotional besetzten Diskussionsgrundlagen, die meist Ausgangspunkt für lang anhaltende Freundschaften sind. Face-to-Face-Kommunikationsformen von interkultureller Couleur, in denen zwei oder gleich mehrere ethnisch-kulturelle Symbolsysteme von Handlungen, Bewertungen und Beurteilungen hineinspielen, sind mit auffallender Regelmäßigkeit im Universitätsalltag gang und gäbe. Eine Integration in soziale Milieus einer vom ethnischen Pluralismus gekennzeichneten internationalen Bildungsanstalt, in der ständig aufs Neue interethnische Differenzsituationen eine Produktion interkultureller Wissensbestände nach sich ziehen und in denen gängige Sinnkonstruktionen nur bis zu dem Augenblick Bestand haben, bis ihr poröser Charakter während des nächsten Akkulturationsschubs der kulturellen Dekonstruktion anheimfällt, erfordert die Notwendigkeit zur habituellen und kognitiven Internalisierung anderskultureller Versatzstücke. Aus einem hohen asiatischen Studentenanteil resultieren insofern veränderte Kommunikationsformen, als dass von Seiten des wissenschaftlichen Personals, zu dem drei deutsche Elitemigranten zählten, Bestrebungen in Angriff genommen werden, Bewertungen studentischer Leistungen wie mündliche Referate oder schriftliche Essays eher positiver, rücksichtsvoller und vorsichtiger zu formu-

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 267

lieren, offene Kritik bzw. in aller Öffentlichkeit ausgetragene Konfliktsituationen zu vermeiden und sachliche Kritik anders in Worte zu kleiden. „Dass man sie [die chinesischen Studenten, Anm. d. A.] eher anleiten muss, dass sie aus sich herauskommen und etwas sagen. Weil halt die Ausbildung in China anders ist, da wird eher noch gelernt und gemacht und das ist eher nicht so auf Diskutieren ausgelegt und die verschiedenen Meinungen sagen. Da haben die hier noch unglaubliche Probleme mit, das ist hier noch sehr anders, ob ich da einen deutschen Studenten habe oder einen chinesischen, das ist ein Riesenunterschied. Einfach weil die Vorbildung eine andere ist, weil das auch anders gefördert wird in den jeweiligen Ländern. Und weil man bei dieser Kultur so eher noch das Gesicht verlieren kann, wenn jemand etwas zu einem sagt, dass das eher so als Schande angesehen wird, diese negative Kritik.“122

Interkulturelle Kontaktsituationen im multiethnischen Gefüge des Hochschulalltags persistieren die Notwendigkeit, fremdartige und zunächst kaum dechiffrierbare Kulturkonzepte aus den asiatischen Ländern, hier vor allen Dingen China und Japan, in die persönlichen Kompetenzen zu integrieren und zur Anwendung zu bringen. Der asiatische Kulturstandard des Wahrens des Gesichts bzw. des Gesichtsverlusts macht deutlich, dass mit der Physiognomie, als dem ausdrucksstärksten Symbolträger des Menschen, kulturspezifische Vorstellungen von Zugewinn und Wegfall von sozialem Prestige, Status, Selbstbewusstsein, Würde und Selbstrespekt in Verbindung gebracht werden können.123 Soziale Identität wird derjenigen Person zugesprochen, die ihr „Gesicht wahrt“, in dem die an die jeweilige Person gestellte universitäre Erwartungshaltung erfüllt wird. Wer jedoch durch normwidriges Verhalten und negatives Leistungsgefälle den Standard negiert, dem droht der irreversible Gesichtsverlust und eine Herabsetzung in der sozialen Hierarchie der chinesischen Gesellschaft (Breidenbach/Pál 2009: 290). Insbesondere die jungen Erwachsenen, denen das Privileg zukommt, im Ausland zu studieren, sind besonders darauf er-

122 Zitat aus dem Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008. 123 In ihrem Aufsatz im dem Fachperiodikum American Anthropologist unternimmt die chinesische Kulturanthropologin H.C. Hu eine Differenzierung der beiden Gesichtskonzeptionen Mien-Tzu und Lien. Unter der Kategorie Mien-Tzu versteht sie eine infolge von Strebsamkeit, persönlichem Erfolg und geschicktem Manövrieren akkumulierte Form von Prestige oder Reputation. Dagegen steht das Konzept des Liens, worunter das Vertrauen einer Gesellschaft in die Integrität der untadeligen Wesenheit eines Individuums verstanden wird. Ein Verlust des Liens zieht unweigerlich nach sich, dass dem Gesellschaftsmitglied keine Ehrzuweisungen mehr zukommen und er als Persona non grata keine Funktionen innerhalb des Gemeinschaftsgefüges mehr ausüben kann (Hu 1944).

268 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

picht, durch ihre täglich erbrachte Lern- und Leistungsbereitschaft ihren Eltern bzw. ihrer Familie zu einem guten Mien-Tzu zu verhelfen. Das persönliche Engagement zur Erfüllung eines enormen Arbeits- und Lernpensums seitens der chinesischen Studenten, so die Informanten, sei nur dadurch zu erklären, dass diese im universitären Rangsystem zu den Besten ihres Jahrganges oder wenigstens zur oberen Hälfte des Leistungsdurchschnitts der Studenten gehören wollen, um nicht ins gesellschaftliche Mittelmaß abzudriften, weil ansonsten das familiäre Umfeld zu kompromittiert und die Ehre verletzt sei. Spiegeln wir dieses kulturell sanktionierte wie vergütete Verhalten der Studenten vor dem Sachverhalt der Größe und des Bevölkerungsreichtums eines Landes wie China, lastet der soziale Zwang zur perfektionierten Konformität umso mehr auf den interkulturellen Akteuren, weil bei Lichte besehen nur einem geringen Teil der Gesamtbevölkerung der soziale Aufstieg in die Sphären bürgerlichen Wohlstands vorbehalten bleibt. Resultat der reziproken Vorgänge jener Ethnisierung und Kulturalisierung innerhalb der kommunikativen Interaktionsformen von Akteuren mit kulturell divergierenden Lebenshintergründen ist ein alltagskulturelles Wissen bzw. eine an die Situation angepasste Kommunikationsinfrastruktur, die zu einer effektiven Kooperation mit anderskulturellen Mitmenschen führt.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

3.8 M IGRANTS OF CHOICE : M IGRATIONSDYNAMIKEN Z EITALTER DER GLOBALISIERTEN W ELT

| 269

IM

„The diversity of paths, and the complexity of forms of migrations, have meant that it’s now almost impossible to map movement with a series of arrows, on a flat two-dimensional representation of the world. There would be a greater number of arrows going in multiple directions, and also the time scale would have to be so contracted and irregular that the map would lose its objective of representing movement. Looking for patterns in such maps would be like looking for order in chaos theory. While the form of global migration may be incoherent, the scale of the phenomenon is unmistakable. Migration has become such a regular feature of modern life that it can no longer be considered as the exceptional event in the otherwise long historical process of settlement. The mobility of people has reached unprecedented levels“ (Papastergiadis 2000: 23f.).

Im Zeitalter der Globalisierung, die trotz mangelnder Begriffsschärfe und Abgrenzung komplexe Phänomene für mehrere aufeinander bezogene, aber unterscheidbare Strukturveränderungen des internationalen Systems charakterisiert124 – ist der Homo migrans, als Wanderer zwischen den Kulturen, permanent mit Kulturkontakt und Kulturkonflikt sowie dem Nebeneinander von Ungleichzeitigem und Gleichzeitigem konfrontiert. Die treibenden Kräfte der zweiten Moderne – Globalisierung, Diversifikation und Herkunfts- wie Residenzland miteinander verknüpfende transnationale Vergesellschaftungsformen – sind dabei, mit ihren soziokulturellen Auswirkungen das anthropologische und historische Kontinuum der Migration mit dem Prädikat der Grenzenlosigkeit zu versehen. Die Rede vom vielbeschworenen „Zeitalter der Migration“, bei dem insbesondere zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine

124 In den „Kulturwissenschaften“ wird seit den 1990er Jahren die Globalisierung, u. a. in Reaktion auf die Weltsystemtheorie eines Immanuel Wallersteins, verstärkt thematisiert. Statt einer weltweiten, wirtschafts- und konsumbestimmten Verwestlichung werden dabei die synkretistische Umdeutung der Kulturimporte und gegenläufige Flüsse festgestellt, die vor allem im sozialen und symbolischen Bereich die Herausbildung einer homogenen Weltkultur unwahrscheinlich machen (Brunmann 1999: 152f.).

270 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

bisher unbekannte Intensivierung, Diversifizierung und Akzelerierung interkontinentaler und multidirektionaler Migrationsdynamiken zu erkennen ist, ist sowohl in der massenmedialen Berichterstattung als auch im wissenschaftlichen Diskurs über Mobilität allgegenwärtig (Hoerder 2002: 7f.; Castles/Miller 2003: 7f.). Einen Indikator für die bereits existierende „neue Weltordnung“ sieht Franck Düvell in der rasanten Expansion der internationalen Migranten, deren Zahl in den zehn Jahren zwischen 1995 und 2005 von 125 Millionen auf 200 Millionen Menschen anstieg (Düvell 2006: 191). Globalisierung, neoliberale Handlungsprämissen, eine Weiterentwicklung der Informations- und Telekommunikationstechnologien sowie verbilligte Transportmöglichkeiten befördern im höchsten Maße die Mobilität des Humankapitals, so dass die im Eingangszitat zu diesem Kapitel von Nikos Papastergiadis angedeuteten diversifizierten Pfade, auf denen die Menschen inzwischen ihre mit dem Prädikat transnational versehene Wanderungsbewegung etabliert haben, im Begriff sind, die multiplen Vektoren der regionalen, nationalen und interkontinentalen globalen Migrationssysteme noch weiter auszudifferenzieren. Von fundamentaler Bedeutung für die globalisierten Dynamiken der Migration sowie für die Kosmopolitisierung der Welt sind die internationalen Drehkreuze des internationalen Luftverkehrs. Diese Übersetzungs- und Transferknoten interurbaner Konvektivität gewährleisten zum einen die internationalen Interaktionsnetzwerke zwischen den ökonomischen, politischen und kulturellen Macht- und Entscheidungszentren der heutigen Weltgesellschaft; zum anderen können sie mit ihrer strukturvermittelnden Kraft symbolisch als das „Rückgrat einer global orientierten zweiten Moderne“ (Kesselring 2007: 835) bezeichnet werden, zumal die Beförderung mit dem Flugzeug zu den favorisierten Arten der Fortbewegung einer transnational operierenden Kapitalelite sowie von Migranten und Touristen gehört. Als gänzlich inadäquat erscheint es an dieser Stelle, wollte man in der heutigen Phase der Menschheitsgeschichte Migrationen unter dem realitätsverzerrenden Diktat des Ravenstein’schen Modellentwurfs aus dem 19. Jahrhundert (laws of migration) als eine Gegenreaktion des Wanderungswilligen auf die Arbeitsmarktnachfrage von anderorts sowie eine mechanisch-schematische Schlussfolgerung der binären Wechselbeziehungen von Möglichkeit und Restriktion wie Überschuss und Defizit interpretieren. Auch wenn in früheren Perioden der Migration Wanderungsbewegungen in keiner Weise durch ihren mit klaren Koordinaten zwischen Ausgangs- und Zielland versehenen linearen wie bipolaren Charakter und im Vorfeld festgelegten axialen Routen definiert waren, so ist die gegenwärtige Phase jedoch turbulenter und verflüssigter zu verstehen. Migrantische Mobilität ist heute noch stärker als früher mit multidirektionalen und reversiblen trajectories ausgestattet. Der globalisierte Typus des Immigranten im Allgemeinen und des deutschen Auswanderers im Speziellen beschreitet innerhalb dieser Weltgesellschaftssystematisierung neue und innovative Routen, verbleibt nicht an einem Ort, wechselt nach Belieben seinen aktuellen Wohn- und Lebensmittelpunkt, pendelt zwischen

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 271

Deutschland, Australien und weiteren Zwischenstationen, wird zu einem internationalen Kulturkurier und sieht in der Vorläufigkeit seines Daseins an einem geografisch von der Heimat weit entfernten Ort sowie der weiteren Entwicklung seiner Patchwork-Biografie die wichtigsten Inhalte seiner bewegten Lebensform. Endgültigkeit, Permanenz und Irreversibilität sind nicht angestrebte Lebensessenzen dieser hier näher analysierten transnationalen modernen Nomaden. Der Lebensinhalt des flexiblen Daseins on the move ist dagegen das paradigmatische Kontinuum dieser migrierenden Spezies, die, so zitiert Ulf Hannerz in seiner zum Klassiker avancierten Publikation über den kulturanthropologischen Umgang mit der zweiten Moderne, Transnational Connections, den Soziologen Zygmunt Bauman, ihr Leben in ein „habitat of diffuse offers and free choices“ (Hannerz 1999: 23; Bauman 1992: XX) integriert, in dem Migration in mehrfacher Hinsicht als Resultat einer „Entscheidung für – als auch gegen – bestimmte Lebensstile“ (Bönisch-Brednich 2006: 462 [Herv. i. O.]) gesehen werden muss. Auch der deutsch-britische Gesellschaftswissenschaftler Lord Ralf Dahrendorf ist im Kontext der Globalisierungsdebatte der Meinung, dass nie zuvor „so viele Menschen so viele Optionen gehabt [haben] wie heute“ (Dahrendorf 1998: 46). Somit eröffnet eine globalisierte Migration zahlreichen Menschen bisher ungeahnte Lebenschancen. Innerhalb dieser plural verstandenen Welt, in der es angesichts von modernen Massenmigrationen, einer zunehmenden Arbitrarität kultureller Zeichenordnungen sowie multifaktorial flottierender Bedeutungszuschreibungen zu einer Mehrfachcodierung von personaler und kollektiver Identität kommt, sind doch zuvorderst die Wahlmöglichkeiten sowie die migrationsauslösenden Indizien der Deutschlandmüden von gesondertem Interesse, die den Eintausch der ersten Heimat gegen die zweite, dritte und wohlmöglich auch vierte Heimat zu autorisieren suchen. Die als Glaubenssatz aus dem 19. Jahrhundert von Rainer Maria Rilke überlieferte Weisheit, dass dem Menschen „nach der ersten Heimat […] die zweite zwitterig und windig ist“ (Rilke 1989: 715), so lassen die nachfolgend analysierten ethnografischen Quellenmaterialien schließen, hat auch im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ihre Bedeutung noch nicht eingebüßt. Beim eingehenden Blick auf die geografisch-sektoriale Verteilung der bevorzugten Wohngebiete bzw. suburbs des hier verwendeten Samples von Migranten innerhalb der großstädtischen Agglomeration Sydney werden dem teilnehmenden und unstrukturiert vorgehenden Beobachter aufschlussreiche Erkenntnisse über soziale Herkunft, Bildungsstand und finanzielles Einkommen ermöglicht. Die Stadt am Port Jackson lässt eine Segmentierung nach Parametern wie Einkommen, Kaufkraft, Miet- und Grundstückspreise sowie der unmittelbaren Zentrums-, Hafen- und Strandnähe zu, so dass insbesondere der Norden (North Shore und Upper North Shore) und die östlichen Vororte wie Woollahra (Double Bay = Double Pay) finanzkräftige und zahlungswillige Menschen anziehen. Moosman, Lane Cove, Lindfield, Greenwich, Balmoral, Balgowlah und Cremorne stehen hier als Wohnorte der untersuchten Gruppe von deutschen Immigranten stellvertretend für jene qualitativ

272 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

hochwertigen Distrikte urbanen Lifestyles mit vergleichsweise gut ausgebauter Infrastruktur und einem auf die obere Mittelschicht zugeschnittenen Angebot an Waren wie Dienstleistungen, die sich nur diejenigen leisten können, die über ein über dem Durchschnitt liegendes Gehaltseinkommen verfügen. So kann als erstes Charakteristikum dieser Gruppe festgehalten werden, dass sie aufgrund ihrer guten und teilweise internationalen Ausbildung in der asiatisch-pazifischen Wirtschaftsmetropole Sydney einer Berufstätigkeit nachgeht, die im oberen Teil des Einkommensniveaus anzusiedeln ist und zu der sozialen Schicht der finanziell Gutsituierten zählt, bei der Aussagen wie „das Finanzielle ist bei uns eh nicht das große Problem“ keinen Seltenheitscharakter besaßen.125 Als Nigol Meininger, in der IT-Branche tätig, mit seiner Frau und seiner jungen Tochter am 15. Februar 2006 nach Gleitflug über die Botany Bay am Kingsford Smith International Airport landete, ging für die dreiköpfige Familie der lange gehegte und von Sehnsüchten nach zusätzlicher Auslandserfahrung ersehnte Traum, einmal nach Australien auszuwandern, in Erfüllung. Die Entschlussfassung, die zusätzlich durch den im Zuge einer Weltreise getätigten Aufenthalt in Australien zu

125 Diese hier geschilderte Migrationsvariante setzt sich nicht nur von den phänomenologischen Grundbedingungen der Auswanderungsgruppen aus den 1950er und 1960er Jahre deutlich ab, die in den meisten Fällen zum Gelderwerb nach Australien kamen; sondern dieser Unterschied wird zudem sehr oft in den Interviews intentional verbalisiert, um die in Abgrenzung vollzogene Eigenpositionierung zu bekräftigen. Die typische Auswanderungsgeschichte von damals, als die nahezu mittellosen Arbeiter aus dem zerstörten Europa flohen, um in Australien die Infrastruktur für den technischen Fortschritt aufzubauen, sei laut der global orientierten Mittelfristmigranten heute nur noch in der Rentnergeneration anzutreffen. Vom Bildungshintergrund seien es gegenwärtig ausschließlich gut ausgebildete Akademiker. Eine Dichotomie zwischen Jung und Alt innerhalb der deutschen Auswanderergemeinschaft lasse sich ebenfalls in dem gegenwärtig vorherrschenden Deutschlandbild der älteren Auswanderer feststellen, die kurz nach dem Krieg Deutschland verlassen hatten und in der Prä-Internet-Ära nur ein sehr selektives Bild von gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrer alten Heimat mitbekommen hätten. Horst Gilbert berichtete von seinem Besuch als Abgesandter der German International School Sydney auf dem Friedhof während der offiziellen Gedenkfeierlichkeiten zum Volkstrauertag zu Beginn seines Australienaufenthalts, bei dem auch die damalige Generalkonsulin zugegen war. Als ein älterer Auswanderer vom German Club in Sydney seine anlässlich dieser Gedenkstunde vorbereitete Rede über den Zweiten Weltkrieg mit den Worten begann: „Was damals im September 1939 eigentlich ganz gut begonnen hatte und dann in dieser Katastrophe endete“, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass sowohl die mentale als auch geografische Distanz zum modernen Deutschland für das Überleben althergebrachter Denkstrukturen verantwortlich ist.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 273

Beginn des 21. Jahrhunderts intensiviert wurde, ist bei Nigol Meininger, wie bei zahlreichen anderen Gewährspersonen, eingebettet in einen Lebensabschnitt, den kaum einer mit der Phase der Midlifecrisis in Verbindung bringt und den Brigitte Bönisch-Brednich als „die traditionell erlebnis-, umbruch-, und ritualarme Zeit zwischen Hochzeit und Tod“ (Bönisch-Brednich 2006: 465) bezeichnet hat. Was ist damit nun genau gemeint? Auf die mehrere Monate in Anspruch nehmende Weltreise mit dem Partner folgte für das spätere Ehepaar der Lebensabschnitt, der die Gründung einer Familie vorsah und der Überlegungen nach sich zog, es dem direkten Freundeskreis mit dem Kauf eines eigenen Hauses sowie eines größeren Autos nach der Geburt des ersten Kindes gleichzutun. Der subjektive Eindruck der biografischen Stagnation, „einfach das Gefühl zu haben, ja, das war es jetzt“, als auch das evaluierende In-Beziehung-zueinander-Setzen von Vergangenem mit Zukünftigem in Wortlauten wie „das kann es nicht gewesen sein für uns“ ging einher mit einem Aufkeimen einer inneren Unruhe, „einfach nochmals etwas zu erleben.“126 In dieser mittleren Lebensphase bot sich zahlreichen Gewährpersonen die Gelegenheit, ein resümierendes Zwischenfazit unter das bis zu diesem Zeitpunkt Erreichte und Erlebte zu ziehen und den Übergang in einen neuen Abschnitt dergestalt zu planen, um den Befürchtungen wie Stillstand, Gleichförmigkeit und innerer Leere unter allen Umständen zu entgehen. Innerhalb der Biografien der potenziellen Australienauswanderer aus Deutschland trat mit dem doch eher spekulativen Charakter besitzenden Wissen um eine langatmige Monotonie bis zum Eintritt ins Rentenalter eine Sättigung ein, die nur durch neue Reize sowie einer mentalen Disposition zu einem Neustart in einem fremden kulturellen Kontext entgegengewirkt werden konnte. Eine Affinität zu einer wanderungsmotivierenden Suszeptibilität war infolge einer vorherigen Erfahrungssammlung auf der Basis von Urlaubsreisen nach Australien stark ausgeprägt. Bilanzierend ließ auch Dr. Horst Gilbert zwei Jahre vor dem Verlassen der Bundesrepublik im Jahre 2002 sein bisheriges Leben vor seinem geistigen Auge Revue passieren, als er mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern den Entschluss fasste: „Wir probieren einfach Mal hier nach Australien auszuwandern, äh umzuziehen.“127

126 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008. 127 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. Wie aus den in diesem Kapitel wiedergegebenen Gesprächspassagen im weiteren Verlauf ersichtlich wird, ersetzten die Migranten das Wort „auswandern“ durch „umziehen“, woran gleich mehrere Interpretationen anschließen können. Durch dieses terminologische Substituieren versuchen die Akteure ihre Wanderungsbewegung als einen eher mit wenigen Mühen versehenen, folgerichtigen Schritt eines langen und wohl überlegten Entscheidungsprozesses, der auf den Erfahrungen mehrmaliger Urlaubsbesuche am jetzigen Lebensmittelpunkt gründet, zu präsentieren. Des Weiteren wurde in den Gesprächen stets

274 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Viele glaubten das gar nicht, weil, ja ich war in Deutschland an der Uni. Promoviert, habilitiert, das ganze Programm gemacht, da wäre dann mit Ende dreißig der nächste Schritt gekommen mit der Professur, vielleicht nochmal Schule und dann. Das war ja auch auf der Schiene, auf der ich war. Wir wollten mal etwas anderes, ich habe dann immer mokiert damit, wir probieren jetzt einfach Mal Australien. Wenn das mit Australien nichts wird, deutscher Beamter kann ich immer noch werden. […] Und wir hatten ja auch alles. Nein, wir sind keinen Moment lang geflüchtet. Heute sehe ich das auch ein bisschen anders, vielleicht war es die Midlifecrisis, so, jetzt muss noch was passieren. Ich stand auf der Schiene, das Geld wartete und ich wäre dann so in die Pension reingerutscht. […] Und wie gesagt, nicht irgendwie, wir wandern jetzt aus, sondern wir ziehen um und gucken das uns an und vielleicht sind wir genauso schnell wieder hier.“128

Im direkten Zusammenhang mit diesem Streben nach einer von den üblichen biografischen Verlaufsformen der bundesdeutschen Mitmenschen abweichenden außergewöhnlichen Lebensgestaltung steht das zu Beginn der 1990er Jahre vom Soziologen Gerhard Schulze in den kulturwissenschaftlichen Diskurs eingebrachte Konzept der „Erlebnisgesellschaft“, in deren Gefüge der Mensch sein Verhalten vorwiegend danach ausrichtet, ob es dem dominierenden Ziel nach „Erlebnisrationalität“, nach einem „schönen und ereignisreichen Leben“ entspricht (Schulze 1992: 40ff.). Die mit der Migration in Verbindung stehenden Wahrnehmungsräume und Wahrnehmungsmuster offerieren neben Bildungsansprüchen und Kontemplation zu einem hohen Grad Spaß, Zerstreuung, Genuss, Unterhaltung und außergewöhnliche Erlebnisse. Ordnungsstrukturen der interkontinentalen Wanderungsbewegungen, so entnehmen wir einem Konzept Bauman’scher Prägung, verflüssigen sich zunehmend, in dem kanalisierende Hindernisse abgebaut werden, um eine freie Fließbewegung von Menschen über nationale Grenzen zu ermöglichen.129 Symbo-

mit Nachdruck darauf bestanden, dass sich die Migranten ihrer neuen Destination Sydney nicht auf ewig verpflichtete fühlen, d. h., die Stadt ist (wahrscheinlich) nicht ihr endgültiger Wohnsitz. Eine Rückkehr nach Deutschland oder ein neuerliches Bewegen „zu neuen Ufern“ hängt von zahlreichen Faktoren ab. Das Simmel’sche Konzept vom Migranten, der in die Dependenz von Gelöstheit und Fixiertheit integriert ist, kann an dieser Stelle meiner Argumentation neuerlich seine analytische Kraft unter Beweis stellen, denn bei jenem potenziellen Wanderer, der bereits einmal seinen alten Bestimmungsort hinter sich gelassen hat, ist die Wahrscheinlichkeit umso höher, dass er abermalig migriert (Bönisch-Brednich 2006: 466). 128 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 129 Bauman schreibt dazu: „For power to be free to flow, the world must be free of fences, barriers, fortified borders and checkpoints. Any dense and tight network of social

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 275

lisch von Bedeutung für diese Form der Immigration, bei der die über internationales Handlungsgeschick verfügenden Menschen ihr Schicksal eigeninitiativ regulieren, d. h., „das Leben und das eigene Glück selbst organisieren“ (Bönisch-Brednich 2006: 462) und Zukunftspläne ausschließlich nach ihren eigenen Wünschen ausrichten, ist es, dass Meininger und seine Frau mit dem Erdglobus in Miniaturform in der Hand von Deutschland aus über die nächste Lebensabschnittsdestination ihrer weltlich gestimmten Pilgerfahrt entschieden, um den bundesdeutschen Alltagseinerlei zu entkommen. Die nächste größere Hürde wartete auf die Auswanderungswilligen bei der Beantragung eines Visums für die permanent residency, zumeist unter der Kategorie der independent skilled migration, wozu u. a. die Sprachkenntnisse im Englischen (IELTS-Test) abgeprüft wurden sowie die finanzielle Sicherstellung der Antragsteller eine Rolle spielte. Nachdem Gilbert in der australischen Botschaft in Berlin vorstellig geworden ist und den Auswanderungsberatern mit zertifizierten Dokumenten darlegen konnte, „was wir haben, was wir sind und was wir können“130, offenbarte er ferner seine Intention, unter keinen Umständen gewillt zu sein, eine temporary residency anzustreben, sondern nur ein uneingeschränkter Bleibestatus ein ausschlaggebender Movens sein könne, nach Sydney „umzuziehen“. Dies jedoch ganz und gar nicht aus dem Grund, weil man permanent bleiben wolle, das wisse man noch gar nicht, sondern ausschließlich vor dem Hintergrund, „dass dann da keine Uhr tickt von Anfang an.“131 Dieses Anliegen, die eigene Wanderungsbewegung mit dem Etikett der vorläufigen Lebensabschnittmigration zu versehen, d. h. zu jederzeit über die freie Wahl zu verfügen, die Rückkehr nach Deutschland bzw. zu einem neuen Lebensmittelpunkt anzutreten, ist ubiquitäres Charakteristikum dieses Samples: „Wir haben immer gesagt, wir gehen für zwei Jahre, einfach um unsere Eltern zu beruhigen. Wenn man am Anfang fünf Jahre sagt, dann drehen die völlig am Rad. Auch meine Frau hat gesagt, lass uns einfach mal zwei Jahre machen und wir sind ja auch independent skilled migrants, was wir gemacht haben, wir sind ja komplett unabhängig von anderen. Wenn man jetzt hier kündigt, dann muss man natürlich wieder einen Job finden, aber ich bin hier keinem verpflichtet, in keinster Weise. Ich kann hier wohnen bleiben, aber ich kann auch morgen wieder zurückziehen.“132

bonds, and particularly a territorially rooted tight network, is an obstacle to be cleaned out of way” (Bauman 2000: 14). 130 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 131 Ebd. 132 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008.

276 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Aufgrund der Undurchsichtigkeit der unterschiedlichen Visumbestimmungen und Einwanderungskategorien sah sich Familie Meininger der Notwendigkeit ausgesetzt, eine migration agency zur Bewältigung von Behördengängen und der Korrespondenz mit Botschaften und Konsulaten zu beauftragen, die zusätzlich prognostizierte, dass das Visum im Oktober 2005 ausgestellt werden sollte. Versäumnisse bei der von Seiten der Agentur zu tätigenden Dokumentenüberlieferung an die zuständige Einwanderungsbehörde verursachten einen mehrmonatigen Aufenthalt bei Freunden, so dass die Immigranten sprichwörtlich auf den gepackten Koffern saßen, da Haushaltgegenstände und Möbel von Familie Meininger zum größten Teil verkauft oder in angemieteten Räumlichkeiten eingelagert wurden. Die öfters zu erkennende Entscheidung gegen die Mitnahme des privaten Hab und Guts in einem Container kann gleichzeitig als ein positives Votieren für das Kulturphänomen des Unterwegsseins mit leichtem Gepäck interpretiert werden, was neuerlich das Theorem des zeitlich befristeten Gesamterscheinungsbilds dieser Form der Mobilität bekräftigt.133 Beim neuerlichen Hören der digitalen Gesprächsmitschnitte sowie bei der punktuellen Lektüre der Transkriptionsmaterialen kommt man an der Erkenntnis kaum vorbei, dass bei diesem Sample von Teilzeitimmigranten nur in sehr geringem Ausmaße die klassischen Push-Faktoren das Verlassen des Heimatlandes beförderten134, wenngleich ein ganzes Panoptikum von anziehenden wie begehrenswerten Pull-Faktoren den Ausschlag für den Umzug nach Sydney legitimierten. Gehen wir also nun der Frage nach, warum Menschen, denen es in Deutschland un-

133 Von Bernhard Vollmert, der die mit Mühen verbundene Mitnahme eines Containers nicht scheute, war der in Deutschland in Angriff genommene „Aussortierungsprozess“, d. h. die Selektion, was mitgenommen bzw. in Deutschland bei den Schwiegereltern eingelagert wird, deshalb so „schwierig“, „weil es so endgültig ist.“ Hierin zeigt sich, dass Endgültigkeit, Irreversibilität und Endlichkeit im Zeitalter der transnationalen Migration zunehmend als bedrückende Nebenerscheinungen weltumspannender Beweglichkeit wahrgenommen werden. Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007. 134 Auch wenn externe Aspekte, die ein Verlassen Deutschlands motivierten bzw. legitimierten, nur ganz selten in den erzählten Auswanderungsgeschichten vorkamen, so berichtet doch ein männlicher Migrant, dass er aufgrund seines äußerlichen Habitus als klein gewachsener Schnauzbartträger mit dunklem Teint, Nichtkatholik und wegen seiner beruflich bedingten regelmäßigen Auslandsaufenthalte im kleinstädtischen Milieu der süddeutschen Stadt Konstanz des Öfteren „schief angeguckt“ wurde. „Ich habe mich ehrlich gesagt in Konstanz fast mehr als Fremder gefühlt, als ich mich hier fühle. Weil mir in der ersten Woche direkt gesagt wurde: ‚Sie sind erst dann Konstanzer, wenn sie in der fünften Generation hier leben.‘ In Australien kann man keine fünf Generationen leben, so alt ist Australien noch nicht.“

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 277

ter finanziell-materiellen als auch unter sozial-kulturellen Gesichtspunkten an nichts fehlte, eine gesicherte Arbeitsstelle hinter sich ließen sowie die Wurzeln einer gesellschaftlich etablierten Existenz durchkappten, um den weiten Weg in den Südpazifik aufzunehmen. Einem Vergleich und der damit im gleichen Atemzug einhergehenden Identifizierung Sydneys als einer der drei schönsten Städte der Welt, neben San Francisco und Vancouver (alle verfügen über einen Hafen, eine Brücke und Zugang zum Meer), folgt eine Kontrastziehung zu extrem kompakteren Millionenstädten wie Peking, Los Angeles oder Hongkong, in denen die für Sydney oft proklamierte Lebensqualität aufgrund der größeren Bevölkerungsdichte weniger gegeben ist. Eine der neuen Wahlheimat attestierte hohe Flexibilität, ein nahezu unerschöpfliches Angebot an Cafés und Restaurants, die unmittelbare Nähe sowohl zu den zahlreichen Stadtstränden als auch zu den Blue Mountains im westlichen Hinterland, das kulturelle Angebot im Opera House, Sprach- und Kulturdiversität, das vom Ozean mitbestimmte Leben sowie die für ein wirtschaftliches Ballungszentrum eher untypische Lockerheit bei den alltäglichen Verrichtungen sind nicht nur bei den Befragten gängige Erklärungsmuster, sondern verhalfen auch der Jury des Mercer’s Worldwide Quality of Living Survey, bei dem insgesamt 251 Städte auf ihre Lebensqualität untersucht wurden, bei der Einstufung Sydneys auf den 10. Platz. Berücksichtigt wurden dabei zahlreiche Faktoren wie politisch-soziales Umfeld, Umweltbedingungen, medizinische Versorgung, kulturelles Angebot, Schul- und Ausbildungskapazitäten, öffentlicher Transport, Zugang zu Konsumgütern, klimatische Verhältnisse sowie Haus- und Wohnungsmarkt (Sydney seeks in city rankings 2008).135 Ein stets in längeren Narrationen dargelegter Wohlfühlfaktor der Stadt, in der die Migranten an einem Großteil der 365 Tage morgens angesichts blauen Himmels und Sonnenscheins mit einer zu deutschen Verhältnissen doch sehr konträren habituellen Grunddisposition in den Tag starten, ist der vom Kulturwesen Mensch praktizierte Wesenszug des think positive136, zu dem sich Meininger wie folgt äußerte:

135 Die Attraktivität dieses Arbeits- und Lebensstandorts lässt sich aber noch an einem anderen Indikator messen. Als stellvertretender Direktor der German International School Sydney ist Horst Gilbert für das Personalmanagement zuständig und sieht sich wöchentlich mit mehr als fünfzig Bewerbungsschreiben von beamteten Lehrern, Lehramtsstudenten und Praktikanten aus Deutschland konfrontiert, die nicht wegen des guten Rufes der deutschen Lehrinstitution nach Australien kommen wollen, sondern weil sie sich „natürlich an den northern beaches etwas wärmen wollen.“ 136 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

278 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Einmal, die Australier an sich sind sehr entspannte Menschen, es ist sehr angenehm mit denen zu leben, die sind so freundlich, alle. Das ist wirklich zu Deutschland ein sehr großer Unterschied, das schadet dem deutschen Ruf, das ist aber wirklich so. Ein Busfahrer ist so wahnsinnig freundlich hier, hilft dir, auch wenn du schon mal im falschen Bus bist, oder wenn der schon abgefahren ist. Der hält dann nochmal an, wenn du angerannt kommst. Das sind eben nur diese Kleinigkeiten. Ich fahre morgens mit der Fähre oft von der North Shore rüber, und diese Jungs, die dann dieses Trittbrett da aufbauen, das muss man sich vor Augen führen, die verdienen einen Bruchteil davon, was ich verdiene, das ist ein lower job, definitiv. Aber die sind so freundlich und die geben einen nie das Gefühl, so zu sagen: ,Ja, Ja, Ja, ihr, die Anzugträger.‘ Nein, die sind einfach superfreundlich und haben immer einen Spaß auf den Lippen.“137

Das stereotype Idealbild des australischen Egalitarismus wird hier anschaulich verkörpert als ein auf Harmonie und Kohäsion abzielendes gesellschaftliches Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher kultureller, religiöser, aber auch schichtspezifischer Zugehörigkeit, bei dem jedem Mitglied ein fair go, d. h. eine faire Chance, zugesprochen wird. „Leben und leben lassen“ als eines der fundamentalsten Grundprinzipien beinhaltet Toleranz und gegenseitigen Respekt gegenüber allen Menschen, so dass sich Australien, so entnimmt man den vom Immigrationsministerium veröffentlichten Informationsbroschüren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft, damit rühmt, stolz auf seine egalitäre Gesellschaftsstruktur zu sein, die niemanden aufgrund seines sozialen, religiösen oder politischen Status oder Geburtsorts diskriminiert (Becoming an Australian Citizen 2007: 7). Auch der australische Historiker Manning Clark wusste in einer eloquent formulierten Generalisierung zu berichten, dass die australische Gesellschaft „eine grobe, egalitäre, lärmende, vulgäre, aber wunderbar lebendige“ sei (zitiert nach Gilissen 2004: 65). Zudem geht aus dem oben angeführten Zitat eine Einkommensdiskrepanz zwischen finanziell gut und schlecht dotierten Berufssparten hervor, die eine gegenläufige Entwicklung zu dem von Australien formulierten Ziel, ein menschliches Zusammenleben ohne formale oder verwurzelte Klassenunterschiede zu sein, darstellt, die Schere zwischen Arm und Reich intensiviert und längerfristig zur Prekarisierung der Arbeit führt (Betts 1999: 75f). Viele der Menschen, die Deutschland in den ersten sechs Jahren nach der letzten Jahrhundertwende verlassen haben, sind sich darüber im Klaren, dass die australische Nationalökonomie im Gegensatz zur deutschen kein Haushaltsdefizit und keine Auslandsverschuldung kennt, sondern auf der Basis des Exports der reichhaltig vorhandenen Rohstoffe am Ende des Wirtschaftsjahres zumeist schwarze Zahlen schreibt (Coleman 2006: 10). Der Sachverhalt, dass aus ökonomischer Perspektive

137 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 279

„der Laden rund läuft“, weil Australien „mehr oder minder das Outback leer buddelt“138, diese Rohstofferzeugnisse über Newcastle und Port Kembla nach China, Japan oder Indien verschifft, sorgt dafür, dass es in Sydney kaum Arbeitslosigkeit gibt. Niedrige Erwerbslosenquoten und florierende Binnenwirtschaft seien Errungenschaften, so die einhellige Aussage zahlreicher Migranten, die trotz einer im Arbeitsalltag verbreiteten nine-to-five mentality und einer zum großen Teil auf Sport und Freizeitaktivitäten ausgerichteten Bevölkerung im urbanen Sydney auf der Habenseite Australiens zu Buche schlagen. Auch an Wochentagen ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass sich ganze Gruppen von Angestellten multinationaler Konzerne in der Mittagspause in Parkanlagen des Central Business District wie The Domain oder im Hyde Park treffen, um gemeinsam sportlichen Aktivitäten nachzugehen. Die andere Seite der Medaille, die das finanzielle Überleben in besagten Stadtbezirken des Global Player Sydney nur noch für eine kapitalkräftige und zahlungswillige Klientel möglich macht, wird von den deutschen Auswanderern eher mit kritischer Besorgnis registriert als verschwiegen. Kontinuierlich ansteigende Immobilien- und Mietspreise139 „jenseits von Gut und Böse“ werden auf den stetigen Zuzug zahlungskräftigerer Neuankömmlinge zurückgeführt, die „ein bisschen mehr Taschengeld als die anderen haben und natürlich hier die Preise verderben“, was dazu führt, dass der „klassische aussie settler“ oder finanzschwache Migranten aus besagten Gründen gezwungen werden, in günstigere Regionen Sydneys, wie die westlichen Vororte, oder Bundesgrenzen überschreitend, zum Beispiel nach Queensland, umzusiedeln. Jedoch spielt sich der Traum jedes deutschen Australienauswanderers, der in Sydney leben will, stets in der Nähe vom Hafen oder in unmittelbarer Reichweite zum Meer ab, wenngleich dies die ausschlaggebenden Faktoren einer gigantischen Preissteigerung sind. Wegen des industriellen Booms entstanden insbesondere in der Region Perth und in Brisbane neue wirtschaftliche Zentren mit tendenziell gleichem Lohnniveau und gleichen Lebensbedingungen, so dass die Fluktuationsintensität zwischen Neuankömmlingen und Fortziehenden in Sydney sehr hoch anzusiedeln ist. Trotz des oft proklamierten freien, unbeschwer-

138 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 139 Gerade das Kaufen von restaurierungsbedürftigen Immobilienobjekten, deren Grundüberholung und anschließender Verkauf ist eine der weitverbreiteten Tätigkeiten der in Sydney allgegenwärtigen real estate agencies. Ein Beispiel aus der deutschen Migrantenkultur soll hier als Veranschaulichung dienen. Eine Bewohnerin der Altersruhestätte Allambie Lutheren Homes in Allambie Hights berichtet mir, dass sie vor ihrem Einzug in diese Institution ihr Haus bei einer öffentlichen Versteigerung feilbot. Da sich das alterschwache und abrissreife Haus jedoch in einem der attraktivsten Stadtviertel von Sydney, im östlichen Vorort Rosebay, befand, bezahlte ihr eine Käufergemeinschaft nur aufgrund der guten Lage des Grundstücks circa 1,6 Millionen Australische Dollar.

280 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ten und unbekümmerten Lebensstandards in Australien findet dieses Bagatellisieren des urbanen australischen Way of Life spätestens beim Thema Geld sein Ende. Horst Gilbert, Vater von drei Kindern, zog während des Gesprächs den ökonomischen Vergleich zu deutschen Verhältnissen, in dem er folgende bilanzierende Kalkulationen aufstellte: „Ja, die Frage ist, genau, was ist einem das wert. Oder nochmals zu dem Ökonomischen. Hier gibt es kein Kindergeld, damit sie jetzt mal sehen, wie wir hier leben. Ich habe schon zu meiner Frau gesagt, wenn wir so ein Haus in Deutschland hätten, zwar nicht in München, aber irgendwo da, wo wir herkommen, wir würden die Hälfte Miete bezahlen, behaupte ich einfach mal. Die Hälfte Miete! Wir würden Kindergeld bekommen für die drei, mittlerweile sind das auch ein paar tausend Euro mehr. Wir müssten keine Schulgebühren bezahlen, ja. Ich wäre Beamter, ja. Wir würden jedes Jahr, würden wir netto über 30.000 Euro mehr haben. Genau, jedes Jahr. Ja, einfach 30.000 Euro mehr in der Tasche und jetzt rechnen sie sich das jetzt mal hoch auf zehn Jahre, auf zwanzig Jahre. […] Was ich damit sagen will, sehen wir es mal so, als Familienvater machen sie sich ja auch einige Gedanken. Hier blauer Himmel, Sydney, Beach, Hafen, Opera House, aber was ist einem die Party wert? Da kann ich mir vorstellen, dass hier Leute zu einem anderen Ergebnis kommen würden.“140

Gerade bei der Geburt eines Kindes, so Gilbert, sei man es aus dem sozial abgesicherten Netz der Bundesrepublik gewohnt, das „Kärtchen von der Krankenkasse“ für alle entstehenden Kosten zu verwenden, während angehende Eltern in Australien bei diesem lebensgeschichtlichen Einschnitt mit der starken Belastung der eigenen Kreditkarte zu rechnen haben. Aus der Tendenz, seine Kinder an australischen Privatschulen anzumelden, um ihnen so eine hochwertige Ausbildung bzw. ein auf Sydney zugeschnittenes Einkommen zu garantieren, entstehen für die Eltern ferner hohe Kosten.141 Der Sozialstaat als regulativer Machtapparat, verbal versinnbildlicht als „die da oben“, habe für die Bevölkerung in der alten Heimat immer noch die Funktion, einerseits der Sündenbock für jegliche nationale Misere zu sein und

140 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 141 Sylvia Harmsens polylokale Wanderungsbewegung führt sie und ihren Mann zuerst durch ihren Beruf von 2001 bis 2005 nach San Francisco, von wo aus sie mit den beiden in Amerika geborenen Kindern neuerlich aufbrachen, um in Sydney einem Jobangebot ihres Mannes nachzugehen. Die für den Abschluss des International Baccalaureate an der Privatschule Readland im Stadtteil Cremorne anfallenden Schulgebühren für die 12. Klasse beliefen sich zum Zeitpunkt der Informationseinholung von der Gewährsperson im Jahre 2008 bereits auf knapp 20.000 Australische Dollar pro Jahr, wenngleich ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt die Grund- und Vorschule besuchten, so dass sie in einigen Jahren eher mit 30.000 Dollar für diese Privatschule rechnete.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 281

andererseits sozialverträgliche Programme zur Absicherung der Bürger zu entwickeln: „In Deutschland ist dieser Blick nach oben und dann die Hand auf, das ist stark ausgeprägt.“142 Wogegen in Australien eher der spirit des Einzelnen bzw. die in Eigenleistung erbrachte Initiative hervorsteche, die aus der alten Situation des kolonialen Abhängigkeitsverhältnisses vom britischen Mutterland heraus entstand und in der zur Nationalmythologie avancierten Figur des Crocodile Dundee, der seine Existenz gegen die menschenfeindlichen Einflüsse der ihn umgebenden Natur verteidigen musste, eingeschrieben ist. Ein weiterer wichtiger und zu eruierender Aspekt der Wanderungsbewegung der hier als Mittelfristmigranten klassifizierten Gruppe von Deutschen ist die Phase der Integration in das fremdkulturelle Umfeld in Australien, die vorrangig durch die Hilfe der in Sydney bereits gut vernetzten Diasporagemeinde143 der deutschen Community – an den lokalen Rahmenbedingungen von Sydney gespiegelt eher verstanden als heterogenes und flexibles soziales Gebilde von zahlreichen Subgruppen unterschiedlicher Interessenvertretungen mit einem historisch gewachsenen sowie im kontinuierlichen Wandel begriffenen ethnokulturellen Verhaltenskanon an Bewertungsmustern und Normen denn eine nach außen hin abgeschlossene Gemeinde – unterstützt wird. Gemeinsam stehen die deutschen Auswanderer vor dem Problem, sich in einer fremden Kultur neu zurechtfinden zu müssen, ihrem Leben an einem Ort fern der eigenen Heimat, charakterisiert durch die täglich wahrgenommene kulturelle Fremdheit und Abweichung, neue Konturen zu verleihen sowie eine Strategie für das Alltägliche zu organisieren. Zwecks des erfolgreichen Durchlaufens dieser ersten Zwischen- und Übergangsphasen sowie zur Bewältigung einer

142 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 143 Das griechische Substantiv „diasporá“ leitet sich her von dem Kompositumverb „diaspeiro“, übersetzt als „ausstreuen, sich zerstreuen, getrennt werden“ und meint in seinem ursprünglichen Wortgebrauch alle fern von Israel lebenden Juden. Der Begriff erfuhr jedoch seit den 1960er Jahren eine semantische Erweiterung, indem er auf alle ethnischen Minderheiten ausgedehnt wurde. Die „diasporic community“ umschließt Bezeichnungen wie „immigrant, expatriate, refugee, guest-worker, exile community, overseas community, ethnic community“ und offeriert eine Plattform der kulturellen Selbstdefinition (Tölölian 1991: S. 4f.; Clifford 1994: 302). William Safran subsumiert für eine Definition des Terminus gleich fünf wichtige Aspekte: Menschen leben in einer Diaspora, wenn 1. eine traumatische Erfahrung aus der Vergangenheit die Zerstreuung in mehr als ein Gastland zur Folge hatte, 2. diese dort als ethnische Minderheit lebt, 3. dort aus der Erinnerung an das alte Heimatland eine eigene Identität entwickelt, 4. die Gruppe davon ausgeht, im Hinblick auf ihre kulturelle Differenz zur dominierenden Mehrheitsgesellschaft um ihre Anerkennung kämpfen muss und 5. selbst keine permanente Integration im Aufnahmeland anvisiert (Safran 1991: 83).

282 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

mit diesem Prozess in Verbindung stehenden Infragestellung der eigenen kulturellen Identität tritt eine Suchbewegung nach vermeintlich Bekanntem und Ähnlichem aus der Herkunftskultur in Kraft, die schlussendlich den Weg in die deutsche Diasporagemeinde in Sydney ebnet. Dieses vom Menschen in einer kulturellen Bedürfnisbefriedigung institutionalisierte Medium zwecks ethnischer Vergesellschaftung in der Fremde verfügt über eine katholische Kirchengemeinde in Croydon und Bankstown, eine evangelische Kirchengemeinde in Chester Hill und der Goulburn Street, die German International School Sydney in Terry Hills, unterschiedliche Vereine und Clubs, jüngere Interessengemeinschaften wie den Young German Speakers in Sydney, einen ökumenischen Kulturkreis, das Goethe-Institut in Woolhara, die Deutsch-Australische Industrie- und Handelskammer, die Australian-German Welfare Society in Strathfield, das deutschsprachige Pressemedium Die Woche in Australien mit Redaktionssitz in Five Docks, ein großes Clubhaus der deutschösterreichischen Gemeinschaft in Cabramatta, ethnische Gewerbe wie deutsche Metzger, Bäcker und Restaurants, zum Beispiel das Löwenbräu in The Rocks und zahlreichen auf informeller Ebene gegründeten deutschen Spiel- und Müttergruppen. Daraus lässt sich schließen, dass den Deutschen vielfältigen Institutionen in Sydney zur Verfügung stehen, die ihre ethnischen Ansprüche befriedigen. Wenn auch die Ambitionen zur Integration im jetzigen Residenzland in den Gesprächen mit den Migranten stets verbal unterstrichen wurden, in dem man „wirklich in die australische Kultur auch einzutauchen“144 gewillt sei, so klafft doch zumeist eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, denn die wichtigen sozialen Kontakte knüpfen die deutschen Immigranten immer noch mit ihresgleichen. Dem Bekenntnis, es sei eigentlich gleichgültig, ob man deutsche oder australische Freunde besäße, steht die Kontaktfreudigkeit zu Menschen mit dem gleichen Schicksal und mit den gleichen Erfahrungen der kulturellen Fremdheit entgegen. Freundschaftliche Verbindungen zwischen befristeten Auswanderern und den so genannten expatriates, d. h. deutschen Entsandten von international agierenden Firmen (von Dobeneck 2010: 14ff.), sind durch die zwischen den oben genannten kulturellen Einrichtungen gespannten Netzwerke schnell geknüpft, so dass eine an intraethnischen Verlaufslinien ausgerichtete Freizeitgestaltung, die Verwirklichung gemeinsamer Interessen und das Aufziehen der Kinder in einem deutschsprachigen Freundeskreis mit gleichaltrigem Nachwuchs oft gehörte Bestandteile der erzählerisch präsentierten Migrantensituation in Sydney sind. Deutsche Immigranten, die nicht genau sagen können, wie lange sie noch an ihrem Lebensmittelpunkt Sydney verbleiben, äußern sich dazu in typischer Weise: „Auf jeden Fall leben wir noch ein deutsches Leben in Australien. Ich würde es eher als ein bereichertes deutsches Le-

144 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008.

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 283

ben mit einem australischen Teil bezeichnen.“145 Die Einführung in das diasporische Dasein bzw. das Leben in der Melangekultur der Diaspora, bestehend aus Elementen des Gastlandes und des Herkunftslandes, beschreibt neuerlich Nigol Meininger: „Die deutsche Spielgruppe zum Beispiel. Ja, es passiert halt mal wieder, du bist halt am Strand und hörst ein Paar Deutsch sprechen und du sagst sofort ,Hallo!‘, weil es hier sowieso so viele Deutsche gibt. Dadurch haben wir eben Deutsche kennengelernt und dadurch hat eben die Uli eine andere Mutter kennengelernt. Die sagte dann: ,Ich gehe in die deutsche Spielgruppe, komm doch auch.‘ Dann ist sie eben dahin und dort lernst du eben andere Deutsche kennen und die sagen dann auch: ,Kommen sie auch zu Weihnachten in die Kirche?‘ Und schwups ist man in der deutschen Kirche. Ich sag mal, man fällt eigentlich sehr schnell, manchmal schon, wie du schon sagtest, ein bisschen zu viel, in die deutschen Muster wieder zurück.“146

Jene spezialisierten und dicht verästelten Netzwerkstrukturen der ethnisch spezialisierten Diasporagemeinde dienen den Neuankömmlingen als wichtige Plattform, die signifikantes interkulturelles Erfahrungswissen bereitstellt, was die Phase des Einlebens in den neuen Lebensabschnitt immens katalysiert und zur Überwindung des Kulturschocks beiträgt. Dies hat zur Folge, dass „gerade diese Integration in den klassischen australischen Alltag“ in den Narrationen der Migranten als kaum problematisch und „relativ weich“ dargestellt wird, da zahlreiche Migranten durch die Einbettung in ethnische Geflechte und den Kontakt zu Netzwerkspezialisten als gebildete, finanziell abgesicherte und gesellschaftlich etablierte Wohlstandsmigranten mit den wichtigsten Informationen versehen wurden und sich „gar nicht richtig hochdienen“ mussten.147 Gerade bei Gilbert, der eher durch Zufall als durch strategische Planung zum stellvertretenden Direktor der German International School Sydney aufstieg, war die Enkulturation in Sydney stark mit der Diasporagemeinde verbunden, weil sich die Klientel der Bildungsinstitution in Terry Hills hauptsächlich aus deutschen expats148 rekrutiert, die für die Zeit ihrer Entsendung darauf an-

145 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008 146 Ebd. 147 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 148 Imperiale Denkweisen nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ sind bei den firmeninternen transnationalen Verschickten keine Seltenheit und besonders da zu erwarten, wo die Kluft im Hinblick auf Arbeitsabläufe und Qualitätsmanagement zwischen Entsende- und Aufenthaltsland besonders eklatant wahrgenommen wird. Dazu berichtet Vollmert: „Ich bin nicht nach Australien gekommen, um den Australiern beizubringen, was Kultur ist. Was ich bei vielen expats als Verdacht hege, dass

284 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

gewiesen sind, dass ihre Kinder einen deutschen Bildungsstandard beibehalten, um bei einem neuerlich anstehenden Wechsel des Arbeitsorts nach Deutschland oder in andere Länder flexibel reagieren zu können (Dobler/von Groll 2002: 117). Bei allfälligen Integrationsproblemen verwiesen die bereits konstituierten Mittelsmänner der Diaspora hilfsbereit auf spezielle Ansprechpartner, die während der Zeit ihrer Kulturalisierung in Sydney die gleichen Schwierigkeiten zu lösen hatten, und warteten gegenüber den Ratsuchenden mit hilfreichen Hinweisen zur Orientierung auf. Die Affinität zu informellen Kontakten mit Menschen besitzt an der Lokalität mit permanentem Differenzkonsum, die Sydney ohne Zweifel ist, die Funktion der kulturellen Selbstverortung bzw. Selbstpositionierung, weil den Immigranten in der heimischen diasporischen Lebenswelt in der Fremde die Chance eröffnet wird, sich erstens des kulturell Bekannten zu versichern, zweitens kollektive Zuschreibungen des Eigenen und des Fremden zu festigen und damit drittens sich Gewissheit über ihre ethnische Zugehörigkeit in Phasen migrationsbedingter Identitätsverwirrung zu bestimmten Zeiten und an verwandten Orten zu verschaffen. Kurz formuliert: Die Diasporakultur dient als Medium zur Konstruktion von Heimat fernab der Heimat. Für das auf die Versicherung der eigenen kulturalen Ethnizität abzielende Identitätsmanagement, d. h. für einen „kontextabhängige[n], sich ständig fortentwickelnde[n] Prozeß der Selbst- und Fremddefinition“ (Kokot 2002: 32), so versteht es Waltraud Kokot in Anlehnung an Fredrik Barth, werden Institutionen und Interessengruppen systematisch gegründet, um Situationen herzustellen, in denen Menschen mit dem gleichen soziokulturellen Hintergrund sich zu einer (Schicksals-)Gemeinschaft zusammenfinden, mit dem Gebrauch der deutschen Sprache eine vertraute Kommunikationssituation schaffen und ritualisierte kulturelle Besonderheiten wie Kaffeeklatsch, Diskussionsrunden beim ökumenischen Kulturkreis, Martinsumzüge oder Osterfeierlichkeiten weiterhin aufrechtzuerhalten bestrebt sind. Das Gefühl des Aufgehobenseins, der Geborgenheit, der sozialen Sicherheit sowie des kulturellen Verstandenwerdens kompensiert den vor Ort nicht existenten familiären Rückhalt und gewährleistet eine sprachliche Sicherheit bei der Lösung von Komplikationen. Aus den erzählerischen Bewertungsmustern der Migranten über die kulturellen Wirkweisen, den an der Praxis orientierten Sozialorganisationen sowie den netz-

die das tun. Es fällt halt schon auf, wenn ich an der deutschen Schule bin und wo die echten expats, die für drei Jahre hier sind, von deutschen Firmen entsandt werden, um australischen Niederlassungen beizubringen, wie das richtig funktioniert. Diese Mentalität blickt oft durch. Das habe ich so nicht, ich arbeite ja bei einer australischen Firma.“ Dennoch ist Vollmert der einzige Deutsche sowie der einzige Ingenieur in der besagten Firma, in der er regelmäßig Abläufe arbeitstechnischer Natur hinterfragt, gegebenenfalls kritisiert und bestrebt ist, Strukturen zu verbessern (Moosmüller 2002a: 24).

M IGRATIONSDYNAMIKEN

| 285

werkspezifischen Handlungsofferten der deutschen Community in Sydney kann abgeleitet werden, dass dieses gesellschaftliche Konglomerat unter Zuhilfenahme der Kombination von „roots“ und „routes“ (Clifford 1994: 308) eine alternierende öffentliche Sphäre für deutsche Auswanderer bereitstellt, in der die Entwurzelten ein kulturell konstruiertes, aus Erinnerungen des verlassenen Herkunftslandes sich speisendes und auf Solidarität abzielendes ethnisches Gemeinschaftsbewusstsein kreieren bzw. inszenieren, das die Aufrechterhaltung einer die Dimensionen Zeit und Raum überspannenden identifikatorischen Verbindung mit dem Heimatland stützen soll. Zudem geht sowohl aus dem Verbalisierten als auch aus der beobachteten Alltagspraxis ein prozessartiges Involviertsein der deutschen Immigranten hervor, das Clifford als ein „being part of an ongoing transnational network that includes the homeland, not as something simply left behind, but a place of attachment in a contrapuntal modernity“ (ebd.: 311) treffend klassifiziert hat. Bei den deutschen Immigranten, deren Verbleib in Australien nicht über den temporären Status hinausgeht, wird die mit dem Adjektiv deutsch versehene und gelebte Ethnizität in der Diasporagemeinde, die sich aus transnationalen Elementen der Heimatkultur sowie der Gastkultur speist, zu einem selektiv in Anspruch genommenen Freizeitund zum Teil auch Lebenskonzept, das man bewusst wählt oder auch kategorisch ausschließt (Binder 2010: 202). Letztere Verhaltensweise, so die Befunde der ethnografischen Kulturanalyse, ist in der circa 16.000 Kilometer von der alten Heimat entfernten neuen Heimat Sydney weit weniger anzutreffen. Deutsche Migrantenrealitäten, so soll in den nachfolgenden Kapiteln deutlich werden, sind nach wie vor geprägt durch das aus Deutschland mittransportierte materielle und geistigkulturelle Gepäck, das die Alltagskultur maßgeblich mitbestimmt.

4.

Kulturkontakt und Kulturkonflikt: deutsche Migranten zwischen Integrationsexigenz und Abgrenzungsbedürfnis „Wenn Australier also meinen ,Ich kann dir ganz sicher helfen‘, dann heißt das, ,Bitte melde dich nie wieder‘. Diese Lebenseinstellung ist überhaupt nicht verwerflich, aber man kann dem Fremden vorwerfen, die Regeln des smarten Small Talks nicht zu beherrschen. Wem aber die Gesagt-Getan-Philosophie in die Wiege gelegt worden ist, verzweifelt an diesen leeren Versprechungen. […] Diese Berührungen mit dem australischen Way of Life zeigen, dass die Menschen am anderen Ende der Welt wirklich anders ticken“ (Schrimm 2008).

Zu den existenziellen Erfahrungen des mobilen Menschen gehört die Erfahrung von Fremdheit, von der jeder, der bereits auf längere, über den touristischen Charakter hinausgehende Auslandsaufenthalte zurückschauen kann, aus seiner persönlichen Wahrnehmung der Fremde fernab des Heimischen berichten kann. Die Konstruktion von kultureller Fremdheit, generiert aus dem In-Beziehung-Setzen des eigenen kulturellen Wissensschatzes zum fremden und ungewohnten Anderen, gehört somit zu den anthropologischen Grundkonstanten der Interaktion (Waldenfels 1998: 15f.; Krawinkler/Oberpeilsteiner 2008). Auch ohne die persönlich erlebten Erfahrungen aus dem insgesamt neunmonatigen Aufenthalt im Feld geben doch allein Publikationen mit vielsagenden Titeln wie Kulturschlüssel Australien oder Kulturschock Australien sowie eine nicht unerhebliche Anzahl an deutschen Remigrationswünschen ein authentisches Zeugnis davon ab, dass zwischen den zur westlichen Zivilisation gehörenden Lebensverhältnissen auf dem Fünften Kontinent und denen in der Bundesrepublik Deutschland mannigfaltige kulturelle Differenzen existieren.

288 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Ausschließlich durch diesen interdependenten Kontakt ist Kulturwandel – als jene Kontinuität im Diskontinuierlichen und als eines der exponierten Forschungsziele der Wissenschaft vom Menschen – erst möglich. Diese alltäglich vom deutschen Grenzgänger erlebte „verkehrte Welt“ auf der – aus europäischer Perspektive – anderen Seite der Welt folgt den anthropogenen Spielregeln des „Unterscheidens und Identifizierens“ (Augé 1995: 94). Wie die Frankfurter Kulturanthropologin InaMaria Greverus bereits auf dem 26. Deutschen Volkskundekongress 1987 ausführte, setzt ein Kulturschock (Wong 1992: 15) – hier ein für die Situation des deutschen Migranten in Anspruch genommener Prozess – zunächst einen Kontakt von zwei sich als divergent verstehenden Kulturen voraus, bei dem durch die zur Kenntnisnahme des kulturell Fremden eine „Relativierung des Gewohnten und Selbstverständlichen der je eigenen Kultur“ sowie die Verunsicherung bzw. Infragestellung der Richtigkeit des eigenen kulturellen Selbstverständnisses vonstattengeht (Greverus 1987a: 36). Das migrationsimmanente Überschreiten von Grenzen nationaler, ethnischer oder sozialer Couleur zwischen Deutschland und Australien, charakterisiert durch das Wegbrechen gesellschaftlich etablierter Grundkonstanten, dem Auflösen personalisierter wie institutionalisierter Solidaritätssysteme sowie dem Diffundieren zwischen Elementen der nahen Vertrautheit und Versatzstücken aus fernen bzw. anders gelebten wie gedachten kulturellen Ordnungen, gehört somit für die im Zentrum meines Interesses stehende Untersuchungsgruppe zum integralen Bestandteil einer alltäglich verrichteten Integrationsarbeit. Ein in den Interviews nahezu omnipräsenter Reflexionsprozess zwischen den strukturvermittelnden Polen der „fremden Nähe und nahen Fremde“ (ebd.: 43; Glaser 1990: 29) konstituiert für die Auswanderer eine Projektionsfläche, über die ethnische Identifikation und Integration, eine Absolutsetzung ethnischer Wesensmerkmale sowie die Zementierungen von kultureller Andersartigkeit vollzogen wird. In unmittelbarer Beziehung zu dem diffusionistischen Verlauf von Aufnahme, Abgabe, aber auch Verweigerung kultureller Determinanten in einem Milieu der Inter- und Multikulturalität, in der Durchkreuzungen, Mischungen und Durchdringungen vorkommen und die Attitüde des anything goes als das Paradigma der „spätmodernen Einwanderungsgesellschaften“ (Hess/Moser 2009a: 13) gilt, steht der Begriff der „Akkulturation“ (Heckmann 1992: 162-209). Hierunter verstanden bereits eine Reihe von USamerikanischen Kulturanthropologen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein bidirektionales Phänomen, an dessen Ausgangspunkt ein kontinuierlicher Kontakt (first hand contact) von kulturdivergenten Gruppen oder Individuen steht, der dazu führt, dass kulturelle Muster sich aufgrund dieser Beziehung zueinander auf beiden Seiten verändern (Redfield/Linton/Herskovits 1936: 149) und nach einem hierarchisch strukturierten Machtgefälle miteinander verschmelzen, so dass in einem Endprodukt Elemente beider Ausgangskulturen enthalten sind (Linton 1965: 186). Selektive Kulturtransmission und Transkulturation (Herskovits 1967: 529), ein kreativer Prozess mobilitätsbedingten Wandels von Kultur und Persönlichkeit (Ders.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 289

1938: 129), sind bei den deutschen Migranten in Sydney eng verknüpft mit einem auf Differenzkonstruktion aufbauenden Verfahren der aktiven Fremd- und Selbstethnisierung, das zwischen den Polen der Herkunfts- und Einwanderungsgesellschaft verortet werden muss. Zu den feinen Unterschieden, dem australischdeutschen Zusammenprall von kulturellen Mustern und der Kongruenz fremdkultureller Grammatiken, die im Zusammenleben von deutschen Einwanderern und der australischen Mehrheitsbevölkerung im Alltag zu Tage treten, konnten sich die Gewährspersonen in längeren Identitätsnarrationen detailliert äußern. Die teilnehmende Beobachtung von ausgewählten Alltagssituationen und vor allem das Leben in einer deutsch-australischen Familie während der sechsmonatigen problemorientierten Feldforschungsphase in Sydney codifizierten diese hier präsentierten kulturellen Diskrepanzen. Eingebettet sind diese Mechanismen und Regelhaftigkeiten der kulturellen Aushandlung von Bedeutung in das Spannungsverhältnis von Integration, Kohäsion und Abgrenzungsbedürfnis. Zu fragen ist also: Von welcher Natur sind diese Beziehungen und wie können wir solche transethnischen Beziehungen verstehen, in der Menschen mit beträchtlichem anderem kulturellem Hintergrund und mit nur partieller Interessenkonkordanz zusammenleben? Welche phänomenologischen Exempel der kulturellen Andersartigkeit werden von den Migranten narrativ-diskursiv hervorgehoben? In welcher Form manifestiert sich eine kulturelle Differenzkonstruktion zwischen deutschen Einwanderern und der australischen Mehrheitsgesellschaft? Wie findet transkulturelle Sinnbildung statt? Dabei darf die Kraft der kulturellen Distinktion, d. h. die ethnische Grenzziehung zwischen Ingroup und Outgroup (Schlee 2006: 42), nicht aus den Augen verloren werden, den gerade diese im hohen Maße von kulturellen Determinanten beeinflusste konstruktivistische Praxis der Setzung identitätsbildender wie differenzbestimmender Demarkationslinien (Rüsen 2007: 50) gibt Strukturmuster der kulturellen Transformation von Migranten preis, da mit diesem Konzept von ethnischen Zuschreibungen ein Werkzeug benutzt wird, „um andere anders zu machen“ (Breidenbach/Zukrigl 1998: 79f.). Ethnische Identität, so soll deutlich werden, folgt einem Regelsystem des Aushandelns von Differenzentwürfen (Moosmüller 2009: 16) und Verhaltensdispositionen, deren kulturelle Konfigurationen stark unter der Einwirkung der Enkulturation in der Herkunftsgesellschaft Deutschland stehen. Bei den in den Expertengesprächen präsentierten kulturellen Distinktionsnarrationen ist neben der allgegenwärtigen Kontrastierung zwischen „unseren“, „ihren“ sowie „gemeinsamen“ Lebensformen ein kollektives Motiv herauszuhören. Es ist der Versuch, so Andreas Wimmer, „die eigene Sicht auf die Welt als gültige Perspektive zu etablieren und so die Welt im eigenen Sinne formen zu können. Da dies nur erreicht werden kann, wenn die eigene Weltsicht von anderen anerkannt und geteilt wird, muß es zum verständigungsorientierten Aushandeln von Bedeutung kommen“ (Wimmer 2005: 48).

290 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Eine Realisierung von fremden Logiken und Disparitäten im interkulturellen Interaktionsfeld der australischen Metropole geht weitestgehend auf die Tatsache zurück, dass die Handelnden aus zwei oder gleich mehreren einander fremden wie historisch differenzierten Erfahrungsräumen kommen und aus diesem Grund, in der Terminologie Max Webers, keinen gemeinsamen „subjektiv gemeinten Sinn“ (Lichtblau 2006: 26) teilen. Begeben wir uns nun auf die Fährten der von den Migranten mancherorts nach den Prinzipien der Essenzialisierung von Wir und die Anderen entworfenen antagonistischen kulturellen Unterschiede (Hess/Moser 2009a: 13) in der australischen Gesellschaft des unity in diversity, in der deutsche Immigranten einerseits durch den Verweis auf die eigene Alterität und andererseits anhand spezifischer Zuschreibungen von Fremdheit diese diversity erst produktiv erzeugen. Diesem in die Thematik einführenden Kapitel möchte ich ein Zitat von Werner Schiffauer zur Seite stellen, der in der kulturellen Differenz eine konstitutive Größe zur Analyse von modernen Formen der Ethnizitätsbildung erkennt. „Ich selber tendiere zu der Auffassung, daß wir weiter ethnologische Geschichten erzählen sollen – Geschichten von der Differenz der Kulturen, von der Unterschiedlichkeit der Menschen. Und zwar deshalb, weil ich die radikale Kritik am Eigenen vermissen würde, die nur durch das Aufscheinen des Anderen möglich ist. Die Konstruktion der Differenz scheint mir das einzige Mittel zu sein, die Hegemonie des europäischen-amerikanischen Denkens (das nun nicht mehr auf diese Kontinente beschränkt ist) etwas entgegenzusetzen. Nur wenn wir an der Bestimmung einer Differenzwissenschaft festhalten, bleibt die Kulturanthropologie eine, um mit Foucault zu sprechen, ,Gegenwissenschaft‘“ (Schiffauer 1996: 30f.).

Die im Folgenden geleistete Deskription wie Analyse der janusköpfigen Struktur der Ethnizität deutscher Migranten anhand der kulturellen Differenzen (Wieviorka 2003: 144) darf jedoch nicht in einen Schwarz-Weiß-Schematismus verfallen, der eine starre Unterscheidung zwischen ethnischer Minorität und Dominanzkultur postuliert, Grenzziehungen somit als nicht revidierbar und modifizierbar ausgibt und die zu untersuchende Gruppe im Sinne Herders als gegebene, einzigartige wie romantisierte (Volks-)Gemeinschaft versteht, diese essenzialisiert und naturalisiert. Vielmehr ist diese klassifikatorische Praxis der ethnischen Grenzziehungsprozesse und Positionierung von Differenzmarkern zwischen dem kulturell Eigenen wie dem kulturell Fremden vom Wesen her relational, kontextspezifisch und segmentär. Andreas Wimmer besitzt in seinem paradigmatischen Ansatz zur Denaturalisierung ethnischer Gruppen in der kulturwissenschaftlichen wie empirisch ausgerichteten Migrationsforschung vier Hypothesen, deren Aussagegehalt bzw. Essenz in den nachstehenden Kapiteln eine gewinnbringende Bereicherung sein wird: 1) Ethnische Gruppen sind stets das Resultat der sozio-kulturellen Setzung von Demarkationslinien. Sie sind somit keine von Natur aus gegebenen Entitäten, sondern unterliegen dem konstruktivistischen Prinzip. 2) Mit Hilfe von äußerlich wahrnehmbaren

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 291

„kulturellen Diakritika“ (Sprache, Normen, Werte, Handlungen, Hautfarbe, Phänotypus usw.) trägt die subjektivistische Annahme eines Betrachters zur Demarkierung bei. 3) Die interaktionistische Annahme besagt, dass Akteure auf beiden Seiten der Grenze, d. h. Mitglieder der Minderheit und der Mehrheit performativ-handlungsgesteuert zur Aufrechterhaltung bzw. Neudefinition ethnischer Demarkationen beitragen. 4) Ethnische Grenzziehungsprozesse fördern durch ihr prozessualistisches Prinzip erst die Erzeugung von höchst porösen, historisch wie situativ wandelbaren bzw. verschiebbaren Gemeinschafts- und Identitätsgruppen (Wimmer 2008: 67f. [Herv. i. O.]). Dem Wimmer’schen Operationalisierungsgerüst liegt ein überaus konstruktiver Grundtenor zugrunde: Im Folgenden werden wir weder sakrosanten noch universalistischen Kulturen oder Ethnizitäten als Entitäten begegnen, sondern ausschließlich Menschen mit bewegten Lebensformen, die mit der Beziehung von Positionen bzw. Stellungnahmen ihre Ethnizität mittels Grenzziehung als auch Differenzsetzung verorten, so dass dieser allzu menschliche soziokulturelle Einbettungsprozess als Ausdruck der Auseinandersetzung von Individuen mit ihrer kulturellen Wirklichkeit in ihrer neuen Wahlheimat ausgelegt werden muss. Das hier entfaltete theoretische Rüstzeug verleiht der in den nachstehenden Abschnitten ausgebreiteten Kulturanalyse ihre Schärfe und kann als Garant dafür ins Feld geführt werden, in die emische Tiefendimension der Ethnizität deutscher Migranten in Sydney vorzudringen.

4.1 G RENZZIEHUNG DURCH K ULTUR : DAS KULTIVIERTE E UROPA VERSUS DAS NATÜRLICHE AUSTRALIEN „Ich denke mal, was einem am meisten hier ein bisschen fehlt, das ist so ein bisschen Kultur, also so was, was wir in Europa halt gewohnt sind.“1 „Das ist halt oft in Australien, da sitzt man in der freien Natur und plötzlich sagt man, jetzt habe ich tausend Prozent Natur über die letzten drei Jahre gehabt, jetzt möchte ich aber mal wieder irgendwo hingehen, wo was los ist. So Kultur ein bisschen, nur Natur ist auch nicht gut auf Dauer.“2

Während des Gesprächs mit Hugo Wiegemeyer, der in einer hoch über dem Stadtteil Mosman thronenden Wohnung sein Status als Migrant genießt, antwortete er

1

Zitat aus dem Interview mit Ivonne Ritter, datiert auf den 01.04.2008.

2

Zitat aus dem Interview mit Ludger Heidershoff, datiert auf den 01.04.2008.

292 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

auf die Frage nach dem Charisma der Stadt Sydney nur mit den spärlichen Worten: „Muss ich da noch etwas zu sagen?“, und macht mich im gleichen Atemzug mit einem symbolstarken Fingerzeig auf den Panoramablick aufmerksam, den man von seinem Balkon aus hat. Der raumgreifende Blick des faszinierten Betrachters fällt auf ein idyllisch-exotisches bis magisch-mythisches Naturschauspiel, das sich mit der Öffnung des Naturhafens, den von den Wogen des Meeres umbrandeten, von subtropischen Akazien und Eukalyptusbäumen bewachsenen Felsen am North Head, dem Sydney Harbour National Park und der Hunters Bay gekonnt präsentiert. Ein wahrhaftiges, mit romantisierenden wie exotisierenden Euphemismen durchaus dokumentierbares Zusammenspiel der scheinbar ursprünglichen wie von der menschlichen Zivilisation unberührt gebliebenen Elemente offenbart sich. Ein sich an den natürlichen Reizen dieses scheinbar organisch ausstaffierten Szenarios ergötzender Naturvoyeurismus findet an dieser exponierten Stelle am Port Jackson seine alltägliche visuelle Befriedigung. Australien, so wissen unzählige Dokumentationen aus der bundesdeutschen Medienlandschaft sowie zahlreiche Reiseführer und Auswanderungsratgeber zu berichten, steht für eine schier unerschöpfliche Fülle an Natur. Hierbei spielt weniger die Gültigkeit der touristischen Imagination des exotischen Kontinents eine Rolle als vielmehr die geografische Diversität dieses Naturangebots, das Migranten stets geneigt sind für die Entschlussfassung nach Australien auszuwandern sowie die positive Bereicherung ihres gegenwärtigen Lebens in der Ferne ins Feld zu führen. 37.000 Kilometer Küstenlinie, Blue Mountains, zahlreiche Nationalparks, Great Barrier Reef, imposante, vom Pazifischen Ozean modellierte Felsformationen entlang der Great Ocean Road sowie der tropische Norden des Landes mit üppiger Flora und Fauna sind nur die für den großen Ansturm an internationalen Touristen in der Reiseliteratur exklusiv hervorgehobenen Beispiele. Mittels des diskursiven Redens über den Einfluss der Natur auf den Menschen in der neuen Wahlheimat Sydney entwickelt sich eine narrative Konstruktion der Migrantenwirklichkeit, bei der die Natur vom Gewöhnlichen zum Besonderen avanciert. Naturerfahrung bzw. Naturerleben, die Allgegenwärtigkeit von Natur, die alltägliche Rezeption dieser in unterschiedlichen Variationen sowie die Absenz von Offerten mit dem leicht schemenhaften bis konturlosen Gütesiegel „kulturell“, so der einhellige Tenor der untersuchten deutschen Auswanderer, bekräftigt das dichotome Gedankengebäude, das Australien für Naturerfahrung wie Outdoor-Aktivitäten und Europa bzw. die alte bundesdeutsche Heimat für Kulturerfahrung steht. Hierin wird deutlich, dass die deutschen Migranten sich nicht nur ihre eigene Kultur schaffen, „sondern eben auch Erzähler der Geschichten über die Natur, die ihnen nicht absichtslos einfallen, sondern Bestandteil und Legitimation der Kultur, dieses ihres Soseins, sind“ (Köstlin 2001a: 8). Bereits in der ersten Phase der Akkulturation migrantischer Lebensweisen an die Verhaltensmuster der australischen Mehrheitskultur werden sich die Deutschen

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 293

der exponierten Signifikanz der Natur bewusst, die in dem Antipoden – der Gegenwelt zu europäischen Verhältnissen – ein scheinbar metaphysischer Zufluchtsort für erlebensnahe Sinnsuche nach Abenteuerlust, Herausforderung, Risiko, Demonstration von Wagemut sowie Heldenmystifizierung ist. Das gesellschaftlich weitverbreitete Phänomen des Draußen-Seins, des Im-Busch-Seins, sprich eine mehr oder minder aktive Gestaltung der arbeitsfreien Zeit „unter freiem Himmel“, „an der frischen Luft“, „in Einklang mit der Natur“ und „in der Wildnis“, wird in der Öffentlichkeit nicht nur von den in die nationale Mythologie eingegangenen Identifikationsfiguren wie Paul Hogan, Malcolm Douglas, Steve Irving und den australischen Kultheroen der Rettungsschwimmer von Bondi Beach versinnbildlicht, vielmehr ist dieser Aspekt des australischen Way of Life sowohl eine gesellschaftsspezifische als auch eine aus der Geschichte des Kontinents hervorgegangene Erfahrung eines bestimmten Raums. Und der unterliegt stets kulturellen Imprägnierungen. Durch das Menschenwerk Kultur, so Köstlin, nimmt die Natur erst Form und Gestalt an (Köstlin 2001a: 3). Doch was bedeutet dies am Beispiel der deutschen Migranten genau? Diese Aneignung der natürlichen Landschaft erfolgt bei den deutschen Auswanderern durch eine spezielle, nahezu rituellen Charakter besitzende und kanonisierte Art und Weise der Freizeitgestaltung, nämlich zu Fuß, namentlich bekannt unter dem Terminus „bushwalk“, in abgewandelter Form auch „walkabout“.3 Wochenenden oder sogar längere Urlaubsreisen werden von einer großen Anzahl von Befragten genutzt, um in Eigenregie bzw. ohne Hilfe bestimmter Reiseunternehmen die 51 unterschiedlichen Nationalparks in der Region um die Hauptstadt von New South Wales (hier besonders den im Norden gelegenen Kuring-gai-Chase National Park)4, das zwischen Sydney und Canberra gelegene Kangoroo Valley oder das 80

3

„Zum einen habe ich natürlich die Natur kennengelernt und wir waren auch damals schon hier unterwegs in der Stadt, wir waren auch in den Nationalparks rund um Sydney herum. Und da habe ich gesehen, wie schön das doch alles hier ist und wie wenig das eigentlich wahrgenommen wird von den Australiern. Stellt man sich mal so etwas vor wie den Royal National Park in der Nähe von Berlin, was da los wäre an den Wochenenden. Und hier ist es so, du läufst zehn Minuten und bist auf dich alleine gestellt.“ Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008. Eine Alternative bilden hier die so genannten stadtnahen coastal walks entlang berühmter Strände wie zum Beispiel Manly, die einen spektakulären Meerblick erlauben.

4

Zumeist zu Beginn des Monats September wird alljährlich ein ökumenischer Gottesdienst in der nördlichen Buschlandschaft des Lane Cove bzw. im Kuring-gai-Chase National Park unter freiem Himmel ausgerichtet. Die Mitglieder platzieren sich dabei auf mitgebrachten Stühlen und ausgelegten Decken auf einer grünen Wiese am Rande des subtropischen Urwaldes und verfolgen die Leitung der mit Sonnenhut bekleideten Geistlichen.

294 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Kilometer westlich von Sydney situierte Bergmassiv der Blue Mountains zu besuchen. Längere Zeitspannen und intensivere Vorbereitungsmaßnahmen in Anspruch nehmende Wanderungen in feucht-heißen Dschungelgebieten des Nordens sowie in unwirtlichen Wüstengebieten im Inneren des roten Kontinents gehören zwar auch zum narrativ wiedergegebenen Repertoire der Migranten, finden jedoch weit seltener statt als die Exploration der Naturregion um Sydney. Mit der hier beschriebenen kulturellen Tradition der Natur- und Landschaftserkundung nach dem Muster einer eher langsamen Form der Fortbewegung, die ein intensiveres Wahrnehmen der Umgebung ermöglicht, geht die anthropogene Grunddisposition der Affinität nach Abenteuer einher, die durch zahlreiche Faktoren befriedigt wird. Das Übernachten unter freiem Himmel bzw. in einem Zelt, das Ausnehmen der in Seen, Flüssen oder im Meer gefangenen Fische, die Essenszubereitung am Lagerfeuer oder, wo Nationalparks offenes Feuer verbieten, auf Minigaskochern, ein zeitweilig provisorisches wie rustikales Leben sowie der Wille, an den menschlichen Kräften zerrende Beeinflussungen wie sengende Hitze oder hohe Luftfeuchtigkeit zu ertragen sind Bestandteile dieser bushwalks. Das Tage in Anspruch nehmende Fahren von weiten Strecken, bei der die australischen Wappentiere die einzigen wahrgenommenen Lebewesen sind, das „Erfahren von Dunkelheit und Stille“5, ein Miterleben von Sonnenuntergängen und -aufgängen, ein Beobachten des Mondes, auf dem man von der Südhalbkugel die Konturen eines Kaninchens erkennt, das Waten durch Flüsse, an deren Grund das scheinbar Ungewisse lauert, und die behelfsmäßige Verrichtung der Körperhygiene sind Herausforderungen einer urzeitlichen Landschaft, die bei der aktiven Integrationsarbeit der vormals fernen Fremde heimatliche Konturen verleihen und ein intensives Gefühl des Vertrauens evozieren. Risiko, das man unweigerlich mit dem Verlassen der Sicherheit gewährleistenden Pfade auf sich nimmt, bedeutet hier zugleich Erlebnisprogression und zusätzlichen Ausstoß von Endorphin, was die Wertigkeit des erlebten bushwalks steigert und dabei die Qualität der Erzählbarkeit dieser den Migranten widerfahrenen Erlebnisse in den weiten und unzugänglichen Zonen ihrer neuen Heimat stark mit beeinflusst. Insbesondere zum Sachverhalt der dünnen Besiedlung zahlreicher, ausschließlich von der Natur bestimmter Gefilde Australiens gab Hugo Wiegemeyer Folgendes zu verstehen: „Ich meine, der Busch ist schön, ich fahre gerne mit dem Auto raus, ich mache bush camping, ich liebe das. Auch dann rauf auf die Berge. […] Nur es ist eben nicht so wie in Deutschland, egal wo man ist, in den nächsten 5 Kilometern ist ein Ort, Dorf, Straße, Telefon oder kannst mit deinem mobile anrufen. Und wie gesagt, hier ist es eben so, zwei Stunden raus aus Sydney, in den Blue Mountains, da gibt es Stellen und Schluchten, wenn sie da rumlaufen oder reinfallen, da ist kein Mensch. Und auch sonst, wenn sie die Küste weiter hoch- oder runter-

5

Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 295

fahren, das ist ja da ganz, ganz dünn besiedelt. Da fahren sie eine Stunde, oder zwei, oder drei, da sehen sie nichts und niemand. Und das passiert dann, wenn das Touristen sind, die da nicht drauf eingestellt sind, denen passieren dann die übelsten Dinger.“6

Hinweisschilder und Informationstafeln, die den Weg durch die grenzenlose Weite weisen, über deren Beschaffenheit Auskunft erteilen und auf besonders schöne, aber auch gefährliche Stellen hinweisen, sind nur in von der Tourismusbehörde – somit von Menschenhand – graduell entnaturalisierten Gegenden zu erwarten, was einerseits den Stimulus des bushwalkers zur Erkundung dieses infrastrukturell erschlossenen Tracks mindert und andererseits Unternehmungen in weniger berührten Gegenden von gutem Kartenmaterial sowie lokalem Wissen der dort lebenden Expeditionsführer, mit zumeist aboriginaler Abstammung, abhängig macht. Das abenteuerliche, von Gefahren durchzogene Wagnis fernab von jeglicher medizinischer Versorgung erhält darüber hinaus aufgrund der direkten Konfrontation mit der oft gefährliche bis tödliche Konsequenzen nach sich ziehenden Tierwelt, wie zum Beispiel der brown snake, dem taipan, dem jelly box, der redback oder funnelweb spider sowie Krokodilen und Haien, eine enorme Reizsteigerung (Ramachandran 2009). Im sprichwörtlichen Niemandsland auf sich allein gestellt zu sein, sich den Naturelementen ausgesetzt zu sehen bzw. sich gegenüber diesen zu beweisen und im gleichen Moment an den Schönheiten der neuen Heimat mit allen Sinnesorganen zu partizipieren, setzte einen kulturell determinierten Prozess frei, der bei den Migranten eine affektive, assoziative wie integrative Verbundenheit mit dem neuen geografisch, sozial wie kulturell bewohnten Raumgefüge Australien auslöst. Als integraler Bestandteil der Akkulturation in die neuen Lebensverhältnisse scheint es gerade für die deutschen Sydneysiders, einer von den nicht immer nur positiven besetzten Faktoren der urbanen Millionenagglomeration geprägten Gruppe von Menschen, von gesonderter Signifikanz, mit dem kontinuierlichen Eintauchen in die unzivilisierte, unerschlossene Wildnis sowie in die Rekreation versprechenden Erfahrungsräume der Natur ein Ritual zu schaffen, um einen Gegenpol zur städtischen Daseinsform zu kreieren. Die deutschen bushwalkers nehmen Einblicke in natürlich wie kulturelle Besonderheiten des Landes, eignen sich mit dieser kultivierten Praxis ihre direkte Umgebung an und bekommen zum einen durch das historische wie kulturell tradierte Erbe (Erzählungen, Mythen, Legenden und Wandgemälde mit indigenem als auch nachkolonialem Ursprungs) der Naturensembles ein Bewusstsein für das vom Kulturwesen Mensch aktiv gestaltete natürliche Panorama. Zum anderen trägt die allgegenwärtige Devise Take nothing but photographs, leave nothing but footprints dazu bei, dass den Neuankömmlingen die Vulnerabilität dieses Refugiums deutlich vor Augen geführt wird.

6

Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf dem 23.10.2007.

296 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Um zu der eingangs aufgeworfenen Frage der Akkulturation bzw. Transkulturation deutscher Immigranten zurückzukommen, darf nun nicht gefragt werden, wie die Natur beschaffen ist. Vielmehr muss es vor dem argumentativen Hintergrund der Ethnowissenschaften von Interesse sein, vor welcher historischen wie gegenwärtigen lebensweltlichen Reflexionsfläche die Natur gesehen, verstanden und gedeutet wird. Denn bei dieser Wahrnehmung bzw. Aneignung spezifischer natürlicher Räume, die ohne Kultur schlichtweg nicht denkbar wären, fließen wechselseitig kulturell erlernte und verinnerlichte Versatzstücke aus dem transversalen Kontext der Herkunftskultur sowie dem aktuellen Aufnahmeland mit ein. Orte als auch Natur- und Kulturlandschaften werden stets vor dem Hintergrund des kulturellen Gepäcks bzw. des wanderungsbedingten Transfers kultureller Sinnsysteme des Menschen ausgelebt, wobei Elemente aus der akkulturierenden Integrationsarbeit in Australien den formenden Wahrnehmungsblickwinkel des Betrachters ebenso mitbestimmen. Die deutsch-australischen Pfad-Finder betrachten auf ihren bushwalks die australische Natur zunächst mit einem landschaftlichen Auge, das in starkem Maße an der Tradition der europäisch-deutschen Romantik angelehnt ist und „den obsoleten Traum von einer ganzheitlichen, in sich geschlossenen, harmonischschönen Landschaft“ (Lehmann 2001: 148) glorifiziert. Wissensüberlieferungen und Denkkonventionen der deutschen Romantiker mit ihren mystifizierenden Darstellungen „altdeutscher, nordisch-germanischer Waldlandschaften“ bilden die elementaren Bestandteile des nationalen Erinnerungsarchivs deutscher Migranten bei der Aneignung bzw. Raumerfahrung der australischen Heimat.7 Auch wenn diese

7

Das gewählte Forschungsdesign, d. h. insbesondere die Herangehensweise der teilnehmenden Beobachtung, brachte es bei den Gesprächen mit ethnografischer Natur mit sich, dass Gewährspersonen mir ihre Wohnkultur bzw. mitgebrachte oder erstandenen Objektivationen aus der neuen bzw. alten Heimat, hinter denen stets subjektive Bedeutungsmuster stehen, vorführten. Manche waren auch im Raum der Interviewführung direkt ersichtlich, so dass deren Realpräsenz sowie die dahinter stehenden kulturellen Wertigkeiten längere narrative Thematisierungen innerhalb des Gesprächs nach sich zogen. In Australien erstand Christel Paukner ein von dem englischen Künstler Peter Tensley Jr. aquarelliertes Gemälde, auf dem eine alpine Landschaft mit schroffen Bergmassiv, tief verklüfteten Schluchten, Tannen bewaldeten Felsformationen und schneebedeckten Gipfeln ins Auge des Betrachters fiel. Eine mit geschickter Hand in Eigenleistung gefertigte künstlerische Visualisierung der im Bundesstaat Victoria verkehrenden Dampfeisenbahn Puffing Billy von Helmut Zeiler, in deren direktem ästhetischem Einflussbereich das Interview stattfand, zeigt die rauchende und rote Passagierwagons befördernde Lokomotive, wie sich diese über einen von Menschenhand gefertigten Holzsteg durch ein dschungelartiges, von Farnen durchzogenes Baumdickicht der Dandenong Ranges ihren Weg ebnet. Die in dieser kulturellen Konstruktion vom Urheber preisgegebene Sicht auf das

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 297

nostalgischen Darstellungen vorgeblich die Funktion besaßen, dem geheimnisvollen Gepräge aus der heimversprechenden fernen Vergangenheit des Altertums unter Einbezug idealisierender Überhöhungen eine Revitalisierung angedeihen zu lassen, so ist das wahrnehmungsgerichtete Erkunden der neuen Topografien in Australien vor dem Hintergrund dieses in der Ausgangskultur gesellschaftlich vermittelten Wissens zu erklären. Landschaftsmetaphorische Sehgewohnheiten, d. h. die emotional-stimmungsgeladene Sicht auf die wirkungsvoll gruppierte Gesamtheit des Busches, sind somit unmittelbar an die Heritagisierung von Mythen und Erinnerungen geknüpft, in denen Simon Schama zwei signifikante Wesensgleichheiten erkennt: Zunächst betont er auf der einen Seite ihre „überraschende Dauerhaftigkeit[,] über die Jahrhunderte“ kulturelle Konstanzen zu schaffen, auf der anderen Seite kehrt er ihre formierende Kraft zur Konstruktion von Institutionen heraus, „in denen wir noch heute leben“ (Schama 1996: 24). Eine binationale Identität, die eine Transkulturation des Emigranten impliziert, ist meiner Ansicht nur dann zu erwarten, wenn sich ihre identifikatorische Stärke sowohl aus der in Deutschland als auch aus der in Australien bestehenden Mystik von Landschaftstraditionen generiert. In Australien dagegen wird dem Busch ein ikonischer Status innerhalb der Debatte um die nationale Identität zugesprochen, weil diese sakralisierte wie idealisierte Naturlandschaft ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil des Nationalbewusstseins ist. Unikal ist der Busch deshalb, weil er Australien personifiziert, sein mit Mythen und Legenden überhäuftes Herzstück ausmacht und nicht zuletzt ein konträres Ensemble zu den bei vielen Immigranten bestehenden Vorstellungen europäischer Landschaften präsentiert. Diesem heroischen Panorama wohnt des Weiteren eine symbolbeladene Historizität inne. Bereits die Ureinwohner entwickelten vor Zeiten im Zuge ihrer kosmologisch-eschatologischen Glaubensausrichtungen Fähigkeiten und Wissensbestände, die bei den seminomadischen Lebensweisen weitab von der Lokalität Eora Orientierungshilfen gaben. Für die Abgesandten der europäischen Zivilisation, zunächst in Ketten liegende (Klein-)Kriminelle und danach u. a. Farmer, bushrangers, Schafzüchter und Goldschürfer, avancierte die Wildnis der terra nullius zu einem Ort, an dem der Mensch unter harschen Konditionen und Entbehrungen sein ganzes Können unter Beweis stellen musste, um seine Existenz zu si-

korrelative Begriffspaar „Natur“ und „Kultur“ ist gegenüber dem erstgenannten Beispiel tief in der Historie Australiens verwurzelt, denn die hier eingeschriebene Bedeutungsebene veranschaulicht, dass der Mensch sich die Wildnis unter Zuhilfenahme kulturell bedingter Handlungshorizonte sowie unter größten körperlichen Anstrengungen – man denke nur an die Menschen (mit Migrationshintergrund), die in dieser Abgeschiedenheit Schienen verlegen und Brücken errichten mussten – domestiziert (zu dieser methodologischen Vorgehensweise der Selektion kultureller Messinstrumente siehe auch Gaver/ Boucher/Pennington/Walker 2004).

298 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

chern. Verdeutlichen wir uns abermalig die Bedeutung einer Naturkomposition aus der Alten Welt, so ist der „deutsche Urwald“ stets ein „Ort der Selbstbehauptung gegen das Römische Reich“ (Schama 1996: 24; Lehmann 1999) gewesen. Analogien zum Busch bestehen insofern, als dass rebellisch-revolutionierende australische Identifikationsfiguren wie Ned Kelly, ein per Dekret landesweit gesuchter Gesetzloser mit urwüchsigen Charaktereigenschaften, in der unwirtlichen Natur ein Schutz spendendes Rückzugsgebiet fand, das ihn vor dem Übergriff der Gesetzeshüter lange Zeit bewahrte. Der aus der australischen Geschichte abgeleitete Topos des battle against the elements of nature, der in zahlreichen literarischen, künstlerischen und filmischen Überlieferungen aus Vergangenheit und Jetztzeit eingeschrieben ist8, kann, so meine These, als eine kulturell erlernte Komponente bei der aktuellen Vergegenwärtigung bzw. Wahrnehmung der von deutschen Migranten beheimateten räumlichen Umgebung ausgelegt werden. Nicht zuletzt ist die Kulturpraxis zur Aneignung des australischen Naturraums als gelebte Geschichte der pionierartigen Besiedlung bzw. Kultivierung des ruralen Raums zu betrachten, da die kognitiven Wissensvorräte über das kulturelle Erbe bzw. die historischen Prozesse wie zum Beispiel das landwirtschaftliche Florieren des Barossa Valleys, die Burke-undWills-Expedition sowie das von extremsten physischen und psychischen Strapazen geprägte Leben der christlichen Mission von Carl Strehlow in der Einsamkeit des menschenfeindlichen Outback bei den deutschen Migranten das Denken und Handeln in der Jetztzeit mitbestimmen. Das bis in die unmittelbare Gegenwart hineinreichende Fortbestehen heroischer australischer Charaktere, wie des im tropischen Broome lebenden Malcom Douglas oder des bereits den Naturelementen erlegenen Crocodile Hunter Steve Irving, die beide ihr zumeist medienwirksam gut inszeniertes, von Furchtlosigkeit nur so strotzendes Heldentum an diesen kulturalisierten wie historisierten Deutungsmustern von Naturdomestizierung ausrichten, nimmt hierbei ebenfalls eine gewichtige Position ein. Folglich dient die persönliche Perzeption der australischen Landschaft der signitiven Untermauerung und auch körperlich-emotionalen Vergegenwärtigung des kulturellen Erbes aus der deutsch-australischen Geschichte. Zur migrantischen bzw. ethnischen Selbstpositionierung und ethnischen Selbstvergewisserung im neuen Kulturraum Australien besitzt das abenteuerliche Sondieren der Natur beim bushwalk in den um Sydney gelegenen Nationalparks darüber hinaus den Zweck, kulturspezifische Strukturmaximen und normative Werte zu kommunizieren und Kompetenzen und Integrität zu akkulturieren. Hinter der Behauptung, die von deutschen Migranten artikuliert wird und sich auf eine selektive Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit in Sydney stützt, Australien sei aufgrund des geringeren „kulturellen Angebots“ eher Naturlandschaft

8

Auch in der inoffiziellen Nationalhymne Waltzing Mathilda wird die Geschichte von einem sich im australischen Busch beweisenden Wanderarbeiter tradiert.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 299

denn Kulturlandschaft, werden authentifizierende wie legitimierende Umrisslinien angereiht, in denen auf die im Vergleich zu Europa und Deutschland kürzere Geschichte bzw. Kulturentwicklung verwiesen wird. Kulturelle Differenz wird von den Grenzgängern immer dort erfahren, wo sie nach einem vermeintlich bekannten „Kulturellen“ suchen und vor dem Hintergrund ihres aus Deutschland sozialisierten Wissens in der neuen Heimat nicht zu ihrer Zufriedenheit fündig werden. In den ausschließlich für Privatmitglieder und deren Gäste vorbehaltenen, im altkolonialen Stildekor mit großen Perserteppichen, Ahnengalerien, roten Ledersesseln sowie mit edlen Hölzern vertäfelten Wänden der Gesellschaftsräumlichkeiten des prestigeträchtigsten, 1858 gegründeten Tattersalls Club im Herzen Sydneys beugte sich Liselotte Mahrbrück in Richtung Aufnahmegerät vor und äußerte sich, ohne die Aufmerksamkeit der anzutragenden Altherren am Ausschank auf sich zu richten, wie folgt zu dem Verzicht auf die in der ersten Sozialisation liebgewonnenen Errungenschaften heimeliger kultureller Selbstvergewisserung: „In Australien gibt es keine Kultur. […] Australien ist ja gerade mal über zweihundert Jahre alt. Ein gutes Beispiel dafür ist, ich war mal mit meiner Schwester auf einer Reise von Würzburg nach Augsburg. Und an dem ersten Tag in Würzburg machten wir eine Führung durch die Residenz, und da hatten wir einen sehr lustigen und bayerischen Touristenführer. Und der hat uns dann da den Treppenaufgang erklärt und die Fresken. Das waren so vier Ecken und in jeder Ecke war eine Freske, die erinnert an einen Kontinent. Ja, und ich sagte: ,Wo ist Australien?‘ ,Hach‘, sagte er: ,Das war noch gar nicht auf der Weltkarte.‘“9

Von der Immigrantin wird durch das Argumentationsmuster der Distinktion ein Diskurs um Ethnizität zwischen den diskrepant zueinander konstruierten Welten entfaltet, bei dem „den Anderen“ eine „Kulturlosigkeit“ attestiert wird, die ausschließlich vor der Voraussetzung der eigenen Sozialisation in Deutschland schlüssig ist, und die eigene „Kulturgemeinschaft“ aus der Alten Welt – das Adjektiv „alt“ geht dabei gleichbedeutend mit dem Gütesiegel einer tiefgründigen, profund heterogenisierten wie sedimentierten, historisch über viele Jahrhunderte gewachsenen Kultur Hand und Hand – als eine „gehobene“, „kultivierte“ und „zivilisierte“ Gesellschaft verortet wird. Anhand dieser stereotypisierten Meinungsäußerung, dass „die Australier“ graduell über eine weniger ausgebildete Affinität zu „Kulturellem“ besitzen, verrät dem kritischen Begutachter dieser häufig narrativ geäußerten Dichotomisierungen einiges über die ethnische Selbstpräsentation, d. h. wie die deutschen Migranten selbst gesehen werden wollen, sowie über das Verständnis des Terminus, der für differenzsetzende Grenzziehung sorgt bzw. über den eine Unterscheidung zu der australischen Mehrheitsbevölkerung bewusst konzeptionalisiert

9

Zitat aus dem Interview mit Liselotte Mahrbrück, datiert auf den 24.04.2008.

300 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

wird: Kultur wird zum Aushandlungsgegenstand, der zwischen Selbstbild und Fremdbild mäandriert: „Da fällt einem so mehr später auf, ja, die [Australier, Anm. d. A.] haben halt sehr wenig Kultur. Ich weiß jetzt gar nicht, wie ich das sagen soll, ohne schlecht rüber zu kommen. Manche sind so ein bisschen, ja das ist nicht so tiefgründig. Aber ja doch, so ein bisschen Kultur fehlt. Einfach mehr Museen oder Ausstellungen oder ein paar mehr alte Häuser. Auch dass es eine Kultur gibt, dass es Traditionen gibt. In Spanien gibt es halt auch diese Feste wie die Stierjagd oder die Tomatenschlachten. Oder auch Bräuche, wie bei uns in Bayern, da gibt es diesen Maibaum einmal im Jahr. So was gibt es hier eigentlich nicht und das finde ich schade. Die Leute haben erst vor ein paar hundert Jahren angefangen, dann gibt es eben nicht solche Bräuche.“10 „Das finde ich ein bisschen schade hier, es gibt wenig kulturelle Sachen. Bei uns gibt es noch so viele historische Bräuche, das kennt man hier so nicht. So Pfingstumzug und Fastnacht, das gibt es hier alles nicht.“11

Die Benutzung eines sich aus den abendländlichen Traditionen12 ableitenden prozesshaft-funktionalen Verständnisses von Kultur deutscher Migranten bei der Praxis der Zurückweisung wie Abdrängung des Anderen „an den Rand eines gemeinsamen raum-zeitlichen Kontinuums“ (Gottowik 1997: 137), das tendenziell ihrer neuen Lebensumgebung eine Traditionsarmut attestiert, steht in engem Kontext zu einer sich an darwinistischen Entwicklungskonzepten orientierenden Vorstellung von Kulturevolution (Antweiler 1988: 33). Das Fehlen transgenerational übermittelter Kulturmerkmale sowie historisch gewachsener Kontinuitäten (longue durée), hier exemplifiziert am überlieferten Traditionsgut von Bräuchen aus der Entsendegesellschaft als vorgeprägte und bewährte Muster veranschaulicht, führt unweigerlich zu

10 Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008 11 Zitat aus dem Interview mit Beat Wegener, datiert auf den 24.10.2007. 12 Die mit Überlegenheitsansprüchen gegenüber kulturell anders Denkenden und Handelnden verteidigten europäischen Besonderheiten „Kultur“ und „Zivilisation“, die die Maßstäbe der europäischen Führungsstellung im 19. Jahrhundert zu festigen suchten, gewannen ihre Kraft erst durch die asymmetrische Gegenüberstellung der „peuples civilisés“ (Kulturvölker) und der „peuples barbares“ (Naturvölker). An der Spitze der zivilisatorischen Progressionsskala standen in Verabsolutierung dieses festgefügten Glaubenssatzes konsequent die Menschen, die sich jenes Qualitätssiegel selbst verliehen. Ein dichotomes Reflektieren zwischen den Polen kultiviert und primitiv ist somit ein wesentlicher (nicht nur historischer) Bestandteil des abendländischen kulturellen Gedächtnisses (Fisch 1992: 743f.).

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 301

dem anthropogenen Reflex der Migranten, der die Mitglieder der australischen Mehrheitsbevölkerung zu den von Eric Wolf bezeichneten „People without History“ (Wolf 1982) (de)klassifiziert. Der Vergleich mit identitätsstiftenden Regelmäßigkeiten, bekannten Kausalsequenzen kultureller Tatsachen und Organisationsprinzipien des alltäglichen Lebens aus Deutschland, dem als Kulturraum der „Alten Welt“ eine über längere Evolutionsprozesse sich erstreckende universalhistorische Komplexitätssteigerung zu einer heterogenen Vielzahl von kulturellen Konfigurationen zugeschrieben wird, indiziert bzw. verhärtet die die ethnische Identität manifestierende Grundeinstellung, dass die australische Gastkultur eine geringere geschichtliche Sedimentierung sowie einen inferioren kulturellen Differenzierungsgrad aufweist. Insbesondere der Rekurs auf die „Überlieferungsbindung als soziale[s] Erbe“, ihre „Prägung und ihr Gepräge“ (Heilfurth 1972: 216f.), ist ein ethnischer – und diese Ethnizität per akribischer distinktiver Selbstverortung kanonisierender – Modus der „Textformierung, Ritualisierung, Gattungsbildung, Grammatikalisierung und Monumentalisierung“, bei dem selektiv nur jene kulturspezifischen Merkmale einfließen, „die sich im Laufe der Evolution als wichtig erwiesen haben“ (Posner 2003: 65). Eine Unvergleichbarkeit Sydneys mit europäischen Städten, wie zum Beispiel Paris, wo „alte Kathedralen“ stellvertretend für eine „lange Geschichte“, „eine ältere Kultur“13, „Kulturentwicklung“ und einen „historisch gewachsenen Stadtkern“14 als Indizien für eine höhere kulturelle Evolutionsstufe angeführt werden, korreliert ferner mit der eurozentrischen Verkindlichung bzw. Verniedlichung kultureller Errungenschaften auf dem Fünften Kontinent.15 Dass der Immigrant stets ein Wesen ist, das der Herkunftskultur nachhängt, zeigt sich eindrucksvoll in den beiden voranstehenden Aussagen. Deutsche Auswanderer vermissen in Zeiten des individuellen Umbruchs bestimmte, rituell geformte und mit symbolischer Bedeutung belegte Markpunkte aus dem vor ihrer Wanderungsbewegung konstitutiv Gültigkeit besitzenden Jahreslauf. Jene Markpunkte aus den verlassenen Lebensverhältnissen erfüllten ursprünglich die Funktion, die Zeit kulturspezifisch zu gliedern, bestimmte Rhythmen zu verstärken oder zu durchbrechen. Sie schufen alltägliche Ordnung und Orientierung, boten emotionale Sicherheit und wurden von den Gewährspersonen in der Rückschau als Inst-

13 Zitat aus dem Interview mit Traudl Tropscheidt, datiert auf den 17.06.2008 14 Zitat aus dem Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008. 15 Der Transmigrant Martin Reupert, der vor seiner Auswanderung nach Australien längere Zeit im Iran bei humanitären Hilfsaktionen des Roten Kreuzes gearbeitet hat, äußerte sich wie folgt: „Ich glaube, nach Deutschland und auch in den Iran, das trifft für beide zu, die alte Kultur. Wenn beim Australier etwas hundertfünfzig Jahre alt ist, dann ist es sehr alt. In Deutschland und im Iran sind hundertfünfzig Jahre, das ist fast wie gestern.“ Zitat aus dem Interview mit Martin Reupert, datiert auf den 22.04.2008.

302 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

rumente sozialer Kommunikation verstanden. Die oben erwähnten Bräuche, die in der alten Heimat eine diametrale Welt zum Alltag schufen, geläufige wie renommierte Glaubensinhalte transportierten, der ethnischen Repräsentation dienten und Übergänge markierten, legen das Fundament zur Konstruktion eines kulturellen Gedächtnisses in der Diaspora. Dies stützt sich zum einen auf die Bindung an gemeinsame Regeln und Werte, zum anderen auf die Erinnerung einer gemeinsam bewohnten und durchlebten Vergangenheit. Jenes „Leben in überlieferten Ordnungen“ (Leopold Schmidt), d. h. die Ausrichtung des Migranten an in Deutschland kulturell tradierten Mustern, die durch die Sozialisation, Enkulturation und Repetition verinnerlicht wurden, spiegeln sich insbesondere in den melancholisch wehmütigen vorgebrachten Narrationen über das Nichtvorhandensein von kulturell Vertrautem wider. Das Kollektiv des Homo migrans als Homo creators ist in seiner diasporischen Situation als ethnische Minderheit auf seinen Erfindungsreichtum angewiesen, der der Kompensation seines kulturellen Ausnahmezustands Abhilfe schaffen soll. Als jenes normierende, das kulturelle Verhalten konditionierende Orientierungsmuster in der Fremde kann die auf ethnischer Interessenkonkordanz beruhende Inszenierung wie schöpferische Invention der kulturpolitischen Organisation des Ökumenischen Kulturkreises angesehen werden. Seine Existenzgründung reicht in die erste Hälfte der 1990er Jahre zurück, als der damalige Pastor der lutherischen Gemeinde diese Gruppierung ins Leben rief. Die Einrichtung sollte nicht nur den Gedanken an eine ökumenische Zusammenarbeit in Sydney jenseits der eigentlichen kirchlichen Thematik aufrechterhalten, sondern auch Menschen aus dem deutschen, österreichischen und schweizerischen Raum unter kulturellen Gesichtspunkten miteinander verbinden. Der Kreis verfügt über keine eigentliche Mitgliedschaft oder spezifische Aufnahmekriterien sowie reglementierende Satzungen, so dass interessierte Menschen als Teilnehmer willkommen sind. Die in regelmäßigen Abständen stattfindenden Treffen erheben auch keinen Anspruch auf Exklusivität, sondern entwickeln immer wieder aufs Neue Initiativen, deren Strahlkraft in die Gemeinde und ihre Einrichtungen hineinreicht. Deutsche organisierten meistens am dritten Mittwoch im Monat im katholischen Pfarrgemeindezentrum in Croydon von Mitgliedern der deutschen Community gehaltene öffentliche Vorträge zu Themen wie Kaiser Friedrich I. von Preußen, Infoabende zu Hilfsorganisationen wie L’Arche sowie gemeinschaftliche Besuche des in unregelmäßigen Abständen in Sydney vom GoetheInstitut geförderten deutschen Filmfestivals wie GerMany Faces Australia im Jahre 2007. Eine öffentliche gepflegte deutsche Gesprächskultur, die Tradierung von gesellschaftlichem Wissen aus der verlassenen kulturellen Erinnerungslandschaft Deutschland sowie die sprichwörtliche Kultivierung gemeinsamer Wert- und Denkhorizonte stellt gerade für den der deutschen Kultur affin gegenüberstehenden Immigranten ein Medium der ethnischen Gemeinschaftsbildung dar, das scheinbar unverrückbare kulturelle Ungleichheiten und Differenzen zunächst durch seine Real-

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 303

existenz öffentlich zur Schau trägt – sprich die Initiative, etwas unter dem umbrella term „Kultur“ zu organisieren und es explizit mit diesem kategorialen Terminus (Kulturkreis) zu bezeichnen. Zudem verkörpert es auch den eigenen ethnischkulturellen Standpunkt in Kontrastierung zu dem „etwas lässigen“ Lebensstil der Should-be-alright-mate-Kultur der australischen Majorität. Initiatoren der gegenwärtigen Veranstaltung aus beiden Konfessionen und ein Stamm von „kulturbewussten“ Rezipienten bereiten die monatlichen Sitzungen des Kulturkreises vor, wobei sie die Auswahl ethnisch spezifischer Elemente und ihre Requisiten entsprechend den Belangen der Erinnerungsgemeinschaft und des ihnen wichtig erscheinenden Inhalts treffen. Eine Herausbildung kultureller Eliten speist sich nicht selten aus Migranten mit akademischem Universitätsabschluss aus Deutschland, die in einem bildungsbürgerlichen Milieu sozialisiert wurden, in dem Konventionen wie die Pflege der abendländischen Kulturtraditionen, ein weit angelegtes Allgemeinwissen, argumentativ-kommunitaristische Beweisführung, liberale Weltansichten und Bildungsideale gängig sind. In diesem Metier erweisen sich gerade die von Gisela Welz in ihrer Habilitationsschrift genauer untersuchten cultural brokers (Welz 1996: 26f.), die hinter der Kulisse und abseits der großen Bühne agieren und als so genannte Netzwerkspezialisten praxisnahe kulturelle Vermittlungsarbeit leisten, von enormer Bedeutung, weil sie zu wichtigen institutionellen Multiplikatoren in Sydney, wie zum Beispiel dem Goethe-Institut, den Kirchlichen Nachrichten der Deutschen Evangelisch-Lutherisch Kirchengemeinde, der Mitchell Library und dem multilingualen Radiosender SBS persönliche Kontakte pflegen und sich ständig auf die Suche begeben, um zwischen diesen kulturellen Thinktanks Synergieeffekte herzustellen. Aus der konstruktivistischen Perspektive betrachtet, wird Kultur an dieser Stelle zur Legitimation partikular-hegemonialer Aspirationen unter der Strategieanwendung ethnischer Vergemeinschaftung von den Akteuren ethnisch codiert und bewusst mit arteigenen Handlungsprämissen aufgeladen, die – vom jeweiligen Kontext abhängig – als Unterscheidungsmerkmal eingesetzt werden und als Konfliktmanagement die kulturellen Differenzen und das ihnen innewohnende Disharmoniepotenzial auf intelligente Weise zu lösen versuchen. Die Auswanderer schaffen sich unter Rückgriff auf bewährte Muster mit dem kulturellen Medium des Kulturkreises eine eigene Realität bzw. eine sinnbeladene Welt. Die Kulturalität jener im Zuge der ethnischen Identitätskonzeptionierung konstruierten Institution steht stets im Zusammenhang mit der Dimension der von den Migranten selbst gegebenen, planvollen und zweckorientierten Sinnbestimmtheit der verwendeten Zeichen und Symbolsysteme, die ihren Geltungsbereich nur in der kulturellen Differenzaushandlung des Migranten mit eigenen oder fremden Erzeugnissen, Produkten oder Handlungen bzw. anderen kulturalen Welten abzustecken weiß (Göller 2000: 274). Dass die Demarkationslinie zwischen der Eigen- und der Fremdkultur in der gegenwärtigen Immigrationsrealität Sydneys bei einer jüngeren Generation von Auswanderern langsam, aber sicher ihre trennscharfen Konturen verliert, zeigt der

304 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Prozess der Transkulturalität. Bei diesem wird weniger Wert auf die Illustration von Unterschieden – nach der Devise des sich nach allen Seiten hin abgrenzenden, mosaikförmigen wie partikularen Verständnisses von Kultur – gelegt. Vielmehr werden lokalspezifische, kulturübergreifende Angebote, die im starken Maße von der Gesellschaft der neuen Destination geprägt sind und neben der Infragestellung16 auch eine Modifikation des deutschen Verständnisses von und über Kultur beinhalten, gemeinschaftlich hervorgehoben. Veranlasst durch die interne Pluralisierung der Wahlheimat können die Auswanderer während ihrer transkulturativen Integrationsanstrengung aus einer Vielzahl von möglichen kulturellen Lebensformen auswählen, so dass aus kulturellen Angleichungen bzw. Neubildungsprozessen in der Form eines produktiven Kulturkontaktes neue inkludierende Formen des grenzüberschreitenden Zusammenlebens hervorgehen. „Ich denke mal, was einem am meisten hier ein bisschen fehlt, das ist so ein bisschen Kultur, also so was, was wir in Europa halt gewohnt sind. […] Man passt sich hier dann einfach an. Hier gibt es eben andere Sachen. Ich wohne halt in Maroubra direkt am Strand, du hast dann eben die Beach-Kultur. Surfing, Schwimmen, beach run morgens. Du gehst morgens einfach an den Strand, schwimmst, rennst einmal den Strand hoch und runter und dann gehst du arbeiten. Und dann denkst du, hey, das ist eigentlich cool. […] Am Wochenende fährst du einfach mal in den national park oder gehst tauchen. Das sind halt so Sachen, die man in Deutschland halt nicht macht.“17

Hieraus geht deutlich hervor, dass die Migrantin die in Wechselbeziehung zueinanderstehenden Termini „Natur“ und „Kultur“ in der sozialen Wirklichkeit ihrer neuen Destination nahezu alltäglich wahrnimmt und diese vor den von ihr im neuen sozialen Milieu erlernten Denkhorizonten, kulturabhängigen Erfahrungsmustern und Deutungen in innovativer Weise zu durchdringen vermag. Besonders die Präsenz von nahezu 40 verschiedenen Stadtstränden sowie einer Natur- und Kulturlandschaft der Blauen Berge in der direkten Umgebung Sydneys, wo die Migranten, so Helmut Zeiler, „eine Millionen Hektar Nationalpark ,vor der Tür‘ haben“18, ermöglicht eine sich an neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen orientierte kulturspezifische Raumwahrnehmung. Neue, anhand transkontinentaler Wanderungs-

16 „Was ich meinte, ist, diese theoretischen Vorstellungen davon, was Kultur ist, die könnten da schon im Weg stehen. Und wo man hier so ein bisschen, wo vielleicht der erste Schritt in Deutschland wäre: ,Oh, so könnt ihr das aber nicht machen.‘ So ein bisschen verkindlichen und wir müssen das hier besser machen.“ Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 23.05.2008. 17 Zitat aus dem Interview mit Ivonne Ritter, datiert auf den 01.04.2008. 18 E-Mail-Korrespondenz mit Helmut Zeiler, datiert auf den 04.08.2009.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 305

bewegungen erworbene Transskripturen kulturellen Wissens, die es den Akteuren ermöglichen, zwei Kulturen miteinander in Beziehung zu setzen, zeitigen eine an den kulturdifferenten Determinanten der Residenzgesellschaft ausgerichtete Durchdringung der vom Migranten selbstgeschaffenen und sinnbestimmten Welt.

4.2 W HEN G OD CREATED TIME , HE MADE PLENTY OF IT … IN A USTRALIA : INTERKULTURELLE K ONZEPTIONEN VON Z EIT „Hier geht die Uhr etwas anders.“19 „Die Anpassung an ein fremdes Tempo kann ebenso viele Schwierigkeiten machen wie das Erlernen einer fremden Sprache“ (Levine 1999: 33).

Beim Herangehen an den Menschen als interkulturell determiniertes Wesen kommt es bei einer kulturanthropologisch argumentierenden Disziplin meines Erachtens darauf an, aus der Perspektivierung eines ethnischen Relativismus heraus seine Interpretationen zu konzeptionalisieren, weil aus dieser Warte gerade keine Verabsolutierung der als objektiv rubrizierten Rechtfertigungsverfahren und Geltungsansprüche, die eine universelle Gültigkeit für die eigene Kultur unter Degradierung eines Gegenübers postuliert, vermieden werden kann. Dies gilt auch für die Bewertung bzw. den anthropogenen Umgang mit der scheinbar wertneutralen, absolut gesetzten, abstrakten, universellen und physikalisch-naturgeschichtlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegenden Orientierungsdimension Zeit, wie sie Isaac Newton verstand. Über die subjektive Auslegung dieser Größe generieren deutsche Migranten in ihrer jetzigen alltäglichen Lebensform in Sydney nomenklatorische Abweichungen und als Folge dieser praxisnah wahrgenommenen Differenz sind sie dazu geneigt, kulturelle Ungleichzeitigkeiten herzustellen, bei denen die „Anderen“ in eine kognitive Ferne manövriert werden. Diese Kultur, in der notorische bis penetrante Unpünktlichkeit aus der Sicht der Auswanderer gängige Alltagspraxis ist, kann ihre Fremdheit jedoch nicht durch einen Akt der Selbsterzeugung herstellen. Vielmehr bedarf es eines ethnischen Gegenpols, d. h. eines transportierten kulturellen Bezugssystems aus den Traditionen der deutschen Kultur, von dem diese Konstruktion ausgeht.20 Der kulturelle Kontext der Immigranten, ihr mitgebrachtes kulturelles

19 Zitat aus dem Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008. 20 Ich gehe in meiner weiteren Argumentation konform mit der Sichtweise der Anthropologin Nancy Munn, die kulturelle Zeitkonzeptionen als einen „symbolic process“ auslegt, „[which is] continually being produced in everyday practices“ (Munn 1992: 116).

306 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Gepäck in Form eines kulturell codierten Handhabungsverhältnisses zu den Kategorien Zeit und Temporalität, so könnte eine Leitdivise für dieses Kapitel formuliert werden, bedingt kulturellen Dissens, Kollisionen und Irritationen (Marschall 1997), da die australischen Zeitdimensionen in der deutsch-australischen Korrelationspraxis als divergent zu den heimischen Verhältnissen konzipiert werden. Kurz formuliert: Vordergründig betrachtet, benutzen jene an den kulturellen Schnittstellen in Interaktion miteinander tretenden Menschen simultan zwei nicht miteinander korrelierende Zeitsysteme, so dass ein externer Zwang vorliegt, die divergenten Konzepte für die Ressource Zeit zu koordinieren. Schon im kurzen Eingangszitat wird durch den vom deutschen Kulturkurier mit dem Gebrauch des kontrastierenden Eigenschaftsworts „anders“ eine auf umfassendem Erfahrungswissen basierende ethnokulturelle Grenze gezogen und verteidigt, die eine kategoriale Sedimentierung zwischen eigenkulturellem Wissensvorrat aus der Herkunftsgesellschaft und fremdkultureller Wahrnehmungspraxis aus dem Residenzland intendiert. Der Truismus, dass Uhren anderswo anders gehen bzw. die Wahrnehmung von Zeitkonzepten global gesehen so vielfältig in Erscheinung tritt, wie es Kulturen auf der Welt selbst tun, sowie die Annahmen, dass diese konstruierten Entwürfe von Temporalität im Zuge einer kulturellen Internalisierung während der ersten Sozialisation ausgeprägt werden, konstituiert die Grundannahme dieses Kapitels (James/Mills 2005: 6; Gingerich/Ochs/Swedlund 2003; Gell 1992). Zeit bzw. Temporalität ist gerade im multiethnischen Milieu Sydneys ein von kulturellen Einflüssen determiniertes Phänomen, an dem sich die Eigenart einer Kultur und das Verhältnis verschiedener Kulturen zueinander deutlich ablesen lassen. Eine von Tatjana Wiersching präsentierte Kulturkontakterzählung, in der sie mit ihrem australischen Freund im Alltag praktizierte divergente Anwendungszuschnitte in Bezug auf Pünktlichkeit bzw. Einhaltung von terminlich festgelegten Verabredungen auszuhandeln bestrebt ist, klingt wie folgt: „Ja, und zwar Pünktlichkeit, zum Beispiel. Und auch so Zuverlässigkeit. Ja, es ist halt so, wenn wir irgendwie verabredet sind abends um sechs zum Dinner und mein Freund ist dann um zehn vor sieben immer noch nicht fertig. Dann sage ich: ,Müssten wir nicht langsam mal los?‘ Und dann sagt er nur: ,Yeah, we are going soon.‘ Dann gehen wir erst um halb acht und dann denke ich, oh shit, wir sind viel zu spät. Die anderen sind aber auch noch nicht da. […] Man will da ja auch pünktlich sein. Und wenn wir sagen, wir treffen uns um sieben, dann treffen wir uns auch um sieben, und nicht um halb acht. Dann können wir gleich halb acht sagen.“21

21 Zitat aus dem Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 307

Deutsche Auswanderer in Sydney verweisen in ihren narrativen Ausführungen auf die zwischen ihnen und „den Australiern“ existierenden Unterschiede in den Konzeptionen der Kategorie Zeit und den Formen ihrer Anwendung. Diese kulturelle Differenzproduktion des Sich-in-Beziehung-Setzens zu den Verhältnissen der Zeitbudgetierung in Australien, hier verstanden als Selbstvergewisserungsstrategie und Selbstfindungsprozesse deutscher Auswanderer bei der Auseinandersetzung mit alteritär zur eigenen Kultur registrierten Lebensweisen in der Alltagsrealität, unterliegt einem manichäischen Mechanismus, der die eigenen Vorstellungen von Zeit, die tief in dem Weltbild dieser ethnischen Gruppe verankert ist, von denen der anderen unter Zuhilfenahme einer Dichotomisierung bedeutungsrelevanter, phänomenologischer Signifikate zu unterscheiden weiß. Insofern können wir also nicht von einer universellen anthropologischen Konstanzgröße Zeit ausgehen, weil der Mensch nicht mit einer für seine Kultur repräsentativen Vorstellung von Zeitordnung geboren wird. Vielmehr ist es der pädagogische Bildungsprozess der Enkulturation, in der die bereits im Umgang mit Zeit erfahrenen Mitglieder der sozialen Gruppe Handlungskompetenzen und Basisstrukturen tradieren und in der dieses Alltagswissen in erfahrungsgesättigten Handlungen kontinuierlich verifiziert und modifiziert wird. In dieser Weise verbrachten auch das hier untersuchte Forschungssample deutscher Migranten ihre formativen und gesellschaftliche Normen, kulturellen Wurzeln, Traditionen und geschichtliche Erfahrung konservierenden Jahre in der Bundesrepublik, bildete dort ihre erste kulturelle Identität aus, so dass die graduell doch sehr stark an der Herkunftskultur angelehnte Bedingtheit bzw. Verfasstheit der Grenzgänger einen Zusammenprall der Zeitverständnisse zu Folge hatte bzw. immer noch hat. Zeiterleben, Zeitverständnis und die an dem physikalischen Messgerät Uhr orientierte Segmentierung des Lebenstempos gehen stets vom Menschen aus und auf seine kulturelle Verfasstheit zurück, spiegeln mit Bedeutung und Werten beladene Koeffizienten der enkulturierten Grundkonditionierung wider und bilden sich ausschließlich im situationsspezifischen Interagieren mit dem kulturellen Gegenüber „als essentielles Medium zur Koordination und Synchronisation gesellschaftlichen Lebens“ (Nowotny 1995: 81, zitiert nach Hengartner 2000: 14) heraus. Habituell erworbene Prinzipien der Realordnung von Zeitrhythmen bei Immigranten gründen somit auf routinisiertem Gewohnheitswissen. Migration und das Leben in einem teilweise oppositär zu deutschen Verhältnissen stehenden Kulturmilieu führt unweigerlich zu einer impulsiv-spontanen Neustrukturierung von kulturellen Auslegungsformen und Strukturdeterminanten des Ordnungskompositums Zeit. Der kulturelle Unterschied zu dem in Australien gelebten, einer Lebenseinstellung gleichkommenden, jedoch – wie wir später noch sehen werden – vom situationalen sozialen Kontext abhängigen, eher gelassenen Savoirvivre bzw. einer entspannteren als auch entschleunigteren Einstellung zum Lebenstempo läuft konträr zu den Formen kollektiven Denkens deutscher Migranten. Obwohl in Australien ein monochronistisches Zeitverständnis vorherrschend ist, d. h.,

308 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

die zeitliche Determinante wird als linearer Verlauf von der Vergangenheit in die Zukunft angesehen und die Ressource Zeit somit ein endliches Gut ist, das nicht unendlich zur Verfügung steht und deshalb unter zweckrationalen Gesichtspunkten unabdingbar in planbare Segmente unterteilt wird, gehört doch die Normverbindlichkeit jener messbaren Größe bzw. der kulturdifferente Grad der Internalisierung bestimmter Zeitnormen des Gros der Bevölkerung zu den Indikatoren, an denen eine kulturalisierende bzw. ethnisierende Verortung der australischen Mitmenschen abgelesen werden kann. Die aus Alltagserfahrungen (zum Beispiel Beruf, Interessengemeinschaften und Freizeitgestaltung mit australischen Freunden) mit der Dominanzkultur herrührenden, von bestehenden wie stabilisierten Auto- und Heterostereotypen infiltrierten narrativen Positionierungen über die „Zeit der fremden Anderen“ beinhalteten, eingebettet in eine reflexive Verfahrensweise des ex negativo (als einer existentiellen Bedingung menschlichen Kulturlebens), alles, was in deutschen Formen des Umgangs mit Zeit gerade nicht übliche Praxis ist bzw. dieser diametral zuwiderläuft (Adam 2005: 51). Eine solche Fremdrepräsentation, die einerseits der durchaus gängigen Vorurteilsbildung „des Australiers“ aus internationaler Perspektive Vorschub leistet und sich aus dieser Gemengelage von vielfältigen, konfigurierenden Attributen frei bedient, andererseits stets auf einem erfahrungsgesättigten Fundus des Kulturkontaktes verweist, charakterisiert die fremde Mentalität mit den Worten „easy going“, „locker nehmen“, „nicht so ernst nehmen“, „verringerter Leistungsantrieb“, „bequem“ und „unpünktlich“. Der Wahrheitsgehalt dieses Epithetons muss insofern natürlich stark angezweifelt werden, weil diese eher allgemeingültig formulierten Beschreibungen des anderen Fremden maßgeblich vom situationalen Kontext abhängig sind und weil ohne Prüfung an (objektiven) Tatsachen voreilig gefassten Meinungen in einer akademischen Qualifikationsarbeit nur ein sehr peripherer Raum zusteht. Die in den alltäglichen Kommunikationsformen fundamental Bestand besitzenden und zum tiefergehenden Bedeutungsverständnis der australischen Easy-going-Zeitkultur beitragenden artikulatorischen Formelgleichungen „She’ll be right, mate“ (was soviel bedeutet wie, dass alles einen guten Verlauf nehmen wird) und „No Worries“ (was soviel bedeutet wie, dass man sich keine Sorgen machen soll) veranschaulichen einen eher bedächtigen Umgang mit Tempi von Zeit. An die deskriptive Wiedergabe der Kulturkonfliktsituationen anknüpfend, argumentieren zahlreiche deutsche Immigranten zur Legitimation dieser in Australien Bestand habenden Umgangsformen in zweierlei Hinsicht, klimatisch und kulturgeschichtlich. Zu der Einflussnahme des Klimas gab Ahmet Yilmaz folgendes Statement: „Ich denke mal schon, dass das Wetter eine Rolle spielt. Je wärmer die Länder, desto langsamer werden die Leute bei der Arbeit, das hat man ja festgestellt.“22

22 Zitat aus dem Interview mit Ahmet Yilmaz, datiert auf den 16.03.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 309

Dass klimatische Verhältnisse Auswirkungen auf Arbeitsabläufe haben, ist für das Gros der Migranten eine unhinterfragte Gewissheit, die von Seiten der Wissenschaft graduell unterfüttert wird (Wenzel/Piekarski 1983: 138, zitiert nach Düfler/ Jöstingmeier 2008: 287f.; Levine 1999: 47f.). Für die Arbeitsweise in Sydney, die einem ruhigeren, langsamen und stetigen Tempo folgt (slow and steady), verweisen Migranten mit Rekurs auf Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen23, dass diese zahlreichen klimatischen Einflussfaktoren ausgesetzt seien. Speziell die hohen, zeitweise fast täglich über 30 Grad Celsius liegenden Tagestemperaturen im Sommer, eine hohe Luftfeuchtigkeit sowie eine starke Sonneneinstrahlung mindern in dieser Sicht das Leistungs- und Arbeitspotenzial. Infolge der Erschließung des Kontinents durch weiße Siedler, so der O-Ton der deutschen Einwanderer, kam es zu der Herausbildung einer kulturellen Norm des Zeitumgangs, da die Umweltbedingungen im Südpazifik gänzlich von den gemäßigten Klimazonen der Europäer abwichen und die Akklimatisierung an die vorherrschenden Witterungsbedingungen in Australien eine Transformation der Temporalität nach sich zog. Interessant zu beobachten sei es ebenfalls, dass sich dieses kulturelle Kontinuum auch in den klimatisierten Räumlichkeiten ganzer Bürogebäude seiner anhaltenden Pflege sicher sein kann. Einen kulturhistorisch indizierenden Erklärungsansatz für bis in die unmittelbare Gegenwart hineinreichende Zeitdimensionen in Australien sehen die deutschaustralischen Wanderer zwischen den Kulturen im geschichtlichen Erbe Australiens als ehemaliger Sträflingskolonie des britischen Mutterlandes. Unter externer Wirkung zur Migration sowie zur Zwangsarbeit gezwungene Strafgefangene hatten während ihrer unter kolonialer Direktive stehenden Erschließungsarbeit in den neuen Überseebesitzungen, die die physischen wie psychischen Kapazitäten ihres Körpers strapazierte, gegenüber ihren Aufsehern tunlichst den äußeren Anschein zu erwecken, schaffensfreudig und engagiert zu sein, um nicht deren Missmut bzw. Zorn auf sich zu ziehen. Da diese Anstrengungen in den meisten Fällen über den ideellen Wert nicht hinausgingen, sprich in der Frühphase der kolonialen Erschließung in keiner Weise entlohnt wurden, lag es doch mehr als nahe, in gleicher Weise so fürsorglich wie möglich mit seinem Leistungspotenzial zu wirtschaften.

23 Bei diesem absichernden Verfahren spielen die Migranten die Karte der Objektivierung ihrer subjektiv getätigten Reflexionen über Zeitmanagement aus, in dem einer bloßen Wiedergabe altbekannter Stereotype über „die Australier“ insofern zuvorgekommen wird, als dass hier im Stile einer vorgeblich sachlichen Beweisführung, die auf der wissenschaftlicheb Erkenntnis gründet, argumentiert wird. Dieses Verweigerungsverhalten gegenüber der Präsentation nationaler Vorurteile ist einerseits der Political Correctness vieler Befragter sowie andererseits dem artifiziellen Charakter des Interviews geschuldet.

310 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Und das ist dann auch, wenn man ursprünglich aus Deutschland kommt, ja mit der Pünktlichkeit ist das dann immer so eine Sache. Wenn einer sagt, ich komme um 19.00 Uhr abends zu dir, um mir die Fotos anzugucken, dann ist es oftmals so, dass die Leute gar nicht kommen, die haben einen anderen Fotografen gefunden, den sie unterdessen gebucht haben. […] Und so sitze ich dann schon so manche Abende hier und (Lachen) warte und warte und warte. Dann fahre ich nach Hause und dann ist es eine Stunde später und die Leute stehen hier vor der Tür. Das sind halt so typische Sachen.“24

Die in der australischen Kultur zu Tage tretende Gleichzeitigkeit differenter zeitlicher Modi, dies meint die Existenz der Heterogenität von Genauigkeit bei der Auslegung bestimmter zeitlich festgelegter Verabredungen, ist Auslöser für die von deutscher Seite mit negativen Konnotationen bewerteten, dissatisfaktionierenden Phasen des Wartens. Den zeitlichen Leerstellen bzw. diskontinuierlichen Spalten in dem Kontinuum des linearen Zeitverlaufs wird von Seiten der Befragten, denen in diesem asymmetrisch angelegten Machtgeflecht eindeutig die passive Rolle der Ausharrenden, Duldenden, Hinnehmenden zukommt bzw. sie sich selbst diese zuschreiben, nur Negatives abgewonnen. Das nach dem dreimaligen Wiederholen des Wortes „warten“25 – das den praktizierten Vorgang des geduldigen Ausharrens beschreibt – einsetzende Lachen der Gewährsperson liest sich insofern zunächst als mimische Eigenkritik, als dass der Befragte nach langjährigem Aufenthalt in Australien immer noch nach deutschem Denk- und Handlungszuschnitt seinen Alltag strukturiert, dementsprechend der Grad der assimilatorischen kulturellen Anpassung an gesellschaftsspezifische Charakteristika, wie die Zeitbewertung eine ist, über das Anfangsstadium noch nicht hinausgekommen ist. Des Weiteren fühlt sich Raoul Trentmüller dieser in seiner Endlichkeit kaum vorhersehbaren Schwellenzeit willkürlich ausgesetzt, da eine Status überführende Zerklüftung mit den interkontinental transferierten kulturellen Codizes in Sachen Pünktlichkeit – hier wieder im Sinne von temporaler Orientierung nach koordinierten Zeitplänen verstanden – aufgrund ihrer konditionierenden Konsistenz längere Perioden in Anspruch nimmt. Der Kulturpraxis des Wartens, so der Kulturanthropologe Heinz Schilling, seien die machtstrategischen Kräfte von Inferiorität und Superiorität innewohnend, denn „wer warten läßt, scheint der Mächtigere“ zu sein (Schilling 2002: 310). Das individuelle Empfinden von und für Zeit haftet den deutschen Migranten wie ein unverwechselbarer kultureller Fingerabdruck an (Rifkin 1988: 9), weil dieses erlernte Kulturgut aus der ersten Sozialisation nach wie vor im fremdkulturellen Kontext aufrechter-

24 Zitat aus dem Interview mit Raoul Trentmüller, datiert auf den 07.04.2008. 25 Mit der Praxis des Wartenlassens verbindet Levine Status und Macht und betrachtet diese asymmetrische Interaktionsform sogar als „Herrschaftssymbol“ und „Kontrollinstrument“ zwischen Menschen (Levine 1999: 166ff.).

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 311

halten wird, seine Vitalität nur sehr langsam verliert und somit eine Anpassung – wie in dem Eingangszitat zu diesem Kapitel angedeutet – durchaus mit mannigfaltigen Schwierigkeiten verbunden ist. Für eine voneinander abweichende Praxis bei der Genauigkeitsbeurteilung von Uhrzeiten im alltäglichen Kontext liefert die an der Marquarie University in Sydney angestellte Doktorandin Eva Hendriks ein veranschaulichendes Beispiel: „Das würde ich auch sagen, so mit der deutschen Pünktlichkeit. Es war halt im Praktikum so, da war so eine Situation, die war eigentlich ganz witzig, da stand ich mit meiner Chefin zusammen und der Direktor kam da irgendwie an und fragte: ,Wie spät es ist?‘ Und wir haben gleichzeitig geantwortet und ich habe gesagt: ,Es ist drei vor sechs.‘ Und meine Chefin sagte: ,Es ist 6.00 Uhr.‘ Da haben die angefangen zu lachen und haben gesagt: ,Du bist zu deutsch.‘“26

Die an die eigene Gruppe geknüpfte Konzeption von Pünktlichkeit zur Koordination von Handlungsabläufen impliziert eine Art Zeitumgangssouveränität, d. h. die Ausrichtung nach einer „normierten Einheitszeit“ (Lübbe 1994: 68), die jedoch im interkulturellen Setting in Frage gestellt wird und somit ein die Integration negativ beeinflussendes Desorganisationspotenzial mit sich bringt. Wie bereits im Vorhergehenden kurz angerissen wurde, definiert der gesellschaftliche Kontext, in dem die soziale Aushandlung des Zeitmanagements situativ abläuft, den kulturellen Umgang mit Zeit. Ein unbestrittenes Faktum stellt die mit der Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschafts- und Kapitalmärkte einhergehende Homogenisierung von Temporalität in unterschiedlichen Sektoren des Arbeitsmarktes dar, in der eine „Vernetzung und globale zeitliche Gleichschaltung im Zeichen einer fortschrittlich orientierten Moderne“ (Roth 1999/2000: 26) vorangetrieben wird. Flexibilisierung, Individualisierung, Monetarisierung und Deregulierung führen unweigerlich zu einer Transformation des menschlichen Umgangs mit Zeit, ein Phänomen, das sich nicht nur in der zum Sprichwort avancierten Leitdevise „Zeit ist Geld“ von Benjamin Franklin manifestiert. Seit Zeit im Verbindung mit Geld steht, wird Temporalität zur einer taxierbaren Ware. Zeitspannen der Muße, der Rekreation und des Nichtstuns, in denen dem Dolcefarniente gehuldigt wird, erhalten gleichzeitig einen negativen Beigeschmack, weil hier nicht im Sinne einer produktiven Nutzung von Zeit gehandelt wird. In der modernen Welt zählen mehr denn je Leistungsorientierung, rationales Zeitmanagement und kalkulierendes Effizienzdenken, so dass Zeit einer Kollektivierung, Synchronisierung und Standardisierung unterworfen wird. Diese kapitalistische Wertelogik protegiert die Verschiebung der Wertigkeit von

26 Zitat aus dem Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008.

312 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Zeit in Richtung „Nonstop-Gesellschaft“, bei der Technik und Ökonomie den das Leben jedes Einzelnen bestimmenden Takt zeitlicher Rhythmisierung festsetzen und der Uhrzeit eine ubiquitäre Monopolstellung eingeräumt werden muss (Geißler/Adam 1998: 27). Nimmt man sich die Zeit zum großstädtischen Flanieren und sucht als teilnehmender Beobachter zum morgendlichen Arbeitsbeginn, in der Mittagspause und zum Feierabend die innerstädtischen Knotenpunkte an Hauptgeschäftstraßen und zentralen Zug- und Busbahnhöfen des Central Business District im Global Player Sydney auf, so kann man durch subjektive Wahrnehmung den hochfrequenten Puls der schnelllebigen Stadt fraglos fühlen. Der US-amerikanische Sozialpsychologe Robert Levine klärte in seiner empirischen Vergleichsuntersuchung über die zeitliche Taktung verschiedener Kulturen anhand von Indikatoren wie Gehgeschwindigkeit, Schnelligkeit am Arbeitsplatz oder einer Messung von Genauigkeit von Uhren darüber auf, dass vor allem in zur westlichen Welt gehörenden Ländern mit Wohlstand, einem hohen Grad der Industrialisierung, großer Einwohnerdichte, gemäßigt-kühlem Klima und einer individualisierten Kultur ein hohes Tempo vorherrschend ist (Levine 1999: 38). In Bezug auf den Sachverhalt, dass Sydney als florierende Wirtschaftsmetropole dem sprichwörtlichen rat race27 eigene Konturen zu verleiht im Stande ist, bestehen definitiv keine zwei Meinungen, auch wenn das international verbreitete Stereotyp des gelassenen, braungebrannten Australiers, der mit Surfbrett unter dem Arm an der Strandpromenade des Bondi Beach flaniert, ein ganz anderes Bild suggeriert. Der als Manager bei einer internationalen Prüfungs- und Beratungsgesellschaft am Darling Harbour arbeitende Paul Könnecke insistierte: „Zum anderen, was ich immer wieder höre, ist, dass man so ein bisschen das Gefühl hat, dass die Australier ein bisschen faul sind oder so, oder sich es bequem machen. Aber im täglichen Geschäftsleben könnte ich das eher umgekehrt sehen. Wenn ich meine Kollegen und meine Sekretärin in Deutschland angucke, also wenn die die Zeit, die sie zubringen, um den nächsten Urlaub zu planen in aktive Arbeit stecken könnten, dann könnten die meisten um 15.00 Uhr schon nach Hause gehen, weil sonst würden sie das, was sie sonst bis 18.00 Uhr erledigen, längst hinter sich gebracht haben. Und die Australier gehen trotzdem erst um 20.00 Uhr nach Hause, so dass ich glaube, dass man eher inzwischen schon gelernt hat. Zumindest, wenn man in einem internationalen Bereich tätig ist, wo der internationale Wettbewerb da ist. Ich glaube, da haben wir doch den kühlen Wind, der aus Asien kommt, schon festgestellt. Und die Leute sind bereit hinzulangen.“28

27 Zitat aus dem Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08.2008. 28 Zitat aus dem Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 313

In monochrom-lineare Zeitzonen sowie in eine uhr- und planungsorientierte Kultur eingebettete Unternehmen respektive deren Mitarbeiter besitzen aufgrund des internationalen Konkurrenzdrucks eine scheinbar an den globalen Anforderungen des Handels- und Finanzwesens ausgerichtete standardisierte Auffassung von Zeit, da die Abwicklung von Geschäftsvorhaben stets mit einer zeitlich exakt definierten und bindenden, jedoch in ihrer Exaktheit und Auslegung kulturellen Faktoren unterliegenden deadline29 versehen ist. Eine Nichteinhaltung dieser kommt, will man den Regelhaftigkeiten des rivalisierenden Marktes Glauben schenken, einer Schädigung der Reputation sowie einer finanziellen Deprivation gleich. Zur Normalität wird bei beruflich wie sozial stark nachgefragten Vielbeschäftigten der modernen Arbeitswelt eine verminderte zeitliche Toleranzschwelle, was eine rigide zeitliche Organisation voraussetzt (Hessler/Lehnhart 2001: 14; Hess/Moser 2003). Folgt man jedoch den Stimmen der deutschen Migranten, so besitzt jegliche Rede von der Homogenität der Zeitkulturen des globalen Wettbewerbs auch in Sydney ihre feinen Unterschiede, erweisen sich doch jene basalen Strukturen der kulturell codierten zeitlichen Ordnungsmuster als zunehmend porös und liquid, denn eine Gleichzeitigkeit kulturdiskrepanter Konzeptionierungen von Zeit ist auch nach einer vorgeblich erdumspannenden Gleichschaltung dieser arbeitsstrukturellen Rhythmisierung nach wie vor integraler Bestandteil des Alltags. Hier positioniert sich der mit scheinbar idealen Kardinaltugenden versehene deutsche Arbeitsimmigrant hart am Markt. Deutsche Migranten mit Anstellungsverhältnissen bei multinationalen Konzernen konturieren bzw. profilieren ihr Renommee am Arbeitsplatz nicht ganz ohne zivilisatorisches Sendungsbewusstsein damit, dass sie die vermeintlich deutschen Sekundärtugenden, die sich in den stereotypischen Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Effizienz, Sorgfalt, Hang zur Ordnung und Genauigkeit zu materialisieren scheinen, gegenüber ihren Mitarbeitern als ethnokulturelles Kapital zur Karriereförderung instrumentalisieren. Gerade die mit Bestimmtheit kommunizierte Auslegung zeitlich exakt definierter Übereinkünfte bzw. die Oktroyierung von Normverbindlichkeiten und Koordinierungszwängen im Hinblick auf Zeithorizonte kann als ein signifikantes kulturelles Phänomen der ethnischen Grenzziehung zwischen deutschen Immigranten und dem multiethnischen Arbeitsumfeld klassifiziert werden. „Man hat hier so eine gewisse Pünktlichkeit, die ist hier jedes Mal ein Thema, die versuchen pünktlich zu sein, aber es ist nicht wirklich so, es ist eben etwas sehr Deutsches. Ich bin aber

29 „Also ich arbeite jetzt zum Beispiel im accounting, da ist auch oftmals eine deadline, aber wenn ich dann jetzt komme und sage, ich habe das jetzt nicht bis zu dem und dem Tag, dann ist das O.K. In Deutschland wäre das nicht O.K. Ich arbeite zwar trotzdem viele Stunden, aber irgendwo ist da das Menschliche noch vorhanden.“ Zitat aus dem Interview mit Marleen Averhof, datiert auf den 04.06.2008.

314 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

mittlerweile stolz auf meine deutschen Tugenden, jedes Mal, wenn ich einem eine Arbeit pünktlich bringe, dann sage ich: ,I am German.‘ Mittlerweile bin ich da so, ja, man soll auch die guten Sachen herausheben.“30

Im Verbalisierten wird zum wiederholten Male ersichtlich, dass die zügige wie effektive Bearbeitung spezifischer Arbeitsvorgänge, als kulturelle Handlung zur Institutionalisierung eines Zeitregimes, eine „ihr eingeschriebene Zeitqualität und Zeitstruktur“ (Assmann 1999: 1) besitzt. Anwendungsformen der Rhythmisierung von alltäglichen Verrichtungen am Arbeitsplatz unterliegen somit einer intentionalen Konstruktionsleistung, durch die eine soziale Wirklichkeit aufgebaut wird, die den Akteuren nicht nur als Projektionsfläche zur Herstellung von Identität und Differenz dient, sondern ein Kristallisationspunkt von Sinnhorizonten ist, die der Trägerschaft ethnische Stabilität verleihen (Bormann 2001: 36). Da von Seiten der Befragten stets auf die ethnisch-anthropologische Grundkonstante einer von der Kulturgeprägtheit ausgehenden Erziehung (cultural heritage) zum Orientierungsmuster Zeit und Temporalität hingewiesen wurde, was im Alltag dazu führt, das Fristen und Termine genauso eingehalten bzw. wahrgenommen werden, wie es in der deutschen Herkunftskultur gängige Praxis gewesen ist, führt uns zu der Frage, wo die Ursprünge für diese Handlungsmuster verborgen liegen. Diese These von der Kulturgerichtetheit – verstanden als kulturelle Implementierung – beim praxeologischen Umgang mit Zeitsemantiken leitet über zu dem Umkehrschluss, dass Zeit im Sinne von Durkheim stets als Produkt kollektiven Denkens sowie als Formprinzip fungiert (Durkheim 1994: 36). Wo lassen sich folglich die (historischen) Erklärungsansätze dafür finden, dass die deutschen Migranten ein „verbreitetes kulturell codiertes zeitliches Ordnungssystem“ (Drascek 2007: 9) besitzen, sprich eine inkorporierte Zeitdisziplin, die sie zur ethnischen Selbstverordnung strategiewirksam einsetzen? Der kulturanthropologische Blick auf Vergangenes aus der Alten Welt stellt auch hier aussagekräftige Interpretaments zur exemplifizierenden Analyse der Gegenwartskultur deutscher Migranten bereit, wenngleich an dieser Stelle keine Herstellung von Zeit und Raum überspannenden Kontinuitätsprämissen anhand geschichtlicher Kausalketten intendiert ist. Es handelt sich ausschließlich um Deutungsversuche, die Handlungs- und Bewertungsmuster aus dem kategorialen Rahmen des kulturellen Gepäcks der Untersuchungsgruppe – um erneut Georg Forster zu bemühen – in unterschiedliches Licht zu rücken. Zunächst konstituierten die abendländischen Disziplinierungsprozesse der menschlichen Lebensweisen unter der richtungweisenden Doktrin des „okzidentalen Rationalismus“ im 16. Jahrhundert eine substanzielle Veränderung mentaler Vorstellungen von Zeit in der Alten Welt. Im Zuge der Entwicklungen der Intellek-

30 Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2005.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 315

tualisierung, zu deren Hauptströmungen der Aufstieg von Wissenschaft und wissenschaftlich orientierter Technik zählen, so Max Weber, kam es zu der viel zitierten „Entzauberung der Welt“, in der eine der rationalen und kalkulierenden Logik folgende praktische Arbeits- und Lebensweise das Überkommen bisher Integrationsvermögen besitzender religiöser, transzendentaler und kosmologischer Auslegungen des Weltgeschehens beförderte (Schluchter 1979: 8). Die Ethik des Protestantismus verlangte nach einem strebsamen, gewissenhaften und gehorsamen Einsatz der menschlichen Arbeitskraft, dies meint die effiziente Nutzung der im irdischen Alltag zur Verfügung stehenden Zeit. Gegenpol dieser asketischen Lebensweise und mit einer Dämonisierung belegt wurden jegliche sündhaften Formen von geselliger Müßigkeit, Genuss, Freizeit und Vergnügen, die einer Vergeudung von Zeit gleichkamen und den alle Gesellschaftsschichten durchdringenden Selbstbeherrschungsprozess zur Rationalisierung der Nützlichkeit zuwiderliefen (Muri 2004: 42ff.). In dieser aus dem historischen Horizont hervorgehenden kulturellen Normierung – im Sinne einer Rationalisierung wie Reglementierung – von Zeitmustern lässt sich ein erster Erklärungsansatz für die gegenwärtigen Temporalitätsauffassungen deutscher Migranten in Sydney finden. Kulturelle Konservierungskräfte setzte in der alten Heimat zudem der Staat Preußen im 19. Jahrhundert frei. Seine gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Institutionen sahen in der Perfektionierung des Formalismus wie Bürokratismus ein erstrebenswertes Ziel und beeinflussten die sozialisatorische Prägung eines nüchternen bis pragmatischen Umgangs mit Zeit des deutschen Bundesbürgers stark. Der Bedarf nach straffer und kalkulierender Verwaltungsarbeit ist auch in der kapitalistischen Metropole Sydney ein nachgefragtes kulturelles Gut. Den Deutschen kommt nach Manfred Garhammer europaweit sogar eine Sonderstellung in Sachen Pflichtbewusstsein zu, die sich in verbindlichen und somit auch historisch gewachsenen Werten wie Pünktlichkeit, Rastlosigkeit, Leistungspflicht und Geißelung des Müßigganges äußert (Garhammer 1998: 127f.). Eine Souveränität über die kostbare Ressource geht folglich auch bei den deutschen Immigranten auf eine Zeitsozialisation in der Herkunftskultur zurück, in die überlieferte und gesellschaftlich vergütete Versatzstücke aus dem kulturellen Gedächtnis der abendländischen Tradition einfließen. Diese kulturhistorischen Traditionen aus der deutschen Erinnerungslandschaft, die für Aleida Assmann „eine auf Dauer gestellte kulturelle Konstruktion von Identität“ (Assmann 1999: 90) bereitstellen, sind folglich die Hauptverantwortungsträger für eine ethnospezifische Handlungsprämisse bei der Konzeptionierung von Zeit bei den deutschen Grenzgängern in Australien. Das gegenwärtige Leben der Migranten in einer Pluralität von zeitlichen Umgangsformen, bei dem ein freies Diffundieren temporaler Signifikanten bzw. ein uneingeschränkter interkultureller Austausch von Tempi die starren Grenzziehungen ethnischer Konfigurationen erheblich erschwert und das von Deutschen postulierte sowie instrumentalisierte Zeitregime hinterfragt, drängt doch gerade die ak-

316 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

kulturierenden-transkulturistischen Aspekte ins Zentrum des Interesses, die Aufschluss darüber geben, wie die Kulturkuriere eine dialogische Balance zwischen ihren transportierten Vorstellungen von Zeit mit den neuen Werten in der Residenzgesellschaft zum Konvergieren bringen. Die Autorin des Buchs KulturSchock Australien, Elfi Gilissen, gibt zu verstehen, dass es für Migranten aus anderen Zeitkulturen schwierig sei, sich an das bedächtigere Tempo in Australien anzupassen (Gilissen 2004: 10). Ein ethnischer Separatismus bzw. eine Ethnisierung der eigenen Kulturalität in Bezug auf kulturelle Auslegung von zeitlichen Rhythmisierungen im fremdkulturellen Alltag ist keineswegs erkennbar, da vielmehr kulturkonformistische, auf ein harmonisches Zusammenleben abzielende Bestrebungen und Anstrengungen von Seiten der Immigranten ausgehen, sich dem australischen Lebenstakt anzugleichen. Wie in dem zu Beginn dieses Kapitels wiedergegebenen Interviewpassus von Tatjana Wiersching sukzessiv vorgebracht wurde, schwingt bei der Problematisierung des fremden Anderen bereits die allen Migranten geläufige Obliegenheit mit, sich in akkulturierender Weise mit den in Sydney gültigen konfigurierenden Handlungsanforderungen in Übereinstimmung zu bringen, sprich sich die Lockerheit der australischen Mitmenschen anzueignen. Das vormals Fremde wird somit graduell zum Teil des Eigenen. Wenngleich kulturelle Differenz anhand divergenter Zeitauffassungen zu den Problemen der Integration der deutschen Zeitgenossen im australischen Alltag omnipräsent ist, sprechen die eigenen Ambitionen, diskursiven Formationen und Denkmuster der migrantischen Schicksalsgemeinschaft insofern eine klare Sprache, als dass in der Praxis des akteursspezifischen Handelns modifizierte und somit neu konstruierte „Verzeitlichungsstrategien“ (Bormann 2001: 167) integriert werden. Zu den gesellschaftlich erprobten Konsolidierungsarrangements in Australien gehört es auch bei Mathias Burmeister und seiner deutschen Freundin zur integrationsfördernden Vorgehensweise, gegenüber australischen Freunden eine Einladung zum Dinner auszusprechen, damit eine zeitlich determinierte Verabredung einzugehen und zum gegebenen Anlass mit den eigens vorbereiteten lukullischen Kostbarkeiten „rechtzeitig“ zu Hause aufzuwarten: „Am Anfang haben wir uns da völlig gewundert. Wo bleiben die denn?“31 Mit selbstkritischem Belächeln der eigenen Naivität wird in der Retrospektive die ethnozentrische Kulturblindheit sowie die anfänglich erfolgte Verabsolutierung des kulturellen Wahrheitsregimes im Hinblick auf monochrone Zeitverobjektivierungen und Pünktlichkeit deutlich differenziert betrachtet. In der Chronologie der kulturellen Andersartigkeit zwischen deutschem und australischem Zeitverständnis – verstanden als eine aus interkulturellen Missverständnissen, Fehlinterpretationen wie defizitären Kulturübersetzungen resultierende Erkenntnis, die zu einer situationskonformen Adaption von zeitspezifischen Handhabungen führt – kristallisierte sich

31 Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 317

mit zunehmender Infragestellung der aus der Bundesrepublik mitgebrachten Bewertungs- und Handlungsmuster heraus, „dass es gar nicht so gut ist, zumindest wenn man australische Freunde hat, zu sagen, kommt um sechs, dann ist das Essen fertig.“32 Mit der Einsicht, dass in letzter Instanz auch der zubereitete Auflauf beim „verspäteten“ Eintreffen der Gäste im Backofen zwar nicht kalt, aber immerhin trocken wird, erhärtete sich bei den Gastgebern des abendlichen Sozialevents die Notwendigkeit, flexibler auf diese zur Normalität der australischen Kultur gehörenden „zeitlichen Leerstellen“ (Roth 1999/2000: 32) in der Periode des Wartens zu reagieren, eine Ausweitung des kognitiv internalisierten Zeithorizonts vorzunehmen bzw. um eine lebensweltliche Episode zu erweitern: „Nee, was wir mittlerweile machen, wir haben dann Pizzateig vorbereitet und sitzen am Tisch und machen eine Phantasiepizza zusammen, die wird dann in den Backofen geschoben. Das ist dann sehr sozial und du kannst es dann machen, wenn die Leute kommen. Natürlich ist das alles vorbereitet und vorgeschnippelt im Kühlschrank, aber wenn die dann mal anderthalb Stunden später kommen, no worries mate.“33

Wie wir bisher eruieren konnten, dienen konstruierte Zeitvorstellungen in den vom Migranten selbst geflochtenen Bedeutungsgeweben als Vehikel zur orientierenden Organisation des ihn umgebenden Kosmos. Zeit, genauso wie Kultur, unterliegt dem reziproken Prozess der menschlichen Aushandlung in situationsspezifischen Interaktionen, in denen die ethnischen Selbstverständnisse und unhinterfragten Taxonomien einer Deutungsgemeinschaft – über jene kollektiven Sinnkonstrukte (wie Pünktlichkeit) sich die Gruppe nicht zuletzt definiert und verortet – infolge kontradiktorischer alltagsweltlicher Dimensionen von Temporalität einer Rekonzeptualisierung unterzogen werden. Multikulturalität und ethnischer Pluralismus, zwei fundamentale Grunddispositionen der kosmopolitischen Metropole Sydney, rufen unhinterfragt eine Multitemporalität hervor. Bestrebungen, der Vielzahl von Tempi in unterschiedlichen Kontexten zwischen temporaler Homogenisierung und Fragmentierung gerecht zu werden, eine kulturelle Sensibilität für die feinen zeitlichen Schattierungen im Dazwischen zu entwickeln und sich durch Weltoffenheit, Respekt, Humanität und Toleranz sowie interkulturellen Dialog der ethnischkulturellen Blockbildung zu entledigen, ist Tenor zahlreicher Transkulturationsnarrationen. Eine authentische Aufklärung über die Struktur des multifaktoriellen Aushandlungsprozesses der Transkulturation, der kulturelle Disparitäten zwischen Migrant und Dominanzgesellschaft bewusst nicht ausklammernd, gewährt uns Hugo Wiegemeyer:

32 Ebd. 33 Ebd.

318 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Also wenn ich jetzt an meine Arbeit denke, die Operationszeiten sind ungefähr dreimal so lang wie in Deutschland. Das liegt daran, weil hier eben alles langsamer geht. Und als ich dann hier angefangen habe, habe ich natürlich auch versucht mit meinem deutschen Tempo irgendwo zu arbeiten und zu operieren und bis die dann gesagt haben: ,Das ist der verrückte Deutsche, der hetzt uns. Der ist pedantisch und hetzt uns.‘ Und dann habe ich gesagt, halt mein Junge, du bist nicht hier, um die Welt zu verbessern, du bist hier, um deinen Lebensstil zu verbessern und vom heutigen Tag wird dreimal so langsam gearbeitet. Und seit der Zeit ist alles wunderbar. […] Aber man muss sich hier, wenn man mit den Australiern arbeitet, aber auch auf deren Stil einstellen. Man muss, also was nach unseren Kriterien schon fast schleimig, scheißfreundlich ist, ist australischer Standard. Man kann nicht anrufen und sagen: ,Tina ich buche eine Patientin für nächsten Freitag für 9.00 Uhr in der Laparoskopie vor.‘ Punkt. Das geht nicht. Man muss dann anrufen und dieses Typische sagen: ,Hey, good morning‘ und dieses ,How are you? I am fine, how are you?‘ Das bedeutet überhaupt nichts, es ist reine Zeitverschwendung. ,Would you be kind enough to book a patient for the 29th.‘ Also wärest du bitte so gut usw. Das ist nach deutschen Kriterien, ja würde man sagen, was soll die Scheiße. Das ist vollkommene Zeitverschwendung. Aber das geht nicht, das geht nicht. Und das ist eben so und ich sage immer: ,If you are in Rome, do as the Romans do‘. Ich arbeite eben dreimal langsamer, als ich in Deutschland arbeite, weil die es hier so wollen und die machen eben die Regeln, nicht war. Und seit ich langsamer arbeite, die Patienten liegen endlos in Narkose, habe ich keine Probleme mehr.“34

An den anfänglichen Kulturkonflikt mit den Zeitvorstellungen in der Handhabung von Arbeitsprozessen sowie in der alltäglichen Kommunikation, die deutlich mehr Wert auf die Einhaltung von ein Gespräch initiierenden normativen Formeln legt, chit-chat und Smalltalk35 eine besondere Rolle beimisst und der Pflege von zwischenmenschlichen Beziehungen mehr Aufmerksamkeit schenkt, schließt sich ein Erkenntnisvorgang der Dekonstruktion kultureller Überlieferungen aus der Entsendegesellschaft an, in dem die Immigranten eine multitemporale ethnische Identität

34 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007. 35 Bettina Rößler musste als Angestellte des Instituts für Biomedical Science an der University of New South Wales zu Beginn ihrer Arbeitsmigration in Australien feststellen, dass „unglaublich viel Zeit“ dafür verwendet wird, eine leichte, beiläufige Konversation zu betreiben, die dem zwischenmenschlichen Sozialisieren dient. Im Vergleich zu Deutschland musste sie sich zunächst daran gewöhnen, im Arbeitsalltag mit ihren Arbeitskollegen in Gesprächen über dienstliche Angelegenheiten zuerst einen initiierenden Smalltalk zu halten, da es unhöflich sei, „mit der Tür ins Haus zu fallen“ bzw. direkt zur arbeitsspezifischen Thematik überzugehen. Im Gegensatz sei bei Telefonaten mit Kollegen der scientific community in Deutschland bei der Anwendung dieser „australischen Muster“ Vorsicht geboten, „weil man dort sehr effizient ein Telefongespräch abhandelt.“

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 319

annehmen. Diese von Robert Levine formulierte – leicht idealtypischen Verlaufsmustern folgende – anthropogene Kompetenz der Multitemporalität (Levine 1998: 26) erlaubt es den deutschen Auswanderern, der kontextuellen Situation entsprechend, einen dirigierenden Spagat zwischen den unterschiedlichen zeitlichen Anforderungsprofilen zu vollziehen, d. h. den durch Verknappung der Zeit bestimmten Umgang mit alltäglichen Rhythmisierungen aus dem sozialisierten Vermächtnis beiseitezulegen und eine an den Erfordernissen der australischen Kultur ausgerichtete Verlangsamung des Lebenstempos zu vollziehen. Sie entwickeln während der Transkulturationsphase ein feines Sensorium für die Pluralität wie Heterogenität der „zeitlichen Zwischenstufen“ (Levine 1999: 284). Tendenzen der Entschleunigung des Alltags, pathologische Stress- und Hektikkrankheiten vorbeugende Herausbildungen eines neuen Arbeitstypus, der mit dem Neologismus slobbies (Slower but better working people) (Schell 1999/2000: 7) belegt wurde, und das Hören auf die physiologische Uhr des Körpers legen eine Interpretation nahe, welche die Migration nach Australien als einen vorläufigen Endpunkt der „Suche nach kontrastiven Zeiterfahrungen“ (Drascek 2005: 172) auffasst. Eine sich am Medium Zeit orientierende Transkulturation steht jedoch stets in Kausalität mit Diskontinuität, Bruch, Entfremdung und kulturellem Wandel, so dass der Bedeutungsrahmen der hier vorgestellten Konzepte von Temporalität kontinuierlich zur Aktualisierung der gegenwärtigen bewegten Lebensformen beiträgt. Diese höchst dynamischen kulturellen Strömungen unterliegende anthropogene Entwicklung beruht somit auf der permanenten De- und Rekonstruktion bestehenden Alltagswissens und muss insofern in einer Multifokalität gedacht werden, weil die an diesem Aushandlungsprozess partizipierenden Akteure jeweils konkurrierende intra- als auch interkulturell differente Lesearten von Zeit besitzen. Die Wahrnehmung kultureller Temporalitätsstrukturen als Realordungskategorien der lebensweltlichen Wirklichkeit deutscher Auswanderer in Sydney, so können wir aus den vorstehenden Aussagen resümierend schließen, „sind nach wie vor durch die eigene Zeitwahrnehmung“ (Drascek 2007: 18) präformiert, fungieren als Projektionsflächen zur interkulturellen Kontrastierung und dienen folglich mustergültig bei der sinnvermittelnden Vergegenwärtigung der eigenen Ethnizität.

320 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

4.3 D ON ’ T MENTION

THE WAR ! I DID ONCE , BUT I THINK I GOT AWAY WITH IT : K ONFRONTATIONEN UND U MGANG MIT DER DEUTSCHEN V ERGANGENHEIT „… aber jeder von uns fühlt sich da in gewisser Weise schuldig.“36 „… die ganze Welt hat Helden und wir haben Kriegsverbrecher.“37

Die teils stereotypisierenden, in mancher Hinsicht der Realität entsprechenden und partiell wirklichkeitsverzerrenden Fremdverortungen der deutschen Migranten in englischsprachigen Ländern im Allgemeinen und in Australien im Speziellen fußen vor allen Dingen auf den historischen Hinterlassenschaften der beiden Weltkriege, in denen Deutschland gleich zwei Mal als der an den Grundpfeilern der Zivilisation und Demokratie rüttelnde Erzfeind auftrat. Dem in diesem Erbe konstruierten und verfestigten Deutschlandbild über die bloody krauts in zahlreichen anglosächsischen Ländern, in das Assoziationen wie Hitler, Auschwitz, Judenverfolgung, Wehrmacht und Kriegstreiberei mit einfließen, setzte John Cleese mit der Episode „The Germans“ aus der BBC-Sitcom Fawlty Towers 1975 ein komödiantisches, wenn auch gesellschaftskritisches Denkmal. Basil Fawlty, der notorisch unfreundliche bis grobschlächtige Hotelbesitzer, erwartet in seinem Etablissement mit Gästen aus Deutschland einen wohl eher seltenen Besuch und weist sein Personal wiederholt darauf hin, dass sie es tunlichst zu vermeiden hätten, das Thema Krieg in Gegenwart der Kontinentaleuropäer anzusprechen. Im Gegensatz dazu lässt der körperlich beeinträchtigte Basil vor den vier Besuchern vom Festland bei deren Bewirtung im Speisesaal scheinbar keine Gelegenheit aus, selbst den delikaten neuralgischen Punkt dieser Eigen- und Fremdethnisierung einzubringen. In nahezu jedem gesprochenen Satz verwendet der Protagonist Anspielungen auf das Kriegsgeschehen und als Höhepunkt der Indiskretion wiederholt er die von den Deutschen von der Speisekarte ausgesuchte Bestellung im Restaurant („two eggs mayonnaise, a prawn cocktail, a pickled herring and four cold meat salads“) in folgendem Wortlauf: two egg mayonnaise, a prawn Goebbels, a Hermann Göring and four Colditz salads.“ Auf die Aufforderung einer seiner Gäste, die ständige verbale Betonung des militärischen Konflikts bei Tische einzustellen, reagiert Basil sehr empört, da er keineswegs damit begonnen habe, schließlich sei Deutschland zuerst in Polen einmarschiert. Um die infolge dieser nationalen Auseinandersetzung zu Tränen gebrachte deutsche Dame wieder aufzumuntern, imitiert der indezente Hotelmanager

36 Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008. 37 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 321

Adolf Hitler, in dem er in einem gestenreich sehr überzogenen Stechschritt durch den Speisesaal bis in die Lobby und zurück marschiert. Den krönenden Abschluss dieser von unterschiedlichen Ressentiments begleiteten filmischen Szene bildet eine die Deutschen zum entsetzten Schweigen bringende rhetorisch formulierte Frage des Engländers: „Who won the bloody war anyway?“ Gerade weil derartige historische Ereignisse in manchen Ländern des Commonwealth und besonders in dem noch jungen australischen Staatsgebilde innerhalb der nationalen Erinnerungskultur eine bedeutende Stellung einnehmen, waren und sind die in jener oben erwähnten Burleske eingeschriebenen Fremdzuschreibungen in den letzten fünfundsechzig Jahren für Auswanderer aus der Bundesrepublik Deutschland eine Krux im alltäglichen Leben. Eine flächendeckende Diffusion jener historisch-mentalen Persistenzen dieser Gedankenverknüpfungen in nahezu allen Schichten der Gesellschaft sowie Altersstufen scheint gerade in Großbritannien zur gängigen Praxis der Eigenpositionierung und Strukturierung der Lebenswirklichkeit zu gehören. Annemarie Jürgens arbeitete als Kindermädchen vor ihrer 1964 realisierten Emigration nach Australien für ein Jahr in einer Privatschule in England und berichtete in diesem Kontext von einer Begebenheit, die sich während des Mittagessens zutrug. Als Jürgens von einem circa fünf- bis sechsjährigen Jungen gefragt wurde, wo sie denn herkäme, antwortete die Kinderbetreuerin, dass sie aus Deutschland komme. Als Reaktion erntete sie die den erforderlichen Respekt vermissen lassende Antwort des nach den kulturellen Traditionen des Landes wohl sozialisierten Zöglings: „Ah, I know, you are the bad ones.“38 Aber auch in der gegenwärtigen australischen Öffentlichkeit ist die Konfrontation mit dem psychisch strapazierenden und zum nationalen Stigma emporsteigenden Vergangenheitsballast stets präsenter Bestandteil des alltäglichen Lebens deutscher Auswanderer. Diese Bandbreite der Fremdzuweisung reicht von dem scheinbar erbarmungslos kämpfenden Wehrmachtssoldaten in modernen Computerspielen wie Call of Duty und Medal of Honor, die sogar in der englischen Version lauthals deutsches Vokabular wie „Blitzkrieg“, „Marsch Marsch“ und „Jawohl Herr Kommandant“ verkünden, über den Büchermarkt – bei Dymocks und in öffentlichen council libraries finden sich ganze Abteilungen zu Themen wie Krieg, Genozid und Faschismus – bis zu einer medien- und publikumswirksamen Presseberichterstattung.39 Zu Beginn der Olympischen Spiele in Peking 2008 druckte der Sydney Morning Herald einen Ar-

38 Zitat aus dem Interview mit Annemarie Jürgens, datiert auf den 11.06.2008. 39 John Ramsden zitiert in seinem Buch über die Beziehungen zwischen Briten und Deutschen diesbezüglich einen kurzen Passus von David Sexton aus dem Guardian: „Hitler and the Nazis remain one of the great resources of the bestseller list. Every rack of airport novel includes at least one cover emblazoned with an eagle, a dagger, Gothic script and an embossed swastika“ (Ramsden 2006: 367).

322 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tikel aus der New York Times mit dem Titel „Riefenstahl’s torch myth reflects our war games“ ab, in dem über die ideologische Vereinnahmung des Fackellaufes in den vom Propagandaministerium in Auftrag gegebenen Filmen der Reihe Olympia berichtet wurde. Einen Blicke erhaschenden, populärjournalistischen sowie wohldurchdachten Aufmacher, dem des Weiteren das Potenzial innewohnt, eine ganze Nation in Aufruhr zu versetzen, besaß der Titelaufmacher der Märzausgabe von The Bulletin aus dem Jahre 2004. Das Cover der unter die Kategorie Regenbogenpresse zu subsumierenden Veröffentlichung zeigt seinem australischen Lesepublikum unmissverständlich einen Soldaten in deutscher Wehrmachtsuniform mit Hakenkreuzbinde am linken Arm, der mit fest entschlossenem Blick in beiden Händen die australische Nationalflagge mit Union Jack und dem Kreuz des Südens hält, die raumgreifend über dessen Haupt weht; eine symbolreiche Anspielung auf die nach dem Krieg aus Europa geflohenen Kriegsverbrecher und Kollaborateure, die neben Argentinien und Chile auch in Australien eine Zufluchtsstätte fanden, um der juristischen Bestrafung während der Entnazifizierung in der Alten Welt aus dem Weg zu gehen und ihre politische Vergangenheit hinter sich zu lassen. Dass die deutsche Vergangenheit bzw. deren Bewältigung auch in der australischen Jetztzeit der Stadt Sydney nachwirkt, nicht vorbei ist und damit keine rückwärtsorientierte Erkenntnisleistung darstellt, zeigt der Fund von Olwen Pryke, die im April 2009 bei ihren Nachforschungen in der Mitchell Library in den Manuskriptbeständen des australischen Autors Tom Keneally eine Kopie der Liste zu Tage förderte, auf der alle von Oskar Schindler vor dem Holocaust geretteten Juden aufgeführt sind. In Sydney sind es des Weiteren vor allen Dingen war memorials wie das monumentale ANZAC Memorial am südlichen Ende des Hyde Parks, die jeweils einen Soldaten aus den beiden Weltkriegen präsentierende Gedenkstätte am Martin Place mit den Schriftzügen Lest we Forget und To our glorious dead, die Gallipoli Steps, die von der Edgecliffe Esplanade zur Spit Bridge führen sowie das schwere militärische Geschütz im St. Leonards Park, die als vom Menschen geschaffene Kristallisationszentren eine nationale Erinnerungskultur präsentieren, Signalwirkung ausstrahlen und der australischen Mehrheitsgesellschaft kollektive Wissensbestände über eine gemeinsam geteilte Vergangenheit vermitteln. Dieses Kapitel fragt einerseits nach der kulturellen Differenzaushandlung, die vor dem historischen Hintergrund der ethnonationales Blockdenken hervorrufenden Feindseligkeiten der Kriege aus der ersten Hälfte des vergangenen Säkulums auftritt, und analysiert andererseits kulturelle Formen der Vergangenheitsbewältigung im interkulturellen Kontext. Opportun scheint hier zunächst eine Trennung zwischen den direkten erlebten Fremdheitserfahrungen der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewanderten Deutschen, für die jene kriegerische Erlebnisaura aus Deutschland in ihrer Erinnerung noch verankert war, und den Nachfolgegenerationen, die mit zunehmender historischer Distanz neue Strategien des Umgangs mit der nationalen Geschichte entwickelt haben. Während des Integrationsprozesses

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 323

sind es gerade jene Situationen zwischen Deutschen, Australiern und anderen Mitgliedern der multikulturellen Gesellschaft Sydneys, bei denen das „Tätervolk“ aus der Bundesrepublik auf die katastrophalen und mit einer kollektiven Schuld belegten Gräueltaten des Third Reich zwischen 1933 und 1945 angesprochen wird und dazu in einem kulturell kreativen Akt der ethnischen Selbstpositionierung Standpunkt beziehen muss. Deutsche bringen von Generation zu Generation sehr unterschiedliche, spezifisch ausgebildete Erfahrungs- und Wissenshorizonte über die Geschehnisse im Kontext des dutzendjährigen Reichs mit nach Australien, die sich nicht nur aus dem Geschichtsunterricht, Erzählungen von Großeltern und Büchern speisen, sondern ferner ein signifikantes Segment des eigenen Schicksals sein können, d. h., Krieg, Verfolgung, Gewalt, Not und Verzweiflung wurden sprichwörtlich am eigenen Leibe erfahren. Diese mitgebrachten Bilder und Metaphern – als ein Nebeneinander heterogener Erinnerungskulturen – treffen aufgrund der mobilitätsimmanenten Ortspolygamie auf in Australien bereits vorhandene, teilweise geschürte, mit Ressentiments unterlegte und zur folkloristischen Vergnügung in der Gesellschaft etablierte Gedankenassoziationen über die deutsche Vergangenheit, bilden in der neuen Heimat Konvergenzen wie Divergenzen und konstituieren eine Aushandlungsplattform der ethnischen Selbstvergewisserung. Innerhalb einer aufgeklärten und bezüglich des Genozids im 20. Jahrhundert sensibilisierten Wissensgesellschaft, zu denen ein Großteil der von mir erforschten Migranten zu zählen ist, herrschte im Großen und Ganzen über den Holocaust eine nahezu konforme Erzähltradition, die darauf zurückzuführen ist, dass sich Bemühungen von Historikern intensivierten, die an einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Geschehenen appellierten. Als glückliche Begebenheit konnte es daher angesehen werden, dass nur ein Auswanderer den abgesandten Feldforscher der nicht wertenden Wissenschaftskultur von der Authentizität wirklichkeitsverzerrender wie komplexitätsreduzierender Lehrmeinungen aus der Feder eines David Irving zu überzeugen versuchte (Evans 2001a). In den Ethnizitätsnarrationen der von mir untersuchten Immigranten ist eine fortwährende Verflüssigung der Reflexionsstufen deutlich ersichtlich, da mit der deskriptiven Vergegenwärtigung direkter Konfrontationsbegebenheiten im Alltag geradewegs eine persönliche Stellungnahme Hand in Hand geht, bei der mit Rückgriff auf ein Erfahrungsarchiv über die Verbrechen während der nationalsozialistischen Regimeherrschaft eine individuelle Verortung in diesem hochemotional besetzten Disput zwischen Kulturkontakt und Kulturkonflikt geleistet wird. In ihrem Buch The Voyage of their Life berichtet Lisa Armstrong bereits für die unmittelbar nach dem Krieg in See stechenden Schiffe der refugees, dass in den Waschräumen die auf eine unterschiedliche Weltanschauung indizierenden farblichen Körpergravierungen wie die KZ-Nummer und die von Mitgliedern der Schutzstaffel unter dem linken Arm tätowierte Blutgruppe zu konfliktbeladenen, handfesten und das Eskalationsniveau überschreitenden Auseinandersetzungen mit tödlichem Ausgang zwischen den aus unterschiedlichen Gründen vom europäischen

324 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Kontinent flüchtenden Auswanderern geführt hätten (Armstrong 2001: 196f.). Eine in Sydney nach der Stunde null in Gang gesetzte Bewusstseinsbildung bzw. Sensibilisierung für die genozidalen Geschehnisse ging vornehmlich von einer jüdisch geprägten Lobby aus, deren Mitglieder aus erster Hand ein authentisches Szenario von der Tötungsmaschinerie des Holocausts, den Lebensverhältnissen in den Ghettos sowie den Machenschaften von Dr. Josef Mengele, Dr. Aribert Heim und Adolf Eichmann schilderten, was das Feindbild des deutschen Kriegsgegners in Bezug auf eine Radikalisierung nachhaltig transformierte und eine harmonische Koexistenz um mehrere Potenzen unwahrscheinlicher machte. Jüdische Flüchtlinge, die später mit der Pflege ihres europäischen Verständnisses von Kultur in rasanter Weise zur gesellschaftlichen Elite der Stadt emporstiegen, schufen mit ihren Erlebnisberichten über Verfolgung, ethnische Säuberungen hinter den Frontlinien, Todesmärsche und die Zustände in den Konzentrationslagern ein gesellschaftliches Klima, in deren erhitzter Atmosphäre allein der während einer Kommunikation auf Englisch herauszuhörende deutsche Akzent Konflikte zur Folge hatte. Das Deutschlandbild der Australier besaß bereits mit der von Ohnmachtsvorstellungen begleiteten Torpedierung der HMS Sydney, eines Leichten Kreuzers der Royal Australian Navy, durch den deutschen Hilfskreuzer Kormoran in der Shark Bay vor der Westküste Australiens durchweg negative Konnotationen. Um der Schnelligkeit sowie der militärtechnischen Leistungsüberlegenheit des australischen Kanonenbootes auszuweichen, zögerte das deutsche Schiff mit der Angabe einer falscher Identität und eines falschen Zielhafens ein Gefecht hinaus, um die nun in Reichweite gekommene Sydney mit ihren Geschützen und Torpedos überfallartig unter Feuer zu nehmen. Zahlreiche deutsche Soldaten retteten sich von der ebenfalls in Flammen stehenden Kormoran in die Rettungsboote, von wo aus sie am Horizont bis in die späten Abendstunden einen Feuerball der brennenden Sydney sahen. Für die insgesamt 645 Menschen umfassende australische Besatzungsmannschaft kam jegliche Hilfe zu spät. Erhard Gohdefeld musste sich bei einem Aufenthalt im Bundesstaat Westaustralien bei der Unterhaltung mit den in dieser Region von der Katastrophe direkt betroffenen Australiern mit den Reminiszenzen des deutschen Kriegserbes auseinandersetzen: „Und wenn man in die Gegend [Westaustralien, Anm. d. A.] kommt, da ist eine Schaffarm, eine riesige und wir waren mal da und ich habe mich da mal bei einer, die haben da so ein kleines Eiscremegeschäft, da habe ich mich erkundigt. Da hat die Frau etwas bissig gesagt: ,Na ja, die Deutschen waren ja nicht anständig. They deceived us.‘ Mit anderen Worten, sie sind unter holländischer Flagge gefahren, bis sie dann die deutsche Kriegsflagge hochgezogen haben. Und da gab es dann auch einige Bitternis, weil 600 Mann sind da verschwunden.“40

40 Zitat aus dem Interview mit Erhard Gohdefeld, datiert auf den 06.04.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 325

Jene Verdrossenheit der Australier über die perfiden militärischen Vorgehensweisen bei dieser kriegerischen Auseinandersetzung, die den Tod einer ganzen Schiffsbesatzung zur Folge hatte, trug in erheblichem Maße sowohl zur Manifestation als auch zur Intensivierung des bereits bestehenden Feindbildes bei. Diese, so argumentiert der Direktor des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle an der Saale, Günther Schlee, sind Grundkonstanten für ethnische Konflikte (Schlee 2006: 8f.), die sich aus dem Prozess der Selbstdefinition (Verteidigung der australischen Nation und des Commonwealth, Einstehen für Freiheit und Demokratie) und Fremddefinition (Faschismus, Holocaust, Diktatur, Unterdrückung) generieren und für die jeweiligen Menschen einer so genannten „Abstammungsgemeinschaft“ das Potenzial besitzen, Interpretationen von der bzw. Sichten auf die Welt mit Sinnhaftigkeit und Plausibilität zu füllen. Ethnische Verteufelungen und Spaltungstendenzen innerhalb dieser hier geschilderten Konfliktkonstellation enthielten für die nachfolgenden Migrantengenerationen aus der Bundesrepublik zum Teil so scharfe Konturen, dass dies bei Deutschen die strategische Schutzmaßnahme des identity switching hervorrief: Wurde ein deutscher Auswanderer innerhalb einer diskursiven Zugehörigkeitsaushandlung von einem Australier nach seiner Herkunft befragt, täuschte dieser eine andere Nationalidentität (Österreicher, Schweizer, Niederländer) vor und wechselte für die Dauer dieser intensiven Bedrückung durch den historischen Ballast seine ethnische Gruppenangehörigkeit, was nicht zuletzt die psychische Entlastung beförderte. Auch wenn unter Erwachsenen offene Konfrontationen in den 1950er Jahren eine nur unterschwellige Rolle einnahmen, so waren doch Kinder mit deutschen Eltern besonders anfällig für die Aversionsausbrüche ihrer australischen Schulkameraden. Erkennungsmerkmal und ethnischer Identifikator für die verbale kulturelle Grenzmarkierung entlang von den aus parentaler Warte internalisierten stereotypen Ressentiments durch die australischen Präadoleszenten waren zum einen die in der Pause verzerrte Kost, bei den deutschen Kindern zumeist ein aus Vollkorn- oder Schwarzbrot und nicht, wie in Australien zu dieser Zeit üblich, ein aus Weißbrot bestehendes Sandwich, und zum anderen die oft getragenen Lederhosen. Über diese Ethnizitätsmarker konnte das fremde Gegenüber verortet werden. Geäußerte Invektive wie little Nazi oder little Hitler, verstanden als Stabilisierungen und Funktionalisierungen von ethnischen Differenzzuschreibungen, erschwerten den schulischen Alltag und führen dazu, dass die askriptive Ethnizität der Abstammungsgemeinschaften als Quell von Spannungen, Desintegration und kultureller Fraktionierung konstatiert werden muss. Identitäre Zuschreibungen bzw. nationale Fremdbildkonstruktionen über die Zuzügler aus dem Land des ehemaligen Schreckensregimes erreichten ihren vorläufigen Zenit, wie Walter Sonneck berichtete, im Jahr der Fußballweltmeisterschaft 1966, als England in Wembley gegen die Bundesrepublik in der Verlängerung das Finale gewann. In einem Betrieb mit vorwiegend englischen und australischen Mitarbeitern war Walter Sonneck der einzige Deutsche und musste sich am Tag nach dem Finale nicht nur

326 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ein ganzes, historisch gewachsenes Konglomerat an ethnischen Vorurteilen und Beleidigungen anhören, sondern war zudem die einzige Person, die nicht zur abendlichen Feierstunde in die benachbarten Pubs eingeladen wurde.41 Auch bei den Auswanderergenerationen der 1980er und 1990er sowie bei den Migranten, die Deutschland seit der letzten Jahrhundertwende den Rücken gekehrt haben, ist das Phänomen der Vergangenheitsbewältigung einer der am häufigsten Erwähnung findenden narrativen Aspekte bei der Akkulturation an die Lebensweisen in Australien, denn ein neues soziokulturelles Territorium kann nur dann als zweite Heimat bewohnt werden, wenn der Wanderer zwischen den Kulturen in einem interkulturellen-dialogistischen Ethnizitätsdiskurs – in dem auch die Vergangenheit der Herkunftsgesellschaft zur Debatte steht – eine klare Standortbestimmung vornimmt. Die Frage, wie die Deutschen in Anbetracht der Unermesslichkeit der Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus ihrem kulturellen Erbe begegnen, ist nicht nur einer der zentralsten Aspekte des für diesen kontinuierlichen Verarbeitungsprozess geschaffenen Neologismus „Vergangenheitsbewältigung“, sondern im stärkeren Maße noch ein migrantischer Identifikationsprozess der deutschen Ethnizität in Sydney, da Personen stets über die Interpretationen von Geschichte und von Geschichten identifiziert werden (Wertgen 2007: 24). Eine typische und für andere Migrantenerzählungen repräsentative zwischenmenschliche Konfrontationsnarration war Bestandteil eines ethnografischen Gesprächs mit der zum Ende der 1990er Jahre nach Sydney gekommenen Arbeitsemigrantin Bettina Rößler: „Ein drastisches Beispiel habe ich nur einmal erlebt. Da waren wir irgendwo auf dem Land und da hat uns einer verbal angegriffen, weil wir Deutsche sind und uns mehr oder weniger als Nazis bezeichnet, ohne dass wir jetzt irgendwie eine Interaktion hatten. Also einfach nur aus dem deutschen Akzent heraus, was man aus unserer Sprache raushört. Das war dann schon so ziemlich extrem. Wir haben dann darauf reagiert zu sagen: Ja, es ist ein wichtiges Thema und es sei unglaublich wichtig, auch in der Verantwortung unserer Generation, dafür zu sorgen, dass so was nie mehr wieder passieren kann. Und dass es ganz toll sei, dass Leute heute in die ganze Welt reisen und Kontakte haben und Freunde jeder Nation und Religion

41 Dorothea Prechtel lebte vor ihrer Immigration über Südafrika nach Sydney während der Fußballeuropameisterschaft 1996 in England und sah sich aufgrund der in der Boulevardpresse angeheizten Stimmungsmache gegen die Deutschen am Tage des Halbfinales gezwungen, ihr Auto nicht vor dem Haus stehen zu lassen, sondern in der sicheren Garage zu parken, da die Nachbarschaft wusste, dass der sportliche „Erzfeind“ direkt nebenan wohnt. Aufmacher der Sensationspresse riefen vor dem alles entscheidenden Spiel den Kampf der Kulturen aus, titelten mit Kriegsmetaphorik, präsentierten Symbole wie teutonische Hunnenhelme, bajuwarische Bierhumpen und verkündeten: „Achtung! Surrender! – For you Fritz, ze Euro 96 Championship is over“ (Hüetlin 2007: 74).

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 327

haben und auch diese Toleranz und die Wertschätzung des Anderen da ist. Da war er dann einfach nur still, damit konnte er halt gar nichts anfangen, er hatte aber auch schon einige Biere getrunken.“42

Der soziale Interaktionsraum bzw. das Milieu, in dem die verbalen Attacken gegen Deutsche und ihre Vergangenheit geäußert werden, ist auffällig oft der Schankraum eines der Öffentlichkeit zugänglichen Pubs43, wo in einer bierseligen Stimmung und durch Alkoholgenuss hervorgerufener Überschwänglichkeit rationale Bewertungsmuster außer Kraft treten und sich Australier zu einem artikulierten Seitenhieb auf das deutsche Erbe hinreißen lassen. Von weiterem Interesse bei der oberen Interviewpassage ist die reflexive Reaktion auf die Verunglimpfungen. Als promovierte Biologin durchlief die Migrantin Bildungsinstitutionen wie Schule und Universität und wurde somit in einem gesellschaftlichen Milieu sozialisiert, in dem der Terminus „Vergangenheitsbewältigung“ spätestens seit 1955 im allgemeinen Sprachgebrauch sowie als Leitkategorie in der pädagogischen Didaktik zwecks der Erziehung von Folgegenerationen fest verwurzelt war. Rößler argumentiert aus der Perspektive eines in ihrer Herkunftskultur etablierten gesellschaftlichen Entscheidungsprozesses für die tragfähige Geschichtstradierung von Kernwerten wie Toleranz, Respekt, Verantwortung und Humanität, so dass die zunächst auf der Seite des australischen Gegenübers lokalisierbare Machtposition im Zuge der vorgeblich eloquent-argumentativen Lösung dieser heiklen Situation stetig auf die Seite der anfänglich Stigmatisierten diffundiert. Der Auslöser dieser konfliktträchtigen Differenzsituation, der nachträglich „einfach nur still“ ist, der „zum Schweigen gebracht wurde“ (Bönisch-Brednich 2002: 252), sinkt in der Machthierarchieebene, weil ihm scheinbar die Argumente ausgehen, er intellektuell oder aufgrund des Alkoholgenusses nicht mehr in der Lage ist, kompetent seinen Standpunk zu vertreten. Narrativ wird diese Begebenheit des Kulturkontaktes nach dem Zuschnitt eines asymmetrischen Machtgefälles konzeptionalisiert, als dass die Repräsentantin dieser erzählenswerten, die ethnischen Grenzen aushandelnden Geschichte aus dem lebensweltlichen Alltag nachträglich darin einen für das eigene Kollektiv positiven Verlauf sieht und dass sie aus dieser mit einer gestärkten, neuerlich redefinierten wie vergegenwärtigten ethnischen Identitätsvergewisserung hervorgeht. Das heißt, das in Australien konstruierte, vorurteilsbeladene und über Zählebigkeit verfügende Fremdbild von einer bis in die Gegenwart Gültigkeit besitzenden Vorstellung, jeder

42 Zitat aus dem Interview mit Dr. Bettina Rößler, datiert auf den 08.08.2008. 43 „Ich bin früher mehr in die Kneipen gegangen als heutzutage. Es gab da schon Fälle, wo sie [die Australier, Anm. d. A.] da ,Heil Hitler!‘ plötzlich riefen von der anderen Seite vom Tresen.“ Zitat aus dem Interview mit Ludger Heidershoff, datiert auf den 01.04. 2008.

328 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Deutsche sei gleichzeitig auch ein Nazi bzw. würde bestimmte, mit dem Nationalsozialismus assoziierte Verhaltensweisen als pränatale Disposition in Blut und Genen tragen44, was gleichzeitig als ein Indikator für das graduelle Fortbestehen von Nazideutschland angeführt wird, ist die Migrantin durch Taxonomien ihrer Ethnizität, sprich kulturrelevanten Erziehung, Bildung und einer aus der NS-Vergangenheit erwachsenen Sensibilisierung für den Umgang mit dieser, in den Stand versetzt, jenes unter (nicht minder sinnstiftender) Komplexitätsreduzierung konstruierte Fremdbild über den Deutschen einer Korrektur zu unterziehen. Besonders intensive Diskussionen über die Präsenz des historischen Erbes deutscher Migranten im australischen Alltagsgeschehen ergaben sich im Gespräch mit dem habilitierten Historiker Horst Gilbert, der die dichotomen Bewertungsmuster des Militärischen zwischen seiner Entsende- und seiner Empfängerkultur unterstrich: „Und die Deutschen mit unserem, na ja, so nach dem Motto, ja gut, ich sag mal dieses ganze Militärische, dieser ANZAC Day. Das ist ja für uns Deutsche ganz weit weg, das geht weiter mit diesen Uniformen in den Schulen. Das gab es ja auch mal in Deutschland, da sind die Kinder auch mal mit Uniformen rumgelaufen. Kommt alles nicht so gut an. Und dadurch, dass wir da diesen Weltkrieg, den Zwoten, verloren haben und den Holocaust mit uns rumtragen, sind natürlich Sachen bei uns ganz anders besetzt als für die Aussies.“45

Der Gewährsmann führte bei seinen Angaben zur Vergangenheitsbewältigung aus, dass bei seinen Aussagen stets die Stimme des an der German International School Sydney arbeitenden Geschichtslehrers mitschwinge, dem von der australischen Regierung, genauer gesagt vom Department of Education von New South Wales, in Bezug auf die im Unterricht vermittelten Kenntnisse über die Historie von Australien und Deutschland verbindliche Richtlinien auferlegt werden. Als noch junge Nation legt Australien verständlicherweise großen Wert auf die Militärgeschichte des Ersten Weltkriegs, da das Australian and New Zealand Army Corps mit seiner Schlacht um Gallipoli in den Dardanellen einen der bedeutendsten Markpunkte der nationalen Identitätskonstruktion darstellt. Insbesondere bei dem Aushandlungsprozess über die zu vermittelnden Geschichtsinhalte, so Gilbert, gab es in der Vergangenheit zwischen der australischen Bildungs- und Schulbehörde und der Deutschen

44 Mit dem Verweis auf unverrückbar festgeschriebene biologische Termini wie „Blut“ und „Gene“ gehen vermeintlich „natürliche“, „objektivierte“, „homogene“ und „universalistische“ Determinanten in die Argumentation um Ethnizität ein, die jedoch als kulturelle Instrumente zur Verfestigung ethnischer Grenzen verstanden werden müssen. 45 Zitat aus dem Interview mit Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 329

Schule stets „den meisten Knatsch“46, weil bei diesen ethnischen Oppositionssystemen die kulturellen Interessen darüber weit auseinanderklaffen, was historisch aufgearbeitet werden muss und was in welcher Art und Weise als Erinnerung im kulturellen Gedächtnis der ethnischen Gruppe gespeichert wird. Kurz formuliert: Kulturell tradierte Bewertungsmuster, Wissensvorräte und Deutungsmechanismen über nationale Geschehnisse aus der Vergangenheit bilden hier den Auslöser für Differenzerfahrung. Denn gerade der Geschichtsunterricht besitzt Formelcharakter bei der ethnischen Grenzziehung, weil er als Verewigungsmedium Erinnerungswürdiges des Kollektivs vermittelt, damit kulturelle Sinnmäßigkeiten bewahrt und eine Konstruktion von ethnischer Identität zementiert. Aus der Perspektive des stellvertretenden Schuldirektors werden spezielle Aspekte aus der australischen Nationalgeschichte wie zum Beispiel „irgendwelche japanische U-Boote im Sydney Habour“47 im Zweiten Weltkrieg mit weniger Bedeutungsrelevanz für den Geschichtsunterricht belegt als die Aufarbeitungsbestrebungen und faktischen Realisierungen zur Bewältigung der Gräueltaten des totalitären Regimes. Zwar ist man von Seiten der deutschen Bildungsinstitution bestrebt, Schnittmengen zwischen den nationalen Wissenstraditionen zu finden, wenngleich das Identitätsprofil der deutschen Ausbildungsstätte beim Gegenstandsbereich der Aufarbeitung des Nationalsozialismus besonders die europäische Geschichtslandschaft in den Fokus ihrer interessengeleiteten didaktischen Anstrengungen rückt, die eine gesellschaftliche Konsensfähigkeit dieser historischen Interpretationen bei ihrer hauptsächlich aus Deutschland kommenden Klientel etablieren möchte, um daraus Konsequenzen für das spätere ethnisch-moralische Handeln zu erreichen. Weniger Relevanz werden bei der gegenwärtigen didaktischen Tradierung wie auch bei der ethnischen Identitätszuschreibung den in das australische Geschichtsbewusstsein inskribierten Signifikanten beigemessen. Unhinterfragt zählen die Bombardierung der Städte Darwin und Sydney, die Landung japanischer Streitkräfte in Timor sowie die Verteidigung der australischen Nation gegen die japanische Einnahme von Port Moresby in Papua Neuguinea auf dem Kokoda Trail zu den zentralen wie gesellschaftlich etablierten Erinnerungsmanifesten des letzten Weltkrieges und sind zudem Säulen des kulturellen Gedächtnisses der australischen Nation. Diese besitzen jedoch eine geringere Gewichtung innerhalb der schulischen Sozialisation bei der German International School Sydney, da ausschließlich den deutschen Erinnerungssignifikanten die Funktion innewohnt, stets als eine Reaktion auf vergangene Geschehnisse ihre Kraft zur Erziehung mündiger Schüler zu generieren und eine sich aus der ethnoterritorialen Vergangenheit ableitende Ethnizität herzustellen. Historische Ereignisse, die nicht im deutschen Erbe stehen, besitzen

46 Ebd. 47 Ebd.

330 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

schlicht und ergreifend in der didaktischen Unterweisung kaum bis gar keine Qualität, Prüfsteine für den Umgang mit der problembeladenen und schuldhaften deutschen Vergangenheit zu sein, aus deren moralischen Handlungsableitungen nicht zuletzt die deutsche ethnische Identität im fremdkulturellen Umfeld als ein sinnkonstituierendes Konstrukt hervorgeht. Allein aus dem Sachverhalt, dass Unterrichtsinhalte von einem australischen Regierungsapparat zentraldirigistisch aufoktroyiert werden müssen, weil ihnen ohne jene Direktive aller Wahrscheinlichkeit nach eine stiefmütterliche Behandlung zukommen würde, zeigt eindrucksvoll, wo in der Alltagskultur das von Brigitta Schmidt-Lauber bezeichnete praxeologische doing von Grenzen (Schmidt-Lauber 2006: 380) zum Vorschein kommt und wie das aus dem alten Heimatland mitgebrachte kulturelle Gepäck sowohl bei Lehrern als auch bei Schülern diesen Prozess maßgeblich bestimmt. Der Anspruch auf die kulturelle Selbstkonstruktion der ethnischen Vergangenheit sowie der Umgang mit diesem Trauma etabliert eine Demarkationslinie zwischen deutschem und australischem Verständnis von Memorieren, an deren konturreichen Berührungsflächen kulturelle Diskontinuitäten markiert und ethnische Differenzen produziert werden. Grenzziehung, Segregation sowie die Beharrung auf einer kulturellen Eigenart bei der Vergangenheitsbewältigung, die ausschließlich anhand von kontinuierlichen „hermeneutisch-moralischen Diskursen über Geschichtsinterpretation und Identitätszuschreibung“ (Wertgen 2007: 362) ihr Leistungspotenzial entfalten kann, gehen einher mit der Herstellung von Überschaubarkeit, der Schaffung von Identitätsordnungen und ethnischen Zugehörigkeiten, für die der Preis der gruppenspezifischen Exklusion aus dem Anforderungsprofil der Dominanzkultur zu entrichten ist (Hartmann 2000: 13). An mehreren Stellen des Gesprächsverlaufs wurden die dem Tradierungsprozess „Vergangenheitsbewältigung“ unterliegenden Grundprämissen der intergenerationalen Erinnerungsarbeit zum Ziele eines aufgeklärten ethisch-humanen Handelns als existenzielle Paradigmen pädagogischer Bestrebungen deklariert. Insbesondere weil sich der Großteil der deutschen Migranten dazu verpflichtet fühlt, zwecks einer nachhaltigen Gestaltung von Gegenwart und Zukunft zur Erinnerung sakralisierte Präferenzordnungen von Generation zu Generation weiterzugeben, um dadurch eine Solidaritätsbekundung mit Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus zu kommunizieren, stoßen diese die australischen Qualitätsanforderungen an den Geschichtsunterricht graduell unterwandernden Selektionsprozesse des zu Erinnernden von Seiten der deutschen Community auf eine breite Fürsprache. Hinter Imperativen wie „Nie wieder!“ steht die selbstauferlegte Pflicht zur Erinnerung und die Ergreifung von Maßnahmen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Schließlich geht es hier um nichts Minderes als um das kulturelle Gedächtnis einer „ganz besonderen Abstammungsgemeinschaft“, für deren Traditionen und ihre wertbeladenen wie identitätsstiftenden Sinninhalte es einzustehen gilt. Vergegenwärtigung, repetitive Problematisierung sowie die Präsentation von konsensfähigen Geschichtsnarrationen zum und über das Dritte Reich und dessen

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 331

Konsequenzen für das deutsche „Tätervolk“ bis weit in die unmittelbare Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts können als „strukturelle Notwendigkeiten“ aufgefasst werden, ohne die die Überlieferung der sich aus der historischen Aufarbeitung ableitenden Werte und Bedeutungen zusammenbräche. Dieses offene Bekenntnis zum selektiven pädagogischen Auftrag von Horst Gilbert trägt dazu bei, dass die mit einer bestimmten Symbolik aufgeladenen Termini nicht im Unendlichen verlaufen; und es führt nicht zuletzt dazu, dass Vergangenheitsbewältigung zu einem wieder erkennbaren Kulturmuster wird sowie als Element eines im ethnischen Kollektiv gestalteten Kulturphänomens identifizierbar ist. Als argumentative Reaktion auf die direkte verbale Konfrontation mit der belastenden deutschen Vergangenheit, hier explizit auf die Schreckenstaten des Holocausts, behelfen sich zahlreiche deutsche Auswanderer mit einem genozidalen Vergleich, der das unermessliche Grauen teils schmälern bzw. in Relation zu anderen Verbrechen präsentieren soll. Dabei bedienen sich die Mitglieder der Untersuchungsgruppe aus einem heterogenen Panoptikum von zwischenmenschlichen Gewaltausbrüchen, kriegerischen Auseinandersetzungen und ethnischen Säuberungen mit historischem Wahrheitsgehalt, bei denen mit besonders brutalen Methoden Menschen oder Gruppen liquidiert wurden. Als besonders ergiebig für die migrantische Gegenrede bzw. Kontrainterpretation der Geschichte erweist sich die koloniale Expansionspolitik des ehemaligen britischen Commonwealth aus dem 18. und 19. Jahrhundert, dem ebenfalls Praxisformen der Unterjochung und Auslöschung menschlicher Lebensformen nicht fremd waren. Walter Sonneck setzte in einer kommunikativen Auseinandersetzung mit seinem australischen Arbeitskollegen anglosächsischer Provenienz jene deutschen Geschehnisse von 1933 bis 1945 mit den Ereignissen der britischen Kolonialzeit in Relation: „Und dann ist das ja immer gekommen mit dem Holocaust. Dann kam er [der Arbeitskollege, Anm. d. A.] immer mit dem Holocaust, das haben sie ja hier früher noch viel mehr gezeigt. ,You bloody Germans, what have you done to the Jews?‘ ,Jetzt will ich dir mal etwas sagen, du kennst ja Tasmanien?‘, habe ich dann zu ihm gesagt. ,Yea, what about? What about Tasmania?‘ ,Da haben mal Aborigines gelebt und jetzt ist da nicht mehr einer, denn die habt ihr alle umgebracht‘, sagte ich. ,Die habt ihr vergiftet und die habt ihr erschossen und den Rest habt ihr zu den Inseln transportiert, wo sie verhungert sind‘, sagte ich. Das ist nur eine Sache. ,Und was habt ihr hier für eine policy in Australien gegen die Aborigines. Ihr seid raus aufs Land gefahren und macht fox hunting und schießt Aborigines. Das ist, was ihr macht. Und jetzt geh mal nach Südafrika und frag mal einen Buren oder einen Südafrikaner über die Geschichte von Südafrika. Ihr habt die ersten Konzentrationslager gehabt in Südafrika. Weil ihr den Burenkrieg nicht gewinnen konntet, der Kitchener war der General, der englische, und die Buren haben eine Taktik gehabt, nämlich angreifen und verschwinden. Da hat er eine Taktik genutzt, also die Frauen und Kinder von den Buren in Camps reingesteckt und ver-

332 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

hungern lassen. Und die Buren haben sich nachts ran geschlichen und die Frauen haben ihnen alles erzählt, wer gestorben ist. Solange, bis sich die Buren ergeben haben.‘ Und da habe ich gesagt: ,Und so habt ihr den Burenkrieg gewonnen.‘ Dann sind sie im Betrieb rumgegangen und haben gesagt: ,Don’t talk to Walter about this thing.‘ Also die haben die message mitgekriegt. Weil, geht doch mal nach Indien, ich sagte dann zu ihm: ,Ein Drittel der Welt habt ihr kontrolliert und jetzt willst du mir sagen, dass ihr hingegangen seit und have a cup of tea together and tomorrow we are here the bosses.‘ Die haben mit mir dann kaum noch gesprochen, mir war es ja recht gewesen. So ist man als Deutscher einer permanenten Belastung ausgesetzt und heute ja auch noch, das wirst du ja im Fernsehen alles selber gesehen haben.“48

Die von den Migranten in den Gesprächen präsentierten relativierenden Erzählmuster – seien es nun die von General Kitchener während des Zweiten Burenkriegs angewandte Strategie der „verbrannten Erde“, die darauf abzielte, den Gegner durch das Verbrennen seiner Erntefelder auszuhungern und Farmbewohner in Konzentrationslager zu internieren, oder die mit auffallender Regelmäßigkeit erwähnte Dezimierung der Population der Ureinwohner unter Anwendung bestialischer Methoden auf dem australischen Festland sowie in Tasmanien – unterliegen einer generellen Austauschbarkeit, wenngleich ihre Funktion stets auf die kurzzeitige seelische Beruhigung verbreitende Gewissheit abzielt, dass die Australier bzw. Briten im metaphorischen Sinne auch „blutige Hände“49 besitzen und durch die Diskriminierung bzw. vorsätzliche Tötung der Aborigines50 (Baur 2009: 303) auch „einen dunklen Fleck in der Geschichte“51 vorzuweisen haben. Die Enthumanisierung der Ureinwohner wird von Walter Sonneck in der besonders brutalen und rücksichtslosen Form der Menschenjagd versinnbildlicht, die im kolonialen Zeitalter des Fünften

48 Zitat aus dem Interview mit Walter Sonneck, datiert auf den 21.04.2008. 49 Zitat aus dem Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08.2008. 50 Das Schicksal der australischen Ureinwohner, für die sich auch nach einer mehrere Jahrhunderte andauernden Diskriminierungspolitik in der australischen Gegenwart nur bedingt ein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein herausgebildet hat, wird von den Auswanderern in Oppositionen gesetzt zu der indigenen Bevölkerung der Maori auf den östlichen Nachbarinseln Neuseelands. Dort sind indigene Sichten auf die Welt integrativer Bestandteil der neuseeländischen Gesellschaft, die Kinder lernen die Sprache in der Schule und die Rugbynationalmannschaft, die so genannten All Blacks, führen den rituellen Kriegstanz haka als zeremonielle Einstimmung auf jede bevorstehende sportliche Begegnung. 51 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 333

Kontinents eine männliche Freizeitbeschäftigung war.52 Eine binäre Konzeptionierung der Welt, so argumentiert die migrantische Selbstrelativierungsperspektive über völkermordähnliche Massenverbrechen, sei auch ihrer jetzigen Residenzgesellschaft nicht fremd, da eine kategorische Dichotomisierung (zwischen Menschen und Unmenschen, Christen und Ungläubigen, Weißen und Schwarzen sowie Kolonisatoren und Unterjochten) das ideologisch konstruierte Grundgerüst bei der asymmetrischen Machtausübung bereitstellte. Bei der globalen Beweisführung für die Zeit und Raum überspannenden Praxisformen des Genozids werden Länder wie Somalia, Ruanda, Argentinien, das ehemalige Jugoslawien und vor allen Dingen China als Exempel angeführt, wobei bei Letzterem stets die Quantität hervorgehoben wurde, da dort Millionen von Regimegegner umgebracht worden seien. Es werden nicht von der Hand zu weisende Bezugslinien zwischen Konzentrationslagern und dem mandatory detention centre in Villawood, einem östlichen Vorort von Sydney, hergestellt, wo Einwanderer und Flüchtlinge mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus gegen ihren Willen und zumeist unter der menschlichen Würde anzusiedelnden Lebensverhältnissen ihr ungewisses Dasein zwischen dem Verbleib in Australien und der Abschiebung fristen. Auch wenn der genozidale Vergleich sowohl einen praktikablen als auch einen in vielen Fällen verwendeten kognitiven Denkhorizont zur temporären Besänftigung des durch die permanente und unangenehme Belastung in Sydney erzeugten Gemüts verkörpert, so wird von den liberal denkenden deutschen Auswanderern der Tatbestand keineswegs unterminiert, dass der Shoah in mehrerer Hinsicht Einzigartigkeitscharakter zukommt und inkommensurabel mit jedem anderen barbarischen Massenverbrechen aus der Vergangenheit sei. Dies ist allein deswegen der Fall, weil Tötungen per staatlicher Direktive systematisiert, bürokratisiert, ja sogar nahezu industriell durchgeführt wurden. Als Staatsbürger bzw. Repräsentanten des ehemaligen enemy insistieren einige Auswanderer aus Deutschland auf der Singularität der Massaker, die gerade nicht auf einer Ebene stattfindet, auf der Leid verglichen und gegeneinander aufgerechnet wird.

52 Palmer führt dazu in ihrer Publikation zum kolonialen Genozid einen Augenzeugenbericht an: „There are instances when the young men of the station have employed the Sunday in hunting the blacks, not only for some definite purpose, but also for the sake of the sport.“ Zur Legitimierung dieser gängigen Praxis, die Menschen mit Tieren gleichsetzte und aus rein sportlicher Motivation heraus zum Abschuss freigab, zitiert die Autorin aus der damaligen Zeitung The Queenslander: „And being a useless race, what does it matter what they suffer any more than the distinguished philanthropist […] cares for the wounded half dead pigeon he tortures at his shooting matches. ,I do not see the necessity‘, was the reply of a distinguished wit to an applicant for an office who remarked that ,he must live‘, and he virtually and practically say the same to the blacks“ (Palmer 2000: 44f.).

334 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Des Weiteren wird das Massenkommunikationsmedium Fernsehen für eine nahezu allwöchentliche Präsenz der deutschen Vergangenheit im Alltag von den Migranten verantwortlich gemacht. Filme und dokumentarische Berichterstattungen über kriegerische Auseinandersetzungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aus denen Deutsche stets als Verlierer ins Bild gesetzt werden und als eine reale Gefährdung demokratischer Strukturen und zivilisatorischer Errungenschaften der Menschheit hervorgehen, werden auch bei den seriösen öffentlich-rechtlichen australischen Fernsehkanälen in einer hohen Frequenzabfolge ausgestrahlt, so dass Auswanderer aus der Bundesrepublik in einem nahezu klagenden Ton diesem Phänomen machtlos gegenüberstehen. Dokumentationen mit Titeln wie Hitler’s Vassals, Hitler’s last Days, The Bunker und Inside Auschwitz sowie Filme wie The Desert Fox oder The One That Got Away befriedigen ein für die hierin geschilderten Geschichtsthematiken affines australisches Publikum und transportieren gleichzeitig das den Deutschen eine psychische Bürde auflastende historische Erbe in gleichbleibender Regelmäßigkeit in die private häusliche Sphäre. Aufgrund dieser Allgegenwärtigkeit von bedrängenden Geschichtsinterpretationen sieht sich die ethnische Gruppe der in Sydney lebenden Deutschen einer regelrechten Stigmatisierung angesichts ihrer blutbefleckten und unentschuldbaren Herkunft ausgesetzt und nimmt in diesem auf medialer Ebene ausgetragenen Diskurs der australischen Mehrheitsgesellschaft eine marginalisierte Stellung ein. Denn den einmal mehr, einmal weniger der authentischen Beweisführung verpflichteten Dokumentationen der öffentlichen wie privaten Fernsehanstalten wohnt laut den Aussagen der Befragten zunächst die massenmediale Potenz inne, etablierte Fremdbilder über die bloody Germans zu manifestieren. Jedoch können sie auch vermittels ihrer dekonstruktivistischen Perspektive stereotype Assoziationen über und kulturelle Barrieren zu der ethnischen Minderheit aufsprengen. Als Grundkonstante muss jedoch konstatiert werden, dass die Rezeption dieser medialen Beiträge den deutschen Migranten in eine Art seelischen synkopischen Ohnmachtszustand versetzt, in dem die eigene Identität nicht nur zur Debatte steht, sondern pathogene Züge zu entwickeln im Stande ist. „Also, ich muss jetzt ehrlich sagen, das überrascht mich, weil, ja, es kann auch sein, dass ich mich in falschen Kreisen bewege, aber viele interessieren sich für den Nationalsozialismus hier in Australien, von der Geschichte her. Gerade der Zweite Weltkrieg, das fasziniert die unheimlich. Weil, wenn du SBS guckst oder ABC, da kommt immer etwas über Hitler und die Nazis. […] Aber dann diese Massenexekutionen der Juden und Sinti und was es alles noch war, Homosexuelle, Sozialisten. Nein, dann muss ich abschalten. Ich meine, heute kann ich es mir vorstellen, auch geschichtlich. Ich war in München, in Dachau. Da habe ich das erste Mal, weil ich das immer vermieden habe, ich konnte das einfach nicht, da bin ich hingegangen und bin durch das Museum gelaufen und habe dann auch gelesen, dass sie Versuche gemacht haben. Kinder in den Hof gestellt und nass gespritzt, um zu sehen, wann sie erfrieren

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 335

und solche Sachen. Und dann hast du selbst Kinder, und wenn du dann so was hörst, das macht dich verrückt. Den Gedanken willst du gar nicht aufnehmen, weil es zerreißt dich. Solche Sachen kann ich dann auch nicht, da muss ich wirklich abschalten.“53

Marion Schumacher berichtete für die Zeit der 1970er Jahre von ihrem Ehegatten, der als Minenarbeiter besonders dann leidvoll in Erfahrung bringen musste, von seinen australischen Arbeitskollegen als Deutscher identifiziert zu werden, wenn am vorhergehenden Abend im australischen Fernsehen Filme über den Zweiten Weltkrieg zu sehen waren. „Dann haben die gesagt: ,Ja, wir haben euch wieder gesehen.‘ Und das war täglich. Jedes Mal, wenn er abends einen Film zu diesem Thema schaute, dann sagte er gleich: ,Morgen werde ich es wieder hören. Ich werde ihn mir besser mal gleich angucken, damit ich morgen meine Abwehrkanonen aufstellen kann.‘“54

Für die Ubiquität dieser visuellen Kriegsthematiken auf australischen Spartenkanälen bzw. die Überhäufung des medialen Konsummarktes mit Geschichte aus dem Dritten Reich, in denen Gewalt, Vernichtung, Menschenpein und Brutalität dominierten, existieren in der Gemeinschaft der deutschen Auswanderer zwei Erklärungsansätze. Zum einen leite sich diese Affinität aus Ergebnissen von Marktumfragen ab, denn in der Medienbranche sind nur die Formate erfolgreich, die auch genügend Zuschauer binden. Gerade die systematische Menschenvernichtung birgt mit dem Protagonistengespann Hitler und Himmler ein schier unerschöpfliches Potenzial an Grausamkeiten und historischen Obszönitäten in sich, die das emotionalisierte Publikum gleichzeitig beängstigen, fesseln, schockieren und nicht selten faszinieren. Geschuldet sei diese Dichte von Gewalt und Aggressivität in der massenmedialen Kultur vor allem ihrer verschwiegenen Anziehungskraft, wobei ein entscheidender Faktor darin zu suchen sei, dass sie den Betrachtern „sinnlos“ erscheine, es sich um reine, keine Regeln besitzende und dem Exzesscharakter folgende Brutalität handele und zudem aufzeige, wie viel Böses im Menschen verborgen sei (Platt 2002: 13). Die die „australische Nationalseele ansprechenden Dokumentationen“55 sind an dieser Stelle zugleich immer auch als Offerten einer implizierten Selbstvergewisserung der australischen Gesellschaft zu verstehen, weil sie Unbekanntes und Unvertrautes, Fremdes und Fremdgewordenes optisch darstellen. Die mediale Sichtweise auf Ereignisse wie Deportation und Todesmärsche oder einer breiten Masse kaum bis nicht disponible Wissens-, Objekt- und Praxisbestände sind

53 Zitat aus dem Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08.2008. 54 Zitat aus dem Interview mit Marion Schumacher, datiert auf den 20.04.2008. 55 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

336 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

durch die damit verbundene Abgrenzungs-, Integrations- und Verstehensleistung immer auch Kennzeichen des eigenen Selbstverständnisses vieler Australier. Im Zuge dichotomer Perspektivierungen sowie der Produktion ethnischer Demarkationslinien, die jenem Prozess des othering eingeschrieben sind, manövrieren die Perzipienten der medialen Inszenierung den barbarischen, das Recht auf Freiheit und Unversehrtheit jedes Einzelnen untergrabenden Deutschen in die „nicht zivilisierte Fremde“ und rekurrieren im gleichen Atemzug bei der Verfestigung ihres abstammungsgeschichtlichen Eigenbildes darauf, dass Australien während des Zweiten Weltkriegs als Verteidiger von zivilisatorischen Leistungen und demokratischen Strukturen auftrat. Das dialektische Mäandrieren zwischen Zivilisation und Barbarei ist somit als integraler Bestandteil des komplexitätsreduzierenden Verstehens des eigenen sinnweltlichen Kosmos aufzufassen. Ein solch gearteter Zuschnitt der kulturellen Repräsentation ruft unwillkürlich Bilder von den im europäischen Kontext zu Beginn des 20. Jahrhunderts Popularität besitzenden Völkerschauen in Erinnerung, die gleichermaßen über ein Kontinuum von „fremdländischen Kuriositäten“ Schaulustige zu einer identitätsstiftenden Grenzziehung zwischen kultureller Eigenund Fremdverortung animierten. Zum anderen kommt eine Begründung für die nicht enden wollende Herstellung jener massenmedialen Genres zur Thematik der ethnozidären Praktiken des Nationalsozialismus zum Tragen, die davon ausgeht, dass insbesondere einer jüdischen Lobby56 viel daran gelegen sei, den Deutschen, aber auch der gesamten Weltgesellschaft in authentischer Weise und in einem zeitlich nicht determinierten Vorgang vor Augen zu führen, was in den wenigen Jahren des Tausendjährigen Reichs in Europa geschehen ist, um in jedem Menschen einen Lernprozess freizusetzen, der durch kontinuierliche Erinnerungsarbeit das kollektive Vergessen verhindert oder wie es Jean-Michel Chaumont fasst: „das Bemühen um die Bewahrung einer Erinnerung, aus der wirksame Lehren zu ziehen sind“ (Chaumont 2001: 288).

56 Weil im unmittelbaren Kontext dieses Beweisführungsansatzes das Wort „Industrie“ Verwendung fand, schwingt unweigerlich die ideologisch aufgeladene und in Zweifel gezogene These des US-amerikanischen Politologen Norman Finkelstein mit, die davon ausgeht, dass ein Kartell von Institutionen, Organisationen und Personen mit der Instrumentalisierung des jüdischen Leids bzw. deren Gedenkkultur ausschließlich ihre politische wie ökonomische Profitgier befriedige. Die in Finkelsteins Publikation Holocaust Industrie beklagte Intensivierung der Erinnerungsarbeit mit gleichzeitiger Zunahme der zeitgeschichtlichen Entfernung von der Shoah griff ein kleiner Prozentsatz der Gewährspersonen auf und gab zu verstehen, dass die massenmediale Berichterstattung über „das deutsche Trauma“ letztendlich eine Disqualifizierung des deutschen Volkes befördere, was nicht zuletzt als eine Artikulation des Verlangens nach einem Schlussstrich unter die Gedenkarbeit interpretiert werden kann.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 337

Die deutschen Gäste im Hotel von Basil Fawlty geben ein nicht minder repräsentatives Zeugnis davon ab, wie Deutsche im Ausland auf die teils humoresken, teils ernst gemeinten Anspielungen britischer bzw. anglosächsischer Mitmenschen reagieren. Diese Spannbreite der Gefühlsregungen reicht von der ersten Bestürzung über die verbalisierten Indiskretheiten über aggressive Reaktionen bis hin zu verzweifelter Resignation und Kapitulation. Doch eins wird besonders deutlich: Zu einem erheiternden Lachen fühlte sich keiner der Deutschen animiert. „Lachen tötet die Furcht“, lässt Umberto Eco in seinem Roman „Der Name der Rose“ den ehrwürdigen Herrscher über das labyrinthartige Universum der Abteibibliothek und Verteidiger der (Erinnerungs-)Tradition Jorge von Burgos sagen, der im Zweiten Buch der Poetik des Aristoteles jenen Sündenfall erkennt, diese Schrift als gefährliches abendländisches Wissen vor der Entdeckung durch den Protagonisten William von Baskerville zu bewahren sucht und damit nicht zuletzt seinen (theologischen) Entwurf von Sinnwelt absolut setzt. In der australischen Kultur kommt dem aus britischen und irischen Wurzeln erwachsenen Humor eine besondere Stellung zu. Fluchen, Beschimpfungen von harmloser Machart und grobe Ausdrucksweisen erfreuen sich eher gesellschaftlicher Akzeptanz, als dass sie direkte Sanktionen nach sich ziehen würden. Kulturelle Abweichungen treten dann in Erscheinung, wenn die Wanderer zwischen den Kulturen mit ihrer hochsensibilisierten bzw. professionalisierten Sensorik bezüglich der Bewältigung ihrer traumatisierten Vergangenheit überfallartig auf die scherzhaften, nicht ernst gemeinten und zur allgemeinen Heiterkeit beitragenden Witze und doppeldeutigen Kommentierungen ihrer Mitmenschen treffen. Alltagssituationen, in denen deutsche Auswanderer auf einer eher humoresken kommunikativen Ebene auf ihr historisches Erbe angesprochen werden57, sich der Titulierung als bloody German ausgesetzt sehen und mit Sieg Heil! inklusive Hitlergruß willkommen geheißen werden, gehören zu den zentralen und kontinuierlich wiederkehrenden Elementen in der Diaspora. Denn gerade die Reaktion der Immigranten aus der Bundesrepublik auf diese von australischer Seite mit Heiterkeit unterlegten Kommunikationssituationen, die durch Sprachlosigkeit, betretendes Schweigen und argumentative Ausweichmanöver charakterisiert sind und in den seltensten Fällen ein Lächeln hervorrufen, demonstrieren ohne Zweifel, dass sie nicht dazugehören bzw. dass sie in diesem Kontext als Außenseiter am peripheren Rand der australischen Gesellschaft stehen. In den Ausführungen von Barbara Bartel wird dies näher veranschaulicht:

57 Der britische Politiker Michael Portillo äußerte sich zum scherzhaften Umgang der Briten über den Nationalsozialismus folgendermaßen: „Somehow, too, it is true that we find the Third Reich funny […] and it is a remarkable feature of the British psyche that we are still laughing about the Nazis“ (zitiert nach Ramsden 2006: 385).

338 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Mein Mann hat es schon öfters. Ja, das stört ihn schon und da hat er sich teilweise schon extrem drüber aufgeregt. Er hatte zum Beispiel einen Fall, in seinem Team ist ein jüdischer Mitarbeiter und dann kam halt die Rezeptionistin an einem Abend mal an, wo sie gemütlich zusammensaßen bei ihren Bieren, und sagte dann so: ,Ach Martin, hast du eigentlich Probleme damit, dass der Andrew jüdisch ist?‘ Und mein Mann wäre da fast vom Stuhl gefallen. Wie kann man denn so dreist sein und da hat er sich richtig drüber aufgeregt und geärgert auch. Im ersten Moment war er so platt dann, weil die das so sagte, aber natürlich war die erste Reaktion: ,Nein, wieso soll das ein Problem sein, es ist mir doch egal, was für einen Glauben er hat.‘ Er meinte dann auch, es war ihm einfach unangenehm. Und er hat auch schon Witze gehabt. Sein Chef hat sogar schon irgendwann mal zu ihm gesagt, was er auch erst im Nachhinein erst verstanden hat, so nach dem Motto, man kann nicht jeden in die Gaskammer schicken. Da hat er im ersten Moment gar nicht verstanden, bis es dann so durchsickerte. Und da hat er ihm kurz danach auch gesagt, das fand er nicht angebracht und der Chef hat sich dann auch entschuldigt. […] Wir waren hier auch mal beim australischen Militär. Ein Mann von einer Bekannten, der ist Soldat und der lud uns dann ein zu so einem spaßigen Vormittag, wo man mit einem australischen Panzer fahren durfte. Uns gehörte sozusagen das ganze Militärgelände. Und dann erklärte er uns, was die für Kampfstrategien und Kriegstaktiken lernen und berichtete auch stolz, dass sie das alles, ja wie das bei Hitler war und wie das bei Rommel war, das wäre ja so vorbildlich gewesen, bla, bla, bla. Und dann erklärte er uns das. Und wir standen dann da und fragten uns: Das seht ihr als vorbildlich an? Und das lernt ihr hier? So was kann man als Deutscher eigentlich gar nicht fassen.“58

Mit zunehmendem Verblassen der geschichtlichen Ereignisse lässt sich bei einer jüngeren Generation von Immigranten eine gesellschaftliche Tendenz erkennen, die in der Vergangenheitsbewältigung immer noch den wichtigen ethischen völkerverständigenden Charakter sehen, jedoch witzige Anspielungen durchaus tolerieren bzw. bei einer Nichtüberschreitung der Grenzwertigkeit mitlachen. Nigol Meininger berichtete, dass insbesondere Vororte mit hoher Lebensqualität, wie zum Beispiel Mosman, finanzkräftige Schichten anziehen, zu denen immer öfters auch Deutsche gehören. Schnell kursierten unter den australischen Nachbarn humoreske Anspielungen auf nationalsozialistische Expansionspolitik bzw. Raumtheorien zur Erschließung des Lebensraums im europäischen Osten. Gleich nach dem Motto The Germans invade Mosman wird mit einem Augenzwinkern den Migranten aus Deutschland gegenüber verständlich gemacht, dass die Deutschen vor vielen Jahren und an anderer Stelle diese Strategien der Raumkolonisierung bereits zu etablieren wussten – ein scherzhaft formulierter Seitenhieb auf die ethnische Vergangenheit, der jedoch die Grenzen der bewusstseinsbildenden Codes, Verhaltensregeln und Gesetze nicht überschreitet bzw. sich noch im Rahmen des Möglichen bewegt. Ul-

58 Zitat aus dem Interview mit Barbara Bartel, datiert auf den 15.04.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 339

timative Tabubrüche, wie im oberen Zitat gesehen, sind Witze über die Geschehnisse des Holocausts (Kuipers 2006: 139). Auf die Frage nach der Konfrontation mit der deutschen Vergangenheit in Australien antwortet Meininger wie folgt: „Da macht mir keiner irgendeinen blöden Vorwurf oder so, in keiner Weise. Wenn ja, dann in irgendwelchen Witzen, die auf dem Niveau sind, wo ich mitlachen kann, wo meine Generation, ja, ich meine, meine Eltern und diese Generation, die machen darüber keine Witze. Aber wir sind jetzt schon so weit weg, dass wir anfangen, also wenn man jetzt Walter Mörs sieht, das zeigt dann, dass wir die Vergangenheit bewältigt haben, in einer gewissen Form. Ich hatte eigentlich nur einmal, wo ich noch recht neu war, das war ein indischer Kollege, das war ganz lustig irgendwie, als ich in die Küche gekommen bin, da hat er mich mit dem Hitlergruß empfangen. Da habe ich so gemeint: ,Nein, das finde ich nicht lustig.‘ Das war aber so, das wusste er nicht, er wusste nicht, dass auch bei meiner Generation dort der Spaß aufhört, beim Hitlergruß.“59

Auch in der nach dem Jahre 2000 ausgewanderten jüngeren Migrantengeneration wird Anstoß daran genommen, wenn scherzhaft über eine Zeit geflachst wird, in der Deutsche für den Tod von Millionen von Menschen die Verantwortung trugen, wenngleich der kursorische Hinweis auf den im Genre des Satirecomics tätigen Walter Mörs einerseits neue Umgangsformen zur Bewältigung des Vergangenen preisgibt und andererseits auf die transkontinentale Involvierung in Diskurse hinweist, die in Deutschland über das karikaturistische Darstellen Adolf Hitlers durch Prominente wie Harald Schmidt oder Helge Schneider (oder bereits 1940 durch Charlie Chaplin) geführt werden. Doch in der australischen Alltagswelt birgt der humoreske und sarkastische Umgang mit problembeladenen Fragen zum Dritten Reich einen gravierenden Kulturkonflikt, weil die in Deutschland internalisierten Tabugrenzen und der Rahmen der Salon- und Gesellschaftsfähigkeit zumeist deutlich überschritten werden. Betroffenheit, eine Gefühlstrias aus Schuld, Schande und Scham sowie eine um Seriosität bemühte Ernsthaftigkeit sind Grundkonstanten der deutschen Verhaltensweisen, was anschaulich illustriert, dass das Vergangene nicht zur Vergangenheit gehört, sondern ferner in die Gegenwart hineinstrahlt und Tagesaktualität besitzt. Man könnte formulieren, dass die deutschen Emigranten mit ihrem kulturellen Ballast ein Akkulturationshandicap mit nach Australien bringen, dadurch von gesellschaftlich institutionalisierten und Integrationskraft besitzenden Praxisformen – wie das gemeinschaftliche Amüsieren und Lachen eine ist – ausgeschlossen sind, zu Randständigen degradiert werden und damit die von Australien intendierte soziale Kohäsion infiltrieren. Das Vergangene als das Nichtrepräsentierbare konstituiert kulturelle Paradoxien und Dissonanzen, die den Auswanderern

59 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008.

340 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

jegliche Form der Komik verbieten. Nun ist das Lachen kulturübergreifend, so konnten theoretisch vorgehende Köpfe wie der französische Philosoph Henri Bergson herausarbeiten, aber stets ein soziales Phänomen, das eines Kollektivs bedarf, d. h., gruppenspezifisch ist und „ein Echo“ (Bergson 1972: 13 u. 22) braucht. Aufgrund dessen wohnt der von deutschen Migranten praktizierten Verweigerung des Lachens bzw. der Insistierung auf Ernsthaftigkeit und Seriosität immer auch eine Aushandlung von ethnischer Distinktion inne, bei der kulturelle Distanz hergestellt wird, was gleichzeitig Desintegration und Abstandsgewinnung bedeutet. Da Lachen und Humor auch in der australischen Gesellschaft zu den „kulturellen Signalen“ subsumiert werden, nach denen „ziemlich gnadenlos sortiert wird, wer dazugehört und wer nicht, wer wo einzuordnen und wie einzuschätzen ist“ (Maase 2002: 875), vollzieht sich auch bei der so alltäglichen, beiläufigen wie scheinbar harmlosen Kommunikationsform des Lachens ein Trennungsprozess der ethnischen Segregation. Denn in der deutschen Community in Sydney, wie auch bei anderen deutschen Staatsbürgern im In- und Ausland, schwebt auch im frühen 21. Jahrhundert das Odium der psychisch beeinträchtigenden Historie, die mit ihrem langen Schattenwurf eine dunkle Hülle über die hier skizzierten Muster der Alltagskommunikation wirft und jedes Lachen im Keim zu ersticken weiß. Vielmehr ist es ein in den ethnografischen Gesprächen allseits kommuniziertes Anliegen einer aufgeklärten Auswanderungsgeneration, insofern Verantwortungsbewusstsein zu zeigen, in dem der konstruktive und anhaltende kritische Dialog das temporäre und vergängliche Lachen substituiert, damit die Erinnerung wachhält und dank dieses Umstandes nicht zuletzt einer liberalen, vorurteilsfreien wie integrierten Weltgesellschaft einen Weg in die Zukunft weist. 4.3.1 There is no escape from ANZAC: die Überhöhung des Militärischen in der australischen Kultur „Ja, ich habe manchmal den Eindruck, Gallipoli ist hier irgendwo in Queensland.“60 „Aber das geht mir hier schon auf den Wecker, wenn du dann so rumzappst und dann kämpfen sie da wieder in Verdun.“61

Schon im ersten das Untersuchungsfeld initial dimensionierenden informellen Treffen während des explorativen Forschungsaufenthalts mit dem damaligen Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde, Peter Auger, erwähnte dieser, dass in

60 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 61 Zitat aus dem Interview mit Ludger Heidershoff, datiert auf den 01.04.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 341

den Gesprächen mit seinen Arbeitskollegen, aber auch in der öffentlichen Fest- und Feierkultur der australischen Nation zumeist dem Militärischen bzw. den Ereignissen aus der Militärgeschichte ein dominanter Charakter zukomme. Diese würden, so der gatekeeper (der mir nicht nur Tür und Tor zu den Mitgliedern seiner Gemeinde, sondern auch die Augen zwecks eines tieferen Verständnisses der australischen Kultur öffnete), an unterschiedlichen Tagen im Jahresverlauf an verschiedenen Kriegsgedenkplätzen und Erinnerungsmonumenten honoriert und zum Teil auch glorifiziert. Als Beispiel nannte er den 11. November, an dem in Australien vormittags eine nationale Schweigeminute anlässlich der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten eingelegt wird und bei der das öffentliche Leben ruht. In eine anekdotische und auf eine Pointe hinauslaufende Narrationsstruktur eingebettet, erzählte mir der von der Evangelischen Kirche in Deutschland entsandte Pfarrer von einer Begebenheit in der Innenstadt Sydneys, die sich an einem nicht weiter spezifizierten Kriegsheldengedenktag, möglicherweise sogar dem in diesem Kapitel näher Beleuchtung findenden ANZAC Day, zutrug, als ihn und seine Familie ein Australier fragte, wo sie den herkämen. Zunächst antwortete der Pfarrer, dass sie aus Europa kämen. Diese Aussage aufgreifend, gab der nette Australier zu verstehen, dass es für die Europäer wahrscheinlich von großem Interesse sei, die Feierlichkeiten und militärischen Paraden zum Gedenken der Kriegshelden aus den beiden Weltkriegen im Hyde Park zu besichtigen und daran zu partizipieren. Als der Immigrant auf Zeit im weiteren Verlauf der Konversation erwähnte, dass er und seine Familie aus Deutschland kämen, antwortete der Australier in prägnanter Kürze: „You shouldn’t go there!“62 Um ein besseres Verständnis über diese wohl wichtigste Tradition in der australischen Nationalidentität zu erhalten, muss zunächst Klarheit darüber bestehen, welche historischen Determinanten zur Grundlegung dieser Mythologie beigetragen haben. Dies gelingt nur vermittels eines kulturanthropologisch geschulten Blicks auf die kriegerischen Auseinandersetzungen des Ersten Weltkriegs und die in seinen kulturellen Nachwehen durch konstruktivistische Invention und Glorifizierung eines breiten Konvoluts als „national“ klassifizierten Charaktereigenschaften seitens australischer Historiografen, die sowohl zur Formung der gegenwärtigen kulturellen Identität zahlreicher Australier geführt haben als auch Einzug in den nationalen Feierkalender hielten; sie sind somit konstitutiv für die Erinnerungskultur der Bevölkerung des Fünften Kontinents. Die in der Jetztzeit einem Großteil der Australier bekannte ANZAC-Tradition hat ihren Ursprung in der Entsendung australischer und neuseeländischer Soldateneinheiten zur Unterstützung der Militäroperationen des britischen Empirs in der

62 Auszug aus dem Gedächtnisprotokoll des informellen Gesprächs mit Peter Auger, datiert auf den 13.09.2007.

342 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Türkei und an der Westfront. Aufgrund des kriegsstrategischen und menschlichen Desasters in der Dardanellenschlacht um die Okkupation der türkischen Halbinsel Gallipoli am Sonntag, den 25. April 1915 (Cameron 2007: 19ff.), bei der ein Großteil dieser alliierten Streitkräfte in den Tod geschickt wurde, schrieb sich diese Tragödie besonders in die „offiziellen“ australischen Geschichtsbücher ein und so wurde der Tag der militärischen Intervention bereits während der 1920er Jahre zum landesweiten Feiertag zur Erinnerung an die Gefallenen institutionalisiert.63 Aus der höchst selektiven Rezeption historischer „Objektivitäten“ und „Faktizitäten“ entwickelten von nationalen Regierungsstellen beauftragte Geschichtsschreiber wie C.E.W. Bean medienwirksam (William 1999: 100) einen nachhaltigen und sich auf längere Sicht etablierenden Heldenepos eines aufopferungsvoll kämpfenden Soldaten, dem so genannten digger, der zur kollektiven Partizipation, Zelebrierung und Erinnerung aufrief. Manning Clark formulierte dazu: „The Anzacs were transfigured into folk heroes“ (Clark 1997: 469). In der Sprache, erzählerischen Überlieferungen, Gedichten, Liedern, Bräuchen und Überzeugungen wurde das gemeinsam geteilte historische Erbe der australischen Kulturgemeinschaft von Generation zu Generation tradiert, wenngleich darauf hingewiesen werden muss, dass für das Vorhaben der Identitätsfindung der noch jungen Nation eine herausgehobene Wertschätzung auf den Selektionsprozess der zu destillierenden, bewahrenswerten und herauszustreichenden Aspekte gelegt wurde. Denn eine Identität ist nur dann ein Unikat, exklusiv und distinktiv, wenn diese über ein eigenes symbolisches Wertekorpus verfügt, das sich von anderen Nationaltraditionen abzuheben weiß. Die Homogenisierung und Popularisierung des australischen Soldatentypus als eines outbackerprobten „true and ordinary Australian bloke“ aus einer klassenlosen Gesellschaft implizierte sowohl zahlreiche Assoziationen des stets in maskuliner Form konzeptionalisierten „typischen Australiers“ aus dem 19. Jahrhundert als auch heroische Attribute, die erst das Kriegsgeschehen zu Tage förderten. Im kulturellen Gedächtnis der Australier ist das metaphorische Konglomerat über die charakterlichen Eigenschaften des digger aus dem ANZAC, das spätestens bei der kollektiven Erinnerungsarbeit des dawn service am Martin Place in Sydney oder beim Übergangsritus der Pilgerfahrt zur bedeutungsgesättigten australischen Erinnerungslandschaft am Küstenstreifen von Gallipoli alljährlich aufs Neue ins Bewusstsein gerufen wird, fest verankert und beinhaltet nachstehende gedankliche Verbindungen: Der beispiellose Menschenschlag der digger, so will es die mit einer Souveränitätsprätention über die nationale Erinnerung ausgestattete, mythologisierende wie pat-

63 Bei der von den Briten schlecht geplanten militärischen und am Ende erfolglosen Operation zur Einnahme der kriegsstrategisch wichtigen Dardanellenstraße fanden circa 8.500 Soldaten aus dem ANZAC an den von den Türken energisch verteidigten Klippen von Lone Pine den sicheren Tod.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 343

riotische Meistererzählung, die nicht nur bei den zahlreichen monumentalen, landwie stadtweit verbreiteten Stätten des Gedenkens mitschwingt, sondern im australischen Frühling die Auslagen der Buchhandlungen mit seitenschweren und publikumswirksamen Titeln (The forgotten Soldiers of ANZAC) füllt, besitzt eine egalitäre wie antiautoritäre Einstellung, gibt sich aufmüpfig und respektlos gegenüber seinem sich feudal-aristokratisch verhaltenden britischen Vorgesetzten, zeigt Ausdauer, Courage, Kampfgeist, Mut und Stärke bei den ihm aufgetragenen militärischen Aufgaben und beweist eine aufopferungsvolle Loyalität gegenüber seinen mates (Thomson 1988: 197). Mateship als ein emotionales, kameradschaftliches, selbstloses und unterstützendes Freundschaftsverhältnis, das Männer untereinander zur Bewältigung der körperlichen wie seelischen Anforderungen der Kriegsschlachten eingingen und das bereits im Jahrhundert vor dem Krieg zu den fest etablierten Topoi der Australianness zählte, avancierte im Zuge der Nationenwerdung nach 1918 zum Herzstück der kollektiven Identität, weil es eine Brücke zu den historischen Wurzeln des Landes errichtete. Diese charakteristischen Attribute entfalteten ihre Zusammengehörigkeit erzeugende Symbol- und Wirkungskraft keinesfalls aus einem kulturellen Vakuum heraus, sondern wurden vielmehr bereits in isolierten, anspruchsvollen und entbehrungsreichen Lebenskonstellationen, zum Beispiel bei der Erschließung wie Bewirtschaftung ruraler Landstriche sowie auf den Goldfeldern des 19. Jahrhunderts, herausgebildet und bekamen sowohl bei der militärischen Feuertaufe Australiens als auch bei der nicht ganz ohne patriotische Ideologie betriebenen Mythologisierung der Geschehnisse für die Nachwelt seitens des Chefkonstrukteurs Bean und Interessengemeinschaften wie der Returned Soldiers and Sailors Imperial League of Australia ihren Feinschliff.64 Im Zuge der oftmals als Geburtsstunde der australischen Nation titulierten verlustreichen Kriegskampagne in der ANZAC Cove kam es zu der von staatlicher Seite beförderten Konstituierung einer nationalen Erinnerungskultur, d. h. eines bis in die Gegenwart andauernden kulturellen Prozesses von heterogener Komplexität, der über einen offiziellen und rituell begangenen Gedenktag mit festem Repertoire an Verhaltens- und Handlungsanforderungen, dem ANZAC Day, Kriegsgedenkstätten sowie zahlreiche Veteranenvereinigungen verfügt und mit der Aura von Wertevorstellungen und Attitüden wie Ehrerweisung, Pflichterfüllung, Tapferkeit, Aufopferung, Nationalismus, Kollektivbewusstsein, Gleichheit, Erbe, Patriotismus und Loyalität belegt ist.

64 Seal hebt gerade den Konstruktionsgehalt nach der Devise invention of tradition hervor, indem er schreibt: „[W]e need to acknowledge the relationship between the enduring Australian romanticisation of the bush and its heroes, and the transferral of elements of this romance to the idealised image of the digger“ (Seal 2004: 169).

344 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Anhand des methodologischen Vorgehens der Teilnehmenden Beobachtung am 25. April 2008 in der Innenstadt von Sydney gelang eine Eruierung der semantischen wie symbolischen Strukturmerkmale und der Morphologie der rituellen Erinnerungsarbeit mit folkloristischem Festivalcharakter: Ein Festzug, von zahlreichen am Straßenrand stehenden Zaungästen flankiert und aus uniformierten Musikund Militärkorps, Kriegsveteranen und Vertretern aus Politik, Gesellschaft und Kultur bestehend, marschiert zum Rhythmus der Blaskapellen über die George Street zur Ehrengedenkstätte am Martin Place. Für die Dauer des Gedenkmarsches sind die Straßenzüge der Metropole von ihrem eigentlichen Verwendungszweck befreit und werden zu offiziellen Bühnen eines Nationalspektakels, bei dem ein theatralisierendes und dramaturgisch in Szene gesetztes Sakralisationsritual den sinnstiftenden Kern ausmacht. Mit zahlreichen Orden ausstaffierte Überlebende der vergangenen Kriege werden von ihren noch mobilen mates in Rollstühlen an den jubelnden Zuschauerscharen vorbeigeschoben, ein älterer Herr mit einem Truppenhelm auf dem Kopf hält ein Schild mit folgender Aufschrift den fotohungrigen Journalisten des Sydney Morning Herald entgegen: „Sydney Australia 2008. ANZAC Day 93 Years. I am not a hero. The heroes are those who died. Support our Aussie troops at Home and Overseas. Lest we forget – them.“ Kinder, gekleidet in der einheitsstiftenden Kleidung der Australian Scouts, präsentieren stolz Bilderrahmen mit den Porträts ihrer Groß- wie Urgroßväter und deren Medaillen und Orden, ihre Eltern schwingen die allgegenwärtig präsente australische Nationalflagge. Als der menschliche Tross das mit Blumen und Kerzen gesäumte Kriegsdenkmal im unteren Teil des Martin Place erreicht hat, folgten eine Minute des Schweigens, das Salutieren vor den beiden zum Memorial gehörenden Soldaten der letzten Weltkriege, eine Kranzniederlegung vor dem in Stein gegossenen nationalen Erinnerungsschrein, die kollektive Intonation der australischen Nationalhymne, ein Gebet sowie öffentliche Gedenkreden von Politikern, religiösen Repräsentanten und Vertretern der Returned Soldiers League, in denen mit rhetorischem Geschick auffällig oft der spirit of our brave ancestors in den Vordergrund gestellt wird. Durch die Betonung der Hingabe für Nation und Mutterland wird dem Bedürfnis nach uneingeschränktem Patriotismus und Authentizität der Akteure und Rezipienten dieser aus dem Feier- und Festkalender Australiens exponiert herausstehenden Feier nachgekommen. Der Traditionskomplex im Kontext des Akronyms ANZAC, so schreibt Graham Seal zu Recht, „is a part – the dominant part – of the central and formal identity of its society, and the culture of that society“ (ebd.: 4).65 Für die fortwährende Prosperität und landes-

65 „Anzac Day became the occasion when memories of war continued into civil life, symbolicing the grief of the living and allowing for its expression. It was, according to Ken Inglis, the ,principal occasion for public remembering of the war‘“ (Damousi 2001: 11).

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 345

weite Expansion der hier nur in gegebener Kürze geschilderten bedeutungsvollen Zeichen der kollektiven Erinnerung gibt Scates folgende Erklärung: „The memory boom has been in full swing for decades. It was fueled in part by a deep nostalgia for the past, a search for traditions in a society without ritual, a longing for something fixed and familiar in a world where change tears old certainties asunder. In this understand-ing, memory becomes a crucial site of identity formation. It is a way of deciding who we are and positioning ourselves in time, an assertion of national identity in an age of rampant globalization, ,defining our place in a complicated and changing world.‘ The ,Anzac mythology,‘ as it comes to be known, stands at the center of this popularization (and valorization) of war memory. Like the assertive nationalism of the 1920s, it celebrates the sacrifice of young Australians who went to war and affirms their part in the making of a distinctive Australian identity“ (Scates 2009: 63).

Für die deutschen Migranten ist dieses kulturelle Phänomen der Hypostasierung der historischen Militärgeschichte Australiens ein die Integrations- und Anpassungsphase erschwerender Faktor, weil es eine Grenzerfahrung bedeutet, die das Potenzial besitzt, kulturelle Spannungsfelder zu errichten und das auf soziale Gleichgewichtung ausgelegte Pendel des diversity management zum Ausschlag bringt und somit das emotionale Bewusstsein des Fremdseins in einem Land fernab der Herkunftsgesellschaft intensiviert. Dies ist anhand der kulturellen Imprägnierung der Immigranten zu erklären, weil für die Deutschen Kriege insbesondere im 20. Jahrhundert Kontinuitätsbrüche mit einem durchweg negativen, bis in die Gegenwart hineinreichenden Nachhall waren. Nicht zuletzt vor den vordergründlich divergenten Betrachtungswinkeln, den Kriegsgewinner und Kriegsverlierer auf die historischen Geschehnisse unweigerlich besitzen, zeigt das Beispiel der ANZAC-Tradition des Memorierens, wie unterschiedlich Kulturen vergangene militärische Konflikte in der öffentlichen populären Erinnerungskultur integrieren, dabei selektiv Segmente des zu Bewahrenden hervorheben bzw. ebenfalls von den Leistungen des Vergessens Gebrauch machen. Auch wenn Bemühungen um Kontinuitätsbestrebungen bzw. Traditionsaufrechterhaltung des kulturellen Erbes der australischen Nation unmissverständlich die Semantik und Phänomenologie dieses Ritualkomplexes ausmachen, so schufen doch zwei schreckliche Kriege, der nationalsozialistische Herrschaftsapparat sowie der in Europa betriebene Genozid an der jüdischen Bevölkerung, ethnischen Minderheiten und körperlich wie geistig beeinträchtigen Menschen ganz andere, das kulturelle Gedächtnis gravierende Vorzeichen, die Auswirkungen auf das Denken und Handeln der Deutschen im Umgang mit der Vergangenheit determinierten. Schon im Jahre 1982 zog Albrecht Lehmann einen Vergleich, bei dem er ein Desinteresse bei der wissenschaftlichen Erforschung des alltagskulturell wichtigen Forschungskomplexes Militär darauf zurückführte, dass bei den Akademikern in der Bundesrepublik eine distanzierende Ge-

346 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ringschätzung bezüglich dieser Thematik vorherrsche. Insgesamt, so seine Schlussfolgerung, sei die Affinität an dieser durchweg mit negativen Konnotationen besetzten Vergangenheit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit an einem unteren Level anzusiedeln (Lehmann 1982: 236).66 Wie das Militärische in der australischen Kultur in den Alltag deutscher Migranten in Sydney diffundiert und diesen bestimmt, wurde bereits im Eingangszitat zu diesem Kapitel von Ludger Heidershoff exemplifiziert, der sich bei der abendlichen Freizeitgestaltung wiederholt mit den Schützengräben, Unterständen und den soldatischen – um es in den Worten von Walter Flex zu formulieren – „Wanderer[n] zwischen beiden Welten“ in Verdun konfrontiert sah. Auch die Aussagen von der Migrantin Sylvia Harmsen und dem Mathematikprofessor Georg Greifswald lassen die Interpretation zu, dass die kontinuierliche ubiquitäre interkulturelle Kollision mit diesen medial und öffentlich transportierten Kriegsgenres und Militärtopoi Züge eines Jünger’schen „Stahlgewitters“ trägt, das unaufhörlich auf den deutschen Auswanderer herniedergeht. „Und ich habe so viele Dokumentarfilme gesehen. Ich meine, die hatten jetzt etwas über die Emden, über diese ganzen Kriegsschiffe, was manchmal noch interessant ist, weil manches hast du auch nicht gewusst. Da habe ich aber schon gesagt, nein, ich muss das nicht nochmal sehen. Ich meine, natürlich hier mit dem ANZAC, das wir sehr, sehr hochgehalten und die sind sehr, sehr stolz darauf. Auch in den Schulen, die tragen ihren Rosmarinzweig, die Kinder haben dann so einen Tag, wo sie mit einem Rosmarinzweig kommen sollen. Und das Gedenken an diese Leute. Für mich persönlich ist es einfach so, dass ich sage, O.K., ich habe genug gehabt davon.“67 „Den Nationalismus hier, den finde ich ganz entsetzlich. Das ist aber wieder eine deutsche Angewohnheit, oder womit ich halt groß geworden bin, also dieser Antipatriotismus und dass man den Nationalismus als etwas Schlechtes zu sehen hat.“68

66 Ein hier nur kursorisch vorgenommener Seitenverweis auf die in Deutschland akut vorherrschende Teilnahmslosigkeit und zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber den am zweiten Sonntag vor dem Ersten Advent begangenen, staatlich institutionalisierten Volkstrauertag, an dem an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaften aller Nationen erinnert wird, lässt möglicherweise auch die Timidität der Deutschen in Sydney in ein helleres Licht rücken. Seine geringe öffentliche Wahrnehmung bzw. eine intentionale Distanzierung seitens zahlreicher Bevölkerungsteile kann aus dem hierbei mitschwingenden militärisch-nationalen Anstrich, den der Volkstrauertag mit der Präsenz von Soldaten, Uniformen, Stahlhelmen, brennenden Fackeln, Hymnen und der Abfeuerung von Gewehrsalven unweigerlich verliehen bekommt, abgeleitet werden. 67 Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008. 68 Zitat aus dem Interview mit Dr. Georg Greifswald, datiert auf den 30.05.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 347

Symptomatisch ist die von Deutschen ausgeübte Praxis am in Rede stehenden Feiertag. Zu der ausdrücklichen Überzeugung aller Befragten gehört das Fernbleiben der zeremoniellen Sakralisierungsveranstaltungen am 25. April, gerade aus dem Grund, weil sie nicht Teil der eigenen Kultur sind, somit im Prozess der Differenzproduktion als kulturell fremd typisiert und verortet werden. Ein aktives Mitwirken, so interpretiere ich den einhelligen Tenor sowie die zeitweilige Verstummung der Migranten bei diesem doch brisante integrationspolitische Konturen entwickelnden Symbolgeflecht, würde sich kontradiktorisch zu dem aus dem Heimatland mitgebrachten kulturellen Rüstzeug verhalten, zur Verstärkung interkultureller Barrieren beitragen, die Frage nach der kollektiven Schuld des „Tätervolkes“ ins Gewissen rufen und eine Intensivierung eines emotionalen Gefühls der Unsicherheit, des Nichtdazugehörens, der kulturellen Randposition, der Entwurzelung sowie der gesellschaftlichen Desintegration bedeuten. Eine natürliche Scheu vor der Offenlegung der eigenen ethnischen Vergangenheit und damit auch der mit Scham behafteten Demaskierung der eigenen kulturellen Identität vor aktiv teilnehmenden australischen Rezipienten, die nicht nur am ANZAC Day, sondern auch beim Besuch der zahlreichen war memorials offen und manchmal auch unberechtigterweise zu Tage tritt69, können als Indikatoren für die kollektive Verweigerungsstrategie ins Feld geführt werden. Die mit sprachlicher, mimischer und gestischer Bekräftigung hervorgebrachte triviale Selbstverständlichkeit, „an dieser Sache [ANZAC-Parade, Anm. d. A.] mit Sicherheit nicht teilgenommen“70 zu haben, den Feiertag dafür genutzt zu haben, länger zu schlafen, Freizeitbeschäftigungen unternommen zu haben oder im Kreis der Familie bzw. in der Natur Rekreationsaktivitäten nachgegangen zu sein, verifizieren die aufgestellte Hypothese von der Unvereinbarkeit der scheinbar undurchdringlichen und irritierenden Andersartigkeit der kulturellen Bewertungs- und Handlungsmuster, deren historische Aufgeladenheit eine Entschlüsselung nahezu unmöglich erscheinen lässt. Neben allen augenscheinlich bestehenden Vorbehalten ist doch das Wissen über die Bedeutung und Signifikanz dieser Tradition der aktiven und partizipatorischen Vergangenheitsvergegenwärtigung für den sozialen, kulturellen und politischen

69 „Das war auch sehr interessant, ich hatte befürchtet, hier bei dem war memorial in Canberra, was ich nur sehr empfehlen kann. Ich hatte nur sehr befürchtet, wenn ich als Deutscher zum war memorial gehe, sehe ich erstmal, wie schlimm die Deutschen sind. Da war nichts, absolut nichts. Es war ganz im Gegenteil, meine Frau und mein Sohn waren dabei, wir waren alle drei begeistert über die Qualität. Das war jetzt weniger über die bösen Deutschen gegen die guten Australier, sondern es war einfach eine Geschichte über den Menschen damals.“ Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007. (Siehe dazu auch Londey/Steel 2008: 45). 70 Zitat aus dem Interview mit Martin Menzel, datiert auf den 13.05.2008.

348 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Prozess der nation-building allen Auswanderern bewusst. Das heißt, über die tradierten sowie auch konstruierten Inhalte konnte sachverständig Auskunft gegeben werden, so dass das sich hinter dem Akronym ANZAC verbergende dominantkomplex mythologische Gerüst und die in der Praxis erforderlichen, mit Handlungsrelevanz versehenen Gesten, Verhaltensweisen, Motivationen und Performanzen zunächst über einen partiellen Bekanntheitsgrad bei den Emigranten verfügen müssen, um im Zuge des Verfremdungsverfahrens des othering mit den normativen Verhaltenslogiken und Denkstrukturen der eigenen Kulturalität in Beziehung gesetzt zu werden und in die soziale wie kulturelle Fremde zu rücken. Denn Objektivationen und Subjektivationen, die man nicht zuordnen kann, die sich nicht in eine den emischen Vorstellungen entsprechende Klassifikation pressen lassen und für die keine kognitive Kategorie bzw. Rubrik ersinnt werden können, erfüllen nicht das Anforderungsprofil der kulturellen Fremdheit. Aus einem dekonstruktivistischen Betrachtungswinkel argumentiert in der folgenden Aussage Georg Greifswald, der in Hobsbawm’scher Manier seinen analytischen Fokus auf die inventierende Schöpfungskraft der ANZAC-Überlieferungen zum Zwecke der nationalen Kollektivbildung richtet: „Das finde ich eigentlich ganz interessant hier. Man sieht hier, wie eine Nation im Machen ist. Das ist sagenhaft und ich finde diesen Aspekt an Australien so irre interessant. Aber wie man hier auch sieht, wie die Identität gestiftet wird in Australien, das finde ich sagenhaft interessant. Na ja, da gibt es ja diese victim mentality zum Beispiel, die kann man hier oft wieder erkennen und die auch sehr oft von Politikern benutzt wird, um Identität zu stiften. Eine Nation wird ja auch gestiftet durch einen Kanon, einen kulturellen Kanon und da kann man hier so richtig zusehen, wie dieser hier geschaffen wird. Dann ist man auch das Opfer der Briten. So die Opferrolle auch als Abgrenzung, weil Identität ist ja auch immer ein bisschen Abgrenzung. Und es gibt eben auch Mythen, so Gallipoli, das ist ja der Mythos, mein Gott nochmal. Ich meine ja auch, im Ersten Weltkrieg haben die irrsinnig viele Männer verloren, was den Mythos natürlich noch größer darstellt. Das ist unglaublich identitätsstiftend.“71

Die traditionsgesteuerten und traditionsstiftenden Kulturhandlungen, durch die die australische Mehrheitsgesellschaft ihre Gegenwart mittels der Erinnerung von Vergangenem strukturiert und mit Sinn anreichert sowie in der bestimmte Bilder, Texte, Narrationen, Symbole und rituelle Handlungen eingeschrieben wurden, die nach einem Aussortierungsvorgang für bewahrenswert und kulturell hochwertig erachtet werden, dienen dem obigen Zitat zur Folge in erster Linie der nationalen Einheitsbildung, bei der das gemeinschaftsbildende und integrative Potenzial hervorsticht. Die von Initiatoren und Organisatoren aus einer kreativen Schöpfung zum Zwecke

71 Zitat aus dem Interview mit Dr. Georg Greifswald, datiert auf den 30.05.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 349

der Inszenierung bzw. Folklorisierung eines traditions- und authentizitätsaffinen Publikums entsprungene öffentliche „Metakultur“ (Briggs 1999) des ANZAC besitzt deshalb im neuen Residenzterritorium der Deutschen so eine ikonische und Mythen generierende Bedeutung, so ein oft gehörter Erklärungsansatz der Auswanderer, weil „der Australier […] im eigenen Land nie Kriege gehabt“72 hat. Kriegerische Auseinandersetzungen in größer Dimension und Intensität wurden nie auf australischem Boden ausgetragen, sie fanden stets in der geografischen Ferne statt, so zum Beispiel in Südafrika, der Türkei, Frankreich, Vietnam, dem Kokoda Trail in Papua Neuguinea oder im nordafrikanischen Tobruk. Im Gefallenenkult des ANZAC, der digger sowie der war memorials, der der australischen „Nation Märtyrer und an deren letzter Ruhestätte einen Altar nationaler Andacht schuf“ (Mosse 1993: 45), transportiert das Kriegsgeschehen über Zeit und Raum in die alltägliche Lebenswirklichkeit, generiert ein Konnektiv zu geografisch nicht zu Australien gehörenden Stätten und Ereignisorten mit einem distinktiven Werte- und Bedeutungskanon und erlaubt die feierliche Erinnerung an heldenhaft-kämpferische Handlungen von australischen Soldaten, die in fremden und fernen Gräbern ruhen. Alles in allem evoziert der kulturelle Praxiskomplex des ANZAC bei den Brauchakteuren und Brauchrezipienten ein individuelles, gruppenspezifisches und kulturelles Gedächtnis, das eine mehr oder weniger bewusste Bezugnahme auf tatsächliche oder auch imaginierte Vorgänge in der unmittelbaren Vergangenheit beinhaltet. Neben den instrumentalisierenden, sozialpädagogisierenden, nationalisierenden und homogenisierenden Aspirationen des kulturell tradierten Bedeutungsgewebes ANZAC ist es doch vor allen Dingen der hierbei mitschwingende und offen kommunizierte – und bei der migrationspolitischen Ausrichtung auf social cohesion nicht ausbleibende – Integrationsimperativ, der an die im Land lebenden ethnischen Minderheiten gerichtet wird, kulturelle Anpassung einfordert und an das assimilatorische Überkommen kultureller Altlasten aus dem Herkunftsland appelliert. Dieser hier dargelegte ethnische Konflikt im Spannungsverhältnis von kultureller Approximation an die Praktiken der australischen Majorität und der Beharrung auf der aus einer „kultureigenen“ deutschen Vergangenheit sich speisenden eigenen ethnischen Andersartigkeit ist Quell neuer Exklusionsmechanismen, weil das in der Kapitelüberschrift inskribierte Flüchten vor den Traditionsüberlieferungen des ANZAC kaum gelingen kann. Anders formuliert: Aufgrund kultureller Differenzerfahrung konstituiert der um die australische Partizipation in vergangenen Kriegen herum konstruierte Mythos eine nicht gering einzuschätzende Hürde beim Prozess der Integration deutscher Migranten, weil das Ethnizitätsakronym ANZAC, so Graham Seal, die Schule der australischen Nation sei:

72 Zitat aus dem Interview mit Ludger Heidershoff, datiert auf den 01.04.2008.

350 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„The myth and its many meanings permeate all levels and facets of Australian culture and society. In its omnipresent and in its invented but resonant aura of always everness, in its fusion of the sacred and the secular, of the everyday and the official, Anzac is the modern Australian dreaming“ (Seal 2004: 172).

4.4 D ER N ATUR ZULIEBE : U MWELTSCHUTZ UND R ESSOURCENVERSCHWENDUNG ALS D ISTINKTIONSDISKURS „Es gibt noch so zwei Sachen, wo ich mir auch denke, da müsste die Mehrheit, da müsste das Volk der Australier umlernen. Das ist zum einen beim Umgang mit Energie, also so Sprit und Benzin und Strom und auch Wasser. Und wenn sie da nicht smarter werden, dann könnte das auf lange Sicht gesehen ein Land werden, wo es sich jetzt nicht mehr so gut leben lässt.“73 „Ja, das Desinteresse an Umweltschutz und da ist Australien einfach noch zwanzig Jahre zurück.“74

Ein Großteil der in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren nach Sydney emigrierten Deutschen verortet ihre Ethnizität in einem narrativ konstruierten Umweltdiskurs (Weingart/Engels/Pansegrau 2008), der die alltagskulturellen Verhältnisse in Australien und Deutschland unter Zuhilfenahme einer binären Wirklichkeitsauffassung in Beziehung zueinander setzt und sich dabei eines temporalen leitkulturellen (Experten-)Wissens bemächtigt, das einerseits aus der internationalen ubiquitären Debatte zum Klimawandel (beispielsweise Politische Agenda des Umweltabkommens von Kyoto, Al Gore sowie die Naturdokumentation Unsere Erde von Alastair Fothergill und Mark Linfield), andererseits aus der Herkunftskultur Deutschland generiert wird. Dieses aus alltagskulturellen Gegebenheiten wie interkulturellen Situationen in Erfahrung gebrachte und kommunizierte Wissen der Migranten, dass Australien bei der Mülltrennung, bei der effizienten Energieverwendung und beim Klimaschutz Jahrzehnte hinter den deutschen Standards – die der jungen Auswanderergeneration aus ihrer alten Heimat noch wohl bekannt sind und anhand einer

73 Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008. 74 Zitat aus dem Interview mit Dr. Bettina Rößler, datiert auf den 08.08.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 351

transnationalen Mediennutzung ständig aktualisiert werden75 – hinterherhinkt, gesellschaftliche Rückständigkeit aufweist, aus den Kinderschuhen noch nicht rausgekommen ist und ferner nur rudimentär ein adäquates Problembewusstsein für den „Ernst der Lage“ herausgebildet hat, wird in einer aktiven Konstruktionsleistung, die mit einer Rhetorik der Rationalität, Visualität und Moralität sowie der Verwendung von distinkten symbolischen Codizes ihren Forderungen nach Veränderungen Nachdruck verleiht (Hannigan 1995: 53), seitens der Auswanderer zur kulturellen Differenzproduktion geltend gemacht. Mittels der Erkennung bzw. Wahrnehmung und Narrativisierung von Ungleichheiten, dies meint die Realisierung und die Erzählung von erzählenswerten Geschichten über die differenten Kulturstandards im Umgang mit Umweltschutz und Ressourcenschonung zwischen Entsende- und Residenzgesellschaft, entwickelt sich die eigene ethnische Positionierung; die ethnische Identität wird auf diese Weise durch die subjektive wie selektive Wirklichkeit gestaltet, ihr wird Sinn und Bedeutung verliehen und in ihr zum Ausdruck gebracht. Die im Kollektiv der deutschen Immigranten existierenden, tradierten und zu den in Australien geltenden Interessenkonflikten in einem Abhängigkeitsverhältnis stehenden Wissensordnungen über den anthropogenen Klimawandel und seine direkten Folgeerscheinungen und Risiken76 sind Weltauslegungen kondensierende Muster zur Ordnung dieses kosmologischen Gebäudes, denn nur kulturelle Differenz und Inkompatibilität von Lebensformen und die antagonistische Wechselseitigkeit von Weltbildern konstituiert die eigene ethnische Verortung. Durch die als Appell formulierte und mit Aufforderungscharakter versehene Mahnung, der Le-

75 Dass die deutschen Bundesbürger einen im weltweiten Vergleich hoch entwickelten Sensibilisierungsgrad bzw. ein hoch entwickeltes Problembewusstsein in Bezug auf den Umgang mit nachhaltiger Nutzung von Ressourcen entwickelt haben, die Risiken und Folgen des globalen Klimawandels deutlich erkennen und gewillt sind, eigenverantwortlich zur Verhinderung dieser auch die Lebensqualität einschneidenden Maßnahmen auf der Mikro- und Makroebene zu ergreifen, zeigt im Jahre 2008 die vom Bundesumweltministerium und dem Bundesumweltamt vorgelegte Studie zum Umweltbewusstsein der deutschen Bevölkerung (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2008). 76 Die Kulturanthropologin Mary Douglas stellt in diesem Kontext heraus, dass die Wahrnehmung von Risiken zwischen unterschiedlichen Kulturen divergieren und konkurrieren, stets selektiv geschieht und letztendlich als ein Ausdruck eines anzustrebenden Modells sozialer Ordnungen zu lesen ist: „Any tribal culture selects this and that danger to fear and sets up demarcation lines to control it. It allows people to live contendly with a hundred other dangers which ought to terrify them out of their views. The discriminating principles come from social structures“ (Douglas 1975: 80; siehe auch Hirschfelder 2009a).

352 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

bensstil müsse geändert werden, entkoppelt sich ein wesentlicher Teil meines Untersuchungssamples von den ökologischen Praxisformen der sie umgebenden Mehrheitsbevölkerung, so dass die in den Gesprächen präsentierten und im alltagskulturellen Setting beobachteten Verhaltensäußerungen und Handlungsperformanzen zur Implementierung semantisch-normativer Wertepostulate (Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Ressourcenschonung) unweigerlich die Interpretation nach sich ziehen, dass hier die Herauskristallisierung eines kollektiv geteilten Lebensstils bzw. gemeinsam geteilter Lebensformen vonstattengeht. Doch dazu später mehr, wenn es um ein ausgewähltes empirisches Fallbeispiel gehen soll. Unter Einbezug handlungs- und subjekttheoretischer Argumente sowie Überlegungen aus dem Diskurs um eine vom Menschen gemachte negative Beeinträchtigung des Globalklimas entfalteten die Befragten ein heterogenes Panorama von kritischen Problematisierungen und konstruktiven Verbesserungsvorschlägen bzw. mit latentem Sendungsbewusstsein unterfütterten Lenkungsimpulsen mit dringendem Handlungsbedarf, die in dem vielstimmigen Tenor einer umfassenden ökologischen Sensibilisierung der australischen Gesellschaft mündeten. Diese von den deutschen Emigranten ausgehende Konzeption eines klimafreundlichen Lebensvollzuges wie Konsums erfordere zum einen eine allumfassende Informations- und Aufklärungsstrategie sowie zum anderen ein zielstrebiges Umsetzen des übermittelten Wissens in die Alltagspraxis. In Australien, so der einhellige Wortlaut der Gewährspersonen, fehle es an beidem. Bevor wir zu den eigentlichen phänomenologischen Steinen des Anstoßes übergehen, scheint es an dieser Stelle zunächst sinnvoll, einen Blick auf die Sozialstruktur der in diesem Kapitel verwendeten und explizit zu Wort kommenden Auswanderungsgruppe zu richten. Zu den Migranten, die lebensstilspezifischen Strategien der Ökologisierung einen hohen Stellenwert beimessen, zählen vorwiegend Bundesbürger aus dem liberal-intellektuellen Milieu mit abgeschlossenem akademischem Bildungsweg, etablierte, postmaterielle Gutverdiener, Berufstätige im Bereich des Umweltmanagements und IT- oder Wirtschaftsingenieure, die in der Lebensalterspanne von dreißig und fünfzig Jahren anzusiedeln sind. In diesem Sample finden sich sowohl die Anhänger der antikapitalistischen, ökologischen, pazifistischen Kulturkritik der Alternativbewegung aus den 1970er und frühen 1980er Jahren, in der auch die gegenwärtig geführte Debatte ihren Ausgangspunkt hatte, als auch Auswanderer, die sich nach der gesellschaftlichen Diffusion ökologischer Verhaltensmuster aus diesen vormals exklusiven Charakter besitzenden oppositionellen Interessengemeinschaften in nahezu alle sozialen Lebensbereiche selektiv aus der Polykontextualität von ökologischen Diskursrelevanzen bedienen und ihre Alltagskultur in unterschiedlicher Intensität nach diesen wertbeladenen Prämissen ausrichten. Generell erstreckt sich der Spannungsbogen von Emigranten, die ausschließlich die in Australien begangenen „Umweltsünden“ schockiert zur Kenntnis nehmen, bis hin zu jenen, die den Lebensstilkonzepten wie den avantgardistischen LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability), die im späteren Verlauf auf der Grundlage

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 353

meiner empirisch gesammelten Erkenntnisse näher beschrieben und analysiert werden sollen, zusprechen. In einem ersten Schritt sollen zuerst Grundkonturen der individuellen und kollektiven Wahrnehmung aus einer Vielzahl von migrantischen Reaktionen zu den Klimafreveln extrahiert werden. Dabei geht es um kulturspezifische Formen und Funktionen der Wahrnehmung und Auslegung von latenten wie aktuellen Umweltproblematiken, wobei nicht der stets postulierte Wahrheitsgehalt den Kern der Erkenntnis ausmachen kann, vielmehr spielen die kulturellen Mechanismen dieses narrativen, selbstreferenziellen wie einem binären Schematismus folgenden Prozesses zur Konstruktion ethnischer Demarkationslinien77, bei dem die Anderen nach den Maßstäben des deutschen Beobachters einer Typisierung, Klassifizierung und Kategorisierung unterworfen werden, eine viel zentralere Rolle. Es geht also weniger um die scheinbar objektiven Umweltsünden und ihre Risiken und Nachwirkungen an sich, als vielmehr um die aus einer ethnischen Sichtweise vollzogene und kommunizierte Einrahmung exemplarischer Kulturkonfliktsituationen zum Ziele der Selbst- und Fremdverortung vor dem Hintergrund des Umweltschutzes, die das Konfliktterrain strukturierend trassiert und Verursacher und Betroffene benennt. Diese dichotome bzw. zweiwertige Herstellung von Differenz dient nach Luhmanns Systemtheorie der Strukturierung und Formierung der Autopoiesis (Kneer/Nassehi 2000: 57ff.). Das empirische Datenmaterial lässt ein Vorgehen nach den Kategorien 1. Müllentsorgung bzw. Recycling, 2. Abwasser bzw. Wasseraufbereitung, 3. Energieeffizienz sowie 4. Auswirkungen für Australien als zweckdienlich und zielführend erscheinen. Der „Umgang mit Müll“, so Martin Scharfe, „spiegelt Kultur“ (Scharfe 1988: 15; Windmüller 2004). Damit zielt er gleichzeitig auf den anthropogenen Umgang mit gebrauchten und benutzten Gegenständen in der Wegwerfkultur ab. Mit Emotionalität belegt ist bei den Auswanderern der Diskurs über die Entsorgung des entstehenden Müllaufkommens, bei der zwar eine in Eigenleistung zu treffende Vorsortierung von Restmüll, Plastik, Glas sowie Papier in jedem australischen Haushalt gesetzlich vorgeschrieben ist, jedoch noch lange keine alltäglich geübte Praxis darstellt. Mehr oder weniger entrüstet über die Unbekümmertheit ihrer australischen Mitmenschen in dieser Beziehung gehört die kontrastierende Präsentation der aus der Bundesrepublik gewohnten Handlungshorizonte, in der bereits seit den 1980er Jahren das stetige Anwachsen des Müllaufkommens zu einem Problembewusstsein überleitete, das zu einer gesetzlichen Neustrukturierung der ressourcenschonenden

77 Viehöver betont gerade das konstruierende Potenzial von menschlichen Narrationen im Kontext des Klimadiskurses, in dem er Erzählungen nach Ricouer als „Geburtshelfer möglicher Welten“ versteht: „Das Prinzip der Narrativisierung schafft – in pragmatischer Perspektive – Modelle für Welt, greift in die Praxis hinein und macht die Dinge im performativen Akt des Erzählens erst kommunikativ“ (Viehöfer 2004: 235ff.).

354 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Abfallbeseitigung (Duales System) zur Wiedereinführung in den Produktionskreislauf führte, zu den zentralen Fixpunkten der Identitätsnarrationen. Die Trennung von Verpackungen, ein schon dem wöchentlichen Einkauf unterliegender Charakter der Abfallvermeidung sowie das bewusste Recycling – sprich die Rückführung der Sekundärrohstoffe zur Wiederaufbereitung – spiegelt einerseits eine moralische Selbstverantwortung wider, andererseits wird durch die zum Teil sehr peniblen Verhaltensmuster eine oppositionelle Haltung gegenüber der australischen Indifferenz eingenommen. Zugegebenermaßen sind in der australischen Fernsehlandschaft in den letzten Jahren die Aufklärungsspots zum Appell an die australische Bevölkerung zunehmend zahlreicher geworden und der ehemalige Premierminister Kevin Rudd hat im Gegensatz zu seinem direkten Vorgänger John Howard die Auswirkungen der Erwärmung des Globalklimas anerkannt und seine politische Agenda dahingehend neu ausgerichtet, obschon diese zentraldirigistische Bewusstseinsbildung bei einem nicht unwesentlichen Teil der Menschen der Antipode auf taube Ohren stößt. Als Indikator dafür sei an dieser Stelle auf eine lokalpolitische Maßnahme zur Überwachung und Verbesserung des Recyclings in Sydney hingewiesen, für die im Jahre 2008 zehntausende Abfallbehälter mit einem Funk-Chip versehen wurden, der der Müllabfuhr genaue Informationen über Gewicht, Menge und Art des Abfalls zur Verfügung stellt und vor allen Dingen als eine Kontrollinstanz bei der verordneten Sortierung von Restmüll und wiederverwertbaren Materiellen dienen soll. Auch während meines Feldforschungsaufenthalts in den Jahren 2007 und 2008 gehörte es noch zur alltäglich geübten Praxis vieler in Australien lebender Menschen, am Ende eines Einkaufs bei den zwei größten Supermarktketten des Landes, Woolworth und Coles, an der Kasse alle erstandenen Waren in unzählige Plastiktüten zu verstauen, wenngleich es an alternativen Angeboten wie den so genannten green bags aus Naturfaser zu diesem Zeitpunkt nicht fehlte. Der Spiegel bescheinigte Australien im Jahr 2008 angesichts der Pro-Kopf-Umweltvergehen und des wenig ausgebildeten Bewusstseins zu den größten Umweltverschmutzern der Welt zu gehören, was nicht allein auf die Kohleförderung zurückzuführen sei, sondern auch darauf, dass Schätzungen zufolge jährlich circa 4 Milliarden Plastiktüten vom Einkauf mit nach Hause genommen werden (O.A.: Australien will die Plastitüten abschaffen 2008). Soziale Realität ist ein landesweites Fehlen eines aus Deutschland bekannten, durch die bereits 1991 in Kraft getretene Verpackungsverordnung geregelten Mehrwegpfands für Flaschen sowie des Einwegpfands für Dosen und andere Verpackungen (das seit 2003 gilt)78, d. h., leere Behälter landen nach dem Gebrauch in

78 Als einziger Bundesstaat erhebt Südaustralien eine Pfandgebühr auf Dosen und Glasflaschen. Diese erhalten auf ihrem Etikett einen Subtext: „5 cent refund if sold in South Australia“.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 355

den Privathaushalten in extra dafür vorgesehenen Müllcontainern. In Australien hingegen existiert weder ein von Rechtswegen verordneter noch gesellschaftlich kondensierter Anreiz, mit diesen Rohstoffen von morgen umweltschonender umzugehen: „Ich meine, die [Glasflachen, Anm. d. A.] wirfst du einfach ins Recycling. Da habe ich auch schon gesagt, wo ist die Pfandeffizienz? Ich erinnere mich noch, wie ich die Kisten [in Deutschland, Anm. d. A.] nach Hause getragen habe, mit Saft oder Brause oder Bier. Und dann nimmst du sie nächstes Mal wieder mit hin und dann ist es gut. Nein, geht hier nicht.“79

Direkte Folgeerscheinungen dieses aus migrantischer Perspektive nicht nachvollziehbaren Umgangs mit verbrauchten Gegenständen sind überfüllte öffentliche Mülleimer an vielbesuchten Lokalitäten in Sydney; Dosen, Flaschen und andere Behälter werden nach dem BBQ am Wochenende wahllos in der australischen Naturlandschaft hinterlassen und geben für die Deutschen ein Zeugnis davon ab, wie rückständig Australien in Bezug auf Abfallmanagement ist. Gerade weil man von dem vermeintlich gesicherten Wissen ausgeht, dass beim deutschen Mehrwegpfandsystem eine sofortige Rückführung von möglichst unversehrten Flaschen und Gefäßen in den Produktionszyklus erfolgt, bei dem diese Getränkebehältnisse einer chemischen Reinigung unterzogen werden und danach zurück in den Warenkreislauf zum Endverbraucher gehen und hieraus eine erhebliche Einsparung von Kosten und Energie resultiert, kommt es zu einem kulturellen Nichtverstehen, bei der die Sinnwelt der Auswanderer aus ihren Fugen gerät und der scheinbar objektiven Wissenslogik über die Lebenszyklen von Sekundärrohstoffen (Silberzahn-Jandt 1996: 53) aus der Herkunftskultur ihre Porosität aufgezeigt wird. Die Glasfalschen werden in australischen Haushalten zwar in einem separaten Behälter bis zur Abholung aufbewahrt, jedoch lässt die Handhabung dieser durch die Müllwerker weniger den Schluss zu, dass hier eine schadensfreie Ressource zur Wiederverwendung das übergeordnete Ziel ist. Vielmehr müssen die Glasflaschen aufgrund ihrer Beeinträchtigungen energieraufwendig eingeschmolzen werden, um daraus neue Behältnisse herzustellen. Diese interkulturelle Wahrnehmung und Wertung der australischen Standards sowie die sich daraus ergebenden ethnischen Konstruktionen von Wirklichkeit rufen bei der Gruppe der Untersuchten „selbstfabrizierte Unsicherheiten“ (Schrutka-Rechtenstamm 2001: 434), Widersprüchlichkeiten, Orientierungsprobleme und das Gefühl der Ohnmacht hervor, weil hier zwei differente normative Gewohnheits- und Wertegefüge in Konkurrenz zueinanderstehen und insbesondere von der ethnischen Minderheit der Ruf nach einer umfassenden gesellschaftlichen

79 Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008.

356 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Anerkennung ihres kulturellen Wissens von der Wiederverwertung von Verbrauchtem ausgeht. Der verschwenderische Umgang mit dem knappen Gut Wasser wird von den Deutschen in einem Land mit anhaltenden und Existenzen bedrohenden Dürreperioden als das kulminationsartige Fanal der interkulturellen Paradoxien erfahren. In diesem entworfenen Diskurs tun sich besonders um ein Expertenwissen bemühte Migranten hervor, die entweder im Ingenieur- und Umweltmanagement ausgebildet sind oder Akademiker sind, die sich bereits in Deutschland aktiv in einem Milieu bewegten, das ihr Interesse auf eine gesamtgesellschaftliche Ökologisierung hin ausrichtete. Die scheinbar unbekümmerte Behandlung von Wasser – hierunter wird sowohl Abwasser, Nutzwasser als auch Trinkwasser gefasst – ist bei einer jungen Generation von Migranten zentraler Inhalt ihrer Differenznarrationen, deren Struktur stets die „eklatanten Vergehen“ an einem exemplifizierten Phänomen aus ihrer alltäglichen Wahrnehmung in Sydney präsentiert und darauffolgend einen Vergleich zu deutschen Verhältnissen herzustellen weiß. Mit Argwohn wie Entsetzen mussten zahlreiche Immigranten in den ersten Jahren ihrer Akkulturation an australische Verhältnisse feststellen, wie die von den Sydneysiders verursachten Abwässer sowie die Mengen an natürlichem Regenniederschlag nicht einer (biologischen bzw. chemischen) Aufbereitung bzw. Speicherung unterzogen werden, sondern über ein Kanalisationssystem ungefiltert in den Pazifischen Ozean befördert werden. „Die Abwässer werden halt nach Bondi raus gepumpt. Als es Probleme mit der Verschmutzung gab am Strand und sich die Leute beschwert haben, hat man halt einfach die Pipeline verlängert, damit es stärker verdünnt ankommt. Und ich glaube, so was hätte es in Deutschland nicht gegeben, da hätte es Druck gegeben, dass da eine Kläranlage hinkommt.“80 „Und dann wird hier im Vergleich das Abwasser einfach ins Meer geschüttet, da wird das Regenwasser nicht gesammelt, oder die Regierung sich dagegen wehrt, das Wasser zu recyceln. Gerade das Abwasser nicht mehr zu trinken, einfach wegzukippen. Da ist dann auch irgendwo der Bruch drin.“81

Sein Trink- und Nutzwasser generiert Sydney ausschließlich über den 65 Kilometer westlich von der Metropole in den 1960er Jahre angelegten Warragamba-Damm, in dem Regenwasser gespeichert wird. Kontinuierlich auftretende Dürreperioden mit wenig bis kaum Niederschlag, die Absenz von innerstädtischen Speicheralternativen, das kulturelle Muster vieler Australier, aufbereitetes oder durch den Prozess

80 Zitat aus dem Interview mit Dr. Bettina Rößler, datiert auf den 08.08.2008. 81 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 357

des Uferfiltrats gereinigtes Wasser aus Tabugründen nicht zu trinken82, die Abhängigkeit von dieser einzigen Wasserressource sowie der mit der rasanten Zunahme der Bevölkerung einhergehende Anstieg des Wasserverbrauchs führten in den letzten Jahren zu einem beängstigenden Abfall des Pegels, was in letzter Instanz staatlich sanktionierte Verordnungen im Umgang mit Wasser während dieser Krisenzeiten nach sich zog. Entgegen dieser stetigen Verknappung des kostbaren Guts beinhalten die Erzählungen der deutschen Auswanderer immer wieder erfahrungsgesättigte Szenarien mit Beispielcharakter, die einen verschwenderischen Umgang der Australier deutlich machen sollen. Pferderennen, wie der im Bundesstaate Victoria zum nationalen Feiertag erkorene Melbourne Cup, gehören unmissverständlich zu den integralen Bestandteilen der australischen Nationalkultur und finden auch in niederschlagsarmen und über den Jahresverlauf mit der Wasserproblematik kämpfenden Regionen des Outback zum Schutze der wertvollen Tierläufe stets auf gesprenkeltem Grün statt, für den dutzende, meist alterschwache Lastkraftwagen ohne Schadstoffkatalysator und Abgasprüfplakette mehrere hundert Kilometer die großen Wassertanks zum Ort des nationalen Spektakels transportieren. Im australischen Hochsommer bei enormer Sonneneinstrahlung werden einem landestypischen Hobby Unmengen an Nass geopfert, wobei mindestens 50 Prozent in den gasförmigen Aggregatzustand übergehen, bevor es seinen eigentlichen Zweck erfüllt. Eine schier unüberbrückbare Kulturmauer entsteht aus einem teufelskreisähnlichen Zusammenspiel von einer extremen Wasserknappheitsproblematik, globaler Klimaerwärmung,

82 Die technischen Innovationen zur Transformation von Abwasser in Trinkwasser sind im internationalen Wettbewerb um das immer knapper werdende Gut Wasser unlängst möglich geworden. Längst verwandeln neuartige Recyclinganlagen mit Fäkalien, Chemikalien und Pharmazeutika versetztes Abwasser in ein lebenswichtiges Genussmittel, wenngleich die Errichtung dieser nicht allerorts auf ungeteilte Meinungen stößt. Kurz gesagt: viele Menschen verweigern unter Rekurs auf kulturelle Wesenszüge das Trinken von aufbereitem Abwasser. Berührungsängste, Ekelgefühle vor dem Wasser aus der Toilette sowie die Ungewissheit über die Langzeit- bzw. Folgeschäden des Konsums verstärken die Hemmschwelle der Australier, so dass eine Aufsprengung der Trennung zwischen Frisch- und Abwasser noch einer intensiven Überzeugungsarbeit bedarf. Einen ähnlich getakteten interkulturellen Vergleich in Bezug auf die Verweigerung bestimmter Grundnahrungsmittel kann meines Erachtens in Somalia gefunden werden. Von zahlreichen Kriegen und Hungersnöten heimgesucht, leidet die gesamte Bevölkerung am Horn von Afrika an einem anhaltenden Versorgungsnotstand an Nahrungsmittel, wenngleich der Staat über 3025 Küstenkilometer am Indischen Ozean verfügt, der ausreichend Nahrungsangebot zur Verfügung stellt. Fisch ist jedoch am untersten Rand der kulturell akzeptierten Lebensmittelkette anzugliedern, so dass der Verzehr einer kulturellen Tabuisierung unterworfen ist (Thilke 2008: 134; Hirschfelder/Ploeger 2009).

358 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

einem verschwenderischen System aus einer Vergangenheit, in der Sydney noch weit weniger Einwohner beheimatete, den geringen Auslastungskapazitäten der Dämme, einem viel zu geringen Preis-Leistungs-Verhältnis pro Kubikmeter sowie einem den Gegenwartsansprüchen nicht mehr genügenden städtischen unterirdischen Transport- und Fördersystem. Schenken wir der narrativen Beweisführung der Auswanderer Vertrauen, so kann das marode Rohrnetzwerk Sydneys dafür verantwortlich gemacht werden, dass ungefähr 20 Prozent des kompletten Wasserverbrauchs ungenutzt durch undichte Stellen in den Boden gelangt. Den geübten teilnehmenden Beobachter verwunderte es während der Feldforschung daher kaum, dass an der alltäglich frequentierten Bushaltestelle gegenüber dem St. Leonards Park über vier Monate lang das feuchte Nass aus einem lecken Rohr auf den Bürgersteig und danach in den Straßengully floss. Im Umkehrschluss würde dies heißen, dass eine umfassende Reparatur der defizitären Infrastruktur ein deutliches Surplus an Wasserkapazitäten bereitstellen würde, jedoch sind in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren milliardenschwere Immobilien über den gegenwärtig defekten Leitungen errichtet wurden, so dass nur ein kostenintensives Tunnelsystem eine Erreichbarkeit der Rohre gewährleistet. Hier haben es die Regierungen in den 1980er und 1990er Jahren verpasst, so der O-Ton der deutschen Emigranten, notwendige infrastrukturelle Veränderungen auf den Weg zu bringen, die in der Jetztzeit nur mit einem kaum zu leistenden finanziellen Engagement zu reparieren seien. Da diese finanziellen Rahmenbedingungen fehlen oder die Notwendigkeit zur nachhaltigen Investition nicht gegeben scheint, kann eine Erklärung dafür abgeben werden, weshalb etliche tausend Liter der wohl wertvollsten Ressource des Fünften Kontinents über eine Zeitspanne von vier Monaten allein aus einem kleinen Leck an der Miller Street in North Sydney frei entweichen konnte. Eine Wassergewinnung, so berichtet der im Umweltmanagement tätige Andreas Rottscheidt, aus dem in Deutschland bekannten Prozess des Uferfiltrats, bei dem verunreinigtes Flusswasser über eine gewisse Entfernung zu einem flussnahen Grundwasserbrunnen transportiert wird und im Verlauf Schweb- und Schadstoffe und Mikroorganismen absorbiert werden, ist eine kaum bekannte Quelle, die bei der Akquisition von Wasser fast gar nicht in Betracht gezogen wird. Des Weiteren evoziert der für einen Kubikliter Wasser zu entrichtende Preis, etwas mehr als 1 Australischer Dollar, emotionsgeladene Thematisierungen innerhalb der Gruppe der Befragten. Für diesen Endverbraucherpreis wird das nasse Gut fast 100 Kilometer vom WarragambaStaudamm unter Zuhilfenahme von Pumpen in die zahlreichen Vororte der Stadt transportiert, ist gereinigt sowie von Keimen befreit. Die am untersten Level anzusiedelnden Nutzungskosten beflügeln eine ökologisch unbewusste Nutzung. In den wirtschaftlichen Expansionsjahren der 1960er und 1970er Jahre verfügte Sydney über weit weniger Einwohner, so dass ein zeitintensives Duschen, das tägliche Abspritzen des Autos oder der Gehwege, die Bewässerung von Grünflächen sowie der Frischwasserzufuhr der hauseigenen Pools zu den traditionellen Mustern der zah-

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 359

lenmäßig geringeren Überflussgesellschaft gehörten. Althergebrachte sowie den Fortbestand der Lebensqualität verbürgende kulturelle Verhaltensweisen lassen sich bekanntlich nur sehr schwerlich überkommen und führen letztendlich nur dann zu einem radikalen Sinneswandel, wenn die Zukunft des Landes auf dem Spiel steht. Das Erlernen eines sparsamen Umgangs rückte angesichts dieser überlieferten Ordnungen einfach zu lange in den Hintergrund des gesellschaftlichen Interesses und sei es auch nur nach der selbstbeschwichtigenden Devise: „Haben wir noch nie so gemacht.“ Viele, jedoch nicht alle Teile der australischen Mehrheitsbevölkerung leben nach wie vor in überkommenen und, aus der Auswandererperspektive betrachtet, in zu überkommenden Denk- und Handlungspersistenzen. Wie Deutsche den von falschen Ausgangsvorstellungen geprägten Umgang mit Wasser der Australier beurteilen, wird im nachstehenden Interviewpassus von dem selbstständigen Wirtschaftsingenieur Mathias Burmeister ersichtlich: „Ein Kunde von mir, der ist von der sunshine cost, der ist Spezialist, er ist Arzt. Der ist wirklich smart, der hat sich selber Programmieren beigebracht, auf einem Level, wo ich wirklich staunen muss. Ich war bei ihm und habe bei ihm gearbeitet, als in Queensland Diskussionen hochkamen, wegen der schlimmen Wasserversorgung in Brisbane eine Entsalzungsanlage zu bauen. Und der Peter Betty, der damals noch der Premierminister war in Queensland, hat also für diese Idee geworben. Und nach diesem Bericht im Fernsehen hat der Arzt mir gegenüber Verständnis geäußert für den Premierminister und hat gesagt: ,Ja, wir müssen irgendetwas machen, es kann so nicht weiter gehen und der Mann hat Weitsicht.‘ Und da habe ich gesagt: ,Nein Andrew, das ist falsch, der Mann hat keine Weitsicht meiner Meinung nach, da hast du dich getäuscht.‘ Da hat er sich erst mal gewundert. ,Warum denn?‘ ,Ja‘, habe ich gesagt, ,solange es in diesem Haushalt und in diesem Staat einen Haushalt gibt, der mit toploadern seine Wäsche wäscht, bis dahin dürfte die Landesregierung von Queensland keine Entsalzungsanlage bauen. Solange das der Fall ist, haben wir unser Einsparungspotenzial nichts ausgeschöpft. Und erst dann sollten wir zu so einem energiehungrigen Schritt gehen.‘ Der war völlig baff, der wusste einfach nicht, dass toploader dreimal so viel Wasser brauchen.“83

Die Errichtung von küstennahen, jedoch horrende Energiekosten verursachenden Entsalzungsanlagen wird in Australien als ein Allheilmittel zur Bekämpfung der zeitlichen Dürreintervalle angesehen, während am menschlichen Ökologiebewusstsein arbeitende Strategien für die alltäglichen Verhaltensweisen wie die sinnvolle Verwendung des Regenwassers oder den Wasserverbrauch reduzierende Toilettenspülungen, Duschköpfe und Waschmaschinen vernachlässigt werden. Beispielhaft sind die so genannten water saving kits, bereitgestellt von der Organisation Save Water Target 155 im Bundesstaat Victoria, die der Bevölkerung dienliche Informa-

83 Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008.

360 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tionen bezüglich eines nachhaltigen Sparens von Wasser an die Hand geben, sei es auch nur in Form einer Sanduhr, die das Duschen auf drei Minuten determinieren soll. Bei diesen Praktiken der Prävention handelt es sich ausschließlich um voluntary agreements84, d. h. Handlungsanleitungen, die auf freiwilliger und individueller Basis getroffen werden, keine staatlichen Sanktionen oder Verbote beinhalten und auf Überzeugungsarbeit gründen. In Deutschland dagegen seien die Ergebnisse zwangläufig kurz nach der Inauguration gesetzlicher Verordnungen objektiv messbar und bei Zuwiderhandlung bzw. bei der Nichteinhaltung der Grenzwerte würden staatlich auferlegte Geldbußen fällig. Gemessen an den eigenen, in Deutschland enkulturierten normativen Errungenschaften im Umgang mit Naturstoffen erscheint den Migranten die strukturelle Praxis der Australier mit Wasser und Energie als intellektuell nicht auf der Höhe des globalen Geschehens; nicht selten fielen in den differenzkonstituierenden, symbolisierenden, politisierenden und nicht zuletzt moralisierenden Erzählungen plakative Bezeichnungen wie „hirnlos“, „dumm“, „blödsinnig“ und „weniger perspektivisch denkend“. Diese Aussagen unterstreichen und verfestigen die kulturellen Gegensätze zwischen Deutschen, die sich selbst nicht ganz ohne Grund als internationale Führungselite in Sachen Umweltschutz definieren, und zahlreichen Menschen in Australien, denen der Ruf vorauseilt, zu den größten Klimasündern zu gehören. Deutsche in Sydney inskribieren in ihr Selbstbild ferner ihre eigene Betrachtungsweise, wobei das kulturell Fremde gleichzeitig aus einer gewissen Distanz und alltäglicher Erfahrung analog zu einem ethnologischen Blick beobachtet und klassifikatorisch als nicht zum Eigenen gehörend verortet wird. Wenn es um die Fragen einer Ressourcen schonenden, effizienten und nachhaltigen Nutzung von Energie in Form von Elektrizität im Umweltdiskurs der deutschen Immigranten geht, avancieren zumeist der nur suboptimal an die in Sydney vorherrschenden Klimaverhältnisse abgestimmte Baustil des bewohnten Hauses und dessen drastische Auswirkungen für die nationale Emission von Kohlenstoffdioxid zum emotional besetzten Indikator für die ethnische Grenzziehung. Weshalb die Qualität „im Vergleich zu Deutschland ein wahnsinnig unteres Level“85 besitzt, hängt mit dem Wechselverhältnis von mikroklimatischen Einflüssen und einer architektonisch-baulichen Inkompatibilität zu diesen Witterungsbedingungen zusammen. Die Außenwände (oft nur abwertend als „Pappwände“ bezeichnet) von Wohnungen und Häusern sind nicht isoliert; im Winter wird die Wärme nicht gespeichert bzw. die Kälte nicht ausgeschlossen und im Sommer kann die mittels einer Klimaanlage erzeugte kühlere Luft entweichen. Das weitgehende Fehlen von aus Deutschland geläufigen doppel- oder dreifach verglasten Fensterscheiben (in Aus-

84 Zitat aus dem Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007. 85 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 361

tralien besteht ein Fenster in vielen Fällen nur aus einem ineinandergesetzten Holzrahmen) und eine Zentralheizung mit Heizkörpern zur partiellen Erwärmung einzelner Räumlichkeiten führen in einem strengen und langen Winter mit Nachttemperaturen von 5 bis 7 Grad Celsius zu exorbitanten Heizkosten. Eine Erwärmung einzelner Zimmer (Schlafzimmer/Wohnzimmer/Bad) in den kalten Monaten von Mai bis September gelingt nur durch den multilokalen Einsatz mobiler und elektronisch betriebener Heiz- bzw. Gasöfen, vor denen sich abends die in Decken, Pullover und Socken gehüllte Gastfamilie versammelt, um genügend Wärme vor dem Zubettgehen zu tanken.86 Dass sich der Sydneysider in der subtropischen Metropole im südlichen Pazifik mit dicken Strümpfen, Pullover, Wärmflasche oder Heizdecke abendlich zur Ruhe begibt, scheint so gar nicht in das exotisierte wie romantisierte Urlaubsidyll, das in Europa zu den medial geschönten Gedankenkonstruktion gehört, zu passen. Die mangels bestehender Außenisolierung, durch den Spalt zwischen Tür und Boden – „durch den die Kakerlaken huckepack durchgehen“87 können – sowie durch die Einfachverglasung ins Haus hineinströmende Kälte wird durch Wärmelüfter und Heizöfen bekämpft. Der kontinuierliche Einsatz dieser Geräte verursacht jedoch enorme Strom- und Energiekosten. Vergleichende Kalkulationen aus Migrantenkreisen ergeben eine Verdoppelung bis Verdreifachung der in der alten Heimat verbrauchten Kilowattstunden in Sydney, obschon der zu zahlende Preis deutlich geringer anzusiedeln ist. „Du siehst das wahnsinnig, wenn du eine Kerze hast, die Flamme wackelt einfach immer. Das kann aber überhaupt nicht sein, du spürst es auch, wenn du deine Hand dahin hältst, das wird wirklich kalt. Das heißt, du musst das konstant mit einer laufenden Heizung ausgleichen. Das ist wahnsinnig, finde ich, wir hauen da so viel Strom raus. Die Australier haben da echt eine Selbstlüge aufgebaut, die sich auch wahnsinnig gut verkaufen lässt. Die verkaufen Australien, oder ich sage mal jetzt Sydney, für wahnsinnig heiß. Ist es nicht. [Spricht direkt ins Mikrofon, Anm. d. A.] Für alle, die hierher kommen wollen, es ist nicht heiß. Die Australier sagen, wegen den sechs Wochen brauchen wir keine Heizung. Aber es sind doch keine sechs Wochen, es sind vier bis fünf Monate, das ist ein gutes halbes Jahr. […] Also, wenn die dieses Haus ordentlich gebaut hätten, dann würden wir da eine Menge Energie sparen. Ich friere mehr in Australien als in Deutschland, weil im Winter, ja dort ist es zehnmal kälter, aber wenn ich

86 Dass diese Beobachtung kein Einzelfall ist, bestätigte mir nachträglich Harmsen in einem Gespräch: „Wir haben hier gesessen in den letzten Wochen, also wir haben diese kleine Heizung da vorne. Abends, wenn die Kinder ins Bett gebracht werden, dann sitzen die hier mit ihrer Decke über dieser Heizung. Das ist wirklich zum Totlachen, du denkst einfach, das kann nicht sein.“ Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008. 87 Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007.

362 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

drinnen bin, ist es warm. Während hier sagen die dann eben, dann musst du eben einen dicken Pulli anziehen, aber wie gesagt, wir leben im 21. Jahrhundert. Ich gehe nicht mehr mit dem Pulli schlafen. Vielleicht hat das mal mein Vater gemacht als Nachkriegskind und so, aber das muss nicht mehr sein.“88

Die Herangehensweise des Australian way89, angesichts der über längere Zeitintervalle Fortbestand besitzenden normativen Ordnungen, auf die Dämmung der Häuserwände und die Mehrfachverglasung von Fenstern zu verzichten, widerspricht bzw. bildet das Fundament für die Herausbildung einer kulturellen Kluft zu den in der Bundesrepublik erlernten, sich auf eine tradierte Wissenslogik beziehenden Vorstellungen über Einsparungen von Energie und dem nachhaltigen Umgang mit Kapazitäten, aus denen man nur zeitlich begrenzt schöpfen kann. Insbesondere solche offensichtlichen und für jeden Deutschen erkennbaren, die Ökologie und das Klima auf australischer Mikroebene wie globaler Makroebene negativ beeinträchtigenden infrastrukturellen und kognitiven Rückständigkeiten (Informationsdefizite) zählten für die Migranten bereits beim Verlassen der Bundesrepublik zum Standardrepertoire umweltpolitischer Diskussion und hielten Einzug in Gesetzestexte. Eine höchst moralisch besetzte migrantische Argumentation zur Bewusstseinsbildung über die weltweit verbreitete Endlichkeit energetischer Rohstoffe beklagt in ihren Problemnarrationen die wenig ausgeprägte Assimilationsfähigkeit der australischen Wegwerf- und Vergeudungsgesellschaft, weil die Aufklärungen zum vermeintlich anthropogenen Klimawandel und die damit einhergehenden hypothetischen Gefahren90 bis in die Gegen-

88 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008. 89 Zitat aus dem Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08.2008. 90 Auch wenn direkte Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels in Sydney nur graduell spürbar sind, herrscht in Australien eine mehr oder minder gerechtfertigte Furcht vor der globalen Erderwärmung, denn intervallartig auftretende Dürreperioden, flächendeckende Buschfeuer in Zeiten der Trockenheit sowie eine Beeinträchtigung der Biodiversität sind Probleme des Alltags. Farmer im niederschlagsarmen Inland der Bundesstaaten New South Wales und Queensland sehen ihre Existenz immer dann besonders gefährdet, wenn aufgrund des ausbleibenden Regens die Weideflächen der Rinder kein Gras als Futterquelle bereitstellen und aufgrund dessen von einem Viehbestand von 1.000 Rindern 80 Prozent geschlachtet werden müssen. Ernteerträge rangieren an einem so niedrigen Level, dass noch nicht einmal die Kosten gedeckt werden können. Besonders während der explorativen Feldforschung zu Neige des Jahres 2007 herrschte in der Riverina, dem Landwirtschaftsgürtel im Südosten des Kontinents, eine der folgenreichsten Dürreperioden der letzten hundert Jahre, die ganze Landstriche in braune und gelbe Töne verwandelte und zahlreiche Bauern im Inland mit Zukunfts- bzw. Existenzängsten konfrontierte. Nicht nur die für den Ackerbau bzw. die Weidewirtschaft so wichtigen Flüsse sind

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 363

wart eher stiefmütterlich thematisiert wurden. Unweigerlich existieren different zueinanderstehende Sichtweisen auf die bedeutungsgeladene soziale Wirklichkeit, was zwischen der ethnischen Minderheit und der breiten Masse der australischen Dominanzgesellschaft zu konträren alltagskulturellen Handlungsoptionen und Lebensstilgestaltungen führt und interkulturelle Konsensbildungsprozesse hemmt91, weil beide Parteien infolge der conditio humana in zwei unterschiedliche und voneinander unabhängig konstruierte kulturelle Wirklichkeiten hingewachsen sind, sprich die Enkulturation war eine jeweils andere. Oppositionelle Interessenvertretungen und Wertesysteme im Hinblick auf umweltverträgliches Handeln manifestieren besonders dort einen die Grenzen ethnischer Identität konsolidierenden Differenzmarker, wo ökologische Maximen zu einem den Alltag bestimmenden Lebensstil erhoben werden, d. h. diesen nicht nur partiell flankieren, sondern integral determinieren. Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels Erwähnung fand, konzipiert ein Teil der erforschten deutschen Auswanderer einen auf nachhaltiges Ressourcenmanagement und Umweltschutz ausgerichteten Lebensstil, der sich als eine Art konstruierte ethnische Gegenkultur über ökologische Präferenzen wie Grundorientierungen, gruppenspezifische Begrifflichkeiten, kollektive Handlungen und gemeinsam geteilte Bedeutungszuschreibungen wie Weltsichten definiert, eine interne Differenzierung aufweist und in der eine Minderheitsposition zur Artikulation gebracht wird. Die so genannten deutschen LOHAS, ein Akronym für Lifestyle of Health and Sustainability, erzeugten und sicherten, wie wir im Folgenden sehen werden, ihre ethnische Identität durch ein Handeln in Opposition zur australischen Mehrheitsgesellschaft, d. h., kulturelle Sinnprofile sind in der postmodernen Wissensgesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts Ergebnisse intentional konstruierter Ungleichheiten. Somit sind wir bereits bei einer definitorischen Operationalisierungsebene von Lebensstilen angelangt. Lebensstile, als

nahezu ausgetrocknet und machen eine neue Aussaat von Getreidesamen zu einem hoffnungslosen Unterfangen; vielmehr bringen die bis auf das Gerippe abgemagerten Rinder auf dem Viehmarkt nur einen Bruchteil des erhofften Ertrages ein. Dass die Konsequenzen des Klimawandels auch über das menschliche Dasein im menschenleeren und von Einsamkeit gekennzeichneten Inland einen Schatten ziehen, lässt sich an einschlägigen statistischen Erfassungen ablesen; Die Selbstmordrate unter Männern zwischen zwanzig und dreißig ist in diesen entlegenen Gebieten mehr als doppelt so hoch wie in städtischen Agglomerationen. 91 „Ich habe zu meiner [australischen Anm. d. A.] Schwiegermutter gesagt: ,Ich möchte gerne Doppelglasfenster haben in meinem Haus, damit es hier ein bisschen isoliert ist.‘ Die hat mich ausgelacht: ,Was, hier in Australien, es ist doch immer Sonnenschein und immer warm.‘“ Zitat aus dem Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08. 2008.

364 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

posttraditionelle Vergemeinschaftungsformen, sind für Sighard Neckel „sozial distinktive kulturelle Praktiken“ und „symbolisch gesicherte Territorien mit festen Zugehörigkeitsmerkmalen und Ausschlussregeln“ (Neckel 1993: 28f.), in denen aus der pluralen Polykontextualität des Alltags selektiv herausgehobene und stilisierte Wertevorstellungen und Identitätsentwürfe zum Ausdruck kommen, die zum Zwecke „einer grundlegenden, umfassenden Alltagsorganisation“ (Otte 2004: 91) herangezogen werden. Pierre Bourdieu begreift diese Lebensformen in seinem zum Klassiker der Soziologie gewordenen Werk Die feinen Unterschiede als „die repräsentierte soziale Welt“ (Bourdieu 1999: 278). Im Gespräch mit der aus der temporären Zwischenheimat San Francisco mit ihrer Familie nach Sydney übergesiedelten Sylvia Harmsen entfaltete die Transmigrantin ein eidetisches Panorama davon, wie im familiär-häuslichen Gefüge ein kontradiktorisch zu australischen Verhältnissen geschaffener ökologischer Mikrokosmos das alltägliche Handeln bestimmt. Familie Harmsen gehört zu dem Teil der jungen deutschen wie avantgardistischen Migrantengeneration in Sydney, die bewusst ein auf Nachhaltigkeit, Klimasensibilisierung, Umweltorientierung, Verzichterklärung und ökologische Adäquatheit abzielendes Leben für sich gewählt hat und ihren Lebensstil nach diesen Prämissen koordiniert. Einige phänomenologische Beispiele auf alltagskultureller Ebene, die sich aus den Expertennarrationen sowie teilnehmenden Beobachtungssituationen ergaben, sollen diese Hypothese verifizieren. Um den individuellen carbon footprint zu minimieren und die eigene Lebensqualität anhand des täglichen Joggings oder der Fahrradfahrt zum Arbeitsplatz zu verbessern, entschlossen sich die beiden Familienoberhäupter zum Verzicht auf ein Personenkraftfahrzeug, was gerade in Sydney mit seiner Weitläufigkeit, mit seinem lückenhaften wie stark überlasteten öffentlichen Verkehrsnetz sowie seiner ausgeprägten Autokultur vielen Menschen eine schier unvorstellbare Bürde auferlegen würde. Als volunteer engagiert sich die in Cremorne lebende Harmsen einmal in der Woche bei der Nichtregierungsorganisation des Nature Conservation Council in ihrem Nachbarvorort Mosman und nahm im Kontext dieser Interessengemeinschaft bei dem Wettbewerb zum Climate Change Award teil, bei dem klima- und umweltfreundliche Veränderungen am Eigenheim prämiert wurden. Neben der Betreibung eines eigenen Kompostierhaufens im hinteren Außenbereich des Hauses, der gewährleistet, dass organische Küchenabfälle nicht in der Masse des Restmülls landen, entschieden sich Harmsens für die Anbringung einer Solaranlage zur Erhitzung des im Haushalt verwendeten Nutzwassers. Zudem entwickelten die Migranten anhand des aus Deutschland mittransportierten kulturellen Wissens ein Hochenergiesparprogramm, in dem sie Fensterscheiben nachträglich abdichteten, vor Türspalten eine die Luftzirkulation zwischen drinnen und draußen hemmende Barriere montierten, Regenwasser zur Bewässerung der Topfpflanzen auffangen, auch beim

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 365

Kauf von Elektrogeräten mit Öko-Labeln, wie zum Beispiel Computern von der Firma Apple, auf Umweltverträglichkeit achteten92 und bereits beim Einkaufen von hochwertigen Produkten in den lokalen convenience stores anfallende und üppige Zusatzverpackungen vermeiden.93 Am Abend der Siegerehrung, bei dem alle engagierten Teilnehmer aus diesem von wohlhabenden Menschen bewohnten Vorort in Sydney zu den Gewinnern gehörten und die ökologische Bewusstseinsbildung mehr im Vordergrund stand als Urkunden und Pokale, wurde den Deutschen die Möglichkeit zuteil, an einem in Eigenregie aufgestellten Informationsstand über ihre Errungenschaften bzw. Verbesserungen zu berichten und zugleich bei ihren Mitmenschen Aufklärungsarbeit zu verrichten. Jedoch bereits zu Beginn der abendlichen Feierstunde wurde den moralischen Pragmatikern aus Deutschland neuerlich die omnipräsente kulturelle Kluft ins Bewusstsein zurückgerufen, da die anderen Bewohner des finanzkräftigen wie bildungsnahen Wohlstandsvororts Mosman nicht wie Familie Harmsen, die die ökologische Lebensweise zu einem gewissen Grad internalisiert bzw. perfektioniert hat, symbolträchtig mit dem Fahrrad anreisten, sondern mit ihren teuren Limousinen aus deutscher Fabrikation vorfuhren und so die Veranstaltung von Beginn mit einem eher ambivalenten Schleier versahen. Insbesondere die räumliche wie zeitliche Gleichzeitigkeit von Verzicht- bzw. Entbehrungspraktiken und einer für diesen Vorort so typischen hohen materiell-luxuriösen Standardisierung des Lebens, ausgedrückt in großen Häusern und Prestigesymbolen wie antriebsschnellen und leistungsstarken Autos aus dem Rhein-Neckar-Raum, torpedieren die seitens der Deutschen mit Engelszungen postulierte „Umwelt- und Nachhaltigkeitsethik“ und verdeutlichen das interkulturelle „Nebeneinander konkurrierender, kontextspezifischer Handlungslogiken und Orientierungsmuster“ (Brand 2002: 185). Eine Ethisierung des Lebensstils und Ästhetisierung des Alltags vollziehen die Untersuchten ferner beim Kauf von Nahrungsmitteln. Produkte aus biologischem Anbau wie zum Beispiel Gemüse oder Mehl zur Herstellung des eigenen Vollkornbrotes werden von einem deutschen Bioladenbesitzer aus Crows Nest über einen Hauslieferungsservice geordert. Diese Erzeugnisse seien im Ver-

92 In Sachen umweltfreundliches Design, Verwendung von recyclebaren Materialen sowie der energieeffizienten Herstellung von Hardware beschreitet der kalifornische Hersteller laut der internetbasierten Außendarstellung der Unternehmensphilosophie des Firmenkonzerns innovative Wege (http://www.apple.com/de/environment/). 93 Dass es sich bei dieser Initiative um kein Beispiel mit Seltenheitscharakter handelt, zeigt ein weiteres Projekt aus der deutschen Community. Die German International School Sydney an ihrem neuen Standort in Terry Hills versieht sich bei ihrer Außenpräsentation mit dem Ruf als Umweltschule, da sie über eine Solaranlage, wasserlose Urinale und ein Regenwasserauffangbecken verfügen sowie Mülltrennung betreibt. Hier liegt die Intention nahe, dass auch die Schüler ein umweltgerechtes Verhalten lernen sollen.

366 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

gleich zu den von der breiten australischen Masse konsumierten Lebensmitteln zwar deutlich teurer, jedoch befriedigen diese die migrantischen Geschmackspräferenzen eher, da neben einem lebensstilspezifischen Grundmuster wie dem Bedürfnis nach Nachhaltigkeit auch das Bedürfnis nach Authentizität und ein körperlich wie seelisches Wohlbefinden saturiert werden. Nicht erst auf den zweiten Blick wird bei diesen ethnografischen Fallbeispielen flagrant, dass die deutschen Migranten mit der Art und Weise ihres alltäglichen Lebens, ihren Vorlieben, ihren umweltbewussten Handlungsvorgaben sowie dem im Kollektiv geteilten Wissensfundus ein Habitat in Australien konstruiert haben, das durchaus die Bezeichnung „ökologische Parallelgesellschaft“ verdient hat. Die in den differenzproduzierenden Lebensstil eingeschriebenen Wertemaßstäbe, Symbolcluster und Geertz’schen Bedeutungsgeflechte, die im Laufe der Sozialisation ausgebildet, somit von der Herkunftskultur determiniert und überformt sind und aufgrund dessen für die Ethnizität der Deutschen wirkungsmächtige Gültigkeit besitzen, kommt die Funktion zu, Grenzregimes (Karakayah/Tsianos 2007: 14) zu errichten, Demarkationslinien zu ziehen und ein Leben in imaginierten „getrennten Welten“ (Braun 2006: 20 [Herv. i. O.]) erst möglich zu machen. Hier wird ethnische Identität, verstanden als eine situativ kommunizierte und somit ständig aktualisierte Aushandlung von Grenzen, an „Oppositionen“ (ebd.: 36) evident. Die Zuwanderer konstruieren ihre eigene Lebenswelt bzw. ihren ökologischen Lebensstil durch die Setzung und Verteidigung von kulturell codierten ethnischen Differenzen, bei der sowohl die absagende Unterwanderung der Assimilationsanforderungen der Aufnahmegesellschaft als auch die von der nationalen Immigrationsbehörden intendierte integrationspolitische Zielsetzung der sozialen Kohäsion einhergeht mit dem Persistieren auf den eigenkulturellen Erklärungsmustern, die zur Begründung der ethnischen Sinnwelt einen enormen Beitrag zu leisten im Stande sind. Auch hier ist die binäre, selbst- und fremdreferenzielle Separierung zwischen Umweltaktivisten und Klimasündern der Vater der Ethnizitätskonstruktion sowie Garant zur Verortung von lebensstilspezifischen kollektiven Identitäten, Eigenbildern und Verhaltensroutinen. Mit kulturspezifischen Grenzmarkierungen wie einer sich aus der Nachkriegsgeschichte Deutschlands ableitenden Behandlung von materiellen Gütern mit eingeschränkter Temporalität und hoher Vulnerabilität wird die distinktive Performanz bewusst hervorgehoben: „Die Deutschen sind dann mehr gründlich in ihrer Zukunftsperspektive. Was vielleicht auch daran liegt, die Generation, die Deutschland aufgebaut hat, lebt noch. Und die wussten, wie man aus nichts etwas schaffen kann. Und das man das, was man schafft, auch behält und rich-

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 367

tig macht, damit es nicht gleich wieder kaputt geht. Weil man eben nichts hatte und das Problem haben die Australier einfach nicht. Hier war nie ein richtiger Krieg.“94

Die metaphorisch im kulturellen Gedächtnis zahlreicher Emigranten kursierende Nachkriegstrias Zerstörung, Neuaufbau und Erhaltung aus den Folgejahren nach 1945 ruft unweigerlich Erinnerungen an die Stunde null sowie die deutsche Zusammenbruchsgesellschaft hervor, der die Eltern des hier geschilderten Auswandererjahrganges mit Engagement, Fleiß und unter Zuhilfenahme technischer Innovationen aufs Neue zu materiellem Wohlstand verhalfen. Binnen weniger Jahrzehnte transformierten Menschen einen in Auflösung begriffenen Staat zu einer international anerkannten Wirtschaftsmacht mit intakter Infrastruktur, auf dessen Territorium die Bevölkerung anhand der Schlussfolgerungen aus ihrer Geschichte eine besondere Sensitivität für die Endlich- und Vergänglichkeit von Ressourcen und Gütern ausgebildet hat. Somit werden die Appelle der ethnischen Minderheit in Australien zur natur- und klimaschonenden Umstrukturierung von Bewertungsmustern immer auch als „Gefährdung des Erreichten und als Bedrohung der geltenden Ordnung erlebt“ (Brand 2002: 194). Vermittels eines nach dem Entwurf des Ungleichheitsgefüges (Burzan 2007: 93) errichteten „grünen“ Lebensstils der LOHAS bzw. der Umweltaktivisten mit Migrationshintergrund sowie der hierin kommunizierten kulturellen Komponenten, so können wir ein Fazit ausformulieren, gelingt den Auswanderern aus der Bundesrepublik eine auf die eigene Ethnizität Rekurs nehmende Positionierung, die zur Vergegenwärtigung der eigenen kulturellen Identität einer Abgrenzung und Dichotomisierung zum fremden Anderen bedarf.

94 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

368 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

4.5 G ENAUIGKEIT , P ÜNKTLICHKEIT

UND E FFIZIENZ VERSUS NEAR ENOUGH IS GOOD ENOUGH : PRAXEOLOGISCHE F ORMEN DER K ULTURALISIERUNG DEUTSCHER N ATIONALTUGENDEN „Noch nie sind so viele Menschen täglich in ferne Länder unterwegs gewesen wie heute, und gleichzeitig wurde lange nicht mehr so viel von Heimat und Verwurzelung und Entwurzelung geredet. Nationalismus ist kein Schimpfwort mehr, keine abgelegte Schandvokabel aus der Pickelhauben-undKanonenboot-Ära, sondern es drückt das notwendige Selbstinteresse eines Landes aus, das sich seiner geschichtlichen und kulturellen Identität bewusst ist. Nationalismus ist das Abgrenzungs-Interesse in der Ära des totalen Internationalismus, und schon wirtschaftlich ist das eine Notwendigkeit. Alle, die im globalen Wettbewerb konkurrieren, appellieren mittlerweile ganz ungeniert an den nationalen Ehrgeiz, an den nationalen Stolz, in England so gut wie in China oder Indien oder in Deutschland“ (Matussek 2006: 23). „In der Industrie, wo ich tätig bin, bedeutet ein Deutscher gleich Qualität. Wenn man einen Deutschen einstellt, dann weiß man, der ist humorlos, furchtbar langweilig, geht nicht gerne auf Partys, aber man kriegt von dem eine unglaublich gute Qualität.“95

Der Journalist und langjährige Auslandkorrespondent Matthias Matussek gibt seinem breiten Lesepublikum zu verstehen, dass Deutsche Menschen sind, die sich kontinuierlich über ihr Herkunftsterrain Gedanken machen und ein Bewusstsein für ihre Nation bzw. mit nationaler Etikette versehene Verhaltens- und Bewertungseigenschaften erst dann richtig zur Geltung bringen, wenn sie sich im Ausland befinden (Matussek 2006: 59ff.), d. h., wenn keine kulturelle Bindung zum ethnoterritorialen Beheimatungs- und „Satisfaktionsraum“ (Greverus 1972: 53) besteht. So gehört auch ein in nationalen Stereotypen konserviertes Alltagswissen über „den Deutschen“ und „den Australier“ zum kollektiv geteilten Wissensarchiv der deut-

95 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 369

schen Migrantengemeinde in Sydney, mit dem strategisch Ethnizität vollzogen, das bekannte Eigenen gegenüber dem unvertrauten Fremden narrativ verortet und zur Legitimation des eigenen ethnischen Standpunktes während der kulturellen Differenzerfahrung im Akkulturationsprozess exponiert hervorgehoben wird. Ein heterogenes Panoptikum von ethnonational verstandenen Autostereotypen, definiert als kognitive Bilder von der eigenen deutschen „Kulturgemeinschaft“, und Heterostereotypen, determiniert als mentale Attribute für die „fremden australischen Anderen“ (Tuomi-Nikula 1993: 101f.; Gerndt 1988b: 11), förderten die ethnografisch angelegten Gespräche mit den Auswanderern zu Tage, mit deren Hilfe einer ethnischen Eigen- und Fremdheitskonstruktion Konturen verliehen wird. Diese so genannten Bilder in den Köpfen der Menschen, d. h. die relativ festgefügten, verallgemeinernden und auf einem komplexitätsreduzierenden wie graduell wirklichkeitsverzerrenden Schematismus aufbauenden stereotypen Urteile mit ungesichertem Richtigkeitsinhalt96, definiert die Galionsfigur der deutschen Gegenwartsvolkskunde wie folgt: „Stereotype (oder Stereotypen) sind unkritische Verallgemeinerungen, bei denen eine kritische Überprüfung nicht gefragt ist oder verhindert wird und die so resistent sind gegen Veränderung“ (Bausinger 2005: 17).97 „Stereotyp ist

96 Zur anthropologischen Erfordernis, während des direkten Kulturkontaktes mit „den Fremden“ diese in mehr oder weniger objektive, wirklichkeitsgetreue und der Realität entsprechende Ordnungsschemata und Rahmenkategorien zu subsumieren, führt Ruesch Nachfolgendes aus: „In daily life encounters, a person rarely has the opportunity or the time to study another individual in detail […] therefore he has to confine himself to the observation of appearance, […] speech or action, searching for some attributes that identify the person as belonging to a given typology. Missing information about an individual can than be supplied by borrowing from the typology […] National character may appear as fiction to the insiders, but to the outsider and those traveling in foreign countries it is a useful concept. Not knowing too many natives and not being able to interpret the behavior of those they meet, the outsider can use a notion of national character as a guideline […] One can say that the typologies of national character presents statements of probability which in the absence of evidence to the contrary have greater predictive value than statements based on human nature in general. Once specific information is available however, the national typologies have little, if anything, to offer and have to be replaced by detailed knowledge of the persons […] or groups in question“ (Ruesch 1974: 29ff.). 97 Der Terminus „Stereotyp“ wurde bereits in den 1920er Jahren vom US-amerikanischen Journalisten Walter Lippmann grundgelegt, auf dessen Veröffentlichung Public Opinion der politik-, kommunikations- und kulturwissenschaftliche Diskurs aufbaut. Dem Autor ging es zur damaligen Zeit um die Beförderung und Stabilisierung der freien Meinungsbildung und er verwies zur Veranschaulichung auf die in seinem beruflichen Metier gängige Drucktechnik. Das Stereotyp ging laut Lippmann aus dem technischen Vorgang her-

370 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

der wissenschaftliche Begriff für eine unwissenschaftliche Einstellung“ (Bausinger 1988b: 160). Diese „festen Engramme alltagskultureller Orientierung“ (ebd.; Brückner 1994) entwickeln ihre Entfaltungskraft ganz besonders im Kontext der von Fraktionierung und Partikularisierung begleiteten kulturellen Umbruchssituation Migration, weil in der fernen Fremde der australischen Metropole die zunehmende Schwierigkeit bei der Decodierung komplexer kultureller Chiffren, die auf unterschiedlichem Wissen und unterschiedlichen Erfahrungen und Weltanschauungen basieren, zunächst eine Beharrung auf bzw. Präferierung der vorgeblich eigenen nationalen Charakteristika geschieht und im Umkehrschluss das zumeist negative Fremdbild als Projektionsfläche zum durchweg positiv besetzten Selbstbild klassifiziert wird. Kurz formuliert: Die Fremdheitskonstruktion (Abweichung/Anormalität/Normwidrigkeit) speist sich ausschließlich aus der Entgegensetzung zum Eigenen (Kompetenz). In der migrantischen Argumentationsstruktur lässt sich eine differenzierende Ebene freilegen, auf der eine typisierende wie kategorisierende Grenze zwischen den imaginierten Gemeinschaften „Ihr“ und „Wir“ gezogen und damit im gleichen Atemzug der Anspruch auf die Zugehörigkeit zu zwei unteschiedlichen kulturellen Systemen erhoben wird, somit auch ein Desintegrationspotenzial in sich birgt. Kommuniziert werden nicht die interethnischen Gemeinsamkeiten, sondern vielmehr wird die ganze Aufmerksamkeit auf die kulturellen Differenzen gelegt, es wird auf das Scheidende, die Unterschiedlichkeiten, die Inkomparabilität und das Nichtverstehen zwischen den deutschen und australischen Verhaltensformen und Bewertungsmustern insistiert, die den Deutschen anhand ihrer alltäglichen Auseinandersetzung als Erfahrungswissen stets vergegenwärtigt werden und deshalb tief im kulturellen Kollektivgedächtnis sedimentiert sind. In Anbetracht dieses stark binären wie dichotomen Separationsverfahrens, das ausschließlich als Produkt kognitiver Reflexionsarbeit ausgedeutet werden muss und auf die stark verkürzte, affektive, kontrastive wie generalisierende Gegensatzformel „effizienter und qualitativ hochwertig arbeitender Deutscher“ versus „unbekümmerter wie bequemer Australier“ reduziert werden kann, gelingt eine befriedigende emische Erzeugung der mit Sinninhalten aufgeladenen Wirklichkeitswelt. Anders ausgedrückt: Diese schaffen erst migrantische Realität. Natürlich ist an dieser Stelle ein detaillierter deskriptiver wie analytischer Blick durch das kaleidoskopische Teleobjektiv auf die scheinbar undurchdringliche Gemengelage an Vorverurteilungen mit durchaus in Frage ste-

vor, bei der die Fertigung eines aus einzelnen Lettern zusammengefügten Schriftsatzes in Matrizen die fertige Druckplatten ergeben, so dass ein Massendruck vollzogen werden kann, ohne eine neue Satzlegung vorzunehmen. Bei der Stereotypisierung wird folglich eine in ihren Grundfesten veränderliche und flexible Meinungs- und Bewertungsstruktur in eine feste, persistente und unveränderliche Form gepresst (Lippmann 2004 [Orig. 1922]: 43ff.).

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 371

hendem Realitätsbezug vonnöten, der jedoch keineswegs bestrebt ist, den „relativen Wahrheitsgehalt“ (Bausinger 1988a: 13) dieser intra- sowie interkulturellen Zuschreibungen genauer zu untersuchen bzw. zu entschlüsseln. Dies meint, dass es nicht gelingen kann, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob die Deutschen auch wirklich eine über die Maße strebsame Arbeitsethik vorweisen bzw. allen Australier dem Müßiggang frönen. Denn kulturelle Fremdbeschreibungen „sagen weniger über das Beschriebene etwas aus als vielmehr über den Beschreibenden“ (SchmidtLauber 1998: 183). Es kann folglich nicht um die Beurteilung der sich in praxeologischem Gebrauch befindlichen Stereotype aus rein ethischer Perspektive gehen, weil dies immer auch eine wertende wie voreingenommene Verurteilung impliziert, die keiner Wissenschaft gut zu Gesicht steht, sondern ganz im Gegensatz begebe ich mich auf die Spurensuche nach dem konstruktivistischen wie funktionalistischen Leistungsvermögen, das der ethnischen Identität an Konturschärfe zu verleihen vermag. Bei der mit Methode betriebenen Reproduktion und Repräsentation des stets in reziproker Wechselbeziehung zueinanderstehenden deutschen Autostereotyps sowie der australischen Heterostereotypen werden ganz bestimmte Assoziationen in den Diskurs über gegensätzliche Klischeeentwürfe eingebracht, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Arbeitsleben bzw. der Verrichtung von Arbeitstätigkeiten der Migranten stehen. Jeder befragte Immigrant konnte aus seiner Sichtweise konkrete Veranschaulichungen mit Beispielcharakter narrativ wiedergeben, in denen das eigene Selbstbild mit zahlreichen affirmativen Konnotationen an dem durchweg abzulehnenden wie geringgeschätzten Bild des australischen Gegenübers gespiegelt wurde. Mit auffallender Häufigkeit wird den australischen Mitbürgern eine mangelnde Flexibilität attestiert, die von Bernhard Vollmert und Gabi Wegener folgendermaßen in Worte gekleidet wurde: „Da gibt es ein Regelbuch und das wird abgearbeitet. Aber es wird nicht einen Jota von diesem Regelbuch abgewichen. Weil nämlich keiner nachdenkt. Die Leute sind hier nicht zum Denken erzogen, sondern sie sind zum Abwickeln erzogen. Da habe ich noch so bisschen Probleme mit der australischen Kultur. Ich merke das auch noch in der Firma, wo viele Leute einfach nicht nachdenken. Der Chef hat gesagt, das ist so und nach unserer company policy müssen wir das so machen. Ich habe dann mal gesagt, wenn in eurer company policy steht, dass ihr keinen Regenschirm braucht, dann werdet ihr halt nass, wenn es regnet. Australien ist auch in vielen Dingen noch in den 60er und 70er Jahren. Sie sind halt lockerer, die nehmen sich halt nicht so wichtig.“98

98 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

372 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Bei den Australiern ist das manchmal ein bisschen weltfremd, also wenn die eine Zuständigkeit haben für die Zahlen vier bis sechs, dann sind diese Zuständigkeiten für diese Zeit, also für diese Zahlen vier bis sechs. Die wissen aber nicht, dass es eins bis drei auch noch gibt und dass es ebenfalls sieben bis zehn gibt. Das interessiert sie auch nicht und das müssen sie auch nicht wissen. Und das ist auch noch etwas, was für uns am Anfang etwas schwierig war, also, dass die nicht flexibel genug waren.“99

Wie auch in diesem Passus deutlich wird, übten zahlreiche Befragte in ihren Narrationen Kritik an der nine-to-five mentality, an der unbekümmerten lockeren Art der Alltagsbewältigung einer no worry attitude, einer relativen Anspruchslosigkeit bei der Verrichtung beruflicher Tätigkeiten sowie einer leichtsinnigen als auch weniger zukunftsorientierten Lebensgestaltung, womit gleichzeitig nicht nur eine ethnische Andersartigkeit exponierte Herausstellung findet und ein kulturelles Asymmetrieverhältnis Grenzen schafft, vielmehr vergewissern sich die Auswanderer ihres gesellschaftlichen Status, indem sie darauf rekurrieren, dass diese scheinbar „nationalen Eigenschaften“ gerade nicht zu dem in Deutschland enkulturierten wie sozialisierten Verhaltensrepertoire gehören. Aber gerade dieses prozessuale Aufeinanderprallen zweier oppositioneller Kultursysteme bringt Fremdheit und kulturelle Differenzerfahrung hervor und befördert das schablonenartige Muster des SchwarzWeiß-Denkens. Im Zuge dessen, dass Australier keine Konformität zu dem selbstklassifizierenden deutschen Autostereotyp herstellen, das von den Gewährspersonen mit den durchweg positiv konnotierten Qualitätsprädikaten und Normalitätsattributen wie „Strebsamkeit“, „systematisches und logisches Denkvermögen“, „organisatorisches Talent“, „Fleiß“, „Flexibilität“, „Technikverständnis“100, „Intelli-

99

Zitat aus dem Interview mit Gabi Wegener, datiert auf den 24.10.2007.

100 Qualitätsprodukte mit dem Gütesiegel „Made in Germany“ wie die Automarken Mercedes, BMW, Audi und Porsche oder Geräte von Firmen wie Braun, Miele und Bosch repräsentieren und suggerieren in besonderem Maße „deutsche Wertarbeit“, handwerklich-technisches Geschick, Innovationsbereitschaft und Zuverlässigkeit. Jene Attribute dieser deutschen Produkte werden auch stets in der Werbung im australischen Fernsehen hervorgehoben und werden sowohl den Deutschen wie auch den Australiern als „typisch deutsch“ medial vermittelt. Der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Sydney, Peter Auger, gab im Gespräch zu verstehen, dass der Ruf Deutschlands sich vermehrt aus der Herstellung hochwertiger Autos und dem fachmännischen Ingenieurwissen ableitet. Hierzu gab der Informant ein Beispiel. „Er wollte sich einen Trockenrasierer in einem Elektrogeschäft in Sydney kaufen und es standen ein Rasierer von der Firma Braun und einer von Phillips zur Auswahl. Die Verkäuferin beriet ihn in der Weise, in dem sie darauf hinwies, dass der eine aus Deutschland komme und der andere aus dem asiatischen Raum. Sie plädierte dafür, dass deutsche Fabrikat zu kaufen, ohne

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 373

genz“, „Zuverlässigkeit“, „Verantwortungsbewusstsein“, „Pünktlichkeit“ und „Effizienz“ aufgeladen wurde, vollzieht sich eine abschätzige Degradierung der neuen Heimat zu einem „Entwicklungsland“101, das, wie aus der oben angegebenen Aussage ersichtlich, zeitlich dem Zivilisationsprozess hinterherhinkt, in den mentalen Strukturen Rückständigkeit aufweist102 und den Anforderungen einer globalisierten

zu wissen, dass der Käufer selbst ein Deutscher war.“ Auszug aus dem Gedächtnisprotokoll des informellen Gesprächs mit Peter Auger, datiert auf den 13.09.2007. Auch Massenmedien wie der australische Fernsehsender Special Broadcasting Service trugen vornehmlich in den 1990er Jahren zur landesweiten Vermittlung von einem mit der Assoziation „typisch deutsch“ versehenen Stereotyp bei, in dem die Fernsehanstalt wöchentlich die Serie Derrick einem breiten Publikum präsentierte. Der Krimi im deutschen Original und mit englischen Untertiteln erzeugte wie kaum ein anderer filmischer Export festgemachte Vorstellungskomplexe über deutsche Eigenschaften und Charakterzüge, die Einzug in das kulturelle Gedächtnis zahlreicher deutscher Migranten und Australier in Sydney hielten. Als Protagonist verkörpert der Münchner Kriminaloberinspektor Stephan Derrick (Horst Tappert) mit seinem besonnenen, verschwiegenen, lebenserfahrenen, strebsamen und fachmännischen Auftreten, seiner strikten Gebundenheit an Gesetze und rechtsstaatliche Verordnungen, seiner ennuyanten Selbstdisziplin im Arbeitsumfeld eines behördlichen Staatsapparates und seinem Habitus als Trenchcoat tragender Hüter und Bewahrer der öffentlichen Ordnung scheinbar als „national“ aufgefasste Eigen- und Fremdbilder, an denen einerseits die Auswanderer in der Gegenwart vom australischen Bevölkerungsgros gemessen werden und über die sich die Migranten andererseits selbst definieren bzw. im Lichte dieser Zuschreibungen gerne gesehen werden wollen. Graburn hält dazu richtigerweise fest: „When stereotypes are constantly played out in commercial arts, a people may come to believe the same things about themselves or their past as the outside world does“ (Graburn 1976: 19). 101 Zitat aus dem Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08.2008. 102 Historische Persistenz besitzt die in die Fremd- sowie Eigenwahrnehmung der australischen Bevölkerung eingeschriebene Eigenschaft der mentalen Rückständigkeit, die nicht zuletzt von den deutschen Migranten stets auf den isolierten Inselcharakter sowie die große geografische Entfernung zu Europa zurückgeführt wird. Besonders veranschaulicht wird dieser Sachverhalt in den ethnischen Comics und Karikaturen, die mir Erhard Gohdefeld während eines Gesprächs zeigte. Die erste zeichnerische Persiflage, entworfen von Arthurs Hoey Davis und abgedruckt im The Bulletin am 26. Juli 1939, spielt im bäuerlichen Milieu des Outback und bildet eine Unterhaltung zwischen „Dad und Dave“ ab, die am Weidezaun stehend offensichtlich eine Unterhaltung führen. Der sich auf seine Heugabel abstützende, Pfeife rauchende, Hut tragende und bärtige Dad bringt vor Dave, möglicherweise seinem Sohn, folgende Fragensäußerung hervor: „They tell me things are not too good in Europe, Dave. What’s wrong? Drought?“ Vage

374 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Weltgesellschaft widersteht. Der Formelcharakter der migrantischen Fremdzuweisungen wird zunächst an Satzanfängen wie „Typisch australisch ist …“, „Der Australier ist …“ oder „Die Australier sind …“ erkenntlich, an dem ein kulturell tradiertes Programm an vorurteilsbeladenen Überzeugungen von dem Anderen anknüpft. „Faulheit“, „Bequemlichkeit“, „Lockerheit“ und die scheinbar unreflektiert für wahr gehaltenen Erlebnisgewissheiten über die Mentalität des easy going sind nur die am öftesten präsentierten heterostereotypischen Zuschreibungen „der Australier“, anhand derer das Gegenüber im kognitiven Verfremdungsprozess, der immer auch ein ethnischer Selbstvergewisserungsprozess deutscher Immigranten ist, in die kulturelle und emotionale Distanz gerückt und mit vorwiegend negativen Assoziationen belegt wird, die als identitätsstiftende Antagonismen zum eigenen Selbstverständnis fungieren. Ethnische Abgrenzungsbemühungen funktionieren hier im Wesentlichen durch die Hypostasierung des Eigenen in der Kombination mit der Ausklammerung des Fremden. Interessant wird es dann, wenn Auswanderer aus ihrer emischen Perspektive Erklärungsmodelle für die zu ihrer Herkunftskultur sich different verhaltenen Bedeutungs- und Bewertungsmechanismen der australischen Mehrheitsbevölkerung argumentativ zur Geltung bringen, weil hier substanzielle Säulen für die Beweisführung der Diskursgemeinschaft lokalisiert werden können. Wie bereits in Kapitel 4.2 zur interkulturellen Auffassung und zum Umgang im Kontext von Temporalität wird an dieser Stelle wiederholt auf eine Theorie verwiesen, in der vorstehende ste-

kursierende Gerüchte und Informationsüberlieferungen kombiniert mit einer nahezu unbekümmerten Gleichgültigkeit in den Weiten des australischen Hinterlandes haben zur Folge, dass die wie auch immer geartete Schieflage in Europa anhand der emischen Sichtweise auf eigene Problemlagen gedeutet wird. Metaphorisch betrachtet bildet hier der Holzzaun der Pferdekoppel eine Grenze des eigenen geistigen Kräftefeldes, an dem sich eine Aufteilung der selbst bewohnten Eigenwelt und der scheinbar undurchdringlichen Fremdwelt vollzieht; hier endet der bekannte Horizont und es beginnt das Unbekannte, die Terra incognita. Eine zweite selbstkritische Comiczeichnung, abgedruckt in The Bulletin am 12. Februar 1941, präsentiert dem Betrachter eine städtische Szene mit zahlreichen, adrett gekleideten Stadtmenschen, Autoverkehr und bummelnden Passanten. Auf dem Gehweg preist ein Zeitungsjunge die neuesten Tagesnachrichten aus Europa mit der Überschrift „Benghazi Falls“ an. Ein Passant dreht sich zu seinem ebenfalls von dieser Meldung überraschten Nebenmann um und gibt ihm zu verstehen: „Cripes, I wonder if the jockey was hurt!“ Offensichtlich wird hier die Besetzung der libyschen Hafenstadt Benghazi durch das deutsche Afrikakorps mit einem Sturz eines Vierbeiners und der damit einhergehenden körperlichen Beeinträchtigung des Reiters während eines Pferderennens – damals wie heute nach wie vor eines der populärsten und begehrtesten Sportarten Australiens – verwechselt.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 375

reotype Verhaltensäußerungen maßgeblich von dem Hintergrund der klimatischen Einwirkungen auf den Menschen (Hofstede 1993: 50; Zacharasiewicz 1977) auseinandergelegt werden. „Der Australier denkt zum Teil, ach was interessiert mich der Scheiß, die Sonne scheint, jetzt gehen wir raus. Das ist schon klimatisch bedingt, weil selbst in Deutschland sind die Leute im Sommer viel genießbarer.“103 „Ich sage mir immer wieder, die Australier haben einfach zu viel Sonne auf den Kopf gekriegt. Es ist hier so eine Nine-to-five-Mentalität, absolut. Ich habe da so eine Theorie, aber die ist noch ungeprüft, aber man muss ja mal so ein paar Hypothesen aufstellen.“104

Ausgangspunkt ist hier die im 18. Jahrhundert von berühmten Autoren wie Buffon und später in abgewandelter Form von Herder ausgehende geodeterministische Debatte, welche die geografische Lage und das vorherrschende Klima als signifikante Einflussfaktoren für die Entwicklung von menschlichen Verhaltensformen (Küchler 2004: 65f.) unter Rekurs auf die Ethnopsychologie der Antike (Polke 1999: 264f.) zu erkennen glaubte. „Klima zwingt nicht, es disponiert“, zitiert Silke Meyer in ihrer exemplarischen Fallstudie über die Nationalstereotype aus dem 18. Jahrhundert den Kulturanthropologen Andreas Hartmann, als die Autorin die in der damaligen Epoche gebräuchlichen Ordnungshorizonte bei der Fremdtaxierung aufschlüsselte (Meyer 2003: 338). Selektiv aufgegriffene und performativ angewendete Versatzstücke aus diesem jahrhundertealten Diskurs finden auch im migrantischen Argumentationsrahmen in der Gegenwart ihren spezifischen Niederschlag und erweisen ihre dauerhafte, wenn doch an den spezifischen soziokulturellen Kontext angeglichene Persistenz, wenn insistiert wird, dass die starke Sonneneinstrahlung, eine hohe Luftfeuchtigkeit und subtropische Hitze die Ursachen für die Neigung zur Müßigkeit und Arbeitsscheu bei den Sydneysiders seien. In der Schlussfolgerung dieses das Wir-Gefühl der Deutschen ethnisierenden Systematisierungsentwurfes bedeutet dies gleichzeitig, dass Menschen aus gemäßigteren bzw. kalten Gefilden der Erde in ihrer Sozialisation andere kulturelle Wesenszüge internalisiert haben, die in den Typenkatalog des ethnischen Selbstbildes eingeschriebene sind, so dass auch in diesem Zusammenhang das Fremdbild die Kehrseite des Eigenen darstellt. Wie wir bisher gesehen haben, definieren und identifizieren die deutschen Emigranten ihre Ethnizität im Untersuchungsfeld über die vorgeblich erfahrungsgesättigte und abgrenzende Wechselmatrix von partiell geringschätzender Verfremdung des australischen Anderen und verklärender Idealisierung des eigenen kulturellen

103 Zitat aus dem Interview von Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008. 104 Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007.

376 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Traditionskanons. Dieser Stereotypisierungsprozess wird besonders dann dezidiert betrieben, wenn in den Interviews bzw. den informellen Gesprächen die Rede von den australischen Handwerkern ist, über deren kontinuierlich negativ begutachtete professionelle Ethik nahezu jeder Migrant ein vielschichtiges Konvolut an Erfahrungswissen im Gastland gesammelt hat. Aufgrund des lebenswirklichen Erlebnisses von kulturell divergenten Handlungs- und Beurteilungshorizonten ist die Bereitschaft zur Spiegelung der kulturfremden australischen Verhältnisse an den bekannten und vergüteten deutschen Normen eine omnipräsente Komponente des narrativ konstruierten wie tradierten ethnischen Selbstbildes. Die Reputation der australischen Handwerker, die für diverse Erhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten im häuslichen Wohnraum von den Migranten konsultiert werden, ist aus mehreren Gründen mit einem heterogenen Spektrum von ausschließlich negativen Wesenszügen besetzt, sind angesichts der regelmäßig auftretenden Präsentationshäufigkeit tief in das kollektive Gedächtnis der Befragten inskribiert und können als emische Strategie zur Anatomisierung des Alltags ausgewiesen werden. Vor der Projektionsfläche einer kollektiven Handlungslogik und von Gewohnheitserkenntnissen aus der Bundesrepublik wird im Allgemeinen die Unzuverlässigkeit, Unpünktlichkeit, die Nichteinhaltung von vorher determinierten Fristen, der niedrige Qualitäts- und Genauigkeitsanspruch sowie ein Mangel an fachmännischer Kenntnis, handwerklichem Ehrgefühl und Verantwortungsbewusstsein der handwerklichen Gewerbetreibenden angeprangert; dies sind alles Fremdattributionen, die gemäß der Gleichung einer binarisch-dualistischen Wirklichkeitskonstruktion im Umkehrschluss für den deutschen Gegenpol in Anwartschaft genommen werden. Die an scheinbar objektiven Tatsachen festgemachte Überzeugung kulminiert in der Hypothese, dass das Scheitern der Geschäftsidee programmiert sei, wenn man in Deutschland mit dieser „leichtsinnigen“, „unbedachten“ und „fahrlässigen“ Einstellung arbeiten würde. Eine stereotypisierende Kontrastierung der beiden dialektischen Welten bietet die exemplarische Narrationspassage von Paul Könnecke: „Wenn er [der Handwerker, Anm. d. A.] etwas macht, wenn keiner guckt, near enogh is good enough, pfuschen. Einem deutschen Handwerker geht das so an die Ehre, das wäre unmöglich. Ich hatte ein paar kleine Erfahrungen in den letzten drei Jahren, wo ich sagen musste, jeder Handwerker, den ich in Deutschland traf, jeder war intelligent, konnte ein klares Gespräch mit mir führen, erklären, um was es ging und schien wirklich kompetent. Wogegen ich hier häufig das Gefühl habe, versteht der mich überhaupt? Hat der eigentlich überhaupt irgendetwas gelernt? Und zieht er mich jetzt über den Tisch oder nicht? Und funktioniert es am Ende? Das ist das Positive an der deutschen Gründlichkeit, die auch in der Zulassung zu Handwerkern und auch den gesetzlichen Konsequenzen, wenn die pfuschen, das ist in Deutschland viel effizienter. […] Und das auch zurecht, weil die Deutschen haben wirklich noch einen handwerklichen Stolz, den man hier nur ganz selten findet. Also nicht in diesem Haus, wir hatten vor, ach Gott, das ist auch dreizehn oder vierzehn Jahre her, da hatten wir

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 377

ein Haus einen halben Kilometer von hier. Da hatten wir auch so eine Holzveranda und die wurde von deutschen Schreinerleuten, die auf Wanderschaft waren, gebaut. Und so etwas Schönes habe ich seither nicht mehr gesehen. Das war einfach etwas, was mich jeden Tag gefreut hat. Und das sind halt Dinge, da muss man sagen, wieso sollen wir dies hier nicht auch haben? Handwerker, die einfach den Stolz haben, nicht Murks zu bauen. Und ich habe es auch jetzt, neben meiner Wohnung haben sie das Dach neu gemacht, das waren auch wieder Zimmermänner mit ihren typischen Anzügen, das war einfach schön, denen zuzusehen, das waren Künstler.“105

Nach den Prinzipien des diesem performativen Schilderungsakt unterliegenden Abgrenzungsvorgangs othering106 erfährt die kulturelle Andersartigkeit – oft mit dem Verweis auf eine „andere Mentalität“ vergegenwärtigt – des australischen Handwerkers eine deutliche Heraushebung, bei der unter Berufung auf realitätsnahes soziales Wissen und auf Allgemeinplätze die kulturellen Diskrepanzen bei den Verhaltensstandards sichtbar gemacht werden. Die erzählerische Diktion der Beweisführung basiert zunächst vordergründig auf der Gegenüberstellung des „Murksers“ bzw. „Pfuschers“, der seine ihm aufgetragenen Arbeiten schlecht, fehlerhaft und inkompetent ausführt und dem „Künstler“, dem Können, technisches Geschick, ein Gefühl für ästhetische Formen sowie der innere Antrieb der „Ehre“ attestiert wird. Die zum Topos migrantischer Fremdassoziierungen avancierte, Sprichwortcharak-

105 Zitat aus dem Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008. 106 In der durch die Writing-Culture-Debatte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ausgelösten Auseinandersetzung um die Art und Weise der Beschreibung, Interpretation und Repräsentation des „fremden Anderen“ sowie die systemimmanente Frage bezüglich Autorenschaft, Textualität und Schreibstil der Ethnografie wurde von Autoren wie Edward Said, Gayatri Spivak und Johannes Fabian der Erklärungsansatz des othering ins Leben gerufen. In einem eigens im Rahmen des 85th Annual Meeting of the American Anthropological Association abgehalten Panel „Othering: Representation and Realities“ suchten prominente Vertreter der kulturanthropologischen Disziplin einen diskursiven und konsensfähigen Ausweg aus der „Repräsentationskrise“. Fabian versteht unter dem Konzept des othering die „Einsicht, dass die Anderen nicht einfach gegeben sind, auch niemals einfach gefunden oder getroffen werden – sie werden gemacht. Für mich sind Untersuchungen über Othering Untersuchungen über die Produktion des Gegenstandes der Anthropologie“ (Fabian 1995: 337 [Herv. i. O.]). Die These der ethnografischen Konstruktion des Anderen besitzt durchaus genügend Potenzial, um auf die von deutschen Migranten entworfenen Typisierungen des australischen Fremden angewendet zu werden, weil es bei diesen verbalisierten Vorurteilen deutscher Migranten nicht um von der Natur gegebene Tatsachen geht, sondern um kulturelle Konstruktionen, um gedanklich Geschaffenes und Gemachtes (Greverus 2005: 101).

378 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ter besitzende Kurzformel near enough is good enough repräsentiert am aller deutlichsten einen kulturellen Differenzmarker, bei dem vorgeblich nationale Charakteristika auf zwei unterschiedlichen Ebenen ausgehandelt werden. Auf der einen Seite erfolgt sowohl eine Realisierung als auch eine Distanzierung von den australischen Geflogenheiten bei der Erledigung handwerklicher Tätigkeiten, die in den Augen der Migranten deshalb als unseriös, qualitativ minderwertig und defizitär rubriziert werden, weil diese nicht dem kulturell erlernten normativen Gehalt aus der Entsendegesellschaft entsprechen. Auf der anderen Ebene dieser ethnischen Klassifikationsgrundlage werden die mit einer mehr oder minder relativen Reichweite versehenen, seit der im 19. Jahrhundert vollzogenen Staatswerdung und Industrialisierung verbreiteten und nach wie vor im taciteischem Erbe stehenden (Warneken/Hauschild 2002: 25) Selbsteinschätzungen der Deutschen wie Perfektionismus, Leistungsfähigkeit, Disziplin, Fleiß und ein Bestreben nach Ordnung kommuniziert und zur Gestaltung des ethnischen Autostereotyps verteidigt. Die engagierten deutschen Zimmermänner auf der Walz befinden sich auch fernab der eigenen Heimat, teilen somit zumindest temporär das gleiche Schicksal wie die Auswanderer, so dass man mit ihnen eine nationale Seelenverwandtschaft eingehen kann und nicht nur ihr „traditionell“ erlerntes Handwerkgeschick, sondern auch ihre „typischen“ Trachtenanzüge befriedigen beim Gewährsmann das Verlangen nach geläufigen konventionellen Umgangsformen, Authentizität, Ästhetik und Traditionsbewusstsein. Eine andere, spezifisch historische Bewandtnis hat das Insistieren auf den semantischen Feldern, die mit den Termini „Ehre“ und „Stolz“ belegt sind. Der Abgrenzungsund Selbstvergewisserungsdiskurs der Auswanderer bedient sich hier mehr oder minder wissentlich aus einem symbolischen Spektrum, für den die bereits während des 18. und 19. Jahrhunderts seitens des in Zünften organisierten „alten Handwerks“ initiierte Debatte über einen kulturimmanenten und selbsterzeugenden Kanon an Verhaltensnormen den Weg ebnete. Sowohl für die Handwerker aus der historischen Zeit als auch der Jetztzeit sei die Wahrung der Ehre bzw. die im Begriff „Ehrlichkeit“ gefasste handwerkliche Berufsehre an die treue und redliche Ausübung der Arbeit gebunden, d. h., die Mentalität der Handwerker, ihr Verhalten, ihr Wertesystem, steht im kulturell geprägten Erbe des stark traditionellen Ehrbarkeitsethos der Zünfte. Die Ehre des Standes hatten diese internalisiert. Kulturell tradierte Verhaltensweisen wie Gründlichkeit, Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, Ehrenhaftigkeit, Selbstgefälligkeit waren bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts charakteristisch und werden auch in der Gegenwart zu Konsolidierung der Wir-Identität intentional herangezogen. Über seine gewerbliche Arbeit hinaus war die Ehrlichkeit des Handwerkers auch an seine rechtlichen, sozialen und menschlichen Verhältnisse gebunden. Die Abgrenzung zum Unehrenhaften findet ihre legitimierende Wurzel in der argumentativen Unterstreichung der Ungenauigkeit, einer mangelnden Aufrichtigkeit sowie dem kulturdifferenten Arbeitsethos. Zur Manifestierung des Fremdbildes gehört die Unehrlichkeit als Gegenbegriff konstitutiv zur Ehrlichkeit, die für die

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 379

ethnische Sicht auf das kulturelle Eigene vereinnahmt wird. Somit sind auch bei diesem Beispiel die Ausgrenzung, die Stigmatisierung und die Infamierung des australischen Gegenübers – hier am Beispiel der Handwerker – Bestandteile der persönlichen Ehrbarkeit, die zum Erhalt und zur Stabilisierung der eigenen Kollektividentität beitragen. Sowohl kulturelle Kontrastrealisierung des Ungewohnten durch den Filter der Eigenkulturalität als auch die ein Gefühl der Differenzerfahrung und des Fremdseins hervorrufende Abweichung von den eigenen Normen im Kontakt mit den australischen Mitmenschen, die als logisch, selbstverständlich und folgerichtig klassifiziert werden, führen zu einer Operationalisierung der Ethnizität. In deren Zuge wird eine an die Situation angepasste Selektion von symbolischen Bedeutungsinhalten herausgeschält und danach einer Idealisierung und strategischen Instrumentalisierung unterzogen, um eine durch die transkontinentale Primärerfahrung der Migration ins Ungleichgewicht gebrachte Sinn- und Lebenswelt mit emotional bekanntem Überlieferungsgut anzureichern. Anders gesprochen: Es geht um eine Wiederverzauberung der aus den kulturellen Fugen geratenen Welt. Die aus der Feder des Berliner Kulturanthropologen Wolfgang Kaschuba stammende Hypothese der „Kulturalisierung“, bei der „kulturelle Differenz und deren jeweilige Begründungen und Folgerungen […] Leitkoordinaten ethnologischer Forschung“ (Kaschuba 1995a: 16) sind und besonders deren Grad der strategischen Instrumentalisierung bzw. Instrumentalisierbarkeit zu dekonstruieren ist, kann uns bei der Analyse der hier von den Migranten präsentierten „nationalen Charakterzüge“ weiterhelfen. Gerade weil von den Befragten in Bezug auf die fremde Andersartigkeit und Unterschiedlichkeit zur Mehrheit ihres australischen Bevölkerungsumfeldes ein primordiales und damit kategorische Grenzen ziehendes Kulturverständnis proklamiert wird, das in Negation des kulturdynamischen Wandels von einer Konnektivität des Menschen an ein sich aus der Geschichte der Kulturgemeinschaft ableitendes Arsenal von bestimmten, universalistischen, starren, statischen, permanenten und unveränderbaren biologischen wie kulturellen Dispositionen ausgeht, scheint es lohnend, dieser Strategie der Ethnisierung nachzugehen. Zum Common Sense der Immigranten gehört die feste, in der „Natur der Sache“ liegende und damit atavistische Überzeugung, dass sie die oben angeführten nationalen Eigenschaften, die tief in der eigenen autostereotypischen Kollektivbezeichnung integriert sind, internalisiert haben, sei es durch eine genetische Vordeterminierung oder die gruppenspezifische Sozialisierung. Unhinterfragt ist der Seinszustand dieser als Gütesiegel verstandenen Kollektivpersönlichkeiten für die deutschen Eigner und die Erklärung nach der Devise, „etwas ist so, weil es so ist und nie anderes gewesen ist“, rückt die Wurzeln dieser nationalen Wesenszüge in die irrationale, mythische und „uralte“ Fernwelt, was der Glaubhaftigkeit und Plausibilität jener Merkmale jedoch keinen Abbruch tat, sondern ihre Authentizität wie Historizität durch die gedankliche Konstruktionsleistung der Archaisierung eher noch zu steigern vermochte. Die vornehmlich durch

380 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Oralität tradierten Mythen im Bereich der nationalen Eigen- und Fremdstereotypisierungen erzeugen und konservieren epochenübergreifend kulturell aufgeladene ethnische Bilder in den Köpfen der Gewährspersonen über den ersinnten, jedoch kaum in Frage gestellten „wahrhaftigen und wirklichen Nationalcharakter“, erklären somit Unbekanntes durch Bekanntes und befriedigen das Begehren einer imaginierten Gruppengemeinschaft deutscher Auswanderer nach ätiologischer Welterklärung (Hernegger 1978: 166f.). „Als sich unsere Tochter dann hier beworben hat, […] sie weiß bei ihrer Stelle, dass es ein Pluspunkt war, weil sie von deutschen Eltern abstammt, wo eine gewisse Arbeitsethik vorausgesetzt wird.“107

Die aus der Akteursperspektive wohl wichtigste und zentralste Kategorie ist das Insistieren auf der Abstammung von „bestehenden Einheiten“, die einhergeht mit dem Rekurs auf die „angestammte[n] Loyalitäten“, einen von Clifford Geertz entwickeltem Erklärungsansatz. Es sind die kulturellen „Grundgegebenheiten“ wie die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, eine imaginierte „Bluts- und Abstammungsgemeinschaft“ und die „praktische Notwendigkeit“, „gemeinsame Interessen, „moralische Übereinkünfte“ und „eingegangene Verpflichtungen“, die aus dem Betrachtungswinkel der Migranten als „unverrückbar“ (Geertz 1994: 395) präsentiert werden, mit deren Hilfe die Sicht auf das kulturell Eigene und das kulturell Fremde strukturiert und gesteuert wird. Die autostereotypischen Meistererzählungen von dem „haargenauen Bürokraten“, dem „deutschen Projektmanager in Sydney“, der seine ihm auferlegten Arbeiten „in time and within budget“108 erledigt, von den „zuverlässigen deutschen Mietern“, den von Kollegen auf ihre nationalen Tugenden wie Effizienz, Pünktlichkeit, Genauigkeit und Verlässlichkeit angesprochenen deutschen Ärzten und Universitätsangestellten sowie von den kalkulierenden Unternehmensberatern evolvieren einen narrativen Diskurs über ethnische Identität, der zum einen eine „strikte Abgrenzung nach außen und dem Fremden gegenüber einfordert“, daher „exklusiven Charakter besitzt“, und zum anderen eine singuläre Wirkkraft entwickelt, weil dieser „nur ein Zugehörigkeitsbekenntnis“ zulässt (Kaschuba 1995a: 27 [Herv. i. O.]). Richten wir nun bei diesen abschließenden analytischen Betrachtungen unseren Fokus auf das den kulturell vermittelten Auto- und Fremdstereotypisierungen innewohnende Funktions- und Leistungsvermögen für die Mitglieder der migrantischen Untersuchungsgruppe, also die Frage, inwiefern die deutsche Minderheit in Sydney mit ihren oppositionellen Kategorisierungen ein abgrenzendes Verhältnis zur australischen Mehrheitsbevölkerung entwirft.

107 Zitat aus dem Interview mit Helga Küpper, datiert auf den 02.10.2007. 108 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 381

Zunächst muss auf die Umbruchsituation hingewiesen werden. Mit der über Staatsgrenzen erfolgenden Migration geht sowohl ein Verlassen des emotional wie symbolisch aufgeladenen, soziokulturellen wie ethnonationalen Heimatlandes, der Verlust des gewohnten Bezugssystems, ein temporär nicht existierendes Eingebundensein in ein „Netz tragfähiger Sozialbeziehungen“ als auch eine „Krise in der Werteorientierung“ (Schuhladen 1994: 49) einher, so dass das kollektive Begehren der entwurzelten, teilweise identitätslosen Auswanderer nach kanalisierenden, den neuen und ungewohnten Alltag möglichst nach bewährten Mustern strukturierenden Orientierungs- und Ordnungsprinzipien enorm ausgeprägt ist. Eine Systematisierung, Segmentierung und Vereinfachung des komplexen, partikularistischen, fraktionierten, polykontextuellen und mit transversalen Bedeutungsgeflechten durchdrungenen kulturellen Umfeldes in der Fremde – durchaus in Verbindung zu bringen mit der Welt in Stücken Geertz’scher Auffassung – nach den Maßstäben des in Deutschland vorcodierten Erfahrungs- und Erkenntniswissens zu einer verständlich arrangierten (Sinn)Welt können die kognitiv präsenten Stereotypenregister insofern leisten, weil sie die unübersichtliche, von Brüchigkeit und Dissonanzen geprägte und graduell vom Prozess des individuellen Verstehens abgekoppelte Lebenswirklichkeit nicht in all ihren Schattierungen, Variationen und Spielarten zu fassen und wiederzugeben versuchen, sondern diese durch den subjektiven Filter von Verkürzung, Reduktion und pauschaler Abstrahierung zu erhellen bzw. auf einen „vereinfachten Nenner“ (Bausinger 1988a: 18) zu bringen versuchen. Die Reproduktion der bewährten sowie aus der Migrantenperspektive an der Realität nachweislich geprüften Wissensstrukturtypen, dass Deutsche genauer, ordentlicher, effizienter, pünktlicher, organisierter, fleißiger, leistungsfähiger und disziplinierter in der Lebensgestaltung sind als ihre australischen Nachbarn, Arbeitskollegen oder Freunde, gewährleistet den Auswanderern eine Kontinuität über Diskontinuitäten hinweg. Die kontinuierliche und kontextabhängige Verortung der positiven Ideale und normativen Werte aus der ersten Sozialisation, sprich die aus Deutschland mitgebrachten kondensierten, vorgefertigten, erhärteten und klischeehaften Metaphern über „die Australier“ intensivieren die Aversion gegenüber einem ganzen Spektrum von vorgeblich als negativ bewerteten australischen Eigenschaften, so dass mittels dieser reduktionistischen bzw. disjunkten Betrachtungsweise eine Identifikation mit dem Selbst und den Interessen der Wir-Gruppe gelingt (Bausinger 1988b: 161). Die Verteidigung der ethnischen Demarkationslinie zwischen Ingroup und Outgroup (Roth 1998: 34), unter Zuhilfenahme der in diesem Kapitel vorgestellten „kognitive[n] Werkzeuge“ (Breidenbach 1994: 34) der Stereotype, wird in der Regel durch in narrative Superlative gepresste negative Übertreibungen, Dramatisierungen und Exotisierungen des Anderen109 realisiert, wobei die hierin unterschwellig erkennt-

109 „Aber ich meine, ja, ich sage immer, manchmal muss man im Leben übertreiben, um

382 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

liche ethnozentrische Perspektive der Migranten, die in der von Sehnsüchten geprägten Rückschau auf die Bundesrepublik eher zur Emotionalisierung, Romantisierung und Idealisierung der alten Heimat einen Beitrag leistet, als diese aus kritischer bzw. geografischer Distanz zu betrachten, stets die Asymmetrie und Inkommensurabilität der als Entitäten klassifizierten und different zueinanderstehenden Kulturen hervorzuheben weiß. Kurz formuliert: Die interaktionistischen Mechanismen der Rekonzeptionierung von kultureller Differenz unterliegen vornehmlich dem binären Denken in kulturellen Oppositionen. Der laufende Prozess von subjektiver Selbstpositionierung mittels der Definition von selbstaufwertenden Autostereotypen und dazu spiegelverkehrt konstruierten Heterostereotypen, so haben wir gesehen, findet stets vor dem Hintergrund der eigenen aus der Bundesrepublik mit in die Stadt an der Botany Bay transportierten kulturellen Bewertungsmuster statt und setzt eine Fehlauslegung kultureller Zeichen und Codizes in der neuen australischen Heimat voraus (Tuomi-Nikula 1993: 110). Insofern ist auch die Auseinandersetzung mit den Anderen eine wesentliche Grundlage von ethnischer Identitätsarbeit, die ihre praktische Umsetzung im alltäglichen Austarieren von Selbstbestätigung und Fremdrelativierung findet und zugleich eine als anthropogene Grundkonstante auszulegende Bemühung der untersuchten ethnischen Minderheit widerspiegelt, die eigene Sicht auf die Welt als maßgebliche Perspektive zu etablieren und so die fremde kulturelle Landschaft nach den eigenen sinnweltlichen Maximen zu formen (Wimmer 1997: 133).

etwas klar zu machen. Ich sage immer, selbst der faulste Deutsche ist noch fleißiger als ein fleißiger Australier. Das ist natürlich übertrieben, aber es geht in der Hinsicht, oder es geht in diese Richtung.“ Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 383

4.6 J OHN H OWARD UND P AULINE H ANSON : DIE P OLITIK DER O NE N ATION , ODER : ADE SCHÖNE M ULTI -K ULTI -W ELT ? „Der typische Australier ist ein Rassist, muss man einfach so sagen. Sag ich jetzt einfach mal so, ist ja alles objektiv hier (Grinsen). Der typische Australier ist ein Rassist, nicht nur gegenüber seinen eigenen Ureinwohnern, den Aborigines, sondern auch gegenüber allem, was asiatisch ist. Was wir hier für Diskussionen geführt haben, also ich habe zu meiner Frau gesagt: ,Silke, wir können die Diskussion gar nicht mehr führen hier.‘ Wir dachten, denen fehlt doch der Menschenverstand. […] Ja und dann ein deutsch-liberal Denkender.“110

Die von Seiten politischer Führungskreise der Neuen Rechten zur Mitte der 1990er Jahre einsetzende konservative Mobilisierung Australiens mittels eines kulturalistischen Abgrenzungs- und Ausgrenzungsdiskurses, in dessen gravitativem Zentrum die beiden Protagonisten John Howard und Pauline Hanson im Sinne einer NeoWhite Australia Policy (Kapferer/Morris 2006: 249) den asiatischen Fremden als Gefahr und Bedrohung für den inneren Frieden des Landes verantwortlich machten, liefert eine weitere ethnische Projektionsfläche der Andersartigkeit und kulturellen Differenzerfahrung bei den Auswanderer aus der Bundesrepublik, bei der der klare menschliche Verstand – auch dieser unterliegt weitestgehend einer kulturellen Aufladung – bei einem Teil des australischen Gegenübers in Frage gestellt wird. Zum weiteren Verständnis zunächst ein punktueller Rückblick: Wie sich aus Kapitel 2 und 3 nachvollziehen lässt, dominierte nach der im Jahre 1901 mit der Implementierung des Commonwealth of Australia einhergehenden Verabschiedung des Immigration Restriction Act eine den „fremden“ Menschen auf der Grundlage seiner ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe und Rasse exkludierende, sozialdarwinistische und rassistische Immigrationspolitik, die den vorgeblich kulturell nicht zur westlichen Zivilisationsstufe zählenden „Unmenschen“ die Einwanderung verweigerte. Signifikante und revolutionierende Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung Australiens brachten die fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit sich, als zunächst unter dem Diktum der Assimilation und später unter der Vorgabe des multikulturellen Ethnopluralismus zahlreiche Displaced Persons und freiwillige Auswanderer aufgenommen werden konnten. Unter humanitä-

110 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007.

384 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ren Beweggründen wurde den so genannten Boatpeople und refugees sowohl aus südostasiatischen bzw. afrikanischen Krisenregionen als auch Kriegsgebieten wie dem Irak, Afghanistan, dem Libanon und Pakistan Zuflucht gewährt bzw. ihnen die Möglichkeit der Familienzusammenführung gegeben. Immigration avancierte somit in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu einem Indikator, der in hohem Maße zum multifaktoriellen und mehrdimensionalen kulturellen Prozess des nation-building in Australien avancierte. Das internationale Renommee Australiens als einem generösen und bei der Aufnahme von Menschen aus den globalen Problemregionen nach humanitär-karitativen Maßstäben verfahrenden Land, wie es die liberale Regierung unter Gough Whitlam mit ihren politischen Meilensteinen vorlebte und von ihren Nachfolgern Fraser, Hawke und Keating fortgeführt wurde, bekam in einem fragilen und turbulenten Zeitalter des ökonomischen Rationalismus, der mannigfaltigen globalen Strukturverschiebungen, der sozialen Ängste, der wirtschaftlichen Rezensionen des Binnenmarktes, von hohen Arbeitslosenquoten und anhaltenden Dürreperioden einen ganz neuen Anstrich, der in einer sich postmodern gebenden und zumal verstehenden Welt mehr und mehr Erinnerungen an das 19. Jahrhundert wachrief. Im Zuge der nicht zuletzt von den oben genannten Politikern unternommenen, zum Teil in die Parteiprogramme eingeflossenen, agitatorischen und bar jeglicher liberal-humanen Realitätsauffassung positionierten Anstrengungen zur konservativen Rekonstruktion Australiens nach der althergebrachten Kategorie „Rasse“, manifestiert sich bei den repressionsfrei und tolerant denkenden Deutschen eine scheinbar unüberbrückbare kulturelle Barriere. Ein sich im Wandel befindliches politisches Klima hin zu einem konservativen Spektrum, im politischen Jargon nennt man dies einen Rechtsruck, ist somit Veranlassung zur Erfahrung von kulturellen Unterschieden und bedarf einer deutlichen Positionierung der ethnischen Identität der deutschen Migranten, die durch diesen Vorgang eine Solidaritätsbeziehung zu anderen ethnischen Minderheiten in Australien aufbauen. Doch wo verlaufen die ethnischen Bruchlinien des Unverständnisses bzw. des Nichtverstehens? Wo verortet sich der „klare Menschenverstand“ zahlreicher Deutscher? Und welche Gründe werden dafür angeführt, Australien den Rückschritt in ein dunkles Kapitel seiner Vergangenheit anzulasten, in dessen Folge rassistische Bewertungsmuster und Terminologien aus den Hochzeiten der White Australia Policy in der öffentlichen Meinungsbildung neue Aktualität bekamen? Namentlich in der Ära unter Howard fühlte sich die in Sydney für deutsche Printmedien arbeitende Journalistin Barbara Bartel einer kritischen und investigativen Berichterstattung verpflichtet: „Am Anfang fiel mir das sehr auf, dass wenn ich kritische Themen angeboten hatte, denn in Australien ist nicht alles Gold, was glänzt. Gerade unter der Howard-Regierung gab es ja etliche kritische Punkte, wo jetzt ein Kevin Rudd versucht, das eher auszugleichen. Aber das

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 385

war bei vielen Medien nicht gefragt in Deutschland, die wollten gerne dieses Australienbild pflegen mit Känguru und Krokodil und Koala.“111 „Aber der Howard macht Angst und das ist schlimm. Er macht den Leuten Angst, er macht Politik mit Angstmache.“112

Gerade das zur damaligen Zeit amtierende Regierungsoberhaupt, John Howard, stand während des explorativen Feldforschungsaufenthalts 2007 aufgrund seiner – nach 1996 und 2001 – nun bevorstehenden Kandidatur zu seiner möglicherweise vierte Legislaturperiode als Primierminister bei den Bundeswahlen, die er dann jedoch gegen seinen direkten Kontrahenten Kevin Rudd verlor, im Zentrum hochemotional belegter Diskussionen zahlreicher von mir nach ihren kulturellen Differenzwahrnehmungen befragten Gewährspersonen. Agens der interkulturellen Fremderfahrung war zuvorderst die vom Politiker zur Mitte der 1990er Jahre losgetretene Argumentation gegen eine der bedeutendsten gesellschaftlichen Errungenschaften Australiens: den Multikulturalismus. Mit Bezugnahme auf u. a. in den reaktionären, am rechten Flügel zu lokalisierenden Publikationen wie All for Australia bzw. Blainey, Eye on Australia und in zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Statements kommunizierten polemischen Behauptungen von Geoffrey Blainey manövrierte Howard seine politische Agenda in ein von Ressentiments und Xenophobie durchtränktes Fahrwasser, das in zu hohen Einwanderungsraten – insbesondere aus asiatischen Ländern – und in einer sich schleichend vollziehenden asianisation113 die Ursachen für nationale Miseren wie Arbeitslosigkeit, Überpopulation und globales Konkurrieren um wirtschaftliches Kapital erkannte. Damit revitalisierte er eher die Traditionen eines Robert Gordon Menzies als die seiner vier direkten politischen Vorgänger. Den Migrationsnarrationen immanent war des Öfteren der Terminus „scapegoating“, also ein sich auf rassische Referenzen beziehender Verfremdungsvorgang, bei dem der generalisierte Außenseiter mit seinen nicht akzeptierbaren kulturellen Angewohnheiten unter Zuhilfenahme eines Modus der Nichttolerierung von Diversität, dem lebhaften Missfallen an der emischen Verständnissuche auf der Basis kultureller Begrifflichkeiten des Fremden und der Beharrung auf dem kulturellen Erbe der britishness öffentlich als Sündenbock deklariert wurde, auf dem man die Schuld angesichts nationaler Kalamitäten abwälzte. Funktion und Ge-

111 Zitat aus dem Interview mit Barbara Bartel, datiert auf den 15.04.2008. 112 Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007. 113 In einer kritischen Evaluierung dieser Behauptung zeichnen zwei australische Professoren ein etwas anderes Bild, indem sie darauf hinweisen, dass Australien über Dekaden einen enormen Nutzen aus den Fähigkeiten, Qualifikationen, dem Know-how und dem mitgebrachten Kapital vieler Asiaten gezogen hat (Jayasuriya/Pookong 1999).

386 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nese dieser fremdenfeindlichen Vorverurteilung lassen sich in der diese kulturell und politisch akzeptierte Projektionsfläche institutionalisierenden – d. h. die Fremdgruppe konstruierenden und konzeptionalisierenden – Ingroup und deren Historie finden. Die im Politiksprech ausschließlich als amorphe „Masse“ dämonisierten direkten Nachbarn der nicht assimilierbaren Asiaten (yellow peril) würden, so die nationale Fama, Australien in einer unmittelbar bevorstehenden Invasion einnehmen, das Land dann „überfluten“ bzw. „überrollen“114 und dabei das traditionelle Werteverständnis der australischen Leitkultur sprengen, die innere Seele des Landes töten und ein harmonisches Zusammenleben im Keim ersticken. Die in der nationalen Presselandschaft sowie der öffentlichen Meinungsbildung Wurzeln geschlagenen Gedankenkonstrukte speisten sich aus der ideologischen Mottenkiste des 19. Jahrhunderts und versinnbildlichten den Asiaten als nicht assimilierbaren bzw. unzivilisierten Störenfried, Drogenkurier, Überträger von Krankheiten, Konkurrenten um Arbeitsplätze und Konstrukteur von ethnischen Enklaven. Ins gleiche rhetorische Horn stießen ferner Anti-Einwanderungs-Parteien wie The League of Rights, Australian Against Further Immigration oder auch One Nation, die ihren affinen Wählern und Zuhörern zu verstehen gaben, dass ihr Land von externen Kräften, wie der Invasion von asiatischen Einwanderern sowie einer nicht genauer definierten kosmopolitisch-kapitalistischen Intelligenzija langsam, aber stetig entrissen würde. Mit diesen geschürten kollektiven Ängsten über den Verlust der den privilegierten Status des australischen Way of Life gewährleistenden Kontrollmechanismen in Kombination mit der unreflektierten Gewissheit, dass die Zivilisation an den Küstenstreifen Australiens endet und auf der anderen Seite des Ozeans die Barbarei beginnt, gelang Howard die Umformung der politischen wie gesellschaftlichen Landschaft mit einer Agenda, die neben der Versöhnungsverweigerung mit den Opfern der stolen generation auch mit drastischen Einschränkungen bei der finanziellen Förderung des Multikulturalismus sowie der Kürzung der Immigrationszahlen (wie zum Beispiel bei der Familienzusammenführung) aufwartete. Bei der verminderten Aufnahme von Immigranten herrschte ein radikaler ökonomischer Rationalismus, d. h., nur wer über ausreichend Qualifikationen verfügte, um die Prosperität des Landes zu fördern, hatte Aussichten auf eine Gewährung des Visums. Die Angst vor dem Verfall des imaginierten wie konstruierten „Australian Ethos“ (Markus 2001: 87), eines vorgeblich von allen Mitgliedern der Nation gemeinsam geteilten Kanons von Werten und Überzeugungen, war Hauptgrund dafür, weshalb Howard eine präzise politische Evaluierung der Einwanderungsprogramme aus Asien favorisierte, was unweigerlich ein mit politischem Kalkül entworfenes Bild entstehen ließ, dass die unliebsamen Zuzügler aus den bevölkerungsreichen Nachbarstaaten

114 Ein ähnlicher Gebrauch dieser Metaphoriken findet sich auch bei dem Franzosen JeanMarie Le Pen (Schiffauer 1995: 50).

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 387

des Nordens gerade diesen auf Einheitlichkeitsbestrebungen wie soziale Kohäsion abzielenden Leitgedanken empfindlich stören würden. Zur Seite sprang John Howard bei der rechtskonservativen Revolutionierung Australiens ein politisch gänzlich unbeschriebenes Blatt aus dem beschaulichen Örtchen Ipswich in Queensland. In dem 45 Kilometer westlich von Brisbane gelegenen Ort verdingte sich Pauline Hanson vor ihrem steilen politischen Karriereaufstieg – dem umso schneller der Absturz folgte – hinter der Ladentheke eines Fischgeschäfts als Verkäuferin, wo sie im direkten Kontakt mit ihren alltäglichen Kunden ihr später verwendetes Wissen über Politik akkumulierte. Mit der Idealisierung dieser menschennahen Erfahrungen und der während ihrer politischen Laufbahn kontinuierlich beibehaltenen Verweigerung der Lektüre wichtiger Bücher und Briefings erfüllte sie schnell das von Seiten ihrer Oppositionsführer mit Fug und Recht statuierte Charakteristikum der intellektuellen Indolenz. In ihrer Antrittsrede im australischen Repräsentantenhaus stellte sie sich als „a fish and chip shop lady“ den Zuhörern vor, verstand sich selbst als das personifizierte, im engen Kontakt zum Volke stehende Sprachrohr des „ordinary Australian taxpayer“ und verkündete die mit der asiatischen Menschenflut bevorstehende apokalyptische Götterdämmerung. Die den nostalgischen Prototyp der charismatischen Antipolitikerin nahezu perfekt in Szene setzende Pauline Hanson fand mit ihrer rechtsradikalen Politpropaganda gegen den ethnischen Pluralismus, die Immigrationspolitik aus dem asiatischen Raum und die Landrechtverteilung der Ureinwohner vor allen Dingen in strukturell weniger innovativen, kaum erschlossenen, provinziellen und von der nationalen Rezession besonders in Mitleidenschaft gezogenen Landstrichen den Zuspruch der Wähler, die ferner für ein kurzzeitiges Florieren der 1997 gegründeten rechtspopulistischen Partei One Nation (Clarke 2003: 361f.) verantwortlich gemacht werden können. Das Evozieren panischer Ängste vor der Abweichung bzw. paralytischen Dezimierung des „Normalitätsdiskurses“ (Schiffauer 1995: 62), ein von Anja Kapmeier gegenüber John Howard missbilligtes und nicht akzeptiertes Mittel der Politisierung einer ganzen Nation, erwies sich auch bei der stets volksnah argumentierenden Agitatorin als probates Mittel bei der Okkupierung von Wählerstimmen, wenn sie folgenden Appell an ihre Zuhörer richtet: „Stand against those who have betrayed our country, and would destroy our identity by forcing upon us the cultures of others […] If we fail all our fears will be realised and we will lose our country forever, and be strangers in our own land“ (zitiert nach Markus 2001: 164).

Eine oppositionelle wie distinkte Allianz zu solchen mitunter die Jahre der nationalsozialistischen Regimeherrschaft zwischen 1933 und 1945 zurück ins Gedächtnis rufenden rechtskonservativen bis illiberalen Grundpositionen wie schablonisierenden politischen Großthesen konstituiert die ethnische Gruppe der deutschen Migranten. Aus direkten Erfahrungen, den Überlieferungserzählungen von Verwandten

388 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

und Freunden oder aus dem Geschichtsunterricht leiten sich bei den Befragten die absolut feststehenden Gewissheiten und Überzeugungen über die erschreckenden Folgen der Suche nach und dem Erkennen eines Sündenbockes ab, was den toleranten wie dekonstruierenden Blick auf die von den Rechtsdemagogen präsentierte Wirklichkeit erklärt. Befragt nach der Konsultierung bestimmter Pressemedien, gab Mathias Burmeister Nachstehendes zu verstehen: „Natürlich halte ich nicht nur Ausschau nach Deutschland, aber ich halte auch Ausschau in der FAZ über Australien. Ganz speziell, weil ich interessiert daran bin. Und das gibt es auch schon hier und da und da ist mir halt aufgefallen, da waren in Queensland die Wahlen und die One-Nation-Partei hat so gut abgeschnitten. Die kannst du schon mit der DVU vergleichen in Deutschland. Mit dieser Pauline Hanson [Anm. d. Interviewers]. Ja, genau. Und ich würde schon sagen, dass dieser Artikel, ein längerer Artikel in der Frankfurter Allgemeinen, durchaus ausgewogen war und das Problem auch der Farmer beschrieben hat und warum die zu der Erkenntnis gekommen sind, dass diese Fischverkäuferin aus Ipswich für sie die Erlösung sein muss. Was für ein Unfug! Aber so ist das halt gelaufen, aber das fand ich dann aber auch wieder ermutigend zu sehen, dass meine Lieblingszeitung, die Frankfurter Allgemeine, auch in solchen Sachen gut recherchiert und beide Seiten durchleuchtet, aber zum Schluss natürlich zu dem Urteil gekommen ist, dass es doch alles Unfug war, für Pauline zu stimmen.“115

Wenn ethnische Identität Akte der Identifikation bzw. der gleichzeitigen Abgrenzung benötigt und ferner Handlungssouveränität und eine entwicklungsgeschichtliche Prozesshaftigkeit voraussetzt, ist es unweigerlich, dass die undifferenzierten wie holzschnittartigen agitatorischen Reden von den nur im negativen Licht beleuchteten Asiaten Befremdung hervorrufen, weil die ideologischen Argumentationen der Rechten in einem Verhältnis der Ahistorizität zu den logischen Folgerungen aus dem eigenen kulturellen Erbe der Deutschen stehen. Die Infiltration dieser Denk- und Handlungsweisen, die besagen, dass rechtsradikale und rassistische Exklusionsmechanismen keine Grundlage für ein menschliches Zusammenleben bilden, wurde einerseits in Deutschland anhand des historischen Ballasts sozialisiert und andererseits in der neuen Heimat mit der Gesellschaftsausrichtung auf den Multikulturalismus in das kulturelle Repertoire vieler Deutscher inskribiert. In dieser Diskussion um die Politisierung kultureller Traditionen und Werte, die kein auf Australien beschränktes Phänomen darstellt und in den Dekaden und Jahrzehnten nach 1945 in zahlreichen Staaten

115 Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 389

wie Regionen der Welt an die Oberfläche trat, generiert sich kulturelle Differenz bei den Migranten vor allen Dingen bei der sehr stark zum Negativen konstruierten Verallgemeinerung und Generalisierung des fremden Anderen, hier expliziert bei der dämonisierenden Konstruktion eines asiatischen Fremd- und Feindbildes. Eine Ideologisierung, Instrumentalisierung und Monopolisierung von Seiten der oben namentlich genannten Politiker und anderer einflussreicher elitärer Gruppierungen erfahren dabei die vorgeblich „uralten“ Traditionen aus einer unlängst abgelebten Vergangenheit, aus der idealisierte Komponenten wie Vollbeschäftigung, ein hoher Lebensstandard, die Ausrichtung des Alltags nach anglosächsischem Muster, lebensweltliche Unbeschwertheit und soziale Absicherung hervorgehoben und glorifiziert werden (Leach 2000: 47), wenngleich jene mit der sozialen Wirklichkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur geringfügig übereinstimmen. Die für die australische National- bzw. Leitkultur aus dem Betrachtungswinkel der politischen Akteure symptomatischen Bedeutungen und Sinninhalte der westlichen Welt, die im öffentlich ausgefochtenen Politisierungsdiskurs zum Zwecke der Indoktrination der Gesellschaft als gänzlich inkompatibel zu den in der Zivilisationsstufe „inferiorer“ einzustufenden asiatischen (Un-)Kulturen, deren Werte, Verhaltensweisen und Umgangsformen eine Systematisierung erfuhren, wurden zwecks einer strikten Untermauerung der nationalen Souveränität und der eigenen Machtposition ins Bild gerückt. „[T]hese blokes are reinventing the nineteeth century“ (Markus 2001: 108), kommentiert Professor Marcia Langton mit voller Berechtigung die Bestrebungen des Neonationalismus, an den australischen Küsten neuerlich ein Grenzregime (Hess 2006: 156; Dies. 2009b: 139) zu errichten, das die Bevölkerung der fortress Australia vor dem globalisierten internationalen Konkurrenzkampf – der wiederum Beeinträchtigung wie kulturellen Wandel des australischen Way of Life bedeutet – und den nicht gebilligten kulturellen Einströmungen aus Asien schützen soll. Die ethnischen Selbstverortungsnarrationen der deutschen Auswanderer kritisieren stets die in Reden, Schriften und Bildern der „populistischen Patriotin“ verkörperten Verherrlichungen wie romantisierenden Revitalisierungen des historischen Mythos eines white Australia, bei dem das Eigenbild der mit besonderen Privilegien ausgestatteten „weißen Rasse“ gegen das Feindbild der Asian invasion eine neuerliche Konstruktion erfährt (Gale 2000: 261f.; Kane 1997a: 122; Hage 1998: 125), was, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, oft genug zu Lasten von Demokratie und Menschenrechten vereinnahmt wird. Dabei stilisierte sich die volksnahe Patriotin Hanson in den Medien zu einer Art Märtyrerin für einen politischen Kreuzzug, dessen Ziel es sei, die Invasion fremdkultureller Elemente aus dem asiatischen Raum zum Erliegen zu bringen und das die zentrale australische Identität stützende kulturelle Erbe zu konservieren, was gleichbedeutend mit dem sofortigen Stopp der von Steuergeldern subventionierten Programme zur Untermauerung des Multikulturalismus und zur Hilfestellung für ethnische Minoritäten ist. Im Sinne althergebrachter taktischer Manöver der Zuweisung von Schuld auf ethnische Minderheiten wurden unter Verweis auf rassische Ungleichheiten, fundamentale Probleme im Australien

390 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

der 1990er Jahre damit erklärt, dass die finanziellen Ausgaben für ethnische Minoritäten (affirmative action) in Australien zu hoch seien (Jupp 2001: 274). Dies unterwanderte die eigentlich mit Australien in Zusammenhang gebrachten Wesenszüge der auf Gleichheit abzielenden Behandlung des Menschen nach den Kategorien des sozialen Egalitarismus und fair go. Die deutschen Migranten erlebten mit John Howard und im Zeitalter des Hansonism der 1990er Jahre eine auf der Plattform von „Rasse und ethnischer Zugehörigkeit“ ausgetragene politische Radikalisierung der Gesellschaft in ihrer neuen Heimat. Das höchst vulnerable gesellschaftliche Gerüst des ethnischen Pluralismus wurde direkt angegriffen. Zugleich muss als Auslöser dafür ins Feld geführt werden, dass die Deutschen als ethnische Minorität, die ebenfalls von den Vorteilen des Multikulturalismus in Sydney profitiert, mit einer Abgrenzung zu öffentlichen Meinungseliten der Dämonisierung des fremden Anderen entgegenarbeitet, somit eine klare poltisch-kulturelle Stellung bezieht und sich damit ihrer eigenen Ethnizität, die auf historischem Kapital gründet, vergewissert.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 391

4.6.1 The Tampa Crisis: Konturen einer Orientalisierung des fremden Anderen „Und politisch, hier mit John Howard, ja, das ist auch nicht so einfach. Wir sind damals 2002 gekommen und da waren 2001 damals noch general elections gewesen und dann war damals diese Tampa-Krise gewesen, wo diese Kinder dann overboard und dann haben sie die doch alle rausgeholt und dann auf eine Insel befrachtet bei Luthu. Und das war natürlich damals, da haben wir auch gedacht, also was ist denn hier los.“116 „Ja, dass der Johnny Howard gehen muss, das war klar. Und mit der Tampa, da hatte er auch das größte Glück aller Zeiten, weil die Tampa-Krise hätte ihn umgebracht, aber dann kam zack der nine eleven, das wäre sonst sein Ende gewesen. Aber das Lügen die ganze Zeit. Ohne dieses Ereignis wäre das aber nicht durchgegangen. Das fanden die Leute schon sehr, sehr offensiv, so alles mit den Kindern und dem Lügen. Ohne Al Kaida hätte Johnny Howard das nicht überstanden.“117

Ethnizität deutscher Auswanderer in Sydney konstruiert sich einerseits in der Ambivalenz der Erfahrung von Gemeinsamkeiten sowie Kontinuitäten und andererseits durch Differenz und Fraktionierungen selbstverständlicher Ordnungen. Zwischen diesen die Lebenswelt konturierenden Identifikationspunkten werden mittels performativ wie kommunikativ verteidigter ethnischer Abgrenzungsarbeit – wie zum Beispiel bei der Artikulation kollektiver Erfahrungen und subjektiver Interpretationen aus dem tradierten Wissensdepot der eigenen Geschichte, Sprache und Kultur – Loyalitäten und Identitäten im Spannungsgeflecht der Trias von Prävalenzgesellschaft, ethnischer Community und Subjekt ausgehandelt, revitalisiert, strukturiert, wieder verworfen und neu modelliert. Die das Kapitel introduzierenden Aussagen über die noch näher zu beleuchtende Tampa-Krise – ein spezifisch australisches Ereignis aus dem Jahre 2001 mit fundamentalen Auswirkungen auf die Migrationspolitik, das eine im weiteren Verlauf nicht gerade zur Minderung bestehender rassischer Feindseligkeiten beitragende

116 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 117 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 13.06.2008.

392 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

globale Komponente bekommen sollte – bringen bei den Befragten zunächst ein negatives Erstaunen angesichts der – nicht zum kulturellen Repertoire der ethnischen Minderheit zählenden – Größenordnung der Inhumanität zur Sprache und können als Indizien der kulturellen Indifferenzerfahrung interpretiert werden. Mit der Howard’schen Migrationspolitik „der harten Hand“, die sich auf der Grundlage der Marginalisierung, Stigmatisierung und Orientalisierung des fremden Anderen zu profilieren suchte und mit der landläufigen Verbreitung generalisierender Feindbildkonstruktionen erfolgreich Wählerstimmen für sich vereinnahmte, wird seitens der deutschen Immigranten eine Politisierung von hilfsbedürftigen Asylsuchenden, den so genannten Boatpeople und reffos, angeprangert. Diese mussten sich nicht nur einer menschenverachtenden Behandlung als Kriminelle unterziehen, sondern fungierten darüber hinaus als strategisch benutztes Instrument bei der Wiederwahl Howards zum Premierminister im selben Jahr. Doch zunächst gilt es die Frage zu beantworten, vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund und vor welchen zeitgeschichtlich signifikanten Phänomenen auf der australischen Mikro- sowie der globalen Makroebene sich kulturelle Differenz bei den Deutschen in Australien erzeugt, um später zu einem genaueren Verständnis für die ethnische Identitätspositionierung zu gelangen. Wo liegen also die Verbindungslinien zwischen der australischen Integrations- bzw. Migrationspolitik in Bezug auf nicht erwünschte Menschen aus dem allzu fremden Mesopotamien, den hilfesuchenden Flüchtlingen, über Bord gegangenen Kindern in Seenot, dem transnationalen Dschihad, dem von den westlichen Allianzkräften ausgerufenen war against terrorism und der ethnischen Ziehung einer Demarkationslinie der Deutschen? Die Geschichte der Aufnahme von Flüchtlingen kann in Australien auf eine lange Tradition zurückschauen, in der die vor dem Genozid in Europa Protektion suchenden Juden, der Heimat beraubte Displaced Persons und Nachkriegsflüchtlinge die ersten Vorläufer bildeten. Spätestens seit dem Ausbruch des Vietnamkriegs gehörte die Präsenz der in kleinen Fischerbooten aus dem benachbarten Indonesien im australischen Norden um das Cape York gestrandeten illegalen Flüchtlinge aus den asiatischen Konfliktregionen zum Alltag Australiens (Mellor 2004: 635). Nicht zuletzt angesichts von Obliegenheiten aus den eingegangenen bilateralen Übereinkünften wie den 1951 unterzeichneten UN-Flüchtlingskonventionen kam es zur damaligen Zeit zur Entwicklung von Aufnahme- und Ansiedlungsprogrammen mit humanitärem Charakter, die auf eine nachhaltige und lang anhaltende Integration der Hilfsbedürftigen in der australischen Gesellschaft abzielten (Jupp 2007: 178). Die neue politische Atmosphäre des ökonomischen Rationalismus in den 1990er Jahren, die den „unökonomischen Immigranten“ stigmatisierte, weil er sowohl dem Wohlfahrtsstaat immense finanzielle Bürden aufzulasten drohte als auch die zum Ende dieses Jahrzehnts einsetzende neue quantitative Dimension der einen sicheren Hafen suchenden Vertriebenen, die aus von ethnopolitischen Kriegswirren erschütterten Ländern wie Osttimor, vor dem Taliban-Regime in Afghanistan, aus dem

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 393

Irak, Pakistan oder dem Iran flüchteten, zwangen die australische Regierung zu einer Evaluierung der Souveränitätsdominanz an den nationalen Staatsgrenzen im Norden, weil diese durch ihre territorial weitläufige Expansion sowie ihre leichte Zugänglichkeit scheinbar eine Gefahr für die nationale Integrität darstellten. Mit der landesweiten Errichtung von Auffang- bzw. Übergangslagern für Flüchtlinge mit ungeklärtem Visum- bzw. Bleibestatus, den so genannten mandatory detention centers, in zum Teil abgelegenen Gebieten, (de)platzierte die australische Regierung anfänglich den vorgeblich nicht enden wollenden Strom an von politischer Verfolgung bedrohten Asylbewerbern für eine zeitliche Übergangsphase, in deren Verlauf die Immigrationsbehörde darüber ein Urteil fällte, ob die für das Flüchtlingsvisum notwendigen Kriterien nach den Maßstäben der mit dem United Nations High Commission for Refugees getroffenen Übereinkünfte zur Aufnahme in Australien erfüllt werden.118 Bei einer negativen Beurteilung erfolgt eine gesetzlich vorgeschriebene sofortige Repatriation des Antragstellers in das Herkunftsland. Gemeinhin Unverständnis evozierten bei zahlreichen Gewährspersonen die subhumanen Verhältnisse in den an Gefängnisse oder Konzentrationslager erinnernden Sammellagern insofern, als dass die dort hinter hohen Mauern und Stacheldraht einsitzenden Hoffungssuchenden unwirtlichen Bedingungen – unzureichende Sanitäranlagen zur Aufrechterhaltung der persönlichen Hygiene, längeres Verharren unter der sengenden Mittagssonne, die Abgeschlossenheit von Australien und dem Rest der Welt sowie das Fehlen von Zugangsmöglichkeiten zu Medien, Telefon und Postverbindungen seien an dieser Stelle nur exemplarisch genannt119 – ausgesetzt waren. Diese von autokratischem Despotismus in ein freies Land Fliehenden entwickelten daraufhin in diesem Erdteil bislang kaum gekannte Protestformen wie das Zunähen des Mundes zum Zwecke von Hungerstreiks, Selbstverstümmlungen und Revolten ähnliche Aufstände, weil sie sich in ihrer Vorstellung von einem humanitären Australien getäuscht sahen. In den Medien dominierte das vom damaligen Immigrationsminister Phillip Ruddock heraufbeschworene Bild des queue-jumpers, d. h. eines finanziell potenten wie wohlhabenden Vordränglers, der genug Geld besitzt, um

118 „Immigration detention is an administrative measure that deprives people of their liberty even through they have not been convicted of an offence. This distinguishes it from imprisonment in the criminal justice system, which requires proof of an offence and a court-imposed sentence. Non-citizens in Australia are liable to the detained whenever an immigration official ‚reasonably suspects‘ that the person is in the country unlawfully. Detention will continue until the person is either removed from the country or granted a visa“ (Crock/Saul/Dastyari 2006: 154; Jupp 2007: 185). 119 Ein authentisches Bild von den alltagskulturellen Schwierigkeiten, die Insassen des Camp Curtis in der Nähe der im Nordwesten des Kontinents gelegenen Stadt Derby erleiden mussten, liefert Peter Mares (Mares 2003: 13ff).

394 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

dubiose wie kriminelle Menschenschmuggler zu bezahlen und sich durch dieses Vorgehen einen Vorteil gegenüber den „wirklich“ bedürftigen Antragstellern um politisches Asyl bei den überseeischen Botschaftsvertretungen verschaffte. Nicht das Verständnis für das Schicksal des human cargo war von Interesse, sondern die symbolische Aufladung der future seekers als fundamentalistische Terroristen und ehemalige Kriegsverbrecher nährte die stets präsenten Ängste vor einer paranoide Züge annehmenden Bedrohung einer Invasion des kulturell Fremden. Die den Kontext der Flucht determinierenden Umstände, zum Beispiel politische Verfolgung, vor denen die Menschen ihr Heil in der Ferne suchten, gingen in diese Argumentation nur peripher ein. Als Kulminationspunkt dieser mit emotionalen Untertönen durchzogenen nationalen Streitdebatte in Bezug auf die Aufnahme bzw. die Asylgewährung des fremden Anderen aus dem Nahen Osten schrieb sich die so genannte Tampa-Affäre in das öffentliche Bewusstsein Australiens ein. Am 26. August 2001 geriet das mit 433 afghanischen Flüchtlingen überladene Fischerboot Palapa 1 (suspected illegal entry vessel) auf der Schiffspassage zwischen Indonesien und den zu Australien gehörenden Weihnachtsinseln in akute Seenot. Das norwegische Frachtschiff Tampa reagierte als Erstes auf das von der australischen Küstenwache herausgegebene Notsignal und rettete die Insassen des Flüchtlingsschiffes, in dem Kapitän Rinnan den hilfesuchenden Menschen an Deck eine temporäre Zufluchtstätte gewährte. Um die gesundheitliche Verfassung seiner unfreiwilligen Fracht besorgt, steuerte der Schiffsführer die naheliegenden Weihnachtsinseln zwecks der Überführung der Flüchtlinge an. Doch Premierminister Howard verweigerte kategorisch die Zufluchtsgewährung der um politisches Asyl Bittenden und sprach gegenüber den Weisungsbefugten der Tampa ein generelles Verbot aus, die Menschen auf australischem Boden abzusetzen. In der medialen Öffentlichkeit trat er mit einer Erklärung vor die eigene Nation, dass Australiens Kapazitäten zur Aufnahme der Boatpeople ausgeschöpft seien, da das Land mittlerweile ein so hohes Quantum an Flüchtlingen beherberge (auch wurde neuerlich von der Metapher der Überschwemmung Gebrauch gemacht), dass die Institutionen diesem Schwall nicht mehr Stand halten können. Die von Howard artikulierte Regierungserklärung: „We will decide who comes into this country, and the circumstances in which they come“ (Leach/Mansouri 2004: 125), bedeutete insofern einen historischen Kontinuitätsbruch, als dass diese neue kulturelle Politisierung des Fremden als nationale Gefahr den bisher Gültigkeit besitzenden generösen Umgang mit Hilfsbedürftigen unter der humanitären Charta unterwanderte. „Howard hat dann gesagt: ,Wir nehmen die nicht, du hast die aufgenommen, du kannst die behalten.‘ Das war auch während einer Wahl, das hat dann auch dokumentiert: ,Ich bin hart.‘ Und dann wurde auch die These rausgeblasen: ,Wir bestimmen, wer hier einreist. Hier kann nicht jeder einreisen und sich aufdrängen, sondern wir, die Weißen, wir bestimmen, wer rein-

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 395

kommt und da können nicht irgendwelche Schlitzaugen ankommen und sich unter uns mischen.‘ Und der hat dann letzten Endes gesagt, wir nehmen die auf gar keinen Fall. Ja, er hat den starken Mann gespielt.“120

An die Stelle der Beherbergung und sukzessiven Integration trat nun die Politik der Abschiebung. Finanziell am Hungertuch nagende Inselstaaten in der Südsee schlossen mit Australien ein lukratives bilaterales Übereinkommen, eher bekannt unter dem Terminus „Pacific Solution“ (Stephen 2005: 32ff.; Brennan 2007: 284), das das Sorgerecht dieser menschlichen Fracht der Tampa sowie den nach diesem Ereignis am australischen Nationalhorizont auftauchenden Flüchtlingsbooten auf jene Staaten übertrug. Auf abgelegenen Inseln wie Nauru, Manus und Luthu wurde ein Netzwerk von Auffangcamps für Behausungen und die Unterbringung sowie medizinischen Versorgungsinstitutionen mit den von der australischen Regierung vertraglich festgelegten Subventionsgeldern in Höhe von 20 Millionen US-Dollar (McLeod 2006: 174) installiert. In den Narrationen der Migranten wird die ambivalente Rolle der Pacific Solution aufgegriffen. Sie sei ein brutales, demoralisierendes, die menschliche Würde verachtendes und kostenintensives Missmanagement des humanitären Cargos, die die notleidenden Asylsuchenden aus dem unmittelbaren Sichtfeld der australischen Öffentlichkeit exilierte und somit versuchte, ihren Zugang zum Recht und ihre Ansprüche auf Protektion, die ohnehin schon stark limitiert waren, so gering wie möglich zu halten. Bereits ein in den Nachwehen der Tampa-Krise im September 2001 inaugurierter Border Protection Act stellte alle notwendigen juristischen Instrumentarien zur Manifestation dieses australischen Grenzregimes dar, so dass unter Miteinbeziehung sowie der stetigen Präsenz von Militär und Küstenwache in den tropischen Gewässern des Indischen Ozeans zwischen Indonesien und dem Fünften Kontinent ein paranoides politisches Klima geschaffen wurde, das nur darauf zu warten schien, bis am Horizont eine Bootsladung von politisch Verfolgten bzw. von Kriegs- und Terrorwirren Gezeichneten die Souveränität einer Nation in Frage zu stellen drohte. Überlieferte Ordnungen wie xenophobe Ängste vor der Beeinträchtigung der sozialen Kohäsion121 durch den fremden Anderen aus den Zeiten der White Australia Policy determinieren diesen politischen Kurs der rechtskonservativen Hardliner. Robert Manne belegt in seiner Untersu-

120 Zitat aus dem Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007. 121 Der Professor für Politikwissenschaft an der La Trobe University in Melbourne, Robert Manne, thematisierte diese Ängste in einem Zeitungsartikel wie folgt: „The collective psyche here is still possessed by ancient fears experienced by a newly arrived small British settler society, of being overwhelmed by an invasion from the millions of exotic others to our north“ (Manne 2002).

396 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

chung über die Verbindung der genau hundert Jahre auseinanderliegenden Maßnahmen nachstehende Bestrebungen: „The ambition of the policy was to deter asylum seeker from coming to Australia by proving to them that that nation was not ,soft touch‘. To put it mildly, this has been proved. Intelligence is rapidly spreading around the world about a country that transports asylum seekers to tropical or desert hell-holes and that grants even those found to be genuine refugees mere temporary visas, in the hope that they will eventually go away“ (Manne 2003: 166).

Eine von den Medien und Regierungsvertreten praktizierte Verfremdung, Dämonisierung bzw. Orientalisierung der aus Afghanistan, dem Iran und dem Irak fliehenden „exotischen“ Boatpeople erreichte mit den Angriffen auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York ihren vorläufigen Höhepunkt, in deren Gefolge eine antimuslimische wie antiarabische Stimmungsmache auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Wiederwahl des Premierministers John Howard ausübte. Howard, so der Tenor der Befragten, instrumentalisierte ohne moralischethische Bedenken diese unerwünschten Invasoren für seine politischen Ambitionen des Traditionalismus sowie der Orthodoxie, in dem er in ihnen nicht nur eine Gefahr für den Wohlfahrtsstaat sah, sondern die größtenteils muslimischen Flüchtlinge mit terroristischen Absichten in Verbindung brachte und damit Ängste vor möglichen Terroranschlägen bzw. Selbstmordattentätern auf australischem Boden landesweit streute. Während des Wahlkampfes im Oktober 2001 kursierten in den Medien Bilder von irakischen Eltern, die in Seenot von dem Marineschiff HMAS Adelaide gerettet wurden und als scheinbares Druckmittel auf die politische Führungsriege ihre Kinder über Bord geworfen haben sollen. Vor der Wahl am politischen Schicksals- und Scheideweg angekommen, schöpfe Howard zur Rettung seiner Machtposition erneut aus dieser konstruierten symbolisch-emblematischen Ikonografie des „unzivilisierten“ muslimischen Anderen, der, so gab es der ideologische Indoktrination- und Manipulationsapparat den australischen Medienrezipienten und Wählern in Berufung auf Faktizität und Authentizität des Geschehenen zu verstehen, in einem barbarischen, erschreckenden und widerwärtigen Akt die eigenen Kinder den Fluten des Ozeans übergeben habe. Die Kultur der rechtskonservativen Politisierung, Stigmatisierung und Instrumentalisierung der fremden Anderen aus den Kriegs- und Krisengebieten des Orients für die Konsolidierung der politischen Machtaspirationen der Labour Partei122, die eben keineswegs die Metapher des „personifizierten muslimischen Bösen“ bzw. des „religiösen Fundamentalisten“ erfüllten, sondern vor dem Despoten Saddam Hussein im Irak bzw. dem Taliban-

122 „In the Coalition’s victory of 10 November 2001 its refugee repulsion re-election strategy played a vital part“ (Manne 2003: 172; Marr/Wilkinson 2003).

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 397

Regime in Afghanistan flüchteten und sich nach einem befriedeten Leben jenseits politischer, religiöser und ethnischer Verfolgung sehnten, produzierte bei den deutschen Migranten eine axial zu den eigenen Handlungs- und Bewertungsmustern konzipierte Alterität, die aus den Erklärungen zu diesen Phänomenen mit nationaler Aufmerksamkeit herauszufiltern ist: „Da spielt viel mit rein. Da spielen auch mit rein der Irak-Krieg und insofern die Verteuflung der Muslime im Allgemeinen und das hat auch Howard benutzt, um dran zu bleiben an der Regierung. Er polarisiert sehr, damit er gewählt wird. Und er nutzt Themen, ich weiß jetzt nicht, ob es die letzte Wahl war oder die vorletzte Wahl, die Tampa affair bzw. die children overboard affair, wo das dann auch übertrieben wurde. Da wurde gesagt, dass diese Flüchtlinge, die da kommen in den Booten, die warfen ihre Babys über Bord, nur um rüber [nach Australien, Anm. d. A.] genommen zu werden. Das zeigt, wie verzweifelt die sind. Das ging dann durch die Presse und er sagte dann: ,Und solche Leute wollen dann zu uns rein. Die wollen unserer Unterstützungsgelder benutzen.‘ Und nachher stellte sich raus, da hat keiner etwas geworfen. Und das wussten die Leute auch, also die Marine, die da draußen waren. Die sagten dann: ,Nein, hier ist kein Baby über Bord geworfen worden.‘ Aber er [John Howard, Anm. d. A.] hat das benutzt damals.“123

Die nach den Gesetzmäßigkeiten der Machtasymmetrie vollzogene Konstruktion des fremden Illegalen aus dem Zweistromland stellt für die zum Sample dieses Kapitels gehörenden deutschen Migranten eine inter- und transkulturelle Herausforderung dar, die mit dem identitätsgenerierenden Narrationsreflex der Verortung des Selbst in diesem Diskurs der Diskriminierung und Orientalisierung des für die australische Mehrheitskultur Beängstigung wie Abschreckung erzeugenden Fremden beantwortet wird. Die in der medialen und politischen Öffentlichkeit zur Debatte stehende sowie nicht zuletzt durch ihr Ungerechtigkeitsgefälle charakterisierte Tampa-Krise diffundierte in den Alltag der Untersuchten und erzeugte kulturelle Spannungsfelder, die die Notwendigkeit der Grenzziehung bzw. Differenzbestimmung nach sich zogen, d. h., der in den Augen der Auswanderer als inhuman kategorisierte Umgang mit hilfesuchenden Menschen, die unter körperlichen wie seelischen Entbehrungen per Land- und Seeweg den scheinbar „sicheren Hafen“ Australien ansteuerten, initiierte kulturelle Praktiken der Entgrenzung von den seitens der australischen Meinungseliten kolportierten und in Umlauf gebrachten Bildern des „bösen Anderen“ (Falk 2010: 89f.), weil mit solch einer wirklichkeitsreduzierenden, realitätsfernen und stereotypisierenden Formgestaltung des Fremdbildes gemeinschaftliche Grundüberzeugungen, mentale Dispositionen sowie kommunizierte tradierte Vereinbarungen angegriffen werden. Diese „werthaft-normativ auf-

123 Zitat aus dem Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007.

398 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

geladene Selbstaffirmation“ (Rüsen 2007: 51), d. h. die Vergewisserung der gruppenspezifischen Zugehörigkeit sowie der Bestimmung der kulturellen Identität, realisiert sich auch hier mit dem subjektiven Blick durch die bikonkave Linse der Ethnizität, bei dem ein Auge stets auf das vertraute bzw. kulturell Eigene gerichtet ist und das andere Sehorgan das in Opposition zum kulturell Bekannten konstruierte Fremde in den Fokus nimmt. Im Zuge der beiden Golfkriege, der globalisierten Selbstmordattentate, des militärischen Einsatzes der Westmächte im Hindukusch sowie der in unmittelbarer Nähe des australischen Kontinents explodierenden Autobomben in dem balinesischen Badeort Kuta, bei dem 88 Australier zu den Opfern gehörten, kam es in Australien nicht nur zu einer allgemeinen Destabilisierung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern der seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts ausgerufene war against terror beflügelte monolithische Projektionen wie Repräsentationen der westlichen Welt von den hauptsächlich zum Islam gehörenden Boatpeople. Sowohl in der Protektion der nationalen Grenzen durch militärische Küstenpatrouillen in der vom australischen Verteidigungsministerium geleiteten Operation Resolute als auch in der Sicherung des Inneren mittels Gesetzeserweiterungen wie dem AntiTerrorism Bill124 aus dem Jahre 2005 und den in Städten plakatierten Reklamen mit der Aufschrift Keep Australia Safe. Keep The Information Flowing erkennen die deutschen Auswanderer eine Dämonisierung der Muslime im Allgemeinen und der Boatpeople aus islamisch geprägten Ländern in Speziellen, da der öffentliche Diskurs unterschwellig und möglicherweise auch unbewusst stets eine Verbindung dieser mit religiösem Fundamentalismus, Dschihad und Terrorismus herstellt.125 Im

124 Ohne die potenzielle Gefahr von gezielten Angriffen zu relativieren, gibt James Jupp eine angemessene Beurteilung der Situation ab, wenn er schreibt: „Australian experience of actual terrorism or mass people smuggling is very limited, despite the controversies aroused nationally and internationally by its exclusion and detention policy over the past decade“ (Jupp 2009: 12). 125 Die an zahlreichen Hauptverkehrsknotenpunkten, Bahnhöfen, Bushaltestellen und Landungsbrücken für Fähren in der Hauptstadt von New South Wales in Schaukästen gut sichtbar angebrachten blauen Plakate zeigen die Umrisse des australischen Kontinents, in dessen Konturen mit einer hellen Schrift einzelne Wörter, Aussprüche wie ganze Sätze hervorstehen, die in direktem Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit des Landes stehen. Den Lesern dieser Texturen soll hiermit vermittelt werden, wie wichtig es ist, Informationen über Beobachtungen oder bloß Gehörtes an Regierungsstellen weiterzugeben. Als einzelne Worte erkennt der Beobachter zunächst planning wie suspicious. Einzelne Sätze, die dem Anschein nach aus dem Munde aufmerksamer Australier stammen, lauten wie folgt: „I overheard them planning something… I felt like I had to let you know… The name on his credit card didn’t match the one on his password, I

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 399

Sinne der Said’schen dekonstruktivistischen These von Orientalismus konzeptionalisiert der an die westliche, europäisch-atlantische Welt angebundene australische Mehrheitsdiskurs mit dem kausalen In-Bezug-Setzen des islamischen Glaubenssystems mit Assoziationen wie Radikalismus, Fundamentalismus und Fanatismus die Reproduktion der eigenen Macht. Diese von Stuart Hall charakterisierte „burden of representation“ (Hall 2007: 442) des Anderen hat nicht nur Auswirkungen auf die ethnische Minorität der bereits im Land lebenden Muslime, sondern vor allen Dingen auf die Behandlung der sich momentan auf der Flucht nach Australien befindlichen Menschen als auch auf diejenigen, die mit ungeklärtem Bleibestatus wie Gefangene bzw. Sträflinge in den mandatory detention centres in Curtin, Port Headland, Baxter oder Nauru ein trostloses, unmenschliches wie gleichermaßen im Ausgang ungewisses Dasein aushalten mussten bzw. in den bis dato noch nicht geschlossenen Auffanglagern wie Villawood in Sydney, Port Augusta und Perth gegenwärtig immer noch fristen.

know their names and addresses, but well, I want to remain anonymous, They kept asking me questions about our security systems… anyway I thought I’d better call, They have a lot of pool supplies in their courtyard but they don’t have room for a pool, It’s unusual for him to receiving deliveries like that, especially at that time of night, I know this person who has downloaded a lot of documents from suspicious websites, They’ve been behaving really… well unusually… I can’t shake the feeling something is wrong, It was an unusually large order, really expensive and he wanted to pay cash, He just didn’t show up at work and when I called him, his number was disconnected, I felt like I had to let you know, Hi, I wouldn’t usually call but I overheard something, I was working in this house and there was a lot of expensive gizmos that looked a little suspicious to me.” Neben dem Appell, alle verdächtigen und unüblichen Beobachtungen sofort der dafür installierten National Security Hotline zu melden, findet sich ein weiterer, informativen Charakter besitzender Subtext: „Every piece of information we receive from members of the public today could prove to be invaluable in keeping Australia safe from terrorism tomorrow. It is often the details that make the biggest difference. So if you see or hear something that just doesn’t feel right, please call the National Security Hotline and keep the information flowing.“

400 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

4.6.2 We grew here! You flew here! Kampf der Kulturen am Strand von Cronulla? „Da muss man aber dazu sagen, glaube ich, dass diese Cronulla riots mit anglo-saxon Australians und Libanesen, das ist alles erst in Erscheinung gekommen mit dem nine-eleven-Ding in New York. Da hat sich so entwickelt und ist eher so eine weltweite Sache, dass jetzt auch nicht unbedingt australisch ist. Ich meine, vor zwanzig Jahre waren es die Russen, waren es die Kommunisten, die unsere Feinde waren und jetzt sind es halt eben die Moslems. Und dann hat sich das hier natürlich ausgeprägt. Die meisten Libanesen, die ja hier sind, die sind ja sowieso Christen. Und gerade so die Libanesen, die sind schon sehr lange hier, dass sind alles Geschäftsleute, die schon vor dem ganzen Schatila und Beirut hierher kamen. Das muss man auch dazu sagen, dass die Presse und gerade die Medien hier das Ganze halt sehr ausnutzen, diese ganze September-eleven-Sache. Ich meine auch, die Einwanderer, die gerade aus dem Mittleren Osten hierher gekommen sind, die sind ja hierhin gekommen, weil sie ein besseres Leben haben wollen. Weil die halt ihre Kinder in die Schule schicken wollen, ohne befürchten zu müssen, dass der Bus bombardiert wird oder dass da einer im Rucksack eine Bombe drin hat.“126

Im Zuge der kombattanten Feindseligkeiten und ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren, der globalen Schlüsselkräfte des religiösen Fundamentalismus im Kaschmir sowie Osttimor, der zeitweilig emporlodernden geostrategischen Sezessionskriege im Kaukasus und vor allem nach den Ereignissen des 11. September 2001 ist das Thema der Ethnizität – und damit auch implizit der Migration – in neuer Dringlichkeit auf die Tagesordnung zahlreicher nationaler Zusammenschlüsse gerückt (Sacks 2002: 4; Breidenbach/Pál 2009: 124ff.). Während die anhaltenden Bürgerkriege in der Region Darfur sowie die territorialen Integritätsbestrebungen der indigenen Bevölkerung im Amazonastiefland das mör-

126 Zitat aus dem Interview mit Raoul Trentmüller, datiert auf den 07.04.2008.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 401

derische Pandämonium von politisierter ethnischer Identität demonstrierten, erscheint der Angriff auf das World Trade Center als Fanal des von Samuel P. Huntington beschworenen Kampfes der Kulturen, der damit nachträglich eine Bestätigung zu erfahren schien (Appadurai 2009: 29ff.). Der Harvard-Professor für Politische Wissenschaft hatte davor gewarnt, dass die zukünftigen globalen Konflikte nicht entlang politischer oder ökonomischer, sondern entlang „kultureller Verwerfungslinien“ erwachsen. Die propagierte apokalyptische Zukunftsvison, welche die Welt in kulturelle Fragmentierung und interkulturelle Konflikte zu zerfallen sieht, klingt bei Huntington wie folgt: „It is my hypothesis that the fundamental source of conflict in this new world will not be primarily ideological or primarily economic. The great division among humankind and the dominating source of conflict will be cultural. Nation states will remain the most powerful actors in world affairs, but in principal conflicts of global politics will occur between nations and groups of different civilizations. The clash of civilizations will dominate between global politics. The fault lines between civilizations will be the battle lines of the future“ (Huntington 1993: 22; Ders. 1996: 207f.)

Nach dem Wegfall von identitätsstiftenden Polarisierungen der Ideologien aus den Zeiten des Kalten Kriegs tendieren die menschlichen Individuen, so der ehemalige Berater des US-Außenministeriums, immer stärker zur Revitalisierung und Distinktion eigenkultureller Elemente, so dass für Huntington eine Segmentierung der Welt nach Kulturkreisen naheliegt (Inglehart 2000: 81). Dem durchweg ethnozentrischen und mehrheitlich konservativen Betrachtungswinkel dieser vom Autor selbst nachträglich kritisch reflektierten Theoriekonzeption liegt allerdings ein defizitäres Verständnis von isolierter Kultur zugrunde, das die Vorstellung von einer Unvereinbarkeit kultureller Unterschiede zwischen westlicher und islamischer Welt akzentuiert. Demgegenüber werden alle Formen der Variabilität, Diversität, Vermischung sowie Hybridität nicht oder nur peripher zur Kenntnis genommen (Said 2003: 84; Sen 2007: 54ff.). Die in der groß angelegten Kulturtheorie Huntingtons intendierte Gleichstellung von kultureller Differenz mit Konflikt und Bedrohung leistet ausschließlich der Konstruktion sowie Stigmatisierung eines fremden Anderen Vorschub (Dixon 2008: 559f). Diese pauschalisierende sowie antithetische Weltanschauung zog eine Vielzahl von kritischen Stimmen nach sich (Heck 2007), zu denen auch Medienvertreter zählten (Steinfels 1994: 7). Infolgedessen stellt die rapide Ausbreitung ethnisch orientierter Identitätspolitiken ebenso wie die wachsende Häufigkeit und Intensität ethnischer oder als ethnisch etikettierter Konflikte und Gewaltexzesse die ethnowissenschaftliche Erklärungskapazität zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor eine neue Herausforderung. In diesem Kontext ist ein verstärkt kulturanthropologischer Fokus auf die Lebenswirklichkeiten ethnischer Minderheiten in Sydney – zu denen Deutsche wie auch Libanesen zu zählen sind – unabding-

402 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

bar, denn auch ethnisch-religiös konnotierte Kontroversen folgen gewissen kulturellen Codes und Mustern, die es im Folgenden zu entschlüsseln gilt. Sydney, dessen kultureller Pluralismus und multiethnische Koexistenz im urbanen Setting zu beobachten ist, gehört zu den größten Immigrantenmetropolen. Schenken wir den demografischen Zensusdaten von Ian H. Burnley aus dem Jahr 2001 Glauben, so gehörten 58 Prozent der Sydneysiders zu der ersten oder zweiten Generation von Einwanderern (Burnley 2001: 258-268). Als eine der kosmopolitischsten Städte der westlichen Welt hat es Sydney in den letzten Dekaden angesichts seiner integrativen Vernetzung im weltumspannenden Kapitalsystem verwirklichen können, eine Vielzahl von Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen aufzunehmen. Doch nicht selten wird die multikulturelle Gesellschaft, die sich zu großen Teilen aus Migrationen speist, von ethnischen Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen in ihren Grundfesten erschüttert. Mehr oder minder professionell arbeitende Medienvertreter suchen und finden die Schuld unverzüglich bei Minderheiten mit Migrationshintergrund, die zwangsläufig konfliktbeladenes Gedankengut in das Gastland transportieren und damit nicht nur die soziale Kohäsion gefährden, sondern ferner die Nation in zwei gegensätzliche Lager teilen. Richten wir unseren Blick kursorisch auf internationale Vorkommnisse in Europa und Nordamerika, so wird schnell deutlich, dass die oft zitierten race riots – exemplarisch seien hier die Unruhen in Los Angeles und Toronto (1992) (Collins/Henry 1994: 536ff.) sowie Paris (2005) (Hargreaves: 2007: 108ff.) angeführt – keine unikaten und ahistorischen Phänomene darstellen (Ortiz 2008: 435ff.). Seit den Attentaten auf das World Trade Center in Manhattan und das Nahverkehrsnetz europäischer Metropolen wie London und Madrid sind es zunehmend Muslime und islamische Einrichtungen, ihr vorgeblich religiös begründeter Radikalismus, ihre parallelgesellschaftlichen Binnenstrukturen und ihre oppositionelle Haltung gegenüber dem assimilatorischen Anforderungsprofil ihres auf Multikulturalismus ausgerichteten Beheimatungslandes mit einer medialen Bilder- und Symbolpolitik – bei der die Grenzlinien zwischen Faktizität und Fiktionalität verschwinden –, die zu einem allgegenwärtigen gesellschaftlichen Bedrohungsszenario der „stillen Islamisierung“ für die westliche Welt entworfen werden (Kaschuba 2007: 65; Dauth 2008: 7; Schiffauer 2008: 49ff.). Am 11. Dezember 2005 berichteten die internationalen Medien über eine aufgewiegelte Menschenmasse von circa 5.000 hauptsächlich weißen männlichen Australiern, die an einem Strandabschnitt von Cronulla – zum Teil auch unter starkem Alkoholeinfluss – Immigranten aus dem Nahen Osten brutal attackierten. Nachträglich warf der wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurs des Öfteren die Frage auf, wo die Beweggründe für solch schockierende Vorkommnisse zu suchen seien (Poynting 2006; Breidenbach/Pál 2009: 196f.; Noble 2009). Dazu bedarf es der vorweggenommenen Erklärung, dass gerade der im südlichen Rand von Sydney gelegene Vorort Cronulla seit den 1960er Jahren ein beliebter Treffpunkt einer in

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 403

sich geschlossenen Surfszene ist, deren Mitglieder unter Zuhilfenahme einer subkulturellen Ikonografie Demarkationslinien errichten, die nicht selten in einem gewaltbereiten Lokalpatriotismus sowie einem hohen Grad an Territorialbeanspruchung gegenüber Nichtmitgliedern – zumeist um kulturelle Anerkennung und gesellschaftliche Partizipation am australischen Way of Life kämpfenden Libanesen aus den westlichen Vororten Sydneys – verteidigt werden. Zur Neige des Jahres 2005 richtete sich der Groll der eingeschworenen Surfergemeinde gegen eine Gruppe von jungen Libanesen, den so genannten Leb Boys, die häufig aus den westlichen Vororten zum Strand kamen und aufgrund ihres chauvinistischen und übermäßig maskulinen Gebärdens gegenüber weiblichen Badegästen in einen handfesten Streit mit einigen Rettungsschwimmern – den unangefochtenen Galionsfiguren des australischen Heroismus (White 1981: 154ff.) – gerieten. In den darauffolgenden Tagen startete eine medial inszenierte Kampagne, die ihresgleichen sucht. Die Rolle der Medien bei der Verbreitung, Verfestigung und Überhöhung der nationalen Volksfeindmetapher, wie bereits im Eingangszitat von Trentmüller kritisch evaluiert, wurde in diesem Diskurs immer wieder hervorgehoben, da an ethnischen Grenzen verlaufende Polarisierungen und schonungslose Agitationen die medialen Stellungnahmen beherrschten (Manning 2006: 254ff.; Jakubowicz 2007: 163ff.). Surfer versendeten über ihre Mobiltelefone Textmitteilungen an rechtsextremistische Vereinigungen, die in Sydney ansässigen Radiostationen riefen ihre Hörer zu Vergeltungsschlägen gegen die feindlichen Libanesen im battle of the beach auf und alle, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kenntnis gesetzt waren, konnten im Daily Telegraph über die Zurückeroberung des Strandes einen Wiederabdruck der Textmitteilung finden: „This Sunday every Aussie in the Shire get down to the North Cronulla to help support Leb and wog bashing day […] Bring your mates and let’s show them that this is our beach and they are never welcome […] let’s kill these boys“ (zitiert nach Collins 2007: 66). Die kulturellen Muster als auch die formale und zeichenhafte Sprache, vor deren Hintergrund die Handlungen zu deuten sind und auf die sich die jugendlichen Gewalttäter explizit beriefen, unterlagen einer historischen Determination und bildeten zugleich die gesellschaftliche Legitimation. Die Tradition des in Gallipoli aufopferungsvoll kämpfenden ANZAC-Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg will es so, dass sich nun auch die junge Generation von Australiern in die Pflicht gerufen fühlt, wie ein echter Mann, Nation, Land und Historie auf dem Sand des Cronulla-Strandes gegen die feindlichen Invasoren aus dem Nahen Osten zu verteidigen. Im Sinne von Pierre Bourdieu formuliert, wird der kulturell als wertvoll angesehene Küstenstreifen zum symbolischen Kapital emporgehoben, dessen Wegfall einem Einbüßen von akkumulierten nationalen Werten und soziokulturellen Präferenzen sowie Umgangsformen gleichkommt (Calhoun 2006: 714ff.). Ein etwas robuster Mann mittleren Alters gibt der versammelten Journalistenschar in stark aggressiv-polemisierender Art und Weise zu verstehen, dass bereits die Großväter dieses Land im Kampf verteidigt hätten und nun angesichts ei-

404 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ner libanesischen Inbesitznahme des symbolischen sowie emotionalen Territoriums neuerliche Bedrohung bestünde. An dieser Stelle zeigt sich sehr authentisch ein spezifischer Umgang mit Historie sowie ein starker Glaube an die Wahrhaftigkeit der eigenen mythischen Geschichtsschreibung, die die Rechtmäßigkeit der eigenen Perspektive zu autorisieren sucht. Apologetische Retroperspektiven auf und Erinnerungen an kulturrelevante Geschichtsbilder dienen in diesem Zusammenhang der Identitätskonstruktion, weil die Lebensrealität der betroffenen Menschen ungewiss und beängstigend wirkt. Geschichtsschreibung wird hier nicht als Produkt der Vergangenheit angesehen, sondern vielmehr als reaktionärer Reflex auf die missliebigen Anforderungen der Gegenwart (Eriksen 1993: 72). Diese Betrachtung zieht symptomatisch die logische Folgerung nach sich, dass die im bildhaften Denken erschöpfte ethnische Vergangenheit stets subjektive Rekonstruktion ist (Roosens 1989: 17). Dank der pathetischen Wiederbelebung sowie symbolischen Erinnerung an die kulturellen Bündnisse mit den hier exponiert erwähnten Vorvätern, so konstatiert Anthony D. Smith, wird der Erfolg und die Beständigkeit einer in Stein gemeißelten nationalen Identität siegessicher zum Ausdruck gebracht (Smith 1991: 162). Das Eingreifen der Polizei zum Schutze des leiblichen Wohles einiger Weniger mit „nicht australischem Habitus“ wurde begleitet von Zerstörungen und anhaltenden nonverbalen Auseinandersetzungen, wenngleich die aus den destruktiven Ausbrüchen resultierenden Sachschäden überschaubar blieben. Den größten Schaden erlitt dabei jedoch die Reputation Australiens. Der damalige Premierminister John Howard verurteilte die Geschehnisse aufs Schärfste, wies aber im gleichen Atemzug darauf hin, dass Australien keine rassistische Gesellschaft sei. Während der turbulenten Ausschreitungen, deren Visualität in multimedialen wie temporalen Erinnerungsarchiven wie You Tube, My Video oder Clipfish gespeichert ist und permanent ins kulturelle Gedächtnis zurückgerufen werden kann, las der interessierte Beobachter auf dem nackten Oberkörper eines pubertären Präadoleszenten folgende Worte: We grew here! You flew here! Förmliche Diskretion wird darüber bewahrt, dass die in die Handgreiflichkeiten involvierten jungen Libanesen ebenfalls in Sydney ihren Geburtsort haben. Ihre Eltern sind vor dem Bürgerkrieg geflüchtet, der im Libanon von 1975 bis 1991 zwischen Muslimen und Christen, den beiden größten Religionsgruppen des Landes, ausgetragen wurde. Des Weiteren gehört es zum Allgemeinwissen, dass Australier mit libanesischem Migrationshintergrund schon seit mehr als einem Jahrhundert als eine fest etablierte Gemeinschaft auf dem großen Südkontinent gelten, die sowohl Maroniten, Orthodoxe, Sunniten als auch Alawiten, Schiiten und Drusen zu ihren Mitglieder zählen kann. Waren die Delinquenten von Cronulla nun von einem blinden Rassenhass im Sinne von Jim Crow inspiriert, der auf biologische Eigenschaften und rassisches Überlegenheitsdenken verweist, oder agierten sie aus ökonomischen sowie politischen Motiven? Können die Gewaltexzesse als ein Indiz für eine Bewahrung materieller Interessen sowie die Erhaltung altbewährter kultureller Errungenschaften gedeutet werden?

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 405

Vor allem kulturelle Differenzen, mehr noch als biologische (Mullings 2005: 678f.), sind durch den ihnen inhärenten Konstruktionscharakter zu einem politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlich anthropologischen Erklärungsmodell arriviert, das sich großer beliebt erfreut und das Verständnis und den Argumentationsrahmen kulturell aufgeladener Konfliktpotenziale zwischen feindlich gesinnten Gruppen erhellen soll. Dabei gilt Ethnizität meist als omnipräsente und problemlösende Zauberformel (Nederveen Pieterse 2004: 29f.). Im Moment der Ordnung und Sicherheit, in dem die anglosächsischen Australier ungestört ihren Lebensstil – hierzu zählt u. a. maskuliner Exhibitionismus, Territorialverhalten und Sportbegeisterung – im Kontext des identitätsstiftenden Bedeutungsgewebes Strand ausleben, gerät die Welt, veranlasst durch die Wahrnehmung fremdländischer Andersartigkeit, plötzlich aus ihren Fugen. Der drohende Identitätsverlust angesichts des Wegfalls tradierter Erfahrungshorizonte wird als eine pathogene Krisensituation erkannt und führt zugleich zur pathetischen Überhöhung des kulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls in der bestehenden Ingroup. Eine zentrale Funktion dieser rassistischen Ausschreitungen gegenüber Minderheiten dient, so argumentiert Stephen Castles, der Rekonstruktion sowie Sicherstellung verloren geglaubter Lebenskonstellationen (Castles 1996a: 41). Die in den narrativen Stellungnahmen zur kulturellen Ressource der eigenen Ethnohistorie oft memorierte Rückbesinnung auf das goldene Zeitalter, einer der Hauptkampfpunkte des nationalist revivalism, impliziert die Forderung nach einer Wiederherstellung der Gemeinschaft und ihrer kanonischen Wertepremissen (Smith 2008: 44). Darüber hinaus sahen einige illiberale Kommentatoren in den xenophoben Attacken von Cronulla eine nachträgliche Bestätigung der bereits 1984 von Geoffrey Blainey geäußerten Befürchtung, dass die nichtbritischen Immigranten einen nachhaltig negativen Einfluss auf die gesellschaftliche Kohäsion haben könnten (Blainey 1984: 131). Dessen ungeachtet sind Spuren für ethnische Spannungen in der australischen Historie nur selten zu finden und somit kann ihnen ein eher singulärer Charakter zugeschrieben werden. Von einem Kampf der Kulturen kann also nicht die Rede sein, denn die Schließung von identitären Anknüpfungspunkten, die Instrumentalisierung nationalistischen Gedankenguts als auch die im Sinne ökonomischen Kalküls verwendeten Komponenten der Inklusion und Exklusion, so Günther Schlee, unterliegen immer konkurrierenden Determinanten, die bei einem Kampf um Ressourcen stets zu Tage treten, auch wenn diese in einer Reflexhandlung fälschlicherweise mit dem Etikett des Ethnischen versehen werden (Mayer 2007: 38). Nichtsdestotrotz waren das hier ausgebreitete Beispiel sowie Übergriffe auf Studenten und Arbeitsmigranten vom indischen Subkontinent (Borah 2010), so der einhellige Tenor der im Kontext der Diskriminierung nach den Kategorien Rasse, Ethnizität, Religion und Hautfarbe besonders engagiert diskutierenden deutschen Auswanderer, ein Weckruf für die kosmopolitische Weltmetropole Sydney. Migrantennarrationen illuminieren die stets präsenten Wechselbeziehungen zwischen

406 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Toleranz und Vorurteilen, Rassismus und Multikulturalismus sowie innerem Zusammenhalt und Konflikt und appellieren in gleichem Maße an einen sensiblen Umgang mit scheinbar antithetischen Begriffen wie „Assimilation“ und „Ethnopluralismus“ in der multikulturellen Stadt an der Botany Bay. „Und ich kann das verstehen, ich hätte auch Abneigung beispielsweise mit ausgeprägt muslimischen Menschen umzugehen, weil ich sie überhaupt nicht verstehe. Ich würde niemals in irgendeiner Art und Weise gegen sie vorgehen, ich würde sie akzeptieren, wie sie sind, vorausgesetzt sie integrieren sich normal. Aber bei den Cronulla riots sind ja noch andere Gründe hinzugekommen, beispielsweise Überschuss an Energie. Da sind Leute dabei, die haben keine Arbeit und sind sozial in einer unteren Stufe, sage ich jetzt mal, und dann kann das schon schnell gehen. Das Eine ergibt das Andere, und bevor du eins, zwei, drei sagen kannst, hast du einen Riesenkrawall am Strand.“127

Das mit den Worten „vorausgesetzt sie integrieren sich normal“ mitschwingende Assimilationsdiktat, d. h. die Aufforderung zur Aufgabe des eigenkulturellen, religiösen und ethnischen Habitus, die Anpassung an die leitkulturellen Lebensverhältnisse in Sydney, die Beendigung der Praxis zur Aufrechterhaltung räumlich konzentrierter ethnischer Ghettos und die Subordination unter die multikulturelle, aber auch auf Einheitsbestrebungen wie soziale Kohäsion abzielende australische Gouvernementalität, geht mit einem stereotypen, jedoch im hohem Maße bewusstseinsbildenden und zur realen Tatsache erhobenen Wissen einher, dass sich die muslimischen Immigranten aus dem Libanon, dem Irak und Afghanistan der Assimilation intentional widersetzen und aufgrund ihrer extern wie intern verschuldeten Desintegration ein eigenes ethnisches Selbstbild schaffen, in dem sie sich zu kriminellen Banden zusammenschließen und das Heil ihres über Staatengrenzen hinweg bewegten Lebens in der fundamentalistischen Überhöhung des islamischen Glaubens suchen. Der grob vereinfachte und pauschale Gleichsetzungs- und Zuschreibungsprozess, Muslim gleich Fundamentalist oder gar Terrorist, ist in Australien genauso wie in Deutschland das Resultat einer von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie charakterisierten Medien- und Presselandschaft (Bunzl/Hafez 2009). Sie verweigert sich nach wie vor hartnäckig der die Integrationsbarrieren aufsprengenden Lektüre der analytischen und kulturhistorischen Arbeit zum Konstruktionsgehalt des Orientalismus in der westlichen Welt von Edward Said. Dazu kommt das Eingeständnis zahlreicher deutscher Migranten, dass es sich bei den Libanesen um kulturell, gesellschaftlich als auch ökonomisch Marginalisierte und strukturell Diskriminierte handelt, denen es an Bildungs- und Aufstiegschancen fehle, die sich vermehrt in – die Grenzen zum Illegalen transzendierenden – jugendlich-subkultu-

127 Zitat aus dem Interview mit Angelika Rehwald, datiert auf den 19.11.2007.

K ULTURKONTAKT

UND

K ULTURKONFLIKT | 407

rellen Gangs mit kriminellen Machenschaften in Vororten wie Bankstown, Lakemba, Punchbowl, Auburn, Fairfield und Wiley Park organisieren (Poynting u. a. 2000; Ders u. a. 2004) und sich mit der Rekurrierung auf Koranverse eine eigene, eine parallel zur australischen Gesellschaft verlaufende Welt errichten, die sich konsequent dem legislativen wie exekutiven Einzugsbereich der australischen Multikulturalismuspolitik entzieht.128 Laut den Aussagen deutscher Migranten basieren die Aktionen der australischen Protagonisten von Cronulla auf den assimilatorischen Indoktrinationen der vier rechtskonservativen politischen Legislaturperioden unter Premierminister John Howard, der zahlreiche Hebel der paranoiden Wirklichkeitsreduktion und zum Teil Wirklichkeitsverzerrung in Bewegung zu setzten wusste, um zur gesamtgesellschaftlichen Etablierung und Verfestigung eines homogen-monolithischen, stark suggestiven Abbildes des Islams beizutragen. Mit der Herbeizitierung der aus den populärjournalistischen Gazetten entnommenen integrations- und immigrationspolitischen Leitprämissen „Das bisher in Kauf genommene Maß der kulturellen Abweichung ist nun überschritten“ bzw. „Das Boot ist voll“ wird ein Argwohn über die Beeinträchtigung und nachhaltige Degeneration des lebensweltlichen Status quo im lucky country sowohl verbal als auch nonverbal artikuliert (Rickmeyer 2009: 120f.). Die mehr oder minder berechtigten Befürchtungen aufgrund des nicht abnehmenden Zustroms an Immigranten und refugees sowie einer sich im Alltagsleben scheinbar immer drastischer niederschlagenden Intensität kultureller Andersartigkeiten gehen einher mit der Angst vor dem Abstieg in prekäre Beschäftigungs- und Lebenslagen, weil die Ausländer, so will es die emische Perspektive zahlreicher Australier beim Blick auf die Unruhen aus dem Jahr 2005, den Lokalmatadoren von Cronulla auf der Mikroebene und dem ordinary bloke auf der Makroebene nicht nur den beach streitig machen, indem sie dort Fußball spielen und den australischen Strandmädels mit ihrem kulturellen Repertoire den Hof machen, sondern zudem mit ihrer Präsenz Arbeitsplätze wegnehmen und damit den relaxten Lebensstandard torpedieren. Äquivalent hierzu positioniert sich eine weitere analytische Interpretationsebene, die davon ausgeht, dass die Beklemmung der Australier gegenüber den Leb Boys ihre Ursache darin findet, dass sich diese ungeachtet ihrer strukturellen Diskriminierung und gesellschaftlichen Positionierung in der Peripherie als „gut integrierte Ausländer“ verhalten und im Zuge dessen auch mehr soziale und öko-

128 Es gilt als kulturwissenschaftlcher Common Sense, dass durch ethnisch konnotierte Zuschreibungen, Attributierungen und sogar Stigmatisierunegn zwischen einer „Aufnahmegesellschaft“ und einer ethnischen Minderheit interdependente Wechselbeziehungen sowie auf „Ungleichheiten“ und „Asymmetrie“ ausgerichtete Machtverhältnisse konstruiert werden (Römhild 2007: 164f.).

408 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nomische Macht einfordern (Hage 2009: 87). Kurz formuliert: Als ethnische Minderheit wollen sie am australischen Way of Life gleichberechtigt partizipieren. Nochmals zurück zur Ausgangsthese. Die Kulturanthropologinnen Joana Breidenbach und Ina Zukrigl, die in ihrem Buch Tanz der Kulturen aus ethnologischer Perspektive eine differenzierte Betrachtung von Kultur als symbolische Praxis innerhalb des Globalisierungsprozesses verfolgen, gehen davon aus, dass Kultur selbst über eine distinkte Gestaltungsmöglichkeit und Formgestaltung verfügt, die „auf gelungene Aneignung kultureigener und fremder Phänomene“ beruht (Breidenbach/Zukrigl 1998: 38ff.). Wie bereits im Titel ihrer Arbeit expressis verbis vergegenwärtigt, distanzieren sich die Autorinnen von der Position Huntingtons, die kulturelle Differenzen verabsolutiert und die Hypothese eines dynamischen und offenen Kulturkonzepts unprätentiös in Abrede stellt. Mit seiner Perspektive als Migrant kreierte in diesem Sinne auch der in Jamaika geborene Stuart Hall bei seinen Betrachtungen sowie Analysen von kulturellen Abläufen völlig neue Formen von Wissensinventaren und leitete die Cultural Studies in Großbritannien auf diese Weise in ein neues Zeitalter. Hall operiert fernab einer fugenlosen Durchdringung von ethnischen Identitätskonzepten, wie sie am Beispiel von Cronulla offen zu Tage traten, und stellt mit den nachstehenden Auffassungen synchron eine Replik auf den politischen Alarmismus eines Rechtskonservatismus dar: „Everywhere, cultural identities are emerging which are not fixed, but poised, in transition, between different positions; which draw on different cultural traditions at the same time; and which are the product of those complicated crossovers and cultural mixes which are increasingly common in a globalized world“ (Hall 1992: 310).

5.

Kulturen in Transition: hybride Kulturformen im Zeitalter der globalisierten grenzüberschreitenden Migration Meine Arbeit trägt den Titel Wanderer zwischen den Kulturen. Fühlen sie sich deutsch oder eher australisch? [Frage d. Interviewers] „Also wenn ich reise, dann sage ich immer, ich bin deutsch und lebe in Australien. Also ich fühle mich nicht wirklich direkt zu einem Land dazugehörig. Ich habe meinen deutschen Pass aufgeben, ich habe einen australischen Pass. Und insofern ist es einfacher für mich, wenn ich das so sage und so fühle ich mich auch, ja, in-between.“1 „Ich würde sagen dazwischen, halbe-halbe.“2 „Ich glaube, ich bin da irgendwie zwischendrin, ich fühle mich nicht richtig australisch, ich bin da so in der Mitte. Ein bisschen von beidem.“3

Migrationsbewegungen und das hiermit einhergehende „Leben im Transit“ (Löfgren 1995), dies meint das Eingebundensein in multilokale Referenzsysteme bzw. in die „Polyzentrik des gelebten Raumes, in dem sich verschiedene ,Hiers‘ überlagern“ (Rolshoven 2009: 303), befördern den Menschen in die Zwischenzonen seines kulturellen Erbes, in denen die Frage nach dem (subnationalen) Zugehörig-

1

Zitat aus dem Interview mit Traudl Tropscheidt, datiert auf den 17.06.2008.

2

Zitat aus dem Interview mit Dr. Bettina Rößler, datiert auf den 08.08.2008.

3

Zitat aus dem Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008.

410 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

keitsgefühl mit der ambivalenten Verortung im kulturellen Dazwischen beantwortet wird. Die deutschen Grenzgänger zwischen den Kulturen bzw. die von der Kulturanthropologin Caroline Schmidt-Hornstein umschriebenen halfies, hybrids und diasporics (Schmidt-Hornstein 2003: 34ff., 226ff. u. 264ff.) als aktiv Partizipierende an Formen der hier in Rede stehenden transitorischen Migration sind unmittelbar mit dem liminalen Überschreiten von räumlichen, biografischen, individuell lebensgeschichtlichen, psychologischen und emotionalen Barrieren, Übergängen, Passagen, Schwellen, Grenzen und Wendepunkten konfrontiert, die in verschiedenen Zeitenphasen und in divergierenden Raumbezügen mit unterschiedlicher Intensität auf den bewegten Lebensvollzug einwirken. Das körperliche, kognitive, seelische und kulturelle Diffundieren des Wanderers von einer Welt in die andere folgt einer Art sektoriellen Chronologie von Anfangs-, Zwischen- und vorläufigen Schlusspunkten. Zu diesen zählen die (je nach Epoche mehr oder minder aus freien Stücken getätigte) Entschlussfassung Deutschland zu verlassen, der letzte, von Nostalgiesehnsüchten wie Verlusterkenntnis infiltrierte Blick auf heimatliches Küstenterrain, das Ausstellen der Einwanderungsgenehmigung in Freemantle durch die Immigrationsbehörde, die Schiffseinfahrt in den größten Naturhafen der Welt, das Ankommen am Terminal des Kingsford Smith International Airport, das initiierende Erleben des ersten Kulturschocks sowie die zeremonielle Entgegennahme der australischen Staatsangehörigkeit. Diese Aufzählung von Umbruchereignissen mit liminalem Charakter ließe sich beinahe endlos fortführen. Bei der immigrationsbedingten Transition der Untersuchten von einem Ausgangspunkt (Bundesrepublik Deutschland) zu einem Endziel (Sydney) muss zunächst aufgrund der Primärerfahrung dieses Übergangs (Köhle-Hezinger 1996: 6), der mit dem Ankommen in Australien nicht automatisch endet, sondern die zeitlich unbestimmbare Phase der Prozesscharakter besitzenden Integration in die unbekannten bzw. fremden Lebensverhältnisse der neuen Wahlheimat mit einschließt, von einer nachhaltigen Veränderung des Subjekts ausgegangen werden. Diese zunächst pathogene Konturen evozierende Problemsituation, dem individuellen Leben fernab der eigenen Gesellschaft eine Wendung zum Positiven zu geben und infolgedessen in Australien anfänglich in der Kategorie des kulturell, sozial und politisch Nichtdazugehörigen typisiert zu werden, bedarf aus berechtigtem Grunde Strategien des Differenz- und Identitätsmanagements zwecks der Bewältigung des Anforderungsprofils des alltäglichen Lebens: Aus den nach einer Schiffs- oder Flugzeugpassage sich rapide wandelnden Lebensverhältnissen, der bisher nicht zum eigenen kulturellen Repertoire gehörenden Polykontextualität und den zahlreichen Fällen des Nicht- bzw. Missverstehens kultureller Auslegungen resultiert ein identitärer Schwebezustand von Desorientierung, Heimatlosigkeit, Entwurzelung, Entfremdung, Entortung und Inkohärenz, der den auf Taxierung, Kategorisierung und Kartografierung getakteten subjektiven Blick der Deutschen zur sinnimmanenten Konstruktion der Umgebung empfindlich stört. Nicht ganz ohne Berechtigung verkündet ein Sprichwort: „Fort-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 411

gehen ist ein bisschen sterben“ (zitiert nach Grinberg/Grinberg 1990: 75). Die an die Auswanderer gebundenen Exil- bzw. Diaspora-Identitäten verlieren auf bzw. während der Beschreitung von Routen der Transition, die durch den Austausch von kulturellen Zeichen, der de-territorialen Zirkulation von Imaginationen und Semiotiken, dem Oszillieren von Signifikanten und dem intertextuellen Transfer von Bedeutungen treffend charakterisiert sind, zur identitären Sicherheit und sozialen Inklusion beitragende Bezugsrahmungen des historischen und kulturellen Wissens, so dass diese in Frage stehen, einer Revision, Neukonzeptionierung und Transformation unterzogen werden müssen. Eingegliedert in Metaphorisierung und figurativen Sprachgebrauch entwickelte sich in den auf Narrativität hin ausgerichteten Gesprächen ein Reden über die lebensweltliche Erfahrung der Transition. Die Mitglieder der Untersuchungsgruppe befinden sich auch schon vor dem Betreten australischen Bodens, aber besonders während ihrer Akklimatisierung in einem kulturellen Korridor der Transition oder, wie es Walter Benjamin zum Ausdruck brachte, in „Kontinua der Verwandlung“ (Benjamin 1977: 151). Die Zerklüftung kultureller Temporalitäten und Ungleichzeitigkeiten führt zum Aufbrechen eines homogenen Kontinuums an vergüteten Alltagslogiken, die Welt verliert bis zur Konsolidierung eines neuen, hybriden und ethnisch codierten Sinnorientierungssystems oder auch Kulturprogramms ihre Chronologie und Stabilität. Das Leben des bewegten Menschen in diesem Zustand der Passage, der begleitet wird von Fixierungs- und Distanzierungsprozessen, ist eingewoben in kulturelle Signaturen und Texturen von Endlichkeit und Neubeginn, so dass die transkontinentale Wanderungsbewegung sowohl als Metamorphose als auch Neuinskription bzw. Neuschöpfung der kulturellen Identität betrachtet werden muss. In dieser fluidalen Bewegung wird im Dazwischen, zwischen den kulturellen Grammatiken von Neuem und Altem, Vergangenheit und Gegenwart, Authentizität und Artifizialität, Homogenität und Heterotopie sowie Differenzen und Similaritäten mit der Implementierung von rituellenzeremoniellen, d. h., kulturell dimensionierten wie normierten Übergängen ein Heil und Rückhalt versprechender Anker geworfen, mit dem Ziel, ein transitorisches, zwischen Heimat und Fremde lokalisierbares Identitäts- und Selbstwertgefühl zu entwickeln bzw. zu kanalisieren, eine Stimme zu finden sowie einen politischen wie kulturellen Ort für sich zu beanspruchen. Das für einen Großteil der „modernen Nomaden“ allzu oft zutreffende und vielerorts reklamierte Übergangsstadium, auf das die integrationspolitische Formel „Abschied auf Raten und Ankunft ohne Ende“ meines Erachtens sehr gut zutrifft, entspricht einem prozessualen Zustand, der zwischen der gänzlichen Beharrung auf aus Deutschland mitgebrachten Traditionen und dem völligen assimilatorischen Aufgehen in der australischen Dominanzgesellschaft anzusiedeln ist. Im Augenblick der kulturellen Leerstellen kreiert das Kulturwesen Mensch in einem performativen Akt der sozialen Bedürfnisbefriedigung eine neue Figurierung wie Resignifikation traditioneller Überlieferungsordnungen und realisiert eine

412 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

transkulturelle Inkorporation australischer Konfigurationen zum Zwecke der identitätsstiftenden Produktion kollektiver Wissensordnungen, die integrationsverbürgende Grundannahme zur sinnkonformen Aneignung der neuen Umwelt sein kann. „Woanders“ zu leben bzw. kontinuierlich oder temporal beheimatet zu sein bedeutet, ständig in einen Dialog verwickelt zu sein, in dem unterschiedliche Identitäten erkannt, ausgetauscht und vermischt werden, aber nie verschwinden. Die Wurzellosigkeit und die sich daraus ergebenden Auflösungsmechanismen der durch die kulturelle Linse der emotionalen Sicherheit betrachteten Grammatik wie Authentizität, Historizität und Faktizität ziehen die unweigerliche Notwendigkeit nach sich, neue Signaturen kulturellen Eingebundenseins und personeller wie kollektiver Integrität hervorzubringen. Die migrantische Lebenswelt, so lautet ein allgemein formuliertes Ergebnis der empirischen Feldforschung, wird rituell gestaltet bzw. mit der Ritualisierung geht der Versuch einher, dieser anhand renommierter Versatzstücke sowohl aus der Minderheitenkultur als auch bisher unbekannter Muster aus der australischen Mehrheitsgesellschaft eine kulturelle Silhouette zu verleihen. Rituelle Handlungen konstituieren ethnische Identität und umgekehrt wird diese in dem regelgeleiteten Verhalten durch die Mitglieder des Kollektivs repräsentiert und zum Ausdruck gebracht. Vermittels der ingeniösen Invention einer durch lebensgeschichtliche wie jahreszeitspezifische Fixpunkte markierten Ritualkultur gelingt die symbolische wie performative Konstruktion ethnischer Identität. Ich untersuche in der folgenden ethnografischen Analyse der Ritualkultur deutscher Migranten in Sydney somit kulturellen Mechanismen unterliegende Performanzakte des „Beheimatens“ (Binder 2008: 12) bzw. einer Domestizierung der soziokulturell bewohnten fremden Lokalitäten. Die beiden folgenden Kapitel sollen Aufschluss über den theoretischen Rahmen geben, vor dessen Hintergrund die nachstehenden ethnografischen Darlegungen der empirischen Ergebnisse aus der methodologischen Kombination der Teilnehmenden Beobachtung sowie der Expertengespräche argumentieren. Aus der Betrachtungsperspektive der „dichten Beschreibung“ entfalten die darauffolgenden mikroskopischen Fallanalysen eine sinnstiftende (emische) Deutung und Interpretation sozialen Handelns, das in den über-individuellen kulturellen Sinnzusammenhang einzuordnen ist.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 413

5.1 C ULTURES IN - BETWEEN : VOM POSTKOLONIALEN D ISKURS ZUR ALLTAGSKULTURELLEN P RAXIS „The term [monocultural, Anm. d. A.] is meaningless, because there never has been such a society. All cultures are the results of a mishmash, borrowings, mixtures that have occurred, though in different rates, ever since the beginning of time. Because of the way it is formed, each society is multicultural and over the centuries has arrived at its own original synthesis. Each will hold more or less rigidly to this mixture that forms its culture at a given moment“ (Lévi-Strauss 1994: 424).

Das Leben der Menschen im Allgemeinen und das der Migranten im Speziellen in einem postmodernistischen Zeitalter der Ungewissheiten, mit erhöhter subjektiver Selbstreflexivität, der solidaritätsbekundenden Einbindung in multiple wie transnationale Netzwerke der Zugehörigkeit zu einer proliferierten Anzahl an ambivalenten symbolischen Welten, brachte nicht nur die Herausbildung von Kultur- und Ethnizitätsgrenzen transzendierenden Lebensformen und Sozialpraktiken zum Vorschein, sondern führte auch in den akademischen Disziplinen vom Menschen zu einer kritisch-selbstreflexiven Betrachtungsweise dieser hybrid-fraktionierten Phänomene und Allianzen, was unweigerlich die bisher durch das ideologische Linse des Primordialismus, Essenzialismus, Ethnozentrismus und Naturalismus ins Bild gerückten Selbstverständlichkeiten und universalistischen Dispositionen hinterfragte. Einer auf uniformierendem Traditionalismus wie unikaler Authentizität abzielenden monolithischen Purifikation von Kulturen wird die zentrifugale, zentripetale wie sedimentierende Kraft der Hybridisierung als einer Form der vermischenden Neuinskription von Traditionen entgegengestellt. In den letzten Jahren hat es unterschiedliche Anstrengungen gegeben, die nicht nur bei Ortswechslern zu beobachtende „Vermischung“ von Praktiken bzw. die Transcodierung4 in Theorie und Empirie fassbar zu machen (Wimmer 2002: 78; Berking 2006: 9ff.). Im akademischen Fachdiskurs um Konzepte der Differenz, den

4

Burkhart Lauterbach versteht unter Kulturaustausch in Anlehnung an Günter Wiegelmann „eine komplexe Tätigkeit, bei der jemand unter neuen funktionalen, alltagskulturellen und sprachlichen Bedingungen in einer neuen Situation bestimmte ,Kulturgüter‘ verwendet oder bestimmte ,Handlungen‘ ausführt, indem er sie auch formal möglichst nachahmt, was insgesamt dazu führt, daß er sich auf dem Weg befindet, eine neue kulturelle Ordnung mitzukonstituieren“ (Lauterbach 2004: 320).

414 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

die Protagonisten der Postcolonial Studies Hall, Bhabha, Gilroy und Spivak anführen, war die Rede von „Hybridität“ (Tschernokoshewa 2005: 16ff.), „Melange“ (Köstlin 2000; Nederveen Pieterse 1998: 103), „Métisage“, „Kreolisierung“ (Hannerz 1999: 65ff.), „kulturellem Synkretismus“, „globaler Crossover-Kultur“, „Bricollage“ oder „Mischmasch“. In dieser doradoartigen Gemengelage von Überkreuzungen und Kontradiktionen avanciert insbesondere die migrantische Lebensweise zum Modell des neuen Kulturtypus der globalisierten Postmoderne (Harmsen 1999: 28ff). Aus dem historischen Umfeld der hegemonialen Konstellationen von Postkolonialismus und um Aspekte der ethnischen wie nationalen Identitätsgenerierung bemüht, akzentuiert Homi K. Bhabha, ein indisch-angloamerikanischer Literaturwissenschaftler, Hauptvertreter der Postcolonial Studies und Verfasser des viel diskutierten Buchs The Location of Culture, sein Konzept der Differenz. Mit dieser Kategorie wird das traditionelle Kulturkonzept aufgesprengt, davon ausgehend, „daß das Problem der kulturellen Interaktion nur an den signifikatorischen Grenzen von Kulturen auftaucht, an denen Bedeutungen und Werte (miß)verstanden oder Zeichen aus ihrem Kontext gerissen werden“ (Bhabha 2000: 52). Zum Hauptkritikpunkt des Kulturtheoretikers avanciert der dem Begriff „Nation“ innewohnende Wesenszug der Homogenität, dem Bhabha die signifikante Position des Migranten entgegenstellt, der – wie der in Indien geborene Professor für US-amerikanische Literatur selbst – stets aus mehreren kulturellen Perspektiven Realität wahrnimmt, an mehreren Lokalitäten Wissen akkumuliert hat und seiner Stimme in unterschiedlichen Sprachen Gehör verschafft. Mit der hermeneutischen Analyse von literarisch-fiktionalen wie filmischen Quellenmaterialien entwickelt Bhabha eine konzeptionalistische Darstellung von sozialer Realität, die in ihren theoretisierenden Überlegungen als ein Antagonismus zum Essenzialismus ausgelegt werden muss und eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Prozess der kulturellen Hybridisierung5 fordert, der insbesondere für die mit dem Adjektiv „unhomely“ (Friedmann 1997: 78) charakterisierten Auswanderer gängige Praxis sei. Sowohl die von den Migranten aus Deutschland transportierten Überlieferungsrelikte als auch das anhand kultureller Inkorporierung und Neuschöpfung konstruierte Kulturprogramm an rituellen Begehungen und Zeremonien in der Wahlheimat Sydney, so meine Hypothese, sind ein Resultat von Überlagerungen und Transformationen, die im Sinne von Bhabha im Dazwischen (in-betweenness), den kulturellen Zwischenwelten (third space) (Bendix 2003: 22) angesichts strukturverändernder Oszillations-, Vermittlungs- und Wandlungsprozesse neu konzeptioniert und

5

Zu einer historischen Begriffgeschichte und einer Untersuchung von Hybriditätskonzepten wie postmodernistischen Kulturvermischungsmodellen empfiehlt sich die Lektüre von Kien Nghi Ha (Ha 2005: 85ff.; Ders. 2010).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 415

konstruiert werden6, so dass die im Folgenden präsentierten „Rituale der Bricollage“ im Hinblick auf Kulturaustausch sowie Genese als hybrid-synkretistische Mischformen aufschlussreiche Einsichten offenbaren. Allem Vernehmen nach ist hierbei ein Prozess der kulturellen Hybridisierung im Gange, der es zunehmend unmöglich macht, von vorgeblich „unverfälschten“ und „authentischen“ Kulturphänomenen auszugehen (Bendix 1997).7 Mit der Registrierung der Ambivalenz kultureller Praxisforen inmitten der determinierenden wie Dominanz ausübenden Pole von deutscher Entsende- wie australischer Aufnahmegesellschaft muss unweigerlich ein Überleiten der Denkstrukturen von dem Modell des „Entweder-oder“ hin zu einem „Sowohl-als-auch“ in Angriff genommen werden. Solche Übersetzungen, Überlagerungen und Vermischungen kultureller Zeichen sind für Bhabha Artikulationen von Re-Inskriptionsvorgängen mit neuen Bedeutungsinhalten. „The process of reinscription and negotiation – the insertion or intervention of something that takes a new meaning – happens in the temporal break in-between the sign, deprived of subjectivity, in the realm of the intersubjectivity. Though this time-lag – the temporal break in representation – emerges the process of agency both as a historical development and as the

6

Bhabhas Rede von der aus einer interkulturell-grenzüberschreitenden Situation des „displacement“ im „Dritten Raum“ entstehenden „Newness“ bildet sich keineswegs aus einer Konstellation des kulturellen Vakuums heraus, bei der grenzenlos verfügbare Handlungshorizonte gegeben sind und die historische Grundcodierung ohne Gewicht ist. „The borderline work of culture demands an encounter with ,newness‘ that is not part of the continuum of past and present. It creates a sense of a new as an insurgent act of cultural translation. Such art does not merely recall the past as social cause or aesthetic precedent; it renews the past, refiguring it as a contingent ,in-between‘ space, that innovates and interrupts the performance of the presence. The ,past-present‘ becomes part of the necessity, not the nostalgia, of living“ (Bhabha 1994: 10). Zur Territorialität von Kultur in einem globalisierten Zeitalter, in dem durch Mobilität, Kulturaustausch und transnationale Migrationsnetzwerke die traditionalen Horizonte aufgesprengt werden, Kultur somit seine Gebundenheit an ein bestimmtes Raumgefüge verliert und seine Diffusion wie Zirkulation auf ein globales Spektrum ausdehnt, ergaben in der Kulturanthropologie die Diskussionen zwischen den Fachvertretern Welz auf der einen Seite und Wiegelmann und Simon auf der anderen Seite wegweisende Erkenntnisse im Hinblick auf neue Forschungsansätze (Wiegelmann/Simon 2007: 117ff; Welz 1998: 180).

7

Bendix verdeutlicht, dass in einer immer dominanteren transkulturellen Welt, in der indigene big men ihre traditionellen Vorstellungen und Wissenspraktiken mit einem Copyright belegen müssen, die Superiorität der Marktwirtschaft auch bei kulturellen Artefakten eine wesentliche Rolle einnimmt. Sie unterscheidet hier zwischen „Folklore“ und „Fakelore“ (Bendix 1997).

416 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

narrative agency of historical discourse […] It is in the contingent tension that results, that sign and symbol overlap and are indeterminately articulated through the ,temporal break‘. Where the sign deprived of the subject – intersubjectivity – returns as subjectivity towards the rediscovery of truth, then a (re)ordering of symbols becomes possible in the sphere of the social. When the sign ceases the synchronous flow of the symbol, it also seizes the power to elaborate – through the time-lag – new and hybrid agencies and articulations“ (Bhabha 1994: 275).

Das aus dieser theoretischen Diskussion um die Konstruktion ethnischer Identität hervorgehende allgemeine Argument besagt, dass die Identifikationspraxis stets in einem spezifischen soziokulturellen Kontext eingebettet ist, sprich einem kulturellen Set an konditionierenden Normen und Bewertungsmustern, und dass die Orientierung des Subjekts in Relation zu dieser übergeordneten Realität und innerhalb dieser sich sinngenerierend selbst definiert. Aus der Partikularität der migrantischen Lebenswirklichkeit, einer De-Territorialisierung wie Rekontextualisierung und Resignifikation kultureller Phänomene, so wird in den nachfolgenden Kapiteln veranschaulicht, wird Ethnizität anhand ritueller Strukturen entwickelt. Versinnbildlichen lässt sich dieser Vorgang des ethnisch-rituellen Identitätsmanagements zunächst mit der mobilitätsbedingten Durcheinanderbringung einer bereits fertigen Collage, deren einzelne Komponenten während der Integrationsdauer der Einwanderer, wenngleich unter neuen soziokulturellen Vorzeichen, mittels innovativer als auch althergebrachter Bausteine in Sydney zu einem neuen Gesamtkonstrukt zusammengefügt werden. Der Fluidität, Hybridität und Diasporisierung der bewegten Lebensform der Immigranten ist es geschuldet, dass jene (un)fertige Bildkomposition nie das Charakteristikum der Endlichkeit wie Homogenität besitzt, sondern stets einer transformativen Eigendynamik unterliegt.

5.2 I NVENTION OF RITUALS : R ITUALE T RADITION UND M ODERNE

ZWISCHEN

Im Kontext der Ritualforschung geraten immer stärker Übergänge in den Fokus kulturanthropologischer Argumentationen. Ein solches Feld, auf das im Zusammenhang ethnologischer Symbol- und Ritualforschung näher eingegangen wird, ist mit der Überschrift „Ritual des Übergangs“, Rites de passages, versehen. Dieser Begriff ist wesentlich geprägt von dem französischen Ethnologen Arnold van Gennep, der sich bei seinen weltumspannend angelegten Forschungstätigkeiten insbesondere mit Grenzsituationen, Übergängen bzw. mit ihrer entsprechenden Markierung in Form von Symbolen und Ritualen sowie ihrer soziokulturellen Bedeutung beschäftigte.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 417

„Das Leben eines Menschen besteht somit in einer Folge von Etappen, deren End- und Anfangsphasen einander ähnlich sind: Geburt, soziale Pubertät, Elternschaft, Aufstieg in eine höhere Klasse, Tätigkeitsspezialisierung. Zu jedem dieser Ereignisse gehören Zeremonien, deren Ziel identisch ist: Das Individuum aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte hinüberzuführen“ (van Gennep 1999: 15).

Nach van Gennep versuchen alle Gesellschaften diese Grenzüberschreitungen, Übergänge und Statuswechsel zwecks der Konsolidierung der Sozialordnung zu kontrollieren, indem sie rituelle und symbolische Festlegungen treffen, wie das Verlassen der alten und das Erreichen der neuen Position zu bewerkstelligen ist. So vermutet der französische Ethnograf in diesen rituellen Handlungen auch eine zyklische und regenerierende Errungenschaft aller Kulturen (Bimmer 2000: 29). Er schlägt daher vor, die den Übergangsriten immanente innere Logik, die er in Analogie zu räumlichen Übergängen bzw. Überschreitungen einer Grenze auffasst, zu systematisieren in ablösende Trennungsphase, eine zwischenweltlich-liminale Umwandlungsphase sowie eine integrative Angliederungsphase. Mit diesem Model wird verdeutlicht, wie sehr diese Rituale Scharniere der kulturellen Funktionssysteme jeder Gesellschaft sind, da „sie das Individuum in eine soziale Bezugsgruppe integrieren, den Umgang mit Gefühlen und Beziehungen regeln und dadurch letztendlich Identität sichern“ (Kaschuba 2003: 189). Besonders den von van Gennep operationalisierten Schwellenphasen, in denen das Individuum bzw. die Gruppe der Initianden liminalen Prozessen ausgesetzt sind, dialektisch zwischen der alten und der neuen Welt mäandrieren, sich zwischen Aufbruch und Ankommen in einer Art Schwebezustand befinden, eben im so genannten Stadium des betwixt and between8 stehen, schenkte der schottische Ethnologe Victor Witten Turner (Bräunlein 1997) in seiner Publikation Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur (Turner 2005) gesondertes Interesse. Als „Communitas“ bezeichnet er in seinem Ritualverständnis in Abgrenzung zur bestehenden Gesellschaftsstruktur „Societas“ ein Kollektiv von Menschen mit gleicher Statuskonstellation, die angesichts der rituellen Transition bzw. Transzendenz zwischen Ausgangs- und Endpunkt in ein Stadium von Ambivalenz, Mehrdeutigkeit, paradoxalen Diskontinuitäten, Inversion, Reflexivität und Kreativität integriert sind. Bestrebungen zur Rückführung aus dieser

8

Wie bereits in den Eingangsworten für die Situation der Migranten Ausführung fand, geht auch Turner bei seiner Rituallehre von einer liminalen Transition des Menschen aus: „One may, I suppose, also talk about ,a state of transition,‘ since J. S. Mill has, after all, written of a ,a state of progressive movement,‘ but I prefer to regard transition as a process, a becoming, and in the case of rites de passage even a transformation – here an apt analogy would be water in process of being heated to boiling point, or a pupa changing from grub to moth. In any case, a transition has different cultural properties from those of the state“ (Turner 1967: 94 [Herv. i. O.]).

418 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Antistruktur in das hierarchisierte soziale Gesamtgefüge spiegeln laut Turner die Tendenz zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung wider. Meines Erachtens findet sich in dieser der symbolischen Sedimentierung wie Aufladung verpflichteten sowie der performativ-kreativ-prozessualen Potenzialität der Neuschöpfung akzentuierenden Grundkonzeption von Ritualen ein durchaus nützliches heuristisches Instrument zur ethnografischen Dokumentation, Kategorisierung sowie Auslegung der polymorphen wie multifunktionalen migrantischen Passagen. Denn erst mit der Performanz dieser rituellen Gebärden, Handlungen und kulturellen Interaktionen gelingt die sinnvolle Gestaltung der ethnischen Identität deutscher Auswanderer. Paul Hugger knüpfte 1992 an die Argumentationsstränge der beiden Protagonisten in der Ritualforschung an und führt diese weiter zur gegenwärtigen Situation des Menschen aus: „Genau wie einst brauchen die Menschen heute die Riten als existentielle Lebenshilfen, als Orientierungszeichen räumlicher, zeitlicher und gesellschaftlicher Art. Mehr noch, es scheint, dass die moderne Gesellschaft durch gruppenspezifische Rituale der Anonymität, der Vermassung entgegenzuwirken sucht. Rituale grenzen auch aus, verleihen dem Individuum den Status des Besonderen, des Einmalig-Unverwechselbaren. Der Mensch unserer Tage scheint ein besonderes Bedürfnis danach zu haben“ (Hugger 1992: 1440f.; siehe dazu auch Caduff/ Pfaff-Czanecka 2001; Herlyn 2002).

Die Ethnizität der Gemeinschaft wird in einem Ritualkomplex bzw. in einem der Ritualisierung unterliegenden Kulturprogramm durch die bloße Tatsache, dass ihre Mitglieder daran partizipieren, abgebildet. Somit konstituieren Rituale die ethnische Identität (Platvoet 2006: 181). Ersichtlich scheint auf den ersten Blick, dass die im Folgenden untersuchte kollektive Repräsentation der Migrantengruppe in Sydney eingebettet ist in eine ambivalente Wechselbeziehung der Adaption spezifischer Elemente aus der australischen Dominanzkultur, der Traditionalisierung überlieferter Ordnungen aus dem „cultural baggage“ (Vertovec 1999: 67), der retrospektiven ReEthnisierung liebgewonnener wie althergebrachter kultureller Kontinuitäten wie Reminiszenzen aus der Alten Welt sowie einer kreativen Neubesetzung vorgeblich traditioneller ritueller Praktiken (Lauterbach 2005: 42f.). Die konkretisierenden Reflexionen von Eric J. Hobsbawm über die invention of tradition, sprich eine funktionale sowie manipulative Elitisierung, Formalisierung, Popularisierung, Institutionalisierung, Puritanisierung, Dogmatisierung wie Ritualisierung bestimmter Traditionsgüter aus einer „ancient past beyond effective historical continuity“ (Hobsbawm 1983: 7) anhand der Hypostasierung kultureller Codizes, Verhaltensweisen und Bewertungsmuster zur Konstruktion einer imaginierten bzw. gedachten kulturellen wie politischen (Abstammungs-)Gemeinschaft (Anderson 1997: 9ff.), fungiert hier als theoretisches Grundgerüst, vor dessen konstruktivistischem Argumentationshintergrund die in den folgenden Kapiteln prononcierten Betrachtungen zu lesen sind.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 419

5.2.1 Weihnachten im Sommer: kulturell internalisierte Festkultur zwischen gottesfürchtiger Besinnlichkeit und karnevalesker Eventisierung „Da muss ich mal erzählen, wie wir das erste Jahr [in Australien, Anm. d. A.] Weihnachten feierten. Da haben wir dann alle Briefe aufgesammelt und auch Päckchen, die wir bekamen, alle zum Heiligen Abend dann aufbewahrt. Und nun hatten wir in Lugarno unser Häuschen und dann hatte ich den Weihnachtsbaum angesteckt, so die Lichter und es war so eine kleine Untermalung mit einem Weihnachtskonzert und plötzlich schneite der Nachbar da rein und sagte: ,Oh, wir wollten euch gerade einladen für heute Abend zum BBQ.‘ Er wollte es gerade sagen, aber da verstummte er. Weißt du, das war ihm doch ganz unheimlich in so eine Stille reinzukommen und in so eine Feier. Da waren nur Dieter und ich, aber wir haben eine Feier gehabt. Und er sagt heute noch: ,Weißt du, ich kriegte da richtig Gänsehaut, als ich bei euch reinkam.‘ Das war ihm so ganz komisch und das hat er dann auch allen erzählt. Also, das war ganz, ganz anders. Ja, das waren eben unsere Weihnachten und die feiern wir im Stillen auch heute noch.“9

Erwähnt man als Abgesandter der europäischen Wissenschaftskultur in Unterhaltungen mit deutschen Auswanderer in Sydney nur unterschwellig das Stichwort Weihnachten, praktizierter Kristallisationspunkt zur Vergewisserung der ethnischen Zugehörigkeit, kann man sich der hochemotionalisierten wie von kulturellen Fremdwahrnehmungen gesättigten panoramaähnlichen Entfaltung einer interkulturellen Gegenrede gewiss sein. Nostalgie, Verlusterkenntnis, kulturelle Differenzerfahrung, Beharrung auf ethnischen Wesensmerkmalen und synkretistisch-kreative Inventionen sind dabei Hauptcharakteristika. Dies aus dem einzigen Grund, weil das Konglomerat an zeremoniell-festlichen Texturen im Monat Dezember in der Antipode der südlichen Hemisphäre so „ganz, ganz anders“ ist, mit der Vielzahl an kulturell normierten Sinnesorganen anders erlebt wird, die interne Wirkung beeinflussenden externen Faktoren anders miteinander verwoben sind und die kulturelle

9

Zitat aus dem Interview mit Ursula Fornett, datiert auf den 16.10.2007.

420 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Praxis dieses Zeremoniell grundverschieden zu den eigenen Konventionen der Untersuchten konzeptionalisiert wird. Das den Gesamtkomplex Christmas in Australia sowohl in die Opposition als auch in die kulturelle Fernwelt abseits des Eigenen rückende Adjektiv „anders“, das die Anderen sowie das Eigene nach den Prinzipien der bedeutungsunterscheidenden Signifikation bestimmter Elemente ethnisiert, wird bei den narrativen Ausführungen der Immigranten als allgegenwärtiges sprachlichargumentatives Utensil nicht nur zur Bekräftigung, sondern auch zur Heritagisierung des eigenen mitgebrachten kulturellen Repertoires herangezogen. Aus der ethnischen Vergangenheit lassen sich Sinn- und Bedeutungsinhalte ableiten, die in der hybriden Kulturlandschaft der australischen Gegenwart aufgrund einer ambivalenten wie parallelen Gleichzeitigkeit disjunktiver Symbolsysteme, Codes, Lebensführungen und Werteregimes eine neue Figuration durchlaufen. Um die atmosphärische Stimmung der kulturellen Hybris Weihnachten zwischen deutscher Traditionskonservierung und australischer Lebenswirklichkeit initial einzufangen, wenden wir uns zunächst der metaphorischen wie semiotischen Ikonografie des Titelblattes der Dezemberausgabe der Kirchlichen Nachrichten der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche Sydney (Kirchliche Nachrichten 2008: 1) aus dem Jahre 2008 zu. Diese von einem Teil der Migrantengemeinschaft rezipierte und meinungs(ab)bildende Selbstpublikation der kirchlichen Institution präsentiert ein Foto, dessen von Menschenhand in Szene gesetztes Arrangement einen Strandabschnitt in Sydney visualisiert. Zugleich wird dem Betrachter ein aus der australischen Historie erwachsenes kulturelles Kapital – verbunden mit sommerlichen Freizeit- und Erholungsassoziationen wie Sonnenbaden, Wellenreiten, Joggen, Schwimmen, Fußballspielen, Spaziergängen und exhibitionistische Körperkultur – vor Augen geführt. Nicht zu Unrecht begreift Anja Schwarz den Strand als einen mit Images, Bedeutungen, Erinnerungen und kulturellen Repräsentationen angereicherten spatial icon, der eng verknüpft ist mit der Genese einer postkolonialen australischen Nationalidentität (Schwarz 2007: 129f.). Unter wolkenlosem Himmel türmen sich im Hintergrund türkisfarbene Wellenkämme zu imposanter Größe auf, bis sie als weiße Schaumwalzen an das Ufer gespült werden. Die Inszenierung wird jedoch von einem in den feinkörnigen weißen Sandstrand eingearbeiteten Ensemble mit weihnachtlicher Symbolik prädominiert, das für die ausschließlich deutsche Klientel das gesamte Spektrum der Ambivalenz von Weihnachten in Australien ausmacht. Links im Bild steht ein grüner Plastikweihnachtsbaum, der an seinen nach unten hängenden Ästen rote Christbaumkugeln, batteriebetriebene Kerzen sowie eine goldfarbene Girlande aus Sternen trägt; der augenscheinliche Profanierungs- und Kommerzialisierungsgrad lässt nur noch sehr eingeschränkt seine ehemalige Einbindung in den liturgischen Kontext erkennen. Daneben ist in das subtropische Ambiente ein den kontinentaleuropäischen Klimaverhältnissen dieses Jahresfestes angepasster, entsakralisierter Weihnachtsmann mit gattungstypischem rotem Mantel, weißem Pelzsaum, Wollmütze, Rauschebart und geschultertem Ga-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 421

bensack platziert. Was lässt sich also anfänglich und zunächst ohne eingehenden Blick auf die Fülle des ethnografischen Datenmaterials zu dieser mit mehreren Bedeutungen belegten wie graduell kontradiktorischen Konstellation herausfiltrieren? Diese kulturelle, symbolische wie emblematische Bricollage, ausgedeutet als ein singuläres Vehikel zur Erschließung gesellschaftlicher Verfasstheit im multiethnischen Setting von auseinanderdriftenden Interessenkonkordanzen, impliziert und offenbart zugleich mehrere Sichten auf die Welt und die soziale Realität. In der Sequenzierung des Naturensembles, bestehend aus Pazifischem Ozean und Gestade, lässt sich die übergeordnete, das Weihnachtsfest zahlreicher Küstenstadtbewohner bestimmende gesellschaftliche Instanz erkennen. Kaum in Zweifel zu ziehen ist der Sachverhalt, dass dieser von der Natur sowie Kultur aufgeladene öffentliche Schauplatz einen mit regelmäßiger Häufigkeit frequentierten Aktionsraum vieler Sydneysiders an den Feiertagen der Weihnachtszeit darstellt. Der surfende Santa Claus in Bermudashorts, den Dietz-Rüdiger Moser zuerst 1981 in den öffentlichen Medien erkannte, diesen als Verbindungsmedium zwischen den „Winterfreuden“ und den „Sommervergnügungen“ interpretierte und der seiner Meinung zufolge nur ein weiteres Glied in der „Kette der Nikolaus-Degeneration“ (Moser 1993: 60) darstellt, gehört alljährlich als institutionalisierter Topos zum festen Feierrepertoire an bekannten Stadtstränden wie Bondi oder Manly. Ausgehend von diesen Dominanz ausübenden wie konditionierend wirkenden Dispositionen (wie klimatischen, vegetativen als auch soziokulturellen Einflüssen) lassen sich anhand der Symbolträchtigkeit der Weihnachtsornamente die Bestrebungen der ethnischen Minorität deutscher Migranten erkennen, die ihren durch das „repetitive Moment“ (Hartmann 2007: 19) der Enkulturation und Sozialisation internalisierten Handlungslogiken in Bezug auf die kulturelle Gesamtkulisse der „stillen Zeit“ aus der Alten Welt einen gesellschaftlichen wie politischen Standpunkt verschaffen möchten. In diesem Akt der kulturellen Willensäußerung manifestiert sich der Wunsch deutscher Auswanderer ein bekanntes, sozial für praktikabel gehaltenes, historisch kondensiertes, emotional etabliertes, verlässliches und chronologisches Traditionsgerüst10 an ihrem jetzigen Lebensstandort zur Geltung zu bringen, das alle sinnlichen Wahrnehmungskanäle anspricht, zur Partizipation anregt sowie das anthropogene Verlangen der Migranten nach integrativer Ordnung der Fremde befriedigt.

10 Josef Dünniger hat die reziproken Wechselwirkungen zwischen „Tradition“ und „Geschichte“ vor Zeiten hinlänglich herausgearbeitet. Er sieht in diesen beiden Begriffen keine Gegensätze, vielmehr ist Tradition ein Element des Geschichtlichen, kann erst vom Geschichtlichen her völlig verstanden werden. Der Autor geht nicht von einer zeitlosen Tradition aus, sondern er gibt zu verstehen, dass alle traditionellen Wesensmerkmale in der Historie ihren Anfang und ihr Ende hätten (Dünninger 1969: 61).

422 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Jenseits historischer Differenzen und Universalien teilen alle Menschen einen tieferen Erfahrungsschatz über die Parzellierung von Zeit. Jahreszeiten als eine narrative Konstruktion von Temporalität unterliegen und begleiten im starken Maße den biografischen Werdegang jedes Einzelnen, in dem sie als quasi natürliche Regelsysteme bzw. Alltagskategorien einem Kollektiv Anleitungen darüber zu vermitteln im Stande sind, wann sich das Kulturwesen Mensch wie zu verhalten hat. Zudem ist es nahezu unmöglich, jahreszeitliche Regelmäßigkeiten und eine Rhythmisierung außerhalb konkreter geografischer, klimatischer, zeit- wie lebensgeschichtlicher Settings, Kontextualisierungen, Lebensroutinen als auch Geertz’scher Textlandschaften zu erleben. Der Mensch ist somit ein von den zyklisch wiederkehrenden Jahreszeiten abhängiges Wesen, weil diese die rhythmisierte Einbindung an bestimmten Lokalitäten gewährleisten, die Chronologie des zeitlich Wiederkehrenden vorgeben, diese in konkrete wie wiedererkennbare Bahnen lenken und damit dem bewohnten Habitat eine Struktur verleihen. Aus dem intervallähnlichen Kommen und Gehen von Erscheinungsformen wie Temperatur, Lichtintensität, Laubfall, Knospenblüte sowie von Menschenhand konstruierten traditionalen Formen wie rituellen Fixpunkten generiert die „kulturelle Setzung“ (Köck 2001: 92) der Jahreszeit ihre Wirkkraft und kann daher wohl als eine der signifikantesten Ordnungskategorien bezeichnet werden. Anders formuliert: Sie sind natürliche Kontrollinstanzen, von denen sich eine kulturelle Handlungssicherheit ableiten lässt. Oder wie es Köck auszudrücken weiß: „Das richtige Bild von den Jahreszeiten fixiert uns auf ganz bestimmte Umwelten, die gegeben sein müssen, wenn es gemäß der fixierten natürlichen Ordnungen zugehen soll“ (ebd.: 106). Die Migration via transkontinentaler Schiffs- oder Flugreise in die Südhalbkugel des Erdballes, in die oft genannte „verkehrte Welt“, bedingt eine 180-Grad-Umkehrung der bisher bekannten jahreszeitlichen Erfahrungshorizonte, für die vor der Wanderungsbewegung in Deutschland ein gesellschaftlich verbürgtes Reglement kultureller Konfigurationen und Praxisinstruktionen Gültigkeit beanspruchen konnte. Einer fragmentarischen Paralyse werden dabei die bis zu dieser lebensgeschichtlichen Zäsur kanalisierten Ordnungskomposita Zeit und Raum unterzogen; diese werden aufgesprengt und erhalten eine neue transformatorische Signatur, denn die soziokulturelle Gebundenheit der Auswanderer an die Stadt Sydney mit ihrer breitengradbedingten Umkehrung der Jahreszeiten, wo im Winter Sommer ist und im Winter Frühling, potenziert den Verlust der bisher integrativ wirkenden sowie emotionale Sicherheit versprechenden zeitlichen Segmentierungen. Dass dieser Vorgang der jahreszeitlichen Umkehrung den Prozess der ethnischen Identitätsbildung nicht unbeeinflusst lässt, kann an dieser Stelle als unhinterfragter Gemeinplatz konstatiert werden. Weihnachten im Hochsommer, schmelzende Wachskerzen, witterungsbedingte Appetitlosigkeit beim Festtagsschmaus sowie die notgedrungene Verlagerung der ehemals innerhäuslichen Feierlichkeiten an den hauseigenen Pool bzw. den nahegelegenen Strand stellen für die untersuchte Gruppe die wohl eklatantesten jahreszeitlichen „Symp-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 423

tome der Unordnung“ (ebd.: 103) dar. Nach dem Muster des Aha-Erlebnisses, aus psychologischer Sicht das plötzliche Erkennen eines Zusammenhangs zweier Vorgänge, bringt der Pastor der deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Sydney eine ihm widerfahrene alltagskulturelle Begebenheit zur Entfaltung, die uns nähere Einsichtnahme über die Verschiebung und Verwischung von kategorialen Signifikantenketten und Bedeutungskonstellationen verspricht: „Ich mußte nachmittags noch zum Woolie hier in Chester Hill, um meinen Haushalt und mich mit einigen Dingen zu versorgen. Nichts ahnend schiebe ich meinen Einkaufswagen durch die Gänge und steh ganz am Ende plötzlich vor Weihnachtsdekoration!! Kugeln, Santa-ClausMützen, Socken, Girlanden, alles was man anscheinend hier in Australien braucht, um Weihnachten zu feiern, war da in dem langen Regal zu finden. Und ich hab mir gedacht: was für eine komische Welt. Mitten im Hochsommer finde ich Weihnachtssachen im Kaufhaus. Bisher war ich es die letzten Jahre gewohnt, mindestens ’ne dicke Jacke anzuhaben und ziemlich viel Schnee vor dem Haus liegen zu haben, wenn ich Weihnachtssachen sehe. Und jetzt schwitz ich in der Sonne, hab die Klimaanlage im Auto an, weil ich sonst zerfließen würde und freu mich schon drauf, wenn ich das erste Mal ins Meer zum Baden gehe! Dieser Einkauf war für mich richtig komisch und irgendwie stand meine Welt kurzzeitig wirklich auf dem Kopf. Manchmal machen wir schon eigenartige Erfahrungen mit der Welt, in der wir leben“ (Kirchliche Nachrichten 2008: 2).

Eine kulturelle Nichtbeherrschung der den temporären Wanderer umgebenden „komischen Welt“, die aufgrund der Realpräsenz von an einen winterlichen Emotionskanon gebundenen Subjektivationen und Objektivationen im Hochsommer befremdlich, merkwürdig, absonderlich und zum Teil bizarr wahrgenommen wird, ist zentrales Charakteristikum dieser Fremdwahrnehmung. Die anthropogene Grundkonstante, eine kulturell bedingte „Unsicherheit als Nicht-Normalität auszudrücken“, so formuliert Katharina Eisch-Angus, „dürfte fest in unseren kollektiven Assoziationsmustern verankert sein“ (Eisch-Angus 2009: 72). Die sommerliche, zumeist mit Temperaturen von 35 bis 40 Grad Celsius geprägte Jahreszeit stellte keine entsprechende Korrelation zu den kulturellen Wissenslogiken der Deutschen und ihren erlernten sowie verbürgten Sinn- und Bedeutungsmanifesten her, da die menschlichen Körper- und Sinnesorgane der Deutschen und zahlreicher anderer europäischer Immigranten zu dieser Jahresfest durch sozialisierende Repetition eine Gewöhnung dahingehend ausgebildet haben, winterliche Kälte zu verspüren, als Schutz gegen Schnee bzw. Wind eine diesen menschenfeindlichen Witterungsbedingungen adäquate Kleidung aufzutragen und sich auf ein Leben im innerhäuslichem Bereich mit beheizten Räumlichkeiten einzurichten. Die Absonderung von Schweiß durch den Körper bei erhöhter Außentemperatur, die blühende tropische Vegetation, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, das Tragen von Shorts, TShirt und Sonnenbrille sowie das erfrischende Abkühlen in den Wogen des Pazifi-

424 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

schen Ozeans in Kombination mit einer heterogenen Bandbreite der emblematischen Weihnachtssymbolik gehören definitiv nicht zum kanonisierten Verhaltensund Wahrnehmungsrepertoire deutscher Auswanderer, so dass es nur allzu verständlich erscheint, dass dieses für zahlreiche andere Migranten repräsentative Ereignis aus dem neuen Alltag des Pastors die Welt plötzlich und für kurze Zeit auf den Kopf stellt. Die an das Weihnachtsfest und die jahreszeitlichen Determinationen aus der Alten Welt geknüpften kulturellen Handlungshorizonte stehen disjunkt zur australischen Lebenswirklichkeit und werden aufgrund dessen als Ausgangspunkt für ein Umkippen bzw. ein Durcheinanderkommen der kulturell geeichten Wissensordnungen erkannt.11 Während der eingehenden Lektüre zur Erschließung des ethnografischen Datenmaterials wird flagrant, dass diese Form der kulturellen Desorientierung beim höchsten religiösen wie familiären Jahresfest, für das in Immigrantenkreisen der selbst kreierte Terminus „Weihnachtsproblem“12 den Wesenszug eines feststehenden Topos bekommen hat, eine zentrale ritualisierte Zeitspanne (Advent/Heiligabend/erster sowie zweiter Weihnachtstag) ausmacht, an der sich ganz wesentlich die Grundzüge und fein gewebten Verortungen der ethnischen Identität deutscher Auswanderer in Sydney ablesen lässt. Der diskursive wie kommunizierte Konsens über die ethnische Andersartigkeit ließ sich in allen Gesprächen gemäß einer übereinstimmenden Kollektivierung eigenkultureller Wesensmerkmale sowie habitualisierter Umgangsformen heraushören. Für die weitere fächerartige Ausbreitung dieses kulturellen Gesamtkomplexes mit transkontinentalen wie polygenetischen Entstehungsmustern erscheint es mir angemessen, eine aus der emischen Perspektive des untersuchten Migrantenkollektivs emergierende Kategorisierung vorzunehmen, die eine deutliche Demarkationslinie zwischen deutschen und australischen Weihnachtskomponenten zu ziehen weiß, jedoch in der alltagskulturellen Praxis des Handelns unweigerlich Altes mit Neuem zu einem hybriden Ganzen zusammenführt. Der Auftrag zum Bewahren, der Reinhaltung bzw. der Konservierung und Sicherung eines multidimensionalen Stimmungsapparats mit der ethnisch etikettierten Bezeichnung „deutsche Weihnacht“, die auf ethnische Belange zurückzuführen ist, ein mehr oder minder authentisches Heimatverständnis widerspiegeln soll und Praxisformen der Re-Eth-

11 „Und ich muss schon sagen, dass ich ein bisschen durcheinander gekommen bin, was mein Gefühl angeht, so, jetzt wird es kälter, jetzt kommt Weihnachten. Obwohl ja erst vor sechs Monaten Weinachten war. Und auf ein Mal wird es so kalt, ich freue mich auf Weihnachten, aber nee, nee, das war ja erst vor kurzem. Also da kommen ich immer noch total durcheinander mit den Jahreszeiten und Monaten, die hier anders sind. Da muss ich immer fünf Mal nachdenken.“ Zitat aus dem Interview mit Jessica Ebinger, datiert auf den 02.06.2008. 12 Zitat aus dem Interview mit Raoul Trentmüller, datiert auf den 07.04.2008.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 425

nisierung wie Re-Territorialisierung erlernter Traditionen aus der Herkunftskultur beinhaltet, dokumentiert sich besonders an der konstruktivistischen Gestaltung der vorweihnachtlichen Adventszeit und noch viel stärker in der festlich-rituellen Ausgestaltung des Heiligen Abends (Christmas Eve), der für die in britischer Tradition stehende australische Mehrheitsbevölkerung im Gegensatz zu Christmas Day und Boxing Day mit einer eher geringen Bedeutung belegt ist, da an diesem Abend sommerfestartige gesellige Events veranstaltet werden. Das Insistieren der deutschen Auswanderer auf der großen Bedeutungsimmanenz der stets „traditionellen“ Begehung wie atmosphärischen Zelebrierung des 24. Dezember, eines in das kulturelle Gedächtnis der Immigranten mit enormer Zählebigkeit und auf Kontinuität hin angelegten wie handlungsleitenden Werte-, Norm-, Bedeutungs- und Referenzsystems, wird binär und oppositionell zu den von zahlreichen Mitgliedern der australischen Bevölkerung am ersten und zweiten Weihnachtstag praktizierten Segmenten der Weihnachtsfeierlichkeiten konzeptionalisiert, die von zahlreichen Migranten mit dem klassifizierenden Attribut „karnevalesk“ versehen wurden. Der Partizipation an diesen eher ausschweifenden, Partycharakter besitzenden und weniger kontemplativen Feierlichkeiten verweigern sich die Deutschen jedoch nicht und integrieren diese kulturellen Versatzstücke ihrer jetzigen Residenzgesellschaft in die synkretistische Ritualmelange, nachdem sie die in den heimatlichen Konventionen abgehaltenen Feierlichkeiten am Heiligabend vollzogen haben. In den folgenden, ethnografisch gestimmten Präsentationen wird zunächst deutlich, dass der mit dem Rückgriff auf den kulturellen Gesamtkomplex „Weihnachten wie in Deutschland“ postulierte, jedoch in der gelebten sozialen Wirklichkeit nur fiktionalen, utopischen wie illusorischen Charakter besitzende Ritualpurismus ethnische Identifikation wie Souveränität gewährleistet und darüber hinaus eine sinnlich-emotionale Brücke in die alte Heimat der Bundesrepublik konstituiert, die die Vergangenheit an die Gegenwart bindet. Die weihnachtliche Ritualzeit beginnt für die deutschen Immigranten an der Botany Bay mit der individuellen Ausgestaltung der vierwöchigen Vorbereitungszeit auf das Geburtsfest Jesu Christi, während der ein fester Korpus an Verhaltensweisen diese Periode in klar wiedererkennbare Bahnen leitet. Um das von den äußeren Natur- und Klimaeinflüssen zu dieser Jahreszeit ungeordnete wie desorientierte sinnliche Empfinden in bekannte Strukturverläufe zu kanalisieren, wird die Adventszeit dafür genutzt, auch bei hohen Außentemperaturen Plätzchen zu backen, für die eigenen Kinder einen an Geduld wie Beherrschung appellierenden Adventskalender zu basteln, Adventskaffees mit Familienangehörigen und Freunden zu organisieren, symbolträchtige Weihnachtsrequisiten zu basteln sowie Lebkuchen als auch den zum nationalen Kultobjekt avancierten Christstollen bei der in Australien seit 2001 institutionalisierten Firmenkette ALDI oder der Feinkostabteilung bei David Jones zu kaufen. Ein Großteil der Untersuchungsgruppe der mobilen Menschen zelebriert eines der wichtigsten Familienfeste, das in bürgerlicher Tradition

426 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

steht, ohne direkte familiäre Einbindung von Angehörigen, da diese zumeist in Deutschland verblieben sind, so dass deutsche Eltern besonders bei jungen oder auch in Australien geborenen Kindern großen Wert darauflegen, ihren Zöglingen innerhalb des Tradierungsprozesses „eine Weihnachtstradition, ein Weihnachtsgefühl mit[zu]geben, was auch wirklich deutsch ist.“13 Die hohen Temperaturen werden als größter Hemmfaktor ausgegeben: „Es wird halt immer heißer und wenn du da bei 35 Grad am schwitzen bist, dann kann man eigentlich nicht an Weihnachten denken.“14 Auch wenn es aus besagten Gründen ein nahezu unmögliches Unterfangen sei15, so der Tenor der Gewährspersonen, die aus Deutschland gewohnte „atmosphärische Stimmung“ angesichts dieses religiösen sowie sakralen Hochfestes zu erzeugen, unternimmt die Gruppe der Auswanderer alles in ihrer Macht stehende, um diesem nostalgischen Flair im Kontext der vorweihnachtlichen Adventsphase ein zeitstrukturierendes Identifikationsmuster entgegenzustellen. Dieser migrantische Prozess kommt einer kulturellen Sinnfindung gleich, denn die Wanderer zwischen den Welten, wie es Angelika Rehwald treffend formulierte, „suchen in jedem Jahr nach Mitteln und Wegen, die altgewohnte Innigkeit von Weihnachten einzufangen.“16 Gerade die Adventszeit wird von den Migranten eine herausgehobene Bedeutung beigemessen, die durch persönliche Einkehr, Stille, Vorfreude und Erwartung gekennzeichnet ist, denn liturgisch betrachtet befindet sich der Mensch in der Zeit der Zurückhaltung und Enthaltsamkeit, die von der Erwartung auf das Kommende geprägt ist. Dem privaten Wohnraum wird mit für die Jahreszeit typischen, entweder selbst gebastelten oder aus Deutschland importierten Dekorationen und Illuminationen wie Räuchermännchen, Weihnachtsschmuck und Kerzen, eine emotional-heimatlich Komposition verliehen. Gesonderte Erwähnung findet an dieser Stelle eine ritualisierte Handlung aus der Gemeinschaft der evangelischlutherischen Gemeinde, die „alle Jahre wieder“ und bereits seit mehreren Jahrzehnten zum etablierten als auch öffentlich kommunizierten Kulturprogramm der vorbereitenden Maßnahmen zu zählen ist. Initiierender Protagonist dieser Kulthandlung ist der Schatzmeister der Kirchenkongregation in Sydney, Karl Wunger, der mit

13 Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007. 14 Zitat aus dem Interview mit Gabi Wegener, datiert auf den 24.10.2007. 15 „Weihnachten, nein, man fühlt sich nicht nach Weihnachten. Ganz egal, ob man einen Tannenbaum hat oder nicht und Kerzen und Stollen usw. Bei 30 Grad, hier die Sonne, das ist immer noch so heiß um 6.00, 7.00 Uhr abends. Nein, es ist kein Weihnachten, ganz egal, was sie machen. Und wenn das ganze Zimmer zugemacht wird und die Gardinen und es ist dunkel und die Kerzen am Tannenbaum. Es ist kein Weihnachten, das Gefühl ist nicht da.“ Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 16 Zitat aus dem Interview mit Angelika Rehwald, datiert auf den 19.11.2007.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 427

anderen treuen Mitgliedern sechs Wochen vor Weihnachten in die 150 Kilometer von Sydney entfernten Waldgebiete der Southern Highlands fährt, um eine imposante Tanne in einer Baumschule auszusuchen und diese kurz vor den feierlichen Tagen im seitlichen Altarbereich des Kirchengebäudes in der Goulburn Street zu platzieren. Diese visuelle Repräsentation eines „echten“ wie „authentischen“ Weihnachtsbaumes im Sakralbau der Martin-Luther-Kirche, als einer symbolischen wie semiotischen Inkarnation dieses Jahresfestes der Innerlichkeit, stimuliert mit seiner Wirkkraft das besonders in dieser Phase des Jahres ausgebildete Sensorium im Hinblick auf kollektivbezogene Orientierung bzw. ethnische Einbindung, Zugehörigkeit und Geborgenheit. Auch wenn bereits darauf hingewiesen wurde, dass wir es bei dem Ritualkomplex Weihnachten mit einem Phänomen des kulturellen Mischmaschs zu tun haben, das transkulturelle Einzelbestandteile beinhaltet und aus diesem Grund einem hybriden Konstrukt gerecht wird, so wird der Heiligabend gemäß „alter Tradition“ und „nach deutscher Fasson“17 in Szene gesetzt. Der Ablauf in der deutschen Community unterliegt auch in Sydney einem hohen Grad an Ritualisierung, an deren scheinbar idealtypischer und unverrückbarer Feierliturgie sich die Protagonisten entlang bewegen. Ein in den Narrationen immer wiederkehrender Gebrauch von Adjektiven wie „familiär“, „still“, „innig“, „bedächtig“, „melancholisch“ und „sentimental“ gibt Auskunft darüber, in welchem Maße diese stark auf den Kreis der Kernfamilien bezogene kulturelle Praxis in einer Art kontemplativer wie eremitischer Zurückgezogenheit vonstattengeht, oder wie es Karl-Heinz Kuhnert versinnbildlichte, buchstäblich hinter zugezogenen Gardinen18 abläuft. Bevor jedoch die in privater Atmosphäre ausgetragenen Feierlichkeiten beginnen, ist für die untersuchten Auswanderer der Besuch einer der zahlreichen von beiden Konfessionen angebotenen Weihnachtsgottesdienste an den drei Festtagen obligatorisch, was als Einführung in die Feiertage ausgelegt werden kann. Wie mir der ehemalige Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde mitteilte, sei die an diesem Tag begangene Veranstaltung einer der „feuchtesten Gottesdienste“19 im Jahr, da bei keiner anderen liturgischen Feierstunde eindringlicher das höchst emotional besetzte und intensive Verlustgefühl Heimweh mitschwinge. Weil hier erneut mit gehobener Intensität der Gedanke an Zuhause und an die zurückgelassenen Sozialbindungen besonders zum Vorschein kommt, seien zahlreiche Migranten Jahr für Jahr zu Tränen gerührt. Der von Robert Ampt dirigierte Kirchenchor präsentiert unter Begleitung zahlreicher musikalischer Instrumente Stücke aus dem Weihnachtsoratorium, Ge-

17 Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008. 18 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007 (siehe dazu auch Bönisch-Brednich 2002: 329). 19 Zitat aus dem Gesprächsprotokoll mit Peter Auger, geführt am 13.09.2007.

428 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

dichte und die Weihnachtsgeschichte mit ihrem religiös Impetus werden vorgetragen, so dass dem scheinbar zu einer reinen Konsumorgie degradierten Weihnachtsfest von einem Großteil der Auswanderer die sakralen Bedeutungsinhalte stets alljährlich vergegenwärtigt werden, d. h., zelebriert wird „Christmas im Sinne von Christ“20. Die evangelisch-lutherische Kirche bietet am Heiligen Abend zunächst in der im westlichen Vorort Chester Hill gelegenen Gnadenfrei-Kirche um 16.00 Uhr einen ersten Gottesdienst an, danach folgen gegen 17.00 Uhr und 23.00 Uhr zwei weitere Gottesdienste in der Martin-Luther-Kirche im Stadtzentrum. Finden die beiden erstgenannten Termine in den von der intensiven Sonnenstrahlung aufgeheizten steinernen Sakralbauten, in denen auch die nur leicht bekleideten Partizipierenden aufgrund der limitierten Effizienz der Klimaanlagen schon vor der Begrüßung durch den Pfarrer ins Schwitzen kommen, statt, so kann die aus der Bundesrepublik bekannte Weihnachtsatmosphäre in Teilen erst zur spätabendlichen Stunde erreicht werden, wenn die Außentemperaturen gesunken sind und die Dunkelheit das Ambiente bestimmt. Im unmittelbaren Anschluss an die kirchliche Begehung verlagern sich die ritualisierten Feierlichkeiten in die familiäre und innerhäusliche Privatsphäre, die durchweg als kulturelle Antagonismen zur australischen Praktizierung des Festes unter freiem Himmel, am Pool, im Garten oder am Strand ausgelegt werden können. Erinnerungen an das erste Weihnachtsfest fernab der bundesdeutschen Heimat werden von Migranten einer älteren Auswanderungsgeneration aus der Retrospektive angesichts der Konfrontation mit völlig fremden Grundvoraussetzungen sowie einem ersten tieferen Gefühl der Entbehrung zumeist mit einem lachenden und einem weinenden Augen wiedergeben. Für Christel Paukner, die im Jahr 1964 nach Australien auswanderte, waren es abermals die klimatischen Verhältnisse der Stadt Sydney, die mit ihrem kulturell normierten Verständnis von einem deutschen Weihnachtsfest als „Inbegriff familiärer Harmonie, Geselligkeit und Gemütlichkeit“ (Schmidt-Lauber 2003: 131) nicht konform gingen: „Wie gesagt, die erste Zeit, […] da war dann auch der erste Heilige Abend, na ja, ich habe es also so gemacht wie in Deutschland. Ich habe überall Kerzen aufgestellt und dann ist das so heiß gewesen, die ganzen Kerzen wurden krumm, das waren alles schöne Kerzen und alle waren krumm. Wir hatten ungefähr um die 40 Grad und das war wirklich heiß. Wenn man dann ein paar Tage 40 Grad hat, dann hält man es hier nicht aus.“21

20 Zitat aus dem Interview mit Dietrich Rehwald, datiert auf den 19.11.2007. 21 Zitat aus dem Interview mit Christel Paukner, datiert auf den 02.07.2008.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 429

Im Zentrum jener unter dem handlungsnormierenden Deckmantel der Besinnlichkeit sowie im „deutschen Rhythmus“22 geübten Privatfeiern – als „kraftvolle Elemente der Vergangenheit“ (Bausinger 1985: 173) – stehen neben den strukturverleihenden Ritualrequisiten das im familiären Kollektiv realisierte „klassische Weihnachtsessen“ sowie die Bescherung. Eine unterschiedliche Bandbreite von Variationen gibt es im Hinblick auf den „richtigen“ und Authentizität transportierenden Weihnachtsbaum, der in den privaten Räumlichkeiten der Immigranten definitiv nicht fehlen darf. Von der stark favorisierten Edeltanne, bei der jedoch bereits nach wenigen Tage die Äste schlaff herunterhängen, über den gegen alle äußeren Einwirkungen resistenten Christbaum aus grünem Kunststoff23, bis hin zu kreativimprovisatorischen Gebilden der Auswanderergeneration aus den 1950er und 1960er Jahren, die in ihren ersten Jahren in Australien zwecks der Kompensation von Traditionsbrüchen lose Äste von anderen Laub- und Nadelbäumen zusammensteckten, reicht hier die Bandbreite dieses wohl bedeutendsten Symbols des deutsche Weihnachtsfestes. Gerade in der improvisatorischen Leistung einer älteren Generation von Immigranten zeigt sich mehr als deutlich, dass speziell an diesem Hochfest Veränderungen engagierter bekämpft werden, weil eben „so vieles wiederkehrt“ (Foitzik 2001: 166), auf Repetition angelegt ist und scheinbar in Stein gemeißelte Strukturmuster ihren Lauf nehmen. Der Baum vermittelt den Mitgliedern der Diaspora das Gefühl kultureller Normalität, er ist parabolische Expression für Heimat und Familienverbundenheit und bringt Beständigkeit der Werte und Bindungen zum Ausdruck. Als signifikantes Medium stellt das mit den Assoziationen des „typisch deutschen Weihnachtsfestes“ verbundene Kultobjekt nicht nur eine Brücke zu der alten Heimat Deutschland her, wo die Wurzeln der eigenen ethnischen Identität nach wie vor verortet werden, sondern verknüpft die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft. Eine weitere herausgehobene Komponente dieser Abendgestaltung ist das gemeinsame, an einem dekorativ hergerichteten Tisch stattfindende Essen. „Heute wird Weihnachten in besonderem Maße kulinarisch wahrgenommen“ (Hirschfelder/Palm/Winterberg 2008: 297), lautete die im Jahre 2008 formulierte Kernaussage von Bonner Nahrungsethnologen, die zur Dekonstruktion des „klassischen Weihnachtsessens“, das kognitive, vorgeblich historische Persistenzen wie Traditi-

22 Zitat aus dem Interview mit Dorothea Prechtel, datiert auf den 16.11.2007. 23 „Ich habe nie in meinem Leben einen Plastikbaum gehabt und jetzt habe ich einen, ich habe wirklich nie einen gehabt. Zum Schluss habe ich versucht, so welche im Topf zu kaufen und die dann umzupflanzen, aber manche sind sofort gestorben, leider. Aber hier, die armen Bäume, die gehen sowieso nach ein paar Tagen ein und ich habe dann gesagt, ich gebe ein bisschen mehr Geld aus, kaufe mir einen sehr schönen.“ Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008.

430 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

onslinien besitzt, einen Beitrag leisteten. Auch auf den Tellern der aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands sowie direkt nach dem Zweiten Weltkrieg aus osteuropäischen Ländern nach Sydney ausgewanderten Menschen dominiert eine heterogene Diversität von Speisen bzw. Speisefolgen, wenngleich auch hier kontinuierlich der tradierte Topos eine einheitliche, universalistische, althergebrachte, klassische und purifizierte Mahlzeit ins kulturelle Gedächtnis eingraviert hat. Die konstruierte wie stereotypisierte Ordnungstrias von Gänsebraten, Klößen und Rotkohl weicht auch bei der ethnischen Minorität in der australischen Metropole im südlichen Pazifik einer Vielfalt von transkulturellen kulinarischen Einflussfaktoren, die aus der akkulturierenden Übernahme australischer Elemente, einer identitären Mehrfachcodierung sowie einem den äußeren Natur- und Klimaumständen geschuldeten Zweckrationalismus hervorgehen. „Sie können ja auch das deutsche Essen, also wenn das hier 30 oder 35 Grad ist, können sie keinen Schweinebraten und Klöße und so was essen. Das geht gar nicht, das kriegen sie gar nicht runter.“24 „Das ist natürlich dadurch, dass es an diesem Tag sehr heiß ist, gibt es bei uns nicht so den riesigen Braten.“25

Eine Integration besonders fetthaltiger, kalorienreicher und fleischlastiger Speisekomponenten in den festlich-kulinarischen Handlungsrahmen legt nahezu allen aus der europäischen Tradition kommenden Migranten eine physische wie psychische Bürde der Tabuisierung auf, da die sowohl von internen (kulturelle Disposition) als auch externen (Klima/Temperatur) Faktoren abhängigen Determinanten und aus einer kulturellen Imprägnierung im Kontext des Weihnachtsfestes hervorgegangen „Geschmackserinnerungen“ (Hartmann 1994: 228) dazu führen, dass die Aufnahme dieser Nahrungsmittel graduell verweigert wird. Auch wenn eine Tendenz in Richtung einer leichter bekömmlichen Kost wie Salate (Grün- und Heringssalat), Fisch, Suppen (Kartoffelsuppe) oder kalte Buffets angesichts des witterungsbedingten Pragmatismus zu erkennen ist, so finden sich doch ebenfalls die Zubereitung des in englischer Tradition stehenden Truthahns sowie Puter, Gans, Fondue sowie Kartoffelsalat mit Würstchen bzw. Frikadellen. Als Sättigungsbeilagen werden zumeist Salz- oder Süßkartoffel sowie diverse Formvarianten von Knödeln serviert. Dass die lukullischen Charakterzüge des Heiligen Abends eine mehr oder minder ungebrochene Kontinuitätslinie zu dem „emotionalen Nahbereich Heimat“ (Hirschfelder/Palm/Winterberg 2008: 295) herzustellen versuchen, zeigt sich nicht nur in

24 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007. 25 Zitat aus dem Interview mit Heidi Overmann, datiert auf den 14.10.2007.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 431

den soeben präsentierten empirischen Ergebnissen, sondern ganz besonders an den so genannten kulinarischen „Überbringseln“26 aus dem kulturellen Gepäck der deutschen Migranten aus Osteuropa, die in der Gegenwart weiterhin „estische Steckrüben“27 oder ein im Backofen zubereitetes Sauerkrautgericht aus Wolhynien zum integralen Bestandteil ihres weihnachtlichen Menüklassikers machen. Einzelne Segmente wie der Christmas turkey, allseits beliebte Süßspeisen wie Christmas pudding, die Christmas cracker, die fruit mince pies, die für Australien charakteristischen Lamingtons mit Cremefüllung sowie die während der Barbecues am ersten Weihnachtstag gegrillten Krevetten, Langusten und anderen frischen Meeresfrüchte können als Indizien dafür herangezogen werden, dass die Speise- und Nahrungssysteme der Immigranten nicht nur die im Verfahren der Re-Ethnisierung28 mit der Güteformel „alt und authentisch“ versehenen Überlieferungsgüter zum Inhalt haben, sondern mehr denn je ein Nuancierungsprozess der transkulturellen Hybridisierung seine Wirkkraft entfaltet und für die pluralistische Emergenz neuer Kulturmuster – wie auch deren Lesearten – verantwortlich gemacht werden kann. Der Wanderer zwischen den Kulturen wird folglich – und das nicht nur aus kulinarischer Perspektive – zum transkontinentalen Kulturkurier, der Versatzstücke sowohl aus dem Entsendeland mitnimmt als auch Elemente vermittels adaptiver Akkulturation sich zu eigen macht und somit als einer der existenziellen Katalysatoren kulturellen Wandels betrachtet werden muss. Kurz formuliert: Er befindet sich in einer mäandrierenden Fließbewegung zwischen Kulturkonstanz und Kulturdynamik. Unmittelbar an die gemeinsame Verzehrsituation schließt die Weihnachtsbescherung an, bei der sich im gleichen Maße alterative und interkulturelle Einzelkomponenten entschlüsseln lassen, da auch hier „konventionelle Gattungstypologien“ (Lauterbach 2004: 316) überkommen werden, indem ein diffusionistischer Transfer bestimmter Handlungskonzepte und Bewertungsmuster der Residenzgesellschaft von den Migranten zugelassen wird. Auch wenn die Verteilung der Geschenke aufgrund der intrakulturellen Differenzen innerhalb der ethnischen Minorität sowohl am Heiligen Abend als auch am Morgen des ersten Weihnachtstags vollzogen wird, also diesbezüglich eine innere Varianz und Inhomogenität zu verzeichnen ist, versuchen doch insbesondere Eltern mit jungen Kindern eine synkretistische Strategie zu entwickeln, die sowohl deutschen als auch australischen Traditionen gerecht wird. Diese zwischen zwei Kulturen sozialisierten Präadoleszenten

26 Zitat aus dem Interview mit Willi Reitinger, datiert auf den 01.11.2007. 27 Zitat aus dem Interview mit Heinz Münzing, datiert auf den 20.11.2007. 28 Wolf-Dietrich Bukow erkennt diesen Prozess der „sekundären Bearbeitung“ vor allem bei Nachfahren von Immigranten, die durch einen Rückgriff auf Althergebrachtes ihre gegenwärtige Daseinsform ethnisch qualifizieren, indem sie „ihre Lebensführung durch eine gegenmoderne Rückorientierung zu rekonstruieren“ suchen (Bukow 1999: 97).

432 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

bekommen ihre Geschenke am 24. Dezember vom Christkind und am darauffolgenden Tag nach australischem Muster vom Santa Claus. Mit dem hier näher analysierten Schenkritual, als soziokultureller Vorgang der Übergabe von Objektivationen materieller und immaterieller Art in einem reziproken Austauschprozess (Schrutka-Rechtenstamm 1998: 51; Mauss 1954; Sahlins 1974: 149ff.) des „do ut des“ (Stonus 1996), der in „der Erwartung von Gegenleistung, insbesondere der Verpflichtung zur Dankbarkeit und [der] Anerkennung der Person des Schenkenden“ (Schrutka-Rechtenstamm 2001a: 17; Weber-Kellermann 1968: 5) geschieht, spannen die deutschen Auswanderer einen transkulturellen Bogen, um einerseits bei ihren Zöglingen die Bindung an die stark mit emotionalen wie idealisierenden Imaginationen aufgeladene metaphorische Trope einer „deutschen Weihnacht“ zu bewahren und andererseits die Integration in die australische Gesellschaft nicht zu beeinträchtigen. Um diese Dualität des Schenkrituals an beiden Tagen ohne die Beeinträchtigung der kindlichen Glaubens- und Einbildungskompetenz aufrechtzuerhalten, nutzen die Eltern einen kreativ-manipulativen Kunstgriff. Nachdem das deutsche Christkind am Heiligen Abend den Gabentisch gefüllt hat, platzieren die Eltern im unmittelbaren Sichtfeld ihrer Kinder am gleichen Abend eine Flasche Bier, Möhren und Kekse in der Küche. Wenn die Kinder dann am nächsten Morgen aufstehen, verweisen eine geleerte Flasche sowie das angebissene Gemüse bzw. Gebäck auf die Visitation des Santa Claus, der über Nacht mit seinen Rentieren erneut Präsente gebracht hat. In Anlehnung an Erving Goffman, einen der Hauptvertreter der Soziologie des Alltagshandelns, können wir diese Kulturform der Schenkungen in diesem wanderungsbedingten Kontext als partikulär-transversale „Beziehungszeichen“ (Goffman 1974: 255) interpretieren, die zum einen Ausdrucksmedien für Liebe, Fürsorge und Vertrauen sind und zum anderen auf theoretischer Ebene als Mittel zur Einleitung, Aufrechterhaltung und Verstärkung von Loyalitätsbeziehungen bzw. einem subjektiven Identifikationsbedürfnis zu beiden Nationen beitragen. Ethnische Identitäts- und Bewusstseinsbildung befindet sich an Weihnachten – und hier in ganz besonderer Weise am ersten und zweiten Feiertag – in Transition, so dass die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden bei diesem liminalen Übergang porös und semipermeabel werden. Für die Menschen in Australien fällt das alljährliche Weihnachtsfest mit dem Beginn der großen Sommerferien zusammen, so dass eine fröhliche bis ausschweifende Gesamtstimmung als das zentrale Charakteristikum der von zahlreichen öffentlichen und privat organisierten Partys, Grillveranstaltungen und Strandhappenings begleiteten Jahresperiode ausgewiesen werden kann. Die aus den Feierlichkeiten herauszulesenden Sinnsuche zahlreicher Australier nach Erlebnissteigerung, Zerstreuung, Spaß, fröhlicher Unterhaltung und einem zwanglosen Ausleben der eigenen Sehnsüchte liegt die Intention zugrunde, eine kontradiktorische Lebenswelt von temporärer Dauer zu dem rationalisierten, nahezu von Emotionen befreiten Arbeitsalltag zu konstituieren. Das kurzweilige Auf-den-Kopf-Stellen bzw. Außer-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 433

Kraft-Setzen gesellschaftlicher Verhältnisse und Reglements an den Weihnachtstagen in Sydney widerspricht jedoch der von deutschen Auswanderern mitgebrachten Durchdringung und Praktizierung einer eher sentimentalen, bedachten und melancholischen „stillen Zeit“. Hugo Wiegemeyer führt in diesem Kontext Nachstehendes aus: „Es ist so, es ist eigentlich eine fröhliche Partyzeit. Es gibt jede Menge Einladungen für BBQ und hier und da Party, da wird gefressen und gesoffen, da werden natürlich auch jede Menge Leute erwischt mit drink-driving. Aber das Ganze hat eine vollkommen andere Stimmung. Die Leute kaufen sich Sonnenbrillen, die Mädels Bikinis, Surfbretter, man geht an den Strand, man grillt, es ist eine euphorische Stimmung. Das deutsche Weihnachten ist ja ganz anders.“29

Der Strand, der eigene Garten mit Pool, öffentliche Picknickplätze und Parkanlagen sowie Kneipen und Bars sind die Austragungsstätten dieses unter freiem Himmel und bei subtropischer Hitze praktizierten Weihnachtsfestes am 25. und 26. Dezember. Ereignete sich die Feierliturgie des Heiligen Abends bei den Deutschen noch im engsten Kreis der Familie, so werden für die beiden anderen Tage Einladungen zu Partys mit Freunden und Bekannten ausgesprochen, so dass die bis dahin eher in deutscher Tradition stehende sentimental-melancholische Aura in eine atmosphärische Stimmung umschlägt, die zahlreiche Migranten eher mit Karneval in Verbindung bringen als mit Weihnachten: „Die nennen das hier the silly season, also wie halt in Köln die Jecken in der fünften Jahreszeit. Einfach ein Anlass zum Feiern. Ja, aber wirklich feiern, saufen, essen, saufen, tanzen, having a party.“30 „Und an diese Weihnachtsfeste, daran gewöhnt man sich. Die ersten Jahre war das funny, das war kein Weihnachten, das war eher Karneval.“31 „Aber die machen Partys. Die Australier machen Partys mit viel Trinken und Tanzen, das ist bei denen Heiligabend und Weihnachten, da ist es bei uns etwas anders.“32

Ein ausgelassener, freudiger und zu exzentrischen Zügen tendierender Schimmer flankiert das weihnachtliche Zeremoniell, bei dem die Nähe zum Rekreation und Ab-

29 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007. 30 Zitat aus dem Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007. 31 Zitat aus dem Interview mit Ursula Fornett, datiert auf den 16.10.2007. 32 Zitat aus dem Interview mit Christa Simmer, datiert auf den 28.10.2007.

434 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

kühlung versprechenden Nass im eigenen Pool bzw. im Ozean gesucht wird, durchweg egalitäre Kommunikations- und Interaktionsformen sowie ungezwungene und pragmatische Kleidungscodes (Strandschlappen, Sonnenbrille, Shorts, Bikini und Kopfbedeckung) die Szenerie bestimmen. Zudem ist Sydney in dieser Jahreszeit noch stärker als sonst in ein multikulturelles Ambiente gekleidet, da sich nicht nur zahlreiche touristische Besucher ihren Traum von „Weihnachten am Bondi Beach“ erfüllen, sondern vor allen Dingen Vertreter einer jungen und internationalen BackpackerKultur auf ihren global gestimmten wie multiple Lokalitäten miteinander vernetzenden Routen einen Zwischenstopp in Sydney einlegen (Binder 2006). Aus dieser hybriden Gemengelage sowie auf den Erfahrungen deutscher Migranten aufbauend, kann zunächst festgehalten werden, dass es in Australien zu Weihnachten recht „karnevalesk“ zugeht, d. h. eine „ephemere Gegenwelt zum Alltag“ (Braun 2000: 8) intentional hergestellt werden soll. Freizeitaktivitäten und deren ästhetische Ausdruckformen am Strand laden zu kollektiven Selbstinszenierungen ein, die Minimalformen der Kostümierung (Cox 2005/2006), bestehend aus allgegenwärtigen rot-weißen Santa-Claus-Mützen, plüschigen Rentierhörnern oder mit der winterlichen Symbolik (Rentiere, Sterne, Santa Claus, Schlitten, Tannenbäume, Geschenkpäckchen und Christkugeln) ausstaffierten Surfshorts bzw. Bermudahemden, repräsentieren als Zeichensystem die Zugehörigkeit zu einem Feierkollektiv. Bereits die theoretischen Reflexionen über die Funktionsinhalte solcher karnevalesken wie expressiven Ereignisse von Umberto Eco und Michail Bachtin sahen hierin ein kurzweiliges Heraustreten aus der normierten Welt des Alltags in eine „verkehrte Welt“, deren Ordnungen wie Normgefüge in Opposition zu der gängigen Welt konzeptioniert werden und somit eine graduelle Freizügigkeit – Karl Braun spricht in diesem Sinnzusammenhang von der „närrischen Permissivität“ (Braun 2000: 8) – abseits allgemein üblicher Konventionen und Sanktionen legitimiert. Ein eher spielerischer, zwangloser und unbeschwerter Umgang beim Konsumverhalten von alkoholischen Getränken33 gehört ebenso zum reizintensiven Berauschungsrepertoire

33 „Wie ich hierher gekommen bin, hat mich einer aus unserer Gemeinde beiseitegenommen. Die Person, ich weiß nicht mehr, wer es war, die hat mich vor meiner ersten Adventszeit [in Australien, Anm. d. A.] schon gewarnt und hat gesagt: ,Stell dir nicht vor, dass das hier ein deutsches Weihnachten ist. Die Australier gehen ins Hotel und saufen sich den Kopf ab.‘ Das hat er also wörtlich gesagt. Bloß, wie gesagt, so ein Weihnachten habe ich hier noch nicht erlebt, weil wir immer wieder mit Deutschen zusammen Weihnachten feiern.“ Zitat aus dem Interview mit Dietrich Rehwald, datiert auf den 19.11.2007. In diesem Passus geht die Differenznarration von einer negativen ethnischen Identitätsbeeinträchtigung aufgrund des an Weihnachten an Intensität dazu gewinnenden Phänomens des binge drinking aus. Die Onlineausgabe der in Melbourne lokalisierten Zeitung The Age dokumentierte in einem Artikel über den Konsum von Alkohol bei Ju-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 435

dieses Inversionsrituals einer an diesen „tollen Tagen“ auf Freizeit- und Erlebnisprogression hin ausgerichteten Gesellschaft wie die Neigung, Fischen zu gehen oder bei den in allen Altersstufen sowie Gesellschaftsschichten äußerst beliebten barbies – eine australische Sprachverkürzung für Barbecue – eine leichte, beiläufige Konversation zu führen, prawns zu grillen, Wassermelonen zu essen und die eine oder andere Flasche Bier zu genießen. Abseits von religiösen Konnotationen und Motivlagen, die jedoch latent unter der Oberfläche der sich hier in Gebrauch befindlichen Weihnachtsymbolik zum Vorschein treten und selbstverständlich den Gesamtkontext zu einem gewissen Grad mitbestimmen, lassen sich bei diesen weihnachtlichen Feierlichkeiten unter morphologischen Betrachtungsweisen klare Strukturen einer Festivalisierung bzw. Eventisierung, ja sogar der „Karnevalisierung des Alltags“ (Knecht 2002: 13) ausmachen. Mit der unter Zuhilfenahme eines ambiguosen Instrumentariums vorgenommenen Verfremdung, Kontextverschiebung sowie dem Einsatz interdisziplinärer ästhetischer Visualisierungen und Rhetoriken wird an mit kultureller Wertigkeit aufgeladenen Lokalitäten (Strand, Pool, Garten) ein alle Perzeptibilitäten ansprechendes, totales und außergewöhnliches Erlebnis kreiert (Gebhardt 2000: 19ff.). Als jahreszeitliches Regulativ mit seinen ludischen Komponenten besitzt dieses Event therapeutische Ventilfunktion, verdeutlicht das Streben nach „einer radikalen Erneuerung alles Existierenden“ bzw. offeriert die Möglichkeit, „eine vollständige Abkehr von der gegenwärtigen Lebensordnung“ (Bachtin 1995: 316) zu realisieren und steht im Kontrast zum anstrengenden Alltag. Sowohl im Moment der Steigerung emotionaler Expressivität als auch des Eintauchens in das ekstatische Delirium eines Nachbarn, Freunde und Bekannte mit einschließenden Kollektivs vergessen die Protagonisten für einen Moment ihre individuellen Probleme und viele beteiligte Erwachsene nutzen diese Events als jahreszeitbedingte Partymöglichkeit im Sinne eines Initiationsrituals zu Beginn der großen Sommerferien. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Ritualisierungen zu Weihnachten einen besonders fundamentalen Baustein zur Konstruktion der australischen Nationalidentität zum Ausdruck bringen, weil sie auf die exzeptionelle Eigenkulturalität referieren und nicht zuletzt grundverschieden von den europäischen und hier insbesondere den Ritualisierungen des britischen Mutterlandes ausgelebt werden, womit ein weiteres analytisches Kriterium der Bachtin’schen Reflexionen des mittelalterli-

gendlichen auf zutreffende Weise: „The phrase ,never trust a man who doesn’t drink‘ is embedded deeply in our culture alongside Vegemite and mateship. […] Since the convict days, Australians have glorified alcohol. Henry Lawson, the same poet who inspired in us the notion of mateship, penned a less inspiring but equally significant national ideology, ,beer make you feel how you ought to feel without beer‘. Advertising, sport and music have helped to spread the notion that drinking is the Australian social norm. Accordingly, non-drinkers are ostracised as un-Australian“ (Robertson 2009).

436 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

chen Karnevals, nämlich der Unterminierung von Autoritäten, in die hier ausgebreiteten interpretativen Reflexionen mit einfließt. In diesem vor dem kulturellen wie auch politischen Hintergrund der Integration minoritärer Ethnien in ein übergeordnetes nationalstaatliches Gebilde durchaus mit einer eigenen Signifikanz versehenen Vergesellschaftungsmodus, in dem auch Macht, Marginalisierung und Dominanz eine zentrale Rolle spielen, verweigern sich die deutschen Migranten keineswegs, obgleich stets ins Feld geführt wurde, dass es einer akkulturierenden Anpassungsphase an die bestehenden Verhältnisse „der Andersartigkeit“ bedurfte, in der die Auswanderer im Prozess kultureller Bedürfnisbefriedigung individuelle Entscheidungen treffen mussten, welche Elemente des transkulturellen Weihnachtsfestes die Bedeutungswertigkeit zur weiteren Tradierung besitzen. Anders gesagt: Für die ganzheitliche ethnische Segregation bzw. subversive Schließung in Bezug auf das jahreszeitliche Hochfest konnten keine Indizien gefunden werden. Mehr denn je dominieren in dieser von einer pluralen Kontextualität umgebenden, synkretistischen Aura kulturelle Überlagerungsphänomene bzw. zeigt sich eine wechselseitige Durchdringung, die eine neue Konzeptionierung der identitären Zugehörigkeit in Richtung hybrider BindestrichIdentitäten notwendig macht. Zu dem multiplen Facettenreichtum einer camouflageähnlichen deutsch-australischen Festlichkeit äußerte sich Ralf Alpsteiner wie folgt: „Bei uns, sag ich jetzt mal, ist es mehr deutsch, obwohl wenn es heiß ist, geht man natürlich auch in den Pool. Es bleibt halt nichts anderes übrig. So vom Geselligen her ist das Feiern am 24. sehr deutsch und europäisch. O.K., am ersten Weihnachtstag hängst du draußen rum, weil es 40 Grad ist und was weiß ich, trinkst ein Bier oder zwei.“34

Welches Fazit lässt sich nun ziehen? Einerseits kommt der in der Adventszeit und vor allem am Heiligen Abend stattfindenden kulturellen Reproduktion, also der Speicherung, Reaktivierung und Vermittlung von sinnstiftendem Handeln, eine herausgehobene Rolle zu. Hier werden uns detailgetreue Perspektiven auf Mechanismen der Ethnisierung eröffnet. Die am 24. Dezember idealtypisch mit den Gütesiegeln „traditionell“ sowie „klassisch“ konnotierten Ritualhandlungen weisen Züge eines ethnic revival (Smith 1981: 8ff.) auf, deren Aufgabe in der Re-Ethnisierung des Bekannten, Vertrauten und Gewohnten liegt sowie über die Betonung der kulturellen Unterschiede eine Abgrenzung praktiziert, um mit diesem Ethnisierungsmechanismus zur Stärkung und Sicherung der Identität migrantischer Lebensformen beizutragen. Folglich wird das vermeintlich geschlossene Ritualgebilde des „ursprünglichen“ Heiligen Abends mit konventionell zugewiesenen Bedeutungen wie Kohärenz und Integrität, sozialer Homogenität sowie faktischer, authentischer wie historischer Kontinuität behaftet. Im Zuge einer Rekonstruktion der ethnisch defi-

34 Zitat aus dem Interview mit Ralf Alpsteiner, datiert auf den 02.11.2007.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 437

nierten bzw. etikettierten Gemeinschaft versichert man sich der Solidarität des eigenen Kollektivs. Die Funktion der rituellen Handlungsrahmung liegt somit in der Gewährleistung von Kontinuität und Identität. Andererseits ist und war Weihnachten weder in Deutschland noch in Australien zu irgendeiner Zeit ein statisches Fest, das sich von äußeren Einflussnahmen freisprechen konnte (Foitzik 2001: 168). Die Offenheit für neue, aus den australischen Gesellschaftsüberlieferungen erwachsenen Vergesellschaftungsformen am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag weist auf einen generellen Wandel in der Intensität der Traditionspflege hin und deutet auf einen Wechsel von einer Sakral- zu einer Profankultur hin. Gerade wegen der transformativ-hybriden Eigendynamik, d. h. „der flottierenden Kräfte und Fixpunkte“ (Bhabha 2000: 165) zwischen den beiden Dominanten Entsende- und Residenzkultur, kann Weihnachten als ein guter Indikator für die soziokulturelle Integration der Deutschen in Sydney angeführt werden. Eine hierin erkennbare Absicht zur Inkorporation des Fremden in die eigene Kulturpraxis, d. h. der Aufsprengung des binären Gliederungsprinzips des Eigenen und des Anderen bei gleichzeitiger Traditionswahrung, lässt nicht nur der im postkolonialen Diskurs entworfene theoretische Begriff „newness“ in der Praxis des doing bzw. neuerlichen Arrangierens erkennen, sondern auch den an die Mitglieder der in Australien lebenden ethnischen Minoritäten herangetragenen, mit Anforderungscharakter aufgeladenen Integrationsimperativen der social cohesion und der unity in diversity wird Genüge getan. Es wurde deutlich, dass die deutsche Migrantenkultur für die weihnachtliche Periode des Jahres eine Mischmasch-Kultur angenommen hat und damit ein auf die ethnischen Belange hin ausgerichtetes Kulturmuster konstruiert, das mittels Transition und Translation den Migranten in ein sinn- bzw. wirklichkeitsstiftendes Bedeutungsgewebe zwischen Vergangenheit und Gegenwart verstrickt. 5.2.2 Ein bisschen Heimat folklorisieren: die Weihnachtsfeier der Australian-German Welfare Society in Cabramatta „Und dort saßen sie im Festsaal ihres Clubs in Cabramatta, in Nostalgie versunken […] Aber dann setzte auf der Bühne die Kapelle ein zum beschwinglichen Teil der Feierlichkeit, und sie tanzten wie in den alten Zeiten daheim, auf den Tanzböden der fünfziger Jahre, und ihr Blick verschwamm, als die Musik spielte: ,Warum ist es am Rhein so schön?‘“ (Ortlepp 1982: 147f.)

Zum zentralen Termin der Adventszeit gehört für eine ältere Auswanderergeneration aus den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts die von der Australian-

438 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

German Welfare Society Inc. (AGWS) organisierte Weihnachtsfeier in den Clubräumlichkeiten der Deutsch-Österreichischen Gemeinschaft in Cabramatta, einem westlichen Vorort von Sydney. Im eigens von der ausrichtenden Institution herausgegebenen Organ The Welfarer wird diese Veranstaltung in einer Ankündigung als „das wichtigste gesellschaftliche Ereignis des Jahres“ (The Welfarer 2007: 12) beschrieben und auch die informellen Auskünfte aus der deutschen Migrantengemeinde wiesen das Fest als einen signifikanten Feiertermin im Jahresverlauf aus, so dass der Tag der Veranstaltung, der 27. November 2007, dafür genutzt wurde, um „im Sinne physikalischer Gegenwart und unmittelbarer, teilnehmend beobachtender Anwesenheit [ein, Anm. d. A.] Vertrautwerden mit konkreten lokalen Zusammenhängen“ (Schmidt-Lauber 2009: 250) zu realisieren. Hiermit ist ein methodisches Rüstzeug gewählt, dass als feines sowie profundes Analyseinstrumentarium der Kulturanthropologie einen Zugriff auf die Tiefendimension der dort ablaufenden kulturellen Prozesse und deren Wirkungsweisen, Regeln und Funktionen gewährleistet. Bevor wir zur eigentlichen morphologischen Deskription sowie der analytischen Interpretation vor dem Hintergrund der Folklorisierung von Heimat übergehen, sollte hier zunächst die als rituelle Funktionäre die Bühne vorbereitenden übergeordneten Instanzen (cultural brokers), deren Aufgaben, Ziele, Interessen, Motivlagen und Funktionen eingehender beleuchtet werden. Der für die operativen Geschäfte der Welfare Society verantwortliche Ingo Mollenhauer gab mir in den Büroräumlichkeiten in Strathfield einen Überblick über die Aufgabenschwerpunkte der bereits seit einem halben Jahrhundert für die Sorgen, Nöte und Bedürfnisse deutschsprachiger Auswanderer und Touristen installierten Gesellschaft. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Konsulat wurde die AGWS im Jahre 1954 gegründet. Sie versteht sich als ein Dienstleistungsunternehmen, das vorwiegend deutschsprachige Menschen im unmittelbaren Einzugsgebiet von Sydney bei der Bewältigung von Problemen hilft. Aufgrund der sich aus der unterschiedlichen Intensität der Immigrationsraten der letzten fünfzig Jahre entwickelten demografischen Verschiebungen wird das Gros der deutschsprachigen Einwanderungsgruppen in ganz Australien immer älter, so dass sich der Kreis der akut Hilfsbedürftigen auf Einsame, Kranke und Senioren beschränkt. Die Organisation unterstützt des Weiteren Arbeitslose, Menschen mit Sprachdefiziten (Übersetzungen, Bearbeitung von Formblättern bezüglich der Rente und Amtsgänge) und hilft bei Geldproblemen, Renten- und Erbschafts- sowie Sterbefällen. Gerade für die älteren Mitglieder (95 Prozent der insgesamt 650 Mitglieder sind zwischen 70 und 80 Jahre alt) bietet der Verein durch eigens organisierte soziale Veranstaltungen wie Filmvorführungen, Kaffeeklatsch, Ausflüge, Vortragsabende, Weihnachtsfeiern, Muttertage und Ostern ein Forum sowie ein Medium, das ein wenig Heimat fernab der Heimat vermittelt. In Liverpool, Cabramatta und Wollongong verfügt der Verein über weitere Untergruppierungen sowie 50 bis 60 freiwillige Helfer. Vierteljährlich erscheint das interne Journal der AGWS, The Welfarer, das über Vereinsaktivitäten

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 439

berichtet und aktuelle Statistiken zum Inhalt hat. Mollenhauer überreichte mir im Laufe der Unterhaltung eine Informationsbroschüre, die nachstehende Dienstleistungen erwähnt: Beratung für Menschen mit persönlichen Problemen, Besuch und Attestierung von alten und kranken Menschen in Altersruhestätten, Zuhause und in Krankenhäusern, Betreuung während einer andauernden schlimmen Krankheit sowie eines Trauerfalls, Versorgung der Hilfsbedürftigen mit Nahrung und Kleidung, Arrangement von Unterkünften, Beratung bei Rentenfragen, Informationen bezüglich betreutem Wohnen, Pflegeheimen und Altersruhestätten, Kontaktherstellung zu deutschsprachigen Ärzten, Abkommen mit deutschen Kirchen, Vereinen, Schulen und anderen Interessengemeinschaften, Immigrationsinformationen, Lebensversicherungen und bei Touristen in Not. Die AGWS ist sozusagen ein Einmannbetrieb, der durch Mollenhauer und einen gewählten Vorstand geleitet wird. Finanziell lebt der Verein von den Mitgliederbeiträgen, Spenden und überlassenen Erbschaften, so dass die Institution existenziell auf von außen herangetragene pekuniäre Mittel angewiesen ist, jedoch erbrachte Leistungen in Rechnung stellt. Eine monetäre Unterstützung von australischer Seite entfällt gänzlich. Der vereinsinterne Etat bekommt nur dann einen Zuschuss aus Deutschland, wenn die Einnahmen durch Spenden nicht ein gewisses Limit überschreiten. Aus den Erfahrungsäußerungen Mollenhauers ging hervor, dass er im Grunde genommen als Streetworker für Deutsche in Sydney arbeitet. Wenn das Konsulat nicht mehr weiter wüsste, riefe es einfach bei der AGWS an und beauftrage den Verein, in der Person von Mollenhauer, mit der Übernahme eines problematischen Falles wie zum Beispiel einer vermeintlichen Lottogewinnerin ohne orientierenden Bezugspunkt am Flughafen in Sydney, einer arbeitssuchenden Familie in Queensland, einem Opfer eines Autounfalls sowie des Besuchs von einsamen Altersheimbewohnern, der Betreuung von Alkoholkranken und in Sydney gestrandeten Abenteuersuchenden aus Deutschland.35 Ausrichtungsstätte der alljährlichen Weihnachtfeierlichkeiten ist das in der Curtis Street in Cabramatta lokalisierte Clubhaus der Deutsch-Österreichischen Gemeinschaft, deren Gründung als caritative Organisation im Jahr 1956 von Auswanderern aus beiden Ländern in Angriff genommen wurde. Da nach 1950 die Bevölkerungsmehrheit deutschsprachiger Immigranten vermehrt in den westlichen Stadtteilen Sydneys wie Bankstown, Fairfield, Cabramatta, Liverpool und St. Marys siedelte, galten dieses Vororte als Haupteinzugsgebiet des neu gegründeten Vereins, deren Selbstverständnis darin begründet liegt, „ein Bindeglied zwischen alter und neuer Heimat“ (Deutsch-Österreichische Gesellschaft 1988: 189) zu sein und durch die Betreuung der deutschsprachigen Neulinge, die mannigfachen Problemen wie finanzielle Schwierigkeiten, defizitäre Sprachbeherrschung oder überhaupt keine

35 Gesprächsprotokoll Ingo Mollenhauer und Forschungstagebuch, datiert auf den 22.10.2007.

440 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Englischkenntnisse in Australien ausgesetzt waren, die Akkulturation an die neuen Verhältnisse durch die Intensivierung des Gemeinschaftslebens zu erleichtern. Die Erzeugung einer „heimatlichen Atmosphäre“ (ebd.), die stets eines artifiziellen Formenreichtums sowie geschickt miteinander verknüpfter Inszenierungen von folklorisierten wie heritagisierten Elementen bedarf, war ubiqitäres Hauptanliegen der Gemeinschaft, die in der tendenziell verklärten Idealisierung vertrauter, bekannter und emotional verbürgter kultureller Versatzstücke ein Satisfaktionspotenzial in weiter Ferne von der eigentlichen Heimat zu konstruieren suchte. Das im „alpenländischen Stil“ (ebd.) in den 1960er Jahren erbaute Vereinshaus, das über einen großen Festsaal, einen Thekenbereich, eine Küche, ein Schwarzwald-Restaurant, eine Lufthansa-Lounge, eine Hansastube und ein Jagdzimmer verfügt, avancierte in den Folgejahren – neben dem Concordia Club in Stanmore und später in Tempe – zu einem Epizentrum deutschsprachigen Kulturlebens und diente gleichzeitig als Treffpunkt von Skatgruppen, Karnevalsgesellschaften, Schachgruppen, Fußballmannschaften, Schützengilden, Tischtennisvereinen, Gesangstafeln und Volkstanzgruppen. Hier lag ferner die Geburtsstunde des ersten aus Deutschland importierten Oktoberfestes, das die Entwicklung zu einem jährlich praktizierten Volksfest in Australien durchlief und sich gegenwärtig als vermeintlich authentischer Kulturimport bajuwarisch-deutscher Abstammung bei zahlreichen Sydneysiders großer Beliebtheit erfreut. Das im subtropischen Ambiente eher exotisch daherkommende Clubhaus selbst präsentiert sich als ein zweistöckiges Steinhaus mit hölzernem Dachstuhl, verzierten grünen Fensterläden, einem von der ersten Etage betretbaren Balkon sowie einem vor dem Haus zum Gastronomiebetrieb gehörenden Biergarten, dessen Pavillonschirme auf den Vertrieb von deutschem Bier schließen lassen. Erste Assoziationsketten bei der visuellen Betrachtung könnten zu dem Schluss kommen, dass es sich bei diesem Gebäude um eine museale Translation eines im Schwarzwald, in Süddeutschland oder auch in Österreich bereits existierenden Hauses handelt. Die metaphorischen Analogien zu der in Venezuela seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fortbestehenden deutschen Siedlung Colonia Tovar36 sind frappierend. An der Außenwand neben dem Haupteingang des Hauses ist eine künstlerisch gestaltete Bildkreation als Hinweis auf das gastronomische Gewerbe des Schwarzwald-Restaurants zu sehen, das auf der rechten Seite einen am gedeckten Tisch

36 Georg Ismar berichtet in seinem in der Wochenendausgabe des Bonner GeneralAnzeigers erschienenen Artikel über den im venezolanischen Bergregenwald gelegenen Ort Colonia Tovar, der im April 1843 im Auftrag des Staates Venezuela von Maurern, Handwerkern, Metzgern, Schuhmachern und Bauern aus der Region des badischen Kaiserstuhls besiedelt wurde. Im tropischen Schwarzwaldidyll tragen Kuckucksuhren, Erdbeermarmelade, Schinken und Trachten den ewigen Kampf zwischen Tradition und Tourismus, zwischen Kultur und Kommerz aus (Ismar 2008: 1).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 441

wartenden Mann zeigt, der mit Messer und Gabel in der Hand sowie einem vor sich stehenden gefüllten Glas Rotwein auf die von der linken Seite herankommende Kellnerin wartet. Diese trägt ein schwarzes Kleid, eine weiße Bluse, eine rote Schürze sowie einen symbolischen Trachtenhut mit fünf traditionellen roten Wölbungen. Der von ihr servierte Teller ist gefüllt mit einer Fleischkeule sowie zwei dampfenden Klößen. Eingerahmt wird die auf eine „traditionelle gut-bürgerliche Kost“ indizierende Szene von grünen, lianenähnlichen Pflanzen, an deren Enden mehrere große blaue Weinreben zu erkennen sind. Über diesem Szenario der Wirtshausbegebenheit zieht ein großes, mit Lettern in der alten Schwabacher Schrift versehenes Banner die Blicke des Betrachters auf sich. Hier ist zu lesen: „Gäb’s hier nicht schöne Mädel, Und nicht die dicken Knödel, Und nicht den guten Wein – Ich kehrte hier nicht ein!“ Durch einen Empfangsbereich mit Garderobe gelangt man in den großen, mit dem zum jahreszeitlichen Anlass symbolträchtig ausstaffierten Dekor hergerichteten Festsaal, der für mehrere hundert Gäste gedeckte Tische bereithält. Die im Inneren der weitläufigen Räumlichkeit zu erkennende Empore ist ebenfalls nach dem Muster eines alpenländischen Hauses gestaltet und zeigt wiederum Fenster mit aufgeklappten grünen Läden, eine Art Jägerzaun dient als Verzierung der Brüstung, an der Wand hängt ein ausgestopfter Kopf eines Hirsches. Zudem sind die Wände des Feiersaals mit kollektiven Identitätskonzepten sowie einer ein Gefühl der Wir-Gemeinschaft versprechenden nationalen bzw. regionalen Symbolik wie Emblemata versehen, da der Blick nahezu überall auf den Bundesadler, auf Fahnen, Wappen, Wimpel und Banner trifft (wie zum Beispiel die Erkennungszeichen einzelner deutscher und österreichischer Bundesländer), die als kulturelle Integrationsglieder in dieser Aura des zelebrierten Traditionalismus, Nationalismus und der Revitalisierung ihre Wirkkraft entfalten. Als visuelle Erinnerungspfeiler fungieren ferner halbkreisförmige, künstlich kolorierte Bilder, die auf den seitlichen Steinwänden in Augenhöhe angebracht sind und ursprüngliche, von den kontinuierlich auftretenden Globalisierungsschüben unberührte und idyllische Stadtpanoramen zeigen, wie zum Beispiel von Heidelberg. Über der sich im hinteren Teil der Festhalle befindlichen Bühne thront in großen, wiederum in der alten Schwabacher Schrift präsentierten Druckbuchstaben die Leitdevise der Gemeinschaft: „Unser Haus zur Erhaltung des Brauchtums, der Sitte und der Muttersprache.“ Auf der mit jahreszeitlicher Illuminierung geschmückten Bühne, auf der während der Veranstaltung die aus Newcastle (NSW) angereiste Oom-Pah-Pah-Band mit vorwiegend deutschen Schlagern für die musikalische Begleitung sorgte, ist eine große Krippe, ein echter Tannenbaum sowie ein großes Hintergrundbild mit weihnachtlicher Schneelandschaft zu sehen. Die sinnliche Vergegenwärtigung dieses national gestimmten emotionalen Brimboriums während der Feldforschung zieht unweigerlich die konsequente Folgerung nach sich, dass das in einer performativen Konstruktionwie Anordnungsverrichtung in Szene gesetzte Clubhaus durch die Anreicherung zahlreicher sinnstiftender nationaler Imaginationen, Bilder, Stereotypen – verstan-

442 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

den als kulturelle Repräsentationen der Ethnizität – zu einem Gedächtnisort der Migranten avanciert, an den die Auswanderer in regelmäßigen wie auch unregelmäßigen zeitlichen Abständen zurückkehren (zum Beispiel am Termin der hier thematisierten Weihnachtsfeier), um sich ihrer ethnischen Identität zu vergewissern bzw. um diese im starken Maße an die Herkunftskultur gebundene Zugehörigkeit zur Stabilisierung zu refigurieren. Bei einem durch den Saal schweifenden Rundblick kann die Altersstruktur der hier beteiligten Gäste abgelesen werden. Es handelt sich vorwiegend um Auswanderer, die den vor Zeiten beginnenden Werdegang sowohl der Welfare Society als auch der Deutsch-Österreichischen Gemeinschaft über mehrere Jahrzehnte mitverfolgt und mitgestaltet haben, d. h., wir finden bei diesem jahreszeitbedingten Ritual eine ältere Migrantengeneration vor, die in den 50er und 60er Jahre des letzten Säkulums in der Alterspanne von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren nach Australien „rausgekommen“ ist. Die am Nebentisch sitzenden Bewohner des Seniorenwohnheims Allambie Luthern Homes hatten den weiten, quer durch Sydney führenden Weg aus dem nordöstlichen Vorort Allambie Hights nach Cabramatta auf sich genommen, weil dieser festliche Markpunkt stets sein Versprechen, das Hauptereignis des Jahres zu sein und alle vorherigen Weihnachtfeiern mit Musik, Unterhaltung und einer reichhaltigen Beköstigung in den Schatten zu stellen, einzulösen weiß. Die Ritualisierung der Weihnachtsfeier des deutsch-australischen Hilfsvereins folgt insofern einem stark formalisierten und strukturierten Ablauf, als dass Mollenhauer als Moderator die Gäste durch das Festprogramm leitet. Nachdem eine offizielle Begrüßung ihr Ende gefunden hatte, sprach zunächst die Präsidentin des Vereins im Namen des Vorstandes zu den circa 300 versammelten Gästen. Zu Beginn bereicherte das Veranstaltungsrepertoire eine Tanzvorführung sowie ein musikalisches Flötenspiel einer von der German International School in Sydney gestellten Gruppe junger Schüler und Schülerinnen, denen es mit ihren eingeübten Aufführungen nicht schwer fiel, reges Interesse und helle Begeisterung bei den Senioren in Gang zu setzen. Zwecks der Generierung eines ethnischen Gemeinschaftsgefühls, der Identifikation mit der Wir-Gruppe sowie des Persistierens auf einem gemeinsamen kulturellen Gedächtnis kam dem im Kollektiv praktizierten Singen von Weihnachtsliedern eine gewichtige Bedeutung zu, deren mobilisierender Effekt damit gewährleistet wurde, dass an jedem Sitzplatz ein Faltblatt mit den Texten und den Melodien auslag. Der Ausschließung bzw. dem Gefühl der Marginalisierung bei einer solch immens identitätsstiftenden Handlung wie dem Singen von Vertrautheit suggerierenden Liedern wurde somit von Beginn an entgegengesteuert. Eine ganzheitliche Partizipation, die berauschende Inszenierung sowie das Aufgehen des Selbst innerhalb des ethnischen Bündnisses galt hierbei als übergeordnetes und erstrebenswertes Ziel der Veranstaltung, denn nur mittels dieser konstruktivistischen Reduktion, Uniformierung und Akzentuierung ethnonationaler Sinneinheiten ist eine auf Konsens und Plausibilität gründende Kollektivierung deutscher Migran-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 443

tenkultur während der Feierlichkeiten möglich. Eine dieser zentralen, kulturell normierten und ethnische Familiarität auslobenden Sinneinheiten ist der Nikolaus (Weihnachtsmann), der nach der kollektiven Intonation des Lieds Nikolaus komm in unser Haus den in feierliche Atmosphäre gehüllten Festsaal betrat und mit geschultertem Gabensack und Rute den Weg vor die Bühne beschritt. Der Pastor der evangelisch-lutherischen Gemeinde, Peter Auger, füllte nach Absprache mit den für die Chronologie des Rituals verantwortlichen cultural brokers die Kostümierung des Gabenbringers aus und präsentierte seinen Zuschauern gestenreich eine in Reimform vorgetragene Rede mit heiterer bis belustigender Note, wenngleich der religiös informierte Impuls hierbei nicht fehlte. Jeder bekam eine Tüte mit Gebäck und Süßigkeiten geschenkt. Eine weitere Unterstützung der German International School Sydney bestand insofern, als dass eine Delegation aus der Abschlussklasse der Welfare Society beim Servieren des Essens assistierte. Als Hauptspeise gab es vom hauseigenen Koch zubereitete Wiener Schnitzel, Kraut- und Kartoffelsalat. Als Abschluss der kulinarischen Verköstigung bekam jeder ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Wie bereits angeklungen ist, erschließt sich der Hilfsverein seine monetären Kapazitäten ausschließlich aus Spenden, Mitgliederbeiträgen, Erbschaften und der Kostenbemessung bestimmter Serviceleistungen, so dass diese Veranstaltung ferner dazu dient, Geldspenden in Form einer groß angelegten Tombola zu akquirieren. Die Preise sind größtenteils materielle Zuwendungen von deutschen Geschäftsunternehmen wie zum Beispiel in Sydney ansässigen Rechtsanwälten, Notaren und deutschen Firmenniederlassungen, die der Welfare Society nahestehen. Ritualakteure der Gruppe von Migranten erkennen die flimmernde Atmosphäre der zwischen Eventisierung, Libidinisierung, Verbeliebigung, Pluralisierung und sinnlicher Profanität angesiedelten Weihnachtsfeier und sind Zuschauer und Mitwirkende eines vertrauten Spektakels zugleich. Lachen oder überschwängliche Freude über „begeisterte Kinderaugen“ sind Feierelemente, die die Möglichkeit eröffnen, sich an den Erinnerungen an die eigene Kindheit in Deutschland zu berauschen. Den Charakter von Ritualbegehungen haben Veranstaltungen insofern, als dass sie bei den Auswanderern Hochstimmung erzeugen, Reize und Sensation bieten sowie Zerstreuung und Lustbarkeit gewähren. Ein dichtes, vielschichtig vernetztes, spannungshohes Kommunikationszentrum, welches das intendierte Programm und den Formenreichtum erst umsetzt, stellt in der Tat gerade die Weihnachtsfeier der Welfare Society dar, da sie anders als die etablierten, technisch gestützten Medien auf der Basis unmittelbarer, von Mensch zu Mensch laufender Beziehungen gründet, die eine gewisse Stimmung erzeugen sollen. Zu fragen bleibt nun, welche Stimmung wird unter Zuhilfenahme welcher visuellen und auditiven Beschwörungsformeln, Emotionseffekte, Identitätskonzepte, Erinnerungspraxen, Interpretationsmedien und Legitimierungsressourcen konstruiert? Um auf die übergeordnete Problemstellung des being in transit zurückzukommen, muss gefragt werden, wie sich Immigranten in ihrer transitorischen Lebenswelt der Diaspora einrichten. Denn

444 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

eine unvermeidlich ortspolygame und auf Kontinuität hin ausgerichtete Migration in ein fernes Land, das im wörtlichen Sinne am anderen Ende der Welt zu lokalisieren ist, so wusste bereits vor Zeiten die Frankfurter Kulturanthropologin Ina-Maria Greverus zu berichten, bedeutet nicht nur die Suche nach einem neuen geografischen Zuhause, sondern machte auch „ein ,Sich-Einrichten‘ in der fremden Umwelt notwendig, um territoriale Satisfaktion wiederzugewinnen“ (Greverus 1979a: 104). Anders gesprochen: Mit seiner mobilitätsbedingten Überschreitung multidimensionaler Schwellen und nationaler Grenzen tritt der Wanderer zwischen den Kulturen aus einer bestehenden Ordnung heraus und muss sich angesichts dieser temporären Orientierungslosigkeit, der subjektiven Irritation sowie des Zusammenbrechens der die Sinnwelt in ihren kulturellen Fugen belassenden Koordinaten anderorts – wo die alltäglichen Selbstverständlichkeiten ihre Tragfähigkeit verlieren – im Sinne einer stabilisierenden Matrix – möglichst identitätsproduktiv – selbst neu generieren. In dieser expressiv-performativen Eigenleistung, d. h. öffentlichen und nach außen hin sichtbaren, mit bestimmten Ausdrucksintensität belegten rituellen Strukturen, lässt sich Ethnizität gleich eines zu entschlüsselnden Sets an emischen Signaturen, Texturen und Geheimzeichen ablesen. Ist man geneigt, diesen Formenreichtum an Erinnerungssemantiken zur Erzeugung einer atmosphärischen Stimmung zu decodieren, fällt der Blick als Erstes auf die heimlichen Protagonisten der Veranstaltung. Für die musikalische Untermalung der Feier engagierte der Ausrichter ein während des Ablaufs auf der erhobenen Bühne platziertes dreiköpfiges Ensemble, das in abwechselnder Reihenfolge mit Keyboard, Gitarre und Akkordeon größtenteils Schlager zum Besten gab, die dem Beobachter nicht nur Auskunft über die hier einmal im Jahr zusammenkommende Altersstruktur der Auswanderer erteilte, sondern die selektive Auswahl von Interpreten wie auch die gesungenen Liedinhalte dokumentieren nachdrücklich die während dieses Rituals freigesetzten Identitätskonzepte, die auf eine Klientel zugeschnitten sind, das bereits seit dreißig bis vierzig Jahren in der „Fremde“ lebt. Zum integrativen Bestandteil des Spielplans der Oom-Pah-Pah-Band gehörten Schlager der deutschen Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre wie zum Beispiel La Paloma von Hans Albers und Junge komm bald wieder sowie Heimweh von Freddy Quinn, deren figurativer bzw. metaphorischer Sprachgebrauch stets den zu See fahrenden Mann in den Mittelpunkt rückt, dem in seiner gesellschaftlichen Position als Paria, gleichwohl wie die Displaced Persons und Heimatlosen im Europa nach 1945, den Gastarbeitern, den deutschen Auswanderern in Australien, den sans papiers oder den Boatpeople, in einer gewissen Weise die gesellschaftliche Stellung des stranger bzw. marginal man zugeschrieben werden kann. Beim Song von Hans Albers ist explizit die Rede von einem nach Süden wehenden Wind, einem schmerzhaften Abschied, vom Fort- bzw. in die Fernegehen, sich auf eine weltlich gestimmte Reise begeben und von mit Hoffnung erfülltem Wiedersehen. Eine direkte Gedankenverbindung, dass der Weg der Auswanderer zum „leuchtende[n]

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 445

Kreuz des Südens“ im Pazifik in Kongruenz zu „der großen Freiheit Glück“ interpretiert werden kann, lässt sich bereits beim ersten Hinhören herstellen. Jedoch paart sich zu diesem privilegierten Gefühl der Unabhängigkeit beim Gang „in die weite Welt“ im gleichen Maße eine schmerzhafte Verlusterfahrung von Heimat, eine sowohl beim Seefahrer als auch beim Auswanderer allgegenwärtig Beklommenheit, Hemmnis und Unsicherheit hervorrufende Gemütslage. Die bei den Hörern Nostalgie erzeugende Ballade von Freddy Quinn spricht explizit von dem vagabundierenden Jungen, der als Seemann oder möglicherweise als permanenter Auswanderer sein Glück in der Ferne, d. h. in geografischer und unter Umständen auch kognitiver Distanz zum Ort seiner Herkunft und soziokulturellen Integration, verbringt und – wie es im zweiten Lied von Quinn heißt – „fern, so fern dem Heimatland“ „kein Heim“ besitzt. Eine zeitliche Kontrastierung innerhalb der Schlager zwischen der „heilen Vergangenheit“, in der die identitäre Zugehörigkeit und gesellschaftliche Einbettung anhand strukturvermittelnder Ordnungskategorien sichergestellt wurde, und einer von (Integrations-)Problemen charakterisierten Gegenwart zieht sich wie ein Kontinuum durch die hier präsentierten, verhaltensmotivierenden wie bewusstseinsbildenden Liedtexte (Menivil 2008: 316) und verfügt somit über genügend Potenzial, um die Besucher der Weihnachtsfeier des deutschaustralischen Hilfsvereins zur emotionalen wie expressiven Partizipation an diesem Erinnerungsidyll durch Mitsingen, Schunkeln und Tanzen zu animieren. Zu dieser in das Geflecht von „Entfremdungsunterstellung und Verlustdiskurs“ (Maase 1998: 58) eingewobenen ethnischen Ressource stellen die Teilnehmer nur deshalb eine affektive Emotionalität her, weil das in die Kombination von Komponist und Evergreen eingeschriebene kulturelle Mnemosystem die eigene Biografie dieser hier versammelten Auswanderer direkt anspricht. Nicht unbegründet war dem volksnahen Genre Schlager – mit seinen Komponenten Seemannsmotivik, Heimweh- bzw. Fernweh sowie dem Verzicht auf menschliche Nähe – in der Nachkriegszeit ein großer Erfolg versprochen. In den Nachwehen von Flucht, Vertreibung und Kriegsgefangenschaft befand sich das Gros der Bevölkerung in und um Deutschland auf der Suche nach einem geografischen wie gefühlsbestimmten Ort der Identifikation und schwelgte nostalgisch in den zur Vergangenheit gehörenden Landschaften der Beheimatung in Schlesien, Pommern oder anderorts (Mezger 1975: 148ff.). „Heimatlos sind viele auf der Welt, heimatlos bin leider auch ich“, sang der Prototyp des inszenierten Seefahrers und schuf damit Anknüpfungspunkte und Identifikationsofferten zu damals den Alltag zahlreicher Menschen bestimmenden, aber auch heute nach wie vor Aktualität besitzenden Problemstellungen der Globalgesellschaft, „homes away from home“ (Clifford 1997: 254) zu finden. Timo Heimerdinger hat in seiner Forschungsarbeit zur kulturellen Inszenierung des mehr auf den Weltmeeren als in den sicheren Häfen zu Lande ein Zuhause findenden Seemanns aus kulturanthropologischer Warte heraus argumentiert, dass insbesondere die Chansons von dem in Österreich geborenen Freddy Quinn metaphorische Muster wie Sehn-

446 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

sucht nach Heimat, Heimatverbundenheit, Heimweh, Fernweh, Wehmut in der stets wiederkehrenden Dialektik von Hier und Dort mit melancholischer Imprägnierung transportieren (Heimerdinger 2005: 245ff.). Dem Schlager mit seemännischem Impetus als „Tummelplatz rückschauender Sehnsuchtsphantasien“ (Malamut 1964: 68, zitiert nach Heimerdinger 2005: 250) bzw. „Seismograf kollektiver Bedürfnisse“ (ebd.) kommt im Kontext der Feierlichkeiten in Cabramatta die Funktion zu, die Gruppe der Auswanderer als Wir-Gruppe zusammenzuschweißen, bekannte historische Erinnerungsbilder freizulegen und gemeinsam durchlaufene Erfahrungsräume zum wiederholten Male zu erschließen, denn sowohl den romantisch-exotisch besungenen Seemann wie auch den Auswanderer begleitet graduell die gleiche Vorsehung. Eine hochgradig emotionalisierte Identifikation und die Vergemeinschaftung der hier versammelten Schicksalsgemeinschaft schafft Authentizität, verweist auf das im Kollektiv durchlebte, mit Anomie, Rückschlägen, Ernüchterung, Entfremdungen, aber auch positiv besetzten Erfolgserlebnissen gespickte Fatum eines Menschenschlages, der sich vor mehreren Jahrzehnten dazu entschied, eine biografische Zäsur vorzunehmen, indem die alte Heimat gegen Formen diasporischen Lebens in der Emigration eingetauscht wurde. Beide, die von Albers und Quinn besungenen Seebären sowie die in Australien lebenden deutschen Landratten, weisen auffällige identitäre Interferenzen zum Simmel’schen Konzept des „Fremden“ sowie den Überlegungen von Park und Stonequist zum marginal man auf. Sie konstituieren sich in gewissem Sinne zwischen zwei gegensätzlichen Bestimmungen, erstens der Gelöstheit von einer bestehenden Destination und zweitens einer Stagnation an einer solchen, dies meint, ihr Habitus kommt dem potenziellen Wanderer gleich, der heute kommt und morgen geht oder übermorgen den Beschluss fasst, für immer zu bleiben. Involviert in den spannungsgeladenen Prozess der Oszillation entlang der beiden Axiome Nähe und Weite findet das ständige transformative Changieren zwischen inside und outside37 statt. Die Vergegenwärtigung dieses doch

37 Ein anschauliches Beispiel in Bezug auf die ambivalente Stellung bzw. die antagonistische kulturelle Identität europäischer Migranten in Sydney gewährt uns der 1947 im Alter von elf Jahren mit seinen Eltern aus Budapest ausgewanderte Andrew Riemer: „I have now spent three-quarters of my life in this country. My passport tells me that I am an Australian. This is the only society where I feel relatively at ease, safe and comfortable. I depend on it not merely for a livelihood and occupation, but, much more importantly, for the essential and life-sustaining structures of family and friendship. Whenever I am away from Australia, my thoughts turn towards home. Yet I cannot claim to belong here fully. There is a state of mind beyond fondness, or even love, for a country, beyond familiarity or the knowledge that you have carved out a life for yourself in these surroundings. That state of mind is indefinable. To say that it is a lack or a vacancy is an approximation approaching the truth, yet not quite touching it. Nor is it a matter of substitutions: I yearn

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 447

mit hoher Komplexität begleiteten Sachverhalts, dass die Teilnehmer dieser Ritualhandlung tatsächlich „zwischen zwei Kulturen stehen“, eine „Rollenzweideutigkeit“ sowie eine paradoxale wie ambivalente „Statusinkonsistenz“ (Bagatzky 1978: 377) aufweisen, in der „Dichotomie von Verwurzelung und Entwurzelung“ (Binder 2008: 13) „zwischen zwei Heimaten leben“ (ebd. 9), der angesichts der gekonnten und gewollten folkloristischen Kopplung von Immigrantenfeiern in der Fremde und der musikalischen Darbietung heimatmelodischer Lieder deutscher Schlagerkoryphäen unweigerlich mitschwingt, ist wohl allen beteiligten bestens bewusst. Jedoch bedarf es zu einer angestrebten Emotionalisierung bzw. Kollektivierung der WirGruppe keiner unauflösbar weitschichtigen Beschwörungsformel, vielmehr sind Uniformität, Komplexitätsreduktion und Wirklichkeitsverfremdung gefragt, um die intendierte, mittels kosmetischer Modifikation und rhetorischer Unifikation hergestellte ethnische Historizität aus der gegenwärtigen Perspektive „von prospektivischer und retrospektivischer Territoriumsbezogenheit“ (Greverus 2002: 32) zu einem sinnvollen Gesamtkonglomerat von Imaginationen zusammenzufügen (Lehmann 2007a: 274f.). Auf den vor Zeiten beschrittenen routes der Kulturtransmission gehen die roots nicht verloren, sondern erhalten ganz im Gegenteil an dem hier charakterisierten Höhepunkt im Jahresverlauf – einem Ort der Tradierung, Konservierung sowie Folklorisierung von Werten und Verhaltensstandards – eine idealisierende, romantisierende, essenzielle Ornamentierung zur heimatlichen Kulisse. Der auf die Effektdramaturgie hin konzipierte Einsatz von ausdrucksstarken symbolischen Repräsentationen wie Schwarzwälder Kirschtorte, dem Singen von Liedern in deutscher Sprache, dem Hören von vertrauten Schlagern, der Bescherung durch den Weihnachtsmann, der Omnipräsenz von Nationalflaggen und Wappen der einzelnen Bundesländer sowie die bei dieser Veranstaltung mitschwingende Aura der „Deutschtümelei“ erfüllen den Zweck der Reproduktion und Absicherung der Kontinuität der ethnischen Gemeinschaft und erlauben das kollektive Schwelgen in einer durch diese symbolischen Hilfsmittel erst evozierten Heimatlandschaft. Gerade

for Europe, but it is a Europe that no longer exists, and may never have existed. The closest I can get to a description of this condition, dilemma, perplexity, or whatever term may be put upon it, is to say that it is an existence between to worlds: one familiar, substantial, often humdrum and commonplace; the other a country of the mind, fashioned from powerful longings and fantasies. Such longings and fantasies are the product of a complicated network where experience and inheritance intersect. Perhaps I am merely describing the human condition. I have come to learn that this sense of displacement, of no belonging, even of having been uprooted, is shared by many people whose lives have not been so obviously displaced or uprooted as mine. And yet, as every migrant knows, being obliged to start again, to find that you must remake your life, brings that predicament into a sharper focus than might bet the case otherwise“ (Riemer 1992: 1ff.).

448 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

bei dieser Interaktion der kulturellen Selbstvergewisserung zwischen den Mitgliedern der „Abstammungsgemeinschaft“, bei der eine entlang von Stereotypen verlaufende Folklorisierung38 ethnokultureller bzw. als deutsch etikettierter Muster den nach außen Authentizität, Vertrautheit, Attraktivität und Evidenz ausstrahlenden Ritualkomplex arrondiert, wird deutlich, dass „Symbolisierung Objektivierung ist und deshalb Speicherung erlaubt“ (Korff 1997: 29). Bei der strategiegeleiteten Ethnifizierung und Kommodifizierung eines vermeintlich „natürlichen“ Symbolrepertoires deutscher Wesenhaftigkeit bedient sich die für die Durchführung verantwortliche Welfare Society aus einem stereotypisierten Wissensvorrat einer Auswanderergeneration, für die Deutschland aufgrund ihrer langen Abwesenheit bzw. ihrer seltenen oder auch nur singulären Charakter besitzenden Erinnerungsreisen stets eine mit romantisierten wie idealisierten Bildern gespeiste Emotionslandschaft geblieben ist, bei der gesellschaftliche Veränderungen nahezu ausgeklammert werden und die deutschen Schlager aus der unmittelbaren Nachfolgeperiode des Kriegs an diesem Termin ein abrufbares ethnisches Identitätswissen zur Verfügung stellen. Das ethnopluralistische Leben in der australischen Diaspora mit seinen alltäglichen kulturhybriden Aushandlungsprozessen, der Ambivalenz von nationaler Zugehörigkeit und Loyalität sowie den im Dazwischen von Hier und Dort generierten transversalen Bindestrich-Persönlichkeiten intensiviert das von Sehnsüchten erfüllte Begehren nach Temporalitäten wie Lokalitäten, in denen eine (vorgeblich) ethnisch codierte Kultur über die ständige Infragestellung der kulturellen Identität dominiert,

38 In der Kulturanthropologie/Volkskunde ist es vornehmlich einer durch die kritische Grundlagenforschung der 1960er Jahre initiierten Diskussion um den Begriff des „Folklorismus“ zuzuschreiben, die Wirkungszusammenhänge zwischen „Verfälschtem“ und „Authentischem“ einer Dekonstruktion unterzog. Den Terminus „Folklorismus“ führte zuerst der zur Münchner Schule gehörende Hans Moser in die fachinternen Auseinandersetzungen ein, als er eine künstlich geschaffene Volkskultur bzw. die „Volkskultur aus zweiter Hand“ erkannte. Weitere kritische Überlegungen, reflexive Innovationsschübe und Dynamisierungsbemühungen in dieser Auseinandersetzung erbrachten Hermann Bausinger und Konrad Köstlin (Moser 1962; Ders. 1964; Bausinger 1966a; Köstlin 1970). Ulrike Bodemann startete in den frühen 1980er Jahren den Versuch einer Gesamtschau der Debatte, indem sie die Genese des Folklorismus und seiner Polyfunktionalität nachzeichnete. Die Verfasserin lieferte bei dieser Unternehmung eine Definition, bei der sie für die Gesetzmäßigkeiten folkloristischer Phänomene ausführte: „1. Eine Kulturerscheinung ist im Verschwinden begriffen 2. Sie wird entgegen ihrem zu erwartenden völligen Aussterben wiederaufgenommen. 3. Dabei werden ihre Demonstrations- und Repräsentationsmerkmale verstärkt bzw. sie werden um solche Merkmale bereichert. 4. Durch die Wiederaufnahme erhält die Kulturform eine neue Funktion für die beteiligten Personenkreise“ (Bodemann 1983: 101).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 449

so dass die Weihnachtsfeier der AGWS als „nostalgische Reaktion und [als] Versuch einer [zeitweiligen, Anm. d. A.] Restauration des normalen Lebens“ (Greverus 1979b: 159) interpretiert werden kann. Das nicht ganz ohne Berechtigung unter „Senilitätsverdacht“ (Bausinger 2001: 122) gestellte Polysystem mit dem Namen „Heimat“ tritt hierbei als Homogenisierungsmedium, als „Kürzel für Orientierungssicherheit, für konstante und verlässliche Erfahrungen“ (ebd.: 130) und als ein „geistige[s] Kraftfeld“ (Bausinger 2005a: 86) zwecks der Fabrikation (Köstlin 1996: 322) einer kollektiven ethnischen Identität in Erscheinung. Ein zeitweiliges körperliches wie kognitiv-imaginatives Eintauchen und Aufgehen in dieser utopischen und durch Fiktionalisierung wie kulturnostalgischen Tendenzen aufbereiteten Wunschschimäre von der „schönen heilen Welt“ Bundesrepublik39, in der sich vorgeblich die Frage nach der territorialen und ethnischen Zugehörigkeit nicht stellt und wo der „Mensch mit sich selbst und mit seiner Umwelt übereinstimmt“ (Tauschek 2005: 71), sprich, wo in der Gemengelage von Schwarzwälder Kirschtorte, Muttersprache, Freddy Quinn, alpenländischem Baustil, Trachten, Folkloremusik und Lederhosen kulturelle Kohärenz besteht, offeriert den hieran Partizipierenden ontologische Sicherheit. Die Förderung – im Diskurs um Integration auch Neudeutsch als empowerment bezeichnet – von Belangen ethnischer Minoritäten ist seit dem wegweisenden Übergang von einem assimilatorisch-wertegemeinschaftlichen zu einem liberal-pluralistischen Integrationskonzept des australischen Multikulturalismus in den 1980er Jahren Teil der politischen Agenda, so dass eine öffentliche Anerkennung der migrantischen Eigenkulturalität – solange diese dem hegemonialen Normalitätsdiskurs der social cohesion Australiens nicht zuwiderlief – seit diesem Wendepunkt das gesellschaftspolitische Klima bestimmt. Dieser multikulturellen Politik der „cultural self-determination“ (Berking 2004: 106) wurde jedoch nicht der Weg bereitet, um – wie es meinungsbildende Journalisten sahen – ethnischem Separatismus, kulturellem Partikularismus, das Entstehen von segregiert zur Mehrheitskultur konzeptionalisierten ghettoähnlichen Stadtterritorien und ein aus diesen sozialräumlichen Polarisierungsprozessen heraus erwachsendes Gefahrenpotenzial heraufzubeschwören, sondern mehr noch ging es um die kompensatorische, entlastende und enttraumatisierende Wirkung solcher kulturellen Einrichtungen wie

39 Zu der kognitiven Projektionsfläche der von Salman Rushdie geprägten imaginary homelands reflektiert Stuart Hall: „The homeland is not waiting back there for the new ethnics to rediscover it. There is a past to be learned about, but the past is now seen, and has to be grasped as a history, as something that has to be told. It is narrated. It is grasped through memory. It is grasped through desire. It is grasped through reconstruction. It is not just a fact that has been waiting to ground our identities. What emerges from this is nothing like an uncomplicated, dehistoricized, undynamic, uncontradictory past. Nothing like that is the image which is caught in that moment of return“ (Hall 1997: 38).

450 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

des Clubhauses der Deutsch-Österreichischen Gemeinschaft, des SchwarzwaldRestaurants und der um diese feste Institution der deutschen Community in Sydney sich entfaltenden rituellen Ethnizitätsmarker. Im performativen Akt der Praktizierung ethnokultureller Andersartigkeit manifestiert sich eine gesellschaftliche, politische und ethnische Artikulations-, Positionierungs- und Verortungspraxis der Migranten, die ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der von integrationspolitischer Seite intendierten sozialen Inklusion von Minderheiten in Australien ist. 5.2.3 Der Weihnachtsbasar der evangelisch-lutherischen Kirche in Chester Hill „By 11:00am the sun came out, people arrived, the sausages and Leberkäse were cooking, the coffee and cakes were being served, the jumping castle was bouncing, Nikolaus came and left, and the music was blaring. By 3:00pm the Gnadenfrei Kirche was quiet and peaceful once again, except for a few totally exhausted people“ (Weigel 2008: 8).

Ein alljährlich von den Mitgliedern, Freunden und Förderern der deutschen evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde praktiziertes Vergesellschaftungsritual ist der Weihnachtsbasar, der am ersten Wochenende im Dezember auf dem zur Pfarrgemeinde gehörenden Grundstück in der Gurney Road 10 im Vorort Chester Hill zelebriert wird. Bereits Wochen vorher sorgen zahlreiche engagierte Helfer aus dem Kirchenvorstand für die Organisation des Festes in und um die Gnadenfrei-Kirche, bei dem am 1. Dezember 2007 zumeist mehrere hundert Personen durch ihre aktive Teilnahme zum Gelingen eines stark von als „typisch deutsch“ aufgefassten Elementen geprägten Festes beitragen, obschon australische Komponenten in dem hybriden Gesamtkomplex integriert wurden. Am Eingang des Pastorenhauses in Chester Hill, das in seiner rückwärtigen Lage einen großen Garten und die GnadenfreiKirche beheimatet, empfängt die Gäste ein in grüner Farbe gehaltener Weihnachtsbaum aus Pappmaschee, dessen Aufschrift den Nachbarn sowie allen passierenden Fußgängern gegenüber verlautbart, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit sie sich zum Basar herzlichen eingeladen fühlen dürfen. Die sich stets um minimale Nuancen verändernde Chronologie des Basars beginnt mit der Eröffnung um 10.30 Uhr und beinhaltet einen Flohmarkt mit zahlreichen Ständen, eine Tombola, den Auftritt des Nikolaus, für die kulinarische Verköstigung ein großes Salatbuffet und Speisen vom Grill, einen Weihnachtsmarkt mit vornehmlich deutschen Produkten sowie Kinderbelustigung wie Malaktivitäten und eine Hüpfburg. In der stimmungsvollen Atmosphäre eines fröhlichen Sommerfestes mit entspannten wie lockeren Kommu-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 451

nikations- und Interaktionsformen dominierte migrationsspezifisches Netzwerkverhalten. Sozialen Netzwerken kommt deshalb eine herausgehobene Bedeutung zu, weil diese einen maßgeblichen Beitrag zur Lösung migratorischer Problemstellungen leisten, kosten- sowie risikominimierend wirken und zu guter Letzt die Potenzialität einer möglichen Rückwanderung reduzieren (Brettell 2007: 6). In zahlreichen Gesprächen mit informellem Charakter äußerten sich die Protagonisten über die emotionalisierenden wie kollektivierenden Qualitätswerte des bereits zur Tradition avancierten festlichen Bezugspunktes im Jahreslauf, da hier „alte und neue Gesichter“ aufeinandertreffen, regelmäßige wie unregelmäßige Kirchgänger vertreten sind und das Fest im Allgemeinen zwar stark unter dem organisatorischen Deckmantel der religiös-konfessionell gebundenen Einrichtung steht, jedoch alle Mitglieder der deutschen Community in Sydney zur Teilnahme ermutigt und Gäste ebenfalls nicht ausschließt. Wie bei vielen anderen Veranstaltungen in Australien ist auch bei diesem Ereignis das Anliegen der Ausrichter zu erkennen, über eine durch externe Sachspenden gut aufgestellte Tombola der kircheninternen Kasse eine finanzielle Aufbesserung zukommen zu lassen.40 Niederlassungen deutscher Firmen in Sydney, zu denen über die Deutsch-Australische Industrie- und Handelskammer auf zwischenmenschlicher sowie auf geschäftlicher Ebene Kontakte und Beziehungen Bestand haben, sehen in diesem festlichen Zusammenkommen eine Plattform, durch Unterstützungen materieller Art Kundenpflege wie Abnehmerakquisition zu betreiben. Gerade angesichts der hohen Preise, die durch die Sachspenden aus der Menge der Gemeindemitglieder komplettiert werden und zu einer heterogenen Prämienvielzahl zusammenwachsen (insgesamt stehen 3.000 Lose zum Verkauf), generiert die Tombola ihre hohe Attraktivität. Beim Kauf der Lose geht es jedoch nur nebensächlich um größtmöglichen Eigennutzens: vielmehr steht die bereitwillige finanzielle Unterstützung der kirchlichen Ambitionen im Vordergrund. Unbeschwerte wie aufgelockerte Verhaltensmuster durchzogen nicht nur fast alle Ebenen der zwischenmenschlichen Kommunikation deutscher Auswanderer, sondern realisierten sich des Weiteren in dem geschäftlichen Treiben abseits der Hauptkulisse, das Erinnerungen an einen Jahrmarkt in Deutschland und an einen australischen garage sale beim Beobachter hervorrief. Deutschen Unternehmern, kleineren bis mittelständischen Firmen und Geschäftsbetrieben wie Metzgereien, Bäckereien, Konditoreien, Kunsthandwerkbetrieben und nichtgewerblich vernetzten Privatpersonen wird hier ein Forum offeriert, um Kunden für sich zu werben und neue wie ge-

40 Bei den Ausführungen des Schatzmeisters während der Jahreshauptversammlung der evangelisch-lutherischen Kirche am 13. April 2008 in der Martin-Luther-Kirche wurde deutlich, dass gerade solche Spendengelder generierenden Veranstaltungen neben der Sammlung der Kollekte während der Gottesdienste, Mitgliederbeiträgen und Erbschaften stets einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf die Größe des Jahresbudgets haben.

452 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

brauchte Produkte aus „deutscher Wert- und Handarbeit“ anzupreisen. Hierfür wurden auf der an das Kirchengebäude angrenzenden Grünfläche von Privatpersonen mehrere Verkaufsstände unter grünen Pavillons errichtet, deren Auslagen gebrauchte Haushaltsgegenstände, unterschiedliche Stoffwaren, handwerklich gestaltete Schmuckketten aus Natursteinen, Kerzenständer mit roten Wachskerzen, Adventsgestecke, Weihnachtspostkarten mit europäischen bzw. alpinen Erinnerungslandschaften und Erzeugnisse aus dem Töpferhandwerk schmückten. Im Kirchengebäude selbst beschränkte sich der Verkauf auf Nahrungsmittel sowie zum Weihnachtsambiente passende Produkte wie Marzipan, Spekulatius, Christstollen, Kaffee der Marke Eduscho, Dominosteine, selbst gebackene Zimtsterne, Käsekuchenhilfe von Dr. Oetker, Marmelade, zahlreiche Sorten von Vollkornbroten, geräucherten Schinken, Nürnberger Bratwürste und andere Wurstwaren, denen allesamt insofern ein exklusiver, exotischer sowie nostalgischer Charakter zukommt, als dass alle diese Waren über den normalen Lebensmittelverkauf in Australien nicht bzw. nur sehr schwer sowie zudem auch sehr kostenintensiv zu beziehen sind und daher entweder Produkte ethnischer Selbstfabrikation sind oder aus Deutschland importiert wurden.41 Weihnachtskugeln, Engel, aufwendig verzierte Kerzen, geschnitzte Utensilien für die Weihnachtskrippe und effektvolle Gebrauchsgegenstände aus Keramik vervollständigten das Angebot. Allen diesen Angeboten ist gemein, dass sie über ihren Geruch, ihren Geschmack und ihre Form die emotionale Erinnerung an die ethnische Heimat kanalisieren und kulturelle Erinnerungs- wie Identifikationsarbeit effizieren. Dass die hier zahlreich aus allen sozialen Schichten und Alters- wie Auswanderungsgruppen vertretenen Protagonisten ihr migrantisches Dasein aus kulinarischem Blickwinkel betrachtet nach den „überlieferten Ordnungen“ (Brückner 1998) ausrichten, zeigt sich bei der Inszenierungsebene der Essensausgabe.

41 Im Interview mit dem Herausgeber des deutschsprachigen Publikationsorgans Die Woche in Australien, Ludger Heidershoff, konnte eruiert werden, dass die zumeist in den frühen Jahren der deutschen Nachkriegsauswanderung von vielen Deutschen gelesene Zeitung – damals noch unter der Leitung von John Jacobi – oft Annoncen beinhaltete, die auf ethnic entrepreneurship hinwiesen. Privatpersonen importierten aus Deutschland von der Migrantengemeinde in Australien besonders nachgefragte Produkte und entwickelten aufgrund des hohen Kaufinteresses eine Art landesweiten Versandhandel, der zumeist über deutsche Nahrungsmittel heimatliche Gerüche wie Geschmäcker in die Wohnstuben der in den 1950er und 1960er Jahre nach Australien übergesiedelten Deutschen transportierte. Im Zuge des zunehmenden globalen Fracht-, Transport- und Flugverkehrs, der permanenten Zirkulation von Waren und Gütern sowie in Zeiten der internetbasierten Kauf- und Bestellplattformen, in denen emotionale Bedürfnisse befriedigende Gegenstände und Produkte nur einen Mausklick entfernt sind, nehmen derartige Offerten gegenwärtig jedoch nur noch eine Nischenstellung ein.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 453

Bratwurstspezialitäten von Rudi’s German Butchery aus Kirrawee werden auf einem großen Barbecue-Grill zubereitet, eine Vielzahl von selbst gemachten Salaten und Brotvariationen wird von fleißigen Helferinnen serviert, an der Getränkeausgabe, einem der zentralsten kommunikativen Knotenpunkte dieser ritualisierten Veranstaltung, gehört es u. a. zu den Aufgaben des feldforschenden Gastes aus Deutschland, Bier aus Bayern sowie zahlreiche andere nichtalkoholische Getränke darzureichen, was zahlreiche informationsgenerierende Gespräche nach sich zog und im großen Maße dazu beitrug, das Forschungsvorhaben publik zu machen. Qua Tradition begründet, so der Tenor vieler Gäste, darf auch die reich gedeckte Kaffeetafel am Nachmittag nicht ausbleiben, zu der zahlreiche Damen Bienenstich, Käsekuchen, Schwarzwälder Kirschtorte, Frankfurter Kranz, Donauwelle und verschiedene Früchtekuchen spendeten. Der ins traditionell rot-weiße Kostüm gehüllte Nikolaus sprach in einer kurzen Rede über Mikrofon zu der versammelten Festgemeinde und fungiert im weiteren Verlauf seines zeitlich determinierten Auftrittes als Belustigungs- und Pädagogisierungsinstanz für die Schar der hier beteiligten Kinder, die von ihm neben den obligatorischen verhaltensdomestizierenden Worten kleine Präsente aus dem Gabensack überreicht bekammen. Gesonderte Aufmerksamkeit schenkten die Migranten den Ständen, an denen in deutscher Sprache verfasster Lesestoff angeboten wurde. Da deutsche Literatur und Belletristik in der australischen Gesellschaft eher als singuläres Gut zu betrachten ist, deshalb häufig als liebgewonnenes Mitbringsel des Besuchs aus Deutschland gehandelt wird und sonst durch horrende Portogebühren bei internetbasierten Verkaufsportalen erstanden werden kann, um danach um die halbe Erdkugel transportiert zu werden, jedoch das Verlangen nach Lesestoff in deutscher Sprache groß ist, initiierten die Organisatoren des Basars vor Zeiten einen Bücherflohmarkt. Die Bücher von Frisch, Handke, Dürrenmatt, Hochhuth, Mann, Traven, Hesse, Fontane, Hauptmann, Raabe, May, George, Böll und vielen anderen entstammen allesamt aus Bibliotheksauflösungen in Australien sowie privaten Schenkungen und finden beim alljährlichen Weihnachtsbasar einen neuen Besitzer. Eine Affinität deutscher Auswanderer zu diesem durch die spezifische Ethnizitätskennzeichnung der Sprache determinierten Kulturgut aus dem deutschen Sprachraum konnte an der starken Frequentierung der Buchstände deutlich abgelesen werden. Insbesondere Kinderbücher, die als hilfestellendes Medium neben Gesellschaftsspielen, Hörspielkassetten, CDs und DVDs für die bilinguale Erziehung von deutschen Eltern bzw. Elternteilen Verwendung finden, besitzen neben ihrer pädagogisch-didaktischen Funktion, so die interessierten Eltern, eine weitere Gewichtungsebene, da sie durch den ihrer Konzeption innewohnenden Werte- und Bedeutungsgehalt einen Ausschnitt von deutscher Kultur repräsentieren. Als ein zur Steigerung des individuellen Selbstwertes sowie der Bekräftigung der eigenen Kontinuität beitragendes Verewigungsmedium ermöglichen die auf dem Basar kostengünstig feilgebotenen Bücher den Auswanderern die Kommunikation bzw. einen dialogistischen Austausch in der deutschen Mutterspra-

454 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

che, garantieren ethnische Langzeitstabilität, minderten bzw. kompensierten die persönlich erfahrene Erkenntnis der Entbehrung und trugen maßgeblich dazu bei, entlang vertrauter Signifikanten die Reaktivierung wie Synchronisierung des kulturellen Wissens voranzutreiben. Das engmaschig geflochtene intertextuelle Gewebe von den in die Bücher der deutschen „Kulturgemeinschaft“ eingeflossenen Kompositionen ethnokultureller Traditionen, welche die migrantische Nahwelt durch die Lektüre codieren, gewährleistet das transformative Kontinuum des Wanderers. Zum Kompensierungspotenzial von Buchstaben und schriftlichen Zeichenformeln äußerte sich der Philosoph Hans-Georg Gadamer in seinem Hauptwerk wie folgt: „Keine sonstige Überlieferung, die aus der Vergangenheit auf uns kommt, ist dem gleich. Die Überreste vergangenen Lebens, Reste von Bauten, Werkzeuge, der Inhalt der Gräber sind verwittert durch die Stürme der Zeit, die über sie hinweggebraust sind. Schriftliche Überlieferung dagegen, sowie sie entziffert und gelesen ist, ist so sehr reiner Geist, daß sie wie gegenwärtig zu uns spricht“ (Gadamer 1990: 169).

Um einen Ausgleich zu den Auswirkungen der durch die Wanderungsbewegung, die im Gadamer’schen Sinne durchaus als „die Stürme der Zeit“ aufgefasst werden können, in Frage gestellten identitären Rollenkonzeptionen des Migranten zu bewirken, sieht man in der Lektüre deutscher Bücher eine Chance zur produktiven Neukonstruktion von Sinnwelten, zur Fundierung der ethnischen Identität in der überseeischen Diaspora, zur Konsolidierung des Lebens am neuen Beheimatungsort Sydney und zur Motivierung des Handelns. Kurz formuliert: Ethnische und in der eigenen Kultursprache verfasste Literatur konfiguriert kulturelle Kontingenz entlang der multilokalen Achsen von Raum und Zeit, verbindet damit die Örtlichkeiten zu einer höchst dynamischen und hybriden Matrix, in der die historischen literarisch-fiktionalen Überlieferungsspuren sinnerzeugend integriert werden. Um zu einem tieferen Verständnis dieses ritualisierten Gesamtkomplexes des Weihnachtsbasars vorzudringen, muss an dieser Stelle deutlich gemacht werden, dass ein Großteil der hieran Beteiligten bereits deutlich über dreißig Jahre in Australien einen geografischen, soziokulturellen wie auch emotionalen Ort der Lebensführung gefunden hat und daher Sydney nicht als Provisorium taxiert, sondern hier ein spezifisches, wenn auch hybrid-transkulturelles Bewusstsein der Dazugehörigkeit ausgebildet hat. Eine quantitativ nicht fassbare Anzahl der Teilnehmer erspäht sogar beim Blick auf den eigenen Pass, der im diffusen Zeitalter transnationaler Verflechtungen vorgibt, über verbindliche nationale Zugehörigkeit, Loyalität, Souveränitätsansprüche und Gouvernementalität Auskunft zu geben, die immer noch manchen Deutschen exotisch vorkommenden australischen Wappentiere. Als mediatisierende Instanz besitzt der Gerüstkomplex des Basars die Aufgabe, zwischen den Welten Kongruenz und Kohärenz herzustellen, auch wenn dies nur durch die performative Konstruktionsleistung der folkloristischen Inszenierung und Utopisie-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 455

rung von vorgeblich „ethnischen Wesenszügen“ erreicht werden kann. Ein sich über mehrere Jahrzehnte erstreckender Selektionsprozess der Re-Ethnisierung, in dem erinnerungs-, repetitions-, kulturalisierungs-, imagenisierungs- und mythologisierungswürdige Versatzstücke erprobt, wieder verworfen, neu aufgegriffen und letztendlich zu einem etablierten und von der diasporischen Gemeinde akzeptierten wie praktizierten Kanon systematisiert wurden, ist Grundstein für die Verortung der migrantischen Identität in der Diaspora. In den einleitenden Worten zu der von ihr herausgegebenen Aufsatzsammlung nähert sich die US-amerikanische Wissenschaftlerin Angelika Bammer aus genuin kulturwissenschaftlicher Perspektive dem Phänomen des displacement (Bammer 1994: xii) insofern an, als dass sie von einer kulturellen wie physischen „Dis-Lokation“, hier verstanden in Freud’scher Denkart als (Orts-)Verschiebung, ausgeht, die wiederum die Notwendigkeit einer Rekonfiguration der bewegten „Dis-Positionen“ herbeiführt. Im Grundtenor der Veranstaltung lässt sich daher deutlich eine Zentriertheit auf soziale Grammatiken bzw. als ethnisch kategorisierte Repräsentationen erkennen, die auf der leicht folkloristisch anmutenden Schaubühne intentional zur Geltung gebracht werden. Wolfgang Kaschuba sieht in diesem für Bewohner der Diaspora symptomatischen Prozess zur produktiven Schaffung eines unverwechselbaren Wiedererkennungswertes die „Selbstinszenierung eines authentischen ,Wir‘, dem eine eigene kulturelle und historische Imprägnierung oft dadurch verliehen wird, daß eine Kontinuität des Minderheiten- und Opferstatus bis in die Geschichte zurück behauptet wird – eine Identität und Kontinuität freilich, die oft erst hier, am Zielort der Migration, ihre soziale Wirkungs- und Bindekraft entfaltet“ (Kaschuba 2002: 116).

An diesem ausgewählten, Ritualcharakter besitzenden Fixpunkt im Jahresverlauf begeben sich die Auswanderer im metaphorischen Sinne auf die Spurensuche nach den (in gewisser Weise retuschierten und somit auch selbst erzeugten) roots, vergewissern sich in direkter Weise der deutschen Seite ihres bipolaren Identitätsstatus und befriedigen die mit unterschiedlicher Intensität vorhandenen, in den individuellen Erinnerungsdepots eingelagerten homing desires. In Bezug auf das eben Gesagte sind es gerade die inkorporierten wie im kulturellen Aushandlungsdiskurs hergestellten Handlungsrahmungen, die von Mary John als ventriloquale Phantasien (John 1996) operationalisiert werden und die sich durch Erinnerungen, Erfahrungen sowie Narrationen von der Herkunftskultur in der deutschen Community herauskristallisieren. Elemente mit exotischem Nostalgiewert wie deutsche Wurstwaren, selbst hergestellte Marmelade und Plätzchen, Christstollen, emotionale Erinnerung kanalisierender und handlungsleitender Weihnachtschmuck, deutsche Bücher und vertraute Kommunikation avancieren innerhalb dieser zeitlich begrenzten, räumlich fixierten sowie rituell normierten „soziokulturellen Enklave“ zu unumstößlichen ethnischen Referenzkategorien. Dabei wird eine vermeintlich authentische Wirk-

456 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

lichkeit aus der Imagination heraus zielgerichtet reproduziert42, in der sich das Kollektiv von Immigranten einerseits selbst verortet, an der es aber andererseits nicht mehr partizipiert, d. h., die Migranten leben also in der Erinnerung an eine Territorialität, zu der sie in zeitlicher als auch räumlicher Distanz stehen, jedoch nach deren phantasmagorischen Leitlinien sie ihren Alltag bzw. Festtag strukturieren. 5.2.4 Kälte, Glühwein und Weihnachtstimmung: Christmas in July in den Blue Mountains Ein herausgehobenes Exempel für die hybride Vermischung sowie den Schöpfungskomplex – durchaus verstanden im Sinne der Hobsbawm’schen invention of tradition – von habitualisierten Praktiken ist das nach der meteorologischen Wintersonnenwende in der südlichen Hemisphäre stattfindende Ritual Christmas in July, auch Yulefest43 genannt, das in den unweit von Sydney gelegenen Blue Mountains

42 Appadurai formuliert hierzu: „More consequential for our purposes is that the imagination has now acquired a singular new power in social life. The imagination – expressed in dreams, songs, fantasies, myths and stories – has always been part of the repertoire, in some culturally organized way, of every society. But there is a peculiar new force to the imagination of social life today. More persons on more parts of the world consider a wider set of ,possible‘ lives than they ever did before. […] Until recently, whatever the force of social change, a case could be made that social life was largely inertial, that traditions provided a relatively finite set of ,possible‘ lives, and that fantasy and imagination were residual practices, confined to special persons and domains, restricted to special moments or places. In general, they were antidotes to the finitude of social experience. […] Fantasy is now a social practice; it enters, in a host of ways, into the fabrication of social lives for many people in many societies“ (Appadurai 2005: 50f.). 43 Die Begehung des Yulefest im australischen Winter gehört bei der Australian-German Welfare Society zu den herausstechenden Zusammenkünften der Mitglieder. Auch wenn intern die Zelebrierung eines an Weihnachten erinnernden Rituals abseits des 24. Dezember, der Geburt Jesus, zwiespältig und kontrovers diskutiert wird, so fand sich im Juli 2008 eine kleine Gruppe von deutschen Auswanderern im Haus der AGWS in Strathfield zusammen. An festlich gedeckten Tischen mit Kerzenbeleuchtung wurde zunächst unter den begleitenden „Klängen bekannter Schlager“ ein Kaffeeklatsch abgehalten, die zwischenmenschliche Kommunikation wurde bestimmt von der wechselseitigen Präsentation einiger Geschichten und Witze. Für das darauffolgende Abendessen hatten die Partizipierenden Salate und Brötchen vorbereitet, die mit verzehrfertig gekauften Grillhähnchen serviert wurden. Als eine „feierliche Stille“ Raum ergriff, bildete die Verköstigung von „Schwarzwälder Kirschschnitten“ den krönenden Höhepunkt der Veranstaltung (The Welfarer 2007: S. 6).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 457

von zahlreichen Mitgliedern der Untersuchungsgruppe in kalten Wintermonaten begangen wird. Da sich der Winter in der Südhalbkugel in den Monaten Juni, Juli und August abspielt, wird das „traditionelle“ wie auch von religiösen Handlungsmotiven geleitete Weihnachtsfest im Dezember, wie wir bereits gesehen haben, im australischen Sommer bei 35 Grad Celsius mit Sonnenbrand und Badebekleidung zelebriert. Die ein kulturelles Bedürfnis befriedigende Sehnsucht vieler Migranten aus Europa, Nordamerika und Kanada nach einem klimatisch wie atmosphärisch altbekannten Weihnachtsfest nahm solch eine Intensität an, dass es nur eine Frage der Zeit schien, bis ein neues hybrides Kulturphänomen kreiert wurde. Schenkt man der aus Migrantennarrationen hervorgehenden Genese und Genealogie von Christmas in July Glauben, so entstand der im winterlichen Gebirgspanorama inszenierte Kulturzug in den späten 1980er Jahren, als eine Gruppe von europäischen Migranten ihren Winterurlaub in einem Skihotel in den Blue Mountains verbrachte. Die winterlich-kalte Atmosphäre ließ bei ihnen Erinnerungen an die „überlieferten Ordnungen“ aus der alten Heimat aufkeimen, so dass sie den Manager der Herberge fragten, ob er nicht kurzfristig einen für das europäische Verständnis von Weihnachten typischen Speiseplan erstellen könne. Der Direktor kam der Bitte seiner Gäste umgehend nach. Fasziniert und begeistert von diesem in Australien doch sehr seltenen Ereignis, dessen Formensprache eine „exklusive Zugehörigkeit“ sowie einen „kulturell-ästhetischen Synkretismus“ (Gebhardt 2000: 19f.) aufweist, kehrten die Auswanderer auch im darauffolgenden Jahr in das sporadisch von Schnee gekrönte Massiv zurück und verbreiteten in der Zwischenzeit die frohe Botschaft von der „weißen Weihnacht“ auf dem Fünften Kontinent. Es dauerte nicht lange, bis weitere touristisch ausgerichtete Hotelkomplexe in Ortschaften wie Katoomba, Leura sowie Blackheath ihre Angebote auf diese bisher noch nicht da gewesene Nachfrage nach dem melancholischen Bedürfnis bezüglich Erhalt und Erinnerungskultur ausrichteten und somit dieser kulturellen Errungenschaft einen deutlich kommerzialisierten Stempel aufdrückten. Aus dem Movens einer Affinität zur Strukturierung und Ordnung von Lebens- und Jahreszeit entlang bekannter Chronologie- und Handlungsmuster der nördlichen Hemisphäre gliederte die deutsche Interessengemeinschaft Yogis im Jahr 2008 Christmas in July in ihr nach unterschiedlichen zwischenmenschlichen Aktivitäten ausgerichtetes Kulturprogramm ein. Aus dem zur Partizipation animierenden Einladungsschreiben mit dem Titel „Weihnachten im Juli. Christmas in July – Yulefest“ lassen sich bereits die ersten Deutungshorizonte wie Melancholie, Kulturnostalgie, Idealisierung der Vergangenheit und Folklorismus entnehmen, wenn man den als Frage formulierten funktionalen Sinngehalt dieser von den Organisatoren initiierten Veranstaltung zu entschlüsseln sucht: „Warum nicht im Winter ein bisschen heimatliche Adventsgefuehle aufkommen lassen?“ Das als zweitägiger Wochenendausflug am 19. Juli in das Jenola Caves House in den Blue Mountains arrangierte, mit ethnischen Verfügungspotenzialen aufgeladene Ritual verspricht neben den winterlich-kalten Klimaverhältnissen von circa plus 5

458 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Grad Celsius ferner ein dreigängiges „Weihnachtliches Abendessen“, Live-Entertainment, eine „abenteuerliche Tour durch die Tropfsteinhoehle“ sowie bushwalking im 470 Millionen Jahre alten, urzeitlich anmutenden Nationalpark. Die via PKW oder Zug realisierte räumliche Transgression von Sydney zur unweit entfernten geomorphologischen Verwerfung, aber auch das physische Ankommen in den Übergangsräumen (Nadig 2000: 41f.), das Überstreifen einer über das Jahr fast kaum verwendeten dicken Daunenjacke, das Verspüren des kalten Windes und die Seltenheitswert besitzende Konfrontation mit Schnee charakterisierten zahlreiche Migranten als liminal-transitorischen Übergang in die klimatischen, aber auch kulturellen Gefilde der nördlichen Hemisphäre, auch wenn stets ein sublatenter Vergegenwärtigungsprozess im Gange ist, der vor Augen führt, dass erst Juli ist. Im Sinne Victor Turners „durchschreitet das Subjekt einen kulturellen Bereich, der wenig oder keine Merkmale des vergangenen oder künftigen Zustands aufweist“ (Turner 2006: 251). Im integrativen Zentrum des migrantischen Handlungsrahmens des zyklisch wiederkehrenden Phänomens Christmas in July dominiert eine von Gefühlsbetontheit, Emotionalisierung, Kollektivierung sowie Progression von sinnlicher Wahrnehmung durchzogene Abendveranstaltung. Niedrige Außentemperaturen, Dunkelheit, ein zeitweiliges Schneegestöber sowie eine eher ländlich bis beschaulich wirkende Region mit dichtem Waldbestand bilden die pittoresk-idyllische und authentische Wirkkraft verleihende Kulisse, vor der die tradierten Kulturelemente aus dem australischen wie deutschen Erbe in diesen synkretistischen Untersuchungsgegenstand verschmelzen. Die verschiedenen herbergsähnlichen Ausrichtungsstätten sowie gastronomischen Betriebe in Katoomba, Leura sowie Blackheath, die zusehends als regenerative, kompensatorische und lebensweltliche Refugien zu der Schnelllebigkeit, Rastlosigkeit und dem Verkehrschaos der 80 Kilometer entfernten Millionenmetropole verstanden werden, geben hierbei eine vordefinierte Programmabfolge dieser abendlichen Praxen vor, die sich angesichts der touristischen Vermarktungsfähigkeit dieser über drei Monate angebotenen Veranstaltung aus funktionalen wie auch rein gewerblich-gewinnorientierten Gründen in den letzten Jahren herausdestilliert haben. Individuelle Ausprägungen und gewollte Abweichungen von der mehr oder weniger verbindlichen Handlungsabfolge tragen nicht nur zur Komplettierung des Gesamtganzen bei, sondern unterstützen meine Argumentationsrichtung an dieser Stelle von einem auf Invention basierenden kulturellen Hybriden zu sprechen. Im hohen Maße affektive wie emotionsgeladene Bestandteile wie das Inhalieren frisch-kühler Bergluft, das Auftragen von mehrschichtiger Kleidung, das Trinken einer heißen Schokolade oder von selbst gemachtem Glühwein bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt machen es möglich, temporär in eine heimatliche Gefühls- und Wahrnehmungswelt einzutauchen, die dem äußerlichen Panorama des Weihnachtsfestes in Deutschland sehr nahekommt.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 459

„Manche Leute machen hier auch dieses Christmas in July. Ich habe mit denen auch gesprochen und für die ist Weihnachten dieses Essen, diese Geschmäcker und dieses Gerüche, und Braten und so.“44 „Da ist ein Buchladen gegenüber vom Queen Victoria Building und die haben eine große Auswahl von deutschen, italienischen und französischen Büchern. Dann bin ich da mal hingegangen und die haben auch eine ganz tolle Sektion für Kinderbücher in Deutsch, was gut ist. Da habe ich doch tatsächlich ein kleines Weihnachtskochbuch gefunden mit den ganzen Rezepten, Glühwein, ich koche den von Grund auf selber. Einfach mit Rotwein und den Gewürzen, aber kaufen kannst du ihn noch nicht, ich habe ihn noch nicht in der Flasche gesehen, wie du das aus Deutschland kennst. Wir waren jetzt auch mit meiner Schwiegermutter in den Blue Mountains und wir hatten so um den Gefrierpunkt, es war so richtig schön kalt und dann habe ich schön einen Glühwein gekocht mit Mandeln und Rosinen drin. Da haben wir draußen gestanden und haben unseren Glühwein getrunken, endlich können wir es mal ein bisschen kalt haben. […] Oooh, dann erinnerst du dich noch an den Weihnachtsmarkt und dann der Schnee. Ja, Schnee, das ist auch etwas, was ich hier vermisse. In den Blue Mountains gibt es aber Schnee, aber wir hatten es zu der Zeit gerade verpasst, aber die Woche vorher hat es ein bisschen geschneit.“45

Zur befriedigenden Äquilibrierung der an die geografische und kulturelle Territorialität der Alten Welt geknüpften Identität rekurrieren die Beteiligten in besonderem Maße auf die reizintensiven wie stimulierenden Sinneseindrücke, die über die visuellen, olfaktorischen, gustorischen und auditiven Wahrnehmungssysteme aus dem mit weihnachtlicher Staffage verschönten Gesamtambiente absorbiert werden. Für kostbar, exklusiv, exotisch und erhaben werden die Rezepturen zur Herstellung eines stilgetreuen und ursprünglichen Kultgetränkes aus Mandeln, Rosinen, Gewürzen und Rotwein gehalten, das eine Imagination der emotional eingefärbten, beschaulichen und romantisierten Erinnerungslandschaft verstärkt. Während der Beschreibung der ritualisierten Trinksituation, bei der der unverfälschte, weihnachtsspezifische alkoholische „Seelentröster“ nur aufgrund einer unikalen Beschaffenheitskonstellation von Körperlichkeit unter freiem Himmel bzw. der klirrenden Kälte konsumiert wird, wird vermittels der adverbialen Benutzung des Worts „endlich“ einerseits eine emotionale Bezeichnung des lang ersehnten Endes einer als strapaziös empfundenen, durch subtropische Hitze gekennzeichneten Warteperiode verbalisiert, andererseits wird der entlastenden, befreienden und nicht zuletzt kathartischen Wirkung dieser Handlungssequenz ein herausgehobener Ausdruck verliehen. Der langgezogene, sinnliche Gefühlsakzeleration widerspiegelnde und retrospektive Er-

44 Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007. 45 Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008.

460 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

innerungsarbeit initiierende Ausruf „Oooh“ dokumentiert die Hochschätzung und programmatische Überhöhung der materiellen und symbolischen Effekte wie zum Beispiel der körperlichen Empfindsamkeiten, der vertrauten Geruchs- und Geschmackskulturen und der Vergesellschaftungsmuster aus der ethnokulturellen Vergangenheit, auf die man sich rückbesinnt und mittels derer die Auswanderer eine Renaissance bzw. ein Revival des tief in der kulturellen Identität sedimentierten bzw. schlummernden Gefühlserlebnisses in Gang setzen, die bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich in der von der Natur bestimmten Kulturlandschaft der nördlichen Erdhälfte zu einer sinnsynergetischen Ritualkonstruktion zusammengefügt werden konnten. Aus der Kombination von Jahreszeit und der Konsumierung bestimmter Heißgetränke lässt sich heimatliche Gemütlichkeit bzw. der damit verbundene, zum Teil auch innerhäusliche atmosphärische Gemütszustand erst entwickeln.46 Dem mit bedauerndem Wehklagen formulierten Vermissen des heterogenen Gesamtkomplexes eines atmosphärischen Stimmungsensembles wird der konstruktivistischen Restauration Christmas in July mit seinem gekünstelten, ja gebastelten Re-Arrangements zeichensymbolischer Ordnungen ein kompensatorischer wie therapeutischer Gegenpol installiert. Während des nach historischen Dimensionen synchronisierten, nach einer gewissen Dramaturgie inszenierten und nach hochstilisierten artifiziellen Gesetzmäßigkeiten komponierten Rituals im Bergpanorama – was ebenso in den Snowy Mountains sowie den Victorian Alps als kultureller Kulminationspunkt jährlich zahlreiche europäische Immigranten anzieht – reaktivieren Komponenten wie das Singen von Weihnachtsliedern bei Kerzenschein, die Zubereitung bzw. das Verspeisen eines gefüllten Truthahnes oder eines englischen roast mit Preiselbeersoße, dem Sitzen am offenen Kaminfeuer mit einer Tasse Glühwein in der Hand sinnlich internalisierte Erfahrungen und emotionale Dispositionen bei den Migranten aus Deutschland. Das im Kollektiv eingenommene, festlich ausgeschmückte Essen, in dessen Mittelpunkt im Gegensatz zu den „richtigen“ Weihnachtstagen im Monat Dezember durchaus kalorienstarke und fetthaltige Lebensmittel stehen, konstituiert den interaktiven sozialen Kristallisationspunkt, in dem spezifische, den winterlichen Kontext diktierende Handlungsmuster verhandelt werden und über den eine weitere Tradierung vonstattengeht (Hirschfelder 2001: 19; Wiegelmann 1986: 29). Jene Suggestivkraft generiert Selbstvertrauen und manifestiert identitäre Kohärenz mit einer ethnischen, regionalen, nationalen und sogar

46 „Wissen sie, wir hatten ja hier eine unheimliche Dürreperiode für fünf Jahre, da war es wirklich so, dass hier fast an jedem Tag die Sonne schien und plötzlich habe ich gedacht, es wäre mal schön, so ein verregnetes Wochenende zu haben. Der Regen trommelt aufs Dach und auf die Fensterscheiben und du sitzt drinnen und trinkst Kakao mit Rum und guckst dir irgendeinen alten Fernsehfilm an.“ Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 461

hemisphärischen Schicksalsgemeinschaft, die versucht, mittels der Praktizierung einer solchen, für physische wie psychische Entlastung sorgenden kreativen Neokultur in der Fremde ihre Existenz zu sichern. Die Fremde wird somit durch selektive Modellierung und performative Invention zum Eigenen, so dass die Emergenz von subjektivem Wohlbefinden, einem nicht zu unterschätzenden Faktor beim multivalenten Prozess der Integration, ein essenzieller Wesenszug dieser Bestrebungen ist. Bei dieser in der australischen Diaspora zum Vorschein kommenden, ortsgebundenen rituellen Interaktionsdynamik, in der Träumerei, Einbildungskraft, Kognition und Emotion als korrelative Vektoren die weihnachtsspezifische Kontextualität maßgeblich definieren, realisiert sich eine Ausdifferenzierung von Heimweh „als Energie zur Bewältigung der den Einzelnen umgebenen Problemlagen und bietet somit die Möglichkeit der Heimkehr, in neue gesellschaftliche und kulturelle Herausforderungen, in einem fremden Raum und zu sich selbst, in der stets neu zu erfindenden und zu erreichenden Homöostase“ (Schmidt 2002: 48). Hugo Wiegemeyer besitzt als Winterfrischler in den Blue Mountains ein eigenes Zweitdomizil, das er in der kalten Jahreszeit dazu nutzt, mit Freunden und Bekannten die transkulturelle Neuerfindung zu feiern. „Es gibt hier witzigerweise eine Einrichtung, ich weiß nicht, ob sie das gehört haben, das nennt sich Christmas in July. Da fahren die Leute also im Juli, da fahren die in die Blue Mountains, weil es da relativ kalt ist. Ich habe oben in meinem Haus [in den Blue Mountains, Anm. d. A.] nachts bis zu minus 6 Grad. Es wird da auch früher dunkel, es ist kalt und die Häuser haben ja alle Kamine und heizen damit. Und da essen die dann, die Engländer natürlich ihren Truthahn und so weiter und sofort. Und da machen manche auch einen Weihnachtsbaum und spielen Weihnachtslieder. Und ich habe letztes Jahr auch ein Christmas in August gemacht, das war aber einfach so, wir haben mit ein paar Leuten eine Feuerzangenbowle gemacht. Da habe ich sogar einen Tannenbaum auf meinen Wassertank hingestellt, den haben wir geschmückt. Ich habe jede Menge Leute eingeladen und ich bin als Santa Claus gekommen und habe also den Leuten da die Leviten gelesen.“47

Auch in diesem Narrationspassus sind es vordergründig die um den bzw. unter dem Gefrierpunkt liegenden Außentemperaturen sowie die früher einsetzende Dämmerung, bei der die nächtliche Dunkelheit über die Helligkeit des Tages triumphiert, die als äußere Begleitumstände der Entstehung einer weihnachtliche Aura im Juli den Weg bereiten. Das Knistern des brennenden Holzes im Wärme erzeugenden Kamin begleitet die Zubereitung des durch den gleichnamigen Film mit Heinz Rühmann im Jahr 1944 zu Bekanntheit und Popularität gekommenen alkoholischen Heißgetränkes, bei dem auf einem zangenförmigen Gestell ein mit Spirituosen ge-

47 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007.

462 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tränkter Zuckerhut über der Punschvariante, bestehend aus Zitronen- und Orangenschalen, Zimtstange, Gewürznelken, Sternanis und australischem Rotwein, abgebrannt wird. Rückschauende Erinnerungen an die eigene Schulzeit bzw. das Universitätsstudium in Deutschland – beide wichtige und prägende Instanzen der Sozialisation eines zur kulturellen Selbstverständlichkeit erhobenen Weihnachtsabbildes – werden zum Anlass genommen, Geschichten zur allgemeinen Erheiterung vorzubringen. Als identitätsstabilisierende Koordinate wirkt ferner die performatorische Imitation der schillernden und enorme Popularität besitzenden Symbolfigur der Weihnachtszeit durch den Gastgeber, die nur deshalb so euphorisierend auf die Gäste wirkte, weil der mit schauspielerischem Geschick dargebrachte Santa Claus über ein diffuses Kompendium wie dem roten Mantel mit Pelzrand, langem weißem Bart, Mütze, Rute und geschultertem Gabensack das emotionale wie kulturell normierte Vakuum48 bei den aktiv Mitwirkenden zu füllen weiß. Ganz und gar nicht tritt der Protagonist ausschließlich zu belustigenden Zwecken als Gabenüberbringer auf, da die Darbietung als Instrument der Sozialdisziplinierung in der Tradition der sich aus dem späten Mittelalter ableitenden Pädagogik der Klosterschulen steht. Folglich werden die diesem Ritual beiwohnenden Anwesenden wegen ihres tadelnswerten Verhaltens mit einem Augenzwinkern zur Rede gestellt und ihr sündenbehaftetes Verhalten wird im Stile eines öffentlichen Schauprozesses aus einem Register von Fehlverhalten examiniert und zwischen den Polen Ernsthaftigkeit und Hanswurstiade rügend wie lobend betrachtet. Christmas in July, so bleibt resümierend zu bemerken, ist einerseits ein weiterer, attraktiver und mit symbolischer Bedeutung belegter Markpunkt im jährlichen Festkalender deutscher Auswanderer, der die Zeit anhand seines zyklischen Charakters kulturspezifisch gliedert. Mit seinen Strukturelementen Weihnachtsdekoration, Schneemännern, im Wind wehenden Schneeflocken, Weihnachtsliedern, warmer Gastfreundlichkeit, selbst gebackenen Plätzchen sowie dem wahren Santa Claus trägt es andererseits maßgeblich zur Konstruktion der transkulturellen ethnischen Identität bei (Welsch 1999: 203). Die Migranten bedienen sich hier unter Zuhilfenahme des Rückgriffs auf tradierte Wissensbestände eines Rituals, das Normsysteme tradiert und sowohl individuelle als auch auf ein Kollektiv bezogene Orientierung bietet, da Christmas in July durch wiedererkennbare ethnische Repräsentationen emotionale Sicherheit spendet und durch seine enorme kommunikative Wesen-

48 Begreift man Emotionen im Sinne der theoretischen Konzepte Luhmanns, wie sie Klaus Wahl rekapituliert, als „Immunsystem des Bewußtseins“, das immer dann zum Vorschein kommt, „wenn die zu Erwartungen und Ansprüchen verdichteten Vorstellungen des Bewußtseins auf Diskrepanzen zu den Möglichkeiten der Umwelt stoßen“, wird plausibel, dass diese – auf das Leben in der Diaspora bezogen – „zur Sicherung der Selbstproduktion“ dienen (Wahl 2000: 295; Schmidt 2002: 45).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 463

haftigkeit soziale Interaktion ermöglicht. Überliefertes wird aus historischen Wurzeln extrapoliert sowie unter Hinzufügung neuer Elemente mittels schöpferischer Fähigkeiten modifiziert und den gegenwärtigen Umständen in der australischen Diaspora angepasst. An einer extra dafür ausgewählten Exklusivität und Authentizität versprechenden Lokalität, den Blue Mountains, gelingt sowohl die augenblickbezogene als auch die im Sinne der Nachhaltigkeit vollzogene Bedürfnisbefriedigung; ein außergewöhnlicher sowie stark emotional konnotierter Handlungskomplex mit gesteigerten, bisweilen rauschhaften Formen der Geselligkeit steht im Dienst, temporäre Diskontinuitäten zur Alltagsroutine bereitzustellen. Der kulturelle Grenzgänger wird zum Homo innovator und ist bestrebt, ein kultursynkretistisches Surrogat für verlorengegangene Orientierungspunkte zu finden, das als Stimulus nicht nur Anschauungen auf die Welt und den die Immigranten umgebenden Kosmos zum Ausdruck bringt, sondern als rituelles Kleinod einen Ausschnitt der ethnischen Identität deutscher Auswanderer in Sydney wiedergibt. 5.2.5 Exkurs: The Yarrawonga Tradition: deutsch-australisches Ostern am Murray River „I think it is something magical, and it is something natural, and something that is typical Australian, to be in the bush.“ „That really sort of introduced us to this wonderful land.“ „We were newcomers in 1969. Somebody took us to our first camping trip, with just German friends, because our English wasn’t good.“ „In our first years we thought this is a jungle, more or less.“49

Wie aus einer Vielzahl von Erzählungen aus der deutschen Migrantengemeinschaft in Sydney herauszuhören war, zählen die von Deutschen aus ganz Australien am

49 Als Hauptquelle dieses Exkurses und der hierin zitierten Passagen dient die von Anna Jeffries und Lacey Teh im Jahre 2008 produzierte, 26-minütige und in englischer Sprache vertonte Dokumentation mit dem Titel Frohe Ostern! (Happy Easter!), die am Karfreitag, den 10. April 2009 um 19.30 Uhr im Programm des Special Broadcasting Service ausgestrahlt wurde. An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, der in Melbourne wohnenden Produzentin Anna Jeffries, einer ausgewiesenen Kennerin im Metier des Dokumentarfilms, für ihre engagierte und äußerst konstruktive Unterstützung, für ihre Ideen und Anregungen sowie der unbürokratischen Zusendung der DVD einen besonderen Dank auszusprechen.

464 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Osterwochenende begangenen Feierlichkeiten in Yarrawonga am Ufer des Murray River zu einem die Bundesgrenzen transzendierenden Ritual, bei dem zahlreiche Auswanderer und deren Kinder und Enkelkinder von Gründonnerstag bis Ostermontag einen insgesamt viertägigen Campingaufenthalt in der Natur verbringen. Der Ursprung jenes Rituals liegt genau 40 Jahre zurück, als sich 1969 14 junge deutsche Auswanderer am Osterwochenende am Ufer des durch die Bundesstaaten New South Wales und Victoria fließenden Murray River versammelten und seit diesem Zeitpunkt die Tradition bis in die Gegenwart aufrechterhalten konnten. Das zur damaligen Zeit noch nicht zum Naturschutzgebiet erhobene Territorium um Yarrawonga, so dokumentieren die historischen Aufnahmen von den Initiatoren der Tradition, glich einer unberührten Dschungellandschaft, wenngleich diese Stelle am Rande des Flusses ihre Ursprünglichkeit aufgrund der großen Beliebtheit zahlreicher mit Campingbussen, Zelten, Wohnmobilen und Anhängern anreisenden Deutschen verloren hat. Aus rein funktionalen Gründen domestizierte ein über die Jahre stets ansteigendes Teilnehmerkollektiv die Natur insofern, als dass eine große freie Fläche im unmittelbaren Einzugsgebiet des Ufers entstand, die im Jahre 2007 genau 56 Deutsche mit ihren zahlreichen Campingutensilien unter freiem Himmel beherbergte. Als naturräumliches Setting üben in besonderer Weise die große Wasserfläche, die an das Zeltlager angrenzenden Buschgebiete, die Präsenz von großen Vogelkolonien sowie die Abgeschlossenheit eine Wirkung auf das temporäre Leben der Menschen in the bush aus, das auch – wie bereits in Kapitel 4.1 eingehend erläutert – Formen der Entbehrung, Improvisation und Naturaneignung zum Inhalt hat. Aus der vom Menschen in Gang gesetzten und mit der dem Wesenszug der Dynamik versehenden Kulturprogression der letzten vierzig Jahre entwickelten sich mehr oder minder feste und stets wiederkehrende Strukturen, die zu einer wiedererkennbaren Handlungschronologie an den vier Haupttagen des jahreszeitlichen Festes führten. Mit der motorisierten Anreise, dem Einnehmen der einer gleichbleibenden Verteilung folgenden Stellplätze, dem Aufbauen der Zelte, dem Ausrichten der Campingwagen und einer Begrüßungszeremonie zur Einstimmung auf ein mit Freunden gemeinsam durchlebtes Osterwochenende nimmt das Wochenende in Yarrawonga am Gründonnerstag seinen Anfang. Eine die Blicke auf sich lenkende Besonderheit bei der Zelt- und Caravanagglomeration sind die zahlreichen exponiert zur Repräsentation gebrachten und Herkunft anzeigenden deutschen Städtefahnen (beispielsweise Hamburg oder Osnabrück) und Nationalflaggen (wie zum Beispiel Australien und Neuseeland), die nicht nur als ein offen kommuniziertes Bekenntnis einer dual-ambivalenten Zugehörigkeit der Auswanderer gelesen werden können, sondern auch als Anzeiger einer kulturellen wie nationalen distinctiveness. Auf dieses doch recht augenscheinliche Phänomen des Flaggezeigens von den Produzenten der Dokumentation aufmerksam gemacht, verwiesen die Befragten auf ein qua Tradition, Sprache und Abstammung entstandenes, gemeinsames, an den sozialen Institutionen wie einer gemeinsam durchlebten Geschichte erprobtes Set an

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 465

kollektiven Taxierungen in Bezug auf Handlungs-, Bewertungs- und Bedeutungsmustern, sprich einer gemeinsam geteilten (National-)Kultur im Sinne der von Ruth Benedict spezifizierten patterns of culture, ohne sich dem hierbei unweigerlich immanenten Konstruktionsgehalt bewusst zu werden (Handler/Segal 1996: 842). Aus der Perspektive der hier beteiligten älteren Auswanderergeneration sind es die primordial gedachten Anknüpfungspunkte, ein vermeintliches Wissen über die eigenen Ethnizitätressourcen und kollektiven Denkhorizonte, die mittels einer kognitiven Leistung der Naturalisierung und Essenzialisierung integrierend wirken. Zwecks der Abmilderung nationaler Segregationsabsichten wird im gleichen Atemzug angeführt, dass die in den Farben Schwarz-Rot-Gold gehaltene Fahne der Bundesrepublik bisher keinen Einzug gehalten habe, da zahlreiche ältere Teilnehmer an dieser Veranstaltung vor mehreren Jahrzehnten die alte Heimat verlassen haben und Deutschland nach wie vor als Ort der Abstammung betrachten, jedoch vor Zeiten die australische Staatsbürgerschaft angenommen haben und infolge der längeren Abwesenheit realisierten, dass sie sich von den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland entfremdet hatten.50 Für die zweite und dritte Generation ist die Intensität der Zugehörigkeit bzw. die Verbindung zum Herkunftsland der Eltern bzw. Großeltern geringer ausgeprägt und bleibt daher eine unter vielen Offerten der Identitätsbildung. Die Fahnen, als kulturelle Territorialität und Loyalität manifestierende Emblematiken aus der eigenen Historie, schaffen eine identifikatorische Bindung zu dem von Anthony Smith entwickelten Konzept der ethnoscapes-landscapes, die ausstaffiert sind „with poetic ethnic meaning through the historicization of nature and the territorialization of ethnic memories“ (Smith 1999: 16) und erscheinen aus kulturwissenschaftlicher Blickrichtung als „sociopolitical constructs forged, even fabricated, by cultural engineers, who design symbols, mythologies, rituals, and histories specifically to meet modern mass needs“ (Smith 2000: 53). Da die Zeit am Tag der Ankunft in erster Linie für die organisatorisch-logistischen Tätigkeiten zwecks des Arrangierens und der Akklimatisierung im Osterdomizil verwendet wird, hält man zum abendlichen Dinner für alle Teilnehmer fertig portioniertes, in angloaustralischer Tradition stehendes Fast Food in Form von Fish and Chips bereit. Das sich über die vier Tage – Holy Thursday, Good Friday, Easter Saturday und Easter Sunday – erstreckende Biwak, dessen jeweiliger Morgenanbruch in der Dokumentation stets mit bewegten Bildern von der natürlichen Flusslandschaft, der aufgehenden Sonne, dem Zirpen von Grillen und kreischend zum Himmel emporsteigenden Vögeln aus der naheliegenden Kolonie unterlegt ist, steht ganz im Zei-

50 Das Statement eines Migranten bringt dies treffend auf den Punkt: „Because we left Germany such a long time ago, we realised that when we went for holidays we don’t really fit in there any more, because we are Australians (Lachen)”. Zitat aus der Dokumentation Frohe Ostern! Happy Easter!

466 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

chen der intergenerationalen Vergemeinschaftung, Kollektivierung und Erinnerungsstiftung. Die deutschen Migranten und ihre in Australien geborenen Kinder und Enkel bedienen sich eines heterogenen Spektrums von kulturellen Elementen aus der alten Heimat sowie den australischen Traditionsüberlieferungen, die zu einem hybriden Ganzen zusammengefügt werden. Dabei lassen sich drei analytische Ebenen bestimmen: Bei der von Deutschland nach Down Under migrierten Großelterngeneration, die als Urheber dieses jahreszeitlichen Rituals 1969 den Weg geebnet hat, steht die bewahrende Erinnerung und Inszenierung des kulturellen Gepäcks sowie dessen Tradierung an die Nachfolgegenerationen im Vordergrund. In der zweiten Generation, die Deutschland nur von touristischen Besuchen bzw. aus der stark verzerrten Mediendarstellung kennt, jedoch zumeist eine Erziehung in Australien genossen hat, die im starken Maße „deutsch“ eingefärbt war, dominiert die Ambition, beim Prozess der präadoleszenten Erziehung ihren Kindern, der dritten Generation, diese ethnischen Traditionen zu integrieren, um eine bessere familiäre Geschlossenheit bzw. Zusammengehörigkeit zu erreichen. Für die jüngsten Teilnehmer bedeutet dieses Campingwochenende mit iterativen bzw. wiedererkennbaren Abläufen der mit dem religiösen Hochfest Ostern in Verbindung stehenden Handlungen und die unmittelbare Nähe zum Wasser schließlich ein herausragendes, die Kindheit prägendes Amüsement, auf das man später mit Begeisterung zurückblickt. Augenscheinlich verbindet der Ritualisierungskomplex von Yarrawonga die aus unterschiedlichen sozialen Schichten, Altersgruppen und Abstammungsorten am Ufer des Flusses sich zusammenfindenden Menschen, und dies in besonderer Weise einerseits durch den Tradierungsprozess der Osterelemente sowie andererseits durch das gemeinsam gestaltete Essen, so dass beide Elemente einer gesonderten Aufmerksamkeit bedürfen, da diese Phänomene das ganze Wochenende determinieren sowie die zentralen Identitätsfabrikatoren in sich bündeln. Eine Mutter aus der zweiten Generation bedauert die Traditionsarmut in Australien und kleidet ihren Auftrag zur Sozialisation ihrer Kinder folgendermaßen in Worte: „A lot of psychologist say, if you look at the roots of children’s childhood, things that happen the same time, every year in the same way, it actually gives them a real good family value base. So if I look at the family value time we have at Yarrawonga to me it is process.“51

Gerade an den beiden Tagen Easter Saturday und Easter Sunday wird mit dem gemeinsamen Basteln der Osternester, dem abendlichen Anmalen der Eier, dem Suchen wie Finden der vom Osterhasen mit Schokoladensüßigkeiten gefüllten Osternester, dem Umzug mit Lampions, der Intonation deutscher Lieder und einer Art campinterner Olympiade, bei der am Sonntag Jung und Alt gemeinsam in unter-

51 Zitat aus der Dokumentation Frohe Ostern! Happy Eastern!

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 467

schiedlichen Variationen (Eierlaufen, Schwimmen, Tischtennisturnier, Frage-Quiz, Stelzenlauf, Sackhüpfen, Minigolf, Limbo, Darts, Bogenschießen usw.) in den Wettstreit treten, ein scheinbar gleichbleibendes Rahmenprogramm abgespult, das infolge eines sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden kulturellen Selektionsbzw. Destillationsverfahrens entlang ethnischer Interessen einen hohen Wiedererkennungswert besitzt und Handlungssicherheit garantiert. An den aus christlicher Sichtweise im Zentrum des liturgischen Jahres stehenden Ostertagen sind es besonders die durch Religiosität inspirierten Praxiskomponenten mit zeichenhaftem Charakter, wie dem Osterhasen als Symboltier des Festes sowie die von den Kindern ausgeübte Suche nach den Ostereiern. Ein Dualismus lässt sich auf der sakralen Tradierungsebene ausmachen. Das Osterei („flüssiges“ Fleisch), dessen Schale kontinuierlich durch neues Leben durchbrochen wird und als symbolische Repräsentation für die Auferstehung Christi gilt sowie die darin eingeschriebene Hoffnung auf die Auferstehung des Menschen repräsentiert, in Kombination mit dem Versteckund Suchspiel der vom Osterhasen bewachten, bunt bemalten Eier im Nest, dessen Gestaltung auf das im Bürgertum des 19. Jahrhunderts etablierte romantisierte Abbild einer zur Außenwelt hin abgeschlossenen Lebenswelt der Familie zurückgeführt werden kann, stellen die integralen Säulen zur Vermittlung der christlichen Botschaft dieses Rituals. Substanziell scheint jedoch neben dem religiös-christlichen Fingerabdruck, der in den hier geschilderten symbolischen Attributen latent zur Geltung kommt, vor allem der profan-säkulare Bedeutungsgrad zu sein, da das ganze Ritual mit seinen Formen der Ästhetisierung alles in allem auf ein fröhliches Familienfest hin ausgerichtet ist. Im Zuge des im Alltag anfallenden Stresses sei es doch eher eine marginale Seltenheit über das Jahr betrachtet, so die Teilnehmer, dass über mehrere Tage zeit- und kommunikationsintensiv mit den eigenen Kindern, Freunden, Bekannten und Verwandten die Gelegenheit zur Konsolidierung sozialer Beziehungen besteht. Dass der eigentliche religiöse Inhalt des Osterfestes, die Auferstehung Christi, nur noch in der peripheren Wahrnehmung vorkommt, lässt sich des Weiteren daran ablesen, dass von einem Besuch des Ostergottesdienstes gänzlich abgesehen wird. Die durch die arbeitsfreien Feiertage zur Verfügung stehende Zeit wird eher für einen funktionalen Zeitvertreib verwendet, indem säkulare, mit positiven Assoziationen und subjektiven Wohlbefinden verbundene Vergesellschaftungsformen mit Menschen verbracht werden, die ebenfalls in der Diaspora das gleiche hybride Lebensschicksal besitzen bzw. als Nachfolgegenerationen dieser deutsch-australischen Kulturkuriere aufgrund ihrer Erziehung ein deutsches attachment ihr eigenen nennen. Das allgegenwärtige Diktum der transportierenden Vermittlung sowie der Stiftung von Erinnerungen („things get past on to a newer generation“) an die Kinder und Kindeskinder der Auswanderer steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Memorieren der eigenen Erlebnisse („to see how much fun they have and remember how much fun you have had, when you were a child“) dieser Face-to-Face-Kommunikation innerhalb der familiären bzw. eth-

468 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nischen Referenzgemeinschaft.52 Das Fest als australisch-deutsche Sozialisationsinstanz etabliert das Bild von Kindheit und Erwachsensein als Ausdruck der Geborgenheit. Somit kann festgehalten werden, dass das Moment der Ritualisierung jenes Osterwochenendes am Murray River eine pädagogische Funktion bei Eltern und Großeltern besitzt, indem eine Transformation dieser mit ethnokulturellen Versatzstücken angereicherten Werte- und Handlungsmuster in das alltägliche Leben der Kinder vollzogen werden soll. Die Initiatoren bzw. Organisatoren (Großeltern/Eltern) wählen dabei aus einem bekannten „traditionellen“ und einem neuen transkulturellen Reservoire nach der Brauchbarkeit zur Übertragung der Wertevorstellungen und ihrer Verständlichkeit (ihrer kulturellen Codes) gegenüber der Zielgruppe aus. Dies steht im Funktionszusammenhang einer Befähigung Heranwachsender „zur Partizipation am sozio-kulturellen Gruppenleben“ (Forster 2002: 382). Gesellschaftliches Wissen, Überzeugungen und Werte sowie ritualimmanente Kenntnisse werden Kindern und Jugendlichen durch Teilnahme sowie informelle Erklärung vermittelt und konstituieren Grundkonstanten der Ontogenese. Infolgedessen kommt es zu der Herausbildung eines kulturellen Gedächtnisses, das alljährlich einer Aktualisierung bedarf, sowie eines durch „gemeinschaftliches Tun“ charakterisierten Identitätsgefühls. „Everyone actually says food seems to play a big role in this camp“, lautet eine Aussage einer Auswanderin bezüglich des kulturhybriden Phänomens der ethnokulturellen Nahrungszubereitung und Nahrungskonsumierung während der handlungsnormierenden Zeit am Murray River. Dies bedarf eingehender Überlegungen. Nachdem am Good Friday das ganze Camp während der Vorbereitungen des abendlichen Dinners damit beschäftigt gewesen war, Kartoffeln zu schälen, zu raspeln, zu kochen und unter Beimischung von Gewürzen und Gemüse diese breiartige Masse auf zahlreichen Gasgrills in Pfannen zu braten, stand am Easter Saturday ein unter dem Dreifuß zubereitetes, differenzmarkierendes, symbolisch hochvermitteltes Kultessen auf dem Speiseplan der Beteiligten: die pea soup. Vorbereitende Maßnahmen für den Erbseneintopf beginnen bereits in den frühen Stunden des Vormittags mit dem gemeinschaftlichen Aufstellen des tripod aus Eisen, dem Entzün-

52 Ein Mann mittleren Alters, der bereits als kleiner Junge von seinen Eltern mit zum Murray River genommen wurde und nun selbst als Vater seine Kinder an die Tradition heranführt, versinnbildlich dieses hier bestehende familiäre Verhältnis wie folgt: „When I was young, they were all uncles and aunties to me. We call them Onkel Peter and Tante Marion, even they weren’t our real uncles and aunties. So to me, they are all family.“ Ein älterer, in Deutschland geborener Mann fügt hinzu: „Wahlverwandtschaft is the right word in German, which means your chosen friends become your relations.“ Zitat aus der Dokumentation Frohe Ostern! Happy Eastern!

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 469

den des Lagerfeuers und dem Erhitzen des Wassers. Unter dem lautstarken und appellativen Ausruf des Küchenmeisters, „Ham hocks, please!“, kommen aus allen Richtungen des Zeltlagers Mitglieder der Gemeinschaft zu dem im Zentrum über dem offenen Feuer hängenden großen Topf, um große Fleischstücke beizusteuern. Danach begeben sie sich zurück in ihre provisorisch errichteten Zeltküchen, in denen weitere Zutaten wie Kartoffeln, Erbsen, Karotten, Sellerie, Zwiebeln und Mettwürste vorbereiten werden, so dass diese Ingredienzien nach dem Abkochen der geschmackgebenden Fleischbestandteile in den Kessel gegeben werden. Das unter der Kategorie nationales Soul Food zu rubrizierende Eintopfgericht mit den nährstoffreichen Leguminosen, das Geschmackserinnerungen an die ethnische Herkunft hervorruft, ethnische Selbstvergewisserung auf der symbolischen Ebene erlaubt, die idyllische Heimat glorifiziert und eine temporäre „Ersatzverzauberung“ bzw. „Rekonstruktion fiktiver Herkunftswelten“ (Köstlin 1991: 164) zwischen Diaspora und der Alten Welt angesichts des kulturellen Beigeschmacks erst möglich macht, schenkte der Chef der Feldküche, der diese traditionsreiche Verantwortung zur Zubereitung im Jahre 2007 von seiner aus der Bundesrepublik ausgewanderten Mutter übereignet bekam, das heiß ersehnte eingängige rustikale Essen mit Reliktcharakter den bereits in einer Warteschlange aufgereihten Campern53 mit der Suppenkelle und in Begleitung der Worte aus: „This is my first time in Yarrawonga 2007 pea soup! Not too thick, not too thin, but even burned!“ Gleich einer Gemeinschaftshandlung kehrten diese mit ihren gefüllten Tellern und Schalen zu ihren Campingsitzgelegenheiten bzw. den in der Mitte des Lagers aufgestellten Tischen und Bänken zurück und löffelten unter freiem Himmel die kulinarische Inkarnation der „gut-bürgerlichen“ und „bodenständigen“ Küche aus. Veranlasst durch die kulturhistorischen wie kulturanalytischen Überlegungen Konrad Köstlins zur nationalisierenden, kulturalisierenden wie sakralisierenden Codifizierung des Eintopfs steht uns die Wissenserkenntnis zur Verfügung, dass dieser in Deutschland nicht nur „die Konversion des Alltäglichen zum Kultessen, zum nationalen soul-food“ (Köstlin 1986: 231) durchlaufen hat, sondern mehr noch durch seine ihm innewohnenden, vom Menschen eingerührten kulturellen Akzidenzien – um es in der Diktion eines Theodor Fontane zu formulieren – den Wanderern zwischen den Kulturen erst in der Fremde lehrt, was diese an der Heimat besitzen. Eine allgemeine Popularität des Eintopfs in Yarrawonga lässt sich auch aus rein funktional-rationellen bzw. auch kulturhisto-

53 Zu welchem Grad bei den hier anwesenden Migranten eine gesellschaftliche Integration in die australische Mehrheitsgesellschaft vonstattenging, zeigt sich an der minutiösen Einhaltung der eigenen Position innerhalb der Warteschlange. Als sich ein älterer Herr der Gruppe von Wartenden nähert, ertönt aus seinem Munde die ratsuchende, selbstverräterische, jedoch über seine Kulturkompetenz Auskunft gebende Frage: „Where is the end of the queue?“ Zitat aus der Dokumentation Frohe Ostern! Happy Eastern!

470 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

risch bedingten Beweggründen heraus erklären, da es in der Menschheitsgeschichte über Jahrtausende an der Feuerstelle gerade ausreichend genug Platz für einen Topf gab (von Paczensky/Dünnebier 1999: 38). Angesichts dieser steinzeitlich anmutenden Simplifizierung flimmert dieses deftig-rustikale Mahl aus Hülsenfrüchten, das zumal geistige Kausalitäten zu dem Kollektivierungstopos des „Essens aus einer gemeinsamen Schüssel“54 hervorruft, auch im gegenwärtig zelebrierten Ritual am Ufer des Murray River im Kontext einer urzeitlichen Aura. Die mit dem ästhetisierenden Qualitätssiegel „gute alte Küche“ illuminierte Mahlzeit des Zusammengekochten schmeckt den bekennenden Eintopfsympathisanten, weil etwas „Typisches“ aufgetischt wird, in dem sich die Menschen selbst wiedererkennen und das zumal über den Gaumen emotionale Verbundenheit mit einem wie auch immer imaginierten Satisfaktionsterritorium transportiert. Eine Glorifizierung der national aufgeladenen Speisepräferenzen während des sich beim Konsum vollziehenden elementaren sinnesorganischen Schmeckens und Riechens geht sogar so weit, dass von einem älteren Herrn authentisierend wie mythologisierend kommuniziert wird, dass man dergleichen in keinem Dreisternerestaurant „for no money in the world“ kaufen könne. Dieses ethnisch aufgeladene, bedeutungsgesättigte lukullische Kleinod, so die einhellige Meinung der Konsumenten, gibt es in dieser kulturell normierten Gestaltung – verstanden als historisch imprägniertes kulinarisches Kontinuum oder nach Bernhard Tschofen als „kulinarisches Erbe“ (Tschofen 2007: 173) – ausschließlich in der zurückgelassenen Erinnerungslandschaft55 oder an Ostern in Yarrawonga. Diese akzentuierende Überzeugung von der unverfälschten Exklusivität liegt laut den wissenschaftlichen Erkenntnissen nahrungsethnologischer Forschungen daran, dass die durch eine geschmackliche Prägung codierten Kultursysteme in Bezug auf Essen beim Menschen in den ersten fünf Jahren des Lebens grundgelegt werden. Essen, Emotion und Kindheit gehören somit ganz dicht zueinander und wenn die bereits in jungen Jahren an der Ostertradition am Murray River partizipierenden Erwachsenen sich beim Verzehr der Suppe, mit der sie ebenfalls aufgewachsen sind, an ihre Kindheit erinnert fühlen, dann spiegelt sich hierin ferner das ethnische Geheimnis der zusammengekochten Kultspeise, denn indem sie an eigene kindliche Erfahrungen anknüpft, spannt sie eine sinnhafte Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und schafft hierdurch nicht zuletzt emotio-

54 Siehe dazu die auf der Grundlage des Erhebungsmaterials des Atlas der deutschen Volkskunde von Günter Wiegelmann erstellte Verbreitungskarte (Wiegelmann 2006: 334; Ders./Simon 2007: 112). 55 „Foods do not simply come from places, organically growing out of them, but also make places as symbolic constructs, being deployed in the discursive construction of various imaginative geographies“ (Cook/Crang 1996: 140, zitiert nach Tschofen 2007: 182).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 471

nale Geborgenheit und Sicherheit.56 Darüber hinaus unterliegt dem gemeinschaftlichen Essen „einer universellen Speise“ aus „einem Topf“ im hohen Maße ein demokratisierender Charakter, der soziale Unterschiede zu übertünchen weiß und infolgedessen ideale Anbindungspunkte zum in Australien vorherrschenden Egalitarismus bildet. Auch wenn die durchlebten Tage unter der bestimmend bzw. handlungsleitend wirkenden Projektionsfläche „deutsche Ostertradition“ stehen, so weist doch bereits der Titel Frohe Ostern! (Happy Easter!), aber auch der Subtext „The collaged history of a joyful Easter camping ritual celebrates German migrants becoming three generations of Australians“ der Dokumentation auf die unterschiedliche Gewichtung der kulturellen Prägung auf die Menschen aus unterschiedlichen nationalstaatlichen Herkunftsorten hin. Es steht dabei außer Frage, dass die große Mehrheit qua Geburt auf dem Fünften Kontinent und durch Naturalisierung einen australischen Pass besitzt, wenngleich eine Ethnisierung von als „national“ etikettierten Praxismustern wie zum Beispiel die Zelebrierung von „Kaffee und Kuchen“ am Sonntagnachmittag einhergeht mit kulturellen Praktiken, die mit der Konnotation „typisch australisch“ (zum Beispiel die mit der Aussage „to be in the bush“ kommunizierte Naturnähe oder das kollektive Singen des Lieds Waltzing Matilda zur Emotionalisierung der abendlichen Lagerfeueratmosphäre) versehen werden. „That’s definitely very Aussie“, verkündet ein älterer Auswanderer, nachdem er eine geöffnete, große Büchse mit Bier in den Hohlraum eines rohen Huhnes gedrückt hatte – deren Inhalt sich im toten Federtier ausbreitete – und dieses zum Garen in die Glut des Lagerfeuers legte. Zur Entstehung einer Mischkultur in den kulturellen Zwischenwelten, so wird bei diesem Beispiel ersichtlich, vereinnahmt der Auswanderer das ehemals Fremde, macht es sich zu eigen und indem er seine ethnischen Mitstreiter verbal darauf hinweist, dass diese Art der Zubereitung eines Huhnes in australischer Tradition steht, beweist er Anpassungsfähigkeit, Kulturkompetenz und die Bereitwilligkeit zur interkulturellen transformatorischen Übersetzung des akkulturierten Wissensfundus. Hierin offenbaren sich Einblicke in die vermischten kulturellen Binnenräume der Migranten. So hat das Osterfest in Yarrawonga mit seinen für Zerstreuung und Rekreation sorgenden Charakterzügen für die deutschen Migranten und ihre Nachfahren die Funktion eines Vergemeinschaftungsrituals, bei dem sich die Partizipierenden durch die Reaktivierung und Resignifikationen ihres kulturellen deutsch-australischen Repertoires ihrer Ethnizität vergewissern, sich ihre bipolaren Loyalitäten vor Augen führen und ihre multipel codierten Hybrididentitäten ausleben. Wie bei

56 Dies gilt u. a. auch für den aus konzentriertem Hefeextrakt bestehenden Brotaufstrich Vegemite. Es ist eines der zahlreichen kulinarischen Symbole, das aufgrund seiner großen Verwendung von in Australien lebenden Menschen den Fünften Kontinent geschmacklich nach innen und außen repräsentiert.

472 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

kaum einem anderen Ritual verbringen die Beteiligten im Familienkreis und gleichzeitig in räumlicher Gemeinsamkeit mit anderen Familien und Freunden mehrere Tage im Freiem. Somit zeigt die profane Seite neben der sakralen deutlich extravertierte Tendenzen und ist Ausdruck der Lebensfreude und des Zusammengehörigkeitsgefühls. Die Erkenntnisse aus diesem Kapitel zeigen, dass der Osterfestkreis als kirchliches Fest einen weniger ausgeprägten Platz in der Feiergesellschaft einnimmt und eher als Wochenendausflug mit Zeltlager, kulinarischer Rückbesinnung und dem idealisierenden Schwelgen in „gustemischen Erweckungsszenen“ (Tschofen 2007: 171) genutzt wird. Durch das verlängerte Wochenende bietet das Osterfest mehr Zeit, die zur kollektiven Kulturausübung benötigt wird und somit die diasporische wie auch die Identität der Nachfolgegenerationen stärkt. Ritualelemente, wie der traditionelle und mit ethnischer Wertschöpfung belegte Erbseneintopf, das von Ziehharmonika und Mundharmonika begleitete Singen deutscher Lieder, die Traditionsfortführung sowie zentrale Werte wie Familienzusammengehörigkeit nehmen bei der ethnischen Identitätsbildung eine signifikante Stellung ein. Um in einem letzten Argumentationsschritt auf die in diesem jahreszeitlich wiederkehrenden Kulturphänomen zur Artikulation gebrachte Ethnizität der in Rede stehenden Migranten einzugehen, ist ein Blick auf die Reflexionen von Stuart Hall – wie eigentlich immer – lohnenswert. Wie Hall können wir die aus der Erfahrung der Diaspora heraus entstehenden und in Yarrawonga gekonnt in Szene gesetzten ethnischen Repräsentationen als konsequente Resultate auffassen, die aus dem liminalen Prozess der „kulturellen Diasporaisierung“ entspringen. Diese konstruktivistische Verfahrenstechnik formiert durcheinandergebrachte Ordnungen und kulturelle Codes mittels der „Hybridisierung“ und des „Scheidens und Mixens“ situativ und gemäß den Maximen der sinnadäquaten Wissenskategorien, so dass eine durch die Migration neu bewohnten Raum-Zeit-Kontextualität heimatliche Konturen erhält (Hall 1994a: 23 [Herv. i. O.]). 5.2.6 Der größte Martinsumzug in der südlichen Hemisphäre Einem Hinweis der Gewährsperson Anja Kapmeier folgend, führte der Weg des Feldforschers am 9. November 2007, einem Freitag, mit dem Zug Richtung Croydon, einem im Westen der Stadt Sydney gelegenen Vorort, in dem sich die Kirche und das Gemeindezentrum der katholischen St. Christophorus-Gemeinde befindet. Vom Bahnsteig konnte man bereits die in der 112 Edwin Street North lokalisierte Institution am hohen Kirchturm erkennen, so dass der Fußweg nur wenig Zeit in Anspruch nahm. Die mit roten Backsteinen errichtete Kirche ist von mehreren Palmen flankiert und besaß einen mit Kies aufgefüllten Vorhof, den ein weißer Eisenzaun umgab. Direkt neben der Kirche konnte das Gemeindezentrum ausgemacht

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 473

werden, das ferner über einen Schaukasten im Eingangsbereich verfügte, der über die tagesaktuellen Aktivitäten der Pfarrgemeinde im Monat November Auskunft erteilte. Eine dort aushängende öffentliche Bekanntmachung informierte bezüglich des Martinsumzuges: „St. Martinsfest 09.11.2007, 18.30–20.30 Uhr. Alle Kinder sind herzlich eingeladen zur Sankt Martinsfeier in Croydon! Wir basteln Laternen, hören die Geschichte von Sankt Martin und machen einen Laternenumzug. Anmeldung bei S. Thomas, Tel.: 99644370. Dem Nachfolger folgen. Der heilige Martin folgte dem Beispiel Jesu, als er sich des Bettlers erbarmte. Wenn sich Groß und Klein im Martinszug dem heiligen Martin anschließen, dann gehen wir auf den Spuren Christi. Und es wird ein wenig heller in der Dunkelheit.“

Bei der Initiation eines Fremden – eine Position, die der teilnehmende, neugierige und von Empathie beflügelte Beobachter aufgrund seines sozialen Status als unbekannter Dahergelaufener mit seiner Vertreter- und Klinkenputzermanier unweigerlich stets aufs Neue einnimmt und erst dann ablegt, wenn er zum Kreis der „bekannten Gesichter“ gehört – mussten auch in diesem Forschungssetting zunächst einige Hürden überwunden werden.57 Die Empfangshalle des Gemeindezentrums

57 Als sich plötzlich die Wege der Organisationsleiterin und des „fremden Gesichts“ kreuzten, wurde sie auf mich aufmerksam und begrüßte mich in der Art, dass sie mich nach meinem Anliegen an diesem Ort befragte. Man muss dies vor dem Hintergrund diskutieren, dass diese Veranstaltung eigentlich nur für Kleinkinder und deren Eltern organisiert wurde. Da ich aber offensichtlich keineswegs zu einer dieser beiden Sparten gehörte und des Weiteren auch nicht zu der ihr bekannten Ingroup zu rechnen war, geschah dies anfänglich mit etwas Zurückhaltung. Ich stellte in gewohnter Form mein Projekt vor und unterstrich dabei den zeitlich vorher realisierten Kontakt zu ihr bekannten Mitgliedern der deutschen Community in Sydney. Da ich schon mal da sei, so die Organisatorin, könnte ich direkt bei den vorbereitenden Maßnahmen für dieses Fest helfen. Die Organisatorin führte mich ohne jegliche Umwege in die großräumig angelegte Küche des Gemeindezentrums, von wo aus man einen genaueren Überblick auf die Gesamtgröße des Saales erhielt. Zuerst folgte ich ihrem Auftrag, indem ich die für das BBQ vorbereiteten Brötchen in der Weise aufschnitt, so dass man im späteren Verlauf eine gegrillte Wurst dort reinlegen konnte. Des Weiteren bat mich Thomas darum, zum BBQ-Grill hinter der Kirche zu gehen, um nach dem Verbleib der Grillwürstchen zu schauen. Ich verließ die Räumlichkeit durch den seitlichen Notausgang und stand vor dem seitlichen Flügel der Kirche. An dem Sakralbau führte seitlich ein kleiner Weg vorbei, über den man über eine Treppe zu einer hinter der Kirche gelegenen Garage gelangte, wo schon mehrere Ehemänner sich um den Gasgrill kümmerten. Nach kurzer Begrüßung kam ich mit den ausschließlich englischsprechenden Ehemännern ins Gespräch und erläuterte mein heutiges

474 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

zierten zahlreiche Vitrinen, in denen sich Pokale, Schalen und weitere Ehrungssymbole des hier ansässigen Cäcilienchors präsentierten. Im engeren Sinne handelt es sich um eine Art Mehrzweckhalle, mit Sitzgelegenheiten, Tischen, einer Empore sowie einer Bühne. In der Küche angelangt, wurde ich ohne große Rücksicht auf mein eigenes Anliegen in meinen Aufgabenbereich eingeweiht. Mit fortschreitender Zeit folgten immer mehr Eltern mit ihren Kindern dem Ruf der Einladung und suchten sich an den Tischen des Saales einen Platz. Beiläufig informierte mich die Organisatorin darüber, dass sich bei ihr circa 130 Personen (inklusive Kinder) angemeldet hätten, so dass es sich wahrscheinlich um den größten Martinszug in der südlichen Hemisphäre handele. Die grauen Wolken am Himmel sowie der permanente Regen in der letzten Woche würden jedoch einige Teilnehmer von der Partizipation an diesem Tage abschrecken. Bei der kontinuierlichen Verrichtung meiner Küchenarbeit an der Ausgabetheke bot sich mir die Gelegenheit, den Saal und das in ihm verrichtete Treiben etwas genauer in Augenschein zu nehmen. An der rechten Wand der Räumlichkeit befanden sich mehrere Notausgänge, die während des hektischen Getues der Kinder stark frequentiert wurden. An der Decke des Saales waren zur Dekoration blauweiße Fahnengirlanden angebracht, die stark an ein bajuwarisches Festzelt erinnerten. Vor der Bühne konnte man eine Anordnung von Tischen erkennen, an denen die Kinder, die noch keine Laternen zu dieser Verastaltung mitgebracht hatten, das Leuchtinstrument unter Anleitung ihrer Eltern anfertigten. In einer kurzen Arbeitspause konnte die Gelegenheit ergriffen werden, den angestammten Platz an der Küchenzeile zu verlassen und den Innenraum aufzusuchen. Mit einem vor dieser Veranstaltung interviewten australisch-deutschen Ehepaar und ihren Kindern fanden sich bekannte Gesichter, die eine geeignete erste Anlaufstelle schienen, von der aus nach dem Prinzip des Schneeballsystems neue gesprächsbereite Gewährspersonen erschlossen werden konnten. Danach widmete sich der klerikale Vorsteher der Christengemeinde, Peter Linge, den Vorbereitungen für seinen Diavortrag bezüglich der Historie des am heutigen Tage praktizierten Kulturgutes. Kulinarische Köstlichkeiten vom australischen barbie wurden währenddessen kontinuierlich feilgeboten. Jeder konnte nach eigenem Ermessen eine Spende in die dazu bereitgestellten Eimer werfen, so dass die Unkosten für den Verzehr zum größten Teil gedeckt werden konnten. Nachdem ein großer Teil der Buletten an die Teilnehmer ausgegeben war, suchten sich Jung und Alt einen Platz

Kommen, die dafür ausschlaggebenden Beweggründe sowie meine biografischen Hintergründe. Als die ersten Würstchen ihre vom Grillmeister gewünschte Farbe aufwiesen, oblag meiner Seite die Aufgabe, diese vermittels einer Schale in die Küche zu befördern. Dort angelangt half ich bei der Ausgabe der Wurstbrötchen an die hungrige Meute. Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll bezüglich des Martinsumzuges in Croydon am 09.11.2007. (Zum Ausmaß des Fremdseins siehe auch Schmidt-Lauber 2009: 251).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 475

im Auditorium, um dem Vortrag von Linge zu folgen. Mit Unterstützung eines Diaprojektors füllte der Pastor seinen Redebeitrag über die Mildtätigkeit des heiligen Martin von Tours mit Leben. Bei gedämmtem Licht begann der informative und religiös-pädagogische Teil der Martinszeremonie, in dem der Geistliche über den großen Protagonisten aus dem Anfangsstadium des monastischen Lebens in Westeuropa ein längeres Referat präsentierte. Dies geschah, um eine Rückkopplung der Feierlichkeiten an die Person des Heiligen sicherzustellen und somit die religiöse Bedeutung intensiver zum Tragen zu bringen. In der dargebotenen Lebensbeschreibung von Martins von Tours beschreibt er den Heilligen als einen Mönch und Gottesmann mit Neigung zum kontemplativen Leben, der in seiner asketischen Tugendhaftigkeit und in seinem wundertätigen Handeln den viel gepriesenen ägyptischen Mönchsvätern in nichts nachstand. Als Sohn eines römischen Offiziers in Sabaria zu Beginn des 4. Jahrhunderts zur Welt gekommen, zog es in zunächst in die von der väterlichen Seite vorgegebene Soldantenlaufbahn, bis sich vor den Toren der im Nordwesten Frankreichs gelegenen Stadt Amiens die zur Legende avancierte Mantelteilungsszene mit dem erbarmungswürdigen Bettler zutrug, die zugleich Anstoß für seine Bekehrung zum Christentum war sowie zur Quittierung seiner Karriere beim Militär führte. Der 11. November, sein Todes- und Gedächtnistag, würde zum feierlichen Anlass genommen, so der Vortragende, eine Martinsdevotion in Form von Lichterumzügen zu begehen. Der Todestag sowie der Tag seiner Beisetzung wurden in der Deklamation herangezogen, um der festlichen Begehung der Ritualakteure an diesem Tag eine konkrete, wahrnehmbare, auf historischen Fakten aus der eigenen Ethnohistorie basierende Legitimation zu geben. Die Dichotomie von Dunkelheit und Licht wurde an dieser Stelle innerhalb der explanativen Ausführungen deutlich hervorgehoben. Mit dem Licht der gebastelten Laternen wird nicht nur Helligkeit in die dunkle Jahreszeit gebracht, sondern das Licht wird mit positiven Attributen des Christentums belegt. Die Lichtsymbolik wird hier gleichgesetzt mit dem Glauben an Gott bzw. dem christlichen Glauben. Eine Synchronisierung der affirmativ konnotierten Attribute der historischen Person mit gegenwärtigen, alltäglichen Konfliktsituationen der Kleinkinder verfolgte den Zweck, dass diese ihr Handeln dahingehend ausrichten, wie es ihnen Martin als eine sozialpädagogische Leitfigur in historischer Zeit vorgelebt hatte. Der Vertreter der Kirche erhob gegenüber den Kindern die Forderung, ihr Leben nach diesem Vorbild auszurichten. Das Eidos des Heiligen Martin von Tours, sein führsorgliches Teilen des roten Soldatenmantels als Inkarnation der Wohltätigkeit sowie stark symbolhafter Akt für christliches Handeln im Sinne des Nächsten, definiert hier den historisch-gesellschaftlichen Kontext der Handlungen. Figürlich und emblematisch spiegelt somit der im Zentrum dieses Ritual gerückte Protagonist nicht nur eine Leitfigur aus Europas Vergangenheit wider; in seinem exemplarischen Leben liegt darüber hinaus eine Botschaft für die in Croydon genormten und regelmäßig wiederkehrenden Ritualele-

476 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

mente deutscher Migranten und ihrer Kinder. Die in den Vortrag integrierten Bilder waren zwar ersichtlich, sachdienlich sowie der Altersgruppe entsprechend, jedoch den narrativen Ausführungen selbst konnten die Kinder aufgrund der großen Geräuschkulisse nur schlecht folgen. Da es sich vermehrt um Beteiligte im Kleinkindalter handelte, war es für den Redner an einigen Stellen sehr schwierig, sich auf den Inhalt zu konzentrieren, so dass dieser Vermittlungsakt durchweg nicht in den von der leitenden Organisation eingeschlagenen Bahnen ablief, da sich die Kinder lautstark unterhielten sowie zwischen den Stühlen hin- und herliefen, mit ihren Laternen bzw. ihrem Spielzeug beschäftigt waren und auch während dieser religiösen Einstimmung auf dem Höhepunkt des Rituals ihren kurzzeitig eingenommen Platz stets wieder verließen. Im Nachhinein betrachtet kann nur resümierend festgehalten werden, dass dieses Element der Feierlichkeit aufgrund der markerschütternden Lautstärke einen in vieler Hinsicht skurrilen Charakter besaß. Man könnte durchaus die Frage aufwerfen, inwiefern die Protagonisten dieses Festes auf diese Weise den wesentlichen Inhalt überhaupt mitbekommen. Eine gespielte Szene mit Mantelteilung, folglich eine Art Martinsspiel, war zwar im Voraus ins Auge gefasst worden, jedoch hatten die dafür vorgesehenen Praktikanten der Pfarrgemeinde keine Zeit, so dass eine referierende Form der Informationsübermittlung ausgewählt wurde. Kurz vor der Beendigung der religiösen Initiationshandlung ergriff Linge die Gelegenheit, einige Worte zum Ablauf bzw. zur Organisation des nun folgenden Martinszuges zu verlieren, so dass ein geordnetes Verlassen des Gemeindesaales und das daran anschließende Aufstellen der Eltern und Kinder auf der Edwin Street North vor dem Gotteshaus möglichst reibungslos garantiert werden konnten. Nachdem das Licht wieder angeschaltet wurde, konnte mit den Vorbereitungen für den anstehenden Umzug begonnen werden. Die Kinder wurden mit Laternen ausgestattet und, wenn nötig, in den Kinderwagen gehoben. Einige Mitglieder des Organisationsteams gingen dazu über, Blätter mit Liedtexten an die Eltern zu verteilen. Nachdem sich die Menschenmenge vor der Kirche aufgestellt hatte, ertönte das erste Martinslied, so dass sich der Zug in Richtung Edwin Street North in Bewegung setzte. Die Strecke des Zuges ging entlang der Edwin Street North und machte ungefähr nach einem Kilometer kehrt, um den Rückweg Richtung Kirche anzutreten. Auf den Lampions ließen sich verschiedenartige symbolische Elemente erkennen, deren Spektrum sich über Mondgesichter, Sterne, Martinsreiter, Gänse, Flammen, Kürbisse bis zu Handflächen erstreckte. Sobald sich alle Teilnehmer innerhalb des Zuges vor der Kirche eingefunden hatten, erfolgte die Intonation des Martinslieds Ich geh mit meiner Laterne, so dass sich Menschenmenge in Bewegung setzte. Infolge der unmissverständlichen Formensprache, die durch das Einsetzen des Gesanges gegeben war, konnten die Ritualakteure rasch nachvollziehen, dass sich der Zug nun in Bewegung setzen würde. Da diese kulturelle Praxis aus der Perspektive zahlreicher australischer Anwohner in Croydon durch die mit der Sehschärfe der „multicultural diversity“ justierte ethnische Brille in den Blick genommen wird und von außen

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 477

zunächst befremdlich und exotisch anmutet, mag es nicht verwundern, wenn eine festliche Lichterillumination, eine den Straßenrand säumende Zuschauerschar, ein Martinsfeuer sowie der ebenfalls aus Deutschland bekannte Heischgang von Tür zu Tür in Gänze entfielen. Dementsprechend kann die gegenwärtig in der Diaspora ausgeübte Martinsverehrung als kulturelles Artefakt bzw. Monument mit flexibler Physiognomie betrachtet werden, die über das Charakteristikum der Stilisierung als „heimatliche Schaubühne der Selbstinszenierung“ hinaus eine an die Mit- und Nachwelt gerichtete Botschaft transportiert. Es sind diese Erinnerungen, die die Ritualakteure mit ihren ethnischen Zeitgenossen teilen; solche, die allein durch persönlich verbürgte und kommunizierte Erfahrung in die Erinnerungskultur der migrantischen „Schicksalsgemeinschaft“ eingeschrieben werden. Das Ins-Bewusstsein-Bringen der ritualinhärenten Werte- und Normenaxiome eines sich nach der sokratischen Wende im Abendland entfaltenden ethischen sowie zeitlich später aus der Religionsbewegung des Christentums hervorgehenden Tugendkanons, der Barmherzigkeit, Demut und Humanität zum Inhalt hat und ausschließlich infolge der iterativen Aktualisierung anhand sozialer Interaktion an diesem exponieren Schwellentermin gewährleistet wird, ist integraler Bestandteil der ethnischen Gedächtniskonstruktion. Eltern und insbesondere der theologisch geschulte Mann der Kirche nehmen innerhalb der Vermittlungssituation einer Martinsgesinnung handlungssteuernde Positionen ein. Dieser Personenkreis von Geschichts- und Kulturbewussten ist es, der unter Zuhilfenahme eines ethnisch gestimmten Symbolfundus sprachlicher wie nonverbaler Couleur – wie zum Beispiel Lieder, Laternen, der narrativ kommunizierten Teilungsszene und der Integration von emblematischen Signaturen einer europäischen Herbstatmosphäre – ein das gemeinsame Kollektiv stabilisierendes Zeichensystem entwirft. Fundierende und auf Dauer angelegte Paradigmen legitimierend wirkt die Vergegenwärtigung an die vorbildliche Lebensweise des unblutigen Bekenners dort, wo sie von den deplatzierten Migranten als Ausdruck einer gemeinsam durchlebten ethnokulturellen Vergangenheit wahrgenommen wird, aus der sich die Faktizität der Jetztzeit ableitet, dieser nicht nur Konturen, sondern auch historische Legitimierung verleiht. Als Typus des religiösen Ausnahmemenschen wird eine unmissverständliche Identifikation mit dem Protagonisten des Kulturzuges erzeugt und angestrebt. Mit dem gemeinsamen wie konfessionsübergreifenden Lauschen der Martinserzählung, dem prozessionsartigen Abschreiten des Zugweges, dem Singen einstudierter Lieder, der Devotion der Reitergestalt sowie dem Nachspielen der Mantelszene, als den der Ritualisierung innewohnenden habitualisierten wie kanonisierten Verhaltensweisen, werden gemeinsame Handlungen sowie sedimentierte Erfahrungen aus Deutschland reproduziert, die ihrerseits einen bedeutenden Beitrag zur ethnischen Gruppenidentität leisten. Zu konstatieren ist folglich, dass es sich bei den Martinsfeierlichkeiten in der australischen Diaspora um überlieferte, kondensierte und geformte Erfahrungen handelt, die dem Gefühl der kulturellen Entwurze-

478 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

lung entgegenarbeiten, in dem sie eine Bezugslinie zu einer gemeinsam bewohnten Historie herstellen. Demzufolge avanciert dieses Ritual zu einem „askriptiven Merkmal“ (Friese 1999/2000: 21), d. h. zu einer auf lokaler Ebene übergeordneten, bedeutungsstiftenden Rubrik, deren Formensprache Identität stiftet. Es sind diese bei jenem Ritual mitschwingenden zwei dialektischen Erfahrungsebenen, die einerseits einen gewissen historischen Zusammenhalt in der Vergangenheit und Kontinuität im Verhältnis zu dieser spenden, andererseits den Immigranten neuerlich ins Gedächtnis rufen, dass sie noch etwas anderes miteinander verbindet, nämlich die Erfahrung einer tiefgreifenden kulturellen, sozialen, geografischen und psychologischen Diskontinuität. Aufgrund einer für diesen exponierten Tag im Jahreskalender intentional erzeugten Atmosphäre wird der migrantische Lebensraum, in dem die kulturelle Praxis neu eingeschrieben ist, zu einem symbolischen Mikrokosmos, zu einer überschaubaren wie emotional erfahrbaren Nahwelt innerhalb der Diaspora. Auf Emotionalisierung hin abzielende Handlungen, Komponenten wie „deutsche Gemütlichkeit“ sowie Interaktionspraxen der Vergemeinschaftung evozieren eine solidarisch-konformistische Grundhaltung in der deutschen Community. Eine Vielzahl von Handlungselementen des Kulturgutes, das alle gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen zur Partizipation ermutigt, wird als verstehbare, gestaltbare und innovative Nahwelt aufgefasst. Daraus folgt die Chance zum zwischenmenschlichen Mitwirken, so dass innerhalb eines abgegrenzten Horizontes von den Teilnehmern ein Teil ihrer ethnischen Identität entwickelt wird. Belonging und togetherness als signifikante Merkmale des Ritualvollzugs werden umso drastischer postuliert, je heterogener die einzelnen Migranten im Gesamtsystem geworden sind und die Symbole vom Gemeinschaftlichkeit, Zugehörigkeit und Identifikation sich als immer weniger konventionsfähig herausstellen. Wie aus den informellen Gesprächen mit den vorwiegend australischen Vätern am obligat dazugehörenden barbie an der rückwärtig zum Sakralbau gelegenen Garage hervorging, gehört in der sozialisierenden Phase des Aufwachsens der aus binationalen Ehen hervorgehenden Kinder das Leben in transkulturellen Zwischenräumen, in die beide Elternteile reziprok kulturelle Ausdrucksformen und Vorstellungswelten zu einem mehr oder weniger ausgeglichen Mischverhältnis einspeisen, zu den unhinterfragten Grundkonstanten des alltäglichen Lebens. Auf die Konsequenzen, Konflikte, Risiken und Differenzen generierenden Potenziale und Inkongruenzen, die bei interkulturellen Familienschließungen unausbleiblich sind und für die eine distinkte Aufladung der kulturellen Wissensdepots der Ehepartner in unterschiedlichen geografischen Räumen verantwortlich gemacht werden muss, hat das Ritual eine eher vereinende und therapeutische Wirkung, wenngleich auch bei dieser Feierlichkeit eine in Australien auffällig oft anzutreffende Geschlechterzuordnung zu beobachten ist. Die Ehemänner sind darauf bedacht, sich unterhaltend um den Grill zu gesellen und für das leibliche Wohl Sorge zu tragen, während die Mütter im Innenraum die Kin-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 479

der betreuen sowie die Chronologie des Rahmenprogramms der Feierlichkeiten in die dafür vorgesehenen Bahnen lenken. Involviert in einem besonders sensiblen und vom Schwellendasein geprägten biografischen Lebensabschnitt fernab geläufiger Relevanzstrukturen der Herkunftstradition wird dem akkumulierten Kulturgut Sankt Martin als ethnokulturell eingerahmte und flexibel formbare Vergewisserungsressource in der Diaspora durch die Zugereisten gemäß einer re-invention of tradition neues Leben eingehaucht, das seinerseits als ein aus der eigenen Biografie resultierender Orientierungsrahmen dafür sorgt, dass die Verortung der Minorität an einem emotional-affirmativ gesättigten Platz, an dem auch eine reziproke Anerkennung der mittransportierten Traditionsmuster in der Ankunftsgesellschaft im Kontext einer binationalen Partnerschaft Realität wird, gesichert und somit der Prozess der Integration am neuen Beheimatungsort Sydney dynamisiert wird. 5.2.7 Citizenship ceremony am Australia Day: Übergangsritual zur doppelten Staatsbürgerschaft Als eines der wesentlichsten, wenn nicht als das signifikanteste Integrationsunterfangen betrachten deutsche Auswanderer in Sydney die mit einem heterogenen Spektrum an liminal-transitorischen Übergängen verbundene Annahme der australischen Staatsbürgerschaft, obschon von einem Gros der Untersuchten die gleichzeitige Aufgabe des deutschen Passes und somit zahlreicher transnationaler Vergünstigungen kategorisch ausgeschlossen wird (Ong 1999: 21ff.). Die persönliche Entschlussfassung, aus dem als ambivalent charakterisierten kontinuierlichen Bleibestatus der Visumskategorie permanent residency auszubrechen, mit der Beantragung der Bürgerrechte seinen gesellschaftlichen Partizipationsgrad zu steigern und somit den letzten und wichtigsten Schritt der Migrationsreise zu vollziehen (Australian Citizenship 2009: 3), ist herausgehobenes Anliegen zahlreicher Untersuchter. In den integrationspolitischen Debatten einer sich als postmodern verstehenden Globalgesellschaft bezeichnet diese letzte Hürde den finalen Abschlusspunkt eines auf die Kurzformel „from migrants to ethnics to nationals“ (Berking 2004: 107) reduzierten Angliederungsverfahrens. Neben allen noch aufzuzeigenden subjektiv dargelegten Vor- und Nachteilen der Entgegennahme des australischen citizenship certificate und der gleichzeitigen Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft steht auch bei diesem biografischen Wendepunkt, der mit dem staatlich organisierten citizenship ceremonial am öffentlichen Feiertag des Australia Day am 26. Januar eine rituelle Begehung an die Seite gestellt bekommt, einmal mehr die Frage nach dem sense of belonging des Migranten im subnationalen Dazwischen zur Debatte, sprich seine Einbindung in einen Prozess der kulturellen Loyalitätsaushandlung, der Stuart Hall zufolge „constitute[s] and continuously re-form[s] the

480 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

subject who has to act and speak in the social and cultural world“ (Hall 1995: 65). Mit zwei Pässen in der Hand, d. h. eine von höchster staatlicher Ebene ausgestellte Bewilligung zum Leben zwischen zwei Nationen erhalten zu haben, mit der eine Zwitterposition „zwischen dem einen und dem andern Anderssein“, sprich einer „doppelten Nichtdazugehörigkeit“ (Rushdie 1991: 146; Faist/Gerdes/Rieple 2007) sowie einer formal vorgegebenen Loyalität gegenüber dem Staatenwesen mit den nationalen Emblemen Bundesadler bzw. Emu und Känguru einhergeht, ist der mit dem Label „hybrid“ sowie der Identität der Multiplizität konnotierte Migrant unweigerlich damit konfrontiert, eine Neudefinition des Selbstverständnisses in Bezug auf seine kulturelle, ethnische und politische Selbstpositionierung vorzunehmen. Lohnend scheint zunächst ein Blick auf die unterschiedlichen Motivlagen und Beweggründe zur Überwindung des fragilen Bleibestatuts der permanent residency, mit der zahlreiche, das Leben der Auswanderer einschränkende Restriktionen verbunden sind und der in einem zeitlich wiederkehrenden Turnus unter Nachweis bestimmter, vom Antragsteller zu erfüllender Bedingungen erneuert werden muss. Mathias Burmeister versieht seine Intention, ein vollständiger Teilhaber an der australischen Gesellschaft zu werden, mit einem belustigenden bis amüsierenden Unterton, wenngleich hinter dieser rhetorischen Fassade durchaus die Ernsthaftigkeit der für die Zukunft prophezeiten Konsequenzen durchschimmert. „Und mein Anliegen, die australische Staatsbürgerschaft zu bekommen, hat jetzt nicht so viel damit zu tun, dass ich jetzt der große Australier geworden bin, als vielmehr zu sagen, dass ich Bedenken habe, wenn das hier bergab geht mit Wasser und Energie und so, dass unsere permanent residency, die ja alle fünf Jahre erneuert werden muss, dass es vielleicht irgendwann dazu kommen könnte, dass der Staat sagt: ,Also horch einmal, den Burmeister mit all seinen Gesundheitskosten, die der jetzt verursacht, wo er jetzt 65 oder 70 ist, den wollen wir jetzt hier nicht mehr haben. Also entweder bleibt der jetzt mit seinem Arsch hier und dann müssen wir in halt akzeptieren. Das haben wir mal vor Urzeiten beschlossen, dass der kommen darf. Oder aber, wenn er jetzt das Land wieder verlässt und zum 75. Mal nach Deutschland fliegt, dann ist das unsere Chance. Jetzt werden wir ihn los.‘“58

Bei der auch als „Schattendasein“59 apostrophierten permanent residency schwingt bei zahlreichen Migranten das Gefühl mit, als Nichtdazugehöriger ausschließlich den Status des Geduldeten innezuhaben, folglich über kein politisches Mitbestimmungsrecht bei Wahlen zu verfügen, als wissenschaftlicher Angestellter einer Universität kein Recht auf die Beantragung bestimmter Drittmittel- bzw. Forschungsgelder zu besitzen und diverse andere Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen.

58 Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008. 59 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 23.05.2008.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 481

Auch an diesem lebensgeschichtlichen Scheitelpunkt wird neuerlich die Fragilität der Position des marginal man im Kontrast zu den sich der Sesshaftigkeit verschiebenden Einheimischen deutlich, wenn mit dem Anliegen zur Akquisition der australischen Staatenrechte mit regelmäßiger Häufigkeit die kommunizierten „Vorstellungen eines sicheren Alltags“ (Eisch-Angus 2009: 73) einhergehen, die als Wunsch nach Normalität und klar strukturierten Lebensregulativen ohne die restriktive Behandlung als ein „second class citizen“60 interpretiert werden können. „Dieses Gefühl der Sicherheit“61, sowohl im gegenwärtigen Hier (Australien) als auch im zukünftigen, zugegebenermaßen recht spekulativen Dort (Deutschland) einen politischen, gesellschaftlichen wie kulturellen anerkannten Standpunkt – der stets auch Macht- und Ressourcendistribution impliziert – für sich vereinnahmen zu können, „ohne mit dem ganzen Visum von Neuem alles durchstehen zu müssen“62, wird von einer in den letzten fünfzehn Jahren nach Australien übergesiedelten Gruppe von Migranten als ein „wesentlicher Integrationsschritt“63 angesehen. Für den Großteil der in der Zeitspanne von 1942 bis in die 1970er Jahren hinein nach Down Under emigrierten war die nicht fakultative Naturalisation eng verbunden mit dem Aufstieg in finanziell besser entlohnte Arbeitssektoren, so dass Befragte aus dieser Periode des 20. Jahrhunderts, die noch keine politischen Grundlagen für die in einer Person gebündelte Mehrstaatlichkeit geschaffen hatten, ihrem leichtfertig aufgegebenen deutschen Pass nachtrauern. Der Gedanke aus Gründen einer beruflichen Besserstellung seine deutsche Staatsangehörigkeit „sozusagen verschenkt“64 zu haben, bildet den narrativen Fixpunkt der nostalgisch-retrospektiven Verlusterkenntnis einer Auswanderergeneration, die bereits seit mehr als fünfzig Jahren in Australien lebt, die alte Heimat ausschließlich von persönliche Sehnsucht nach Postkartenidylle befriedigenden touristischen Kurzbesuchen kennt, jedoch während der Interviewsituation zur Bekräftigung der aus voller Überzeugung getätigten Aussage, „Aber natürlich, es gibt nichts Besseres als Germany“65, gestenreich mit der Hand auf die Sessellehne haut. Mit der gleichen Intensität, mit der die jetzigen bzw. kommenden Besitzer einer dual citizenship auf der Annahme der australischen Staatsbürgerschaft insistieren, kommt eine weitere Argumentationsebene der Befragten zum Vorschein. Diese Deutschland und den europäischen Kontinent in den Fokus nehmende Ausrichtung der Auswanderer hält es für genauso bedeutend, im gleichen Verfahren einen Beibehaltungsantrag zwecks der Fortführung der deut-

60 Zitat aus dem Interview mit Andreas Bader, datiert auf den 10.05.2008. 61 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 23.05.2008. 62 Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008. 63 Zitat aus dem Interview mit Gregor Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 64 Zitat aus dem Interview mit Walter Sonneck, datiert auf den 21.04.2008. 65 Ebd.

482 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

schen Staatsangehörigkeit beim deutschen Generalkonsulat in Sydney zu stellen. Der deutsche Pass garantiere als transnationale „Eintrittskarte in die Europäische Union“66 eine unbeschwerte, über Staatengrenzen hinweg praktizierte Mobilität in 27 Mitgliedsländern, stelle eine nicht zu unterschätzende Verbindung zu deutschen Pensionsansprüchen her und sei nicht zuletzt als staatenpolitisches Medium für das Gros der unentschlossenen temporären Migranten, die stets vorgeben, nicht ausgewandert, sondern lediglich einen interkontinentalen Umzug bewerkstelligt bzw. den Lebensort für eine undefinierbare Zeit gewechselt zu haben, eine emotionale und kognitiv-mentale Rückkehrversicherung. Der deutsche Pass als versinnbildlichte Hintertür, die es sich angesichts tiefgreifender und folgenreicher Konsequenzen dieser migrantischen Übergangszeiten zwischen kultureller Pluralisierung und Integration nicht zu verbauen gilt, vermittelt etwas Verbindliches, das die persönliche Existenz abseits aller mit der Globalisierung einhergehenden Auflösungsmechanismen legitimiert bzw. eine identitäre Rückbindung zu einer essenzialistisch konzeptionalisierten Kulturnation, den Wurzeln sowie den angestammten Loyalitäten gewährleistet. Als einen schrecklichen Traum beschreibt die zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach Sydney migrierte Tatjana Wiersching ein aus ihrer Sicht unvorstellbares Szenario, bei dem die Aufgabe des deutschen Passes zur Diskussion gestellt würde: „Das wäre ein Albtraum, das wäre, wir wenn du mir meine Identität wegnehmen würdest. Ich glaube, dann würde ich zurückgehen.“67 Ein identitätsanzeigendes Stück Papier in einer Plastikumhüllung wird hier in der Phase der turbulenten Diskontinuität Migration zu einem beständigen Referenzpunkt emporgehoben, der „in der Vergangenheit, der Gegenwart und für alle Zukunft [einen, Anm. d. A.] Ruhepunkt in einer sich wandelnden Welt darstellt“ (Hall 1994b: 47). Den Prozess zur Erlangung der doppelten Staatsbürgerschaft schilderten die Untersuchten als ein langwieriges und bürokratisches Prozedere, bei dem zahlreiche Formulare und Dokumente sowohl beim deutschen Generalkonsulat als auch bei der australischen Immigrationsbehörde vorgelegt werden müssen. Im Zuge des Antrags zur Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft müssen Angaben getätigt werden, die Auskunft über den Grad der Bindung nach Deutschland wie zum Beispiel Eltern bzw. Verwandte, Rentenbezüge, Kapitalanlagen, Immobilien, berufliche Beziehungen und die Beteiligung in Interessengemeinschaften. Eine Darlegung über die negativen Auswirkungen bei der Annahme des australischen Passes

66 Zitat aus dem Interview mit Dr. Bettina Rößler, datiert auf den 08.08.2008. 67 Zitat aus dem Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008. Über Liminalitätserlebnisse, die mit dem Wegfall einer an den Pass gebundenen Staatsbürgerschaft auftreten sowie gleichbedeutende negative Transformationsprozesse der kulturellen Identität nach sich ziehen, informiert Barbara Wolbert in ihrer Studie über türkische Migranten in Deutschland (Wolbert 1995: 178).

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 483

und der gleichbedeutende Verlust des deutschen gehört ebenfalls zu den eingereichten Unterlagen. Das kostenpflichtige behördliche Ansuchen wird bei einer positiven Prüfung der Sachlage nach circa zwölf Monaten bewilligt, so dass erst danach mit den Vorbereitungen zum Empfang der Bürgerrechte in Australien begonnen werden kann. Verfügt der Migrant über den Status der permanent residency, kann er möglicherweise durch ein in Australien geborenes Familienmitglied (Ehemann oder Kinder) eine Bindung an den Fünften Kontinent nachweisen und garantiert seine materielle Eigenständigkeit bzw. seine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt, so muss er lediglich noch die Hürde des Einbürgerungstests nehmen. Diente der citizenship test im dunklen Kapitel der White Australia Policy noch als effektives Ausschlussmittel von kulturell Fremden, fungiert er gegenwärtig als ein computergestütztes Medium, das Englischkenntnisse sowie das Wissen über den Kontinent von den zukünftigen new Australians in 20 Fragen examiniert. Ein von der australischen Immigrationsbehörde herausgegebenes Handbuch für potenzielle Anwärter informiert über den zu beherrschenden Stoff, der sich vorgeblich mit der Geschichte der Nation (digger- und ANZAC-Legende), den demokratischen Politik- und Regierungsstrukturen, australischen Werten wie Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Gleichheit vor dem Gesetz, Toleranz und gegenseitigen Respekt beschäftigt. Zudem wird landeskundliches Wissen vorausgesetzt wie die geografische Lage der einzelnen Staaten und Territorien, deren Flaggen, nationale Symbole68 (wie der Commonwealth Coat of Arms oder der Golden Wattle) und staatliche Feiertage. Auch Fragen wie Who was Sir Donald Bradman? sollen bis in die jüngste Vergangenheit hinein den Neubürgern vor Augen führen, dass Sport als gesellschaftliche Aktivität der Freizeitgestaltung an ihrem neuen Beheimatungsort eine signifikante Bedeutung beigemessen wird. Das am nationalen Feiertag zumeist mit einem besonders festlichen Rahmen flankierte Ritual der Australian citizenship ceremony, die einen geregelten Ablauf und spezifische transitorische Elemente der Passage von einem migrantischen Status zu einem vollwertigen Mitglied der australischen Nation aufweist, soll im Folgenden durch das ethnografische Kaleidoskop hindurch betrachtet werden.69 Nach-

68 Anthony Smith sieht in diesem festen Set an nationalen Symbolen, die zurückgehen auf gemeinsam geteilte Erinnerungen und Mythen sowie in einer standardisierten Sprache kommuniziert werden, eines der wichtigsten pädagogischen Medien zur Formung einer sich auf eine Territorialität und interne Loyalität berufenden nationalen Kulturgemeinschaft (Smith 1986: 136). 69 Neben den in den Interviews getätigten Aussagen zu dieser ritualisierten Übergangshandlung waren es insbesondere die mir von meiner Gewährsperson und australischen Gastmutter zur Verfügung gestellten Videomaterialien, Zeitungsberichte, Urkunden, Dokumente und narrativ übermittelten Erlebnisberichte, mittels der eine authentische Rekonst-

484 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

dem Kapmeier beim Generalkonsulat bzw. der Immigrationsbehörde mit Sitz in der National Capital Town Canberra einen positiven Bescheid erhalten hatte, erfolgte im letzten Viertel des Jahres 2008 eine Binnenmigration nach Brisbane, wo sie am Australia Day 2009 mit zahlreichen anderen Migranten aus unterschiedlichen Ländern zur australischen Staatsbürgerin ernannt wurde. Ausrichtungsstätte der Zeremonie war das Westfield-Carindale-Einkaufszentrum, in dessen architektonischem Mittelpunkt eine große Freifläche sowie die hier lokalisierte Bühne genutzt wurde, um den circa 70 an der Feierlichkeiten beteiligten Personen (Anwärter auf die Staatsbürgerschaft, Familienangehörige, Gäste, Schaulustige und Passanten) ausreichend Sitzmöglichkeiten zu bieten. Traditionell ist das ungefähr eine Stunde dauernde offizielle Ritual eingebunden in die local community eines bestimmten Vororts, in dem die zukünftigen Australier und Australierinnen ihren aktuellen Wohnort besitzen. Neben dem mit einem Mikrofon ausgestatteten Sprecherpult ist auf der rundlichen Holzbühne eine Reihe, bestehend aus einem halben Dutzend Stühlen, zu erkennen, auf denen lokale Politiker sowie Repräsentanten der Aborigines, die traditionellen Eigentümer der Landflächen im Stadtbezirk, Platz genommen haben. Zunächst erfolgte in den Reden von auf lokaler Ebene tätigen Politikern sowie Regierungsabgeordneten ein Hinweis auf die mit der Überreichung des citizenship certificate einhergehenden Rechte und Pflichten für die zukünftigen Bürger des Fünften Kontinents. Qua Überlieferung ist es im Rahmen dieser Veranstaltung des Weiteren üblich, dass ein Anwärter bzw. eine Anwärterin im Namen aller Kandidaten einen Redebeitrag vorbereitet, diesen dem multikulturellen Auditorium präsentiert und dabei aus der Sicht der eigenen ethnokulturellen Herkunft die Motivationen zu diesem (sub-)nationalen Überschreiten vor dem Hintergrund der eigenen Biografie reflektiert. Aus dem Kreis der zur Turner’schen Communitas gehörenden Aspiranten erklärte sich meine Gewährsperson Anja Kapmeier bereit, diesen privilegierten Part im Anschluss an die Übergabe der Staatsbürgerschaftsurkunde zu überneh-

ruktion dieses lebensgeschichtlich wohl einzigartigen Tages gelingen konnte. Dank des stationären sowie mehrere Monate dauerende Forscherdaseins im Feld konnten über alltägliche informelle Gespräche mit der Antragstellerin grundsätzliche Voraussetzungen, Probleme, Fortschritte, Vor- und Nachteile sowohl beim Verfahren zur Stellung des „Beibehaltungsantrags“ als auch bei den Anstrengungen zur Erlangung der australischen Staatsbürgerschaft eruiert werden. Da der an zwei nationale „Behörden- und Beamtenapparate“ geknüpfte Prozess sehr zeitintensiv und zuweilen als „nervenaufreibend“ geschildert wurde, rief diese Thematik kontinuierlich emotional aufgeladene Diskussionen im familiären Kreis hervor, in die ein vielschichtiges Spektrum an Einzelaspekten einflossen, anhand derer erst eine die Tiefendimension ausleuchtende Gegenstandsbeschreibung des Phänomens gelingen konnte.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 485

men.70 Gemäß der Leitdevise „folklorisierte Inszenierung von Kultur“ wählte die Rednerin speziell für dieses öffentliche Ereignis ein mit den authentifizierenden ethnischen Gütesiegeln „traditionell“ und „original“ versehenes Trachtenkostüm aus ihrer Heimatstadt Hamburg aus, das sie während der Veranstaltung trug und ferner umgehend als „traditional German“ oder „Hamburg country dress“ Einzug in die lokale Presselandschaft hielt (O.A.: Aussie home suits Anja 2009: 8). Die Verkleidung kombinierte einen roten Unterrock mit einer Bluse, die im Bereich des Torsos eine Pigmentierung mit blauen, roten und weißen Punkten erkennen ließ und deren Ärmel bis zu den Ellenbogen weiß waren. Ein mit einem Knoten um den Hals gebundenes Tuch, gehäkelte weiße Kniestrümpfe, schwarze Damenschuhe mit halbhohen Absätzen sowie eine aus gestärktem und gefärbtem Stoff gefertigte, den Konturen des Kopfes angepasste sowie die Ohren bedeckende Kopfhaube komplettierten die folkloristische Zurschaustellung bäuerlich-ländlicher bzw. in den Augen der australischen Presse auch irrtümlicherweise nationaler Kultur. Glorifiziert und revitalisiert wird mit dieser reliktartigen „Volkstracht“ (Böth 2001: 224; Bringemeier 1995), die unabwendbar agrarromantische Assoziationen der antimodernen Riehl’schen „Mächte des Beharrens“ aus der volkskundlichen Mottenkiste heraufbeschwört, eine unlängst abgelebte Zeit aus der Geschichte eines real nicht mehr bewohnten Territoriums, in dem derartige Kleidungsgewohnheiten vermehrt in den konservierten Dingwelten des musealen Milieus ihren Niederschlag finden. Vielmehr besitzt doch die von der semantischen Wesentlichkeit der Tracht ausgehende Symbolsprache gesonderte Signifikanz, weil die Tracht und die Zurschaustellung dieser kulturalisierten Repräsentation der Trägerin unverwechselbare Orientierungsund Sinngebungsinstanzen gewährleistet, die nicht zuletzt ethnische Historizität, Faktizität, Kontinuität, Originalität und Plausibilität verbürgen (Egger 2008: 90; Hartmann/Holecek 2011: 188). Es war Konrad Köstlin, der in derartigen fiktionalisierten Folkloredarbietungen „zelebrierte Kulte der Authentizität“ sah, die jedoch mit der „aktiven Selbstschaffung des Subjektes“ eine wesentliche anthropologische Grundfunktion bei der gegenwärtigen Konstruktion von Ethnizität besitzen (Köstlin 2001: 48f.). Als der durch das Rahmenprogramm moderierende Repräsentant der local community in der Ankündigung auf das nun Kommende die aus Deutschland nach Australien ausgewanderte Rednerin mit den Worten „in her national dress“ den Zuhörern präsentierte, begab sich Kapmeier mit ihrer zur ethnischen „Volkstracht“ emporgehobenen Verkleidung zum Stehpult und begann mit ihrem Vortrag. Nach begrüßenden Einleitungsworten bedankt sich die Vortragende zunächst für das ihr zugesprochene Privileg, im Namen der insgesamt 32 „new Australian citizens […] from a wide range of countries“ zu den sich an diesem Feiertag versam-

70 Für die bereitwillige zur Verfügung Stellung des Textmanuskriptes der gehaltenen Rede bin ich Anja zu Dank verpflichtet.

486 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

melten Menschen sprechen zu dürfen. Jene Gruppe der an diesem Tag zu Staatsbürgern Australiens werdenden Menschen, die gleichzeitig gewillt sind, die Werte und Grundsätze zu begrüßen und zur Diversität des Landes einen Beitrag zu leisten, haben im lucky country „such a great place to live in“ gefunden. Mit der rhetorischen Anspielung auf ihren durchaus hörbaren Akzent sei es den Zuhörern wahrscheinlich bereits gelungen, den Ort ihrer Herkunft zu entschlüsseln. Deutschland sei das Land, das in seiner Nationalflagge die gleichen Farben vereine wie die Flagge der australischen Ureinwohner, wenngleich die Reihenfolge eine andere sei. Anschließend folgten aus der Retrospektive in unmittelbare chronologische Sinn- und Relevanzstruktur gebrachte biografische Anknüpfungspunkte, die dem das vorläufige Ende der Migrationsreise markierenden Schritt, d. h. dem liminalen Übergang vom Immigrant zum Staatsbürger, insofern rechtfertigende Erklärungsmuster an die Seite stellten, als dass dieser Chronologien in einem strukturierten, über Plausibilität und Linearität verfügende Werdegang Entsprechung findet, der geradlinig auf den Ausgangspunkt der Einbürgerung hinausgelaufen sei. Aus der gegenwärtigen Perspektive selektiv konstruierte Feststellungen wie „As soon as I stepped out of the plane I fell in love with this country“ und „I was always convinced that Australia with its opportunities and environment is just the best country to raise children“ lesen sich als liebevolle Innigkeit bekundende Statements und klangvolle Schmeichelattacken, die einerseits zum Zwecke einer Simplifizierung der Komplexität von Kulturkontakt- und Kulturkonflikterfahrung angeführt werden, das von Zäsuren, Diskontinuitäten und Irritationen gekennzeichnete Leben im displacement zu glätten suchen und der identitären Selbstbeschwichtigung dienen, andererseits in keinem strategisch wohldurchdachten Elaborat, bei dem Abgesandte aus Politik, Wirtschaft und Kultur zugegen sind, fehlen dürfen. Im Anschluss daran kommt mit dem intensiv-affektiven Erlebten einer ganzen Reihe von naturräumlichen Landschaften ein bei deutschen Migranten in Sydney weitverbreitetes Argumentationsmuster zur Geltung. Es wird dargelegt, dass keine Gelegenheit ausgelassen sowie stets alle zur Verfügung stehenden finanziellen Rücklagen aufgebraucht wurden, um die Great Ocean Road zu sehen, am Great Barrier Reef zu schnorcheln, den weißen Sand auf Frazer Island zwischen den Zehen zu spüren, die Wüstenebene Nullabor sowie Kalgoorlie auszukundschaften und den Uluru zu bestaunen. Der offene und warmherzige Willkommensempfang der menschlichen Netzwerke in Brisbane trug maßgeblich zu einer zeitnahen Integration der Neuankömmlinge aus Sydney bei. Im abschließenden Teil ihrer Rede rekurrierte Anja Kapmeier neuerlich auf die gesellschaftlichen Implikationen dieses an diesem Tage zugrunde liegenden Rituals, in dem sie sowohl auf die Rechte als auch Pflichten der neuen Statusträger in einem Land aufmerksam machte, das sich eine multiethnische Ausrichtung der Gesellschaftsstruktur in die politische Agenda geschrieben hat und diese auch in die alltagskulturelle Praxis umzusetzen weiß. Die Immigrantin mit ihrem von Außenstehenden im Prozess der Fremdwahrnehmung mit der Bedeutungskonnotation „eth-

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 487

nisch“ belegten Trachtenkostüm, das vor allen Dingen durch seine suggestive Visualität, seine Exotik sowie der damit mitschwingenden Exzeption von den Mitmenschen durch die von der stereotypen Gedankenschublade mit der Aufschrift foreign justierte kulturelle Linse ausgedeutet wird, versucht den zugegebenermaßen nicht ganz ohne Schwierigkeiten verbundenen Spagat zwischen multiethnischer Diversität und dem Integrationsimperativ social cohesion zu arrangieren. „By becoming an Australian citizen and embracing Australia’s values we have chosen this country to build our futures and bring up our families. I feel that becoming a citizen will strengthen my sense of belonging and I look forward to embracing the lifestyle and culture of this amazing country and at the same time contribute with my cultural background as I believe that diversity enriches all people and contributes to the peace of the world.“71

Im Anschluss an den Redebeitrag forderte ein Mitglied der Delegation, das auf der Bühne Platz genommen hatte, die neuen Australier sowie alle anderen an der Zeremonie Beteiligten auf, von ihren Sitzen aufzustehen und Vorbereitungen für ein Ritualelement zu treffen, in dem ein öffentliches Bekenntnis zu den Verantwortungen, Privilegien und Obliegenheiten, die an die verliehene australische Staatsbürgerschaft geknüpft sind, verbalisiert wird. Während der Auslobung des so genannten Australian citizenship pledge mussten nicht nur die hier im Kollektiv eingeschworenen Aspiranten den Schwur wiederholen, sondern auch den als Gästen anwesenden Familienmitgliedern oder Freunden mit australischer Staatsbürgerschaft wurde die Offerte unterbreitet, anhand der erneuten Repetition der nationalen Beteuerung ihre Dazugehörigkeit zu bekunden bzw. sich dieser zu vergewissern. Stehend und mit erhobener rechter Hand sprachen die Anwesenden folgende, von einem Ritualmeister aus der politischen Abgesandtschaft via Mikrofon vorgesprochene Worte nach: „For this time forward, under God, I pledge my loyalty to Australia and its people, whose democratic beliefs I share, whose rights and liberties I respect, and whose laws I will uphold and obey.“ Fakultativer Charakter kommt bei dieser feierlichen Vereidigung dem Passus „under God“ (vor Gott) zu, der von Australiern, die in ihren religiös-eschatologischen Sichten auf Welt das Christentum nicht mit einschließen, übergangen werden kann. Ulrike Krause berichtete, dass bei ihrem in den North Sydney Town Chambers abgehaltenen Einbürgerungsritual die Kandidaten entsprechend der religiösen Zugehörigkeit vor dem Gelöbnis aufgeteilt wurden. Dabei wurden jedoch die Beteiligten den vorgefassten Stereotypen ganz und gar nicht gerecht, da alles, „was braun und bunt“ aussah, mit der linken Hand die Bibel berührte und den christlichen Gott mit in das Bekenntnis integrierte und alles, „was

71 Zitat aus der Rede von Anja Kapmeier anlässlich der Australian citizenship ceremony.

488 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

weiß [war] und viereckige Brillen“72 trug, bei dieser Textstelle verstummte. In gleicher Weise fungierten auch in dem nördlichen Stadtteil die lokale Parlamentsabgeordnete sowie der Bürgermeister des Vororts als handlungssteuernde Autoritäten des Zeremoniells während der kollektiven Einschwörung der neuen Mitglieder der australischen Gesellschaft, so dass bei diesem hochoffiziellen wie staatspolitischen Akt die Gesamtheit der Gefühle bei der deutschen Migrantin zwischen „emotional und nervös“73 angesiedelt waren. In der direkten Nachfolge an den formellen und nach klar vorgegebenen Strukturen verlaufenden Handlungskomplex des Gelöbnisses, das aufgrund seiner erhöhten Signifikanz als „Staatsakt“ in seinem durchweg invariablen wie unverrückbaren Hergang kaum bzw. gar keine Abweichungen von der für alle Geltung besitzenden Norm toleriert, kam es zur Eingliederung einer geselligen Feierstunde, die die Ritualchronologie zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügte. Während der im Freundes- und Familienkreis eingenommenen kleinen Mahlzeit wurden Lamingtons, ein „uraustralisches Gebäck“74, und Tee serviert. Als Präsent überreichten die Organisatoren den new Australians einen kleinen Baum, dessen symbolische Metaphorik nicht passender hätte gewählt werden können. Die Lebenswirklichkeit der in der englischsprachigen Migrationsforschung stets mit dem Marginalisierungssignum uprooted etikettierten Auswanderer ist eingebettet in das kulturelle Spannungsverhältnis von De-Territorialisierung, Entwurzelung, Anomie und Heimatlosigkeit – alles Anhaltspunkte, die aus der Warte der den Normalitätsdiskurs bestimmenden Sesshaften emergieren und die Migrationsbewegungen immer noch als etwas nicht Alltägliches und somit als Störfaktor bzw. Abweichung auffassen. Das Gewächs, das den Ort seines Keimens und anfänglichen Gedeihens hinter sich gelassen hat, schlägt nun seine Wurzeln in neuem Boden und wird als vollständig akzeptiertes, mit allen Rechten versehenes Mitglied in anderer Umgebung zur neuerlichen Blüte gelangen. Im „true Aussie style“ nahmen auch die am Nachmittag nach der Australian citizenship ceremony in Brisbane realisierten Aktivitäten ihren Verlauf, bei denen sich einige der den Familien nahestehenden Freunde zu einer Grillveranstaltung zusammenfanden. Im Zuge dieses rituellen Schwellenerlebnisses, d. h. bei der ritualisierten Aufnahme eines bis zu diesem Zeitpunkt außerhalb Stehenden in den exklusiven Kreis einer Kulturgemeinschaft, das zudem eine unvergleichliche Zäsur in der Biografie darstellt, bleibt privates Feiern, bei der sich auch die Gelegenheit bietet, durch Fotos wertvolle identitäre Erinnerungsressourcen für die nachfolgenden Zeiten zu speichern, nicht aus. Das in diesem Kapitel veranschaulichte Übergangsritual zur Erlangung der australischen Staatsbürgerschaft bei gleichzeitiger Beibehaltung aller der mit dem Be-

72 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 23.05.2008. 73 Ebd. 74 Ebd.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 489

sitz eines deutschen Passes verbundenen Pflichten und Rechtsansprüche – wie zum Beispiel der nahezu uneingeschränkten Mobilität zwischen den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und auch der juristisch-behördlichen Zugehörigkeit zur nationalen „Abstammungsgemeinschaft“ – entlässt die in das Spannungsverhältnis von deutschem „Vaterland“ und australischem „Mutterland“ eingewobenen kulturellen Grenzgänger in ein lebensweltliches Stadium, in dem eine universalistische und fixierte Auffassung von ethnischer Identität und staatenpolitischer Loyalität nicht mehr denkbar ist. Im hybriden Leben zwischen dem „Hier“ und dem „Dort“ verschwindet die Denkkategorie des „Entweder-oder“ und wird durch die Reflexionsfläche des „Sowohl-als-auch“ ersetzt, so dass das von Katherine Pratt Ewing skizzierte „crosscutting“ bzw. die „multiple, shifting, and negotiated identities“ (Pratt Ewing 2004: 118) im Alltag der Untersuchungsgruppe viel häufiger anzutreffen sind. Dieser hier ins Rollen gebrachte Gedankengang zieht unweigerlich eine weitere, eher theoretische Argumentationsebene des Diskurses um die Internationalisierung grenzüberschreitender bzw. weltumspannender Migration nach sich, der von der These ausgeht, dass die Nation als noch relativ junge zeitgeschichtliche Errungenschaft der Moderne im Zuge einer transnationalen Vernetzung einer großen Zahl von Menschen sowie der Ent-Territorialisierung ethnokultureller Versatzstücke spätestens zum Ende des 20. und besonders seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts dabei ist, sukzessive seine kulturelle und politische Inklusionskraft einzubüßen. Bei der näheren Betrachtung der hybriden Performanz während der Australian citizenship ceremony von Kapmeier ist es gerade die dem Redebeitrag sowie dem Auftreten im Trachtenkostüm – was abseits der eigentlichen Intention, die darin lag, einen regionalen Bezug herzustellen, durchaus als Inszenierung nationaler Kultur gelesen werden kann – eingeschriebene kulturelle Ambivalenz, die keine monokausale wie simplifizierende Bewertung dieser doch hochgradig eindimensionalen Hypothesen vom Bedeutungsverlust des politischen Staatsapparats mit einem sich aus der nationalen Geschichte herausbildenden kulturellen Vermögen zulässt. Bereits das Auftreten mit dem ethnischen Differenzmarker Trachtenkleidung75 liest sich bei

75 Ganz offensichtlich entstammt das hier zur pittoresken bis theatralisierten Darbietung gebrachte Kulturgut der Trachtenkleidung aus dem okzidental-christlich geprägten Europa, das den Zuschauer zur exotischen Imagination der Kultur des Alten Kontinents anregen sollte. Rekurs nehmend auf die von mir getätigten Reflexionen zur Islamophobie in Australien in Kapitel 4.6 kann durchaus die Frage aufgeworfen werden, inwiefern die Organisation an dieser Stelle steuernd in den Ablauf des Rituals eingegriffen hat. Nicht ganz ohne Berechtigung steht zur Debatte, wie das Publikum auf einen Redner aus einem islamisch geprägten Land reagiert hätte, der ebenso wie Kapmeier als ein aus der idealisiert rekonstruierten Vergangenheit dramaturgisch in Szene gesetzter Paschtune mit weißem Übergewand, Sandalen und Turban die Bühne betreten hätte. Auch wenn diese der

490 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

bloßer Visualität durch den außerhalb stehenden Betrachter zunächst als ein prononciertes Bekenntnis zum kulturellen Erbe der bundesdeutschen Herkunftskultur bzw. zum „hegemoniale[n] kulturelle[n] System des ,Deutschseins‘“ (Niedermüller 2000: 42). Die „alte“ und „authentische“ Tracht, als eine Erfindung der bürgerlichen „Zuhausekultur“ des 19. Jahrhunderts, die sentimentalen Gefühlsausbrüchen wie Heimweh erst den Weg bereitete sowie in der Gegenwart dafür Verantwortung zu tragen hat, dass mit Heimweh stets fiktionalisierte und romantisierte Assoziationsmuster einer bäuerlich-pastoralen Gesellschaft verknüpft werden (Löfgren 1995: 355), schafft als emblematisches Sinnbild eine transkontinentale Brücke zu einer kulturellen „Landschaft, die stark von der Erinnerung lebt und an die keine persönlichen Erfahrungen geknüpft“ (ebd.: 358) sind. Die der Zeremonie unterliegende Absicht, beide bzw. mehrere kulturelle Welten zu vereinigen bzw. mit der nun auch von staatspolitischer Seite konsolidierten „gespaltene[n] kulturelle[n] Identität“ (Vonderau 2004: 102) dem absoluten Integrationsdiktat eine Abfuhr zu erteilen und sich mit seiner hybriden ethnischen Identität wider „den homogenisierenden Kulturzwang der klassischen Nationalstaatenbildung“ (Rauer 2008: 92) zu positionieren, spiegelt eine Identitätspolitik wider, die Peter Niedermüller sehr treffend als „multiple rooting und multiplicity of membership“ (Niedermüller 2000: 42) benannt hat. Doppelkulturalität, das antithetisch-dialektische Ausleben bzw. Aushandeln sich wechselseitig durchdringender und divergent zueinander verhaltender kultureller Logiken wie Grammatiken, wird in dem hier nachgezeichneten Ritual genauso deutlich wie das stetig präsente Verlangen nach einer historisch tief sedimentierten wie exklusiven Zugehörigkeit zu einer nach außen wie innen authentisch wirkenden imagined community, die anhand von Kleidungspräferenzen, Sprache, gemeinsam bewohntem nationalem Territorium, Verhaltensweisen sowie Bedeutungs- und Wertemustern in der Zeit der Flüchtigkeit von Stabilitäten und Referenzpunkten eine optionale, d. h. eine unter vielen anderen Identifikationsmöglichkeiten darstellt (Sen 2007: 43f.). Individuelles Erleben von migrationsbedingter Fragmentierung, Destabilisierung, Pluralisierung und Ent-Territorialisierung macht den mobilen Menschen anfällig für therapeutisch sowie kulturell vertraut wirkende Ordnungen und hiermit zum Ausdruck gebrachte stabilisierende Kontingenzerfahrungen. Fassen wir Hybridität abschließend „als das Gegengift zu puristischen Vorstellungen von Identität und Ethnizität“ (Nederveen Pieterse 1998: 104) auf, so konnte an dem zeremoniellen Ritual der Australian citizenship ceremony deutlich

Machtasymmetrie folgende Repräsentation von ethnischer Pluralität nicht ganzheitlich aufgeklärt werden kann bzw. im Dunstkreis des Spekulativen verblieben muss, so kann doch festgehalten werden, dass eine Affinität zum europäischen Kulturkreis und der christlichen Kulturtradition bei den cultural brokers der citizenship ceremony gleichbedeutend ist mit einer Abgrenzung zu den muslimischen.

K ULTUREN

IN

T RANSITION | 491

gemacht werden, wie deutsche Migranten in Sydney ihre Bemühungen zur gesellschaftlichen Partizipation dahingehend ausrichten, ihre „lebensweltliche Kontextualisierung und Selbstverordnung“ (Rolshoven 2009: 29) im nationalen wie kulturellen Dazwischen zu beziehen, somit in keiner (essenzialisierten) Identitätszuschreibung völlig aufgehen, und nicht zuletzt multilokale wie auch kognitive Bewohner des „Hier“ und des „Dort“ gleichzeitig zu sein. Mit seinem hochsensiblen Gespür für Fragen von Mobilität, Migration und Wanderungsbewegungen kategorisierte Stuart Hall diesen kulturell hin- und hergerissenen Menschenschlag wie folgt: „Sie tragen die Spuren besonderer Kulturen, Traditionen, Sprachen und Geschichten, durch die sie geprägt wurden, mit sich. Der Unterschied ist, daß sie nicht einheitlich sind und sich auch nie im alten Sinne vereinheitlichen lassen wollen, weil sie unwiderruflich das Produkt mehrerer ineinandergreifender Geschichten und Kulturen sind und zu ein und derselben Zeit mehrer ,Heimaten‘ und nicht nur einer besonderen Heimat angehören. Menschen, die zu solchen Kulturen der Hybridität gehören, mußten den Traum oder die Ambitionen aufgeben, irgendeine ,verlorene‘ kulturelle Reinheit, einen ethnischen Absolutismus, wiederentdecken zu können“ (Hall 1999a: 435 [Herv. i. O.]).

6.

Zur Transnationalisierung kulturaler Welten: Strukturen und Dynamiken polylokaler Verflechtungen „I don’t think that migration, the process of being uprooted, necessarily leads to rootlessness. What it can lead to is a kind of multiple rootings. It’s not a traditional identity crisis of not knowing where you come from. The problem is that you come from too many places […] It’s not that there are pulls in too many directions so much as too many voices speaking at the same time“ (Salman Rushdie, in einem Interview der New York Times Book Review, 13.11.1983, zitiert nach Bräunlein/Lauser 1997: I).

Bereits bei der ersten, an der Oberfläche verharrenden Durchsicht des ethnografischen Datenmaterials sowie der sich daraus manifestierenden, in einem starken Maße an biografischen Verlaufsformen der Untersuchungsgruppe deutscher Migranten in Sydney geknüpften multidimensionalen Wanderungsbewegungen kommt zum einen eine duale lebensweltliche Partizipation in der Herkunfts- und der Aufnahmegesellschaft zum Vorschein. Zum anderen bestechen die bewegten Lebensformen der Wanderer zwischen den Kulturen durch globale Interaktionsverflechtungen mit mehreren Referenz- wie Bezugspunkten zu einem heterogenen Spektrum sich als Nationalstaaten verstehender Territorien, die eine flächenräumliche wie soziokulturelle Dichotomie transzendieren und ausweiten. Transnational Connections, wie sie von Ulf Hannerz im wissenschaftlichen Fachjargon erwähnt wurden, sind auch bei den hier im Fokus stehenden Untersuchten eingewoben in das polysemantische Verhältnis von allgemeiner globaler Mobilität und spezifisch lokalem Agieren. Dieses transnationale Oszillieren zwischen multilokalen Lebensweisen bzw. Ortsbezogenheiten finden wir zunächst sehr deutlich bei den zur Gruppe

494 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

der Auslandsdeutschen gehörenden Immigranten in Sydney, die zwar – wie der Terminus schon vorgibt – nicht auf deutschem Staatsgebiet geboren sind, sich jedoch angesichts ihrer Sozialisation in einem diasporischen Milieu mit intensiver Einflussnahme vorgeblich „deutscher“ Institutionen – wie zum Beispiel Eltern, familiärem Umfeld, Freunden, Schule, Kirche sowie nahezu sämtlichen Einrichtungen des sozialen Lebens – in ihrer in der alltagskulturellen Lebenswirklichkeit ausgelebten Collage von Bindestrich-Identitäten zu einem mehr oder minder wesentlichen Teil als Deutsche identifizieren bzw. definieren. Als illustratives Beispiel können wir neuerlich Erhard Gohdefeld zu Rate ziehen. Geboren in Jaffa als Nachfahre der im 19. Jahrhundert aus Schwaben nach Palästina ausgewanderten Glaubensgemeinschaft der Templer wurde er als Kind mit seiner religiösen Kongregation aufgrund des anhaltenden Siegeszuges des Deutschen Afrikakorps unter Erwin Rommel im Jahre 1941 als Kriegsgefangener aus dem britischen Mandatsgebiet nach Sydney deportiert. Die Überfahrt erfolgte mit der während des Zweiten Weltkriegs gebauten Queen Elizabeth, die mit dem Schwesterschiff Queen Mary zwischen Suez und Sydney pendelte. Aufgewachsen in einer nahezu autark lebenden deutschen Kolonie, eingebettet in ein multiethnisch geprägtes Land, folgten fünf Jahre Internierungslager in Victoria, in dem der Einfluss des so genannten „Deutschtums“ weiterhin eine dominante Stellung einnahm, so dass die deutschen „Wurzeln“ einen integralen Bestandteil des alltäglichen Lebens konstituierten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lebt der Informant bereits seit nahezu siebzig Jahren in Australien. Infolge von anhaltenden Aufenthalten und intensiven Kontakten zu Verwandten und Bekannten in Süddeutschland, Palästina sowie zu seiner Cousine in Brasilien oszilliert der Transmigrant zwischen mehreren Kulturen, was ein plurikulturelles Identitätsmanagement ermöglicht sowie die Gebundenheit an einen einmaligen und fest gefügten Lebensort entmystifiziert. Als Urgroßenkel eines in Deutsch-Südwest-Afrika die christliche Glaubenslehre verbreitenden Geistlichen der Hermannsburger Mission verbrachte Tilmann Ruschmeyer einen großen Teil seiner Kindheit in Südafrika, ging während der Promotion seines Vaters in Mainz und Düsseldorf ab 1974 in Deutschland zur Schule und beendete nach der Rückkehr in die „kleine Welt der deutschen Enklave“1 in Pretoria seine schulische wie universitäre Laufbahn als Mediziner. Es folgten zumeist mehrere Jahre andauernde Arbeitskontrakte in Johannesburg, England, Schottland, Hobart, Griffith und Sydney. Anhaltende transnationale Kontakte, gestützt wie intensiviert durch neue virtuell-internetbasierte Kommunikationsformen sowie immer schnellere und kostengünstigere Interkontinentalflüge, bestehen nach wie vor zu ehemaligen Kommilitonen, Arbeitskollegen sowie Freunden und Familien in Namibia und Südafrika, so dass mit der kontinuierlichen Bewegung zwischen geogra-

1

Zitat aus dem Interview mit Dr. Tilmann Ruschmeyer, datiert auf den 03.06.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 495

fischen, kulturellen und politisch-nationalstaatlichen Lokalitäten und der hiermit implizierten multiloyalen Vernetzung von Handlungshorizonten, Bedeutungs- sowie Bewertungsmustern eine binäre Fixierung des Transmigranten auf ein Entsende- und ein Ankunftsland nicht nur utopisch erscheinen lässt, vielmehr sprengt die über Grenzen hinweg angelegte Alltagswelt diese Konzepte in Gänze. „Junger Mann, komm nach Australien“2, stand laut Aussage von Paul Keilbach als Überschrift in einer Schweizer Zeitung annonciert, auf deren Anwerbungsaufruf er sich als Arbeitsmigrant für zwei Jahre verpflichten ließ und im Jahr 1969 in Sydney australischen Boden betrat. Nachdem er in den ersten beiden Jahren seiner auf Lebenszeit angelegten Wanderungsbewegung für das Unternehmen Queensland Railways als Glied einer Menschenkette Früchte von Wagon zu Wagon transportierte, sein Glück in einer Opalmine suchte und in Victoria während der Erntesaison Früchte pflückte, besuchte er eine Freundin auf der Südseeinsel Tahiti. Im Hafen von Papeete heuerte er mehr durch einen Zufall und unwissentlich als durch strukturiertes Vorgehen auf einem wissenschaftlichen Expeditions- und Forschungsschiff der in New York City beheimateten Columbia University an, auf dem er nicht nur zuerst als Schiffsjunge im Maschinenraum und später als Chefsteward von 1971 bis 1975 insgesamt vier Jahre arbeitete, sondern auch viermal den Globus auf den Ozeanen umrundete. Das Schiff steuerte zwecks geologisch-klimatischer Untersuchungen bzw. der Entnahme von Gesteins- und Eisproben mehrmals für eine Zeitspanne von mehreren Wochen im Jahr die Antarktis an, um nach diesem Aufenthalt in den unterschiedlichsten Seehäfen sowohl der südlichen als auch nördlichen Hemisphäre vor Anker zu gehen. Hauptrückkehrziel waren die universitären Einrichtungen am Hudson River in New York, wo die gesammelten Daten der wissenschaftlichen Crew ausgewertet wurden, so dass das Schiff nach kurzer Zeit von diesem Stützpunkt aus neuerlich in See stach. Keilbach entfaltete während seiner narrativen Ausführung eine eindrucksvolle Verlaufschronologie seiner mehrmaligen Weltumrundungen, die ihn anfänglich von Tahiti über Punta Arenas nach Valparaiso führte und in den darauf folgenden vier Jahren nach Rio de Janeiro, Buenos Aires, Barbados, auf die Bermudas, die Bahamas, nach Kapstadt, Colombo, Singapur, Bangkok und schließlich zurück nach Sydney brachte. In der zwischen objektiver Realitätsbeschreibung und fiktionalem Seemannsgarn anzusiedelnden Rekonstruktion dieses temporären Lebensabschnittes fehlte es keinesfalls an Geschichten über Zigarren aus Havanna, Rum aus Barbados, leichte Mädchen, einem dem Alkohol verfallenen Kombüsenchef, tätowierten Tahitianern der Menschengattung „Harpunier Queequeg“, einsamen Stunden an Deck während des Wachdienstes in der antarktischen Nacht und stürmischer See um Feuerland. Aktuell noch Gültigkeit besitzende Beziehungen zu den in Häfen genauso wie auf den Weltmeeren sich zuhause

2

Zitat aus dem Interview mit Paul Keilbach, datiert auf den 05.11.2007.

496 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

fühlenden „Seebären“, aufrechterhaltene wie gepflegte familiäre Kontakte in die Schweiz sowie die während des Interviews im Jahre 2007 verlautbarten Ambitionen von Paul Keilbach, seine Kenntnisse der spanischen Sprache zu vertiefen, da im nächsten Jahr neben dem Aufenthalt in der Schweiz eine zweiwöchige Pilgerreise auf dem Camino de Santiago geplant sei, sind Indizien dafür, dass der Schweizer, aber auch zahlreiche andere Migranten aus der deutschen Community in Sydney ihr Leben zwischen mehreren subjektiven Wahrnehmungsräumen oder ethnoscapes mit nationalem Anstrich eingerichtet haben, aus denen sie situativ, kontextuell und sinnstiftend Elemente bezüglich der Konstruktion von ethnischer Identität inkorporieren. Was verraten uns nun diese kursorischen, aus dem empirischen Datenmaterial nicht zuletzt wegen ihrer exorbitanten Heterogenität und Multifaktorialität an dieser Stelle exemplifizierten drei migratorischen Lebensverlaufsstrukturen? Welche Schlüsse lassen sich sowohl insgesamt in Bezug auf die kulturanthropologische Ausrichtung der Migrationsforschung als auch auf die im folgenden Kapitel analysierten kulturellen Phänomene ziehen? In der vielerorts zur anthropogenen Grundkonstante emporgehobenen Mobilitätsprogression des Menschen über nationalstaatliche – sichtbare wie unsichtbare – Demarkationslinien hinweg ereignete sich besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine vorher nicht dagewesene Zeitenwende im Hinblick auf Dimensionalität und Strukturalität, bei der angesichts einer radikalen alltagskulturellen Veränderung der internationalen Migrationstypen auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Formen der Bewegung nicht unberührt blieb und – um der Lebenswirklichkeit einer nicht zu unterschätzenden Zahl von Menschen Rechnung zu tragen – neue Fragestellungen, ein neues und angepasstes theoretisches Vokabular sowie ein adäquater methodologischer Zugang zu entwickeln waren. Eine in den eng gefassten Horizonten einer unidirektionalen, geradlinigen und einmaligen Bewegung des Menschen von einem Ort A, der auf Lebenszeit bzw. auf Dauer verlassen wird, zu einem Ort B, an dem sich der Immigrant an die Gesellschaftsverhältnisse der ihm fremden Mehrheitsbevölkerung unter assimilatorischen Gesichtspunkten betrachtet anzupassen hatte, operierende, als „klassisch“ bzw. „herkömmlich“ deklarierte Migrationsforschung durchlief angesichts veränderter internationaler gesellschaftlicher Grundkonstanten eine revisionistische Prüfung (Römhild 2003a: 70). Folglich wurden die dualistischen Termini „Immigration“ und „Emigration“ durch den Terminus „Transmigration“ bereichert. In diesem innovativen Feld tat sich in den 1990er Jahren in erster Linie ein dreiköpfiges Forscherteam von USamerikanischen Kulturanthropologinnen, namentlich Nina Glick Schiller, Linda Basch und Cristina Szanton Blanc, hervor. Im Zuge ihrer mit empirischen Daten gesättigten Forschungen zu den „de-territorialisierten Räumen“ von migrantischen Lebensweisen zwischen der Karibik und US-amerikanischen Großstädten wie zum Beispiel New York wurden neue methodische wie theoretische Wege beschritten, so dass Erscheinungen wie globalen Netzwerken zu mehreren Örtlichkeiten und

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 497

deren gegenseitiger kultureller Durchdringung sowie mobilen Feldern der interkulturellen Interaktion angemessene Beschreibungs- und Analyseverfahren zur Seite gestellt werden.3 Multilokale Zirkulation, multiple persönliche, politische, ökonomische, mediale und kulturelle Konnexe, vielfältige Allianzen und Loyalitäten, eine neue und bisher unbekannte Mobilität und Flexibilität von Menschen aufgrund zeitnaher und kostengünstiger Synchronisationsmechanismen in Transport, Verkehr und virtueller Kommunikation sowie transnational angelegte Lebensentwürfe sind die zentralen Ergebnisse der aus den Feldstudien abgeleiteten Reflexionen. Eine Definition dieses vorgeblich „neuen“ Kulturzuges geben die Autorinnen ebenfalls: „Transmigrants are immigrants whose daily lives depend on multiple and constant interconnections across international borders and whose public identities are configured in relationship to more than one nation-state. […] Transnational migration is the process by which immigrants forge and sustain simultaneous multi-stranded social relations that link together their societies of origin and settlement. In identifying a new process of migration, scholars of transnational migration emphasize the ongoing ways in which current-day immigrants construct and reconstitute their simultaneous embeddedness in more than one society. […] Transmigrants through their ,lived realities‘ provide us with insights about the need to think beyond the cultural politics that the hegemonic institutions of states use in their efforts to shape national culture“ (Glick Schiller/Basch/Szanton Blanc 1997: 121 u. 136).

Die ausschlaggebenden Ursachen für den innerstrukturalen Wandel sowie die akzelerierte Dimensionalität dieser reichhaltigen transnationalen Verflechtungen sehen die Kulturanthropologinnen vor allen Dingen in den die Temporalitäten und Spatialitäten synchronisierenden Transformationen durch Novationen im Verkehrs- und Kommunikationswesen, die den transnationalen Bewohnern der Diaspora zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung stellen, „to maintain, build, and reinforce multiple linkages with their countries of origin“ (ebd.: 126). Das allgegenwärtig benutzte Suffix „Trans“ kann in diesem Diskurs einerseits als die multivektoriale Bewegung durch den Raum und über mit mannigfaltigen Konnotationen belegte Grenzen verstanden werden, andererseits steht es aber auch für den prozessual-transformativen Moment von Kultur selbst. Die mit der Globalisierung in direkte Verbindung gebrachten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie eine rapide Entwicklung in Bereichen der Technologie, der Kommunikation und der Transportofferten, eine daraus resultierende Mobilitätsprogression sowie eine nachhaltige Modifikation kulturaler Welten (Robertson 1994; Featherstone 1993; Eriksen 2007; Lewellen 2002; Inda/Rosaldo 2001), erleichtern es den Migranten zwischen mehreren grenz-

3

Den Weg zu diesem Reflexionsansatz über Migration ebneten bereits empirisch gestützte Forschungsarbeiten aus den frühen 1990er Jahren (Grasmuck/Pessar 1991).

498 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

überschreitenden Lokalitäten hin- und herzupendeln, in denen sie ökonomische, soziale und kulturelle Verbindungen pflegen und aufrechterhalten. In gleicher Weise argumentiert auch Arjun Appadurai in seiner Analyse von flottierenden kulturellen Semantiken, die er als Untersuchungsgegenstand in den Dienst nimmt, um sein Konzept der Landschaften (scapes) zu entwickeln. Die durch global flows miteinander verwickelten unterschiedlichen Formen der scapes (ethno-, media-, techno-, finance- und videoscapes) sind für Appadurai die Grundpfeiler für die Emergenz de-territorialer und transnationaler ethnischer Räume, die nicht zuletzt vermittels der Imaginationsleistung der an ihnen beteiligten Akteure ihre Signifikanz hervorbringen (Appadurai 1998: 22; Ders. 1996: 48ff.). Jene sich auf der Makro- und Mikroebene menschlicher Handlungshorizonte abspielenden Strukturen der transnational interconnectedness sind zudem stets variable Plattformen zwischenmenschlicher Aushandlung, aus deren vielschichtigen kulturellen Globalisierungsinterferenzen die Migranten partiell und selektiv Elemente für den Prozess des Identitätsmanagements beziehen. Immer anachronistischer wird mit dieser zunehmenden globalen De-Territorialisierung, Dezentriertheit, Verflüssigung und reziproken Durchdringung von Informationen, Symbolen, Wissensbeständen und Verhaltensweisen die lange Zeit von der kulturanthropologischen Wissenschaftsdisziplin in Anspruch genommene Annahme eines Kulturkonzepts, das sein Selbstverständnis als Containergebilde4 mit dem abgrenzenden Verweis auf Eigen- und Fremdkulturalität generiert (Breidennach/Zukrigel 1998: 77ff.). Der Ansatz der Transnationalität bzw. des Transmigranten, der als simultaner Akteur und Partizipant innerhalb multinationaler Netzwerke charakterisiert wird, offeriert in der Kulturanthropologie ein frisches theoretisches Analyseinstrument zur Erfassung kultureller Versatzstücke im Dazwischen und eröffnet einen notwendigen Perspektivenwechsel (Basch/

4

Das Container-Paradigma geht auf die Herder’sche Anschauung von Kulturen als holistische und in sich geschlossene Entitäten zurück und hatte in der Kulturanthropologie ein über mehrere Jahrhunderte bestehendes Forschungsmonopol inne, das nicht zuletzt seinen Niederschlag in den zahlreichen ethnografischen Monografien über das vorgeblich isoliert lebende „Bergvolk“, den „Stamm“ im Amazonastiefland und das „Kollektiv“ auf der einsamen Südseeinsel fand, die heute die Regalreihen unserer Fachinstitute füllen und das Definitionskonvolut von Kroeber und Kluckhohn maßgeblich bestimmten. Zufolge des Container-Konzepts sind Kulturen, so versteht es Ulrich Beck, in erster Linien „nationalstaatlich genormt, geprägt, begrenzt, rationalisiert, mindestens aber etikettiert“, so dass sie als organische, in sich Homogenität besitzende Ganzheiten konkretisiert werden. Die transnationale Kulturdiffusion einzelner Versatzstücke wird hierbei komplett ausgeblendet (Beck 1998b: 50; Drechsel/Schmidt/Gölz 2000: 6f.; Wimmer 2005: 25f.; Römhild 2003a: 65f.).

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 499

Glick Schiller/Szanton Blanc 1994)5, der zum Ersten über die Neukonzeptionierung althergebrachter Vorstellungen von Kultur und Raum anregt und zum Zweiten die von Stuart Hall ins Bild gesetzten „neuen Identitäten“ mehr und mehr in den Fokus rückt.6 In Opposition zur althergebrachten Annahme von Migration als einer linearen und einmaligen räumlichen Bewegung von einem Herkunftsland in ein fremdes Aufnahmeland, dem Abbruch aller bisherigen sozialen Beziehungen sowie einer ausschließlichen Orientierung an der neuen Gesellschaft, befinden sich transnationale Migranten in dynamischen Gefügen, die sie an zwei oder mehrere Gesellschaften gleichzeitig knüpfen (Kokot 2002a: 100). Kam in der Ära der von staatlicher Seite aufoktroyierten Assimilationsdirektive ausschließlich die Entledigung der am Heimatland orientierten Identität in Frage, so müssen wir bei der Betrachtung der eingangs veranschaulichten lebensgeschichtlichen Ausschnitte aus dem Feld davon ausgehen, dass die Transmigranten zahlreiche ihnen als Ethnizitätsressourcen zur Verfügung stehende identitäre Anknüpfungspunkte kontextuell und situativ zusammenfügen, d. h., sie verbinden das Ungleichzeitige mit dem Gleichzeitigen auf eine Art und Weise, so dass sich diese Form von Identitätspolitik aus kulturellen Handlungen, Bedeutungsgeweben und Bewertungsmaßstäben von stets zwei oder mehreren räumlich divergent zueinanderstehenden Nationalstaaten bedient. Der transnationale Ansatz insistiert folglich darauf, dass gegenwärtig das Leben von Migranten in hoher Intensität von Aktivitäten und Handlungssphären determiniert ist, die politische, territoriale und kulturelle Demarkationslinien eines Aufnahmelandes transzendieren, so dass auf Assimilation abzielende Integrationsmodi zur möglichst problemlosen Angleichung an die bestehenden hegemonialgesellschaftlichen Anforderungen scheinbar ihre Wirkkraft verloren haben. Empirisch verifizierte Hypothesen scheinen das klassische integrationspolitische Assimilationsparadigma, das von einer fortschreitenden Abkopplung vom Entsendeland ausgeht, zu widerlegen.7

5

Ein praxisnahes und weniger von theoretischen Überlegungen geprägtes Beispiel bietet die Dissertation von Mohr de Collado über die multiplen Identitäten bei den Garifuna (Mohr de Collado 2005; Al-Ali/Koser 2002; Silverstein 2005: 375f.).

6

In Bezug auf diese Identitäten schreibt Kearney: „Such identities escape in part from either-or classification and become defined more by al logic of ,both-and-and‘ in which the subject shares partial, overlapping identities with other similarily constituted decentered subjects that inhabit reticular social forms“ (Kearney 1995: 558; siehe dazu auch Römhild, 2003b: 11f.)

7

Kritische Begutachtungen liefert hier Michael Bommes. Der Autor verteidigt in seinem Aufsatz die von Hartmut Esser aufgestellte These, dass der Integrationsprozess der Assimilation „alternativlos sei“, da zum Beispiel an „nationalkulturell“ codierten Institutionen

500 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Zahlreiche Migranten, so können vorweggenommene Ergebnisse dieses Kapitels formuliert werden, haben sich sowohl kognitiv als auch geografisch der transnationalen Multilokalität verschrieben, selektieren aus einer Vielzahl von möglichen Heimaten. Auch wenn sie ihre alltagskulturellen Interaktionsfelder in der Hauptsache zwischen Australien und Deutschland zur Entfaltung bringen, so sind sie doch genauso an kulturell aufgeladenen Lokalitäten in Palästina, Südafrika, Tasmanien, Neuseeland, Hongkong, Brasilien, Estland oder Rumänien aktiv, deren kulturelle Imprägnierung umgekehrt auch Einwirkung auf das Alltagsleben der Untersuchten in Sydney hat. An europäischen Hochschulen als Research Fellow angestellte Söhne deutscher Auswanderer dienen als „Sprungbrett“ nach Europa, jährlich stattfindende Treffen mit ehemaligen Klassenkameraden werden genutzt, um Europa via Interrail-Bahnticket, das für zahlreiche Länder gültig ist und eine nahezu uneingeschränkte Mobilität gewährleistet, zu erkunden, monatliche Geldüberweisungen an staatliche bzw. private Rentenkassen in Deutschland dienen als transnationale Strategien zur Absicherung der Rückkehrambitionen und der Blick auf hochmobile Menschen aus den Chef- und Manageretagen international agierender Unternehmensberatungsfirmen, für die es wegen ihres Berufs eine Selbstverständlichkeit ist und des Weiteren kein familiäres und auch körperliches Problem zu sein scheint, über mehrere Jahre hinweg jeden Monat drei Wochen in Deutschland und eine Woche in Sydney zu leben, verflüssigen die Grenzen zwischen einem Hier und einem Dort. Angestellte von mondial vertretenen Bankhäusern verfügen heute über einen Arbeitsplatz in Sydney, müssen morgen für sieben Monate in Südafrika die operativen Geschäfte leiten und übermorgen für insgesamt zwei Jahre in der Filiale in New York City arbeiten. Flexible Softwareentwickler, als annähernd unabhängige Global Player und „vaterlandslose Gesellen“, sondieren im Zeitalter der uneingeschränkten Möglichkeiten die Nachfrage des globalen Anforderungen gehorchenden Arbeitsmarktes nach gut ausgebildeten Informatikern und entscheiden dann, zuerst aus dem deutschen Celle nach San Francisco umzuziehen, um von dort aus nach einem mehrjährigen Aufenthalt dem beruflichen Werdegang einen neuerlichen Richtungswechsel zu geben und nach Sydney zu ziehen. Dass derartige fluide Mobilitäten ferner negative, die Identität beeinträchtigende Aspekte mit sich bringen, wird im Folgenden ebenfalls zur Debatte stehen. Der Vorstoß in die transnationalen Wirklichkeiten durch die in einem turnusmäßigen bzw. zirkulären Rhythmus vollzogene Bewegung zu den multiplen Orts- und Beziehungsfeldern, an denen mit unterschiedlichen Inhalten Konstruktionen von Ethnizität und Kultur kontextspezifisch Aushandlung finden, führt die Vorstellung von Migration als einem dauerhaften, invarianten und linearen Kulturzug ad absurdum.

wie dem Bildungssystem, für das die Erwerbung der deutschen Sprache eine Grundvoraussetzung sei, für die Migranten auf Dauer kein Weg vorbeiführe (Bommes 2003: 93).

T RANSNATIONALISIERUNG

6.1 N OMADISCHE T EXTUREN

VON

KULTURALER

W ELTEN

E LITENMIGRATION

| 501

IM

GLOBAL VILLAGE „People can make quick forays from a home base to many other – for a few hours or days in a week, for a few weeks here and there in a year – or they may shift their bases repeatedly for longer periods. Many of these footloose people are not much like the poor and the wretched whom Emma Lazarus welcomed to America, in those lines inscribed on the Statue of Liberty. They are rather brain drain and jet set, with considerable resources at their disposal“ (Hannerz 1992: 247).

Im Zeitalter der postmodernen Informationsgesellschaft fungieren insbesondere die die neoliberale Ökonomie preisenden Wirtschaftszentren (Smart/Smart 2003: 276) wie Sydney mit seiner globalen Vernetztheit sowie der regionalen Anbindung an die hochdynamische Region des pacific rim als Brückenköpfe transnationaler bzw. translokaler kultureller Austauschprozesse. Sie sind Zentren des Finanzwesens und verfügen demzufolge über eine außerhalb des urbanen Ballungsraums kaum anzutreffende Komprimiertheit an hochmobilen und flexiblen Menschen, im Fachjargon auch Global Player oder Elitemigranten genannt, für welche die am Port Jackson gelegene Stadt aufgrund von zeitlich befristeter Aufenthaltsdauer, einer gelebten Multilokalität, dem damit einhergehenden alltäglichen Überschreiten territorialnationaler, kultureller und identitärer Grenzen sowie dem Grad der Identifikation und der gesellschaftlichen Integration mehr oder minder eine Übergangs- bzw. Zwischenheimat darstellt, an der sie sich temporär oder sogar langfristig ihre transnationalisierte Lebenswelt einzurichten versuchen. Die in diesem Kapitel näher unter die Lupe genommenen routes der den globalen Interaktionsraum für sich in Anspruch nehmenden hochqualifizierten Transmigranten aus dem Management präzisieren in ihren vielfältigen wie komplexen Verortungen und Lebensentwürfen zwischen dem Globalen und dem Lokalen nachdrücklich die brüchige wie poröse Beschaffenheit einer Konzeptionierung von einer unidirektionalen Zuwanderung als Emi- und Immigration. Zur Diskussion steht in diesem Abschnitt, der auf den eher theoretischen Überlegungen des Eingangskapitels aufbaut und diese vor dem Hintergrund der alltagskulturellen Nahwelt deutet, Migration als ein komplexes, multidimensionales und mehrere Lokalitäten synchronisierendes Kulturphänomen, dessen mit Bedeutung aufgeladene Formen es aus der akteurszentrierten Sichtweise zu entschlüsseln gilt. Konkrete Fragen zur subjektiven Erfahrung der eigenen Nomadizität sowie der Selbstverortung zwischen den mit unterschiedlicher Temporalität

502 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

und partizipatorischer Intensität bewohnten sozialen, kulturellen und nationalen Welten stehen im Zentrum meines Argumentationsstrangs. Wie findet bei diesen transnational ausgerichteten, durch De- wie Re-Territorialisierung gekennzeichneten Lebensentwürfen der so genannten footloose (Hannerz 1992: 246), die allem Anschein nach aus einem weiten Spektrum von an Territorien bzw. Nationen gebundenen Identitätsofferten selektieren können bzw. müssen, aus der emischen Warte der Protagonisten betrachtet die Herausbildung von Dazugehörigkeit statt? Inwiefern kommt es bei der in hoher Frequenz realisierten Wechselbewegung bzw. beim liminalen Übergang in einen anderen Interaktionsraum zu einer kontextspezifischen Anpassung einer an Handlungen, Bewertungs- und Normkonstellationen geknüpften Identität bei den grenzüberschreitenden Kulturkurieren? Bernhard Vollmert arbeitete in Deutschland zunächst vier Jahre als Geschäftsführer eines städtischen Unternehmens, bis er zu einem internationalen Konzern für Elektrotechnik wechselte und aus beruflichen Gründen zwischen Zürich, Kanada, Südamerika, Indien und China pendelte. Ein firmeninterner Wechsel und die Übernahme der operativen Geschäfte im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum brachten einen Umzug nach Sydney mit sich. Eine hohe Bereitschaft zur kognitiven und körperlichen Flexibilität und Mobilität gehört für Vollmert zum alltäglichen Berufsleben, so dass es unerheblich sei, wo er wohne, auch wenn es nicht gleich Moskau oder Wladiwostok sein müsse. Schließlich weist auch seine Biografie bereits Charakterzüge einer nomadischen Lebensweise auf, da er in Spanien aufgewachsen ist und innerhalb von Deutschland mindestens zehnmal den Wohnort gewechselt hat. Einen großen Freundes- bzw. Bekanntenkreis, der dann bei der Übersiedlung nach Australien hinter sich hätte gelassen werden müssen, kannte Vollmert aufgrund seiner häufiger Ortwechsel nicht, da er zu etwa 80 Prozent seiner Zeit wegen seines Berufs der Nichtterritorialität verpflichtet war, ständig aufs Neue aufbrechen musste und daher mit dem Terminus „Daheim“ bzw. „Heimweh“ nur ambivalente Assoziationen verbindet. Gerade weil man in einer bundesdeutschen Kleinstadt als moderner Nomade bzw. „ewiger Wanderer“, der „ständig im Ausland unterwegs ist“8, die Normen bzw. Ansprüche auf Ordnung sowie Kategorisierung der Sesshaften in ihren Grundmanifesten unterlaufe und gewissermaßen mit dem alltäglichen Leben, dies meint das innerhalb einer beharrlichen Rahmung ablaufende iterative Redundanzverhalten, der Nachbarn und Stadtbewohner kaum Gemeinsamkeiten besaß, kam dem Migranten bereits im scheinbar vertrauten Deutschland die Rolle des marginal man zu.9 Das erste Jahr in Sydney lebte er geografisch getrennt von seiner

8

Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

9

In Bezug auf den von Seiten der Sesshaften in kontinuierlicher Regelmäßigkeit mit der Intention der sozialen Ausgrenzung und kulturellen Marginalisierung versehenen Verweis, dass der „ewige Wanderer“ eben keine Zugehörigkeit zur Ingroup ausbilden kann,

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 503

Familie, da seine Frau sowie seine Kinder zunächst in Europa verblieben, dennoch nutzte er alle sechs Wochen Interkontinentalflüge, um für ein verlängertes Wochenende soziale Kontakt zu nahestehenden Personen aufrechtzuerhalten und die familiären Bezüge über nationale Grenzen hinweg zu pflegen. Eine nicht zu unterschätzende geografische Distanz von circa 16.000 Kilometern, eine Flugzeit von bis zu 25 Stunden, die dabei zu bewältigenden Zeitzonen und nicht zuletzt die monetären Aufwendungen galten dem sehr gut entlohnten Transmigranten eher noch als ein Stimulus, der das Dasein des privilegierten Businessclass-Pendlers zwischen den Kulturen erst mit dem Gütesiegel des Exklusiven auszeichne. Gerade in nicht vorhersehbaren Notsituationen in Deutschland, bei denen das Oberhaupt der Familie zugegen sein muss, genüge ein telefonischer Anruf und Vollmert würde umgehend „Heim fliegen“, denn „innerhalb von 24 Stunden [kriege er] immer einen Sitzplatz im Flugzeug.“10 Die berufliche Verpflichtung zur mentalen und physischen Ortspolygamie bzw. die ihm abverlangte individuelle interkulturelle Kompetenz in verschiedenen Lebenswelten bewandert zu sein, ist bei Vollmert, der beim Konsulat seinen Erstwohnsitz auf Sydney umschreiben hat lassen und alle zwei Jahre angesichts eines Mangels an Platz für weitere Einreise- bzw. Ausreisestempel einen neuen Pass beantragen muss, auch gegenwärtig zentraler Inhalt seines Lebens, da er seit Kurzem wieder Geschäftsabwicklungen in Europa in sein Arbeitsspektrum als Manager eingliedert. Zu der Gruppe der hochmobilen und exklusiv besoldeten Entscheidungsträger gehört ferner Paul Könnecke, der zu Beginn der 1970er Jahre als Jugendlicher mit seinem Vater und seinem Bruder nach Australien auswanderte, als Rechtsanwalt und Consultant deutsche Mandanten betreute, bereits in frühen Jahren wichtige Kontakte zu deutschen Wirtschaftsunternehmen sowie zur Auslandsniederlassung der Deutsch-Australischen Industrie- und Handelskammer knüpfte und gegenwärtig eine führende Position bei einem am Darling Harbour lokalisierten Unternehmensberatungskonzern innehat. Den vorläufigen Höhepunkt seines Emporsteigens auf der Karriereleiter kleidete er wie folgt in Worte: „Endresultat der ganzen Sache war, dass ich jetzt die letzten drei Jahre in Deutschland stationiert war, in Düsseldorf meinen Sitz habe, aber allerdings innerhalb der Firma für Westeuropa zuständig bin und damit dauernd unterwegs. […] Und so bin ich jetzt drei Jahre lang einmal

schreibt Singer: „Im rassistischen Diskurs dient der Verweis auf eine unterschiedliche kulturelle Herkunft einer territorialen Verortung von Identität: Die Fremden seien nicht dort, wo sie eigentlich hingehören, sie seien mit ihrer Kultur am falschen Ort und würden damit die kulturelle Ordnung der Einheimischen bedrohen“ (Singer 1997: 8). 10 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

504 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

im Monat hin- und hergependelt und das war an sich problemlos. […] Somit zu den zwei Welten, so wild ist es nicht, aber ich war halt drei Wochen in Europa und eine Woche hier.“11

Während seines dreiwöchigen Aufenthalts in Deutschland bzw. in Europa arbeitete er an sechs Tagen in der Woche, so dass er mit den geleisteten Überstunden die Woche zur Erholung bei der Familie in Australien ausgleichen konnte. Das Überwinden territorialer Zwischenräume in der Business- oder First-Class, mit eigenem Bett, eigener Decke, einem Kopfkissen, einem All-inclusive-Service sowie einem Flugpersonal, das dem privilegierten Passagier stets zur Seite steht, kann laut des Transmigranten dafür verantwortlich gemacht werden, dass die üblichen, mit einem Langstreckenflug zwischen Australien und Europa verbundenen Strapazen und körperlichen Anstrengungen zu einem großen Teil kompensiert werden, denn „wenn man es hundert Mal gemacht hat“12, stellt sich oft ein routinisiertes Verhalten in Aktionsfeldern und Übergangsräumen wie Flughäfen, Abfertigungshallen, Wartebereichen, Passkontrollen und Flugkabinen ein. Darüber hinaus weist sich der transnationale Wanderer eine geistige und körperliche Fähigkeit zu, den angesichts der Durchquerung verschiedener Zeitzonen ins Ungleichgewicht gebrachten biophysischen als auch sozialen Rhythmus zu kompensieren und Jetlagirritationen wie Erschöpfungserscheinungen, Kopfschmerzen, Leistungsschwäche und Schlafstörungen wegzustecken. Bei diesen erzählerischen Darstellungen über die vorgeblich minimalen Nebenwirkungen und Folgeschäden dieser regelmäßigen Passagen muss kritisch darauf hingewiesen werden, dass diese Identitätsnarrationen einer elitären Subkultur in erster Linie der Selbstinszenierung und Exotisierung des eigenen Berufsstandes dienen. Eine Souveränität über die eigene „innere Uhr“ bzw. über das persönliche Leistungsprofil hat sich nicht nur im beruflichen Umfeld als Vorteil herausgestellt, sondern hiervon profitiere auch die ganze Familie, weil Könnecke zumeist gegen sechs Uhr in der Früh am Kingsford Smith International Airport in Sydney landet und somit gegen acht ein Fußballspiel seiner Kinder besuchen könne und trotz alledem am nächsten Tag wieder bei guter gesundheitlicher Verfassung sei. Der Vielflieger erleichtert sich die einen ganzen Kalendertag in Anspruch nehmende Flugzeit dadurch, dass er aus psychologischer Sicht den Transport von Flughaften A zu Flughafen B mit Entspannung verbindet und nicht wie zahlreiche seiner Mitreisenden aus den Führungs- und Vorstandsetagen multinationaler Konzerne die zeitlichen Leerstellen mit Arbeit zu füllen versucht. Schlafend verbringt er die meiste Zeit während seiner interkontinentalen Passage. Abseits seines zeit- und arbeitsintensiven Berufslebens verfolgt der Transmigrant die Bestrebungen, in Bezug auf seine familiären Verpflichtungen nicht „fahrlässig“ zu agieren und so widmet er

11 Zitat aus dem Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008. 12 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 505

die freie Urlaubswoche in Sydney in Gänze dem ihm nahestehenden Personenkreis, führt seine Frau zu Abendveranstaltungen aus, spielt Tennis oder hilft bei der Essensausgabe in der Schule seiner Kinder. Insbesondere bei letztgenannter Face-toFace-Kommunikation kommt es stets zu Missverständnissen, da hier mit Ausnahme von Könnecke lediglich Mütter zugegen sind, die sich permanent mit der Frage beschäftigen, ob der einzige Vater aufgrund von momentaner Arbeitslosigkeit über so viel freie Zeit verfügt und deshalb während der Mittagsstunde bei der Speisung der Schüler zur Hand gehen kann. Auch hierbei unterwandert der temporär Anwesende mit seiner nomadischen Lebenskonzeption und seinen zahlreich untereinander vernetzten globalen Möglichkeitsfeldern der Interaktion einen von der australischen Hegemonialgesellschaft institutionalisieren Verhaltens- und Wertekanon, in dem der Sesshafte an Wochentagen bzw. zu gewissen Stunden während dieser Tage an einer von ihm bewohnten Lokalität arbeitstätig zu sein hat. In der auf Taxonomierung nach den Kategorien der überlieferten Gesellschaftsordnung und lokalen Kontinuität hin ausgerichteten Perspektive seitens der territorial gebundenen Mütter findet Könnecke keine Entsprechung, weil er mit seinem bewegten Leben schlicht und ergreifend eine Position außerhalb der trennscharfen und konservativen Auffassungen von Identitätszuschreibung einnimmt sowie die von den Müttern gehegten Erwartungshaltungen nicht erfüllt. „Umherwandernde Menschen, Bedeutungen und Dinge“, so schreibt Hannerz und spielt damit gleichzeitig auf das Leitmotiv einer „organischen Beziehung zwischen einer Bevölkerung [und] einem Territorium“ an, „passen schlecht zu den konventionellen Kategorien des sozialen und kulturellen Denkens“ (Hannerz 2007: 98f.). Im Selbstverständnis der beiden Agenten des Wandels hat sich die Corporate Identity einer Businesselite eingeschrieben, die für sich in Anspruch nimmt, ohne Komplikationen in nahezu jedem Land der Welt leben zu können, mit der global verbreiteten Sprache Englisch mit den unterschiedlichsten Menschen in einen Kommunikationsaustausch treten zu können und hierdurch über eine interkulturelle Bewandtnis im Umgang mit der Heterogenität kultureller Codizes zu verfügen. Der persönlichen Selbstaufwertung der Transmigranten, aufgrund einer Routine beim Umgang mit diversen verflochtenen bzw. separierten lokalen Kulturen über eine Geistesauffassung zu verfügen, die diese unterschiedlichen Bedeutungsgewebe mit Leichtigkeit managt und organisiert, soll an dieser Stelle genauer auf den Grund gegangen werden. Denn hier scheint mir ein durchweg ambivalentes Verständnis von Weltbürger zur Anwendung zu kommen, nämlich dann, wenn Vollmert in einem Satz zuerst präsentiert, dass es für ihn „überhaupt keine Änderung“ darstelle, „in einem neuen Land zu leben“13 und im gleichem Atemzug erklärt, dass er zu

13 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007.

506 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

70 Prozent seiner Zeit in einem Hotel in unmittelbarer Flughafennähe lebt.14 Die priviligierten Menschen on the move verstehen sich zwar angesichts ihrer transnationalen Lebensweise als kosmopolitisch agierende Handlungsakteure, bewegen sich aber faktisch in einem stark westlich, vom Kapitalismus geprägten Milieu, zu dessen tendenziell subkulturellen wie exklusiven Plattformen der Interaktion ausschließlich Mitgliedern einer Businesselite Zutritt gewährt wird. Der schwedische Kulturanthropologe Ulf Hannerz bemühte sich um eine theoretische Schärfung des Terminus „Kosmopolitismus“ und schreibt dazu: „Cosmopolitanism would entail a greater involvement with a plurality of contrasting cultures […] A more genuine cosmopolitanism is first of all an orientation, a willingness to engage with the Other. It entails an intellectual and aesthetic openness toward divergent cultural experiences, a search for contrasts rather than uniformity. […] At the same time, however, cosmopolitanism can be a matter of competence of both a generalized and a more specialized kind. There is the aspect of a state of readiness, a personal ability to make one’s way into other cultures, through listening, looking, intuiting, and reflecting. And there is a cultural competence in the stricter sense of the term, a built-up skill in maneuvering more or less expertly with a particular system of meaning“ (Hannerz 1999: 103).

Von der Hand zu weisen ist keinesfalls der Sachverhalt, dass die Lebensverlaufsformen zahlreiche Aufenthalte an den unterschiedlichsten Plätzen dieser Erde aufweisen, jedoch finden Interaktionshandlungen in den für die mobile westliche Arbeitskultur normierten Settings wie Konzernfilialen, Flughäfen, Hotels, Wellnessbereichen, Spas, Fitnesscentern, Restaurants, Clubs und Lounges statt, in denen das kulturell Fremde mittels einer immer weitere Kreise ziehenden Ratgeberliteratur und spezifischer Mitarbeiterschulung aus dem Sektor „interkulturelle Kommunikation“ intentional ausgeblendet wird. Diese interkulturellen Trainings- und Schulungskurse zielen in erster Linie darauf ab, kulturelle Differenzen zu überbrücken und mittels einer Art allgemeingültigen global company policy Arbeits- und Kommunikationsabläufe zu einem gewissen Grad zu kanalisieren, zu uniformieren und zu homogenisieren, so dass ein Kulturschock bzw. interkulturelle Irritationen, die in der vom Effizienzdenken determinierten Welt des Finanz- und Kapitalwesens entbehrliche Kosten verursachen, im besten Fall ausbleiben. In jenen für eine transnationale Businesselite institutionalisierten Enklaven15 wird den multinationalen An-

14 In gleicher Weise berichtete ein in San Francisco lebender chinesischer Hotelier der Anthropologien Aihwa Ong: „I can live anywhere in the world, but it must be near an airport“ (Ong 1999: 135). 15 Vergleichbar hiermit ist die Lebenssituation von deutschen und US-amerikanischen Firmenentsandten in Tokio, die Moosmüller als „privilegiert“ und „sorgenfrei“ beschreibt.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 507

gestellten weniger eine Kompetenz zur Dechiffrierung interkultureller und damit fremder Semantiken abverlangt, vielmehr sollen diese Harmonie und kulturelle Wärme spendenden Nester einen Beitrag dazu leisten, „to make people from western Europe and North America feel as much at home as possible“ (Hannerz 1992: 250). Optional bleibt dabei aber die mit unterschiedlicher Dimensionalität und Intensität belegte Bereitschaft zur Partizipation an bzw. zur Immersion in lokale Kulturmuster am Ort des jeweiligen Aufenthaltsorts, der sich die Transmigranten insofern ein Stück weit entziehen, als dass sie die auf die Belange und Wünsche einer multilokalen Pendlerelite der westlichen Arbeitskultur zugeschnittenen Handlungsspielräume, die zudem nur in den aller seltensten Fällen außerhalb metropolitaner Einzugsgebiete zu verorten sind und deshalb stets mit Urbanität in Verbindung gebracht werden, nur sporadisch bis kaum verlassen. Die im westlichen Erbe sozialisierten modernen Nomaden (Köstlin 1995a) geben in ihrer Außendarstellung angesichts ihrer polylokalen Profession sowie ihrer kontinuierlich wechselnden Präsenz in den Zeitzonen von Tokio, New York, London, Frankfurt und Hongkong eine weltbürgerliche Attitüde zu besitzen vor, wenngleich dies in der sozialen Wirklichkeit meist nur in sehr geringem Maße tatsächlich zutreffend ist. Denn den Habitus des Kosmopoliten besitzen nur diejenigen Menschen, die einen von Empathie und Interesse geleiteten Kontakt zu anderen Kulturen und Lebensbedingungen herstellen und sich über einen Zeitraum, der über den Charakter der kurzen Visitation hinausgeht, mit diesen beschäftigen (Antweiler 2010: 70). Nur Kurzaufenthalte und das transitorische Diffundieren der Transmigranten durch liminale, hinsichtlich der spezifischen Qualitätsansprüche einer subkulturellen, auf internationaler Ebene interagierenden Elite artifiziell aufgeladene Übergangsräume, deren Struktur so konstruiert ist, dass kulturelle Diskrepanzen und kulturelle Willkür in den Hintergrund treten und somit ein konfliktloses Passieren garantieren, reichen, am Grad der Partizipation am „kulturell Fremden“ gemessen, keinesfalls aus, um als vermeintlicher Weltbürger „a mode of managing meaning“ (Hannerz 1999: 102) herauszubilden. Für die Migranten ist es eine Selbstverständlichkeit bzw. darüber hinaus eine qualitative Notwendigkeit ihrer transnationalen Jobausübung, Verhaltens-, Bewertungs- und Erwartungsmuster insbesondere bei der Pendelbewegung zwischen Australien und Deutschland situationsspezifisch an die jeweils vorherrschenden Ver-

Sie wohnen eingebettet in die „deutsche Gemeinschaft“ in „bevorzugten Wohngegenden“, in denen angesichts einer „Selbstisolierung“ bzw. einer ethnischen Abgrenzung keine Notwendigkeit besteht, Japanisch zu sprechen bzw. sich der japanischen Lebensart anzupassen. Moosmüller erkennt darüber hinaus „Merkmale einer Diaspora-Gemeinde“, die in der kulturellen Fremde mannigfaltige Energien aufwendet, um die „Ursprungsoder Heimatkultur“ zu rekonstruieren (Moosmüller 1997: 6f.; siehe für São Paulo von Dobeneck 2010a: 161).

508 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

hältnisse sowohl im Arbeitsleben als auch bei alltäglichen Verrichtungen anzupassen. Bei firmeninternen Abläufen bzw. Vereinbarungen in Deutschland seien in erster Linie der Faktor Zeit sowie der Effizienzgedanke bestimmende Charakteristika, bei denen sich der „deutsche“ Kollege aus Übersee zu profilieren hat. Höhere Ansprüche stellen sie während ihres befristeten Aufenthalts in der Bundesrepublik an die Verlässlichkeit einer fahrplanmäßigen und somit pünktlichen Abfahrt von öffentlichen Nahverkehrsmitteln, wogegen man in Australien „immer etwas zu Lesen dabei“16 hat, um Temporalitätsleerstellen zu überbrücken. Dass die beiden hochmobilen Manager in soziokulturellen Räumen im transnationalen Dazwischen eingebettet sind und aufgrund ihres ambivalenten, weil durchmischten, habituellen Verhaltens eindeutige Kategorisierungen, Verortungen, Typisierungen und Zuordnungen nahezu unmöglich machen, ist ihnen wohl bewusst und gehört zum festen Repertoire beim selbstinszenierenden Reflektieren über die eigene Person. Zur Visualisierung des Lebens in einem entgrenzten Schwebezustand zwischen divergenten (nationalen) Kontextualitäten mit jeweils eigenen Anforderungsprofilen nimmt Könnecke einen außerhalb seiner Person stehenden Betrachtungswinkel ein, aus dem er sich selbst durch die kulturelle Linse des fremden Gegenüber zu klassifizieren versucht und dabei eine hybridisierte transnationale Lebensform erkennt, die allen Erfordernissen nach Eindeutigkeit entsagt und straffen Grenzziehungen im Sinne ethnokultureller bzw. nationalistischer Ordnungsgefüge ihre mystische Aura nimmt: „Aber im Großen und Ganzen, ja, ich verhalte mich eben ein bisschen anders, wenn ich in Deutschland bin, als hier. […] Die Australier würden sicherlich immer wieder sagen: ,Ja, ist ein Deutscher!‘ Und die Deutschen sagen mit Sicherheit: ,Ja, ist kein typischer Deutscher mehr!‘ Also ich kann ihnen nicht sagen, ob ich eher Deutscher oder Australier bin. Ich pendele irgendwo in der Mitte. […] Ja, es ist eine Überschneidung da und es ist nicht eine klare Linie. Es hat sich so, wie wenn man Holz verleimt, es hat sich so verzahnt. Und das ist da aber auch flexibel, je nachdem, wie oft ich mit Deutschen zu tun habe. Das kommt auch irgendwie automatisch, das ist dann wie ein kleiner Schalter.“17

An die Stelle einer präzisen und trennscharfen Lokalisierung der eigenen ethnischen Identität treten die verquirlten Borderland-Existenzen bzw. multiplen Identitätsaneignungen, bei denen die kulturelle Kompetenz mitschwingt, mittels Flexibilität neue Situationen zu bewältigen, Grenzen zwischen Kulturen zu sprengen und damit der Ideologie eines ethnischen Nationalismus das separative Moment zu nehmen (Ha 2004: 131). Offensichtlich wird zudem, dass der Elitemigrant im Verlauf der

16 Zitat aus dem Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008. 17 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 509

Interaktionspraxis in beiden nationalen Kontexten als der „fremde Andere“ aufgrund seiner Abweichungen vom mehrheitsgesellschaftlich konstruierten Normenund Wertediskurs wahrgenommen wird. Auf der einen Seite des Globus repräsentiert er mit den zu nationalen Stereotypen (Konrad 2006: 88ff.) heraufbeschworenen Verhaltensweisen wie Genauigkeit, Fleiß, Effizienz usw. als Unternehmensberater die Inkarnation des „typischen Deutschen“, und er wird aus der Perspektive seiner australischen Kunden, Kollegen und Mitmenschen in dieser Weise registriert. In der alten Heimat sorgen sein mehrere Jahrzehnte andauerndes Leben in Australien und die damit einhergehende De-Territorialisierung bzw. Entfremdung von den Gesellschaftsverhältnissen in der Bundesrepublik dafür, dass der Grenzgänger die von seinen deutschen Kollegen an ihn herangetragenen leitkulturellen Reinheits- wie Authentizitätsansprüche eines vermeintlich „wahren Deutschen“ nicht mehr zur Genüge zufriedenstellt. Angesichts seiner mehrfach codierten Identität aus unterschiedlichen nationalen Milieus wird Könnecke von den bundesdeutschen Protagonisten des Grenzregimes mit dem Etikett des „kulturell Fremden“ versehen, das ihm instinktiv die Zugehörigkeit bzw. die Teilhabe an einem scheinbar „naturwüchsigen“ Repertoire der Nationalkultur, das „durch gemeinsame kulturelle Traditionen und gemeinsames kulturelles Vermögen“ (Niedermüller 2000: 41) entstanden ist, entsagt. Sowohl Normabweichungen von der deutschen „Leitkultur“ als auch die stigmatisierende Klassifikation, kein repräsentativer Deutscher mehr zu sein, ermöglichen Rückschlüsse auf hybride Lebensformen beim Transmigranten und zeigen in aller Deutlichkeit, wie einerseits Strukturmechanismen der Verfremdung funktionieren und andererseits eindeutige identitäre Zuordnungen im 21. Jahrhundert anachronistischen Wert besitzen.18 Rekurs nehmend auf den ambivalenten und de-territorialen Rollenstatus des innerhalb mehrerer ethnokultureller Horizonte beheimateten Wanderers zwischen den Welten fragt Hannerz richtigerweise: „If cosmopolitans are on the move much of the time, they are certainly at home some of the time – quite possibly most of the time. But what in their case, does this mean?“ (Hannerz 1992: 253). Die Akteure mit ihrem dekontextualisierten kulturellen Kapital sehen sich unter Berücksichtigung ihres multiple Örtlichkeiten verflechtenden Lebens- und Arbeitsumfeldes Prozessen ausgesetzt, in denen präzise und unverfälschte Identifikationsofferten im

18 Niedermüller argumentiert bezüglich der Hinterfragung gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten wie folgt: „Wenn Menschen mehreren Orten gleichzeitig angehören, wenn sie in inter- oder transnationalen Unternehmen arbeiten, wenn sie sich zwischen verschiedenen Gesellschaften bewegen, dann wirken die klassischen kollektiven Konzeptionen der nationalen Staatsbürgerschaft nicht mehr; politische Rechte und gesellschaftliche Privilegien können nicht mehr aufgrund formaler Kriterien nationaler Zugehörigkeit, wie etwa Sprache und Ansässigkeit, verteilt werden“ (Niedermüller 2000: 43).

510 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Verschwinden begriffen sind und von einer transnationalen Vermischung dieser abgelöst werden, so dass sich das emotional-affektive Gefühl des „Zuhauseseins“ scheinbar überall einstellen kann und nicht mehr mit territorialer Integration verbunden wird. Antithetisch zu dieser Hypothese wissen die beiden Protagonisten der internationalen Wanderungsströme und zwischen den ökonomischen Schaltstellen der Erde hin- und hermigrierenden Führungskräfte sehr genau, wo für sie das ontologische Sicherheit versprechende emotionale Refugium mit den kategorischen Überschriften „Heimat“ bzw. „Zuhause“ zu lokalisieren ist. Könnecke, der im Alter von achtzehn Jahren 1974 nach Australien auswanderte, in Canberra und Sydney zur Schule ging und das Studium absolvierte, das Ehebündnis mit einer Australierin schloss und Vater von drei in Australien geborenen Kindern ist, berichtete über eine amüsante Situation in Deutschland, in der er sich seiner Identität vergewisserte: „Witzig ist auch, wenn mich Leute nach meinem Zuhause fragen. Also, das ist ganz klar. Und die Kollegen in Deutschland haben mich auch gefragt: ,Ja, wie ist es, jetzt sind sie wieder in der Heimat?‘ Nein, die Heimat ist in Sydney. Heimat ist hier, gar kein Zweifel.“19

Ganz im Gegensatz zu diesem von Könnecke in Bezug auf Sydney verbalisierten Bekenntnis ist der symbolische Bedeutungsraum Deutschland bei Vollmert noch zu stark in der Erinnerung präsent, da er erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch seine beruflichen Verpflichtungen nach Sydney umsiedelte und folglich die imaginierte Erinnerungslandschaft der verlassenen Heimat zum Zeitpunkt der Feldforschung nach wie vor eine intensive Einflussnahme auf sein Leben in der Diaspora ausübte. Dies lässt sich ferner daran ablesen, dass der Edelmigrant den konkreten, nach dem biografischen Übergang von der Arbeitswelt in den Ruhestand eingeplanten Mythos der Rückkehr am Leben hält und kontinuierlich nährt. Weil er seine „Wurzeln“20 in einer eher ländlich geprägten Region Deutschlands verortet, in der „man alles im Laufen erledigen kann“21 bzw. „wo man sich näher ist“22, hält es Vollmert für das fortgeschrittene Alter für angemessener, die Weitläufigkeit und urbane Hektik der Metropole gegen die überschaubaren und weiterhin mit Affektivität aufgeladenen Horizonte der heimatlichen Gefilde einzutauschen. Der in die Wirtschaftsabläufe, Verflechtungen und Praxisfelder des McLuhan’schen global village eingebundene Transmigrant, der heute am Flughafen von Jaipur das Gefühl für Zeit und Raum verliert und es erst übermorgen in einem Hotel im Schatten des Sears Tower zurückgewinnt, sehnt sich für den im Anschluss an die Pensionierung zu begehenden

19 Zitat aus dem Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008. 20 Zitat aus dem Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007. 21 Ebd. 22 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 511

Lebensabschnitt nach der tief sedimentierten Kultur des Lokalen und Heimatlichen (Stäheli 2006: 238ff.; Schilling 2010: 595 u. 606). Und dies ganz im Sinne von Hannerz, der formuliert: „Das Globale ist flach, das Lokale ist tief“ (Hannerz 2007: 110). In diesem Kapitel konnten nomadische Migrationsdynamiken von hochqualifizierten Managern und ihre grenzüberschreitende Mobilität zwischen globaler Makro- wie lokaler Mikroebene aufgezeigt werden. Zur Dekonstruktion der seitens der Global Player für sich in Anspruch genommenen weltbürgerlichen Einstellung assistierte der Begriff „Kosmopolitismus“ von Hannerz. Am Prozess der De-Territorialisierung und Transkulturalisierung wurde deutlich, wie Verhaltensweisen, Ansprüche und Anforderungen von den globalen Protagonisten nach den lokalen bzw. nationalen Erfordernissen kontext- und situationsspezifisch angepasst werden, wenngleich die interkulturelle Übersetzung zwischen den kulturellen Systemen – wie am Beispiel von Könnecke gezeigt – nicht immer gelingt und dazu führt, dass der Arbeitsmigrant aufgrund seiner gewachsenen Bindestrich-Identität während seiner periodischen und temporären Aufenthalte in der Bundesrepublik unter der kognitiven Stereotypenschublade „fremder Anderer“ rubriziert wird. Zuletzt konnte mit den von Vollmert kommunizierten Rückkehrambitionen eine über weite geografische Entfernung weiterhin Bestand habende übernationale Zugehörigkeit konstatiert werden, die von Anderson als „long distance nationalis[m]“ bezeichnet wurde (Anderson 1992: 12, zitiert nach Glick Schiller/Basch/Szanton Blanc 1997: 126).

512 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

6.2 Z UM V ERHÄLTNIS VON ETHNOSCAPES UND MEDIASCAPES : TRANSNATIONALE M EDIENNUTZUNG VON M IGRANTEN AM ANDEREN E NDE DER W ELT „The concept of nation has long been linked to a singular ethnic group’s placement within a particular geographic location. This notion is integral to the mythical lore of many groups, establishing emotional links to a particular landscape that serve to exclude other’s overlapping territorial claims. Forced or voluntary migrations diminish the physical links of those who leave the homeland, but they tale with them the mythical and linguistic allusions to the ancestral territory, which they invoke in nostalgic reminiscences. Some hold on to a hope of eventual return. This creates the demand for cultural products that maintain and ritually celebrate the links of the diaspora with the homeland. This dispersed settlements of transnations also exchange symbolic goods and services, including media content, among each other, thus sustaining global networks“ (Karim 2003: 2f.).

Migration als die soziokulturelle wie biografische Zeitspanne des Umbruchs, der Zerstückelung bzw. Fragmentierung der kulturellen Identität, des Aufbrechens der scheinbar so homogenen lebensweltlichen Erfahrungshorizonte, des Auseinanderklaffens subjektiv wahrgenommener kultureller Welten sowie der im Wandel begriffenen Bedeutungskonstellationen führt dazu, dass Menschen in der Diaspora mittels des Gebrauchs von spezifischen Medien eine transnationale Verbindung zur Herkunftskultur konstituieren. Die Deutschen in Sydney treten somit in unterschiedlichen Zeitspannen mit unterschiedlicher Intensität durch die Verwendung von diversen Kommunikationskanälen und Technologien mit der alten Heimat in eine interaktive Verbindung und zeigen somit ein nach wie vor präsentes Interesse an familiären, zwischenmenschlichen, politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Abläufen in Deutschland. Als erstes Ergebnis der nachfolgenden Einzelabschnitte zur grenzüberschreitenden Verwendung medial operierender Bindeglieder kann festgehalten werden, dass diesen transnationalen Brücken in der Alltagswelt der Untersuchten eine signifikante Schlüsselposition zukommt. Dominierten zu Beginn der meiner empirischen Studie unterliegenden zeitlichen Untersuchungsrahmung ausschließlich Briefe und die in der Nachkriegsära von

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 513

zahlreichen Immigranten in unterschiedlichen Ländern institutionalisierte ethnic press als einzige Informationsübermittler, so kam es doch in Australien mit der politisch-gesellschaftlichen Inauguration des Multikulturalismus zur Mitte der 1970er Jahre zu einer auf medialer Ebene betriebenen Ausweitung des multilingualen wie multinationalen Angebots durch die Etablierung des Special Broadcasting Service. Neben dem mehrere Wochen für die transkontinentale Passage benötigenden Briefwechsel stellte lange Jahre das lokal in Sydney produzierte ethnische Publikationsmedium Die Woche in Australien für die gesamte deutsche Leserschaft der Auswanderer auf dem Fünften Kontinent den einzigen Kontakt zu Deutschland dar. In den Folgejahren stechen besonders die von Australien aus Deutschland importierten Medienangebote wie Serien, Krimis und andere noch genauer zu betrachtende Fernsehformate für speziell auf ethnische Minoritäten zugeschnittene Spartenkanäle heraus, die sich emanzipatorisch ihres Nischendaseins entledigen konnten und sich auch in der gegenwärtigen Migrantengemeinde nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen. Wie eine kulturelle Revolution wirkte die Etablierung des Internets (Miller/Slater 2000), so dass im Zeitalter der Digitalisierung und fernräumlichen Visualisierung die Aufnahme von transnationalen Kontakten anhand von Videotelefonie (Skype), E-Mail-Verkehr, Austauschplattformen, Blogforen, Chaträumen, Newsgroups und Videoportalen immer intensiver zu den die geografische Distanz überbrückenden, alltäglich verrichteten, migrantische Bedürfnisse befriedigenden Interaktionshandlungen der Diasporabewohner gehört. Im Zuge der in nahezu allen gesellschaftlichen Schichten diffundierenden Innovationen aus den Bereichen der Kommunikationstechnologie kommt den Neuen Medien im lebensweltlichen Kontext der Auswanderer, die aufgrund der großen Distanz zwischen Herkunfts- und aktuellem Lebensort nicht „mal eben für ein verlängertes Wochenende“ nach Deutschland fliegen können, nicht zuletzt eine therapeutische Ventilfunktion zu, da sie in diesen internetbasierten virtuellen Milieus sowie mit ihren differenzierten Medienpraktiken von der Verbindung mit der Heimat nur noch einige Mausklicks entfernt sind. In erster Linie machen sich junge Migranten dieses neuartige und für die postmoderne Informationsgesellschaft charakteristische technische Know-how zu eigen, nutzen dabei kostenpflichtige Internetdienstleitungen, um sich Sendungen aus der deutschen Fernsehlandschaft ins australische Wohnzimmer zu holen, sind Inhaber von Onlineabonnements deutscher Tageszeitungen, lassen sich von Freunden aus dem alten Heimatort die auf DVD aufgezeichneten Folgen der Kriminalserie Tatort zuschicken, versenden via E-Mail einen monatlichen Newsletter über die aktuellen Vorkommnisse, publizieren in Deutschland publikumswirksam Ratgeberliteratur für angehende Auswanderer bzw. für an einem Highschool-Jahr in Australien oder Neuseeland interessierte Schüler, arbeiten als Onlineredakteure für die Internetseite infobahnaustralia.com.au und erstellen mit persönlich verwalteten wie nutzergenerierten Webblogs digitale Medienwelten, die nicht nur den zurückgelassenen Familienmitgliedern und Freunden in Deutschland die selektive Partizipation

514 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

am „Leben in Down Under“ ermöglichen, sondern zu einem großen Teil auch als kulturelle Identitätsagenturen zur Vergewisserung und Inszenierung des Selbst zu lesen sind. Für eine ältere Generation von Auswanderern hat der wöchentlich realisierte Gang in die State Library of New South Wales zwecks der kostenfreien Lektüre der Wochenzeitschrift Der Spiegel bereits rituelle Züge angenommen. Aus diesen hier nur kursorisch angedeuteten bzw. schlaglichtartig präsentierten empirischen Beispielen in Bezug auf die transnationalen Verflechtungen geht hervor, dass deutsche Migranten ethnisch gestimmte bzw. hinsichtlich ethnischer Belange und Interessenlagen konstruierte mediascapes im Sinne von Arjun Appadurai entwerfen, diese medial bzw. virtuell gestalteten Öffentlichkeiten, auf subjektiv geglaubte Gemeinschaft (Max Weber) und Solidarität abzielende Netzwerke in unterschiedlichen Formen zu konsolidieren wissen. Der indisch-amerikanische Kulturanthropologe zeichnete bereits 1996 den von Wandel geprägten Übergang von einer staatlich determinierten (und damit kontrollierbaren) zu einer multidimensionalen und über die Maßen beziehungsreichen Medienlandschaft (mediascape) nach, bei der eine reglementierende Einflussnahme durch staatliche Gewalt nur sehr eingeschränkt möglich sei. Diese von Menschen produzierten mediascapes stellen ihren Nutzern und Rezipienten eine Fülle von vielschichtigen und multifaktorialen Identitätsressourcen bereit und schaffen zum Beispiel Konnexe zwischen Menschen mit dem gleichen diasporischen Schicksal (Leben in der Fremde). Appadurai weist darauf hin, dass diese Medienlandschaften gegenüber ihren Konstrukteuren sowie den an ihnen Beteiligten mit Skripten aufwarten, die mit Sinn und Bedeutung zu füllen sind und somit zu einer plausiblen Auslegung von imaginierten Welten zusammengefügt werden können: „Mediascapes, whether produced by private or state interests, tend to be image-centered, narrative-based accounts of strips of reality, and what they offer to those who experience and transform them is a series of elements (such as characters, plots, and textual forms) out of which scripts can be formed of imagined lives, their own as well as those of others living in other places“ (Appadurai 1996: 35).

Die über den lokalen Bezug hinausgehenden, weite Distanzen kompensierenden sowie zur Enträumlichung bzw. Entgrenzung von ethnokulturellen bzw. ethnoterritorialen Zugehörigkeiten beitragenden Medienlandschaften machen es für die in Rede stehenden Auswanderer in der Jetztzeit möglich, mehrere Spielarten erdenklicher Lebenswirklichkeiten für sich in Betracht zu ziehen (Rolshoven 2003: 205). „The media give us more contemporaries“ (Hannerz 1992: 30), formuliert Hannerz. Unter Zuhilfenahme sowohl „alter“ Medien, die wie Die Woche in Australien und der multilinguale Spartensender Special Broadcasting Service durch einen limitierten Prozess der Interaktivität charakterisiert sind, als auch durch „neue“, hochgradig dialogistisch getaktete internetbasierte Kanäle der oralen, narrativen und textuellen

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 515

Kommunikation legt die Diasporakultur deutscher Migranten in Sydney das Fundament für neuartige Lebensräume, Beziehungsnetzwerke und Felder des Informationsaustauschs, in denen die Auswanderer einerseits ihren migrantischen Stimmen Gehör verschaffen und andererseits „neue Möglichkeiten der Selbstidentifikation“ (Dracklé 2007: 201; Dies. 2000) in der kulturellen Fremde generieren. Die exponentiell zunehmende Dichte und Komplexität der zwischenmenschlichen medialen Verbindungen über zwei weit voneinander entfernt gelegene, kulturell aufgeladene Territorien führt zu einem veränderten Verhältnis der inneren Dynamik zwischen Diaspora und Herkunftskultur (Ginsburg/Abu-Lughod/Larkin 2002; Askew/Wilk 2002; King/Woos 2001). Um den eher theoretisch argumentierenden Diskurs an einer alltagskulturellen Ebene zu spiegeln, stehen im integrativen Mittelpunkt der nachfolgenden Kapitel die aus den lebensweltlichen Empirien abgeleiteten Strukturen und Muster der Transnationalisierung von Migrantenidentitäten.23 Dabei gebührt den über Printmedien, audiovisuellen Angeboten und internetbasierten Medien hergestellten interaktiven Handlungsfeldern gesondertes Interesse, weil die in der Diaspora Lebenden mit Hilfe dieser ethnokulturellen mediascapes ihr Dasein begründen, diese zugleich einen signifikanten Bestandteil des transnational gelebten Alltags ausmachen, den Identitätsfindungsprozess in der Diaspora dynamisieren und Aufklärung über den Prozesscharakter besitzenden Integrationsmechanismus des bridging zwischen einem Hier und einem Dort versprechen.

23 Unter dem Terminus „Transnationalisierung“ versteht der Soziologe Ludger Pries „die Zugehörigkeitsgefühle, kulturellen Gemeinsamkeiten, Kommunikationsverflechtungen, Arbeitszusammenhänge und die alltägliche Lebenspraxis sowie die hierauf bezogenen Organisationen und gesellschaftlichen Ordnungen und Regulierungen, die sich in relativ dauerhafter und pluri-lokalen, die Grenzen von Nationalstaaten überschreitenden sozialen Gebilden und Sozialräumen niederschlagen“ (Pries 2008: 44 [Herv. i. O.]).

516 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

6.2.1 Das Zeitungsmedium Die Woche in Australien „Dann gab es hier die deutsche Zeitung Die Woche in Australien, die gibt es heute noch. Die Woche war die einzige Verbindung in den 50er und 60er Jahren, wo dann auch richtige deutsche Nachrichten waren. Das waren mehrere Seiten voller Annoncen, Restaurants, dies und das. Wenn sie etwas von Übersee brauchten, die konnten das reinbringen.“24 „Als wir zum Beispiel in Bankstown gewohnt haben, da waren sehr viele deutsche Einwanderer, aber jetzt ist das natürlich ganz anders geworden. Da war ja auch Die Woche, die war ja auch in Bankstown, da hatte ich zuerst Kontakt gehabt und habe mir da natürlich auch immer Die Woche gekauft, weil mich das interessiert hat. Ich wollte ja mit der Heimat, mit Deutschland, in Verbindung bleiben.“25

Es war Freitag, der 18. August 1950, als der achtundzwanzigjährige staatenlose Siebenbürger John Jacobi mit dem Passagierschiff Fairsea im Hafen von Melbourne vor Anker ging und mit ihm eine neue Gruppe von zuversichtlichen new beginners aus der Alten Welt zum ersten Mal australischen Boden betrat. Wie viele seiner Mitreisenden gehörte auch Jacobi zu den Auswanderern jener reserve army of labour, die dem auf Arbeitskräfte dringend angewiesenen australischen Staat jenes körperliche Leistungspotenzial gegen die Übernahme der Überfahrtskosten zum Tausch angeboten hatte. Mit seinen Gesinnungsfreunden hatte er einem die Physis wie Psyche gleichermaßen stark beanspruchenden Arbeitsverhältnis im Steinbruch in Marulan bei Goulburn (NSW) für zwei Jahre nachzugehen. Bereits nach beschwerlichen neun Monaten im Tagebau des australischen Hinterlands wechselte er zu einer Textilfabrik nach Sydney, bei der er die restliche Zeit seines Kontraktes mit der australischen Regierungsbehörde ableistete. Das erwirtschaftete Kapital aus dem Entlohnungsverhältnis investierte Jacobi zunächst in einen Lieferwagen, der der erste Schritt für die ins Auge gefasste unternehmerische Selbstständigkeit im fremden Land sein sollte. Als ethnic entrepreneur versorgte er zu Beginn seiner autarken Tätigkeit als Geschäftsmann die in den Außenbezirken von Sydney lebenden europäischen Immigranten mit in europäischer Tradition stehenden Lebensmitteln, die angesichts der stark monokulturellen Ausrichtung Australiens, in dem das kultu-

24 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 25 Zitat aus dem Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 517

relle Erbe der britishness Dominanz besaß, nur in wenigen, zum ethnischen Nischendasein verurteilten Geschäften zur Angebotspalette gehörten. Die sich aus diesen Dienstleistungen ergebenden Finanzakkumulationen wurden umgehend verfügbar gemacht, um den Import von Büchern und Zeitschriften in deutscher Sprache zu intensivieren. Während der kontinuierlich anhaltenden Kontaktsituationen zu seiner ausschließlich deutschsprachigen Kundenklientel evaluierte Jacobi das von kultureller Bedürfnisbefriedigung infiltrierte Verlangen seiner Landsleute nach einer in der deutschen Sprache verfassten Zeitung in der australischen Diaspora.26 Der impulsgebende Anstoß aus dem Kreis der Auswanderergemeinde kann darauf zurückgeführt werden, dass zu Beginn der 1950er Jahre ausschließlich per Briefsendung mit Freunden oder Verwandten aktuelle Informationen über Deutschland bezogen werden konnten, bei der zwischen dem Absenden des Briefes in Australien und der eingehenden Beantwortung aufgrund der zeitintensiven Schiffspassage gleich mehrere Wochen verstrichen. Helmut Zeiler führte aus, dass in den Verkaufsständen zur damaligen Zeit durchaus die aus Deutschland importierten Tagesblätter wie das Hamburger Abendblatt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Kauf angeboten wurden, wenngleich auch diese angesichts der Schiffspassage mehrere Wochen

26 Von Immigranten produzierte und herausgegebene Printmedien in deutscher Sprache hatten bis zur Restriktion während des Zweiten Weltkriegs eine lange Tradition. So zählte die am 6. Januar 1848 in Adelaide in der Erstausgabe erschienene Die Deutsche Post fuer die Australischen Kolonien zu der ersten fremdsprachigen Zeitung auf dem Fünften Kontinent. Ein unregelmäßiges Erscheinen, zahlreiche personelle Fluktuationen bei Herausgebern, unterschiedliche Erscheinungsorte wie Tanunda, Adelaide, Melbourne und Brisbane sowie variierende Betitelungen erschweren eine Gesamtschau der deutschsprachigen Presse im 19. Jahrhundert. Eine genealogische und komprimierte Überblicksdarstellung dieser ethnic press findet sich bei Gilson und Zubrzycki (Gilson/Zubrzycki 1967: 8). Das wöchentlich in den Jahren zwischen 1934 und 1939 eine deutsche Leserschaft in Australien erreichende, stark politisch orientierte Blatt Die Brücke sorgte wegen ihres an der nationalsozialistischen Bewegung ausgerichteten journalistischen Sprachgebrauchs sowie des propagierten „Führerkults“ für das über mehrere Jahre anhaltende Verbot der in deutscher Sprache publizierten Presse. Zur Last gelegt wurde diesem von Arnold von Skerst in einer Auflage von 3.000 Exemplaren verlegten Organ, in ihrer von der Politpropaganda infiltrierten Berichterstattung eine anhaltende Beschwörung des „Volksgeistes“ (German national spirit) zu betreiben und dadurch bei der Leserschaft zur anhaltenden Erzeugung einer „political disloyality“ beizutragen. Weil Deutschland ab 1939 zum Kriegsgegner wurde, verschwand Die Brücke sowie der in Brisbane verlegte Queenslander Herald aus der australischen Zeitungslandschaft (Price 1945: 49f.; Voigt 1992: 227; Ders. 1988: 132f.).

518 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

alt waren und des Weiteren der Erwerb „eine kostspielige Angelegenheit“27 war. Zeitnähe wie Gegenwartsbezogenheit konnte somit nur ein in Australien erstelltes Presseorgan liefern, dessen Redakteure sich via Kurzwelle über den aktuellen Stand der Dinge in Deutschland informierten und auf dieser Grundlage die Artikel ausformulierten. Nach einer detaillierten Beurteilung des Nachfragepotenzials in Bezug auf ethnische Printmedien und Druckerzeugnisse entstand 1951 die registrierte Jacobi Trading Company mit Firmensitz im Vorort Summer Hill. Zwei Jahre später akquirierte der damalige Jungunternehmer ein eigenes Haus in der 3 Seddon Street im westlich von Sydney gelegenen Stadtbezirk Bankstown, das bis zum Firmenumzug im Jahre 2007 in die 34 East Street nach Five Docks zu Spitzenzeiten bis zu 60 Mitarbeiter beherbergte. Als Jacobi 1958 zusammen mit dem Importeur H. R. Kryger das Unternehmen Overseas Periodicals ins Leben rief, geschah dies nicht zuletzt aus betriebswirtschaftlich-marktstrategischen Erwägungen heraus, da eine Fusion dem Anforderungsprofil des Absatzmarktes, auf dem sich mit zunehmender Zeit mehr und mehr Konkurrenzsituationen herauskristallisierten, eher Rechnung trug. Das an einen Verlag erinnernde Geschäft mit Buchlager und Versandbetrieb integrierte seit dem Jahre 1957 die deutschsprachige Zeitung Die Woche in Australien in sein Angebotsrepertoire, die in Sydney zunächst in einer Auflage von 10.000 Exemplaren erschien und eine über das ganze Nationalterritorium verstreute Leserschaft erreichte (Clyne 1981: 58). Ebenfalls wie die in Melbourne ab 1954 den Druck aufnehmende Neue Welt (Voigt 1988: 153) und Neue Heimat und Welt, die in Perth ab 1952 herausgegebene Zeitung Der Australische Spiegel, die in Geelong zwischen 1954 und 1960 publizierte Rundschau für Europäische Einwanderer sowie Der Anker, hat sich Die Woche Sprach- und Kulturerhaltung, interkulturelle Verständigung und Integration der Einwanderer auf die Agenda gesetzt und berichtete über die Ereignisse aus den drei deutschsprachigen Ländern (Gilson/Zubrzycki 1967: 38). Die seit der Mitte der 1980er Jahre auf Computerbetrieb umgestellten Maschinen zur Herstellung von deutschsprachigen Druckerzeugnissen für den australischen Presse- und Buchmarkt schufen die Grundvoraussetzung für die Durchsetzung einer Vertriebs- und Programmpalette, die neben der eigens produzierten Die Woche in Australien des Weiteren Medienorgane wie Stern, Bunte, Neue Revue, Burda und Der Spiegel (O.A.: Jacobi 1988: 159) aufwies. Anlässlich des fünfunddreißigjährigen Bestehens der Mediengesellschaft unter der Ägide Jacobi legte man sich 1987 mit dem Namen Internews eine neue Firmenbezeichnung zu, die zu jenem Zeitpunkt in ganz Australien circa 5.000 Händler mit Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen belieferte. Als Jacobi zum Ende der 1980er Jahre via Inserat in seiner eigenen Zeitung ein umgehend zu besetzendes Beschäftigungsverhältnis als Redakteur in Aussicht stell-

27 Zitat aus dem Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 519

te, lebte Ludger Heidershoff, der in Deutschland das Universitätsstudium der Soziologie, Massenkommunikation und Zeitungswissenschaften abgeschlossenen hatte und sich danach im Bereich der Marktforschung hervortat, in Perth und sah sich aufgrund der anhaltend negativen Auswirkungen des nationalen Pilotenstreiks auf die Tourismusbranche in Westaustralien damit konfrontiert, sein Streben nach einer beruflichen Verwirklichung in diesem Metier hintenanzustellen. Nach einem Vorstellungsgespräch bekam Heidershoff die Stelle in Sydney und arbeitete sich bis zum managing editor des Publikationsorgans hoch, eine Position, die er bis zum gegenwärtigen Tag bekleidet. In den 1990er Jahren beschäftigte das Blatt circa zehn Mitarbeiter in den Arbeitssektoren wie Redaktion und Anzeigenverkauf sowie eine Vielzahl von journalistischen Korrespondenten in Melbourne, Adelaide, Perth, Brisbane und Arlie Beach. Im bereits fortgeschrittenen Alter traf Jacobi im Jahre 2003 die Entscheidung, sein Lebenswerk zu verkaufen, und mit dem Wissen in den wohlverdienten Ruhestand überzugehen, dass Die Woche auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst in Zukunft der Leserschaft zur Verfügung stehen würde. Die bisher privatwirtschaftlich unterhaltene Die Woche in Australien wurde ab diesem Zeitpunkt von der Stiftung German Language Press Pty. Ltd. herausgegeben, in der die Leser der Zeitung mit einem finanziellen Aufwand von 15 Australischen Dollar ein Mitgliedsrecht erwerben, den Aufsichtsrat durch ein Votum bestellen und darüber hinaus zum Erhalt der deutschen Sprache in der multiethnischen Presselandschaft Australiens beitragen können. Die stets über insgesamt 24 Seiten verfügende Printversion von Die Woche in Australien mit der Überschrift Australia’s Only German Language Press versteht sich als Sprachrohr der in Australien, Neuseeland, Tasmanien und Neuguinea lebenden Menschen mit deutscher Muttersprache und bot vor dem Hintergrund der Einwanderungswellen der Nachkriegsära zahlreichen Migrantengenerationen aus eben jenem Sprachraum während ihrer konfliktbehafteten gesellschaftlichen Integrationsarbeit, die damals noch unter der Direktive Assimilation firmierte, „kulturell verbürgte“ Orientierungsangebote. Bei dem weitreichende Wandlungsprozesse mit sich bringenden Schritt in Richtung Migration muss dieses Vermittlermedium von Informationen zwischen der alten und der neuen Heimat als der zentrale Identitätsgenerator klassifiziert werden. In Betracht zu ziehen sind des Weiteren die nur sehr spärlichen Englischkenntnisse der Neuankömmlinge in Kombination mit den zur damaligen Zeit kaum bis rudimentär vorhandenen Angeboten seitens des australischen Staates zur Erlernung der Landesbzw. Verkehrssprache. Deshalb ist der Erfolg der Publikation nicht zuletzt der Öffnung sowie Ausweitung transnationaler Kommunikationsräume zuzusprechen. Als einem „stepping-stone from an old life to a new“ (Gilson/Zubrzycki 1967: 169.) besaß Die Woche in Australien die wesentliche Funktion, die ethnische Minorität der deutschen Einwanderer auf den Status des vollwertigen australischen Staatsbürgers vorzubereiten. Zur Bewältigung dieses steinigen und von Unebenheiten geprägten Weges berücksichtigt die ethnic press zwei signifikante Faktoren:

520 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„It caters for the desire for news of the homeland and advises retention of some old loyalties, believing that an abrupt break with the past leads to feelings of insecurity, loss, and bewilderment. At the same time, by instructing its readers in Australian ways, by encouraging them to overcome difficulties, and to co-operate actively with their new countrymen, it leads them towards an understanding and acceptance of their future in Australia“ (ebd.).

Das Blatt enthält auf den ersten zehn Seiten allgemeine internationale Nachrichten, eine spezifisch nationale Berichterstattung aus den Ländern Deutschland, der Schweiz und Österreich, einen Wirtschaftsteil sowie eine Sparte für Kultur und Vermischtes. Pressemitteilungen zum deutschsprachigen Leben in Australien (Klubs, Vereine, Kirchen), zwei Seiten zu Ereignissen aus dem asiatisch-pazifischen Raum sowie Lokalnachrichten aus den größeren australischen Städten, Gesundheitsratgeber, eine „Junge Seite“ für die jugendliche Leserschaft, Horoskope, Kurzkrimi, Rätsel, Witzecke, Annoncen sowie drei Seiten mit Sportberichterstattung und aktueller Bundesligatabelle bilden die zweite Hälfte des Blattes. Nicht ausdrücklich mit einem Autorrennamen versehene Beiträge werden von der Deutschen Presse-Agentur übernommen. Bezüglich der Berichterstattung über Politik, Gesellschaft und Kultur aus Down Under bedient man sich aus dem Medienpool des australischen Nachrichtendienstes Australia Associated Press und übersetzt diese ins Deutsche. Insbesondere der zweite Teil der Wochenzeitung, in dem spezifische Berichte und Informationen den australischen Kulturraum thematisieren, widerlegt die im politisch-gesellschaftlichen Diskurs der Hegemonialbevölkerung mit kontinuierlicher Regelmäßigkeit verlautbarte These von der integrationshemmenden Wirkung diverser Printmedien von subalternen Minoritäten, die vorgeblich eine ethnische „Schließung“ (Wimmer 2008: 70) bzw. Segregation befördern, weil sie auf kultureller Exklusivität beharren, damit die Homogenitätsvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft von einem „gewachsenen“ Normen- und Wertekonsens unterwandern und die Gefahren einer Polarisierung zwischen den Kulturen heraufbeschwören (Heckmann 1998). Konträr dazu trägt Die Woche in Australien zur „Orientierung an und Integration in die Nationalkultur des Aufnehmerlandes“ bei, indem sie die Leserschaft mit ihren Artikeln in die Lage versetzt, „an soziale[n] Kontexten, Lebensstilen und gesellschaftlichen Ereignissen zu partizipieren“ (Göttlich 2000: 38). In periodischen Abständen werden ferner Aspekte in die journalistische Berichterstattung eingebaut, die konkordante Elemente einer von Deutschen und Australiern geteilten, aus der Vergangenheit sich ableitenden kulturellen Identität herausarbeiten. Der in der Ausgabe 45 vom 3. November 2009 journalistisch ins Licht gesetzte Zimmermann Arthur Baumhammer ist ein Beispiel dafür, wie Deutsche mit handwerklichem Geschick bei der Konstruktion der australischen Nation, der infrastrukturellen Erschließung sowie der wirtschaftlichen Prosperität nach dem Zweiten Weltkrieg mithalfen (Tilmann 2009: 12). Baumhammer war es, der als ei-

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 521

ner der zahlreichen Auswanderer beim Snowy Mountains Hydro-Electric Scheme, einem Projekt von nationaler Wichtigkeit, unter mehrmaligem Einsatz seines Lebens in gefährlichen Arbeitssituationen Australien den Weg in ein globalisiertes Zeitalter erst möglich machte. Derartige Formen der medial vermittelten Vergegenwärtigung einer gemeinsam beschrittenen australisch-deutschen Geschichte, die auch einer jüngeren, mit materiellem Wohlstand ausgestatteten Auswanderergruppe Lebensbedingungen damaliger Zeiten vor Augen führt, ist an einer aktiven Integration interessiert. Zumal wird hierbei auf etwas Zusammenführendes bzw. die ethnische Minorität mit der australischen Majoritätsgesellschaft Verbindendes rekurriert und nicht auf voneinander scheidende bzw. segregierende Elemente verwiesen. Die Historie, hier am Beispiel eines baulichen Großprojektes, wird als kulturell imprägniertes Territorium versinnbildlicht, das nicht nebeneinander, sondern miteinander durchschritten wurde. Die Titelseiten der beiden mir vorliegenden Ausgaben präsentieren jeweils eine in Farbe abgedruckte fotografische Abbildung der „deutschen Erinnerungslandschaft“, auf der in der Nummer vom 6. Mai 2008 die in eine Tracht gehüllte „Altenländer Blütenkönigin“ aus der im niedersächsischen Kreis Stade gelegenen Ortschaft Jork zu sehen ist. Ein alpenländisches Panorama mit „Frühlingswetter“, mit von Schnee bedeckten Bergen und saftgrünen Wiesen ziert die Edition vom 1. April 2008. Gezielt ausgesuchte Landschaftsassoziationen, historisch begründete Wertehorizonte sowie die der Emotionalisierung dienende Reproduktion von vermeintlich „uralten“ Traditionen erzeugen als ethnokulturelle Repräsentationen stimmungsvolle Blicke in eine in der Gegenwart stilisierten, fiktionalisierten, retuschierten und als vollkommen konstruierten „heilen Welt“ der Vergangenheit, die zwar in ihren purifizierten Grundzügen zu keiner Zeit Bestand hatte, jedoch von den Betrachtern in der Diaspora als in sich schlüssig und plausibel konzeptionalisiert wird und somit identitäre Anknüpfungspunkte anbietet. Den Konsumenten dient die ikonografische Semantik dieser „heimatlichen“ Repräsentationen bzw. „Besinnungsformeln“ als identitäres Integrationskonzept, das Gewissen über die ethnonationale WirGemeinschaft mittels einer hochgradig konstruktivistischen bzw. artifiziellen Mobilisierung bestimmter, kulturell kanonisierter Symbole, Metaphern, Ressourcen und Wertekonstellationen verschafft. Kaschuba fasst die Wirkungsfunktionalität dieses Prozesses der Identitätsgenerierung wie folgt in Worte: „Diese symbolisch geformte und rituell organisierte Mobilisierung eines ,Wir‘ baut auf eine zivilisationsgeschichtlichen Logik, deren Argumentationskette sich etwa so beschreiben läßt: Abgrenzung operiert mit Tradition – Tradition verbürgt Autorität – Autorität schafft Aura – und Aura sichert schließlich Authentizität, die damit eben nicht von verbürgter historischer Kontinuität abhängt, sondern (fast) allein von ihrer Plausibilität als ,Wahrheitsvorstellung‘ (Giddens), also von der aktuellen Überzeugungskraft ihrer sozialen Semantik und kulturellen

522 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Symbolik. Als gesellschaftliche Selbstdarstellung gehört diese Inszenierung damit zum Genre des ,sozialen Dramas‘ (Turner)“ (Kaschuba 2001: 31).

Ins Auge fällt der große Annoncenteil im hinteren Bereich der von und für Auswanderer konzipierten Wochenzeitschrift, in dem gerade deutschsprachige Unternehmer, wie zum Beispiel Einwanderungsagenten, Rechtsanwälte, Ärzte und andere Vertreter aus dem Gesundheitswesen, Restaurants, Standesbeamte, Handwerker, Reisebüros, Metzgereien, Immobilienmakler und Friseursalons, ihre Dienste im Kontext „vertrauter Kommunikationsbedingungen“ anpreisen. Unter der Rubrik „Deutsche Film-Klassiker und andere DVDs!“ bietet der Versandbetrieb German Language Press Pty. Ltd. auf Seite zehn seinen Rezipienten die Bestellmöglichkeit von Spielfilmen in deutscher Sprache mit englischen Untertiteln, wobei Verfilmungen wie Sissi, Die Blechtrommel, das Volkstanzfestival 2007 und eine Klaus-KinskiSerie mit Spielfilmen wie Nosferatu, Cobra Verde, Fitzcarraldo, Aguirre und Woyzeck in Farbe visualisiert werden. Das Zeitungsinserat mit dem Titel Germany’s Best wirbt für einen Onlineversandhandel mit Firmensitz in Bremen, der direkt aus Deutschland importierte Produkte à la Kinderüberraschung, Milka-Schokolade, Haribo, Leibniz-Butterkekse, Nutella, Schwartau-Marmelade, Meßmer Tee und Maggi-Fix-Kochhilfen in die Haushalte deutscher Auswanderer in Australien liefert. Die jeweils immer dienstags herauskommende Druckfassung der Wochenzeitung kann für 3,10 Australische Dollar allein im Stadtgebiet von Sydney an insgesamt zwölf ausgewählten Verkaufsständen bezogen werden und steht zudem in allen weiteren australischen Bundesstaaten sowie in der tasmanischen Hauptstadt Hobart zum Kauf bereit. Aus diesen Darlegungen wird deutlich, dass die Anstrengungen des ethnischen Blattes nach wie vor darin bestehen, die sich demografisch und mit Hinblick auf die Altersstruktur stark wandelnde Immigrantengemeinde in ganz Australien mit Neuigkeiten und kulturellen Offerten zu versehen, somit graduell die Gelegenheit zur Teilhabe der ethnischen Minorität am gesellschaftlichen Leben in Deutschland befördert, die in dieser Art und Weise von der aktuellen Residenzgesellschaft nicht geleistet werden kann. In einem Zeitalter der Digitalisierung, in dem immer mehr Menschen zur Generierung von Informationen die zumeist ohne finanzielle Kosten verbundenen Plattformen des World Wide Web zu nutzen wissen und damit gleichzeitig das Erliegen zahlreicher journalistischer Druckerzeugnisse befördern, hat auch das auf die ethnischen Interessen deutscher Auswanderer ausgerichtete Blatt in Australien im 21. Jahrhundert Existenzängste auszustehen. Zur Stammleserschaft, so der die operativen Geschäfte leitende Heidershoff, gehört die akut im Aussterben begriffene Immigrantengeneration aus den 50er und 60er Jahre des vergangenen Säkulums, für die das deutschsprachige Medium ein Stück ihrer eigenen Vergangenheit darstellt, weil es zu Beginn ihres Aufenthalts eines der wenigen transnationalen Bindeglieder zwischen Deutschland und Australien war, über das sie im wöchentlichen Rhyth-

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 523

mus Neuigkeiten über die gesellschaftlichen Entwicklungen der alten Heimat in Erfahrung bringen konnten.28 Gerade neues Kommunikationsverhalten im Onlinesektor sowie die unbeschwerte Zugänglichkeit zu Bundesligaergebnissen, wegen denen laut Heidershoff mindestens 25 Prozent der Leser Die Woche aus der Ära vor der gesamtgesellschaftlichen Etablierung des Internets wöchentlich bezogen, werden dafür verantwortlich gemacht, dass immer weniger Exemplare von den Deutschen gekauft werden. Der die These von der mangelnden technologischen Gewandtheit älterer Menschen in Bezug auf Computer und Netzdienste widerlegende, zum Zeitpunkt des Interviews auf fünfundsiebzig Lebensjahre zurückschauende Karl-Heinz Kuhnert hat ebenfalls die globale Trendwende in Sachen Printmedien erreicht: „Ich habe die Zeitung schon lange nicht mehr gekauft. Ich habe die 1998 abbestellt, weil ich das alles im Internet habe, Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost, Sport, ist alles da.“29 Um diesen, das gesamte internationale Pressewesen negativ beeinträchtigenden Entwicklungen durch die Omnipräsenz der internetgestützten Neuen Medien entgegenzusteuern, beschloss die German Language Press Pty Ltd das Medienorgan Die Woche in Australien ihrem Publikum ebenfalls via virtueller Datenbasis als digitalisierte Version anzubieten. Hiermit wurde die alltagskulturelle Tauglichkeit der ethnic press im schnelllebigen Informationszeitalter unter Beweis gestellt. Das multimediale Onlineabonnement bietet dem potenziellen Interessenten eine via E-Mail realisierte Zustellung der elektronischen Version der Wochenausgabe im Portable Document Format zum bequemen Lesen am Computerbildschirm zum Preis von 99 Australischen Dollar für eine Laufzeit von zwölf Monaten an. Diese Vorgehensweise zur internetkonformen Ausrichtung der Zeitung zwecks ei-

28 An dem Phänomen, dass zur damaligen Zeit die geografische Distanz zu Deutschland ebenfalls eine kognitive Barriere bzw. eine Isolation schuf, die den Migranten Veränderungsprozesse in ihrem Herkunftsland naturgemäß vorenthielt, konnte auch eine ethnische Zeitung, die ihrem Publikum Informationen nur selektiv präsentierte und zum Teil mittels homogenisierender und romantisierender Konstruktions- bzw. Reduktionsleistungen stets darum bemüht war, ein „erinnerungswürdiges“ Deutschlandbild zu präsentieren, nur recht wenig ändern. Rekurs nehmend auf eine ältere Emigrantengeneration formulierte Heidershoff: „Das [die Auswanderung, Anm. d. A.] war einfach eine Zäsur, bums aus. Du kommst einfach nicht mehr zurück. Deswegen haben die auch im Kopf, Deutschland ist so wie vor fünfzig Jahren, wie sie da weg sind. Und die kriegen einen Schock und einen Horror, wenn die heute rübergehen und dreißig bis vierzig Jahre nicht mehr in Deutschland waren. Die kriegen dann einen Schock. Besonders das Ausländerproblem und so. Die sagen dann zu mir: ,Herr Heidershoff, wir haben einen Neger am Hauptbahnhof gesehen.‘ Ja, die erwarten das nicht.“ Zitat aus dem Interview mit Ludger Heidershoff, datiert auf den 01.04.2008. 29 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007.

524 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ner am Absatzmarkt orientierten Erschließung neuer Kunden bzw. der Einsparung von Druckkosten sei laut Heidershoff „einigermaßen gut eingeschlagen“30 und gelte auch in der weiteren Zukunft als Prüfstein für das weitere Bestehen einer an migrantischen Integrationsinteressen angelegten Zeitung in Australien. Aus dem landesweit sinkenden Quantum an gedruckten Verkaufsexemplaren resultierten ebenfalls deutliche personelle Einsparungen in der redaktionellen Arbeit, so dass aktuell ein nicht zu unterschätzender journalistischer Aufwand von auf freiwilliger und ehrenamtlicher Basis tätigen Praktikanten aus Deutschland übernommen wird. Bei der Frequentierung der Redaktionsmitglieder für die Geschäftsstelle in Five Docks werden ausschließlich Personen eingestellt, die Deutsch als Muttersprache aufweisen können, auch wenn die Immigrationsbehörde aus Gründen der Visumsbestimmungen des Öfteren der Redaktion Personal andienen möchte, das Deutsch als Fremdsprache für mehrere Jahr in der Schule gelernt hat, jedoch aufgrund der eingeschränkten Kenntnisse des Deutschen nicht in der Lage ist, einen auf das deutsche Publikum zugeschnittenen Artikel zu verfassen, weil jene mit auffälliger Regelmäßigkeit die an kulturelle Determinanten angebundenen Sprachqualifikationen nicht zu Genüge beherrschen. Die Immigrantenzeitung Die Woche in Australien hat seit ihrer Erstausgabe am 8. August 1957 Mittel und Wege gefunden, einen medialen Interaktionsraum ins Leben zu rufen, der die Bedürfnisse ihrer ausschließlich deutschsprachigen Leserklientel nach vertrauten Formen zu befriedigen weiß, ohne dabei in binäre und festgefahrene Denkstrukturen des „Entweder-oder“ zwischen Entsende- und Residenzland zu verfallen. Als einflussreiche und relevante ethnische Selbstorganisation gelingt der Zeitung mit Bezugnahme auf ein heterogenes kulturelles Wissenskonvolut, das die „simultane Inkorporation in die home- und hostlands“ (Darieva 2004: 259 [Herv. i. O.]) gewährleistet, die Unterfütterung eines kreativen wie multivalenten Integrationsvorgangs. Selbstverständlich liegt es ferner im Aufgabenbereich des ethnischen Presseorgans, sowohl kulturell codierte als auch mit dem Topos „Heimat“ imprägnierte „Deutschlandbilder“ (Schweiz/Österreich) möglichst sinnstiftend zu transportieren, die ferner in der Alltagskultur deutscher Auswanderer als solche ethnische Repräsentationen dechiffrierbar sind bzw. als Anknüpfungskoordinaten zur Rekonfiguration eines kollektiven Identitätswissens in den Dienst genommen werden. Anzeichen dafür, dass sie ihre Leser in ein gesellschaftliches Abseits manövriert, das ausschließlich eine zum romantisierten Idealtypus stilisierte, jedoch abseits jeglicher soziokultureller Wirklichkeit liegende Heimatlandschaft verabsolutiert und ethnische Partikularisierung propagiert, geben weder die inhaltliche Analyse des Mediums noch die Selbstaussagen der Rezipienten preis. Das aus dem Gedanken des Ethnomarketings hervorgegangene Blatt zur „Darbietung einer Orientie-

30 Zitat aus dem Interview mit Ludger Heidershoff, datiert auf den 01.04.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 525

rungsmöglichkeit“ (ebd.: 262) sowohl auf sprachlicher als auch auf kultureller Ebene attestiert den Integrationsvorgang und fördert durch seine transnationale wie transkulturelle Verständigung gesellschaftliche Eingliederungsvorgänge von ethnischen Minderheiten. Gerade weil Die Woche in Australien keinen deutschen Kulturimperialismus gemäß des Sprichworts „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen“ predigt, sondern ganz im Gegenteil synchron existierende kulturelle Identitätsressourcen wie Orientierungsmöglichkeiten miteinander verknüpft, nationale Grenzen und Logiken transzendiert und eine dialogistische, synkretistische wie mediatorische Grunddynamik aufweist, ist die unter dem Label Australia’s Only German Language Press firmierende Zeitung „ein Beispiel für interkulturelle Kreativität, eine Reterritorialisierung de-territorialisierter und diasporischer Identitäten in einer globalisierten Welt“ (Bromley 1999: 23). 6.2.2 Special Broadcasting Service: medial vermittelter Multikulturalismus und Transnationalisierung Die zur Mitte der 1970er Jahre in Australien Raum greifende gesellschaftliche wie politische Bewusstseinswerdung, dass man Menschen mit Migrationshintergrund unter Einsatz von öffentlichen Rundfunkanstalten – mit Informations- und Unterhaltungsmedien wie Radio oder Fernsehen – den Prozess des akkulturativen Einlebens in ihrer neuen Wahlheimat erleichtern könnte, intensivierte die Dimensionalität der transnationalen Verflechtungen zusehends. Seit der Zeitenwende der multikulturalistischen Sensibilisierung Australiens in diesen revolutionierende Züge besitzenden Dekaden des vergangenen Jahrhunderts galt insofern nicht mehr ausschließlich das Printmedium Die Woche in Australien – neben dem eher raren, da kostenintensiven Gebrauch des Telefons – als eine der wenigen Aktualität und Gegenwartsnähe versprechenden Quellen für Neuigkeiten, als dass nun auf gleich mehreren audiovisuell-medialen Wahrnehmungsebenen aktuelle Informationen über Deutschland für deutsche Auswanderer in Sydney disponibel wurden. Die Konsumenten der ethnic media spannten nicht nur über den Äther ihre nationale Grenzen überschreitenden Interaktionsnetze, konstituierten Bindungen, erschlossen neuartige Handlungssphären zur Herkunftsgesellschaft und bedienten sich innovativer Aktivitäten und Strategien zur transnationalen Justierung ihres diasporischen Lebens, sondern weit wichtiger war der Sachverhalt, dass ihnen zum ersten Mal in der Geschichte Australiens ein aktiver Part bei der Gestaltung der Inhalte oblag, die die Immigranten über Rundfunkanstalten ihrer ethnischen Klientel allwöchentlich

526 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

präsentierten.31 Dies muss deshalb als Meilenstein aufgefasst werden, weil die klassifikatorischen Reden der australischen Regierung über Immigrantenkreise bis in die 1970er Jahre stets aus der Warte der Assimilation argumentierten. Gleich nach dem Motto: Die Neuankömmlinge seien im Begriff, sich „problemlos“ wie „konfliktfrei“ als „gute Australier“ zu assimilieren und sich dem wertegemeinschaftlichen Kulturkanon des Landes durch das Abstreifen ihrer ethnischen Identität unterzuordnen. Gerade Gegenteiliges, d. h. die unablässige Praktizierung der Muttersprache sowie die aufrechterhaltende Kultivierung der während der ersten Sozialisation erlernten Traditionen und Verhaltensweisen, derer sich die Kulturkuriere aus Übersee weder entledigen konnten noch wollten, wirkte katalysatorisch auf die weitere Entwicklung zur Installation ethnischer Medienangebote. Negiert wurde dabei jenes, zwischen 1950 und 1974 Allgemeingültigkeit wie monolithischen Charakter besitzende gesellschaftspolitische Faktum, dass Immigranten bekräftigt werden sollten, so schnell wie nur eben möglich Englisch als universelles Verständigungsmittel zu lernen und damit ein Abdriften in sozialräumliche Enklaven mit fremdländischer Sprachpraxis zu verhindern. Dabei sorgten nicht zuletzt Stimmen aus Einwandererkreisen für den ausschlaggebenden Impuls in Bezug auf die zukunftsweisende Durchsetzung des ethnischen Rundfunks sowie des multikulturellen Fernsehangebots in Australien. Als die Stunde der multiethnischen Revolution ein neues Zeitalter auf dem Fünften Kontinent einläutete und selbst die konservativen Kreise Australiens, die ihr Land stets durch die Kulturbrille des angelsächsischen Erbes betrachteten, die kulturpluralistische Durchdringung objektiv nicht mehr in Abrede stellen konnten, hielt auch der Wille zur Dekonstruktion althergebrachter Denkhorizonte, der auf die Angleichung an bestehende Verhältnisse abzielte, in den politischen Führungsriegen der Regierung allmählich Einzug. Stimmen zur transnationalen Ausrichtung der australischen Medien zum Wohle eines immer größer werdenden Quantums an Immigranten bzw. Menschen, die ihren Geburtsort nicht auf dem großen Südkontinent besitzen, drangen immer vernehmbarer an die Öffentlichkeit. Bernard Freedman, Vorsitzender des dem australischen Department of Labour and Immigration unterstellten Subkomitees Ethnic Broadcasting, wies von politischer Seite als initialer Fürsprecher auf die Signifikanz der Ausweitung von fremdsprachiger Rundfunksendezeit für Immigranten hin, da er jene medialen Transmitter als „cultural bridge between their birthplace and Australia“ (White/White 2001: 804) begriff, die die Immigranten darüber hinaus mit existenziellen Informationen über ihr Aufnahmeland versehen und somit einen zentralen Aufgabenbereich bei der Integration der Neuankömmlinge abdecken würden. Mit Zuversicht gelang man zu

31 Entwicklungslinien zu ethnischen Rundfunkanstalten in Deutschland hat Kira Kosnick in ihrem Kapitel „The History of Broadcasting for Migrants in Germany“ nachgezeichnet (Kosnick 2007: 27-52).

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 527

der Überzeugung, dass solche Institutionen die ihnen obliegenden Anforderungen, wie 1. Assistenz der neuen Immigranten zwecks einer besseren Zurechtfindung bzw. Eingliederung in die soziokulturellen Lebenswirklichkeiten Australiens, 2. Versorgung der alteingesessenen Einwanderer mit Nachrichten und Informationen in der Muttersprache und Musikstücken aus der alten Heimat, 3. Ausbildung der im Land lebenden Menschen über die Diversität kultureller Erscheinungsformen, 4. Stärkung und Befürwortung ethnischer Identität sowie 5. Zugang zum bzw. partizipatorische Beteiligung der Immigranten an medialen-transnationalen Offerten des Äthers, am ehesten einlösen könnten. Als Fundament dieser neuen Ausrichtung der affirmative action im Interesse des empowerment marginalisierter ethnischer Minderheiten (Kosnick 2007: 17) diente die Überzeugung, dass Einwanderer nur dann ein ontologisches Gefühl der Sicherheit in ihrem neuen Residenzland ausbilden, wenn ihnen auch nach dem Passieren von Grenz- und Übergangsräumen, die eigentlich eine sukzessive geografische, kognitive und graduell irreversible Entfernung bzw. Entfremdung vom Ursprungsland mit sich bringen, die Erlaubnis bzw. die Gelegenheit zur Aufrechterhaltung einer emotionalen Bindung an Vertrautheit und Familiarität spendenden kulturellen Werten aus ihrem Geburtsland gegeben wird. Vor der Etablierung multikultureller Fernsehformate versorgten zunächst von staatlicher Seite finanzierte und damit auch mit einer Kontrollinstanz versehene multiethnische Radiostationen wie 3ZZ in Melbourne und 2EA (für Ethnic Australia) in einer Art Experimentierphase ab 1975 ihre Hörerschaft in 26 verschiedenen Sprachen mit Informationen, Unterhaltungssendungen und Musikstücken aus der alten Heimat, wenngleich Restriktionen des Australian Broadcasting Control Board die Ausstrahlung von Programmen in einer Fremdsprache auf 2,5 Prozent der gesamten Sendezeit beschränkten (Georg 1983: 257). Im Zuge der Parlamentswahlen 1977 versprach Malcolm Fraser die Gründung eines ethnischen Fernsehkanals auf den Weg zu bringen. Die Institutionalisierung des Special Broadcasting Service im Jahre 1978 (Ang/Hawkins/Dabboussy 2008) liest sich in diesem Kontext in dreierlei Hinsicht. Zum Ersten galt diese aus der gegenwärtigen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenkende Säule des multikulturalistischen Selbstverständnisses Australiens mit seiner Unternehmensphilosophie „Six Billion Stories and counting …“ als ideale Plattform, um minoritären Gruppen den Zugang zu multilingualen Radiound später Fernsehsendungen zu ermöglichen. Zum Zweiten gewährleistete die unter staatspolitischem Hoheitseinfluss ihre Arbeit in Angriff nehmende Institution ein ausreichendes Maß an Selektions- und Sanktionsmechanismen, mit deren Hilfe über transportierte Inhaltsbestandteile und deren Art und Weise der Aufarbeitung in den einzelnen Sparten entschieden werden konnte. Zum Dritten kommt der Positionierung der Mitglieder von unterschiedlichen Immigrantenkollektiven innerhalb des professionellen Interaktions- und Betätigungsfeldes SBS selbst eine gewichtige Rolle zu, da sie in interne Beschlussfassungsprozesse bezüglich der Programminhalte und Produktionsweisen einbegriffen waren und damit in einem immer größere

528 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

gesellschaftliche Einzugsgebiete erschließenden Mediensektor als relevante Entscheidungsträger über adäquate Formen der ethnischen Repräsentation fungierten. Die anfänglich nur auf die Laufzeit von wenigen Monaten angesetzte experimentelle Phase erwies sich insofern als erfolgversprechendes Unterfangen, als dass sich die Rezipienten mit der transnationale und kulturell-territoriale Grenzen aufbrechenden ethnischen Berichterstattung sehr zufrieden zeigten. Das Quantum an positiven Hörerumfragen, Kommentaren und in den Sendeanstalten eingegangenen Briefen und Anrufen wurde als Anhaltspunkt für den großen Bedarf an derartigen medialen Formaten gedeutet, die das Selbstvertrauen der Immigranten ungemein fördern und ihnen das Gefühl vermitteln, in einem Land, in dem sie nicht geboren sind bzw. nur mit Konflikten verbunden eine kulturelle Zugehörigkeit entwickeln können, ernst genommen zu werden bzw. Anerkennung zu finden. Die Emergenz transnationaler Strukturen und Räume bzw. einer plurilokalen Wirklichkeit ist hier eng mit der Nutzbarmachung moderner Technologien (Radio/Fernsehen) verbunden, so dass nicht unbedingt eine Territorialgrenzen überschreitende Mobilität Grundvoraussetzung zur Erfahrung jener Transnationalisierungsdynamiken ist. Als Zwischenresümee lässt sich Nachstehendes sagen: Dem Special Broadcasting Service lag der Konstituierungsgedanke zugrunde, dass allen Menschen in Australien, ungeachtet des geografischen Herkunftsorts, des Alters, der kulturellen Sozialisation und der sprachlichen Fertigkeiten, ein Zugang zu von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten konzipierten, hochwertigen, unabhängigen und kulturell relevanten Medienangeboten ermöglicht werden sollte. Die via Fernsehen, Radio und Internet in insgesamt 68 verschiedenen Sprachen übertragenen multilingualen Genres stellen sicher, dass neben allen Australiern auch die geschätzten 3 Millionen im Land lebenden Menschen, die im privat-häuslichen Umfeld eine andere Sprache als Englisch sprechen, am Leben der zahlreichen sie umgebenden Anderen und somit am öffentlichen Leben teilnehmen können (Kosnick 2007: 131). In dem die unterschiedlichen, von der Multiplizität der Betrachtungswinkel gekennzeichneten sowie informativ, unterhaltend und pädagogisch-didaktisch ausgerichteten Formate zum grenzüberschreitenden Verständnis der auf dem Fünften Kontinent lebenden Menschen beitragen möchten, avanciert SBS zum medialen „Geschichtenerzähler“32 über die kulturelle Diversität der Australier in Geschichte und Gegenwart. Die nati-

32 Auf der Internetseite von SBS vergleicht die Rundfunkanstalt ihre Aufgabe zur Aufklärung, Unterhaltung und Erziehung der in Australien lebenden Menschen mit der Berufsgruppe der in chinesischen Städten des Mittelalters während der Song-Dynastie (960– 1279) zu Unterhaltungszwecken angestellten Geschichtserzählern. Die narrative Wiedergabe von Geschichten in gesprochener wie gesungener Form (shuohua) war zu damaliger Zeit eine anerkannte Berufsbezeichnung, die hauptsächlich an Königshäusern, in Unterhaltungslokalen, Teestuben sowie in Weinschenken ausgeübt wurde.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 529

onale Sendeanstalt beschreibt ihre Corporate Identity als die eines „rare beast: inclusive, courageous, interested in individuals and trusted by Australians.“33 Im Zentrum der folgenden Argumentation steht die Frage, wie deutsche Migranten auf der Grundlage des Medienangebotes des Special Broadcasting Service (Radio/Fernsehen) transnationale Verflechtungsbeziehungen auf der Mikroebene weben. Lässt sich anhand der hierbei zur Verfügung stehenden Offerten eine Intensivierung der Transnationalisierungsprozesse erkennen? Es geht somit um die Verknüpfung einer Vielzahl von verschiedenen Orten aus dem Herkunfts- und Residenzland und die daraus emergierenden länderübergreifenden diasporischen Vernetzungsstrukturen. Die ihre Programme in deutscher Sprache ausstrahlende mehrköpfige Rundfunksenderedaktion von SBS mit Sitz in Crows Nest (Sydney) und Melbourne versorgt ihre Hörer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz täglich mit Informationen sowohl aus ihrer alten Heimat als auch aus Australien. In Sparten wie German News und Europa Aktuell werden aktuelle Nachrichten aus der Alten Welt aufbereitet und hier erfährt der Hörer Neuigkeiten über Politik und Gesellschaft bzw. über regionale Vorkommnisse.34 Im Australienjournal liegt der Akzent der Berichterstattung ausschließlich auf der Übermittlung nationaler Informationen, wie zum Beispiel Dürreperioden, Suizidgefährdung bei Männern, Großbränden und der australischen Asylproblematik. Hierbei lässt sich die inklusive Intention ablesen, den Zuzügler von Übersee auf Dauer zu einem mündigen Bürger zu machen, der über spezifische Kenntnisse seiner aktuellen Heimat verfügt und mit diesem Wissen am gesellschaftlichen Diskurs partizipieren kann.35 In den Formaten Kulturchronik

33 Siehe http://www.sbs.com.au/shows/aboutus/about/page/i/1/h/Our-Story/. 34 Die über mehrsprachige Radiostationen entwickelten komplexen, grenzüberschreitenden soziokulturellen Beziehungsstrukturen hat bereits Frederico Besserer am Beispiel der mexikanischen Arbeitsmigranten in den Vereinigten Staaten von Amerika herausgearbeitet. Ein im kalifornischen Fresno angesiedelter Sender liefert Informationen aus bestimmten Mikroregionen bzw. Gemeinden aus mexikanischen Bundesstaaten wie Oaxaca oder Chiapas an die im gesamten Bundesgebiet der USA arbeitenden Migranten, so dass diese in die Lage versetzt sind, Geschehnissen aus der Heimatregion graduell in ihren diasporischen Lebensalltag mit einzubeziehen (Besserer 2004: 51). 35 Auf ihren Forschungsarbeiten über die Transnationalisierung einer griechischsprachigen Gemeinde in London aufbauend, schreibt Georgiou: „Many members of diasporic and migrant groups still have low skills in the majority language and feel more comfortable with their native language. […] Many of the local and national minority media pay special attention to this area, publishing or broadcasting relevant information in minority languages and in popular and simple language that makes it accessible to members of a group with low literacy and low mainstream language skills“ (Georgiou 2005: 494).

530 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

oder Feuilleton für die Ohren arbeitet die Redaktion eher klassische Themen aus Deutschland auf, zu denen historische Betrachtungen von deutschen Städten, der Literaturmarkt, bekannte musikalische Stücke sowie die Ausstrahlung von Interviews mit Australienkennern wie Joachim Fuchsberger zu zählen sind. Schlager, musikalische Evergreens und Lieder, die einen emotionalen Konnex zur Heimat herstellen, gehören zum Inhalt der Sparten, die auf der Grundlage von Hörerpräferenzen zusammengestellt werden. Bei der Gestaltung von Features, Kommentaren und Reportagen sind auch Mitglieder der deutschen Community involviert. In den 1980er Jahren gehörte es zum Beispiel zum wöchentlichen Rhythmus, dass die Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinden aus beiden Städten über dieses Medium zu den Menschen sprachen. Dietrich Rehwald unternahm im Jahr 2006 via Indian Pacific, Ghan und Greyhound-Bussen eine insgesamt achtwöchige Reise quer durch den australischen Kontinent und produzierte in Kooperation mit der deutschen Radiostation des SBS in Melbourne unter Zuhilfenahme seines erfahrungsgesättigten, mehrere hundert Seiten starken Tagebuchs eine insgesamt zwölfteilige Radiosendung (je 20 Minuten), die den deutschsprachigen Zuhörern die von ihnen besiedelten Natur- und Kulturlandschaften näherbrachte. Die bereits beim ethnischen Radio abzulesenden Dynamiken einer Transnationalisierung migrantischer Lebensformen, die darauf abzielen, die transnational villagers (Levitt 2001) alltagsweltlich an plurilokale Stätten der subjektiven Beheimatung zu binden bzw. durch die Neustrukturierung für eine ausgewogene emotional-solidarische Beziehung zwischen zwei oder mehreren Ländern zu sorgen, kommt bei der audiovisuellen Variante, sprich den TV-Produktionen, noch stärker zur Geltung.36 Ausnahmslos alle in das Untersuchungssample dieser empirischen Migrationsstudie integrierten Australienauswanderer wiesen sich als Anhänger bzw. Befürworter der multilingualen Programme des SBS aus, die sie wöchentlich, vermehrt in den Abendund Morgenstunden, vor die Fernsehgeräte ziehen. Dabei sind gleich zahlreiche wie unterschiedliche Mediennutzungspräferenzen abzulesen. Deutsche Welle TV bietet auf SBS täglich jeweils um 8.00 Uhr morgens aktuelle Nachrichten aus Deutschland und der Welt für Migranten aus deutschsprachigen Ländern, deren Inhalte um 16.30 Uhr erneut, wenngleich in englischer Sprache, ausgestrahlt werden. Als informationsgenerierende „Verbindung mit Deutschland“37 kann dieser Sendung – neben dem Gebrauch des Internets und dem mobilen Telefon – als eine der wichtigsten gegenwärtigen Ressourcen zur Beziehung von tagesaktuellen Neuigkeiten aus dem Herkunftsland ausgewiesen werden. In erster Linie sind es die sich mit den

36 Kosnick formuliert in diesem Zusammenhang folgendermaßen: „Migration and the increasing de-linking of mass media broadcasting from the nation-state are central factors that shape deterritorialized, transnational form of cultural struggle“ (Kosnick 2007: 127). 37 Zitat aus dem Interview mit Martin Menzel, datiert auf den 13.05.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 531

Technologiekompetenzen des Computers und des Internets überfordert fühlenden älteren Auswanderer, die zudem an den aufgeführten Sendeterminen aufgrund des Pensionierungsstatus ausreichend Verfügungszeit besitzen, für die der Konsum der in deutscher Sprache gesendeten Nachrichten zu den alltäglichen Verrichtungen ihrer dual lives (Portes/Guarnizo/Landolt 1999: 217; Glick Schiller 1999: 96; Löfgren/Bendix 2007) in Sydney gehört. Im Vergleich zu den Nachrichtensendungen auf ABC, Channel 7 und Channel 9 favorisieren die Befragten die einstündigen, ab 18.30 Uhr auf SBS laufenden World News Australia, da hier weniger die australisch-britisch-amerikanischen Ereignisse dominieren bzw. Hauptthemen stets ausschließlich im nationalen Einzugsbereich verbleiben, sondern eine multinationale Berichterstattung verfolgt wird. Die migrantischen Zuschauer sehen sich durch die heterogene wie breite Streuung der einzelnen Beiträge sowie die zeitintensive und hintergründige Präsentation des internationalen „Weltgeschehens“ abseits des asiatisch-pazifischen Raums in gekonnter Weise in Kenntnis gesetzt, so dass diese zu den „besten australischen Nachrichten“38 emporsteigen. Ein weiteres Faible entwickeln die Migranten für die Übertragungen des wohl globalsten aller Mannschaftssportarten im Ressort mit dem Titel The World Game. SBS bietet seinen Fußballfans hierbei zum einen Liveschaltungen zu Fußballweltmeisterschaften, Europameisterschaften und wichtigen Qualifikationsspielen, zum anderen Zusammenfassungen des Spielbetriebs der europäischen Champions League und der Europa League sowie den auf nationaler Ebene ausgetragenen Wettbewerben der englischen Premier League, der spanischen Primera División, der niederländischen Eredivisie, der italienischen Serie A, der australischen A-League sowie nicht zuletzt der Bundesliga. Da die von mir erforschten Migranten bezüglich der Regelkunde beim Cricket durchweg gerne die Rolle des bekennenden Laien einnehmen, in Teilen jeglicher Form des Rugbys wegen überhöhter Brutalität entsagen und beim Nationalsport horse racing höchstens zum Melbourne Cup den Fernseher einschalten, wird The World Game als willkommene Programmergänzungsalternative angesehen. Zudem berichtet SBS alljährlich in einer Direktübertragung von allen Etappen der Tour de France, die es in Australien für die deutschen Zuschauer „jeden Winter live“39 im Free-TV gibt. Als problematisch wird ausschließlich die Zeitverschiebung bei den Liveübertragungen aus Europa angesehen, weil Zuschauer zumeist bei der global vermarkteten französischen Radtour zur fortgeschrittenen Abendstunde stets dem Dilemma ausgesetzt sind, „kurz vor Schluss ins Bett zu gehen.“40 Das im zeitlichen Rahmen der problemorientierten Feldforschungsphase ausgetragene Endspiel der Fußballeuropameisterschaft 2008 zwischen Spanien und Deutschland

38 Zitat aus dem Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008. 39 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 13.06.2008. 40 Ebd.

532 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

wurde am Sonntag, den 20. Juni, um 20.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Wien angepfiffen, so dass für die deutsche Fangemeinde in Sydney am Montagmorgen um 6.45 Uhr der Australian Eastern Standard Time die Übertragung begann. Anhaltender Beliebtheit erfreuen sich des Weiteren bei den Auswanderern die seitens SBS aus der deutschen Fernseh-, Kino- und Medienlandschaft importierten Filme, Reportagen, Serien und Dokumentationen, die zumeist alle zwei Wochen immer an einem Donnerstagabend mit deutscher Vertonung und englischen Untertiteln gesendet werden. Wie bereits in den vorausgegangenen Kapiteln stellenweise verdeutlicht wurde, zählten österreichische wie deutsche Krimiserien wie Kommissar Rex bzw. Inspector Rex, mit seinem festen Sendeplatz um 19.35 Uhr jeweils donnerstags, sowie Derrick und Der Fahnder zu den Exportschlagern, die nicht nur von Immigrantenkreisen mit auffälliger Regelmäßigkeit konsumiert wurden. Die Entscheidungsgewalt der Medienzensur (Georg 1983: 260) verhängt bei der Sendung von Inspector Rex eine zeitliche Segmentierung, da einige Folgen für diesen frühen Termin zu viel unverhüllte Körperhaut zeigen und daher erst zur späten Abendstunde ausgestrahlt werden können: „Ja, einmal Kinder Rex und einmal den sexy Rex für adults. Weil im deutschen Fernsehen verfährt man ein bisschen freizügiger mit Busen und Sex als im australischen Fernsehen. Das fiel mir erst richtig auf, wie die Mary hier so zehn Jahre alt war und ich ihr die Lindenstraße vorgeführt habe und ab und zu waren da Nackte im Fernsehen. Wir sind da einfach etwas freizügiger in Deutschland. Und deshalb sitzt SBS auf jeder Menge Inspector-Rex-Folgen, die sie nicht vor einer gewissen Zeit ausstrahlen dürfen, weil das Ausstrahlen ja zeitgemäß sein muss. Aber so heiß ist der Rex ja nicht, dass es erst nach 22.00 Uhr sein muss, aber um halb acht, um die normale Zeit, geht es ja nicht.“41

Offen legen die Gewährspersonen ein Bekenntnis ab, dass sie in Deutschland die Kriminalserie mit dem Vierbeiner in der Protagonistenrolle nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit verfolgt hätten, jedoch in der Diaspora Sydney steigt der Donnerstagabend zu einem kanonisierten wie ritualisierten „Kult“42 deutscher Migranten empor, an dem durch Rückbezug auf einheitsstiftende bzw. gemeinsam geteilte kulturelle Konfigurationen (wie zum Beispiel Sprache) und historische wie ethnokulturelle Gemeinsamkeiten eine grenzüberschreitende Zugehörigkeitserfahrung zum fernen Heimatland entwickelt wird. Somit trägt SBS mit seinem auf ethnische Präferenzen eingehenden Programm und der Ausstrahlung von ethnisch etikettierten „Gewohnheitssendungen“43 zur „Herausbildung relativ-dauerhafter und dichter

41 Zitat aus dem Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 13.06.2008. 42 Ebd. 43 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 533

plurilokaler und nationalstaatliche Grenzen überschreitender Verflechtungsbeziehungen von sozialen Praktiken, Symbolsystemen und Artefakten“ (Pries 2008: 166) bei, die den Auswanderer als Brückenkonstruktionen zur Selbstvergewisserung ihrer ethnischen Identität dienen. Genau wie in Deutschland gehört es beim SBS in Australien zum festen Bestandteil des Fernsehprogramms, an Silvester Dinner for One in englischer Sprache zu zeigen, wobei beim Subtext der Vorankündigung darauf hingewiesen wird, dass es sich um eine deutsche Produktion handelt. Um der seit der Konstituierung grundgelegten bzw. selbstauferlegten Mission gerecht zu werden, die zahlreichen kulturellen Varianten und Facetten der australischen Gesellschaft einem breiten Zuschauerpublikum zu illustrieren, zeigt das staatliche Medienunternehmen „Filme aus aller Welt in Originalsprache mit englischen Untertitel“ (Georg 1983: 257) und importierte dazu aus der deutschen Kino- und Fernsehlandschaft Filmproduktionen wie Die Luftbrücke, Der neunte Tag, Der König der Diebe, Das Leben der Anderen, Das Wunder von Berlin und Vier Minuten. Der in allen audiovisuellen Sparten und Formaten des SBS – „as a major multicultural institution“ (Jupp 2001a: 269) – zum Vorschein kommende pädagogische Bildungsauftrag, der darin besteht, den Medienkonsumenten in Bezug auf die gesellschaftliche Verfasstheit Australiens als multiethnisches wie historisch gewordenes Konstrukt des unity in diversity zu sensibilisieren bzw. auf deren Problemstellungen und Schieflagen aufmerksam zu machen, leitete dazu über, spezielle Sendungen über Einwanderer zu produzieren. Diese thematisieren keineswegs eine amorphe Masse von Immigranten, sondern befassen sich mit individuellen Schicksalen, rücken den Menschen und seine Geschichte ins Zentrum des Interesses, dokumentieren Integrationsschwierigkeiten in einem neuen und fremden Land und fokussieren nicht zuletzt auf den persönlichen Beitrag, den ein jeder Migrant zum kollektiven Leben in Australien beigetragen hat. Dietrich Rehwald merkt dazu an: „Es gab hier eine Serie, die ist jahrelang gelaufen, immer mit Wiederholungen auf SBSFernsehen, die hieß Tales from a Suitcase. Und da wurden dann immer Einwanderer gezeigt und interviewt und fast in jeder Sendung wurde gesagt, wie sehr sie in der Anfangszeit angefeindet worden sind, wenn die sich unter sich auf der Straße in ihrer Muttersprache unterhalten haben. Dann sind die angemacht worden: ,Speak English, this is Australia.‘“44

Seit der Initiierung im Jahre 1996 dokumentierte Tales from a Suitcase auf der methodischen Grundlage der Oral History aus erster Hand zunächst Erfahrungen, Erlebnisse und Integrationsprozesse der Einwanderungswelle der Nachkriegszeit und präsentierte diese in einer Mixtur von ergreifenden, humorvollen und herzerweichenden Lebensgeschichten, die allesamt unikalen Charakter besitzen. Die Spann-

44 Zitat aus dem Interview mit Dietrich Rehwald, datiert auf den 19.11.2007.

534 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

breite der Immigrantengeschichten erstreckte sich von den aus Polen stammenden Krokodiljägern, einer Überlebenden der Hiroshima-Bombe und späteren japanischen Kriegsbraut, einem italienischen Architekten, dem Arzt aus Ceylon bis hin zum österreichischen Bildhauer sowie einem Olympiaskifahrer aus Tschechien. Allesamt spielten sie eine bedeutende Rolle bei dem historischen wie prozesshaften Zustandekommen der australischen Nation in der erweiterten Gegenwart. Eine zweite, im Jahre 2002 ausgestrahlte Staffel mit dem Titel The Afghan Experience widmete sich den vor dem Regime der Taliban nach Australien flüchtenden Asylsuchenden, rekonstruierte aus einer akteurszentrierten Perspektive Flucht und Vertreibung, die strapaziöse Schiffspassage durch den Indischen Ozean und die an Gefangenenlager erinnernden alltäglichen Lebensverhältnisse im mandatory detention centre in Woomera (Davies/Dal Bosco 2001; Dies. 2002). Das ethnic broadcasting von SBS verleiht den direkt Betroffenen durch die medienwirksame Verbreitung von Tales from a Suitcase eine von der Gesamtgesellschaft wahrgenommene Stimme, versetzt gleichzeitig alle in Australien lebenden Menschen durch die Meditation kulturellen Wissens in die Position, am (ebenfalls transnationalen) Leben des „kulturell Anderen“ zu partizipieren und beteiligt sich in dieser Weise im hohen Maße an der dialogischen, die Kulturgrenzen transzendierenden „Völkerverständigung“ in Australien. In Bezug auf die Nutzungsdimensionen des Special Broadcasting Service von deutschen Migranten in Sydney können wir uns der Meinung der Autoren Basch, Glick-Schiller und Szanton Blanc anschließen, die von einer „[m]ultiplicity of involvements that transmigrants sustain in both home and host society“ (Basch/Glick Schiller/Szanton Blanc 1994: 9) ausgehen. Die medialen Angebote von multiethnischen Radio- und Fernsehkanälen kommen den Bestrebungen zur dezentralen und netzwerkförmigen Synchronisation von sozial, kulturell und politisch aufgeladenen sowie über zehntausende Kilometer entfernt voneinander liegenden Territorien insofern entgegen, als dass sie für die untersuchten Auswanderer eine sinn-, identitäts- wie stabilitätsgenerierende Plattform bereitstellen, die eine Eingewobenheit in grenzübergreifende kulturelle Semantik- und Betätigungsfelder möglich macht. Sowohl Sende- als auch Aufnahmegesellschaft konstituieren dabei den institutionellen Rahmen der Aktivitäts- und Handlungsmodalitäten, „in dem sich transnationales Handeln seitens der Migranten entfalten kann“ (Cappai 2005: 177). Eine stetig sich ausweitende anthropogene Mobilitätsakzeleration hat die Institutionalisierung und Manifestierung von multiplen ethnischen Kanälen nach sich gezogen, die aktuell ihr multiethnisches Publikum mit einer breitangelegten Palette von „möglichen“ Identitätsentwürfen ausstatten. SBS, aufgefasst als multikulturelle Organisationseinheiten „[that is] ,speaking for‘ a particular ethnic group“ (Kosnick 2007: 157; Spivak 1988: 276ff.), kann somit transnational linkages (Glick Schiller/Basch/Szanton Blanc 1997: 128) zur alten Lokalität der Beheimatung aufrechterhalten, vor Zeiten gekappte Beziehungen neuerlich aktivieren sowie initialer

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 535

Agens sein, durch die Verstrickungen zwischen mehreren homes ein transnationales Bewusstsein zu generieren, das nicht zuletzt in der Eingebundenheit in diverse kulturelle Settings seinen Ursprung findet. 6.2.3 „Gibt es Schimanski?“: Save TV Die von deutschen Migranten in Sydney konstituierten ethnoscapes haben im Zeitalter des World Wide Web, der zunehmenden Professionalisierung von Informations- und Kommunikationstechnologien, der erleichterten Auffindung bestimmter Nutzungsangebote durch etablierte Suchmaschinen sowie der weltweiten Abrufbarkeit eines großen Spektrums von multimedialen und verwaltbaren elektronischen Ressourcen nicht nur expansive Züge erhalten, sie haben sich binnen kurzer Zeit fundamental gewandelt. Bisher nicht dagewesene Medienstrukturen sowie Referenz- und Bedeutungssysteme werden den Menschen, die den hochdynamischen, technologischen und institutionellen Anforderungen einer internetbasierten Globalkultur gewachsen sind, über die virtuelle Datenautobahn quasi ins Haus geliefert, so dass zwischen technisch mediatisierter Online- (virtual reality) und physikalischer Offlinewirklichkeit (real life), zwischen einem globalen Involviertsein und der lokalen Einbettung des Handelns in der sozialen Nahwelt neue anthropogene Kulturund Identitätsformen entstehen (Escobar 1994; Bahl 1997). Angesichts der fortschreitenden „Veralltäglichung des Mediums“ (Hengartner 2007: 191) Internet45, bei der die Simplifizierung beim Herunterladen und der Speicherung von virtuellem Datenmaterial auf dem stationären Computer oder dem mobil einsetzbaren Notebook einhergeht mit dem Anstieg des gesamtgesellschaftlichen Grades der Durchsetzung dieser interaktiven, netzwerkähnlichen und verschiedene Lokalitäten untereinander verbindenden Nutzungsmöglichkeiten, finden auch die aus einem subjektiven Bedürfnis nach bekannten kulturellen Mustern der identitären Orientierung heraus agierenden Auswanderer in Australien neue und nun internetbasierte Mittel und Wege, transnationale Konnexe nach Deutschland zunächst zu entdecken und stetig auszubauen. Weil ein Großteil der „realen Kommunikation“ sowie der nahräumlichen Sozialität aufgrund der immensen geografischen Distanz zwischen den beiden Kontinenten lange Zeit nicht möglich war bzw. sich auf private Briefkorrespondenz, seltene Telefongespräche und später auf kurzweilige Urlaubsbesuche beschränkte, offerieren die zeitgemäßen neuen Medientechnologien des globalen Dorfes seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts innovative Möglichkeiten, transnationale Verständigung „im Internet zu simulieren“ (Faber/Hirschfelder 1996: 50). Wie groß

45 Bausinger spricht hierbei von der Einbindung der neuen computermediatisierten Kommunikationstechnologien „in den Lebensvollzug, in Abläufe alltäglicher Art und in die ganze kulturelle Situation“ (Bausinger 2001a: 2; siehe auch Becker 2001).

536 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

dieses Verlangen in der Diaspora Sydney nach audiovisuellen und internetgestützten Angeboten ist, zeigt nicht zuletzt die mit erwartungsvoller Hoffnung auf Bejahung gestellte Frage, die diesem Kapitel als Überschrift dient. Als sich das Gespräch mit dem neununddreißig Jahre alten Associate Professor für Mathematik an der University of Sydney im koreanischen Restaurant in der Glebe Point Road dem Themenkomplex migrantischer Mediennutzung näherte und ich zur Frage überleitete, ob sich der Akademiker – wie zahlreiche andere Befragte – einzelne Folgen der in der ARD immer sonntags ausgestrahlten Kriminalserie Tatort aus der virtuellen Welt herunterladen würde, kam die in eine Frage gekleidete Erwiderung ex abrupto. Der in diesem Teilabschnitt meiner Arbeit präsentierte, von einigen wenigen Mitgliedern der deutschen Community in Sydney frequentierte Onlinedienst war Georg Greifswald der Antwort zu Folge nicht bekannt, wenngleich er bereits zahlreiche, bis zum Zeitpunkt des Gesprächs leider vergebliche Versuche unternommen hatte, über seinen in Deutschland lebenden Familienkreis die von ihm präferierten Genres zu beziehen. Die als PhD-Studentin an der Macquarie University arbeitende Eva Hendriks outete sich ebenfalls als „großer Tatort-Fan“46 und entfaltete narrativ ihre über die Onlinewelten des Internets realisierten Strategien zur Konstituierung neuer Wege der Nationalgrenzen überschreitenden Kommunikation, die es ihr ermöglichen, die von der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ausschließlich für die deutsche und österreichische Zuschauerlandschaft vorgesehene Serie im fernen Sydney zu sehen. Für die Integration der deutschen Fernsehformate in die alltägliche Lebensgestaltung haben Migranten zunächst technischen Voraussetzungen Rechnung zu tragen, denn das mediatisierte Handeln bzw. das Aneignen sowie das alltäglich praktizierte Verbinden und Trennen von virtuellen Welten ist unausweichlich an die Beherrschung von Soft- und Hardware geknüpft (Beck 1999a: 12). Der browserbasierte Onlineanbieter Save TV bietet seinen Kunden, die über einen Computer mit Internetanschluss verfügen müssen, die kostenpflichtige Funktion eines virtuellen Videorecorders. Hendriks hat sich über ihren in Deutschland lebenden Vater ein Konto bei diesem virtuellen Dienstleistungsunternehmen erstellen lassen und kann aufgrund der offiziellen Registrierung, einem monatlich zu entrichtenden Nutzungsentgelt von 5 Euro sowie den hierfür fällig werdenden GEZGebühren Sendungen aus der deutschen TV-Landschaft über das Internet aufzeichnen und auf ihren Computer herunterladen. Neben dem Onlineprogrammführer, der Auskunft über die breite Fächerung der zur Auswahl stehenden Kanäle gibt, stellt Save TV der Migrantin einen Speicherplatz von fünf Gigabyte zur Verfügung, der eine zehnstündige Aufnahmezeit der vom Nutzer frei wählbaren Sendeformate gewährt. Nachdem die Aufnahme- und Komprimierungsphase eines bestimmten audiovisuellen Formates je nach Schnelligkeit des Internetzugangs abgeschlossen ist,

46 Zitat aus dem Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 537

bieten sich mit dem Download der Datei auf den eigenen Computer oder dem Streaming als Windows-Media-Format (Windows Media Video, WMV) zwei alternative Verwendungsmöglichkeiten an. Hendriks und weitere im Universitätsbetrieb bedienstete Deutsche haben mit der Hochschulverwaltung eine Absprache getroffen, dass sie von ihren Arbeitsrechnern in ihren Büros, deren Benutzung an ihr Angestelltenverhältnis geknüpft ist und keine weiteren Kosten für sie verursacht, diese Onlineserviceleistungen nicht nur abrufen, sondern ebenfalls die bevorzugten Sendungen auf der Festplatte zwischenspeichern dürfen. Die Doktorandin musste lediglich gegenüber der die Befugnis erteilenden Institution versichern, dass im Zuge dieser Aktionen nicht die Grenze zum Illegalen überschritten wird. Gerade weil eine Folge Tatort mit der Spieldauer von 90 Minuten im Dateiformat WMV mit circa 800 Megabyte „schon verhältnismäßig groß“47 ist, war die vorherige Einholung der Nutzungsrechte des universitätseigenen Computers beim Verwaltungsapparat schon deshalb notwendig, um nachträglichen wie unbequemen Fragen betreffs der aus dem Internet runtergeladenen Datenmenge und -inhalte vorzubeugen. Befand sich die digitalisierte Kriminalsendung zur Gänze auf dem magnetischen Speichermedium des Arbeitscomputers, erfolgte in den meisten Fällen die von der Arbeits- bzw. Ausbildungsmigrantin vorgenommene Übertragung des Formates auf einen USBZwischenspeicher bzw. auf den eigenen Laptop, so dass einerseits ein bequemes Transportieren und andererseits das Anschauen des Tatorts in der häuslich-privaten Sphäre gewährleistet ist. In ihrer damaligen Trierer Studentenwohngemeinschaft avancierte das stets am Sonntagabend praktizierte Verfolgen der Serie, das gemeinsame Kochen und die Konsumierung von Wein zu einer ritualisierten Handlung, die dem rhythmisierten Wochenverlauf wiedererkennbare Strukturen verlieh. Während sich andere Auswanderer von Freunden die beliebten Krimis auf Videokassette oder DVD aufzeichnen und auf postalischem Wege zuschicken lassen48, entfällt für Hendriks der mit der transkontinentalen Passage der Postpakete verbundene Warteund Kostenaufwand aufgrund der direkten Verfügbarkeit von elektronisch-digitalen Massenmedien, einem prägenden Charakteristikum der beschleunigten Globalisierung in vielen, wenngleich nicht allen Ecken des Globus. Eine unkomplizierte Bezahlung der im Vergleich zur Postsendung durchweg als gering zu bezeichnenden Gebühren via Kreditkarte, eine benutzerfreundliche Bedienungsoberfläche bei der Programmierung des virtuellen Mitschneideapparates sowie die uneingeschränkte Kompatibilität bei der Wiedergabe der Videodateien lässt den Onlineanbieter Save

47 Ebd. 48 „Worüber wir uns immer noch freuen, wir haben eine Freundin, die nimmt immer mal wieder einen schönen Tatort auf in Deutschland. Und wenn wir den Tatort dann sehen, und es ist dann noch ein Kölner Kommissar, das ist schon die Krönung [des] Sonntagsabends.“ Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007.

538 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

TV zu einem für lange Zeit nicht für vorstellbar gehaltenen kulturellen Medium emporsteigen, das über mit ethnokultureller Bedeutung aufgeladene Serien heimatliche Bilderwelten in die Haushalte deutscher Immigranten transportiert und somit der graduell entbehrungsreichen Lebenssituation in der Diaspora eine nachhaltig positive Wendung gibt. Meist in den Abendstunden findet die Gewährsperson die Zeit, um auf ihrem Notebook ohne Werbepausen „einen guten deutschen Tatort“49 zu schauen, da dieses technische Gerät zahlreiche Vorteile in sich birgt: Angesichts seiner leichten, auf Flexibilität und Mobilität ausgerichteten Passform ist es im Gegensatz zum üblichen Fernsehgerät bzw. zum stationären Computer nahezu überall einsatzfähig, so dass der Ort des deutschen Medienkonsums innerhalb der privaten Wohnung beliebig gewechselt werden kann. Die bei der Visualisierung der Filmdatei auf einem großen Fernsehgerät eher „nicht so berauschend[e]“50 Bild- und Tonqualität zieht des Weiteren die Unumgänglichkeit für die Migrantin nach sich, auf eine computerbasierte Verfahrensweise der Wiedergabe umzuschwenken, da vermittels dieser eine von Störfaktoren befreite Konsumierung erst möglich wird. Nachdem Fragen der netzgestützten Verfügbarmachung und der technischen Umsetzung sowie das Nutzungsverhalten des kriminologischen und zum Kriminalisieren in den eigenen vier Wänden anregenden Unterhaltungsgenres Beleuchtung fand, soll im Folgenden genauer auf die rezipierten Medieninhalte eingegangen werden. Wenngleich mehrere Migranten auf unterschiedlichen Wegen Versuche initiieren, ihrem diasporischem Leben in der Ferne mittels der ganz spezifischen Konsumierung der Spielfilmreihe Tatort transnationale Wesenszüge zu verleihen und sogar Universitätsprofessoren mit ihrem nur sehr eingeschränkten Spielraum an freier Verfügungszeit gewillt sind, die temporalen Leerstellen für Horst Schimanski zu reservieren, dann stellt sich nicht ganz ohne Berechtigung die Frage, weshalb gerade die in Rede stehende Kriminalserie als Medium zur Signifikation von Bedeutungswelten in Sydney fungiert. Gesellschaftsschichten und Altersgruppen übergreifend erfreut sich im deutschen Fernsehen die Gattung des Kriminalfilmes seit den ersten Folgen in den 1960er Jahre einer ungebrochenen Beliebtheit, was nicht zuletzt durch den Blick auf die wöchentlichen Primetime-Sendeplätze sowie die kontinuierlich hohen Marktanteile bestätigt wird. In der Bundesrepublik ist es der Spielfilmreihe Tatort seit seiner Erstausstrahlung im Jahre 1970 gelungen, eine Erfolgsgeschichte zu schreiben, die in der deutschen Fernsehlandschaft Einzigartigkeitscharakter besitzt (Brück u. a. 2003: 171). Mit über 750 ausgestrahlten Episoden, einer Vielzahl von regionalen und lokalen Bezügen, annähernd gleichförmigen Protagonisten, seiner Serialität, dem angestammten Sendeplatz, der emotionalen Widererkennung, sei-

49 Zitat aus dem Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008. 50 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 539

nem mittels der identifikatorischen Eingangsmelodie hergestellten iterativen Moment und nicht zuletzt wegen der kontinuierlich über 20 Prozent liegenden Einschaltquote gehört Tatort zu den „wohl wichtigsten Institutionen der deutschen Fernsehkultur“ (Bollhöfer 2007: 18). Die Kunstfigur des in Duisburg als Kriminalhauptkommisar seinen Dienst verrichtenden Horst Schimanski, aktuellen Umfragen zufolge mit seinem Kollegen Thanner das beliebteste Tatort-Ermittler-Duo, entwickelte sich gerade wegen ihrer verbalen Entgleisungen, ihrer handfesten Konfliktlösungsstrategien, der Verkörperung des Arbeitermilieus sowie als Gegentypus zum pflichtversessenen und philiströsen Charakter des Polizeibeamten zum Lieblingskind der bundesdeutschen Fernsehzuschauer (Brück u. a. 2003: 192). Der Kommissar aus dem Ruhrpott und sein Kollege Thanner durchliefen wegen ihrer dialektischen Variation zwischen proletarisch-kleinbürgerlichem Habitus und spießigem Beamtencharakter schnell die Karrieren zu gerngesehenen „Kult- und Integrationsfiguren“ (Pundt 2002: 33), die für eine lange Zeitspanne zur integralen Komponente der bundesdeutschen Sonntagabendgestaltung zählten. Das nach dem chronologischen Strickmuster bzw. den Teilstrukturen Verbrechen, deren Ursache, Motive, Umstände, Planung und Ausführung sowie Ermittlung und finale Aufklärung konstruierte Filmgenre verlangt vom Rezipienten höchst interaktive, scharfsinnige Überlegungen wie Reflexionen und erzeugt nicht zuletzt aufgrund dieser Konstellation einen Spannungsbogen. Diese gattungsspezifische Zusammensetzung, gepaart mit dem Aufgreifen von sozialpolitischen Gegenwartsbezügen, erklärt die Dimension der Popularisierung bei seinen Zuschauern. Sein unangefochtener Beliebtheitsgrad in Sydney resultiert hauptsächlich daraus, dass die Untersuchten direkt an dieser Erfolgsgeschichte bzw. der gesellschaftlichen Popularisierung beteiligt waren, weil das sonntagabendlich in der ARD laufende Format einen wichtigen Bestandteil ihrer Sozialisierung ausmachte. Hier werden mediale Präferenzstrukturen offenbart, deren Grundlegung auf die kulturell konditionierend wirkende Lebensphase in Deutschland zurückgeführt werden muss, in der das Individuum die gesellschaftlich bedingten Verhaltensweisen erlernte. Infolgedessen sind mit dem Kriminalgenre, das zumal noch eine regionale Identifikationskomponente in sich birgt, positiv konnotierte Assoziationen und Erinnerungen verbunden. In das kollektive Bewusstsein der Auswanderer haben sich diese medial transportierten symbolischen Repräsentationsformen und ästhetischen Ausdrucksweisen, die bei den Mediennutzern eine imaginative Konstruktion von geografisch entfernt verorteter Territorialität, Nation, Landschaft, Region und Kultur ermöglichen, eingeschrieben. Aus der den bundesdeutschen Medienwelten entspringenden Präfiguration der Immigranten erwächst die hohe Affinität bzw. Präferenz zu dieser Kategorie von Freizeitgestaltung, die gerade in der transkontinentalen Ferne in den Dienst gestellt wird, alltagskulturelle Wirklichkeit zu konstruieren und zu perspektivieren. Hier wird der Konsum von heimischen, nach Regionen bzw. nach regionaler Zugehörigkeit in Deutschland produzierten Genres nicht als Unterminierung und Gefährdung der kulturellen Iden-

540 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tität betrachtet, sondern eher als willkommenes Ventil zur Kompensation bzw. Satisfaktion eines kulturnostalgisch gestimmten Bedürfnisses nach Typischem, Authentischem und Altbewehrtem aus einer Unterhaltungswelt, die ethnokulturell mit semantischen, symbolischen und normativen Bedeutungen aufgeladen ist. Das computermediatisierte Aneignen bzw. der über Virtualisierungstechniken des Internets realisierte Erwerb von Episoden der Kriminalreihe Tatort aus der Fernsehlandschaft der Herkunftskultur lässt sich interpretieren als Verlangen nach Fernsehformaten in der deutschen Muttersprache. Interessant ist auch die für ein global informiertes Zeitalter scheinbar orthodoxe Zeitformartierung bei den Mediennutzungsoptionen in der sozialen Realität der Alltagswelt. Eine digitalisierte Abspeicherung der audiovisuellen Dateien aus der virtuellen Realität (Süßbrich 1997) macht eine beliebige und permanente Abspielbarkeit des Krimis zu jeder Zeit möglich, wenngleich deutsche Migranten die kulturelle Praxis des Tatort-Schauens nach den überlieferten Konventionsordnungen ausgestalten. Um die Kontinuität der transkulturellen Bindungen an die Ausgangskultur Deutschland aufrechtzuerhalten, werden insofern tradierte, historisch gewachsene und sozial sedimentierte Temporalitätsstrukturen beibehalten, als dass die auf dem Computer oder Laptop magazinierten Folgen zur gewohnten Zeit am Sonntagabend zu ethnokulturellen Unterhaltungszwecken über die Bildschirme der Auswanderer in Sydney flimmern. Nicht ganz ohne Lokalpatriotismus fügt die aus Liblar in Richtung Botany Bay emigrierte Karen Pflüger an, dass es „schon die Krönung [des] Sonntagsabends“51 sei, wenn sie mit der gesamten Familie vor dem Fernseher sitzt, um den Kölner Kommissaren Ballauf und Schenk bei der Aufklärung von Verbrechen zuzusehen. Den in der Muttersprache vertonten medialen Inhalten, so weiß auch Andreea Dancu auf der Grundlage ihrer akteurszentrierten Feldforschung über rumänische Greencard-Migranten in Deutschland zu berichten, kommt „beim Erleben von Kultur“ (Dancu 2009: 93) in dieser nationale wie sozialräumliche Grenzen überschreitenden Alltagspraxis eine herausgehobene Rolle zu. Die mittels moderner und internetbasierter Kommunikationstechnologien hier aus den Ergebnissen meiner empirischen Untersuchung sichtbar werdenden kreativen Aneignungs- und Verwendungsstrategien zwecks der Herstellung einer „technogenen Nähe“ zu der emotionale Aufgehobenheit und Wiedererkennungswert versprechenden ethnischen Fernsehlandschaft indizieren auf einen Prozess, den der Berliner Kulturanthropologe Stefan Beck mit dem Terminus „Indigenisierung“ (Beck 1999a: 12) umschreibt. Auswanderer bedienen sich bei diesem Vergesellschaftungsvorgang von ihren über nationale Grenzziehungen hinausgehenden Lebenszusammenhängen und multilokalen Identitäten aus einem Fundus von mit Bedeutung belegten Kulturelementen, die sie als eine identitäre Äquilibrierung verbürgende Rückzugsstätte wahrnehmen (Popkin 2005). Diese so ge-

51 Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 541

nannte mediatisierte „cultural snail shell[s]“ (Brown 1999), mit ihrer ritualisierten Begehung, ihrem etablierten Stammplatz zum harmonisierten Ausklang der Woche und ihrer iterativen Eingangstonfolge, die die zeremonielle Kultveranstaltung einführt und die ethnische Selbstvergewisserung erst möglich macht, untermauert den integrationspolitischen Verlauf des „Heimisch-Werdens“. Als Hilfestellung bei der Re-Territorialisierung bzw. der lokalen Einbettung der ethnischen Identität ermöglicht das Versatzstück Tatort mit seiner Mediatisierung von mit Sinn aufgeladenen Bildwelten, bekannten geografischen Topografien und imaginierten Symbolen aus der geografischen Ferne die Verortung in der Diaspora. Die transnationale Konsumierung der Kriminalserie, als hochgradig kulturhistorisch determinierter Modus der Repräsentation, trägt darüber hinaus dazu bei, auf Dauer kulturelles, an sozialräumliche Territorialität gebundenes Wissen zu konservieren. Eine über den Onlineanbieter Save TV realisierte digitale Verfahrensweise zur Dynamisierung der Nationalstaaten überspannenden polylokalen Verästelungen sowie die graduell erfolgreiche Synchronisierung alltäglicher Lebenswelten im globalen space of flows (Castells 1998: 407ff.) leiten über zu einer Neukonfiguration und -definition von Raumgebundenheit migrantischer Alltagskultur.52 Der hier dokumentierte, in die Nahwelt der Wanderer integrierte Online- sowie Offlineinteraktionshorizont kann als eine Praxis der „Enträumlichung“ (Appadurai 1998: 13) kultureller Artefakte, Symbole, Werte- und Bedeutungskonstellationen im „globalen Dorf“53 ausgedeutet werden, denn der ursprünglich nur für das in Deutschland und Österreich lebende

52 Kirshenblatt-Gimblett führt zu dieser transnationalen Ausweitung der Horizonte aus: „New spaces of dispersaal produced – traversed and compressed – by technologies of connection and telepresence. Physical locations can be experienced as accidents of proximity, while common interest, rather than common location, can become the basis of social life in a medium where location is defined not by geographical coordinates but by the topic of conversation“ (Kirshenblatt-Gimblett 1994: 324 [Herv. i. O.]). 53 Bereits in den 1960er Jahren entwickelte der kanadische Medienforscher Marshall McLuhan die heute aus dem alltäglichen Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenkende Vision des global village und postulierte damit viele Jahre vor der Institutionalisierung des World Wide Web ein Verschwinden von räumlichen Distanzen und Entfernungen, welche bereits die zur damaligen Zeit etablierten Kommunikationstechnologien beförderten. In einer seiner frühen Publikationen formuliert er: „Wir leben in einer brandneuen Welt der Gleichzeitigkeit. Die Zeit hat aufgehört, der Raum ist dahingeschwunden. Wir leben heute in einem globalen Dorf, in einem gleichzeitigen Happening.“ Die elektronischen Interdependenzen, virtuellen Verstrickungen und die draus resultierende Transnationalisierung der Lebenswelten, so McLuhan, konturieren die Welt zu einem globalen Dorf (McLuhan/Fiore 1984: 63 [Orig. 1967]); McLuhan 1962: 31; siehe auch Schroer 2003: 220; Appadurai 2001: 6268f.).

542 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Fernsehpublikum vorgesehene cultural stuff (Barth 1969a: 15) der Serie Tatort kann von Sydneysiders dank der vom Virtualisierungsmedium Internet vorgenommenen time-space compression (Harvey 1989: 240ff.) abgekoppelt von der konkret physisch-geografischen deutschen Medienlandschaft rezipiert werden. In der Epoche nach dem durch die mikroelektronische Revolution effizierten spatial turn (Bachmann-Medick 2006: 284ff.; Döring/Thielmann 2008) überwinden die Immigranten mit nur wenigen Mausklicks immense räumliche Entfernungen, verschaffen sich Zutritt zu und bewegen sich in Welten mit kulturellen Kräftefeldern und Wertehorizonten, die nur zu einem sehr geringen Teil mit ihrer direkten Lebensumgebung in Australien in Kohärenz stehen, ihnen jedoch kulturelle Gemeinsamkeiten vergegenwärtigen und infolgedessen ein Gefühl der transnationalen Zugehörigkeit vermitteln. Mit historisch gewachsenem Sinngehalt aufgeladene Kulturmuster werden aus der public sphere (Habermas 2002: 73) der Bundesrepublik in die privaten Lebensbereiche – die diasporic public spheres (Bachmann-Medick 2003: 98) – der Migranten transloziert, was einerseits zu einer Verdichtung der raumzeitlichen Wahrnehmungshorizonte von Heimat bzw. heimatlich konnotierten Objektivationen und Subjektivationen führt, anderseits die Rekonfiguration der soziokulturellen Verflechtungsbeziehungen zwischen Aufnahme- und Herkunftsland bedingt. Unweigerlich sind die Migranten rein physisch betrachtet stets an eine singuläre Territorialität bzw. an eine territorialräumlich wie geografisch konkret lokalisierbare Lebenswelt gebunden, wenngleich es die modernen Telekommunikationsmittel vollbracht haben, entfernte Wirklichkeiten von woanders bzw. anderorts durch den Cyberspace zum festen Bestandteil der Nationalgrenzen überschreitenden Alltagspraktiken deutscher Auswanderer werden zu lassen. Die internetbasierte Verfügbarmachung und Nutzung der Kriminalreihe Tatort hat gezeigt, dass die als Bruch mit lebensweltlichen Lokalitäten in Deutschland verstandene De-Territoralisierung stets einhergeht mit Re-Territorialisierung ethnischer und kultureller Identifikationsmuster auf der Mikroebene Sydney, die mit dieser konstruktivistischen Kulturpraxis ein Stück mehr zur neuen Heimat gemacht wird. Doreen Massey charakterisiert diesen identitäre Sicherheit spendenden diasporischen Bezugspunkt wie folgt: „A ,sense of place‘, of rootedness, can provide […] stability and a source of unproblematical identity“ (Massey 1998: 151).

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 543

6.2.4 „Damals war Australien noch weit weg.“ Skype und die internetbasierten Strategien der Heimwehbewältigung „These new forms of electronically mediated communication are beginning to create virtual neighborhoods, no longer bounded by territory, passports, taxes, elections, and other conventional political diacritics, but by access to both the software and the hardware that are required to connect to these large international computer networks“ (Appadurai 1996: 195 [Herv. i. O.]).

Die in der Kapitelüberschrift zu findende, im direkten Kontext der fernmündlichen Kommunikationsvernetzung zwischen den weit entfernten Kontinenten Australien und Europa getätigte Verlautbarung von Paul Keilbach, dass der Fünfte Kontinent in den 1970er und 1980er Jahren viel weiter entfernt vom geografischen Ort der Herkunft gewesen sei, verweist keinesfalls auf räumliche Distanzen bzw. geotektonische Verschiebungen, sondern eröffnet uns vielmehr Einblicke auf die in Transformation begriffenen Raum-Zeit-Erfahrungen und die nachhaltigen Auswirkungen der oben bereits angedeuteten time-space compression. Einen eher spielerischunbekümmerten Umgang mit dem Menschen und Lokalitäten verbindenden stationären oder mobilen Telefon, als wohl einem der allgegenwärtigsten, am wenigsten hinterfragtestenen und selbstverständlichsten Kulturartefakte der global informierten wie postmodernistischen Gesellschaft, spiegeln Auswanderer in Sydney stets an der von ihnen selbst erlebten, kontrastiven Erkenntnis. Das Adjektiv „damals“ steht für die Zeit vor der mikrotechnologischen Revolution und der Durchsetzung des Internets und somit quasi die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, da es in dieser Phase nur mit großen Beeinträchtigungen bzw. einem horrenden monetären Aufwand möglich war, über das Kommunikationsmedium Telefon einen transnationalen Kontakt mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten in Deutschland herzustellen. Ferngespräche zur Überwindung geografischer Entfernungen zwischen den Kontinenten besaßen laut Ludger Pries für ein großes Quantum an Migranten während des 20. Jahrhunderts „weitgehend den Charakter von kurzen Notruf- und Gratulationssignalen“ (Pries 2008: 49). Die narrativen Ausführungen der Gewährspersonen über ihre Lebenswirklichkeit in Sydney tragen insofern zur Verifizierung dieser von dem Professor für Soziologie aufgestellten Hypothese bei, da jene ausgiebig aus einem mannigfaltigen Arsenal von Komplikationen und Schwierigkeiten bei der telefonbasierten Verbindung berichten konnten. Dabei unterstützt die im Kontrast dazu stehende leichte und beliebige Art und Weise der gegenwärtig betriebenen Kommunikation auf der Basis von internetbasierten Videokonferenzen

544 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

via Skype, Face-Time, E-Mail, Chatrooms, Windows Messenger und Mobiltelefon mit Deutschland, die zudem technisch einfach umsetzbar und kostengünstig vonstattengeht, die narrativ aus der Retrospektive selektierten, auf eine vergleichende Betrachtung abzielenden Darstellungstechniken. Memorierend versetzten sich die Auswanderer zurück in eine technologische Vor- und Frühzeit, die aus der Warte der medienkompetenten Bewohner der Jetztzeit als hochgradig anachronistisch operationalisiert wird, um gleichzeitig auf die den fern von ihrem sozial-familiären Umfeld lebenden Menschen zugutekommenden Vorzüge der neuen technischen Möglichkeiten ein Loblied anzustimmen. Paul Keilbach sah sich nach Beendigung seines weltumspannend ausgerichteten Arbeitsengagements auf dem Forschungsschiff der Columbia University und der neuerlichen Ansiedlung in Australien dem Verlangen ausgesetzt, via fernmündlicher Verbindung mit seinen in der Schweiz lebenden Eltern zu sprechen. Für den Informanten waren 25 Australische Dollar, die eine Minute telefonieren von Australien nach Europa Mitte der 1970er Jahre kostete, „viel Geld“54, so dass nur mit Hilfe eines freundschaftlichen Bekanntschaftsverhältnisses zu einem Mitarbeiter des staatlichen Unternehmens Telecom Australia, des Vorläufers des heute in privater Hand befindlichen Telekommunikations- und Medienkonzerns Telstra, das Telefonieren zu verbilligten Konditionen ermöglicht werden konnte. Erschwerend kam hinzu, dass Keilbach über kein eigenes Telefon verfügte und daher von seinem Arbeitsplatz aus die Unterstützung seines Freundes in Anspruch nehmen musste, der ihn von dem Apparat seines Arbeitgebers aus zu seinen Eltern in der Schweiz „durchgedreht“55 hat. Als Raul Trentmüller 1983 im jugendlichen Alter nach Sydney kam, besaß er „schon ein Telefon zuhause“56 in Blacktown, jedoch war der transkontinentale Gebrauch zwecks des temporär begrenzten Informationsaustauschs mit der Großmutter „irrsinnig teuer“57. Um „nicht so ins Plaudern [zu] kommen“58, entwarf Trentmüller vor der Gesprächsinitiierung einen die Kosten minimierenden Kalkulationsplan, der die Länge und den Inhalt des Wortwechsels im Vorhinein definierte. Um am Monatsende eine Telefonrechnung von „drei- bis vierhundert Dollar“59 zu vermeiden, was gleichzeitig bedeutet hätte, einen Großteil des eigenen Einkommens ausschließlich für längere Telefonate mit der in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt besitzenden Großmutter auszugeben, entwickelte der

54 Zitat aus dem Interview mit Paul Keilbach, datiert auf den 05.11.2007. 55 Ebd. 56 Zitat aus dem Interview mit Raoul Trentmüller, datiert auf den 07.04.2008. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 545

Untersuchte zur damaligen Zeit erforderliche Strategien60 zur effizienten Nutzung der gesprochenen Zeit und beließ die zu zahlenden Gebühren damit in einem überschaubaren Rahmen. Allgemein unterlag die Praxis des Telefonierens aus rein finanziellen Erwägungen spezifischen „Gesprächsgrundsätze[n]“ (Hengartner 1998: 254), die das Verhalten am Hörer dahingehend reglementierten, ausschließlich konkrete, kurze und prägnante Mitteilungen zu transportieren. Die nur sporadischen Charakter besitzende akustische Wahrnehmung einer vertrauten Stimme bzw. einer bekannten Person am anderen, tausende Kilometer weit entfernten Ende der Verbindung, mit der man in der Ära vor Skype nur verbal kommunizieren konnte bzw. deren Visualisierung der eigenen Imagination bzw. Erinnerung vorbehalten blieb, verleitete den anrufenden und somit auch die Kosten tragenden Gesprächsinitiator schnell, die Sachlichkeit der zu übermittelnden Gesprächsstoffe und damit die „Limitierung der Gesprächsdauer“ (ebd.: 257) für wenige Augenblicke zu vergessen. Jedoch gehörte ein zielloses Herumtelefonieren bzw. die im Plauderstil praktizierte fernmündliche Kommunikation über weite Raumdistanzen (Becker 1989: 12), wie wir dies aus unserem heutigen Leben kennen, definitiv nicht zu den selbstverständlichen und quasi ohne Hintergedanken ausgeübten Kulturpraktiken zur Aufrechterhaltung transnationaler Konnexe. Für den Zeitraum zur Mitte der 1990er Jahre schilderte Heidi Overmann nachfolgende Begebenheit und nahm im gleichen Atemzug eine kontrastierende Gegenüberstellung der technogen unterschiedlich informierten Wirklichkeiten in der Diaspora vor: „Heutzutage kannst du schon lange telefonieren für ein Appel und ein Ei. Vor vierzehn Jahren, was haben wir da für ein Geld vertelefoniert. Oder meine Eltern, was haben die für ein Geld vertelefoniert, um mit mir einmal, oder war es einmal in zwei Wochen, mal anzurufen. Und dann dauert es zehn Minuten, bevor du mal überhaupt reagieren konntest, um dann normal zu reden am Telefon, also eine normale Konversation zu haben. Heutzutage ist das etwas ganz anderes. Die kann jeden Tag anrufen, wenn sie will. Das ist billiger nach Australien zu telefonieren, wie nach Villip oder Berkum. Mit ihren Billignummern oder so. Die Welt wird immer kleiner, es [Australien, Anm. d. A.] ist nicht mehr am Ende der Welt.“61

60 Zu „Großmutters Zeiten“ machte Trentmüller in kontinuierlicher Regelmäßigkeit von dem kostengünstigen Kommunikationsmittel des Aerogramms Gebrauch, das der Migrant Jahrzehnte vor der Erfindung des E-Mail-Verkehrs bei der Filiale der australischen Post für den Preis von 1,20 Australische Dollar kaufte. Dieser Luftpostleichtbrief wurde mit den nötigen Auskünften und Mitteilungen beschrieben und erreichte den Empfänger in Deutschland nach einer „sieben Tage“ dauernden transkontinentalen Passage. 61 Zitat aus dem Interview mit Heidi Overmann, datiert auf den 14.10.2007.

546 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Auch in diesem die Technisierungsgrade der unterschiedlichen Zeitphasen in Sydney gegenüberstellenden Passus werden zunächst die hohen Telefongebühren für interkontinentale Gespräche in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts hervorgehoben, da sowohl in Deutschland als auch in Australien eine nicht zu gering einzuschätzende Menge an Geld vertelefoniert wurde. Bei Familie Overmann lässt sich bereits zur damaligen Zeit eine gewisse Regelmäßigkeit bei der telefonbasierten Kontaktaufnahme erkennen, wenngleich der stürmische Redefluss der um das Wohlergehen der Kinder in Australien besorgten Eltern eine „normale Konversation“ erst nach dem Verstreichen von mehreren Minuten möglich machte. Des Weiteren nimmt sie Ideen McLuhan’scher Denkart auf, in dem sie zu verstehen gibt, dass die Menschen auf der Welt im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts dank moderner Telekommunikations- und Virtualisierungstechnologien immer näher zusammenrücken, dadurch die Welt immer kleiner wird und infolgedessen Australien nicht mehr am „Ende der Welt“ liegt. Telefonanbieter sowie Callcenter schneiden ihre Tarife für Ferngespräche zielgerichtet auf eine migrantische Klientel zu, so dass es heute zumeist billiger ist, von Deutschland nach Australien als zwischen zwei kleinen, im Rhein-Sieg-Kreis gelegenen Ortschaften zu telefonieren. Dabei wird eine Tonqualität gewährleistet, „als wären die [Gesprächsteilnehmer, Anm. d. A.] im nächsten Vorort“62 und nicht 16.000 Kilometer entfernt. Eine drastische Verstärkung der transnationalen Austauschbeziehungen vollzog sich mit dem gesamtgesellschaftlichen Expandieren von Mobiltelefonen seit dem Ende der 1990er Jahre sowie der Etablierung von kostengünstigen Tarifen für interkontinentale Gespräche. Trentmüller füllt die in Sydney durchaus zum alltäglichen Leben dazugehörenden zeitlichen Leerstellen während des Wartens im Verkehrsstau mit der spontanen fernmündlichen Kontaktaufnahme über sein Mobiltelefon mit seinen in Deutschland lebenden Freunden, wohl wissend, dass ihn der „Anruf nur 4 oder 5 Dollar kostet.“63 Da das transportable Telefon gerade seit der letzten Jahrtausendwende zu einem „selbstverständlichen und fraglosen Faktor der Sozialisation geworden ist“ (Hengartner 1998: 261), stellt es in diesem Informations- und Technologiezeitalter für zahlreiche Auswanderer kaum ein Problem dar, via textbasiertem Informationsaustausch (Short Message Service) (Nowotny 2003) und verbalem Smalltalk täglich mit den hinter dem Horizont lebenden Bekannten, Verwandten und Freunden in Verbindung zu treten. Intensiver als je zuvor sind die migrantischen Nutzer dieser globalen Kommunikationshilfsmittel während des Gesprächs mit dem territorial weit entfernten Gegenüber in eine transnationale Kopräsenz eingewoben. Die Wanderer zwischen den Kulturen sind gleichzeitig mit zwei Welten konfrontiert, d. h., sie nehmen einerseits die physisch erfahrbare soziale Umwelt in Australien wahr,

62 Zitat aus dem Interview mit Paul Keilbach, datiert auf den 05.11.2007. 63 Zitat aus dem Interview mit Raoul Trentmüller, datiert auf den 07.04.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 547

andererseits partizipieren sie während des Telefonats an der Welt des Kommunikationspartners am anderen Ende der Leitung (Klenk 2007; Horst/Miller 2006). Eine weitere die migrantischen mediascapes ausdehnende und anthropogene Sozialräume miteinander verbindende Variante des zwischenmenschlichen Dialogs wird über die kostenlos erhältliche Voice-over-IP–Software (kurz VoIP-Sofware) Skype ermöglicht, dank der eine internetgestützte Videotelefonie realisiert werden kann. Gleich dem Firmenmotto With Skype you can talk to anyone, anywhere for free. Forever (Urchs/Zapp 2006: 45) verbürgt das auf einem Computer oder einem Notebook aus dem Netz unentgeltlich herunterladbare und installierte medienkulturelle Artefakt neben der Instant-Messenger-Funktion zur Initiierung eines Chats und dem Datenaustausch vor allen Dingen eine gebührenfreie Internettelefonie (Bandach 2007: 9ff.) zwischen zwei oder mehreren Benutzern dieses Systems. Der Anschluss bzw. die Integration einer computerexternen Webcam komplettiert alle technischen Grundvoraussetzungen zur Inbetriebnahme einer durch das World Wide Web sichergestellten audiovisuellen Konferenz (Wittel 2000; Hirschfelder/ Huber 2004: 18) – einer „Kommunikation ohne Anwesenheit“ (Seifert 2000: 34) – zwischen den in Australien lebenden Migranten und ihren nächsten Angehörigen bzw. Freunden in der Bundesrepublik. Auch hierbei haben sich spezifische Nutzungstendenzen, Aneignungsprozesse und Kommunikationspraktiken herausgebildet, deren Strukturen im Folgenden dargelegt werden sollen. Genath und Boden haben bereits 2005 darauf hingewiesen, dass „der Umgang mit Medien wie dem Internet bestimmten kulturellen Mustern folgt und damit nicht unabhängig von den Akteuren geschieht“ (Genath/Boden 2005: 14; Hine 2000: 41ff.). Die simulierte Kulturpraktik des Skypen, als einer netzbasierten und virtualisierten Face-to-Face-Kommunikation wird von den Migranten in den Dienst genommen, um die aus dem Verlassen eines Raums bzw. einer neuerlichen Ansiedlung in der kulturell fernen Diaspora resultierende Abwesenheit durch die Neuetablierung bzw. Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen mit Mitgliedern aus dem Familien- und Freundeskreis in Deutschland zu kompensieren. Diese Intention war auch bei der von Anja Kapmeier anlässlich der zeremoniellen Entgegennahme des citizenship certificate am Australia Day gehaltenen Rede herauszuhören: „Having family and friends on the other side of the globe felt sometimes quite lonely, but Skype helped out a lot.“64 Zumeist haben die miteinander in Verbindung stehenden Menschen den engeren Kreis von regelmäßig frequentierten Konversationspartnern in ihrem persönlichen Kontaktverzeichnis bzw. Adressbuch in der Benutzeroberfläche der Software abgespeichert, an der sie zudem ablesen können, ob ihr gewünschter Gesprächspartner online und damit erreichbar ist. Dies vorausgesetzt, reicht ein Mausklick auf den gewünschten Gesprächspartner und das System wählt ihn an, der

64 Zitat aus der Rede von Anja Kapmeier anlässlich der Australian citizenship ceremony.

548 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

wie bei einem normalen Telefongespräch den Anruf entgegennehmen muss. Verfügen beide in Interaktion miteinander stehenden Personen über eine internettaugliche Videokamera, öffnet das Programm Skype ausschließlich auf Wunsch der Benutzer auf dem Monitor ein Fenster, durch das die in den „virtuellen Wirklichkeitsbereiche[n]“ (Schönberger 2006: 634) Handelnden visualisiert werden. Die unterschiedlichen Zeitzonen der beiden Nationalstaaten sowie der wöchentliche Rhythmus von Werktagen und Wochenenden bzw. Feiertagen sind dafür verantwortlich, dass der scheinbar so beliebig und ohne jegliche temporale und geografische Einschränkungen funktionierende Kommunikationsaufbau nur an ganz bestimmten Abschnitten in der Woche hergestellt werden kann. In den Abendstunden der beiden Tage Samstag und Sonntag finden die deutschen Migranten am ehesten ideale Bedingungen vor, zumal das kostenlose Telefonieren zahlreiche Gewährspersonen dazu verleitete, die Gesprächsdauer – und die dieser unterliegende Kommunikationsstruktur – auf über eine Stunde auszudehnen. Das am Wochenende obligatorische Plauderstündchen via Skype mit den Nahestehenden in Deutschland unterliegt in Bezug auf die zu übermittelnden Informationen grundsätzlich keinen festen und starren Verlaufsschemata oder Regelsystemen, wenngleich Neuigkeiten, besondere Begebenheiten, tagesaktuelle Geschehnisse, das private Wohlergehen sowie Erkundungen über den Kreis von Familie und Bekannten den Gedankenaustausch zwischen dem Hier und dem Dort bestimmen. Gerade weil keine finanziellen Aufwendungen hieraus entstehen und sich von beiden Seiten zielgerichtet ein temporaler Freiraum für die transnationale Unterredung mit Menschen geschaffen wird, die geografisch in großer Distanz zueinander ihren Lebensmittelpunkt haben, dominieren deutlich auf Narrativität ausgelegte Grundstrukturen die Unterhaltung. Diese Art von Causerie, d. h. das orale Expedieren von alltagsweltlichen Banalitäten65, die Preisgabe von Gefühlsinnenwelten und die Übermittlung von Informationen trivialer Natur, bezeichnet Hanna Knoor mit dem englischen Terminus „conviviality“ (Knoor 1999: 136). Die positiven Eigenschaften der reziproken Simultanvisualisierung während der Unterhaltung fasste Barbara Bartel in Worte: „Das haben wir jetzt auch gemerkt mit unserer Tochter, dadurch, dass wir mit Oma und Opa immer Skypen regelmäßig und sie [die Tochter] sie [die Großeltern] ja sieht, war das jetzt für sie [die Tochter], als kennt sie [die Tochter] sie [die Großeltern] dauernd schon. Ja, sie kennt sie natürlich, seit sie neun Monate ist, aber sie hat sie nie so regelmäßig gesehen und so war sie sofort vertraut und ist sofort ins Bett gesprungen zu ihnen. Auch all diese Sachen, die eher

65 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt ferner Carmen Voigt-Graf während ihrer ethnografischen Erforschung von transnationalen Verflechtungen bei in Sydney lebenden Migranten aus Indien, die ebenfalls die Möglichkeiten der Internettelefonie nutzen, um mit ihren Verwandten in Bangalore in Kontakt zu treten (Voigt-Graf 2005: 375).

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 549

untypisch sind für sie normalerweise und ich führe das schon auf dieses Skype zurück, dass man sich immer sieht und vertraut ist. Es hilft auch mit Freunden. Wir haben auch den Kontakt zu unseren Freunden, mit unseren vorherigen Freunden, im Großen und Ganzen sehr gut aufrechterhalten.“66

Die mindestens einmal in der Woche unter Zuhilfenahme der Kulturpraktik des Skypen vollzogene Mediatisierung des Anderen in Deutschland, sprich eine von Angesicht zu Angesicht und unter Einbezug der Physiognomie bzw. der körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten von Gestik, Mimik und Intonation des Gegenübers verrichtete computermedierte, fernanwesende wie kopräsente Interaktion (Fassler 1996: 64), stabilisiert den ehemals durch die Wanderungsbewegung zum Stillstand gebrachten Vergesellschaftungsprozess zwischen den territorial getrennt voneinander lebenden Generationen. Im zur übergeordneten Kommunikationssituation gehörenden Einzugsradius der Webcam wird dem Gegenüber die geografisch fernliegenden Lebenswelten ausgiebig visualisiert. Hierbei werden „Katzen hochgehalten“67, der Nachwuchs den Großeltern zum ersten Mal präsentiert, neue Einrichtungsgegenstände kritisch begutachtet und Mitglieder aus dem zum auf lokaler Ebene bestehenden Freundeskreis vorgestellt. Diese kopräsente Partizipation der Interaktionspartner am Leben der Anderen in Deutschland, und vice versa, erzeugt eine realräumliche, jedoch durch die virtuelle Realität vermittelte Nähe und trägt maßgeblich zur Herstellung eines auf Vertrauen basierenden Langzeitverhältnisses von Personen bei, die tausende Kilometer voneinander entfernt leben und sich deshalb im wirklichen Leben nur bedingt sehen bzw. austauschen können.68 Die emotionalen Beziehungen, auf transnationale Solidarität angelegten Netzwerke und strategischen Allianzen zu den imaginierten Gemeinschaften abroad offerieren in Zeitphasen der widersprüchlichen und diametralen Erfahrungen der Diaspora, die wiederum als Indizien für die kulturelle Gespaltenheit und Zerrissenheit der Wanderer sowie die aus Wanderungsbewegungen durchgängig hervorgerufenen segmentierten Identitäten Stuart Hall’scher Konzeptionierung interpretiert werden müssen, einen internetmediatisierten „geschützten Raum“ (Breidenbach/Zukrigel 2003: 36) der transnationalen Nähe, in den sich die Migranten nach zeitlich festgelegten Termi-

66 Zitat aus dem Interview mit Barbara Bartel, datiert auf den 15.04.2008. 67 Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008. 68 „Mit meiner Familie telefoniere ich mindestens einmal in der Woche und das löst auch viele Probleme. Dann zeige ich denen mit meiner Webkamera meine Wohnung und dann kann man die Familie daran auch viel mehr teilhaben lassen. Und ich stelle auch immer Fotos auf meine Webseite, dann können die auch immer sehen, was ich mache. Das erleichtert es schon sehr und das finde ich schon toll. Das hilft sehr.“ Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008.

550 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nen in der Woche begeben, um einen Erfahrungsaustausch, zwischenmenschlichen Beistand und emotionales Consulting von Menschen aus der Kultur ihres Heimatlandes zu suchen. Vor dem Hintergrund, dass ein Großteil des in diesem Kapitel zugrunde gelegten Untersuchungssettings ohne jegliche familiäre Bindungsmöglichkeiten zuweilen von Einsamkeit geprägte Situationen in der Ferne durchzustehen hat, dient das Kulturphänomen Skypen den daheimgebliebenen Angehörigen und den Menschen in Australien als „Bühne für kulturelle Besonderheiten“ (Breidenbach/Zukrigel 2002: 283) mit virtuell hergestellter menschlicher Wärme und einem weitläufigen Spektrum an Austauschprozessen. Auch wenn grundsätzlich das Gros der Gewährspersonen angesichts der netzbasierten Kommunikation und der permanenten Erreichbarkeit aller gewünschten Informationen dank des Mediums Internet auch über bestehende räumliche Distanzen zu Deutschland das – konträr zu der in der Kapitelüberschrift positionierten Aussage einer älteren Immigrantengeneration stehende – Gefühl entwickelt, „ganz nah dran zu sein“69, weisen die transnationalen Beziehungsstrukturen jedoch auch Brüche und Diskontinuitäten auf. Migrationsnarrationen beinhalten mit auffallender Regelmäßigkeit Passagen, in denen davon die Rede ist, dass bestimmte Kontakte wegbrechen, „einschlafen“70, „weniger werden“71, Beziehungen auf die Dauer abkühlen oder „bröckeln“72 und je länger der Aufenthalt in Australien anhält, desto intensiver „reißen die Fäden“73 zu Freunden und Bekannten in Deutschland ab. Nicht selten werden die vom Computerprogramm Skype und besonders die von der Internetkamera generierte emotionale Nähe, die hierdurch zur Ausleuchtung kommende Privatsphäre, die Offenlegung des subjektiven Gemütsgerüsts des Migranten sowie der durch die oben charakterisierten Einwirkungen bedingte Zwang, nur an einem festgelegten Zeitpunkt in der Woche eine Verbindung herstellen zu können, als kommunikationshemmende Faktoren betrachtet, die dazu führen, dass „ganz schnell drei, vier oder fünf Freunde verlorengehen“74. Das Gefühl der inneren Beklommenheit geht sogar so weit, dass von der Anschaffung einer Webcam komplett abgesehen wird. Jessica Ebinger verlautbarte dazu: „Ich telefoniere fast ausschließlich über Skype. […] Es ist echt schwierig und frustrierend zum Teil, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Eine Webcam habe ich mir gar nicht erst zugelegt, ich freue mich zwar, wenn jemand eine hat und wenn ich einen sehe, aber ich fühle mich

69 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 70 Zitat aus dem Interview mit Jessica Ebinger, datiert auf den 02.06.2008 71 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007 72 Zitat aus dem Interview mit Gregor Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 73 Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008. 74 Zitat aus dem Interview mit Jessica Ebinger, datiert auf den 02.06.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 551

Sonntagsabends, wenn man dann fertig ist und ich mich auch nicht in der Lage fühle, die jetzt so anzulachen. Ich fühle mich einfach nicht gut dabei. Ich erinnere mich bei einem Gespräch immer mehr an die Person, wie sie ausgesehen hat, als was sie jetzt eigentlich gesagt hat. Also bildlich und visuell.“75

In diesem Passus wird ersichtlich, dass das „angesichtige und kopräsente Handeln“ (Schönberger 2006: 629; Beck 1999a: 14; Knoor 1999: 141) mit negativen Konnotationen belegt ist, weil es dem Gegenüber Einblicke in die private Vertraulichkeit und den die Migrantin umgebenden Lebensbereich gewährt. Zur Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Gleichgewichtes zwischen erzeugter Nähe und gleichzeitiger Beibehaltung einer gewissen Distanz werden scheinbar idealtypische, durch neue Technologieinnovationen einer migrantischen Klientel zur Verfügung gestellte Interaktionsofferten signifikant in der Weise verändert bzw. den besonderen Interessenlagen ihrer Nutzer angepasst, so dass hier eine asymmetrische Kommunikationshierarchie intentional erzeugt wird. Diese Bedürfnisse nach einer lebensweltlichen Aussparung der durch Visualisierung sich herauskristallisierenden subjektiven Innenwelten dienen zu einem überwiegenden Teil dem identitären Selbstschutz, da eine ganzheitliche, auf Transparenz hin ausgerichtete Präsentation der medialisierten Lebenswelten nicht intendiert ist. Das beim Skypen via Webcam übermittelte Fremdbild, das sich der in Deutschland lebende Gesprächspartner vom Sydneysider unweigerlich macht, könnte möglicherweise unterschwellige Informationen zum seelischen Zustand, ganz egal ob nun falsch oder richtig interpretiert, beinhalten, so dass eine absichtliche Einschränkung der Mediennutzungsformen von Ebinger angestrebt wird. Graduell sind es des Weiteren nicht ausgebildete Kompetenzen bzw. bestehende Hemmungen bei der direkten Gesprächskommunikation mit Mitgliedern aus dem familiären Umfeld, die eine verbale Kommunizierung von bestimmten problematischen Themen, konflikt- bzw. emotionsgeladenen Aspekten und zwischenmenschlichen Animositäten erschweren, so dass bestimmte Inhalte – bei denen auf mehr Distanz oder die eigene Zeitsouveränität wertgelegt wird – ausschließlich per Telefon oder E-Mail ausgehandelt werden.76 Den Konversationspartner auf Distanz zu halten und ihm nur einen restriktiven Partizipationsgrad bzw. einen oberflächlichen bzw. künstlich ausstaffierten Ausschnitt von der Welt in der Ferne zu gewähren, liest sich als ein gewollter Abgrenzungsprozess, der nicht – wie oben gesehen – konfidenzielle und zwischenmenschliche Verflechtungen herstellt,

75 Ebd. 76 „Ich finde das Mailen viel besser, weil ich das machen kann, wann ich Zeit habe und ich kann auch aufhören, wenn ich keine Lust mehr habe. Je nachdem, wen ich anrufe, das weiß ich aber schon vorher, da bin ich eine Stunde am Telefon. Weil diese Zeit habe ich überhaupt nicht.“ Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007.

552 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

die über Staatengrenzen hinausreichende. Vielmehr werden in den computermedierten Vorgang zur technogenen Konstruktion von zwischenmenschlicher Nähe neue Verfremdungsmechanismen und Entfernungsinstanzen zwischengeschaltet. Hier werden wohlweislich die vormals im Zuge der mikrotechnologischen Errungenschaften zwischen entfernt voneinander lebenden Menschen kompensierten Grenzen und Barrieren der Kommunikation, Interaktion und des Informationsaustauschs wieder zu einer digital divide errichtet, die einem mediatisierten Verteilungsverfahren gleicht, in dem die Migranten über die Fülle, die Dimension, den Inhalt und die Spannbreite der via Skype zum Ausdruck gebrachten Informationen bestimmen. Auswanderer beanspruchen angesichts des Gefühls von Kontrollierbarkeit und Einengung bei diesem virtualisierten kulturellen Aushandlungs-, Verortungs- und Distinktionsprozess einen aktiven Rollenstatus, mit dem Ziel, eine nach ihren Vorstellungen konzipierte Interpretation der Diaspora-Wirklichkeit dem sich der Sesshaftigkeit verpflichteten Bundesbürger zu repräsentieren, die nicht uneingeschränkt ein Abbild der tatsächlich gelebten sozialen Wirklichkeit in Sydney darstellt, sondern eher Homogenisierungs- und Nivellierungstendenzen erkennen lässt (Dracklé 2007: 210f.). Zusammenfassend kann hervorgehoben werden, dass Immigranten mittels des Computerprogrammes Skype und den verhältnismäßig neuen technologischen Fortschritten des Internets einer nach ritualisierten Handlungsrhythmen ausgerichteten und spezifischen Nutzungspräferenzen folgenden Kulturpraxis nachgehen, in der wir einen Indikator für den Transnationalisierungsprozess migrantischer Lebensweisen erkennen, „by which immigrants build social fields that link together their country of origin and their country of settlement“ (Glick Schiller/Basch/BlancSzanton 1992: 10). Netzbasierter Dialog bedeutet auf die Praktiken der Auswanderer angewandt eine „Kommunikation mit bereits vorher gekannten Kommunikationspartnern im Sinne einer virtuellen Re-Integration von sozialen Beziehungen“ (Schönberger 2001: 190). Wie wir gesehen haben, entsteht im Zuge von Wanderungsdynamiken und interkontinentalen Migrationsbewegungen bereits kurz nach dem Verlassen der Herkunftsgesellschaft ein Bedürfnis mit den Zurückgelassenen eine Verbindung aufzubauen, für die in den unterschiedlichen Zeitphasen während der zweiten Hälfte des letzten Säkulums und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in unterschiedlicher Intensität zahlreiche Kommunikationsmedien verwendet wurden bzw. gegenwärtig immer noch verwendet werden. War der sporadische Gebrauch des Telefons bis in die späten 1990er Jahre noch durch Faktoren wie Zugänglichkeit und hohe finanzielle Kosten bestimmt, so bedingte die mikrotechnologische Revolution ein Erodieren althergebrachter Strukturen und verhalf seit der Jahrtausendwende internetbasierten Kommunikationstechnologien wie Skype, Chat, E-Mail und Instant-Messenger zu gesellschaftlicher Dominanz. Das zwischen geografisch weit auseinander lebenden Menschen stark ausgeprägte Mitteilungsbedürfnis in Kombination mit den neuen technischen Möglichkeiten, über die digitalen

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 553

Medienwelten ihre alltäglichen Erfahrungen aus Sydney zu diskutieren, Informationen aus Deutschland auszutauschen und mit den Daheimgebliebenen neue Loyalitätsbündnisse aufzubauen bzw. bestehende zu bekräftigen, leitet neuerlich über zum Konstruktionsgehalt einer über transnationale Grenzen hinweg etablierten ethnischen Identität. Gerade die annähernd unerschöpfliche und frei zugängliche Ressourcenvielfalt des Web 2.0 und seiner nutzergenerierten Inhalte stellen für die mit Medienkompetenzen ausgestatteten Migranten eine Plattform dar, die dazu einlädt, vermittels der virtuellen Ausdrucks- und Identitätsbildungsmöglichkeiten eine hybride, poröse, liquide und ephemere Selbstverortung zwischen der Aufnahme- und der Herkunftskultur vorzunehmen. Niels Zurwaski sprach bereits vor einiger Zeit von der „Virtuellen Ethnizität“ (Zurawski 2000). Die in diesem Kapitel dokumentierten Teilkomponenten der mediascapes deutscher Auswanderer in Sydney forcieren die Herausbildung transnationaler soziokultureller Referenzsysteme, die abseits der linear-unidirektionalen Entwicklung des „Aufbrechens, Ankommens und sich […] Integrierens in der Ankunftsregion“ (Pries 1998: 63) ihren Verlauf nehmen und dazu beitragen, die bestehenden, nationalstaatliche Grenzen übergreifenden soziokulturellen Verflechtungsverhältnisse zwischen Australien und Deutschland nachhaltig zu transformieren. Kurz formuliert: Die audiovisuellen Möglichkeiten der computermedierten VoIP-Software Skype bzw. des Massenkommunikationsmittels Internet sowie das hiermit einhergehende kopräsente Interagieren in mehreren kulturalen Welten strukturiert die Lebensführung der Migranten dauerhaft plurilokal. 6.2.5 Infobahn Australia: Portal der deutschen Szene in Australien Das internetbasierte „Ethnoportal“ Infobahn Australia versteht und profiliert sich bei der nahezu unüberschaubaren Fülle an mehr oder minder professionellen Beiträgen über Australien in den multimedialen Netzwelten, so die in Sydney lebende und für diese Onlineplattform arbeitende Journalistin Barbara Bartel, als „die“ zentrale Instanz bei der Verbreitung von Informationsressourcen über den Fünften Kontinent in deutscher Sprache. Die unter der Domain infobahnaustralia.com.au erreichbare Internetpräsenz erfüllt mit ihrem heterogenen Spektrum an Angeboten, Tipps, Hilfestellungen, Ratschlägen, Hintergrundberichten und Auswanderergeschichten, die allesamt über die übersichtlichen Hyperlinks und Frames zu erreichen sind, alle wesentlichen Kriterien einer internetmediatisierten und nach nutzergenerierten Netzwerkstrukturen arrangierten Begegnungsstätte einer Onlinecommunity. Deren Mitglieder können an dieser Stelle des Web 2.0 sowohl interaktiv ihre eigenen Erfahrungen in einem „Australien Chat“ austauschen als auch die von der Redaktion bereitgestellten Artikel passiv konsumieren. Für die Informationsgenerierung der User – angesprochen werden in erster Linie Australienfans, potenzielle Auswanderer, Urlaubsreisende und nicht zuletzt bereits in der Diaspora Australi-

554 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

en lebende Migranten mit Deutsch als Muttersprache bzw. deutschen Sprachfertigkeiten – stehen zunächst zehn Rubriken mit mehreren Untergliederungen zur Verfügung, die via Mausklick Informationen auf dem Bildschirm erscheinen lassen, die allesamt zur Transnationalisierung eines interkulturellen Verständnisses über den im Zentrum des Interesses stehenden Kontinent beitragen. Die erste Rubrik mit dem Titel „Community“ vereint mehrere Artikel zum deutschen Leben in Australien, nennt landesweite Adressen von deutschen, österreichischen bzw. schweizer Restaurants, Bäckereien, Metzgereien, Cafés und Konditoreien und informiert über die klassischen Anlaufstellen wie Goethe-Institut, Kirchengemeinden, binationale Hilfsorganisationen und deutsche Auslandsvertretungen. Darüber hinaus wird Auskunft über die wichtigsten Medienofferten wie nationale Tageszeitungen und Wochenzeitschriften sowie ethnische Radio- und Fernsehanstalten gegeben. Unter dem Ressort „Australien-Index“ findet sich ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis mit zahlreichen wichtigen Begriffen, darunter beispielsweise Erklärungen zum Royal National Park Sydney, dem Department of Immigration and Citizenship, einem Service für beglaubigte Übersetzungen, Informationen für Backpackers bzw. Einreisende unter der Visumskategorie Work & Travel, den Fristen zur Anmeldung von schulpflichtigen Kinder bis hin zu Zollbestimmungen, mit deren Hilfe sich die Nutzer einzelne Aspekte des gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Lebens in Australien erschließen können. In der Unterkategorie „Städte und Regionen“ gewähren journalistisch aufbereitete textuelle Darstellungsformen Einblicke in die von der deutschsprachigen Gemeinschaft in Australien institutionalisierten Vergesellschaftungsformen in den fünf Bundesstaaten sowie der Australian Capital Town Canberra, wobei eine deutliche Konzentration der Aktivitäten auf New South Wales und Queensland zu verzeichnen ist. Da im Zeitalter der Internationalisierung ursprünglich nationaler Arbeitsmärkte ein erhöhtes Interesse an der interkulturellen Erfahrungssammlung bei Arbeitssuchenden, Praktikanten und Studenten besteht und gleichzeitig deutsche und australische Firmen bzw. Unternehmen Down Under kompetente Mitarbeiter suchen, zielt das Ressort „Jobs in Australien“ darauf ab, Interessierten den australischen Arbeitsmarkt näherzubringen, auf die veränderten Grundvoraussetzungen wie Rahmenbedingungen bei einem Bewerbungsverfahren hinzuweisen, Vermittlungsagenturen auf ihre Erfolgsquote zu evaluieren und aktiv bei der Vermittlung von Stellenangeboten als Berater zu fungieren. Gerade Menschen, die sich akut mit dem Gedanken befassen, Deutschland den Rücken zu kehren bzw. jenen, die diesen Schritt in der noch jungen Vergangenheit vollzogen haben und bereits in Australien leben, bietet der Sektor „Tipps für Einwanderer“ bzw. die darauf aufbauende Unterabteilung „Erste Schritte“ ein reichhaltiges Konvolut an themenspezifischen Textbausteinen. Aufschlussreiche Vermerke zu privaten und damit gebührenpflichtigen Einwanderungsagenturen, den so genannten migration agencies, und Informationen zu Visumsbestimmungen finden hier genauso ihren Niederschlag wie Mitteilungen über das Gesundheitssystem

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 555

(Medicare), die soziale Absicherung (Centrelink), Sprachkurse für Erwachsene, die Beantragung einer für die Aufnahme eines Arbeits- bzw. Entlohnungsverhältnisses unbedingt notwendigen taxfile number, die Eröffnung eines Bankkontos und die Qualifikation zur Erlangung eines australischen Autoführerscheins. Das Webportal Infobahn Australia übernimmt mit der selektiven Platzierung von textbasierten Service- und Ratgeberdarstellungen an dieser Stelle die Funktion einer gewichtigen und häufig konsultierten virtuellen Anlaufstelle für angehende Immigranten sowie Eingewanderte in der ersten Phase der Akkulturation an bestehende Gesellschaftsverhältnisse. Aus den Problemkonstellationen vorheriger Migrationsbewegungen und den daraus abgeleiteten Integrationsstrategien entstand ein vielschichtiges kulturelles Erfahrungswissen, das auf dieser Homepage in komprimierter Form präsentiert wird, um den Nutzern einige Leitmaxime mit auf den Weg zu geben. Literarisch an die auf Eile konditionierten Konsumgewohnheiten der Internetsurfer angepasste Auswanderungsgeschichten, Migrantenschicksale und Porträts von bewegten Lebensformen transportieren eine vermeintlich authentische Aufklärung über Anpassungsprobleme, den Kulturschock, identitäre Krisensituationen und die romantisierten, exotisierten und theatralisierten Vorzüge des Lebens auf der anderen Seite des Globus. Beabsichtigt wird hier zunächst eine emotionale, symbolische und kognitive Stimulierung des Auswanderungstraums am Rand der historischen Kartografie mit Hilfe von Text- und Bildanimationen, die so arrangiert sind, dass sie die bei den in der Bundesrepublik lebenden Usern bestehende Sehnsucht nach Freiheit und Ferne bzw. dem sprichwörtlichen Platz an der Sonne mit Blick auf blauen Himmel und türkise Pazifikwogen steigern. Die potenzielle Aufnahmenation Australien wird zunächst in einem stark verklärten, idealisierenden, romantisierten und von stereotypischen Darstellungsformen determinierten Mosaikbild visuell konstruiert, in dem eine Brigade braungebrannter und muskelgestärkter Rettungsschwimmer, ein lässig-freier Lebensstil des ordinary bloke genauso seinen angestammten Platz besitzt wie der aus der Vergangenheit in die Gegenwart projizierte Pioniergeist der alten Sträflings-, Schafscherer- und Goldgräberkumpanei, ein Kulturzug, der sich laut der Onlinejournalisten im Australian mateship einer ungebrochenen Kontinuität erfreut. Die kulturelle Fremdkonstruktion, hier eher Postkartenidylle als „objektives“ Abbild der Wirklichkeit, wird komplettiert durch das vorgeblich insulare Glück der Bewohner, die nicht nur mit einer Fülle von Naturschönheiten gesegnet sind, sondern angesichts ihrer isolierten geografischen Lage das weltpolitische Geschehen eher phlegmatisch aus der Ferne zur Kenntnis nehmen. Gleich nach dem Motto: Die Erde kann aus den Fugen geraten, aber solange in Australien das Rugbyei durch die Torpfosten getreten bzw. ins Malfeld getragen wird, die Pferde im Sprint über die Rennbahn galoppieren, der Bowler das Wicket trifft und dabei die Pubs und Wettbüros geöffnet haben, ist ein von Sorgen befreites Leben gewährleistet. Innerhalb dieser nach dem Strickmuster beliebter Fernsehformate wie Goodbye Deutschland. Die Auswanderer oder Mein neues Leben konzeptionalisierten Berichte steht neben

556 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

der Verbreitung von lebensnahen Empfehlungen zur Bewältigung der alltäglichen Praxis in der Fremde zudem eine Befriedigung des Voyeurismus der Rezipienten, denn hier kommen nicht nur positiv konnotierte Emotionen und Freude zur Darstellung, vielmehr wird der Veranschaulichung von interkulturellen Überraschungen, Verunsicherungen und Enttäuschungen Raum geboten, die bei den Konsumenten neben Mitleid auch Schadenfreunde hervorrufen. Aus der Befragung ausgewählter Auswanderer zur Begehung eines spezifischen Jahresfestes entstand auf dem Migrantenportal das Onlinefeature „Wie deutsche Auswanderer Down Under Weihnachten feiern“, in dem O-Töne der Diasporabewohner die Form der journalistischen Gestaltungsweise beherrschen. Die Problematisierung bzw. Polarisierung dieses transkulturellen Phänomens aus der ethnisch etikettierten öffentlichen Sphäre des Einwanderungslandes, bei dem nicht minder ein Konfliktpotenzial mitschwingt bzw. die Frage nach der Loyalität aufgeworfen wird, generiert einen hohen emotionalen Wiedererkennungswert, weil die aus der Warte der Experten formulierten Aussagen bzw. die narrativen Diktionen allesamt die gleiche ambivalente Struktur in Bezug auf Weihnachten aufweisen. Den Wanderern zwischen den Welten wird hier die Gelegenheit geboten, als Sachverständige beide Kulturen miteinander zu vergleichen, das Mit- und Nebeneinander von Handlungen, Bedeutungs- und Wertekonstellationen zu erhellen und die von Bhabha entworfene Position der between identities im hybriden Dazwischen für sich zu beanspruchen (Bhabha 1994a). Solche Selbstzuschreibungen und qualitativen Aufwertungen der eigenen, vorgeblich durch interkulturelle Erfahrung erlangten Fähigkeit zur kompetenten Urteilsbildung, die ein spielerisch-leichtes Bewegen zwischen den Kulturen absolut setzt, dienen hierbei vielmehr der Inszenierung und Exotisierung des Selbst als einer möglichst lebens- und alltagsnahen Deskription der tatsächlichen Verhältnisse der sozialen Wirklichkeit im lokalen Setting. Besonders in dem von dialogischen Kommunikationsstrukturen geprägten virtuellen Diskussionsforum, in dem durch die Frage-Antwort-Methode bzw. den regen Austausch von Erfahrungen, Meinungen, Know-how, Gedanken und Stellungnahmen ein kulturelles Wissen digital archiviert wird, finden sich unter den verschiedenen Threads rund um die thematische Agenda „Einwanderung“ mannigfaltige Ratschläge und Hilfestellungen. Registrierten Mitgliedern der Onlinecommunity (Rheingold 2000: 381) wird hier die Möglichkeit geboten, mit Mitgliedern der Diasporacommunity eine transnationale Verbindung aufzubauen, sich an der Weisheit der Vielen zu nähren und durch die technogen hergestellte Nähe als Frage- und Bittsteller von historisch verbürgten, vergütungsfreien und (möglicherweise) zukünftige finanzielle Aufwendungen einsparenden Spezialistenkenntnissen zu profitieren. Schenken wir den Geldausgaben für Flugverkehr, die transkontinental operierende Spedition, diverse Behördengänge, Immigrationsagentur, Übergangswohnung und Lebenshaltungskosten Aufmerksamkeit, wird recht schnell deutlich, dass für den auf Dauer angelegten Schritt in Richtung Australien ein nicht zu gering anzusiedelndes Startkapital notwen-

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 557

dig ist. Gerade deshalb entfaltet sich in diesem Auswandererforum eine lebhafte Diskussionskultur, denn das hieraus generierte kulturelle Kapital in Form von subjektivem Erfahrungswissen von Experten versetzt die künftigen Migranten in die Lage, in der näheren Zukunft Geld zu sparen.77 In der Sache kundige und mit einer technischen Medienkompetenz ausgestattete Wanderer ziehen bei ihrer Argumentation einen enormen Vorteil aus ihrem kulturellen Mehrfachbezug bzw. dem versierten Umgang mit mehreren kulturellen Codizes und leisten damit nicht nur bei dieser Konversation zwischen den Kulturen eine bemerkenswerte Übersetzungsarbeit (Hall 1993; Sinclair/Cunningham 2000: 23), sondern tragen maßgeblich zur Etablierung und Pflege eines diaspora knowledge network (Meyer/Wattiaux 2006: 6ff.) bei. Des Weiteren ist die offene Struktur des Forums ein Tummelplatz für die Diasporabewohner selbst, denn die hier ebenfalls einer dialogischen Binnenstruktur folgenden postings von Migranten für Migranten thematisieren die Lebenserfahrungen in der kulturellen Fremde, zeichnen ein eidetisches Abbild von alltagsweltlichen Differenzen und versuchen mit emotionalen Beistands- und Solidaritätsbekundungen sowie genuin praktischen Empfehlungen den Problemkonstellationen der Schicksals- bzw. Leidensgenossen Abhilfe zu verschaffen. Informationsgenerierung bzw. der Drang nach Alltagserlebnissen ist konstitutives Charakteristikum dieser ethnischen Portale (Reggi 2010: 127). Aus den in den virtuellen Netzwelten verhandelten kollektiven und imaginären Identitäten emergiert ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit, deren Basis auf der zumeist widersprüchlich erlebten sozialen Wirklichkeit in der Residenzkultur gründet. Vermittels eines fortbestehenden virtuellen Informationsaustauschs formen Menschen mit kohärenten Interessenlagen auf dieser internetbasierten Plattform eine community of practise in Bezug auf die Wissensdomäne „Australienauswanderung“ und entwickeln aufgrund der nutzergenerierten Beiträge, die Probleme, Lösungsvorschläge und Einsichten gleichermaßen thematisieren, eine eigene und gemeinsam geteilte Expertise (Genath/Boden 2005: 15f). Die für die redaktionelle Erstellung sowie die Betreuung

77 Am Beispiel der Webseite New Vision, auf der die Mitglieder der aus Äthiopien sowohl freiwillig als auch im Zuge externer Zwangsfaktoren nach Großbritannien migrierten Gemeinschaft eine internetmedierte Plattform des Informations- und Gedankenaustauschs etablieren konnten, weist Georgiou mit Rekursnahme auf die Wissen vermittelnde Funktionalität dieser Diskussionsforen hin, dass die hier präsenten vielen Stimmen der Heterogenität der Problem- und Konfliktstellungen Rechnung tragen: „This example also indicates very clearly how the Internet, more than any other medium, can become the space where new migrant communities lacking numbers, resources and know-how can develop alternative mediated spaces. For transnational communities, such as the Ethiopian, the immediacy and access to community information and communication on the Internet reflect the visibility that a communtity needs for surviving in its connectivity and its imagining“ (Georgiou 2005: 493f.).

558 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

der zahlreichen Textbeiträge verantwortliche Korrespondentin Barbara Bartel äußerte sich über die Medienpräsenz der Infobahn Australia wie folgt: „Die Seite selbst gibt es ja schon seit Langem. Der Kollege, mit dem ich die Seite zusammen mache, hat die ins Leben gerufen, aber die hatte nie viele Inhalte. Also die habe ich in den vergangenen zwei Jahren da drauf gegeben, einfach weil er gesagt hat: ,Wir wollen das jetzt mal versuchen, richtig aufzubauen.‘ Finanziell hat sich das für uns leider nicht niedergeschlagen, muss ich gestehen. Weswegen wir auch überlegen, wie wir dies umstrukturieren können. Ich denke, von unseren Userzahlen sind wir explodiert in den vergangenen zwei Jahren. Wir haben inzwischen zwischen 40 und 50.000 unabhängige Klicks im Monat und die Leute nutzten das hauptsächlich für die Themen ,Auswandern‘ und ,Jobsuche‘ und ,Wirtschaftsthemen‘. Das sind so die begehrten Sachen und da gab es eben vorher eben meines Wissens nichts im Internet.“78

Um die Internetseite finanziell lukrativer zu gestalten, gliederten die Betreiber zahlreiche, das hier konstituierte Wissensgebiet abdeckende Werbeannoncen von den der deutschen Sprache mächtigen Dienstleistern in Australien wie zum Beispiel Logistikunternehmen, Steuerberatern, migration agents, Übersetzungsdiensten, Rechtanwaltskanzleien, Standesbeamten, Arztpraxen, Tourismusexperten, Immobilienberatern und Handwerkern in die virtuelle Domain ein. Mit der merkantilen Ambitionen folgenden Anpreisung des Gastronomiebetriebs Hofbräukeller in The Rocks oder Rudi’s German Butchery in Kirrawee unterziehen die Betreiber den als „typisch deutsch“ klassifizierten Ressourcen der Identifikation mittels gängiger „Formate des Web-Mainstreams“ (Androutsopoulus 2005: 302) eine mit Strategie betriebene Ethnisierung: „Rather surprisingly, even websites that focus on ethnic and racial identity and community, often possess interface design features that force reductive archaic means of defining race upon the user. This produces a new kind of cybertyping, one that encompasses the user’s racial identity with the paradigm of the ,clickable box‘ – one box among many on the menu of identity choices“ (Nakamura 2002: 101f.).

In der am rechten Rand der Seite befindlichen Google-Anzeigen-Liste finden sich mit Verlinkungen zu Billigflügen, Arbeitsagenturen, Hochschulangeboten zwecks der interkulturellen Weiterbildung und Reiseveranstaltungskonzernen direkte absatzmarktorientierte und die bereits im Interviewauszug erwähnten Hauptthemen der Onlinecommunity berücksichtigende Konnexe. Die Inhalte der virtualisierten Inserate sind somit individuell auf die Interessen der User abgestimmt, was unwei-

78 Zitat aus dem Interview mit Barbara Bartel, datiert auf den 15.04.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 559

gerlich zu einer erhöhten Klickrate führt und damit die Kommerzialisierungsbestrebungen der Betreiber des Internetportals erkennen lässt. Das in diesem Kapitel vorgestellte, von Mitgliedern der ethnischen Minderheit deutscher Immigranten sowohl für aktuell in Australien lebende Menschen als auch zukünftige Auswanderer und allgemein am Fünften Kontinent Interessierte konzipierte Portal verknüpft Informationen aus der und über die Herkunftskultur mit Berichterstattungen über das deutschsprachige Leben bzw. über aktuelle politische, soziale und kulturelle Geschehnisse im Residenzland. Für die durch ethnische Zugehörigkeit definierten Mitglieder der Onlinecommunity besitzt das Webangebot neben dem Amüsement und der Geselligkeit die Funktion des Austausches von Erfahrungen, Positionen und Meinungen sowie von allgemeinen Aspekten der zwischenmenschlichen Vergesellschaftung. Als ethnische Identitätsagentur figuriert die zahlreiche kommunikative Interaktionsmöglichkeiten anbietende Webseite Infobahn Australia insofern, als dass sie einerseits die in dieser empirischen Studien untersuchten Auswanderer in der medialen und virtuellen Öffentlichkeit des Internets repräsentiert. Anderseits stellt sie für die von den Nutzern mit Bedeutungsrelevanz belegten und kommunizierten Inhalte Wiedererkennungsbezüge bereit. Als zentraler Anknüpfungspunkt gilt die diasporische Lebenskonstellation der eingewanderten deutschen Minorität in Australien und deren „common values or ethos“ (Reminick 1983: 11). Zu diesen nach ethnischen Präferenzlinien verlaufenden Nutzungsverhalten in den Netzwelten schreibt Lisa Nakamura: „Users can express their subjectivity while mouse clicking their way through the web; they create their individual paths through the endless series of menues and hierarchical lists. […] However, web interface design, such as that evident in web portals, reveals assumptions about users’ race and ethnicity“ (Nakamura 2002: 101).

Das aus der Gemeinschaft der deutschen Migrantenpopulation in Australien hervorgegangene Internetprojekt zeigt aufschlussreich inwieweit Neue Medien zunehmend genutzt werden, um in den multimedialen Welten des Internets abseits von konkret-territorialen Bezugspunkten virtuelle Lokalitäten zu konstituieren, deren kontinuierliches Frequentieren den Usern Informations- und Orientierungsressourcen anheimstellt, die ihrerseits bei den Mitgliedern der Onlinecommunity eine gruppenspezifische Übereinstimmung sowie eine identitäre Konformität bewirken. Zu bedenken ist an dieser Stelle auch, dass über diese technogenen bzw. netzmediierten Formen der Repräsentation im social web auch jenen Menschen eine im öffentlichen Diskursraum vernehmbare Stimme verliehen werden kann, die gesellschaftlich marginalisiert sind bzw. deren „kollektive Aushandlungen um Zugehörigkeit bisher ausschließlich Fremdzuschreibungen unterworfen waren“ (Enders/ Weibert 2009: 346; Mohr de Collado 2005: 159f.).

560 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

6.3 D ER EXKLUSIVE B ILDUNGSWEG : DIE G ERMAN I NTERNATIONAL S CHOOL S YDNEY UND DIE DEUTSCHE S ONNABENDSCHULE „Die deutsche Schule ist eine gute Schule. Das kann ich wirklich doch sagen, nicht weil ich dort Lehrer bin, die Kinder gehen auch nicht dort zur Schule, weil ich dort unterrichte, sondern weil ich von dem, was da passiert, überzeugt bin. Das läuft ganz anders als das, was man aus Deutschland kennt, ja das ist auch gut so. Wir hängen am langen Arm der deutschen Bildungsbehörden und die Aussies auch so ein bisschen, wir müssen da irgendwie zwei Herren dienen und wir suchen uns das Beste raus und das, was die Kinder hier mitkriegen und das ganze Umfeld, das ist schon klasse, das ist die klassische Bilingualität. Die Kinder können auch noch Deutsch und lernen auch noch Französisch dazu. Ich finde das, und ich spreche da auch für meine Frau, das ist die perfekte Schule für unsere Kinder. Ist natürlich Privatschule und kostet Geld, aber gut. Wir haben einfach ein ganz gutes Gefühl dabei.“79

Im Zuge der akzelerierenden transnationalen Ausrichtung der migrantischen Lebensweisen sowohl auf einer globalen Makro- als auch auf der hier zur Debatte stehenden Mikrobene Sydney lässt sich bei Eltern mit Migrationshintergrund ein kulturelles Phänomen beobachten, das auf die Nationalgrenzen überspannende Erziehung ihrer Kinder ausgerichtet ist. Ein Teil der in das Setting dieser Studie einfließenden Erziehungsberichtigten schreibt ihre Kinder an der in Terry Hills lokalisierten privaten und schulgebührenpflichtigen German International School Sydney ein, die ihr Curriculum an deutschen und australischen Lehr- und Lernbestimmungen bzw. vermittelten Inhalten ausrichtet und somit ihre Schüler auf eine transnational gelebte Existenz vorbereitet (Glick Schiller/Basch/Szanton Blanc 1997: 122). Im Vergleich zu staatlichen Bildungsinstitutionen (public schools) in Sydney legen deutsche Eltern bei der schulischen Sozialisation in der Vor- wie Grundschule und Primär- und Sekundärstufe großen Wert auf die bilinguale Ausrichtung des Unterrichts sowie die Eingliederung eines grenzüberschreitenden Wissensmanagements. Das im australischen Schulsystem durchaus virulente Defizit der nur unzureichen-

79 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 561

den Vermittlung von Sprach- und Kommunikationskompetenzen registrierend, positioniert sich die 1989 gegründete Schule, die sowohl dem Bord of Studies von New South Wales als auch den vom deutschen Kultusministerium festgelegten Lehrplänen verpflichtet und als German School Johannes Gutenberg. Limited by Guarantee beim Department of Education registriert ist, als deutsche Auslandsschule mit ihrem mehrsprachigen Angebot auf dem australischen Bildungsmarkt. Neben den in je nach Altersstufen und Beherrschungsgrad variabel eingesetzten Unterrichtssprachen Englisch und Deutsch wird darüber hinaus die Erlangung von französischen Sprachkenntnissen in das Curriculum eingespeist. Den Schulabschluss bildet mit dem International Baccalaureate eine international anerkannte Zugangsberechtigung für das universitäre Hochschulstudium (Giesler 2006: 59). Die aus der corporate culture hervorgehende interne bildungspolitische Zielsetzung der Schule, die sich strategisch im Konkurrenzverhältnis zum australischen Schulsystem in Stellung bringt, besteht darin, junge Menschen „auf das Leben in einer globalisierten, internationalisierten Welt vorzubereiten“ und ihnen einen „Vorteil im globalen Wettbewerb in der Welt von morgen“80 zu verschaffen – dies in erster Linie vermittels der intensiven Unterrichtung von mehreren Sprachen. Denn in einem von zahlreichen kulturellen Einflüssen determinierten Land wie Australien und in einer stärkere Züge der Transnationalisierung aufweisenden sozialen Lebenswirklichkeit der Migranten stelle dieses Wissen nicht nur eine zwischenmenschliche „Schlüsselqualifikationen“ dar, sondern bedeute im zunehmenden Maße auch „greifbare Vorteile für die beruflichen Perspektiven“.81 Gilbert, gleichzeitig Lehrer und Pädagogischer Direktor, sieht vor allen Dingen in den kleinen Schulklassen, den bildungsinteressierten und -nahen Eltern, den dadurch kaum bestehenden Disziplinarproblemen und den nach dem mehrjährigen Umzug der Schule in das neue Domizil in Terry Hills vorhandenen „state of the art facilities“82 wie IT-Arbeitsplätzen, einer fachspezifischen Technikausstattung, einer gut aufgestellten Bibliothek sowie einer Mehrzwecksporthalle relativ günstige Rahmenbedingungen, die ihn dazu animierten, von einem „kleine[n] Paradies für Lehrer […] an einem der attraktivsten Standorte überhaupt“83 zu sprechen. Der insgesamt über sechs neue Gebäude verfügende Bildungskomplex führt seine Tradition als im Jahre 1998 ausgezeichnete Umweltschule insofern weiter, als dass bei der baulichen Realisierung auf die Installation einer Solaranlage, wasserloser Urinale, eines Auffangbeckens für Regenwasser und eines Systems zur Mülltrennung Wert gelegt wurde. Bereits bei den jüngsten Mitgliedern der Schülerschaft wird in dem grünen und von der Na-

80 http://www.germanschoolsydney.com/?action=page.view&page=500. 81 Ebd. 82 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 83 Ebd.

562 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tur bestimmten Einzugsgebiet des Vororts Terry Hills ein Bewusstsein für die Vulnerabilität der australischen Naturlandschaft gestiftet. Klaus R. Hug spricht in seiner bereits im Jahre 1994 publizierten empirischen Studie über das deutsche Bildungspendant in Rom von den so genannten „Begegnungsschulen“, die von der Bundesrepublik finanziell gefördert werden und einen dualistischen Charakter besitzen: Einerseits definieren sich diese durch die pädagogische Ausbildung der Kinder deutscher Staatsangehöriger außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik, andererseits intendieren sie mit ihrer nahezu gänzlichen Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit die reziproke geistige Erfassung und Aneignung der fremden Kultur (Hug 1994: 3). In Umberto Ecos Festrede zum hundertjährigen Anniversarium der Deutschen Schule in Mailand 1987, die Krug zitiert, weist der Italiener darauf hin, dass die in diesem Bildungszweig forcierte „sprachliche Flexibilität“ die Grundlage für eine „kulturelle Flexibilität“, dies meint eine Entwicklung von kognitiven Kompetenzen, die multiperspektivisches Denken erlaubt, sei (Eco 1987: 19). Das Hauptmotiv, weshalb deutsche Eltern sich dazu verpflichtet fühlen, alle negativen Folgeerscheinungen einer nach wie vor durch expats-Kinder geprägten Bildungsanstalt auszublenden und ihre Nachkommen an einer deutschen Auslandsschule anzumelden, liegt ohne Zweifel am mit kontinuierlicher Regelmäßigkeit verbalisierten Interesse, die deutsche Muttersprache nicht auf Kosten des Erwerbs der englischen Sprache zu verlieren. Aus der emischen Perspektive lässt sich deutlich der Gedanke zwecks der Bewahrung und Pflege spezifischer Sprachfertigkeiten erkennen. Beat und Gaby Wegener, die anfänglich unter dem Immigrationsstatus der expats aus der Schweiz nach Sydney gekommen sind und sich nach der Erfüllung des Arbeitskontraktes mit ihrer schulpflichtigen Tochter für eine permanente Auswanderung entschieden, artikulierten diese Bestrebungen mit Nachdruck: „Beat: Und irgendwann kam die Sache hinzu, da wussten wir aber schon, dass wir nach Sydney gehen, dass die deutsche Schule dann auch hier ist. Das war dann auch noch so ein Glücksfall. Wir wollten unsere Tochter schon auf die deutsche Schule schicken, weil wir ja auch den Zeitraum von vier Jahren hatten. Und das Wichtigste für uns war, dass sie das Deutsche halten konnte, dass sie sich weiter mit den Verwandten unterhalten kann. Wenn wir zurückgegangen wären, dass wir problemlos den Überstieg gemeistert hätten. Sie war damals drei oder vier, und wenn wir dann direkt mit der australischen Schule angefangen hätten, dann würde sie wahrscheinlich nicht mehr Hochdeutsch sprechen. Schweizerdeutsch schon noch und schriftliche Sprache, aber mit dem Hochdeutsch wäre sie wahrscheinlich nicht zufrieden. Gabi: Das Problem ist dann, dass sie einfach Englisch sprechen. Bei Freunden von uns war das auch so, die Tochter ging dann in die englische Schule und dann sprach die da nur noch Englisch und dann kommt der Zeitpunkt, wo man nur noch Englisch spricht und die Muttersprache komplett verliert. Das wollten wir nicht, wir wollten auf jeden Fall, dass sie das Schweizerdeutsch beibehält, so dass sie mit ihren Großeltern sprechen kann und mit den

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 563

Verwandten, weil die Verwandten nicht Englisch können. Wir sind ja alleine hier, wir haben keine Verwandten hier, und darum haben wir das auf die Schweiz ausgerichtet und wir wollen auch, dass keine sprachliche Barriere da ist. Beat: Das war uns schon wichtig, weil wir haben beide Verwandte in der Schweiz, oder. Viele Cousinen und Cousins, damit sie sich wirklich unterhalten kann. Klar, hier ist Englisch ihre Muttersprache geworden. Wir haben immer gesagt, Englisch lernt sie von alleine, da müssen wir gar nichts groß etwas dazu tun, das kommt automatisch. Viel wichtiger ist, dass sie das Deutsche behält.“84

Die Ungewissheit einer auf vier Jahre beschränkten Firmenentsendung zwischen Bleiben und Gehen brachte es unweigerlich mit sich, dass transnational ausgerichtete pädagogische Bestrebungen der expats-Eltern85 in Angriff genommen wurden, um eine damals mit der transkontinentalen Arbeitsübereinkunft einhergehende, jedoch später nicht realisierte harmonische Wiedereingliederung der noch jungen Tochter in das nationale Schulsystem des Herkunftslandes zu garantieren. Enge verwandtschaftliche, über den nationalen Horizont hinausgehende Beziehungen, zu deren Aufrechterhaltung die deutsche Sprache eine existenzielle Notwendigkeit darstellt bzw. die beim Verlust dieser ethnizitätsspezifischen Fertigkeiten erodieren würden, werden in diesem Interviewausschnitt als handlungsleitende Beweggründe ins Feld geführt.86 Der hier nahezu irreversibel charakterisierte Wegfall einer der

84 Zitat aus dem Interview mit Beat und Gabi Wegener, datiert auf den 24.10.2007. 85 Auch Familie Pflüger kam 1998 als Versandte auf Zeit nach Sydney, so dass ursprünglich die Anmeldung der Kinder an der German International School dem Grundtenor folgte, ihnen nach den drei Jahren Auslandsaufenthalt die Einlebephase an einer Schule in Deutschland so problemlos wie möglich zu gestalten: „Wir werden jetzt bei unserem Kleinen sagen, wegen der Deutschkenntnisse, versuchen wir den mal für zwei Jahre in die deutsche Schule zu schicken, weil das kann uns die australische Schule nicht bieten. Weil daher wollte ich nur sagen, für eine expats-Situation ist das etwas anderes, als für jemanden, der dauerhaft hier bleibt.“ Zitat aus dem Interview mit Gregor Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 86 Tilmann Ruschmeyer, Vater von zwei Kindern, versucht bereits im frühen Kindesalter seine Zöglinge durch Vorlesen, Sprechübungen und dem Singen von deutschen Liedern für die deutsche Sprache zu sensibilisieren: „Ich muss sie ständig dazu auffordern, das in Deutsch zu sagen, es ist wirklich ein Kampf und Lara ist ein bisschen besser als Edward zur Zeit, das variiert so ein bisschen. Die sind aber sehr gut mit deutschen Liedern, denn der Einzige, der hier singt, bin ich. Lara und Edward können die deutschen Lieder und wir haben heute erst so schön gesungen. Ich kann dir mal ein Video zeigen, das habe ich gerade heute Abend gemacht. Ich bin einfach so deutsch, obwohl ich aus Südafrika bin.

564 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

wohl bedeutungsvollsten Identitätsressourcen, die die vertraute Kommunikationskompetenz unter seinesgleichen mit Sicherheit ist, wird sowohl an der alltäglichen Kommunikation unter Freunden an einer australischen Schule als auch an den in Englisch vermittelten Unterrichtsinhalten festgemacht. Indem Familie Wegener die pädagogische Schulung ihrer Tochter auf die auf bestimmte Zeiten im Jahr beschränkte temporäre Partizipation an den Lebensweisen der Schweiz „ausgerichtet“ hat, macht sie ihre transnationale Orientierung offenkundig, die zumal den Mythos der auf Dauer angelegten Remigration in die alte Heimat am Leben hält. Gerade weil die Auswanderung im Zeitalter des expandierenden internationalen Flugverkehrs und der verbilligten Transportmöglichkeiten seit Mitte der 1990er Jahre von den Gewährspersonen immer öfters als ein transkontinentaler Umzug definiert wird und somit von den Experten das Kriterium der zeitlichen Unbestimmtheit verliehen bekommt, liegt es bei Eltern nahe, ihre Kinder auf alle möglichen Varianten des bewegten Lebensvollzuges vorzubereiten. Da das Wissen über den Verlauf des „Abenteuers Australien“87 keinem der zur jüngeren Migrantengeneration gehörenden Befragten bekannt ist und die Planungssicherheit sich nur bis zu jenem emotionalen Sättigungspunkt erstreckt, an dem die Stadt Sydney keine wahrnehmbare Reizsteigerung mehr entfesselt88, werden Migranten zu solchen Handlungen verleitet. Mit Überlegung stellen die Eltern die bildungspädagogischen „Weichen“89 für die transnational gestimmten Karrieren ihrer Nachkommen und verweisen in diesem Kontext stets auf die Wichtigkeit der Mutilingualität während der schulischen Ausbildung. Die hinter der zweisprachigen Erziehung verborgenen Wünsche fast Anja Kapmeier zusammen: „Ich würde es aber schon gerne sehen, wenn meine beiden Kinder zweimal für ein halbes Jahr alleine nach Deutschland gehen und dort auch zur Schule gehen.“90 Hierbei avanciert die deutsche Sprache zu einem sehr

Ich rede mit meinem Bruder deutsch, ich rede mit meiner Mutter deutsch.“ Zitat aus dem Interview mit Dr. Tilmann Ruschmeyer, datiert auf den 03.06.2008. 87 Zitat aus dem Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 88 „Und wenn es mir hier nicht mehr gefallen sollte, dann gehe ich auch wieder zurück.“ Zitat aus dem Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008./ „Ich kann hier wohnen bleiben, aber ich kann auch morgen wieder zurückziehen, das bleibt ganz uns überlassen.“ Zitat aus dem Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008./ „Ich bleibe jetzt so lange hier, wie es mir gefällt. Und ich glaube, das ist nicht nur für meine Familie ein bisschen Kopfzerbrechen, sondern auch für mich, weil ich schon ganz gerne wüsste, was passiert eigentlich und wo möchte ich sein.“ Zitat aus dem Interview mit Jessica Ebinger, datiert auf den 02.06.2008./ „Und wenn es uns hier nicht mehr gefällt, dann gehen wir wieder zurück.“ Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 89 Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008. 90 Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 565

bedeutungsgeladenen „Stück Kultur“91 bzw. einem kostbaren und differenzgenerierenden Gut, das trotz zahlreicher Erschwernisse in der linguistischen Fremde an oberster Stelle der Agenda deutscher Auswanderer steht. In Australien besitzt die Aspiration zum Erhalt der deutschen Sprache eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Kontinuitätslinie und ist somit eng mit der Immigrationsgeschichte der deutschen Auswanderer verbunden. Johannes Voigt merkte dazu an, dass bereits in den ersten deutschen Siedlungsgebieten in Südaustralien und Victoria in erster Linie informelle Interessengemeinschaften ein konfliktgemindertes liminales Passieren der Akkulturation begünstigten und feste Institutionen wie „Sonnenabendschulen, Gottesdienste und deutscher Gesang“ die fortschreitende linguistische wie kulturelle Assimilation bzw. Anglisierung retardierten (Voigt 1992: 218). Als während der Nachkriegseinwanderungswelle ein großes Quantum an Deutschsprachigen nach Australien kam, deren Kinder jedoch die Sprache annahmen, die in den nationalen Schule, den staatlichen Behörden, den anglokonformistischen Massenmedien und im alltäglichen Gemeinschaftsleben mit australischen Freunden vorherrschte, wurde aufgrund dieses beängstigenden Phänomens der Sprachumstellung 1960 die „Deutsche Sonnabendschule“ gegründet. Der im Jahre 2008 verstorbene Initiator und langjährige Förderer der Sonnabendschule in Sydney, Paul Grunwald, erkannte die durch den Verlust der deutschen Muttersprache an Signifikanz gewinnende Bedeutung zur Organisation einer spezifischen Unterrichtsform bereits in den Jahren unmittelbar nach seiner Ankunft in Australien. Dieses migrantische Engagement zur linguistischen Konservierung des kulturellen Gepäcks ist nicht nur ein bei fast allen ethnischen Gemeinschaften in Australien anzutreffendes Phänomen, sondern lässt sich ferner auf anderen Kontinenten in gleicher Weise beobachten (Fishman 1966; Ders. 1985). In einem Nekrolog auf die „Ausnahmeerscheinung“ Grunwald sieht Dirk Riedle eine prononcierte Zielsetzung auf der Lebensagenda des Gründers: „Daß die Sprache, die er liebte, gepflegt und erhalten bleiben soll. Deshalb gab er seinen aufopferungsvollen Einsatz in und für die Sonnabendschule, deren Seele und Motor er war“ (Riedle 2008: 16). Größtenteils unterrichteten zur damaligen Zeit qualifizierte Lehrkräfte insbesondere jene Kinder, die mindestens ein deutschsprachiges Elternteil besaßen und für die diese, auf wenige Wochenstunden beschränkte didaktische Form eine der wenigen Offerten im Alltag darstellte, um die Erhaltung und zumeist auch Revitalisierung der deutschen Sprachqualifikationen zu akzelerieren. In Bezug auf die Realisierung von transnationalen Karrieren betrachtet Helmut Zeiler die bilinguale Sozialisation seiner in Australien geborenen Söhne aus der Retrospektive als zentralen Kristallisationspunkt, bei der er zweitweise die Angebote der deutschen Sonnabendschule in Anspruch nahm:

91 Zitat aus dem Interview mit Ralf Alpsteiner, datiert auf den 02.11.2007.

566 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

„Und hier, meine drei Söhne sprechen alle fließend Deutsch und die waren natürlich alle schon in Deutschland. Die Leute konnten nicht ausarbeiten, wo sie herkommen. Ich habe immer mit denen Deutsch gesprochen und meine Frau ist Australierin, aber sie spricht fließend Deutsch. Sie hat sie aber immer in Englisch angesprochen, so gab es dann diese zweisprachige Erziehung. Das, was ein Experte gesagt hat, die Kinder identifizieren die Sprache mit einer Person. Ich kenne nur wenig Deutsche, deren Kinder auch Deutsch sprechen, einige können ein bisschen und meine Schwester hat drei Mädchen, die können vielleicht bis zehn zählen. Das ist aber das Einzige, was sie können, mehr nicht. Die hat sich nie so eine Mühe gegeben und hat einfach gesagt: ,Ach, wenn sie zur Schule gehen, dann werden sie das schon lernen.‘ Und das ist ein Problem hier. Die australische Schule, da lernen die Kinder keine Fremdsprache. Da haben sie dann so eine Klasse, da haben sie eine Woche Französisch und eine Woche Spanisch, aber ohne Intensität führt das doch zu nichts. Und die Eltern, die heute Wert drauf legen, die müssen ihre Kinder zu einer deutschen Schule schicken. Hier gibt es ja deutsche Schulen. Ich habe sozusagen meine Söhne zur Sonnenabendschule geschickt, das war aber im Westen irgendwo, da musste man weiter fahren und das war alles weiter weg. Da bin ich eine Stunde mit dem Auto hingefahren.“92

In dieser Passage zur Spracherziehungspraxis und ihren Zielen zeigt sich, dass innerhalb der interethnischen Familienführung die Sprache des Zugewanderten mit der Sprache der australischen Majorität nicht im Entferntesten eine oppositionelle bzw. konkurrierende Relation eingeht bzw. als dichotome Antagonistin betrachtet wird. Ganz im Gegenteil besitzt sowohl bei Familie Zeiler als auch bei zahlreichen anderen Einwanderern eine zwei- bzw. mehrsprachige Strukturierung der alltäglichen Lebensgestaltung eine dominante Rolle, die zudem als ubiquitäres Charakteristikum der deutschen Migrantenkultur in Sydney ausgewiesen werden kann. Das konsequente Beharren auf der multilingualen Prägung, mit der sich Zeiler mittels der Rekursnahme auf „negative“ Beispiele von anderen Deutschen absetzt, erfolgt mit der gezielten Ausrichtung auf transnationale und transkulturelle Lebens- und Erwerbsverläufe der Nachkommen. Dass selbst in Deutschland lebende Bundesbürger bei den Besuchsaufenthalten seiner Söhne kaum sprachliche Divergenzen erkannten sowie der Sachverhalt, dass einer seiner Söhne zum Zeitpunkt der Feldforschung als Research Fellow an der Universität von Göteborg arbeitete, beschreibt er als sichtbare Erfolge des parentalen Ansinnens, das auf die grenzüberschreitende Verknüpfung kultureller Orientierungen und Raumbezüge abzielte. Bestand die ursprüngliche Intention der ethnischen Sonnabendschule Grundwald’scher Auffassung lediglich in der Sicherstellung der Kommunikation mit Eltern und Großeltern, der Vorbereitung auf die touristische Anwesenheit in Deutschland und dem allgemein formulierten Wunsch des Spracherhalts (Clyne 1981: 42), stehen bereits schon

92 Zitat aus dem Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 567

bei Zeiler und den Eltern, die ihre Kinder gegenwärtig zur German International School Sydney schicken, Hintergedanken im Fokus, die die Absicht zur Konstituierung delokalisierter transnationaler Netzwerke signalisieren. Aus der in familiären Kontexten und den deutschen Bildungsinstitutionen grundgelegten Pluralisierung der kulturellen Referenzstrukturen erwächst die Basis von international informierten biografischen Projekten der zweiten Generation. Die Eheschließung mit einer aus Südamerika nach Australien immigrierten Frau erweiterte das identitäre und linguistische Patchwork (Ackermann 2002) der Familien von Ralf Alpsteiner um eine weitere Sprache, so dass in diesem Haushalt neben Englisch als einer Lingua franca auch Deutsch und Spanisch zu den alltäglich praktizierten Verständigungsweisen gehört. Da nicht alle Familienmitglieder alle drei Sprachen gleich gut beherrschen, gehören „Kommunikationsprobleme“93 und Binnendifferenzen zwischen den multilingual codierten Kulturkurien zum Schicksal dieser Familien. Bei der transnationalen Erziehung der Nachkommen kommt es den selbst einen hohen Grad an Mobilität aufweisenden Migranten in erster Linie darauf an, „den Kindern alle Möglichkeiten der Welt offen [zu] halten“94 und ihre zukünftige Lebensweise bzw. ihre zukünftigen Erwerbsbedingungen nicht auf eine Lokalität zu beschränken. In Erwägung gezogen wird von den Eltern eine Vielzahl von erwerbstätigen Alternativmöglichkeiten und Karrieren im plurilokalen Setting des globalisierten Arbeitsmarktes, so dass wir von einer bewusst geförderten „Kapitalisierung“ der „familiensprachigen Fähigkeiten“ (Gogolin 2006: 38) ausgehen können. Sowohl unter Zuhilfenahme der jeweils nur am Wochenende stattfindenden Kurse der deutschen Sonnabendschule als auch dem Ausbildungsangebot der privaten und daher gebührenpflichtigen German International School Sydney bzw. der privaten linguistischen Unterrichtung der eigenen Kinder im alltäglichen Umgang ermöglichen die Auswanderer der Nachfolgegeneration die Partizipation am transnationalen sozialen Raum und bereiten diese somit auf ihren ortspolygamen Lebensweg vor (Beck 1998a: 129). Mit den selbstreferenziellen Worten „we are citizens of the world“95 artikuliert Alpsteiner eine stark an das Hannerz’sche Konzept des Kosmopolitismus

93 Zitat aus dem Interview mit Ralf Alpsteiner, datiert auf den 02.11.2007. Angesichts des häufigen Wechsels der sprachlichen Ausdrucksweise ist es durchaus üblich, dass Alpsteiner in Spanisch verbalisierte Inhalte zwischen seiner Frau und den beiden Kindern nicht mitbekommt und daher Missverständnisse bezüglich Vereinbarungen oder Treffpunkten auftreten. Disziplin und Toleranz dienen hierbei als konfliktmindernde Mittel. Am Abendbrottisch gehört es zur gängigen Praxis, auf Deutsch zu kommunizieren, wenngleich kontroverse Diskussionen in der Regel dazu führen, ins Englische umzuschwenken, einer Sprache, die alle Sprecher mit äquivalenten Qualifikationen beherrschen. 94 Ebd. 95 Zitat aus dem Interview mit Ralf Alpsteiner, datiert auf den 02.11.2007.

568 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

angelehnte Ausrichtung des pädagogischen Sozialisationsprozesses, der die Abkömmlinge in die Lage versetzen soll, lebensweltliche Handlungsfelder zu beanspruchen, die über den kulturellen Gültigkeitshorizont einer Nation hinausgehen bzw. abgekoppelt sind von starren nationalkulturellen Bindungen und daher oft mit dem Gütesiegel cross cultural ausgestattet werden. Zugleich wird mit dieser verbalisierten Manifestation der Auszug des mobilen Menschen aus dem Zeitalter der Sesshaftigkeit erklärt. Negiert wird mit diesem lebensweltlichen Entwurf der flexible citizenship (Ong 1999: 14; Dies./Nonini 1997) die aus einer jahrhundertlangen Entwicklung hervorgehende Tradition, dass ein singuläres Domizil, der Arbeitsplatz, die Familienstruktur, die durch den administrativen Identitätsnachweis verbürgte Kollektivzugehörigkeit bzw. belegten Residenzrechte, die finanzielle Absicherung und der materielle Status stets an das einheitsstiftende Konstrukt der Nation gebunden sind. Dieses ortsfixierte und binnennationale Paradigma wird insofern von den Erziehungsberichtigten als den Anforderungen der gegenwärtigen Welt unangemessen klassifiziert, als dass sie für ihre Kinder die Multilokalität als eine Art zukünftigen Lebensinhalt definieren, die neben Deutschland und Australien zahlreiche andere Bezugspunkte und territoriale Referenzsysteme mit einschließt und daher eine Strategie offenbart, die „an act of connecting rather than an act of distancing“ (Rolshoven 2008: 17) ist. Als persönliche wie biografische Bereicherung des eigenen Humankapitals öffnet die familiäre Mehrsprachigkeit das Eingangsportal zu den plurilokalen bzw. kosmopolitischen Lebenswelten, so dass der nachfolgenden Generation die biografische Perspektive offensteht, „[to] move freely back and forth across international borders and between different cultures and social systems“ (Brettell 2000: 104). Gemäß Akhil Gupta und James Ferguson zeigt sich bei solchen migrantischen Formen der Vergesellschaftung deutlich, dass der sich zwischen einem here und einem there aufspannende Dualismus verschwommene und im hohen Maße liquide Konturen besitzt (Gupta/Ferguson 1999: 38). Die Gespräche mit den direkt betroffenen Eltern förderten neben allen positiv konnotierten Aspekten der mehrsprachigen Erziehung in der deutschen Bildungsinstitution auch zahlreiche Nachteile zu Tage, die Migranten von dem Gedanken abrücken ließen, ihre Kinder in den Genuss eines mehrsprachigen Unterrichts kommen zu lassen. Weil die oft als „expats-Schule“96 typisierte Einrichtung unter die Rubrik der nicht staatlich geförderten Bildungsinstitutionen fällt, sind von den Erziehungsberechtigten hohe Geldsummen aufzubringen, was eine durchaus ernstzunehmende Zugangshürde bedeutet, die bis auf wenige Ausnahmen nur von den finanziell bessergestellten Firmenentsandten aus Deutschland überwunden werden kann. Eine weitere Barriere stellt die verkehrstechnische Erreichbarkeit der im äu-

96 „Die deutsche Schule ist wirklich für Leute, die zurückgehen.“ Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 569

ßeren Norden der 4,5-Millionenstadt Sydney gelegenen Schule dar. Von den zeit-, energie- und kostenintensiven Bring- und Abholfahrten mit dem eigenen Auto wird aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens zu speziellen Tageszeiten Abstand genommen; sie können insbesondere von deutschen Migranten, die in den westlichen, südlichen und östlichen Vororten wohnen, angesichts der täglich zu überwindenden Entfernungen im „big traffic“97 nicht geleistet werden. Eine Verdreifachung der eigentlichen Fahrtzeit während der Phasen des stockenden Verkehrs und die mit dem Zurücklegen großer Distanzen verursachte „Luftverschmutzung“98 werden stets als Gründe angeführt. Zudem gewinnt die im lokalen Nahbereich des bewohnten Vororts ansässige australische Schule ihren Reiz für Eltern dadurch, dass die Kinder ihren multiethnischen Freundeskreis quasi direkt vor der Haustür treffen können, was bei einer mehr oder minder ethnisch geprägten Schule nicht der Fall ist, weil hier zahlreiche Schüler aus diversen Teilen von Sydney zusammenkommen und abseits der Schulzeiten sozialräumlich voneinander getrennt leben. Im Zuge dessen rückt auch neuerlich das integrationspolitische Bedürfnis nach Eingliederung in die australische Gesellschaft in den Vordergrund, da Eltern innerhalb der isolierten „Oase“99 der Deutschen Schule nur eingeschränkt die Möglichkeit offensteht, über die freundschaftlich-schulischen Beziehungen ihrer Kinder Kontakte zu Australiern bzw. Menschen mit einer anderen Nationalität herzustellen. Da das Angestelltenverhältnis des expatriate wie kaum eine andere transnationale Lebensform vom iterativen Rhythmus des Kommens und Gehens determiniert ist, sind die über die Schule geknüpften Bekanntschaften und Freundschaften sowohl bei Schülern als auch den Erwachsenen stets von begrenzter Dauerhaftigkeit. Karen Pflüger, deren Kinder nach einem temporären Aufenthalt in der Deutschen Schule zum Zeitpunkt des Gesprächs die local school mit Nähe zum Wohn- und täglichen Interaktionsraum besuchten, argumentierte in diese Richtung: „Weil die Deutschen, die ich dort kennenlerne, die sind wieder nur alle auf Zeit hier. Die sind nur zwei bis drei Jahre hier und dann sind sie wieder weg.“100 Wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, nehmen der Erhalt der deutschen Sprache sowie die zwecks der Gewährleistung der Länder und Grenzen übergreifenden Biografien gezielte Förderung der Multilingualität einen hohen Stellenwert ein. Das Kommunikationsmedium der deutschen Sprache fungiert hier als wohl einer der signifikantesten Bestandteile der eigenen ethnischen Identität, denn ausschließlich über diese linguistischen Kompetenzen ist es möglich, eine anhaltende transnationale Eingewobenheit zu den familiären Lebensrealitäten in der Bundesre-

97

Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007.

98

Zitat aus dem Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007.

99

Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007.

100 Ebd.

570 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

publik bzw. der Schweiz zu garantieren. Eine mehr oder minder simultane und multiple Verbundenheit zwischen Heimat- und aktuellem Residenzland und die daraus hervorgehende transnationale ethnische Identität wird nur dann für die Zukunft ein von Erfolg gekröntes Lebenskonzept sein, wenn die Aufrechterhaltung der Sprachfertigkeiten im Deutschen gelingt. Dieses Medium verbürgt die Anknüpfung und Partizipation der Auswanderer an die symbolische Diskursgemeinschaft (Zimmer 2007: 54), zu der eine große geografische, jedoch nicht geistige Distanz besteht. Die hier dokumentierten Strukturen der transnationalen pädagogisch-didaktischen Ambitionen positionieren sich abseits von territorial gebundenen Kulturen und Gesellschaften und unterminieren strategisch die Vorrangstellung des nationalstaatlichen Hegemonialanspruchs.

6.4 T HE HOMELAND DESIRE : K ONTUREN TRANSNATIONALER T OPOGRAFIEN DER I MAGINATION ? „Dauert es doch durchschnittlich immer drei Monate bis man wieder Gewißheit hat, was sich in der Heimat ereignet hat. Auch der Wunsch, daß es bald zu Ende sein möge und wir endlich wieder in die Heimat reisen können, ist in diesen Zeiten immer besonders stark. Bei dieser Betrachtung stelle ich fest, daß wir gerade heute vor ein dreiviertel Jahren hier in Australien an Land gegangen sind. In etwa einem Monat beginnt schon wieder Frühling, der dritte, den wir hier in Australien verbringen müssen. Wie viele Male wird es noch Frühling werden, ehe wir wieder daheim sind?“ (Briefkorrespondenz zwischen Hermann Seidel und seiner Frau Charlotte. Südaustralien, den 19. August 1943.)

Das Begehren, stets über die Gewissheit zu verfügen, „was sich in der Heimat ereignet“, war zentraler Movens der Briefkorrespondenz zwischen Hermann Seidel und seiner Frau Charlotte in den Jahren 1942 bis 1944. Als Gewerbelehrer einer deutschen Schule in Teheran wurde Seidel im Zuge des Zweiten Weltkrieges zum prisoner of war und stand nach der Deportation mit seinen Anverwandten im von Kriegswirren überzogenen Deutschland in regem Schriftwechsel. Aus dem in Südaustralien gelegenen Kriegsgefangenenlager Loveday Camp 10 und später Camp 14A berichtete er von seiner in Bälde herbeigewünschten nautischen „Heimfahrt“

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 571

und seinen gehegten Hoffnungen von einem harmonischen Leben an einem Ort, den er mit den emotional bis affektiv belegten Begriffen wie „daheim“ oder „zu hause“ versah. Obskurität über den weiteren Verlauf bzw. die zeitliche Verweildauer des Daseins in der Fremde, Marginalisierung, gesellschaftliche Isolation, Differenzerfahrung und ein Defizit an symbolisch aufgeladener Ortsbezogenheit im aktuellen Residenzland führen am Beispiel von Hermann Seidel, aber auch bei anderen kulturell und territorial entwurzelten Deutschen dazu, dass das vielschichtige Assoziationskonglomerat Heimat zu einem kognitiv konstruierten Refugium der Zuversicht emporsteigt, das während einer desperaten Alltagssituation zur gedanklich profanisierten Sehnsuchts-, Kompensations- und Zufluchtsstätte avanciert. Dies deswegen, weil an dieser stets kulturell imprägnierten Territorialität, so geben uns die idealtypischen Texturen des Begriffs zu verstehen, Handlungssouveränität existiert, die eigene Identität nicht in Frage steht und darüber hinaus kulturell kommunizierte Ordnungen zur identitätsproduktiven Anwendung kommen, die über einen hohen Wiedererkennungswert verfügen. Das elementare Verlangen nach einem derartigen, identitäre Orientierungsmaxime offerierenden Eiland kann zu den anthropologischen Grundkonstanten gezählt werden (Antweiler 2009: 50). Der stets aus der Retrospektive imaginierte Gedanke an die Heimat, die von unterschiedlichen Migranten zu unterschiedlichen Zeiten der erweiterten Gegenwart freiwillig oder unter Einwirkung externer Zwangsfaktoren verlassen wurde, wird in diesem Abschnitt konform zu Appadurai als ein „organized field of social practices“ (Appadurai 1996: 31) verstanden. Die Kompetenz der Migranten, mittels einer subjektiven Vorstellungskraft Abwesendes, Vergangenes, Zurückgelassenes, Verlorenes und hinter dem geografischen – jedoch nicht geistigen – Horizont liegendes Kulturgut im erzählerischen Spannungsverhältnis von scheinbar realer Faktizität und authentisierender Fiktionalität präsent zu machen, gehört nicht nur zu den zentralen selbstrekursiven Schlüsselerinnerungen und Präsentationsmodi innerhalb der Expertengespräche, über die die lebensweltlichen Interferenzen zwischen Australien und Deutschland erschlossen werden können, sondern diese narrativ rekonstruierte Identitätsressource ermöglicht zudem Aufklärung über strukturelle Merkmale der ethnischen Selbstverortung. Auch wenn diese Vorstellungen von den imaginierten Topografien der absoluten Geborgenheit mit kontinuierlicher Regelmäßigkeit in einen essenzialistischen Grundtenor gehüllt sind bzw. kategorisch den symbolischen Idealtypus der verinnerlichten Metapher vom Schönen und Richtigen huldigen, so lassen sich doch aus den migrantischen Bewältigungsstrategien von Heimweh, wie zum Beispiel der Kompensation versprechenden touristischen Visitation Deutschlands, die konkrete materielle wie subjektive Verfügbarmachung von vermissten bzw. ersehnten Elementen sowie über die generellen Praxisformen des „Agierens, Aushandelns, Arrangierens, des Beheimatens wie des Entheimatens“ (Binder 2008: 12) kollektive Wissensordnungen ablesen. Die sich wandelnden Vorstellungen von und über Heimat sind zugleich auch ein Moment aktiver Neudefini-

572 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tion des diasporischen Subjekts. Die von den Grenzgängern verwirklichte Konstruktion der vermeintlich kartografisch nachweisbaren Heimaträume, als reale oder phantasmagorisch erzeugte komplexe Sinnwelten mit kulturellen, sozialen und diskursiven Praktiken und Bedeutungs-, Symbol- und Wertelogiken, wird hier vom actor’s point of view in helleres Licht gesetzt. Wanderungsbewegungen mit ihren multivalenten Konturen des geografischen wie kulturellen displacement bedingen bei ihren Protagonisten radikale Transformationsprozesse, schaffen mit den vorher nicht vorhandenen Unübersichtlichkeiten sowie der Konfrontation mit zwei oder mehreren Referenz- und Loyalitätssystemen einen zeitweiligen subjektiven Zustand der kulturellen Entwurzelung, der schlussendlich in der sentimentalen Rede von dem Weh nach einem ambivalent bis paradox authentifizierten und nobilitierten Heim – dem uranfänglichen, affektiv konnotierten, tief im kulturellen Gedächtnis verankerten und formativ-normierende Kraft besitzenden Ort der Herkunft bzw. der kindlich-jugendlichen Sozialisation – mündet. Die angesichts der fundamental veränderten Lebensbedingungen in den partikularisierten Kontexten der transkontinentalen Passage verspürte, dialektische Züge besitzende Gefühlslage Heimweh ruft stets die neuralgischen Kernfragen bei den Diasporabewohnern hervor: Wo ist meine Heimat? Wo bin ich zu Hause? Wie richte ich mich zwischen der mich umgebenden Nah- und repotenzierten Fernwelt ein? Welche Akkulturationsstrategien verfolge ich, um innerhalb von deformierten, disjunkten, fragmentierten und kontiguitiven Migrationsräumlichkeiten, deren kulturelle Grammatiken und Semantiken antithetisch zur Logik nationaler Hegemonie verfasst sind, ein Selbstwert- und Dazugehörigkeitsgefühl zu generieren? Welche Positionierung nehme ich zwischen einem home, d. h. einem aktuellen Zuhause in Sydney, und einem vor Zeiten hinter mir gelassenen Territorium der Satisfaktion ein, das besonders in der die eigenen Überzeugungen und Erwartungen relativierenden Fremde dank seiner ihm innewohnenden Qualitäten als idealtypische Seinsform Referenzkonjunktur besitzt? Unser Augenmerk richtet sich zunächst auf das kulturelle Phänomen Heimweh, dessen zeitliche bzw. periodische Erscheinungsformen sowie strukturelle Kennzeichen während der Wanderungsbewegung einer analytischen Betrachtung unterzogen werden. Da nach dem Ankommen der Wanderer zwischen den Welten die „Anhaltspunkte für das Navigieren in [der] zersplitterten Welt“ (Geertz 1996: 22) Sydney von einem fremdkulturellen Nebel verhüllt waren, trat gleichzeitig mit dem in der Phase des Akkulturationsstresses (Han 2005: 240ff.) durch die fundamentale Irritation und Erschütterung der gefühlsweltlichen Selbstgewissheit hervorgerufenen Kulturschock ein Erleben von Heimweh auf. Somit ist das subjektive Verspüren bzw. das direkte Verlangen nach einem kulturspezifischen Qualitätskonglomerat aus den heimatlichen Gefilden während der Akkulturation (Redfield/Linton/Heskovits 1936: 149f.) nicht ohne die Konfrontation mit einer unvertrauten Lebenswelt und fremden Sinnstrukturen zu denken. Jenes Stadium der Identitätskonfusion be-

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 573

ginnt jedoch nicht unmittelbar mit der Ankunft in Australien, weil in dieser zeitlichen Frühphase der Migration die bisher kaum bekannte Exotik der Stadt einen dominierenden Einfluss auf die Auswanderer ausübte und die Gefühlswelt angesichts des Abenteuercharakters der Wanderungsbewegung in Richtung Fünfter Kontinent von Aufregung, Euphorie, Begeisterung, Faszination und Freude geprägt ist. Emotionales Erleben der neuen Mit- und Umwelt in Sydney, intensive Hervorhebung der durch die Mobilität für sich gewonnenen Freiheit, positive Bewertung der multikulturellen Stadtbevölkerung, die körperlich-emotionale Inkorporation von symbolisch besetzten Lokalitäten wie Hafenbrücke, Opernhaus und Stadtstränden in die alltägliche Routine bzw. die mental maps sowie eine auf Unkenntnis zurückzuführende Nichtrealisierung von alltagskulturellen Zuschreibungen, die den Zuzügler aus Deutschland als einen Fremden verorten, sind Kennzeichen dieses Frühabschnitts der Einwanderung. In seinem bereits 1960 vorgelegten Phasenmodell zum Kulturschock beschreibt der US-amerikanische Anthropologe Kalervo Oberg diese erste Zeitspanne als honeymoon phase, in der vergleichsweise ein sehr geringes Maß an Stressfaktoren von den Migranten in der neuen Wahlheimat wahrgenommen wird. Karen und Gregor Pflüger beschrieben den Übergang von einer euphorischen Lebensphase zum ersten Empfinden von Heimweh wie folgt: „Gregor: Wir hatten eigentlich nur eine Heimwehphase, dass war im Juno, Juli 2000 und ich glaube, das war eine ganz normale Zeit. Das ist sowie die ersten Jahre, die man hier ist, man schwebt auf so einer Wolke. Karen: Das ist so eine Ferienwolke, das ist wie Urlaub. Gregor: Alles ist ja immer noch neu. Komisch auch mit diesen Papageien hier, die müssen ausgebüchst sein aus dem Zoo. Dann merkt man es aber, ah, die sind öfters hier. Und dann kommt eben so nach einem guten Jahr ein Punkt, wo man merkt, man hat in Deutschland etwas zurückgelassen. Was uns dann sehr geholfen hat, kurz danach waren die Olympischen Spiele in Sydney. Du hast vorher nicht so viel mit Sydney verbunden und dann kam dieses Megaereignis und hat uns so richtig in seinen Bann gezogen.“101

War die anfängliche, sich über ein Jahr erstreckende euphorische Stimmung noch von den neuen Einflüssen einer fremden und in Teilen exotischen Welt geprägt, die in dieser Aussage mit einer Ferienreise gleichgesetzt wird und somit den tradierten Auswanderertraum von einem Leben an Orten, wo andere nur Urlaub machen, aufgreift, so trat zeitlich versetzt „ein unangenehmes Gefühl“102 namens Heimweh auf,

101 Zitat aus dem Interview mit Karen und Gregor Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 102 Zitat aus dem Interview mit Barbara Bartel, datiert auf den 15.04.2008.

574 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

dass unmittelbar mit dem von Oberg konzeptionalisierten Kulturschock in Zusammenhang steht.103 Dem Schwebezustand auf Wolke sieben folgt die ernüchternde Einsicht von Trennungs- und Verlusterkenntnis, d. h., die Migranten werden sich ihrer zurückgelassenen Kultur bewusst, die sie aufgrund der Vorcodierung fernab von Daheim zum Fremden macht (Bock 1970: ix; Greverus 1978: 11). Besaßen die Migranten bis zu diesem identitären Schwellenerlebnis – bei dem sich die Auswanderer vor Augen führten, dass sie „in Deutschland etwas zurückgelassen hatten“ bzw. zum ersten Mal das so genannte Gefühl des Sich-Fremd-Fühlens (BönischBrednich 2002: 214f.) empfanden – die konsolidierten Orientierungssysteme der Heimatkultur mit den zugänglichen Kompositionen und kanonisierten Habitualisierungen von Werten und Normen sowie einem verbindlichen Handlungsleitfaden, resultierte aus der Partikularisierung, Fraktionierung und Dekonstruktion der überlieferten Ordnungslogiken eine gesteigerte emotionale Verwirrung. Der nun einsetzende Kulturschock evozierte den von Utopisierung, Mythologisierung, Purifikation, Romantisierung und Fiktionalisierung kontaminierten Blick auf die verlassene territoriale Imagination und ermöglichte Kompensierung. Das Auftreten von Heimweh ist somit in der Akkulturation an die Lebenswelt der Diaspora von bestimmten zeitlichen Rhythmisierungen abhängig und unterliegt des Weiteren ganz individuellen Anpassungsdynamiken (Wolfrad 1992: 32f.). Tatjana Wiersching hatte „überhaupt kein Heimweh in den ersten fünf Jahren“104 ihres Auswandererdaseins in Sydney, wenngleich das danach folgende Übergangsritual ihrer in München gefeierten Hochzeit mit ihrem australischen Mann gleichzeitig als eine Art liminale und in gewisser Weise Endgültigkeitscharakter besitzende „Abschiedsfeier“105 begangen wurde. Eine Kultur des Abschiednehmens mit zeremoniellem Ambiente, die von Peter Assion und Gunther Hirschfelder bereits bei der Massenauswanderung nach Amerika im 19. Jahrhundert erkannt wurde (Assion 1985a: 127; Hirschfelder 2000: 158ff.), dient hierbei der Kennzeichnung und Verifikation der Trennungssituation, da sich bei diesem doppelten biografischen Einschnitt die Gelegenheit bot, innerhalb eines kulturell normierten rite de passage vor über hundert Menschen,

103 „Culture shock is precipitated by the anxiety that results from losing all our familiar signs and symbols of social intercourse. These signs or cues include the thousand and one ways in which we orient ourselves to the situation of daily life: how to give orders, how to make purchases, and when not to respond. Now these cues which may be words, gestures, facial expressions, customs or norms are acquired by all of us in the course of growing up and are as much part of culture as the language we speak or the beliefs we accept. All of us depend for our peace of mind and efficiency on hundreds of these cues, most of which we are not consciously aware“ (Oberg 1960: 177). 104 Zitat aus dem Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008. 105 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 575

darunter alte Schulfreunde und Familienangehörige, im Kollektiv Abschied zu nehmen. Mit der sozialräumlichen wie annähernd endgültige Charakterzüge besitzenden „Separation aus der bisherigen Identitätsgruppe“ (Greverus 1978: 260) und vor allen Dingen mit dem Eintritt in das deutsch-australische Ehebündnis geht die verpflichtende Entschlussfassung einher, seinen Lebensmittelpunkt auf Dauer fernab der Heimat München zu definieren. Nicht der Abschied an sich löste in der Folge eine pathologische Krisensituation aus, sondern der Beigeschmack der Endgültigkeit des Fortgangs bzw. die hierin ihren Niederschlag findende Gewissheit der Migrantin, ihre hinter sich gelassenen kulturell aufgeladenen Topografien ausschließlich als temporär anwesende Touristin erleben zu können. Auch Stefan Grunberg hat in seinem ersten Jahr in Sydney „wirklich jede Sekunde genossen“106. Als er jedoch im März 2008 in der Hauptstadt von New South Wales seinen neuen Dreijahresvertrag unterschrieben hat, ergriff ihn ein „furchtbares Heimweh“107, da sich sein Selbstverständnis von „zu Hause“ und „daheim“ mit dem Eingehen des Arbeitskontraktes fundamental und auf Dauer von Frankfurt in Richtung Australien verschoben hatte. Gerade eine junge Generation von Migranten, die auf ihren global gestimmten Pilgerfahrten zu Bildungszwecken bisher immer ein Rückflugticket nach Deutschland in ihrem Gepäck mitführte, wird zum ersten Mal vom Heimweh befallen und stellt sich in diesen Phasen des Kulturdilemmas Fragen wie: „Ja, möchte ich jetzt für immer bleiben? Aber was heißt jetzt für immer?“108 Der Gedanke an die auf Permanenz angelegte, unidirektionale und lineare Immigration nach Australien, die sozialräumliche Fixierung auf eine Nation und der daran anknüpfende obligatorische Verlust von affektiv besetzten Sinnkategorien, die die heimatlichen Landschaften zu einem nahezu konkurrenzlosen Erfahrungsort irdischen Glücks machen, wird als eine Bedrohung ausgemacht, die das Potenzial in sich birgt, die Welt aus den Angeln zu heben. Dass die Heimat bzw. die im Plural gedachten Heimaten aus der Vergangenheit nicht durchgängig in allen Altersstufen sehnsüchtig als kulturell hochwertige und glorifizierte Reminiszenz in Erinnerung gerufen wird, soll bei der nächsten Migrantin ersichtlich werden, die nach dem zwanghaften und rastlosen Umherwandern zwischen den polylokalen Orten der Fremde (von Holleuffer 2001) letztendlich ihren Bestimmungsort absoluter Geborgenheit in Australien fand, in dem sie alle essenziellen kulturellen Zusammenhänge verband. In der Generation der Vertriebenen und Deportierten, deren Schicksal in der Nachkriegszeit in erster Linie durch die biografischen Brüche von Flucht, Vertreibung, gewaltsam aufoktroyierter Massenmigration, mehrfacher Neuansiedlung in

106 Zitat aus dem Interview mit Stefan Grunberg, datiert auf den 29.08.2008. 107 Ebd. 108 Zitat aus dem Interview mit Jessica Ebinger, datiert auf den 02.06.2008.

576 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

interimistischen Aufenthaltsorten in der westdeutschen Aufnahmegesellschaft und somit auch von einer multireferenziellen Heimatverortung geprägt war (von Engelhardt 2002: 33f.), spielt der Aspekt Heimweh eine untergeordnete Rolle. Traudl Tropscheidt antwortete auf die Frage, ob während ihres auf Stetigkeit angelegten Lebens als deutsche Auswanderin mit australischer Staatsbürgerschaft in Sydney zeitweilig das Gefühl von Heimweh aufgekommen sei, wie folgt: „Nein, für mich nie. Aber vielleicht bin ich aus der Generation, die so viele Wechsel gehabt hat. Meine Eltern sind aus der Tschechoslowakei, waren aber Deutsche. Dann sind die nach Ostdeutschland gekommen, weil die Deutschen mussten alle raus aus der Tschechoslowakei. Dann sind meine Eltern geflüchtet, bevor die Mauer kam nach Berlin, waren dann da auch im Flüchtlingslager und insofern hatte ich nie so wirklich Wurzel gehabt, weil es sich andauernd geändert hat, ich habe auch fast keine Familie mehr in Deutschland.“ 109

Aus dem turbulenten Leben als „Heimatvertriebene“110, „Umgesiedelte“ und „Umzusiedelnde“ zwischen den fluktuierend wechselnden und provisorischen Zwischenheimaten der Auffanglager und Privatquartieren, die das Wurzelschlagen bzw. die bewusste Auseinandersetzung mit einem singulären Ort der Beheimatung nicht möglich machten, erwuchs ein Flüchtlingsbewusstsein, mit dem ein Unvermögen einherging, dem Leben an einem Territorium einen heimatlichen Anstrich zu verpassen.111 Hinzu kam, dass das Leben der sudetendeutschen Zwangsmigrantin, wohlweislich oder im Unterbewusstsein, stets zwischen der Bindung an die alte Heimat in der Tschechoslowakei und der prekären westdeutschen Aufnahmegesellschaft, in der sie nicht selten voller Argwohn als störender Eindringling betrachtet wurde, schwankte, so dass bei jenen Mitgliedern des Stroms der ewigen Wanderer angesichts der schwindenden Rückkehr- bzw. Repatriierungsausschichten die hei-

109 Zitat aus dem Interview mit Traudl Tropscheidt, datiert auf den 17.06.2008. 110 Unter genuin kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten hat sich bei der Erforschung der Alltagskultur von Heimatvertrieben in erster Linie die am Johannes-Künzig-Institut für ostdeutsche Volkskunde in Freiburg beschäftigte Elisabeth Fendl hervorgetan (Fendl 2007; Dies.: 2005). 111 Zum Problem der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wie zum Beispiel Donauschwaben, Sudentendeutsche und Schlesier in die Fremde der westdeutschen Gesellschaft haben bereits 1959 drei Volkskundler aus Tübingen eine detaillierte Studie vorgelegt, die zudem in einem eigenen Kapitel Auskunft über das spannungsreiche Leben zwischen mehreren Heimaten gibt (Bausinger/Braun/Schwedt 1959: 159ff.). Eine mehrköpfige Gruppe von Studierenden präsentierte unter der Leitung von Christel Köhle-Hezinger in den 1990er Jahren ihre empirischen Befunde in einer Restudy des Klassikers (Köhle-Hezinger 1995).

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 577

matliche „Besänftigungslandschaft“ (Bausinger 1984: 15) erst nach der transnationalen Passage in Australien gefunden wurde. Bevor wir zu den akteursspezifischen Vorgehensweisen zur Bewältigung von Heimweh überschwenken, sollen zunächst die konkret am Lebensort Sydney vermissten Objektivationen und Subjektivationen aus den zurückgelassenen Gefilden der ersten Sozialisation ins Zentrum der nachstehenden Argumentation gerückt werden. Denn die Implikationen dieses reziproken Wechselspiels von zurechtkonstruierter Imagination des fernen Idealzustands und der Projektion dieser an der lebensweltlichen Realität in der Wahlheimat konstituieren strukturelle Handlungsund Bewertungsebenen, die Prozesse der aktiven Erwerbung und Gestaltung des neuen Mikrokosmos, des so genannten Heimischwerdens, freilegen. Avtar Brah hat in ihrer analytisch-theoretischen Studie über die Charakteristika der Diaspora diese korrelativ segmentierten Dynamiken zwischen den Relevanzsystemen von Herkunftsland und aktuellem Residenzplatz in den Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses gestellt und dabei eine stringente Differenzierung bei der Gemütsbewegung der vorgestellten und homogenisierten Heimatsemantiken vorgenommen. Als Produkt des diasporischen Settings entsteht nicht etwa ein desire for a homeland (Sehnsucht nach dem Heimatland), sondern ein homing desire (Heimat-Verlangen) (Brah 1996: 197). Dieses homing desire zielt nicht wie sein am klassischen Diasporabegriff angelehnter Antagonist darauf ab, den klischierten Mythos der Rückkehr in die zur Kulisse degradierten Heimat zu unterfüttern, sondern akzentuiert partizipatorische Kulturpraktiken des Heimischwerdens am neuen Bestimmungsort (Nyman 2009: 26). Im Residenzland selbst begeben sich die Migranten angesichts ihres Heimat-Verlangens auf die aktive Suche nach materiellen Artefakten der subjektiven Vertrautheit, die den eigenen Gewohnheiten und Präferenzen aus Deutschland nahekommen, unter Zuhilfenahme derer im Kontext der Migration eine identitäre Beheimatung in Sydney vollzogen wird. Anne-Marie Fortier formuliert diesbezüglich: „Connected to homing desires is the work of physically or symbolically (re)constituting spaces which provide some kind of ontological security in the location of residence, which is not the same as the location of ,origin‘“ (Fortier 2003: 129). Zur Herstellung von ontologischer Sicherheit bedarf es jedoch einer kaleidoskopisch zusammengesetzten Variationsbreite an emotional konnotierten Elementen mit dem Gütesiegel „heimisch“, so zum Beispiel bestimmte Nahrungsmittel, die verbürgte Gewohnheiten, kulturelle Besonderheiten, Formgestaltungen und Geschmacksrichtungen transportieren. In diesem Gedankenzusammenhang ist auch die Antwort von Matthias Weitkemper auf die Frage nach den Bewältigungsstrategien seiner Heimwehattacken zu lesen, die in prägnanter Weise Folgendes zum Inhalt hatte: „Wenn ich Heimweh habe, dann gehe ich zu ALDI (Lachen).“112 Nachdem

112 Zitat aus dem Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08.2008.

578 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

der plötzliche Einbruch des Begeisterungsrausches bei zahlreichen Auswanderern regelrechte und kontinuierlich wiederkehrende „Anfälle“113 von Heimweh verursachte, dominierte in der Folge der Wunsch nach renommierten Orientierungspunkten, bei denen die Intention in der Fortführung der kulturellen Bindungen nach Deutschland gesehen werden muss. Es wurde weder an finanziellen noch körperlichen Aufwendungen gespart, um sich den für die Generierung von Ethnizität notwendigen und in der Diaspora vermissten cultural stuff (Barth 1969a: 15; Moosmüller 2002a: 17) zu eigen zu machen. Die Angebotspalette der zahlreich und weitläufig über das Stadtgebiet verteilten Delikatessenläden werden nach einem Glas Nutella, Quark, süßem Senf und Marmelade durchkämmt. Das den kulinarischen Qualitätsansprüchen der deutschen Esskultur in der Diaspora Rechnung tragende (Vollkorn-)Brot musste jahrzehntelang über die so genannten continental shops bezogen werden und wird in der Gegenwart entweder in der German Corner Bakery oder anderen, beispielsweise in süd- bzw. osteuropäischer Tradition stehenden Bäckereien erstanden. Dank vollautomatisierter Brotbackmaschinen halten immer öfters nach den „authentischen“ Richtlinien heimischer Rezeptur hergestellte Eigenprodukte Einzug in die Immigrantenhaushalte. Bavarian Smallgoods & Butchery in Ermington und Rudi’s German Butchery in Kirrawee bieten „traditionelle“ Wurstund Fleischspezialitäten, deren Angebotspalette sich von Black Forest Ham, über die Liverwurst bis hin zum Meat Salat erstreckt. Der im erweiterten Stadtgebiet von Sydney insgesamt 20 Filialen betreibende Lebensmitteldiscounter ALDI ist seit der Institutionalisierung der Warenkette im Jahr 2001 ein Garant dafür, dass deutsche Migranten zu ihrem kulturellen Kontext von Adventszeit bzw. Weihnachten gehörende Teigwaren wie Zimtsterne, Pfefferkuchen Lebkuchengebäck, Dominosteine, Marzipan und Christstollen zu preisgünstigen Konditionen114 konsumieren können.

113 Zitat aus dem Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008. 114 „ALDI ist klein gegen die großen [australischen Supermarktketten, Anm. d. A.], die haben ja nur 150 Verkaufsstellen in Australien. Die fingen mit dem ersten hier an am Flugplatz. Die Konkurrenz hat immer gesagt: ,Das sind die Deutschen, die machen ihr Geschäft auf und das ganze Geld geht nach Deutschland. Die bringen halt alles rein.‘ Was die Leute nicht verstanden haben ist, dass ALDI anders arbeitet und haben dann gesagt: ,Gut, meine Herren, wenn die mit uns Geschäfte machen wollen, dann sind 80 Prozent der Produkte aus Australien und auch unter unserem Namen.‘ Und die Beschwerden waren plötzlich weg. Heute sagt keiner mehr, ALDI ist deutsch. Aldi ist eine andere Kette, die Sachen verkauft. Und dann war am Fernsehen ein Programm, wo die verschiedenen Produkte untersucht wurden. Die hatte einen großen Tisch gehabt, das kam von Woolworth, das kam von Coles und das kam vom ALDI. Und dann hat man da Leute, so wie uns, eingeladen und hat dann gesagt: ,Was schmeckt besser?‘ Und dann kam raus, der ALDI war bis 90 Prozent das Beste und dann kam auch noch die Rech-

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 579

Zu den alltäglichen Nahrungsprodukten, die früher ausschließlich als Importware zu horrenden Preisen in der Feinkostabteilung von David Jones zum Kauf standen und daher für die meisten der Gewährspersonen kaum erschwinglich waren, zählten während des Untersuchungszeitraums vor allen Dingen Heringssalat, Haribo Konfektsortiment, Schwarzbrot, Pumpernickel, Knackwurst, Dr.-Oetker-Vanillepuddingfix, Rosinenstollen, Schokoriegel von Merci oder Mozartkugeln. Der während des kulturellen Aktes der Verzehrsituation von „duplo oder hanuta“115, als Süßwaren aus der eigenen Kindheit, in Gang gebrachte Freisetzungsprozess von „nostalgischen Erinnerungen“116 zeigt neuerlich, wie prägend die kulturellen „Ablagerung[en] im affektiven und kognitiven Apparat […] aus den Tagen der primären und sekundären Sozialisation“ (Moosmüller 2000: 171; Augustynek/Hirschfelder 2010) für die transnational vernetzten Migranten im Aufnahmeland sind. Dieses eher unvermittelt bei den Auswanderern sich regende Verlangen nach bestimmten sinnlichen und leiblichen Genüssen von Nahrungsmitteln, welche die Wanderer zwischen den Kulturen aus den verlassenen Gedächtnisorten im „Kopf und im Herz mitgebracht“ (Köstlin 2002: 26) haben bzw. die im Erinnerungsdepot des mitgenommenen Gepäcks konserviert sind, dienen der Selbstvergewisserung der ethnischen Zugehörigkeit. Als „konsensuell akzeptiert“ (ebd.: 20) gelten sie insofern, als dass ihnen allesamt die Qualität innewohnt, das Memorierte aus der heimatlichen Fernwelt sinn- und identitätsstiftend zu bestätigen und im selben Moment zur Aktualisierung dieser positiv konnotierten Erinnerung beizutragen. Zahlreiche Migranten zog es bei ihrer Suche nach der „Sprache der Heimat“ bzw. den Erkennungszeichen der nonverbalen Verständigung, die man nur aufgrund der Sozialisation in der Bundesrepublik kennt (Kockel 2002: 254), in die deutschen Kirchengemeinden in Sydney. Für einen begrenzten Zeitraum von zwei Jahren besuchten Hildegard und Willi Reitinger eine anglikanische Pfarrgemeinde in der unmittelbaren Umgebung ihres Wohnorts und nahmen regelmäßig an den Gottesdiensten in Auburn und Baulkham Hills teil, deren in englischer Sprache kommunizierte Inhalte bei den deutschen Teilnehmern kulturelle wie sprachliche Fremdheitserfahrungen hervorriefen: „Aber sonst fremd, ich weiß noch, wie wir hier in die Kirche gegangen sind. Ich habe einmal richtig geheult, als ich aus der Kirche kam, ich weiß auch nicht, woran das lag, vielleicht an der Sprache. […] Aber wenn die gepredigt haben, ich verstand einige Worte einfach nicht, einfach diese christlichen Ausdrücke aus der Kirche einfach. Und ich wusste auch nicht, was

nung und das war dann auch noch halb soviel wie bei den anderen.“ Zitat aus dem Interview von Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 115 Zitat aus dem Interview mit Karen Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 116 Ebd.

580 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

meint der denn da immer, ich konnte einfach nichts verstehen. Da weiß ich noch, da bin ich aus der Kirche raus und habe geheult. Was wollen wir hier eigentlich und was soll das alles? Und man fühlt auch schon, die Leute sind doch anders.“117

Während der in den insgesamt vier deutschen Kirchen in Sydney (Martin-LutherKirche in der Goulburn Street, Gnadenfrei-Kirche in Chester Hill und die beiden zur katholischen Konfession gehörenden Sakralbauten in Croydon und Blacktown) abgehaltenen gemeinschaftlichen Feiern zur Verehrung Gottes wird bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel bei der englischen Zusammenfassung der Predigt, bei Tauffeiern und Hochzeiten von deutsch-australischen Ehepaaren) durchgängig deutsch gesprochen. Obrigkeitsstaatlich-restriktive Einflussnahmen auf die liturgische Gestaltung mit der Absicht, die Predigt oder andere Teile der offiziell festgelegten Chronologie sprachlich komplett ins Englische zu überführen, ziehen gerade wegen der diesen Einschränkungsambitionen innewohnenden historischen Brisanz, die zugleich eine Reduzierung der ethnischen Vielfalt in Australien bedeuten würde, starke Gegentendenzen von Seiten der deutschen Kirchengänger zur Wahrung des Deutschen als Kirchensprache nach sich. Die Signifikanz der Synthese von Muttersprache und kirchlicher Kommunikation für die Herausformung einer kulturellen Identität der Deutschen in der Diaspora Sydney fasste Dierk Mohrhardt anschaulich in Worte: „Für mich ist es aber auch die Kirche, dieses deutsche Element. Wir könnten zwar auch in eine lutherisch-englische Kirche gehen, aber da merke ich doch, dass es von der Sprache her doch einen Unterschied macht. Nicht vom Inhalt, aber von der Sprache. In Amerika, weil es gar keine deutsch-lutherische Kirche gab, da war ich dann während der Zeit in der reformierten, da war dann natürlich alles auf Englisch, das ging auch. Da merke ich schon, dass die Sprache doch etwas ausmacht. Obwohl ich mich im Englischen ganz gut ausdrücken kann, wäre ja auch traurig, wenn es nicht so wäre nach all den Jahren. Aber das ist doch für mich wichtig. Und darum ist das auch gut, dass wir das hier in Sydney nach wie vor haben können, einen deutschen Gottesdienst zu kriegen. Für mich ist das wichtig.“118

Für die Migranten definiert und profiliert sich die Kirchengemeinde als ethnische Organisationsform in erster Linie über das Kernelement der gemeinsam gesprochenen Sprache aus dem Herkunftsland, in der nicht nur die Liturgie während des Gottesdienstes abgehalten wird, sondern auch bei den geselligen Veranstaltungen wie dem Weihnachtsbasar oder dem nach dem sonntäglichen Kirchgang organisierten Kaffee-und-Kuchen-Event in der Lutherstube nimmt die Muttersprache eine vor-

117 Zitat aus dem Interview mit Hildegard Reitinger, datiert auf den 01.11.2007. 118 Zitat aus dem Interview mit Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 581

herrschende Rolle ein. Mit der deutschen Sprache offerieren die beiden Konfessionsgemeinden ein starkes ethnisches Identifizierungsangebot, das die imagined community zusammenschweißt, integrative Wirkkraft besitzt, Loyalität und Solidarität unter den Kirchgängern stiftet und eine kollektiv geteilte und ethnisch etikettierte Historie unter allen Mitgliedern kommunizierbar macht. Sprache, Kultur und Identität bilden nicht nur in diesem Kontext eine signifikante Komplementärtrias.119 Ein in den beiden oben angeführten Interviewpassagen vollzogener Sprachwechsel bedingt automatisch eine negativ konnotierte Transformation der Identität, der zum Teil stark emotional-psychische Begleiterscheinungen einer Identitätsspaltung bzw. -krise mit sich bringt. Der anderssprachige und den kulturellen Gewohnheiten der Heimat nicht entsprechende Gottesdienst der anglikanischen bzw. reformierten Kirche mit seinen Befremdung hervorrufenden Verhaltensweisen evoziert bei den deutschen Migranten ein Gefühl von erheblicher emotionaler Unsicherheit und ethnischer Nichtdazugehörigkeit zur Sprechergemeinschaft, so dass in dieser narrativ präsentierten Rechtfertigungsgeschichte120 unter primordialistischen Gesichtspunkten eine Grenzziehung zwischen dem sprachlich wie kulturell Eigenen und dem in der Fremde lokalisierten Anderen erfolgt, um sich Gewissheit über den eigenen ethnischen Standpunkt als Minderheit in der Aufnahmegesellschaft Australien zu verschaffen. Als Legitimationsmedium der eigenen Gruppe verbürgt die Muttersprache als essenzieller identitärer Stützpfeiler an und in von Menschen gemachten Orten und Institutionen der verbalen und nonverbalen Vermittlung, Tradierung und Konservierung von Bedeutungsmustern und Verhaltensnormen (Kockel 2002: 258) – wie die Kirche und die sich darin versammelnde Gemeinde von Migranten mit ihrer über Jahrzehnte konsolidierten Zeichen- und Symbolsemantik unweigerlich einer dieser Orte ist – das Integrationsvorhaben, Sydney die Konturen und Texturen eines neuen kulturellen Zuhauses zu verleihen. Albrecht Lehmann sieht die Heimat zur Fremde verkommen, wenn sie nicht mit vertrauten Menschen aus dem näheren Familien- und Freundeskreis angereichert ist (Lehmann 1991: 119). In der Aufrechterhaltung der interpersonellen und intergene-

119 „Ja, wenn ich immer in die deutsche Kirche gehe. Man ist unter Deutschen und man fühlt sich dort wohl und ich singe gerne deutsche Kirchenlieder. Ich kenne auch nicht viele australische oder englische Kirchenlieder. Ich meine, ich kenne manche Melodien, weil die auch irgendwie von Deutschland […] kommen, aber mir sind die deutschen Kirchenlieder mit den Worten besonders ans Herz gewachsen. Das sind besonders die Lieder vom Paul Gerhardt und Martin Luther. Das sind wundervolle Lieder mit wundervollen Wörtern. In der deutschen Kirche ist man einfach zuhause.“ Zitat aus dem Interview mit Annemarie Jürgens, datiert auf den 11.06.2008. 120 Lehmann sieht hinter diesem selbstlegitimierenden Erzählvorgang „häufig Indizien für entfremdete zwischenmenschliche Verhältnisse“ (Lehmann 1980: 59).

582 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

rationellen transnationalen Verbindungen mit den Angehörigen hinter dem Horizont liegt einer der Hauptbeweggründe – neben zahlreichen peripheren Triebfedern – eines sich über Nationalstaaten hinweg erstreckenden fortwährenden und kontinuierlichen Kulturphänomens, das an dieser Stelle der Studie – in Anlehnung an vorherige Forschungsergebnisse der in den Ethnowissenschaften betriebenen Vertriebenen- und Flüchtlingsforschung (Stennert 1995; Fendl 1998; Lehmann 1991: 108151) – mit der Überschrift „Heimwehtourismus“ versehen wird. Als Inge Münzing nach fünfzehn Jahren in Australien Ende der 1970er Jahre mit dem Flugzeug zum ersten Mal in Richtung Deutschland aufbrach, wurde die Wanderin zwischen den Kulturen während des ritualisierten Transitierens der borderlands (Hastings/Haller 2000: 8) von einer zwiespältigen Emotionskonstellation begleitet: „Ja, das war schwierig. Und ich bin das erste Mal nach Deutschland zurück nach fünfzehn Jahren, wo man dann auch alle wieder traf. Es waren alle von meinen Verwandten und Freunden, die waren alle noch da. Und da musste ich sagen, da hatte ich dann das Gefühl, also als ich den australischen Kontinent verließ, also wir flogen über Tag so und ich hatten meinen mittleren Sohn dabei damals. Und dann sah man von oben die Küste Australiens und da war so ein merkwürdiges Gefühl. Du verlässt jetzt dieses Land, was jetzt solange für dich Heimat war. Und was erwartet dich in der alten Heimat?“121

Aus der zuweilen prekären Situation, dass die Eltern, Geschwister, Kinder und andere Verwandte bzw. Freunde der Migranten ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland bzw. Europa besitzen und somit – von einer technologischen Kommunikationsmediatisierung einmal abgesehen – lebensweltlich in großer geografischer Entfernung voneinander getrennt ihr Dasein führen, entwickelten sich mit zunehmender Verbesserung und Verbilligung des interkontinentalen Flugverkehrs feste Strukturen der touristischen Visitation des Herkunftslandes, die von Ulrich Tolksdorf in einem anderen migrantischen Kontext als „Pilgerfahrten in die alte Heimat“ (Tolksdorf 1987a: 200) bezeichnet wurden. Die im Folgenden beschriebene und analysierte transnationale Grenzwanderung, mit Löfgren verstanden als ein „process of intensification through various cultural techniques“ (Löfgren 1999: 25), folgt bei allen temporär nach Deutschland zurückgekehrten Migranten den Prämissen, ein Wiedersehen mit den Verwandten und Freunden in Übersee zu arrangieren und an einen topografischen Ort zurückzukehren, an dem einerseits „immer alles in Ordnung“122 ist und der andererseits angesichts seiner kulturellen Imprägnierung den Heimwehtouristen die Suggestion von natürlichen Urszenen aus der Vergangenheit

121 Zitat aus dem Interview mit Inge Münzing, datiert auf den 20.11.2007. 122 Zitat aus dem Interview von Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 583

verspricht.123 Besonders in Fällen von schweren Krankheiten, bevorstehenden oder eingetretenen Sterbefällen im näheren familiären Umfeld ruft sowohl die Fernabwesenheit der Migranten als auch das aus der großen Distanz resultierende Fehlen an menschlicher Nähe bzw. Zuneigung unausweichlich Gemütsregungen wie Beklemmung und Schuldzuweisungen hervor: „Nicht so sehr Heimweh jetzt nach Deutschland als Land, aber natürlich die Familie ist dann manchmal ein Punkt, dass man sich auch schlecht fühlt und man ist ja auch nicht gleich da und auch nicht gleich helfen kann, wenn etwas ist. Also das verursacht eher Heimweh oder ein unangenehmes Gefühl dann.“124

Insgesamt wird hier eine transnationale Konstellation von Heimweh zwischen einem Hier und einem Dort beschrieben, die eine Intensivierung des interkontinentalen Verkehrs zwischen Australien und Europa immens forciert, obschon der mit dieser Reise für die Grenzgänger einhergehende enorme Zeit- und Kostenaufwand den Handlungsspielraum bei einem Großteil der Gewährspersonen limitiert. Jedoch sind es gerade die vergleichsweise günstigen Flugpreise, die es bisher allen Befragten möglich machten, mehrmals diese Fernreise in heimatliche Gefilde zu unternehmen. Da der in Eigenregie organisierte Heimwehtourismus insbesondere für ältere Menschen und Familien mit mehreren Kindern wegen der Kosten für Flugtickets und Auslandskrankenversicherung in Höhe von mehreren zehntausend Dollar zu Buche schlägt und somit ein ungemein teures Unterfangen darstellt, machen die Auswanderer von den bestehenden transnationalen Netzwerken insofern Gebrauch, als dass zeitweise Unterkunft bei Verwandten und Freunden bezogen wird. Um den finanziellen Rahmen für die Protagonisten überschaubarer zu gestalten, gewähren insbesondere bei kinderreichen Familien die in Deutschland sehnsüchtig wartenden Eltern bzw. Großeltern Reisekostenzuschüsse, um die transkontinentalen und generationsübergreifenden Kontakte kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Geburten von Kindern in Australien geben den Impuls zu einer Überfahrt um der Entgegennahme des Taufsakraments willen oder sind Anstoßgeber von so genannten „Babytouren“, bei denen die Nachfahren bei Verwandten in Deutschland „rumgereicht“ werden. Das Kulturphänomen „Deutschlandreise“, so wird aus der nachstehenden Argumentationsschiene ersichtlich, konturiert das Verhältnis zwischen Aufnahme- und Entsendeland nachhaltig. Deutsche Migranten akzentuieren im Kontext dieser multinationalen Verwobenheit, dass ihre kulturellen Wurzeln auch nach einem sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Prozess der Akkulturation an die

123 Zum statischen und eher traditionellen Verständnis von Heimat, bei dem eher Gefühle als Argumente den Wesensinhalt bestimmen, siehe auch Karin Rehn (Rehn 1996: 56). 124 Zitat aus dem Interview mit Barbara Bartel, datiert auf den 15.04.2008.

584 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

australischen Lebensverhältnisse in der alten Heimat zu lokalisieren sind und betonen ihre solidarisierende Haltung sowohl mit der Geschichte und Kultur des bundesdeutschen Nationalstaates als auch des europäischen Kontinents, weil sie für eine zeitlich eingeschränkte, jedoch für die eigene Identität enorm prägende Phase den Internalisierungsvorgang von spezifischen soziokulturellen Grammatiken durchlaufen haben. So sehr diese Loyalitätsbekundungen für eine kulturelle Makroebene auch unterstrichen werden, dominiert doch bei den Rückkehrern während des Aufenthalts im „Reiseland“125 Deutschland das Gefühl, ein nur partiell und temporär partizipierender Tourist zu sein. Die bereits über dreißig Jahre in Australien lebende Traute Mohrhardt äußerte sich zu ihrem Status während der Reise: „Man kommt sich doch eher als Tourist vor.“126 Nach dem Flug in die vor Zeiten zurückgelassene Nahwelt wird zunächst der ehemalige Heimatort (Geburts- oder Wohnhaus) – als eine faktische Triebfeder und eine der signifikantesten Stationen der Selbstvergewisserungsreise – angesteuert, der auch zugleich Ausgangspunkt für weitere Erkundungen ist. Bei diesem Wiedersehen wird doch sehr schnell deutlich, dass aufgrund zahlreicher gesellschaftlicher Veränderungen an der Stätte der ehemaligen Beheimatung die ernüchternde Verlusterfahrung, Entfremdung und Entgrenzung als kennzeichnendes Charakteristikum der Visitation hervorsticht. Gemäß dem Motto, „Die Heimat ist nicht mehr das, was sie einmal war“, drängen unverblümte Realitätsbeschreibungen der Lebensverhältnisse am Ort des „Ursprungs“ die tradierten, stimmungsvoll bis pittoresk wirkenden Vorstellungen von einem märchenhaften Deutschland mit Postkartenidylle à la Neuschwanstein, Oktoberfest und Rheinromantik in den Hintergrund. Heimat, so wird aus den narrativen Ausführungen einer älteren Auswanderergeneration deutlich, ist in erster Linie etwas Vergangenes und Verlorenes, das vom Geröll der Zeit verschüttet wurde. Die über Jahre in der Einbildungskraft in Stein gemeißelten Selbstverständlichkeiten von den fiktionalisierten Orten der Vertrautheiten aus der Vergangenheit durchlaufen während der Konfrontation mit der Realität eine Dekonstruktion, weil die Vorstellungen zumeist nicht der Wirklichkeit entsprechen. Als Heimwehreisender nahm Dierk Mohrhardt die Gelegenheit war, um an seine Geburtsstätte in Norddeutschland zurückzukehren, mit der er jedoch nach der emotional hochbesetzten Begegnung während seiner „Inspektionsfahrten“ (Fendl 1998: 86) „eigentlich nichts mehr“127 verbindet. Gerade weil sich dort „sehr viel geändert“128 hat und die städteplanerischen Interventionen die Ansiedung von Ausländern, Asylanten und Flüchtlingen aus Afghanistan voran-

125 Zitat aus dem Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007. 126 Zitat aus dem Interview mit Traute Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007. 127 Zitat aus dem Interview mit Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007. 128 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 585

trieben, verleitete Mohrhardt dazu, den Ort seiner Kindheit, in dem früher vorgeblich Sorglosigkeit und ein harmonisches Zeitkontinuum herrschten, nach dem Wiedersehen als „Klein-Anatolien“129 zu bezeichnen. Dass Heimat stets mit Bildern der abhandengekommenen bzw. dahinschwindenden kulturellen Verankerungen assoziiert wird (Lehmann 1991: 123), belegt auch die von Mohrhardt als resümeeartiges Statement formulierte Aussage zum Erkenntnisgewinn des Heimwehtourismus: „Das Deutschland, was ich als Kind kennengelernt habe, das existiert ja gar nicht mehr.“130 Aufgrund der veränderten zeitgeschichtlichen Rahmenbedingungen bzw. der Transformation der sozial-demografischen Zusammensetzung der im Herkunftsdistrikt nun lebenden Bevölkerung wird die Rückkehrszenerie am Heimatort von einer ambivalenten Konstellation zwischen Befremdung und „symbolischer Ortsbezogenheit“ (Treinen 1965) beherrscht. Im Zuge der diversen Fremdheitserlebnisse während der Wiederbegegnung erodierte die in der Imagination konstruierte Identifikation mit der deutschen Heimat bei zahlreichen Migranten, so dass bisher durchgängig mit positiven Konnotationen versehene Elemente des gelobten Landes im Lichte der Realität betrachtet einer Revision unterzogen werden mussten. Dies blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Verzahnungen der beiden Interaktionsräume. Diese Wechselbäder der Gefühle, bei denen die Heimwehtouristen zwischen einer quasi naturgegebenen, an den primordialen Abstammungsprämissen des ius sanguinis bzw. ius soli angelehnten Dazugehörigkeit (Schneider 2001: 175) und einer Realisierung der Andersartigkeit im alten Herkunftskontext schwanken, erlebte auch der bereits 1952 nach Australien ausgewanderte Karl-Heinz Kuhnert bei den zahlreichen Besuchen an seiner jugendlichen Wirkungsstätte in HamburgAltona, von der er sich mit zunehmender Verweildauer und der damit verbundenen Integration in Australien sukzessive entfremdete: „Besonders heute stelle ich fest, es bindet mich nichts mehr an Deutschland. Vor zehn bis zwanzig Jahren hatte ich das Gefühl, ich gehörte dazu, wie ich in Hamburg rumlief. Ich bin Hamburger, ich gehöre hier hin. Die Leute sprachen mich auf der Straße an und fragten mich: ,Können sie mir helfen, wo diese Straße ist?‘ Ich konnte denen sagen: ,Bum, bum, bum, da musst du hin.‘ Und ich wusste das, das war kein Problem. Jedes Mal, wenn wir nach Deutschland zurückkamen, sagte ich zu meiner Frau: ,Das hat sich alles so verändert, das ist alles ganz anders und das innerhalb einer kurzen Zeit.‘ Bis 1980/82, da hatte sich sehr wenig verändert. Die Leute dachten, wie sie früher gedacht haben, man konnte sich mit den Leuten unterhalten und dann änderte sich das ganze Leben. Es war alles anders. Erstens hatte sich das nicht nur in Deutschland verändert, auch ich habe mich verändert und das war vielleicht der größte Unterschied, dass ich anders dachte. Ich sah das alles anders, als wenn einer den gan-

129 Ebd. 130 Zitat aus dem Interview mit Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007.

586 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

zen Tag dasselbe macht und in der gleichen Gegend aufwächst. Man sagte plötzlich: ,Warum macht man so einen Mist hier?‘ Das ist aber genau wie hier, ich mache jeden Tag dasselbe, lebe in demselben Umkreis und dann kommt plötzlich einer und sagt: ,Das ist ein großer Mist.‘ Also nein, da ist keine Verbindung mit Deutschland und man hat auch nicht das Gefühl, dass man dazugehört.“131

Es waren jedoch nicht nur die in einem anderen Erdenstrich erlernten und verinnerlichten Bedeutungs- und Bewertungsmuster, die den Auswanderer aus Hamburg sprichwörtlich zu einem anderen Menschen machten, der die kulturellen Texturen in der alten Heimat nicht mehr dechiffrieren konnte und Alltagssituationen anders auslegte als seine ehemaligen Mitbürger. Vielmehr endeten der Heimwehtourismus und damit die transnationale Verbindung in die Bundesrepublik bei Kuhnert – wie auch stellvertretend für das Gros der Nachkriegsemigranten – mit dem Verscheiden der letzten Familienangehörigen: „Wie die Eltern gestorben sind, da ist der Anschluss an Deutschland weg. Mit den Eltern verstarb die Verbindung und die Freunde und Bekannten, die man hatte.“132 Verebbte die Familienlinie in Deutschland, so u. a. bei Ursula Fornett, so bindet die Transmigranten lediglich der Besuch des Friedhofes an die alte Heimat. Auf den Heimwehtouren wird den Migranten angesichts der mit Regelmäßigkeit sich ereignenden Alltagssituationen, in denen die Besucher von den „wahren“ Deutschen als Fremde bzw. als nicht mit kultureller Kompetenz ausgestattete Touristen klassifiziert werden, sehr schnell bewusst, dass sie während ihrer Abwesenheit zu Australiern geworden sind, auch wenn sie sich nach wie vor unter Berufung auf Abstammung, Kultur und Sprache als Zugehörige ihrer Entsendenation verstanden wissen möchten. Diese Form der Lokalisierung ist abgekoppelt von den definitiven und wenig Flexibilität zulassenden Dokumenten zu denken, die eine eindeutige nationale Staatsangehörigkeit ausweisen. Narrativ werden die bei allen Erkundungsreisen zu Tage tretenden Gefühle der kulturellen Fremdheit bzw. der Verlust eines „Vertrautheitswissen“133 von den Migranten in der rückschauenden Betrachtung während der Erzählsituation insofern bearbeitet, geglättet und zum Schutz der eigenen identitären Persönlichkeit modifiziert, als dass diese in eine Hülle der anek-

131 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 132 Ebd. 133 Bernhard Waldenfels kommentiert diesen Vorgang in Anlehnung an Alfred Schütz folgendermaßen: „Der Held des Dramas verläßt seine Heimatwelt und lebt in der Fremde; er kehrt in seine Heimatwelt zurück und erlebt diese als Fremde. Oder mit den Worten von Schütz: er verlässt seine home group und lebt in einer foreign group; er kehrt zu seiner home group zurück und erlebt diese als foreign group“ (Waldenfels 2003: 182 [Herv. i. O.]).

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 587

dotischen Präsentationsform gekleidet werden, deren Funktion darin besteht, die spezifische Begebenheit des konfliktträchtigen Kulturkontaktes – hier kulturellen Missverstehens bzw. interpretativer Fehlauslegung – innerhalb der Konversation in einen humoresken Amüsierkontext abdriften zu lassen. Jedoch verbergen sich hinter der zuerst in den Blick des Betrachters geratenen Fassade dieser beiläufig zum Besten gegebenen burlesken Schwänke Tiefendimensionen der transnational vollzogenen Akkulturationsarbeit. Erhard Gohdefeld besitzt in Anbetracht seines bewegten Lebens neben seinem aktuellen Lebensort mit Palästina und Deutschland noch zwei weitere Heimaten, zu denen er auch noch im hohen Alter Kontakte pflegt und Verbindung hält. Insbesondere das Land, in dessen Traditionen er in der Kolonie der Auslandsdeutschen in Palästina und Australien erzogen wurde und über das ihm seine Familien bzw. die anderen Angehörigen der Templergesellschaft in mehr oder weniger von eigener Erfahrung gesättigten Erlebnisberichten in seiner Kindheit und Jugendzeit so ausgiebig erzählt hatten, übte auf Gohdefeld eine große Affinität aus, so dass er mir von den Besuchen in der baden-württembergischen „Heimat im Geiste“ ausführlich Bericht erstattete. Als der Heimwehtourist in Deutschland aus der australischen Gewohnheit heraus in einem Gastronomiebetrieb ein Glas Wasser beim Kellner bestellte, brachte dieser – gemäß den tradierten selbstverständlichen Konventionen – zur Verwunderung des Kunden aus Übersee einen „Humpen Sprudelwasser“134. Unhinterfragt gehört es in Australien zu den sanktionierten Normen des alltäglichen Zusammenlebens, dass jedem Besucher einer Bar, eines Restaurants oder eines Cafés kostenlos vor der eigentlichen Bestellung ein Glas mit Leitungswasser zur Verfügung gestellt wird bzw. per Selbstbedienung aus abgefüllten Karaffen bezogen werden kann. Nachdem Gohdefeld die Bedienung darauf aufmerksam machte, dass er ein Glas Leitungswasser gemeint hatte, wies diese auf ein in Deutschland – zum Zeitpunkt des Besuchs – bestehendes Tabu hin, nachdem das Trinken von Leitungswasser gesellschaftlich verpönt sei. Da Sender und Empfänger dieses Kommunikationsprozesses die gleiche Sprache benutzen, liegt der hier zum Vorschein kommende interkulturelle Dissens weniger am Nichtverstehen der verbalisierten Sprachformeln, vielmehr müssen die hinter diesen Wörtern sich verbergenden kulturellen Terminologien, die aus den „kooperativen Handlungen“ (Treinen 1965: 83) einer Bezugsgruppe hervorgehen, verinnerlicht und neuen Mitgliedern der Ingroup tradiert werden, für diese Fehlinterpretation verantwortlich gemacht werden. Eine bedenkenlose Anwendung des australischen Standardverhaltens in Deutschland bedingte auch bei einer weiteren Begebenheit den Kulturkonflikt. Auf der vergeblichen Suche nach einer öffentlichen Toilette begab sich der Tourist in eine nahegelegene Gaststätte, um ohne Einholung der mündlichen Genehmigung des Besitzers die sanitären Anlagen zu benutzen – ein Vorgang, der auf

134 Zitat aus dem Interview mit Erhard Gohdefeld, datiert auf den 06.04.2008.

588 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

dem Fünften Kontinent aufgrund des konventionellen Charakters keine Gemüter erregt. Als Gohdefeld danach das Lokal verlassen wollte, war die Eingangstür vergittert und der Besitzer verlangte eine Erklärung, warum er in seinem Etablissement als nicht zahlender Kunde die Toilette benutzt hatte. Als Folge des Gesprächs sah sich der Australier mit den deutschen Sprachkenntnissen gezwungen, nachträglich am Tresen ein Getränk zu bestellen, um seine auf sich geladene Schuld zu begleichen. Als ihn der Inhaber in die Freiheit entließ, kam es auf der Straße zu folgenden Abschiedsworten: „Draußen habe ich ihm gesagt: ,Wenn sie in Australien sind, dann müssen sie diesen Umstand nicht auf sich nehmen. Da werden sie eingeladen, das Klo zu benutzen. Das ist eine menschliche Nebenhilfe.‘“135 Den Vater von Helmut Zeiler packte 1975 die Sehnsucht nach einer Heimfahrt, bei der er aufgrund seines Alters von seinem Sohn begleitet wurde. In Deutschland angekommen, erstanden sie für ihre Erkundungsfahrt einen alten Mercedes und gerieten prompt in eine routinemäßige Polizeikontrolle, in der die Interaktion zwischen den Beamten und den Heimwehtouristen von kulturellen Inkongruenzen bestimmt war: „Da war dann auch eine Verkehrskontrolle. ,Wo ist ihr Warndreieck?‘[, fragte der Polizist, Anm. d. A.] Da wusste ich überhaupt nichts von.“136 Nach dem gleichen Schema ereignen sich bei den deutschen Heimwehtouristen während der Rückkehr in die vermeintlich so bekannte Heimat eine ganze Reihe von zwischenmenschlichen Missverständnissen, bei denen die Durchreisenden stets ein kulturelles Wissen zur Anwendung brachten, das ihnen zum einen aus ihrem aktuellen Lebensmittelpunkt in Sydney geläufig ist. Zum anderen handelte es sich um „veraltetes“ bzw. überkommenes geistiges Kapital, das in Deutschland vor der Auswanderung der Untersuchten bestand hatte, jedoch während ihrer Abwesenheit aktualisiert und modifiziert wurde. Migranten werden von den „Einheimischen“ in bestimmten Situationen regelrecht zu marginalen Hinterweltlern degradiert, wenn sie während ihrer Stippvisiten in der Straßenbahn eine Fahrkarte lösen wollen, die dort jedoch bereits seit sieben Jahren nicht mehr gekauft werden konnte. Kopfschütteln und mitunter irritierte Blicke lösen die Fremden mit ihrem Verhalten immer dann aus, wenn sie beim Aussteigen aus öffentlichen Nahverkehrsmitteln dem Busfahrer ihren Dank für seine geleisteten Dienste aussprechen. Weil die Heimwehtouristen über spezifische Sprachfertigkeiten verfügen, die sie während der ersten und oberflächlichen Kontaktsituation definitiv nicht zu „Fremden“ machen, werden von den in Deutschland lebenden Interaktionspartnern auch Kulturkompetenzen an sie herangetragen. Die ersichtliche Nichtbeherrschung dieser Kompetenzen veranlasst die mit diesen Qualifikationen versehenen Deutschen dazu, die Interaktionspartner in – mittels Einschließung des eigenen kulturellen Vermögens und Absonderung des Unbe-

135 Ebd. 136 Zitat aus dem Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 589

kannten konzeptionalisierte – Gedankenschubladen einzuordnen. Für gewöhnlich münden diese ironischen Anekdoten in eine von Lachen begleitete Pointe, die das generelle Schicksal des Grenzgängers zwischen den kulturellen Welten zum Inhalt hat. Sie selbst, die Grenzgänger, legen hierbei ein belegtes Zeugnis davon ab, dass sie sich in gewisser Weise in der „Urlaubsheimat“ (Lehmann 1991: 120), zu der sie eine Wesensverwandtschaft herzustellen wissen bzw. zu der sie sich nach wie vor hingezogen fühlen, nur bedingt zurechtfinden, da Orientierungs- und Anhaltspunkte fehlen oder ihre Gültigkeit verloren haben. Diese kommunizierten kulturellen Mankos bei der Konfrontation mit den Lebensformen in der Bundesrepublik müssen in erster Linie als ein Selbsteingeständnis der Migranten interpretiert werden, da diese ein ganz deutliches Indiz für die Annahme kultureller Normsysteme und Verhaltensmuster in der Residenzgesellschaft sind und fundierte Einsichten auf die Prozesse der Integration freilegen. Die Wesensart, in Australien zu den Menschen zu gehören, die im Kollektiv und aus der Historie heraus entstandene Kulturpraktiken mit der Mehrheitsgesellschaft teilen, diese zu einem so hohen Maße verinnerlicht sind, dass diese sogar bei den Trips in die Heimat handlungsleitende Wirkung besitzen, macht den Besucher aus Sydney zum Touristen, auch wenn er perfekt Deutsch spricht. Somit sind diese schwankähnlichen Erzählungen und die an sich selbst beobachteten Persönlichkeitsveränderungen während der Heimfahrt, die sich u. a. darin äußern, in verschiedenen Bereichen anders zu denken bzw. Situationen anders zu bewerten, eindruckvolle Belege dafür, welch dominante Stellung den Anpassungsvorgängen an die Verhaltens- und Bewertungscodizes der australischen Kultur zukommt. Vor dem Hintergrund der jahreszeitlichen Rhythmisierung des menschlichen Lebens betrachtet, scheint die transnationale Problemkonstellation Heimweh besonders dann ihre auf das diasporische Subjekt Einfluss nehmende Dimensionalität und Wirkkraft zu potenzieren, wenn Weihnachten bevorsteht. Im Monat Dezember steht zahlreichen Migranten mit vorgeblich unverfälschter Deutlichkeit vor Augen, was sie in Deutschland an im engsten Kreise der Familie zelebrierten Traditionen zurückgelassen haben137, so dass aus dem kognitiven Prozess des selektiven Erinnerns dieser nahezu kultischen Vergangenheit der Wunsch entsteht, als Heimwehtourist zumindest temporär an einem für die alte Heimat so charakteristischen kulturellen Gesamtkomplex wie Weihnachten teilzuhaben: „Ja, an so gewissen Festtagen, da möchte man schon hinfliegen. So an Weihnachten.“138 Bei in Sydney leben-

137 Köstlin weist für die Migrantengruppe der Heimatvertriebenen darauf hin, dass die Umsiedler vor allen Dingen „an hohen Feiertagen“ sich mittels einer Rückschau vergegenwärtigen, an welchen Bräuchen und Habitualisierungen sie in der Vergangenheit partizipiert haben (Köstlin 2002: 15). 138 Zitat aus dem Interview mit Beat Wegener, datiert auf den 24.10.2007.

590 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

den deutschen Eltern, deren Kinder in Australien geboren wurden und aus diesem Grund keinen Winter mit Schnee, Kälte und deutscher Weihnachtstradition kennen, lässt sich in dieser Phase des Jahres eine Intensivierung des zwischenstaatlichen Verkehrens beobachten. Die Heimwehphasen von Annemarie Jürgens äußern sich in erster Linie stets an Weihnachten, „wenn kein Schnee da ist.“139 Um diesen von Entbehrungen und Sehnsüchten gekennzeichneten Zustand zu kompensieren, flog die Heimwehtouristin im Jahre 1980 zusammen mit ihrer Tochter nach Deutschland, wo sie insgesamt drei Monate den Winter bei Verwandten genossen. Eines der Hauptanliegen der Migrantin bestand bei dieser „Reise in die eigene Kindheit“ (Lehmann 1991: 109) darin, die eigene Tochter an ihren im Kindes- und Jugendalter erlebten Erfahrungen in Deutschland teilhaben zu lassen und ihr ein Gefühl dafür zu geben, was Schnee ist. Innerhalb Jürgens’ Erzählungen über die Weihnachtstradition in Deutschland, die nicht nur bei ihr, sondern darüber hinaus bei zahlreichen Migranten eine zentrale Sozialisationsinstanz bei der Erziehung der Kinder in Australien einnimmt, gehört der Schnee zu den integralen Bestandteilen, der dem Fest eine kulturspezifische Aura verleiht und hohen Wiedererkennungswert besitzt. So detailgetreu die Beschreibungen dieses Niederschlags in Form von Schneeflocken auch gewesen sein mochten, so hatte die in Australien geborene zweite Generation aufgrund der geografischen Lage sowie der makro- und mikroklimatischen Verhältnisse nie die Möglichkeit, sich davon zu überzeugen, wie sich die Erscheinungs- und Zustandsform mit dem Namen Schnee anfüllt. Zur Intention sowie der bedeutendsten Begebenheit der Heimwehreise gab Jürgens zu verstehen: „Wir wollten Schnee sehen und das war auch das erste Mal, dass Miriam Schnee gesehen hat. Das hat dann morgens angefangen zu schneien […] Auf jeden Fall haben wir sie gerufen: ,Miriam, es schneit.‘ Und du hättest die sehen sollen, wie die die Treppe runtergelaufen ist und den Schnee angefasst hat. Wie die das gesehen hat, wie die runterkommt.“140

Schlittenfahren, Schneemannbauen, das Erleben von winterlicher Kälte im kontinentalen Westeuropa und das Feiern eines von diesen Determinanten und anderen anthropogen gestalteten kulturellen Ordnungen atmosphärisch aufgeladenen Weihnachtsfestes in Deutschland gehören bei der Auswanderin zu den integralen Urszenen ihrer Kindheit, die sie mittels einer Rückkehr an den Heimatort ihrer Tochter visualisierte und somit den intergenerationellen und interkulturellen Vermittlungsprozess vorantrieb. Bei diesem Heimwehtourismus werden erinnerungswürdige Kulturzusammenhänge der Vergangenheit identitätsproduktiv an die Gegenwart gebunden.

139 Zitat aus dem Interview mir Annemarie Jürgens, datiert aus den 11.06.2008. 140 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 591

Die Deutschlandreise beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Erkundungen innerhalb der Bundesrepublik, sondern wird vielmehr von den Migranten als eine europäisch gestimmte Pilgerfahrt durchorganisiert, bei der gleich mehrere, u. a. an die nationalen Demarkationslinien angrenzende Nachbarländer besucht werden. Hier liegt die Motivation der Touristen ganz deutlich darin, während ihrer Entdeckungsfahrten den Horizont des geografisch begrenzten Heimatterrains zu durchbrechen und einen Vorstoß in die europäische Kulturlandschaft zu unternehmen. Mit der Feststellung, seinen Jahresurlaub ausschließlich für den Besuch der Verwandten und Freunde in Deutschland zu opfern, ging die Einsicht einher, neben den etablierten Pfaden, die man bei jeder Heimfahrt beschreitet, auch noch nicht bekannte Orte in Europa in die Chronologie der Erinnerungsreise zu integrieren. Ursprünglich als eine an individuellen Begehren angelegte transnationale Expeditionsfahrt nach den eigenen Spuren initiiert, verschoben sich mit den zunehmenden Aufenthalten in Deutschland die Interessen hin zu Erholungsfahrten, die darüber hinaus touristischen Attraktionen Genüge leisten sollten und sich nicht auf den Besuch der Verwandtschaft beschränkten. Nach regelmäßig erfolgten Sentimentalitätsreisen bleibt eine zeitweilige Entwöhnung von den Familienangehörigen nicht aus: „Und dann heißt es immer: ,Ihr müsst doch bei uns bleiben.‘ Dass wir noch etwas anderes sehen wollen, ist bei manchen nicht drin. Wir fahren den weiten Weg, um die zu sehen und dann sollen wir da glucken.“141 Ein dichtes Netz von staatliche Grenzen überspannenden Expresszügen, Billigfluglinien und international agierenden Autovermietungsgesellschaften trägt dazu bei, dass die temporären Rückkehrer während ihrer Reise ein hohes Maß an Mobilität aufweisen. Dieser Europaurlaub wird in der Regel bereits von Australien aus in differenzierter und akribischer Weise durchorganisiert, so dass nicht selten gleich „elf Länder in einem Rutsch“142 bereist werden. Souvenirs, als „emotional besetzte Erinnerungsgegenstände“ (Stennert 1995: 90), die aus der Heimat mitgebracht werden, besitzen den Status von bekannten Reliquienkulten bei Pilgerfahrten (Fendl 1998: 94). Neben symbolisch aufgeladenen Objekten wie Bildbänden von der Heimatstadt, deutschen Christbaumkugeln, einem „Stück von der Berliner Mauer“143, Weißbiergläser vom Oktoberfest, einem Laternenbastelset für den größten Martinszug der südlichen Hemisphäre, einer Lithografie der Stadt Kassel, einer Seekarte von Kiel und einer „alten Weihnachtspyramide aus der DDR“144 gehören im Allgemeinen in deutscher Sprache abgefasste Bücher und in Australien nicht erhältliche Nahrungsmittel zu den importierten Mitbringseln. Den Kulturkurier Bernhard Vollmert kostete es nach seiner Rückkehr eine

141 Zitat aus dem Interview mit Inge Münzing, datiert auf den 20.11.2007. 142 Zitat aus dem Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 143 Zitat aus dem Interview mit Orzela Cekovic, datiert auf den 17.05.2008. 144 Zitat aus dem Interview mit Raoul Trentmüller, datiert auf den 07.04.2008.

592 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Viertelstunde andauernder argumentativer Überzeugungsarbeit bei der Zollbehörde am Kingsford Smith International Airport, da die Beamten die ausschließlich in deutscher Schrift abgefassten Inhaltsstoffe auf der eingeführten Packung Klosteig und dem Glas Miracle Whip nicht entschlüsseln konnten. Das von Andres Reitinger bei seiner letzten Heimwehtour geschossene Foto von Schloss Neuschwanstein dient ihm als Bildschirmschoner145 auf seinem Computer. Diese Mitbringsel aus der ethnisch codierten Vergangenheit erfüllen allesamt die Funktion, „sentimentale Heimaterinnerungen [in der Fremde zu, Anm. d. A.] initiieren“ (Lehmann 1991: 143) und koppeln die lebensgeschichtlich bedeutsamen transnationalen Fixpunkte der deutschen Migranten aneinander. Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich wurde, entsteht angesichts der geografischen und geistigen Pendelbewegung und dem Sich-Einrichten zwischen den Multilokalitäten des kulturellen Involviertseins (Kottak 2011: 383) eine neue Durchdringung von Diaspora und Heimat, die nicht zuletzt als Kumulationspunkt in der Aussage zahlreicher Auswanderer mündet, am jetzigen Lebensort unlängst „angekommen“ zu sein bzw. neue Wurzeln geschlagen zu haben. Die in diesem Kapitel dokumentierten raumübergreifenden Vergesellschaftungs- und Identitätspraktiken eröffnen zugleich die am neuralgischen Punkt ansetzende Frage, wo die Migranten, auf die bekanntermaßen die Residenzgesellschaft genauso einwirkt wie die transkontinentale Autorität des Heimatlandes (Bucakli/Reuter 2004: 89), ihre Heimat und ihr Zuhause zwischen Herkunfts- und Lebensort lokalisieren. Die die menschlichen Bezugspunkte rearrangierenden Potenziale der Wanderungsbewegung bedingen eine unumgängliche Neuorganisation von Referenzräumen, bei denen die Entscheidung zwischen einem zentralen Hier in Sydney und einem geografisch peripheren Dort in Deutschland in keinem Fall nach den kategorischen Prämissen eines „Entweder-oder“ vollzogen wird. Vielmehr dominiert diesen kulturellen Aushandlungsprozess die Tendenz eines „Sowohl-als-auch“. Für Bettina Rößler ist die Heimat „nach wie vor Deutschland“146, wo sie ihre „Wurzeln in der Vergangenheit und Geschichte“147 identifiziert und an die sie eine affektive Verankerung knüpft. Sydney definiert sie dagegen als ihr „Zuhause“148 – den Ort, an dem sich ihr Leben dank einer mehrere Jahre andauernden Eingewöhnungsphase in konsolidierten Bahnen abspielt. Dieses Zuhause (home) ist Resultat eines kulturellen Aneignungsprozesses, der durch konkrete Appropriations- und Abgrenzungsmechanismen die vormals als Fernwelt konzeptionalisierte Wahlheimat Sydney zur Heimwelt emporsteigen lässt, in der man sich integriert fühlt. Kurz: Mit Re-Territorialisierungs-

145 Zitat aus dem Interview von Andres Reitinger, datiert auf den 28.04.2008. 146 Zitat aus dem Interview mit Dr. Bettina Rößler, datiert auf den 08.08.2008. 147 Ebd. 148 Ebd.

T RANSNATIONALISIERUNG

KULTURALER

W ELTEN

| 593

praktiken der Wahrnehmung, Nutzung und Aneignung werden Räume gemacht, und sie weisen daher in erster Linie kompositorische Grundzüge auf (BachmannMedick 2006: 292). Die identitäre Lebensmitte lokalisiert der Großteil der Untersuchten in Sydney, wenngleich die in diesem Kapitel entfaltete simultane, plurilokale wie transnationale Verwobenheit in „verschiedene habituelle Zentren“ (Waldenfels 1985: 40) eine eindeutige Scheidung in ein Hier und ein Dort anachronistisch erscheinen lässt. Paul Keilbachs Rückkehr an seinen Heimatort hatte mit dem Begräbnis seiner Mutter zunächst einen beklemmenden Anlass, bei der er jedoch mit dem „Neuerleben“ (Stennert 1995: 88) der ihm bekannten Kulturlandschaft der Alpen seine Bindung an die erste Heimat revitalisierte: „Da bin ich im See baden gegangen und da sitze ich so auf dem Floß. Da sitze ich dann auf dem Floß und gucke so rüber nach Lindau, Deutschland und Bregenz, die österreichischen Berge gucke ich so. Und dann denke ich, da bin ich gewesen, wo ich klein war. Das habe ich mir dann angeguckt, das ist auch meine Heimat und das hat mir auch sehr gut gefallen.“149

Neben dem aus diesem Passus hervorgehenden kulturellen „Bedürfnis nach der homogen gestalteten, in sich harmonischen Landschaft“ (Fischer 2008: 29) ist doch insbesondere das Wort „auch“ von signifikanter Gewichtung, das im ersten Reflexionsschritt den von gefühlsbetonter Zerrissenheit infiltrierten Spruch „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ in Erinnerung ruft, den Goethe seinen Faust verkünden lässt. Der Terminus „auch“, so können wir konkludierend argumentieren, bedeutet bei Keilbach und zahlreichen anderen multivalent vernetzten Migranten zunächst die Existenz von mehreren Heimaten bzw. das Vorhandensein von mindestens zwei territorialen und kulturellen Bezugsrahmen. Der Grad der wechselseitigen Beeinflussung und Überschneidung dieser unterschiedlichen Lokalitäten der Beheimatung (Binder 2010: 198ff.) hat sich angesichts der leichteren, schnelleren und erschwinglicheren Reise- und Transportmöglichkeiten sowie den technologischen Zeit- und Raumüberbrückungsmedien in den letzten drei Dekaden enorm erhöht, so dass deutsche Migranten in Sydney bei der Konstruktion von Heimat gegenwärtig „multiple Beziehungen und Netzwerke zwischen mehreren Orten und über nationalstaatliche Grenzen hinweg“ (Kokot 2004: 9) aufspannen. Deutschland avanciert besonders in diasporischen Krisenkonstellationen zum aus der Ferne idealisierten und fiktionalisierten rettenden Anker, zu einer „imaginierte[n] Insel im Meer der Realität“ (Hüppauf 2007: 118), die jedoch während der transnationalen Unternehmungen des Heimwehtourismus durch Entfremdung und das Gefühl, nicht dazuzugehören, dekonstruiert wird. Die in diesem Kapitel entwickelten Kulturpraktiken der Transmigranten geben ein authentisches Zeugnis davon ab, wie transnationale

149 Zitat aus dem Interview mit Paul Keilbach, datiert auf den 05.11.2007.

594 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Verbindungen zwischen geografisch distanzierten Menschen, Kulturen und Lokalitäten strukturiert sind und wie durch die Aufrechterhaltung dieser ortspolygamen Lebensform das identitäre Dasein zwischen verschiedenen kulturalen Welten verwirklicht wird (Tsing 2000: 343).

7.

Zusammenfassung und Ausblick

In dieser ethnografischen Studie zu den bewegten Lebensformen deutscher Grenzgänger zwischen den kulturell aufgeladenen Welten konnte verdeutlicht werden, dass die Strukturen, Verlaufsmuster und heterogenen Modi von Wanderungsbewegungen sowohl im globalen Kontext als auch zwischen den Bezugsländern Australien und Deutschland in der erweiterten Gegenwart mannigfaltige wie fundamentale Transformationsprozesse durchliefen. Bei den Mobilitätsdynamiken zwischen Deutschland und Sydney waren es in erster Linie die sich in den letzten sechzig Jahren wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die unterschiedlichen politischen Integrationsmodelle in Australien, die einen nachhaltigen Einfluss auf das Leben der Migranten ausübten sowie das Ein- bzw. Aussetzen von transozeanischen Migrationsströmen reglementierten. Bei den von der Regierung unter dem Deckmantel der kulturellen Assimilierung aller Einwanderer in Gang gesetzten Bestrebungen waren die Ängste vor einer drohenden negativen Beeinträchtigung der nationalen Identität und der gesellschaftlichen Zusammensetzung Vater des Gedanken. Dies konnte ausschließlich durch die Angleichung der Neuankömmlinge an die anglofone Leitkultur gewährleistet werden. Als mit Priorität versehenes Ziel galt bis in die 1970er Jahre hinein die Konservierung der Homogenität der britishness. Systemimmanente Fehleinschätzungen, eine gezielt vorangetriebene Marginalisierung der Einwanderer auf dem Arbeitsmarkt, geringe ökonomische Aufstiegsperspektiven sowie fehlende Sprachfertigkeiten forcierten die Herausbildung von nach „Abstammung“ gegliederten Gruppen sowie ethnische Segregation. Nach der Institutionalisierung von zahlreichen binationalen Einwanderungsprogrammen sowie der Aufnahme von Flüchtlingen, deren volles Anrecht auf Familienzusammenführung Strukturverläufe von Kettenmigration entlang etablierter Routen nach sich zog, erhoben die politischen Entscheidungsträger den Multikulturalismus in den Jahren nach 1975 zum gültigen Gesellschaftsmodell, das der ethnokulturellen Zusammensetzung der Bevölkerung des Fünften Kontinents am ehesten Rechnung trug. Die Zunahme des kalkulierenden Effizienzdenkens sowie der wirtschaftlichen Leistungsmaximierung zogen die Einsetzung eines die Zugangsberechtigung reg-

596 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

lementierenden Punkteverfahrens nach sich, was einerseits dazu führte, dass vorwiegend „qualifizierten“ Einwanderern der Zugang gewährt wurde und andererseits im Zuge dessen Asien Europa als Hauptgebiet der Akquisition von Einwanderern verdrängte. Ideologisch motivierte und populistisch lavierte Kreuzzüge sowohl aus dem konservativen als auch dem liberalen Spektrum der politischen Parteienlandschaft stellten die Funktionalität des Multikulturalismus in Frage, so dass gegenwärtig mit dem Konzept der social cohesion (Jupp/Nieuwenhuysen/Dawson 2007) eine integrationspolitische Ausrichtung vorherrscht, das wiederholt deutlich assimilatorische Züge zeigt und mit der Berufung auf ein vorgeblich einheitsstiftendes Set von „australischen Kernwerten“ argumentiert. Besonders bei den Einbürgerungstests wird darauf Wert gelegt, dass sich die Kandidaten mit der australischen Geschichte und den daraus hervorgegangenen Werten beschäftigten bzw. diese im besten Fall verinnerlichen. Des Weiteren nehmen vorhandene Kenntnisse der Landesprache innerhalb des Punktesystems für hochqualifizierte Migranten einen Stellenwert ein. Zugewanderte Menschen und ihr mittransportiertes kulturelles Gepäck materieller und vor allen Dingen geistiger Natur galten als die integralen Initiatoren jener kulturellen Revolution des ethnischen Pluralismus, da sie die auf dem Fünften Kontinent bestehende xenophob-rassistische Gesellschaftsstruktur der White Australia Policy zum Erodieren brachten und durch einen Multikulturalismus ersetzten. So veränderte nicht nur das Aufnahmeland Australien seine Zuzügler, vielmehr waren es die Menschen von anderorts, die den Fünften Kontinent durch ihre Immigration nachhaltig modifizierten. Am Ausgangspunkt dieser Arbeit stand ein heterogenes, sich aufeinander beziehendes und die zueinander bestehenden Wechselwirkungen zielorientiert für sich nutzendes Set an Fragen nach der ethnischen Identität, den alltagskulturellen Lebenspraktiken und Erfahrungshorizonten deutscher Migranten in Sydney in der erweiterten Gegenwart zwischen Integration und Abgrenzungsbedürfnis. Zunächst galt es in den einführenden Kapiteln mittels eines Blicks auf die forschungsleitenden bzw. -determinierenden Wissenschaftstraditionen in der Kulturanthropologie/Volkskunde, die in der Vergangenheit Wege der Wissensproduktion beschritten und methodische sowie theoretische Rahmensetzungen konsolidiert hatten, Klarheit darüber zu verschaffen, welche Marschrichtungen der Erkenntnisgenerierung zu welchen terminologischen wie paradigmatischen Aufschlüssen und Relevanzkartellen gekommen sind. Dies wurde deswegen für den weiteren Verlauf der Studie als erforderlich betrachtet, weil hierbei neben dem fachidentitären Zuständigkeitsbereich vor allen Dingen ein disziplinärer und damit nicht zuletzt unverwechselbarer Fingerabdruck sichtbar wurde, den die Kulturanthropologie im konkurrierenden Wissenschaftsbetrieb im Umgang mit Migration als ein Fach ausweist, das durch seine spezifische Betrachtungsweise von Alltagskultur und sozialer Wirklichkeit im Stande ist, eine genuine Expertise zu entwickeln, um dieses in erster Linie durch das „ethnografische Selbst“ (Färber 2009: 180 [Herv. i. O.]; Fabian/de Rooij 2008)

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 597

generierte Expertenwissen bereitzustellen und damit ein eigenes Claim in der Wissenschaftslandschaft für sich abzustecken. Zur Überwindung eines in der Migrationsforschung oft prädominierenden sozialwissenschaftlichen Betrachtungswinkels erwies es sich daher als operabel, die Aufmerksamkeit auf genuin ethnowissenschaftliche Sichtweisen und Analyseansätze zu lenken, bei denen im stärkeren Maße kulturelle Aspekte im Fokus der interpretativen Auslegungen anthropogener Lebensformen stehen. Mit dem Rückgriff auf wissenschaftshistorische sowie forschungstheoretische Ergebnisse und Konzeptionierungen der Chicago School of Sociology, der peasant studies um Robert Redfield, der kultur- und sozialanthropologischen Interventionen der Manchester Schule in Afrika sowie der Sprachinselund Auswanderungsforschung wurde ein systematisiertes Panorama von wissenschaftlich erzeugter Kenntnis über Begriffe, Kategorien, Methoden, Theorien und Frageperspektive geschildert, das die hier vorliegende Arbeit nicht nur peripher tangierte. Nach einer ausführlichen Diskussion des theoretischen Begriffs „Ethnizität“ sowie des Wissenschaftsbetriebs zur Thematik der Immigration im „klassischen“ Einwanderungsland Australien wurde das methodische Gerüst dieser Arbeit, die sich mit gegenwärtigen Migrationsdynamiken und der diesen inhärenten kulturellen Praxen beschäftigt, entfaltet. Eine Besonderheit des kulturanthropologischen Denkens des frühen 20. Jahrhunderts war die Annahme, dass die soziale und kulturelle Lebenswirklichkeit an einem Ort und innerhalb eines gewissen Zeitrahmens studiert werden sollte. Unsere Disziplin institutionalisierte den lokal begrenzten Ansatz der Feldforschung als eine privilegierte methodische Vorgehensweise, an deren schillernder Fassade niemand zu kratzen wagte. Diese alleinige ethnografische Präsenz an einer Lokalität musste sich wegen ihrer Inadäquatheit bei der Untersuchung und dem Verstehen von globalisierten Prozessen und transnationalen Bewegungen einer revisionistischen Kritik unterziehen. In ihrer Missbilligung der Fetischisierung des Feldes als unikates Medium der Wissensproduktion haben Akhil Gupta und James Ferguson eine Fokussierung auf die so genannten shifting locations vorgeschlagen und des Weiteren darauf insistiert, dass das für die Ethnowissenschaften so wichtige methodische Aushängeschild nicht nur in der Bindung zum Lokalen seine Erfüllung findet, sondern vielmehr den epistemologischen und politischen Charakter der vielfältigen Verflechtungen des Untersuchungsraums in den Mittelpunkt des Interesses rücken sollte (Gupta/Ferguson 1996: 38f.). Dessen ungeachtet hatte die ethnografische Feldforschung, bestehend aus der Kombination von rekonstruierenden sowie registrierenden Verfahrensweisen (Meyer/Schareika 2009: 92ff.), bei der komplexen Kulturanalyse unverkennbare Vorteile. Zutreffend scheint, dass vor allen Dingen der Mangel an empirisch fundierter Forschung mit detaillierten Beschreibungen und sorgfältiger Kontextualisierung des Untersuchungsgegenstandes zu beheben ist, um die ethnowissenschaftliche Literatur zum Thema „Globalisierung von unten“ (Graswurzelglobalisierung) nicht fernab sozialer Wirklichkeit zu belassen. Es geht meines Erachtens um einen Appell nach mehr

598 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

auf Erfahrungswissen basierender Grundlagenforschung, weil das transformative Potential globaler Allianzen nicht a priori präsupponiert werden darf, sondern am konkreten Fallbeispiel auf der Mikroebene wieder und wieder zu verifizieren ist. Gerade dazu sind Kulturanthropologen aufgrund ihrer wissenschaftlich memorierten Schlüsselqualifikationen in besonderem Maße prädestiniert: Mit ihrem Bestreben zur erhöhten Sensibilität in Bezug auf das variierende Spannungsverhältnis von Mensch, Mobilität, Zeit und Ort, mit ihrer offenen, von Empathie geleiteten induktiv-analytischen Forschungsstrategie sowie dem sorgfältigen ethnografischen Beharren auf den native points of view wird ein sozial eingebettetes, oft überraschendes Verständnis für kulturelle Produktion und Repräsentation generiert, das nicht nur die Validität der erhobenen Daten verbürgt, sondern desgleichen eine alltagskulturelle Perspektive auf unterschiedlichste migrantische „Komplexitäten, Machtasymmetrien, fremdartig scheinende Wahrnehmungsdispositionen, Handlungslogiken und deren sozialhistorische Genese“ (Beck 2010: 281f.) eröffnet, die Erhellung darüber geben, wie signifikante Beziehungen konstruiert werden und bedeutungsgeladene Netzwerke zu Stande kommen – oder kurz formuliert: wie Kultur funktioniert. Mit diesem Kompendium an theoretischen und methodischen Denkansätzen kann es den „Aufklärern des Alltags“ mit ihrem Blick auf „unauffällige Dinge und Zusammenhänge“ (Ein Aufklärer des Alltags 2006: 158) gelingen, Strategien, Konzepte und Prozesse von dezentralen wie zentralen Wissensbeständen über Kategorien wie Identität, Zeit und Lokalität transparent zur Darstellung zu bringen. Um die Beschreibungen und Interpretationen der Lebenswelt deutscher Migranten in der Jetztzeit auch vor dem Hintergrund ihrer historischen Dimensionalität begreifbar zu machen, die gegenwärtige Handlungszwänge und -optionen größtenteils reglementiert und in bestimmten Bahnen verlaufen lässt, durfte der Blick auf die Grundzüge der Genese und Genealogie der viertgrößten ethnischen Einwanderungsgruppe im 19. Jahrhundert in Australien nicht ausbleiben. Da sich kulturell normiertes Handeln in erster Linie dadurch auszeichnet, nicht aus einem Vakuum hervorzugehen, sondern sich stets auf Historizität berufen kann und somit als etwas Gewordenes bzw. historisch wie räumlich Perspektiviertes zu bezeichnen ist, erhalten die kulturellen Sinnwelten der untersuchten Akteure ihre Verständlichkeit sowie ihr Fassungsvermögen erst durch die analytische Spiegelung an den vergangenen, aber dennoch relevanten Zeithorizonten. Die hier zum Forschungsthema erkorenen unfreiwilligen, halbfreiwilligen und freiwilligen Auswanderer stehen im und definieren sich über das in erster Linie im 19. Jahrhundert grundgelegte kulturelle Erbe der Deutschen in Australien, zu denen religiös motivierte Glaubensflüchtlinge und Elendsauswanderer genauso zählten wie freie Siedler, Wissenschaftler, Missionare und Kaufleute. Insbesondere die um 1901 politisch wie kulturell grundgelegte, ihre Legitimität auf der Basis von Rasse, Hautfarbe, Herkunft und kultureller Fremdheit generierende australische Einwanderungspolitik der White Australia Policy besaß mit ihren ahistorischen Denkstrukturen, ethnozentrischen Einseitigkeiten sowie ras-

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 599

sisch argumentierenden Abschottungsmechanismen über ein Dreivierteljahrhundert einen nahezu in Stein gemeißelten Hoheitsanspruch. Dass diese Reminiszenzen aus einem dunklen Kapitel der australischen Geschichte bis in die Gegenwart hineinreichen und nach wie vor unterschwellige klassifikatorische Bewertungskategorien im Umgang mit nicht zur weißen Ingroup gehörenden Menschen bereitstellen, zeigen mit auffallender Regelmäßigkeit journalistische Berichte und politische Kommentare aus Indonesien und dem indischen Subkontinent. Der die Migrationsdynamiken und gruppenspezifischen Verlaufsstrukturen zwischen Deutschland und Australien in den letzten sechzig Jahren thematisierende Abschnitt betrachtete zunächst die zeitlich variierenden migrationsauslösenden Push- und Pull-Faktoren sowie jene gesamtgesellschaftlichen Faktoren im Herkunfts- und Aufnahmeland, die für die einzelnen Perioden der Auswanderung charakteristisch waren. Die aus der emischen Expertenperspektive erzählten Einwanderungsgeschichten, die mit den Mobilitäten verknüpften Lebensrealitäten und individuellen Erfahrungen gaben Hinweise darauf, dass die Migranten die Heimat während des Untersuchungszeitraums verlassen hatten, weil sie am sprichwörtlich anderen Ende der Welt als Arbeitskräfte gebraucht wurden; weil sie sich eine Verbesserung ihrer Lebensqualität erhofften; oder weil sie durch Gewalt, Krieg, Unterdrückung sowie den hieraus resultierenden körperlichen und psychologischen Folgeschäden einem Leben auf dem alten Kontinent entsagten. Mit der Deportation der in deutschen Kolonien in Palästina lebenden Templer entstand eine Krisensituation, da die Mitglieder unter externem Zwang ihr soziokulturell aufgeladenes Raumgefüge zu verlassen hatten, so dass aus der vermeintlichen „deutschen Kultur- und Abstammungsgemeinschaft“ abgeleitete Praktiken in den Dienst genommen wurden, um sich der ethnischen Gruppenzugehörigkeit zu vergewissern. Nachkriegsflüchtlinge aus dem zerstörten Deutschland, für die die Kriegserfahrung neben der physischen wie psychischen Traumatisierung eine in der kollektiven Erinnerungskultur eingebrannte biografische Zäsur bedeutete, schlossen nach diesen seelische Diskontinuitäten mit ihrer ersten Heimat ab. Der in den migration reception and training centres betriebene, staatlich gelenkte Kulturwandel zielte auf eine schnellstmögliche Assimilation an die Leitkultur ab, bei dem Mitglieder der reserve army of labour unter Abstreifung der ethnischen Identität, verstanden als zweite kulturelle Haut, zu guten Staatsbürgen erzogen werden sollten. Aus Faktoren wie der Konzentration der deutschen Migranten in ruralen Gebieten des Outback bzw. in der Schwerindustrie, den nur rudimentär ausgebildeten Kenntnissen der Landesprache und restriktiven Partizipationsmöglichkeiten am öffentlichen Leben des Gastlandes resultierten nicht nur geografische Distanzen zur australischen Mehrheitsbevölkerung, sondern ferner die Zementierung ethnischer Schichtungen. Kurz formuliert: Sprachlich wie kulturell blieb man unter seinesgleichen. Unter der Bevölkerungsdevise populate or perish entstanden zwischen Australien und Deutschland ab 1952 konkrete Einwanderungsprogramme, die es Deutschen ermöglichten, für eine ge-

600 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ringe finanzielle Eigenbeteilung zeitlich befristet auszuwandern, in Australien einem mehr oder minder gesicherten Arbeitsverhältnis nachzugehen und nicht zuletzt mit einer vertraglich zertifizierten Rückkehroption das Schiff Richtung Australien zu besteigen. Für zahlreiche Mittelfristmigranten verschoben sich nach dem Selbstfindungsprozess der temporären Remigration in die Fremde die Vorstellungen von ethnischer Zugehörigkeit, denn diese die eigene Identität in Frage stellende Überschreitung kultureller Grenzen führte den Auswanderern in ungeschönter Weise vor Augen, dass die assimilatorischen Wirkkräfte der australischen Integrationsbestrebungen eine nachhaltige Wirkung auf sie ausgeübt hatten. Die Flüchtigkeit, die Temporalität und der kulturelle Konstruktionsgehalt von mit Bedeutung belegten Lokalitäten wurde hierbei ersichtlich. Als sich die Vorzeichen der Einwanderungspolitik der open door policy in Australien änderten und im Zuge dessen die weitere Anwerbung von europäischen Arbeitskräften für den primären und sekundären Sektor stark limitiert wurde, konnten nur noch diejenigen immigrieren, die über nachgefragte Qualifikationen oder ausreichende finanzielle Mittel verfügten. Ein breites Spektrum an vorhandenen Mineralien, ein rohstoffhungriger asiatischer Absatzmarkt und Perspektiven wirtschaftlicher Prosperität verleiteten kalkulierende und rational vorgehende Migranten in den unmittelbaren Nachwehen der globalen Wirtschaftskrise zu Beginn der 1970er Jahre dazu, den großen Südkontinent als neue Destination für sich zu wählen. Eine Fluchtkomponente beinhaltete die Phase der als therapeutische Heilserwartung zu skizzierenden Auswanderung in der Zeit, als in der Bundesrepublik insbesondere Aktivisten der Umweltbewegung scheinbar machtlos gegen den Bau von Kernkraftwerken und Startbahnen sowie gegen die Folgeerscheinungen der radioaktiven Gefährdung aus Tschernobyl ankämpften. Als Fluchtpunkt avancierte Australien bei vielen schnell zu einem Hoffnung spendenden Eiland, das in der Imagination all das versprach, was in der konservativen Bundesrepublik schier unmöglich erschien. Als die White Australia Policy in dieser Zeit offiziell ad acta gelegt wurde, etablierten sich auf eine multikulturelle Gesellschaft ausgerichtete Radio- und Fernsehprogramme, die einerseits von Mitgliedern der deutschen Community in Australien selbst konzipiert sowie produziert wurden und andererseits die Funktion besaßen, nicht zuletzt durch die deutsche Sprache zur Stärkung ethnischer Identität beizutragen. Darüber hinaus müssen sie als zentraler Bestandteil zu der Erlangung von Sprachfertigkeiten angesehen werden. Individuelle Migrationsbestrebungen und eine Verbesserung der Lebenssituation zeichnen auch die Folgejahre aus, bei denen als kulturelles Phänomen die Mitnahme des eigenen Hab und Gut in einem Speditionscontainer heraussticht. Über das kulturelle Cargo der beweglichen Habe, das nicht bloß stofflich-materieller Natur ist, sondern hinter dessen Fassade sich tief sedimentierte, an Subjekte und deren Geschichten geknüpfte Bedeutungsgewebe auftun, konnten Mensch-Ding-Bezüge generiert werden. Subjektiv imprägnierte Kulturgüter aus der kulturell konstituierten häuslichen Lebenswelt in Deutschland ermöglichen Sinnbezüge zu einer Vergangenheit, aus

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 601

der die Ethnizität als ein signifikant alltagskulturelles Lebenskonzept in der Fremde produktiv erschlossen wird. Studenten und young urban highly skilled migrants, deren Aufenthalt zwecks der universitären Zusatzgraduierung wie interkulturellen Erfahrungssammlung ursprünglich als temporär und mit einem klar definierten Gedanken an Rückkehr versehen wurde, verlängerte sich um eine nicht absehbare Zeitspanne nach der Inauguration in den australischen Arbeitsmarkt bzw. dem Eingehen einer ehelichen Partnerschaft. Der um eine unbestimmte Zeitspanne verlängerte Auslandsaufenthalt löst die Hochqualifizierten aus ihrem Status des interimistischen Besuchers und zog bei dem nun notwendig werdenden kulturellen Integrationsprozess die Konfrontation mit Eigen- und Fremdkulturalität nach sich. Sein Glück selbst in die Hand zu nehmen, in den Lebensphasen der vermeintlichen Stagnation zu neuen Ufern aufzubrechen bzw. konkret einen zur Erlebnissteigerung beitragenden Umzug nach Sydney zu realisieren, war zentraler Movens der nach der Jahrtausendwende emigrierten migrants of choice, die nicht nur über ausreichende finanzielle Kapazitäten verfügten, sondern in Deutschland intakte Arbeits-, Sozialund Familienverhältnisse für einen neuen und zeitlich offenen Lebensabschnitt hinter sich ließen. Gerade weil die Komponente des befristeten Aufenthalts den Mythos der Remigration kontinuierlich am Leben hält, sind die Ambitionen zur Erhaltung des „Deutschseins“ stark ausgebildet, so dass das ethnische Interessen befriedigende Angebot der deutschen Diasporakultur diese Auswanderungsgruppe besonders anzieht. In und über dieser Institutionen der ethnischen Gemeinschaft wird ethnische Selbst- und Fremdverortung möglich. Die anthropogene Grundkonstante der Konstruktion des Eigenen und Fremden, d. h. eine von den Migranten während ihres Integrationsprozesses an die Lebensverhältnisse der australischen Dominanzgesellschaft vollzogene Kulturpraxis des Unterscheidens und Identifizierens kultureller Andersartigkeit, bildete die Grundlage für die Analyse der Feinstrukturen ethnischer Grenzziehung im vierten Kapitel. Zu den während der Narrationen entfalteten Kernkompetenzen gehörte die Distinktion fremdkultureller Grammatiken vor dem Hintergrund der bekannten, nahezu essenzialistisch konzeptionalisierten Wesensmerkmale der eigenen „Kulturgemeinschaft“. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stand der kulturelle Aushandlungsvorgang des othering, verstanden als ein praxeologisches doing von ethnischen Demarkationslinien (Hess 2010a: 15) nach den Leitprämissen einer binär-antagonistischen Wirklichkeitsauffassung, mit dem die deutschen Auswanderer diametral bis inkommensurabel zueinander komponierte Welten zu konstruieren wussten. Eine mit Wanderungsbewegung und Mobilität einhergehende Zerklüftung von kulturellen Codizes, die vormals als selbstverständlich und unhinterfragt gegolten hatten, zeigte der Kulturkontakt mit Zeit und Temporalität in Sydney. Die stets postulierte Aussage, dass die Uhr in Australien anders „tickt“, muss schon in Anbetracht der in erster Linie physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgenden Orientierungseinheit zurückgewiesen werden, jedoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Men-

602 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

schen ihr Verhalten in Sydney nach diesem Takt anders ausrichten. Ein Leben im Milieu des Neben- bzw. Miteinanders unterschiedlicher zeitlicher Umgangsformen, so haben wir gesehen, erschwert zum einen starre ethnische Grenzziehungen bzw. sakrosante Zeitregimes zu verabsolutieren, zum anderen bedingen Formen der Transkulturation migrantischer Handlungs- und Bewertungsmuster den Übergang zu einer Multitemporalität, bei der situations- und kontextspezifisch alltägliche Rhythmisierungen den gesellschaftlichen Konventionen der Aufnahmekultur angepasst wurden. Konfliktbeladene und in hohem Maße differenzgenerierende Situationen der Fremdheitserfahrung riefen die im alltäglichen Miteinander zu Tage tretenden Konfrontationen mit dem historischen Ballast des Nationalsozialismus hervor, der als nationales Stigma einen Diskurs um Ethnizität ins Rollen brachte, bei dem die Untersuchten von der Mehrheitsgesellschaft in eine Position der Marginalisierung manövriert werden. Einen besonderen Rang nimmt dabei die kulturelle Vorcodierung aus der Bundesrepublik ein, weil diese in gleicher Weise dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass sich die Immigranten in Gänze der Partizipation an der militärisch wie patriotisch durchtränkten Feierkultur der australischen Nation während des ANZAC Day entziehen und somit neuerlich bestehende kulturelle Paradoxien und Dissonanzen ins Feld führen, die die Integration erschweren. Dass die im kulturellen Gepäck mittransportierten überlieferten Ordnungen im Sinne von Leopold Schmidt die Auslegungen von Sinnwelten bzw. Handlungshorizonten in der Diaspora Sydney maßgeblich konstituieren, zeigten die ethnischen Selbstund Fremdlokalisierungen im Diskurs um Umweltschutz sowie die unter Zuhilfenahme von Auto- und Heterostereotypen vorgenommene Kulturalisierung der vermeintlich für Deutsche so charakteristischen Sekundärtugenden. Mit der Differenzproduktion, als Resultat lebensweltlicher Realisierung von kulturell dichotom bzw. alteritär konstruierten Handlungs- und Bedeutungsformen, werden der Taxierung des fremden Anderen als „Umweltsünder“, „Pfuscher“, „ehrloser Handwerker“, „Rassist“ oder „Menschenrechtsverletzer“ im Kontext der rechtskonservativen Politisierung Australiens reelle Konturen verliehen. Diese Bestrebungen zur ethnischen Abgrenzung im Barth’schen Sinne funktioniert mittels der Hypostasierung des Eigenen in der Kombination mit der Zurückstufung des Anderen, was nicht zuletzt eine Konsolidierung der imaginierten Solidargemeinschaft (imagined community) intendiert. An dieser Stelle bietet es sich geradezu an, den bei diesem Aushandlungsprozess von Differenz zur Anwendung gebrachten Kulturbegriff zu reflektieren. Als Kategorisierungsmodus und Ordnungsmodell in der gelebten Realität ist ihm die Tendenz immanent, binäre Strukturen offenzulegen, eine schablonenhafte, homogenisierende und komplexitätsreduzierende Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden vorzunehmen und folglich hochgradig konstruierte und perspektivische Interpretationen von Welt mit unterschiedlichen Bedeutungsgeweben zu liefern. Den Grenzgängern dient beim othering die eigene, den Menschen in der Fremde disponierende „Kultur“ in erster Linie als Sinngenerator von Ethnizität.

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 603

Anders formuliert: Ethnische Identität wird verstanden als ein Produkt kultureller Schöpfung, wobei die Migranten bei dieser Kreierung aus einem Fundus von historisch verbürgten kulturellen Semantiken schöpfen, die sowohl in der alltäglichen Praxis ihrer ersten Sozialisation grundgelegt als auch in Sydney nachhaltig modifiziert wurden. So sehr auch Strömungen zur Essenzialisierung ethnischer Charakteristika wie Pünktlichkeit, Fleiß, Zuverlässigkeit und Effizienz in den Dienst genommen werden, nach einer Machtasymmetrie formierte Grenzregimes zu errichten, muss doch im Gegenzug darauf hingewiesen werden, dass die Akkulturationsarbeit mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Australien einerseits die Auflösung bzw. Dekonstruktion dieser ehemals fest verwurzelten binären Wirklichkeitsinterpretationen zur Folge hat und anderseits bifokale Qualifikationen erworben werden, die zu kulturellen Perspektivenwechseln animieren. Im fünften Kapitel galt das Interesse der symbolischen wie performativen Konstruktion ethnischer Identität bei der Invention sowie Resignifikation von Ritualen mit Schwellencharakter. Während der wanderungsbedingten Transition zwischen kulturellen Räumen unterstützen diese durch regelgeleitetes Verhalten bestimmten Scharniere den Integrationsprozess des Beheimatens in Sydney. In dem jahreszeitlich determinierten Kulturprogramm lassen sich eine Heritagisierung mittransferierter Überlieferungsrelikte, die Adaption von Traditionen aus der Residenzgesellschaft sowie kreative Neuschöpfungen von Kulturgütern erkennen, deren kulturelle Grammatiken im Dazwischen identitätsproduktiv zu hybriden Ritualen zusammengefügt werden. Am Beispiel von Weihnachten in Australien konnte anschaulich dargelegt werden, wie eine jahreszeitliche sowie kulturelle 180-Grad-Umkehrung die bekannten soziokulturellen Wissensordnungen und Konfigurationen, die in Deutschland Handlungssicherheit spendeten, in Frage zu stellen vermochte. In Zeiten des karnevalesken Außer-Kraft-Tretens gesellschaftlicher Verhältnisse, in der die normierte Welt auf dem Kopf zu stehen scheint, zeigte sich mit der Zelebrierung des Heiligen Abends in der „deutschen“ Feierliturgie, mit „echtem“ Weihnachtsbaum und „authentischen“ Speisen ein Traditionskonservatismus. Dem Rückgriff auf disjunkt zur australischen Weihnachtszeremonie stehende, kulturell internalisierte Feierelemente aus der eigenen ethnischen Vergangenheit unterliegt die Ambition, in Phasen der Unsicherheit sowie der Realisierung gesellschaftlicher Nonkonformität kulturelle Normalität herzustellen. Die Inkorporation des Fremden in das Eigene, d. h. die Verzahnung und reziproke Durchdringung der Vergesellschaftungsmodi bzw. das Überkommen binärer Gliederungsmaxime, erfolgte am ersten und zweiten Weihnachtstag, da an diesen Terminen Inversionsrituale mit ludischen Segmenten dominieren. Zugeschnitten auf eine bereits seit mehreren Jahrzehnten in Sydney lebende Generation von Migranten war die von der ethnischen Institution der Welfare Society organisierte Weihnachtsfeier in Cabramatta mit ihren Tendenzen der Re-Traditionalisierung darauf ausgerichtet, mittels einer Homogenisierung, Uniformierung und Akzentuierung von kulturellen Repräsentationen ein gruppen-

604 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

spezifisches Wir-Gefühl zu erzeugen, das nur dann als stabilisierende Matrix seine schillernde Wirkkraft entfaltet, wenn die richtigen ethnischen Ressourcen in die Komposition dieses Rituals integriert werden. Besonders die musikalische Einrahmung der Veranstaltung durch die Oom-Pah-Pah-Band und das Spielen von Wiedererkennungswert besitzenden Schlagern aus dem stereotypisierten, pittoresken, melancholisch imprägnierten und folklorisierten Erinnerungsidyll der Bundesrepublik ließ die Perzipienten die schillernde Aura der „Authentizität“ erkennen. Über diese zahlreiche konstruktivistische und artifizielle Züge aufweisende alljährliche Ritualisierung wird den Teilnehmern ein ethnisch codiertes Identitätswissen über eine Heimat zur Verfügung gestellt, die vor Zeiten hinter sich gelassen wurde und in dieser idealtypischen Form nur in der Imagination Bestand hat. Unter die Kategorie invention of tradition fiel das jährlich im australischen Winter zelebrierte Christmas in July, bei dem in den Blue Mountains eine Heimkehr in die klimatisch, mental und kulturell vertrauten Topografien der nördlichen Hemisphäre simuliert wird. Hierbei wird vor allen Dingen der subjektive Perzeptionsapparat der Auswanderer stimuliert. Ausgehend von einer migrantischen Bedürfnisbefriedigung und somit Ergebnis synkretistischen und neokulturellen Erfindungsreichtums, integrieren die Migranten beim winterlichen Ritual im stadtnahen Bergmassiv, am Ufer des Murray Rivers sowie bei der citizenship ceremony einerseits historisch bekanntes Überlieferungsgut und ethnokulturell konnotierte Symbole wie zum Beispiel Trachten, Stadtfahnen, Glühwein oder Soul Food wie Erbsensuppe und Schwarzwälde Kirschtorte. Andererseits gehört zur der mit Schwellenerlebnissen verbundenen Integrationsarbeit desgleichen jene kulturellen Bedeutungsvehikel aus der aktuell bewohnten Lokalität, die als Gegengifte zur puristischen, primordialen wie essenzialistischen Vorstellung von Ethnizität fungieren. Hierzu zählt zum Beispiel das Freizeitverhalten des Im-Busch-Seins, das obligatorisch nach der Einbürgerungszeremonie praktizierte barbie mit australischen Freunden oder dem Singen der inoffiziellen australischen Nationalhymne Waltzing Matilda. Bei der zwischen den polyethnischen Referenz- und Relevanzsystemen praktizierten Gratwanderung speist sich die anthropogene Schlüsselqualifikation Identität aus der Interdependenz von mehreren ineinandergreifenden, transversal gestimmten und sinngenerierenden kulturellen Bezugsgrößen, die den Wanderer zwischen den Kulturen letztendlich zu einem Wesen macht, das sich Transkulturationsdynamiken ausgesetzt sieht. Ethnisch etikettierte und primordial gedachte Referenzgrößen mögen im diasporischen Alltag der Untersuchten wegen ihrer unhinterfragten und vorgeblich essenzialistischen Seinsstruktur ein attraktives wie verlockendes Medium der Identifikation sein, auf die man sich gerne beruft bzw. in dessen Lichte man gerne gesehen werden möchte, jedoch kam in diesen Abschnitten einem weiteren Sachverhalt gesonderte Signifikanz zu: Migrantische Lebenswirklichkeit ist alles andere als monokulturell, durch ethnische Schließungs- bzw. Segregationsabsichten determiniert. Vielmehr existiert ein heterogenes Panoptikum an situationsspezifischen Spielarten,

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 605

Schattierungen und Auslegungsvarianten von und über Ethnizität, das abseits eines holzschnitt- bzw. schablonenartigen Zuschnitts – wie es der Ethnozentrismus unter Anwendung doktrinärer Auto- und Heterostereotypen praktiziert – anzusiedeln ist. Das im letzten Kapitel des Hauptteils präsentierte ethnografische Datenmaterial gab Aufschluss über die transnationale lebensweltliche Eingebundenheit der Transmigranten, deren soziokulturelle Interaktionsräume den Rahmen der ausschließlich nationalen Souveränität sprengen. Ein von den Bewohnern der Diaspora über Staatengrenzen hinweg angelegtes Flechtwerk an finanziellen, personellen, multimedialen und kulturellen Allianzen und Zusammenschlüssen ermöglicht das für das 21. Jahrhundert so charakteristische Kulturphänomen des kognitiven und physischen Zirkulierens zwischen den multiplen Örtlichkeiten der Identifikation. Mit Hilfe der von diesen multiplen Lokalitäten zur Verfügung stehenden identitären Anknüpfungspunkte und Ethnizitätsressourcen werden den migrantischen ethnoscapes in Sydney Konturen und Texturen verliehen. An den Strategien der De- und Re-Territorialisierung bei privilegierten und ortspolygam agierenden Elitemigranten aus den Manageretagen multinationaler Konzerne ließ sich ablesen, wie das Lebenskonzept des modernen Nomaden die konventionellen Leitkategorien des Hegemonialdiskurses der Sesshaften unterwanderte. Von Berufs wegen zum transnationalen und flexiblen Handeln zwischen den Orten verpflichtet, unterminieren die Agenten des Wandels mit ihrer transkulturellen Mehrfachcodierung die von außenstehenden Mitmenschen an sie herangetragene Aspiration nach eindeutiger und trennscharfer Verortung. Überlegungen zu den in unterschiedlichen zeitlichen Perioden der erweiterten Gegenwart unter Zuhilfenahme diverser mediatisierter Kommunikationskanäle und Technologien ergründeten, etablierten und ausgebauten mediascapes zeigten eindrucksvoll, dass die sozialen Wirklichkeiten der Auswanderer einerseits im hohen Maße transnational informiert sind und andererseits strukturelle Tendenz besitzen, lebensweltliche Erfahrungshorizonte sowohl der Herkunfts- als auch der Residenzkultur zu synchronisieren. Von zahlreichen migrantischen Interessengemeinschaften im Zuge der kulturellen Bedürfnisbefriedigung nach Informationen aus der verlassenen Erinnerungslandschaft Deutschland initiiert, entwickelte sich in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine ethnische Presselandschaft. Die Woche in Australien, 1957 als erstes Printmedium der Nachkriegszeit für ein deutschsprachiges Lesepublikum aufgelegt, besaß in erster Linie bei der Generation der Nachkriegsauswanderer die Funktion der Integrationsförderung. Dies zum einen durch Versorgung mit in der Muttersprache abgefasstem geistigem Kapital aus der alten Heimat, zum anderen durch informative Orientierungshilfen, die das Einleben in einem neuen und fremden Land erleichtern sollten. Da das Gros der Auswanderer nahezu unvorbereitet und mit nur rudimentär ausgebildeten Kenntnissen über ihren Zielort die Schiffe in Richtung Südpazifik bestiegen hatten, erkannten auch Regierungsvertreter in der ethnic press ein wirkungsvolles Medium, um die graduelle ge-

606 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

sellschaftliche Partizipation der ethnischen Minoritäten zu erreichen. Als die anhaltende Aufnahme von freiwilligen überseeischen Zuwanderern und von Flüchtlingen aus den Krisengebieten Indochinas den Weg für die in den 1970er Jahren grundgelegte multikulturelle Revolution ebnete, eröffneten die an ethnischen Interessenlagen orientierten Radio- und Fernsehsparten des neu installierten Special Broadcasting Service, an deren Produktion und Repräsentationsdesign Migranten in den einzelnen Redaktionsstudios aktiv beteiligt gewesen sind, am Technologisierungsgrad der Periode ausgerichtete mediale Sphären, angesichts derer eine Verknüpfung der Diasporakultur mit den zurückgelassenen Territorien der Beheimatung in der Bundesrepublik erst realisierbar wurde. Der Konsum von als ethnisch etikettierten „Gewohnheitssendungen“ half den Immigranten nicht nur eine Brücke zwischen den in großer geografischer Distanz zueinanderliegenden Heimaten zu konstituieren, sondern diese gewährleisteten die entlang der Mobilitätsrouten und über nationalkulturell definierte Raumeinheiten hinweg gespannte Etablierung von sinn- und identitätsstabilisierenden Foren der Ethnizitätsgenerierung. Mikrotechnologische Errungenschaften, die beinahe uneingeschränkten Offerten des Web 2.0 sowie die nahezu gesamtgesellschaftliche Technisierung in Zeiten der Zweiten Moderne setzten eine Entwicklung in Gang, die zum Aufbrechen alter medienlandschaftlicher Horizonte führte. Das im diasporischen Alltag prädestinierten Stellenwert besitzende Medium Internet und die hierüber technisch mediatisierten Onlinewirklichkeiten, so dokumentierten die Kapitel über Save TV, das nutzergenerierte Ethnoportal Infobahn Australia sowie das Trennen und Verbinden von kulturalen Welten mittels der transnational angelegten Kulturpraxis des Skypen, forcierten die nationalterritoriale Grenzen überspannenden polylokalen Verflechtungen und trugen zur immensen Dynamisierung des mit ethnischen Versatzstücken reichlich versehenen space of flows bei. Bei den kopräsenten und von Angesicht zu Angesicht vollzogenen Interaktionen der internetbasierten virtuellen Videotelefonie standen bei Eltern insbesondere die Stabilisierung des intergenerationellen Vergesellschaftungsmechanismus zwischen Großeltern und Enkelkindern und die Pflege der auf transnationaler Solidarität aufgebauten Netzwerkstrukturen im Vordergrund. Eine bi- bis multifokale Ausrichtung der schulischen Pädagogisierung zum Zwecke der Kompetenzausbildung für die (mögliche) Teilnahme an diversen kulturellen Referenz- und Bezugssystemen ist Motivationsgeber zahlreicher deutscher Eltern in Sydney, ihre Nachkommen an deutschen Bildungsstätten einzuschreiben. Hierbei lag der Fokus in sprachlicher Hinsicht zunächst auf dem Bewahrungsgedanken, denn ohne die kommunikative Fähigkeit der deutschen Muttersprache droht unweigerlich die kulturelle Entgrenzung von der ethnischen Kollektivgemeinschaft, die sich nicht zuletzt über eine gemeinsam gesprochene Sprache definiert und legitimiert. Die Sonnabendschule Grunwald’scher Auffassung sowie die German International School Sydney finden deswegen in der deutschen Community Resonanz, weil jene ethnischen Institutionen die Biografien ihrer Schüler – und das nicht nur auf sprach-

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 607

licher Ebene – so justieren, dass diese aufgrund ihrer sowohl lingual als auch kulturell diversifizierten Bindestrich-Identitäten im späteren Leben in einen transnationalen Raum vorstoßen können, dessen Handlungsfelder und Betätigungsbereiche gerade nicht an nationalen Grenzen enden, sondern diesen transzendieren. Als inhärente Schwerpunkte der darauffolgenden Argumentationen galten die dialektischen Wechselbeziehungen zwischen dem akkulturierenden Heimischwerden am jetzigen Lebensort und einem Verlangen nach der alten Heimat bzw. bestimmten mit Bedeutung versehenen Elementen aus dieser in der Imagination authentifizierten Erinnerungslandschaft. Wir haben bei der Kulturpraxis des Heimwehtourismus festgestellt, dass in einer Ära, in der das Kulturwesen Mensch innerhalb einer zunehmend fragmentierten Welt immer komplexere Formen von transnationalen und transtemporalen Beziehungen über weitere Entfernungen produziert – die in das Geflecht der Homogenisierung des Globalen und der Heterogenisierung des Lokalen eingewoben sind –, die Forderungen nach Sinngehalt, Sicherheit, Stabilität, Kontinuität und die Aufrechterhaltung von moralischen Werte- und Interessengemeinschaften auf der Basis von Grenzen überspannenden Verwandtschaftsbeziehungen und Ortsverbundenheit immer konkrete Züge annehmen (Lien/Melhuus 2007: XXI). Die transnationale border passage zu den vor Zeiten verlassenen Räumen der Kindheit und ersten Sozialisation, verstanden als raumübergreifende Vergesellschaftungs- und Identitätspraktik, konturieren und perspektivieren das Verhältnis zwischen Sydney und Europa entscheidend, dies nicht zuletzt aufgrund der während dieser Pilgerreise realisierten Erfahrung von Fremdheit und kultureller Differenz. In den durch Willkür und Zufall gekennzeichneten Alltagssituationen in Deutschland manifestiert sich neuerlich die ambivalente Dezentriertheit der Migranten, die gerade wegen ihres Manövrierens, Changierens und Oszillierens zwischen den in unterschiedlicher Weise gewobenen kulturellen Bedeutungslandschaften den Grenzgang in den heimatlichen Gefilden als einen wichtigen Zwischenschritt der Integration verstehen, da dieser die kontinuierliche Selbsttranszendierung zwischen den Kulturen befördert. An dieser Stelle bietet sich die Gelegenheit für eine differenzierte Darstellung von Dynamiken und Formen der Akkulturation, denen insbesondere deswegen exponierte Bedeutung gebührt, weil sie uns über gesellschaftlichen und kulturellen Wandel in der Gegenwart in Kenntnis setzen. Darüber hinaus haben jene Eingliederungsprozesse Einfluss auf die kontinuierlich in Transformation begriffenen Dimensionen der ethnischen Identität. Die durch Kulturkontakt zwischen Menschen in Gang gesetzte Chronologie der Akkulturation, so sollten die präsentierten empirischen Ergebnisse des Hauptteils deutlich gemacht haben, verläuft bei den untersuchten Migranten keineswegs entlang der schematischen Linearität von Anpassung, Adaption, Amalgamation und letztendlich Integration und besitzt demzufolge keinen klar definierbaren Anfangs- und Endpunkt. Vielmehr nehmen bei diesem von Mensch zu Mensch zeitlich höchst variablen und multidimensionalen Vorgang

608 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

der kognitiven, einstellungs- und verhaltensmäßigen Anpassung an ein neues kulturelles Geflecht feine und vielschichtige Nuancierungen, Schattierungen, Mischformen und Kombinationen eine dominante Stellung ein. Das Erlernen eines kondensierten wie sanktionierten Inventars von Wissensbeständen und Qualifikationen in der neuen Heimat Sydney verlangt variable Strategien, die in einem von Heterogenität geprägten Land nicht selten zu Widersprüchlichkeiten beim anhaltenden Kontakt der unterschiedlichen kulturalen Welten und deren Verflechtungszusammenhängen führen. Da der Mikrokosmos der Deutschen in Australien eine von spezifischen Werteeinstellungen, Handlungsmaximen, Interessen, Erkenntnissen, Empfindungen und Überzeugungen geprägte Welt ist, deren Aneignung sowie Durchdringung sich in Verbindung mit und in Abgrenzung zu einer vorgeblich „fremdkulturellen“ Welt „der Anderen“ vollzieht, können auch bei der grundsätzlich stets unabgeschlossenen Akkulturation ständige Grenzziehungen und Überschreitungen von Demarkationslinien nachgewiesen werden. Auch bei diesen komplexen „mechanisms of selection and integration of traits under acculturation“ (Redfield/Linton/Herskovits 1936: 152) während dieser biografisch bedeutsamen Statuspassage von Deutschland nach Sydney verlieren Inklusions- und Exklusionspraktiken, Zugangsofferten und Abwehrallüren, Identitätspostulate und stigmatisierende Heterostereotype sowie Dogmen und Anathemata kaum an Signifikanz. Die nachfolgende Gliederung greift kulturanthropologische Argumentationsstränge über akkulturative Anpassungsprozesse und -strategien auf und verfolgt das mitunter gewagte Vorhaben, den in Rede stehenden und von Ambiguität wie Fluidität charakterisierten Dynamismus in einer Untergliederung zu vergegenständlichen. Eine Verwirklichung dieser Absicht gelang nur dank einer Komplexitätsreduktions-, Konstruktions- und Abstraktionsleistung, bei der die „feinen Unterschiede“ dem induzierenden Reflexionsvermögen zum Opfer fielen. Es sei hier explizit darauf verwiesen, dass es sich bei der nachstehenden Segmentierung, in deren Natur es liegt, komplexe Wirklichkeitszusammenhänge unter verkleinerten und teilweise homogenisierten Maßverhältnissen zu präsentieren, weniger um ein makroanalytisches Erklärungsmodell handelt, sondern eher um eine interpretative Darlegung eines Ausschnitts der Migrantenkultur. In Anbetracht der inneren Zerklüftung und Inhomogenität der deutschen Community sowohl hinsichtlich geltender Normen- und Wertemuster, Verhaltensweisen, Konsumpräferenzen und Lebensstilen als auch im Hinblick auf die dezentrale Verteilung der Wohn- und Lebensmittelpunkte in den zahlreichen Vororten der Millionenmetropole muss bei den nachfolgenden Aussagen stets ein Komplex von unbekannten Variablen mitbedacht werden, der den folgenden Darlegungen unweigerlich eine temporale Aussagekraft verleiht.

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 609

1. Konsensfähige Auswahl von kulturellen Wesenszügen beim Anpassungsprozess Die Migranten begreifen sich als soziokulturelle Definitionsinstanzen, die für sich Entscheidungen fällen, welche Distanz und Nähe sie zur aktuellen Residenzgesellschaft suchen oder bewahren wollen. Zu den ohne Hinterfragung vereinnahmten Elementen gehören u. a. die egalitäre Formenvielfalt des Zusammenlebens der Menschen in Australien (fair go und equal opportunity policy), das multiethnische Gesellschaftsverständnis (auch wenn hier stets zuerst auf die in Sydney nahezu überall anzutreffenden „fremden“ Esskulturen verwiesen wird, deren Konsum in erster Linie dekorativen wie exotisierenden Charakter besitzt), Outdoor-Aktivitäten (Strand, bushwalk, Sportbegeisterung, Fitnesskultur) und das multikulturelle Radiound Fernsehangebot (Special Broadcasting Service). So zeigt sich speziell bei Deutschen mit australischem Ehepartner ein vergleichweise hoher Akkulturationsgrad, der auf eine wiederholte Übernahme von Mustern aus der Aufnahmekultur schließen lässt. Der aus der inter-ethnic marriage hervorgehende Interaktionspartner sowie der alltägliche Umgang mit veränderten Bewertungs- und Handlungshorizonten prolongiert den Wandel der Verhaltensweisen in Richtung Aufnahmegesellschaft und lässt vornehmlich bei einer älteren Auswanderergeneration Formen der Teilassimilierung erkennen. Als Andreas Bader als Witwer im Rentenalter seinen Lebensmittelpunkt in das ethnisch geprägte Allambie Luthern Homes Retirement Village verlegte, wurde er neuerlich mit seinen kulturellen Wurzeln konfrontiert, obschon er sich in den letzten fünfundvierzig Jahren angesichts einer interethnischen Ehe von diesen weitestgehend entfremdet hatte. Anlässlich einer Feierstunde wurde er von den weiblichen Organisatorinnen aufgefordert, für das zu diesem Anlass bereitgestellte Büfett selbst gefertigte „Schnittchen“ mitzubringen. Die Größenordnung der Akkulturation kann bei Andreas Bader an dem Sachverhalt abgelesen werden, dass ihm die Damen die Bedeutung hinter dem Wort für die klein geschnittenen, mit Fleisch, Fisch oder Käse belegten Brotscheiben erst genauer erklären mussten. 2. Oktroyierte Übernahme Zahlreiche Auswanderer aus der Nachkriegszeit durchliefen bis in die frühen 1970er Jahre jene durch die xenophobe australische Integrationspolitik institutionalisierten migration reception and training centres, in denen mittels eines gelenkten Kulturwandels die schnellstmögliche Assimilation bzw. australianization der heterogen sedimentierten reserve army of labour von Übersee vorangetrieben wurde. Gerade in diesen Übergangslagern zur Indoktrination eines wertekonsensuellen Kanons von „typisch australischen“ Verhaltensweisen lassen sich graduell Tendenzen einer Dekulturation erkennen, die bei Lichte besehen die Ausmerzung der eth-

610 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

nischen Identität der fremden Neuankömmlinge intendierte sowie die Annahme der Identität des Aufnahmelandes postulierte. Die als Reflex auf den nationalen Homogenisierungsfeldzug – der ferner auf die machtasymmetrische Verteilung sozialer wie ökonomischer Ressourcen abzielte und deswegen für die Immigranten Marginalisierung und Inferiorisierung nach sich zog – in Angriff genommenen migrantischen Gegentendenzen und ethnischen Mobilisierungen (ethnic revival) leiteten über zu einer Versäulung der australischen Bevölkerung entlang ethnischer Grenzlinien und Schichtungsdimensionen. Akkulturation ist hier unmittelbar an die politischen Rahmensetzungen der anglo-conformity geknüpft, die sowohl als Integrationsdiktat zu verstehende Richtlinien vorgaben als auch Nischen für ethnische Rückzugsräume schafften. Die australische Gesellschaft kam nicht umhin, die Veränderung des australischen Way of Life durch die Fremden anzuerkennen. 3. Ablehnung und Widerstand gegen die Annahme von Elementen aus der Mehrheitskultur Wie die Schlussfolgerungen aus den einzelnen Kapiteln zur Thematik der Kulturkontakte und Kulturkonflikte zu verdeutlichen wussten, entstehen angesichts der Konfrontation mit spezifischen Elementen der australischen Majorität nur schwer überbrückbare kulturelle Diskrepanzen, die ein Gleichsein bzw. ein Gleichwerden zwischen Deutschen und Australiern von vornherein ausschließen. Kulturkonflikte finden ihren Ursprung in einem Prozess, der durch die multiple Codierung von zwei oder mehreren Kultursystemen charakterisiert ist. Diese Situationen der kulturellen Überforderung kommen bei den Migranten immer dann zum Vorschein, wenn aufgrund ihrer ersten Sozialisation während der formativen Jahre in Deutschland Bewertungs-, Orientierungs- und Handlungsantagonismen im australischen Alltag auftreten, die als Entgegnung Praktiken des aktiven und passiven Widerstandes gegen die scheinbar „paradoxe“ Eingliederung nach sich ziehen. Die von einem nationalen Pathos „übersättigten“ Feierlichkeiten am ANZAC Day, der humoreske Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe der Deutschen, die vorgeblich „typisch australische“ Mentalität des near enough is good enough und she’ll be alright, mate sowie die rigide Asylpolitik erzeugen mit auffallender Regelmäßigkeit nicht nur emotionale Barrieren, interethnische Spannungen und Konsistenzprobleme, sondern der hierbei ausgelöste Akkulturationsstress beeinträchtigt die Lern- und Anpassungsbereitschaft. Bei den Umweltaktivisten bzw. LOHAS und ihren – dem eigenen Ermessens- und Verantwortungsbereich unterliegenden – Differenzhandlungen in Bezug auf Umwelt- wie Ressourcenschonung können daher auch Varianten von „contra-acculturative movements“ (Redfield/Linton/Herskovits 1936: 152) konstatiert werden, die mit der Berufung auf eigene Interessenlagen und handlungsleitende Prämissen die Direktive des „Sich-Einfügens“ unterlaufen und infolgedessen eine marginale Parallelwelt zur Hegemonialgemeinschaft etablieren. In diesem Kontext

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 611

ist Akkulturation an die vorherrschenden Kulturstandards nicht nur nicht beabsichtigt, vielmehr erscheint den Auswanderern die Anpassung als eine Zuwiderhandlung gegenüber den eigenen überlieferten Ordnungen und kulturellen Logiken. 4. Modifizierung und Neuauslegung kultureller Praktiken in der Diaspora Um das Bestreben umzusetzen, im Zuwanderungsland mittels des konsolidierenden Differenz- und Identitätsmanagements neue – durch den mobilitätsbedingten Vertrauensverlust in Mitleidenschaft gezogene – Identitäten zu entwickeln und damit die Grundvoraussetzung zur gesellschaftlichen Partizipation zu schaffen, werden von den Immigranten sowohl Kulturelemente aus der Entsendegesellschaft als auch Versatzstücke aus der Residenzgesellschaft miteinander zu einem „harmonious meaningful whole“ (ebd.) kombiniert. Als Gradmesser für diese Akkulturationskategorie, bei der es mittels Überlagerungen, Transformationen und Vermischungen zur Herauskristallisierung von neuen Kulturhybriden kommt, können in erster Linie mit der synkretistischen Ritualisierung von Christmas in July sowie den karnevalesken Einrahmungen der Weihnachtsfeierlichkeiten in Australien aussagekräftige Beispiele ins Feld geführt werden. Die zeremonielle Entgegennahme der australischen Staatsbürgerschaft von Anja Kapmeier in der vermeintlich ethnisch etikettierten „Volkstracht“ während der Australian citizenship ceremony markierte den vorläufigen End- und Anfangspunkt einer Akkulturationsphase. Ebenso veranschaulichte die Bereitwilligkeit zur Multitemporalität bzw. die interkulturelle Wissensaneignung und Sensibilisierung im Umgang mit dem Faktor Zeit innovative und differenzierte Wandlungsdynamiken innerhalb einzelner Teile der deutschen Immigrantengemeinschaft, bei denen die eigenen Präferenzen bei der Handhabung von Pünktlichkeit eine nachhaltige Modifikation durchliefen. Diese bi- und polykulturellen Justierung darf als ein Indikator für einen geglückten Integrationsvorgang begriffen werden, weil die dialogische Ausrichtung Rückschlüsse auf anhaltende und intensive interethnische Kontakte zulässt, deren Konsequenz die Internalisierung vormals „fremder“ und mitunter „befremdlicher“ Fertigkeiten, Orientierungen und Sinndeutungen ist. Dieser Akkulturationsprozess trägt zur kulturellen Diversifizierung des urbanen Raums an der Botany Bay bei und erbringt nicht zuletzt den Nachweis dafür, dass der Migrant als von außen kommender Kulturkurier und Kulturproduzent anderorts durch die identitätsproduktive wie sinngenerierende Einbringung und kontextspezifische Transformierung seines cultural luggage zur Bereicherung der ansässigen Kultur beiträgt. Der Homo migrans verändert Kultur und leistet somit seinen Anteil zur stetigen Dynamisierung der kulturellen Verfasstheit unserer Welt.

612 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

5. Dislozierung und Resignifikation kultureller Elemente aus der alten Heimat Beim Vorgang des akkulturativen Vertrautwerdens mit den neuen Lebensverhältnissen in Australien spielt die Wiederentdeckung und Wiederbelebung von Komponenten aus dem ethnokulturellen Erbe eine zentrale Rolle. Diese wiederholt zu beobachtende Überführung und re-invention – konzeptionalisiert als eine Wiederverzauberung der durch die Wanderungsbewegung in mancher Hinsicht beeinträchtigten Sinnwelt – von „survivals“ (ebd.) und Persistenzen geschieht keineswegs gegenstandlos. Klassische und in Teilen revidierte Theorien der frühen Akkulturationsforschung gingen davon aus, dass ethnische Minderheiten aus einer marginalen und minoritären Stellung agieren bzw. aus dieser Position heraus ihren Interessen und Wünschen Gehör verschaffen. Zur kontextuellen Charakterisierung solcher migrantischen Emanzipationsbewegungen bzw. zur Erklärung dieser Herkunftsrekurrierung wurden stets problem- und konfliktbeladene Attribute wie Verhaltensinkompetenz, Handlungsunsicherheit, Segregation, Machtlosigkeit und Zukunftsängste herangezogen, wenngleich meines Erachtens diese verkürzte Sichtweise das integrative Leistungsvermögen dieser Kulturhandlungen in der Diaspora nicht angemessen berücksichtigt. Die Methoden der Re-Lokalisation und (hypostasierenden) Re-Traditionalisierung von „older pre-acculturative conditions“ (ebd.: 152) versprechen vor allem ethnisch stabiles Sozialisations- und Identifikationspotenzial und können demzufolge als kulturelle Lösungsstrategien in Zeiten der Orientierungsneuordnung interpretiert werden. Zahlreiche Auswanderer lassen zum Beispiel bei der Weihnachtsfeier der Australian-German Welfare Society in Cabramatta, zu Heiligabend, beim wöchentlichen Kirchgang oder bei diversen ethnischen Feier-, Speise- und Interaktionspräferenzen Aspirationen erkennen, kulturell normierte und verbürgte Selbstverständlichkeiten aus dem lebensweltlichen Alltag der Entsendekultur zu bewahren und weiterhin zu praktizieren. Mit Nachdruck muss darauf insistiert werden, dass wir beim Phänomen des Represtinierens von heimatlichen Erfahrungsweisen nicht nolens volens Gedanken(kurz)schlüsse über eine intentionale Distanzierung von den Anforderungen der australischen (Leit-)Kultur ziehen können, die uns mit auffallender Regelmäßigkeit innerhalb des weniger reflexiven Diskurses über Migration und Integration fälschlicherweise als Symptom für eine gescheiterte soziokulturelle und identifikatorische Akkulturation präsentiert wird. Die bedürfnisbefriedigenden Verfahrensweisen der kreativen invention und vivification von kulturell authentifizierten sowie historisch gewachsenen Praxen in einem neuen Milieu, die während dieser Prozesse eine Ritualisierung, Modifizierung, Institutionalisierung und Ästimation durchlaufen, zielen darauf ab, Sydney zu einem Satisfaktionsraum zu transformieren und dadurch zur Steigerung der Lebensqualität beizutragen. Kurz: Uns stehen hier aktive Formen eines Beheimatungsprozesses vor Augen. In Zeiten der beschleunigten Postmoderne gelang dank der Nutzbarma-

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 613

chung netzbasierter Interaktions- und Kommunikationskanäle für migrantische Interessen die differenziertere Partizipation an den heimatlichen Referenzsystemen und Bezugsräumen in Europa. Wie das abstrakte Phänomen Globalisierung durch die Nutzung bestimmter Medien in die alltäglichen Lebenswelten der Migranten hineinreicht, in ihnen wirkt, erfahren wird, die grenzüberschreitende Identifikation befördert und den Eingliederungsvorgang beeinflusst, wurde anschaulich an der internetmediatisierten Verfügbarmachung der Serie Tatort, der wöchentlichen Kulturpraxis des Skypen und dem Ethnoportal Infobahn Australia exemplifiziert. Verstehen wir die „Transnationalisierung als migrantische (Über)Lebensstrategie“ (Römhild 2003b: 11) zur Rekonstruktion und Vergegenwärtigung des ethnic her-itage sowie als Maßnahme der „Selbst-Eingliederung in multilokale, imaginäre transnationale Räume“ (ebd.: 17), so zeigen die empirischen Ergebnisse meiner Studie, dass nur bedingt von einem kategorialen ethnischen Identitätswandel, den das am nationalen Container-Modell sowie an der Illusion des hegemonialgemeinschaftlichen „Kulturraums“ angelehnte assimilatorische Integrationsdiktum anstrebt, ausgegangen werden kann. Begegnet ist uns in dieser kulturanthropologischen Migrationsstudie über die Wanderer zwischen den Kulturen das janusköpfige Wesen der ethnischen Identität deutscher Migranten in seinen multiplen Spielarten und seinem heterogenen Facettenreichtum. Die manichäischen Aushandlungsprozesse und Verortungsstrategien in der sozialen Wirklichkeit, die ohne die Projektionsfläche des significant other (George Herbert Mead) nicht denkbar wären, bekundeten, dass Ethnizität weder angeboren ist noch aus einem kulturellen Vakuum heraus entsteht. Vielmehr wohnt dieser anthropogenen Schlüsselkompetenz eine historische Komponente inne, d. h., die Berufung auf Vergangenes ist integraler Bestandteil der Konstruktionsleistung. Um in der Gegenwart einen Standort mit Zukunftsperspektive zu behaupten, gehört in erster Linie das Rekurrieren auf ein Wissen, das in der Vergangenheit liegt. In der Jetztzeit wird Ethnizität mit Grenzziehungen behauptet, für sich in Anspruch genommen und den Anderen abgesprochen. Die selektiv für diesen Eingrenzungsund Ausgrenzungsprozess in Anspruch genommenen Ressourcen liegen somit in der Vergangenheit. Ethnizität ist somit etwas Gewordenes. Jack David Eller formuliert dazu: „An ethnic group without a memory of its cultural past and without some continuity with the past into present behaviour or identity or ideology is, by definition, virtually unthinkable“ (Eller 1999: 29). Ien Ang hat in ihrem Aufsatz „Identity Blues“ auf den wichtigen Sachverhalt hingewiesen, dass innerhalb des ausschließlich von der Wissenschaftsgemeinschaft betriebenen theoretischen Diskurses keine zwei Meinungen darüber bestehen, dass Identitäten als konstruiert, erfunden, im Transformationsprozess befindlich und nicht „natürlich“, a priori gegeben und invariant zu verstehen seien. Auf der Ebene der alltäglichen Erfahrung jedoch, so legt die am Centre for Cultural Research der University of Western Sydney arbeitende Professorin dar, tendieren Menschen mit auffälliger Regelmäßigkeit dazu, ihre

614 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Common-Sense-Identitäten als „essentialistisches“, „natürliches“ und „in die Wiege gelegtes“ Qualitätssignifikat zu begreifen (Ang 2000: 2). Das auch im hier präsentierten ethnografischen Datenmaterial seinen Niederschlag findende, mitunter primordial verstandene ethnische Wesensmerkmal „Deutsch-Sein“ – als ein System kultureller Repräsentationen –, das zumal in der Ferne beim kulturellen Grenzziehungs- und Aushandlungsverfahren identitätsproduktiv in die Waagschale geworfen wird, avanciert bei den Auswanderern zu einer – jeweils von der Situation und dem Kontext abhängigen – kulturellen Haut, deren holistisches Abstreifen kaum möglich ist und von zahlreichen Migranten gar nicht intendiert wird. Die Macht des Ethnischen (Römhild 1998), so führt Thomas Hylland Eriksen aus, „remains a powerful organising principle in social life: in addition to ordering the world at a cognitive level, ethnic boundaries contain networks and moral communities based on trust and obligations, cultural resources and ,social insurance‘ systems“ (Eriksen 2005: 368). In einem vom Kulturpluralismus determinierten metropolitanen Milieu, in dem ethnische Gruppen stets Interessengruppen in politischer und ökonomischer Hinsicht darstellen und eine Lobby besitzen, mittels der Macht- und Partizipationsansprüche geltend gemacht werden, gehört es zur distinktiven Agenda jedes sich über ethnische Wesensmerkmale profilierenden Kollektivs, Wissensarchive zu konstituieren, die Auskunft über das eigene kulturelle Erbe geben. Ethnische Repräsentationen, so zeigt Stuart Hall, haben als gängige Formen der kulturellen Sinngenerierung stets etwas mit Macht sowie deren Behauptung und Verteidigung zu tun. Bei diesem Akt des Positionierens gehören vergütete und vordergründig stabile Referenzpunkte der ethnischen Identität wie Geschichte, Sprache und Kultur zu den wertvollsten Ressourcen. Ethnizität ist, so möchte ich abschließend exponiert herausstellen, in erster Linie eine mittels subjektiver Konstruktion erzeugte Vergesellschaftungskategorie, d. h., sie variiert situationsspezifisch und besitzt daher einen relationalen, segmentären, diskursiven und porösen Charakter. Als anthropologische Orientierungsmatrix und kaum hinterfragte Referenzgröße, die in der Imagination mit Rekurs auf scheinbar „typische“ wie „repräsentative“ Identitätsmarker aus der ethnischen Kollektivvergangenheit sinnstiftend und bewusstseinsbildend komponiert wird, offeriert sie Zugehörigkeit, Integration und Solidarität zu einer vorgeblich „wesensgleichen“ Kulturgemeinschaft. Kurz gefasst: Dank des phantasmagorisch erzeugten Konstruktes „Ethnizität“ gelingt die Fabrikation eines WirGefühls. Die im Zuge der kulturellen Globalisierung erkennbare Mobilitätsakzeleration sowie die damit einhergehende Multidimensionalität bei der Überschreitung kultureller Horizonte machen es zunehmend illusorisch, von fixierten ethnischen Codizes zu sprechen, da in den Zwischenräumen migrantischer Lebenswirklichkeiten kulturelle Übersetzungen, Kreuzungen und Vermischungen an der Tagesordnung sind, die eine heterogene Vielfalt von identifikatorischen Optionen bereitstellen, aus denen man sich je nach Situation und Kontext bedienen kann. In dieser Weise sind auch die Spielarten und Abstufungen der ethnischen Identität deutscher

Z USAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

| 615

Migranten in Sydney eingewoben in ein Spannungsverhältnis von Beharrung auf den „Wurzeln“ bzw. den „überlieferten Ordnungen“ einerseits und dem vollständigen assimilatorischen Abtreten des mitgebrachten kulturellen Gepäcks andererseits. Zur Charakterisierung dieses Prozesses der De- und Re-Territorialisierung von Bedeutungssemantiken prägte Stuart Hall den Begriff der „kulturellen Diasporaisierung“ (Hall 1994a: 23 [Herv. i. O.]). Wenn die multiethnische Gesellschaftskondition im globalen Makro- und australischen Mikrokontext mehr als nur eine zukunftsweisende Vision verkörpern soll, kann und darf es nicht ausschließlich bei einer Toleranz sowie Akzeptanz von kulturellen Ungleichmäßigkeiten des fremden Anderen bleiben, sondern diese müssen vielmehr zu einem aktiven und partizipatorischen Baustein der sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung von nation-building avancieren (Geertz 1973). Zu guter Letzt sensibilisiert eine kollektive Bewusstseinsbildung für ein Denken von Kultur im Plural für eine Gesellschaftsauffassung der Heteroglossie, in der kulturell voneinander divergierende Gruppen und persönliche Andersartigkeiten ein normativer Charakter gebührt sowie den individuell ausbalancierten Individuen ein Recht auf multiple Identitäten zusteht (Braun 2010: 55; Sen 2007: 34f.). Nur dann ist dem Konzept der ethnisch-nationalen bzw. ethnokulturellen Vielfalt, das die Kongruenz der Mitglieder einer Gesellschaft auf der Grundlage ihrer kulturellen Differenzen anstrebt, Erfolg gewiss. Die Beschreitung des zugegebenermaßen steinigen Weges in Richtung einer Politik der Egalisierung und Pluralisierung kommt ohne die Anerkennung des habituellen und kulturellen Anderen nicht aus. Bei diesen Bestrebungen zur Verwirklichung eines harmonisch-demokratischen Zusammenlebens zwischen Menschen, deren Eigen- und Fremdtaxierungen auch in Zeiten der rapide beschleunigten Postmoderne mit den Kategorien „Einheimischer“ und „Zugezogener“ operieren, kommt der anthropologischen Grundkonstante Ethnizität – und das sollte aus dem Vorangegangenen deutlich geworden sein – eine herausgehobene gesellschaftliche Stellung mit besonderer politischer und gesellschaftlicher Tragweite zu, weil Ethnizität „der notwendige Ort oder Raum [ist], von dem aus Menschen sprechen“ (Hall 1994b: 61) und damit ihre Sinnwelt strukturieren.

8.

Quellenverzeichnis

8.1 B IBLIOGRAFIE Aarons, Mark 2001: War Criminals Welcome. Australia, a Sanctuary for Fugitive War Criminals Since 1945. Melbourne. Abels, Heinz 2006: Identität. Über die Entstehung des Gedankens, dass der Mensch ein Individuum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden Anspruch auf Individualität und die Tatsache, dass Identität in Zeiten der Individualisierung von der Hand in den Mund lebt. Wiesbaden. Ackermann, Andreas 1997: Ethnologische Migrationsforschung: ein Überblick. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 10 (1997): 1-28 (Themenheft: Ethnologie der Migration). Ackermann, Andreas 2002: Wechselwirkung – Komplexität. Einleitende Bemerkungen zum Kulturbegriff von Pluralismus und Multikulturalismus. In: ders./Müller, Klaus E. (Hg.): Patchwork. Dimensionen multikultureller Gesellschaften. Geschichten, Problematik und Chancen. Bielefeld: 9-29. Adam, Barbara 2005: Das Diktat der Uhr. Zeitformen, Zeitkonflikte, Zeitperspektiven. Edition Zweite Moderne. Frankfurt a. M. Adorno, Theodor W. 1951: Minima Moralia. Reflexionen aus einem beschädigten Leben. Frankfurt a. M. Aengenvoort, Anne 1999: Migration – Siedlungsbildung – Akkulturation. Die Auswanderung Nordwestdeutscher nach Ohio, 1830–1914. VSWG Beihefte, Band 150. Stuttgart. Al-Ali, Nadje/Koser, Khalid 2002: Transnationalism, International Migration and Home. In: dies. (Hg.): New Approaches to Migration? Transnational Communities and the Transformation of Home. New York/London: 1-14. Albert, Alexandra 2005: Work & Travel in Australien und Neuseeland. Reisen und Arbeiten mit dem Working-Holiday-Visum. Berlin. Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt. In: UNESCO heute 1/1 (2002): 117120.

618 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Allison, Randal S. 1997: Volkskunde. In: Green, Thomas A. (Hg.): Folklore. An Encyclopedia of Believes, Customs, Tales, Music, and Art, Volume 2. Santa Barbara, CA u. a.: 835-836. Amann, Klaus/Hirschauer, Stefan 1997: Die Befremdung der eigenen Kultur. Ein Programm. In: dies. (Hg.): Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie. Frankfurt a. M.: 7-52. Amit, Vered (Hg.) 2000: Constructing the Field. Ethnographic Fieldwork in the Contemporary World. London/New York. Amit, Vered/Rapport, Nigel 2002: The Trouble with Community. Anthropological Reflections on Movement, Identity and Collectivity. London. Anderson, Benedict 1992: The New World Disorder. In: New Left Review 193 (1992): 2-13. Anderson, Benedict 1997: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London u. a. Androutsopoulus, Jannis 2005: Virtuelle Öffentlichkeit von Migranten. In: Jahrbuch für Kulturpolitik 5 (2005): 299-308. Ang, Ien 2000: Identity Blues. In: Gilroy, Paul u. a. (Hg.): Without Guarantees. In Honour of Stuart Hall. London u. a.: 1-13. Ang, Ien/Hawkins, Gay/Dabboussy, Lamia 2008: The SBS Story. The Challenge of Diversity. Sydney. Antecol, Heather/Cobb-Clark, Deborah A./Trejo, Stephen J. 2001: Immigration Policy and the Skills of Immigrants to Australia, Canada, and the United States. Discussion Paper Series No. 363. Institute for the Study of Labour. Bonn. Antor, Heinz 2005: Ethnizität. In: Nünning, Ansgar (Hg.): Grundbegriffe der Kulturtheorie und Kulturwissenschaft. Stuttgart/Weimar: 38-39. Antweiler, Christoph 1988: Kulturevolution als transgenerationaler Wandel. Probleme des neueren Evolutionismus und Lösungsansätze dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der anglo-amerikanischen Diskussion um sogenannte kulturelle Selektion. Kölner Ethnologische Studien, Band 13. Berlin. Antweiler, Christoph 2003: Stadtethnologie. In: Fischer/Beer: Ethnologie: 361-373. Antweiler, Christoph 2007: Was ist den Menschen gemeinsam? Über Kultur und Kulturen. Darmstadt. Antweiler, Christoph 2009: Heimat Mensch. Was uns alle verbindet. Hamburg. Antweiler, Christoph 2010: Mensch und Weltkultur. Für einen realistischen Kosmopolitismus im Zeitalter der Globalisierung. Bielefeld. Apitzsch, Ursula (Hg.) 1999: Migration und Traditionsbildung. Opladen/Wiesbaden. Apitzsch, Ursula 1999a: Traditionsbildung im Zusammenhang gesellschaftlicher Migrations- und Umbruchsprozesse. In: dies. (Hg.): Migration und Traditionsbildung: 7-20. Aplin, Graeme 2001: From Colonial Village to World Metropolis. In: Connell (Hg.): Sydney: 56-75.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 619

Appadurai, Arjun 1996: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis, MN. Appadurai, Arjun 1998: Globale ethnische Räume. Bemerkungen und Fragen zur Entwicklung einer transnationalen Anthropologie. In: Beck (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft: 11-40. Appadurai, Arjun 2001: Anthropology of Globalization. In: Smelser/Baltes (Hg.): International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, Volume 9: 6266-6271. Appadurai, Arjun 2005: The Power of Imagination. In: Kölnischer Kunstverein (Hg.): Projekt Migration. Köln: 50-53. Appadurai, Arjun 2009: Die Geographie des Zorns. Frankfurt a. M. Appleyard, Reginald T. 1964: British Emigration to Australia. Canberra. Appleyard, Reginald T./Ray, Alison/Segal, Allan 1988: The Ten Pound Immigrants. London. Arango, Joaquin 2004: Theories of International Migration. In: Joly, Daniele (Hg.): International Migration in the New Millennium. Global Movement and Settlement. Research in Migration and Ethnic Relations Series. Aldershot u. a.: 15-35. Armstrong, Diane 2001: The Voyage of their Life. The Story of the SS Derna and its Passengers. Sydney. Art. Auslandsdeutschtum, Grenzlandsdeutschtum 1955: In: Erich, Oswald A./Beitl, Richard: Wörterbuch der deutschen Volkskunde. 2. Auflage. Stuttgart: 41-42. Art. Migration 2006: In: Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden. 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus. Leipzig/Mannheim: 424-428. Art. Volkskunde 1996: In: Erich, Oswald A./Beitl, Richard: Wörterbuch der deutschen Volkskunde. Unveränderter Nachdruck der 3. Auflage von 1974. Stuttgart: 877-888. Ashbolt, Allan 1985: Radio and Television Service for Migrants: Problems and Prospects. In: Burnley u. a. (Hg.): Immigration and Ethnicity in the 1980s: 104110. Askew, Kelly/Wilk, Richard R. (Hg.) 2002: The Anthropology of Media. A Reader. Blackwell Readers in Anthropology, Volume 3. Malden, MA. Assion, Peter 1977: Deutsche Kolonisten in Südafrika. Zum Verhältnis zwischen Auswanderung, Mission und Kolonialideologie. In: Zeitschrift für Volkskunde 73 (1977): 1-23. Assion, Peter 1982/83: Auswanderungsforschung in Marburg. In: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung NF 14/15 (1982/83): 166-168. Assion, Peter (Hg.) 1985: Der große Aufbruch. Studien zur Amerikaauswanderung. Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Band 17. Marburg. Assion, Peter 1985a: Abschied, Überfahrt und Ankunft. Zur brauchtümlichen Bewältigung des Auswanderungsverlaufs. In: ders. (Hg.): Der große Aufbruch: 125-150.

620 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Assion, Peter 1987: Von Hessen in die Neue Welt. Eine Sozial- und Kulturgeschichte der hessischen Amerikaauswanderung mit Text- und Bilddokumenten. Frankfurt a. M. Assion, Peter/Schwinn, Peter 1987: Migration, Politik und Volkskunde 1940/43. Zur Tätigkeit des SS-Ahnenerbes in Südtirol. In: Greverus/Köstlin/Schilling: Kulturkontakt – Kulturkonflikt: 221-226. Assmann, Aleida 1999: Zeit und Tradition. Kulturelle Strategie der Dauer. Beiträge zur Geschichtskultur, Band 15. Köln u. a. Atkinson, Paul u. a. (Hg.) 2001: Handbook of Ethnography. London/Thousand Oaks, CA/New Dehli. Atteslander, Peter 1993: Methoden der empirischen Sozialforschung. 7., bearbeitete Auflage. Berlin/New York. Augé, Marc 1995: Krise der Identität oder Krise des Andersseins? Die Beziehung zum Anderen in Europa. In: Kaschuba (Hg.): Kulturen – Identitäten – Diskurse: 85-99. Augustynek, Marta/Hirschfelder, Gunther 2010: Integrationsmechanismen und Esskultur. Zur Akkulturation polnischer und moldawisch-gagausischer Migranten. In: Kalinke, Heinke/Roth, Klaus/Weger, Tobias (Hg.): Esskultur und kulturelle Identität. Ethnologische Nahrungsforschung im östlichen Europa. Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Band 40. Oldenburg: 157-173. Australian Council on Population and Ethnic Affairs (Hg.) 1982: Multiculturalism for all Australians – Our Developing Nationhood. AGPS. Canberra. Australian Department of Immigration 1991. Local Government and Ethnic Affairs. Efficiency Audit, Department of Immigration, Local Government and Ethnic Affairs, Audit Report No. 11, 1991–1992. Canberra. Australian Population and Immigration Council/The Australian Ethnic Affairs Council (Hg.) 1979: Multiculturalism and its Implications for Immigration Policy. Canberra. Bach, Adolf 1960: Deutsche Volkskunde. Wege und Organisationen, Probleme, Systeme, Methoden, Ergebnisse und Aufgaben, Schrifttum. 3. Auflage. Heidelberg [Orig. 1937]. Bachmann-Medick, Doris 1992: „Writing Culture“ – ein Diskurs zwischen Ethnologie und Literaturwissenschaft. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, 4 (1992): 1-21 (Themenheft: Writing Culture). Bachmann-Medick, Doris 2003: Kulturanthropologie. In: Nünning/Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften: 86-107. Bachmann-Medick, Doris 2006: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg. Bachtin, Michael 1995: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt a. M.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 621

Bade, Klaus J. 1983: Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland? Deutschland 1880–1980. Beiträge zur Zeitgeschichte, Band 12. Berlin. Bade, Klaus J. 1984: Die deutsche überseeische Massenauswanderung im 19. und 20. Jahrhundert: Bestimmungsfaktoren und Entwicklungsbedingungen. In: ders. (Hg.): Auswanderer – Wanderarbeiter – Gastarbeiter. Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Referate und Diskussionsbeiträge des Internationalen Wissenschaftlichen Symposiums „Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland?“ an der Akademie für Politische Bildung Tützing, 18.–21.10.1982, Band 1. Ostfildern: 259-299. Bade, Klaus J. (Hg.) 1992: Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München. Bade, Klaus J. 1994: Homo Migrans. Wanderungen aus und nach Deutschland. Erfahrungen und Fragen. Essen. Bade, Klaus J. 2000: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Osnabrück. Bade, Klaus J./Oltmer, Jochen 2004: Normalfall Migration. Bonn. Bade, Klaus J. 2007: Migration und Ethnizität in der Historischen Migrationsforschung. In: Schmidt-Lauber (Hg.): Ethnizität und Migration: 115-143. Bade, Klaus J./Emmer, Pieter C./Lucassen, Leo/Oltmer, Jochen (Hg.) 2008: Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 2. Auflage. München. Bagatzky, Thomas 1978: Die Rolle des Fremden beim Kulturwandel. Hamburger Reihe zur Kultur- und Sprachwissenschaft, Band 12. Hamburg. Bahl, Anke 1997: Zwischen On- und Offline. Identitäten und Selbstdarstellungen im Internet. München. Ballhaus, Edmund (Hg.) 2001: Kulturwissenschaft, Film, Öffentlichkeit. Münster u. a. Bamberg, Michael/Georgakopoulou, Alexandra 2008: Small Stories as a new Perspective in Narrative and Identity Analysis. In: Text & Talk. An Interdisciplinary Journal of Language, Discourse Communication Studies 28/3 (2008): 377396. Bammer, Angelika 1994: Introduction. In: dies. (Hg.): Displacement. Cultural Identities in Question. Bloomington, IN: xi-xix. Bandach, Anatol 2007: Voice over IP – die Technik. Grundlagen, Protokolle, Anwendungen, Migration, Sicherheit. 3., erweiterte Auflage. München u. a. Banks, Marcus 1996: Ethnicity. Anthropological Constructions. London. Barkhausen, Barbara 2008: Traumland Australien – Auswandern leicht gemacht. Ratgeber zu Arbeit, Leben, Alltag und Menschen. Reihe Jobs und Praktika, Band 38. Freiburg i. Br. Barth, Fredrik (Hg.) 1969: Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference. London/Oslo.

622 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Barth, Fredrik 1969a: Introduction. In: ders. (Hg.): Ethnic Groups and Boundaries: 9-38. Barth, Fredrik 1969b: Pathan Identity and its Maintenance. In: ders. (Hg.): Ethnic Groups and Boundaries: 117-134. Basch, Linda/Glick Schiller, Nina/Szanton Blanc, Christina 1994: Nations Unbound. Transnational Projects, Postcolonial Predicaments, and Deterritorialized Nation-States. Langhorne, PA. Bauman, Zygmunt 1987: Legislators and Interpreters. On Modernity, Postmodernity and Intellectuals. Oxford. Bauman, Zygmunt 1992: Intimations of Postmodernity. London. Bauman, Zygmunt 2000: Liquid Modernity. Cambridge. Baumann, Gerd 2000: Das Rätsel der multikulturellen Gesellschaft. Neue Wege durch den ethnologischen Dreischritt. In: Schomburg-Scherff, Sylvia M./Heintze, Beatrix (Hg.): Die offenen Grenzen der Ethnologie. Schlaglichter auf ein sich wandelndes Fach. Frankfurt a. M.: 157-169. Baur, Joachim 2009: Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation. Bielefeld. Bausinger, Hermann 1958: Strukturen alltäglichen Erzählens. In Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung 1 (1958): 239-254. Bausinger, Hermann/Braun, Markus/Schwedt, Herbert 1959: Neue Siedlungen. Volkskundlich-soziologische Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts Tübingen. Stuttgart. Bausinger, Hermann 1965: Volksideologie und Volksforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 61 (1965): 177-204. Bausinger, Hermann (Hg.) 1966: Populus Revisus. Beiträge zur Erforschung der Gegenwart. Tübinger Vereinigung für Volkskunde. Volksleben, Band 14. Tübingen. Bausinger, Hermann 1966a: Zur Kritik der Folklorismuskritik. In: ders. (Hg.): Populus Revisus: 61-75. Bausinger, Hermann 1969: Kritik der Tradition. In: Zeitschrift für Volkskunde 65 (1969): 232-250. Bausinger, Hermann 1971: Volkskunde. Von der Altertumsforschung zur Kulturanalyse. Berlin. Bausinger, Hermann 1977: Alltägliches Erzählen. In: Ranke, Kurt u. a. (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur vergleichenden Erzählforschung, Band 1. Berlin/New York: 325-330. Bausinger, Hermann 1980: Formen der „Volkspoesie“. Grundlagen der Germanistik, Band 2. 2. Auflage. Berlin. Bausinger, Hermann 1980a: Zur Spezifik volkskundlicher Arbeit. In: Zeitschrift für Volkskunde 76 (1980): 1-21.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 623

Bausinger, Hermann 1984: Auf dem Weg zu einem neuen, aktiven Heimatverständnis. Begriffsgeschichte als Problemgeschichte. In: ders./Wehling, HansGeorg (Hg.): Heimat heute. Stuttgart u. a.: 11-27. Bausinger, Hermann 1985: Traditionale Welten. Kontinuität und Wandel in der Volkskultur. In: Zeitschrift für Volkskunde 81 (1985): 173-192. Bausinger, Hermann 1987: Neue Felder, neue Aufgaben, neue Methoden. In: Chiva, Isac/Jeggle, Utz (Hg.): Deutsche Volkskunde – Französische Ethnologie. Zwei Standortbestimmungen. Frankfurt a. M./New York: 326-344. Bausinger, Hermann 1988a: Namen und Stereotyp. In: Gerndt (Hg.): Zur kulturwissenschaftlichen Stereotypenforschung: 13-19. Bausinger, Hermann 1988b: Stereotyp und Wirklichkeit. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14 (1988): 157-170. Bausinger, Hermann 1989: Ungleichzeitigkeiten. Von der Volkskunde zur Empirischen Kulturwissenschaft. In: Berking, Helmuth/Faber, Richard (Hg.): Kultursoziologie – Symptom des Zeitgeistes? Würzburg: 287-285. Bausinger, Hermann 1990: Folk Culture in the World of Technology. Translated by Elke Dettmer. Bloomington, IN. Bausinger, Hermann 2001: Heimat und Globalisierung. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 104 (2001): 121-135. Bausinger, Hermann 2001a: Vom Jagdrecht auf Moorhühner. Anmerkungen zur kulturwissenschaftlichen Medienforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 97 (2001): 1-14. Bausinger, Hermann 2005: Typisch deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen? 4. Auflage. München. Bausinger, Hermann 2005a: Volkskultur in der technischen Welt. Erweiterte Neuausgabe. Frankfurt a. M. Bausinger, Hermann/Jeggle, Utz/Korff, Gottfried/Scharfe, Martin (Hg.) 1999: Grundzüge der Volkskunde. 4., durchgesehene und um ein Vorwort erweiterte Auflage. Darmstadt [Orig. 1978]. Beck, Stefan (Hg.) 1999: Technogene Nähe. Ethnographische Studien zur Mediennutzung im Alltag. Berliner Blätter. Ethnographische und Ethnologische Studien, Band 3. Sonderheft 1. Berlin. Beck, Stefan 1999a: media.practices@culture. Perspektiven einer Kulturanthropologie der Mediennutzung. In: ders. (Hg.): Technogene Nähe: 9-17. Beck, Stefan 2010: Nachbemerkung. In: Warneken: Populare Kultur: 281-286. Beck, Ulrich (Hg.) 1998: Perspektiven der Weltgesellschaft. Edition Zweite Moderne. Frankfurt a. M. Beck, Ulrich 1998: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. Edition Zweite Moderne. 4. Auflage. Frankfurt a. M. Beck, Ulrich 1998a: Ortspolygamie: Mit mehreren Orten verheiratet zu sein ist das Einfallstor der Globalisierung im eigenen Leben. In: ders. (Hg.): Was ist Globalisierung?: 127-135.

624 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Beck, Ulrich 1998b: Soziologie als interkulturelle Ordnungsmacht: Die ContainerTheorie der Gesellschaft. In: ders. (Hg.): Was ist Globalisierung?: 49-55. Becker, Dieter 2003: Neuendettelsauer Mission. In: Bentz, Dieter u. a. (Hg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Band 6. 4., völlig neu bearbeitete Auflage. Tübingen: 217-218. Becker, Jörg 1989: Telefonieren und sozialer Wandel. Eine Einleitung. In: ders. (Hg.): Telefonieren. Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, NF 24. Marburg: 7-30. Becker, Siegfried 1997: Kulturbewahrung bei ethnischen Minderheiten in der SU/GUS. Stellungnahme zum Begriff der „deutschen Kultur“ im Bundesvertriebenen- und -flüchtlingsgesetz (BVFG). In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 40 (1997): 27-51. Becker, Siegfried 2000: Interethnik und kultureller Frieden. Zum Konzept des Ethnischen in der Europäischen Ethnologie. In: Roth, Klaus (Hg.): Mit der Differenz leben. Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation. Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Band 1. 2. Auflage. Münster u. a: 131-142. Becker, Siegfried 2001: Medienforschung in der Europäischen Ethnologie. In: Becker, Jörg/Behnisch, Robin (Hg.): Zwischen Abgrenzung und Integration. Türkische Medienkultur in Deutschland. Rehburg-Loccum: 25-37. Becoming an Australian Citizen. Your Commitment to Australia. Commonwealth of Australia. Barton, ACT 2007. Beer, Bettina 1999: Deutsch-philippinische Ehen. Interethnische Heirat und Migration von Frauen. Berlin. Beer, Bettina (Hg.) 2003: Methoden und Techniken der Feldforschung. Berlin. Beer, Bettina 2003a: Einleitung: Feldforschungsmethoden. In: dies (Hg.): Methoden und Techniken der Feldforschung: 9-31. Beer, Bettina 2003b: Ethnos, Ethnie, Kultur. In: Fischer/dies. (Hg.): Ethnologie: 5372. Belliger, Andréa/Krieger, David J. (Hg.) 2006: Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. 3. Auflage. Wiesbaden. Bendix, Regina 1997: In Search of Authenticity. The Formation of Folklore Studies. Madison, WI. Bendix, Regina 2002: Wahrnehmung jenseits des Nadelöhrs. In: Zeitschrift für Volkskunde 98 (2002): 205-227. Bendix, Regina 2003: Zwischenwelten. Komplexe Welten, wie wir mit ihnen zurecht kommen oder auch nicht, und wie uns die Wissenschaft auf die Schliche zu kommen versucht. In: Göttsch/Köhle-Hezinger (Hg.): Komplexe Welt: 1527. Benjamin, Walter 1977: Über Sprache überhaupt und die Sprache der Menschen. In: ders.: Gesammelte Schriften, Band II, 1. Frankfurt a. M.: 140-157.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 625

Benmayor, Rina/Skotnes, Andor (Hg.) 1995: International Yearbook of Oral History and Life Stories, Volume 3: Migration and Identity. Oxford. Bennett, John W. 1998: Classic Anthropology. An Introduction. In: ders.: Classic Anthropology. Critical Essays 1944–1996. New Brunswick, NJ: 1-15. Benz, Wolfgang 1992: Fremde in der Heimat. Flucht – Vertreibung – Integration. In: Bade (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: 374-392. Berg, Eberhardt 1982: Zwischen den Welten. Anthropologie der Aufklärung und das Werk Georg Forsters. Beiträge zur Kulturanthropologie. Berlin. Berg, Eberhard/Fuchs, Martin (Hg.) 1995: Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. 2. Auflage. Frankfurt a. M. Berger, Peter L./Luckmann, Thomas 1975: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a. M. Bergson, Henri 1972: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Zürich. Berking, Helmuth 2004: „Dwelling in Displacement“: On Diasporization and the Production of National Subjects. In: Friedmann/Randeria: Worlds on the Move: 103-115. Berking, Helmuth 2006: Raumtheoretische Paradoxien im Globalisierungsdiskurs. In: ders. (Hg.): Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen. Frankfurt a. M./New York: 7-22. Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.) 1994: Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte. Münster. Bernard, Harvey Russel 1998: Handbook of Methods in Cultural Anthropology. Qualitative and Quantitative Approaches. London/New York. Besserer, Frederico 2004: Topografías transnacionales. Hacia una geografía de la vida transnacional. México D.F. Betts, Katharine 1999: The Great Divide. Immigration Politics in Australia. Sydney. Beuke, Arnold 1999: Werbung und Warnung. Australien als Ziel deutscher Auswanderer im 19. Jahrhundert. Deutsch-australische Studien, Band 14. Bern. Bevege, Margaret 1993: Behind Barbed Wire. Internment in Australia During World War II. Brisbane. Bhabha, Homi 1994: Between Identities. In: International Yearbook of Oral History and Life Stories 3 (1994): 183-199. Bhabha, Homi 1994: The Location of Culture. New York. Bhabha, Homi 2000: Die Verortung der Kultur. Tübingen. Biedermann, Bettina 2006: Eine bezahlte Passage. Die Auswanderung von Deutschen nach Australien in den 1950er Jahren. Marburg. Biermann, Frank 2001: Umweltflüchtlinge. Ursachen und Lösungsansätze. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 13 (2001): 24-29. Bimmer, Andreas C. 1990: Vom „-tum“ in der Volkskunde. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 93 (1990): 150-173.

626 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Bimmer, Andreas C. 2000: Von Übergang zu Übergang – Ist van Gennep noch zu retten? In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 103 (2000): 15-36. Binder, Beate/Niedermüller, Peter/Kaschuba, Wolfgang (Hg.) 2001: Inszenierung des Nationalen. Geschichte, Kultur und Politik am Ende des 20. Jahrhunderts. Alltag und Kultur, Band 7. Köln u. a. Binder, Beate 2008: Heimat als Begriff der Gegenwartsanalyse? Gefühle der Zugehörigkeit und sozialen Imagination in der Auseinandersetzung um Einwanderung. In: Zeitschrift für Volkskunde 104 (2008): 1-17. Binder, Beate 2010: Beheimatung statt Heimat. Translokale Perspektiven auf Räume der Zugehörigkeit. In: Seifert, Manfred (Hg.): Zwischen Emotion und Kalkül. ,Heimat‘ als Argument im Prozess der Moderne. Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Band 5. Leipzig: 189-204. Binder, Jana 2006: Globality. Eine Ethnographie über Backpacker. Forum Europäische Ethnologie, Band 7. Münster u. a. Bitterli, Urs 1991: Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Geistesund Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung. 2., durchges. und um einen bibliogr. Nachtr. erw. Aufl. München. Bitterli, Urs 1992: Die Kulturberührung als wissenschaftliche Herausforderung. Die Engländer und Franzosen in der Südsee. In: ders. (Hg.): Alte Welt – neue Welt. Formen des europäisch-überseeischen Kulturkontaktes vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. München: 178-242. Blainey, Geoffrey 1984: All for Australia. North Ryde, NSW. Bock, Philip K. 1970: Foreword: On “culture shock”. In: ders. (Hg.): Culture Shock. A Reader in Modern Cultural Anthropology. New York: ix-xii. Bodemann, Ulrike 1983: Folklorismus – Ein Modellentwurf. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 28 (1983): 101-110. Böhm, Max Hilbert 1934: Das Volkstum des Grenz- und Auslandsdeutschtums. In: Peßler, Wilhelm (Hg.): Handbuch der Deutschen Volkskunde, Band 1. Potsdam: 170-182. Böhme, Hartmut/Matussek, Peter/Müller, Lothar (Hg.) 2000: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek bei Hamburg. Bönisch-Brednich, Brigitte 1994: Volkskundliche Forschung in Schlesien. Eine Wissenschaftsgeschichte. Schriftenreihe der Kommission für Deutsche und Osteuropäische Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V., Band 68. Marburg. Bönisch-Brednich, Brigitte 2001: Zur Poetik des Fachs. Wie man sich in die Nähe schreibt. In: Löffler, Klara (Hg.): Dazwischen. Zur Spezifik der Empirien in der Volkskunde. Hochschultagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Wien 1998. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien, Band 20. Wien: 65-74. Bönisch-Brednich, Brigitte 2002: Auswandern. Destination Neuseeland. Eine ethnographische Migrationsstudie. Berlin.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 627

Bönisch-Brednich, Brigitte 2006: Migrants of choice. Liminalität in transnationalen Lebenswelten. In: Hengartner/Moser (Hg.): Grenzen & Differenzen: 461-468. Böth, Gitta 2001: Kleidungsforschung. In: Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde: 221-238. Bollhöfer, Björn 2007: Geographien des Fernsehens. Der Kölner Tatort als mediale Verortung kultureller Praktiken. Bielefeld. Bollmus, Reinhard 2006: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Studien zur Zeitgeschichte, Band 1. 2. Auflage. München. Bommer, Bettina 1993: Entwicklungslinien des Forschungsgebietes Urbananthropologie. Eine Untersuchung der Zeitschrift Urban Anthropology. Mundus Reihe Ethnologie, Band 64. Bonn. Bommes, Michael 2003: Der Mythos des transnationalen Raumes. Oder: Worin besteht die Herausforderung des Transnationalismus für die Migrationsforschung. In: Thränhardt, Dietrich/Hunger, Uwe (Hg.): Migration im Spannungsverhältnis von Globalisierung und Nationalstaat. Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Sonderheft 22. Wiesbaden: 90-116. Bommes, Michael/Castles, Stephen/Wihtol de Wenden, Catherine (Hg.) 1999: Migration and Social Change in Australia, France and Germany. Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien Beiträge, Band 12. Osnabrück. Bommes, Michael/Morawska, Ewa (Hg.) 2005: International Migration Research. Constructions, Omissions and the Promises of Interdisciplinarity. Research in Migration and Ethnic Relations Series. Cornwall. Bormann, Regina 2001: Raum, Zeit, Identität. Sozialtheoretische Verortung kultureller Prozesse. Forschungen Soziologie, Band 115. Opladen. Borofsky, Robert (Hg.) 1994: Assessing Cultural Anthropology. New York u. a. Bougainville, Louise-Antoine de 1977: Reise um die Welt, welche mit der Fregatte La Boudeuse und dem Fleutschiff L‘Etoile in den Jahren 1766, 1767, 1768 und 1769 gemacht worden. Berlin. Bourdieu, Pierre 1990: Die biographische Illusion. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 3 (1990): 75-81. Bourdieu, Pierre 1999: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M. Bräunlein, Peter J./Lauser, Andrea (Hg.) 1997: Ethnologie der Migration. Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 10 (1997). Bräunlein, Peter J./Lauser, Andrea 1997a: Grenzüberschreitungen, Identitäten. Zur Ethnologie der Migration in der Spätmoderne. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 10 (1997): I-XVIII (Themenheft: Ethnologie der Migration). Bräunlein, Peter J. 1997: Victor Witten Turner (1920–1983). In: Michaels, Axel: (Hg.): Klassiker der Religionswissenschaft. München: 324-342. Brah, Avtar 1996: Cartographies of Diaspora. Contesting Identities. London u. a.

628 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Brand, Karl-Werner 2002: Nachhaltig leben! Zur Problematik der Veränderung von Lebensstilen. In: Rink, Dieter (Hg.): Lebensstile und Nachhaltigkeit. Konzepte, Befunde und Potentiale. Soziologie und Ökologie, Band 7. Opladen: 183-204. Brandes, Detlef/Sundhausen, Holm/Troebst, Stefan (Hg.) 2010: Lexikon der Vertreibung. Deportation, Zwangsumsiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Köln u. a. Braun, Karl 2000: Karneval? Karnevaleske! Zur volkskundlich-ethnologischen Erforschung karnevalesker Ereignisse. In: Zeitschrift für Volkskunde 97 (2000): 1-15. Braun, Karl 2006: Grenzziehungen im Imaginären – Konstitutionen von Kultur. In: Hengartner/Moser (Hg.): Grenzen & Differenzen: 19-39. Braun, Karl 2009: Vom „Volkskörper“. Deutschnationaler Denkstil und die Positionierung der Volkskunde. In: Zeitschrift für Volkskunde 105 (2009): 1-27. Braun, Karl 2010: Grenze und Kulturvergleich. Zur Semantik des „,Wir‘ und ,die Anderen‘“. In: Grosch/Zinn-Thomas (Hg.): Fremdheit – Migration – Musik: 4559. Breckner, Roswitha 1994: Von den Zeitzeugen zu den Biographen. Methoden der Erhebung und Auswertung lebensgeschichtlicher Interviews. In: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte: 199-222. Brednich, Rolf Wilhelm 1977: Projekt Saskatchewan. Neue Aufgaben und Methoden volkskundlicher Empirie. In: Zeitschrift für Volkskunde 73 (1977): 24-41. Brednich, Rolf Wilhelm 1979: Zur Anwendung der biographischen Methode in der volkskundlichen Feldforschung. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 22 (1979): 279-329. Brednich, Rolf Wilhelm 1981: Die Hutterer – ein Stück alter alpenländischer Kultur in der neuen Welt. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 84 (1981): 141-153. Brednich, Rolf Wilhelm 1981a: The Bible and the Plough. The Lives of a Hutterite Minister and a Mennonite Farmer. Ottawa. Brednich, Rolf Wilhelm 1982: Zum Stellenwert erzählter Lebensgeschichten in komplexen volkskundlichen Feldprojekten. In: ders. (Hg.): Lebenslauf und Lebenszusammenhang. Autobiographische Materialien in der volkskundlichen Forschung. Vorträge der Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Freiburg i. Br. vom 16. bis 18. März 1981. Freiburg i. Br.: 46-70. Brednich, Rolf Wilhelm 1994: Peter Assion 5.8.1941–1.4.1994. In: Zeitschrift für Volkskunde 90 (1994): 255-258. Brednich, Rolf Wilhelm 1997: Peter Assion als Initiator der volkskundlichen Auswanderungsforschung. In: Dittmar, Jürgen/Kaltwasser, Stephan/Schriewer, Klaus (Hg.): Betrachtungen an der Grenze. Gedenkband für Peter Assion. Marburg: 19-36.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 629

Brednich Rolf Wilhelm (Hg.) 2001: Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin. Brednich, Rolf Wilhelm 2001a: Quellen und Methoden. In: ders. (Hg.): Grundriß der Volkskunde, S. 77-100. Brednich, Rolf Wilhelm/Schneider, Annette/Werner, Ute (Hg.) 2001: Natur – Kultur. Volkskundliche Perspektiven auf Mensch und Umwelt. 32. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Halle vom 27.9. bis 1.10.1999. Münster u. a. Breidenbach, Joana 1994: Deutsche und Dingwelt. Die Kommodifizierung nationaler Eigenschaften und die Nationalisierung deutscher Kultur. Interethnische Beziehungen und Kulturwandel, Band 22. Münster/Hamburg. Breidenbach, Joana/Zukrigl, Ina 1998: Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Welt. Berlin. Breidenbach, Joana/Zukrigl, Ina 2002: Vernetzte Diaspora. In: Moosmüller (Hg.): Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora: 277-291. Breidenbach, Joana/Zukrigel, Ina 2003: Vernetzte Welten – Identitäten im Internet. In: Das Parlament, 1.12.2003: 29-36. Breidenbach, Joana/Nyíri, Pál 2009: Seeing Culture Everywhere. From Genocide to Consumer Habits. Washington. Brennan, Frank 2007: Tampering with Asylum. A Universal Humanitarian Problem. Revised edition. St. Lucia, QLD. Brettell, Caroline 1996: Migration. In: Levison/Ember (Hg.): Encyclopedia of Cultural Anthropology, Volume 3: 793-797. Brettell, Caroline 2000: Theorizing Migration in Anthropology. The Social Construction of Networks, Identities, Communities and Globalscapes. In: dies./Hollifield, James Frank (Hg.): Migration Theory. Talking Across Disciplines. New York u. a.: 97-136. Brettell, Caroline 2007: Anthropology and Migration. Essays on Transnationalism, Ethnicity, and Identity. New York u. a. Briggs, Charles 1999: Rethinking the Public. Folklorists and the Contestation of Public Cultures. In: Bendix, Regina/Welz, Gisela (Hg.): Public Folklore. Forms of Intellectual Practice in Society. Journal of Folklore Research, Volume 36. Indiana: 283-286. Bringemeier, Martha 1995: Mode und Tracht. Beiträge zur geistesgeschichtlichen und volkskundlichen Kleidungsforschung. 2., erweiterte Auflage. Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Band 15. Münster. Bringéus, Nils-Arvid 1983: The Predecessors of „Ethnologia Europaea“. In: Ethnologia Europaea 13 (1983): 228-233. Bringéus, Nils-Arvid 1994: Der Mensch als Kulturwesen. Eine Einführung in die europäische Ethnologie. Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte, Band 44. Würzburg.

630 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Bromley, Roger 1999: Cultural Studies gestern und heute. In: ders./Göttlich, Udo/Winter, Carsten (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung. Lüneburg: 9-24. Bronfen, Elisabeth/Marius, Benjamin 1997: Hybride Kulturen. Einleitung zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. In: dies./Steffen, Therese (Hg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Studien zur Inter- und Multikultur, Band 4. Tübingen: 1-29. Brown, Donald R. 1999: The Snail’s Shell. Electronic Media and Emigrant Communities. In: Communications 24/1 (1999): 61-83. Brown, Richard 1973: Anthropology and Colonial Rule. Godfrey Wilson and the Rhodes-Livingstone Institute, Northern Rhodesia. In: Asad, Talal (Hg.): Anthropology and the Colonial Encounter. London: 173-197. Bruck, Andreas 1990: Vergangenheitsbewältigung?! Kritische Anmerkungen zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Volkskunde. In: Zeitschrift für Volkskunde 86 (1990): 177-202. Brück, Ingrid 2003: Der deutsche Fernsehkrimi. Eine Programm- und Produktionsgeschichte von den Anfängen bis heute. Stuttgart/Weimar. Brückner, Wolfgang (Hg.) 1971: Falkensteiner Protokolle. Diskussionspapiere und Protokolle der in Falkenstein (Taunus) vom 21. bis 26. Sept. 1970 abgehaltenen Wissenschaftlichen Arbeitstagung des Ständigen Ausschusses für Hochschulund Studienfragen der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde. Frankfurt a. M. Brückner, Wolfgang 1981: Die Ethnologen kommen. In: Bayerische Blätter für Volkskunde 8 (1981): 129-133. Brückner, Wolfgang 1992: Volkskunde im Abwind? In: Bayerische Blätter für Volkskunde 19 (1992): 193-204. Brückner, Wolfgang 1993: Windhosen. Wo bläst es in der Volkskunde? In: Bayerische Blätter für Volkskunde 20 (1993): 193-204. Brückner, Wolfgang 1994: Von Welschen und Itakern. Oberschichtliche Vorurteile und volkstümliche Stereotypenbildung im deutschsprachigen Mitteleuropa. In: Bayerische Blätter für Volkskunde 21 (1994): 204-216. Brückner, Wolfgang 1996: Kulturwissenschaft(en), Cultural Studies, Volkskunde. Materialsammlung für das Hochschullehrertreffen in Basel. In: Bayerische Blätter für Volkskunde 20 (1996): 150-187. Brückner, Wolfgang 1998: „L’ordre du discours“. Zum Gedanken an Leopold Schmidt. In: Bayerische Blätter für Volkskunde (25) 1998: 41-50. Brunmann, Christoph 1999: Globalisierung. In: Hirschberg, Walter (Begr.): Wörterbuch der Völkerkunde. Grundlegend überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Berlin: 152-153. Bucakli, Özkan/Reuter, Julia 2004: Glokalisierungspraktiken in der Migration. In: Meyer, Jörg (Hg.): Reflexive Repräsentationen. Diskurs, Macht und Praxis der Globalisierung. Diskursive Produktionen, Band 5. Münster u. a.: 85-99.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 631

Bukow, Wolf-Dietrich 1992: Ethnisierung und nationale Identität. In: Institut für Migrations- und Rassismusforschung (Hg.): Migration und Rassismus in Europa. Hamburg: 133-146. Bukow, Wolf-Dietrich 1999: Ethnisierung der Lebensführung. In: Apitzsch (Hg.): Migration und Traditionsbildung: 92-104. Bulmer, Martin 1985: Chicago School of Sociology. In: Kuper, Adam/Kuper, Jessica (Hg.): The Social Science Encyclopedia. London: 104-105. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.) 2008: Umweltbewusstsein in Deutschland 2008. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Niestetal. Bunzl, John/Hafez, Farid (Hg.) 2009: Islamophobie in Österreich. Innsbruck u. a. Burawoy, Michael 2000: Introduction. In: ders. u. a. (Hg.): Global Ethnography. Forces, Connections, and Imaginations in a Postmodern World. Berkeley, CA: 1-40. Burgmann, Verity/Lee, Jenny (Hg.) 1988: A Most Valuable Acquisition. A People’s History of Australia Since 1788. Melbourne. Burkhardt-Seebass, Christina (Hg.) 1997: Zwischen den Stühlen fest im Sattel? Eine Diskussion um Zentrum, Perspektiven und Verbindungen des Faches Volkskunde. Hochschultagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde. Basel, 31. Oktober–2. November 1996. Göttingen. Burnley, Ian H./Encel, Sol/McCall, Grant (Hg.) 1985: Immigration and Ethnicity in the 1980s. Australia Studies. Melbourne. Burnley, Ian H. 2001: The Impact of Immigration on Australia. A Demographic Approach. Oxford. Burnley, Ian H. 2001a: Diversity and Difference: Immigration and the Multicultural City. In: Connell (Hg.): Sydney: 244-272. Burzan, Nicole 2007: Soziale Ungleichheiten. Eine Einführung in zentrale Theorien. 3., überarbeitete Auflage. Wiesbaden. Caduff, Corina/Pfaff-Czanecka, Joanna 2001: Vorwort. In: dies. (Hg.): Rituale heute. Theorien – Kontroversen – Entwürfe. 2. Auflage. Berlin: 7-17. Caestecker, Frank 2008: „Displaced Dersons“ (DPs) in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In: Bade u. a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa: 529-535. Calhoun, Craig 2000: Pierre Bourdieu. In: Ritzer, Georg (Hg.): The Blackwell Companion to Major Social Theorists. Malden, MA/Oxford: 696-730. Cameron, David W. 2007: 25 April 1915. The Day the ANZAC Legend Was Born. Crows Nest, NSW. Cancik, Hubert/Mohr, Hubert 1990: Erinnerung/Gedächtnis. In: dies./Gladigow, Burkhardt/Kohl, Karl-Heinz (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Band 2. Stuttgart: 299-323. Cannon, Michael 1971: Who’s Master? Who’s Man? Australia in the Victorian Age. Melbourne.

632 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Cappai, Gabriele 2005: Im migratorischen Dreieck. Eine empirische Untersuchung über Migrantenorganisationen und ihre Stellung zwischen Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft. Qualitative Soziologie, Band 6. Stuttgart. Carmels, Aleks 1981: Christen als Pioniere im Heiligen Land. Ein Beitrag zur Geschichte der Pilgermission und des Wiederaufbaus Palästinas im 19. Jahrhundert. Theologische Zeitschrift, Sonderband X. Basel. Carmel, Aleks 1997: Die Siedlungen der württembergischen Templer in Palästina 1868–1918. Ihre lokalpolitischen und internationalen Probleme. Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde, Reihe B, Forschungen, Band 77. 2. Auflage. Stuttgart. Casagrande, Thomas 2003: Die Volksdeutsche SS-Division „Prinz Eugen“. Die Banater Schwaben und die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen. Frankfurt a. M./New York. Castells, Manuel 1998: The Rise of the Network Society. Malden, Mass. u. a. Castles, Stephen 1990: Sozialwissenschaften und ethnische Minderheiten in Australien. In: Dittrich, Eckhard J./Radtke, Frank-Olaf (Hg.): Ethnizität. Wissenschaft und Minderheiten. Opladen: 43-71. Castles, Stephen 1992: Australian Multiculturalism. Social Policy and Identity in a Changing Society. In: Freeman, Gary P./Jupp, James (Hg.): Nations of Immigrants. Australia, the United States, and International Migration. Mel-bourne/ New York: 184-201. Castles, Stephen 1992a: The Challenge of Multiculturalism. Global Changes and Australian Experiences. Published for the Office of Multicultural Affairs by the Centre of Multicultural Studies, University of Wollongong. Working Papers of Multiculturalism 19. Wollongong, NSW. Castles, Stephen/Cope, Bill/Kalantzis, Mary/Morrissey, Michael 1995: Mistaken Identity. Multiculturalism and the Demise of Nationalism in Australia. 3rd edition. Sydney [Orig. 1988]. Castles, Stephen 1996: Immigration and Multiculturalism in Australia. In: Bade, Klaus J. (Hg.): Migration – Ethnizität – Konflikt. Systemfragen und Fallstudien. Osnabrück: 251-271. Castles, Stephen 1996a: The Racism of Globalisation. In: Vasta, Ellie/ders. (Hg.): The Teeth Are Smiling. The Persistence of Racism in Multicultural Australia. Sydney: 17-45. Castles, Stephen 1999: Einwanderung und Sozialpolitik in Australien. In: Bommes, Michael/Halfmann, Jost (Hg.): Migration in nationalen Wohlfahrtsstaaten. Theoretische und vergleichende Untersuchungen. Schriften des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück, Band 6. Osnabrück: 171-197. Castles, Stephen 1999a: Globalisation, Multicultural Citizenship and Transnational Democracy. In: Hage/Couch (Hg.): The Future of Australian Multiculturalism: 31-41.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 633

Castles, Stephen/Miller, Marc J. 2003: The Age of Migration. International Population Movements in the Modern World. 3rd edition. Basingstoke. Chambers, Ian 1994: Migrancy, Culture, Identity. London. Chaumont, Jean-Michel 2001: Die Konkurrenz der Opfer. Genozid, Identität und Anerkennung. Lüneburg. Choi, Ching Y. 1975: Chinese Migration and Settlement in Australia. Sydney. Cipolletti, Maria Susana 1997: Stimmen der Vergangenheit, Stimmen der Gegenwart. Die Westtukano Amazoniens 1637–1993. Ethnologische Studien, Band 32. Münster. Clark, Manning (Hg.) 1955: Selected Documents in Australian History 1851–1900. Sydney. Clark, Manning 1986: A Short History of Australia. Ringwood, VIC. Clark, Manning 1997: A History of Australia. Melbourne. Clarke, Frank G. 2003: Australia in a Nutshell. A Narrative History. Dural, NSW. Clifford, James 1988: The Predicament of Culture. Twentieth-Century Ethnography, Literature, and Art. Cambridge/London. Clifford, James 1986: Introduction: Partial Truths. In: Ders./Marcus, George E. (Hg.): Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley, CA: 1-26. Clifford, James 1994: Diasporas. In: Cultural Anthropology 9/2 (1994): 302-338. Clifford, James 1997: Routes. Travel and Translation in the late Twentieth Century. Cambridge. Cloos, Patricia/Tampke, Jürgen (Hg.) 1993: „Greetings From the Land Where Milk and Honey Flows“. The German Immigration to New South Wales 1838–1858. Canberra. Clyne, Michael 1981: Deutsch als Muttersprache in Australien. Zur Ökologie einer Einwanderersprache. Deutsche Sprache in Europa und Übersee. Berichte und Forschungen, Band 8. Wiesbaden. Cobley, John 1987: Sydney Cove 1788. In the Words of Australia’s First Fleet. The True Story of a Nation’s Birth. North Ryde, NSW. Cohen, Robin 1987: The New Helots. Migrants in the International Divison of Labour. Aldershot. Cohen, Robin 1995: Prologue. In: ders. (Hg.): The Cambridge Survey of World Migration. Cambridge/New York: 1-9. Coleman, Elisabeth 2006: Kommt nach Australien. Weil qualifizierte Arbeitskräfte fehlen, startet Australien seine größte Job-Kampagne seit sechzig Jahren. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 55/3+4 (2006): 10-11. Collatz, Jürgen 1995: Auf dem Weg in das Jahrhundert der Migration. Auswirkungen der Migrationsbewegungen auf den Bedarf an psychosozialer und sozialpsychiatrischer Versorgung. In: Koch, Eckhardt/Özeck, Metin/Pfeiffer, Wolfgang M. (Hg.): Psychologie und Pathologie der Migration. Deutsch-türkische Perspektiven. Freiburg i. Br.: 31-45.

634 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Collins, Jock 2007: The Landmark of Cronulla. In: Jupp/Nieuwenhuysen/Dawson: Social Cohesion in Australia: 61-69. Collins, Jock/Henry, Francis 1994: Racism, Ethnicity and Immigration in Canada and Australia. In: Adelman, Howard u. a. (Hg.): Immigration and Refugee Policy. Australia and Canada Compared, Volume 2. Melbourne: 515-548. Committee of Review of Migration and Multicultural Programs and Services (The Jupp Report) 1986: Don’t Settle For Less. Department of Immigration and Ethnic Affairs. AGPS. Canberra. Conisbee, Molly/Simms, Andrew 2003: Environmental Refugees. The Case of Recognition. London. Connell, John (Hg.) 2001: Sydney. The Emergence of a World City. Sydney. Connell, John 2001a: And the Winner is … In: ders. (Hg.): Sydney: 1-18. Cox, Heinrich L. (1993/1994): Kulturgrenzen und nationale Identität. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 30 (1993/94): 7-14. (Themenband: Kulturgrenzen und Nationale Identität). Cox, Heinrich L. (Hg.) 2005/2006: Kleidung oder Verkleidung – Brauch oder Tradition? Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 36 (2005/2006). Crapanzano, Vincent 1980: Tuhami. Portrait of a Moroccan. Chicago. Crapanzano, Vincent 2004: Das Dilemma des Hermes: Die verschleierte Unterwanderung der ethnographischen Beschreibung. In: Bachmann-Medick, Doris (Hg.): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. 2., aktualisierte Auflage. Frankfurt a. M.: 161-188. Crock, Mary E./Saul, Ben/Dastyari, Azadeh 2006: Future Seekers II. Refugees and Irregular Migration in Australia. Annandale, NSW. Därmann, Iris /Jamme, Christoph (Hg.) 2007: Kulturwissenschaften. Konzepte, Theorien, Autoren. München. Därmann, Iris 2007a: Statt einer Einleitung. Plädoyer für eine Ethnologisierung der Kulturwissenschaft(en). In: dies./Jamme (Hg.): Kulturwissenschaften: 7-33. Dahrendorf, Ralf 1998: Anmerkungen zur Globalisierung. In: Beck (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft: 41-54. Dammann, Rüdiger 1991: Die dialogische Praxis der Feldforschung. Der ethnographische Blick als Paradigma der Erkenntnisgewinnung. Frankfurt a. M. Damousi, Joy 2001: Living with the Aftermath. Trauma, Nostalgia, and Grief in Post-War Australia. New York. Dancu, Andreea 2009: Leben in der Fremde. Empirische Studien über Green-CardInhaber und ihre Familien. Münster u. a. Darieva, Tsypylma 2004: Russkij Berlin. Migranten und Medien in Berlin und London. Zeithorizonte. Perspektiven Europäischer Ethnologie, Band 9. Münster. Dauth, Harika 2008: Die Konstruktion des Fremden. Zur Wahrnehmung der muslimischen Migranten in Deutschland und der Rolle der „Islam-Ethnologie“. In:

Q UELLENVERZEICHNIS

| 635

Cargo. Zeitschrift für Ethnologie 28 (2008): 6-9 (Themenheft: Grenzgänger. Perspektiven auf Migration). Davies, Will/Dal Bosco, Andrea 2001: Tales from a Suitcase. South Melbourne, VIC. Davies, Will/Dal Bosco, Andrea 2002: Tales from a Suitcase. The Afghan Experience. South Melbourne, VIC. Deegan, Mary Jo 2001: The Chicago School of Ethnography. In: Atkinson (Hg.): Handbook of Ethnography: 11-25. Deißner, Vera 1997: Die Volkskunde und ihre Methoden. Perspektiven auf die Geschichte einer „tastend-schreitenden Wissenschaft“ bis 1945. Studien zur Volkskultur in Rheinland-Pfalz, Band 21. Mainz. Despres, Leo A. 1975: Toward a Theory of Ethnic Phenomena. In: ders. (Hg.): Ethnicity and Resource Competition in Plural Societies. Den Haag: 187-207. Deutsch-Österreichische Gesellschaft 1988: Kultur und Brauchtum erhalten. In: Jacobi, John (Hg.): 200 Jahre Geschichte der deutschsprachigen Gemeinschaft in Australien. Bankstown, NSW: 189. DeVos, George 1945: Ethnic Pluralism. Conflict and Accommodation. In: ders./ Romanucci-Ross, Lola (Hg.): Ethnic Identity. Cultural Continuities and Change. Mayfield, CA: 5-41. Dias, Jorge 1988: Die Quintessenz des Problems: Nomenklatur und Gegenstand der Folklore/Volkskunde. In: Gerndt (Hg.): Fach und Begriff „Volkskunde“ in der Diskussion: 158-178. Dixon, Jeffrey C. 2008: Clash of Civilizations. In: Darity, William A. Jr. (Hg.): International Encyclopedia of the Social Sciences. 2nd edition, Volume 1. Detroit u. a.: 559-560. Dobeneck, Florian von 2010: Mobile Eliten. Deutsche Entsandte und ihre Familien in São Paulo. Ethnologie, Band 1. Marburg. Dobeneck, Florian von 2010a: Die Eigenen in der Fremde? Entsandtenforschung retrospektiv. In: Grosch/Zinn-Thomas (Hg.): Fremdheit – Migration – Musik: 155-168. Dobler, Ingrid/Groll, Maren von 2002: Die Deutschen in Mexiko. Beispiele einer modernen Diaspora? In: Mossmüller (Hg.): Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora: 113-128. Docker, Edward Wybergh 1981: The Blackbirders. A Brutal Story of the Kanaka Slave-Trade. London/Sydney. Döring, Jörg/Thielmann, Tristan (Hg.) 2008: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld. Douglas, Mary 1975: Implicit Meanings. Essays in Anthropology. London. Dracklé, Dorle 1999: Kulturanthropologie. In: Hirschberg, Walter (Begr.): Wörterbuch der Völkerkunde. Grundlegend überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Berlin: 220.

636 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Dracklé, Dorle 2000: Zur kulturellen Praxis von Medien: Ethnologische Perspektiven. In: Brüne, Stefan (Hg.): Neue Medien und Öffentlichkeit. Politik und TeleKommunikation in Afrika, Asien und Lateinamerika, Band 1. Hamburg: 127146. Dracklé, Dorle 2007: Jenseits von Verbinden und Trennen: Migration und Medien. In: Schmidt-Lauber (Hg.): Ethnizität und Migration: 195-219. Drascek, Daniel 2005: „Denn für das richtige Leben muss man Zeit haben.“ Vom Stress mit der Zeit in kulturvergleichender Perspektive. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2005: 167-173. Drascek, Daniel 2007: „Die Zeit der Deutschen ist langsam, aber genau.“ Vom Umgang mit der Zeit in kulturvergleichender Perspektive. In: Zeitschrift für Volkskunde 103 (2007): 1-19. Drechsel, Paul/Schmidt, Bettina/Gölz, Bernhard 2000: Kultur im Zeitalter der Globalisierung. Von Identität und Differenz. Frankfurt a. M. Dröge, Kurt (Hg.) 1995: Alltagskulturen zwischen Erinnerung und Geschichte. Beiträge zur Volkskunde der Deutschen in und aus dem östlichen Europa. Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte, Band 6. München. Düfler, Eberhard/Jöstingmeier, Bernd 2008: Internationales Management in unterschiedlichen Kulturbereichen, 7., vollständig überarbeitete Auflage. München. Dünninger, Josef 1969: Tradition und Geschichte. In: Bausinger, Hermann/Brückner, Wolfgang (Hg.): Kontinuität? Geschichtlichkeit und Dauer als volkskundliches Problem. Festschrift für Hans Moser. Berlin: 57-66. Düvell, Franck 2006: Europäische und internationale Migration. Einführung in historische, soziologische und politische Analysen. Europäisierung. Beiträge zur transnationalen und transkulturellen Europadebatte, Band 5. Hamburg. Durkheim, Emile 1994: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt a. M. Eco, Umberto 1987: Was es bedeutet, zwei Sprachen zu sprechen. In: Begegnung – Deutsche Schulen im Ausland 2 (1987): 18-19. Egger, Simone 2008: Phänomen Wiesntracht. Identitätspraxen einer urbanen Gesellschaft. Dirndl und Lederhosen, München und das Oktoberfest. Münchner ethnographische Schriften. Kulturwissenschaftlich-ethnologische Untersuchungen zur Alltagsgeschichte, Alltagskultur und Alltagswelten in Europa, Band 2. München. Eggmann, Sabine 2009: „Kultur“-Konstruktionen. Die gegenwärtige Gesellschaft im Spiegel volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Wissens. Bielefeld. Ehalt, Hubert Christian/Girtler, Roland (Hg.) 2006: „Die Wahrheit liegt im Feld.“ Roland Girtler zum 65. Geburtstag. Wien u. a. Ein Aufklärer des Alltags. Der Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger im Gespräch mit Wolfgang Kaschuba, Gudrun M. König, Dieter Langewiesche und Bernhard Tschofen. Mit einem Vorwort von Bernd Jürgen Warneken. Wien u. a. 2006.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 637

Eisch, Katharina 2007: Interethnik und interkulturelle Forschung. In: Göttsch/Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde: 141-167. Eisch, Katharina/Hamm, Marion (Hg.) 2001: Die Poesie des Feldes. Beiträge zur ethnographischen Kulturanalyse. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 93. Tübingen. Eisch, Katharina/Hamm, Marion 2001a: Einleitung. In: dies (Hg.): Die Poesie des Feldes: 11-23. Eisch-Angus, Katharina 2009: Sicher forschen? Methodische Überlegungen zum Ethnografieren von Sicherheit und Alltag. In: Windmüller/Binder/Hengartner (Hg.): Kultur – Forschung: 69-90. Eller, Jack David 1999: From Culture to Ethnicity to Conflict. An Anthropological Perspective on International Ethnic Conflict. Ann Arbor, MI. Eller, Jack David/Coughlan, Reed 1993: The Poverty of Primordialism. The Demystification of Ethnic Attachments. In: Ethnic and Racial Studies 16 (1993): 183-202. Elschenbroich, Donata 1986: Eine Nation der Einwanderer. Ethnisches Bewußtsein und Integrationspolitik in den USA. Frankfurt a. M. Elwert, Georg 1989: Nationalismus, Ethnizität und Nativismus – über die Bildung von Wir-Gruppen. In: ders./Waldmann, Peter (Hg.): Ethnizität im Wandel. Spektrum. Berliner Reihe zu Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in Entwicklungsländern, Band 21. Saarbrücken/Fort Lauderdale, FL: 21-60. Emerson, Robert M./Fretz, Rachel I./Shaw, Linda L. 1995: Writing Ethnographic Fieldnotes. Chicago. Emerson, Robert M./Fretz, Rachel I./Shaw, Linda L. 2001: Participant Oberservation and Fieldnotes. In: Atkinson (Hg.): Handbook of Ethnography: 352-368. Emmerich, Wolfgang 1971: Zur Kritik der Volkstumsideologie. Frankfurt a. M. Enders, Kristina/Weibert, Anne 2009: Identität im Social Web. Von der Bedeutung der Ethnizität für den gesellschaftlichen Eingliederungsprozess im digitalen Medienumbruch. In: Geissler, Rainer/Pöttker, Horst (Hg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland, Band 2: Forschungsbefunde. Medienumbrüche, Band 30. Bielefeld: 333-350. Engelhardt, Michael von 2002: Alte Heimat – neue Heimat. Zur Integration der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges. In: Heller, Hartmut (Hg.): Neue Heimat Deutschland. Aspekte der Zuwanderung, Akkulturation und emotionalen Bindung. Vierzehn Referate einer Tagung der Deutschen Akademie für Landeskunde, des Instituts für Länderkunde Leipzig und des Zentralinstituts für Regionalforschung der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, 22.–24.6.2000 in Nürnberg. Erlanger Forschungen Reihe A. Geisteswissenschaften, Band 95. Erlangen: 29-62. Epstein, Arnold L. 1958: Politics in an Urban African Community. Manchester. Eriksen, Thomas Hylland 1991: The Cultural Context of Ethnic Differences. In: Man 26/1 (1991): 127-144.

638 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Eriksen, Thomas Hylland 1993: Ethnicity and Nationalism. Anthropological Perspectives. London. Eriksen, Thomas Hylland 2005: Economies of Ethnicity. In: Carrier, James G. (Hg.): A Handbook of Economic Anthropology. Cheltenham u. a.: 352-369. Eriksen, Thomas Hylland 2007: Globalization. The Key Concepts. Oxford u. a. Eriksen, Thomas Hylland 2010: Small Places, Large Issues. An Introduction to Social and Cultural Anthropology. 3th edition. London. Escobar, Arturo 1994: Welcome to Cyberia – Notes on the Anthropology of Cyberculture. In: Current Anthropology 35/3 (1994): 211-231. Esser, Hartmut 2006: Sprache und Integration. Die sozialen Bedingungen und Folgen des Spracherwerbs von Migranten. Frankfurt a. M./New York. Evans, Raymond 1988: Keeping Australia Clean White. In: Burgmann/Lee (Hg.): A Most Valuable Acquisition: 170-188. Evans, Raymond 2001: The White Australian Policy. In: Jupp (Hg.): The Australian People: 44-49. Evans, Richard J. 2001a: Der Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess. Frankfurt a. M./New York. Evans-Pritchard, Edward/Fortes, Meyer (Hg.) 1940: African Political Systems. London. Everke-Buchanan, Stefanie 2007: Germans in Melbourne. The Construction of Cultural Identity. Zeithorizonte, Band 11. Berlin/Münster. Faber, Michael/Hirschfelder, Gunther 1996: Volkskunde und Internet. In: KulTour. Mitteilungen des Volkskundlichen Seminars der Universität Bonn 7 (1996): 4054. Fabian, Johannes 1995: Präsenz und Repräsentation. Die anderen und das anthropologische Schreiben. In: Berg/Fuchs (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text: 335-364. Fabian, Johannes/Rooij, Vincent de 2008: Ethnography. In: Bennett, Tony/Frow, John (Hg.): The Sage Handbook of Cultural Analysis. Los Angeles u. a.: 613631. Färber, Alexa 2009: Das unternehmerische ethnografische Selbst. Aspekte der Intensivierung von Arbeit im ethnologisch-ethnografischen Forschungsparadigma. In: Dietzsch, Ina/Kaschuba, Wolfgang/Scholze-Irrlitz, Leonore (Hg.): Horizonte ethnografischen Wissens. Eine Bestandaufnahme. Alltag & Kultur, Band 12. Köln u. a.: 178-202. Fahlbusch, Michael 1999: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutsche Forschungsgemeinschaft“ von 1931–1945. BadenBaden. Faist, Thomas/Gerdes, Jürgen/Rieple, Beate 2007: Dual Citizenship as a PathDependent Process. In: Portes, Alejandro/DeWind, Josh (Hg.): Rethinking Migration. New Theoretical and Empirical Perspectives. New York: 90-121. Falk, Francesca 2010: Invasion, Infection, Invisibility: An Iconology of Illegalized Immigration. In: dies./Bischoff, Christine/Kafehsy, Sylvia (Hg.): Images of Il-

Q UELLENVERZEICHNIS

| 639

legalized Immigration. Towards a Critical Iconology of Politics. Bielefeld: 8399. Fassler, Manfred 1996: Rätselhafte Abstände oder Transkulturelle Abstände. In: Tübinger Korrespondenzblatt 46 (1996): 58-75. Faubion, James D. 2001: Currents of Cultural Fieldwork. In: Atkinson (Hg.): Handbook of Ethnography: 40-59. Faulstich, Werner 2004: Gesellschaft und Kultur der siebziger Jahre: Einführung und Überblick. In: ders. (Hg.): Die Kultur der siebziger Jahre. München: 7-18. Featherstone, Mike 1993: Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity. 4th edition. Newbury Park, CA u. a. Feest, Christian F./Kohl, Karl-Heinz (Hg.) 2001: Hauptwerke der Ethnologie. Stuttgart. Feischmidt, Margit 2007: Ethnizität – Perspektiven und Konzepte der ethnologischen Forschung. In: Schmidt-Lauber (Hg.): Ethnizität und Migration: 51-68. Fendl, Elisabeth 1998: Überlegungen zum Heimwehtourismus. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 41 (1998): 85-100. Fendl, Elisabeth 2005: Von der Heimatvertriebenenvolkskunde zur Migrationsforschung. Volkskundliche Sichtweisen auf die Integration von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen. In: Bendal, Rainer/Janker, Stephan M. (Hg.): Vertriebene Katholiken – Impulse für Umbrüche in Kirche und Gesellschaft? Beiträge zu Theologie, Kirche und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, Band 5. Münster: 4961. Fendl, Elisabeth 2007: Zwischen „daheim“ und „zuhause“ – Zum Heimatbegriff von Flüchtlingen und Vertriebenen. In: Haus der Heimat des Landes BadenWürttemberg (Hg.): Heimat – Annäherungsversuche. Stuttgart: 21-30. Fenske, Hans/Hiery, Hermann 1996: Neue Literatur zur Geschichte der deutschen Auswanderung. In: Historisches Jahrbuch 116 (1996): 155-171. Fetscher, Justus 2004: Die Pazifik-Reisen der 1760er und 1770er Jahre in der deutschen Literatur. In: ders./Despoix, Philippe (Hg.): Cross-Cultural Encounters and Constructions of Knowledge in the 18th and 19th Century. Non-European and European Travel of Exploration in Comparative Perspective. Interkulturelle Begegnungen und Wissenskonstruktionen im 18. und 19. Jahrhundert. Außereuropäische und europäische Forschungsreisen im Vergleich. Georg-ForsterStudien Beihefte, Band 2. Kassel: 323-364. Fiedler, Horst 1983: Georg Forster (1754–1794). In: ders./Scheibe, Siegfried/Ross, Hartmut (Hg.): Georg Forster. Naturforscher, Weltreisender, Humanist und Revolutionär – Sein Verhältnis zum Wörlitz-Dessauer Reformwerk. Wörlitz: 5-45. Fielhauer, Helmut-Paul 1984: Volkskunde als demokratische Kulturgeschichtsforschung. In: Ehalt, Hubert-Christian (Hg.): Geschichte von unten. Fragestellung, Methoden und Projekte einer Geschichte des Alltags. Kulturstudien, Band 1. Wien u. a.: 59-79.

640 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Fisch, Jörg 1992: Zivilisation, Kultur. In: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 7. Stuttgart: 679-774. Fischer, Erik (Hg.) 2007: Chorgesang als Medium von Interkulturalität: Formen, Kanäle, Diskurse. Berichte des interkulturellen Forschungsprojekts „Deutsche Musikkultur im östlichen Europa“, Band 3. Stuttgart. Fischer, Hans 1998: Protokolle, Plakate und Comics. Feldforschung und Schriftdokumente. Materialen zur Kultur der Wampar, Papua New Guinea, Band 5. Berlin. Fischer, Hans/Beer, Bettina (Hg.) 2003: Ethnologie. Einführung und Überblick. Neufassung. Berlin. Fischer, Hans 2006: Einleitung: Über Feldforschungen. In: ders. (Hg.): Feldforschungen. Erfahrungsberichte zur Einführung. Neufassung. Berlin: 9-24. Fischer, Norbert 2008: Landschaft als kulturwissenschaftliche Kategorie. In: Zeitschrift für Volkskunde 104/1 (2008): 19-39. Fishman, Joshua A. 1966: Organizational and Leadership Interest in Language Maintenance. In: ders. (Hg.): Language Loyalty in the United States. Den Haag u. a.: 165-189. Fishman, Joshua A. u. a. (Hg.) 1985: The Rise and Fall of the Ethnic Revival. Perspectives on Language and Ethnicity. Contributions of the Sociology of Language, Volume 37. Berlin u. a. Fitzgerald, John 2007: Big White Lie. Chinese Australians in White Australia. Sydney. FitzGerald, Stephen 1988: Immigration, a Commitment to Australia. The Report of the Committee to Advise on Australia’s Immigration Policies. Canberra. FitzGerald, Stephen 1997: Is Australia an Asian Country? Can Australia Survive in an East Asian Future? St. Leonards, NSW. Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Keupp, Heiner u. a. (Hg.) 1991: Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. München. Foitzik, Doris 2001: Weihnachten. In: Etienne, Françoise/Schulze, Hagen (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Band 3. München: 154-168. Forster, Georg 1985: Neuholland und die brittische Colonie in Botany-Bay. In: ders.: Kleine Schriften zur Völker- und Länderkunde. Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, Band 5. Bearbeitet von Horst Fiedler, Klaus Georg Popp, Annerose Schneider und Christian Suckow. Berlin: 161-180. Forster, Georg 2007: Reise um die Welt. Illustriert von eigener Hand. Mit einem biographischen Essay von Klaus Harpprecht und einem Nachwort von Frank Vorpahl. Frankfurt a. M. Forster, Johanna 2002: „Kindheit und Erziehung“. Betrachtungsperspektiven der Pädagogischen Anthropologie. In: Alt, Kurt W./Kemkes-Grottenthaler, Ariane

Q UELLENVERZEICHNIS

| 641

(Hg.): Kinderwelten. Anthropologie – Geschichte – Kulturvergleich. Köln: 371385. Fortes, Meyer 2004: Max (Herman) Gluckman. In: Matthew, H.C.G./Harrison, Brian (Hg.): Oxford Dictionary of National Biography. In Association with The British Academy, Volume 22. Oxford: 506-508. Fortier, Anne-Marie 2003: Making Home. Queer Migrations and Motions of Attachment. In: Ahmed, Sara u. a. (Hg.): Uprootings – regrounding. Questions of Home and Migration. Oxford u. a.: 115-136. Foster, George/Kemper, Robert van 1988: Anthropological Fieldwork in Cities. In: Gmelch/Zenner (Hg.): Urban Life: 89-101. Foster, Lois/Stockley, David 1984: Multiculturalism: The Changing Australian Paradigm. Multilingual Matters, Volume 16. Clevedon. Freund, Alexander 2004: Aufbrüche nach dem Zusammenbruch. Die deutsche Nordamerika-Auswanderung nach dem Zweiten Weltkrieg. Studien zur Historischen Migrationsforschung, Band 12. Göttingen. Friedmann, Jonathan 1997: Global Crisis, the Struggle for Cultural Identity and Intellectual Porkbarreling: Cosmopolitans versus Locals, Ethnics and Nationals in an Era of De-Hegemonisation. In: Werbner, Pnina/Modood, Tariq (Hg.): Debating Cultural Hybridity. Multi-Cultural Identities and the Politics of AntiRacism. London u. a.: 70-89. Friedmann, Jonathan/Randeria, Shalini (Hg.) 2004: Worlds on the Move. Globalization, Migration and Cultural Security. New York. Friedrich, Jörg 2002: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945. 4. Auflage. München. Frieler, Birgit/Wiebke, Henning 1989: Auswanderung nach 1945: Hoffnung für Millionen – Schutz und Fürsorge für Auswanderer als staatliche Aufgabe. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 39 (1989): 336-344. Friese, Heidrun (1999/2000): Zeit, Kultur, Erinnerung. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 33 (1999/2000): 7-14. (Themenband: Zeit in volkskundlicher Perspektive). Fuchs, Martin/Berg, Eberhard 1995: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation. In: dies. (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text: 11-108. Fuchsberger, Joachim 1988: Guten Morgen, Australien. Meine Begegnungen mit dem Fünften Kontinent. Hamburg. Gadamer, Hans-Georg 1990: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 6. Auflage. Tübingen. Galbally, Frank u. a. (Hg.) 1978: Review of Post-Arrival Programs and Services to Migrants. Australian Government Publishing Services. Canberra. Gale, Peter 2000: Construction of Whiteness in the Australian Media. In: Docker, John/Fischer, Gerhard (Hg.): Race, Colour and Identity in Australia and New Zealand. Sydney: 256-269.

642 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Galizia, Michele 1996: Ethnogenese und die Grenzen von Ethnizität. Ein Beispiel aus Indonesien. In: Wickert, Hans Rudolf u. a. (Hg.): Das Fremde in der Gesellschaft: Migration, Ethnizität und Staat. Zürich: 243-263. Galizia, Michele/Schneider, Jürgen 2005: Einleitung. In: Beck, Charlotte u. a (Hg.): Fremde Freunde. Gewährsleute der Ethnologie. Wuppertal: 7-14. Garber, Jörn 2001: „Arkadien“ im Blickfeld der Aufklärungsethnologie. Anmerkungen zu Georg Forsters Tahiti-Schilderung. In: Oesterle, Günter/Tausch, Harald (Hg.): Der imaginierte Garten. Formen der Erinnerung, Band 9. Göttingen: 93-114. Garber, Jörn 2006: Forster (Johann) Georg (Adam). In: Vierhaus, Rudolf (Hg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie. 2., überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Band 3. München: 424. Garhammer, Manfred 1998: Wie Europäer ihre Zeit nutzen. Zeitstrukturen und Zeitkulturen im Zeichen der Globalisierung. Berlin. Gaver, William W./Boucher, Andrew/Pennington, Sarah/Walker, Brendan 2004: Cultural Probes and the Value of Uncertainty. In: Interaction 11/5 (2004): 5356. Gebhardt, Winfried 2000: Feste, Feiern und Events. Zur Soziologie des Außergewöhnlichen. In: ders./Ronald Hitzler/Michaela Pfadenhauer (Hg.): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen. Erlebniswelten, Band 2. Opladen: 17-31. Geertz, Clifford (Hg.) 1963: Old Societies and New States. The Quest of Modernity in Asia and Africa. London. Geertz, Clifford 1973: The Integrative Revolution: Primordial Sentiments and Civil Politics in the New States. In: ders.: The Interpretation of Cultures. Selected Essays. New York: 255-310. Geertz, Clifford 1992: Kulturbegriff und Menschenbild. In: Habermas, Rebekka/Minkmar, Niels (Hg.): Das Schwein des Häuptlings. Berlin: 56-83. Geertz, Clifford 1994: Angestammte Loyalitäten, bestehende Einheiten. Anthropologische Reflexionen zur Identitätspolitik. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 54/2 (1994): 392-403. Geertz, Clifford 1995: After the Fact. Two Countries, four Decades, one Anthropologist. Cambridge. Geertz, Clifford 1996: Welt in Stücken. Kultur und Politik am Ende des 20. Jahrhunderts. Wien. Geertz, Clifford 1999: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. 6. Auflage. Frankfurt a. M. Geertz, Clifford 1999a: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: ders.: Dichte Beschreibung: 7-43. Geertz, Clifford 1999b: „Deep Play“: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf. In: ders.: Dichte Beschreibung: 202-260. Geertz, Clifford 1999c: „Aus der Perspektive der Eingeborenen“. Zum Problem des ethnologischen Verstehens. In: ders.: Dichte Beschreibung: 289-309.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 643

Geißler, Karlheinz A./Adam, Barbara 1998: Alles zu jeder Zeit und überall. Die Nonstop-Gesellschaft und ihr Preis. In: dies./Held, Martin (Hg.): Die NonstopGesellschaft und ihr Preis. Vom Zeitmißbrauch zur Zeitkultur. Stuttgart: 11-29. Gell, Alfred 1992: The Anthropology of Time. Cultural Constructions of Temporal Maps and Images. Oxford u. a. Gellner, Ernest 1983: Nations and Nationalism. Oxford. Genath, Peter/Boden, Alexander 2005: Ethnografie und Internet. Communities als volkskundliches Forschungsfeld. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 50 (2005): 13-30. Gennep, Arnold van 1999: Übergangsriten (Les rites de passage). Frankfurt a. M. Georg, Dietrich 1983: Ethnischer Rundfunk und multikulturelles Fernsehen in New South Wales. In: Voigt (Hg.): New Beginnings: 256-261. Georgiou, Myria 2005: Diasporic Media Across Europe: Multicultural Societies and the Universalism Particulturalism Continuum. In: Journal of Ethnic and Migration Studies 31/3 (2005): 481-498. Gerholm, Tomas/Hannerz, Ulf 1982: Introduction: The Shaping of National Anthropology. In: Ethnos 47 (1982): 5-35. Gerndt, Helge 1972: Vergleichende Volkskunde. Zur Bedeutung des Vergleichs in der volkskundlichen Methodik. In: Zeitschrift für Volkskunde 68 (1972): 179195. Gerndt, Helge 1980: Zur Perspektive volkskundlicher Forschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 76 (1980): 22-36. Gerndt, Helge 1981: Kultur als Forschungsfeld. Über volkskundliches Denken und Handeln. München. Gerndt, Helge (Hg.) 1987: Volkskunde und Nationalsozialismus. Referate und Diskussionen einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde München, 23. bis 25. Oktober. Münchner Beiträge zur Volkskunde, Band 7. München. Gerndt, Helge (Hg.) 1988: Stereotypenvorstellungen im Alltagsleben. Beiträge zum Themenkreis Fremdbilder – Selbstbilder – Identität. Festschrift für Georg R. Schroubek zum 65. Geburtstag. Münchner Beiträge zur Volkskunde, Band 8. München. Gerndt, Helge (Hg.) 1988a: Fach und Begriff „Volkskunde“ in der Diskussion. Darmstadt. Gerndt, Helge 1988b: Zur kulturwissenschaftlichen Stereotypenforschung. In: ders.: Stereotypenvorstellungen im Alltagsleben: 9-13. Gerndt, Helge 2002: Kulturwissenschaft im Zeitalter der Globalisierung. Volkskundliche Markierungen. Münchner Beiträge zur Volkskunde, Band 31. Münster u. a. Gestrich, Andreas/Hirschfeld, Gerhard/Sonnabend, Holger (Hg.) 1995: Ausweisung und Deportation. Formen der Zwangsmigration in der Geschichte. Stuttgarter Beiträge zur Historischen Migrationsforschung, Band 2. Stuttgart.

644 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Gibney, Matthew J. 2005: Displaced Persons. In: ders./Hansen, Randall (Hg.): Immigration and Asylum. From 1900 to the Present, Volume 1. Santa Barbara, CA: 140-141. Giesler, Horst 2006: Ein Schuljahr in Australien. Australia calling! Gastschüler an einer australischen High School. Das Handbuch für ein High-School-Jahr Down Under. Berlin. Gilissen, Elfi 2004: KulturSchock Australien. Bielefeld. Gilson, Miriam/Zubrzycki, Jerzy 1967: The Foreign-language Press in Australia 1848–1964. Canberra. Gingrich, Andre/Ochs, Elinor/Swedlund, Alan 2003: Repertoires of Timekeeping in Anthropology (Supplement Issue to Current Anthropology 43). Gingrich, Andre 2005: The German-Speaking Countries. Ruptures, Schools, and Nontraditions: Reassessing the History of Sociocultural Anthropology in Germany. In: Barth, Fredrik u. a. (Hg.): One Discipline, Four Ways: British, German, French, and American Anthropology. The Halle Lectures. Chicago: 61153. Ginsburg, Faye D./Abu-Lughod, Lila/Larkin, Brian (Hg.) 2002: Media Worlds. Anthropology on New Terrain. Berkeley, CA. Giordano, Christian 1984: Soziologie, Ethnologie, Kulturanthropologie. Zur Bestimmung wissenschaftlicher Horizonte. In: Brückner, Wolfgang (Hg.): Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie in Frankfurt. Eine Zwischenbilanz forschenden Lernens nach 10 Jahren. Kulturanthropologie-Notizen, Band 20. Frankfurt a. M.: 79-90. Giordano, Christian 1994: Kulturanthropologische Horizonte. Aspekte einer Sozialwissenschaft der „feinen Unterschiede“. In: Greverus (Hg.): Kulturtexte: 1328. Girtler, Roland 1982: ,Ethnos‘, ,Volk‘ und soziale Gruppe. In: Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 112 (1982): 42-57. Girtler, Roland 2001: Methoden der Feldforschung. 4., völlig neu bearbeitete Auflage. Wien u. a. Girtler, Roland 2004: 10 Gebote der Feldforschung. Wien. Girtler, Roland 2006: Kulturanthropologie. Eine Einführung. Wien/Münster. Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L. 1967: The Discovery of Grounded Theory. Strategies of Qualitative Research. Chicago. Glaser, Hermann 1990: Ohne Fremde(s) keine Kultur. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1 (1990): 21-30 (Themenheft: Zur Relevanz des Fremden). Glazer, Nathan/Moynihan, Daniel P. 1963: Beyond the Melting Pot. The Negros, Puerto Ricans, Jews, Italians and Irish in New York City. Cambridge. Glazer, Nathan/Moynihan, Daniel P. 1975: Ethnicity. Theory and Experience. Cambridge. Glick Schiller, Nina 1999: Transmigrants and Nation-States: Something Old and Something New in the U.S. Immigrant Experience. In: Hirschman, Char-

Q UELLENVERZEICHNIS

| 645

les/Kasinitz, Philip/De Wind, Josh (Hg.): The Handbook of International Migration. The American Experience. New York: 94-119. Glick Schiller, Nina/Basch, Linda/Blanc-Szanton, Cristina 1992: Transnationalism: A New Analytic Framework for Understanding Migration. In: dies. (Hg.): Toward a Transnational Perspective on Migration. Race, Class, Ethnicity, and Nationalism Reconsidered. New York: 1-24. Glick Schiller, Nina/Basch, Linda/Szanton Blanc, Cristina 1997: From Immigrant to Transmigrant: Theorizing Transnational Migration. In: Pries, Ludger (Hg.): Transnationale Migration. Soziale Welt, Sonderband 12. Baden-Baden: 121140. Gluckman, Max 1961: Anthropological Problems Arising from the African Industrial Revolution. In: Southhall, Aidan (Hg.): Social Change in Modern Africa. London: 67-88. Gluckman, Max 1968: The Utility of the Equilibrium Model in the Study of Social Change. In: American Anthropologist 70/2 (1968): 219-237. Gmelch, George 1980: Return Migration. In: Annual Review of Anthropology 9 (1980): 135-159. Gmelch, George 1992: Double Passage. The Lives of Caribbean Migrants Abroad and Back Home. Ann Arbor, MI. Gmelch, George/Zenner, Walter P. (Hg.) 1988: Urban Life. Readings in Urban Anthropology. Prospect Hights, IL. Göktürk, Deniz/Gramling, David/Kaes, Anton (Hg.) 2007: Germany in Transit. Nation and Migration 1955–2005. Weimar and now. German Culture Criticism, Volume 40. Berkeley, CA. Göller, Thomas 2000: Kulturverstehen. Grundprobleme einer epistemologischen Theorie der Kulturalität und kulturellen Erkenntnis. Würzburg. Göttlich, Udo 2000: Migration, Medien und die Politik der Anerkennung. Aspekte des Zusammenhangs von kultureller Identität und Medien. In: Schatz, Heribert/Holtz-Bacha, Christina/Nieland, Jörg-Uwe (Hg.): Migration und Medien. Neue Herausforderungen an die Integrationsfunktion von Presse und Rundfunk. Wiesbaden: 38-49. Göttsch, Silke/Köhle-Hezinger, Christel (Hg.) 2003: Komplexe Welt. Kulturelle Ordnungssysteme als Orientierung. 33. Kongress der Gesellschaft für Volkskunde in Jena 2001. Münster u. a. Göttsch, Silke 2004: Volkskunde, Europäische Ethnologie oder …? Auf der Suche nach disziplinärer Identität. In: Bendix, Regina/Eggeling, Tatjana (Hg.): Namen und was sie bedeuten. Zur Namensdebatte im Fach Volkskunde. Beiträge zur Volkskunde in Niedersachsen, Band 19. Göttingen: 115-126. Göttsch, Silke/Lehmann, Albrecht (Hg.) 2007: Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin.

646 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Göttsch, Silke 2007a: Archivalische Quellen und die Möglichkeiten ihrer Auswertung. In: dies./Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde: 15-32. Goffman, Erving 1972: The Presentation of Self in Everyday Life. Harmondsworth. Goffman, Erving 1974: Beziehungszeichen. In: ders.: Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung. Frankfurt u. a.: 255317. Gogolin, Ingrid 2006: Erziehungswissenschaften und Transkulturalität. In: Göhlich, Michael u. a. (Hg.): Transkulturalität und Pädagogik. Interdisziplinäre Annäherungen an ein kulturwissenschaftliches Konzept und seine pädagogische Relevanz. Beiträge zur pädagogischen Grundlagenforschung. Weinheim: 31-43. Goldinger, Heiner 2002: Methode und Praxis des research up: als Ethnograph bei den Börsianern. In: Zeitschrift für Volkskunde 98 (2002): 257-270. Goldmann, Stefan 1985: Die Südsee als Spiegel Europas. Reise in die versunkene Kindheit. In: Theye, Thomas (Hg.): Wir und die Wilden. Einblicke in eine kannibalische Beziehung. Kulturen und Ideen. Reinbek bei Hamburg: 208-242. Gontovos, Konstantinos 2000: Psychologie der Migration. Über die Bewältigung von Migration in der Nationalgesellschaft. Hamburg/Berlin. Gordon, Milton M. 1964: Assimilation in American Life. The Role of Race, Religion and National Origin. New York. Gottowik, Volker 1997: Konstruktionen des Anderen. Clifford Geertz und die Krise der Repräsentation. Berlin. Gottowik, Volker 2004: Clifford Geertz in der Kritik. Ein Versuch, seinen Hahnenkampf-Essay „aus der Perspektive der Einheimischen“ zu verstehen. In: Anthropos. Internationale Zeitschrift für Völker- und Sprachenkunde 99 (2004): 207-214. Gottowik, Volker 2007: Zwischen dichter und dünner Beschreibung. Clifford Geertz’ Beitrag zur Writing Culture. In: Därmann/Jamme: Kulturwissenschaften: 119-142. Graburn, Nelson 1976: Introduction: Arts of the Fourth World. In: ders. (Hg.): Ethnic and Tourist Arts. Cultural Expressions from the Fourth World. Berkeley, CA: 1-32. Grasmuck, Sherri/Pessar, Patricia R. 1991: Between Two Islands. Dominican International Migration. Berkeley, CA. Greeley, Andrew 1971: Why Can’t They Be Like Us? New York. Greve, Reinhard 1995: Tibetforschung im SS-Ahnenerbe. In: Hauschild, Thomas (Hg.): Lebenslust und Fremdenfurcht. Ethnologie im Dritten Reich. Frankfurt a. M.: 168-199. Greverus, Ina-Maria 1971: Kulturanthropologie und Kulturethologie. „Wende zur Lebenswelt“ und „Wende zur Natur“. In: Zeitschrift für Volkskunde 67 (1971): 13-26. Greverus, Ina-Maria 1971a: Zu einem Curriculum für das Fachgebiet Kulturanthropologie. In: Ethnologia Europaea 5 (1971): 283-303.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 647

Greverus, Ina-Maria 1972: Der territoriale Mensch. Ein literaturanthropologischer Versuch zum Heimatphänomen. Frankfurt a. M. Greverus, Ina-Maria 1972a: Kulturelle Ordnungen. In: Beitl, Klaus (Hg.): Volkskunde. Fakten und Analysen. Festgabe für Leopold Schmidt. Wien: 6-13. Greverus, Ina-Maria 1976: Über Kultur und Alltagswelt. In: Ethnologia Europaea 9 (1976): 199-211. Greverus, Ina-Maria 1978: Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in die Fragen der Kulturanthropologie. München. Greverus, Ina-Maria 1979: Auf der Suche nach Heimat. München. Greverus, Ina-Maria 1979a: Sind Migranten territorial? In: dies.: Auf der Suche nach Heimat: 96-105. Greverus, Ina-Maria 1979b: Der nostalgische Emigrant. In: dies.: Auf der Suche nach Heimat: 149-160. Greverus, Ina-Maria 1981: Ethnizität und Identitätsmanagement. In: Schweizer Zeitschrift für Soziologie 7 (1981): 223-232. Greverus, Ina-Maria/Köstlin, Konrad/Schilling, Heinz (Hg.) 1987: Kulturkontakt – Kulturkonflikt. Zur Erfahrung des Fremden. 2 Bände. Deutscher Volkskundekongreß in Frankfurt vom 28. September bis 2. Oktober 1987. Kulturanthropologie-Notizen, Band 28. Frankfurt a. M. Greverus, Ina-Maria 1987a: Kulturdilemma. Die nahe Fremde und die fremde Nähe. In: dies./Köstlin/Schilling (Hg.): Kulturkontakt – Kulturkonflikt: 27-48. Greverus, Ina-Maria (Hg.) 1994: Kulturtexte. 20 Jahre Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie. Kulturanthropologie-Notizen, Band 42. Frankfurt a. M. Greverus, Ina-Maria 1994a: Kulturtexte. In: dies. (Hg.): Kulturtexte: 9-11. Greverus, Ina-Maria 1995: Die Anderen und Ich: vom Sich Erkennen, Erkannt- und Anerkanntwerden. Kulturanthropologische Texte. Darmstadt. Greverus, Ina-Maria 2002: Anthropologisch reisen. Münster u. a. Greverus, Ina-Maria 2005: Ästhetische Orte und Zeichen. Wege zu einer ästhetischen Anthropologie. Trans: anthropologische Texte, Band 7. Münster. Grimm, Hans 1926: Volk ohne Raum. München. Grimshaw, Anna/Hart, Keith 1995: The Rise and Fall of Scientific Ethnography. In: Akbar, Ahmed S./Shore, Chris N. (Hg.): The Future of Anthropology. Its Relevance to the Contemporary World. London/Atlantic Highlands, NJ: 46-64. Grinberg, León/Grinberg, Rebeca 1990: Psychoanalyse der Migration und des Exils. München u. a. Grobecker, Kurt/Loose, Hans-Dieter/Verg, Erik (Hg.) 1981: … mehr als ein Haufen Steine. Hamburg 1945–49. Hamburg. Grosch, Nils/Zinn-Thomas, Sabine (Hg.) 2010. Fremdheit – Migration – Musik. Kulturwissenschaftliche Essays für Max Matter. Populäre Kultur und Musik, Band 1. Münster u. a.

648 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Grotz, Reinhold 1987: Die Entwicklung des Central Business Districts von Sydney 1950–1986. In: Hofmeister, Burkhard (Hg.): Neue Forschungen zur Geographie Australiens. Berlin: 101-130. Grotz, Reinhold 1987a: Jüngere Veränderungen im Inneren der Agglomeration Sydney. Ursachen, Prozesse und Folgen des Wandels von Bevölkerungs-, Sozial-, und Wohnstruktur. In: Erdkunde 41 (1987): 311-325. Grotz, Reinhold 2000: Australiens Bevölkerung im Wandel. In: Bader, Rudolf (Hg.): Australien auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Bilanzen. Standortbestimmungen. Visionen. KOALAS, Band 3. Tübingen: 199-220. Gupta, Akhil/Ferguson, James 1996: Discipline and Practise: „The Field“ as Site, Method and Location in Anthropology. In: dies. (Hg.): Anthropological Locations. Boundaries and Grounds of a Field Science. Berkeley, CA: 1-46. Gupta, Akhil/Ferguson, James 1999: Beyond „Culture“: Space, Identity, and the Politics of Difference. In: dies. (Hg.): Cultural, Power, Place. Explorations in Critical Anthropology. 2nd print. Durham u. a.: 33-51. Guratzsch, Herwig (Hg.) 1987: William Hogarth. Der Kupferstich als moralische Schaubühne. Stuttgart. Gusterson, Hugh 1996: Anthropology of Science. In: Levison/Ember (Hg.): Encyclopedia of Cultural Anthropology, Volume 1: 66-68. Ha, Kien Nghi 2004: Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs. Berlin. Ha, Kien Nghi 2005: Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus. Bielefeld. Ha, Kien Nghi 2010: Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänger durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“. Bielefeld. Habermas, Jürgen 2002: The Public Sphere: An Encyclopedia Article. In: Durham, Meeakshi G./Keller, Douglas M. (Hg.): Media and Cultural Studies. Keyworks. Revised edition. Keyworks in Cultural Studies, Volume 2. Malden, MA: 73-78. Habermeyer, Wolfgang 1996: Schreiben über fremde Lebenswelten. Das postmoderne Ethos einer kommunikativ handelnden Ethnologie. Köln. Hackstein, Katharina 1989: Ethnizität und Situation. Çaraš – eine vorderorientalische Kleinstadt. Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients. Reihe B (Geisteswissenschaften), Nr. 94. Wiesbaden. Hänel, Dagmar 2007: Chorgesang und Identität – Kulturanthropologisch-volkskundliche Anmerkungen zu einem interdisziplinären Projekt. In: Fischer (Hg.): Chorgesang als Medium von Interkulturalität: 273-292. Hage, Ghassan 1998: White Nation. Fantasies of White Supremacy in a Multicultural Society. Sydney/New York. Hage, Ghassan/Couch, Rowanne (Hg.) 1999: The Future of Australian Multiculturalism. Reflections on the Twentieth Anniversary of Jean Martin’s The Migrant Presence. Sydney.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 649

Hage, Ghassan 2002: Against Paranoid Nationalism. Searching for Hope in a Shrinking Society. Sydney. Hage, Ghassan 2009: Der unregierbare Muslim. Jenseits der Bipolarität von Multikultur und Assimilation. In: Hess/Binder/Moser (Hg.): No Integration?!: 73-96. Hagenbüchle, Roland 2005: Kultur im Wandel, oder: Die Provokation des Vulgären. Würzburg. Hall, Stuart 1992: The Question of Cultural Identity. In: ders./Held, David/McGrew, Tony (Hg.): Modernity and its Futures. Cambridge: 273-325. Hall, Stuart 1993: Culture, Community, Nation. In: Cultural Studies 7/3 (1993): 349-363. Hall, Stuart 1994: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften, Band 2. Hamburg. Hall, Stuart 1994a: Neue Ethnizitäten. In: ders.: Rassismus und kulturelle Identität: 15-25. Hall, Stuart 1994b: Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität. In: ders.: Rassismus und kulturelle Identität: 44-65. Hall, Stuart 1995: Fantasy, Identity, Politics. In: Carter, Erica/Donald, James/Squires, Judith (Hg.): Cultural Remix. Theories of Politics and the Popular. London: 58-69. Hall, Stuart 1997: The Local and the Global: Globalization and Ethnicity. In: King, Anthony D. (Hg.): Culture, Globalization and the World-System. Contemporary Conditions for the Representation of Identity. Minneapolis, MN: 19-39. Hall, Stuart 1999: Ethnizität: Identität und Differenz. In: Engelmann, Jan (Hg.): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies Reader. Frankfurt a. M./New York: 83-98. Hall, Stuart 1999a: Kulturelle Identität und Globalisierung. In: Hörning, Karl H./Winter, Rainer (Hg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt a. M.: 393-441. Hall, Stuart 2007: New Ethnicities. In: Moreley, David/Chen, Kuan-Hsing (Hg.): Stuart Hall. Critical Dialogues in Cultural Studies. London u. a.: 441-449. Haller, Dieter 2005: DTV-Atlas Ethnologie. München. Hammersley, Martyn/Atkinson, Paul 1996: Ethnography. Principles and Practise. New York. Hammerton, James A./Thomson, Alistair 2005: Ten Pound Poms. Australia’s Invisible Migrants. A Life History of Postwar British Emigration to Australia. Manchester/New York. Han, Petrus 2005: Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle. Fakten. Politische Konsequenzen. Perspektiven. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart. Handler, Richard 1985: On Dialogue and Destructive Analysis. Problems in Narrating Nationalism and Ethnicity. In: Journal of Anthropological Research 41 (1985): 171-182.

650 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Handler, Richard/Segal, Daniel A. 1996: National Culture. In: Levinson/Ember (Hg.): Encyclopedia of Cultural Anthropology, Volume 3: 840-844. Hanke, Helmut 1973: Die Passagiere der „First Fleet“. Der Reichtum Australiens wurde durch Sträflingsarbeit begründet. In: ders.: Meer der Verlockung. Auf den Spuren der Argonauten des Pazifiks. Rostock: 178-203. Hannerz, Ulf 1980: Exploring the City. Inquiries Toward an Urban Anthropology. New York. Hannerz, Ulf 1992: Cultural Complexity. Studies in the Social Organization of Meaning. New York. Hannerz, Ulf 1995: „Kultur“ in einer vernetzten Welt. Zur Revision eines ethnologischen Begriffs. In: Kaschuba (Hg.): Kulturen – Identitäten – Diskurse: 64-84. Hannerz, Ulf 1999: Transnational Connections. Culture, People, Places. London/New York. Hannerz, Ulf 2003: Being There … and There … and There. Reflections on MultiSite Ethnography. In: Ethnography 4/2 (2003): 201-216. Hannerz, Ulf 2004: Foreign News. Exploring the World Correspondents. Chicago/London. Hannerz, Ulf 2006: Studying Down, Up, Sideways, Through, Backwards, Forwards, Away and at Home: Reflections on the Field Worries of an Expansive Discipline. In: Coleman, Simon/Collins, Peter (Hg.): Locating the Field. Space, Place and Context in Anthropology. Oxford/New York 2006: 23-41. Hannerz, Ulf 2007: Das Lokale und das Globale: Kontinuität und Wandel. In: Schmidt-Lauber (Hg.): Ethnizität und Migration: 95-113. Hannerz, Ulf 2010: Anthropology’s World. Life in a Twenty-First-Century Discipline. London/New York. Hannigan, John A. 1995: Environmental Sociology. A Social Construction Perspective. Environment and Society. London u. a. Hargreaves, Alec G. 2007: Multi-Ethnic France. Immigration, Politics, Culture, and Society. 2nd edition. New York/London. Harmsen, Andrea 1999: Globalisierung und lokale Kultur. Eine ethnologische Betrachtung. Interethnische Beziehungen und Kulturwandel, Band. 38. Münster u. a. Harmstorf, Ian/Cigler, Michael 1985: The Germans in Australia. Australian Ethnic Heritage Series. Melbourne. Harmstorf, Ian 2001: German Settlement in South Australia. In: Jupp (Hg.): The Australian People: 360-365. Harris, H. L. 1947: Australia from Overseas. In: Borrie, Wilfred D. (Hg.): A White Australia. Australia’s Population Problem. Sydney: 125-156. Harris, Marvin 1994: Cultural Anthropology. 4th edition. Walnut Creek, CA/London/New Delhi. Harris, Marvin 1999: Theories of Culture in Postmodern Times. Walnut Creek, CA/London/New Delhi.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 651

Hartmann, Andreas (Hg.) 1994: Zungenglück und Gaumenqualen. Geschmackserinnerungen. München. Hartmann, Andreas 2000: Was ist eine Grenze? Eine kulturwissenschaftliche Vermessung. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 45 (2000): 919. Hartmann, Andreas 2006: Der Esser, sein Kosmos und seine Ahnen. Kulinarische Tableaus von Herkunft und Wiederkehr. In: Mohrmann, Ruth-E. (Hg.): Essen und Trinken in der Moderne. Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Band 108. Münster u. a.: 147-157. Hartmann, Andreas 2007: Die Macht der Wiederholung. In: ders./Meyer, Silke/Mohrmann, Ruth-E. (Hg.): Historizität. Vom Umgang mit Geschichte. Hochschultagung „Historizität als Aufgabe und Perspektive“ der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde vom 21.–23. September 2006 in Münster. Münsteraner Schriften zur Volkskunde/Europäischen Ethnologie, Band 13. Münster u. a.: 1929. Hartmann, Andreas/Holecek, Julia 2011: Stoffe der Erinnerung. Notizen über das vestimentäre Gedächtnis. In: ders. u. a. (Hg.): Die Macht der Dinge. Symbolische Kommunikation und kulturelles Handeln. Festschrift für Ruth-E. Mohrmann. Münster u. a.: 187-194. Harvey, David 1989: The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change. Oxford/Cambridge, MA. Hastings, Donnan/Haller, Dieter 2000: Liminal no More. The Relevance of Borderland Studies. In: Ethnologia Europaea 30/2 (2000): 7-22 (Borders and Borderlands. An Anthropological Perspective). Haufen, Adolf 1895: Die deutsche Sprachinsel Gottschee. Geschichte und Mundart, Lebensverhältnisse, Sitten und Gebräuche, Sagen, Märchen und Lieder. Graz. Hauschild, Thomas 2000: Feldforschung. In: Streck, Bernhard (Hg.): Wörterbuch der Ethnologie. Wuppertal: 63-67. Hauser-Schäublin, Brigitta/Braukämper, Ulrich (Hg.) 2002: Ethnologie der Globalisierung. Perspektiven kultureller Verflechtungen. Berlin. Hauser-Schäublin, Brigitta 2003: Teilnehmende Beobachtung. In: Beer (Hg.): Methoden und Techniken der Feldforschung: 33-54. Heck, Gene W. 2007: When Worlds Collide. Exploring the Ideological and Political Foundations of the Clash of Civilizations. Lanham, MD. Heckmann, Friedrich 1992: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen. Stuttgart. Heckmann, Friedrich 1998: Ethnische Kolonien: Schonraum für Integration oder Verstärkung der Ausgrenzung? In: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Ghettos oder ethnische Kolonien? Entwicklungschancen von Stadtteilen mit hohem Zuwanderungsanteil. Gesprächskreis Arbeit und Soziales, Nr. 85. Bonn: 29-41.

652 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Heilfurth, Gerhard 1962: Volkskunde jenseits der Ideologie. Zum Problemstand des Faches im Blickwinkel empirischer Forschung. In: Hessische Blätter für Volkskunde 53 (1962): 9-28. Heilfurth, Gerhard 1972: Die soziale Differenzierung der Kultur. In: ders./Wiegelmann/Zender: Volkskunde: 216-231. Heimerdinger, Timo 2005: Der Seemann. Ein Berufsstand und seine kulturelle Inszenierung (1844–2003). Köln u. a. Heimerdinger, Timo 2005a: Schmackhafte Symbole und alltägliche Notwendigkeit. Zu Stand und Perspektiven der volkskundlichen Nahrungsforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 101 (2005): 205-218. Heinemann, Isabel 2008: „Volksdeutsche Umsiedler“ in Deutschland und in von Deutschland besetzten Gebieten im Zweiten Weltkrieg. In: Bade u. a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa: 1081-1087. Heintze, Dieter 1990: Georg Forster (1754–1794). In: Marschall (Hg.): Klassiker der Kulturanthropologie: 67-87. Heinz, Marco 1993: Ethnizität und ethnische Identität. Eine Begriffsgeschichte. Mundus Reihe Ethnologie, Band 72. Bonn. Helbich, Wolfgang J. 1988: „Alle Menschen sind dort gleich …“ Die deutsche Amerika-Auswanderung im 19. und 20. Jahrhundert. Historisches Seminar, Band 10. Düsseldorf. Helbich, Wolfgang J. 1988a: Briefe aus Amerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt. 1830–1930. München. Hengartner, Thomas 1998: Telephon und Alltag. Strategien der Aneignung und des Umgangs mit der Telephonie. In: ders./Rolshoven, Johanna (Hg.): Technik – Kultur. Formen der Veralltäglichung von Technik – Technisches als Alltag. Zürich: 245-262. Hengartner, Thomas 1999: Forschungsfeld Stadt. Zur Geschichte der volkskundlichen Erforschung städtischer Lebensformen. Lebensformen. Veröffentlichungen des Instituts für Volkskunde der Universität Hamburg, Band 11. Berlin/Hamburg. Hengartner, Thomas/Kokot, Waltraud/Wildner, Kathrin 2000: Das Forschungsfeld Stadt in der Ethnologie und Volkskunde. In: dies. (Hg.): Kulturwissenschaftliche Stadtforschung. Eine Bestandsaufnahme. Kulturanalysen, Band 3. Berlin: 3-18. Hengartner, Thomas 2000: Zeit-Fragen. In: VOKUS. Volkskundlich-kulturwissenschaftliche Schriften. Sonderheft „Zeit“. Hamburg: 5-18. Hengartner, Thomas 2001: „Kulturwissenschaft sind wir alle.“ Selbstbehauptung und Selbstverständnis eines (kleinen) Faches in einer leistungs- und marktorientierten Hochschule. In: König/Korff (Hg.): Volkskunde ’00: 39-50. Hengartner, Thomas/Schmidt-Lauber, Brigitta (Hg.) 2005: Leben – Erzählen. Beiträge zur Erzähl- und Biographieforschung. Festschrift für Albrecht Lehmann.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 653

Lebensformen. Veröffentlichungen des Instituts für Volkskunde der Universität Hamburg, Band 17. Berlin/Hamburg. Hengartner, Thomas/Moser, Johannes (Hg.) 2006: Grenzen & Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehung. 35. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Dresden 2005. Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Band 17. Leipzig. Hengartner, Thomas 2007: Volkskundliches Forschen im, mit dem und über das Internet. In: Göttsch/Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde: 189-218. Herlyn, Gerrit 2002: Rituale und Übergangsrituale in komplexen Gesellschaften. Sinn- und Bedeutungszuschreibungen zu Begriff und Theorie. Studien zur Alltagskulturforschung, Band 1. Münster u. a. Hermanns, Harry 1991: Narratives Interview. In: Flick u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung: 182-185. Hernegger, Rudolf 1978: Der Mensch auf der Suche nach Identität. Kulturanthropologische Studien über Totemismus, Mythos, Religion. Bonn. Herskovits, Melville Jean 1938: Acculturation. The Study of Culture in Contact. New York. Herskovits, Melville Jean 1954: Some Problems of Method in Anthropology. In: Spencer, Robert Francis (Hg.): Method and Perspective in Anthropology. Minneapolis, MN: 3-24. Herskovits, Melville Jean 1967: Acculturation: Cultural Transmission in Process. In: ders.: Man and his Work. The Science of Cultural Anthropology. New York: 523-541. Herzog, Robert 1955: Die Volksdeutschen in der Waffen-SS. Studien des Instituts für Besatzungsfragen in Tübingen zu den deutschen Besetzungen im 2. Weltkrieg, Band 5. Tübingen. Hess, Sabine/Moser, Johannes (Hg.) 2003: Kultur und Arbeit – Kultur der neuen Ökonomie. Kulturwissenschaftliche Beiträge zu neoliberalen Arbeits- und Lebenswelten. Kuckuck Sonderband 4. Graz. Hess, Sabine 2006: Konturen des Europäischen Grenzregimes. Grenzregimeforschung aus kulturanthropologischer Perspektive – eine Einführung. In: Hengartner/Moser (Hg.): Grenzen & Differenzen: 155-160. Hess, Sabine/Moser, Johannes/Binder, Jana (Hg.) 2009: No Integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa. Bielefeld. Hess, Sabine/Moser, Johannes 2009a: Jenseits der Integration. Kulturwissenschaftliche Betrachtungen einer Debatte. In: dies./Binder (Hg.): No Integration?!: 1125. Hess, Sabine 2009b: Das Wissen (von) der Migration. Zur Bedeutung von Wissensprozessen für die neue Kunst des Regierens der Migration in Europa. In: Simon, Michael u. a. (Hg.): Bilder. Bücher. Bytes. Zur Medialität des Alltags. 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Mainz vom 23. bis 26. Sep-

654 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

tember 2007. Mainzer Beiträge zur Kulturanthropologie/Volkskunde, Band 3. Münster u. a.: 136-142. Hess, Sabine/Schwertl, Maria (Hg.) 2010: München migrantisch – migrantisches München. Ethnographische Erkundungen in globalisierten Lebenswelten. Münchner Ethnographische Schriften, Band 5. München. Hess, Sabine 2010a: Aus der Perspektive der Migration forschen. In: dies./ Schwertl (Hg.): München migrantisch – migrantisches München: 9-25. Hessler, Alexander/Lehnhart, Peter T. 2001: Sein und Zeit: Die 60-Stunden Woche zwischen Statussymbol und Ausbeutungsdispositiv. In: Kuckuck. Notizen zur Alltagskultur 2 (2001): 16-23. Hettlage, Robert 1987: Der Fremde: Kulturmittler, Kulturbringer, Herausforderer von Kultur. In: Lipp, Wolfgang (Hg.): Kulturtypen, Kulturcharaktere. Träger, Mittler und Stifter von Kultur. Berlin: 25-44. Heyl, Barbara Sherman 2001: Ethnographic Interviewing. In: Atkinson (Hg.): Handbook of Ethnography: 369-383. Hillesheim, Jürgen/Michael, Elisabeth 1993: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien – Analysen – Bibliographien. Würzburg. Hine, Christine 2000: Virtual Ethnography. London u. a. Hirschfelder, Gunther 1993: Eifeler Überseeauswanderung im 19. Jahrhundert im Spiegel des Schleidener Unterhaltungsblattes. In: KulTour. Mitteilungsblatt des Volkskundlichen Seminars der Universität Bonn 4/2 (1993): 34-53. Hirschfelder, Gunther 2000: Die Auswirkungen der Amerikaauswanderung auf die rheinischen Lebenswelten des 19. Jahrhunderts. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 45 (2000): 153-170. Hirschfelder, Gunther/Schell, Dorothea/Schrutka-Rechtenstamm, Adelheid (Hg.) 2000: Kulturen – Sprachen – Übergänge. Festschrift für H. L. Cox zum 65. Geburtstag. Köln/Weimar/Wien. Hirschfelder, Gunther 2001: Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute. Frankfurt a. M./New York. Hirschfelder, Gunther/Huber, Birgit 2004: Neue Medien und Arbeitswelt – zur Einführung. In: dies (Hg.): Die Virtualisierung der Arbeit. Zur Ethnographie neuer Arbeits- und Organisationsformen. Frankfurt a. M./New York: 11-25. Hirschfelder, Gunther 2005: Mittsommer, Sonnenwende und Johannisfeuer im Rheinland zwischen Tradition und Inszenierung. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 50 (2005): 101-140. Hirschfelder, Gunther 2007: Chorgesang im Spannungsverhältnis von Mentalität, Identität und Raum – Volkskundliche Perspektiven auf Musikkultur. In: Fischer (Hg.): Chorgesang als Medium von Interkulturalität: 355-359. Hirschfelder, Gunther/Palm, Anna/Winterberg, Lars 2008: Kulinarische Weihnacht? Aspekte einer Ernährung zwischen Stereotyp und sozialer Realität. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 53 (2008). Kulturhistorische

Q UELLENVERZEICHNIS

| 655

Nahrungsforschung in Europa. Festschrift für Günter Wiegelmann zum 80. Geburtstag: 289-313. Hirschfelder, Gunther/Ploeger, Angelika (Hg.) 2009: Purer Genuss? Wasser als Getränk, Ware und Kulturgut. Frankfurt a. M. Hirschfelder, Gunther 2009a: Extreme Wetterereignisse und Klimawandel als Perspektive kulturwissenschaftlicher Forschung. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 112/2 (2009): 5-25. Hoare, Michael E. 1994: Die beiden Forsters und die pazifische Wissenschaft. In: Klenke (Hg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive: 29-41. Hobsbawm, Eric 1983: Introduction: Inventing Traditions. In: ders./Ranger, Terence (Hg.): The Invention of Tradition. Cambridge: 1-14. Hobsbawm, Eric 2004: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. 7. Auflage. München. Hoerder, Dirk/Knauf, Diethelm (Hg.) 1992: Aufbruch in die Fremde. Europäische Auswanderung nach Übersee. Bremen. Hoerder, Dirk 2002: Cultures in Contact. World Migrations in the Second Millennium. Durham. Hoffmann-Krayer, Eduard 1902: Die Volkskunde als Wissenschaft. Zürich. Hoffmann, Wiebke 2009: Auswandern und Zurückkehren. Kaufmannsfamilien zwischen Bremen und Übersee. Eine Mikrostudie 1860–1930. Internationale Hochschulschriften, Band 523. Münster u. a. Hofstede, Geert 1993: Interkulturelle Zusammenarbeit. Kulturen – Organsisationen – Management. Wiesbaden. Holleuffer, Henriette von 2002: Zwischen Fremde und Fremde. Displaced Persons in Australien, den USA und Kanada 1946–1952. Studien zur historischen Migrationsforschung, Band 9. Osnabrück 2002. Hollinsworth, David 1998: Race and Racism in Australia. 2nd edition. Katoomba, NSW. Hopf, Christel 1991: Qualitative Interviews in der Sozialforschung. Ein Überblick. In: Flick u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung: 177-182. Hoppe, Jens/Schimek, Michael/Simon, Michael (Hg.) 1998: Die Volkskunde auf dem Weg ins nächste Jahrtausend. Ergebnisse einer Bestandsaufnahme. Münsteraner Schriften zur Volkskunde/Europäischen Ethnologie, Band 1. Münster/ New York. Horne, Donald 1964: The Lucky Country. Australia in the Sixties. Ringwood, VIC. Horowitz, Donald 1985: Ethnic Groups and Conflict. Berkeley, CA. Horst, Heather A./Miller, Daniel 2006: The Cell Phone. An Anthropology of Communication. Oxford u. a. Hron, Aemilian 1982: Interview. In: Huber, Günter L./Mandl, Heinz (Hg.): Verbale Daten. Eine Einführung in die Grundlagen und Methoden der Erhebung und Auswertung. Weinheim/Basel: 119-140.

656 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Hu, Hsien Chin 1944: The Chinese Concepts of Face. In: American Anthropologist 46/1 (1944): 45-64. Hüppauf, Bernd 2007: Heimat – Die Wiederkehr eines verpönten Wortes. Ein Populärmythos im Zeitalter der Globalisierung. In: Gebhard, Gunther/Geisler, Oliver/Schröter, Steffen (Hg.): Heimat. Konturen und Konjunkturen eines umstrittenen Konzepts. Bielefeld: 109-140. Hug, Klaus R. 1994: Bikulturelle Erziehung. Eine empirische Studie der Effekte bei Schülern der Deutschen Schule Rom. Internationale Hochschulschriften. Münster u. a. Hugger, Paul 1992: Die Ritualisierung des Alltags. In: ders. (Hg.): Handbuch der schweizerischen Volkskunde. Band 3. Zürich: 1433-1440. Hugger, Paul 2001: Volkskundliche Gemeinde- und Stadtforschung. In: Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde: 291-309. Hugo, Graeme 1986: Australia’s Changing Population. Trends and Implications. Melbourne u. a. Hunger, Uwe 2000: Vom „Brain Drain“ zum „Brain Gain“. Migration, Netzwerkbildung und sozio-ökonomische Entwicklung: das Beispiel der indischen Software-Migranten. In: IMIS-Beiträge, 16. Osnabrück: 7-21. Huntington, Samuel P. 1993: The Clash of Civilizations. In: Foreign Affairs 72 (1993): 22-28. Huntington, Samuel P. 1996: The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. New York. Husmann, Rolf (Hg.) 1987: Mit der Kamera in fremden Kulturen. Aspekte des Films in Ethnologie und Volkskunde. Emsdetten. Husserle, Edmund 1976: Die Krisis der europäischen Wissenschaft und die transzendentale Philosophie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie. Husserliana, Band 6. Den Haag. Hymes, Dell (Hg.) 1972: Reinventing Anthropology. New York. Illus, Bruno 2003: Feldforschung. In: Fischer/Beer (Hg.): Ethnologie: S. 73-98. Immermann, Karl Leberecht 1966: Memorabilien. München. Inda, Javier 1996: Transnationalism. In: Levinson/Ember (Hg.): Encyclopedia of Cultural Anthropology, Volume 3: 1327-1329. Inda, Jonathan Javier/Rosaldo, Renato (Hg.) 2001: The Anthropology of Globalization. A Reader. Blackwell Reader in Anthropology, Volume 1. Malden, MA/ Oxford. Inglehart, Ronald 2000: Culture and Democracy. In: Huntington, Samuel P./Harrison, Lawrence E. (Hg.): Culture Matters. How Values Shape Human Progress. New York: 80-97. Isbell, Billie Jean 1985: To Defend Ourselves. Ecology and Ritual in an Andean Village. Prospect Hights, IL. Issacs, Harold R. 1975: Idols of the Tribe. Group Identity and Political Change. New York.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 657

Isserstedt, Wolfgang/Schnitzer, Klaus 2005: Internationalisierung des Studiums. Ausländische Studierende in Deutschland – Deutsche Studierende im Ausland. Ergebnisse der 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bonn/Berlin. Jackson, Jean E. 1990: I Am a Fieldnote. Fieldnotes as a Symbol of Professional Identity. In: Sanjek (Hg.): Fieldnotes: 3-33. Jacobi, John (Hg.) 1988: 200 Jahre Geschichte der deutschsprachigen Gemeinschaft in Australien 1788–1988. Bankstown, NSW. Jacobmeyer, Wolfgang 1985: Vom Zwangsarbeiter zum heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1946–1972. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 65. Göttingen. Jacobmeyer, Wolfgang 1992: Ortlos am Ende des Grauens. DPs in der deutschen Nachkriegsgeschichte. In: Bade (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: 367-373. Jakubowicz, Andrew 1984: Ethnicity. Multiculturalism and Neo-Conservatism. In: Bottomley, Gill/Lepervanche, Marie de (Hg.): Ethnicitiy, Class and Gender in Australia. Sydney: 28-48. Jakubowicz, Andrew 2007: The Media and Social Cohesion. In: Jupp/Nieuwenhuysen/Dawson (Hg.): Social Cohesion in Australia: 158-169. James, Wendy/Mills, David 2005: Introduction. From Representation to Action in the Flow of Time. In: dies. (Hg.): The Qualities of Time. Anthropological Approaches. ASA Monographs, Volume 41. Oxford: 1-16. Jayasuriya, Laksiri/Pookong, Kee 1999: The Asianisation of Australia? Some Facts About the Myths. Carlton, VIC. Jayasuriya, Laksiri/Walker, David/Gothard, Jan (Hg.) 2003: Legacies of White Australia. Race, Culture and Nation. Perth. Jeggle, Utz 1971: Beharrung oder Wandel? Fragen an eine kulturanthropologisch ausgerichtete Ethnologie. In: Zeitschrift für Volkskunde 67 (1971): 26-37. Jeggle, Utz 1983: Umgang mit Sachen. In: Köstlin, Konrad/Bausinger, Hermann (Hg.): Umgang mit Sachen. Zur Kulturgeschichte des Dinggebrauchs. Regensburg: 11-26. Jeggle, Utz (Hg.) 1984: Feldforschungen. Qualitative Methoden in der Kulturanalyse. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 62. Tübingen. Jeggle, Utz 1984a: Zur Geschichte der Feldforschung in der Volkskunde. In: ders. (Hg.): Feldforschungen: 11-46. Jeggle, Utz 1991: Volkskunde. In: Flick u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung: 56-59. Jeggle, Utz 1999: Alltag. In: Bausinger/Korff/Scharfe/ders. (Hg.): Grundzüge der Volkskunde: 81-126.

658 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Jeggle, Utz 2001: Volkskunde im 20. Jahrhundert. In: Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde: 53-75. Jensen, Jürgen 1995: Der Gegenstand der Ethnologie und die Befassung mit komplexen Gesellschaften. In: Zeitschrift für Ethnologie 120 (1995): 1-14. Johler, Reinhard/Paulmichel, Ludwig/Plankensteiner, Barbara (Hg.) 1991: Südtirol im Auge der Ethnographen. Wien. Johler, Reinhard 2001: Ach Europa! Zur Zukunft der Volkskunde. In: König/Korff (Hg.): Volkskunde ’00: 165-180. Johler, Reinhard/Tschofen, Bernhard (Hg.) 2008: Empirische Kulturwissenschaft. Eine Tübinger Enzyklopädie. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 100. Tübingen. John, Mary E. 1996: Discrepant Dislocations – Feminism, Theory, and Postcolonial History. Berkeley u. a. Johnston, Henry Hamilton 1910: British Central Africa. In: The Encyclopaedia Britannica. A Dictionary of Arts, Sciences, Literature and General Information. 11th edition, Volume IV. Cambridge: 595-598. Jordens, Ann-Mari 1995: Redefining Australians. Immigrants, Citizenship and National Identity. Sydney. Jordens, Ann-Mari 2001: Post-War Non-British Migration. In: Jupp (Hg.): The Australian People: 65-79. Jupp, James 1966: Arrivals and Departures. Melbourne. Jupp, James 1991: One Among Many. In: Goodman, David/O’Hearn, D.J./WallaceCrabbe, Chris (Hg.): Multicultural Australia. The Challenge of Change. Newham, VIC: 5-19. Jupp, James 1995: Selection and Rejection. Twenty Years of Australian Immigration. Paper delivered at the Global Culture Diversity Conference, 26. April 1995. Jupp, James 1995a: The Hidden Migrants. German-Speakers in Australia Since 1950. In: Jurgensen (Hg.): German-Australian Cultural Relations Since 1945: 63-77. Jupp, James 1998: Immigration. 2nd edition. Oxford/Auckland/New York. Jupp, James 1999: Seeking Whiteness. The Recruitment of Nordic Immigrants to Oceania. In: Koivukangas, Olavi/Westin, Charles (Hg.): Scandinavian and European Migration to Australia and New Zealand. Turku: 28-41. Jupp, James (Hg.) 2001: The Australian People. An Encyclopedia of the Nation, its People and their Origins. New Edition. Cambridge u. a. Jupp, James 2001: The Institutions of Culture: Multiculturalism. In: Bennett, Tony/Carter, David (Hg.): Culture in Australia. Policies, Publics and Programs. Cambridge: 259-277. Jupp, James 2007: From White Australia to Woomera. The Story of Australian Immigration. 2nd edition. Cambridge. Jupp, James/Nieuwenhuysen, John/Dawson, Emma (Hg.) 2007: Social Cohesion in Australia. Port Melbourne, VIC.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 659

Jurgensen, Manfred (Hg.) 1995: German-Australian Cultural Relations Since 1945. Proceedings of the Conference held at the University of Queensland, Brisbane, September 20–23, 1994. Frankfurt a. M. u. a. Kaeppler, Adrienne L. 1994: Die ethnographischen Sammlungen der Forsters aus dem Südpazifik. Klassische Empirie im Dienste der modernen Ethnologie. In: Klenke (Hg.): Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive: 59-75. Kalinke, Heinke M. 1999: „Teamwork“ – Zur volkskundlichen Feldforschung in Ost- und Südosteuropa in den 1920er Jahren und 1930er Jahren: Alfred Karasek und der Bielitzer Kreis. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 43 (1999): 20-43. Kane, John 1997: From Ethnic Exclusion to Ethnic Diversity: The Australian Path to Multiculturalism. In: Shapiro, Ian/Kymlicka, Will (Hg.): Ethnicity and Group Rights. Yearbook of the American Society for Political and Legal Philosophy. Nomos, Volume 39. New York/London: 540-571. Kane, John 1997a: Racialism and Democracy. The Legacy of White Australia. In: Stokes, Geoffrey (Hg.): The Politics of Identity in Australia. Melbourne: 117131. Kapferer, Bruce/Morris, Barry 2006: Nationalism and Neo-Populism in Australia. Hansonism and the Politics of the New Right in Australia. In: Gingrich, Andre/Banks, Markus (Hg.): Neo-Nationalism in Europe and Beyond. Perspectives from Social Anthropology. New York: 248-268. Kaplan, Gisela 1945: From „Enemy Alien“ to Assisted Immigrants. Australian Public Opinion of Germans and Germany in the Australian Print Media. In: Jurgensen (Hg.): German-Australian Cultural Relations Since 1945: 76-100. Kaplan, Gisela 2001: Post-War German Migration. In: Jupp (Hg.): The Australian People: 377-379. Karakayah, Serhat/Tsianos, Vassilis 2007: Movements that Matter. Eine Einleitung. In: Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas. Bielefeld: 7-17. Karim, Karim H. 2003: Mapping Diasporic Mediascapes. In: ders. (Hg.): The Media of Diaspora. Routledge Research in Transnationalism, Volume 7. London u. a.: 1-17. Kaschuba, Wolfgang (Hg.) 1995: Kulturen – Identitäten – Diskurse. Perspektiven Europäischer Ethnologie. Zeithorizonte. Studien zu Theorien und Perspektiven Europäischer Ethnologie, Band 1. Berlin. Kaschuba, Wolfgang 1995a: Kulturalismus: Vom Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs. In: ders. (Hg.): Kulturen – Identitäten – Diskurse: 11-30. Kaschuba, Wolfgang 1995b: Kulturalismus. Vom Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs. In: Zeitschrift für Volkskunde 91 (1995): 27-46.

660 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Kaschuba, Wolfgang 2001: Geschichtspolitik und Identitätspolitik. Nationale und ethnische Diskurse im Kulturvergleich. In: Binder/Niedermüller/ders. (Hg.): Inszenierung des Nationalen: 19-42. Kaschuba, Wolfgang 2002: Repräsentationsstrategien: Folklorismus und Kulturalismus. In: Bendix, Regina/Welz, Gisela (Hg.): Kulturwissenschaft und Öffentlichkeit. Amerikanische und deutschsprachige Volkskunde im Dialog. Kulturanthropologie-Notizen, Band 70. Frankfurt a. M.: 111-122. Kaschuba, Wolfgang 2003: Einführung in die Europäische Ethnologie. 2., aktualisierte Auflage. München. Kaschuba, Wolfgang 2007: Ethnische Parallelgesellschaften? Zur kulturellen Konstruktion des Fremden in der europäischen Migration. In: Zeitschrift für Volkskunde 103 (2007): 65-85. Kater, Michael H. 1974: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. Stuttgart. Kearney, Michael 1986: From the Invisible Hand to the Visible Feet: Anthropological Studies of Migration and Development. In: Annual Review of Anthropology 15 (1986): 331-361. Kearney, Michael 1995: The Local and the Global: The Anthropology of Globalization and Transnationalism. In: Annual Review of Anthropology 24 (1995): 547565. Keating, Christopher 1997: Greta. A History of the Army Camp and Migrant Camp at Greta, New South Wales, 1939–1960. Burwood, NSW. Kennedy, Paul 1993: In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert. Frankfurt a. M. Kesselring: Sven 2007: Globaler Verkehr – Flugverkehr. In: Schöller, Oliver/Canzler, Weert/Knie, Andreas (Hg.): Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden: 826846. King, Jonathan (Hg.) 1987: Australia’s First Fleet. The Voyage and the ReEnactment 1788/1988. Sydney. King, Jonathan 1987a: The 18th-Centurry World of the First Fleet. In: ders. (Hg.): Australia’s First Fleet: 38-41. King, Jonathan 1987b: Journey’s End: The Founding of a New Nation. In: ders. (Hg.): Australia’s First Fleet: 80-85. King, Russel 2007: Origins. An Atlas of Human Migration. Sydney. King, Russel/Woos, Nancy (Hg.) 2001: Media and Migration. Construction of Mobility and Difference. London. Kirchner, Wilhelm 1848: Australien und seine Vorteile für Auswanderer. Frankfurt a. M. Kirshenblatt-Gimblett, Barbara 1994: Spaces of Dispersal. In: Cultural Anthropology 9/3 (1994): 339-344. Klenke, Claus-Volker (Hg.) 1994: Georg Forster in interdisziplinärer Perspektive. Beiträge des Internationalen Georg Forster-Symposiums in Kassel, 1. bis 4. April 1993. Berlin.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 661

Knecht, Michi 2002: „Who is carnivalizing whom?“ Ethnologische Perspektiven auf neue Karnevalsformen. In: Binder, Beate (Hg.): Karnevalisierung. Berliner Blätter. Ethnografische und ethnologische Beiträge, Band 26. Münster u. a.: 717. Knecht, Michi 2010: „,Vor Ort‘ im Feld“? Zur Kritik und Reakzentuierung des Lokalen als europäisch-ethnologischer Schlüsselkategorie. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 113/1 (2010): 23-49. Kneer, Georg/Nassehi, Armin 2000: Niklas Luhmanns Theorie der sozialen Systeme. 4., unveränderte Auflage. München. Kneipp, Pauline 1983: The Ursuline Order in Armidale. In: Voigt (Hg.): New Beginnings: 188-198. Knoor, Hanna 1999: Mediatisierte Lebenswelten. Nähe und Distanz in technogenen Zusatzräumen. In: Beck (Hg.): Technogene Nähe: 130-143. Kocka, Jürgen 2001: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft. Handbuch der deutschen Geschichte, Band 13. 10., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart. Kockel, Ullrich 2002: „Heimat gibt’s im Englischen nicht!“ Deutsche Diasporaerfahrung in Großbritannien und Irland. In: Moosmüller (Hg.): Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora: 244-260. Köck, Christoph 2001: Bilderbuch-Natur und verrückte Natur. Strategien und Konsequenzen der kulturellen Gestaltung von Jahreszeiten. In: Brednich/Schneider/Werner (Hg.): Natur – Kultur: 91-106. Köck, Christoph/Moosmüller, Alois/Roth, Klaus (Hg.) 2004: Zuwanderung und Integration. Kulturwissenschaftliche Zugänge und soziale Praxis. Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Band 16. Münster u. a. Köhle-Hezinger, Christel 1995: Neue Siedlungen – Neue Fragen. Eine Folgestudie über Heimatvertriebene in Baden-Württemberg – 40 Jahre danach. Ein Projekt des Ludwig-Uhland-Instituts für empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Tübingen. Köhle-Hezinger, Christel 1996: Willkommen und Abschied. Zur Kultur der Übergänge in der Gegenwart. In: Zeitschrift für Volkskunde 92 (1996): 1-19. Köhler, Ulrich 2001: Robert Redfield. In: Feest/Kohl (Hg.): Hauptwerke der Ethnologie: 389-394. König, Gudrun M./Korff, Gottfried (Hg.) 2001: Volkskunde ’00. Hochschulreform und Fachidentität. Hochschultagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Tübingen, 9.–11. November 2000. Studien & Materialien des LudwigUhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 22. Tübingen. König, René/Schmalfuß, Axel (Hg.) 1972: Kulturanthropologie. Düsseldorf/Wien. König, René 1972a: Einleitung: Über einige Grundfragen der empirischen Kulturanthropologie. In: ders./Schmalfuß (Hg.): Kulturanthropologie: 7-48. Köpping, Klaus-Peter 1973: Das Wagnis des Feldforschers – Zwischen Ethnozentrismus und Entfremdung. Einige persönliche Gedanken zur Ethik in der Kul-

662 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

turanthropologie. In: Tauchmann, Kurt (Hg.): Festschrift zum 65. Geburtstag von Helmut Petri. Kölner Ethnologische Mitteilungen, Band 5. Köln/Wien: 258270. Köpping, Klaus-Peter 2005: The Fieldworker as Performative Flaneur: Some Thoughts on Postmodernism and the Transfiguration of Doing Anthropology. In: Zeitschrift für Ethnologie 130 (2005): 1-22. Körner, Heiko 1999: „Brain Drain“ aus Entwicklungsländern. In: IMIS-Beiträge, 11. Osnabrück: 55-64. Köstlin, Konrad 1970: Folklorismus und Ben Akiba. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 20 (1970): 234-256. Köstlin, Konrad 1986: Der Eintopf der Deutschen. Das Zusammengekochte als Kultessen. In: Jeggle, Utz u. a. (Hg.): Tübinger Beiträge zur Volkskultur. Für hb – 17.09.1986. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 69. Tübingen: 220-241. Köstlin, Konrad 1987: Zur kognitiven Identität der Volkskunde. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 90 (1987): 1-19. Köstlin, Konrad 1990: Volksforschung in Grenzräumen. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 33 (1990): 1-19. Köstlin, Konrad 1991: Heimat geht durch den Magen. Oder: Das Maultaschensyndrom – Soul-Food in der Moderne. In: Beiträge zur Volkskultur in Baden-Württemberg 4 (1991): 147-164. Köstlin, Konrad 1994: Das ethnographische Paradigma und die Jahrhundertwenden. In: Ethnologia Europaea 24 (1994): 5-20. Köstlin, Konrad 1995: Der Tod der Neugier, oder auch: Erbe – Last und Chance. In: Zeitschrift für Volkskunde 91 (1995): 47-64. Köstlin, Konrad 1995a: Die Rede vom modernen Nomaden. In: Deutsch, Walter u. a. (Hg.): Sommerakademie Volkskultur 1994. Wien: 19-29. Köstlin, Konrad 1996: Heimat als Identitätsfabrik. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 99 (1996): 321-338. Köstlin, Konrad 2000: Kulturen im Prozess der Migration und die Kultur der Migrationen. In: Chiellino, Carmine (Hg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland. Ein Handbuch. Stuttgart/Weimar: 365-396. Köstlin, Konrad 2001: Ethno-Wissenschaften: Die Verfremdung der Eigenheiten. In: Binder/Niedermüller/Kaschuba (Hg.): Inszenierung des Nationalen: 43-63. Köstlin, Konrad 2001a: Kultur als Natur – des Menschen. In: Brednich/Schneider/Werner (Hg.): Natur – Kultur: 1-10. Köstlin, Konrad 2002: Historiographie, Gedächtnis und Erinnerung. In: Fendl, Elisabeth (Hg.): Zur Ikonographie des Heimwehs. Erinnerungskultur von Heimatvertriebenen. Referate der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde 4. bis 6. Juli 2001. Schriftenreihe des Johannes-KünzigInstituts, Band 6. Freiburg i. Br.: 11-28.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 663

Kohl, Karl-Heinz 1981: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation. Berlin. Kohl, Karl-Heinz 1987: Abwehr und Verlangen. Zur Geschichte der Ethnologie. Frankfurt a. M. Kohl, Karl-Heinz 1990: Bronislaw Kaspar Malinowski (1884–1942). In: Marschall (Hg.): Klassiker der Kulturanthropologie: 227-247. Kohl, Karl-Heinz 1998: Exotik als Beruf. Erfahrung und Trauma der Ethnographie. Frankfurt a. M./New York. Kohl, Karl-Heinz 2000: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung. 2., erweiterte Auflage. München. Kokot, Waltraud/Bommer, Bettina (Hg.) 1991: Ethnologische Stadtforschung. Einführung und Forschungsberichte. Berlin. Kokot, Waltraud 1991a: Ethnologische Forschungen in der Stadt. In: dies./Bommer (Hg.): Ethnologische Stadtforschung: 1-12. Kokot, Waltraud 2002: Diaspora. Ethnologische Forschungsansätze. In: Moosmüller (Hg.): Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora: 29-39. Kokot, Waltraud 2002a: Diaspora und Transnationale Verflechtungen. In: HauserSchäublin/Braukämper: Ethnologie der Globalisierung: 95-110. Kokot, Waltraud 2004: Themen der Forschung in einem transnationalen Feld. In: Periplus. Jahrbuch für außereuropäische Geschichte 14 (2004): 1-10 (Themenheft: Diaspora – Transnationale Beziehungen und Identitäten). Konrad, Jochen 2006: Stereotype in Dynamik. Zur kulturwissenschaftlichen Verortung eines theoretischen Konzepts. Tönning u. a. Korff, Gottfried 1996: Namenswechsel als Paradigmenwechsel? Die Umbenennung des Faches Volkskunde an deutschen Universitäten als Versuch einer „Entnationalisierung“. In: Weigel, Sigrid/Erdle, Birgit (Hg.): Fünfzig Jahre danach. Zur Nachgeschichte des Nationalismus. Zürcher Hochschulreform, Band 23. Zürich 1996: 403-434. Korff, Gottfried 1997: Antisymbolik und Symbolanalytik in der Volkskunde. In: Brednich, Rolf W./Schmitt, Heinz (Hg.): Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. 30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Münster u. a.: 11-30. Korff, Gottfried 1999: Dinge: unsäglich kultiviert. Notizen zur volkskundlichen Sachkulturforschung. In: Grieshofer, Franz (Hg.): Netzwerk Volkskunde. Ideen und Wege. Festschrift für Klaus Beitl zum siebzigsten Geburtstag. Sonderschriften des Vereins für Volkskunde in Wien, Band 4. Wien: 273-290. Korff, Gottfried 1999a: Kultur. In: Bausinger/Jeggle/Scharfe/ders. (Hg.): Grundzüge der Volkskunde: 17-80. Kosnick, Kira 2007: Migrant Media. Turkish Broadcasting and Multicultural Politics in Berlin. Bloomington/Indianapolis, IN. Kottak, Conrad Phillip 2011: Cultural Anthropology. Appreciating Cultural Diversity. 14th edition. New York.

664 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Kramer, Dieter 1970: Wem nützt Volkskunde? In: Zeitschrift für Volkskunde 66 (1970): 1-16. Kramer, Dieter 1997: Von der Notwendigkeit der Kulturwissenschaft. Aufsätze zur Volkskunde und Kulturtheorie. Marburg. Kramer, Dieter 1997a: Wem nützt Volkskunde? Gefühle beim Wiederlesen nach 19 Jahren. In: ders.: Von der Notwendigkeit der Kulturwissenschaft, S. 107-110. Kramer, Dieter 1997b: DGV und dgv. Volks- und Völkerkunde. Gabentausch zwischen weder verfeindeten noch befreundeten Stämmen. In: ders.: Von der Notwendigkeit der Kulturwissenschaft, S. 119-126. Kramer, Dieter 2004: Kultur aus Deutschland statt deutscher Kultur. Kulturelle Vielfalt in der deutschen und internationalen Diskussion. In: Köck/Moosmüller/Roth (Hg.): Zuwanderung und Integration: 21-36. Kramer, Karl-Sigismund 1968: Zur Erforschung der historischen Volkskunde: Prinzipielles und Methodisches. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 19 (1968): 7-41. Kraus, Karl 1967: Die dritte Walpurgisnacht. München. Krawinkler, Stephanie A./Oberpeilsteiner, Susanne (Hg.) 2008: Das Fremde. Konstruktion und Dekonstruktion eines Spuks. Wien u. a. Kreutzer, Florian/Roth, Silke 2001: Einleitung zu Transnationale Karrieren: Biographien, Lebensführung und Mobilität. In: dies. (Hg.): Transnationale Karrieren. Biographien, Lebensführung und Mobilität. Wiesbaden: 7-30. Kroeber, Alfred L. 1948: Anthropology. New York. Küchler Williams, Christiane 2004: Erotische Paradiese. Zur europäischen Südseerezeption im 18. Jahrhundert. Das 18. Jahrhundert, Supplementa, Band 10. Göttingen. Kuhn, Walter 1934: Deutsche Sprachinselforschung. Geschichte, Aufgaben, Verfahren. Plauen. Kuipers, Giselinde 2006: Good Humor, Bad Taste. A Sociology of the Joke. Humor Research, Band 7. Berlin u. a. Kuklick, Henrika 1993: The Savage Within. The Social History of British Anthropology, 1885–1945. Cambridge. Kunz, Egon F. 1988: Displaced Persons. Calwell’s New Australians. Sydney/Oxford/New York. Kuper, Adam 1973: Anthropologists and Anthropology. The British School 1922– 1972. London. Kutzschenbach, Gerhard von 1982: Feldforschung als subjektiver Prozeß. Ein handlungstheoretischer Beitrag zu seiner Analyse und Systematisierung. Berlin. Kvale, Steinar 1996: InterViews. An Introduction to Qualitative Research Interviewing. Thousand Oaks, CA u. a. Lacey, Robert 1973: The Queens of the North Atlantic. London. Lack, John/Templeton, Jacqueline 1995: Bold Experiment. A Documantary History of Australian Immigration Since 1945. Melbourne.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 665

Lal, Barbara 1986: The „Chicago School“ of American Sociology, Symbolic Interactionism, and Race Relations Theory. In: Rex, John/Mason, David (Hg.): Theories of Race and Ethnic Relations. Cambridge: 280-298. Lamnek, Siegfried 2005: Qualitative Sozialforschung. 4., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim/Basel. Lamp, Sarah 2001: Being a Widow and Other Life Stories. The Interplay Between Lives and Words. In: Anthropology and Humanity 26 (2001): 16-34. Larbalestier, Jan 1999: What is this Thing Called White? Reflections on „Whiteness“ and Multiculturalism. In: Hage/Couch (Hg.): The Future of Australian Multiculturalism: 145-161. Lauterbach, Burkhart 1996: Volkskunde der Großstadt. Münchner Anmerkungen zu einem durchgängigen Verweigerungsverhalten. In: Simon/Frieß-Reimann (Hg.): Volkskunde als Programm: 95-113. Lauterbach, Burkhart 1999: Menschen unterwegs. Themen und Probleme volkskundlicher Migrations-Studien. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 102 (1999): 129-151. Lauterbach, Burkhart 2004: Mischmasch? Kulturtransfer und seine Folgen. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 107 (2004): 311-325. Lauterbach, Burkhart 2005: Kulturtransfer – Mischkultur – kulturelle Ordnung. Ein Kommentar. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2005: 37-43. Leach, Michael 2000: Hansonism, Political Discourse and Australian Identity. In: ders./Stokes, Geoffrey/Ward, Ian (Hg.): The Rise and Fall of One Nation. St. Lucia, QLD: 42-56. Leach, Michael/Mansouri, Fethi 2004: Lives in Limbo. Voices of Refugees under Temporary Protection. Sydney. Lehmann, Albrecht 1979/1980: Autobiographische Methoden. Verfahren und Möglichkeiten. In: Ethnologia Europaea 11 (1979/1980): 36-54. Lehmann, Albrecht 1980: Rechtfertigungsgeschichten. Über eine Funktion des Erzählens eigener Erlebnisse im Alltag. In: Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung 21 (1980): 56-59. Lehmann, Albrecht 1982: Militär als Forschungsproblem der Volkskunde. In: Zeitschrift für Volkskunde 78 (1982): 230-245. Lehmann, Albrecht 1991: Der Schicksalsvergleich. Eine Gattung des Erzählens und eine Methode des Erinnerns. In: Bönisch-Brednich u. a. (Hg.): Erinnern und Vergessen. Vorträge des 27. Deutschen Volkskundekongresses Göttingen 1989. Göttingen: 197-207. Lehmann, Albrecht 1991: Im Fremden ungewollt zuhaus. Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945–1990. München. Lehmann, Albrecht 1995: Erinnern und Vergleichen. Flüchtlingsforschung im Kontext heutiger Migrationsbewegungen. In: Dröge (Hg.): Alltagskulturen zwischen Erinnerung und Geschichte: 15-30.

666 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Lehmann, Albrecht 1999: Von Menschen und Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald. Reinbek bei Hamburg. Lehmann, Albrecht 2001: Landschaftsbewußtsein. Zur gegenwärtigen Wahrnehmung natürlicher Ensembles. In: Brednich/Schneider/Werner (Hg.): Natur – Kultur: 147-153. Lehmann, Albrecht 2007: Reden über Erfahrung. Kulturwissenschaftliche Bewusstseinsanalyse des Erzählens. Berlin. Lehmann, Albrecht 2007a: Bewusstseinsanalyse. In: Göttsch/ders. (Hg.): Methoden der Volkskunde: 271-288. Lentz, Carola 1998: Die Konstruktion von Ethnizität. Eine politische Geschichte Nord-West Ghanas 1870–1990. Studien zur Kulturkunde, Band 112. Köln. Lepenies, Wolf 1973: Eine vergessene Tradition der deutschen Anthropologie. Wissenschaft vom Menschen und Politik bei Georg Forster. In: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 24 (1973): 50-78. Lepenies, Wolf 1981: Einleitung. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität der Soziologie. In: ders. (Hg.): Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin, Band 1. Frankfurt a. M.: I-XXXV. Lepenies, Wolf 1988: Autoren und Wissenschaftler im 18. Jahrhundert. Linné – Buffon – Winckelmann – Georg Forster – Erasmus Darwin. München/Wien. Leske, Everard 1996: For Faith and Freedom. The Story of Lutherans and Lutheranism in Australia 1838–1996. Adelaide, SA. Levi, John S. 1976: A Dictionary of Biography of the Jews of Australia 1788–1830. Australian Jewish History Society. Nunawading, VIC. Levine, Robert 1998: Fingerabdrücke der Zeit. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 48/3 (1998): 24-26 (Sonderband: Zeit. Im Takt der Kulturen). Levine, Robert 1999: Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit Zeit umgehen. München. Levison, David/Ember, Melvin (Hg) 1996: Encyclopedia of Cultural Anthropology. 4 Volumes. New York. Lévi-Strauss, Claude 1977: Die Stellung der Anthropologie in den Sozialwissenschaften und die daraus resultierenden Unterrichtsprobleme. In: ders: Strukturale Anthropologie. Frankfurt a. M.: 369-408. Lévi-Strauss, Claude 1978: Traurige Tropen. Frankfurt a. M. Lévi-Strauss, Claude 1985: The View from Afar. New York. Lévi-Strauss, Claude 1994: Anthropology, Race and Politics: A Conversation with Didier Eribon. In: Borofsky (Hg.): Assessing Cultural Anthropology: 420-429. Levitt, Peggy 2001: The Transnational Villagers. Berkeley, CA. Lewellen, Ted C. 2002: The Anthropology of Globalization. Cultural Anthropology Enters the 21st Century. Westport, CT. Lewins, Frank/Ly, Judith (Hg.) 1985: The First Wave. The Settlement of Australia’s first Vietnamese Refugees. Sydney.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 667

Lewis, Oscar 1951: Life in a Mexican Village. Tepoztlán Restudied. Urbana, IL. Lichtblau, Klaus 2006: Max Webers „Grundbegriffe“. Kategorien der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Wiesbaden. Lien, Marianne Elisabeth/Melhuus, Marit 2007: Introduction. In: dies. (Hg.): Holding Worlds Together. Ethnographies of Knowing and Belonging. New York/Oxford: IX-XXIII. Lindner, Rolf 1981: Die Angst des Forschers vor dem Feld. Überlegungen zur teilnehmenden Beobachtung als Interaktionsprozeß. In: Zeitschrift für Volkskunde 77 (1981): 51-66. Lindner, Rolf 1984: Ohne Gewähr. Zur Kulturanalyse des Informanten. In: Jeggle (Hg.): Feldforschung: 59-71. Lindner, Rolf 1990: Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage. Frankfurt a. M. Lindner, Rolf 2000: Die Stunde der Cultural Studies. Wien. Lindner, Rolf 2002: Konjunktur und Krise des Kulturkonzeptes. In: Musner, Lutz/Wunberg, Gotthart (Hg.): Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen. Wien: 69-87. Lindner, Rolf 2003: Vom Wesen der Kulturanalyse. In: Zeitschrift für Volkskunde 99 (2003): 177-188. Linton, Ralph 1965: The Study of Man. An Introduction. London. Lipp, Carola 1993: Alltagsforschung im Grenzgebiet von Volkskunde, Soziologie und Geschichte. In: Zeitschrift für Volkskunde 89 (1993): 1-33. Lipp, Carola 1994: Alltagskulturforschung in der empirischen Kulturwissenschaft und Volkskunde. In: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte: 78-93. Lippmann, Walter 2004: Public Opinion. New York [Orig. 1922]. Listemann, G. 1851: Meine Auswanderung nach Südaustralien und Rückkehr zum Vaterland. Ein Wort zur Warnung und Belehrung für alle Auswanderungslustigen. Berlin. Lixfeld, Giesela 1994: Das „Ahnenerbe“ Heinrich Himmlers und die ideologischpolitische Funktion seiner Volkskunde. In: Jacobeit, Wolfgang/Lixfeld, Hannjost/Bockhorn, Olaf (Hg.): Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wien/Köln/Weimar: 217-255. Löffler, Klara 1999: Zurechtgerückt. Der Zweite Weltkrieg als biografischer Stoff. Berlin. Löfgren, Orvar 1990: The Danger of Knowing What You Are Looking For. On Routinizing Research. In: Ethnologia Scandinavica 20 (1990): 3-5. Löfgren, Orvar 1995: Leben im Transit? Identitäten und Territorialitäten in historischer Perspektive. In: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag 3/3 (1995): 349-363.

668 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Löfgren, Orvar 1999: Crossing Borders. The Nationalization of Anxiety. In: Ethnologia Scandinavica 29 (1999): 5-27. Löfgren, Orvar/Bendix, Regina 2007: Double Homes, Double Lives? In: Ethnologia Europaea 37/1+2 (2007): 7-15. Londey, Peter/Steel, Nigel 2008: Der Erste Weltkrieg als nationaler Erinnerungsort. Das Imperial War Museum in London und das Australian War Memorial in Canberra. In: Korte, Barbara/Paletschek, Sylvia/Hochbruck, Wolfgang (Hg.): Der Erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur. Schriften der Bibliothek zur Zeitgeschichte, NF Band 22. Essen: 27-46. London, Herbert I. 1970: Non-White Immigration and the „White Australia“ Policy. Sydney. Lowie, Robert H. 1920: Primitive Society. New York. Lowie, Robert H. 1937: The History of Ethnological Theory. New York. Lozoviuk, Peter 1997: Deutschböhmische Kolonisten in Südosteuropa und die „Sudetendeutsche Sprachinsel“. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 40 (1997): 1-26. Lucius-Hoene, Gabriele/Deppermann, Arnulf 2002: Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews. Opladen. Luckmann, Thomas 1986: Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens: Kommunikative Gattung. In: Neidhardt, Friedhelm/Lepsius, Rainer M./Weiss, Johannes (Hg.): Kultur und Gesellschaft. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie zum 80. Geburtstag von René König. Opladen: 191-211. Lübbe, Hermann 1994: Pünktlichkeit. Über den Ursprung der Freiheit aus der ZeitDisziplin. In: Sprondel, Walter (Hg.): Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Frankfurt a. M.: 56-69. Lüthke, Folkert 1989: Psychologie der Auswanderung. Weinheim. Lüthke, Folkert/Cropley, Arthur 1989: Motive zur Auswanderung aus psychologischer Sicht: Empirische Befunde und theoretische Überlegungen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 39/3 (1989): 363-368 (Themenband: „Jetzt wohnst du in einem freien Land.“ Zur Auswanderung Deutscher im 19. und 20. Jahrhundert.). Lutz, Gerhard 1969: Volkskunde und Ethnologie. In: Zeitschrift für Volkskunde 65 (1969): 65-80. Lutz, Gerhard 1971/72: Volkskunde, „Lehre vom Volk“ und Ethnologie. Zur Geschichte einer Fachbezeichnung. In: Hessische Blätter für Volkskunde 62/63 (1971/72): 11-29. Lutz, Gerhard 1971: Volkskunde und Kulturanthropologie. Zur Frage der Ortsbestimmung unseres Faches. In: Zeitschrift für Volkskunde 67 (1971): 1-13. Lutz, Gerhard 1982: Die Entstehung der Ethnologie und das spätere Nebeneinander der Fächer Volkskunde und Völkerkunde. In: Nixdorff/Hauschild (Hg.): Europäische Ethnologie: 29-49.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 669

Lyman, Stanford/Doughlass, William 1973: Ethnicity. Strategies of Collective and Individual Impression Management. In: Social Research 40 (1973): 344-358. Maase, Kaspar 1998: Nahwelten zwischen „Heimat“ und „Kulisse“. Anmerkungen zur volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Regionalitätsforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 94 (1998): 53-70. Maase, Kaspar 2002: „Wer findet denn so etwas komisch?“ Die Masse und ihr Lachen. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 641/642 (2002): 874-885 (Sonderheft: Lachen: Über westliche Zivilisation). MacDonald, John S./MacDonald, Leatrice 1974: Chain Migration, Ethnic Neighborhood Formation, and Social Networks. In: Tilly, Charles (Hg.): An Urban World. Boston/Toronto: 226-236. MacDonald, Sharon 2001: British Social Anthropology. In: Atkinson (Hg.): Handbook of Ethnography: 60-79. MacLeod, Celeste 2006: Multiethnic Australia. Its History and Future. Jefferson, NC. Macha, Jürgen 1994: „… ich will nicht ueber Ammireka nicht stronsen …“ Briefe von Eifel-Auswanderern als sprachhistorische Quelle. In: Nikolay-Panter, Marlene/Janssen, Wilhelm/Herborn, Wolfgang (Hg.): Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und Perspektiven. Gedenkschrift für Georg Dröge. Köln/Weimar/Wien: 516-533. Macha, Jürgen/Nikolay-Panter, Marlene/Herborn, Wolfgang (Hg.) 2003: Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland. Auswandererbriefe und Dokumente der Sammlung Joseph Scheben (1825–1938). Sprachgeschichte der Deutschen in Nordamerika, Band 2. Frankfurt a. M. Malamut, Rene 1964: Zur Psychologie des deutschen Schlagers. Eine Untersuchung anhand seiner Texte. Wintherthur. Malinowski, Bronislaw 1967: A Diary in the Strict Sense of the Term. London. Malinowski, Bronislaw 1979: Argonauten des westlichen Pazifiks. Ein Bericht über die Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea. Mit einem Vorwort von James G. Frazer. Frankfurt a. M. [Orig. 1922]. Manne, Robert 2003: The Road to Tampa. In: Jayasuriya/Walker/Gothard (Hg.): Legacies of White Australia: 163-174. Manning, Peter 2006: Us and Them. A Journalist’s Investigation of Media, Muslims and the Middle East. Milsons Point, NSW. Marcus, George E. 1995: Ethnography in/of the World System. The Emergence of Multi-Sited Ethnography. In: Annual Review of Anthropology 24 (1995): 95117. Marcus, George E. 1998: Ethnography Through Thick and Thin. Princeton, NJ. Marcus, George E. 2003: On the Problematic Contemporary Reception of Ethnography as a Stimulus for Innovations in its Forms and Norms in Teaching and Research. In: Greverus, Ina-Maria (Hg.): Shifting Grounds. Experiments in Do-

670 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

ing Ethnography. Anthropological Journal on European Cultures, Volume 11. Münster u. a.: 191-206. Mares, Peter 2003: Borderline. Australia’s Response to Refugees and Asylum Seekers in the Wake of Tampa. 2nd edition. Sydney. Markus, Andrew 1979: Fear and Hatred. Purifying Australia and California 1850– 1901. Sydney. Markus, Andrew 2001: Race. John Howard and the Remaking of Australia. Crows Nest, NSW. Markus, Andrew/Dharmalingam, Arunachalam 2008: Mapping Social Cohesion. The 2007 Scanlon Foundation Surveys. Melbourne. Marr, David 1992: Patrick White. A Life. New York. Marr, David/Wilkinson, Marian 2003: Dark Victory. The Military Campaign to ReElect the Prime Minister. Sydney. Marschalck, Peter 1973: Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Bevölkerung. Industrielle Welt, Band 14. Stuttgart. Marschall, Wolfgang (Hg.) 1990: Klassiker der Kulturanthropologie. Von Montaigne bis Margaret Mead. München. Marschall, Wolfgang 1997: Zeitkonflikte in multikultureller Konfrontation. In: Rusterholz, Peter/Moser, Rupert (Hg.): Zeit. Zeitverständnis in Wissenschaft und Lebenswelt. Kulturhistorische Vorlesungen der Universität Bern. Berlin u. a.: 161-175. Martin, Jean 1965: Refugee Settlers. A Study of Displaced Persons in Australia. Canberra. Martin, Jean 1972: Community and Identity. Refugee Groups in Adelaide. Canberra. Martin, Jean 1978: The Migrant Presence: Australian Responses 1947–1977. Sydney. Martin, Jean 1981: The Ethnic Dimension. Ethnicity and Pluralism. Studies in Society, Volume 9. Sydney. Massey, Doreen 1998: A Global Sense of Place. In: dies.: Space, Place, Gender. Cambridge: 146-156. Massey, Douglas S./Arango, Joaquin/Hugo, Graeme u. a. (Hg). 1998: Worlds in Motion. Understanding International Migration at the End of the Millennium. Oxford. Matter, Max 1987: Fremde im eigenen Land. Zur Situation türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familien nach der Rückkehr aus der Bundesrepublik Deutschland. In: Kuntz, Andreas/Pfleiderer, Beatrix (Hg.): Fremdheit und Migration. Lebensformen. Veröffentlichungen des Instituts für Volkskunde der Universität Hamburg, Band 2. Berlin/Hamburg: 221-253. Matussek, Matthias 2006: Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können. 3. Auflage. Frankfurt a. M.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 671

Maurer, Michael (Hg.) 1999: Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin. Mauss, Marcel 1954: The Gift. Forms and Functions of Exchange in Archaic Societies. With an Introduction by E. E. Evans-Pritchard. London. Mayer, Philip 1962: Migrancy and the Study of Africans in Towns. In: American Anthropologist 64/3 (1962): 576-592. McCarty, John W. 1998: Gold Rushes. In: Davison, Graeme/Hirst, John/MacIntryre, Stuart (Hg.): The Oxford Companion to Australian History. Oxford/Auckland/New York: 283-285. McCracken, Grant 1988: Culture and Consumption. New Approaches to the Symbolic Character of Consumer Goods and Activities. Bloomington, IN. McGillivray, Mark 1997: Australia’s Economic Ties with Asia. In: ders./Smith, Gary (Hg.): Australia and Asia. Oxford/Auckland/New York: 56-80. McHugh, Siobhán 1995: The Snowy. The People behind the Power. Pymble, NSW. McKernan, Michael 1980: The Australian People at the Great War. Melbourne. McLuhan, Marshall 1962: The Gutenberg Galaxy. The Making of a Typographic Man. Toronto. McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin 1984: Das Medium ist Massage. Frankfurt a. M. [Orig. 1967]. Meißner, Joachim 2006: Mythos Südsee. Das Bild von der Südsee im Europa des 18. Jahrhunderts. Philosophische Texte und Studien, Band 86. Hildesheim/ Zürich/New York. Mellor, David 2004: The Experiences of Vietnamese in Australia: The Racist Tradition Continues. In: Journal of Ethnic and Migration Studies 30/4 (2004): 631658. Melucci, Alberto 1996: The Post-Modern Revival of Ethnicity. In: Hutchinson, John/Smith, Anthony D. (Hg.): Ethnicity. Oxford Readers. New York: 367-370. Menivil, Julio 2008: Ein musikalisches Stück Heimat. Ethnologische Beobachtungen zum deutschen Schlager. Studien zur Populärmusik. Bielefeld. Merkel, Ina 2010: Unterströmungen unserer Kultur. Über den Sinn von Medien(text)analysen. In: Elsbergen, Antje van/Engelhardt, Franziska/Stiefbold, Simone (Hg.): Ansichten – Einsichten – Absichten. Beiträge aus der Marburger Kulturwissenschaft. Marburg: 263-274. Metcalf, William J./Hut, Elizabeth 2002: Herrnhut. Australia’s First Utopian Commune. Melbourne. Meyer, Charles 1990: A History of the Germans in Australia 1839–1954. A Useful and Valuable Description of People. Caulfield East, VIC. Meyer, Christian/Schareika, Nikolaus 2009: Neoklassische Feldforschung. Die mikroskopische Untersuchung sozialer Ereignisse als ethnographische Methode. In: Zeitschrift für Ethnologie 134 (2009): 79-102. Meyer, Silke 2003: Die Ikonographie der Nation. Nationalstereotype in der englischen Druckgraphik des 19. Jahrhunderts. Beiträge zur Volkskunde in Nordwestdeutschland, Band 104. Münster u. a.

672 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Meyn, Mathias u. a. (Hg.) 1994: Die großen Entdeckungen, Band 2. München. Mezger, Werner 1975: Schlager. Versuch einer Gesamtdarstellung unter besonderer Berücksichtigung des Musikmarktes der Bundesrepublik Deutschland. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 39. Tübingen. Miller, Daniel/Slater, Don 2000: The Internet. An Ethnographic Approach. Oxford. Mitchell, Clyde J. 1959: The Kalea Dance. Aspects of Social Relationships Among Urban Africans in Northern Rhodesia. Rhodes-Livingstone Papers No. 27. Manchester. Mitchell, Clyde J. 1966: Theoretical Orientations in African Urban Studies. In: Banton, Michael (Hg.): The Social Anthropology of Complex Societies. London: 37-68. Mönckmeier, Wilhelm 1932: Die deutsche überseeische Auswanderung. Ein Beitrag zur deutschen Wanderungsgeschichte. Jena. Mohr de Collado, Maren 2005: Lebensformen zwischen „Hier“ und „Dort“. Transnationale Migration und Wandel einer Garifuna-Gemeinde in Guatemala und New York. Bonner amerikanistische Studien, Band 40. Aachen. Mohrmann, Ruth-E. 1989/1990: Volkskunde und Geschichte. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 34/35 (1989/1990): 9-23. Mohrmann, Ruth-E. 1990: Die Stadt als volkskundliches Forschungsfeld. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 93 (1990): 129-149. Mohrmann, Ruth-E. 1991: Zwischen den Zeilen und gegen den Strich – Alltagskultur im Spiegel archivalischer Quellen. In: Der Archivar 44 (1991): 233-246. Moltmann, Günter/Focke, Harald (Hg.) 1976: Deutsche Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert. Sozialgeschichtliche Beiträge. Stuttgart. Moore-Gilbert, Bart 1997: Postcolonial Theory. Contexts, Practices, Politics. London/New York. Moosmüller, Alois 1997: Kulturen in Interaktion. Deutsche und US-amerikanische Firmenentsandte in Japan. Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Band 4. Münster u. a. Moosmüller, Alois 2000: Perspektiven des Fachs interkulturelle Kommunikation aus kulturwissenschaftlicher Sicht. In: Zeitschrift für Volkskunde 96 (2000): 169-185. Moosmüller, Alois (Hg.) 2002: Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora. Die kulturelle Gestaltung von Lebens- und Arbeitswelten in der Fremde. Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Band 13. Münster u. a. Moosmüller, Alois 2002a: Diaspora – zwischen Reproduktion von „Heimat“, Assimilation und transnationaler Identität. In: ders. (Hg.): Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora: 11-28. Moosmüller, Alois 2009: Kulturelle Differenz: Diskurse und Kontexte. In: ders. (Hg.): Konzepte kultureller Differenz. Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Band 22. Münster u. a.: 13-45.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 673

Moser, Dietz-Rüdiger 1993: Bräuche und Feste im christlichen Jahreslauf. Brauchformen der Gegenwart in kulturgeschichtlichen Zusammenhängen. Graz u. a. Moser, Hans 1962: Vom Folklorismus in unserer Zeit. In: Zeitschrift für Volkskunde 58 (1962): 177-209. Moser, Hans 1964: Der Folklorismus als Forschungsproblem der Volkskunde. In: Hessische Blätter für Volkskunde 55 (1964): 9-57. Moser, Hans 1985: Volksbräuche im geschichtlichen Wandel. Ergebnisse aus fünfzig Jahren volkskundlicher Quellenforschung. München. Moser, Johannes 2008: Volkskundliche Perspektiven. In: Zeitschrift für Volkskunde 104 (2008): 225-243. Moses, John A. 1988: „Deutschtumspolitik“ in Australia. From Kaiserreich to Third Reich. Problems of Promoting Germany in Australia from Hirschfeld to von Luckner. In: Harmstorf, Ian/Schwerdtfeger, Peter (Hg.): The German Experience of Australia 1833–1938. Bedford Park, SA: 120-136. Mosse, George L. 1993: Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben. Stuttgart. Mühlmann, Wilhelm E. 1948: Geschichte der Anthropologie. Bonn. Mühlmann, Wilhelm E. 1955: Arioi und Mamaia. Eine ethnologische, religionssoziologische und historische Studie über polynesische Kulturbünde. Wiesbaden. Mühlmann, Wilhelm E./Müller, Ernst W. (Hg.) 1966: Kulturanthropologie. Neue wissenschaftliche Bibliothek, Band 9. Köln/Berlin. Mühlmann, Wilhelm E. 1966a: Umrisse und Probleme einer Kulturanthropologie. In: ders./Müller (Hg.): Kulturanthropologie: 15-49. Mühlmann, Wilhelm E. 1985: Ethnogonie und Ethnogenese. Theoretisch-ethnologische und ideologiekritische Studie. In: Studien zur Ethnogenese. Abhandlungen der Rheinisch-westfälischen Akademie der Wissenschaft, Band 72. Hg. von der Rheinisch-westfälischen Akademie der Wissenschaft. Opladen: 9-27. Müller, Josef/Aubin, Hermann/Frings, Theodor 1926: Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden. Geschichte – Sprache – Volkskunde. Bonn. Mullings, Leigh 2005: Interrogating Racism. Towards an Antiracist Anthropology. In: Annual Review of Anthropology 34 (2005): 667-693. Munn, Nancy 1992: The Cultural Anthropology of Time. In: Annual Review of Anthropology 21 (1992): 93-123. Muri, Gabriela 2004: Pause! Zeitordnungen und Auszeiten aus alltagskultureller Sicht. Frankfurt a. M. u. a. Museum für Völkerkunde Frankfurt am Main (Hg.) 1976: Georg Forster 1754– 1794. Südseeforscher. Aufklärer. Revolutionär. Roter Faden zur Ausstellung, Band 3. Frankfurt a. M. Nadig, Maya 2000: Körpererfahrung im Wahrnehmungsprozeß. Transkulturelle (Re)Konstruktionen in Übergangsräumen. In: Schlehe, Judith (Hg.): Zwischen den Kulturen – zwischen den Geschlechtern. Kulturkontakte und Genderkons-

674 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

trukte. Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Band 8. Münster u. a.: 37-52. Naimark, Norman M. 2002: Ethnic Cleansing in Twentieth-Century Europe. Cambridge. Nakamura, Lisa 2002: Cybertypes. Race, Ethnicity and Identity on the Internet. New York. Narr, Roland 1970: Volkskunde als kritische Sozialwissenschaft. In: Scharfe u. a. (Hg.): Abschied vom Volksleben: 37-73. National Agenda for a Multicultural Australia. Sharing our Future. Edited by the Department of the Prime Minister and Cabinet. Office of Multicultural Affairs. Canberra 1989. Naumann, Hans 1929: Grundzüge der deutschen Volkskunde. 2. Auflage. Leipzig. Neckel, Sighard 1993: Die Macht der Unterscheidung. Beutezüge durch den modernen Alltag. Frankfurt a. M. Nederveen Pieterse, Jan 1998: Der Melange-Effekt. Globalisierung im Plural. In: Beck (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft: 87-124. Nederveen Pieterse, Jan 2004: Ethnicities and Multiculturalism. Politics and Boundaries. In: May, Stephen/Modood, Tariq/Squires, Judith (Hg.): Ethnicity, Nationalism, and Minority Rights. Cambridge/New York: 27-49. Neumann, Michael 1994: Philosophische Nachrichten aus der Südsee. Georg Forsters „Reise um die Welt“. In: Schings, Hans-Jürgen (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Germanistische SymposienBerichtsbände, Band 15. Stuttgart: 517-544. Nicholas, Stephen/Shergold, Peter R. 2001: Convicts as Workers. In: Jupp (Hg.): The Australian People: 21-22. Niederer, Arnold 1980: Vergleichende Bemerkungen zur ethnologischen und zur volkskundlichen Arbeitsweise. In: Beiträge zur Ethnologie der Schweiz. Bern: 1-33. Niedermüller, Peter 2000: Der Mythos „Deutsch zu sein“ – Zum Verhältnis von Politik und Kultur. In: Götz, Irene (Hg.): Zündstoff doppelte Staatsbürgerschaft. Zur Veralltäglichung des Nationalen. Berliner Blätter. Ethnografische und Ethnologische Beiträge, Band 21. Münster u. a.: 39-51. Niedermüller, Peter 2002: Europäische Ethnologie. Deutungen, Optionen, Alternativen. In: ders./Köstlin, Konrad/Nikitsch, Herbert (Hg.): Die Wende als Wende? Orientierungen Europäischer Ethnologie nach 1989. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien, Band 23. Wien: 27-62. Niethammer, Lutz 1997: Lebenserfahrung und kulturelles Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“. Frankfurt a. M. Nipperdey, Thomas 1983: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München. Nixdorff, Heide/Hauschild, Thomas (Hg.) 1982: Europäische Ethnologie. Theorienund Methodendiskussion aus ethnologischer und volkskundlicher Sicht. Ta-

Q UELLENVERZEICHNIS

| 675

gungsband zum Workshop „Europäische Ethnologie“ vom 28.3.–2.4.1982 in Berlin. Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde, Berlin. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz. Berlin. Noble, Gregory (Hg.) 2009: Lines in the Sand. The Cronulla Riots, Multiculturalism and National Belonging. The Institute of Criminology Monograph Serie, Volume 28. Sydney. Norrington, Brad 1990: Sky Pirates. The Pilots’ Strike that Grounded Australia. Sydney. Nowotny, Andrea 2003: SMS. Kommunikation in Kurzformat. In: Volkskultur an Rhein und Maas 21/2 (2003): 5-14. Nünning, Ansgar/Nünning, Vera (Hg.) 2003: Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Stuttgart/Weimar. Nußbaumer, Thomas 2002: Zum Quellenwert der Südtiroler Volksmusiksammlung von Alfred Quellmalz (1940–1942). In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde (105) 2002: 125-148. Nyman, Jopi 2009: Home, Identity, and Mobility in the Contemporary Diasporic Fiction. Tectext. Studies in Comparative Literature, Volume 59. Amsterdam u. a. O.A. 1988: Jacobi: Willenskraft und Unternehmergeist. In: Jacobi (Hg.): 200 Jahre Geschichte der deutschsprachigen Gemeinschaft in Australien: 158-159. Oberg, Kalervo 1960: Cultural Shock. Adjustment to New Cultural Environments. In: Practical Anthropology 7 (1960): 177-182. Ohe, Werner von der (Hg.) 1987: Kulturanthropologie. Beiträge zum Beginn einer Disziplin. Festgabe für Emerich K. Francis zum 80. Geburtstag. Sozialwissenschaftliche Abhandlungen der Görres-Gesellschaft, Band 15. Berlin. Ollmer, Jochen 2002: Flucht, Vertreibung und Asyl im 19. und 20. Jahrhundert. In: Bade, Klaus J. (Hg.): Migration in der europäischen Geschichte seit dem späten Mittelalter. Vorträge auf dem Deutschen Historikertag in Halle a. d. Saale, 11. September 2002. IMIS Beiträge 20 (2002). Osnabrück: 107-134. Olwig, Karen Fog/Hastrup, Kirsten (Hg.) 1997: Siting Culture. The Shifting Anthropological Object. London/New York. Ong, Aihwa/Nonini, Donald (Hg.) 1997: Ungrounded Empires. The Cultural Politics of Modern Chinese Transnationalism. London/New York. Ong, Aihwa 1999: Flexible Citizenship. The Cultural Logics of Transnationality. Durham u. a. Ortiz, Paul 2008: Race Riots (U.S.) 1917–1923. In: Moore, John Hartwell (Hg.): Encyclopedia of Race and Racism, Volume 2. Detroit u. a.: 435-443. Ortlepp, Gunar 1982: Kontinent der Träume. Einwandererland Australien. In: Schöps, Joachim (Hg.): Auswandern. Ein deutscher Traum. Reinbek bei Hamburg: 89-14.

676 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Orywal, Erwin/Hackstein, Katharina 1993: Ethnizität: Die Konstruktion ethnischer Wirklichkeit. In: Schweizer/Schweizer/Kokot (Hg.): Handbuch der Ethnologie: 593-609. Otte, Gunnar 2004: Sozialstrukturanalyse mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen und methodischen Neuorientierung der Lebensstilforschung. Sozialstrukturanalysen, Band 18. Wiesbaden. Paczensky, Gert von/Dünnebier, Anna 1999: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. München. Paerregaard, Karsten 2008: Peruvians Dispersed. A Global Ethnography of Migration. Lanham, MD. Palmer, Alison 2000: Colonial Genocide. Adelaide, SA. Panek, Kornelia (Bearb.) 2001: Schöne Neue Welt. Rheinländer erobern Amerika, Band 2. Aufsatzteil. Führer und Schriften des Rheinischen Freilichtmuseums und Landesmuseums für Volkskunde in Kommern, Band 60. Kommern. Panoff, Michel 1972: Bronislaw Malinowski. Paris. Papastergiadis, Nikos 2000: The Turbulences of Migration. Globalization, Deterritorialization und Hybridity. Oxford. Paraschou, Athina 2001: Remigration in die Heimat oder Emigration in die Ferne. Beiträge zur europäischen Migrationsforschung am Beispiel remigrierter griechischer Jugendlicher. Europäische Migrationsforschung, Band 3. Frankfurt a. M. Park, Robert E. 1915: The City. Suggestions for the Investigation of Human Behavior in the City Environment. In: American Journal of Sociology 29 (1915): 577612. Park, Robert E./Burgess, Ernest W. 1921: Introduction to the Science of Sociology. Chicago. Park, Robert E. 1929: Sociology. In: Gee, Wilson (Hg.): Research in the Social Sciences. New York 1929: 3-33. Park, Robert E./Miller, Herbert A. 1974: Old-World Traits Transplanted. New York [Orig. 1921]. Pascht, Arno 1999: Ethnizität. Zur Verwendung des Begriffs im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs. Eine Einführung. Münchner Ethnologische Abhandlungen, Band 21. München. Paul, Jean/Förster, Ernst 1862: Jean Paul’s Sämmtliche Werke, Band 32. 3., verm. Auflage. Berlin. Pegel, Michael 1997: Fremdarbeiter, Displaced Persons, Heimatlose Ausländer. Konstanten eines Randgruppenschicksals in Deutschland nach 1945. Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Band 1. Münster. Pelto, Pertti J./Pelto, Gretel H. 1973: Ethnography. The Fieldwork Enterprise. In: Honigmann, John (Hg.): Handbook of Social and Cultural Anthropology. Chicago: 241-288.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 677

Penitsch, Regina 2003: Migration und Identität. Eine Mikro-Studie unter marokkanischen Studenten und Studentinnen in Berlin. Berliner Beiträge zur Ethnologie, Band 2. Berlin. Perkins, John 1991: The Swastika Down Under. Nazi Activities in Australia. In: Journal of Contemporary History 25/1 (1991): 111-129. Perkins, John 2001: Germans in Australia During the First World War. In: Jupp (Hg.): The Australian People: 370-372. Petermann, Werner 2004: Die Geschichte der Ethnologie. Wuppertal. Pieper, Ernst 2007: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. Berlin. Piore, Michael 1980: Birds of Passage. Migrant Labour and Industrial Societies. Cambridge/London. Platt, Kristin 2002: Über das Reden, die Redenden und die Gefährlichkeit der Erfahrung von Gewalt. Einleitung. In: dies. (Hg.): Reden von Gewalt. Genozid und Gedächtnis, Band 4. München: 9-58. Platvoet, Jan 2006: Das Ritual in pluralistischen Gesellschaften. In: Belliger/ Krieger (Hg.): Ritualtheorien: 173-190. Ploch, Beartrice 1994: Vom illustrierten Schaubild zur Methode. Mental Maps und ihre Bedeutung für die Kulturanthropologie. In: Greverus (Hg.): Kulturtexte: 113-133. Plummer, Ken 2001: The Call of Life Stories in Ethnographic Research. In: Atkinson (Hg.): Handbook of Ethnography: 395-406. Poehls, Kerstin 2010: Zeigewerke des Zeitgeistes? Migration, ein boundary object im Museum. In: Zeitschrift für Volkskunde 106 (2010): 225-245. Polke, Irene 1999: Selbstreflexion im Spiegel des Anderen. Eine wirkungsgeschichtliche Studie zum Hellenismusbild Heynes und Herders. Epistemata: Reihe Philosophie, Band 257. Würzburg. Popkin, Eric 2005: The Emergence of Pan-Mayan Ethnicity in the Guatemalan Transnational Community Linking Santa Eulalia and Los Angeles. In: Current Sociology 53/4 (2005): 675-706. Portes, Alejandro/Guarnizo, Luis E./Landolt, Patricia 1999: Introduction: Pitfalls and Promise of an Emergent Research Field. In: Ethnic and Racial Studies 22 (1999): 217-237. Posner, Roland 2003: Kultursemiotik. In: Nünning/Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften: 39-72. Poynting, Scott u. a. (Hg.) 2000: Kebabs, Kids, Cops and Crime. Youth, Ethnicity and Crime. Sydney. Poynting, Scott u. a. (Hg.) 2004: Bin Laden in the Suburbs. Criminalising the Arab Other. Sydney. Poynting, Scott 2006: What Caused the Cronulla Riots? In: Race & Class 48/1 (2006): 85-92. Pratt Ewing, Katherine 2004: Migration, Identity Negotiation, and Self-Experience. In: Friedman/Randeria (Hg.): Worlds on the Move: 117-140.

678 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Price, Charles 1969: The Study of Assimilation. In: Jackson, John A. (Hg.): Migration. Cambridge: 182-237. Price, Charles 1974: The Great White Walls Are Built. Restrictive Immigration in North America and Australia 1836–1888. Canberra. Pries, Ludger 1998: Transnationale Soziale Räume. Theoretisch-empirische Skizze am Beispiel der Arbeitswanderungen Mexiko–USA. In: Beck (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft: 55-86. Pries, Ludger 2008: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften. Frankfurt a. M. Pundt, Christian 2002: Mord beim NDR. Tatort mit Manfred Krug und Charles Brauer. Münster u. a. Radcliffe-Brown, Alfred R. 1922: The Andaman Islanders. A Study in Social Anthropology. Cambridge. Räsänen, Matti 1995: Displaced Persons. Understanding Human Migration in Europe After the Second World War. In: Korhonen, Teppo (Hg.): Encountering Ethnicities. Ethnological Aspects on Ethnicity, Identity and Migration. Studia Fennica Ethnologica, Volume 3. Helsinki: 9-18. Ramsden, John 2006: Don’t Mention the War. The British and the Germans Since 1890. London. Ranke, Kurt 1978: Die Welt der einfachen Formen. Studien zur Motiv-, Wort- und Quellenkunde. Berlin/New York. Rapport, Nigel/Overing, Joanna 2007: Social und Cultural Anthropology. The Key Concepts. 2nd edition. London u. a. Rauer, Valentin 2008: Kulturelle Grenzziehung in integrationspolitischen Diskursen deutscher Printmedien. In: Ezil, Ökzan/Kimmich, Dorothee/Werberger, Annette (Hg.): Wider den Kulturzwang. Kulturalisierung und Dekulturalisierung in Literatur, Kultur und Migration. Bielefeld: 81-94. Redfield, Robert 1930: Tepoztlán, a Mexican Village. A Study of Folk Life. Chicago. Redfield, Robert 1934: Chan Kom. A Maya Village. Washington. Redfield, Robert/Linton, Ralph/Herskovits, Melville J. 1936: Memorandum for the Study of Acculturation. In: American Anthropologist 38 (1936): 149-152. Redfield, Robert 1947: The Folk Society. In: American Journal of Sociology 52 (1947): 293-308. Redfield, Robert 1950: A Village that Chose Progress. Chan Kom Revisited. Chicago. Redfield, Robert 1966: Die „Folk“-Gesellschaft. In: Mühlmann/Müller (Hg.): Kulturanthropologie: 327-355. Reggi, Nina 2010: theinder.net: Wenn globalisierte Alltage online gehen. Eine biografisch orientierte virtuelle Ethnographie. In: Hess/Schwertl (Hg.): München migrantisch – migrantisches München: 117-133.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 679

Rehn, Karin 1996: Das Bild der Heimat in der heutigen Mundartdichtung. In: KulTour. Mitteilungsblatt des Volkskundlichen Seminars der Universität Bonn 7/2 (1996): 54-77. Reminick, Ronald A. 1983: Theory of Ethnicity. An Anthropologist’s Perspective. Lanham, MD u. a. Rheingold, Howard 2000: The Virtual Community. Homesteading on the Electronic Frontier. Cambridge u. a. Richmond, Katy 2000: Martin, Jean Isobel. In: Ritchie, John (Hg.): Australian Dictionary of Biography, Volume 15: 1940–1980. Melbourne: 315-316. Ricoeur, Paul 1984: Time and Narrative. Chicago. Ricoeur, Paul 2005: Vom Text zur Person. Hermeneutische Aufsätze (1970–1999). Übersetzt und herausgegeben von Peter Welsen. Hamburg. Rickmeyer, Stefan 2009: Nach Europa via Tanger. Eine Ethnographie. Studien & Materialien des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 36. Tübingen. Riemer, Andrew 1992: Inside Outside. Life Between Two Worlds. Sydney. Rifkin, Jeremy 1988: Uhrwerk Universum. Die Zeit als Grundkonflikt des Menschen. München. Rilke, Rainer Maria 1989: Achte Duineser Elegie. In: ders.: Duineser Elegin. Frankfurt a. M. Robben, Antonius C.G.M. 2007: Multi-sited Fieldwork. In: ders./Sluka, Jeffrey A. (Hg.): Ethnographic Fieldwork. An anthropological Reader. Blackwell Anthologies in Social & Cultural Anthropology, Volume 9. Malden, MA: 331-335. Roberts, Andrew 1986: The Imperial Mind 1930–1940. In: ders. (Hg.): The Cambridge History of Africa. Volume 7: From 1905–1940. Cambridge u. a.: 62-76. Robertson, Roland 1994: Globalization. Social Theory and Global Culture. London u. a. Rodriguez, Marc S. 2007: Introduction. Placing Human Migration in Comparative Perspective. In: ders./Grafton, Anthony T. (Hg.): Migration in History. Human Migration in Comparative Perspective. New York: IX-XVII. Röhrich, Lutz 2001: Erzählforschung. In: Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde: 515-542. Römhild, Regina 1998: Die Macht des Ethnischen. Grenzfall Rußlanddeutsche. Perspektiven einer politischen Anthropologie. Europäische Migrationsforschung, Band 2. Frankfurt a. M. Römhild, Regina 2003: Confronting the Logic of the Nation-State. Transnational Migration and Cultural Globalisation in Germany. In: Ethnologia Europaea 33/1 (2003): 61-72. Römhild, Regina 2003: Welt Raum Frankfurt. In: dies./Bergmann, Sven (Hg.): Global Heimat. Ethnographische Recherchen im transnationalen Frankfurt. Kulturanthropologie-Notizen, Band 71. Frankfurt a. M.: 7-19.

680 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Römhild, Regina 2007: Fremdzuschreibungen – Selbstpositionierungen. Die Praxis der Ethnisierung im Alltag der Einwanderungsgesellschaft. In: Schmidt-Lauber (Hg.): Ethnizität und Migration: 157-177. Rößler, Horst 1992: Massenexodus: die Neue Welt des 19. Jahrhunderts. In: Bade (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: 148-167. Rogers, Alisdair/Vertovec, Steven (Hg.) 1995: The Urban Context. Ethnicity, Social Networks and Situational Analysis. Oxford. Rolshoven, Johanna 2003: Von der Kulturraum- zur Raumkulturforschung. Theoretische Herausforderungen an eine Kultur- und Sozialwissenschaft des Alltags. In: Zeitschrift für Volkskunde 99 (2003): 189-213. Rolshoven, Johanna 2008: The Temptations of the Provisional. Multilocality as a Way of Life. In: Ethnologia Europaea 37/1-2 (2008): 17-25. Rolshoven, Johanna 2009: Kultur-Bewegungen. Multilokalität als Lebensweise in der Spätmoderne. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 112/3 (2009): 285-303. Roosens, Eugeen E. 1989: Creating Ethnicity. The Process of Ethnogenesis. Frontiers of Anthropology, Volume 5. Newbury Park, CA/London/New Dehli. Ross, John 2000: Chronicle of Australia. The Complete Story of Our Nation. Ringwood, VIC. Roth, Klaus 1998: „Bilder in den Köpfen“. Stereotypen, Mythen, Identitäten aus ethnologischer Sicht. In: Heuberger, Valeria/Suppan, Arnold/Vyslonzil, Elisabeth (Hg.): Das Bild von den Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen. Frankfurt a. M. u. a.: 21-43. Roth, Klaus 1999: Zwischen Volkskunde und Völkerkunde. Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation. In: Giordano, Christian/Rolshoven, Johanna (Hg.): Europäische Ethnologie. Ethnologie Europas. Ethnologie européenne. Ethnologie de l’ Europe. Studia Ethnographica Friburgensia, Band 22. Freiburg, Schweiz: 31-44. Roth, Klaus 1999/2000: Zeit und Interkulturelle Kommunikation. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 33 (1999/2000): 25-36 (Themenband: Zeit in volkskundlicher Perspektive). Roy, Ellen/Gellner, Ernest/Kubica, Grazyna/Mucha, Janusz (Hg.) 1988: Malinowski Between Two Worlds. The Polish Roots of an Anthropological Tradition. Cambridge. Ruddock, Philip 2003: Immigration – Benefiting Australia. In: Kramer, Leonie (Hg.): The Multicultural Experiment. Immigrants, Refugees and National Identity. Sydney: 71-78. Rudolf, Jürgen 1992: Was ist „dichte Beschreibung“? Überlegungen zu einem Begriff, einer Praxis und einem Programm. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 4 (1992): 39-62 (Themenheft: Writing Culture).

Q UELLENVERZEICHNIS

| 681

Rübesamen, Hans Eckart 1963: Bericht über den Autor und seinen Vater nebst Notizen über Kapitän Cook. In: Forster, Georg: Weltumsegelung mit Kapitän Cook. Hrsg. und mit einem Vorwort von Hans Eckart Rübesamen. München: 916. Ruesch, Jürgen 1974: Nonverbal Communication. Notes on the Visual Perception of Human Relations. Berkeley, CA. Rüsen, Jörn 2007: Kulturelle Identität in der Globalisierung – Über die Gefahren des Ethnozentrismus und die Chancen des Humanismus. Zur Erinnerung an Richard van Dülmen. In: Gunsenheimer, Antje (Hg.): Grenzen. Differenzen. Übergänge. Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation. Bielefeld: 49-54. Rushdie, Salman 1991: Imaginary Homelands. Essays and Criticism 1981–1991. London. Saalmann, Gernot 2005: Fremdes Verstehen. Das Problem des Fremdverstehens vom Standpunkt einer „metadisziplinären“ Kulturanthropologie. Aachen. Sacks, Jonathan 2002: The Dignity of Difference. How to Avoid the Clash of Civilization. London/New York. Safran, William 1991: Diasporas in Modern Societies. Myth of Homeland and Return. In: Diaspora 1/1 (1991): 83-99. Sahlins, Marshall D. 1974: Stone Age Economics. London. Sahu, Devesh K./Arya, Ankita 2009: Ethnographic Method and its Applications in Cultural and Social Anthropological Research. In: Mohanty, Panchanan/Malik, Ramesh C./Kasi, Eswarappa (Hg.): Ethnographic Discourse of the Other. Conceptual and Methodological Issues. Newcastle: 247-253. Said, Edward W.: The Clash of Definitions. In: Qureshi, Emran/Sells, Michael A. (Hg.): The New Crusades. Constructing the Muslim Enemy. New York: 68-87. Salaff, Janet W./Greve, Arent/Wong, Siu-Lun/Ping, Kynn Xu Li 2003: Ethnic Entrepreneurship, Social Networks, and the Enclave. In: Yeoh, Brenda/Kiong, Tong Chee/Charney, Michael Walter (Hg.): Approaching Transnationalisms. Transnational Societies, Multicultural Contacts and Imaginings of Home. Boston: 61-82. Sanjek, Roger (Hg.) 1990: Fieldnotes. The Making of Anthropology. Ithaca, NY. Sassen, Saskia 1988: The Migration of Capital and Labour. Cambridge. Sassen, Saskia 2006: Cities in the World Economy. Sociology for a New Century. 3rd edition. Thousands Oaks, CA. Sauer, Angelika 1999: Model Workers or Hardened Nazis. The Australian Debate About Admitting German Migrants, 1950–1952. In: Australian Journal of Politics and History 45/3 (1999): 422-439. Sauer, Paul 1985: Uns rief das Heilige Land. Die Templergesellschaft im Wandel der Zeit. Stuttgart.

682 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Scates, Bruce C. 2009: Manufacturing Memory at Gallipoli. In: Keren, Michael/ Herwig, Holger H. (Hg.): War Memory and Popular Culture. Essays on Modes of Remembrance and Commemoration. London u. a.: 57-75. Schama, Simon 1996: Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination. München. Scharfe, Martin u. a. (Hg.) 1970: Abschied vom Volksleben. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 27. Tübingen. Scharfe, Martin 1970a: Kritik am Kanon. In: ders. u. a. (Hg.): Abschied vom Volksleben: 74-84. Scharfe, Martin 1970b: Notizen zur Volkskunde. In: Jahrbuch für Volkskunde 1970: 124-139. Scharfe, Martin 1986: Einschwörung auf den völkisch-germanischen Kulturbegriff. In: Tröger, Jörg (Hg.): Hochschule und Wissenschaft im Dritten Reich. Frankfurt a. M.: 105-115. Scharfe, Martin 1988: Müllkippen. Vom Wegwerfen, Vergessen, Verstecken; und vom Denkmal. In: Kuckuck. Notizen zur Alltagskultur und Volkskunde 3 (1988): 15-20. Scharfe, Martin 1996: Grundzüge der Kulturwissenschaft Volkskunde, Grundzüge ihres Studiums. In: ders./Brednich, Rolf Wilhelm (Hg.): Das Studium der Volkskunde am Ende des Jahrtausends. Hochschultagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde 1994 in Marburg/Lahn. Beiheft 4 der dgv-Informationen, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V., Göttingen. Göttingen: 9-21. Scharfe, Martin 2007: Kultur als Oberfläche. Zur methodischen Not und Notwendigkeit, in die Tiefe zu gelangen. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 110 (2007): 149-156. Scheel, Heinrich 1985: Vom Wort zur Tat. Georg Forsters Stellung im Prozeß der bürgerlichen Umgestaltung. In: Staatliche Schlösser und Gärten Wörlitz (Hg.): Georg Forster. Leben. Werk. Wirkung. Wissenschaftliches Kolloquium der staatlichen Schlösser und Gärten am 30. Juni 1984 anläßlich der Eröffnung der Forster-Stätte in Wörlitz. Wörlitz: 7-23. Scheffler, Thomas 1985: Ethnisch-religiöse Konflikte und gesellschaftliche Integration im Vorderen und Mittleren Orient: Literaturstudie. Ethnizität und Migration, Band 1. Berlin. Schell, Dorothea 1999/2000: Zeit in volkskundlicher Perspektive. Einführung. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 33 (1999/2000): 7-14 (Themenband: Zeit in volkskundlicher Perspektive). Schenk, Annemie 1984: Familie und Wohnen in Stolzenburg. Eine Untersuchung bei Sachsen und Rumänen in einem siebenbürgischen Dorf. Studia Transylvanica, Band 10. Köln/Wien. Schenk, Annemie 1994: Ingeborg Weber-Kellermann zum Gedenken. In: Zeitschrift für Volkskunde 90 (1994): 95-98.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 683

Schenk, Annemie 1995: Interethnik als methodisches Konzept. Zur Erforschung ethnischer Gruppen in Siebenbürgen. In: Dröge (Hg.): Alltagskulturen zwischen Erinnerung und Geschichte: 255-267. Schenk, Annemie 2001: Interethnische Forschung. In: Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde: 363-390. Schiffauer, Werner 1995: Europäische Ängste – Metaphern und Phantasmen im Diskurs der Neuen Rechten in Europa. In: Kaschuba (Hg.): Kulturen – Identitäten – Diskurse: 45-63. Schiffauer, Werner 1996: Die Angst vor der Differenz. Zu neuen Strömungen in der Kulturanthropologie. In: Zeitschrift für Volkskunde 92 (1996): 20-31. Schiffauer, Werner 1997: Die Angst vor der Differenz. Zu neuen Strömungen in der Sozial- und Kulturanthropologie. In: ders.: Fremde in der Stadt. Zehn Essays über Kultur und Differenz. Frankfurt a. M.: 157-171. Schiffauer, Werner 2008: Parallelgesellschaften. Wie viel Wertekonsens braucht unsere Gesellschaft? Für eine kluge Politik der Differenz. Bielefeld. Schilling, Heinz 2001: Medienforschung. In: Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde: 563-685. Schilling, Heinz 2002: Zeitlose Ziele. Versuch über das lange Warten. In: ders. (Hg.): Welche Farbe hat die Zeit? Recherchen zu einer Anthropologie des Wartens. Kulturanthropologie-Notizen, Band 69. Frankfurt a. M.: 245-310. Schilling, Heinz 2010: Heimat und Globalisierung. Skizzen zu einem ausgreifenden Thema. In: Alzheimer, Heidrun u. a. (Hg.): Bilder – Sachen – Mentalitäten. Arbeitsfelder historischer Kulturwissenschaften. Wolfgang Brückner zum 80. Geburtstag. Regensburg: 589-606. Schlee, Günther 2006: Wie Feindbilder entstehen. Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte. München. Schlehe, Judith 1996: Die Leibhaftigkeit in der ethnologischen Feldforschung. In: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag 4/3 (1996): 451-460. Schlehe, Judith 2003: Formen qualitativer ethnographischer Interviews. In: Beer (Hg.): Methoden und Techniken der Feldforschung: 71-93. Schluchter, Wolfgang 1979: Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Gesellschaftsgeschichte. Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Band 23. Tübingen. Schmidt, Andreas 2003: Heimweh und Heimkehr. Zur Gefühlskultur in einer komplexen Welt. In: Göttsch/Köhle-Hezinger (Hg.): Komplexe Welt: 37-48. Schmidt, Bettina E. 2004: „Mit der U-Bahn ins Feld“: Der Abschied von Malinowskis einsamer Insel. Feldforschung im 21. Jahrhundert. In: Anthropos. Internationale Zeitschrift für Völker- und Sprachenkunde 99 (2004): 215-222. Schmidt-Hornstein, Caroline 2003: Grenzgänger. Probleme interkultureller Verständigung. Frankfurt a. M.

684 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Schmidt-Lauber, Brigitta 1993: Die abhängigen Herren. Deutsche Identität in Namibia. Interethnische Beziehungen und Kulturwandel. Ethnologische Beiträge zu soziokultureller Dynamik, Band 9. Münster. Schmidt-Lauber, Brigitta 1996: „Wir sind doch Europäer“. Feldforschung in Namibia zur Konstruktion deutscher Identität. In: Kokot, Waltraud/Dracklé, Dorle (Hg.): Ethnologie Europas. Grenzen, Konflikte, Identitäten. Berlin/Hamburg: 315-333. Schmidt-Lauber, Brigitta 1998: Die verkehrte Hautfarbe. Ethnizität deutscher Namibier als Alltagspraxis. Lebensformen. Veröffentlichungen des Instituts für Volkskunde der Universität Hamburg, Band 10. Berlin/Hamburg. Schmidt-Lauber, Brigitta 2003: Gemütlichkeit. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Frankfurt a. M./New York. Schmidt-Lauber, Brigitta 2006: Erfahrung und Praxis europäischer Grenzräume. Fallstudien in kulturtheoretischer Perspektive. In: Hengartner/Moser (Hg.): Grenzen & Differenzen: 377-382. Schmidt-Lauber, Brigitta (Hg.) 2007: Ethnizität und Migration. Einführung in die Wissenschaft und Arbeitsfelder. Berlin. Schmidt-Lauber, Brigitta 2007a: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Göttsch/Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde: 169-188. Schmidt-Lauber, Brigitta 2007b: Feldforschung. Kulturanalyse durch teilnehmende Beobachtung. In: Göttsch/Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde: 219-248. Schmidt-Lauber, Brigitta 2009: Orte von Dauer. Der Feldforschungsbegriff der Europäischen Ethnologie in der Kritik. In: Windmüller/Binder/Hengartner (Hg.): Kultur – Forschung: 237-259. Schmidt-Lauber, Brigitta 2010: Die Lust des Forschers auf das Feld – und: Wer wird nicht Ethnograf? Ein Plädoyer. In: Binder, Beate u. a. (Hg.): Orte – Situationen – Atmosphären. Kulturanalytische Skizzen. Frankfurt a. M. u. a.: 33-43. Schmitt, Christoph (Hg.) 1999: Homo narrans. Studien zur populären Erzählkultur. Festschrift für Siegfried Neumann zum 65. Geburtstag. Rostocker Beiträge zur Volkskunde und Kulturgeschichte, Band 1. Münster u. a. Schneider, David 1976: Notes Toward a Theory of Culture. In: Basso, Keith/Selby, Henry A. (Hg.): Meaning in Anthropology. Albuquerque, NM: 197-220. Schneider, Jens 2001: Deutsch sein. Das Eigene, das Fremde und die Vergangenheit im Selbstbild des vereinten Deutschland. Frankfurt a. M./New York. Schönberger, Klaus 2001: Der Internetforscher im eigenen Feld. Der Fall Claudio Belmonte oder die Unmöglichkeit, ohne die Ausnahme die Regel zu denken. In: Eisch/Hamm (Hg.): Die Poesie des Feldes: 184-195. Schönberger, Klaus 2006: Online – offline. Persistenz – Auflösung – Rekombination – alte und neue Grenzen und Differenzen in der Nutzung neuer Informationsund Kommunikationstechnik. Ein Überblick zum Forschungsstand in der kulturwissenschaftlichen Internet-Forschung. In: Hengartner/Moser (Hg.): Grenzen & Differenzen: 627-637.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 685

Schott, Rüdiger 1971: Aufgaben und Verfahren der Völkerkunde. In: Trimborn, Hermann (Hg.): Lehrbuch der Ethnologie. 4., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: 1-36. Schroer, Markus 2003: Raumgrenzen in Bewegung. Zur Interpretation realer und virtueller Räume. In: Funken, Christiane/Löw, Martina (Hg.): Raum – Zeit – Medialität. Interdisziplinäre Studien zu neuen Kommunikationstechnologien. Opladen: 217-236. Schrutka-Rechtenstamm, Adelheid 1998: Überlegungen zu einer Volkskunde des Schenkens. In: KulTour. Mitteilungsblatt des Volkskundlichen Seminars der Universität Bonn 9/2 (1998): 51-60. Schrutka-Rechtenstamm, Adelheid 2001: „Die Natur als Vorbild“. Das Kreislaufprinzip und der Umgang mit verbrauchten Dingen. In: Brednich/Schneider/Werner (Hg.): Natur – Kultur: 427-434. Schrutka-Rechtenstamm, Adelheid 2001a: Schenken – ein Kulturphänomen. In: Keß, Bettina (Hg.): Geschenkt! Zur Kulturgeschichte des Schenkens. Heide: 1525. Schubert, David 1997: Kavel’s People. From Prussia to South Australia. 2nd edition. Highgates, SA. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas 1979: Strukturen der Lebenswelt. 2. Bände. Frankfurt a. M. Schuhladen, Hans 1994: Wieviel Vielfalt ertragen wir? Zur Pluralität der multikulturellen Gesellschaft. In: Zeitschrift für Volkskunde 90 (1994): 39-59. Schulze, Gerhard 1992: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. 2. Auflage. Frankfurt a. M. Schulze, Winfried 1996: Ego-Dokumente: Annäherungen an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „EGO-DOKUMENTE“. In: ders. (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Selbstzeugnisse der Neuzeit, Band 2. Berlin: 11-30. Schwarz, Anja 2007: Beached Identities. Inclusion and Exclusion of Histories in the Formation of the Beach as an Australian Spartial Icon. In: Dose, Gerd (Hg.): Australia. Making Space Meaningful. Konzepte, Orientierungen, Abhandlungen, Lektüren. Australien Studien, Band 7. Tübingen: 125-138. Schweiger, Tobias/Wietschorke, Jens (Hg.) 2008: Standortbestimmungen. Beiträge zur Fachdebatte in der Europäischen Ethnologie. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien, Band 30. Wien. Schweizer, Thomas/Schweizer, Margarete/Kokot, Waltraud (Hg.) 1993: Handbuch der Ethnologie. Festschrift für Ulla Johansen. Berlin. Schweizer, Thomas 1996: Muster sozialer Ordnung. Netzwerkanalysen als Fundament der Sozialethnologie. Berlin. Seal, Graham 2004: Inventing ANZAC. The Digger and National Mythology. St. Lucia, QLD.

686 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Seifert, Manfred 2000: Kulturen im Prozeß weltweiter Vernetzung. Zur Spezifik kultureller Globalisierungsabläufe. In: Alsheimer, Rainer/Moosmüller, Alois/ Roth, Klaus: Lokale Kulturen in einer globalisierenden Welt. Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Band 9. Münster u. a.: 33-54. Seifert, Manfred/Friedreich, Söhnke (Hg.) 2009 : Alltagsleben biografisch erfassen. Zur Konzeption lebensgeschichtlich orientierter Forschung. Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Band 16. Dresden. Sen, Amartya 2007: Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München. Shergold, Peter R. 1985: Discrimination Against Australian Immigrants: an Historical Methodology. In: Burnley u. a. (Hg.): Immigration and Ethnicity in the 1980s: 58-92. Sherington, Geoffrey 1980: Australia’s Immigrants 1788–1978. Sydney. Shils, Edward 1957: Primordial, Personal, Sacred and Civil Ties. In: British Journal of Sociology 8 (1957): 130-145. Sievers, Kai-Detlev (Hg.) 1981: Die deutsche und skandinavische Amerikaauswanderung im 19. und 20. Jahrhundert. Forschungsstand, Methoden, Quellen. Mit Fallstudien aus Schleswig-Holstein und Hamburg. Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Band 3. Neumünster. Sievers, Kai-Detlev 2001: Fragestellungen der Volkskunde im 19. Jahrhundert. In: Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde: 31-51. Silberzahn-Jandt, Gudrun 1996: Die Allgegenwart des Mülls. Ansätze zu einer geschlechtsspezifischen Ethnographie von Abfall und Müll. In: Zeitschrift für Volkskunde 92 (1996): 48-65. Silverstein, Paul A. 2005: Immigrant Racialization and the New Savage Slot. Race, Migration, and Immigration in the New Europe. In: Annual Review of Anthropology 34 (2005): 363-384. Simmel, Georg 1958: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. 4. Auflage. Berlin. Simmons, William S. 1988: Culture Theory in Contemporary Ethnohistory. In: Ethnohistory 35/1 (1988): 1-14. Simon, Michael/Frieß-Reimann, Hildegard (Hg.) 1996: Volkskunde als Programm. Updates zur Jahrhundertwende. Münster/New York. Sinclair, John/Cunningham, Stuart 2000: Go with the Flow. Diasporas and the Media. In: Television & Media 1/1 (2000), S. 11-31. Singer, Mona 1997: Fremd. Bestimmung zur kulturellen Verortung von Identität. Perspektiven, Band 6. Tübingen. Sluga, Glenda 1988: Bonegilla. A Place of no Hope. Parkville, VIC. Sluga, Glenda 2001: Bonegilla Reception and Training Centre. In: Jupp (Hg.) 2001: The Australian People: 72-73. Smart, Alan/Smart, Josephine 2003: Urbanization and the Global Perspective. In: Annual Review of Anthropology 32 (2003): 263-285.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 687

Smelser, Neil J./Baltes, Paul B. (Hg.) 2001: International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences. 26 Volumes. Amsterdam u. a. Smith, Anthony 1981: The Ethnic Revival. Cambridge u. a. Smith, Anthony 1981: The Ethnic Origins of Nations. Oxford u. a. Smith, Anthony 1991: National Identity. Reno, NV. Smith, Anthony 1999: Myths and Memories of the Nation. Oxford. Smith, Anthony 2000: The Nation in History. Historiographical Debates About Ethnicity and Nationalism. Cambridge. Smith, Anthony 2008: The Cultural Foundations of Nations. Hierarchy, Covenant, and Republic. Malden, MA. Smith, Bernard/Wheeler, Alwyne (Hg.) 1988: The Art of the First Fleet & Other Early Australian Drawings. New Haven, CT. Soder, Josef 1960: Die Aus- und Einwanderungsfreiheit. In: Schätzel, Walter/Veiter, Theodor (Hg.): Handbuch des Internationalen Flüchtlingsrechts. Wien: 125. Sökefeld, Martin 2007: Problematische Begriffe: „Ethnizität“, „Rasse“, „Kultur“, „Minderheit“. In: Schmidt-Lauber (Hg.): Ethnizität und Migration: 31-50. Sollors, Werner 1989: Introduction. In: ders. (Hg.): The Invention of Ethnicity. Oxford: IX-XX. Sollors, Werner 2001: Ethnic Groups/Ethnicity: Historical Aspects. In: Smelser/Baltes (Hg.): International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, Volume 7: 4813-4817. Spearritt, Peter 2000: Sydney’s Century. A History. Sydney. Spies, Britta 2007: Die Qual der Wahl: Erzählen lassen oder schreiben lassen? Interview oder Schreibaufruf? In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 52 (2007): 249-267. Spittler, Gerd 2001: Teilnehmende Beobachtung als Dichte Teilnahme. In: Zeitschrift für Ethnologie 126 (2001): 1-25. Spivak, Gayatri Ch. 1988: Can the Subaltern Speak? In: Grossberg, Larry/Nelson, Cary (Hg.): Marxism and the Interpretation of Culture. Urbana, IL: 271-313. Spradley, James 1979: The Ethnographic Interview. Orlando, FL. Squire, Corinne 2008: Experience-Centred and Culturally-Oriented Approaches to Narrative. In: dies./Andrews, Molly/Tamboukou, Maria (Hg.): Doing Narrative Research. Los Angeles u. a.: 41-63. Stäheli, Urban 2006: „Zu Hause, aber nicht daheim“. Akkulturationsverläufe bei Immigranten aus Ungarn in der Schweiz. Zürcher Beiträge zur Alltagskultur, Band 15. Zürich. Stagl, Justin 1974: Kulturanthropologie und Gesellschaft. München. Stagl, Justin/Schmidt-Kowarzik, Wolfdietrich (Hg.): Grundfragen der Ethnologie. Beiträge zur gegenwärtigen Theorie-Diskussion. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin 1993.

688 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Stagl, Justin 1993a: Szientistische, hermeneutische und phänomenologische Grundlagen der Ethnologie. In: ders./Schmied-Kowarzik (Hg.): Grundfragen der Ethnologie: 15-49. Stagl, Justin 1993b: Malinowskis Paradigma. In: ders./Schmidt-Kowarzik (Hg.): Grundfragen der Ethnologie: 93-105. Stagl, Justin 2002: Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens 1550–1800. Wien/Köln/Weimar. Steffanson, Anders H. 2004: Homecomings to the Future: From Diasporic Mythographies to Social Projects of Return. In: ders./Markowitz, Fran (Hg.): Homecomings. Unsettling Paths of Return. Lanham, MD u. a.: 2-20. Steinen, Karl von 1905: Gedächtnisrede auf Adolf Bastian. In: Zeitschrift für Ethnologie 37 (1905): 236-249. Stellrecht, Irmtraud 1993: Interpretative Ethnologie: Eine Orientierung. In: Schweizer/Schweizer/Kokot: Handbuch der Ethnologie: 29-78. Stennert, Doris 1995: „Reisen zum Wiedersehen und Neuerleben“. Aspekte des Heimwehtourismus dargestellt am Beispiel der Grafschaft Glatzer. In: Dröge (Hg.): Alltagskultur zwischen Erinnerung und Geschichte: 85-93. Stephen, Sarah 2005: Gulags in the Sun: The Human Suffering of the „Pacific Solution“. In: dies.: Refugees and the Rich-World Fortress. Sydney: 32-34. Stocking, George W. 1978: Die Geschichte der Wilden und die Geschichte der Ethnologie. In: Geschichte und Gesellschaft 4/4 (1978): 520-535. Stonequist, Everett V. 1935: The Problem of the Marginal Man. In: American Journal of Sociology 41 (1935): 1-12. Stonus, Dagmar 1996: „Do ut des“. Herkunft und Funktion eines Erklärungsbegriffes. In: Jahrbuch für Volkskunde NF 19 (1996): 41-59. Strathern, Marylin 1987: The Limits of Auto-Anthropology. In: Jackson, Anthony (Hg.): Anthropology of Home. London: 16-37. Streck, Bernhard 1997: Fröhliche Wissenschaft Ethnologie. Eine Einführung. Wuppertal. Süßbrich, Ute 1997: Virtuelle Realität. Eine Herausforderung an das Selbstverständnis des Menschen. Kulturanthropologie-Notizen, Band 65. Frankfurt a. M. Sutter, Ove 2003: Repeat. Zur Transkription der Interviews. In: Herlyn, Gerrit/Overdieck, Thomas (Hg.): Kassettengeschichten. Von Menschen und ihren Mixtapes. Studien zur Alltagskulturforschungm, Band 3. Münster u. a.: 19-25. Syme, Nina 1980: The Barbarians. Armadale, VIC. Takaki, Ronald T. 1993: A Different Mirror. A History of Multicultural America. New York. Tambiah, Stanley J. 1994: The Politics of Ethnicity. In: Borofsky (Hg.): Assessing Cultural Anthropology: 430-441. Tampke, Jürgen/Doxford, Collins 1990: Australia Willkommen. A History of Germans in Australia. Sydney. Tampke, Jürgen 2006: The Germans in Australia. Cambridge.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 689

Tauschek, Markus 2005: Zur Relevanz des Begriffs Heimat in einer mobilen Gesellschaft. In: Kieler Blätter zur Volkskunde 37 (2005): 63-85. Tavares, Joana 2009: Identitätsbildung durch Migration und Integration in den Medien. In: Becker, Siegfried/dies. (Hg.): Zuwandern, Einleben, Erinnern. Beiträge zur historischen Migrationsforschung. Referate des 7. Forums für hessische Landesgeschichte am 22.9.2007 in Hanau-Steinheim. Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Band 43. Marburg: 232-235. Tawan, Gwenda 2005: The Long, Slow Death of White Australia. Carlton North, VIC. Tedlock, Barbara 1991: From Participant Observation to the Observation of Participation. The Emergence of Narrative Ethnography. In: Journal of Anthropological Research 47 (1991): 69-95. Teeffelen, T. van 1980: The Manchester School in Africa and in Israel. A Critique. In: Diamond, Stanley (Hg.): Anthropology. Ancestors and Heirs. Studies in Anthropology, Volume 5. Den Haag: 347-375. Teetzmann, Karin 1993: Patrick White und die journalistische Literaturkritik in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich mit Großbritannien. Duisburger Studien (Geistes- und Gesellschaftswissenschaften), Band 18. Duisburg. The Australian Ethnic Affairs Counsil (Hg.) 1977: Australia as a Multicultural Society. AGPS. Canberra. The Immigration Reform Group 1960: Control or Colour Bar? A Proposal for Change in Australia’s Immigration Policy. Melbourne. Thomson, Alistair 1988: Passing Shots at the ANZAC Legend. In: Burgmann/Lee (Hg.): A Most Valuable Acquisition: 190-204. Thurnwald, Richard 1957: Grundfragen menschlicher Gesellung. Berlin. Timm, Elisabeth 1999: Nicht Freund, nicht Feind. Überlegungen zum Verhältnis von Volkskunde und Völkerkunde. In: Schweizer Archiv für Volkskunde 95 (1999): 73-86. Tölölian, Khaching 1991: The Nation State and its Others. In Lieu of a Preface. In: Diaspora 1/1 (1991): 3-7. Tönnis, Ferdinand 1970: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. 2., durchges. und bericht. reprograf. Nachfruck der Ausgabe 1963. Darmstadt [Orig. 1887]. Tolksdorf, Ulrich 1987: Volkskundliche Flüchtlingsforschung. Stand und Probleme. In: Greverus/Köstlin/Schilling (Hg.): Kulturkontakt – Kulturkonflikt: 123-128. Tolksdorf, Ulrich 1987a: Zum Stand der ostdeutschen Volkskundeforschung. In: Schulze, Rainer u. a. (Hg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Hildesheim: 196-200. Tolksdorf, Ulrich 1991: Geschichte der „Ostdeutschen Volkskunde“. In: Sievers, Kai-Detlev (Hg.): Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Volkskunde im 19. und 20. Jahrhundert. Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte SchleswigHolsteins, Band 26. Neumünster: 207-215.

690 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Treinen, Heiner 1965: Symbolische Ortsbezogenheit. Eine soziologische Untersuchung zum Heimatproblem. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 17/1 (1965): 73-97. Tremblay, Karine 2002: Student Mobility Between and Towards OECD Countries in 2001. A Comparative Analysis. In: Organisation for Economic Co-Operation and Development: International Mobility of the Highly Skilled. Paris: 29-67. Trend, David 2007: Everyday Culture. Finding and Making Meaning in a Changing World. Boulder, CO. Tschernokoshewa, Elka 2005: Geschichten von hybriden Leben. Begriffe und Erfahrungswege. In: dies./Pahor, Marija Juric (Hg.): Auf der Suche nach hybriden Lebensgeschichten. Theorie – Feldforschung – Praxis. Hybride Welten, Band 3. Münster: 9-41. Tschofen, Bernhard 2007: Vom Geschmack der Regionen. Kulinarische Praxis, europäische Politik und räumliche Kultur – eine Forschungsskizze. In: Zeitschrift für Volkskunde 103 (2007): 169-196. Tsing, Anna 2000: The Global Situation. In: Cultural Anthropology 15/3 (2000): 327-360. Tuomi-Nikula, Outi 1993: Stereotypen und direkte interkulturelle Kommunikation. In: Kieler Blätter zur Volkskunde 25 (1993): 89-110. Turner, Victor 1967: Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites de Passage. In: ders.: The Forest of Symbols. Aspects of Ndembu Ritual. New York: 93111. Turner, Victor 2005. Das Ritual. Struktur und Antistruktur. Neuauflage. Frankfurt a. M./New York. Turner, Victor 2006: Liminarität und Communitas. In: Belliger/Krieger: Ritualtheorien: 251-264. Tylor, Edward Burnett 1871: Primitive Culture. Researches into the Development of Mythology, Philosophy, Language, Art and Custom. London. Tylor, Edward Burnett 1972: Die Kulturwissenschaft. In: König/Schmalfuß (Hg.): Kulturanthropologie: 51-56. United Nations High Commissioner for Refugees (Hg.) 2000: The State of The World’s Refugees. Oxford. Urchs, Ossi/Zapp, Harald 2006: „Hands on …“ Internet-Telefonie. Die neue Ratgeber-Reihe für die Praxis. Kilchberg. Vasta, Ellie/Vuddamalay, Vasoodeven (Hg.) 2006: International Migration and the Social Sciences. Confronting National Experience in Australia, France and Germany. Basingtstoke u. a. Vasta, Ellie 2006: Migration and Migration Research in Australia. In: dies./Vuddamalay (Hg.): International Migration and the Social Sciences: 13-78. Veit, Walter F. 1991: In Search of Carl Strehlow. In: Tampke, Jürgen/Walker, David R. (Hg.): From Berlin to the Burdekin. The German Contribution to the Development of Australian Science, Exploration and the Arts. Sydney: 108-134.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 691

Vertovec, Steven 1999: Migration and Social Cohesion. The International Library of Studies on Migration, Volume 7. Cheltenham u. a. Viehöfer, Willy 2004: Die Wissenschaft und die Wiederverzauberung des sublunaren Raumes. Der Klimadiskurs im Licht der narrativen Diskursanalyse. In: ders./Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider, Werner (Hg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Band 2: Forschungspraxis. Opladen: 233-269. Vivelo, Frank Robert 1988: Handbuch der Kulturanthropologie. München. Voigt, Johannes (Hg.) 1983: New Beginnings. The Germans in New South Wales and Queensland. Stuttgart. Voigt, Johannes 1983a: Das Deutsche Nationalfest. In: ders. (Hg.): New Beginnings, S. 139-148. Voigt, Johannes 1983b: Concordia Club under the Pressure of the National Socialists. In: ders. (Hg.): New Beginnings: 149-154. Voigt, Johannes 1988: Australien und Deutschland. 200 Jahre Begegnungen, Beziehungen und Verbindungen. Hamburg. Voigt, Johannes 1992: Deutsche in Australien und Neuseeland. In: Bade (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: 215-230. Voigt-Graf, Carmen 2005: The Construction of Transnational Spaces by Indian Migrants in Australia. In: Journal of Ethnic and Migration Studies 31/2 (2005): 365-384. Volery, Thierry 2007: Ethnic Entrepreneurship: A Theoretical Framework. In: Dana, Leo-Paul (Hg.): Handbook of Research on Ethnic Minority Entrepreneurship. A Co-Evolutionary View on Resource Management. Cheltenham u. a.: 3041. Vollmer, Renate 1995: Auswanderungspolitik und soziale Frage im 19. Jahrhundert. Staatlich geförderte Auswanderung aus der Berghauptmannschaft Clausthal nach Südaustralien, Nord- und Südamerika 1848–1854. Europäische Hochschulschriften Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Band 658. Frankfurt a. M. Vonderau, Asta 2004: Integration als absolute Bedingung. Diskursive Ausgrenzungsmechanismen am Beispiel der Zeitungsdebatte über die doppelte Staatsbürgerschaft. In: Köck/Mossmüller/Roth (Hg.): Zuwanderung und Integration. 97-106. Vondra, Josef 1981: German Speaking Settlers in Australia. Melbourne. Wagner, Roy 1975: The Invention of Culture. Chicago/London. Wahl, Klaus 2000: Kritik der soziologischen Vernunft. Sondierungen zu einer Tiefensoziologie. Weilerswist. Waldenfels, Bernhard 1985: Heimat in der Fremde. In: Führ, Eduard (Hg.): Worin noch niemand war: Heimat. Eine Auseinandersetzung mit einem strapazierten Begriff. Historisch – philosophisch – architektonisch. Wiesbaden u. a.: 33-41.

692 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Waldenfels, Bernhard 1998: Kulturelle und soziale Fremdheit. In: Schneider, Notker/Mall, Ram Adher/Lohmer, Dieter (Hg.): Einheit und Vielfalt. Das Verstehen der Kulturen. Studien zur interkulturellen Philosophie, Band 9. Amsterdam: 13-36. Waldenfels, Bernhard 2003: Der Fremde und der Heimkehrer. Fremdheitsfiguren bei Alfred Schütz. In: Srubar, Ilja/Vaitkus, Steven (Hg.): Phänomenologie und soziale Wirklichkeit. Entwicklungen und Arbeitsweisen. Für Richard Grathoff. Opladen: 175-188. Walker, Mack 1964: Germany and the Emigration 1816–1885. Harvard Historical Monographs, Volume 54. Cambridge, MA. Warneken, Bernd Jürgen/Wittel, Andreas 1997: Die neue Angst vor dem Feld. Ethnographisches Research up am Beispiel der Unternehmensforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 93 (1997): 1-16. Warneken, Bernd Jürgen/Hauschild, Thomas 2002: Entdeckungsfahrten nach Deutschland. In: dies. (Hg.): Inspecting Germany. Internationale DeutschlandEthnographie der Gegenwart. Forum Europäische Ethnologie, Band 1. Münster u. a.: 9-49. Warneken, Bernd Jürgen 2003: Einleitung. In: ders. (Hg): Bewegliche Habe. Zur Ethnografie der Migration. Begleitband zur Ausstellung im Haspelturm des Schlosses Hohentübingen vom 14.2. bis 16.2.2003. Tübingen: 7-15. Warneken, Bernd Jürgen 2006: Die Ethnographie popularer Kulturen. Eine Einführung. Wien/Köln/Weimar. Warneken, Bernd Jürgen 2010: Populare Kultur. Gehen – Protestieren – Erzählen – Imaginieren. Hrsg. von Thomas Fliege u. a. Köln u. a. Warneken, Bernd Jürgen 2010a: Zum Kulturbegriff der Empirischen Kulturwissenschaft. In: ders.: Populare Kultur: 9-15. Weber-Kellermann, Ingeborg 1959: Zur Frage der interethnischen Beziehungen in der Sprachinselvolkskunde. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 62 (1959): 19-47. Weber-Kellermann, Ingeborg 1968: Über den Brauch des Schenkens. In: Harkort, Fritz u. a. (Hg.): Volksüberlieferungen. Festschrift für Kurt Ranke zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Göttingen 1968: 1-8. Weber-Kellermann, Ingeborg 1969: Deutsche Volkskunde zwischen Germanistik und Sozialwissenschaften. Stuttgart. Weber-Kellermann, Ingeborg/Schenk, Annemie 1973: Interethnik und sozialer Wandel in einem mehrsprachigen Dorf des rumänischen Banats. Marburger Studien zur vergleichenden Ethnosoziologie, Band 3. Marburg. Weber-Kellermann, Ingeborg 1978: Zur Interethnik. Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen und ihre Nachbarn. Frankfurt a. M. Weber-Kellermann, Ingeborg 1991: Wer Volkskunde studiert, hat mehr vom Leben! In: Kuckuck. Sonderheft 1. Graz: 29-31.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 693

Weber-Kellermann, Ingeborg/Bimmer, Andreas C./Becker, Siegfried 2003: Europäische Ethnologie zwischen Sozial- und Kulturwissenschaft. Ein Ausblick. In: dies.: Einführung in die Volkskunde/Europäische Ethnologie. Eine Wissenschaftsgeschichte. 3., völlig neu überarbeitete und aktualisierte Auflage. Berlin: 192-204. Weber, Max 1980: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. 5. rev. Auflage. Tübingen. Wehler, Hans-Ulrich 1996: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Zweiter Band. Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“: 1815–1845. 3. Auflage. München. Wehler, Hans-Ulrich 2003: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. 2., durchgesehene Auflage. München. Wehler, Hans-Ulrich 2008: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Fünfter Band. Bundesrepublik und DDR 1949–1990. München. Wehse, Rainer 1984: Feldforschung. In: Ranke, Kurt u. a. (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Band 4. Berlin/New York: 991-1005. Weidenhofer, Margaret 1973: The Convict Years. Transportation and the Penal System 1788–1868. Melbourne. Weingart, Peter/Engels, Anita/Pansegrau, Petra 2008: Von der Hypothese zur Katastrophe. Der anthropogene Klimawandel zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien. 2. Auflage. Opladen/Farmington Hills, MI. Weißköppel, Cordula 2005: Kreuz und Quer. Zur Theorie und Praxis der multisited-ethnography. In: Zeitschrift für Ethnologie 130 (2005): 45-68. Welsch, Wolfgang 1999: Transculturality. The Puzzling Form of Cultures Today. In: Featherstone, Mike/Lash, Scott (Hg.): Spaces of Culture. City, Nation, World. London: 194-213. Welz, Gisela 1991: Streetlife. Alltag in einem New Yorker Slum. Kulturanthropologie-Notizen, Band 36. Frankfurt a. M. Welz, Gisela 1991a: Soziale, interpretative Räume, räumlich definierte Gruppen. Die Abgrenzung von Untersuchungseinheiten in der amerikanischen Stadtforschung. In: Kokot/Bommer (Hg.): Ethnologische Stadtforschung: 29-43. Welz, Gisela 1994: Die soziale Organisation kultureller Differenz. Zur Kritik des Ethnosbegriffs in der angloamerikanischen Kulturanthropologie. In: Berding, Helmut (Hg.): Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, 2. Frankfurt a. M.: 66-81. Welz, Gisela 1994a: Migration und Lebensstil. Zu kulturellen Differenzierungen in der Großstadt. In: Greverus (Hg.): Kulturtexte: 135-148. Welz, Gisela 1996: Zur Inszenierung kultureller Vielfalt. Frankfurt am Main und New York. Zeithorizonte. Studien zu Theorien und Perspektiven der Europäischen Ethnologie, Band 5. Berlin.

694 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Welz, Gisela 1998: Moving Targets. Feldforschung unter Mobilitätsdruck. In: Zeitschrift für Volkskunde 94 (1998): 177-194. Welz, Gisela 2009: „Sighting/Siting globalization“. Gegenstandskonstruktion und Feldbegriff einer ethnographischen Globalisierungsforschung. In: Windmüller/Binder/Hengartner: Kultur – Forschung: 195-210. Welz, Gisela 2009a: The Strength of Ethnography. In: Ethnologia Europaea 39/1 (2009): 49-53. Wenzel, Hans Gerd/Piekarski, Claus 1983: Klima und Arbeit. München. Werbner, Richard P. 1984: The Manchester School in South-Central Africa. In: Annual Review of Anthropology 13 (1984): 157-185. Wernhart, Karl R./Zips, Werner 2008: Einführung in die theoretischen und methodologischen Grundlagen der Ethnohistorie. In: dies. (Hg.): Ethnohistorie. Rekonstruktion und Kulturkritik. Eine Einführung. 3., überarbeitete und veränderte Auflage. Wien: 13-40. Wertgen, Werner 2007: Vergangenheitsbewältigung: Interpretationen und Verantwortung. Ein ethischer Beitrag zu ihrer theoretischen Grundlage. Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Band 20. Paderborn u. a. White, Peter/White, Naomi 2001: The Mass Media, Immigration and Indigenous Issues. In: Jupp (Hg.): The Australian People: 803-807. White, Richard 1981: Inventing Australia. Images and Identity 1688–1980. Sydney. Wicker, Hans Rudolf 1996: Einleitung. In: ders. (Hg.): Das Fremde in der Gesellschaft: Migration, Ethnizität und Staat. Zürich: 11-38. Wiegelmann, Günter/Heilfurth, Gerhard/Zender, Matthias 1972: Volkskunde. Eine Einführung. Grundlagen der Germanistik, Band 12. Berlin. Wiegelmann, Günter 1978: Kulturelle Stadt-Land-Beziehungen in der Neuzeit. Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Band 9. Münster. Wiegelmann, Günter 1982: Die Beziehung zwischen Volkskunde und Völkerkunde in der Nachkriegszeit. In: Nixdorff/Hauschild (Hg.): Europäische Ethnologie: 59-70. Wiegelmann, Günter 1986: Was ist der spezielle Aspekt ethnologischer Nahrungsforschung? In: ders./Teuteberg, Hans Jürgen: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. Studien zur Geschichte des Alltags, Band 6. Münster: 21-31. Wiegelmann, Günter 1991: Theoretische Konzepte der Europäischen Ethnologie. Diskussionen um Regeln und Modelle. Grundlagen der Europäischen Ethnologie, Band 2. Münster. Wiegelmann, Günter 2006: Alltags- und Festspeisen in Mitteleuropa. Innovationen, Strukturen und Regionen vom Späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Münsteraner Schriften zur Volkskunde und Europäischen Ethnologie, Band 11. 2., erweiterte Auflage. Münster u. a.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 695

Wiegelmann, Günter/Simon, Michael 2007: Die Untersuchung regionaler Unterschiede. In: Göttsch/Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde: 101-123. Wierlacher, Alois (Hg.) 1993: Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. Mit einer Forschungsbibliographie von Corinna Albrecht. München. Wieviorka, Michel 2003: Kulturelle Differenzen und kollektive Identitäten. Hamburg. Wilhelm, Iwan 1931: Um des Glaubens Willen nach Australien. Breslau. Willard, Myra 1923: History of the White Australia Policy. Melbourne. William, John F. 1999: ANZAC, the Media and the Great War. Crows Nest, NSW. Wimmer, Andreas 1996: Kultur. Zur Reformulierung eines sozialanthropologischen Grundbegriffs. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48 (1996): 401-425. Wimmer, Andreas 1997: Die Pragmatik der kulturellen Produktion. Anmerkung zur Ethnozentrismusproblematik aus ethnologischer Sicht. In: Brocker, Manfred/Nau, Heino Heinrich (Hg.): Ethnozentrismus. Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Dialogs. Darmstadt: 120-140. Wimmer, Andreas 2002: Gleichschaltung ohne Grenzen? Isomorphisierung und Heteromorphisierung in einer verflochtenen Welt. In: Hauser-Schäublin/Braukämper: Ethnologie der Globalisierung: 77-94. Wimmer, Andreas 2005: Kultur als Prozess. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutung. Wiesbaden. Wimmer, Andreas 2008: Ethnische Grenzziehungen in der Immigrationsgesellschaft. Jenseits des Herder’schen Commonsense. In: Kalter, Frank (Hg.): Migration und Integration. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Band 48. Wiesbaden: 57-80. Windmüller, Sonja 2004: Die Kehrseite der Dinge. Müll, Abfall, Wegwerfen als kulturwissenschaftliches Problem. Europäische Ethnologie, Band 2. Münster u. a. Windmüller, Sonja/Binder, Beate/Hengartner, Thomas (Hg.) 2009: Kultur – Forschung. Zum Profil einer volkskundlichen Kulturwissenschaft. Studien zur Alltagskulturforschung, Band 6. Münster. Windshuttle, Keith 2004: The White Australia Policy. Sydney. Winter, Barbara 1986: Stalag Australia. German Prisoners of War. North Ryde, NSW. Wirth, Louis 1988: Urbanism as a Way of Life. In: Gmelch/Zenner (Hg.): Urban Life: 36-52. Wittel, Andreas 2000: Virtualisierung der Kultur? Neue Medien und ihre Produkte am Beispiel eines 3D-Chats. In: ders./Götz, Irene (Hg.): Arbeitskulturen im Umbruch. Zur Ethnographie von Arbeit und Organisation. Münchner Beiträge zur Volkskunde, Band 26. Münster u. a.: 197-212.

696 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Wolbert, Barbara 1997: Paß und Passage. Zur Dynamik und Symbolik von Migrationsprozessen am Beispiel der Rückkehr türkischer Arbeitsmigranten. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 10 (1997): 49-69 (Themenheft: Ethnologie der Migration). Wolbert, Barbara 1995: Der getötete Paß. Rückkehr in die Türkei. Eine ethnologische Migrationsstudie. Berlin. Wolf, Eric 1982: Europe and the People without History. Berkeley, CA u. a. Wolf, Eric 1985: Peasant Wars of the Twentieth Century. New York. Wolf, Eric 1993: Gefährliche Ideen. Rasse, Kultur, Ethnizität. In: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag 1/3 (1993): 331-346. Wolfrad, Uwe 1992: Wandel in der Fremde. Zur Psychologie der Akkulturation. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 3 (1992): 29-43 (Themenheft: Kulturschock). Wolfrum, Edgar 2008: Die 90er Jahre. Wiedervereinigung und Weltkrise. Darmstadt. Wong, Diana 1992: Rethinking „Kulturschock“: Zum Umgang mit der Fremdheit in der Forschungspraxis. In: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 3 (1992): 116 (Themenheft: Kulturschock). Wossidlo, Joachim/Roters, Ulrich (Hg.) 2003: Interview und Film. Volkskundliche und ethnologische Ansätze zur Methodik und Analyse. Münster u. a. Young, Michael W. 2004: Malinowski. Odyssey of an Anthropologist 1884–1920. New Haven, CT. Zacharasiewicz, Waldemar 1977: Die Klimatheorie in der englischen Literatur und Literaturkritik. Von der Mitte des 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert. Wiener Beiträge zur englischen Philologie, Band 77. Wien u. a. Ziegerle, Arnold 1997: Identitätsbildung bei Tische. Theoretische Vorüberlegungen aus kultursoziologischer Sicht. In: Teuteberg, Hans Jürgen/Neumann, Gerhard/Wierlacher, Alois (Hg.): Essen und kulturelle Identität. Europäische Perspektiven. Berlin: 69-85. Zimmer, David 2007: Die Heimat vergegenwärtigen, aber nicht verorten. Überlegungen zur Bedeutung des Raumbegriffes „Ungarn“ für die in der Schweiz lebenden Ungarinnen und Ungarn. In: EthnoScripts. Analysen und Informationen aus dem Institut für Ethnologie der Universität Hamburg 9/1 (2007): 47-63 (Themenheft: Ethnologie und Raum). Zimmermann, Harm-Peer 2001: Ästhetische Aufklärung. Zur Revision der Romantik in volkskundlicher Absicht. Würzburg. Zimmermann, Harm-Peer 2005: Empirische Kulturwissenschaft, Europäische Ethnologie, Kulturanthropologie, Volkskunde. Leitfaden für das Studium einer Kulturwissenschaft an deutschsprachigen Universitäten. Deutschland – Österreich – Schweiz. Marburg.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 697

Zinnbauer, Alfred 1953: Ratgeber für Auswanderer nach Australien. Sonderheft der Zeitschrift „Zwischen Heimat und Fremde“. Nachrichtenblatt der Auswanderermission in Hamburg und Bremen. Zitelmann, Thomas 2001: Max Hermann Gluckman. In: Feest/Kohl (Hg.): Hauptwerke der Ethnologie: 133-137. Zogbaum, Heidi 2004: Kisch in Australia. The Untold Story. Carlton North, VIC. Zubrzycki, Jerzy 1964: Settlers of the Latrobe Valley. A Sociological Study of Immigrants in the Brown Coal Industry in Australia. Canberra. Zubrzycki, Jerzy 1977: Towards a Multicultural Society in Australia. In: Bowen, Margarita. (Hg.): Australia 2000. The Ethnic Impact. Proceedings of the First National Conference on Cultural Pluralism and Ethnic Groups in Australia, August 21–25, 1976. Armidale, NSW: 123-145. Zubrzycki, Jerzy 1981: International Migration in Australasia and the South Pacific. In: Kritz, Mary M./Keely, Charles B./Tomasi, Silvano M. (Hg.): Global Trends in Migration. Theory and Research on International Population Movements. Staten Island, NY: 158-180. Zurawski, Nils 2000: Virtuelle Ethnizität. Studien zu Identität, Kultur und Internet. Soziologie und Anthropologie, Band 11. Frankfurt a. M.

8.2 Z EITUNGS - UND Z EITSCHRIFTENARTIKEL Bottomley, Gill/Price, Charles/Clyne, Michael 1994: Social Studies Hold up a Mirror Revealing Nation’s Multicultural Face. In: The Australian, 12.10.1994: 3435. Brown, Owen 1998: Asian Press Laments Hanson’s Rise. In: The Age, 15.06.1998: 6. Daley, Paul 2004: Hitler’s Henchmen. In: The Bulletin, 02.03.2004: 16-24. Hawke, Robert J. 1988: Resisting the Rallying Call of Fear. In: The Age, 09. 09.1988: 11. Hüetlin, Thomas 2007: Hunnen, Miele, Hitler. Warum Engländer die Deutschen auch 62 Jahre nach Kriegsende nicht leiden können. In: Der Spiegel 20 (2007): 74. Ismar, Georg 2008: Zwischen Strudel und Schinken. In: Journal. Das Wochenmagazin für Wissen und Kultur des General-Anzeigers, 01./02.03.2008: 1. Jungehülsing, Julica 2005: Alle sind von auswärts. In: Merian 11 (2005): 28-31. Kämmerlings, Richard 1999: Plapperkrähen kriegen kein Telegramm. Wer braucht die bunten Vögel. Die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde tagt in Halle. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.1999: 54. Kaiser, Alfons 2008: Sie sind dann mal weg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.01.2008: 1.

698 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Kirchliche Nachrichten der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Sydney 2008. 55. Jahrgang, No. 5. November-Dezember 2008. Sydney. Neil, Rosemary/Armitage, Catherine 1995: New World Disorder. In: The Australian, 01.05.1995: 9. O.A. 2009: Aussie Home Suits Anja. In: South-East Advertiser, 29.01.2009: 8. O.A. 1996: Australia: A National Identity Crisis. In: Economist, 14–20.12.1996: 41. Riedle, Dirk 2008: Nachruf auf Paul Grunwald. In: Kirchliche Nachrichten der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche Sydney. 55/4. (September-Oktober 2008): 16. Steinfels, Peter 1994: Speculating on the Wars of the Future. Instead of Ideologies, the Combatants May be Cultures. In: The New York Times, 16.04.1994: 7. The Welfarer 2007. Offical Journal of the Australian-German Welfare Society Inc., September. Thiel, Thomas 2009: Odyssee auf dem Ozean. In: Journal. Das Wochenmagazin für Wissen und Kultur des General-Anzeigers, 30./31.05.2009: 1. Thilke, Thilo 2009: Mehr Hummer! Global Village: In Mogadischu versucht ein ägyptischer Arzt, hungernde Somalier dazu zu bringen, Fisch zu essen. In: Der Spiegel 19 (2008): 134. Tilmann, Elisabeth 2009: „Ich bin zwei Mal dem Tod von der Schippe gesprung en …“ Wiedersehensfeier nach 60 Jahren: Snowy Mountains Hydro-Electric Scheme. In: Die Woche in Australien 45, 03.11.2009: 12. Weigel, Peter 2008: Weihnachtsbasar 2008. In: Kirchliche Nachrichten der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche Sydney. 55/5 (Dezember 2008): 8. Zubezycki, Jerzy 1996: Cynics Woo the Ethnic Vote. In: The Australian, 15.10. 1996: 13.

8.3 U NVERÖFFENTLICHTE D OKUMENTE Beinssen, Irmhild 1994: An Account of Life in Internment Camp 3, Tatura, Victoria During World War 2. o. O. Briefe von Hermann Seidel. Geschrieben im Internierungslager Loveday Camp 10 in Südaustralien vom 27.11.1941 bis 27.04.1943. Glockemann, Heidi 1981: The Price of Being a German-Australian. Unveröffentlichte Arbeit im Bereich Professional Writing, Bachelor of Arts. Sydney. Gohdefeld, Erhard 1991: Die Verschleppung von Mitgliedern der Tempelgesellschaft nach Australien zur Internierung. Turramurra North, NSW. Gohdefeld, Erhard 2004: The Internment Camps of World War 2 1939–1945 Located About Waranga Basin Western Goulburn River Valley Central Victoria, Australia. Allambie Hights, NSW. Kuhnert, Karl-Heinz 1995: Man denkt zurück. Unveröffentlichtes Manuskript.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 699

8.4 I NTERNETQUELLEN (Letzter Zugriff jeweils 09.11.2010) Ang, Ien 2009: Sydney: City of Immigrants, Intercultural City?http://www.goethe. de/ins/de/ort/man/pro/sks/ref/Ang.pdf. Australian Citizenship. Our Common Bond. Commonwealth of Australia 2009. http://www.citizenship.gov.au/__data/assets/pdf_file/0014/213260/Australian_ Citizenship_2009.pdf. Bonstein, Julia 2003: Die Flucht in die Promotion. In: Die Zeit 2, 31.12.2003. http://www.zeit.de/2004/02/C-Promotiosl_9asung. Borah, Rupakjyoti 2010: Australia Still High on India’s Radar. In: Sydney Morning Herald, 08.03.2010.http://www.smh.com.au/opinion/society-andculture/ austral-ia-still-high-on-indias-radar-20100308-ps24.html. http://www.apple.com/de/environment/. http://www.germanschoolsydney.com/?action=page.view&page=500. http://www.sbs.com.au/shows/aboutus/about/page/i/1/h/Our-Story/. http://www.yogis.org.au/index.html. Jupp, James 2009: Terrorism, Immigration and Multiculturalism. The Australian Experience. http://www.utexas.edu/cola/centers/european_studies/_files/pdf/ immigration-policy-conference/jupp.pdf. Manne, Robert 2002: „Unthinkable Brutality? Who Cares …“ In: The Age, 29.04.2002.http://www.theage.com.au/articles/2002/04/28/1019441322692.htm. Mayer, Christian 2007: „Ethnische Pluralität löst keine Konflikte aus.“ Interview mit Günter Schlee. In: Max Planck Forschungen 2 (2007), S. 38-42. http://www. mpg.de/bilderBerichteDokumente/multimedial/mpForschung/2007/heft02/013/1 5.pdf. Meyer, Jean-Baptiste/Wattiaux, Jean-Paul 2006: Diaspora Knowledge Networks. Vanishing Doubts an Increasing Evidence. In: International Journal on Multicultural Societies 8/1 (2006). Hrsg. von der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. Themenband: Transnational Knowledge through Diaspora Networks, S. 4-24. http://unesdoc.unesco.org/images/0014/001490/149086e.pdf. Klenk, Fabian 2007: Ethnologien der modernen Technologien: Das Mobiltelefon als kulturelles Artfakt. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister Artium (M.A.). Institut für Ethnologie und Afrikanistik. Ludwig-Maximilans-Universität München. Oktober 2007. http://fabian klenk.info/mobilephone/Klenk%20Fabian.2007.Ethnologie%20der%20moderne n%20Technologien.pdf. O.A. 2008: Australien will die Plastiktüten abschaffen. In: Der Spiegel, 10.01.2008. Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,527757,00.html.

700 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

Ramachandran, Arjun 2009: How Australia’s Killer Critters Scored in 2009. In: Sydney Morning Herrald, 31.12.2009. Quelle: http://www.smh.com.au/national/ how-australias-killer-critters-scored-in-2009-20091231-lks4.html?autostart-=1. Robertson, Grace 2009: Teenagers Pressured to Guzzle the Booze. In: The Age, 28.11.2009. Quelle: http://www.theage.com.au/opinion/society-andculture/teenagers-pressured-to-guzzle-the-booze-20091127-jwvf.html. Schrimm, Eike 2008: Mythos Sydney. Einmal Paradies und zurück, bitte! Monatelang nicht ins Büro, stattdessen am Meer in Sydney – das ist ein Traum. Oder doch nicht? Eine Auswanderin auf Zeit berichtet: www.sueddeutsche.de/ leben/artikel/750/175225/print.html. Springs, Harriet 2009: Australia’s Settlement Services for Migrants and Refugees. Research Paper No. 29. Parliamentary Library. Information, Analysis and Advices of the Parliament, 29.04.2009. http://www.aph.gov.au/Library/pubs/rp/2008 -09/09rp29.pdf. Sydney Slips in City Rankings 2008. In: The Age, 10.07.2008.: http://www.the age.com.au/national/sydney-slips-in-city-rankings-20080611 2oqf. html. The People of New South Wales 2008. Statistics from the 2006 Census. Department of Immigration and Citizenship 2008. Section 3-4: Profiles of Metropolitan Sydney Local Government Areas. Table 3.1.2 Sydney Overseas Born. Quelle: Community Relations Commission for a Multicultural New South Wales. http://www.crc.nsw.gov.au/__data/assets/pdf_file/0008/9692/NSW_PONSW_V ol_1.pdf.

8.5 F ILMDOKUMENTATIONEN Hockerts-Werner, Elke/Kaufmann, Jossi/Wingens, Ernst Michael: „Was von den Träumen blieb“. Jeffries, Anna/Teh, Lacey: Frohe Ostern! (Happy Eastern!). The collaged history of a joyful Easter camping ritual celebrates German migrants becoming three generations of Australians. Premier broadcast on SBS Australia, 19:30 Uhr, 10.04.2009. 26 Minuten Spielzeit.

8.6 I NTERVIEWS 8.6.1 Interviews während der explorativen Feldforschungsphase 1. Interview mit dem Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Sydeny, Herrn Peter Auger, datiert auf den 13.09.2007. 2. Interview mit Helga Küpper, datiert auf den 02.10.2007.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 701

3. Interview mit Dr. Horst Gilbert, datiert auf den 06.10.2007. 4. Interview mit Bernhard Vollmert, datiert auf den 09.10.2007. 5. Interview mit Karen und Gregor Pflüger, datiert auf den 13.10.2007. 6. Interview mi Heidi und Frank Overmann, datiert auf den 14.10.2007. 7. Interview mit Ursula Fornett, datiert auf den 16.10.2007. 8. Interview mit Ingo Mollenhauer, datiert auf den 22.10.2007. 9. Interview mit Dr. Hugo Wiegemeyer, datiert auf den 23.10.2007. 10. Interview mit Gabi und Beat Wegener, datiert auf den 24.10.2007. 11. Interview mit Christa und Hermann Simmer, datiert auf den 28.10.2007. 12. Interview mit Anja Kapmeier, datiert auf den 30.10.2007. 13. Interview mit Hildegard und Willi Reitinger, datiert auf den 01.11.2007. 14. Interview mit Ralf Alpsteiner, datiert auf den 02.11.2007. 15. Interview mit Paul Keilbach, datiert auf den 05.11.2007. 16. Interview mit Karl-Heinz Kuhnert, datiert auf den 06.11.2007. 17. Interview mit Josef Schmidt, datiert auf den 12.11.2007. 18. Interview mit Dorothea Prechtel, datiert auf den 16.11.2007. 19. Interview mit Traute und Dierk Mohrhardt, datiert auf den 18.11.2007. 20. Interview mit Angelika und Dietrich Rehwald, datiert auf den 19.11.2007. 21. Interview mit Inge und Heinz Münzing, datiert auf den 20.11.2007. 22. Interview mit Andreas Rottscheidt, datiert auf den 21.11.2007. 23. Interview mit Walli und Karl Wunger, datiert auf den 02.12.2007. 8.6.2 Interviews während der problemorientierten Feldforschungsphase 1. Interview mit Ahmet Yilmaz, datiert auf den 16.03.2008. 2. Interview mit Ivonne Ritter, datiert auf den 01.04.2008. 3. Interview mit Ludger Heidershoff, datiert auf den 01.04.2008. 4. Interview mit Christa und Erhard Gohdefeld, datiert auf den 06.04.2008. 5. Interview mit Raoul Trentmüller, datiert auf den 07.04.2008. 6. Interview mit Ulrike Krause, datiert auf den 09.04.2008. 7. Interview mit Barbara Bartel, datiert auf den 15.04.2008. 8. Interview mit Marion Schumacher, datiert auf den 20.04.2008. 9. Interview mit Gretel Fröhlich und Walter Sonneck, datiert auf den 21.04.2008. 10. Interview mit Martin Reupert, datiert auf den 22.04.2008. 11. Interview mit Liselotte Mahrbrück, datiert auf den 24.04.2008. 12. Interview mit Andres Reitinger, datiert auf den 28.04.2008. 13. Interview mit Charlotte Seidel, datiert auf den 09.05.2008. 14. Interview mit Andreas Bader, datiert auf den 10.05.2008. 15. Interview mit Martin Menzel, datiert auf den 13.05.2008. 16. Interview mit Orzela und Franz Cekovic, datiert auf den 17.05.2008. 17. Interview mit Claudia Banger, datiert auf den 20.05.2008.

702 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

18. Nacherhebungsinterview mit Ulrike Krause, datiert auf den 23.05.2008. 19. Interview mit Eva Hendriks, datiert auf den 26.05.2008. 20. Interview mit Helmut Zeiler, datiert auf den 29.05.2008. 21. Interview mit Dr. Georg Greifswald, datiert auf den 30.05.2008. 22. Interview mit Jessica Ebinger, datiert auf den 02.06.2008. 23. Interview mit Dr. Tilmann Ruschmeyer, datiert auf den 03.06.2008. 24. Interview mit Marleen Averhof, datiert auf den 04.06.2008. 25. Interview mit Annemarie Jürgens, datiert auf den 11.06.2008. 26. Nacherhebungsinterview mit Ulrike Krause, datiert auf den 13.06.2008. 27. Interview mit Traudl Tropscheidt, datiert auf den 17.06.2008. 28. Interview mit Christel Paukner, datiert auf den 02.07.2008. 29. Interview mit Mathias Burmeister, datiert auf den 11.07.2008. 30. Interview mit Paul Könnecke, datiert auf den 19.07.2008. 31. Interview mit Gundula Meson, datiert auf den 22.07.2008. 32. Interview mit Dr. Bettina Rößler, datiert auf den 08.08.2008. 33. Interview mit Tatjana Wiersching, datiert auf den 15.08.2008. 34. Interview mit Matthias Weitkemper, datiert auf den 18.08.2008. 35. Interview mit Stefan Grunberg, datiert auf den 29.08.2008. 36. Interview mit Nigol Meininger, datiert auf den 02.09.2008. 37. Interview mit Sylvia Harmsen, datiert auf den 03.09.2008. 38. Nacherhebungsinterview mit Gundula Meson, datiert auf den 05.09.2008.

9.

Danksagung

In erster Linie möchte ich jenen Menschen meinen aufrichtigen Dank aussprechen, mit denen ich während meiner mehrmonatigen Feldforschung in Sydney einen überaus persönlichkeitsbildenden Abschnitt meines Lebens verbringen durfte. Man kann sich kaum vorstellen, welch eine herzliche Gastfreundlichkeit die deutschen Migranten mir entgegenbrachten und welches Interesse sie für mein empirisches Forschungsvorhaben zeigten. Mir war es nicht nur vergönnt, mit ihnen in unzähligen Gesprächen ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu teilen sowie an ihrem Alltag teilzunehmen, sondern das vom persönlichen Interesse der Gewährsleute charakterisierte Engagement öffnete mir zudem neue Türen zu bisher ungeahnten ethnografischen Räumen. Auch wenn der Ethnograf je nach Wetterbedingungen im schweißgebadeten oder regendurchtrieften Oberhemd am vereinbarten Ort erschien, wurde dies nicht mit irritiertem Stirnrunzeln quittiert, sondern mit einem fürsorglichen Entgegenkommen seitens der Wanderer zwischen den Kulturen. Mit ihrem erfahrungsgesättigten Expertenwissen, ihrer zuvorkommenden kommunikativen Art und ihrem ungeteilten Verständnis für meine temporäre Anwesenheit in ihren kulturell aufgeladenen Lebenswelten am anderen Ende des Erdballes trugen sie maßgeblich zum Gelingen meiner akademischen Qualifikationsarbeit bei. Ihnen sei an dieser Stelle recht herzlich gedankt. Meiner australisch-deutschen Gastfamilie in der Holtermann Street gebührt herausgehobene Anerkennung, weil mir Simon, Anja, Lilian und Fiona mit der familiärfreundschaftlichen Atmosphäre ihres Haushaltes während meines zweiten Aufenthaltes in Sydney ein home away from home zu spenden vermochten. Dazu haben gleich mehrere Satisfaktionsparameter beigetragen: Außerhalb der Öffnungszeiten der Mitchell Library spielte der fröhliche Habitus bzw. das Babysitting der Kinder eine wichtige Rolle bei der allabendlichen Rekreation, auch wenn mein Zimmer danach des Öfteren aussah wie ein Schlachtfeld. Sowohl allwöchentlich wiederkehrende Verhaltensmuster wie beispielsweise das sonntags rituell praktizierte Bügeln der Hemden und das zur späten Abendstunde vollzogenen Skypen mit der Familie

704 | W ANDERER ZWISCHEN

DEN

K ULTUREN

als auch das (nahezu) tägliche Zubereiten der liebgewonnenen instant noodles curry flavour in Eurer Küche waren unter Einbezug zahlreicher anderer Faktoren dafür verantwortlich, dass mir mein Aufenthalt in der Holtermann Street auch nach Jahren der Australienabstinenz sehr positiv in Erinnerung geblieben ist. Dank aussprechen möchte ich des Weiteren den engagierten Bibliothekaren der Mitchell Library sowie der State Library of New South Wales, die dem jungen Wissenschaftler aus Deutschland zum einen dabei behilflich waren, die umfangreiche Literatur zur Geschichte der Migration nach Australien zugänglich zu machen und zum anderen in weniger erbaulichen Arbeitsphasen der Interviewtranskription mit aufmunternden Worten aufwarteten. Zu tiefem Dank verpflichtet bin ich meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Prof. Dr. Gunther Hirschfelder, der diese im Jahre 2010 an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommene Arbeit mit dem Titel „Wanderer zwischen den Kulturen. Ethnizität deutscher Auswanderer in Australien im Spannungsverhältnis von Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion. Eine kulturanthropologische Migrationsstudie“ von Anbeginn mit anhaltendem Interesse und gewissenhaften Hinweisen unterstützte und in zahlreichen Gesprächen wertvolle Impulse zur Entstehung der Arbeit beisteuerte. Herrn Prof. Dr. Christopf Antweiler danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Wertvolle Dienste leistete mir ferner Dr. Marcus Klein bei der Optimierung des nun druckfertig vorliegenden Manuskriptes. Sein kritischer Blick, sorgfältiges Redigieren und seine akribische Arbeit als Lektor wusste ich sehr zu schätzen, und an dieser Stelle sei ihm der gebührende Dank ausgesprochen. Nicht zuletzt ließ mir meine Familie während der gesamten Promotionsphase unermüdlich sowohl materielle als auch immaterielle Unterstützung zuteilwerden. Sie war es, die vor allem während der Niederschrift der Ergebnisse, der Vorbereitung auf die Disputation und der Erstellung der Druckfahnen die nötige Geduld aufbrachte, einen geistig abwesenden, notorisch gestressten und vom Ehrgeiz getriebenen Sohn, Enkel und Bruder zu ertragen, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Anstrengungen stets darauf insistierte, keine Zeit für Dinge übrig zu haben, die sich abseits seines Schreibtisches abspielten. Für Euer konziliantes Verständnis sei Euch von Herzen gedankt.

Kultur und soziale Praxis Sylke Bartmann, Oliver Immel (Hg.) Das Vertraute und das Fremde Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs Dezember 2011, ca. 240 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1292-9

Isolde Charim, Gertraud Auer Borea d’Olmo (Hg.) Lebensmodell Diaspora Über moderne Nomaden Dezember 2011, ca. 400 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1872-3

Sabine Hess, Nikola Langreiter, Elisabeth Timm (Hg.) Intersektionalität revisited Empirische, theoretische und methodische Erkundungen November 2011, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1437-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur und soziale Praxis Silja Klepp Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer September 2011, 428 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1722-1

Anne C. Uhlig Ethnographie der Gehörlosen Kultur – Kommunikation – Gemeinschaft Oktober 2011, ca. 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1793-1

Erol Yildiz Die weltoffene Stadt Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht Januar 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1674-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur und soziale Praxis Anıl Al-Rebholz Das Ringen um die Zivilgesellschaft in der Türkei Intellektuelle Diskurse, oppositionelle Gruppen und Soziale Bewegungen seit 1980 Februar 2012, ca. 408 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1770-2

Thomas Fröhlich, Yishan Liu (Hg.) Taiwans unvergänglicher Antikolonialismus Jiang Weishui und der Widerstand gegen die japanische Kolonialherrschaft. August 2011, 362 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1018-5

Daniel Gaxie, Nicolas Hubé, Marine de Lassalle, Jay Rowell (Hg.) Das Europa der Europäer Über die Wahrnehmungen eines politischen Raums (aus dem Französischen von Frank Weigand und Markus Merz) März 2011, 344 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1626-2

Jörg Gertel, Ingo Breuer (Hg.) Alltags-Mobilitäten Aufbruch marokkanischer Lebenswelten Dezember 2011, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-89942-928-2

Martina Grimmig Goldene Tropen Die Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana September 2011, 296 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-751-6

Jürg Martin Meili Kunst als Brücke zwischen den Kulturen Afro-amerikanische Musik im Licht der schwarzen Bürgerrechtsbewegung Mai 2011, 320 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1732-0

Janne Mende Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung Zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus September 2011, 212 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1911-9

Minna-Kristiina Ruokonen-Engler »Unsichtbare« Migration? Transnationale Positionierungen finnischer Migrantinnen. Eine biographieanalytische Studie Dezember 2011, ca. 348 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1876-1

Verena Schreiber Fraktale Sicherheiten Eine Kritik der kommunalen Kriminalprävention Juni 2011, 302 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1812-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de